Die Beweisermittlung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht: Die Behandlung des strukturellen Informationsdefizits des Rechtsinhabers im Falle einer vermuteten Schutzrechtsverletzung: Von der Entscheidung »Druckbalken« bis zur Umsetzung der »Enforcement«-Richtlinie [1 ed.] 9783428529353, 9783428129355

Vor dem Hintergrund der prozessualen Darlegungs- und Beweislast und des strukturellen Informationsdefizits des Rechtsinh

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German Pages 442 Year 2011

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Die Beweisermittlung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht: Die Behandlung des strukturellen Informationsdefizits des Rechtsinhabers im Falle einer vermuteten Schutzrechtsverletzung: Von der Entscheidung »Druckbalken« bis zur Umsetzung der »Enforcement«-Richtlinie [1 ed.]
 9783428529353, 9783428129355

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 411

Die Beweisermittlung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Von

Thomas Gniadek

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS GNIADEK

Die Beweisermittlung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 411

Die Beweisermittlung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Die Behandlung des strukturellen Informationsdefizits des Rechtsinhabers im Falle einer vermuteten Schutzrechtsverletzung: Von der Entscheidung „Druckbalken“ bis zur Umsetzung der „Enforcement“-Richtlinie

Von

Thomas Gniadek

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-12935-5 (Print) ISBN 978-3-428-52935-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-82935-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

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Meinen Eltern

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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen. Mein aufrichtiger Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thomas Dreier, M.C.J. für die ausgesprochen freundliche Unterstützung und Betreuung dieser Arbeit sowie Herrn Prof. Dr. Maximilian Haedicke, LL.M. für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Das Cusanuswerk hat mich seit Beginn meines Studiums ideell und finanziell gefördert und insbesondere für die Anfertigung dieser Arbeit ein Promotionsstipendium gewährt. Die wertvolle Arbeit des Cusanuswerkes hat meine Promotion in dieser Form erst ermöglicht. Dafür möchte ich mich besonders bedanken. Herzlich danke ich meinen Freunden für die Unterstützung und das nötige Verständnis während der Anfertigung dieser Dissertation. Mein besonderer Dank gilt dabei meinen Freunden Dr. Sandra Könemann, die u. a. mit großem Fleiß das Korrekturlesen des Manuskripts übernommen hat, und Dr. Ralph Schilha, der nahezu während der gesamten Arbeitszeit in demselben Raum des Heidelberger Juristischen Seminars an seiner eigenen Dissertation gearbeitet hat. Beide standen mir stets zur Seite und haben dafür gesorgt, dass auch in schwierigen Phasen die Motivation nicht verloren ging. Damit haben sie ganz wesentlich zur Vollendung dieses Projekts beigetragen. Auch ohne den elterlichen Rückhalt wäre diese Arbeit so nicht möglich gewesen. Mein persönlicher Dank gilt daher meinen Eltern Bernadette und Dr. Ludwig Gniadek, die meine gesamte Entwicklung stets gefördert haben. Ihnen widme ich dieses Werk. München, im Mai 2010

Thomas Gniadek

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Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Informationsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Beurteilung der Erfolgsaussichten und Prozesskostenrisiko . . . . . . . . . . . . 24 2. Erfordernis eines bestimmten Klageantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Substantiierung der Verletzungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. Erfordernis eines bestimmten Beweisantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Informationsdefizit und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Die Sphären-Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Überblick über die Systematik der Informationsbeschaffung im bisherigen deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 D. Aufgabenstellung und Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . 41 E. Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 F. Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Strafrechtliches Verbot der Selbstbezichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

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Inhaltsverzeichnis 1. Teil Die Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nach dem bisherigen deutschen Recht

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1. Abschnitt Materielle Ansprüche

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A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Voraussetzungen des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Hauptanspruch in Ansehung der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Bestehen eines Hauptanspruchs „in Ansehung der Sache“ . . . . . . . . . . . 54 b) Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) „Sich-Gewissheit-Verschaffen-Wollen“ über das Bestehen des Hauptanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (2) „Druckbalken“-Verfahren: Erhebliche Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . 61 (3) Literaturstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (5) Entscheidung „Faxkarte“: Gewisse Wahrscheinlichkeit und Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (a) Gewisse Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (b) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (6) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (a) Übertragbarkeit der Entscheidung „Faxkarte“ . . . . . . . . . . . . . . 69 (b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Informationsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Der modifizierende Einfluss des § 242 BGB: Einzelfallbezogene Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Entgegenstehende Interessen und deren Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . 76 b) Glaubhaftmachung der entgegenstehenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (2) Der konkrete Abwägungsvorgang in der Entscheidung „Faxkarte“ . 80 (a) Der Grad der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (b) Die Verfügbarkeit anderweitiger Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . 81

Inhaltsverzeichnis

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(c) Geheimhaltungsinteressen des Schuldners und Möglichkeiten ihrer verfahrensmäßigen Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 d) Ergebnisse und Auswirkungen der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . 84 III. Inhalt des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Vorlegung einer konkreten Sache zur Besichtigung oder Gestattung der Besichtigung einer konkreten Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Inhalt und Umfang der Besichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Allgemeine Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Substanzeingriff und Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (1) „Druckbalken“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Literaturstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (a) Begriff der Inaugenscheinnahme gemäß § 371 ZPO . . . . . . . . . 89 (b) Bedürfnisse des Informationssuchenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (c) Unterscheidung zwischen „Vorlegung“ und „Gestattung“ . . . . . 91 (d) Unterscheidung zwischen Geheimhaltungsinteresse und Integritätsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (3) Entscheidung „Faxkarte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (a) Besichtigung auch einer verbundenen Sache . . . . . . . . . . . . . . . 95 (b) Integritätsinteresse und Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (c) Interessenabwägung: Integritätsinteresse und Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Der Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (2) Pflicht zur Einschaltung eines neutralen Sachverständigen . . . . . . . . 99 (3) Beauftragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 d) Feststellungen zu äquivalenten Patentverletzungen und unfreien Bearbeitungen im Sinne des Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) „Druckbalken“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (3) Literaturstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (a) Zustimmende Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (b) Ablehnende Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (4) Entscheidung „Faxkarte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (5) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

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Inhaltsverzeichnis IV. Modalitäten der Besichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Ort der Vorlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Gefahrtragung und Kosten der Vorlegung zur Besichtigung . . . . . . . . . . . . 108 3. Gefahrtragung und Kosten der Gestattung der Besichtigung . . . . . . . . . . . . 109 V. Die Möglichkeiten der Durchsetzung des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Die Geltendmachung im Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Die Geltendmachung als Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Die Geltendmachung im einstweiligen Verfahren mit dem Ziel der Befriedigungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Durchsetzung des Anspruchs im Wege der Befriedigungsverfügung? . . 113 b) Verbot der Befriedigungsverfügung im Rahmen von §§ 809, 242 BGB . 114 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Die Geltendmachung im „mehrstufigen“ Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5. Die Geltendmachung im Wege der „Düsseldorfer Praxis“ . . . . . . . . . . . . . 117 VI. Die Durchsetzung des Anspruchs im Wege des „mehrstufigen Verfahrens“ . . 118 1. Der einstweilige Rechtsschutz zur Sicherung des Vorlegungs- und Besichtigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . 118 (1) Verfügungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (2) Verfügungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (3) Verfügungsgrund und besondere Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (a) Verfügungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (b) Besondere Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Inhalt der einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (1) Sequestration bzw. Duldung der Besichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (2) Besichtigung durch einen neutralen Sachverständigen und Anfertigung eines Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (3) Duldung und Mitwirkungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (4) Verwahrung des Sachverständigenberichts bei Gericht . . . . . . . . . . . 124 c) Vollziehung der einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Richterliche Durchsuchungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (b) Entbehrlichkeit wegen „Gefahr im Verzug“? . . . . . . . . . . . . . . . 127 (c) Enthält die ergangene einstweilige Verfügung bereits die richterliche Durchsuchungsanordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

Inhaltsverzeichnis

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(d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Das Hauptsacheverfahren zur Durchsetzung des Vorlegungs- und Besichtigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Der Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Die Verhandlung über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 809 BGB . 130 c) Zulässigkeit eines beweisrechtlichen „Geheimverfahrens“ nach bisher geltendem Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (1) Sogenannte „Sachverständigenlösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (2) Sogenannte „Anwaltslösung“, „counsel-only“-Lösung bzw. „in-camera“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (3) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (1) Freigabe des Berichts an den Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Fristsetzung zur Erhebung einer Verletzungsklage? . . . . . . . . . . . . . 141 3. Die Verletzungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 VII. Alternative Vorschläge zur Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs: Kombination des selbstständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO mit dem Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB – sogenannte „Düsseldorfer Praxis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Die so genannte „Düsseldorfer Praxis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Abschnitt Prozessuale Instrumente

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A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO als vorprozessuales Instrument der Beweissicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Verfahren und Durchführung der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Der Antrag und seine Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) § 487 Nr. 2 ZPO und das Ausforschungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

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Inhaltsverzeichnis (2) Übertragung auf den konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Verfahrensablauf, rechtliches Gehör und Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Der Beweisbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Die Ladung des Antraggegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Die Durchführung der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Die fehlende Erzwingbarkeit von Maßnahmen nach §§ 485 ff. ZPO gegenüber der gegnerischen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Die Auswirkungen der §§ 492 Abs. 1, 371, 144 ZPO . . . . . . . . . . . . 162 (2) Die Auswirkungen materieller Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Verfahrensende und Verwendbarkeit im Hauptprozess . . . . . . . . . . . . . . 165 IV. Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung und -erhebung im laufenden Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Substantiiertes Bestreiten und „sekundäre Behauptungslast“ . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Entscheidung „Blasenfreie Gummibahn II“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Der Vorschlag von Mes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Die fehlende Erzwingbarkeit der Beweisaufnahme und die Grundsätze der Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Die Lehre von einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien und deren Mitwirkungspflicht bei der Stoffsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Hintergrund der Entstehung der Lehre: Wahrnehmung einer zunehmenden Rechtsfortbildung vor allem im Bereich materieller Informationsbeschaffungsansprüche bei gleichzeitigem formalem Festhalten am „nemo-tenetur-edere-contra-se“-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 178 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Rechtsfortbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (1) Materielles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (2) Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Die Lehre von einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Die ersten Vertreter einer prozessualen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . 184

Inhaltsverzeichnis

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b) Die Stürnersche Lehre von einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Meinungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (1) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (2) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (3) Neuere Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Folgerungen für das Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Beweislastumkehr bei Verfahrenspatenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Die Pflicht des Prozessgegners zur Vorlegung von Urkunden nach §§ 421 ff. ZPO . 199 D. Die amtswegige richterliche Anordnung der Vorlegung von Unterlagen und Augensscheinsgegenständen und der Duldung ihrer Inaugenscheinnahme und Begutachtung nach §§ 142, 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Voraussetzungen einer Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. § 142 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Gegenstand der Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Bezugnahme durch „eine“ Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (1) Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (2) Die Bezug nehmende Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 d) Sonstige Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. § 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Gegenstand der Anordnung und Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Sonstige Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Die Rechtsfolgen einer Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. § 142 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Gerichtliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Im Rahmen einer Anordnung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (a) Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (b) Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (c) Sonstige Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

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Inhaltsverzeichnis (2) Gebundene Entscheidung bei Parteiantrag auf Vorlegungsanordnung gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Der Anordnungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Anordnungen gegenüber der Bezug nehmenden Partei . . . . . . . . . . . 214 (2) Anordnungen gegenüber der nicht Bezug nehmenden Partei (Prozessgegner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (3) Anordnungen gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. § 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Art der Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (2) Schutz der „Wohnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (4) Die alternative Lösung über § 371 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 ZPO . . . . . . . 221 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 (6) Besonderheiten bei der Übermittlung elektronischer Dokumente . . . 223 b) Gerichtliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Im Rahmen einer Anordnung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Gebundene Entscheidung bei Parteiantrag auf eine Anordnung nach §§ 371 Abs. 2 S. 1, 144 ZPO gegenüber einem Dritten und gegenüber der Partei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (a) Die Anordnungen gegenüber dem Dritten nach § 371 Abs. 2 ZPO 229 (b) Die Anordnungen gegenüber der Partei nach § 371 Abs. 2 ZPO 229 c) Der Anordnungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 IV. Verfahren und Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Gegenüber einer Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) Die Wirkung der §§ 371 Abs. 3, 427 S. 2 ZPO analog . . . . . . . . . . . 232 (2) Abweichende Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 V. Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Die nicht-beweisbelastete Partei als Adressat und die prozessuale Herleitung 235 2. Keine Informations- oder Beweisermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

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3. Schutz der Geheimnis- und Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Ermessensentscheidung und fehlende Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 239 E. Fazit zur Informationsbeschaffung nach bisher geltendem deutschen Recht: „Ausforschungsverbot statt Geheimverfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Teil Die EG-Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 II. Die Auslegung von Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Richtlinien . . . . . . 249 III. Die Umsetzung von Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 B. Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie und ihr endgültiger Wortlaut . . . . . 252 1. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie im Allgemeinen und einzelner Artikel im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3. Der Wortlaut wesentlicher Bestimmungen des Beweisrechts . . . . . . . . . . . 257 II. Zielsetzung und Regelungsanliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Bekämpfung der Produktpiraterie sowie umfassende und horizontale Harmonisierung der Rechtsdurchsetzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. „TRIPs-Plus“-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Das TRIPs-Übereinkommen, seine Rechtsnatur und die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Einschlägige Regelungen der Rechtsdurchsetzung im TRIPs-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (1) Art. 41 TRIPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (2) Art. 42 TRIPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (3) Art. 43 TRIPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (b) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (4) Art. 50 TRIPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (b) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Umsetzungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

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Inhaltsverzeichnis d) Regelungsanliegen des Richtliniengebers: „TRIPs-Plus“-Ansatz und Folgerungen für das Verständnis der Durchsetzungs-Richtlinie . . . . . . . 269 3. „Best-Practice“-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) „Anton-Piller-order“/„search order“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (2) Antrag und formelle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke . . . . . . . . . . . 273 (3) Materielle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an den Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (4) Inhalt der Anordnung und Durchführung der „search order“ . . . . . . 277 (5) Durchsetzung der search order . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (6) Behandlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . 281 (7) Anhörung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Schadensersatz 282 (8) Klageerhebung in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (9) Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Saisie-contrefaÅon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Antrag und formelle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke . . . . . . . . . . . 288 (3) Materielle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an den Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (4) Inhalt der Anordnung und Durchführung der saisie . . . . . . . . . . . . . 290 (5) Durchsetzung der saisie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (6) Behandlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . 295 (7) Klage wegen missbräuchlicher „saisie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (8) Klageerhebung in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (9) Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Die „Best-Practice“-Maßnahmen und Folgerungen für das Verständnis der Durchsetzungs-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 I. Gegenstand und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. „Rechte des geistigen Eigentums“ – sachlicher Anwendungsbereich . . . . . 307 2. „Jede Verletzung“ – persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 310 II. Allgemeine Anforderungen an die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

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3. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 III. Die Beweismittelbeschaffung nach Art. 6 und Art. 7 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Verhältnis der Art. 6 und Art. 7 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Die Beweiserlangung nach Art. 6 Absatz 1 Satz 1 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 (1) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 (2) Anforderungen an den Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (a) Darlegung des Verletzungsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (b) Vorlage vernünftigerweise verfügbarer Beweismittel: Wahrscheinlichmachung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (3) Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke . . . . . . . . . . . 323 (4) Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (1) Ermessen oder gebundene Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (2) Inhalt der Vorlageanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Durchsetzung der Vorlageanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 d) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 3. Die Beweiserleichterung nach Art. 6 Absatz 1 Satz 2 RL . . . . . . . . . . . . . . 331 4. Die Beweiserlangung nach Art. 6 Absatz 2 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 5. Die Beweisermittlung nach Art. 7 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (1) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (2) Anforderungen an den Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 (a) Darlegung des Verletzungsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 (b) Vorlage vernünftigerweise verfügbarer Beweismittel in Bezug auf eine behauptete Verletzung: Plausibelmachung . . . . . . . . . . 338 (3) Sinn und Zweck der Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL: Beweisermittlung oder Beweissicherung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 (4) Anforderungen an eine Bezugnahme zur Eingrenzung zu ermittelnder Beweisstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 (5) Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (1) Ermessen oder gebundene Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (2) Inhalt der Beweisermittlungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

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Inhaltsverzeichnis c) Durchsetzung der Beweisermittlungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 d) Verfahren und verfahrensmäßiger Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (1) Anforderungen an das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (2) Mögliches Verfahren zur Anwendung des Art. 7 RL . . . . . . . . . . . . . 360 (3) Verfahrensmäßiger Geheimnisschutz: Insbesondere die Verhandlung über Ermittlungsergebnis und Schutzrechtsverletzung unter Ausschluss der Naturalpartei in Anwesenheit zur Verschwiegenheit verpflichteter Prozessvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 e) Weitere Sicherungen zugunsten des Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (1) Stellung einer Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (2) Frist zur Erhebung der Verletzungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 (3) Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 f) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 3. Teil Umsetzungsbedarf, Umsetzungsmöglichkeiten und die konkrete Umsetzung durch das Umsetzungsgesetz

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A. Umsetzungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 I. Zuordnung der Maßnahmen nach Art. 6 und 7 RL zu den bestehenden Instituten nach bisherigem deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 1. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 2. Art. 6 Abs. 1 S. 2 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 3. Art. 6 Abs. 2 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 4. Art. 7 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 II. Umsetzungsbedarf der Art. 6 und 7 RL im Vergleich mit dem bisher geltenden deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 1. Art. 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 RL im Vergleich mit den §§ 142, 144 ZPO . 379 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 (1) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 (2) Entscheidung „Restschadstoffentfernung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2. Art. 7 RL im Vergleich mit den §§ 809, 242 BGB, 935 ff. ZPO . . . . . . . . . 385 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Inhaltsverzeichnis

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c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 d) Fazit: Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 B. Umsetzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 I. Prozessualer oder materieller Lösungsansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 II. Regelungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 C. Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 I. Regelungsort und Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 II. Die Regelungen nach §§ 140 c, 140 d PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 a) § 140 c PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 b) § 140 d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 2. § 140 c PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 b) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 (1) § 140 c Abs. 1 S. 1 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 (3) § 140 c Abs. 1 S. 2 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 (4) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 (5) § 140 c Abs. 2 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 (6) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (1) § 140 c Abs. 1 S. 1 und 2 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 d) Verfahren und Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (1) § 140 c Abs. 3 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 (3) § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (4) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 e) Weitere Sicherungen zugunsten des Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 (1) § 140 c Abs. 4 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 (2) § 140 c Abs. 5 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (3) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420

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Inhaltsverzeichnis 3. § 140 d PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

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Einleitung A. Einführung Der Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums, welcher den Verdacht hat, dass sein Immaterialgüterrecht durch einen Anderen verletzt wird, und daher die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens erwägt, hat ein gesteigertes Bedürfnis nach verletzungsbezogenen Informationen. Dieses Bedürfnis nach umfassenden Informationen über die vermutete Verletzung besteht bereits vor Erhebung einer Verletzungsklage. Denn der mutmaßlich Verletzte muss die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens zutreffend beurteilen können, anschließend in seiner Klageschrift einen bestimmten Antrag stellen sowie die vermutete Verletzungshandlung substantiiert und schlüssig darlegen. Im Falle des Bestreitens durch die gegnerische Partei obliegt dem Schutzrechtsinhaber während des Verfahrens der Beweis der behaupteten Schutzrechtsverletzung. Gleichzeitig sieht er sich häufig mit einem Defizit an Informationen über die vermutete Verletzung konfrontiert. Aus der Immaterialität und Ubiquität der Rechte des geistigen Eigentums ergibt sich wesensbedingt eine Verschärfung dieses Informationsdefizits im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts. Fehlen dem Schutzrechtsinhaber jedoch die zur Prozessführung erforderlichen Informationen, wird er den Verletzungsprozess allein aus diesem Grund verlieren – unabhängig von der materiellen Begründetheit der geltend gemachten Ansprüche. Die Durchsetzung des materiellen Rechts kann somit durch den Mangel an Information vor gravierende Probleme gestellt und gegebenenfalls gänzlich verhindert werden, so dass der praktische Wert des von der Rechtsordnung an sich gewährten materiellen Rechts deutlich abnimmt und die Grundsatzentscheidung für den Schutz der Immaterialgüterrechte in Frage steht. Dennoch tun sich – wie die vorliegende Untersuchung zeigen wird – der Gesetzgeber und die Gerichte in Deutschland offenbar traditionell schwer damit, dem Schutzrechtsinhaber effektive Instrumente zur Überwindung des Informationsdefizits und zur Durchsetzung seines materiellen Rechts zur Verfügung zu stellen1. Nun statuieren allerdings insbesondere die Artikel 6 und Artikel 7 der EG-Richtlinie

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Stürner, Aufklärungspflicht, S. 17 ff.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 216; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599 ff.; Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1626 f.; Tilmann/ Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 901 bezeichnen Deutschland in diesem Zusammenhang als „Entwicklungsland“.

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Einleitung

zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG)2 in diesem Bereich Anforderungen an den Gesetzgeber, die die Bereitstellung effektiverer Instrumente der Informationsbeschaffung befördern sollten. Diese Richtlinie wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008, in Kraft getreten am 1. September 2008, in deutsches Recht umgesetzt3.

B. Problemstellung I. Informationsbedürfnis Der mutmaßlich in seinen Rechten verletzte Schutzrechtsinhaber, welcher die gerichtliche Durchsetzung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen prüft, befindet sich in der Rolle des Anspruchstellers und – möglichen – Klägers und hat aus zahlreichen Gründen – schon vorprozessual – ein Bedürfnis und ein berechtigtes Interesse an Informationen über die vermutete Verletzung: 1. Beurteilung der Erfolgsaussichten und Prozesskostenrisiko Nach § 91 ZPO hat die unterliegende Partei die vom Streitwert abhängigen Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Der Anspruchsteller wird sich folglich um möglichst umfassende, verletzungsbezogene Informationen bemühen, um die materielle Rechtslage, seine prozessuale Situation und die Verfügbarkeit von Beweismitteln beurteilen zu können. Nur so kann er vorprozessual die Erfolgsaussichten einer Klage abschätzen. Ohne ausreichende verletzungsbezogene Informationen würde sich der Schutzrechtsinhaber in einen Prozess mit gänzlich unkalkulierbarem Ausgang begeben4 und angesichts hoher Streitwerte – beispielsweise im Patentrecht – ein beträchtliches Kostenrisiko auf sich nehmen. 2. Erfordernis eines bestimmten Klageantrags Der klagende Schutzrechtsinhaber hat bereits in seiner Klageschrift hinreichend bestimmte Klageanträge zu stellen. Dies gilt insbesondere für Anträge auf Unterlassung einer schutzrechtsverletzenden Handlung. Diese sind so konkret zu fassen, dass ersichtlich ist, worauf sich das ersuchte Verbot erstreckt. Hierzu ist die zu unterlas-

2 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29. 4. 2004, ABl. L 157 v. 30. 4. 2004, S. 45 ff.; berichtigte Fassung in ABl. L 195 v. 2. 6. 2004, S. 16 ff. 3 Sogenanntes Durchsetzungsgesetz (BGBl I, 1191), in dieser Arbeit bezeichnet als „Umsetzungsgesetz“. 4 Cremer, Bekämpfung der Produktpiraterie, Mitt. 1992, S. 153, 158; vgl. auch v. Hartz, Beweissicherung, S. 17 f.

B. Problemstellung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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sende Verletzungshandlung genau zu beschreiben5. Gerade bei Unterlassungsanträgen im Patentverletzungsprozess hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass im Klageantrag die angegriffene Ausführungsform so konkret zu bezeichnen ist, dass eine dem Antrag entsprechende Urteilsformel Grundlage der Zwangsvollstreckung sein kann. Selbst bei Geltendmachung einer wortsinngemäßen Verletzung genügt hiernach eine schlichte Wiedergabe des Wortlautes des Patentanspruchs diesem Erfordernis nicht6. 3. Substantiierung der Verletzungshandlung Ein Bedürfnis des Schutzrechtsinhabers nach verletzungsbezogenen Informationen besteht vor allem, da der Zivilprozess und so auch der Verletzungsrechtsstreit vom Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz7 geprägt wird. Danach haben die Parteien den Prozessstoff zu beschaffen und einzubringen sowie die Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und nicht – in Abgrenzung zum Prinzip der Amtsermittlung – das Gericht8. Die Behauptungs- bzw. Darlegungslast für die anspruchsbegründenden Tatsachen obliegt dabei dem anspruchstellenden Schutzrechtsinhaber9, der damit das Informations- und Beweisrisiko trägt. Im Falle der Beweislosigkeit – Situation des sog. „non liquet“ – verliert er den Prozess, selbst wenn er materiell betrachtet möglicherweise im Recht gewesen wäre. Bereits in seiner Klageschrift hat er den tatsächlichen Lebenssachverhalt, der den behaupteten Verletzungsansprüchen zu Grunde liegt, konkretisiert darzulegen. Für die Zulässigkeit der Klage ist zumindest so detailiert vorzutragen, dass der Streitgegenstand – also die streitgegenständliche Verletzungshandlung – eindeutig individualisierbar ist10. Jedoch ist bei den meisten Klagen bereits eine Individualisierung des Streitgegenstandes nur durch Angabe einiger, konkreter Entstehungstatsachen möglich11. Demgegenüber ist es eine Frage der Schlüssigkeit und damit der Begründetheit der Klage, dass der Schutzrechtsinhaber substantiiert alle Tatsachen vorzutragen hat, 5

BGH, NJW 2000, S. 1792, 1794; BGH, NJW 2003, S. 3406, 3406; Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rdn. 13, 13b. 6 BGH, GRUR 2005, S. 569, 569 – „Blasfolienherstellung“: Solange sich allerdings das Klagebegehren aus dem Antrag hinreichend deutlich ergebe, sei die Klage zumindest nicht unzulässig. Dennoch habe das Gericht auf eine Umschreibung der konkreten Verletzungsform im Antrag hinzuwirken (a.a.O., S. 570; BGH, GRUR 1986, S. 803, 803 – „Formstein“). Bei der Substantiierung der konkreten Verletzungsform handelt es sich demnach um eine Frage der Schlüssigkeit des Klägervortrages und der Begründetheit der Klage. Kritisch zu dieser Entscheidung Kühnen, neue Ära bei der Antragsformulierung?, GRUR 2006, S. 180, 180 ff. 7 Grundlegend Zettel, Beibringungsgrundsatz, S. 17 ff. 8 Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1629 f. 9 Vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 202; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 17a ff., § 138 Rdn. 8b; Würtenberger, Beweisrechtliche Fragen, GRUR 2004, S. 566, 568 f. 10 Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rdn. 12a, vor § 253 Rdn. 23. 11 Stein-Jonas/Schumann, ZPO, § 253 Rdn. 125; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 94 Rdn. 19.

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Einleitung

die in Verbindung mit der einschlägigen Rechtsgrundlage geeignet und erforderlich sind, um den geltend gemachten Klageantrag sachlich zu rechtfertigen12. Welche Anforderungen an den Sachvortrag zu stellen sind, d. h. wie konkret, detailreich und unter welcher Aufgliederung in Einzeltatsachen der Sachverhalt zu beschreiben ist, richtet sich nach dem Grad der erforderlichen sog. Substantiierung. Zwar richtet sich der Grad der erforderlichen Substantiierung in einer Art Wechselspiel der Parteien auch nach dem Grad der Konkretisierung der Erwiderungen der gegnerischen Partei. Je konkreter der darlegungspflichtige Schutzrechtsinhaber vorträgt, desto konkreter muss der mutmaßliche Verletzer bestreiten, und so fort13. Allerdings muss der darlegungspflichtige Schutzrechtsinhaber hierbei immer voranschreiten. Die gegnerische Partei darf sich darauf beschränken, mit ihrer Erwiderung nur gleichzuziehen; selten wird sie zusätzliche, wirklich verletzungsbezogene Informationen preisgeben. Letztlich hat der Schutzrechtsinhaber daher selbst alle anspruchsbegründenden Tatsachen, aufgegliedert in alle erheblichen Einzeltatsachen vorzutragen, wie sich aus dem Zweck der Substantiierungslast ergibt: Ein konkreter Vortrag des Anspruchstellers soll der gegnerischen Partei ermöglichen, eine Stellungnahme zu den geltend gemachten Ansprüchen abzugeben und sich sachgerecht zu verteidigen. Das Gericht dagegen soll in die Lage versetzt werden, die Erheblichkeit der aufgestellten Behauptungen zu prüfen, also, ob die Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch zu begründen14. Nur der Streit um erhebliche Tatsachen rechtfertigt eine Beweiserhebung, die mit Belastungen für alle Beteiligten verbunden ist. Die Substantiierung dient insgesamt einer Plausibilitätskontrolle, die alle Verfahrensbeteiligten vor einem Missbrauch des gerichtlichen Verfahrens bewahren soll15. Die Substantiierung ist damit vorgeschaltete Voraussetzung einer Sachverhaltsfeststellung durch Beweiserhebung. Gleichzeitig setzt die Substantiierung durch den Anspruchsteller dabei bereits eine anfängliche Sachverhaltsaufklärung aus eigenen Quellen voraus. Wenn der Anspruchsteller diese anfängliche, eigene Sachverhaltsaufklärung nicht betreibt oder betreiben kann, verhindert das Fehlen eines substantiierten Vortrags – im Regelfall zu Recht – die Feststellung der materiellen Wahrheit im Wege einer Ausforschung der gegnerischen Partei und ihrer Sphäre. Das Erfordernis eines substantiierten Vortrags dient somit auch dem Schutz der Geschäftsund Privatsphäre der gegnerischen Partei und dem allgemeinen Schutz vor Belästi-

12 Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rdn. 12a, vor § 253 Rdn. 23; Würtenberger, Beweisrechtliche Fragen, GRUR 2004, S. 566, 568; Stein-Jonas/Schumann, ZPO, § 253 Rdn. 127 f.; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 94 Rdn. 20. 13 Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rdn. 8a. 14 BGH, NJW-RR 1997, S. 270, 270; BGH, NJW 1996, S. 1826, 1827; Schlosser, Internationale Rechtshilfe, ZZP 94, S. 369, 379; Lang, Aufklärungspflicht, S. 38 f. 15 BGH, NJW 1988, S. 2100, 2101; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 112 f., 114 f., 117 ff.; Lang, Aufklärungspflicht, S. 41 f.

B. Problemstellung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gungen durch einen Prozess16 aufgrund von bloßen Behauptungen. Als Abgrenzung von Verantwortungsbereichen bei der Beibringung des Prozessstoffes folgt das Substantiierungserfordernis folglich mehr aus dem Schutz der fremden Sphäre als aus dem Beibringungsgrundsatz als solchem17. Es ist letztlich Ergebnis einer – an einem idealtypischen Fall vorgenommenen – Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien18. Schließlich hängt die Substantiierungspflicht eng mit dem Verbot des Ausforschungsbeweises zusammen19. Danach ist es unzulässig, wenn die darlegungs- und beweisbelastete Partei durch die Beweiserhebung erstmalig die Tatsachen ermitteln will, die sie eigentlich zuvor bereits substantiiert zu behaupten und sodann zu beweisen hat. Die Beweisaufnahme darf nicht dazu dienen, der beweisbelasteten Partei einen neuen, erstmals schlüssigen Tatsachenvortrag zu ermöglichen20. Das Ausforschungsverbot ist damit in Teilen die negative Formulierung einer positiven Substantiierungspflicht. Den genannten Zwecken entsprechend muss ein substantiierter Vortrag zwei Voraussetzungen erfüllen: Einerseits muss er bestimmt genug sein, d. h. einem gewissen Bestimmtheitsgrad genügen, andererseits dürfen die tatsächlichen Behauptungen nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen21. Der Anforderungen an den Tatsachenvortrag lassen sich also grundsätzlich systematisieren nach Anforderungen an den nötigen Bestimmtheitsgrad und nach Anforderungen an den zu erreichenden Überzeugungsgrad. In Bezug auf den Bestimmtheitsgrad sind alle Einzeltatsachen anzugeben, die zur Begründung des Anspruchs erforderlich sind22. Diese Tatsachen sind logisch, voll16 Vgl. zu Letzterem: ähnlich Stürner, Aufklärungspflicht, S. 114 f.; Lang, Aufklärungspflicht, S. 42. 17 Vgl. zum Verständnis des Verhandlungsgrundsatzes als „Arbeitsteilung zwischen Gericht und Parteien“ (und nicht zwischen den Parteien) Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1630. 18 Es fragt sich hierbei, ob diese idealtypische Interessenabwägung in jedem Fall den widerstreitenden Interessen gerecht wird, oder ob in bestimmten Fällen – z. B. bei der vermuteten Immaterialgüterrechtsverletzung – abweichende Substantiierungsregeln oder -grade gelten müssen, bzw. ob dem Substantiierungspflichtigen andere Hilfen zur Verfügung gestellt werden sollten. 19 Lang, Aufklärungspflicht, S. 39; vgl. auch Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1628: Der Ausforschungsbeweis sei „primär ein Problem der Substantiiertheit und Bestimmtheit des Beweisantrages“. 20 Lang, Aufklärungspflicht, S. 39; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573; Würtenberger, Beweisrechtliche Fragen, GRUR 2004, S. 566, 568. 21 Beide Merkmale werden auch – negativ formuliert – zur Beschreibung einer unzulässigen Ausforschung verwendet: Stein-Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdn. 40, 42 ff., 45 ff.; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573; sowie Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1628: Der Ausforschungsbeweis als „Problem der Substantiiertheit“. 22 Stein-Jonas/Schumann, ZPO, § 253 Rdn. 138.

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ständig und nachvollziehbar vorzutragen und so genau, dass sich der Gegner sachgemäß verteidigen kann. Sie sind dann bestimmt genug, wenn sie so konkret sind, dass sich die Schlüssigkeit des Anspruches beurteilen lässt23. In Bezug auf den Überzeugungsgrad müssen zudem Anhaltspunkte für die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung vorliegen24. Ein sicheres Wissen wird jedoch nicht gefordert25. Der Bundesgerichtshof unterstreicht dabei – vor allem gegenüber den Instanzgerichten –, dass an die Substantiierung keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen und daher nur Behauptungen, die willkürlich, ohne greifbare Anhaltspunkte, gleichsam „ins Blaue“, ausgesprochen werden, als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen werden sollen26. Allerdings wird allgemein moniert, dass Rechtsprechung und Lehre hierzu keine handhabbaren Kriterien entwickelt haben, so dass es „recht unklar“ bleibt, in welchen Fallkonstellationen gewisse Mutmaßungen zulässig sind, und wann Behauptungen als unsubstantiiert oder unzulässige Ausforschung qualifiziert werden27. Ganz abgesehen von diesen Unklarheiten legen die für den Schutzrechtsinhaber zunächst maßgebenden Instanzgerichte nach verbreiteter Ansicht das Substantiierungserfordernis sehr unnachgiebig aus, möglicherweise auch vor dem Hintergrund, die zunehmende Überlastung der Gerichte zu verringern28. Das Substantiierungserfordernis dient somit der Steigerung der Verfahrenseffizienz. Im Ergebnis wird ein Vortrag oder eine Behauptung, die nach den genannten Kriterien und der Ansicht des jeweiligen Gerichts zu unbestimmt, zu pauschal bleibt, vom Gericht als unsubstantiiertes Vorbringen ignoriert29, d. h. es wird nicht als Pro23

BGH, NJW 2003, S. 3564, 3564; BGH, NJW-RR 2002, S. 1532, 1532; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 253 Rdn. 32. 24 BGH, NJW 1989, S. 2947, 2948; Stein-Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdn. 47. 25 Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573; vgl. auch BGH, NJW 1995, S. 1160, 1161. 26 BGH, NJW-RR 2003, S. 491, 492; BGH, NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH, NJW-RR 1991, S. 888, 891; BGH, NJW 1991, S. 2707, 2709; BGH, NJW 1992, S. 1967, 1968; BGH, JZ 1985, S. 183, 184; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573; Würtenberger, Beweisrechtliche Fragen, GRUR 2004, S. 566, 568; Lang, Aufklärungspflicht, S. 38; Stein-Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdn. 47. 27 Stürner, Anm. zu BGH, JZ 1985, S. 183, 185 f.; „hoffnungslose Unklarheiten“ beklagen zudem: Hök, Obliegenheitsverletzung durch fehlende Substantiierung, MDR 1995, S. 773, 773: „Fehlende Substantiierung – ein schillernder Begriff“; Stein-Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdn. 40: „recht unklar“; Lang, Aufklärungspflicht, S. 39: „nach Tagesbedürfnis neu gemischt“; Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1628: „viele Facetten“; jeweils m.w.N. 28 Stein-Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdn. 40 f. unter Verweis auf z. B. BGH, NJW 1991, S. 2707, 2709 und eine dort wahrgenommene „kritische Grundeinstellung“ zu den bei den „Untergerichten“ „gelegentlich anzutreffenden Vorstellungen“; Lang, Aufklärungspflicht, S. 38; vgl. zur Möglichkeit des Missbrauch des Substantiierungserfordernisses auch Stürner, Anm. zu BGH, JZ 1985, S. 183, 186. 29 Lang, Aufklärungspflicht, S. 37.

B. Problemstellung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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zessstoff der Entscheidung zu Grunde gelegt und kann zudem keine Beweiserhebung auslösen. Dies alles zwingt den Schutzrechtsinhaber, „lückenlos“ die anspruchsbegründenden Umstände zu schildern30. Vor allem hat der Schutzrechtsinhaber die angebliche Verletzungshandlung zu substantiieren31. Dazu hat er in Gegenüberstellung zu den geschützten Merkmalen der Sache, des Verfahrens bzw. des Kennzeichens, auf das sich sein Immaterialgüterrecht bezieht, konkret die Merkmale der angegriffenen Sache zu nennen und zu beschreiben, durch welche die geschützten Merkmale angeblich verletzt werden. Die Beschreibung hat derart detailliert zu erfolgen, dass das Gericht – die Richtigkeit des Vortrages unterstellt – beurteilen kann, ob eine Verletzung der geschützten Merkmale im Identitäts- oder Ähnlichkeitsbereich vorliegt, d. h. ob der Vortrag in Bezug auf den Klageantrag erheblich ist32. Angesichts des beträchtlichen Know-Hows, welches mit den streitgegenständlichen Merkmalen verknüpft ist, und der Komplexität dieser Entscheidung erfordert die Beschreibung der angeblichen Verletzungshandlung umfangreiche Informationen und einen sehr dezidierten Vortrag. Es besteht somit auch diesbezüglich ein großes Bedürfnis nach verletzungsbezogenen Informationen. 4. Erfordernis eines bestimmten Beweisantrags Verletzungsbezogene Informationen sind schließlich erforderlich, um im Verletzungsverfahren bestimmte Beweisanträge zu stellen. Hierzu hat der Anspruchsteller die zu beweisenden Verletzungs-Tatsachen spezifiziert zu bezeichnen. Fehlt dem Beweisantritt wegen eines Informationsdefizits des Beweisführers die Bestimmtheit, muss das Gericht ihn ablehnen33. Wie bereits erläutert, würde ein unzulässiger Ausforschungsbeweis bzw. Beweisermittlungsantrag vorliegen, wenn der Anspruchsteller mangels verletzungsbezogener Informationen einen unbestimmten Beweisantrag stellt, um sich durch die Beweiserhebung die benötigten Informationen und zu behauptenden Tatsachen erstmalig zu verschaffen und anschließend seiner Darlegungslast genügen zu können34. 5. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Schutzrechtsinhaber aus verschiedenen prozessualen Gründen ein Bedürfnis nach verletzungsbezogenen Informationen hat. Dieses Bedürfnis besteht bereits vor Klageerhebung, weil der Schutzrechtsinhaber die Erfolgsaussichten eines kostspieligen gerichtlichen Vorgehens beurteilen und 30

Hök, Obliegenheitsverletzung durch fehlende Substantiierung, MDR 1995, S. 773, 776. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 202. 32 Vgl. auch Würtenberger, Beweisrechtliche Fragen, GRUR 2004, S. 566, 569. 33 BGH, NJW-RR, S. 377, 378. 34 Würtenberger, Beweisrechtliche Fragen, GRUR 2004, S. 566, 568; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 4 f. 31

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bei der Klageerhebung zumindest den Streitgegenstand hinreichend präzise beschreiben muss, wozu bereits einige verletzungsbezogene Informationen erforderlich sind, selbst wenn die Schlüssigkeit des Vortrages im engeren Sinn erst eine Frage der Begründetheit der Klage ist. Auch bringt das Abwarten des Parteivortrages der Gegenseite und der mündlichen Verhandlung dem Schutzrechtsinhaber keine wesentlichen neuen Informationen, denn die gegnerische Partei wird den Informationsgehalt ihres Bestreitens auf das Nötigste beschränken und ist grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Kläger die Beweisführung zu erleichtern35. Das Verweisen des informationssuchenden Schutzrechtsinhabers auf das Verletzungsverfahren mag schließlich auch insofern unrealistisch sein, als im gerichtlichen Alltag möglicherweise nicht streng zwischen einem hinreichend bestimmten Streitgegenstand in der Klageschrift unter Angabe bestimmter Verletzungsmerkmale und einer in allen Details schlüssigen Klage als Frage der Begründetheit unterschieden wird. Spätestens bis zur Stellung der Beweisanträge benötigt der Schutzrechtsinhaber jedenfalls sämtliche verletzungsbezogenen Informationen, um bestimmte Anträge stellen zu können und sich nicht dem Vorwurf eines Beweisermittlungsantrages auszusetzen.

II. Informationsdefizit und seine Folgen 1. Die Sphären-Problematik Trotz dieses großen Bedürfnisses nach Information sieht sich gerade der Inhaber eines Immaterialgüterrechts im Falle einer vermuteten Schutzrechtsverletzung mit einem deutlich gesteigerten Informationsdefizit konfrontiert. Anders als bei der Verletzung materieller Rechte besteht bei der Aufklärung einer Immaterialgüterrechtsverletzung geradezu ein „idealtypisches Informationsgefälle zwischen Verletzer und Verletztem“36. Dieses typische Informationsdefizit resultiert aus dem Wesen der Rechte des geistigen Eigentums, nämlich ihrer Immaterialität und Ubiquität, sowie einer besonderen Sphären-Problematik. Schutzgegenstand des Immaterialgüterrechts ist ein geistiger, ein immaterieller Gegenstand. Während körperliche Gegenstände einer faktischen Sachherrschaft (Besitz) zugänglich sind, und somit weggesperrt und überwacht werden können, oder ihre Beeinträchtigung oder Nutzung zumindest beobachtet werden kann, ist eine faktische Herrschaft über immaterielle Güter nicht möglich, sobald die geschützte geistige Leistung einmal öffentlich gemacht wurde. Dies gilt auch dann, wenn das geistige Gut in einer Ausführungsform verkörpert wird, an welcher auch dingliche Rechte bestehen. Denn auch bei einer körperlichen Ausführungsform ist der eigentliche Schutzgegenstand „etwas Geistiges“37. Immaterielle Güter können nur höchst be35

BGH, GRUR 1976, S. 579, 581 – „Tylosin“; Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 204. 36 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15; vgl. auch Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 160. 37 Hubmann/Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, S. 53.

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grenzt – wenn sie ihrem Zweck entsprechend eingesetzt werden – gegenüber Unberechtigten abgeschirmt werden. Daher hat jedermann die Möglichkeit, das immaterielle Gut jederzeit und an jedem Ort ohne Kenntnis und ohne Zustimmung des Inhabers des Auschließlichkeitsrechts zu nutzen (sog. Ubiquität)38. Diese ubiquitäre Nutzungsmöglichkeit hat sich durch die flächendeckende Verbreitung moderner Kommunikationsformen, sowie die wirtschaftliche Globalisierung noch deutlich verstärkt. Aufgrund der Immaterialität und Ubiquität findet die Verletzung immaterieller Güter in aller Regel außerhalb der eigenen Sphäre des Verletzten und innerhalb der ihm fremden Sphäre des Verletzers statt. Regelmäßig und „weit häufiger und in weit größerem Umfang“ als bei der Verletzung materieller Schutzgegenstände befindet sich die benötigte verletzungsbezogene Information daher in der Sphäre des Verletzers39. Es entzieht sich daher regelmäßig der unmittelbaren Kenntnis des Verletzten, ob überhaupt eine Verletzung stattgefunden hat und/oder welchen Umfang die Verletzung hat, d. h. welcher Schaden entstanden ist bzw. in welcher Höhe der Verletzer Gewinn erzielt hat, denn der Verletzer wird ihm keinen Einblick in seine Sphäre gewähren. Der Verletzte kann lediglich mittelbar Feststellungen über die Verletzung treffen, indem er mehr oder weniger zufällig körperlicher Vervielfältigungsstücke habhaft wird oder auf Produkte trifft, deren Beschaffenheit, Qualität, geringer Preis oder geringe Entwicklungs- und Produktionsdauer eine Verwendung der geschützten geistigen Leistung vermuten lassen40. Oft bleibt es hiernach bei der Vermutung einer Verletzung. Veranschaulichen lässt sich diese Sphären-Problematik an einigen praktischen Problemstellungen: Urheberrechtlich geschützte Software kann auf eine Weise widerrechtlich vervielfältigt werden, dass das kopierte Vervielfältigungsstück, welches auf dem freien Markt Dritten verkauft wird, nicht als Vervielfältigungsstück der geschützten Original-Software zu erkennen ist – sogenannte „kaschierte Kopie“. Software liegt in zwei Fassungen vor: Das Originäre der geschützten Software ist ihre sog. Quellcode-Fassung. Durch Kompilierung wird daraus die sog. Objektcode-Fassung gewonnen. Zwei Software-Produkte können in völlig unterschiedlichen Objektcode-Fassungen vorliegen, obwohl sie aus derselben Quellcode-Fassung gewonnen wurden. Aus der Objektcode-Fassung kann daher nicht zuverlässig geschlossen werden, ob es sich bei dem zweiten Produkt um eine kaschierte Kopie oder um ein funktionsähnliches, aber selbständig entwickeltes Produkt handelt. Im Urheberrechtsverletzungsprozess ist somit der Vergleich der beiden Quellcodes der streitgegenständlichen Programme – also des geschützten Originals und des mutmaßlichen Vervielfältigungsstückes – nötig, um Übereinstimmungen – und damit die Verletzung – zuverlässig zu ermitteln, 38

Rehbinder, Urheberrecht, Rdn. 3. Dreier, Kompensation und Prävention, S. 557; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24. 40 Vgl. hierzu auch Dreier, Kompensation und Prävention, S. 558. 39

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denn die Objektcodes zweier Programme können auch im Falle unerlaubter Vervielfältigung verschieden sein41. Das Problem der abgrenzten Sphären ist nun, dass das mutmaßlich verletzende Programm auf dem freien Markt aber regelmäßig nur in seiner strukturell und inhaltlich vom Quellcode verschiedenen Objektcode-Fassung vertrieben wird. Nur die zum Nachweis der Verletzung untaugliche Objektcode-Fassung kann durch Testkauf erworben werden. Die wirtschaftlich und beweistechnisch sehr wertvolle Quellcode-Fassung wird sorgsam in dem jeweiligen Herrschaftsbereich zurückgehalten und ist nicht zugänglich42. Eine an sich denkbare Rückübersetzung des Objektcodes in den Quellcode durch Dekompilierung ist nur eingeschränkt möglich; hierbei können allenfalls Grundstrukturen erschlossen werden43. Soweit man vom urheberrechtlichen Schutz des mutmaßlich verletzenden Programmes ausgeht, liegt bei einer Dekompilierung ohne Einwilligung außerdem eine unerlaubte Bearbeitung gem. § 69 c Nr. 2 UrhG vor, welche nicht nach § 69 d Abs. 1 und 3, oder § 69 e UrhG zu rechtfertigen ist44. Der Rechtsinhaber kann sich den in der Sphäre des Anderen befindlichen, beweistechnisch notwendigen Quellcode also nicht durch Testkauf oder auf andere legale Weise verschaffen. Ohne den Quellcode befindet er sich in einem wesensbedingten Informationsdefizit, da er sonst keine zuverlässige Kenntnis über die Verletzung erlangen kann. Ein ähnliches Sphären-Problem ergibt sich bei der vermuteten Verletzung eines patentrechtlich geschützten Verfahrens zur Herstellung eines Erzeugnisses (§ 9 Nr. 2 PatG)45. Regelmäßig wird ein Wettbewerber des Schutzrechtsinhabers, der das geschützte Verfahren mutmaßlich unberechtigt verwendet, nur das hergestellte Erzeugnis auf dem freien Markt zum Kauf anbieten. Das zur Herstellung verwendete Verfahren übt er in seinen streng abgeschirmten Betriebsräumen aus, zu denen er dem Schutzrechtsinhaber oder anderen hieran interessierten Wettbewerbern keinen Zutritt gewähren wird. Meistens wird der Schutzrechtsinhaber dem aufgekauften Erzeugnis 41 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; Karger, Beweisermittlung, S. 27, 28; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1666; vgl. zur Problematik des Nachweises der Verletzung und des Zugriffs auf den Quellcode v. a. Dreier, Verletzung, GRUR 1993, S. 781, 789, 790. 42 Karger, Beweisermittlung, S. 10, 11. 43 Marly, Softwareüberlassungsverträge, S. 505 f., Rdn. 1163, 1164: auch hierzu sind aber zunächst die verwendete höhere Programmiersprache und der verwendete Kompilierer zu „erraten“; Karger, Beweisermittlung, S. 75, spricht von „fragmentarischer, nicht vollständiger Rekonstruierung“; Ernst, Source Code, MMR 2001, S. 208, 209: „Der Original-Source-Code kann auf diese Weise […] nicht generiert werden.“ 44 Die genannten Normen erlauben eine Dekompilierung nur zur Ermittlung nicht geschützer Ideen, zur Fehlerberichtigung oder zur Herstellung von Interoperabilität; vgl. Kotthoff, HK-UrhR, § 69d Rdn. 6, 18, § 69e Rdn 4; Ernst, Source Code, MMR 2001, S. 208, 209; Dreier, Verletzung, GRUR 1993, S. 781, 790, hält abweichend hierzu bei Dekompilierung zum Nachweis einer Verletzung einen „Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen“ für möglich, mit dem „jedoch sehr behutsam umzugehen“ sei. 45 Hierzu Osterrieth, Patentrecht, Rdn. 114 ff.

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jedoch nicht entlocken können, ob es durch das zu seinen Gunsten geschützte Verfahren oder auf andere, lautere Weise hergestellt wurde. Wenn durch das neue Verfahren „nur“ ein schon bekanntes – also nicht ein neues – Erzeugnis hergestellt wird, welches durch das neue Verfahren „lediglich“ in besserer Qualität, schneller oder billiger hergestellt werden kann, greift auch nicht die Beweislastumkehr nach § 139 Abs. 3 PatG46. Der Schutzrechtsinhaber befindet sich also solange in Darlegungs- und Beweisnot, bis er in irgendeiner Weise Zugang zu der Sphäre des Wettbewerbers erhält, um das Bestehen oder Nicht-Bestehen einer Verletzung, für die gewisse Anhaltspunkte sprechen, festzustellen. Dass der Wettbewerber, der selbstverständlich auch völlig lauter und tadellos handeln kann, ein – gegebenenfalls berechtigtes – Interesse daran hat, gerade dies zu verhindern, versteht sich von selbst. Schließlich sei noch der Fall einer vermuteten Verletzung eines Vorrichtungspatents (§ 9 Nr. 1 PatG)47 genannt. Der Schutzrechtsinhaber kann sich eine neue Vorrichtung, also ein Gerät oder eine Maschine, patentrechtlich schützen lassen. Wenn ein Konkurrent nun diese Vorrichtung in eine größere Maschine einbaut, so dass der entscheidende Bestandteil von außen nicht mehr sichtbar ist, oder wenn der Konkurrent die Vorrichtung als Teil einer Produktionsstrasse in seinen Fabrikhallen verwendet, wird der Schutzrechtsinhaber die mutmaßliche Verwendung „seiner“ Vorrichtung nicht feststellen können. Denn weder wird der Konkurrent ihm erlauben, die – möglicherweise zugängliche – größere Maschine auseinander zu bauen, noch wird er ihm gestatten, die Produktionsstrasse in seinem Herrschaftsbereich zu besichtigen, so dass trotz gewisser Anhaltspunkte abermals ein legal nicht zu überwindendes Informationsdefizit besteht. Für die Bewertung des beschriebenen Informationsdefizits ist weiterhin von Bedeutung, dass der Schutzrechtsinhaber unverschuldet in diese Informationsnot gerät. Es handelt sich geradezu um ein strukturelles Informationsproblem, das der Immaterialgüterrechtsverletzung wesensimmanent ist48. 2. Schlussfolgerungen Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus der Sphären-Problematik für den Schutzrechtsinhaber ein doppeltes Problem folgt: Erstens hat er bereits ein Zugangsbzw. Verfügbarkeitsproblem. Selbst wenn er ausnahmsweise substantiierte Behauptungen aufstellen kann sowie die mutmaßlich rechtsverletzende Sache oder andere relevante Beweisstücke kennt und konkret bezeichnen kann, ist der mutmaßliche Verletzer berechtigt, ihm den Zugang zu diesen Gegenständen zu verweigern, so dass ein Beweis nicht möglich ist. Zweitens hat er regelmäßig ein Kenntnisproblem, welches 46

Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 934 f.; Schramm, Patentverletzungsprozess, S. 122; Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 208 ff. 47 Hierzu Osterrieth, Patentrecht, Rdn. 111 f. 48 Vgl. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15, die von einem „typischer Weise auf Seiten des Verletzten vorliegenden Informationsdefizit“ spricht.

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aus dem Verfügbarkeitsproblem folgt. Er ist häufig nicht in der Lage substantiiert vorzutragen oder kennt die relevanten Beweismittel nicht bzw. kann diese nicht konkret bezeichnen. Folge des strukturellen Informationsdefizits ist, dass der Schutzrechtsinhaber nicht weiß, ob die vermutete Verletzung vorliegt, und er die anspruchsbegründenden Merkmale und die Einzelheiten der Verletzung nicht kennt. Es ist ihm nicht möglich, hierzu etwas Konkretes vorzutragen, was im Rahmen der Beweiserhebung bewiesen werden könnte49. Daneben kann er keine eigenen Beweismittel vorlegen, da sich die Beweismittel überwiegend in der Sphäre des Gegners befinden. Zudem fällt es ihm schwer, unbekannte Beweismittel im Besitz des Gegners konkret zu bezeichnen. Der Schutzrechtsinhaber hat somit große Schwierigkeiten, den ihn treffenden prozessualen Verpflichtungen – besser: Lasten – nachzukommen, und die streitgegenständliche Verletzungshandlung in der Klageschrift zu individualisieren, die Verletzungshandlung zu substantiieren, sowie in zulässiger Weise Beweis anzutreten. Folglich kann der Schutzrechtsinhaber sein Ausschließlichkeitsrecht nur schwerlich oder überhaupt nicht im gerichtlichen Verfahren durchsetzen. Das beste materielle Recht wird aber letztlich „wertlos“, wenn der Rechtsinhaber das Recht nicht effektiv prozessual durchsetzen kann; ohne die Möglichkeit, das Recht gegen Verletzungen tatsächlich zu verteidigen, steht es nur auf dem Papier. Die Hauptschwierigkeit bei der Verteidigung von Immaterialgüterrechten gegen Verletzungen liegt somit – wie gezeigt – bei der Feststellung und Aufklärung der mutmaßlichen Verletzung50. Entgegen der Grundentscheidung der Rechtsordnung für den Schutz von Immaterialgüterrechten würde der Schutzrechtsinhaber ohne geeignete rechtliche Instrumente zur Sachverhaltsaufklärung gerade auch in der Sphäre des mutmaßlichen Verletzers weitgehend rechtlos gestellt. Konsequenterweise muss die Rechtsordnung dem Schutzrechtsinhaber daher neben dem materiellen Recht auch effektive Instrumente zu seiner Durchsetzung, also zur Informationsbeschaffung in der fremden Sphäre, zur Verfügung stellen. Das Fehlen effektiver Instrumente zur Informationsbeschaffung würde an Rechtsverweigerung grenzen und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch bzw. den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzen51. Diese Problematik ist nicht nur eine Frage der Werthaltigkeit des materiellen Rechts, sondern auch der einer abstrakten Verfahrensgerechtigkeit, denn die „Grundsätze eines fairen Verfahrens“ sind verletzt, wenn Prozesssieg oder -niederlage ent-

49 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738; vgl. auch Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 160: „Der Verletzte ist in Beweisschwierigkeiten. Er muss Umstände darlegen, die er ohne Einblick in die Sphäre des Verletzers nicht kennen kann.“ 50 Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 729; Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 208. 51 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 165.

C. Systematik der Informationsbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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scheidend davon abhängen würden, „in wessen Sphäre“ sich verletzungsbezogene Informationen und Beweismittel zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens befinden52.

C. Überblick über die Systematik der Informationsbeschaffung im bisherigen deutschen Recht Es fragt sich also zunächst, welche Instrumente im deutschen Recht vor der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie zur Verfügung stehen, um dem Schutzrechtsinhaber die Überwindung des die Rechtsdurchsetzung hindernden strukturellen Informationsdefizits zu ermöglichen. Prägend für das deutsche Recht der Informationsbeschaffung und gleichsam Ausgangspunkt der Überlegungen ist der von der Rechtsprechung und der überwiegenden Lehre entwickelte traditionelle Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, dem Prozessgegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, über das dieser nicht selbst verfügt, es sei denn, er ist durch das materielle Recht hierzu verpflichtet53. Neben einer restriktiven Grundhaltung gegenüber der Informationsbeschaffung unter Inanspruchnahme des mutmaßlichen Verletzers macht dieser Lehrsatz deutlich, dass im deutschen Recht prinzipiell zwei Quellen von Informationsbeschaffungsinstrumenten denkbar sind: Einen Ansatz, das strukturelle Informationsproblem zu entschärfen, bietet die prozessuale Lösungsmöglichkeit. Auf die in diesem Sinne lösungsorientierte Auslegung der vorhandenen gesetzlichen Institute des Prozessrechts und den Versuch ihrer Erweiterung durch Teile der Lehre bezieht sich der erwähnte Lehrsatz vorrangig. Eine konkurriende Lösungsmöglichkeit stellt die Heranziehung des materiellen Rechts dar. Im deutschen Recht wird zur Informationsbeschaffung traditionell den materiellen Informations- bzw. Auskunftsansprüchen der Vorrang eingeräumt54. Einen allgemeinen materiellen Auskunftsanspruch – jeder gegen jeden – kennt das deutsche Recht allerdings nicht55. Erforderlich ist stets, dass eine Art von rechtlicher Sonderbeziehung zwischen Informationsgläubiger und Informationsschuldner besteht, sei diese vertraglicher oder gesetzlicher Natur56. Bei den im Bereich des Imma52

So auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24. BGH, WM 1958, S. 961, 962; BGH, ZZP 104, S. 203, 205 – „allg. Aufklärungspflicht“, = NJW 1990, S. 3151, 3151 ff.; BGHZ 116, S. 47, 56, = NJW 1992, S. 1817, 1819; BGH, NJW 1997, S. 128, 129; BGH, NJW 2000, S. 1108, 1109. 54 Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 606; Lang, Aufklärungspflicht, S. 49; Schlosser, Wirtschaftsprüfervorbehalt, FS Großfeld, S. 997, 998. 55 BGHZ 74, S. 379, 380; BGH ZZP 104 (1991), S. 203, 207, = BGH, NJW 1990, S. 3151 ff. – „allg. Aufklärungspflicht“; Hellmann, materiellrechtlicher Auskunftsanspruch und prozessuale Auskunftspflicht, S. 25; Oppermann, Auskunftsanspruch, S. 5 und 19. 56 Oppermann, Auskunftsanspruch, S. 11 f.; Winkler v. Mohrenfels, Abgeleitete Informationsleistung, S. 44. 53

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terialgüterrechts hier interessierenden Ansprüchen handelt es sich bei dieser rechtlichen Sonderbeziehung zwischen den Parteien um das Bestehen oder das Wahrscheinlichsein eines anderen Hauptanspruchs aufgrund einer Verletzung des Immaterialgüterrechts. In Bezug auf diesen Hauptanspruch stellt sich der materielle Informationsanspruch entweder als Hilfsanspruch dar, der dazu dient, Gewissheit über das Bestehen des Hauptanspruches zu verschaffen bzw. den Umfang und die Höhe des Hauptanspruches zu ermitteln, oder als Anspruch auf Drittauskunft mit dem Ziel, weitere ähnliche Ansprüche gegen Dritte in Erfahrung zu bringen. Wenn der Schutzrechtsinhaber das Bestehen eines Verletzungsanspruchs dem Grunde nach belegen kann, ihm aber Informationen über den Umfang der Verletzung und die Höhe des Schadens bzw. Gewinns fehlen, hilft ihm bei der Bezifferung seines Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruches ein allgemeiner, auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung gerichteter materieller Anspruch, gestützt auf §§ 259, 260 i.V.m. § 242 BGB57. Gewohnheitsrechtlich anerkannt ist mittlerweile, dass dieser Anspruch nach § 242 BGB besteht, falls der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die nötigen Informationen nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann, der Verpflichtete die Information unschwer und zumutbar geben kann und eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem besteht58. Dieser Auskunftsanspruch ist jedoch keinesfalls konzipiert worden, um das Bestehen eines Hauptanspruchs erst zu ermitteln, sondern setzt diesen voraus. Auch deshalb wird dieser Anspruch, bei welchem der Informationsschuldner gleichzeitig auch der Schuldner des Hauptanspruchs ist, als unselbstständiger, akzessorischer Anspruch bezeichnet59. Die oben beschriebene vorprozessuale Situation des strukturellen Informationsdefizits regelt bis zu einem gewissen Grad der Vorlage- und Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB. Auch hierbei handelt es sich um einen unselbstständigen Hilfsanspruch. Jedoch setzt der Anspruch nach § 809 BGB nicht voraus, dass das Bestehen des Hauptanspruchs bereits feststeht. Es wird eine Situation geregelt, in welcher der Schutzrechtsinhaber noch nicht mit Gewissheit weiß, ob überhaupt eine Verletzung vorliegt. Ziel der Besichtigung in der Sphäre des Gegners nach § 809 BGB ist es daher, sich diese Gewissheit über das Bestehen eines Hauptanspruchs zu verschaffen. Die ausnahmsweise die Informationspflichtigkeit auslösende Sonderbeziehung der 57 RGZ 108, S. 1, 7 – „Lachendes Gesicht“; BGH, GRUR 1986, S. 62, 64 – „GEMAVermutung I“; BGH GRUR 1980, S. 227, 232 f. – „Monumenta Germaniae Historica“; damals skeptisch Tilmann, Auskunftsanspruch, GRUR 1987, S. 251, 252 f. 58 BGHZ 10, S. 385, 387; BGHZ 61, S. 180, 184; BGHZ 74, S. 379, 380 f.; BGH ZZP 104 (1991), S. 203, 207 = BGH, NJW 1990, S. 33151, 3151 ff. – „allg. Aufklärungspflicht“; Köhler, Schadensersatz-, Bereicherungs- und Auskunftsanspruch, NJW 1992, S. 1477, 1480; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 5; Wandtke/Bullinger-v.Wolff, UrhG, § 97 Rdn. 43. 59 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 559; Dreier/Schulze-Dreier, UrhG, § 97 Rdn. 78; Hellmann, materiellrechtlicher Auskunftsanspruch und prozessuale Auskunftspflicht, S. 44, 47; Oppermann, Auskunftsanspruch, S. 20 f. bezeichnet den akzessorischen Anspruch auch als „Hilfsanspruch“.

C. Systematik der Informationsbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Personen liegt dabei in dem Vorliegen einer gewissen Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung60. Neben diesen beiden Konstellationen stellt das materielle Recht noch Ansprüche auf Drittauskunft zur Erlangung von Informationen über die Herkunft und die Vertriebswege von immaterialgüterrechtsverletzenden Waren und Dienstleistungen zur Verfügung, beispielsweise nach den §§ 140b PatG, 101a UrhG, 19 MarkenG. Diese dienen zur Ermittlung der Identität weiterer Verletzer, um gegebenenfalls weitere Verletzungsansprüche gegen diese Dritten zu prüfen und geltend zu machen und verpflichten den Informationsschuldner, unter anderem detaillierte Angaben zu Name und Anschrift von Herstellern und anderen Vorbesitzern der rechtsverletzenden Ware zu machen61. Die rechtliche Sonderbeziehung zwischen dem Informationsgläubiger und dem Informationsschuldner, der Auskunft über die Identität der Dritten geben soll, besteht hier im Vorliegen einer objektiv rechtswidrigen Immaterialgüterrechtsverletzung durch den Informationsschuldner. Ein Verschulden ist hierbei nicht erforderlich62. Bei Offensichtlichkeit dieser Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Auskunft auch im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet werden. In Ausnahme vom Verbot der Erfüllungsverfügung kann der Auskunftsanspruch hierbei sogar erfüllt und nicht lediglich gesichert werden63. Da diese Drittauskunftsansprüche nicht der Vorbereitung eines Verletzungsanspruchs gegen den Informationsschuldner selbst dienen, sondern Informationen verschaffen sollen, um die Durchsetzung weiterer Verletzungsanprüche gegen Dritte zu erleichtern, werden sie als selbstständige Ansprüche bezeichnet64. Neben diesen drei Arten von eigentlichen Informationsansprüchen, die sich letztlich als materiell hergeleitete Mitwirkungspflichten des Prozessgegners bei der Sachverhaltsaufklärung darstellen, kennt das deutsche Recht noch verschiedene Institute des Prozessrechts und prozessuale Pflichten bzw. Lasten des nicht-risikobelasteten Prozessgegners, die dem Schutzrechtsinhaber eine Hilfestellung bei der Informations- und Beweisbeschaffung geben und die Härte des Darlegungs- und Beweisrisikos etwas mildern. Vorprozessual stellt das Prozessrecht das sogenannte selbstständige Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO zur Verfügung. Vor dem eigentlichen Streitverfahren können hierdurch vor allem Beweise gegen Verlust und Veränderung gesichert werden. Die durchgeführte Beweiserhebung kann im späteren Streitverfahren voll verwertet werden. Zwar findet im selbstständigen Beweisverfahren keine Schlüssig60

So zumindest für das Urhberrecht der BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046 – „Faxkarte“. Dreier/Schulze-Dreier, UrhG, § 101a Rdn. 1 und 10; vgl. auch Eichmann, Durchsetzung, GRUR 1990, S. 575, 575 ff. 62 Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, UrhG, § 101a Rdn. 6. 63 Ekey/Klippel-Wüst, Markenrecht, § 19 Rdn. 26; Ingerl/Rohnke, Markenrecht, § 19 Rdn. 34. 64 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 559; Dreier/Schulze-Dreier, UrhG, § 101a Rdn. 1; Oppermann, Auskunftsanspruch, S. 47 und 119 ff. 61

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keitsprüfung der behaupteten Tatsachen statt; ansonsten gelten jedoch dieselben Voraussetzungen wie im regulären Beweisverfahren65. Wie noch zu zeigen sein wird, greift auch hier somit das Verbot des Ausforschungsbeweises: Die zu beweisenden Tatsachen dürfen durch das Verfahren nicht erst ermittelt werden, sondern sind zunächst substantiiert zu behaupten. Auch sind die Beweismittel und Beweisstücke in der Sphäre des Gegners vom Beweisführer konkret zu bezeichnen. Insgesamt setzt das selbstständige Beweisverfahren folglich wieder einiges an Information voraus und hilft nur sehr bedingt bei der Aufklärung des dem Risikobelasteten unbekannten Sachverhalts, denn es bezweckt keineswegs, erst „die Voraussetzungen für eine Klage zu schaffen“66. Eine gewisse Sachverhaltsaufklärung kann sich möglicherweise aus der prozessualen Wahrheits- und Erklärungspflicht der gegnerischen Partei nach § 138 Abs. 1 und 2 bis 4 ZPO ergeben. Daraus folgt die Pflicht zu Erklärungen des Darlegungspflichtigen Stellung zu nehmen und Erklärungen über eigenes Wissen abzugeben. Allerdings erfolgt dieses Minimum an gegnerischer Aufklärung wiederum erst, wenn die Klage bereits erhoben wurde und ein substantiierter Vortrag des Schutzrechtsinhabers bereits vorliegt. Gravierender ist jedoch, dass der Grad der Substantiierung dieser Stellungnahmen vom Grad der Substantiierung der Darlegungen des Anspruchstellers abhängt67. Das bedeutet, eine Pflicht zum substantiierten Bestreiten unter Mitteilung von Einzelheiten besteht nur, wenn der Anspruchsteller zuvor selbst substantiierte Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat, was in Bezug auf Tatsachen aus der Sphäre des Gegners, wie erwähnt, schwierig ist. Aus eigenem Antrieb oder auf bloße Aufforderung muss die gegnerische Partei nicht die ihr bekannten und dem Anspruchsteller unbekannten Tatsachen preisgeben68. Allerdings hat die Rechtsprechung auch das Institut der „sekundären Behauptungslast“ geschaffen. Danach hat die nicht-risikobelastete Partei ausnahmsweise auf einen Vortrag des Anspruchstellers substantiiert, also unter Angabe von Einzelheiten, zu erwidern, wenn die risikobelastete Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufes steht und folglich die zu substantiierenden Tatsachen nicht kennt, während die nicht-risikobelastete Partei die Tatsachen kennt und ihr eine Ergänzung des Vortrages zumutbar ist69. Ob und inwieweit diese Rechtsprechung dem Schutzrechtsinhaber zugute kommen kann, wird im Rahmen dieser Arbeit zu erörtern sein.

65 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 116 Rdn. 1 f.; Lang, Aufklärungspflicht, S. 44. 66 OLG Köln, FamRZ 1995, S. 369, 369 f.; Lang, Aufklärungspflicht, S. 44; vgl. ausführlich unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, A., IV. 67 Vgl. auch oben unter Einleitung, B. I. 3. 68 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 7; Stein/ Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22. 69 BGH, NJW 1999, S. 1404, 1406; BGH, NJW 1997, S. 128, 128; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 7.

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Die nicht-beweisbelastete Partei kann – als eine Form der Informationsbeschaffung – in sehr engen Grenzen verpflichtet sein, Urkunden in ihrem Besitz vorzulegen (§§ 421 ff. ZPO). Bei einer Verweigerung der Mitwirkung kann nach § 427 ZPO die Behauptung der beweisbelasteten Partei – sofern eine solche ohne die Vorlage überhaupt sinnvoll möglich ist – als erwiesen angesehen werden70. Unter Zugrundelegung des Rechtsgedankens des § 427 ZPO hat die Rechtsprechung zudem das Institut der Beweisvereitelung entwickelt. Eine Beweisvereitelung liegt vor, wenn die nicht-beweisbelastete Partei der beweisbelasteten Partei die Beweisführung durch eine pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie beispielsweise Beweismittel vernichtet oder den Zugang zu ihnen vorwerfbar verhindert. Vorwerfbar bedeutet, dass das Ausforschungsverbot, der Schutz der eigenen Sphäre und die grundsätzliche Lastenverteilung hierbei nicht verändert werden. Die Sanktionen der Beweisvereitelung reichen von Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr71. Gemäß den §§ 142, 144 ZPO n.F. kann das Gericht von Amts wegen die Parteien oder Dritte zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinsgegenständen bzw. zur Duldung ihrer Inaugenscheinnahme verpflichten. Eine solche Anordnung kann auch gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei ergehen. Allerdings setzt auch diese punktuelle Mitwirkungspflicht des Nicht-Risikobelasteten einen schlüssigen Vortrag voraus und ist zumindest gegenüber der gegnerischen Partei nicht erzwingbar – anders gegebenenfalls gegenüber Dritten. Einzige Sanktion gegenüber einer Partei bei einer Verweigerung der Mitwirkung bleibt eine negative Beweiswürdigung im Rahmen von § 286 ZPO nach § 427 ZPO analog und § 371 Abs. 3 ZPO72. Zur Abmilderung der Informationsnot wäre schließlich eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast denkbar, wie sie beispielsweise das Arzthaftungs- oder Produkthaftungsrecht kennt73. Im Immaterialgüterrecht ist lediglich durch § 139 Abs. 3 S. 1 PatG eine Beweislastumkehr mit geringer Reichweite im Zusammenhang mit patentierten Verfahren zur Herstellung neuartiger Erzeugnisse vorgesehen74. Weitere Regelungen zur Beweislastumkehr bestehen im Immaterialgüterrecht nicht. Auch eine grundsätzliche Verteilung der Beweislast im Bereich deliktischen Han-

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Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 118 Rdn. 37 f., § 108 Rdn. 9. 71 BGH, NJW 1998, S. 79, 81; BGH, NJW 1997, S. 3311, 3312 f.; BGH, NJW 1996, S. 315, 317; Paulus, Beweisvereitelung, AcP 197 (1997), S. 136, 136 ff., 139; Lang, Aufklärungspflicht, S. 61 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 114 Rdn. 20 ff. 72 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 118 Rdn. 45 ff.; § 117 Rdn. 11 ff., § 108 Rdn. 11 ff.; Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1638 ff. 73 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 114 Rdn. 26 ff.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 439 ff., 467 ff. 74 Vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 208 ff.

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delns nach Sphären, Herrschafts- und Gefahrenbereichen75 hat sich nicht durchsetzen können76. In der Literatur wurde schließlich für das Bestehen einer (allgemeinen) Aufklärungspflicht der nicht-risikobelasteten Partei bzw. einer (allgemeinen) Mitwirkungspflicht bei der Stoffsammlung geworben, zum Beispiel, wenn in Fällen typischer Unkenntnis der risikobelasteten Partei – also in den hier interessierenden Konstellationen –, diese nur allgemeine Behauptungen vortragen kann, aber Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptungen vorliegen77. Diese Lehrmeinung will in solchen Fällen grundsätzlich die Schwelle der Substantiierung absenken und der gegnerischen Partei zumutbare Aufklärungsbeiträge aufbürden78. Obwohl diese Lehre gerade in jüngerer Zeit vermehrt Zuspruch erfährt79, wird sie von der überwiegenden Meinung in der Literatur klar abgelehnt80. Auch die Rechtsprechung lehnt die vorgeschlagenen Aufklärungspflichten mit Verweis auf die oben zitierten Schlagworte – auch „nemo tenetur edere contra se“-Grundsatz genannt – ab81. Diese herrschende Meinung vertritt zum Problem der Informationsbeschaf75

So Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 65 ff., S. 72 ff. Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 114 Rdn. 17 f.; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 286 Rdn. 50 und 86a, sowie Fn. 209. 77 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 112 ff., 119 ff; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 251 f.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208. 78 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 92 ff, 134 ff.; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 250 f.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208 f. 79 Henckel, Rezension, ZZP 92 (1979), S. 100, 100 ff.; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599 ff., 607 f.; Peters, Prozessförderungspflicht, FS Schwab, S. 399, 407 f.; MüKo-ZPO/Peters, § 138 Rdn. 22; Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 43 ff., 57 ff. 61 ff.; Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 465 ff., 467 f.; Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 533 ff.; Musielak/Stadler, ZPO, § 138 Rdn. 11; die Einführung genereller prozessualer Aufklärungspflichten de lege ferenda fordernd: Greger, Zivilprozess der Zukunft, JZ 1997, S. 1077, 1080; Greger, Justizreform?, JZ 2000, S. 842, 847; Lang, Aufklärungspflicht, S. 264 ff.; Roth, Rezension Lang, ZZP 113 (2000), S. 503, 506; wohl auch Paulus, Discovery, ZZP 104 (1991), S. 397, 409; die Tatsache einer „Wende“ in der Literatur zumindest konstatierend Prütting, Geistiges Eigentum, FS Bartenbach, S. 417, 423. 80 Arens, Aufklärungspflicht, S. 10 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 137 ff.; MüKoZPO/Prütting, § 286 Rdn. 125; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22; Thomas/PutzoReichold, ZPO, § 138 Rdn. 12; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rdn. 55; Brehm, Bindung des Richters, S. 24 ff., 62 ff.; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 3; Messer, Schutz des Schwächeren, FS 50 Jahre BGH, S. 67, 78 f.; zunächst auch noch Gottwald, BGH-Anmerkung, ZZP 92 (1979), S. 364, 365 ff.; nach eigenen Reformbemühungen auf dem 61. DJT nun den status quo beschreibend Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 8; Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 f.; Prütting, Geistiges Eigentum, FS Bartenbach, S. 417, 421 ff. 81 BGH, WM 1958, S. 961, 962; BGH, ZZP 104, S. 203, 205 – „allg. Aufklärungspflicht“, = NJW 1990, S. 3151, 3151 ff.; BGHZ 116, S. 47, 56, = NJW 1992, S. 1817, 1819; BGH, NJW 1997, S. 128, 129; BGH, NJW 2000, S. 1108, 1109, noch martialischer wird der „nemo tenetur“-Grundsatz auch zitiert mit der Aussage, dass niemand verpflichtet sei „gegen sein eigen Fleisch zu wüten“. 76

D. Aufgabenstellung und Beschränkung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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fung eine materielle Lösung, wonach Aufklärungspflichten der anderen Partei allein vom Bestehen entsprechender materieller Ansprüche abhängig sind. Vereinzelt bestehende gesetzliche prozessuale Mitwirkungspflichten werden nicht erweiternd interpretiert. Unabhängig von der Frage, inwieweit weitergehende Mitwirkungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei sinnvoll wären, hat jedenfalls der deutsche Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er auch bei der Umgestaltung der §§ 142, 144 ZPO im Rahmen des Zivilprozessreformgesetzes 2001 keine allgemeine Aufklärungspflicht der nichtrisikobelasteten Partei bei der Sachverhaltsaufklärung einführen wollte82.

D. Aufgabenstellung und Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu prüfen, ob dem Schutzrechtsinhaber im deutschen Recht effektive rechtliche Instrumente zur Verfügung stehen, um sein strukturelles Informationsdefizit zu überwinden. Dabei soll der Untersuchungsgegenstand in mehrfacher Hinsicht beschränkt sein. Kern der Untersuchung soll die Sphärenproblematik und die daraus resultierende Schwierigkeit des Schutzrechtsinhabers sein, verletzungsbezogene Informationen aus der fremden Sphäre zu erlangen, um in der Klageschrift und während des Verletzungsverfahrens substantiiert vorzutragen. Die zu substantiierende Verletzung kann von ihm bisher nur vermutet werden. Er weiss nicht, ob überhaupt und auf welche exakte Weise sie stattfindet. Es liegen nur gewisse äußere Anhaltspunkte für eine Verletzung vor. Die erstrebte Informationsbeschaffung in der fremden Sphäre kann nur unter Mitwirkung der gegnerischen – also der nicht-beweisbelasteten – Partei erfolgen. Informationen können in der Sphäre der gegnerischen Partei nur beschafft werden, wenn diese Partei dies duldet oder die Informationen aktiv vorlegt. Mitwirkungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei bei der Stoffsammlung können – wie gezeigt – materiell oder prozessual begründet werden, denn materielle Informationsbeschaffungsansprüche gegenüber der gegnerischen Partei gerichtet auf Vorlage oder Duldung sind nichts anderes als Mitwirkungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei bei der Sammlung des Prozessstoffes83. Eine Behandlung der Sphärenproblematik deutet daher immer wieder auf die eigentliche dogmatische Frage dieser Untersuchung hin, ob und in welchem Ausmaß im Immaterialgüterrecht Aufklärungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei bestehen, seien sie nun materiell oder prozessual begründet, und inwiefern hier das Ausforschungsverbot einer Lösung der Sphären82

Vgl. nur Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 8. Auch Ahrens, Rezension, ZZP 118 (2005), S. 391, 391, ist der Auffassung, dass durch die Durchsetzungs-Richtlinie mit Blick sowohl auf die §§ 485 ff. ZPO als auch auf den § 809 BGB das „Generalthema der Mitwirkungspflichten der Prozessparteien bei der Sammlung des Tatsachenstoffes zentral betroffen“ sei. 83

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Einleitung

problematik entgegensteht. Zu fragen ist, welche Anforderungen an den Tatsachenvortrag der risikobelasteten Partei gestellt werden, um eine Mitwirkungspflicht des Gegners auszulösen, welchen Umfang die Mitwirkungspflicht dann erreicht, und ob eine Reform dieser Rechtslage erforderlich ist – gerade in Hinblick auf die von der herrschenden Auffassung vorgenommene Betonung des Ausforschungsverbotes. Lediglich bezogen auf die beschriebene Situation der vermuteten Verletzung soll untersucht werden, welche rechtlichen Möglichkeiten der Schutzrechtsinhaber hat, Informationen zu beschaffen, um eine solche vermutete Verletzung tatsächlich festzustellen sowie Beweise zu erlangen, um sie im Verletzungsverfahren nachzuweisen. Eingegrenzt werden soll die Untersuchung dabei auf Instrumente, die sich auf die Feststellung des Anspruchsgrundes also der Verletzung bzw. Verletzungshandlung als solcher beziehen. Das bedeutet, dass die Frage der Bestimmung des Umfangs der Verletzung und der Höhe des Schadens ausgeklammert bleiben soll. Es wird somit keine Auseinandersetzung mit dem unselbstständigen, akzessorischen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB oder ähnlichen Auskunfts-, Vorlage- oder Rechnungslegungsansprüchen stattfinden. Weiterhin soll ausschließlich die Beziehung zwischen dem Schutzrechtsinhaber und dem mutmaßlichen Verletzer selbst, und zwar als Informationsschuldner, betrachtet werden, also Konstellationen, in denen Informationsschuldner und mutmaßlicher Schuldner eines Verletzungshauptanspruches zusammenfallen. Es geht um Sachverhaltsaufklärung unter Mitwirkung und in der Sphäre des mutmaßlichen Verletzers, d. h. der gegnerischen Partei selbst, zu seinen/ihren eigenen Lasten, seien sie nun materiell oder prozessual begründet. Folglich werden Instrumente, in deren Rahmen der (mutmaßliche) Verletzer als Informationsschuldner Informationen über beteiligte Dritte erteilt – also beispielsweise die selbstständigen, nicht-akzessorischen Ansprüche auf Drittauskunft nach §§ 140b PatG, 101a UrhG, 19 MarkenG bzw. der Auskunftsanspruch nach Art. 8 Durchsetzungs-Richtlinie – nicht untersucht. Ebenfalls nicht primär Untersuchungsgegenstand sind Instrumente, in deren Rahmen Dritte verpflichtet werden, Informationen zu beschaffen über die Verletzung durch den mutmaßlichen Verletzer/die gegnerische Partei. Insofern werden entsprechende prozessuale Regelungen nur vergleichend herangezogen. Außerdem soll sich die Arbeit überwiegend mit der Informationsbeschaffung mit Hilfe von Augenscheinsgegenständen befassen. Die Vorlage von Urkunden beispielsweise gem. § 810 BGB oder nach den §§ 421 ff. ZPO wird daher nicht oder nur insoweit untersucht werden, als sich hieraus verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerungen ziehen lassen. Nach §§ 142 PatG, 25 GebrMG, 106 – 111 UrhG, 143 MarkenG, 14 GeschMG kann die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums gegebenenfalls strafbar sein84. Da sich diese Arbeit jedoch nur auf die zivilrechtlichen Möglichkeiten der In84

Vgl. Cremer, Strafrechtliche Sanktionen, GRUR Int. 2002, S. 511 ff.

D. Aufgabenstellung und Beschränkung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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formations- und Beweisbeschaffung bezieht, bleiben alle Aufklärungsmöglichkeiten, die ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren bietet, ausgeklammert. Weiterhin soll die Untersuchung nur die innerstaatlichen Möglichkeiten der Beweisermittlung in den Blick nehmen. Möglichkeiten der Beweisbeschaffung, die sich unter Umständen aus der Durchführung einer sogenannten „Grenzbeschlagnahme“ ergeben, bleiben somit ebenfalls ausgeklammert. In Bezug auf die Informationsbeschaffung in der gegnerischen Sphäre sind außerdem zunächst zwei Begriffe zu unterscheiden. Einerseits die Beweissicherung, andererseits die Informations- bzw. Beweisermittlung85 : In Konstellationen, in denen eine bloße Beweissicherung stattfindet, kann der Darlegungs- und Beweispflichtige bestimmte Tatsachen bereits substantiiert behaupten; der anstehende Beweis der behaupteten Tatsachen scheitert – streng genommen – bisher nur daran, dass sich die Beweismittel in der Sphäre des Gegners befinden, dieser sie nicht herausgibt und gegebenenfalls die Gefahr der Beweismittelvernichtung besteht. Der Sachverhalt ist jedoch im Wesentlichen bekannt, die Beweismittel sind im Wesentlichen bekannt und die einzelnen Beweisstücke können vom Beweispflichtigen hinreichend konkret bezeichnet werden. Die Beweismittel sind daher „nur“ zu beschaffen und für das Verfahren zu sichern. Das zu Grunde liegende Problem ist ein solches der fehlenden Verfügbarkeit. In Fällen, in denen eine Informations- und Beweisermittlung erfolgen muss, kann der Darlegungs- und Beweispflichtige gerade noch nicht substantiiert vortragen; auch von stichhaltigen Beweismitteln, die für die Verletzung sprechen, hat er nur eine vage Vorstellung, die für einen Beweisantritt nicht ausreicht. Zumindest bestimmte einzelne streiterhebliche Beweisstücke sind ihm schlicht unbekannt; er kann sie nicht konkret bezeichnen. Die Informationen und Beweisstücke sind – mangels konkretem Vortrag und konkreter Bezeichnung – unter Inanspruchnahme gewisser ausforschender Elemente erst zu ermitteln, bevor sie beschafft und gesichert werden können. Es besteht ein Kenntisproblem. Im Rahmen dieser Arbeit wird insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob bei einer vermuteten Schutzrechtsverletzung unter Mitwirkung des mutmaßlichen Verletzers eine echte Informations- und Beweisermittlung zulässig ist. Denn der Schutzrechtsinhaber muss – in der hier zugrundegelegten Situation – erst einmal feststellen, ob die vermutete Verletzung überhaupt besteht und wie genau sie erfolgt. Ein bloßer Anspruch auf Sicherung von Beweisen für eine bereits erfolgte präzise Tatsachenbehauptung hat für ihn daher wenig praktischen Nutzen86. Um die einzelnen zur Verfügung stehenden Instrumente vergleichen zu können und um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, ist bei der Untersuchung insbesondere auf folgende Fragestellungen zu achten: 85 Vgl. auch die Unterscheidung der Begriffe bei Dreier, Kompensation und Prävention, S. 558. 86 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738.

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Einleitung

Schuldet die nicht-darlegungsbelastete Partei einen Mitwirkungsbeitrag bei der Sachverhaltsaufklärung? Wenn ja, welche Voraussetzungen und Anforderungen werden an die Substantiierung der Verletzungstatsachen, an den Vortrag gegebenenfalls erforderlicher Verletzungswahrscheinlichkeiten und an die Bezeichnung eventuell vorzulegender Gegenstände gestellt, um die Maßnahme auszulösen? Basiert der Mitwirkungsbeitrag auf dem materiellen oder dem prozessualen Lösungsansatz? Welchen Umfang hat die Mitwirkungspflicht in Bezug auf Duldungs- oder Handlungspflichten? Gibt es bei der verfahrensmäßigen Umsetzung der Maßnahme ein Überraschungsmoment, welches gegebenenfalls eine Beweismittelvernichtung verhindern kann, und welche Möglichkeiten der Durchsetzung der Mitwirkungspflicht bestehen? Wie werden entgegenstehende Interessen des mutmaßlichen Verletzers berücksichtigt – insbesondere der Geheimnisschutz? Führt die Berücksichtigung entgegenstehender Interessen zu strengeren Voraussetzungen bei der Einleitung der Maßnahme, werden in einem solchen Fall die Rechtsfolgen der Maßnahme weniger weitreichend gestaltet oder werden die entgegenstehenden Interessen im Rahmen des Verfahrens berücksichtigt? Besteht ein Anspruch auf die Maßnahme? Besteht bei einer prozessualen Maßnahme ein Antragsrecht oder erfolgt eine Entscheidung von Amts wegen? Liegt insgesamt eine gebundene Entscheidung vor, oder besteht Ermessen des Gerichts? Diese Untersuchungskriterien ermöglichen die Bestimmung des Charakters, der Effektivität, aber auch der Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit der Informationsbeschaffungsmaßnahme.

E. Gang der Arbeit Nachdem vorab noch abstrakt die Interessenlage zu erörtern ist, wird in einem ersten Teil zunächst das bisherige deutsche Recht untersucht. Beginnend mit dem materiellen Lösungsansatz wird dabei zunächst ausführlich der Vorlage- und Besichtigungsanspruch nach § 809, 2. Fall BGB erörtert, der bisher als wichtigstes Instrument vorprozessualer Informationsbeschaffung in der Sphäre des mutmaßlichen Verletzers galt. Eine ausführliche Erörterung ist auch jetzt noch unentbehrlich, da sich in der Auseinandersetzung mit § 809 BGB die Ausgangslage des Rechts der Beweisbeschaffung im deutschen Recht zeigt und grundsätzliche Fragen der Informationsbeschaffung auftauchen, die auch bei der Auslegung von Art. 7 der DurchsetzungsRichtlinie und des Umsetzungsgesetzes die entscheidende Rolle spielen. Im Rahmen der Erörterung des § 809, 2. Fall BGB zeigen sich zudem bestimmte Probleme der Informationsbeschaffung, die Rechtsprechung und Lehre auf unterschiedliche Weise zu überwinden versucht haben. Diese Strömungen fließen in die Überlegungen der Lehre und des Gesetzgebers zu Auslegung und Verständnis von Art. 7 RL und dem Umsetzungsgesetz ein. Das Umsetzungsgesetz knüpft im Übrigen ausdrücklich an Tatbestandsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und Verfahren des § 809, 2. Fall BGB

F. Interessenlage 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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an87. Teilweise dient das Umsetzungsgesetz gar dazu, die Grundsätze der zur Anwendung des § 809, 2. Fall BGB im Urheberrecht ergangenen Entscheidung „Faxkarte“88 auf das Recht der Beweisbeschaffung im Patentrecht zu übertragen89. Die Diskussion des prozessualen Lösungsansatzes beginnt mit dem selbständigen Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO und endet mit einer Darstellung der Möglichkeiten nach §§ 142, 144 ZPO n.F. In einem zweiten Teil folgt eine Auseinandersetzung mit der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere mit ihren Artikeln 6 und 7. Die Auslegung erfolgt dabei unter Heranziehung des TRIPs-Übereinkommens und – als sogenannte „Best-Practice“-Maßnahmen – des französischen Instituts der „saisie“, sowie des englischen Instituts der „search order“. Es wird deutlich, welche grundsätzlichen Veränderungen im deutschen Recht erforderlich sind, und welche Prinzipien bei einer richtlinienkonformen Auslegung des Umsetzungsgesetzes zu beachten sind. In einem dritten und letzten Teil erfolgt eine Darstellung des neuen § 140 c PatG. Die Kritik dieser Umsetzung der Art. 6 und 7 RL berücksichtigt die im zweiten Teil erarbeiteten Ergebnisse.

F. Interessenlage Vor einer Erörterung der einzelnen Institute der Informationsbeschaffung ist zu beachten, dass dem umfassenden Informationsbedürfnis des Schutzrechtsinhabers bedeutende widerstreitende Interessen des Informationspflichtigen gegenüberstehen. Der mutmaßliche Verletzer ist in der Regel ein Wettbewerber des Schutzrechtsinhabers. Wenn er im Rahmen der Informationsbeschaffung Informationen und Gegenstände aus seinem Herrschaftsbereich herausgeben oder in irgendeiner Weise Zutritt zu seinem Herrschaftsbereich gewähren muss, offenbart er gegebenenfalls Dinge, die zu seiner gewerblichen oder privaten Geheimsphäre gehören, und deren Verdeckung grundsätzlich sein natürliches Recht ist90. Gerade weil die Verletzung nur vermutet wird und nicht feststeht, ist bei den Überlegungen zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Informationsbeschaffungsmaßnahmen stets zu beachten, dass die gegenläufigen Interessen im Rahmen einer Abwägung in Einklang zu bringen 87

Vgl. z. B. Gesetzentwurf der BReg. vom 20. April 2007 „Entwurf eines Geetzes zur Verbesserung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“, BT-Drs. 16/5048, S. 40 f. 88 Siehe hierzu BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046 ff. – „Faxkarte“; sowie Erster Teil, 1. Abschnitt, A. 89 Vgl. nur die Begr. des RegE. vom 24. 1. 2007 des Umsetzungsgesetzes, S. 60 f., 95 ff. 90 Vgl. hierzu allgemein Dreier, Kompensation und Prävention, S. 561; Stürner, Anm. BGH., JZ 1976, S. 318, 320 f.; Stürner, gewerbliche Geheimsphäre, JZ 1985, S. 453, 453 ff.; Staudinger/Marburger, vor §§ 809 – 811 Rdn. 5 – 6; Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 6; zum Schutz der „Persönlichkeitssphäre“, verbürgt in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 GG, im Zusammenhang mit § 809 BGB siehe ausführlich Staudinger/Marburger, vor §§ 809 – 811 Rdn. 6; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 58 – 67.

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Einleitung

sind, so dass im Ergebnis zwar effektive, jedoch auch verhältnismäßige Instrumente zur Verfügung stehen. Beispielhaft sollen die folgenden Interessen herausgegriffen und auf ihre Schutzwürdigkeit untersucht werden:

I. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Gerade im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts kann zunächst das Interesse am Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ein zu beachtendes entgegenstehendes Interesse sein. Betriebsgeheimnisse sind Geheimnisse technischen Charakters, während Geschäftsgeheimnisse Geheimnisse betriebswirtschaftlicher Art darstellen91. Eine Legaldefinition der Begriffe fehlt bisher92. Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis um eine Tatsache, die im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb steht, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt – also nicht offenkundig – ist, und nach dem bekundeten oder doch erkennbaren Willen des Betriebsinhabers, der auf einem ausreichenden wirtschaftlichen Interesse beruht, geheim gehalten werden soll. Auch ein an sich bekanntes Verfahren kann danach ein Betriebsgeheimnis sein, wenn unbekannt ist, dass sich das betreffende Unternehmen dieses Verfahrens bedient93. Derartige Betriebsinterna können sich einerseits auf den herauszugebenden oder zu besichtigenden beweiserheblichen Gegenstand selbst beziehen: So können bei seiner Begutachtung technische Lösungen oder geistige Schöpfungen offen gelegt werden, die mit dem geschützten Recht des Schutzrechtsinhabers nicht in Zusammenhang stehen, aber auf andere Weise mit dem Besichtigungsgegenstand verknüpft sind. Andererseits können Geheimhaltungsinteressen berührt sein, wenn abseits des eigentlichen Beweisstücks bzw. Besichtigungsgegenstandes Betriebsgeheimnisse erkennbar werden, etwa an anderen Gegenständen oder in Dokumenten, die sich in demselben Raum wie der Besichtigungsgegenstand befinden und bei Gelegenheit von den besichtigenden Personen unzulässigerweise ausgespäht werden94. Dieses Interesse an der Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen ist auch schutzwürdig und daher im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen beachtlich. Dies wird belegt durch die gesetzliche Wertung in § 139 III S. 2 PatG, §§ 17 – 20 a UWG, § 404 AktG, § 85 GmbHG sowie in §§ 203, 204 StGB. Prozessrechtlich hat der Schutz des Betriebsgeheimnisses Ausdruck gefunden in Zeugnisverweigerungsrechten und der Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach 91 BVerfG, Beschl. v. 14. 3. 2006, MMR 2006, S. 375, 376; Stürner, gewerbliche Geheimsphäre, JZ 1985, S. 453, 453, m.w.N. 92 Karger, Beweisermittlung, S. 121. 93 BGH, GRUR 1955, S. 424, 424, 425 – „Möbelwachspaste“, unter Verweis auf RGZ 149, S. 334, 334; BGH, GRUR 1961, S. 40, 43 – „Wurftaubenpresse“; BGH, NJW 1995, S. 2301, 2301; BVerfG, Beschl. v. 14. 3. 2006, MMR 2006, S. 375, 376. 94 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 190.

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§§ 383 I Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO und § 172 Nr. 2 GVG. Ferner stellen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Mitbewerbern dar, welcher oft erst durch erhebliche Investitionen erarbeitet werden musste, und sichern so Marktchancen und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Somit haben sie einen auf eigener Leistung beruhenden Vermögenswert, den es zu schützen gilt. Betriebsgeheimnisse können gegebenenfalls als „Know-how“ unter den Schutz von Art. 39 TRIPs, §§ 826, 823 Abs. 2 BGB iVm UWG, sowie von § 823 Abs. 1 BGB – entweder als eigenständiges absolutes Recht oder als Teil des Unternehmens – fallen95. Über das einzelne Unternehmen hinaus wird durch den Schutz erworbener Betriebsgeheimnisse die wahllose Übernahme fremder Leistung durch Konkurrenten verhindert und damit ein Anreiz zu eigener Leistung und einem Wettbewerb der Ideen gesetzt. Der Leistungsschutz durch Geheimnisschutz dient somit auch dem Funktionieren der Wirtschaftsordnung96.

II. Strafrechtliches Verbot der Selbstbezichtigung Eine in Folge der Informationsbeschaffung verifizierte Schutzrechtsverletzung hat nicht nur zivilrechtliche Folgen, sondern kann auch eine Strafbarkeit begründen, z. B. nach §§ 142 PatG, 25 GebrMG, 106 – 108 b UrhG, 143, 144 MarkenG97. Wenn der Informationspflichtige zur Mitwirkung gezwungen und durch die Mitwirkung eventuell eine begangene Straftat offenbaren würde, könnte aus dem strafrechtlichen Verbot der Selbstbezichtigung – „nemo tenetur se ipsum accusare“ –, verankert in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG98, ein Geheimhaltungsinteresse folgen, welches zivilrechtliche Informationsbeschaffungsmaßnahmen grundsätzlich verhindert99. Da die aufzuklärende Verletzung aber regelmäßig mit einer Straftat einhergeht, würde ein Aussageverweigerungsrecht in diesen Fällen die zivilrechtlichen Informationsansprüche entwerten. Das Recht des Zeugen aus § 384 Nr. 2 ZPO gilt für den Informationspflichtigen allerdings nicht analog100. Auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts führt der „nemo tenetur se ipsum accusare“-Grundsatz nicht zu einem Auskunftsverweigerungsrecht des Informationspflichtigen bei der Erfüllung eines berechtigten Informationsbegehrens der möglicherweise vom Schuldner geschädigten Partei. Um allerdings den „nemo tenetur se ipsum accusare“-Grundsatz „nicht illusorisch zu machen“, bestehe in Anlehnung an §§ 136 a Abs. 3 S. 2 95 Vgl. hierzu Ann, Know-how, GRUR 2007, S. 39, 41 ff., der als Voraussetzungen der Einordnung als schutzwürdiges Know-how die Nichtoffenkundigkeit, eine Beziehung zu einer Unternehmung, den Geheimhaltungswillen, sowie das Geheimhaltungsinteresse nennt. 96 Siehe zum Ganzen Stürner, gewerbliche Geheimsphäre, JZ 1985, S. 453, 453 f.; Stürner, Anm. BGH, JZ 1976, S. 318, 320, 321; ihm folgend Saß, Beschaffung von Informationen, S. 68 f. 97 Eingeführt durch das Produktpirateriegesetz vom 7. 3. 1990 mit Wirkung zum 1.7.1990. 98 Siehe dazu BVerfGE 56, S. 37, 43 ff. 99 Siehe zum Ganzen Karger, Beweisermittlung, S. 79. 100 Zu §§ 666, 259, 260, 242 BGB siehe BGHZ 41, S. 318, 322 f.

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StPO, 393 Abs. 2 AO ein strafrechtliches Verwertungsverbot für das folgende Strafverfahren101. Dieses Prinzip – Erteilung der Auskunft gegen Gewährung eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes – findet sich auch in den Auskunftsansprüchen nach §§ 140 b Abs. 1, 4 PatG, 24 b Abs. 1, 4 GebrMG, 101 a Abs. 1, 4 UrhG, 19 Abs. 1, 4 MarkenG102. Damit ist das Schweigerecht ausreichend berücksichtigt. Eine mögliche eigene Strafbarkeit entbindet daher im Ergebnis nicht von der Pflicht zur Informationsbeschaffung103. Anderes soll allerdings gelten im Falle einer Auskunft, die einen Dritten strafrechtlich belasten würde: Hier soll nach Abwägung der Interessen keine Auskunftspflicht bestehen, da die strafrechtliche Bezichtigung eines Dritten „weithin als anstößig empfunden“ werde104. Richtigerweise hat die Prozesspartei auch hinsichtlich der möglichen Strafbarkeit beliebiger Dritter kein Informationsverweigerungsrecht, da nicht einmal der unbeteiligte Zeuge nach § 384 Nr. 2 ZPO unter Verweis auf die Belange beliebiger Dritter die Aussage verweigern könnte105. Ferner entbindet den Informationspflichtigen auch nicht die Gefahr der Strafbarkeit seiner Angehörigen, weil er sich nicht in der Position eines unbeteiligten Zeugen befindet, sondern möglicherweise selbst am geschehenen Unrecht beteiligt ist. Ein strafrechtliches Verwertungsverbot nach dem Vorbild der §§ 140 b Abs. 4 PatG, 24 b Abs. 4 GebrMG, 101 a Abs. 4 UrhG, 19 Abs. 4 MarkenG ist auch hier wiederum ausreichend. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gebot „nemo tenetur se ipsum accusare“ – abgesehen von einem strafrechtlichen Verwertungsverbot der zivilrechtlich ermittelten Information – bei den Informationsbeschaffungsinstrumenten in keinem Fall beachtlich sein sollte. III. Interessenabwägung Zwar ist die Abwägung der gegenläufigen Interessen stets eine Frage des Einzelfalles. Dennoch soll hier zunächst abstrakt über die bereits dargestellten Anliegen hinaus erläutert werden, welche Belange und Umstände bei den Informationsbeschaffungsinstrumenten regelmäßig in die Abwägung einzufließen haben und wie sie tendenziell zu gewichten sind. Von Bedeutung ist auf Seiten des Informationspflichtigen zunächst das bereits erwähnte Interesse am Schutz der Privatsphäre und das legitime Interesse am Schutz der 101

BVerfGE 56, S. 37, 49 – 52. Karger, Beweisermittlung, S. 79; Auskunftsansprüche eingeführt durch das Produktpirateriegesetz vom 7. 3. 1990 mit Wirkung zum 1.7.1990. 103 Stürner, Anm. BGH, JZ 1976, S. 318, 320 f. 104 Zu einem Fall der Drittauskunft unzutreffend BGH, JZ 1976, S. 318, 320, = GRUR 1976, S. 367, 369 – „Ausschreibungsunterlagen“; unzutreffend auch Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 6; Karger, Beweisermittlung, S. 79. 105 Stürner, Anm. BGH JZ 1976, S. 318, 320, 321. Der Zeuge kann dies nur im Hinblick auf die Strafbarkeit von Angehörigen. 102

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gewerblichen Geheimsphäre, welches umso gewichtiger erscheint, je enger das regelmäßig bestehende Wettbewerbsverhältnis von Informationsberechtigtem und Informationspflichtigem ist, da es bei einer uneingeschränkten Informationsbeschaffung ohne Geheimnisschutz zu einer Offenlegung und damit einem Transfer von Betriebsgeheimnissen kommen kann. Dieser Know-How-Transfer kann zum Verlust eines durchaus rechtmäßig erworbenen Wettbewerbsvorsprungs führen. Darüber hinaus ist ein grundsätzlicher Anspruch des Einzelnen auf Wahrung seiner persönlichen und sachlichen Unverletzlichkeit, d. h. ein Recht auf Abschirmung der eigenen Sphäre, anzuerkennen, welches sich aus einer allgemeinen, unserer Rechtsordnung zugrunde liegenden Wertung ableiten lässt. Ein ähnlicher Gedanke findet sich z. B. auch in § 811 Abs. 2 BGB wieder, wonach der Besichtigungsgläubiger und nicht der Besichtigungsschuldner Gefahr und Kosten, also die Nachteile der Besichtigung, zu tragen hat, zumindest solange eine Schutzrechtsverletzung und daraus folgende Schadensersatzansprüche noch nicht feststehen106. Diese gesetzliche Risikoverteilung zeigt, dass das Eindringen in eine fremde Sphäre eine – in der Regel – ausgleichspflichtige Ausnahme darstellt. Dem gegenüber steht das berechtigte Interesse des Schutzrechtsinhabers an der Aufklärung einer vermuteten Schutzrechtsverletzung. Der Schutzrechtsinhaber hat ein Interesse und einen verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf effektiven Schutz der ihm durch die Rechtsordnung gewährten und durch eigene Leistung erworbenen materiellen Schutzrechte107. Ohne effektive Durchsetzungsmöglichkeit würde sich sein Recht als wertlos erweisen. Die Rechtsdurchsetzung setzt notwendig die Aufklärung der Verletzung und die Gewinnung von Beweisen voraus. Das wesensbedingte besondere Informationsdefizit bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten verleiht dem Informationsbedürfnis des Schutzrechtsinhabers überragendes Gewicht. Das Zusammentreffen von Darlegungs- und Beweislast des mutmaßlich verletzten Schutzrechtsinhabers mit dem Informationsdefizit führt dazu, dass er die mögliche Schutzrechtsverletzung ohne die begehrte Information überhaupt nicht gerichtlich geltend machen und damit seine materiellen Rechte prozessual nicht durchsetzen kann108. Will man effektiven Immaterialgüterrechtsschutz, muss man dem besonderen Informationsbedürfnis durch Ausschöpfung der Informationsbeschaffungsmaßnahmen Rechnung tragen109. Das berechtigte Informationsinteresse des Schutzrechtsinhabers ist jedenfalls grundsätzlich umso höher, je geringer seine Möglichkeiten sind, anderweitig eine Aufklärung der Geschehnisse zu erreichen. 106 Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 848 f.; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 163. 107 Der Justizgewährungsanspruch folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 19 IV, Art. 2 I GG und umfasst das Recht auf umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes; vgl. BVerfGE 54, S. 277, 291; BVerfGE 80, S. 103, 107; BVerfGE 85, S. 337, 345. 108 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 565. 109 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 564.

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Einleitung

Zu Recht wird dem entgegengehalten, dass es sich hier dennoch nicht um den Interessengegensatz Gut gegen Böse handelt. Ziel ist es nicht einen festgestellten Hauptanspruch durchzusetzen, sondern sein Vorliegen erst einmal abzuklären. Auszugehen ist dabei zunächst von der Rechtschaffenheit des vermuteten Verletzers, welcher grundsätzlich keine Eingriffe in seine Sphäre hinnehmen muss. Wenn das Gesetz dem ohne die begehrte Information rat- und möglicherweise rechtlosen Schutzrechtsinhaber nun ausnahmsweise einen Informationsbeschaffungsmöglichkeit einräumt, damit dieser sich vergewissern kann, ob eine Verletzung vorliegt oder nicht, kann das Ergebnis dieser Klärung sein, dass trotz gewisser Anhaltspunkte oder einer bestehenden Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung gerade kein weitergehender Verletzungsanspruch besteht110. In diesem Fall hätte der Besichtigungsschuldner etwas geduldet, was mit erheblichen Eingriffen verbunden ist und was er – zumindest ex post – nach der allgemeinen Werteordnung gar nicht geschuldet hätte111. Und selbst der überführte Schutzrechtsverletzer schuldet streng genommen nur Informationen, die eine Kompensation der Rechtsverletzung ermöglichen und muss nicht bei dieser Gelegenheit zweckfremde und nicht erforderliche Eingriffe in anderweitige, rechtmäßig erworbene Positionen dulden, an denen der Schutzrechtsinhaber kein berechtigtes Interesse haben kann. Daher ist zumindest bei der Durchführung der Informationsbeschaffung besonders auf die Belange des Informationspflichtigen Rücksicht zu nehmen. Vor diesem Hintergrund wird vertreten, dass die Bejahung und Ausgestaltung von Informationsbeschaffungsinstrumenten wesentlich von der Frage der Zumutbarkeit für den Informationspflichtigen abhängen soll, welche daher maßgeblich in die Interessenabwägung einfließen soll112. Richtigerweise ist hierbei jedoch ebenfalls zu beachten, dass diese Zumutbarkeitsgrenze in Anbetracht des Informationsinteresses des Informationsberechtigten und des bestehenden umfangreichen Instrumentariums des materiellen sowie des Verfahrensrechts zur Sicherung der Interessen des Informationspflichtigen regelmäßig erst dann und insoweit zu einer Beschränkung der Informationsbeschaffung als solcher führt, wenn alle milderen Mittel zur Sicherung der Interessen ausgeschöpft sind113. Man muss sich im Klaren sein, dass aufgrund des wesensbedingten Informationsdefizits die Entscheidung wieweit die Mitwirkungspflicht reichen soll und welche Beschränkungen aufgrund entgegenstehender Interessen vorgenommen werden, letztlich eine Entscheidung darüber ist, welcher Grad an Effektivität des Immaterialrechtsgüterschutzes angestrebt wird114.

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BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 846 f. 112 Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 847; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 575. 113 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 159, 164. 114 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 564. 111

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil

Die Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nach dem bisherigen deutschen Recht Im ersten Teil dieser Arbeit gilt es zu untersuchen, welche Möglichkeiten das bisher geltende deutsche Zivilrecht bietet, das beschriebene Informationsdefizit des mutmaßlich Verletzten im Hinblick auf den Nachweis der behaupteten Schutzrechtsverletzung zu beheben.

1. Abschnitt

Materielle Ansprüche A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB I. Einführung Wie anhand der Darstellung der Systematik bereits gesehen, kennt das BGB nur wenige ausdrücklich normierte Informationsansprüche; sie finden sich nur punktuell. Solche Auskunftspflichten statuiert der Gesetzgeber aber in der Regel dann, wenn derjenige, dem ein materiellrechtlicher Anspruch zusteht, die zur Durchsetzung dieses Anspruchs notwendigen Informationen ohne einen darauf bezogenen Informationsanspruch typischerweise nicht in Erfahrung bringen kann1. Durchzusetzender Anspruch und Informationsanspruch stehen dabei im Verhältnis Hauptanspruch zu Hilfsanspruch. Im Bereich des geistigen Eigentums betrachteten Literatur und Rechtsprechung die §§ 809 ff. als wesentliches Instrument der vorprozessualen Ermittlung von Informationen in der Sphäre des Gegners und der Aufklärung einer mutmaßlichen Verletzung. Wie bereits erwähnt, knüpft auch die Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie in deutsches Recht an § 809 BGB sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung an.

1

Vgl. Dreier, Kompensation und Prävention, S. 566.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

1. Überblick § 809 BGB statuiert einen Vorlegungs- und Besichtigungsanspruch. Demnach kann derjenige, der gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung dieser Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grund für ihn von Interesse ist, verlangen, dass der Besitzer ihm diese Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet. § 810 BGB regelt die Einsichtnahme in Urkunden. Schließlich normiert § 811 BGB in Bezug auf die §§ 809 und 810 BGB die Modalitäten hinsichtlich des Vorlegungsortes, der Gefahrtragung und der Kosten der Vorlegung. Bei § 809 BGB handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel des Zivilprozessrechts, sondern um einen materiell-rechtlichen Anspruch2 zur Sicherung – und in gewisser Weise – zur Beschaffung konkreter Beweise. Da er einen Hauptanspruch des Vorlegungsgläubigers als wenigstens wahrscheinlich voraussetzt, kann der Vorlegungsanspruch als Hilfsanspruch qualifiziert werden3. Der Anspruch auf Vorlegung ist vorbereitender Natur und dient der Gewinnung der notwendigen Unterlagen zur Durchsetzung des zugrunde liegenden Hauptanspruchs4. Bereits vor Erhebung der eigentlichen Verletzungsklage kann der selbständige Vorlegungsanspruch dem mutmaßlich Verletzten helfen, die Erfolgsaussichten und das Kostenrisiko des Verletzungsprozesses besser einzuschätzen5. Denn in einem vorgeschalteten Verfahren hinsichtlich des Anspruchs aus § 809 BGB kann der mutmaßlich Verletzte auch gegen den Willen des mutmaßlichen Verletzers in dessen Sphäre Tatsachen und Beweise hinsichtlich des Hauptanspruchs ermitteln und sichern. Dies kann ihn bis zu einem gewissen Grad dabei unterstützen, im Verletzungsprozess hinreichend bestimmte Anträge zu stellen, die Klage zu substantiieren und den Verletzungstatbestand schlüssig darzulegen sowie im Falle des Bestreitens zu beweisen6. Diese Möglichkeiten des § 809 BGB werden aber durch die Literatur und vor allem die Rechtsprechung stark eingeschränkt, denn bei uneingeschränkter Anwendung des § 809 besteht die Gefahr der Ausspähung eines Konkurrenten und der Offenlegung schutzwürdiger Betriebsgeheimnisse über das berechtigte Anliegen des Gläubigers hinaus7. Schon der Gesetzgeber des BGB befürchtete bei einer zu weiten Fassung des Anspruchs seinen Missbrauch und wies in den Motiven darauf hin, dass 2

Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 236. MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 1; Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 737; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 18; vgl. auch Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1669: „Hilfscharakter“; sowie Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 904: „Nebenanspruch“. 4 Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 236; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“: „ein die Rechtsdurchsetzung vorbereitender Anspruch“; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 18. 5 Stürner/Stadler, Anm. BGH „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1102. 6 Markfort, Geistiges Eigentum, S. 173. 7 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 3

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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die Klage nicht dazu dienen dürfe, ein „Kunst- oder Gewerbegeheimnis“ in Erfahrung zu bringen8. Die Vorschrift des § 809 BGB als solche beruht daher auf einer Interessenabwägung9 ; ihre Wirkung wird begrenzt durch den Ausgleich zweier kollidierender Interessen, nämlich dem Informationsinteresse des Besichtigungsgläubigers einerseits und dem Geheimhaltungsinteresse des Besichtigungsschuldners andererseits10. Der einzelne Anspruch steht weiter unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, § 242 BGB11. Unter dem Einfluss des § 242 sind die widerstreitenden Interessen, d. h. das Aufklärungsinteresse des Anspruchsstellers und das berechtigte Interesse des Anspruchsgegners an der Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, sorgfältig und im konkreten Einzelfall gegeneinander abzuwägen12. Diese Interessenabwägung im Einzelfall führt regelmäßig dazu, dass an das Vorliegen der Voraussetzungen des Anspruchs strenge Anforderungen gestellt werden und der Anspruch inhaltlich eingeschränkt wird. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes in der Sache „Faxkarte“13 hat diesbezüglich für den Besichtigungsgläubiger jedoch gewisse Lockerungen gebracht. Weiterhin wurde im Sinne eines „Interessenschutzes durch Verfahren“14 ein mehrstufiges Verfahren zur Durchsetzung des Vorlegungsanspruchs entwickelt. Durch prozessuale Vorkehrungen zum Geheimnisschutz sollen das Besichtigungsinteresse und das Geheimhaltungsinteresse zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden15. Insgesamt wurde die praktische Anwendung der Norm stark durch die beiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes „Druckbalken“16 und „Faxkarte“17, einerseits 8 Vgl. Motive, amtl. Ausgabe, Bd II, 1896, S. 889 und 890; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 236; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 10; Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 152. 9 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 737. 10 Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 152; siehe zu den grundsätzlichen Strukturen von „Interessenabwägung“, „entgegenstehenden Interessen“ sowie „Grenzen des Informationsverlangens“ bei Informationsansprüchen auch Dreier, Kompensation und Prävention, S. 561 – 562, sowie S. 570 ff. 11 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 557; Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 69: „modifizierender Einfluss von § 242 BGB“; OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 741, 743, 744 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“; OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“. 12 BGH GRUR 2002, S. 1046, 1048, 1049 – „Faxkarte“, dort wird erstmals die Interessenabwägung im konkreten Einzelfall betont. Auf das starre Erfordernis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung und das Verbot des Substanzeingriffs wird verzichtet; Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 737; Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 858. 13 Siehe BGH GRUR 2002, S. 1046, 1046 ff. – „Faxkarte“. 14 Vgl. auch Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020. 15 Vgl. Karger, Beweisermittlung, S. 62. 16 BGH, GRUR 1985, S. 512, 512 ff. – „Druckbalken“. 17 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046 ff. – „Faxkarte“.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

für den Bereich des Patentrechts, andererseits für den Bereich des Urheberrechts, geprägt. Dies berücksichtigend wird auch die hiesige Darstellung immer wieder auf die Unterschiede zwischen diesen Entscheidungen eingehen. II. Voraussetzungen des Anspruchs 1. Hauptanspruch in Ansehung der Sache Voraussetzung für das Bestehen eines Vorlegungsanspruchs nach § 809 BGB ist zunächst, dass der Anspruchsteller einen (Haupt-)Anspruch in Ansehung der (vorzulegenden und zu besichtigenden) Sache hat, oder dass er sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht. a) Bestehen eines Hauptanspruchs „in Ansehung der Sache“ Der erste Fall des § 809 BGB behandelt die Konstellation, dass der Anspruchsteller einen Anspruch in Ansehung der Sache hat, während der zweite Fall der Norm demjenigen einen Vorlegungsanspruch zubilligt, der sich erst Gewissheit über das Bestehen eines Hauptanspruchs verschaffen will. Die praktische Bedeutung der Norm liegt in der Beschaffung von Material zur Aufklärung eines mutmaßlichen Verletzungstatbestandes, über dessen Bestehen und Umstände gerade noch keine Gewissheit besteht. Daher ist im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts und im Rahmen dieser Arbeit der zweite Fall von größerem praktischen Interesse. Der zugrunde liegende Hauptanspruch muss in „Ansehung der Sache“ bestehen. Der Wortlaut lässt sich zur Auslegung zunächst kaum fruchtbar machen, denn es handelt sich nicht um einen gängigen Ausdruck der Rechtssprache18. Die systematische Stellung der Vorschrift im Schuldrecht zeigt aber, dass der Hauptanspruch dinglicher wie auch schuldrechtlich-deliktischer Natur sein kann19. Trotz der Formulierung „in Ansehung der Sache“ sind auch obligatorische Ansprüche erfasst20. „In Ansehung der Sache“ bedeutet, dass der Anspruch in einer rechtlichen Beziehung zur Sache stehen muss21. Allerdings besteht der Vorlegungsanspruch nicht nur dann, wenn sich der Hauptanspruch auf die Sache selbst erstreckt, sondern auch dann, wenn das Bestehen des Hauptanspruchs in irgendeiner Weise von der Existenz oder 18

OLG Düsseldorf, GRUR 1983, S. 741, 743 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“. 19 Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 17; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 19. 20 BGH, GRUR 1985, S. 512, 514 – „Druckbalken“; KG, CR 2001, S. 80, 82; Treichel, Sanktionen, S. 223; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 4; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1015; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 902. 21 Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 4; BGH, GRUR 1985, S. 512, 514 – „Druckbalken“; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 5.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Beschaffenheit der Sache abhängt22. Erfasst sind somit nicht nur Ansprüche auf Herausgabe oder Vernichtung der Sache selbst, sondern auch insofern bedingte Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz. Insbesondere Ansprüche aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts kommen als Anspruch im Sinne von § 809 BGB in Betracht. Die Anwendung des § 809 BGB auf Ansprüche wegen Urheberrechtsverletzung wurde schon vom Reichsgericht bejaht und vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Faxkarte“, sowie in der Entscheidung „Kontrollbesuch“ bestätigt23. Lange und kontrovers in Literatur und Rechtsprechung diskutiert wurde dagegen die Anwendung auf Ansprüche wegen Patentverletzung24. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Druckbalken“ wurde schließlich die grundsätzliche Anwendbarkeit auf dem Gebiet des Patentrechts bejaht. Die grundsätzliche Nichtanwendung der Vorschrift im Patentrecht aufgrund einer von Teilen der Literatur befürchteten „völligen Vernichtung des Fabrikgeheimnisses25“ lehnt der Bundesgerichtshof ab, denn bereits der BGB-Gesetzgeber habe die Missbrauchsgefahr erkannt und gleichwohl die Norm des § 809 BGB ohne Ausschluss einzelner Rechtsgebiete eingeführt. Der im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten gerade im Patentrecht bestehenden Gefährdung schützenswerter gewerblicher Interessen begegnet der Bundesgerichtshof nicht mit der Folgerung der Unanwendbarkeit des § 809 BGB, sondern mit dem Hinweis, dass im Bereich des Patentrechts auf die Interessen des Anspruchsgegners besondere Rücksicht zu nehmen sei26. Dies führt zu Einschränkungen des Anspruchs mit Blick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles. Auch im Bereich der Verletzung von Verfahrenspatenten bleibt § 809 BGB neben § 139 III PatG anwendbar. Die Beweislastregelung des § 139 III PatG ist nicht lex specialis, welche im Bereich 22

Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 5; BGH, a.a.O., S. 514 – „Druckbalken“; BGH GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“; KG, CR 2001, S. 80, 82; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 4; Karger, Beweisermittlung, S. 71; Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 942. 23 RGZ 69, S. 401, 405, 406 – „Nietzsche-Briefe“; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1047 – „Faxkarte“: hier wurde darüber hinaus gehend die Anwendbarkeit auf den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz bestätigt; BGH, GRUR 2004, S. 420, 421 – „Kontrollbesuch“: Auch eine Verwertungsgesellschaft, die urheberrechtliche Ansprüche wahrnimmt, kann die Recht aus § 809 geltend machen. 24 Vgl. zum Streitstand OLG Düsseldorf, GRUR 1983, S. 741, 744 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“; sowie BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 – „Druckbalken“: gegen eine Anwendbarkeit: KG, GRUR 1919, S. 179; Tetzner, PatG-GbrMG, 2. Aufl. 1951, § 47 PatG Rdn. 24; Isay, PatG, 6. Aufl. 1932, § 4 Rdn. 68; für eine Anwendbarkeit: LG Berlin I, Mitt. 1910, S. 120; LG Braunschweig, GRUR 1971, S. 28 – „Abkantpresse“; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 237; Lidle, Bereitschaftsdienst, GRUR 1978, S. 93, 94; Benkard/Rogge, 7. Aufl. 1981, § 139 PatG Rdn. 116; vgl. auch Saß, Beschaffung von Informationen, S. 30 – 32; siehe zur Historie des § 809 BGB auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 11 – 14, 17, 18. 25 Isay, PatG, 6. Aufl. 1932, § 4 Rdn. 68, mit Verweis auf KG, Urteil v. 10. 12. 1910, in Abänderung des oben genannten Urteils des LG Berlin I. 26 Vgl. BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 – „Druckbalken“.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

der Verfahrenspatente die Anwendung von § 809 BGB ausschließt27. § 139 III S. 1 PatG beinhaltet eine Beweislastumkehr: Im Verletzungsprozess hinsichtlich eines Patents, das ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses schützt, gilt bis zum Beweis des Gegenteils ein gleiches Erzeugnis, das vom Beklagten hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt28. Der mutmaßliche Patentverletzer hat also die Wahl, ob er den Gegenbeweis antritt, d. h. das tatsächlich verwendete Verfahren offenbart, und damit einer Verurteilung entgeht, oder ob er schweigt, eine Verurteilung in Kauf nimmt und dadurch eventuell ein wichtiges Betriebsgeheimnis vor der Offenlegung schützt. Hinsichtlich des § 809 BGB hat der Patentinhaber einen Anspruch auf Vorlegung unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen des mutmaßlichen Verletzers. Eine Wahlmöglichkeit des Verletzers besteht dort nicht29. Die Normen unterscheiden sich also in ihrer Rechtsfolge. Weiterhin kommen sie zu anderen Zeitpunkten zur Anwendung. § 139 III PatG beinhaltet eine Beweislastregelung für den laufenden Verletzungsprozess, während § 809 BGB im Vorfeld des Verletzungsprozesses relevant wird30. Aufgrund unterschiedlicher Wirkungsweisen stehen die Regelungen daher nicht im Verhältnis der Spezialität zueinander, sondern unabhängig nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus31. Folglich ist § 809 BGB auch in Patentstreitigkeiten anwendbar. Diese Argumentation und deren Ergebnis ist allgemein auf Zustimmung gestoßen32. Hauptansprüche in Ansehung der vorzulegenden Sache sind daher im Bereich des geistigen Eigentums z. B. Unterlassungsansprüche gem. §§ 139 Abs. 1 PatG, 24 Abs. 1 GebrMG, 97 Abs. 1 UrhG, 14 Abs. 5, 15 Abs. 4 MarkenG, 14a GeschmMG, hinsichtlich der Herstellung und des Vertriebes der rechtsverletzenden Sache, sowie Vernichtungsansprüche gem. §§ 140a Abs. 1 PatG, 24a Abs. 1 GebrMG, 98 Abs. 1 UrhG, 18 Abs. 1 MarkenG bezüglich derselben Sache, da diese Ansprüche die vorzulegende Sache selbst zum Gegenstand haben. Hauptansprüche im Sinne des § 809 BGB sind aber beispielsweise auch Schadensersatzansprüche gem. §§ 139 Abs. 2 PatG, 24 Abs. 2 GebrMG, 97 Abs. 1 UrhG, 14 Abs. 6, 15 Abs. 5 MarkenG wegen Schutzrechtsverletzung, da diese Ansprüche in irgendeiner Weise von der Beschaffenheit der vorzulegenden, mutmaßlich rechtsverletzenden Sache abhängen. In diese letzte Kategorie fallen auch Unterlassungsansprüche hinsichtlich der Verwendung 27 Die Argumentation in der Revisionsbegründung des Anspruchsgegners in BGH „Druckbalken“ ist wohl als ein solches lex-specialis-Argument zu verstehen, vgl. BGH, GRUR 1985, S. 512, 513, 514 – „Druckbalken“. 28 Mes, PatG, § 139 PatG Rdn. 64; Schulte/Kühnen, PatG, § 139 Rdn. 206 ff. 29 BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 – „Druckbalken“. 30 Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 18. 31 BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 – „Druckbalken“. 32 Nicht dagegen die weiteren Schlussfolgerungen und Einschränkungen des Anspruchs in der Entscheidung „Druckbalken“. Dazu unten mehr. Jedenfalls zustimmend bzgl. der Anwendbarkeit im Bereich des Patentrechts: Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 519; Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1047 – „Faxkarte“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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eines patentierten Verfahrens, da diese in irgendeiner Weise von der Beschaffenheit der Maschine abhängen, durch welche das streitgegenständliche Verfahren angewendet wird. Die Maschinen und technischen Mittel, mit denen das Verfahren ausgeübt wird, sowie die körperlichen Verfahrensergebnisse sind also vorzulegen33, obwohl sich der Hauptanspruch direkt nur auf das Verfahren und nicht auf die Mittel und Ergebnisse bezieht. In der Entscheidung „Faxkarte“ war fraglich, ob die Offenlegung des hinter der angeblich urheberrechtsverletzenden Software stehenden Quellcodes verlangt werden könne, wenn ein Anspruch hinsichtlich der Faxkarte und deren Software geltend gemacht wird. Der Quellcode wird in der Regel unter Verschluss gehalten, während die Software in der strukturell verschiedenen Objectcode-Fassung dem Software-Anwender vorliegt34. Regelmäßig wird sich eine Urheberrechtsverletzung aber nur durch Vergleich der Quellcodes der beiden Programme nachweisen lassen35. Das Berufungsgericht hatte die Offenlegung des Quellcodes noch verneint, da sich der Hauptanspruch nicht auf den Quellcode selbst beziehe und der Besichtigungsanspruch nur die Sache, auf die sich der Hauptanspruch bezieht, betreffe36. Dagegen entschied sich der Bundesgerichtshof zugunsten der Offenlegung des Quellcodes, da der Hauptanspruch in irgendeiner Weise von der Beschaffenheit des Quellcodes abhängt. Denn der Quellcode ist bei einer urheberrechtswidrigen Vervielfältigung das erste, einen Unterlassungsanspruch begründende, Vervielfältigungsstück37. Dem ist zuzustimmen, da der Quellcode später in den Maschinencode (Objektcode-Fassung) der Software übersetzt wird und nur der Zugriff auf den Quellcode den Nachweis der den Hauptanspruch begründenden Schutzrechtsverletzung ermöglicht. Erwähnenswert ist weiter, dass als Hauptanspruch selbstverständlich auch der Vernichtungsanspruch hinsichtlich von Vorrichtungen, die zur rechtswidrigen Herstellung schutzrechtsverletzender Erzeugnisse verwendet oder bestimmt sind, gem. §§ 140a Abs. 2 PatG, 24a Abs. 2 GebrMG, 99 UrhG, 18 Abs. 2 MarkenG in Betracht kommt. Mit der Einführung dieser Bestimmungen durch das Produktpirateriegesetz38 ist endgültig klargestellt, dass gem. § 809 BGB auch die Besichtigung von Konstruktionszeichnungen und Bedienungsanleitungen39 oder von Hilfsprogrammen, die be33 Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 903; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 555; für die Anwendung auf Verfahrensansprüche, allerdings mit abweichender Begründung auch Meyer-Dulheuer, Vorlegungsanspruch, GRUR Int. 1987, S. 14, 16: „Denn auch dem Inhaber eines Verfahrenspatents stehen gegen den Inhaber einer Sache [direkte, Anm. d. Verf.] Ansprüche wegen Patentverletzung zu, wenn die Sache das unmittelbare Erzeugnis des geschützten Verfahrens ist.“. 34 Karger, Beweisermittlung, S. 11 f. 35 Vgl. oben unter Einleitung, B. II. 1.; sowie Dreier, Verletzung, GRUR 1993, S. 781, 789. 36 OLG Hamburg, ZUM 2001, S. 519, 523 – „Faxkarte“. 37 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“; sowie Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1015. 38 Produktpirateriegesetz vom 7. März 1990. 39 Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 924.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

nutzt werden, um die geschützte Software zu kopieren und diesen Kopiervorgang zu verschleiern40, verlangt werden kann, weil ein Hauptanspruch besteht, der direkt die vorzulegenden Hilfsvorrichtungen zum Gegenstand hat. Zu demselben Ergebnis gelangt man aber auch, wenn man argumentiert, dass auch der obengenannte Hauptanspruch hinsichtlich der schutzrechtsverletzenden Sache in irgendeiner Weise von der Beschaffenheit des vorzulegenden Werkzeugs abhängt, denn der Hauptanspruch im Sinne des § 809 BGB muss nicht die vorzulegende Sache selbst zum Gegenstand haben, und die Besichtigung des Werkzeugs und seiner Beschaffenheit dient gerade dazu sich Gewissheit über das Vorliegen eines Hauptanspruchs aufgrund einer Schutzrechtsverletzung, vorgenommen mit Hilfe des Werkzeuges, zu verschaffen. b) Sache Nach § 809 BGB kann nur die Besichtigung von Sachen im Sinne § 90 BGB verlangt werden. Das heißt, nur körperliche Gegenstände, bewegliche oder unbewegliche, sind Gegenstand des Anspruchs41. Der Begriff der Sache in § 809 BGB umfasst aber nicht nur konkrete Einzelsachen, sondern fungiert zugleich als Sammelbezeichnung für alle gattungsgleichen Sachen oder für eine Sachgesamtheit. Dies entspricht dem Wortlaut und dient dem Zweck des § 809 BGB, nämlich aufzuklären, ob ein Verletzungsprozess in Bezug auf eine ganze Gattung von Sachen Erfolg verspricht, d. h. ob eine Gattung als solche ein Schutzrecht verletzt42. Besondere Schwierigkeiten im Hinblick auf die Qualifizierung eines Besichtigungsobjekts als Sache bestehen heute nicht mehr. Heftig umstritten war allerdings die Sachqualität von Software; dieser Streit wurde auch in der Literatur zu § 809 BGB referiert43. Teilweise wurde gegen eine entsprechende Einordnung vorgebracht, Computerprogramme liefen nicht mehr über fest zugeordnete, physische Datenträger, ließen sich jederzeit über nicht physische Datenträger an verschiedene Nutzer an verschiedenen Orten transferieren und seien somit von einer physischen Basis unabhängig44. Im Übrigen sei das Speichermedium austauschbar und im Vergleich zu den ge-

40 Lesshaft/Ulmer, Schutzwürdigkeit und Schutzfähigkeit, CR 1993, 607, 607, 609 zu diesen „Werkzeugsystemen zur Softwareerstellung“: Mit ihnen „ist es heute ohne größere Schwierigkeiten möglich, ein gegebenes originelles Programm, das nur im Maschinencode vorliegt, zunächst durch ein Dekompilierungs- und anschießend durch ein Restrukturierungswerkzeug zu schicken; schon erhält man mit geringem Aufwand ein Programmsystem, das bei gleicher Funktionalität eine neue Struktur hat. […] eine verkleidete Kopie.“. Zu § 809 BGB bzgl. dieser tools siehe Karger, Beweisermittlung, S. 72. 41 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 555; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 3; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 2; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 1. 42 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 555; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 2; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 16; BGH, GRUR 1985, S. 512, 514 – „Druckbalken“. 43 Markfort, Geistiges Eigentum, S. 166; sowie ausführlich Karger, Beweisermittlung, S. 67 – 70. 44 Müller-Hengstenberg, Computersoftware, NJW 1994, S. 3128, 3130.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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speicherten Daten ohne jeden Wert45. Die Software wird demgemäß als immaterielles Wirtschaftsgut, nämlich als Ergebnis einer im Wesentlichen geistigen Leistung begriffen46. Für die Sachqualität spricht jedoch, dass die Software nicht losgelöst von einem materiellen Speichermedium existieren kann – ein von der Verkörperung zu trennendes, immaterielles Computerprogramm als solches gibt es nicht47 – und die Verkörperung unabdingbare Voraussetzung der Programmnutzung ist48. Dies gilt auch dann, wenn die Software unkörperlich via Internet übertragen wird, denn auch hier ist die Zielsetzung die Verkörperung und der Ablauf auf einem materiellen Speichermedium49. Richtigerweise kommt es für die Beurteilung der Sacheigenschaft im Sinne § 809 BGB bei teleologischer Auslegung nur darauf an, ob die Software sinnlich wahrnehmbar gemacht werden kann, also vorgelegt und besichtigt werden kann50 – was der Fall ist. Ein abweichendes Ergebnis ist im Hinblick auf § 809 BGB nicht vertretbar. Der referierte Streit wurde im Übrigen eigentlich um die Frage des Vertragstyps bei Softwareüberlassungsverträgen – Kauf- oder Werkvertrag – geführt, wobei regelmäßig zwischen Individual- und Standardsoftware differenziert wurde51. Dabei wurde die Sacheigenschaft vor allem mit Blick auf das Ergebnis, nämlich den Vertragstyp, diskutiert. Richtigerweise ist dieser Streit daher bei § 809 BGB von geringer Relevanz. Die Einordnung von Software, respektive des Quellcodes, als Sache im Sinne § 809 BGB scheint mittlerweile so selbstverständlich zu sein, dass der Bundesgerichtshof diese Frage in seiner Entscheidung „Faxkarte“ nicht mehr erörtert52. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass ein Verfahren als solches keine Sache im Sinne des § 809 BGB darstellt. Bei Geltendmachung eines Besichtigungsanspruchs aufbauend auf Verfahrensansprüchen kann daher nicht schlechthin Offen45

Müller-Hengstenberg, Computersoftware, NJW 1994, S. 3128, 3131. Müller-Hengstenberg, Computersoftware, NJW 1994, S. 3128, 3129; Markfort, Geistiges Eigentum, S. 166. 47 Marly, Softwareüberlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, S. 57. 48 Marly, Softwareüberlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, S. 49; Markfort, Geistiges Eigentum, S. 166 – 167. 49 Marly, Softwareüberlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, S. 53; die Sachqualität von Standardsoftware bejahend auch: BGH, NJW 1993, S. 2436, 2437; BGHZ 102, S. 135, 144; BGHZ 109, S. 97, 100. 50 Karger, Beweisermittlung, S. 69. 51 BGHZ 102, 135, 139 – 144.; zur neuen Rechtslage nach der Schuldrechtsreform und dazu, dass sich durch die Reform und die veränderten Rechtsfolgen der Einordnung in den Vertragstyp auch der obige Streit um die Sachqualität und die grundsätzliche Differenzierung nach Individual- und Standardsoftware verändert, siehe Marly, Softwareüberlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, S. 21 – 45. 52 Ohne Problematisierung angenommen von BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“; so auch die Vorinstanz OLG Hamburg, ZUM 2001, S. 519, 523 – „Faxkarte“; sowie KG, CR 2001, S. 80, 82; auch in der Literatur ohne Kommentar: Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1668; Tilmann/Schreibauer, Anm. Faxkarte, GRUR 2002, S. 1015, 1015; BrandiDohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 836 ff.; Brandi-Dohrn., Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 68 ff. 46

60 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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legung des verwendeten Verfahrens verlangt werden. Als Sache vorzulegen sind allerdings die zur Ausübung des Verfahrens benutzten technischen Mittel und die körperlichen Verfahrensergebnisse53. c) „Sich-Gewissheit-Verschaffen-Wollen“ über das Bestehen des Hauptanspruchs (1) Allgemeines Von größerer praktischer Bedeutung als der Fall des Bestehens des Hauptanspruchs gem. § 809 1. Fall BGB ist der 2. Fall des § 809 BGB. Er zielt ausweislich seines Wortlauts auf die Beschaffung von Informationen über eine mögliche, aber noch ungewisse Verletzung. Aufgeworfen ist damit die Frage, wie konkret dieser ungewisse Hauptanspruch im Sinne § 809 2. Fall BGB sein muss, damit von einem „Sich-Gewissheit-Verschaffen“ über sein Bestehen gesprochen werden kann. Über den dazu gerade im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Hauptanspruchs wird bis heute diskutiert. Die Frage, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit der mutmaßlich verletzte Schutzrechtsinhaber für den Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB darzulegen hat, ist entscheidend für die im Rahmen dieser Arbeit zu beantwortende Fragestellung, ob dem Schutzrechtsinhaber effektive Instrumente zur Verfügung stehen, um sein strukturelles Informationsdefizit im Falle einer nur vermuteten Verletzung zu überwinden. Denn nur wenn die Voraussetzungen einer Einleitung der Informationsbeschaffung nach § 809, 2. Fall BGB von einem Schutzrechtsinhaber, der die Schutzrechtsverletzung anhand gewisser äußerer Anhaltspunkte bisher nur vermuten kann, typischerweise auch erfüllt werden können, stellt der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB ein geeignetes Hilfsmittel bei der für die Durchsetzung des Verletzungshauptanspruchs nötigen Substantiierung der Verletzungshandlung dar. Anerkannt ist im Hinblick auf § 809, 2.Fall BGB, dass der Zweck der Norm zumindest darin besteht, dem Anspruchsteller in der Phase der Prozessvorbereitung zu ermöglichen, sich vom Bestehen eines vermuteten, aber ungewissen Hauptanspruchs zu überzeugen, auch um einen unter Umständen aussichtlosen Prozess zu vermeiden. Für die darzulegende Wahrscheinlichkeit, also den oben erörterten Überzeugungsgrad54, bedeutet dies, dass von dem, der selbst im Ungewissen ist, jedenfalls nicht verlangt werden kann, das Bestehen des Hauptanspruchs zu beweisen. Andererseits ist eine zu großzügige Auslegung abzulehnen, die auf eine grundlose (!) Ausforschung hinausläuft. Denn mit § 809 2. Fall sollte sicher nicht ein allgemeiner Auskunftsanspruch hinsichtlich der Existenz und Beschaffenheit von Sachen eingeführt werden55. 53 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 555; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 903. 54 Vgl. oben unter Einleitung, B. I. 3. 55 Vgl. Saß, Beschaffung von Informationen, S. 33.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Einigkeit besteht somit jedenfalls darin, dass für § 809, 2. Fall BGB die Möglichkeit des Bestehens eines Hauptanspruchs ausreicht. Allerdings genügen nicht bloße Spekulationen, es muss bereits ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit der Existenz des Anspruchs vorliegen56. Aus der Formulierung „Gewissheit verschaffen“ wurde teilweise geschlossen, dass es sich dennoch um mehr als die Möglichkeit des Bestehens des Anspruchs handeln müsse, sonst hätte der Gesetzgeber Begriffe wie „sich unterrichten“ oder „Kenntnis erlangen“ gewählt57. Folglich müssten bei einem „Sich-Gewissheit-Verschaffen“ die übrigen Voraussetzungen des Hauptanspruchs so weit geklärt sein, dass nur noch die Besichtigung fehle, um den Streitfall abschließend zu beurteilen, das heißt, die Besichtigung dürfe nur dazu dienen, um letzte Klarheit zu bringen58. Insofern wird der bereits früh geäußerte Gedanke der Besichtigung als letztes Glied einer Beweiskette wieder aufgegriffen59. (2) „Druckbalken“-Verfahren: Erhebliche Wahrscheinlichkeit Allerdings betonte der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der grundlegenden „Druckbalken“-Entscheidung, dass ein Verständnis des § 809, 2. Fall BGB, nach dem der Anspruch demjenigen zustehe, der erst in Erfahrung bringen möchte, ob ihm ganz allgemein Ansprüche gegen andere „in Ansehung der Sache“ zustünden und der sich folglich durch eine Besichtigung erstmalig Unterlagen für eine Rechtsverfolgung verschaffen wolle, ausgeschlossen sei. Dieses Verständnis würde das zivilprozessuale Verbot des Ausforschungsbeweises außer Kraft setzen. Es gelte auch bei der Auslegung des § 809 BGB der prozessrechtliche Grundsatz, dass – trotz der prozessualen Wahrheitspflicht – niemand verpflichtet sei, „seinem Gegner die Waffen in die Hand zu geben“60. Ausforschungsverbot und „nemo tenetur“-Grundsatz führen somit zu hohen Anforderungen an den Tatsachenvortrag und erschweren dadurch eine Überwindung des aufgezeigten Informationsdefizits, wenn verletzungsbezogene Informationen ohnehin rar sind. Im Falle einer vermuteten Patentverletzung stellt der Bundesgerichtshof in der genannten „Druckbalken“-Entscheidung darüber hinausgehend noch strengere Anfor56

Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 7; Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 5; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 5; BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; als allg. Grundsatz bei Hilfsansprüchen anerkannt auch in BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 57 Dierschke, Vorlegung, S. 68; Pries, Anspruch auf Vorlegung, S. 43; vgl. dazu Saß, Beschaffung von Informationen, S. 35 f.; BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; zumindest insoweit zustimmend, dass eine „entfernte Möglichkeit“ nicht ausreichend ist BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 58 Vgl. BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; Benkard/Rogge, PatG, 9. Aufl. 1993, § 139 Rdn. 117; Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 5; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 7; Schulte, PatG, § 139 Rdn. 118. 59 Siehe dazu Saß, Beschaffung von Informationen, S. 36 unter Verweis auf das Bild der „Beweiskette“ von Dierschke, Vorlegung, S. 68. 60 BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 f. – „Druckbalken“; der zitierte Grundsatz entspricht dem „nemo tenetur“-Grundsatz und dem Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, „dem Gegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen…“.

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derungen als üblich. In Patentverletzungsfällen sieht das Gericht bei der bis dahin anerkannten Auslegung des § 809 BGB die Gefahr des Missbrauchs zu branchenweiter Ausspähung61. Gerade im Bereich des Patentrechts gelten Betriebsgeheimnisse bei Anwendung des § 809 BGB als besonders verletzlich62. Um dieser Besonderheit zu begegnen und schrankenlose Eingriffe in die Sphäre von Mitbewerbern zu verhindern, wandelt der Bundesgerichthof die oben erläuterten Grundsätze ab und fordert im Patentrecht nicht nur einen gewissen, sondern einen erheblichen Grad an Wahrscheinlichkeit, dass eine Schutzrechtsverletzung vorliegt63. Von den in der Einleitung erwähnten denkbaren Möglichkeiten des Schutzes entgegenstehender Interessen – strenge Voraussetzungen, Einschränkung der Rechtsfolgen oder Schutz durch Verfahren – wählt der Bundesgerichtshof also die Variante, strenge Anforderungen an die Einleitung der Maßnahme zu stellen. (3) Literaturstimmen Diese Verschärfung der Tatbestandsvoraussetzungen wurde in der Wissenschaft teilweise heftig kritisiert. Vorgebracht wurde zu Recht, die Befürchtungen des Bundesgerichtshofes beruhten auf Extrembeispielen, durch welche die mit der erhöhten Wahrscheinlichkeitsstufe bewirkte Schlechterstellung des Patentinhabers im Vergleich zu anderen Anspruchsgläubigern nicht zu rechtfertigen sei64. Die Forderung nach einer erheblichen Wahrscheinlichkeit betone einseitig die Interessen des Anspruchsgegners und sei weiter unter dem Gesichtspunkt der Beweismaßgleichheit bedenklich, da der Gläubiger die erhöhte Wahrscheinlichkeit beweisen muss, während der Besichtigungsschuldner sein Geheimhaltungsinteresse nur glaubhaft zu machen hat65. Teilweise habe der Bundesgerichtshof – entgegen den Instanzgerichten – in Urteilen zur Substantiierungspflicht bei Geschehnissen im Bereich der Gegenpartei ohnehin eine gänzlich andere Marschrichtung aufgezeigt. Im Einzelfall müsse hiernach der Kläger, wenn es sich bei einer darzulegenden Tatsache um eine Tatsache außerhalb seines Wahrnehmungsbereichs im Bereich des Beklagten handele, nicht alle näheren Umstände vortragen66. Ebenso müsse, wenn der Anspruchsteller Einzelumstände außerhalb seiner Sphäre und innerhalb der Sphäre des Gegners nicht sicher wisse und nicht wissen könne, nicht jeder diesbezügliche Beweisantrag auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufen. Unzulässig sei dies nur bei willkürlichen Be61

BGH, a.a.O., S. 516 – „Druckbalken“. Vgl. oben Einleitung, F. I., sowie beispielsweise Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 17 f. 63 BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“. 64 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 157; Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 159; kritisch auch Leppin, Anm. „Druckbalken“, Mitt. 1985, S. 212, 213. 65 Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 159; BGH, GRUR 1985, S. 512, 512; König., Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 59. 66 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158, mit Verweis auf BGH, VIII. Zivilsenat, NJWRR 1999, 360, 360. 62

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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hauptungen „ins Blaue hinein“ ohne jegliche tatsächliche Anhaltspunkte67. Diese teilweise höchstrichterliche Lockerung der strengen Substantiierungspflicht müsse erst recht dort gelten, wo der Gesetzgeber der Beweisnot des Klägers durch Einräumung eines materiellen Informationsrechts Rechnung getragen habe, denn das Besichtigungsverfahren nach § 809 BGB solle gerade einen bloßen Verdacht zur Gewissheit erstarken lassen. Die sicher gegebene Missbrauchsgefahr relativiere sich allein durch das erhebliche Kostenrisiko bei der Durchsetzung des § 809 BGB68. Noch grundsätzlichere Kritik macht sich fest an dem Argument des Verbots des Ausforschungsbeweises und dem daraus abgeleiteten Prinzip, dass niemand dem Gegner das zum Prozesssieg nötige Material verschaffen müsse. Im Anschluss an die Stürnersche Lehre vom Bestehen einer (allgemeinen) Aufklärungspflicht im Zivilprozessrecht wird argumentiert, eine solch strikte Ausprägung des Ausforschungsverbotes gebe es gar nicht, wie sich an der Existenz verschiedener eigenständiger zivilprozessualer Mitwirkungspflichten und -lasten der nicht-beweisbelasteten Partei zeige. Dieses Prinzip könne § 809 BGB folglich nicht beschränken. Denn wäre dieser Grundsatz zutreffend, wäre § 809 BGB eine wertlose Vorschrift, die ihrem anerkannten Sinn und Zweck nicht gerecht werden würde69. Teilweise wird auch vertreten, der hier zur Beschränkung herangezogene Grundsatz, dass „niemand verpflichtet sei, dem Gegner die Waffen in die Hand zu geben“, sei spätestens mit der Neufassung des § 142 ZPO „weitgehend außer Kraft gesetzt“70. Andere Stimmen in der Literatur nahmen die Aussagen der „Druckbalken“-Entscheidung zum erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit dagegen mit Zustimmung zur Kenntnis, da sich mangels eines Erfordernisses einer rechtlichen Sonderverbindung beim Besichtigungsanspruch hohe Anforderungen an die Plausibilität, d. h. an den Tatsachenvortrag, begründen ließen71. Anzumerken ist hierzu allerdings, dass beim Besichtigungsanspruch eine Sonderverbindung durchaus vorliegt. Diese besteht in einer Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung bzw. in einer Schutzrechtsverletzung, für die eine bestimmte Wahrscheinlichkeit spricht.

67 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158, mit Verweis auf BGH, III. Zivilsenat, NJWRR 1999, 361, 361; vgl. auch oben unter Einleitung B. I. 3. 68 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158. 69 Saß, Beschaffung von Informationen, S. 39 u. 43, unter Bezugnahme auf z. B.: § 138 I, II, IV ZPO Last zur Einlassung; §§ 445, 446, 448 ZPO Last zur Aussage; § 372a ZPO Duldung von Untersuchungen; § 141 ZPO persönliches Erscheinen; §§ 421, 423 ZPO Vorlage von Urkunden bei vorheriger Bezugnahme. 70 Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428. 71 Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101, vor Übertreibungen wird jedoch ausdrücklich gewarnt; Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 518; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1669; Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 836; Treichel, Sanktionen, S. 225 f., allerdings auch die Einführung von Fallgruppen für eine flexiblere Auslegung anregend und mit der Anmerkung, dass durch diese Auslegung die Interessen des Patentinhabers ins Hintertreffen geraten (S. 226).

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Teilweise wurde mit Blick auf die angeblich vergleichbare Interessenlage sogar angeregt, die verschärften Anforderungen an den darzulegenden Grad der Wahrscheinlichkeit auf den Bereich des Urheberrechts zu übertragen72. (4) Stellungnahme Selbst wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – mit dem Bundesgerichtshof am Ausforschungsverbot in dieser strengen Ausprägung festhält, ist die kritische Anmerkung richtig, dass sich ein materieller Anspruch auf Vorlage nicht mit Hinweis auf das prozessuale Ausforschungsverbot verneinen lässt, denn prozessrechtliche Beschränkungen müssen regelmäßig dort enden, wo das materielle Recht ausdrücklich einen weitergehenden Anspruch bereithält. Eine unzulässige Ausforschung kann nicht vorliegen, wenn ein materielles Recht auf Information besteht. Insoweit begrenzt nicht der prozessuale Grundsatz das materielle Recht, sondern umgekehrt73. Problematisch an der Festlegung in der „Druckbalken“-Entscheidung auf das Erfordernis einer „erheblichen Wahrscheinlichkeit“ ist jedenfalls, dass es Zweck des Besichtigungsanspruchs ist, sich Material für die spätere Durchsetzung des Hauptanspruchs zu beschaffen. Dieser Zweck wird vereitelt, wenn mit Blick auf prozessuale Grundsätze der Hilfsanspruch in aller Regel aufgrund zu hoher Anforderungen scheitern muss, weil ein Grad an Wahrscheinlichkeit gefordert wird, der oft erst das Ergebnis eines durchgeführten Besichtigungsverfahrens sein kann74. Das strukturelle Informationsdefizit bei einer vermuteten Schutzrechtsverletzung lässt sich auf diese Weise jedenfalls nicht überwinden. Bei eingehender Betrachtung zeigt sich manchem ohnehin ein gänzlich anderer Zusammenhang zwischen Ausforschungsverbot und materiellem Informationsbeschaffungsanspruch als in der „Druckbalken“-Entscheidung vertreten: Falls man das Ausforschungsverbot nämlich weniger mit dem Schutz der Sphäre des Gegners, als vielmehr mit dem Bestehen des Substantiierungsgebots begründe, ergebe sich ein „Zusammenhang“ zwischen „den Anforderungen an die Substantiierung“ und „dem Bedürfnis nach materiellrechtlichen Informationsansprüchen“75. Je nachgiebiger das Ausforschungsverbot, d. h. je größer die prozessuale Aufklärungspflicht des Gegners und je geringer damit die Substantiierungspflicht, desto weniger bedürfe es vorberei72

Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1669; in diesem Sinne offensichtlich auch Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 836. 73 Ebenso Saß, Beschaffung von Informationen, S. 43 f.; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 563, hält den Schluss von der Grenze einer prozessualen Aufklärungspflicht auf den Umfang und die „einengende Interpretation bestehender materieller Ansprüche“ für „keineswegs zwingend“; im Übrigen lautet der angeführte Grundsatz vollständig: Niemand ist verpflichtet, dem Prozessgegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, es sei denn, man ist durch das materielle Recht (!) dazu verpflichtet. 74 Vgl. auch König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 39. 75 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 564.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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tender materieller Informationsansprüche zur Substantiierung der Klage. Der Bedarf an vorprozessualer Information durch materielle Ansprüche sei jedoch umso größer, je geringer die prozessuale Aufklärungspflicht und je strenger das Ausforschungsverbot76. Wenn man folglich, wie in der „Druckbalken“-Entscheidung geschehen, das Ausforschungsverbot während des Prozesses betont, müsste der Bundesgerichtshof dieser grundsätzlichen These zur Informationswirtschaft folgend bei der Zuerkennung vorbereitender materieller Ansprüche großzügiger sein, um die gewünschte Substantiierung im Hauptverfahren durch den Anspruchsteller überhaupt erst zu ermöglichen. (5) Entscheidung „Faxkarte“: Gewisse Wahrscheinlichkeit und Interessenabwägung In der damals mit großer Spannung erwarteten77 Entscheidung „Faxkarte“78 hat der I. Senat des Bundesgerichtshofs zumindest für das Urheber- und Wettbewerbsrecht einige überfällige Änderungen an den durch die „Druckbalken“-Entscheidung aufgestellten Auslegungsgrundsätzen vorgenommen, und damit insgesamt eine praxisgerechtere Anwendung des § 809 BGB ermöglicht. In diesem Zusammenhang befasst sich der Senat auch mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit. (a) Gewisse Wahrscheinlichkeit Das Gericht lehnt eine Übertragung des starren Erfordernisses79 der erheblichen Wahrscheinlichkeit auf das Urheber- und Wettbewerbsrecht ab. Statt dessen müsse als Grundregel „stets“ ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit80 vorliegen, ein erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit könne aber gerade „nicht durchweg verlangt werden“. Darüber hinaus stelle der Grad der Wahrscheinlichkeit nur einen der im Rahmen einer umfassenden Abwägung der gegenläufigen Interessen zu berücksichtigenden Punkte dar81. Nach dem Bundesgerichtshof dürften in Bezug auf das Vorliegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, da nach dem Wortlaut des § 809 2. Fall BGB der Hilfsanspruch auch dann bestehen solle, wenn eine Rechtsverletzung gerade ungewiss sei. Zu Recht argumentiert der Senat, auch der – „ohnehin durch prozessuale Darlegungspflichten eingeschränkte“ – Grundsatz, dass niemand verpflichtet sei, seinem Gegner die Waffen in die Hand zu geben, stehe dem einer großzügigeren Auslegung des Besichtigungsanspruches nicht entgegen, denn zivilprozessuale Regeln besagten nichts dar-

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Stürner, Aufklärungspflicht, S. 260; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 564. König, Anm. „Faxkarte“, Mitt. 2002, S. 457, 457. 78 BGH, Urteil vom 2. 5. 2002, GRUR 2002, S. 1046, 1046 ff. – „Faxkarte“. 79 Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1016. 80 Einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit für ausreichend erachtend bereits KG, Urt. v. 11. 8. 2000, CR 2001, S. 80, 80, 82; = ZUM 2001, S. 67, 69; = NJW 2001, S. 233 ff. 81 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046, 1048 f. – „Faxkarte“. 77

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

über, ob und in welchem Umfang das materielle Recht Auskunftsansprüche und andere Hilfsansprüche kenne82. Besonders weitreichend ist die folgende Argumentation des Bundesgerichtshofes: Für seine Auslegung des § 809 2. Fall BGB führt der Senat Art. 43 Abs. 1 TRIPsÜbereinkommen83 an, wonach die Gerichte befugt sind, dem Gegner einer sich in Beweisnot befindlichen Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel vorgelegt hat, die Vorlage von Beweismittel aufzuerlegen, die sich in der Verfügungsgewalt dieses Gegners befinden. Nach Art. 50 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 TRIPs sind hierzu auch einstweilige Maßnahmen vorzusehen. Nicht zuletzt fordert Art. 41 Abs. 1 und 2 TRIPs im Sinne eines allgemeinen Wirksamkeitserfordernisses die Einführung wirksamer, nicht unnötig komplizierter oder kostspieliger Mittel zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, welche keine ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen84. Unabhängig von der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Vorschriften ist es nach dem Bundesgerichtshof entscheidend, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Ratifizierung des TRIPs-Übereinkommens von einer vollen Übereinstimmung des deutschen Rechts, also hier des einschlägigen § 809 BGB, mit den Anforderungen des TRIPs-Übereinkommens ausgegangen sei. Aus diesem Grund sei § 809 BGB in einer Weise auszulegen, die es ermögliche, dass mit seiner Hilfe den Anforderungen des Übereinkommens entsprochen werden könne85. In der Tat wurde bis zur Entscheidung „Faxkarte“ diese TRIPs-konforme Auslegung des § 809 BGB lange diskutiert, um einerseits die – zumindest auf Grundlage der Entscheidung „Druckbalken“ – bestrittene TRIPs-Konformität des deutschen Rechts endlich herzustellen und um andererseits einen Hebel für eine effektivere Auslegung des § 809 BGB zu erhalten: Das TRIPs-Übereinkommen wurde mit dem Zustimmungsgesetz86 und der Ratifikation Teil des deutschen Rechts im Rang eines einfachen Bundesgesetzes87. Dem aus Art. 1 Abs. 1 TRIPs i.V.m. dem Zustimmungsgesetz folgenden innerstaatlichen 82 BGH, a.a.O., S. 1048, mit Verweis auf BGH, NJW 1990, S. 3151, 3151 – „allg. Aufklärungspflicht“, wonach es eine Frage des materiellen Rechts sei, ob eine Partei gegen eine andere Ansprüche auf Erteilung von Auskünften, Rechnungslegung oder Herausgabe von Unterlagen usw. habe; dem folgend LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 26. 5. 2004, CR 2004, S. 890, 892. 83 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, BGBl. II 1994, S. 1565 (englisch), 1730 (deutsch). 84 Siehe dazu Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 210 f., 218 Fn. 104. 85 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“, mit Verweis auf BT-Dr. 12/7655 [neu], S. 347. Das Gericht bemerkt dabei zu Recht, dass der die Rechtsdurchsetzung vorbereitende Anspruch aus § 809 2. Fall BGB im deutschen Recht Funktionen erfüllt, die in anderen Rechtsordnungen durch entsprechende prozessuale Rechtsinstitute erfüllt werden. 86 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation und zur Änderung anderer Gesetze, vom 30. August 1994, BGBl. II 1994, S. 1438 ff. 87 Jarass/Pieroth, GG, Art. 59 Rdn 17, 19; BVerfGE 90, S. 286, 364; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670; Karg, Interferenz der ZPO durch TRIPS, ZUM 2000, S. 934, 934; BGH, GRUR 1999, S. 1953, 1958 – „Kopienversanddienst“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Anwendungsbefehl88 kann entweder durch Änderung der nationalen Gesetze, durch mittelbare Anwendung des TRIPs-Übereinkommens in Form einer TRIPs-konformen Auslegung des bestehenden nationalen Rechts oder durch unmittelbare Anwendung89 der TRIPs-Normen Genüge getan werden90. Die Bundesregierung vertrat in ihrem Entwurf zum Zustimmungsgesetz die Auffassung, dass keine Änderung deutscher Gesetze notwendig sei, da die bestehenden Regelungen, also auch § 809 BGB, mit dem TRIPs-Übereinkommen „voll in Einklang“ stünden91. Dem folgte der Bundestag durch Verabschiedung des Gesetzes ohne Änderung bestehender Gesetze. Obwohl diese Auffassung zweifelhaft ist oder zumindest war92, ist sie als Willensäußerung des Gesetzgebers bei der Auslegung des § 809 BGB von Bedeutung. Wenn der Gesetzgeber in Bezug auf eine bestimmte Norm von einer Änderung dieser Norm absieht, weil er in der dafür gegebenen Begründung ausdrücklich von einer Übereinstimmung dieser Norm mit dem TRIPsÜbereinkommen – also TRIPs-Konformität – ausgeht, so ist dieses Motiv für das Absehen von einer Änderung bei der künftigen Auslegung der Norm genauso zu beachten wie die ursprüngliche Gesetzesbegründung oder wie es die Begründung für eine Änderung der Norm gewesen wäre. Folglich besteht ein zu beachtender gesetzgeberischer Wille zur TRIPs-konformen Auslegung93. 88

BVerfGE 90, S. 286, 364. Die generelle unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPs-Normen ist umstritten: Bejahend z. B.: Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 785; Katzenberger, TRIPS und Urheberrecht, GRUR Int. 1995, S. 447, 459; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 914 f., 926; BGH, NJW 1999, S. 1953, 1958 – „Kopienversand“: hinsichtlich Art. 9 und 13 TRIPs; verneinend z. B.: Dreier, TRIPS, GRUR Int. 1996, S. 205, 215. 90 Karg, Interferenz der ZPO durch TRIPS, ZUM 2000, S. 934, 934; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 911; zu weiteren Möglichkeiten des Einflusses des TRIPs-Übereinkommens auf das deutsche Recht über die EU und zum Problem der Umsetzungskompetenz angesichts der doppelten Verpflichtung der BRD als Vertragspartner und als Mitglied des Vertragspartners EU vgl. Tilmann/Schreibauer, a.a.O., S. 911, 913 f.; Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 777 ff.; Dreier, TRIPS, GRUR Int. 1996, S. 205, 214 f. 91 Eingefügt in die Begründung des Zustimmungsgesetzes: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Denkschrift, BT-Dr. 12/7655 [neu], S. 347. 92 Auf Grundlage der Auslegung in der „Druckbalken“-Entscheidung wurde die Übereinstimmung des Besichtigungsverfahrens nach § 809 BGB mit den Anforderungen des TRIPsÜbereinkommens in der Literatur bestritten. Vertreten wurde aber auch, dass eine extensivere Auslegung und eine Anwendung im Wege der einstweiligen Verfügung diesen Anforderungen u. U. entsprechen könnte, vgl. Dreier, TRIPS, GRUR Int. 1996, S. 205, 216, 217, 218; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1672; Karg, Interferenz der ZPO durch TRIPS, ZUM 2000, S. 934, 934 f., 944 f.; Patnaik, effektive Mittel?, GRUR 2004, S. 191, 194. Die geforderte TRIPs-konforme Interpretation könnte nun – zumindest für das Urheber- und Wettbewerbsrecht – durch die Entscheidung „Faxkarte“ erfolgt sein. 93 Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 913; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 156; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670 f.; Tilmann/ Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1017 f.; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 421 mit Verweis auf den „Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts“. 89

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

TRIPs-Konformität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass im Sinne der Art. 41 Abs. 1 und 2, Art. 43 Abs. 1, Art. 50 Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 TRIPs schnelle und wirksame Mittel zur Beweissicherung zur Verfügung gestellt werden, die keine zu strengen tatbestandlichen Anforderungen kennen und großzügigere Möglichkeiten der Besichtigung eröffnen als dies in der Entscheidung „Druckbalken“ zugelassen wurde. Nach der „Druckbalken“-Entscheidung setzt § 809 2. Fall BGB eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung voraus, während Art. 43 Abs. 1 TRIPs lediglich die Vorlage aller vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung des Hauptanspruchs fordert. Eine TRIPs-konforme Auslegung wäre daher eine extensivere Auslegung des § 809 BGB bei gleichzeitiger Geltendmachung im Wege der einstweiligen Verfügung94. Aus den genannten Aspekten folgert der Bundesgerichtshof richtigerweise, dass als Grundregel eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung erforderlich, aber auch ausreichend ist. Er erkennt jedoch an, dass wegen eines besonderen Geheimhaltungsinteresses in Patentverletzungsfällen eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung nötig sein „kann“95, wobei er allerdings mit der Formulierung „kann“ die generelle Regel der „Druckbalken“-Entscheidung entkräftet. Das starre Erfordernis wird dadurch zu einer Frage des Einzelfalls uminterpretiert96. Gleichzeitig wird eine Übertragung der strengen Anforderungen auf Fälle der Verletzung anderer Schutzrechte abgelehnt, da § 809 BGB auf einer umfassenden Abwägung widerstreitender Interessen beruhe, die in jedem Einzelfall beachtlich sei97. (b) Interessenabwägung Der Blick auf diese Interessenabwägung bestimmt die im Einzelfall zu fordernden Voraussetzungen für die Einleitung der Besichtigungsmaßnahme. Statt „durchweg“ gesteigerte Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zu stellen, findet vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände statt. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung ist der Grad der Wahrscheinlichkeit nur einer der bei der Einleitung der Maßnahme zu berücksichtigenden Punkte. Weitere Gesichtspunkte, die als flexible Voraussetzungen in diese Abwägung einzubeziehen sind, sind die Fragen, ob dem Gläubiger „noch andere zumutbare Möglichkeiten“ zur Verfügung stehen, „die Rechtsverletzung zu beweisen“ und ob eine Besichtigung „notwendig berechtigte Geheimhaltungsinteressen beeinträchtigt“ oder „ob diese Beeinträchtigungen“ durch eine besondere Ausgestaltung des Verfahrens – z. B. „durch Einschaltung eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten“ – „weit gehend ausgeräumt werden können“98. Sollte der Gläu94 Dreier, TRIPS, GRUR Int. 1996, S. 205, 217, Fn. 99, 218; Karg, Interferenz der ZPO durch TRIPS, ZUM 2000, S. 934, 944 f.; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, in FS Erdmann, S. 901, 917; Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428: TRIPs als „Quelle moderner Rechtsentwicklung“. 95 Vgl. BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 96 Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018. 97 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 f. – „Faxkarte“. 98 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 f. – „Faxkarte“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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biger z. B. mangels anderer Beweismittel auf eine Besichtigung angewiesen sein und können Geheimhaltungsinteressen durch Ausgestaltung des Verfahrens gewahrt werden, „kann nicht generell ein erheblicher Grad der Wahrscheinlichkeit verlangt werden“99. In der Regel ist nach dem Bundesgerichtshof folglich im Rahmen einer Interessenabwägung ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit ausreichend. Im Einzelfall ist es jedoch nach wie vor denkbar, dass unter Umständen mit Blick auf die entscheidende Interessenabwägung ein erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit erforderlich ist. (6) Stellungnahme (a) Übertragbarkeit der Entscheidung „Faxkarte“ Die Frage der Übertragung der aufgestellten Grundsätze auf das Patentrecht lässt der Bundesgerichtshof bewusst offen100. Durch die gesamte Darstellung der Urteilsgründe ziehen sich jedoch Zweifel an den Feststellungen des X. Senats in der „Druckbalken“-Entscheidung und der I. Senat deutet mit Formulierungen wie „ungeachtet der Frage, ob an ihnen festzuhalten ist“101 oder „es kann […] offen bleiben, ob eine solche […] Betrachtungsweise auch für Fälle einer zu beweisenden Patentverletzung angezeigt wäre“102 an, dass er eine Übertragung der Grundsätze zumindest erwägt. Von einer Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen gem. § 132 Abs. 2 GVG sieht er aber, wegen der sich gegenüberstehenden Rechtsgebiete, Patentrecht einerseits und Urheber- und Wettbewerbsrecht andererseits, ab. Nichtsdestotrotz betont der I. Senat allerdings, dass „die zwischen den Schutzrechten bestehenden Unterschiede keine unterschiedlichen Anforderungen an die Voraussetzungen des Besichtigungsanspruchs“ nahe legten103. Ferner habe der X. Zivilsenat jedoch auf Anfrage mitgeteilt, dass er „auch im Hinblick auf eine mögliche Verallgemeinerung der hier aufgestellten Grundsätze“ eine Anrufung des Großen Senats nicht für notwendig halte104. Der I. Senat agiert hier sehr vorsichtig: Er räumt Unterschiede ein, betont aber die Vergleichbarkeit, die keine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt, und verweist auf eine Stellungnahme des X. Senats, die ein gewisses Einverständnis in Bezug auf eine mögliche Übertragung der Grundsätze ausdrückt. In der Tat lässt sich aus dieser Stellungnahme des X. Senats unter Umständen schließen, dass der X. Senat 99 Vgl. BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 und insbes. 1049 – „Faxkarte“; im Anschluss an BGH-„Faxkarte“ ebenfalls nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit fordernd LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 26. 5. 2004, CR 2004, S. 890, 891. 100 Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020; Dittmer, Kurzkom. „Faxkarte“, EWiR 2002, § 809 BGB, S. 903, 904. 101 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 102 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 103 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 104 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; vgl auch Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117a.

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wohl keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Verallgemeinerung, d. h. eine Übertragung, der Grundsätze hat. Gleichwohl hätte der X. Senat auf Anfrage mitteilen können, dass er an seiner „Druckbalken“-Rechtsprechung so nicht festhält105. Dies hat er jedoch – zumindest ausdrücklich – nicht getan. Nach der aufgezeigten Kritik an der „Druckbalken“-Entscheidung wäre eine Übertragung des Konzepts der einzelfallbezogenen Abwägung auf das Patentrecht wünschenswert. Nach den Ausführungen der Senate ist dies auch wahrscheinlich106; teilweise wird offensichtlich schon von einer Übertragung auf das Patentrecht ausgegangen107. Eine Antwort auf diese Frage bleiben die Senate letztlich aber schuldig. Die Auswirkungen auf das Patentrecht lassen sich daher nicht mit Gewissheit vorhersagen, insbesondere, da in einer Entscheidung des OLG Düsseldorf die Frage der Übertragbarkeit der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ auf die Verletzung technischer Schutzrechte ebenfalls bewußt offen gelassen wurde108. Abschließend ist hier festzuhalten, dass im Patentrecht bis zu einer Klärung durch die Gerichte nach wie vor von dem Erfordernis der erheblichen Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, während im Urheberrecht und hinsichtlich der übrigen Schutzrechte als Grundregel das Konzept der gewissen Wahrscheinlichkeit kombiniert mit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung gilt. (b) Bewertung Nach der Konzeption der Entscheidung „Faxkarte“ ist der Grad der Wahrscheinlichkeit jedenfalls keine mühsam zu überspringende Hürde mehr, sondern – sofern ein Mindestmaß erreicht scheint – ein variabler Faktor im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Informations- und Geheimhaltungsinteressen. Ein gewisses Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit, kombiniert mit einer umfassenden Abwägung aller Umstände, ersetzt insoweit das starre Erfordernis einer erheblichen Wahrscheinlichkeit. Wie diese Interessenabwägung als Tatbestandsvoraussetzung im Detail zu erfolgen hat, wird noch bei der Erörterung des modifizierenden Einflusses des § 242 BGB auf den Besichtigungsanspruch zu überlegen sein.

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Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020. Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020: „Wahrscheinlichkeit“; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 60, 67 f., 37, Fn. 147: „Anlass zur Vermutung“, „andererseits keine ausdrückliche Aufgabe der „Druckbalken“-Rechtsprechung“; Dittmer, Kurzkom. „Faxkarte“, EWiR 2002, § 809 BGB, S. 903, 904: „deuten jedoch an“; König, Anm. „Faxkarte“, Mitt. 2002, S. 457, 458: „vorsichtige Worte, die […] mehr als nur erahnen lassen, wohin die Reise geht“; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 13. 107 So Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117a; wohl auch Kühnen/Geschke, Durchsetzung von Patenten, 2. Aufl., Rdn. 98, die für das Patentrecht die Entscheidung „Faxkarte“ und die Interessenabwägung ohne Einschränkung als geltende Rechtsprechung darstellen. 108 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 1. 2003, GRUR-RR 2003, S. 327, 327 – „Raumkühlgerät“. 106

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Bereits hier lässt sich aber festhalten, dass sich für den Schutzrechtsinhaber, der aufgrund bestimmter Anhaltspunkte die Verletzung bisher nur vermuten kann, aus der Entscheidung „Faxkarte“ zumindest eine Verbesserung der praktischen Verwendbarkeit des Besichtigungsverfahrens zum Ausgleich des Informationsgefälles ergibt. Zuvor war er in seiner spezifischen Informations-Situation regelmäßig entweder an dem Erfordernis der Darlegung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit gescheitert oder hat – falls er aus irgendwelchen Quellen unverhofft zusätzliche Informationen erlangen konnte – gleich versucht, eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung zu erwirken. Denn der Unterschied zwischen der strengen Anforderung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit und einer Glaubhaftmachung der Schutzrechtsverletzung ist nicht mehr so gewaltig, als dass er mit bestimmten Zusatzinformationen nicht sofort versuchen könnte, den Hauptanspruch durchzusetzen. Insofern war das Besichtigungsverfahren von geringem praktischem Nutzen. Mit der Entscheidung „Faxkarte“ wird nun richtigerweise erstmals umfassend der Interessenlage, speziell dem Informationsdefizit, Beachtung geschenkt. Wenn es der Senat als einen wesentlichen Punkt der als Zugangsvoraussetzung betrachteten Abwägung ansieht, ob der Gläubiger „noch andere zumutbare Möglichkeiten“109 der Informationsbeschaffung hat oder eben nicht, dann erkennt er ausdrücklich an, dass der Schutzrechtsinhaber bei der Durchsetzung seines Anspruchs auf die Mitwirkung des Gegners bzw. die Duldung des Gegners von Beweisbeschaffungsmaßnahmen angewiesen sein kann. Die Erkenntnis, dass dieses Angewiesensein dann auch Auswirkungen auf die Voraussetzungen einer Beweisbeschaffungsmaßnahme bzw. den Grad der Substantiierung und Wahrscheinlichmachung des erforderlichen Vortrags des Schutzrechtsinhabers haben muss, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Fraglich bleibt aber, ob die Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag bereits in einem ausreichenden Maß erfolgt ist, um dem Schutzrechtsinhaber in jedem Fall eines berechtigten Informationsinteresses wirksam zu unterstützen. Wegweisend – auch für das Verständnis von Art. 7 Durchsetzungs-Richtlinie – ist aber die Feststellung des Senats, dass eine Besichtigung nicht notwendigerweise entgegenstehende Interessen beeinträchtigen muss und dass diese Interessen – statt den Zugang zu der Maßnahme durch überzogene Anforderungen an den Tatsachenvortrag zu verhindern – absolut gleichwertig auch durch die Ausgestaltung des Verfahrens geschützt werden können. Bemerkenswert ist dabei, dass es der Senat in der Situation des Informationsdefizits und bei der Kollision von Besichtigungsinteresse und Geheimhaltungsinteresse ausreichen lässt, dass durch Verfahrensgestaltung die mögliche Beeinträchtigung von Geheimhaltungsinteressen lediglich „weit gehend ausgeräumt“ wird110. Die Gewährleistung absoluten Geheimhaltungsschutzes wird somit nicht mehr gefordert. Insofern wird das Bestehen von Geheimhaltungsinteressen auch nicht mehr als automa-

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BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

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tischer Ausschlussgrund für eine effektive Besichtigung betrachtet. Das Besichtigungsinteresse wird gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse deutlich aufgewertet. Gleichzeitig lässt sich aus den Ausführungen zum verfahrensmäßigen Interessenschutz der Grundsatz ableiten, dass je besser der Geheimnisschutz ausgestaltet ist – so dass der Schutzrechtsinhaber keine Einsicht in sensible Informationen erhält, solange die Schutzrechtsverletzung im späteren Verfahren nicht definitiv festgestellt wurde –, desto geringer können die Anforderungen an den anfänglichen Tatsachenvortrag sein, mit deren Hilfe schon ein bestimmter Überzeugungsgrad im Hinblick auf das Bestehen der Schutzrechtsverletzung – also eine Pflichtigkeit erzeugende Sonderverbindung – begründet werden soll. Aufgrund dieser richtigen Ansätze sollte bereits nach dem bisher geltenden deutschen Recht auch im Patentrecht wenigstens ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit ausreichend sein. Wenn die berechtigten Geheimhaltungsinteressen sowohl durch die Ausgestaltung des Besichtigungsverfahrens als auch durch die Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung gewahrt werden können, ist eine mehrfache Sicherung des Geheimhaltungsinteresses durch strengste Tatbestandsvoraussetzungen nicht erforderlich111. Bereits das Erfordernis einer gewissen Wahrscheinlichkeit zeigt eine bestimmte Sonderverbindung zwischen den Parteien an und kann die Einleitung der Maßnahme aufgrund haltloser Behauptungen verhindern112. 2. Anspruchsgegner Der Anspruch auf Vorlegung zur bzw. Gestattung der Besichtigung richtet sich – unabhängig von der Eigentumslage – gegen den unmittelbaren Besitzer der Sache. Überwiegend wird vertreten, dass Anspruchsgegner auch der mittelbare Besitzer sein kann, wenn dieser aufgrund des Besitzmittlungsverhältnisses die Sache vom unmittelbaren Besitzer jederzeit herausverlangen kann. Der Anspruchsinhaber kann dann vom mittelbaren Besitzer die Abtretung des Anspruchs aus dem Besitzmittlungsverhältnis gegen den unmittelbaren Besitzer verlangen113.

111 Vgl. auch König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158; Karg, Interferenz der ZPO durch TRIPS, ZUM 2000, S. 934, 944; Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 159. 112 Die Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen aufgrund von bloßen Spekulationen oder haltlosen Behauptungen ohne gewisse Tatsachengrundlage wird im weiteren Verlauf der Arbeit auch nach der hier vertretenen Auffassung abgelehnt. 113 Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 8, 10; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 10; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 8. Da der Vorlegungs- und Besichtigungsanspruch als solcher nicht abtretbar sei, wird teilweise vertreten, dass von dem mittelbaren Besitzer, der seinerseits einen Anspruch aus § 809 BGB gegen den unmittelbaren Besitzer habe, die Abtretung dieses Anspruchs nicht verlangt werden könne (vgl. Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 11) sondern nur Vorlegung oder Gestattung. Da der mittelbare Besitzer nur das schuldet, was er selbst vornehmen kann, ist es dagegen richtig, dass er nicht selbst Vorlegung oder Gestattung schuldet, sondern nur Abtretung seiner Ansprüche aus § 809 BGB oder dem Besitzmittlungsverhältnis (vgl. Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 10). Im Falle von Mitbesitz ist jeder Mitbesitzer zur Vorlegung oder Gestattung ver-

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Zutreffend ist weiter, dass der Vorlegungsgegner immer zugleich auch Schuldner des vermeintlichen Hauptanspruchs sein muss114. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 809 BGB, nach dem der Anspruchsteller vom Besitzer einer Sache die Besichtigung derselben verlangen kann, wenn er gegen den Besitzer einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich darüber Gewissheit verschaffen will. 3. Informationsinteresse Erforderlich für das Bestehen eines Anspruchs nach § 809 BGB ist weiterhin ein schutzwürdiges Interesse an der Vorlegung und Besichtigung. Nach dem Wortlaut des § 809 BGB muss dieses Informationsinteresse eine Beziehung zum Hauptanspruch aufweisen und seinen Grund gerade im Bestehen oder dem „Sich-Gewissheit-Verschaffen-Wollen“ über das Bestehen des Hauptanspruchs haben. Die Vorlegung muss für die Prüfung des Hauptanspruchs von Bedeutung sein. Im Gegensatz zu den Voraussetzungen des Anspruchs nach § 810 BGB braucht das Interesse nach § 809 BGB kein rechtliches Interesse zu sein. Nötig ist aber ein besonderes und ernstliches Interesse des Anspruchstellers an der Besichtigung115. Ein schutzwürdiges Besichtigungsinteresse des Anspruchstellers besteht jedenfalls dann nicht, wenn er lediglich in Erfahrung bringen möchte, ob ihm ganz allgemein Ansprüche gegen andere zustehen und er sich erst – im Sinne von erstmalig – die Unterlagen für seine Rechtsverfolgung verschaffen will116. Sollte der Anspruchsteller sich die Informationen selbst (ohne Probleme) in zumutbarer Weise aus anderen Quellen besorgen können – z. B. durch Testkäufe oder bei Erwerbern einer gleichen Sache –, liegt ebenfalls kein Informationsinteresse vor117. Teilweise wird daher von

pflichtet, denn es handelt sich um eine unteilbare Leistung (vgl. Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 11). 114 Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 5; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 80 f., unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte und den Charakter des § 809 BGB als Hilfsanspruch zu einem Hauptanspruch. 115 Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 8; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 6; a.A. Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 6: „näher spezifiziertes rechtliches Interesse“ wegen der Formulierung „aus diesem Grund“; a.A. auch Saß, Beschaffung von Informationen, S. 51: ein rechtliches Interesse, aber kein ernstliches Interesse sei nötig. 116 BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 – „Druckbalken“: Das Verbot des Ausforschungsbeweises stehe entgegen; Karger, Beweisermittlung, S. 72, 73. 117 BGH, GRUR 1985, S. 512, 518 – „Druckbalken“; BGH, GRUR 1046, 1048 – „Faxkarte“: der Senat spricht von „zumutbare[n] andere[n] Möglichkeiten“; Stürner/Stadler, Anm. zu „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101; Stauder, Anm. zu „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 519: formuliert „unschwer an anderer Stelle“; Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 837: formuliert „schon andere Beweismittel für Verletzungstatbestand“. Ebenso Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 8; Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 6; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 6; Markfort, Geistiges Eigentum, S. 168; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1669.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

der Subsidiarität präparatorischer Information – hier des Besichtigungsanspruchs – gesprochen118. Die Grenze zumutbarer eigener Bemühungen wird dabei von Einigen erst bei unlauterer Bespitzelung, Betriebsspionage oder unverhältnismäßig hohen Kosten des Testkaufs gezogen119. Dagegen wird eingewandt, Sinn des Erfordernisses eines Informationsinteresses sei nur, dem Anspruchsteller nicht jede eigene Anstrengung abzunehmen. Nicht zumutbar sei es aber, bis an die Grenze des Illegalen zu gehen oder unbegrenzt hohe Summen auszugeben, denn durch überzogene Anforderungen würde der gesetzliche Anspruch aus § 809 BGB entwertet120. Auszugehen ist letztlich von der Interessenabwägung, auf der § 809 BGB beruht. Richtigerweise sollte daher auch die Antwort auf die Frage, welche Anforderungen im Einzelnen an das Vorliegen eines Informationsinteresses gestellt werden, das Ergebnis einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls sein121. Wenn der Anspruchsteller auf die Besichtigung angewiesen ist, weil auf andere Weise ein Beweis nur schwer oder gar nicht erbracht werden kann, besteht deshalb ein beachtenswertes Informationsinteresse122. Daher besteht auch dann ein schutzwürdiges Informationsinteresse, wenn – wie im hier zu untersuchenden Fall – der Schutzrechtsinhaber aufgrund eines strukturell begründeten Informationsdefizits die Verletzung ohne die Mitwirkung des Gegners nur vermuten kann. Im erwähnten Beispiel des Urheberrechtsverletzungsprozesses hinsichtlich geschützter Software ist der Vergleich der beiden Quellcodes der streitgegenständlichen Programme erforderlich, um eine Verletzung der geschützten Software nachzuweisen. Da aber der mutmaßlich verletzende Quellcode vom mutmaßlichen Verletzer in seiner Sphäre aufbewahrt wird, und wie oben dargelegt, auch nicht auf andere legale Weise beschafft werden kann, ist der Schutzrechtsinhaber auf eine Maßnahme nach § 809 BGB angewiesen123. Ebenso liegt ein Informationsinteresse vor bei dem angeführten Beispiel einer vermuteten Verletzung eines Verfahrenspa-

118 Stürner/Stadler, Anm. zu „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101; Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 22. 119 So etwa Stürner/Stadler, Anm. zu „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101. 120 Karger, Beweisermittlung, S. 74; ebenso Saß, Beschaffung von Informationen, S. 53. 121 In diese Richtung BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048, 1049 – „Faxkarte“. 122 Vgl. BGH, GRUR 2002, S. 1048, 1049 – „Faxkarte“. 123 BGH, GRUR 2002, S. 1048, 1049 – „Faxkarte“: Der BGH bejaht nicht nur das Informationsinteresse, sondern kommt nach der einzelfallbezogenen Interessenabwägung auch dazu, dass der Quellcode offenzulegen ist, „da der Kläger auf den Quellcode angewiesen ist, um sich Kenntnis zu verschaffen, ob und […] in welchem Umfang […] Rechte verletzt worden sind.“; anders noch OLG Hamburg, ZUM 2001, S. 519, 523 – „Vorinstanz Faxkarte“; wie der BGH schon Dreier, Verletzung, GRUR 1993, S. 781, 790: um den Anspruch nach § 809 BGB bei Computerprogrammen nicht völlig leer laufen zu lassen, sei das besondere Informationsinteresse bei der Abwägung der Interessen zu berücksichtigen; so auch Karger, Beweisermittlung, S. 74 f.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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tents124, wenn die Verwendung des Verfahrens auf dem Betriebsgelände des mutmaßlichen Verletzers stattfindet und sich aus dem auf dem Markt befindlichen Erzeugnis weder eine Schutzrechtsverletzung hinreichend konkret ergibt, noch der Fall einer Beweislastumkehr vorliegt. 4. Der modifizierende Einfluss des § 242 BGB: Einzelfallbezogene Interessenabwägung Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB ist, wie bereits angedeutet, Ergebnis einer Interessenabwägung. Schon die Gesetzgebungsgeschichte macht deutlich, dass dem Gläubiger einerseits ein Mittel zur Beweisbeschaffung zur Verfügung stehen soll, wenn ansonsten der Beweis der Rechtsverletzung schwer oder gar nicht zu führen ist, und andererseits Einblicke in die private oder gewerbliche Sphäre des Schuldners über das berechtigte Interesse des Gläubigers hinaus verhindert werden sollen125. Wichtig und oft verkannt ist, dass bereits die Regelung des § 809 BGB als solche versucht, diesen Interessenkonflikt adäquat zu lösen126. Dennoch steht § 809 BGB – wie alle schuldrechtlichen Ansprüche – darüber hinaus gehend unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, § 242 BGB127. Folglich sind bei der Anwendung des § 809 BGB im konkreten Einzelfall das Besichtigungsinteresse des Schutzrechtsinhabers und die entgegenstehenden Belange des Besichtigungsschuldners, der nur mutmaßlich ein Verletzer ist, im Sinne von Treu und Glauben sorgfältig gegeneinander abzuwägen128. Dieser Einfluss des § 242 kann im Einzelfall zu einer Einschränkung oder einer Umgestaltung der Rechte aus § 809 BGB führen: so genannter modifizierender Einfluss des § 242 BGB oder auch eingeschränkter Besichtigungsanspruch nach §§ 809, 242 BGB129.

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Vgl. oben unter Einleitung, B. II. Motive, amtl. Ausgabe, Bd. II, 1896, S. 889 und 890; BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 126 Saß, Beschaffung von Informationen, S. 59; Staudinger/Marburger, vor §§ 809 – 811 Rdn. 1. 127 BGH, JZ 1976, S. 318, 320, = GRUR 1976, S. 367, 369 – „Ausschreibungsunterlagen“: „Jede Verpflichtung zur Auskunftserteilung [… ] steht unter der allgemeinen Regel des § 242 BGB“. 128 BGH GRUR 2002, S. 1046, 1048, 1049 – „Faxkarte“; Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1101; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 737; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 160; Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 858. 129 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 557; Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 69; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 24; OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 741, 743, 744 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“; OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 746, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“. 125

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

a) Entgegenstehende Interessen und deren Schutzwürdigkeit Insbesondere in den Bereichen „gewerbliche Geheimsphäre“, „persönliche Geheim- und Privatsphäre“ sowie hinsichtlich der „Gefahr der Offenbarung strafbaren Tuns“ finden sich diverse Anliegen, die gegebenenfalls einem Informationsbegehren entgegenstehen können130. Wie bereits oben erläutert, hat der Besichtigungsschuldner ein Interesse am Schutz seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Die Geheimhaltungsinteressen können bei der Inaugenscheinnahme des Besichtigungsgegenstandes als solchem beeinträchtigt sein; außerdem können unabhängig von dem Besichtigungsgegenstand bei Gelegenheit der Besichtigung beispielsweise in demselben Raum befindliche Geheimnisse offenbar werden131. Aus der Gesamtrechtsordnung ergibt sich, dass diese Geheimhaltungsinteressen schutzwürdig und daher im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung beachtlich sind. Als Folge einer Besichtigung kann allerdings durchaus die Frage auftreten, ob es dadurch zu einer erzwungenen strafrechtlichen Selbstbezichtigung seitens des Informationsschuldners kommt, was gegen den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen würde132. Wie sich aus den bereits oben angestellten Überlegungen ergibt, folgt aus dieser Gefahr jedoch kein im Rahmen der Interessenabwägung nach §§ 809, 242 BGB beachtliches Geheimhaltungsinteresse; vielmehr findet das Gebot „nemo tenetur se ipsum accusare“ mittels eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes der Besichtigungsergebnisse ausreichende Berücksichtigung133. b) Glaubhaftmachung der entgegenstehenden Interessen Zu prüfen ist weiter, auf welche Weise der Schuldner die nach seiner Ansicht entgegenstehenden Interessen, z. B. das Interesse an der Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen, geltend machen muss und welche Anforderungen an diesen Vortrag gestellt werden, damit diese Interessen in die vorzunehmende Abwägung einfließen können. Ausgangspunkt dieser Überlegungen muss ein Blick auf die Darlegungs- und Beweislast des Anspruchstellers sein. Dieser hat allgemeinen Grundsätzen folgend sämtliche Anspruchsvoraussetzungen darzulegen und ggf. vollen Beweis zu erbringen. Eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO ist hierfür grundsätzlich nicht 130 Stürner, Anm. BGH, JZ 1976, S. 318, 320 f.; Stürner, gewerbliche Geheimsphäre, JZ 1985, S. 453, 453 ff.; Staudinger/Marburger, vor §§ 809 – 811 Rdn. 5 – 6; Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 6; zum Schutz der „Persönlichkeitssphäre“, verbürgt in Art. 2 I iVm Art. 1 II GG, im Zusammenhang mit § 809 BGB siehe ausführlich Staudinger/Marburger, vor §§ 809 – 811 Rdn. 6; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 58 – 67. 131 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 190. 132 Siehe zum Ganzen Karger, Beweisermittlung, S. 79. 133 Vgl. hierzu ausführlich oben unter Einleitung, F. II.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ausreichend134. Im Einzelnen muss der Anspruchsteller bei § 809 BGB folglich den Besitz des Anspruchsgegners, das besondere und ernstliche Informationsinteresse sowie das Bestehen bzw. die erhebliche oder gewisse Wahrscheinlichkeit des Bestehens seines Hauptanspruchs dartun und im Bestreitensfall unter Beweis stellen135. Hinsichtlich des Vorliegens einer erheblichen oder gewissen Wahrscheinlichkeit eines Hauptanspruchs muss er zumindest Tatsachen vorbringen und beweisen, aus denen sich die entsprechende Wahrscheinlichkeit des Bestehens des Hauptanspruchs ergibt, während der volle Beweis des Bestehens des Hauptanspruchs gerade nicht verlangt wird136. Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung „Druckbalken“ ausdrücklich offen gelassen, wie der Nachweis der entsprechenden Wahrscheinlichkeit im Einzelfall erbracht werden kann. Jedenfalls ist hiernach in beiden Alternativen des § 809 BGB hinsichtlich des Hauptanspruchs die Rechtsinhaberschaft sowie die Zugehörigkeit der geschützten und der vorzulegenden Sache zu derselben Gattung zu beweisen137. Den Anspruchsteller trifft also bis auf wenige Ausnahmen, die sich aus Sinn und Zweck eines Informationsanspruchs ergeben, die volle Darlegungsund Beweislast. Ausgehend von der prozessualen Grundregel müsste der Anspruchsgegner im Gegenzug das ihm günstige Entgegenstehen eines Geheimhaltungsinteresses darlegen und beweisen138. Anders aber die Rechtsprechung: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat Betriebsgeheimnisse bereits als entgegenstehend berücksichtigt in einem Fall, in dem es nach „der Art der zu besichtigenden Vorrichtung“ und den „Umständen ihrer Zugänglichkeit“ „naheliegend“ bzw. „plausibel“ war, dass Betriebsgeheimnisse in dem Bereich, der von der Besichtigung der Sache berührt wird, vorliegen. Hierzu hielt das Gericht einen schlichten „Vortrag über das Naheliegen“ der Betriebsgeheimnisse für ausreichend, da ihre Erörterung und erst recht ihr Beweis nicht möglich sei, ohne sie preis-

134 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann, ZPO, Anh § 286 Rdn. 10; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 12. 135 Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 12; Müko/Hüffer, § 809 Rdn. 11. Im Patentrecht: erhebliche Wahrscheinlichkeit; ansonsten: gewisse Wahrscheinlichkeit; siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c). 136 Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 12; Karger, Beweisermittlung, S. 80, verlangt zumindest Beweis von Tatsachen zu den Voraussetzungen, „deren Nachweis keinen Zugriff auf Informationen aus der Sphäre des Gegners erfordert.“, auf S. 81, fordert er „glaubwürdige Indizien“ für eine Verletzung. Siehe auch Saß, Beschaffung von Informationen, S. 48: Darlegung und Beweis von „Verdachtsgründen“, für das Bestehen des Hauptanspruchs. Müko/ Hüffer, § 809 Rdn. 11, betont, dass der Hauptanspruch auch dann zu beweisen sei, wenn der Ast. sich erst Gewissheit verschaffen wolle, ausgenommen nur die Tatsachen, die erst die Besichtigung klären soll. 137 BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“. 138 Zu den Grundregeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast siehe Thomas/ Putzo-Thomas, ZPO, vor § 284 Rdn. 23 ff.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

zugeben – was es gerade zu verhüten gelte. Selbst eine Glaubhaftmachung hielt das Oberlandesgericht nicht für erforderlich139. In der „Druckbalken“-Entscheidung forderte der Bundesgerichtshof dagegen grundsätzlich die Glaubhaftmachung von Betriebsgeheimnissen. An anderer Stelle ließ es das Gericht aber genügen, dass die Befürchtung, eine – nach Ansicht des Gerichts unzulässige – Untersuchung des Äquivalenzbereichs könne Geheimhaltungsinteressen berühren, nur in „allgemeinen Wendungen“ geltend gemacht wurde, denn es sei für den Anspruchsgegner „nicht annähernd zuverlässig vorherzusehen“ gewesen, wie weit der beauftragte Sachverständige den Äquivalenzbereich bemessen würde, d. h. welche Abwandlungen der geschützten Merkmale er als äquivalent betrachten würde. Andere als allgemeine Wendungen hätten die Gefahr mit sich gebracht, die zu schützenden Geheimnisse zu offenbaren140. In der Entscheidung „Faxkarte“ fehlen leider hilfreiche Ausführungen zur Darlegungslast des Anspruchsgegners141. Von der Notwendigkeit, konkret vorzutragen und rechtlich geschützte Interessen glaubhaft zu machen, ist dagegen in der darauf folgenden Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth die Rede142. Entgegen dieser Rechtsprechung wird in der Literatur teilweise verschärfend gefordert, dem Anspruchsgegner die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen von Geheimhaltungsinteressen aufzubürden143, denn der Besichtigungsanspruch diene auch dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung. Unter dem Eindruck des in der „Druckbalken“-Entscheidung aufgestellten und als überzogen empfundenen Erfordernisses der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung, wird verlangt, den Anspruchsgegner müsse im Sinne einer „Beweismaßbzw. Waffengleichheit“ eine „gleichwertige Substantiierungspflicht“ hinsichtlich der entgegenstehenden Interessen treffen144. Zu beachten ist allerdings, dass die volle Darlegungs- und Beweislast den Anspruchsgegner vor die traurige Wahl stellen könnte, entweder seine Geheimnisse zu offenbaren oder zu schweigen und eine uneingeschränkte Besichtigung hinzuneh-

139 OLG Düsseldorf, GRUR 1983, S. 741, 743, 744, 745 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“; nach OLG Düsseldorf, GRUR 1983, S. 745, 745 (Leitsatz), 746 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“, bedarf es nur „einer besonderen Darlegung in jedem Einzelfall“, wenn die zu besichtigende Sache an Dritte „ohne Geheimhaltungsverpflichtung geliefert“ wurde. 140 BGH, GRUR 1985, S. 512, 512 (Leitsatz), sowie 517 – „Druckbalken“. 141 So auch König, Anm. „Faxkarte“, Mitt. 2002, S. 457, 458. 142 LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 26. 5. 2004, CR 2004, S. 890, 892. 143 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 770, 771 f., jedoch nicht bei der Geltendmachung eines eingeschränkten Besichtigungsanspruchs; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 11; Karger, Beweisermittlung, S. 80; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 159, fordert eine „Konkretisierung“, überprüfbare Tatsachen und eine „gleichwertige Substantiierungspflicht“. 144 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 158, 159.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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men145. Weiterhin gilt seit der Entscheidung „Faxkarte“, abgesehen vom Patenrecht, das mildere Erfordernis einer gewissen Wahrscheinlichkeit146. Angesichts dessen ist die geforderte Beweismaßgleichheit heute möglicherweise schon gegeben, wenn man statt der vollen Darlegungs- und Beweislast eine Glaubhaftmachung ausreichen lässt. Verbleibende Unterschiede bei Darlegungs- und Beweislast ergeben sich aus den unterschiedlichen prozessualen Rollen der Verfahrensbeteiligten und sind trotz des berechtigten Informationsinteresses des Anspruchsstellers hinzunehmen. Ferner ist es nach dem Konzept der einzelfallbezogenen Interessenabwägung in der Entscheidung „Faxkarte“ und der umfassenden Möglichkeiten des Geheimnisschutzes durch Verfahrensausgestaltung bereits nach bisherigem deutschen Recht kaum denkbar, dass es zu einem vollständigen Ausschluss der Besichtigung allein aufgrund des Entgegenstehens von Geheimhaltungsinteressen kommt. Insofern sind die Konsequenzen einer Geltendmachung entgegenstehender Interessen längst nicht mehr so drastisch. Eine Glaubhaftmachung im Sinne § 294 ZPO erscheint daher ausreichend und interessengerecht147. Wenn man darüber hinaus die volle Darlegungs- und Beweislast für unverzichtbar hält, sollte man jedenfalls überlegen, wie man Verfahren zum Geheimnisschutz nicht nur bei der Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs zur Anwendung bringen kann, sondern ob es bereits bei der Geltendmachung der entgegenstehenden Interessen Möglichkeiten des Geheimnisschutzes gibt148. c) Interessenabwägung Im Falle der Glaubhaftmachung entgegenstehender berechtigter Interessen des Schuldners sind die widerstreitenden Anliegen aller Beteiligten sorgfältig gegeneinander abzuwägen, wobei allein den Umständen des Einzelfalls entscheidende Bedeutung zukommt149. Obgleich sich daher eine abstrakte, formelhafte Gleichung zur Lösung aller in Frage kommenden Fälle verbietet, sind es letztlich jedoch immer wieder dieselben Belange, die in die Abwägung einzufließen haben150.

145 Auf den Anspruchsteller bezogen erörtert von Lachmann, Unternehmensgeheimnisse, NJW 1987, S. 2206, 2210, der dies grds. akzeptiert; sowie Karger, Beweisermittlung, S. 123; übertragen auf den Anspruchsgegner von Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 32. 146 Siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (5). 147 Fritze/Stauder, Beschaffung von Beweisen, GRUR Int. 1986, S. 342, 343, formuliert als Vorschlag für ein neues Besichtigungsverfahren; ihnen folgend Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 32, 40, der diese Beweiserleichterung jedoch nicht automatisch auf andere entgegenstehende Interessen als das Geheimhaltungsinteresse an Betriebsgeheimnissen ausdehnen will. 148 Zu den Möglichkeiten der Geheimhaltung siehe unten unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c). 149 BGH GRUR 2002, S. 1046, 1048, 1049 – „Faxkarte“. 150 Welche das sind, wurde bereits oben unter Einleitung, F. abstrakt erläutert.

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(1) Allgemeines Der Besichtigungsschuldner hat ein berechtigtes Interesse am Schutz seiner privaten und gewerblichen Geheimsphäre, so dass das Eindringen in seine Sphäre eine Ausnahme bleiben muss und auf seine Belange besonders Rücksicht zu nehmen ist. Demgegenüber steht das berechtigte Interesse des Schutzrechtsinhabers an der Aufklärung einer vermuteten Schutzrechtsverletzung, das aus dem Anspruch auf Durchsetzung und effektiven Schutz seines materiellen Rechts folgt151. Angesichts der wesensbedingten besonderen Verletzlichkeit der Immaterialgüterrechte und der Tatsache, dass die Verletzung von Immaterialgüterrechten aufgrund der ihnen anhaftenden Immaterialität und Ubiquität regelmäßig außerhalb der Sphäre des Schutzrechtsinhabers stattfindet und die nötigen verletzungsbezogenen Informationen damit häufig nur dem mutmaßlichen Verletzer zugänglich sind, kommt dem Aufklärungsinteresse hohes Gewicht zu. Wenn der Schutzrechtsinhaber im konkreten Einzelfall auf die Besichtigung angewiesen ist, ist sein Besichtigungsinteresse noch höher zu bewerten. Selbst wenn allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung besteht, ist zunächst davon auszugehen, dass es sich bei dem Besichtigungsschuldner um einen rechtschaffenen Wettbewerber handelt152. Im Übrigen schuldet der Besichtigungsschuldner nur solche Informationen, die auch im Zusammenhang mit der Verletzung stehen. Es ist also zu gewährleisten, dass im Rahmen der Besichtigung nur verletzungsbezogene Informationen dem Gläubiger offenbart und nicht verletzungsbezogene Informationen herausgefiltert werden, denn an weitergehenden Informationen hat der Besichtigungsgläubiger kein berechtigtes Informationsinteresse153. Bei der Durchführung der Besichtigung ist daher insgesamt besonders auf die Belange des Besichtigungsschuldners Rücksicht zu nehmen. Bevor es aber zu einem gänzlichen Ausschluss der Besichtigung kommt, sind alle milderen Mittel zur Sicherung der entgegenstehenden Interessen wahrzunehmen154. (2) Der konkrete Abwägungsvorgang in der Entscheidung „Faxkarte“ Zum konkreten Abwägungsvorgang und zu den maßgeblichen abwägungsrelevanten Punkten hat der Bundesgerichtshof in seiner wegweisenden Entscheidung „Faxkarte“ bezogen auf einen bestimmten zu entscheidenden Einzelfall und mit Geltung für das Urheber- und Wettbewerbsrecht und die gewerblichen Schutzrechte, ausgenommen das Patentrecht, Folgendes ausgeführt: 151

Vgl. zum Justizgewährungsanspruch und dem Recht auf tatsächliche Prüfung des Streitgegenstandes BVerfGE 54, S. 277, 291; BVerfGE 80, S. 103, 107; BVerfGE 85, S. 337, 345. 152 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“; vgl. auch oben unter Einleitung, F. III. 153 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 571. 154 So auch König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 159, 164.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Der Bundesgerichtshof identifiziert drei wesentliche Faktoren, welche das Ergebnis der Interessenabwägung maßgeblich bestimmen: Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung, die Verfügbarkeit anderweitiger Beweismittel, sowie die Möglichkeiten des Schutzes berechtigter Geheimhaltungsinteressen des Schuldners155. (a) Der Grad der Wahrscheinlichkeit Grundsätzlich gilt nach der zitierten Entscheidung: Je höher der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung, desto eher besteht ein Besichtigungsanspruch. Weiterhin wird darin erkennbar, dass sich die Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit verringern, je mehr die beiden anderen wesentlichen Faktoren für eine Besichtigung sprechen. Jedenfalls hält der Bundesgerichtshof keinen erheblichen Grad an Wahrscheinlichkeit für notwendig, sofern der Gläubiger mangels anderweitiger Beweismittel auf die Besichtigung angewiesen ist und Geheimhaltungsinteressen grundsätzlich nicht oder nach Ausschöpfung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nicht mehr entgegenstehen156. (b) Die Verfügbarkeit anderweitiger Beweismittel Besonders bedeutsam für die Abwägung ist allerdings die Frage, ob dem Gläubiger noch andere zumutbare Möglichkeiten der Beweisermittlung zur Verfügung stehen oder ob er auf die Besichtigung angewiesen ist, um die Rechtsverletzung zu beweisen. Sollte er auf die Besichtigung angewiesen sein, kommt seinem Informationsinteresse großes Gewicht zu. Ansonsten hat er vorrangig die übrigen zumutbaren Erkenntnisquellen zu nutzen157. Dieses Abwägungskriterium der Ausschöpfung aller sonstigen zumutbaren Quellen zeigt, dass auch nach der Entscheidung „Faxkarte“ die Gestattung bzw. Vorlage zur Besichtigung nach § 809 BGB die ultima ratio der Beweisermittlungsarten darstellt, wobei das Erfordernis der Ausschöpfung anderer Quellen durch die explizite Erwähnung der Zumutbarkeit der Nutzung dieser Quellen möglicherweise etwas nachgiebiger interpretiert wird als noch in der „Druckbalken“Entscheidung. Teilweise wird in diesem Zusammenhang unter Verweis auf Art. 43 und 50 TRIPs vertreten, bei den zumutbaren anderen Erkenntnisquellen, handele es sich um die „vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel“ im Sinne der Art. 43 und 50 TRIPs158. Zwar legt der Bundesgerichtshof dies nicht ausdrücklich dar, es würde aber die von dem Gericht an anderer Stelle bejahte TRIPs-konforme Auslegung konsequent und logisch fortsetzen. Jedenfalls orientiert sich die Frage der Zu-

155

Siehe dazu BGH GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; vgl. zur Interessenabwägung nach „Faxkarte“ auch Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018 f. 156 BGH GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 157 BGH GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018. 158 Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018.

82 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

mutbarkeit und Verfügbarkeit sonstiger Erkenntnisquellen wiederum an den Umständen des Einzelfalls. (c) Geheimhaltungsinteressen des Schuldners und Möglichkeiten ihrer verfahrensmäßigen Berücksichtigung Das dritte Kriterium, das maßgeblich in die Abwägung einfließt, ist das eventuell bestehende Geheimhaltungsinteresse des Schuldners. Das Gericht unterscheidet hier Konstellationen, in denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse von vornherein nicht besteht, Konstellationen, in denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse zwar besteht, dieses aber nicht „notwendig“ durch die Besichtigung beeinträchtigt wird, sowie Fälle, in denen das berechtigte Geheimhaltungsinteresse zwar beeinträchtigt würde, diese Beeinträchtigung aber durch die besondere Ausgestaltung des Verfahrens „weit gehend ausgeräumt“ werden kann159. Übrig bleiben Fälle, in denen auch durch Verfahrensausgestaltung eine Beeinträchtigung von Geheimhaltungsinteressen nicht weit gehend vermieden werden kann. Jedoch dürfte letzteres angesichts des umfangreichen Instrumentariums zum Geheimnisschutz sehr selten vorkommen bzw. kaum denkbar sein. Beispielhaft für diesen „Interessenschutz durch Verfahren“ nennt das Gericht die Einschaltung eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten (neutraler Sachverständiger)160. Die Möglichkeit eines Interessenschutzes durch Verfahrensgestaltung – insbesondere eine dreistufige Gliederung des Verfahrens unter Einbeziehung eines neutralen Sachverständigen – wurde bereits durch die „Druckbalken“-Entscheidung grundsätzlich anerkannt161. Zudem wurden im Schrifttum weitere verfahrenstechnische Möglichkeiten des zuverlässigen Geheimnisschutzes unter Wahrung des Informationsinteresses des Gläubigers diskutiert. Verfahrensmäßiger Interessenschutz kann im Rahmen des § 809 BGB beispielsweise so aussehen, dass dem Gläubiger prinzipiell die begehrte Information nicht unmittelbar und nur stufenweise zugänglich gemacht wird, wobei die nächste Stufe nur erreicht wird, falls sich der Verdacht der Rechtsverletzung weiter erhärtet. Besonders sensible und für das berechtigte Interesse des Gläubigers nicht erforderliche Informationen werden dabei schon vor einem möglichen Zugriff des Gläubigers ausgesondert. Insbesondere wird die eigentliche Besichtigung nicht durch den Anspruchsteller, sondern nur durch den neutralen Sachverständigen durchgeführt. Dieser fertigt einen Bericht auf der Grundlage seiner tatsächlichen Wahrnehmungen und rechtlichen Wertungen. Erst wenn anschließend in einem Hauptsacheverfahren festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des § 809 BGB vorliegen, wird der Sachverständigenbericht dem Anspruchsteller ausgehändigt. Dabei sind vor einer Freigabe des Berichts alle Informationen, die zur Klä159

BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; siehe hierzu auch Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018. 160 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; siehe Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018 f. 161 BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 f. – „Druckbalken“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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rung des Vorliegens und der Umstände einer Schutzrechtsverletzung nicht erforderlich sind oder schützenswerte Geheimnisse enthalten, aus dem Bericht zu entfernen162. Sofern eine Beeinträchtigung von berechtigten Geheimhaltungsinteressen durch Verfahrensausgestaltung – und das ist bemerkenswert – auch nur „weit gehend“ ausgeräumt werden kann, stehen berechtigte Geheimhaltungsinteressen im Rahmen der Abwägung dem berechtigten Besichtigungsinteresse daher nicht mehr blockierend gegenüber. Das Besichtigungsinteresse setzt sich dann zumindest insofern durch, als ein Ausschluss oder eine inhaltliche Beschränkung des Besichtigungsanspruchs nicht mehr in Betracht kommt. Der Einfluss des § 242 BGB und die Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen machen sich in diesem häufigen Falle nur als verfahrensmäßige Einschränkung bzw. Ausgestaltung bemerkbar. Durch die Einbeziehung des Interessenschutzes durch Verfahren in die Abwägung kann die anspruchsausschließende bzw. inhaltlich einschränkende Wirkung der Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen in der Regel gewissermaßen „wegabgewogen“ werden. Indem die Geheimhaltungsinteressen nicht mehr als Einwand begriffen werden, sondern als Teilaspekt in einer umfassenden Abwägung – zusammen mit der Möglichkeit, die entstehenden Bedenken durch Ausgestaltung des Verfahrens zu zerstreuen –, gelangt man zu flexibleren Lösungen, welche im Sinne eines „Mehr-Oder-Weniger“ verschiedene entgegenstehende Belange nebeneinander berücksichtigen und nicht einen Belang im Sinne eines „Entweder-Oder“163 voll zur Geltung bringen bzw. vollständig verdrängen. Bevor ein Belang bei der Abwägung zurücktreten muss, ist dabei die Rechtsfolge möglichst so zu wählen, dass alle Belange miteinander vereint werden und möglichst weitgehend Berücksichtigung finden können. Erst wenn dies selbst unter Zuhilfenahme aller zulässigen Verfahrensmittel nicht möglich erscheint, muss das Aufklärungsinteresse oder das Abschirmungsinteresse insoweit zurücktreten. (d) Stellungnahme Auch wenn die Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls entscheidend ist, wird sich entsprechend der Entscheidung „Faxkarte“ sagen lassen, dass in der Regel ein Besichtigungsanspruch besteht und dieser nur verfahrensmäßig und nicht inhaltlich beschränkt wird, wenn ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung besteht, der Gläubiger auf die Besichtigung angewiesen ist und sich eine Verletzung berechtigter Geheimhaltungsinteressen durch die Ausgestaltung des Verfahrens im Wesentlichen vermeiden lässt164.

162 Siehe zum Verfahren der Durchsetzung des § 809 BGB und zu den Geheimhaltungsmöglichkeiten unten unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A., VI. 163 Siehe dazu Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1019. 164 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Zu beachten bleibt, dass die Interessenabwägung in dieser Form für den Bereich des Patentrechts zunächst nur mit Vorbehalten Geltung beanspruchen kann165. d) Ergebnisse und Auswirkungen der Interessenabwägung Der modifizierende Einfluss des § 242 BGB und die daraus folgende Abwägung der widerstreitenden Interessen zeigt große Auswirkungen auf nahezu alle Aspekte des Vorlegungs- und Besichtigungsanspruchs. Unabhängig von den gerade vorgenommenen Erörterungen kam die frühere Rechtsprechung bereits auf der Tatbestandsebene – im Zusammenhang mit der Prüfung des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen und des prinzipiellen Bestehens des Anspruchs – zu dem Ergebnis, dass die Interessenabwägung zu einem völligen Ausschluss des Anspruchs führen kann. Das Reichsgericht hielt es für nicht ausgeschlossen, dass ein berechtigtes Interesse an der Vorenthaltung der Sache die Verfolgung des Anspruchs „insoweit überhaupt […] unzulässig“ werden lässt. Im Übrigen fordert das Gericht unter dem Einfluss des § 242 BGB nur verfahrensmäßige Einschränkungen – wie z. B. Sicherheitsleistungen166. Das Oberlandesgericht Düsseldorf versagte den Besichtigungsanspruch aufgrund entgegenstehender Interessen vollständig, nachdem der Anspruch uneingeschränkt – ohne verfahrensmäßige Schutzmechanismen – geltend gemacht worden war167. Dagegen wurde in einem weiteren Verfahren über denselben Streitgegenstand, in welchem der Anspruch im Wege des dreistufigen Verfahrens geltend gemacht wurde, die Besichtigung vom Oberlandesgericht Düsseldorf vollumfänglich gebilligt, da Geheimhaltungsinteressen auf diese Weise nicht mehr gefährdet seien168. In der für das Patentrecht letztlich noch maßgeblichen „Druckbalken“-Entscheidung leitete der Bundesgerichtshof aus der speziellen Interessenlage Modifikationen des erforderlichen Grades der Wahrscheinlichkeit und vor allem Modifikationen der eröffneten Rechtsfolge ab, indem er den Begriff der Besichtigung begrenzte und Untersuchungen des Äquivalenzbereichs untersagte169. Wenn eine anderweitige Berücksichtigung der Belange des Schuldners nicht durchführbar erscheint, scheint dem Bundesgerichtshof hier auch ein vollständiger Ausschluss des Anspruches zumindest nicht fern liegend zu sein170. Jedenfalls betont er die Interessen des Schuldners derart, dass es ihm hinnehmbar erscheint, wenn die Besichtigung aufgrund der auferlegten 165 Zur Unklarheit hinsichtlich der Frage der Übertragbarkeit der „Faxkarten“-Grundsätze auf den Bereich des Patentrechts siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (6) (a). 166 RGZ 69 (1909), S. 401, 406. 167 OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 741, 743 f. – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“. 168 OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 746 f. – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“. 169 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. 170 Ähnlich Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 24.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Einschränkungen im Einzelfall ihren eigentlichen Zweck, nämlich die zuverlässige Beurteilung der Frage der Schutzrechtsverletzung, verfehlt171. Eine solche Abwägung stellt jedoch eine übermäßige Betonung der Interessen des Schuldners dar; eine möglichst gleichrangige Einbeziehung der entgegenstehenden Belange wird in dieser Entscheidung offensichtlich nicht angestrebt. Die Entscheidung „Faxkarte“ ist demgegenüber geprägt von dem Bestreben die widerstreitenden Interessen möglichst weitgehend zu vereinen. Sofern die Rechtsverletzung hinreichend wahrscheinlich ist, werden entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen dabei in der Regel durch die besondere Gestaltung des Verfahrens hinreichend berücksichtigt. Zu einem theoretisch weiterhin denkbaren Ausschluss des Anspruchs aufgrund entgegenstehender Belange kann es nur noch kommen, wenn durch die Ausgestaltung des Verfahrens dem Schuldner kein ausreichender Interessenschutz gewährt werden kann172. Letzteres dürfte nur sehr selten der Fall sein, so dass ein Anspruchsausschluss aufgrund der Interessenabwägung kaum mehr in Betracht kommt. Weiterhin hat die Interessenabwägung möglicherweise Konsequenzen für die Ausgestaltung der Rechtsfolgen und das Verfahren zur Durchsetzung des Vorlegungs- und Besichtigungsanspruchs. Die Einzelheiten dieser durch die Interessenabwägung modifizierten Rechtsfolgen und die speziellen Verfahrensmittel sind an gegebener Stelle bei der Untersuchung des Inhalts und der Durchsetzung des Anspruchs zu prüfen. III. Inhalt des Anspruchs § 809 BGB eröffnet einen Anspruch auf Vorlegung zur Besichtigung oder Gestattung der Besichtigung einer Sache, von deren Existenz oder Beschaffenheit der Hauptanspruch in irgendeiner Weise abhängt173. Der Umfang der zulässigen Besichtigung ist dabei Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Weitere Modalitäten des Vorlegungs- und Besichtigungsanspruchs regelt § 811 BGB. 1. Vorlegung einer konkreten Sache zur Besichtigung oder Gestattung der Besichtigung einer konkreten Sache Der Besichtigungsschuldner schuldet nach § 809 BGB die Vorlegung der Sache zur Besichtigung oder die Gestattung der Besichtigung. Die Vorlegung zur Besichtigung umschreibt dabei ein aktives Tun und bezeichnet das Aushändigen oder wenigstens das Vorzeigen der Sache auf eine Weise, die eine unmittelbare sinnliche Wahr171

BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. Selbstverständlich besteht weiterhin kein Besichtigungsanspruch, wenn der erreichte Grad der Wahrscheinlichkeit zu gering ist oder andere zumutbare Möglichkeiten bestehen, die benötigte Information zu erlangen. 173 Siehe zur „Sache“ im Sinne § 809 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. b). 172

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nehmung durch den Besichtigungsgläubiger erlaubt174. Hierbei verbleibt nach einer Ansicht die tatsächliche Gewalt über die Sache beim Schuldner175. Dies ist jedoch nur insoweit zutreffend, als dennoch vom Schuldner alles getan wird, um die Besichtigung im gesetzlich gestatteten Umfang zu ermöglichen. Die Gestattung der Besichtigung ist dagegen ein passives Verhalten, bei dem der Schuldner dem Gläubiger den Zugang zu der Sache ermöglicht und es duldet, dass sich dieser an Ort und Stelle selbst informiert176. Teilweise wird mit Blick auf § 811 BGB, welcher nur von der Vorlegung spricht, in Bezug auf den Umfang der erlaubten Maßnahmen zwischen einem Vorlegungsanspruch (Vorlegung zur Besichtigung) und einem Besichtigungsanspruch (Gestattung der Besichtigung) strikt unterschieden177. Zutreffend ist hingegen, dass eine begriffliche Trennung zwischen Vorlegung und Gestattung zwar möglich, im Ergebnis aber nicht entscheidend ist. In jedem Fall schuldet der Anspruchsgegner die Vornahme und Duldung aller zumutbaren Handlungen, die erforderlich sind, um das im Rahmen der umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange eingegrenzte Gläubigerinteresse zu verwirklichen178. Besonders wichtig ist vor allem, dass der Anspruch jedenfalls nur auf Vorlegung und Besichtigung einer konkreten Sache gerichtet ist. Dies beinhaltet nicht das Recht, Räumlichkeiten zu durchsuchen, um zu ermitteln, ob der Anspruchsgegner überhaupt im Besitz der Sache ist oder wie viele Exemplare der Anspruchsgegner in Besitz hat, selbst wenn damit die Höhe eines Vergütungsanspruchs berechnet werden soll. Da der Besitz der Sache Voraussetzung des Anspruchs und nicht Untersuchungsgegenstand ist, ergeben sich aus diesem keine allgemeinen Durchsuchungs- und Kontrollmaßnahmen179. Der Anspruch bezieht sich auf eine konkrete Sache oder Sachgesamtheit und umfasst somit ebenfalls nicht die Suche nach Sachen, die bestimmte Merkmale erfüllen180. Darüber hinaus bildet § 809 BGB auch keine Grundlage für einen Anspruch auf Benennung des Standortes einer sich bei einem Dritten befindlichen Sache bzw. auf Nennung des Namens dieses Dritten181. 174 Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 9; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 10; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 9. 175 MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 10. 176 MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 10; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 86; Palandt/ Sprau, § 809 Rdn. 9; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 9. 177 Vgl. Leppin, GRUR 1984, Besichtigungsanspruch, S. 552, 562 f. 178 MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 10. 179 BGH, GRUR 2004, Urt. v. 13. 11. 2003, S. 420, 420 (Leitsatz) und 421 – „Kontrollbesuch“; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117a; unabhängig hiervon können zur Durchsetzung eines Titels gerichtet auf Besichtigung einer konkreten Sache die Räume des Schuldners vom Gerichtsvollzieher durchsucht werden, wenn eine richterliche Durchsuchungsanordnung vorliegt, §§ 758, 758a ZPO, vgl. unten unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. b) und c). 180 Kühnen/Geschke, Durchsetzung von Patenten, 2. Aufl., Rdn. 102; Benkard/Rogge/ Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117a. 181 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 1. 2003, GRUR-RR 2003, S. 327, 327 – „Raumkühlgerät“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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2. Inhalt und Umfang der Besichtigung Inhalt, Umfang und Ausübung des Besichtigungsrechts sind in den §§ 809 ff. BGB nicht näher geregelt. Lediglich § 811 BGB enthält Einzelheiten zum Vorlegungsort sowie zur Gefahr- und Kostentragung182. Es folglich zu prüfen, welche Untersuchungshandlungen zulässig sind (sachlicher Umfang) und welche Personen auf der Gläubigerseite dazu berechtigt sind (persönlicher Umfang)183. Hierbei ist vieles umstritten. a) Allgemeine Begriffsbestimmung Erörterungswürdig ist vor allem, wie weit der sachliche Umfang des Besichtigungsrechts reicht. Die Besichtigung der Sache im Sinne § 809 BGB bedeutet jedenfalls mehr als deren bloße visuelle Wahrnehmung – wie es dem strengen Wortsinn entsprechen würde184. Der Inhalt des Begriffs ist letztlich anhand des Normzwecks, nämlich der erstrebten Feststellung des Bestehens und der Umstände eines Hauptanspruchs in Ansehung der Sache, und aufgrund der Ergebnisse der Interessenabwägung im Einzelfall zu bestimmen. Im Prinzip stehen daher alle Teile und Funktionen der Sache einer Besichtigung offen und es sind all diejenigen Feststellungen zu gestatten, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Anspruchsvoraussetzungen des in Frage kommenden Hauptanspruchs erfüllt sind185. Unzulässig sind selbstverständlich über diesen Zweck hinausgehende Feststellungen186. Weitere Begrenzungen der erlaubten Besichtigung folgen aus der Interessenabwägung und ergeben sich aus der Berücksichtigung des berechtigten Geheimhaltungsinteresses, des Interesses an der stofflichen Integrität der zu besichtigenden Sache, sowie im Übrigen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben187. Grundsätzlich ist unter dem Besichtigen im Sinne § 809 BGB jedenfalls nicht nur die visuelle Wahrnehmung, sondern – wenigstens – eine Inaugenscheinnahme im Sinne des § 371 ZPO zu verstehen, welche nicht nur die optische Wahrnehmung, sondern jede Sinneswahrnehmung, also auch die akustische, haptische, gustatorische sowie olfaktorische Wahrnehmung umfasst188. Die Heranziehung des § 371 ZPO 182

Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 9; Karger, Beweisermittlung, S. 84; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 86 f. 183 Zur Unterscheidung des persönlichen und des sachlichen Umfanges des Besichtigungsrechts siehe Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S.1101, 1102. 184 MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 9. 185 Karger, Beweisermittlung, S. 84; a.A. offensichtlich BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“, wonach es hinzunehmen ist, dass der Besichtigungsbegriff derart begrenzt wird, dass die Besichtigung ihren Zweck im Einzelfall nicht zu erreichen vermag. 186 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; so schon Karger, Beweisermittlung, S. 84. 187 Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 9; Karger, Beweisermittlung, S. 84. 188 BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; MüKo-ZPO/Damrau, § 371 Rdn. 2.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

zur Feststellung eines Mindestgehalts bietet sich nicht nur wegen der sprachlichen Ähnlichkeit von Besichtigung und Inaugenscheinnahme an, sondern auch wegen des vergleichbaren Zwecks der Regelungen, nämlich der Gewissheitsverschaffung über eine Tatsache durch unmittelbare Wahrnehmung189. Einigkeit besteht weiter darüber, dass die Sache gemessen, gewogen und mittels technischer Hilfsmittel äußerlich untersucht werden darf190. b) Substanzeingriff und Inbetriebnahme Sehr häufig kann die Frage der Schutzrechtsverletzung nicht durch ein bloßes äußerliches Betrachten der Sache beurteilt werden. Hierzu ist oft ein maßvoller Eingriff in die funktionelle Einheit oder eine bestimmungsgemäße Benutzung der Sache erforderlich. Inwieweit solche sonstigen Untersuchungsmaßnahmen zu dulden sind, die die Funktionsweise und das Innenleben der Sache betreffen, also gewissermaßen eine „Besichtigung von innen“191 darstellen, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers erörtert. (1) „Druckbalken“-Verfahren Den zulässigen Umfang der Besichtigung ermittelt das Oberlandesgericht Düsseldorf im „Druckbalken“-Verfahren orientiert am konkreten Einzelfall wiederum durch eine Abwägung der Interessen. In dem zu entscheidenden Fall war nach seiner Auffassung im Rahmen der Besichtigung die beschädigungslose und reversible Abnahme von bloßen Verkleidungen, der Ein- und Ausbau von Teilen, soweit dies auch bei Transport und Wartung geschieht, allerdings nicht in einem Ausmaß, wie dies bei einer Reparatur geschieht, sowie grundsätzlich die Inbetriebnahme der Sache noch interessengerecht, selbst wenn eine Beschädigung der Sache auch bei sorgfältiger Untersuchung nicht gänzlich auszuschließen sei192. Dagegen ging der Bundesgerichtshof in seiner „Druckbalken“-Entscheidung in demselben Verfahren für den Bereich des Patentrechts von einem deutlich restriktiveren „engen Besichtigungsbegriff“193 aus. Er orientiert sich fast ausschließlich an

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Ähnlich Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 28. BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 9; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 9; Palandt/Sprau, § 809 Rdn. 9. 191 Zum Begriff siehe Leppin, GRUR 1984, Besichtigungsanspruch, S. 552, 562 ff.; den Begriff übernehmend Saß, Beschaffung von Informationen, S. 87 ff. 192 OLG Düsseldorf, GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“. 193 Zum Begriff siehe Karger, Beweisermittlung, S. 85; zum Geltungsbereich der Druckbalken-Entscheidung ist zu sagen, dass eine Übertragung der Grundsätze der „Druckbalken“Entscheidung vom Patentrecht auf die anderen Bereich des Immaterialgüterrechts lange Jahre diskutiert und größtenteils bejaht wurde. Nach der Entscheidung „Faxkarte“ für den Bereich des Urheber- und Wettbewerbsrechts gilt der enge Besichtigungsbegriff jedoch höchstens noch für 190

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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der Parallele zu dem Begriff der Inaugenscheinnahme gemäß § 371 ZPO. Als bloße Inaugenscheinnahme schließe die Besichtigung nur solche Untersuchungsmethoden ein, bei deren Durchführung nicht in die Substanz der zu untersuchenden Sache eingriffen werde194. Unabhängig von der Interessenlage im Einzelfall beansprucht dieses Verbot des Substanzeingriffs bei patentrechtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit § 809 BGB allgemeine Geltung. Der X. Zivilsenat leitet es gerade nicht aus einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung ab, sondern daraus, dass der BGB-Gesetzgeber ganz generell aufgrund einer abstrakten Abwägung der gegensätzlichen Interessen mit der Gewährung und Ausgestaltung des Vorlegungsanspruchs nicht in jedem Fall die Interessen des Gläubigers einseitig habe fördern wollen, sondern ebenso das entgegengesetzte Interesse des Anspruchsgegners an der Wahrung seiner Privatsphäre berücksichtigt habe. Daher seien der Ein- und Ausbau von Teilen sowie die Inbetriebsetzung der Sache grundsätzlich unzulässig, selbst wenn diese Substanzeingriffe voraussichtlich nicht zu dauernden Schäden führten. Infolgedessen sei es ebenso hinzunehmen, wenn die Besichtigung im Einzelfall nicht geeignet sei, zuverlässige Ergebnisse zur Beurteilung der Patentverletzung hervorzubringen. Das Besichtigungsrecht könne jedenfalls nicht einzelfallbezogen jeweils so bestimmt werden, dass zuverlässige Aussagen über die Patentverletzung unter allen Umständen möglich seien195. (2) Literaturstimmen Es springt geradezu ins Auge, dass eine derartige Begrenzung der Besichtigung nicht dem Zweck des § 809 BGB genügen kann. Die größtenteils ablehnenden Reaktionen der Lehre auf diesen zu engen Besichtigungsbegriff überraschen daher nicht196 : (a) Begriff der Inaugenscheinnahme gemäß § 371 ZPO Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die vergleichende Heranziehung des Begriffs der Inaugenscheinnahme gemäß § 371 ZPO gerade nicht geeignet sei, das Verbot des Substanzeingriffs zu begründen, denn im Rahmen der Einnahme des Augenscheins nach § 371 ZPO billigte die Rechtsprechung mehrfach Substanzeingriffe, die das Patentrecht und auch diesbezüglich wird nun eine Übertragung der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ erörtert; siehe dazu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (6) (a). 194 BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 f. – „Druckbalken“. 195 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. 196 Kritische Anmerkungen bei: Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1102 f.; Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 518 f.; Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 837; Karger, Beweisermittlung, S. 88; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 739 f.; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670; Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 159 ff.; Kröger/Bausch, Produktpiraterie, GRUR 1997, S. 321, 323; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 162 f.; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 92 ff.; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 905 ff.; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 63 ff.; Staudinger/Marburger, § 809 Rdn. 9; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 13.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

nicht zu dauerhaften Schäden führen. Beispielhaft zu nennen sind diesbezüglich: Grabungen auf Grundstücken, die Freilegung von Bauteilen sowie die Entnahme von Proben197. Über diese Literaturstimmen hinaus ist anzumerken, dass eine Inaugenscheinnahme heute unstreitig das Abspielen von Tonträgern, CDs, Disketten und Computer-Festplatten beinhalten kann198. Der Ausschluss der Inbetriebnahme der zu besichtigenden Sache lässt sich durch Heranziehung des § 371 ZPO daher schwerlich rechtfertigen, sofern eine Beschädigung konkret nicht zu befürchten ist. (b) Bedürfnisse des Informationssuchenden In der Regel wird der Schutzrechtsinhaber, insbesondere der Patentrechtsinhaber, neben dem äußeren Erscheinungsbild auch das Innenleben und die Funktionsweise des Besichtigungsobjekts untersuchen müssen, um die Frage der Schutzrechtsverletzung beurteilen zu können. Hierzu bedarf es zumindest der Entfernung von funktionslosen Verkleidungen, die ohne Beschädigung der Substanz ab- und angebaut werden können, sonst könnte der Erfolg der Besichtigung durch die Montage bloßer Sichtblenden vereitelt werden. Auch das Einfügen eines Werkstücks in eine Maschine oder die eingehende mechanische, optische oder chemische Untersuchung des fertigen Produkts kann angezeigt sein, um die Funktionszusammenhänge oder die mögliche Verletzung eines patentierten Verfahrens zu erkennen. Oft befindet sich das entscheidende Funktionselement im Inneren der Sachgesamtheit, so dass ein Ausbau einzelner Teile sowie ein maßvolles Zerlegen dieser Sachgesamtheit durch Auflösung reproduzierbarer Verbindungselemente erforderlich sein kann. Schließlich ermöglicht meistens nicht die rein äußerliche Wahrnehmung, sondern nur eine sachgemäße Inbetriebnahme durch einen Sachverständigen das Erfassen der relevanten funktionellen Abläufe199. All diese zur Erreichung des Besichtigungszwecks erforderlichen Maßnahmen hielt der Bundesgerichtshof – losgelöst von einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung – generell für unvereinbar mit den in die Ausgestaltung des § 809 BGB eingeflossenen Interessen des Anspruchsgegners200. An diese generell enge Auslegung des Besichtigungsbegriffs knüpft die kritische Erwartung der Lehre an, dass es durch die vorgenommenen Beschränkungen nicht nur zu der vom Bundesgerichtshof ausdrücklich hingenommenen Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Anspruchs „im 197

Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103; BGH, Urt. v. 24. 1. 1969, MDR 1969, S. 379, 379 f. zu §§ 286, 287 ZPO; OLG München, Urt. v. 3. 1. 1983, NJW 1984, S. 807, 807; ebenso Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 906. 198 Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S.1101, 1103; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann/ Hartmann, ZPO, Übers § 371 Rdn. 12; MüKo zur ZPO/Damrau, § 371 Rdn. 4. 199 Vgl. zum Ganzen: Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 563 f.; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 162 f.; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 91. 200 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Einzelfall“, sondern zu einer regelmäßigen, signifikanten Effektivitätsminderung kommen werde201. Obwohl die Interessen desjenigen, der einer Schutzrechtsverletzung noch gar nicht überführt ist, ein höchst schützenswertes Gut sind und das rücksichtslose Durchsetzen des Besichtigungsinteresses ebenfalls nicht dem Zweck des § 809 BGB entspricht202, schlage das Pendel bei der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Interessensabwägung zu einseitig zugunsten des Besichtigungsschuldners aus203. Der Besichtigungsanspruch könne sich durch die zugrunde gelegte Auslegung des Besichtigungsbegriffes oftmals als wertlos und untauglich erweisen204. (c) Unterscheidung zwischen „Vorlegung“ und „Gestattung“ Nach einer in der Literatur vertretenen Ansucht ziele der Anspruch nach § 809 BGB in erster Linie auf die „Vorlegung“ als aktive Maßnahme des Besichtigungsschuldners205. Weitergehende Untersuchungsmöglichkeiten ließen sich begründen, wenn man zwischen einem „Vorlegungsanspruch“ und einem „Gestattungsanspruch“ unterscheide, wobei nur die Vorlegung dabei die umfassenden Handlungen beinhalte, die unter Umständen auch mit Risiken und Kosten verbunden sein könnten. So erkläre sich die Regelung des § 809 Abs. 2 BGB, in welcher im Hinblick auf Vorschuss der Kosten und Sicherheitsleistung wegen der Gefahr nur von der „Vorlegung“ gesprochen werde, und so der Vorlegung die gefahrträchtigeren Rechtsfolge unterstellt werde206. Jedenfalls habe der Besichtigungsschuldner im Rahmen der Vorlegung selbst aktiv zu werden und die Sache so vorzulegen, dass eine Besichtigung auch einzelner Teile möglich sei, d. h. er müsse zur Besichtigung einzelne Teile freilegen oder die Sache in Betrieb nehmen, sofern dadurch nicht eine konkrete Beschädigung der 201 Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 739: „in wenigen Fällen“ zur Klärung ausreichend. 202 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. 203 Eine „sehr einseitig vorgenommene Interessenabwägung“ wird moniert bei: Marshall, Besichtigungsanspruch, in FS Preu, S. 151, 159; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670, Fn. 59; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 95. 204 Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103; ihnen folgend BrandiDohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 837; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 739: „stumpfe Waffe“, 740: „bedeutungslos“; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 64; MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 13. Erschwerend komme hinzu, dass der Bundesgerichtshof in seiner „Druckbalken“-Entscheidung den Interessen des Besichtigungsschuldners durch das Erfordernis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung bereits bei der Formulierung strenger Anspruchsvoraussetzungen großes Gewicht beigemessen habe: vgl. Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670; Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 519, hält Eingriffe in den Bestand der Sache zumindest dann für zulässig, wenn ein erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegt. Die strengen Anspruchsvoraussetzungen wirken sich nach dieser Ansicht also im Rahmen der Interessenabwägung erweiternd auf den Umfang der zulässigen Besichtigung aus. 205 Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 906. 206 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 562, siehe auch unten unter 1. Teil, 1 Abschnitt, A. IV. 2. und 3.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Sache drohe207. Dieser Denkansatz überzeugt insofern als er aufzeigt, dass es nicht zwingend ist, zur Erreichung des Besichtigungszweckes den Anspruchsteller von außen in die Sache des Schuldners eingreifen zu lassen. Eine Freilegung durch den Schuldner selbst würde eventuell bestehende Beschädigungsgefahren mindern und gleichzeitig am Ziel einer effektiven Besichtigung durch maßvolle Substanzeingriffe festhalten. (d) Unterscheidung zwischen Geheimhaltungsinteresse und Integritätsinteresse Weiterhin wird in der Literatur richtigerweise darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die entgegenstehenden Interessen, welche nach dem Bundesgerichtshof eine generelle enge Auslegung des sachlichen Umfanges des Besichtigungsrechts rechtfertigen, entgegen dem Vorgehen des Bundesgerichtshofs zwischen den Interessen am Schutz von Betriebsgeheimnissen – Geheimhaltungsinteresse – und dem Interesse an der Unversehrtheit der zu besichtigenden Sache – Integritätsinteresse – zu unterscheiden ist208. In der „Druckbalken“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs werden diese unterschiedlichen Interessen jedenfalls nicht klar auseinander gehalten209. Sofern berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Anspruchsgegners vorliegen, fließen diese in die umfassende einzelfallbezogene Interessenabwägung ein. In der Regel führt die Geltendmachung berechtigter Geheimhaltungsinteressen dann zur Anwendung eines mehrstufigen Verfahrens unter Einschluss eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen. Dieser neutrale Sachverständige trennt das für die Aufklärung Erforderliche von den schützenswerten Geheimnissen des Anspruchsgegners – fungiert also als eine Art „menschlicher Filter“210. Indem dem Anspruchsteller kein unmittelbarer Zugriff auf die Sache gewährt wird, gelangen Betriebsgeheimnisse nicht zu seiner Kenntnis. Berechtigte Geheimhaltungsinteressen werden durch den verfahrensmäßigen Geheimnisschutz in der Regel hinreichend berücksichtigt. Sofern ein zur Verschwiegenheit verpflichteter Sachverständiger eingesetzt wird, können somit die berechtigten Geheimhaltungsinteressen durch die Besichtigung als solche nicht beeinträchtigt werden, unabhängig davon welchen sach207

Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 562 f., dabei sollen vertretbare Handlungen analog §§ 883, 887 ZPO durch den Sachverständigen vorgenommen werden können; Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 906; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1019. 208 Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 906 f.; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 92 ff. Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1102, betonen, dass es bei der Bestimmung des sachlichen Umfangs der Besichtigung „weniger um den Schutz von Betriebsgeheimnissen, als um die Begrenzung von Substanzeingriffen in fremdes Eigentum“ gehe. 209 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“, dort wird die Gefahr einer Schädigung der Sache ohne Differenzierung in der Sache direkt im Anschluss an das Interesse an der Wahrung der Privatsphäre erörtert. 210 Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lichen Umfang diese im Einzelfall haben mag. Entgegen der Schlussfolgerung der „Druckbalken“-Entscheidung kann der Einwand der möglichen Verletzung von Geheimhaltungsinteressen daher regelmäßig nur Auswirkungen auf das anzuwendende Verfahren haben, aber keine generelle Beschränkung des sachlichen Umfangs der Besichtigung als solcher rechtfertigen211. Übrig bleibt als substantieller Einwand zur generellen Beschränkung des Besichtigungsrechts regelmäßig nur das Integritätsinteresse des Besichtigungsschuldners, also das Interesse an der Unversehrtheit der zu besichtigenden Sache und an einem störungsfreien Arbeitsablauf212. Auch in der Literatur ist anerkannt, dass der Anspruchsgegner keine Besichtigung dulden muss, die zu einer Zerstörung oder einer dauerhaften Beschädigung der Sache führt. Ausgeschlossen werden damit Untersuchungshandlungen, die eine Wiederherstellung des vorherigen Zustandes ohne mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigungen des Wertes oder der Gebrauchstauglichkeit der Sache unmöglich machen. In die Abwägung miteinzubeziehen ist jedoch auch die gesetzliche Wertung des § 811 Abs. 2 BGB, wonach der Anspruchsteller die Gefahr und die Kosten der Vorlegung zu tragen hat und der Anspruchsgegner diesbezüglich Vorschuss und Sicherheitsleistung verlangen kann. Das Gesetz unterstellt also, dass die Vorlegung zur Besichtigung selbst dann statthaft ist, wenn die Gefahr der Zerstörung oder Beschädigung nicht auszuschließen ist. Nach der gesetzlichen Wertung hat der Besichtigungsschuldner diese Gefahr hinzunehmen213. Da nun das Integritätsinteresse im Rahmen der Abwägung eine Beschädigung oder Zerstörung der Sache im Zuge der Untersuchungen grundsätzlich verbietet, gleichzeitig eventuell bestehende Beschädigungsgefahren aber über § 811 Abs. 2 Berücksichtigung finden können, wird in der Literatur zwischen zwei Sachlagen differenziert: Zum einen Gefährdungssituationen, in denen sich die Gefahr einer Beschädigung derart zuspitzt, dass der Besichtigende die Auswirkungen der Besichtigungshandlungen nicht mehr sicher beherrscht und es vom Zufall abhängt, ob ein Schaden eintritt oder nicht (konkrete Gefährdungslage), zum anderen Sachverhalte, die sich ganz generell durch eine erhöhte Gefährlichkeit auszeichnen und bei denen Schäden typischerweise nicht immer zu verhüten sind, wie es allgemein bei Einwirkungen auf eine Sache der Fall ist (abstrakte Gefährdungslage). Die Abwägung zeige, dass sich einerseits die Hinnahme einer konkreten Gefahr der Beschädigung oder Zerstörung verbiete – dadurch würde zu sehr in das berechtigte Integritätsinteresse des An-

211 Siehe dazu auch Karger, Beweisermittlung, S. 88; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 907; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 92 ff. 212 Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 906; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1019. 213 So auch Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 519; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 739; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 562; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 162 f.

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spruchsgegners eingegriffen –, andererseits aber abstrakte Gefahren für den Bestand der Sache vom Besichtigungsschuldner auf sich zu nehmen seien214. Richtig ist an dieser Unterscheidung, dass sich mit Blick auf das Integritätsinteresse konkrete Gefahren für die Sache grundsätzlich verbieten bzw. einer ganz besonderen Begründung nach Lage des Einzelfalles bedürfen. Abstrakte Gefahren im Sinne einer effektiven Besichtigung erscheinen jedoch keinesfalls als unzumutbar, zumindest insofern, als allgemein eine Beschädigung der Sache auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht ganz auszuschließen ist. Eine Sicherheitsleistung nach § 811 Abs. 2 BGB kann in allen Situationen einer vermutlichen Gefährdung verbleibende finanzielle Risiken abmildern, z. B. auch Risiken aufgrund der Unterbrechung des Arbeitsprozesses, zugleich motiviert sie auf Seiten der Besichtigenden zur Anwendung größerer Sorgfalt215. Teilweise wird in der Literatur diesbezüglich noch zwischen § 809 1. Fall und § 809 2. Fall BGB unterschieden. Im Falle der Gewissheit über das Bestehen des Hauptanspruchs sei danach das Integritätsinteresse weniger hoch zu bewerten, als im Falle einer noch bestehenden Ungewissheit über das Bestehen des Hauptanspruches216. Zutreffend ist jedenfalls, dass umso umfangreichere und gefahrträchtigere Besichtigungshandlungen zulässig sind, je wahrscheinlicher sich die Schutzrechtsverletzung darstellt217. Konkrete Gefahren dürften sich aufgrund der Kenntnisse und Erfahrungen des Sachverständigen nach Lage des Einzelfalles vermeiden lassen, so dass nach dieser überzeugenden Argumentation zumindest bei Einschaltung eines Sachverständigen je nach den Umständen des Einzelfalles auch nach bisherigem deutschen Recht der Ein- und Ausbau von Teilen, soweit dies reversibel ist, und die Inbetriebnahme gemäß der Betriebsanleitung zulässig sein dürfte218. (3) Entscheidung „Faxkarte“ In seiner Entscheidung „Faxkarte“ nimmt der Bundesgerichtshof die Kritik der Literatur an der generellen Beschränkung des Besichtigungsanspruchs auf und urteilt, dass „jedenfalls im Urheber- und Wettbewerbsrecht“ der generelle Ausschluss des Substanzeingriffs, des Ein- und Ausbaues von Teilen, sowie der Inbetriebnahme „nicht angezeigt“ sei219. Der Bundesgerichtshof schlussfolgert dies in zwei Schritten: 214 Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Gefahr bei Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 563 f. 215 Siehe Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 562; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 739; Karger, Beweisermittlung, S. 88; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 162 f. 216 Saß, Beschaffung von Informationen, S. 98 ff. 217 Saß, Beschaffung von Informationen, S. 98 ff. 218 Vgl. König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 162 f.; Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 160. 219 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

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(a) Besichtigung auch einer verbundenen Sache Zunächst stellt er klar, dass sich der Vorlegungs- und Besichtigungsanspruch auf genau die (Teil-)Sache beziehe, auf die sich auch der wahrscheinliche Hauptanspruch erstrecke, selbst wenn diese noch „mit anderen Gegenständen verbunden“ sei220. Auch im Hinblick auf das berechtigte Informationsinteresse sei es folglich grundsätzlich „ohne Bedeutung“, ob die (Teil-)Sache zur geschuldeten Besichtigung aus einer (Gesamt-)Sache „ausgebaut“ oder die zu besichtigende (Teil-)Sache auseinander genommen werden müsse221. (b) Integritätsinteresse und Zumutbarkeit In einem zweiten Schritt betont der Bundesgerichtshof abermals die Notwendigkeit der einzelfallbezogenen Interessensabwägung und führt hierbei das Kriterium der Zumutbarkeit ein. Danach dürfen die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen zugleich das „Integritätsinteresse des Schuldners nicht unzumutbar beeinträchtigen“, denn mit einer „realistischen Gefahr“ der Substanzverletzung müsse sich der Schuldner jedenfalls „nicht ohne weiteres“ abfinden222. Zugunsten des Gläubigers unterstreicht das Gericht indessen, dass „in vielen Fällen“ solche „ernsthaften Gefahren“ gar nicht gegeben seien. Zusätzlich sei im Rahmen der Abwägung zur Bestimmung des Umfangs der Untersuchung im Einzelfall in Rechnung zu stellen, dass der Gläubiger nach § 811 Abs. 2 BGB im Falle einer Beschädigung verschuldensunabhängig schadensersatzpflichtig sei und für realistische Gefahren einer Beschädigung Sicherheit zu leisten habe223. Die Frage der Zumutbarkeit entscheidet sich damit künftig weniger anhand der tatsächlichen Gegebenheiten, wie der Zugänglichkeit oder der Beschaffenheit der Sache, sondern eher anhand der Frage, ob ein Substanzeingriff gegebenenfalls durch die Möglichkeit des Schadensersatzes und diesbezüglicher Sicherheitsleistung wirtschaftlich betrachtet zumutbar wird224. Beachtlich ist, dass der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Interessensabwägung und der Zumutbarkeit des Substanzeingriffes nur das Integritätsinteresse als abwägungsbedürftiges Interesse auf Seiten des Schuldners erwähnt. Der Kritik der Lehre folgend, scheint das Geheimhaltungsinteresse bei der Frage des Substanzeingriffes kaum bedeutsam und schon durch die Einschaltung des Sachverständigen hinreichend berücksichtigt zu sein225.

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BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 222 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 223 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 224 König, Anm. „Faxkarte“, Mitt. 2002, S. 457, 458. 225 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1019; siehe auch oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. c). 221

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(c) Interessenabwägung: Integritätsinteresse und Sicherheitsleistung Bei der Interessenabwägung zur Bestimmung des konkreten Umfangs der Untersuchungsmaßnahmen sind danach folgende Konstellationen zu unterscheiden: Erstens gibt es Fälle, in denen eine ernsthafte Gefahr der Beschädigung auch bei einer umfassenden Untersuchung von vornherein nicht existiert. Zweitens sind solche Fälle erfasst, in denen zwar eine realistische Gefahr der Beschädigung im Rahmen der Besichtigung, einschließlich der Inbetriebnahme und des Ein- und Ausbaues von Teilen, besteht, diese aber durch die Möglichkeit des Schadensersatzes und der Stellung einer Sicherheit ausreichend berücksichtigt werden kann. Drittens sind Fälle denkbar, in denen das Integritätsinteresse selbst in Anbetracht eines möglichen Schadensersatzes oder einer Sicherheitsleistung derart beeinträchtigt würde, dass die Zumutbarkeitsgrenze überschritten würde. In diesen seltenen Ausnahmefällen, in denen auch ein finanzieller Ausgleich den Eingriff in die Substanz der Sache nicht zumutbar machen kann – z. B. hohe Zerstörungsgefahr für ein schwer wiederherzustellendes Einzelstück – ist der Umfang der Besichtigungshandlungen zu begrenzen. Die Einteilung in derartige Fallgruppen kann jedoch nur Anhaltspunkte bieten; die Übergänge sind hier fließend. Stets sind auch in die Abwägung zur Bestimmung des Umfanges der Besichtigung alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen, hier also insbesondere das Integritätsinteresse und die Möglichkeiten des Ausgleichs nach § 811 Abs. 2 BGB, darüber hinaus wiederum der Grad der Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung und der Grad der Abhängigkeit des Gläubigers von der Verfügbarkeit dieses Beweismittels. Unzutreffend ist jedoch die Interpretation der Entscheidung in der Weise, dass selbst dann, wenn dem Integritätsinteresse des Schuldners nicht durch Sicherheitsleistung hinsichtlich eines späteren Schadensersatzanspruchs Genüge getan werden könne, das Integritätsinteresse abzuwägen sei gegen das Besichtigungsinteresse des Gläubigers. Dies jedenfalls dann, wenn hiermit suggeriert werden soll, das Integritätsinteresse könne in diesen Fällen, in denen die mögliche Beschädigung oder Zerstörung auch nicht durch einen abgesicherten Schadensersatzanspruch aufgewogen werden kann, ganz „weg“-abgewogen werden, sei das Besichtigungsinteresse nur groß genug. Das Gericht macht deutlich, dass das Integritätsinteresse eine absolute Zumutbarkeitsgrenze bilden kann, die eine Begrenzung der Untersuchungsmaßnahmen gebietet, wenn die Beschädigungsgefahr sehr hoch und ein späterer finanzieller Ausgleich nicht ausreichend ist226. Mit der Einschränkung des Gerichts, die realistische Gefahr der Beschädigung sei „nicht ohne weiteres“ hinzunehmen227, wird wohl primär nicht auf die Rechtfertigung der Gefahr durch ein hohes Besichtigungsinteresse, sondern eher auf den Interessenausgleich durch Sicherheitsleistung verwiesen. Sollte letzteres im seltenen Einzelfall nicht möglich sein, würden Besichtigungsmaß226 Denn nach dem Bundesgerichtshof sind die Befugnisse des Gläubigers „zu begrenzen“, wenn die oben skizzierten Eingriffe unzumutbar wären. 227 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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nahmen über diesen Punkt hinaus die durch das Gericht eingeführte Zumutbarkeitsgrenze zur Makulatur werden lassen. (d) Ergebnis Zusammenfassend geht der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung „Faxkarte“ also davon aus, dass zur Bemessung des Umfangs der Besichtigungshandlungen eine Abwägung aller Umstände zu erfolgen hat, in die hier vor allem das Interesse an der Vermeidung von Beschädigungen und die Möglichkeiten des Ausgleichs einer realistischen Beschädigungsgefahr einzufließen haben. In der Regel wird es danach für den Schuldner noch zumutbar sein, dass die zu besichtigende Sache durch den neutralen Sachverständigen aus einem Verbund ausgebaut, in Betrieb genommen oder auseinander gebaut wird. Auch angesichts der Sicherungsmechanismen nach § 811 Abs. 2 BGB wird die Zumutbarkeitsgrenze nur in seltenen Fällen erreicht werden. Nur in diesen Fällen hat sich die Besichtigung auf die äußerliche Wahrnehmung der zu besichtigenden Sache zu beschränken. Mit dieser Rechtsprechung geht das Gericht noch über die Schlussfolgerungen des OLG Düsseldorf hinaus, welches den Einund Ausbau von Teilen nur in demselben Umfang für zumutbar hielt, wie es für Transport, Inbetriebnahme oder Wartung erforderlich ist228. (4) Stellungnahme Der Bundesgerichtshof ist mit seiner Statuierung eines Verbots des Substanzeingriffs im „Druckbalken“-Verfahren zu Recht auf allgemeine Kritik gestoßen. Mit überzeugenden Argumenten aus der Literatur wurde dieser „enge“ Besichtigungsbegriff als tatsächlich zu eng zurückgewiesen. Wenn der Bundesgerichtshof billigend in Kauf nimmt, dass bei Anwendung seines restriktiven Besichtigungsbegriffs selbst bei zulässiger Durchführung eines Besichtigungsverfahrens das Ergebnis der Besichtigung sein kann, dass unter Umständen keine zuverlässigen Aussagen über die Schutzrechtsverletzung getroffen werden können229, wird der Sinn und Zweck des Besichtigungsverfahrens nicht ausreichend berücksichtigt. In einem solchen Fall hätte man den Beteiligten eine Besichtigung gleich gänzlich ersparen sollen. Vorzuziehen ist ein daher „funktionaler“ Besichtigungsbegriff, der sich entscheidend am Sinn und Zweck des § 809, 2. Fall BGB orientiert230, in Kombination mit einem anderweitigen Schutz gegebenenfalls entgegenstehender Interessen. Zweck des Besichtigungsanspruchs ist die zuverlässige Klärung des Bestehens bzw. der Um228 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. b) (1); OLG Düsseldorf, GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1019; zur Entscheidung „Faxkarte“ siehe auch Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428; Dittmer, BGH EWiR § 809 BGB 1/02, S. 903, 904; König, Anm. „Faxkarte“, Mitt. 2002, S. 457, 457 f.; Grützmacher, Anm. „Faxkarte“, CR 2002, S. 794, 794 f. 229 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. 230 Hierzu Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 519; Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103.

98 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

stände des Hauptanspruchs – also der Schutzrechtsverletzung – unter größtmöglicher Berücksichtigung entgegenstehender, berechtigter Interessen. Da die Besichtigung zuvorderst diesem Zweck zu dienen hat, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich alle diejenigen Besichtigungshandlungen – jedoch auch nur diese – zulässig sind, die erforderlich sind, um den genannten Besichtigungszweck zu erreichen. Maßstab der Bestimmung des Umfangs und der Grenzen der zulässigen Besichtigung muss demnach die Erforderlichkeit sein; Besichtigungshandlungen, welche nicht erforderlich sind, haben zu unterbleiben231. Selbstverständlich darf diesem Zweck nicht alles untergeordnet werden. Bevor aber der Besichtigungsbegriff derart begrenzt wird, dass der Anspruch praktisch leer läuft, sind die entgegenstehenden Interessen möglichst auf andere Weise zum Ausgleich zu bringen: Das Integritätsinteresse gegebenenfalls durch Sicherheitsleistung, das Geheimhaltungsinteresse durch verfahrensmäßigen Schutz. Dieser funktionale Besichtigungsbegriff steht auch im Einklang mit dem bisherigen deutschen Recht bereits vor einer Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie. Auch der Bundesgerichtshof bestimmt in der Entscheidung „Faxkarte“ das Ausmaß der zulässigen Besichtigung im Wege einer Interessenabwägung, in welche das Besichtigungsinteresse, die Zumutbarkeit für den Besichtigungsschuldner und die Möglichkeiten der Sicherung entgegenstehender Interessen einfließen. Bei zutreffender Abwägung der aufgezeigten Kriterien durch die Instanzgerichte dürften im Einzelfall Besichtigungen zulässig sein, die dem Sinn und Zweck des § 809, 2. Fall BGB entsprechen und so die Frage der Schutzrechtsverletzung zuverlässig beantworten können. Eine Übertragung dieser Grundsätze auf das Patentrecht wäre wünschenswert, kann aber nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden232. c) Der Sachverständige Zum Inhalt des Vorlegungs- und Besichtigungsanspruchs gehört auch das Recht des Anspruchsinhabers, einen mit der Materie in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vertrauten Sachverständigen und weitere Hilfspersonen hinzuzuziehen oder die Besichtigung gänzlich einem Bevollmächtigten zu überlassen, welcher wiederum Hilfskräfte mit sich führen darf233.

231 Auf die erforderlichen Handlungen abstellend: Karger, Beweisermittlung, S. 88; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 97 f. 232 Siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (6) (a); a.A. wohl nun Benkard/Rogge/ Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117a, die festhalten, dass anders als nach der Entscheidung „Druckbalken“ ein „Substanzeingriff nicht in jedem Fall verboten sei“ und dann Abwägungskriterien der Entscheidung „Faxkarte“ zitieren. 233 OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“; BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(1) Funktion Der Sachverständige nimmt die zulässigen Besichtigungshandlungen vor und trifft die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen über das Vorhandensein der geschützten Merkmale des wahrscheinlich verletzten Schutzrechts. Hierüber erstattet er seinem Auftraggeber Bericht. Im Schutzrechtsverletzungsprozess, der sich einem erfolgreichen Besichtigungsverfahren anschließt, kann der Sachverständige als Zeuge über seine tatsächlichen Wahrnehmungen aussagen. Da er durch den Anspruchsinhaber und nicht durch das Prozessgericht ausgewählt wurde, tritt er dabei als sachverständiger Zeuge gem. §§ 414, 373 ff. ZPO und nicht als gerichtlich bestellter Sachverständiger im Sinne der §§ 402 ff. ZPO auf234. Seine Aussage ist nach § 286 ZPO frei, aber sorgfältig zu würdigen, wobei sie zwar einem Parteivorbringen gleichzustellen ist235; jedoch verliert seine Aussage – als die eines Fachmannes – nicht allein deshalb an Wert, weil er von einer Partei beauftragt wurde. Außerdem unterliegt er, wie jeder andere Zeuge, der Wahrheitspflicht nach § 395 ZPO236. Selbstverständlich kann im späteren Verletzungsprozess im Zuge der Beweisaufnahme eine gerichtliche Einnahme des Augenscheins der Sache gem. § 371 ZPO zur Untermauerung dieser Zeugenaussage und endgültigen Feststellung einer Schutzrechtsverletzung erfolgen237. Wenn dabei schützenswerte Betriebsgeheimnisse offenbar werden können, ist wiederum auf geeignete Maßnahmen zum Geheimnisschutz zu achten238. (2) Pflicht zur Einschaltung eines neutralen Sachverständigen Das Recht zur Einschaltung eines Sachverständigen wird in der Regel zur Pflicht, nämlich dann, wenn vom Anspruchsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen geltend gemacht werden und diese in die umfassende Abwägung miteinzufließen haben239. Statt den Anspruch auszuschließen oder drastisch beschränken zu müssen, bietet sich die Gewährleistung eines effektiven Geheimnisschutz durch Verfahren an. Obligatorisch sind hierbei die Einschaltung eines neutralen und auch gegenüber dem beauftragenden Anspruchsteller zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen sowie die Aufteilung des Besichtigungsverfahrens in mehrere Abschnitte – sog. mehrstufiges Besichtigungsverfahren. Der Anspruchsteller erhält dabei keinen unmittelbaren Zugriff auf die Sache und damit verbundene Betriebsgeheimnisse, son234 OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 746 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“; OLG München, CR 1987, S. 761, 762. 235 BGH, Urt. v. 23. 11. 1973, MDR 1974, S. 382, 382; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 414 Rdn. 1; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 560; Karger, Beweisermittlung, S. 90; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 34; offen gelassen noch von BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 f. – „Druckbalken“. 236 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, Übers § 402 Rdn. 21; BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“. 237 Diese spätere Einnahme des Augenscheins leidet allerdings unter dem Problem der zu befürchtenden Manipulation oder Beiseiteschaffung von Beweismitteln. 238 Vgl. Stürner/Stadler, Anm. „Druckbalken“, JZ 1985, S. 1101, 1103 a.E. und 1104. 239 Siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c) (2) (c).

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

dern hat die Besichtigung vollständig dem Sachverständigen anzuvertrauen. Dieser fertigt nach der Sequestrierung der Sache im Wege der einstweiligen Verfügung einen Bericht über das Besichtigungsergebnis, welcher in diesem Falle allerdings zunächst unter Verschluss bleibt. Erst nachdem in einem Hauptsacheverfahren über das Bestehen des Anspruchs nach § 809 BGB entschieden wurde, kann der Bericht dem Anspruchsteller ausgehändigt werden, wobei zuvor eventuell im Bericht angeführte Betriebsgeheimnisse, deren Kenntnis zur Substantiierung der Verletzungsklage nicht erforderlich ist, aus dem Bericht gestrichen wurden240. Auf diese oder im Prinzip ähnliche Weise ist regelmäßig garantiert, dass ein Transfer von Betriebsgeheimnissen weitgehend vermieden werden kann und gleichzeitig die Sache in einem Umfang besichtigt wird, der aussagekräftige Ergebnisse erhoffen lässt. Nur die Hinzuziehung des Sachverständigen als eine Art neutraler Treuhänder241 verhindert somit letztlich die Versagung des Anspruchs. (3) Beauftragung Der Sachverständige wird vom Anspruchsteller bestimmt und beauftragt. Falls die Berührung von Betriebsinterna nahe liegt, sollte das Gericht – nach dem Gesagten – dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Besichtigung der Sache allerdings nur stattgeben, wenn der Sachverständige und seine Hilfspersonen zur Verschwiegenheit, insbesondere gegenüber ihrem eigenen Auftraggeber, verpflichtet wurden. Die Geheimhaltungspflicht wird hierbei jedoch nicht durch das Gericht hoheitlich angeordnet, sondern sie folgt aus einer vertraglichen Abrede im Rahmen des Auftragsverhältnisses zwischen Besichtigungsgläubiger (Auftraggeber) und Sachverständigem (Auftragnehmer)242. Damit nimmt der Sachverständige eine Doppelrolle wahr: Auf der einen Seite ist er Beauftragter des Gläubigers, nimmt für diesen die Rechte aus § 809 BGB wahr und sagt über seine Erkenntnisse als Zeuge aus. Auf der anderen Seite ist er auch gegenüber dem Gläubiger zur Geheimhaltung verpflichtet. Ihm kommt dadurch eine treuhänderähnliche Stellung zugunsten des Schuldners zu243. 240 Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 70; Karger, Beweisermittlung, S. 91 u. 107 f.; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 908. 241 OLG München, CR 1987, S. 761, 762; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 161; Schricker/Wild, UrhG, § 97 Rdn. 90a, vergleicht den Einsatz des neutralen Sachverständigen mit dem Wirtschaftsprüfervorbehalt bei dem Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung; vgl. auch Schlosser, Wirtschaftsprüfervorbehalt, FS Großfeld, S. 997, 1002: „Ehe man dann einen Auskunftsanspruch wegen Unverhältnismäßigkeit ganz leugnet, ist es allemal gerechter, ihn unter den Wirtschaftsprüfervorbehalt zu stellen“. 242 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 561; ebenso Karger, Beweisermittlung, S. 109, m.w.N., der in dem Auftragsverhältnis einen Vertrag zugunsten des Besichtigungsschuldners (§ 328 Abs. 1 BGB) sieht, welcher im Falle der Verletzung der Schweigepflicht einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Sachverständigen habe; a.A. Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 160, die Geheimhaltungsverpflichtung ergebe sich bereits aus § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. 243 OLG München, CR 1987, S. 761, 762; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 161.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Der Sachverständige erhält seinen genauen Untersuchungsauftrag vom Anspruchsteller, nachdem dieser zuvor eine gerichtliche Verfügung erwirkt hat, welche ihm die Vornahme der Untersuchung mit Hilfe eines neutralen Sachverständigen erlaubt und dem Anspruchsgegner die Duldung derselben aufgibt. Dazu hat der Anspruchsteller zwar einen bestimmten Verfügungsantrag zu stellen und den Umfang der beantragten Untersuchungen zu beschreiben, dennoch kann nur das Gericht – und nicht etwa der Anspruchsteller oder der agierende Sachverständige – den genauen Umfang der vorzunehmenden Untersuchungshandlungen und der zu treffenden Feststellungen anordnen. Dabei darf das Gericht jedoch nicht über die beantragten Maßnahmen hinausgehen („ne ultra petita“)244. d) Feststellungen zu äquivalenten Patentverletzungen und unfreien Bearbeitungen im Sinne des Urheberrechts Im Patentrecht umfasst der Schutzbereich der in den Patentansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung nicht nur die wortlautgemäße Problemlösung, sondern er erstreckt sich auch auf Lösungen durch äquivalente Mittel245. Außerhalb des Identitätsbereichs ist daher durch Vergleich von patentgemäßer und angegriffener Ausführungsform eine im konkreten Einzelfall schwierige Unterscheidung zu treffen zwischen einer Schutzrechtsverletzung im Äquivalenzbereich und einer eigenen erfinderischen Tätigkeit außerhalb von Identität und Äquivalenz. (1) Problemstellung Die Rechtsprechung hat zur Beantwortung der Frage, ob eine Abwandlung eine äquivalente Benutzung darstellt oder nicht, einen komplexen dreistufigen Test entwickelt246. Die Feststellung, ob gegebenenfalls eine schutzrechtsverletzende äquivalente Abwandlung vorliegt, ist für den Anspruchsteller ebenfalls von großem Interesse, um zu beurteilen, ob eine Verletzungsklage aussichtsreich wäre247. Die vorprozessuale Er244 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 560 f.; OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“, wonach das Ausmaß der für die Feststellungen notwendigen Maßnahmen nicht dem Sachverständigen zu überlassen ist; siehe auch BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“, dort wurde festgestellt, dass der Sachverständige keine Feststellungen in Bezug auf äquivalente Abweichungen treffen darf; zum Verfügungsantrag und zur Notwendigkeit einer präzisen Beauftragung des Sachverständigen siehe auch unten unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. a) (1). 245 Busse/Keukenschrijver, PatG, § 14 Rdn. 89; siehe auch BGHZ 98, S. 12, 18 f. – „Formstein“. 246 BGH, Urt. v. 12. 3. 2002, GRUR 2002, S. 515, 517 – „Schneidmesser I“; BGH, Urt. v. 12. 3. 2002, GRUR 2002, S. 519, 521 – „Schneidmesser II“; Busse/Keukenschrijver, PatG, § 14 Rdn. 91 – 95: Drei Kriterien: 1.) „objektiv gleichwirkende Mittel“, 2.) „Fachmann ist befähigt die Mittel als gleichwirkend aufzufinden“, 3.) „gleichwertige Lösung“. 247 Vgl. zur Definition des Äquivalenzbereichs und zur Schutzrechtsverletzung durch Eingriff in den Äquivalenzbereich Schramm/Kaess, Patentverletzungsprozess, S. 165 ff.

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mittlung und Beschreibung von äquivalenten Abwandlungen im Zuge der Besichtigung nach § 809 BGB bringt dabei allerdings einige Probleme mit sich, selbst wenn dies durch den obligatorisch eingeschalteten Sachverständigen geschieht: Wenn der Sachverständige außerhalb des Identitätsbereichs Äquivalente ermittelt, trifft er nicht nur Feststellungen über das Vorhandensein wortlautgemäßer Merkmale, sondern er nimmt bei der Bestimmung des Äquivalenzbereichs notwendigerweise eine rechtliche Wertung vor, was ihm als Privatgutachter möglicherweise gar nicht zusteht. Um äquivalente Schutzrechtsverletzungen aufspüren zu können, untersucht er die Abwandlungen der in den Ansprüchen beschriebenen Merkmale. Hinsichtlich dieser Abwandlungen besteht ein berechtigtes Informationsinteresse an der Feststellung und Beschreibung von äquivalenten Abwandlungen, da diese das geschützte Recht verletzen würden. Der Sachverständige nimmt aber auch Abweichungen außerhalb des Äquivalenzbereichs wahr, die eine eigene Entwicklung des Anspruchsgegners darstellen. Diese selbst entwickelten technischen Abweichungen stellen ein schützenswertes Betriebsgeheimnis des Anspruchsgegners dar, dessen Offenlegung er zu Recht verhindern will und hinsichtlich deren Offenlegung kein berechtigtes Interesse besteht. Ungünstig für den Anspruchsgegner ist auch, dass er sich gegen die möglicherweise irrtümliche Annahme des Sachverständigen, die Abwandlung falle in den Äquivalenzbereich, nicht anders wehren kann als durch unerwünschte Offenlegung und Erläuterung der eigenen bis dahin geheimen Vorgehensweise. Ähnliche Interessengegensätze treten im Urheberrecht bei der Abgrenzung von unfreier Bearbeitung und freier Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) im Rahmen des Besichtigungsverfahrens auf. (2) „Druckbalken“-Verfahren Das Oberlandesgericht Düsseldorf jedenfalls erlaubte im „Druckbalken“-Verfahren dem Anspruchsteller in Gestalt des neutralen Sachverständigen die Angabe und Beschreibung nach dessen Meinung äquivalenter Abweichungen mit der Einschränkung, dass nur das als gleichwirkend Naheliegende untersucht werden dürfe, nicht aber erfinderische Abwandlungen248. Dagegen monierte der Bundesgerichtshof in seiner „Druckbalken“-Entscheidung, dass sich die Äquivalenz zwar begrifflich fassen lasse, ihr Vorliegen im konkreten Einzelfall aber regelmäßig schwer zu beurteilen und auch unter Fachleuten höchst umstritten sei. Indem der Sachverständige beauftragt werde, Feststellungen im Äquivalenzbereich zu treffen, werde ihm die Bemessung dieses Bereichs überlassen. Diese rechtliche Wertung stehe aber allein dem Gericht zu. Im Übrigen falle es dem Anspruchsgegner naturgemäß schwer hinsichtlich des Äquivalenzbereichs 248 OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 746 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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seine berechtigten Geheimhaltungsinteressen geltend zu machen, da es nicht klar vorherzusehen sei, wie weit der Äquivalenzbereich vom Besichtigenden gezogen werde. Daher beinhalte das Besichtigungsrecht nach § 809 BGB nicht die Feststellung und Beschreibung von möglichen Schutzrechtsverletzungen im Äquivalenzbereich249. (3) Literaturstimmen (a) Zustimmende Stellungnahmen Teilweise traf der Bundesgerichtshof mit dieser Ansicht auf Zustimmung250; wobei diese zustimmenden Äußerungen allerdings partiell auf einer einschränkenden Interpretation der Aussagen des Gerichts basieren. Entsprechend diesen Literaturstimmen habe der Bundesgerichtshof mit seinen Schlussfolgerungen nur eine allgemeine und unkontrollierte Ausdehnung des Besichtigungsauftrags des Sachverständigen auf den Äquivalenzbereich unterbinden wollen, um zu verhindern, dass der Sachverständige sein eigenes, möglicherweise zweifelhaftes Verständnis der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten zur Grundlage der Bemessung des Äquivalenzbereiches mache. Unerlässlich sei jedoch, dass dem Sachverständigen in seinem Auftrag jedes einzelne geschützte Merkmal, dessen Vorhandensein er ermitteln und beschreiben solle, exakt angegeben werde. Andere als die angegebenen Merkmale dürfe er nicht untersuchen. Darüber hinaus sei es uneingeschränkt mit dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu vereinen, wenn dem Sachverständigen in dem Auftrag – gebilligt und unter Umständen eingeschränkt durch das Gericht – alternativ oder kumulativ neben den wortlautgemäßen Merkmalen andere Merkmale zur Untersuchung genannt würden, die im Äquivalenzbereich lägen und vom Anspruchsteller als denkbare Äquivalente vorhergesehen werden können251. Demzufolge kommt es nach dieser Ansicht eher auf das Primat der gerichtlichen Entscheidung als auf die Abgrenzung des Identitäts- vom Äquivalenzbereich an. Man ist der Meinung, dass der Bundesgerichtshof prinzipiell eine Untersuchung des Äquivalenzbereichs wohl anerkannt hätte, wenn rechtlich einwandfrei feststünde, welches Merkmal in den Äquivalenzbereich falle und welches nicht. Von dieser Seite wird aber selbst eingeräumt, dass es gewisse Schwierigkeiten bereiten dürfte, im Voraus alle denkbaren Abwandlungen im Äquivalenzbereich zu antizipieren und so dem

249 BGH, GRUR 1985, S. 512, 517 – „Druckbalken“; vgl. auch Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117a. 250 Stauder, Anm. „Druckbalken“, GRUR 1985, S. 518, 518; Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 161 f. 251 Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 161 f.; in diese Richtung geht auch die Bemerkung von Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1021, wonach auch nach BGH „Druckbalken“ Untersuchungen im Äquivalenzbereich zulässig seien, wenn nur feststehe, wie weit der Äquivalenzbereich zu bemessen sei.

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Sachverständigen einen vom Gericht gebilligten, klar umrissenen Auftrag zur Feststellung vorher genau beschriebener äquivalenter Merkmale zu erteilen252. (b) Ablehnende Stellungnahmen Andere äußerten zwar scharfe Kritik an der Einschätzung des Bundesgerichtshofs, hielten es aber dennoch für eine zwingende Folge dieser Rechtsprechung, die Begrenzung des Untersuchungsauftrags auf den Identitätsbereich auch auf das Urheberrecht zu übertragen. Folglich seien im Urheberrecht nur Untersuchungen des Sachverständigen zur Auffindung einer identischen Übernahme urheberrechtlich geschützter Werke zulässig. Die Ermittlung und Beschreibung von Umgestaltungen und unfreien Bearbeitungen, also solchen Veränderungen, die nach Meinung des Sachverständigen die Individualität des Werkes übernehmen und somit zustimmungsbedürftig sind (§§ 23 S. 1, 2; 69 c Nr. 2 UrhG), überschreite dagegen den vom Bundesgerichtshof gebilligten Rahmen des § 809 BGB253. Die schwierige und fließende Abgrenzung von unfreier Bearbeitung und freier Benutzung – letzteres eine zustimmungsfreie Abwandlung, welcher das benutzte Werk nur als Anregung dient und deren eigene Individualität die Individualität des benutzten Werkes in den Hintergrund treten und verblassen lässt (§ 24 Abs. 1 UrhG)254 – beinhaltet nämlich wiederum die Gefahr des Irrtums des Sachverständigen. Im Falle dieses Irrtums würde eine freie Benutzung des Werkes, die damit zugleich ein selbst entwickeltes Betriebsgeheimnis des Anspruchsgegners darstellt, im Bericht des Sachverständigen angegeben und gegebenenfalls detailliert beschrieben. Unabhängig von einer Übertragung auf den Bereich der unfreien Bearbeitung hält der überwiegende Teil der Lehre diese Bundesgerichtshof-Rechtsprechung für gänzlich verfehlt, insbesondere da die Mehrzahl der Schutzrechtsverletzungen nicht schlichte identische Übernahmen, sondern entsprechende Abwandlungen seien255. Zu Recht wird geltend gemacht, dass auch die äquivalente Patentverletzung und die unfreie Bearbeitung Schutzrechtsverletzungen darstellen und es Sinn und Zweck der Besichtigung ist, Schutzrechtsverletzungen – gerade auch diejenigen mittels äquivalenter Abwandlungen – aufzuklären. Zumal das berechtigte Informationsinteresse des Anspruchstellers dadurch verstärkt wird, dass die zu beschreibende Abwandlung im Falle der äquivalenten Schutzrechtsverletzung kein anzuerkennendes 252

So Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 162. Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 70; Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 837; zur Abgrenzung von nicht-schöpferischer Umgestaltung, unfreie Bearbeitung und freier Benutzung siehe Rehbinder, Urheberrecht, Rdn. 150 ff. u. 227 ff., m.w.N. 254 BGH, NJW 2000, S. 2202, 2206 – „Laras Tochter“; Rehbinder, Urheberrecht, Rdn. 228. 255 Siehe z. B. Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 557, u. S. 695, 705; Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 70; Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 837; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 71; Karger, Beweisermittlung, S. 91 u. 107 f.; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 908; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 65 f.; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 161 f. 253

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Betriebsgeheimnis sein kann und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Schutzrechtsverletzung bereits dargelegt wurde256. Außerdem sei es eine sonderbare Vorstellung, wenn dem Sachverständigen eine Übernahme unter minimalen Abwandlungen sofort ins Auge stechen würde, dieser aber trotzdem in seinem Bericht nur mitteilen dürfte, dass er keine Identitäten feststellen konnte257. Einzelne Stimmen gehen in ihrer Kritik hierbei sehr grundsätzlich vor und betrachten den Sachverständigen als reinen Augenscheinsmittler, welcher alleine tatsächliche Wahrnehmungen und technische Merkmale weiterzuleiten habe, ohne rechtliche Wertungen vorzunehmen. Der Anspruchsteller solle durch den Bericht befähigt werden, die Entscheidung über die Erfolgsaussichten des weiteren Vorgehens selbst zu treffen und die Schlussfolgerung, ob es sich um eine äquivalente Verletzung handele, persönlich zu ziehen. Die Frage der Geheimhaltungsinteressen sei dabei von der Einordnung eines Merkmals als gleichwirkendes Ersatzmittel unabhängig, solange dieses Merkmal in den Schutzbereich des Ausschließlichkeitsrechts falle258. Abgesehen davon, seien als neutrale Sachverständige eingesetzte Rechts- und Patentanwälte sicher geeignet, den dreistufigen Test korrekt anzuwenden259. (4) Entscheidung „Faxkarte“ Der Bundesgerichtshof hatte sich in seiner späteren Entscheidung „Faxkarte“ zur Frage der äquivalenten Patentverletzung und unfreien Bearbeitung nicht zu äußern. Er leitet seine Ausführungen zum Besichtigungsumfang jedoch ein, indem er unterstreicht, dass sich der Besichtigungsanspruch auf diejenigen Untersuchungsobjekte erstreckt, auf die sich der mögliche Hauptanspruch bezieht260. (5) Stellungnahme § 809 BGB dient vorprozessual dem Informationsinteresse des Anspruchstellers und soll ihm den Nachweis einer Schutzrechtsverletzung erleichtern – und zwar auch den Nachweis derselben mittels äquivalenter Mittel –, sofern er bereits aus eigenen Ressourcen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung dargetan hat. Insbesondere im Bereich der nicht offensichtlichen Verletzung mittels äquivalenter Abwandlungen bedarf er des Besichtigungsanspruches zur Substantiierung einer Verletzungsklage. Zwar können eigene Entwicklungen des Anspruchsgegners als schützenswerte Betriebsgeheimnisse der Besichtigung entgegenstehen, aller256 Karger, Beweisermittlung, S. 107; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 908; Ibbeken, TRIPS-Übereinkommen, S. 66; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 71. 257 Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 71. 258 So König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 161 f., der dabei übersieht, dass das angeblich äquivalente Merkmal, sollte es tatsächlich kein Äquivalent sein, nicht mehr in den Schutzbereich fällt und damit sofort geheimhaltungsbedürftiges Know-How darstellt. 259 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 162. 260 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

106 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

dings stellt eine schutzrechtsverletzende, äquivalente Abwandlung isoliert gesehen gerade kein anzuerkennendes Betriebsgeheimnis dar261. Das Problem der Geheimhaltungsinteressen stellt sich im Rahmen der Äquivalenzproblematik nur, falls der Sachverständige in seinem Bericht irrtümlich außerhalb des Äquivalenzbereichs liegende originäre Entwicklungen als Äquivalente darstellt und beschreibt und dieser Bericht unverändert zur Kenntnis des Anspruchsgegners gelangt. Allerdings trifft der Sachverständige seine Entscheidungen nicht allein: Das Gericht kann den Verfügungsantrag einschränken und genaue Vorgaben zur Art und Weise der Untersuchung machen. In Bezug auf jede seiner Feststellungen auch im Bereich der Abwandlungen ist der Sachverständige zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet und allein dem Gericht ist der Bericht vollständig auszuhändigen. Anschließend kann das Gericht sorgfältig über die Freigabe entscheiden und im Falle der Überschreitung der zulässigen Beschreibung von Äquivalenten und unfreien Bearbeitungen Teile des Berichts entfernen262. Richtig ist daher, dass auch im Äquivalenzbereich die Interessen des Anspruchsgegners regelmäßig durch verfahrensmäßige Vorkehrungen geschützt werden können, ohne allgemein die Besichtigung auf die Feststellung von Identitäten zu begrenzen263. Sowohl im Patent- als auch im Urheberrecht kann der Sachverständige folglich nach seiner Ansicht äquivalente Ersatzmittel und unfreie Bearbeitungen in seinem Bericht angeben und beschreiben und damit zugleich – zumindest privatgutachterlich – Beweise dauerhaft sichern. Er nimmt dabei zwar in gewissem Maße rechtliche Wertungen vor, diese sind aber direkt nur für seinen Auftraggeber und dessen Entscheidung, ob Klage erhoben werden soll oder nicht, relevant. Ob es sich wirklich um Äquivalenzen handelt, kann das Gericht später im Freigabeprozess näherungsweise und im Verletzungsprozess endgültig nach seiner Rechtsauffassung prüfen und feststellen. Der Bericht des Sachverständigen müsste allerdings von diesem in zwei Abschnitte unterteilt werden: In einem ersten Abschnitt werden dabei die von ihm festgestellten Identitäten angegeben und detailgenau beschrieben; während im zweiten Abschnitt des Berichts auch vermeintliche Äquivalenzen in den Bericht aufgenommen werden. Um der Unsicherheit der vorläufigen Einschätzung des Sachverständigen Rechnung zu tragen, teilt der Sachverständige in dem Bericht in Bezug auf mögliche Äquivalenzen jedoch nur das Ergebnis seiner Untersuchung mit264. Weitere Einzel261

Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 908. So auch Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 70; Karger, Beweisermittlung, S. 91 u. 107 f.; Möglichkeit einer Schwärzung genannt bei Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 67; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 908; Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192. 263 So auch Karger, Beweisermittlung, S. 91. 264 Ähnlich Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 162, der allgemein nur das Ergebnis der Besichtigung mitteilen lassen will; Zweiteilung kurz angedeutet auch bei Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 67; siehe auch Saß, Beschaffung von Informationen, S. 93 f., der die Beschränkung der Mitteilung auf das Ergebnis nur hinsichtlich § 809 2. Fall BGB fordert. 262

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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heiten der Entsprechungen werden dabei nur höchst rudimentär erörtert, soweit es zur Entscheidungsfindung des Anspruchstellers und zur Konkretisierung des Streitgegenstandes der Hauptsacheklage unbedingt erforderlich ist. Einzelheiten, die eine genaue Kenntnis der Wirkung, Funktionen oder Konstruktion der möglichen äquivalenten Mittel ermöglichen, sind wegzulassen oder, falls dies nicht geschieht, vom Gericht zu entfernen. Eine andere Variante wäre, im Bericht vollständige Beschreibungen vorzunehmen, allerdings den Bericht nur zur Verschwiegenheit verpflichteten Anwälten zukommen zu lassen und nicht dem Anspruchsteller. Der Gläubiger müsste sich bei beiden Vorgehensweisen auf die Einschätzung des Sachverständigen oder seiner Anwälte ungeprüft verlassen265. Dies ist jedoch nicht unbillig, da der Anspruchsteller diese Personen selbst ausgesucht und beauftragt hat. Im Übrigen vertraut er auch ansonsten üblicherweise auf die Kenntnisse und die Erfahrung durch ihn selbst bestellter Prozessvertreter. Außerdem ist das Eindringen-Dürfen in die Sphäre des Gegners ein Privileg, welches auch vom Anspruchsteller ein Entgegenkommen zur Entschärfung der Interessensgegensätze verlangt. Allerdings müssen die Mitteilung nur des Ergebnisses und die sich daraus ergebenden Probleme bei der Individualisierung und Substantiierung der Verletzungsklage Auswirkungen auf die Substantiierungslast des Schutzrechtsinhabers haben. Mit Hinweis auf die Ergebnisse eines eingeschränkten Besichtigungsverfahrens sollte der klagende Schutzrechtsinhaber daher vom Gericht des Verletzungsprozesses eine Absenkung der Anforderungen an die Substantiierung seiner Klage verlangen können266. Eine entsprechende Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu § 809, 2. Fall BGB wäre auch nach bisherigem deutschen Recht ohne Gesetzesänderung möglich gewesen. Für die Zwecke der Überprüfung der Instrumente der Informationsbeschaffung nach bisherigem deutschen Recht auf ihre Tauglichkeit zur Überwindung des Informationsdefizits, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der DurchsetzungsRichtlinie, ist allerdings davon auszugehen, dass nach dem noch gültigen Stand der Rechtsprechung eine Untersuchung möglicher äquivalenter Patentverletzungen unzulässig ist. IV. Modalitäten der Besichtigung § 811 BGB regelt Einzelheiten in Bezug auf den Vorlegungsort, die Verteilung der Sachgefahr und die Tragung der Kosten.

265 266

Saß, Beschaffung von Informationen, S. 93 f. So zutreffend Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 163.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

1. Ort der Vorlegung Der Besichtigungsschuldner hat die Vorlegungspflicht grundsätzlich an dem Ort zu erfüllen, an dem sich die vorzulegende Sache befindet (§ 811 Abs. 1 S. 1 BGB). Unter diesem „Ort“ ist jedoch nicht der buchstäbliche Standort der Sache zu verstehen. Da der Besitzer der Sache eine Leistung schuldet, entspricht der Vorlegungsort dem Leistungsort im Sinne des § 269 Abs. 1 BGB, also dem Ort der politischen Gemeinde. Innerhalb der geographischen Grenzen dieser Gemeinde bestimmt der Schuldner den genauen Vorlegungsort267. Aus wichtigem Grund kann jede Partei die Vorlegung an einem anderen Ort verlangen (§ 811 Abs. 1 S. 2 BGB); diese Gründe können sich hierbei aus persönlichen oder sachlichen Umständen ergeben. Anzuerkennen ist insbesondere ein berechtigtes Interesse am Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. So liegt ein wichtiger Grund vor, wenn die Besichtigung der Sache in den Geschäftsräumen des Schuldners die Gefahr der Offenlegung sonstiger Betriebsgeheimnisse – d. h. Betriebsgeheimnisse unabhängig von der Zusammensetzung und Funktion der Sache – mit sich bringt268 und kein geeigneter, alternativer Vorlegungsort in derselben Gemeinde zur Verfügung steht. Der Schuldner kann daher die Vorlegung der Sache an einem neutralen Ort in einer anderen Gemeinde verlangen, denn der Gläubiger hat kein berechtigtes Interesse daran, im Zuge der Besichtigung Einblick in den Betriebsablauf und in Betriebsunterlagen zu erhalten, die mit der möglicherweise rechtsverletzenden Sache und deren Zusammensetzung und Funktionsweise in keinem Zusammenhang stehen. 2. Gefahrtragung und Kosten der Vorlegung zur Besichtigung Nach § 811 Abs. 2 S. 1 BGB trägt der Anspruchsteller die Sachgefahr und die Kosten der Vorlegung. Dem Gläubiger ist also die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Beschädigung der Sache aufgrund der Vorlegung zugewiesen. Dies bedeutet, dass er verschuldensunabhängig schadensersatzpflichtig ist, wenn die vorgelegte Sache aufgrund der Vorlegung verloren geht, zerstört oder beschädigt wird. Davon abgesehen haftet er im Falle schuldhaften Handelns wegen Verletzung einer Schutzpflicht aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen Vorlegungsberechtigtem und Besitzer (§ 280 Abs. 1 BGB, vormals „pVV“) sowie im Übrigen nach § 823 Abs. 1 BGB269. Ebenso hat der Gläubiger die Kosten der Vorlegung zu übernehmen. Generell gilt, dass vom Gläubiger nur solche Gefahren und Kosten zu tragen sind, die sich unmit-

267 268 269

MüKo/Hüffer, § 811 Rdn. 2; Staudinger/Marburger, § 811 Rdn. 2. Staudinger/Marburger, § 811 Rdn. 2; MüKo/Hüffer, § 811 Rdn. 3. MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 1 und § 811 Rdn. 4; Staudinger/Marburger, § 811 Rdn. 4.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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telbar aus Gefahren für die Sache selbst oder der Vorlegung als solcher ergeben270. Dazu zählen z. B. Transportkosten und die Kosten des vom Gläubiger beauftragten, aber neutralen Sachverständigen, nicht aber die Kosten der vorübergehenden Gebrauchsentziehung der Sache für die Dauer der Vorlegung271. Da der Sachverständige Privatgutachter und nicht gerichtlicher Sachverständiger im Sinne der §§ 402 ff. ZPO ist und diese Kosten in keinem direkten Zusammenhang zu dem Prozess stehen, besteht für den Gläubiger hinsichtlich der durch die Beauftragung des Sachverständigen entstandenen Kosten auch kein prozessualer Kostenerstattungsanspruch im Falle des Obsiegens mit dem Anspruch aus § 809 BGB. Der Gläubiger hat daher die Kosten der Beauftragung des Sachverständigen zu übernehmen, selbst wenn diese mit Rücksicht auf die Betriebsgeheimnisse des Schuldners erfolgt. Insgesamt dient die Vorlegung alleine dem Interesse des Gläubigers, der insoweit ein „eigenes Geschäft“ verfolgt. Die Zuweisung von Gefahr und Kosten trägt diesem Umstand Rechnung. Eine Übernahme der vom Gläubiger getragenen Kosten durch den Schuldner ist nur als Teil eines materiellrechtlichen Schadensersatzanspruchs als Folge einer festgestellten Schutzrechtsverletzung möglich272. Nach § 811 Abs. 2 S. 2 BGB kann der Besitzer die Vorlegung so lange verweigern, bis ihm der Gläubiger Vorschuss für die Kosten und Sicherheit für die Gefahr (§§ 232 ff. BGB) leistet. Allerdings gilt dies nur, wenn vermutlich Kosten und Gefahren für die Sache überhaupt entstehen273. In der Entscheidung „Faxkarte“ wird im Zusammenhang mit der Sicherheitsleistung von Fällen einer „realistischen Gefahr“ der Beschädigung gesprochen274. 3. Gefahrtragung und Kosten der Gestattung der Besichtigung Es fällt auf, dass § 811 BGB nur von der „Vorlegung“ zur Besichtigung spricht und den Fall der „Gestattung“ der Besichtigung nicht erwähnt. Ungeklärt ist bislang, welche Schlussfolgerungen aus dieser Nichterwähnung zu ziehen sind, und ob dies eine andere Verteilung von Kosten und Risiken bei bloßer Gestattung der Besichtigung rechtfertigt. Teilweise wird aus der Verknüpfung gerade der Vorlegung mit der Regelung zu Gefahrtragung und Kosten geschlossen, dass der Gesetzgeber annahm, nur die Vor270

Staudinger/Marburger, § 811 Rdn. 4; a.A. RGZ 69, S. 401, 406 – „Nietzsche-Briefe“, welches Sicherheitsleistung zur Verhinderung einer zweckfremden Benutzung der Sache erörtert. 271 Staudinger/Marburger, § 811 Rdn. 4; MüKo/Hüffer, § 811 Rdn. 5. 272 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 561; S. 695, 713; S. 770, 778; OLG München, Beschl. v. 31. 10. 1986, GRUR 1987, S. 33, 34 – „Besichtigungskosten“; MüKo/Hüffer, § 811 Rdn. 5. 273 Staudinger/Marburger, § 811 Rdn. 5; MüKo/Hüffer, § 811 Rdn. 4. 274 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1019 f.

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legung zur Besichtigung könne mit Gefahren und Kosten verbunden sein. Daher müsse es sich bei der Vorlegung zur Besichtigung um die umfangreichere und somit gefahrträchtigere Form der Besichtigung handeln275. Richtigerweise erklärt sich die Nichterwähnung der „Gestattung“ der Besichtigung jedoch nur aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 811 Abs. 2 BGB und § 811 Abs. 1 BGB. Mit § 811 Abs. 1 BGB regelt der Gesetzgeber den Ort der Vorlegung und geht dabei von der Möglichkeit des Ortswechsels im Zuge der Vorlegung aus. Die Gestattung der Besichtigung als passive Duldung einer fremden Maßnahme ist hingegen nicht mit einem Ortswechsel verbunden und muss daher in § 811 Abs. 1 BGB auch nicht erwähnt werden. § 811 Abs. 2 BGB knüpft systematisch direkt an Abs. 1 derselben Norm an. Dass hierin, neben der schon in Abs. 1 behandelten Vorlegung, die Gestattung wiederum nicht genannt wird, stellt somit wahrscheinlich nur ein redaktionelles Versehen dar, das sich aus der engen Verbindung von Abs. 1 mit Abs. 2 ergibt. Der Gesetzgeber ging vermutlich auch unzutreffenderweise davon aus, dass nur bei einem mit der Vorlegung eventuell verbundenen Ortswechsel Kosten und Gefahren entstehen können, also nur hier eine Regelung der Gefahrtragung angebracht sei. Auch an anderer Stelle im BGB assoziiert der Gesetzgeber den Ortswechsel im Interesse des Gläubigers mit einer Regelung der Gefahrtragung, z. B. im Rahmen der §§ 446, 447, 644 Abs. 2 BGB276. Die Nichterwähnung der Gestattung in § 811 Abs. 2 BGB folgt also primär aus der systematischen Stellung des Abs. 2 und der unzutreffenden Annahme des Gesetzgebers, dass bei einer stationären Gestattung der Besichtigung keine Gefahren und Kosten entstehen. Auch die Gestattung der Besichtigung an Ort und Stelle liegt jedoch allein im Interesse des Gläubigers und kann entgegen der Annahme des Gesetzgebers Gefahren und Kosten mit sich bringen. Die Nichterwähnung der Gestattung besagt nach all dem jedenfalls nicht, dass die Gefahren und Kosten der Gestattung vom Schuldner zu tragen sind. Aufgrund der vergleichbaren Interessenlage und einer nicht beabsichtigten, planwidrigen Regelungslücke ist § 811 Abs. 2 BGB folglich entsprechend auf die Fälle der Gestattung anzuwenden. V. Die Möglichkeiten der Durchsetzung des Anspruchs Der mutmaßliche Schutzrechtsverletzer wird die Sache kaum freiwillig auf Anfrage des Schutzrechtsinhabers vorlegen und die Besichtigung gestatten. Daher ist zu untersuchen, wie der Anspruch nach § 809 BGB prozessual – also zwangsweise – durchgesetzt werden kann. Hierzu gibt es mehrere Möglichkeiten, wobei nur drei davon praktisch sinnvoll sind:

275

So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 562. Dort ist der Übergang der Preisgefahr bei einem Ortswechsel der Sache auf Verlangen des Gläubigers geregelt. 276

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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1. Die Geltendmachung im Hauptsacheverfahren Selbstverständlich kann der Besichtigungsanspruch klageweise in einem Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden, parallel zu den Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen des eigentlichen Schutzrechtsverletzungsprozesses (objektive Klagehäufung, § 260 ZPO). Dies bringt jedoch das Problem mit sich, dass der Schutzrechtsinhaber meist Schwierigkeiten mit der Substantiierung der Verletzungsklage und der Beweisführung haben wird, da das Besichtigungsverfahren ihm ja gerade erst die nötigen Informationen für den Verletzungsprozess verschaffen soll277. 2. Die Geltendmachung als Stufenklage Hilfreicher ist zumindest die Geltendmachung des Besichtigungsanspruchs und der Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche als Stufenklage nach § 254 ZPO. Hierbei kann eine selbstständige Klage auf Auskunft mit einer Klage auf Zahlung verbunden werden, wenn nur der Erhalt der Auskunft die Bestimmung des Inhalts und des Umfangs der begehrten Leistung ermöglicht. Die einzelnen Stufen müssen sukzessiv verhandelt werden, wobei zunächst über den Auskunftsteil durch Teilurteil nach § 301 ZPO erkannt wird. § 254 ZPO ist extensiv auszulegen278. Daher ist die Stufenklage nicht nur hinsichtlich der in § 254 ZPO genannten Klagen auf Rechnungslegung usw. anwendbar, sondern immer dann wenn eine vorbereitende Auskunft dazu dient, die noch fehlende Bestimmtheit des Leistungsbegehrens herbeizuführen279. Dies ist bei dem Besichtigungsanspruch in beiden Konstellationen des § 809 BGB der Fall, da der Schutzrechtsinhaber ohne die Besichtigung über die Verletzung als solche im Ungewissen ist oder zumindest Inhalt und Umfang seines Anspruches nicht beziffern kann. Als Ausnahme vom Gebot der Bestimmtheit des Klageantrags nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann im Rahmen der Stufenklage die Besichtigungsklage mit einer unbestimmten Klage auf Unterlassung und Schadensersatz verknüpft werden, ohne in der Klageschrift die konkrete Verletzungsform und den genauen Umfang des Antrags zu nennen280. Wenn das Teilurteil erlassen und die Besichtigung durchgeführt wurde, kann der unvollkommene Antrag präzisiert werden. Das Gericht entscheidet dann über die Verletzungsklage durch Endurteil. Vorteil dieses Vorgehens ist, dass trotz der Unbestimmtheit des Klageantrags auch der Verletzungsteil rechtshängig wird und damit nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung gehemmt ist281. Allerdings verstreicht einige Zeit, bis bei einem alleinigen Vorgehen mit Hilfe des Hauptsacheverfahrens schließlich die Besichtigung durchgeführt werden kann.

277

Kühnen/Geschke, Durchsetzung von Patenten, Rdn. 102. Stein/Jonas-Schumann, ZPO, § 254 Rdn. 1, 5, Fn. 13. 279 BGH, Urt. v. 2. 3. 2000, NJW 2000, S. 1645, 1645 (Leitsatz), 1646. 280 Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1021. 281 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, § 254 Rdn. 1, 3, 18, 19; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1021 f.; Schilken, Zivilprozessrecht, Rdn. 212. 278

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Der seit der Klageerhebung gewarnte mutmaßliche Schutzrechtsverletzer könnte dies nutzen, um die Sache beiseite zu schaffen oder zu manipulieren282. 3. Die Geltendmachung im einstweiligen Verfahren mit dem Ziel der Befriedigungsverfügung Seinem Ziel, nämlich möglichst schnell Klarheit über die vermeintliche Verletzung und deren Umstände zu erlangen sowie entsprechende Beweise vor deren Vernichtung oder Manipulation zu sichern, kommt der Schutzrechtsinhaber mit dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes am nächsten283. Allgemein anerkannt ist hierbei, dass der Besichtigungsanspruch im Wege des einstweiligen Verfahrens zumindest geltend gemacht werden kann284. Umstritten ist jedoch, ob der Besichtigungsanspruch im einstweiligen Verfahrens nur gesichert werden darf, während eine Erfüllung dem Hauptsacheverfahren in Bezug auf § 809 BGB vorbehalten bleibt, oder ob der Bericht des Sachverständigen bereits während oder am Ende des Verfügungsverfahrens dem Anspruchsteller übergeben werden kann, also eine sogenannte Erfüllungs- oder Befriedigungsverfügung zulässig ist. Im Grundsatz gilt, dass das einstweilige Verfahren nur der Sicherung von materiellen Ansprüchen dient. Das heißt der eigentliche materielle Anspruch darf nicht befriedigt bzw. erfüllt werden – Verbot der Erfüllungsverfügung –, es sind lediglich geeignete Sicherungsmaßnahmen zu treffen, die eine Veränderung des bestehenden Zustands und damit eine Vereitelung des Anspruches verhindern sollen285. Das Hauptsacheverfahren mit der Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs darf nicht vorweggenommen werden. Eine Befriedigungsverfügung ist nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung dem Antragsteller unzumutbar wäre, weil es zu existenzgefährdenden, irreparablen Schäden führen würde und anderenfalls eine spätere Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren nicht mehr möglich wäre286. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Lehre ist allerdings der Auffassung, dass Auskunftsansprüche – die Interessenlage ist beim Besichtigungsanspruch insofern identisch – nicht durch eine Befriedigungsverfügung

282

Vgl. z. B. Süßenberger, Anm. LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 629. Vgl. zum einstweiligen Rechtsschutz im Patent- und Wettbewerbsrecht Holzapfel, Zum einstweiligen Rechtsschutz, GRUR 2003, S. 287, 287 ff. 284 Vgl. zuletzt OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2006, S. 295, 295; Hay, Informationsbeschaffung, in Schlosser (Hrsg.), Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, S. 1, 50 Fn. 263. Allgemein zur Bedeutung des einstweiligen Verfahrens im Immaterialgüterrecht: Vgl. Meier-Beck, Einstweilige Verfügung, GRUR 1988, S. 861, 861 ff.; Meier-Beck, Aktuelle Fragen, GRUR 1999, S. 379, 382 ff.; Schulz-Süchting, Einstweilige Verfügungen, GRUR 1988, S. 571, 571 ff. 285 Z.B. OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2006, S. 295, 296. 286 Zöller/Vollkommer, ZPO, § 940 Rdn. 6. 283

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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bereits im einstweiligen Verfahren erfüllt werden dürfen287, weil Informationen, wenn sie einmal erteilt wurden, nicht wieder „zurückübertragen“ werden können und so der Anspruch endgültig erfüllt würde, selbst wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nie bestand288. Eine gesetzliche Ausnahme vom Verbot der Erfüllungsverfügung gilt allenfalls bei Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung hinsichtlich der Drittauskunftsansprüche nach §§ 140b PatG, 101a UrhG, 19 MarkenG289. Vor einer eingehenden Erörterung der Problematik in Bezug auf den Besichtigungsanspruch ist anzumerken, dass hier grundsätzlich zwei Konstellationen zu unterscheiden sind. In der ersten Konstellation sind entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht denkbar. In einem solchen Fall könnte gegebenenfalls über eine Befriedigungsverfügung nachgedacht werden. In der zweiten Konstellation werden Geheimhaltungsinteressen geltend gemacht oder stehen zumindest im Raum, so dass das Gericht diese bei dem Erlass der Verfügung in die Überlegungen mit einbeziehen muss. In diesem Fall ist nach § 242 BGB eine Interessenabwägung und somit unter Umständen die Einschaltung des neutralen Sachverständigen erforderlich. In aller Regel kommt im Immaterialgüterrecht nur die letzte Konstellation in nennenswerten Umfang vor, da typischerweise entgegenstehende Interessen zu berücksichtigen sind290. Nur diese Konstellation soll daher der folgenden Betrachtung zugrundegelegt werden. a) Durchsetzung des Anspruchs im Wege der Befriedigungsverfügung? Auch in Bezug auf die letztgenannte Konstellation wird teilweise in der Literatur und vereinzelt in der Rechtsprechung vertreten, dass die Herausgabe des Sachverständigenberichts an den Antragsteller bereits umgehend nach Erlass der Verfügung und Durchführung der Besichtigung291 bzw. am Ende des Verfügungsverfahrens292 erfolgen kann, also eine Befriedigungsverfügung zulässig sein soll.

287 KG, GRUR 1988, S. 403, 404; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 940 Rdn. 17; Ausnahme allenfalls bei „Existenzgefährdung“ vgl. KG, GRUR 1988, S. 403, 404; a.A. (weitergehend) Schlosser, neue Dimensionen des Einstweiligen Rechtsschutzes, FS Odersky, S. 670, 682 f. 288 Vgl. auch Dreier, Kompensation und Prävention, S. 562, 571. 289 So zumindest Zöller/Vollkommer, ZPO, § 940 Rdn. 8 „Auskunft“; Ekey/Klippel-Wüst, Markenrecht, § 19 Rdn. 26; Ingerl/Rohnke, Markenrecht, § 19 Rdn. 34. 290 So schließlich auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 46 a.E. 291 LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 627, 628 f.; wohl auch LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 1. 9. 2005, zitiert nach Rauschhofer, Anm. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2006, S. 249, 250; Süßenberger, Anm. LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 630. 292 Rauschhofer, Anm. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2006, S. 249, 251; Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 47; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1016,

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Argumentiert wird, dass es sich bei § 809 BGB nur um einen „Neben- bzw. Hilfsanspruch“ handele, der den Verletzungshauptanspruch nur vorbereite und zwangsläufig vor dem Verletzungshauptanspruch durchgesetzt werden müsse. Das eigentliche Begehren des Antragstellers sei die Durchsetzung des Verletzungshauptanspruchs. Insofern werde er durch die schlichte Besichtigung nicht befriedigt. Eine „Befriedigungsverfügung“ oder eine Vorwegnahme der Hauptsache könne nicht vorliegen, solange nicht der Hauptanspruch erfüllt sei293. Angeführt wird weiter, dass das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung in Bezug auf § 809 BGB nicht dem Sinn des § 809 BGB entspräche, schnell Gewissheit über das Bestehen von Verletzungsansprüchen zu erlangen und eine Manipulation der Beweismittel zu verhindern294. Im Übrigen sei gerade im Immaterialgüterrecht von sehr kurzen „Innovationszyklen“ auszugehen; die „Marktrelevanz“ einer Schutzrechtsverletzung sei zeitlich begrenzt. Demgegenüber sei das „mehrstufige“ Besichtigungsverfahren extrem langwierig. Angesichts dessen habe sich bis zu einem Abwarten der Hauptsacheentscheidung in Bezug auf § 809 BGB und einer anschließenden Herausgabe des Sachverständigenberichts das Besichtigungsbegehren „von selbst erledigt“, weil ein Unterlassungsanspruch nicht mehr relevant sei und sich ein Schadensersatzanspruch nur schwer begründen lasse. Daher müsse die Herausgabe spätestens mit Ende des Verfügungsverfahrens erfolgen295. b) Verbot der Befriedigungsverfügung im Rahmen von §§ 809, 242 BGB Demgegenüber lehnt die wohl herrschende Auffassung, wenn – wie regelmäßig – Geheimhaltungsinteressen im Raum stehen, eine Befriedigungsverfügung und damit eine Herausgabe des Sachverständigenberichts im Verfügungsverfahren ab. Der Bericht sei demnach zunächst bei Gericht zu hinterlegen und könne erst herausgegeben werden, wenn das Hauptsacheverfahren in Bezug auf § 809 BGB abgeschlossen sei296. 1021; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 916; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 381. 293 Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1016, 1021; Tilmann/ Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 916; LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 628; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 381; Süßenberger, Anm. LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 630. 294 Rauschhofer, Anm. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2006, S. 249, 251. 295 Rauschhofer, Anm. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2006, S. 249, 251; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 381; Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 70 f.; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 925 f. 296 OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2006, S. 295, 296; KG, CR 2001, S. 80, 81; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1667, 1671; v. Hartz, Beweissicherung, S. 172; Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 805 f.; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 27; der Hinweis sowohl des OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2006, S. 295, 296, als auch des KG, CR

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Bevor der Besichtigungsanspruch erfüllt werde, müsse – nicht nur summarisch – geklärt werden, ob der Anspruch überhaupt gegeben sei297. Das deutsche Recht geht von einer grundlegenden Aufgabenverteilung zwischen einstweiligem Verfahren und Hauptsacheverfahren aus; wobei erst im Hauptsacheverfahren über eine endgültige Befriedigung entschieden wird. In einem „Schnelldurchlauf“ im einstweiligen Verfahren wird nur eine vorläufige Regelung getroffen298, die – selbst wenn sie in Extremfällen das Hauptsachebegehren bereits gewährt – voraussetzt, dass bei einer endgültigen, abweichenden Entscheidung das vorläufig Gewährte zurückübertragen wird, was bei Informationsgewährung faktisch nicht möglich ist299. Dies zu Grunde legend, wird geltend gemacht, dass bei einer sofortigen Weitergabe des Berichts an den Antragsteller dieser die Besichtigung auch gleich selbst vornehmen könne; die Einschaltung eines neutralen Sachverständigen wäre dann überflüssig300. Wenn das LG Nürnberg-Fürth ausführe, „der Verletzer“ schulde „ohnehin […] vollständige und wahrheitsgemäße Auskunft“301, verkenne es, dass es sich bisher nur um die Vermutung einer Verletzung handele. Eine solche Vorverurteilung würde aber die Verletzung voraussetzen, die erst in einem anschließenden Verfahren festgestellt werden kann302. Mit der Durchführung der Besichtigung, Erstellung des Berichts und Hinterlegung bei Gericht sei, so diese Ansicht weiter, den berechtigten Sicherungsinteressen des Antragstellers, denen allein das einstweilige Verfahren diene, Genüge getan303. Eine endgültige Befriedigung ohne tatsächliche Rückübertragungsmöglichkeit verletzte zudem den Anspruch auf ein rechtstaatliches Verfahren und rechtliches Gehör, denn selbst wenn nach einem Widerspruch gegen die Verfügung mündlich verhandelt werde, würden im einstweiligen Verfahren Zeugenaussagen nur als eidesstattliche Versicherung eingeführt und Tatsachen lediglich glaubhaft gemacht304. 2001, S. 80, 81, dass „allenfalls“ eine Herausgabe der Ergebnisse „am Ende des Verfügungsverfahrens“ denkbar sei, wird jeweils nur als nicht zu entscheidendes obiter dictum gekennzeichnet, widerspricht den dortigen Entscheidungsgründen vollständig, und geht davon aus, dass dann bereits eine Verhandlung über § 809 BGB stattgefunden hat. 297 KG, CR 2001, S. 80, 81. 298 Siehe auch Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 805; OLG Frankfurt a. M., GRURRR 2006, S. 295, 296. 299 Dies räumt auch LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 628 ein; die sich daran anschließende Argumentation, der „Verletzer“ sei zur vollständigen Auskunft ohnehin verpflichtet, kann nicht überzeugen. 300 KG, CR 2001, S. 80, 81. 301 Vgl. LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 628. 302 Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 805. 303 Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1667, 1671; KG, CR 2001, S. 80, 81; OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2006, S. 295, 296. 304 Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 805; KG, CR 2001, S. 80, 81; dass nur „summarisch“ geprüft wird, räumt auch das LG Nürnberg-Fürth, MMR 2004, S. 627, 628, ein.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

c) Stellungnahme Obwohl diese herrschende Meinung zu praxisuntauglichen Ergebnissen und langwierigen Verfahren führt, muss ihr nach dem hier zu Grunde zu legenden bisher geltenden deutschen Recht zugestimmt werden. Danach sind der Besichtigungsanspruch gem. § 809 BGB und der Anspruch wegen der eigentlichen Schutzrechtsverletzung zwei selbständige und zu trennende Ansprüche. Das heißt, die Besichtigungsergebnisse können erst für das Verletzungsverfahren nutzbar gemacht werden, wenn abschließend über den Besichtigungsanspruch entschieden ist. Das daraus folgende Problem der Verfahrensverdopplung und der entsprechende Zeitverlust sind nach bisher geltendem Recht bei der Statuierung materieller Informationsbeschaffungsansprüche nicht zu vermeiden. Zuzugeben ist, dass sich gerade aus der Langwierigkeit des mehrstufigen Verfahrens die Praxisuntauglichkeit des Besichtigungsverfahrens nach § 809 BGB zur effizienten Informationsbeschaffung ergibt305, so dass der Versuch von Rechtsprechung und Lehre, das Verbot der Erfüllungsverfügung zu umgehen und so eine zeitnahe Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen, verständlich und zustimmungswürdig erscheint. Eine Bewertung des status quo setzt jedoch eine korrekte Rechtsanwendung voraus. Diese praxistaugliche Umgehung ist demgemäß unzulässig306. Statt geltende zivilprozessuale Grundsätze mit dem Ziel der Verbesserung einer unzureichenden Rechtslage zu umgehen, ist es konsequenter, die Untauglichkeit des bisherigen deutschen Rechts einzuräumen und bei der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie auf eine gesetzliche Neuregelung zu setzen. Solange nicht das Verbot der Erfüllungsverfügung gesetzlich eingeschränkt und ein modifiziertes einstweiliges Verfahrens geschaffen wurde, in welchem – nicht nur summarisch – alle Aspekte des Besichtigungsanspruchs und der widerstreitenden Interessen gegebenenfalls unter Geheimhaltung der Betriebsgeheimnisse gegenüber den Naturalparteien verhandelt werden können, so dass entweder eine ausreichende Entscheidungsgrundlage geschaffen wurde oder die sensiblen Informationen aufgrund der erfolgten Geheimhaltung wieder zurückübertragen werden können, kann jedenfalls keine Befriedigungsverfügung im einstweiligen Verfahren erfolgen. 4. Die Geltendmachung im „mehrstufigen“ Verfahren Solange der Anspruchsgegner anwaltlich gut beraten ist und Geheimhaltungsinteressen geltend macht bzw. wenn das Gericht im Verfahren ohne vorherige mündliche Verhandlung nach § 937 Abs. 2 ZPO die Sensibilität der Thematik erkennt, wird das Geheimhaltungsinteresse des Anspruchsgegners in die durchzuführende Interessenabwägung einfließen. In diesem Fall wird laut Bundesgerichtshof „im Zweifel“ 305

Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 27. Vgl. auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 27: „wegen der endgültigen Natur der Informationsüberlassung zivilprozessual zweifelhaft“. 306

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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die „Offenlegung“ nur gegenüber einem neutralen Dritten zu erfolgen haben, der „sodann darüber Auskunft geben kann, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang“ eine Übereinstimmung in den geschützten Merkmalen vorliegt307. In aller Regel wird es also im Immaterialgüterrecht zur Durchführung eines mehrstufigen Besichtigungsverfahrens kommen. Dabei wird auf einer ersten Stufe gewöhnlich eine einstweilige Verfügung mit dem Inhalt der Beschlagnahme und Sequestration der Sache durch einen Gerichtsvollzieher und anschließender Untersuchung der Sache durch einen neutralen Sachverständigen zur Anfertigung eines Sachverständigenberichts erlassen. Auf einer zweiten Stufe wird in einem Hauptsacheverfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des Besichtigungsanspruchs befunden mit dem Ziel der Übergabe des zunächst unter Verschluss gehaltenen Berichts an den Anspruchsteller. Wenn sich der Verdacht weiter erhärtet und der Besichtigungsbericht stichhaltige Beweise enthält, kann in einem letzten Verfahrensschritt mit Hilfe des Berichts eine hinreichend substantiierte Verletzungsklage erhoben werden. Dieses mehrstufige Verfahren ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt oder angeordnet. Es ergibt sich aber aus den gesetzlichen Möglichkeiten und Beschränkungen des geltenden Rechts, insbesondere dem Verbot der Befriedigungsverfügung, und berücksichtigt sowohl die Beweissicherungsinteressen des Antragstellers durch Anwendung des Verfügungsverfahrens als auch die Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners mittels des Interessenschutzes durch Verfahren. Es soll daher dieser Darstellung zu Grunde gelegt und hier im Einzelnen erläutert werden. 5. Die Geltendmachung im Wege der „Düsseldorfer Praxis“ Im Anschluss daran wird als alternativer Lösungsvorschlag die so genannte „Düsseldorfer Praxis“308 vorgestellt. Hierbei wird versucht, mit einer Kombination von Beweissicherungsverfahren nach §§ 485 ff. ZPO und einstweiliger Verfügung auf Grundlage des § 809 BGB ein praxistaugliches Verfahren zu kreieren. Zu prüfen bleibt, ob dieses Verfahren mit dem bisher geltenden Recht in Einklang steht.

307 308

BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. Begriff bei Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

VI. Die Durchsetzung des Anspruchs im Wege des „mehrstufigen Verfahrens“ 1. Der einstweilige Rechtsschutz zur Sicherung des Vorlegungsund Besichtigungsanspruchs a) Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung (1) Verfügungsantrag Die einstweilige Verfügung ergeht nur nach Antrag. Da das Gericht jedoch den Inhalt der einstweiligen Verfügung gem. § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen bestimmt, muss der Antrag grundsätzlich weit weniger präzise sein als der Antrag im Erkenntnisverfahren. Es genügt grundsätzlich die Angabe des Rechtsschutzzieles309. Ausnahmsweise empfiehlt es sich jedoch hier zur Einleitung eines präparatorischen Besichtigungsverfahrens im Wege der einstweiligen Verfügung einen sehr präzisen Antrag zu stellen, der dem Gericht detailliert den Inhalt einer möglichen Verfügung vorgibt310. Daher sollten in dem Antrag die vom Antragsgegner zu gestattenden Untersuchungshandlungen und dessen erforderliche Mitwirkungshandlungen möglichst genau ausgearbeitet werden. Dabei kann jeder einzelne Arbeitsschritt der Zugänglichmachung, Inbetriebnahme und Untersuchung der Sache, einschließlich der Übergabe von Schlüsseln, der Mitteilung von Passwörtern und der Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln aufgelistet werden311. Möglichst exakt mitzuteilen sind auch die zu besichtigende Sache, deren äußeres Erscheinungsbild und ihr vermuteter Standort312. Außerdem ist der vom Antragsteller ausgewählte Sachverständige anzugeben. Da dessen Geheimhaltungspflichten vom Gericht nicht hoheitlich begründet werden, die beantragte Verfügung aber nur ergehen kann, wenn solche Pflichten bestehen, 309

Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, vor § 935 Rdn. 10; MüKo-ZPO/Heinze, § 938 Rdn. 7; Hier wäre als Rechtsschutzziel also z. B. die Durchsetzung der Besichtigung durch einen neutralen Dritten und die Sicherung einer späteren vollständigen Erfüllung des Anspruches anzugeben. 310 Siehe z. B. BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020. Die Notwendigkeit einer präzisen Antragstellung ergibt sich zum einen aus dem Bedürfnis des Gläubigers möglichst effektive und maßgeschneiderte Untersuchungsmaßnahmen zugesprochen zu bekommen, die dem Gericht in dieser Weise vielleicht gar nicht geläufig sind oder nicht erforderlich erscheinen und zum anderen aus der Notwendigkeit möglichst von sich aus geeignete, aber auch ausreichende Geheimhaltungsmaßnahmen vorzuschlagen, um eine Versagung, eine zu weitgehende Beschränkung des Anspruchs oder eine vorherige Anhörung des Schuldners durch das Gericht aus Geheimnisschutzgründen zu vermeiden. Falls ein präziser Antrag gestellt wird, wäre das Gericht daran nach § 308 ZPO gebunden, zumindest insoweit als es den Antrag nicht überschreiten darf. Ein Minus bzw. eine Maßnahme, die „in die gleiche Richtung geht“, darf es gleichwohl erlassen. Vgl. zum letzten Punkt MüKo-ZPO/Heinze, § 938 Rdn. 7 ff.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, vor § 935 Rdn. 11 f. 311 Siehe Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020, mit Verweis auf die Sachverhaltsschilderung des KG, Urt. v. 11. 8. 2000, NJW 2001, S. 233, 234. 312 Karger, Beweisermittlung, S. 96.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ist im Antrag auf die vertragliche Vereinbarung der Geheimhaltungspflichten zwischen dem Anspruchsteller als Auftraggeber und dem Sachverständigen als Auftragnehmer ausdrücklich hinzuweisen313. Zu Recht wird weiterhin empfohlen schon im Antrag auf die mögliche Einrede des Schuldners nach § 811 Abs. 2 S. 2 BGB wegen der Kostentragungspflicht des Gläubigers gem. § 811 Abs. 2 S. 1 BGB zu reagieren und bereits zu diesem Zeitpunkt einen Kostenvorschuss anzubieten und deshalb nur Besichtigung Zug um Zug zu verlangen314. (2) Verfügungsanspruch Den Verfügungsanspruch gem. § 935 ZPO stellt der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB dar. Dieser ist schlüssig darzulegen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind gem. §§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen315. Um einer Zurückweisung des Antrags oder einer vorherigen mündlichen Verhandlung zu entgehen, sind dabei insbesondere detaillierte Ausführungen zum Grad der Wahrscheinlichkeit des Hauptanspruchs, zu den abwägungsrelevanten Punkten und zum fehlenden Entgegenstehen von Geheimhaltungsinteressen aufgrund ausreichender Maßnahmen zum Geheimnisschutz zu machen316. (3) Verfügungsgrund und besondere Dringlichkeit (a) Verfügungsgrund Glaubhaft zu machen hat der Antragsteller auch einen Verfügungsgrund. Dieser liegt nach § 935 ZPO vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch die drohende Veränderung des status quo die Verwirklichung des Besichtigungsanspruchs vereitelt oder erschwert werden könnte. Diese Gefährdung kann sich aus der Veränderung oder Entziehung der streitgegenständlichen Sache ergeben317. Ziel des angestrebten Besichtigungsverfahrens ist die Feststellung der vermuteten Schutzrechtsverletzung. Im Bereich des geistigen Eigentums kann der Schutzrechtsverletzer dieses Ziel problemlos zunichte machen, indem er die zu besichtigende Sache zur Verschleierung der Verletzung manipuliert oder gleich ganz beiseite schafft. Spätestens mit Klageerhebung würde der mutmaßliche Verletzer Kenntnis von der Vorbereitung eines Hauptsacheverfahrens erhalten. Es ist nahe liegend, dass zumindest der böswillige Verletzer die Möglichkeit der Veränderung des späteren Beweismaterials vor Beginn des Hauptsacheverfahrens nutzt. Nur ein schneller 313 Ähnlich Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 703 a.E. f.; siehe zum Verhältnis zwischen dem Anspruchsteller und dem Sachverständigen auch oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c) (3). 314 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 709, 710; Karger, Beweisermittlung, S. 100; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 49. 315 Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 935 Rdn. 6; MüKo-ZPO/Heinze, § 935 Rdn. 13. 316 In eine ähnliche Richtung auch Karger, Beweisermittlung, S. 97. 317 Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 935 Rdn. 11 f.; MüKo-ZPO/Heinze, § 935 Rdn. 21.

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Zugriff im Wege des Verfügungsverfahrens kann dies verhindern. In Fällen vorprozessualer Beweismittelsicherung besteht daher immer der nötige Verfügungsgrund. (b) Besondere Dringlichkeit Weiterhin hat der Antragsteller ein starkes Interesse daran, dass die Entscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung ergeht, durch welche der Antragsgegner vor der Sicherstellung der Sache gewarnt würde. Da die Entscheidung aber grundsätzlich einer mündlichen Verhandlung bedarf und ein Verzicht hierauf die Ausnahme bleiben soll, erfordert der Verzicht nach § 937 Abs. 2 ZPO eine besondere Dringlichkeit der Entscheidung318. Im Hinblick auf § 937 Abs. 2 ZPO muss die Wartezeit bis zu einer mündlichen Verhandlung bzw. diese Verhandlung selbst den Zweck der einstweiligen Verfügung, nämlich die Sicherung eines erfolgreichen Besichtigungsverfahrens, gefährden. Eine besondere Dringlichkeit über den Verfügungsgrund hinaus ist daher regelmäßig nur gegeben, wenn der Zweck der Maßnahme die Überraschung des Gegners notwendig macht und die durch eine mündliche Verhandlung vermittelte Kenntnis des Gegners Handlungen erwarten lässt, die den Erfolg der Maßnahme gefährden319. Die Überraschung des Gegners ist jedoch gerade bei dem hier erörterten Besichtigungs- und Beweissicherungsverfahren von entscheidender Bedeutung. Eine vorherige Inkenntnissetzung des Gegners würde zumindest den böswilligen Verletzer geradezu einladen, Manipulationen an der Sache vorzunehmen und dadurch eine beweiskräftige Besichtigung zu vereiteln. In der Regel muss in diesen Fällen daher auf eine vorherige mündliche Verhandlung verzichtet werden, um nicht den Sinn der Maßnahme in Frage zu stellen320. b) Inhalt der einstweiligen Verfügung Den Inhalt der einstweiligen Verfügung bestimmt das Gericht – im Rahmen und innerhalb der Grenzen des gestellten Antrages – gem. § 938 ZPO nach freiem Ermessen321. Das Gericht wird dabei in der Regel – nach einer Interessenabwägung und entsprechend dem Antrag – anordnen, dass die Sache zunächst zu sequestrieren (§ 938 318 Die hier geforderte Dringlichkeit unterscheidet sich von der Dringlichkeit der Maßnahme als solcher, welche bereits für das Bestehen eines Verfügungsgrundes vorliegen muss. 319 MüKo-ZPO/Heinze, § 937 Rdn. 6 f.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 937 Rdn. 4 f. 320 Im Ergebnis so auch Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 707; Karger, Beweisermittlung, S. 98. Falls der Antragsgegner dennoch ahnen sollte, dass eine einstweilige Verfügung erlassen werden könnte, wird er durch Einreichung einer sogenannten „Schutzschrift“ versuchen, die Glaubhaftmachung von Verfügungsanspruch und -grund zu verhindern oder doch zumindest eine klärende, ihm Zeit verschaffende, mündliche Verhandlung herbeizuführen; vgl. zum letzten Punkt MüKo-ZPO/Heinze, § 937 Rdn. 11 ff.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 937 Rdn. 7 f. Umso empfehlenswerter ist es, dass der Antragsteller ausführlich und detailliert zu den genannten Punkten vorträgt, um dem entgegenzuwirken. 321 MüKo-ZPO/Heinze, § 938 Rdn. 2 ff., 7 ff.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 938 Rdn. 1 f.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Abs. 2 ZPO) und dann einem neutralen Sachverständigen zur Untersuchung und zur Anfertigung eines Berichts zu übergeben ist. (1) Sequestration bzw. Duldung der Besichtigung Regelmäßig wird das Gericht die Sequestration der zu besichtigenden Sache anordnen322. Diese beinhaltet die kurzfristige Verwahrung und Verwaltung der zu besichtigenden Sache durch den Sequester, um die spätere Untersuchung durch den beauftragten Sachverständigen zu ermöglichen323. Bei der Vollziehung der Sequestration durch Beschlagnahme und Wegnahme (§ 883 ZPO (analog)324) wird die Sache abtransportiert. Es stellt sich jedoch die weitere Frage, welche Maßnahmen anzuordnen sind, wenn die Sache in den Räumen des Schuldners ortsfest eingebaut ist oder aus anderen Gründen ein Abtransport äußerst schwierig wäre. In diesen Fällen entsteht ein praktisches Bedürfnis, die Sache an Ort und Stelle zu belassen und dort zu besichtigen. Dies entspräche nicht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch dem Anspruchsinhalt des § 809 BGB, welcher neben der Vorlage zur Besichtigung ebenfalls die Gestattung der Besichtigung, also die Duldung von Besichtigungshandlungen am Standort der Sache, vorsieht. Zur Verwirklichung einer solchen Vor-Ort-Besichtigung gibt es zwei Lösungsvorschläge: Erstens könnte wie üblich die Sequestration angeordnet werden. Bei deren Vollziehung durch Wegnahme wäre dann von einer Ortsveränderung abzusehen, wobei der Alleinbesitz des Sequesters in den Räumen des Schuldners durch geeignete Maßnahmen herzustellen ist325. Zweitens könnte auf die Anordnung der Sequestration ganz verzichtet werden. Stattdessen wäre dem Schuldner nur die Duldung der Besichtigung in seinen Räumen aufzugeben. Dies bietet sich an, wenn der Gerichtsvollzieher vom Sachverständigen sofort begleitet wird und die Untersuchung der Sache vor Ort in kurzer Zeit abgeschlossen werden kann326, z. B. bei bloßem Betrachten, Vermessen, Fotografieren. Wenn es die Möglichkeit gibt, einen Abtransport unter Wahrung der berechtigten Interessen beider Parteien zu vermeiden, wäre eine Orts-

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Siehe auch Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 710; Karger, Beweisermittlung, S. 101. 323 Das Gericht bestellt zweckmäßigerweise den Gerichtsvollzieher auch zum Sequester; zur Person des Sequesters siehe auch MüKo-ZPO/Heinze, § 938 Rdn. 24; Karger, Beweisermittlung, S. 102; OLG München, CR 87, S. 761, 762. 324 Vollzogen wird die angeordnete Sequestration durch Wegname nach § 883 ZPO (analog), vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 938 Rdn. 32; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 883 Rdn. 11 f.; MüKo-ZPO/Heinze, § 938 Rdn. 42; MüKo-ZPO/Schilken, § 883 Rdn. 7; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 710; zur Vollziehung siehe auch unten unter 1 Teil, 1 Abschnitt, A. VI. 1. b). 325 So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 710. 326 So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 711.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

veränderung jedenfalls unverhältnismäßig327. Als milderes Mittel sind dann die aufgezeigten Wege einzuschlagen. In einer ähnlichen Problemlage wird für den Bereich mutmaßlich urheberrechtsverletzender Software richtigerweise empfohlen, die zu besichtigende Software auf mitgeführte Datenträger zu kopieren, nur diese dem Sachverständigen zu übergeben und die schuldnereigenen Datenträger beim Schuldner zurückzulassen, um einen Ausfall der gesamten EDV-Anlage zu vermeiden und eine Weiterbenutzung für den Betriebsablauf wichtiger sonstiger Hard- und Software zu ermöglichen328. (2) Besichtigung durch einen neutralen Sachverständigen und Anfertigung eines Berichts Inhalt der einstweiligen Verfügung ist weiterhin die Anordnung der Untersuchung der Sache durch einen neutralen, vom Antragsteller beauftragten und in der Verfügung vom Gericht bestätigten Sachverständigen, der nach der Untersuchung einen Bericht über die Untersuchungsergebnisse anzufertigen hat. Zur Besichtigung hat der Sequester dem Sachverständigen die Sache zu übergeben oder auf andere Weise zugänglich zu machen. Im Prinzip dürfte der Antragsteller die Sache persönlich inspizieren329. Die Zwischenschaltung des Sachverständigen ist allerdings der zentrale Punkt des mehrstufigen Besichtigungsverfahrens und ermöglicht erst die Zuerkennung eines Besichtigungsanpruchs trotz bestehender Geheimhaltungsinteressen, denn der Sachverständige agiert hierbei als eine Art „menschlicher Filter“330 : Er handelt zwar im Auftrag des Antragstellers, ist ihm gegenüber aber gerade zur Verschwiegenheit verpflichtet331. Der Antragsteller erhält so keine direkte Kenntnis von der Beschaffenheit der Sache. Durch den Sachverständigen oder das Gericht sind Betriebsgeheimnisse in den zu erstellenden Bericht erst gar nicht aufzunehmen oder vor der Aushändigung an den Antragsteller zu streichen bzw. zu schwärzen. Die Erstellung des Berichts gibt dem Gericht eine zusätzliche Prüfungsmöglichkeit und erlaubt zudem, die Beweise rechtzeitig einstweilig zu sichern und trotzdem die spätere Aushändigung des Berichts an den Antragsteller anhand der Kriterien des § 809 im Hauptsacheverfahren sorgfältig zu prüfen. Der Antragsteller erhält auf diese Weise nur die – aber gerade diese – Information, an welcher er ein berechtigtes Interesse hat.

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Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 711. Karger, Beweisermittlung, S. 103 f. 329 OLG München, CR 1987, S. 761, 762. 330 Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1667, 1670; zur Idee eines „halbdurchlässigen Filters“ zur Abgrenzung der benötigten von der nicht-benötigten Information vgl. auch Dreier, Kompensation und Prävention, S. 585; zur Stellung und Funktion des Sachverständigen siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c). 331 Zur Geheimhaltungspflicht des Sachverständigen siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c). 328

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Der Sachverständige untersucht die Sache – wie oben bereits dargestellt – mit den Methoden und in einem Umfang wie es §§ 809, 242 BGB entspricht332. Dabei ist er in seinen Entscheidungen über Art und Ausmaß der Untersuchung nicht frei. Um die Einhaltung der von §§ 809, 242 BGB gesetzten Grenzen zu gewährleisten, gibt das Gericht ihm genaue Vorgaben und Anweisungen über Art und Ausmaß der Untersuchung und präzisiert die zuvor vom Anspruchsteller beantragten Maßnahmen333. Entsprechend den gemachten Vorgaben überprüft der Sachverständige das Vorhandensein von Identitäten zwischen dem geschützten Gegenstand und dem Untersuchungsgegenstand anhand der ihm von dem Anspruchsteller ausgehändigten Unterlagen und Merkmalsbeschreibungen. Festgestellte Übereinstimmungen beschreibt er in seinem Bericht detailgenau. Ebenso untersucht er das Vorliegen von äquivalenten Ersatzmitteln und unfreien Bearbeitungen, wobei er seine persönliche Wertung zugrunde legt. Hierbei sollte er nur das Ergebnis seiner persönlichen Wertung in seinem Gutachten mitteilen. Auf eine Beschreibung der mutmaßlich äquivalenten Mittel sollte so weit wie möglich verzichtet werden, um nicht Betriebsgeheimnisse mitzuteilen, falls das Gericht im Verletzungsprozess das Bestehen einer Äquivalenz entgegen der Wertung des Sachverständigen verneinen sollte334. (3) Duldung und Mitwirkungshandlungen Dem Anspruchsgegner wird zudem die Duldung der angeordneten Maßnahmen aufgegeben. Zu erwägen ist, inwiefern neben der Zugänglichmachung der Sache weitere Mitwirkungshandlungen des Schuldners angeordnet werden können. Fest steht zunächst, dass all diejenigen Mitwirkungshandlungen geschuldet sind, die sich unter den Begriff der Vorlage zur bzw. Gestattung der Besichtigung subsumieren lassen und sowohl erforderlich als auch zumutbar sind, um den Besichtigungszweck zu erreichen335. Dazu gehören die Aushändigung von Schlüsseln und die Mitteilung von Passwörtern sowie jegliche Form der Hilfe bei der Inbetriebnahme der Sache, wie einfache technische Hilfe und die Bereitstellung von Strom und Treibstoff. Aus § 811 Abs. 2 S. 1 BGB, wonach der Gläubiger die Kosten der Besichtigung zu tragen hat, wird geschlossen, dass der Schuldner nicht nur Duldung, sondern auch in gewis332

Siehe dazu oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 560 f.; Karger, Beweisermittlung, S. 106 f.; OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“, wonach das Ausmaß der für die Feststellungen notwendigen Maßnahmen nicht dem Sachverständigen zu überlassen ist; siehe auch BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“, dort werden Untersuchungen des Äquivalenzbereiches allerdings zu Unrecht untersagt. 334 Siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. d) (1) und (5); vgl. Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 162, der allgemein nur das Ergebnis der Besichtigung mitteilen lassen will; siehe auch Saß, Beschaffung von Informationen, S. 93 f., der die Beschränkung der Mitteilung auf das Ergebnis nur hinsichtlich § 809 2. Fall BGB fordert. 335 Auf die Erforderlichkeit abstellend: Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1670; Saß, Beschaffung von Informationen, S. 97 f.; zur Zumutbarkeit: BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 333

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

sem Umfang Handlungen schuldet, welche Kosten verursachen. Daraus wird teilweise abgeleitet, dass als weitere Mitwirkungshandlung einfache, vor Ort vorhandene, technische Hilfsmittel, wie Drucker, Scanner, Kopiergeräte, zur Erleichterung der Dokumentation zur Verfügung zu stellen sind336. Dieser Auffassung ist zuzustimmen: Sofern die Übernahme der Kosten und die Haftung für Schäden sichergestellt ist, ist dies auch im Interesse des Schuldners, da im Wege der zumutbaren Mithilfe der Abtransport der Sache zur Untersuchung oft vermieden und die zeitliche Inanspruchnahme verkürzt werden kann. (4) Verwahrung des Sachverständigenberichts bei Gericht Nach seiner Fertigstellung nimmt das Gericht den Sachverständigenbericht bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Bestehen des Besichtigungsanspruchs im Hauptsacheverfahren in Verwahrung. Die entsprechende Anordnung ergeht auf Grundlage der §§ 935, 938, 940 ZPO337. c) Vollziehung der einstweiligen Verfügung (1) Allgemeines Vollzogen wird die angeordnete Sequestration durch Beschlagnahme, also Inbesitznahme, durch den Gerichtsvollzieher in Form der Wegnahme und Übergabe an den Sequester (§§ 936, 928, 929, 883 ZPO)338. Sowohl die Anordnung der Sequestration zur Besichtigung als auch die in § 809 BGB genannte Anordnung der Vorlegung zur Besichtigung unterfallen nicht unmittelbar der Regelung zur Vollstreckung von Herausgabetiteln nach § 883 ZPO, da dort eine Ablieferung an den Gläubiger vorausgesetzt wird. Identisch und wesentlich für die Art der Vollstreckung ist aber jeweils der Eingriff beim Schuldner in Form der Wegnahme. Die Herausgabe und die Vorlegung bzw. Sequestration als eine Art Herausgabe zur Besichtigung sind folglich wesensgleich, weshalb die Vorlegung bzw. Sequestration beweglicher Sachen zur Besichtigung gem. § 883 ZPO analog ebenfalls durch Wegnahme vollstreckt wird339. Dabei ist stets die Wegnahme im Sinne eines Gewahrsamswechsels erforderlich. Die Anbringung eines Siegels im Gewahrsam des Gegners ist nicht ausreichend340.

336 Karger, Beweisermittlung, S. 83 f.; siehe zum Umfang der in einer einstweiligen Verfügung angeordneten Besichtigung, einschließlich der Mitwirkungshandlungen, auch Tilmann/ Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1020. 337 So OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 745, 747 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch II“. 338 MüKo-ZPO/Heinze, § 938 Rdn. 42; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 938 Rdn. 32. 339 MüKo-ZPO/Schilken, § 883 Rdn. 6 f.; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 883 Rdn. 12; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1671 f.; a.A.: MüKo/Hüffer, § 809 Rdn. 12 (§§ 887, 888 ZPO anwendbar). 340 Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 938 Rdn. 32. Der Gerichtsvollzieher geht bei seinen Vollstreckungshandlungen nach §§ 754 ff., 758 ff. ZPO vor.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Falls man eine Sequestration ohne Ortsveränderung für möglich hält341, ist diese ebenfalls durch Wegnahme zu vollstrecken. Dabei müsste allerdings der Gewahrsam wechseln, d. h. der Gerichtsvollzieher müsste die Sache dergestalt physisch in Besitz nehmen, dass er die Sache in einem abtrennbaren Raum des Schuldners einschließt342. Einfacher erscheint hier zunächst der Verzicht auf die Sequestration und die Anordnung der bloßen Duldung der Besichtigung in den Räumen des Schuldners. Die entsprechende Duldungsanordnung könnte dann nach § 890 ZPO oder – effektiver – nach §§ 892, 758 Abs. 3, 759 ZPO unter Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers durchgesetzt werden343. Problematisch hierbei ist aber, dass § 892 ZPO ausdrücklich nur auf § 758 Abs. 3 (Widerstand mit Gewalt brechen) und nicht auf § 758 Abs. 1 und 2 ZPO (Wohnung durchsuchen, Öffnen von verschlossenen Türen) verweist344, gesetzlich also nur das zwangsweise Betreten der Wohnung zur Untersuchung der Sache, aber nicht die Durchsuchung zur Auffindung der Sache vorgesehen ist. Geeignet ist dieses Vorgehen daher nur, wenn der Standort der Sache bekannt ist, denn das bloße Betreten und Durchschreiten der Wohnung ohne ein zweckgerichtetes Suchen nach einer verborgenem Sache oder ohne das Ziel eine Sache zu pfänden, ist keine Durchsuchung im Sinne §§ 758 Abs. 1, 758 a ZPO, Art. 13 GG345. Das Betreten, um den Schuldner zur Duldung einer Handlung zu zwingen, hat seine alleinige Grundlage in §§ 892, 758 Abs. 3 ZPO346. Sollte bei einem Vorgehen nach §§ 892, 758 Abs. 3 ZPO eine Durchsuchung erforderlich sein, wäre dies nur möglich, indem man die Verweisung in § 892 ZPO praxisgerecht auf § 758 Abs. 1 und 2 ausweitet347. Dies wäre zumindest insofern wünschenswert, als ein Verzicht auf die Sequestration und deren Vollstreckung nach § 883 ZPO analog für den Schuldner das mildere Mittel darstellen würde. Die angeordnete Duldung der Besichtigung nach erfolgter Sequestration kann bei Widerstand des Schuldners mit Hilfe des § 890 oder des § 892 ZPO durchgesetzt werden348. 341

So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 710. So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 711. 343 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 711; MüKo-ZPO/Schilken, § 890 Rdn. 2, 8, § 892 Rdn. 1 ff. 344 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 883 Rdn. 12a. 345 MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 26 – 28; BVerfGE 75, S. 318, 318; BVerfGE 47, S. 31, 37. 346 MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 47, m.w.N.; a.A.: OLG Köln, NJW-RR 1988, S. 832, 832. 347 So jedenfalls Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 712; für eine Durchsuchung wäre weiterhin grundsätzlich eine besondere richterliche Anordnung gem. § 758 a ZPO notwendig; siehe hierzu unten 1. Teil, 1. Abschnitt, A., VI. 1. c) (2); nicht zu verwechseln ist diese Fallgestaltung mit der Unzulässigkeit einer Durchsuchung, um herauszufinden, ob sich Sachen, die bestimmte Merkmale erfüllen, überhaupt im Besitz des Antragsgegners befinden, vgl. BGH, GRUR 2004, S. 420, 420 (Leitsatz) und 421 – „Kontrollbesuch“. 348 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 711. 342

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Die angeordneten Mitwirkungshandlungen können bei Nichtvornahme durch den Schuldner gem. § 887 ZPO (vertretbare Handlungen, Ersatzvornahme) oder gem. § 888 ZPO (unvertretbare Handlungen, Zwangsgeld, Zwangshaft) zwangsweise erreicht werden349. Problematisch ist hierbei allerdings, dass vor einem entsprechenden Beschluss des Gerichts die Nichterfüllung der Mitwirkungshandlungen durch den Schuldner abgewartet werden müssten und eine vorherige Anhörung des Schuldners gem. § 891 S. 2 ZPO zwingend erforderlich ist350. Zumindest insofern wäre der gewünschte Überraschungseffekt dahin. Diese Anordnung entfaltet daher nur ihre gewünschte Wirkung, wenn der Schuldner ihr freiwillig Folge leistet. (2) Richterliche Durchsuchungsanordnung (a) Grundsatz Die Wegnahme der Sache oder auch ihre schlichte Inbesitznahme durch den Gerichtsvollzieher zur späteren Übergabe an oder Zugänglichmachung für den Sachverständigen erfordern Kenntnis ihres Standortes. Wenn der Schuldner diesen Standort nicht freiwillig offen legt, ist der Gerichtsvollzieher verpflichtet, die Wohn-, Betriebsund Geschäftsräume des Schuldners zur Auffindung der Sache gem. §§ 758, 758 a, 759 ZPO zu durchsuchen351. Art. 13 Abs. 2 GG und § 758 a Abs. 1 ZPO352 gebieten allerdings, dass die Durchsuchung einer Wohnung bei fehlender Einwilligung nur auf Grund einer richterlichen Anordnung geschieht. Wohnung in diesem Sinne sind nicht nur die Wohn-, sondern auch die Betriebs- und Geschäftsräume. Auch die Räume einer juristischen Person sind mitumfasst353. Die nötige richterliche Entscheidung ergeht auf Antrag des Antragstellers354. Zuständig für die Durchsuchungsanordnung ist gem. § 758 a Abs. 1 S. 2 ZPO nicht das Prozessgericht, sondern der Richter des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Durchsuchung stattfinden soll. Grundsätzlich ist auch wegen Art. 103 Abs. 1 GG die vorherige Anhörung des Schuldners erforderlich. Eine solche ist allerdings dann entbehrlich, wenn sie den Erfolg der Maßnahme gefährden würde355. Da eine beweiskräftige Besichtigung die Überraschung des Gegners zwingend voraussetzt, wird dies so gut wie stets der Fall sein. Das außerdem für die Anordnung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt jedoch, wenn der Schuldner in die Durchsuchung einwilligt (vgl. § 758 a Abs. 1 S. 1 349 Unstreitig bei nicht sachbezogenen Handlungspflichten; siehe zur Diskussion um die Vollstreckung sachbezogener Handlungspflichten (sog. Mischfälle): MüKo-ZPO/Schilken, § 883 Rdn. 8 ff.; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 883 Rdn. 4 ff. 350 MüKo-ZPO/Schilken, § 887 Rdn. 8, § 891 Rdn. 4. 351 Zum Begriff der Durchsuchung siehe MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 26 – 28. 352 In Kraft seit 1. 1. 1999. 353 BVerfGE 44, S. 353, 371; BVerfGE 42, 212, 219; MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 4. 354 Zöller/Stöber, ZPO, § 758a Rdn 23: Der Antrag kann vorsorglich gestellt werden. 355 BVerfG, NJW 1981, S. 2111, 2112; Zöller/Stöber, ZPO, § 758a Rdn 25.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ZPO). Da dem Schuldner die Erteilung dieser Einwilligung ermöglicht werden muss, kann die Anordnung zur zwangsweisen Durchsuchung nur ergehen, wenn er die Durchsuchung bereits einmal verweigert hat, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass er dies tun wird oder wenn er wiederholt nicht angetroffen wurde356. Sollten diese konkreten Anhaltspunkte bei der Vollziehung der einstweiligen Verfügung fehlen und daher grundsätzlich ein vergeblicher Vollstreckungsversuch erforderlich sein, ist hier wiederum darauf abzustellen, dass die Beweissicherung die Überraschung des Gegners notwendig macht, welche nach einem vergeblichen Vollstreckungsversuch und der anschließenden Einholung einer richterlichen Erlaubnis nicht mehr gegeben ist. Folglich ist hier ausnahmsweise ein vorsorglicher Durchsuchungsbeschluss zuzulassen, so dass bei verweigerter Einwilligung sofort aufgrund der Anordnung durchsucht werden kann357. (b) Entbehrlichkeit wegen „Gefahr im Verzug“? Außerdem ist nach § 758 a Abs. 1 S. 2 ZPO, Art. 13 Abs. 2 GG eine richterliche Anordnung entbehrlich, wenn eine damit eventuell verbundene Verzögerung den Durchsuchungserfolg gefährden würde, wenn also „Gefahr im Verzug“ vorliegt358. Allgemeine Befürchtungen, der Schuldner könne während der Verzögerung bis zum Erlass der richterlichen Anordnung die Sache beiseite schaffen, reichen allerdings für die Annahme von „Gefahr im Verzug“ nicht aus. Dazu müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen359. Auch die Dringlichkeit, die generell mit einer einstweiligen Verfügung einhergehen muss, ist allein nicht ausreichend, denn auch der Erfolg eines einstweiligen Besichtigungsverfahrens wird oftmals nicht durch ein Abwarten um ein bis zwei Tage vereitelt360. Die Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung hat oft nicht die Eilbedürftigkeit einer Gefahr im Verzug, welche im Gegensatz zum Verfügungsgrund nach § 935 ZPO sogar die richterliche Prüfung entbehrlich macht. Bei genauer Gesetzesanwendung liegt es selbst bei der besonderen Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO, die eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung ermög356 Ganz h.M.: siehe nur Zöller/Stöber, ZPO, § 758a Rdn 19 f., danach ist auch ein vorsorglicher „Eventualbeschluss“ unzulässig; MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 50 f.; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 758 Rdn. 5 f.; jeweils m.w.N. 357 Ähnlich auch Bischof, Durchsuchungsanordnung, ZIP 1983, S. 522, 529, der vertritt, dass die richterliche Anordnung im Falle eines Überraschungsbedürfnisses nicht voraussetzt, dass dem Schuldner zuvor die freiwillige Erteilung der Einwilligung ermöglicht wurde. 358 Vgl. hierzu und zum Begriff der „Gefahr im Verzug“ auch Amelung, Richtervorbehalt, ZZP 88 (1975), S. 74, 91. 359 BVerfG, NJW 2001, S. 2111, 2111 f.; hierzu Bittmann, Arrestvollziehung, NJW 1982, S. 2421, 2421 f.; vgl. auch Schuschke/Walker-Walker, § 758a Rdn. 17; MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 38; Zöller/Stöber, ZPO, § 758a Rdn. 32. 360 Strittig: Wie hier Schuschke/Walker-Walker, § 758a Rdn. 18; a.A.: MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 39, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung liege „Gefahr im Verzug nahe“, „insbes.“ im Falle des § 937 Abs. 2 ZPO, „gleichwohl“ sei dies „nicht automatisch“ anzunehmen; Thomas/Putzo-Putzo, ZPO, § 758a Rdn. 11, hält Gefahr im Verzug „in der Regel“ bei einstweiligen Verfügungen für gegeben; jeweils m.w.N.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

licht, nicht wesentlich anders: Die besondere Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn ein Bedürfnis nach Überraschung des Gegners besteht361. Diesem kann aber auch im Rahmen der richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 758 a ZPO entsprochen werden, da auch diese ohne mündliche Verhandlung ergehen kann362. Wichtig ist, zwischen dem Bedürfnis nach Überraschung und dem Problem der Verzögerung zu differenzieren: Solange die Überraschung durch den jeweiligen Verzicht auf eine mündliche Verhandlung sichergestellt ist, führt die bloße Verzögerung nicht zu Gefahr im Verzug. Anders ist zu entscheiden – so dass Gefahr im Verzug vorliegt –, wenn konkrete Umstände bestehen, die nahe legen, dass auch eine kurze Verzögerung um ein bis zwei Tage ohne ausdrückliche Warnung des Schuldners, den Durchsuchungserfolg gefährden würde. Diese Umstände sind gegeben, wenn trotz Verzicht auf die mündliche Verhandlung und auf einen vergeblichen Vollstreckungsversuch nicht auszuschließen ist, dass der Schuldner eine Sicherungshandlung des Verletzten vorausahnt oder aus anderen Gründen eine Vernichtung oder Manipulation von Beweismaterial innerhalb kürzester Zeit zu erwarten ist. Es bedarf also jeweils einer Einzelfallbetrachtung, um Gefahr im Verzug anzunehmen. In der Regel wird diese aber nicht vorliegen363. (c) Enthält die ergangene einstweilige Verfügung bereits die richterliche Durchsuchungsanordnung? Problematisch ist weiter, ob und unter welchen Voraussetzungen die richterliche Durchsuchungsanordnung bereits in der ergangenen einstweiligen Verfügung enthalten sein kann, wie es § 758 a Abs. 2 ZPO für die Vollstreckung eines Titels auf Räumung oder Herausgabe von Räumen vorsieht. Bei der Vollstreckung dieses Titels erfolgt nämlich zwangsläufig ein Eingriff in Art. 13 GG erfolgt und der dann von der ergangenen richterlichen Entscheidung schon umfasst sein muss364. Vor der Einführung des § 758 a ZPO war umstritten, ob ein Titel auf Herausgabe einer beweglichen Sache – zu vollstrecken nach § 883 ZPO365 – eine zusätzliche richterliche Durchsuchungsanordnung entbehrlich macht, wenn dieser Titel in den Räumen des Schuldners vollstreckt wird. Mit der Einführung des § 758 a Abs. 2 ZPO hat sich der Gesetzgeber aber ausdrücklich entschieden und deutlich gemacht, dass eine richterliche Erlaubnis zur Durchsuchung nur bei der Räumungsvollstreckung und den in Abs. 2 explizit aufgelisteten Fällen und nicht in allen Fällen des § 883 ZPO im Titel 361

Siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. a) (3). Strittig: Wie hier Schuschke/Walker-Walker, § 758a Rdn. 18; a.A.: MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 39; Zöller/Stöber, ZPO, § 758a Rdn. 32, vertreten Gefahr im Verzug „kann gegeben sein“ bei einstweiliger Verfügung ohne mündliche Verhandlung, weil sie einen „dringenden Fall voraussetzt“. Eine „gewisse Verzögerung ist aber in Kauf zu nehmen; sie „begründet als solche nicht Gefahr im Verzug“; jeweils m.w.N. 363 So auch Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1672. 364 MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 41. 365 Daher besteht Vergleichbarkeit mit der ebenfalls nach § 883 ZPO zu vollziehenden Sequestration. 362

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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enthalten ist366. In den Fällen des § 883 ist es nämlich auch denkbar, dass der Titel ohne Durchsuchung vollstreckt werden kann. Nun wird in der Literatur deshalb angenommen, die einstweilige Verfügung auf Herausgabe bzw. Vorlage enthalte nicht grundsätzlich die Erlaubnis zur Durchsuchung enthält, es sei denn, der Titel sei seinem Inhalt nach – zwangsläufig – auf die Duldung von Handlungen in den Räumen des Schuldners gerichtet oder die Sache sei in den Räumen fest installiert und könne nur dort Gegenstand der Vollstreckung sein367. Für das Besichtigungsverfahren nach § 809 BGB bedeutet dies, dass eine gesonderte richterliche Anordnung nur in den letztgenannten Fällen entbehrlich ist, z. B. wenn bei einem Vorrichtungs- oder Verfahrenspatent die zu besichtigende Maschine standortgebunden eingebaut ist und das Gericht diesen Umstand in seine Entscheidung miteinbezogen hat. Sollte es sich um Sachen handeln, welche leicht zu transportieren sind, wird oft eine gesonderte Anordnung einzuholen sein, es sei denn, die einstweilige Verfügung beinhaltet explizit die Duldung der Durchsuchung368. Hierauf sollte der Schutzrechtsinhaber bei der Stellung seines Antrags hinwirken. Zwar bestimmen §§ 758a, 802 ZPO ausdrücklich, dass nur der Richter des im Bezirk der Sache belegenen Amtsgerichts ausschließlich zuständig sein soll, allerdings wird man vertreten können, dass dies in Fällen des Verzichts auf die vorherige Anhörung und auf die Möglichkeit der freiwilligen Einwilligung ein unnötiger Formalismus wäre und daher auch der die einstweilige Verfügung erlassende Richter zuständig ist369. Dem Sinn des Richtervorbehalts im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 GG ist auch so Genüge getan. (d) Ergebnis Im Ergebnis wird man in einigen Fällen Gefahr im Verzug bejahen oder die Genehmigung in der einstweiligen Verfügung enthalten sehen können. In den übrigen Fällen, in denen man eine gesonderte richterliche Durchsuchungsanordnung einholen muss, ist dieses Ergebnis sicher unbefriedigend, insbesondere wenn man die ausschließliche Zuständigkeit des Amtsrichters nach §§ 758a, 802 ZPO nicht für überwindbar hält. Der zusätzliche Aufwand zur Erlangung der zusätzlichen Durchsuchungsanordnung steht trotz der notwendigen rechtsstaatlichen Sicherungen der gewünschten Benutzerfreundlichkeit und Effizienz des Besichtigungsverfahrens entgegen und unterstreicht erneut den Reformbedarf der bisher geltenden Regelungen. 366 Schuschke/Walker-Walker, § 758a Rdn. 23; MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 46; Thomas/Putzo-Putzo, ZPO, § 758a Rdn. 6. 367 Schuschke/Walker-Walker, § 758a Rdn. 23; Baumbach/Lauterbach/Albers/HartmannHartmann, ZPO, § 758 a Rdn. 11; MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 46. 368 Ungenau: v. Hartz, Beweissicherung, S. 173; zur alten Rechtslage: Karger, Beweisermittlung, S. 102 f.; Götting, Entwicklung, GRUR 1988, S. 729, 738. 369 Vor der Neuregelung des § 758a ZPO diese Annexkompetenz vertretend Bischof, Durchsuchungsanordnung, ZIP 1983, S. 522, 529.

130 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

2. Das Hauptsacheverfahren zur Durchsetzung des Vorlegungsund Besichtigungsanspruchs In einem zweiten Schritt wird nach Abschluss des Verfügungsverfahrens und der Verwahrung des Sachverständigengutachtens im Hauptsacheverfahren über das Bestehen des Besichtigungsanspruchs nach § 809 BGB und die im Einzelfall nach § 242 BGB angemessene Rechtsfolge entschieden. Ziel des Gläubigers ist hierbei die Freigabe und Aushändigung des unter Verschluss gehaltenen Sachverständigenberichts an ihn persönlich. a) Der Klageantrag Um dies zu erreichen, erhebt er eine Leistungsklage mit dem Antrag, den Schuldner zu verurteilen, die Übergabe des Sachverständigenberichts an ihn, den Gläubiger des Besichtigungsanspruches, zu gestatten, insoweit der Bericht dem Umfang des Anspruchs nach §§ 809, 242 BGB entspricht370. b) Die Verhandlung über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 809 BGB Das Gericht wird diesem Antrag stattgeben, wenn der Gläubiger das Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen des Besichtigungsanspruchs dargelegt sowie gegebenenfalls bewiesen hat, und die gebotene Interessenabwägung der Freigabe nicht entgegensteht. Insbesondere hat der Gläubiger das Gericht davon zu überzeugen, dass sein Schutzrecht besteht und vor allem dass eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“371 für eine Schutzrechtsverletzung durch den Schuldner spricht. Zum Nachweis dieser „Wahrscheinlichkeit“ bedient er sich aller ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel, ohne dass er zu diesem Zeitpunkt, also im Freigabeprozess, bereits Einblick in den Bericht hat, in welchem sich mutmaßlich weitere Beweise für die vom Gläubiger behauptete Schutzrechtsverletzung befinden. An den Nachweis der „gewissen Wahrscheinlichkeit“ sind keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, denn im Freigabeprozess darf auf den konkreten Berichtsinhalt noch nicht zurückgegriffen werden bzw. der Berichtsinhalt darf nicht Verhand370 Eine entsprechende Willenserklärung des Schuldners gilt mit dem Eintritt der Rechtskraft des dem Antrag stattgebenden Urteils gem. § 894 ZPO als abgegeben, vgl. Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 770, 770 f., 774; Karger, Beweisermittlung, S. 112; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 894 Rdn. 21. 371 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046, 1048 f. – „Faxkarte“; siehe dazu vor allem oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (5); im Patentrecht ist vor einer Klarstellung durch den Bundesgerichtshof weiterhin von der Geltung des Erfordernisses eines „erheblichen Grades an Wahrscheinlichkeit“ auszugehen, wobei auch hier eine Übertragung der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ wünschenswert und wahrscheinlich ist, siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (2) und (6) (i).

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lungsgegenstand werden372. Dies folgt erstens daraus, dass der Gläubiger keinen Einblick in den Bericht erhalten darf, bevor ihm der Besichtigungsanspruch rechtskräftig zuerkannt wurde, zweitens die Gefahr der Offenlegung von Betriebsgeheimnissen besteht, solange ein „in-camera“-Verfahren nach bisher geltenden Recht unzulässig ist373 und drittens nicht der eigentliche Verletzungsprozess in weiten Teilen vorverlagert werden darf. Dagegen vertritt eine verbreitete Ansicht374, die nötigen Anhaltspunkte für die „gewisse Wahrscheinlichkeit“ sollten bereits im Freigabeprozess dem Sachverständigenbericht selbst entnommen werden. Ein solches Vorgehen hieße aber, die Rechtsfolge an die Stelle der Tatbestandsvoraussetzungen zu setzen. Nach dieser daher abzulehnenden Auffassung muss das Gericht prüfen, ob der Bericht selbst ausreichende Anhaltspunkte für einen Verletzungsanspruch enthalte. Die Überprüfung des konkreten Berichtsinhalts im Hinblick auf das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung werde zum Verhandlungsgegenstand im Freigabeprozess, denn nur, wenn im Bericht Anhaltspunkte für die Schutzrechtsverletzung enthalten seien, bestehe ein Informationsinteresse an der Freigabe375. Dies erscheint zunächst nahe liegend, geht aber aus den bereits genannten und aus weiteren Gründen fehl: Das Gericht könnte seine Entscheidung, ob der Bericht genügend Anhaltspunkte für eine Schutzrechtsverletzung enthält, nicht ohne die Parteien treffen. Denn sollte der Untersuchungsbericht selbst zur Überzeugungsbildung herangezogen werden, dürften die Parteien über das Ergebnis dieser Heranziehung gem. § 285 Abs. 1 ZPO verhandeln376. Die Notwendigkeit der Verhandlung über den Bericht im Falle seiner Heranziehung ergibt sich auch daraus, dass Grundlage der Entscheidungsfindung nach § 286 Abs. 1 ZPO nur sein kann, was auch Inhalt der Verhandlung war. Außerdem muss das Gericht gem. § 286 Abs. 1 ZPO den Parteien die wesentlichen Gründe für seine Beweiswürdigung nennen377. Auch die Vertreter der oben genannten Ansicht räumen deshalb ein, dass die Parteien in diesem Fall berechtigt wären, Tatsachen und Rechtsauffassungen zum Inhalt des Berichts vorzubringen378. Hierzu ist jedoch zwingend die Kenntnis des Berichtsinhalts erforderlich379. Durch die verglei372

In diese Richtung auch OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2006, 295, 296 a.E. f. Siehe hierzu sogleich unten unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3). 374 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696, 701, S. 770, 771; Karger, Beweisermittlung, S. 112 f., 118 f.; Brandi-Dohrn, Reichweite und Durchsetzung, GRUR 1985, S. 179, 186 f. 375 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696, 701, S. 770, 771; Karger, Beweisermittlung, S. 112 f., 118 f.; Brandi-Dohrn, Reichweite und Durchsetzung, GRUR 1985, S. 179, 186 f. 376 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 285 Rdn. 1. 377 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rdn. 10, 12, 14a, 16, 17. 378 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696, 701, S. 770, 771; Karger, Beweisermittlung, S. 118 f. 379 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696; Karger, Beweisermittlung, S. 119. 373

132 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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chende Untersuchung des Sachverständigen kann der Bericht aber Betriebsgeheimnisse beider Parteien beinhalten380. Seine Erörterung würde also dazu führen, dass nicht nur die vom Besichtigungsanspruch umfassten Untersuchungsergebnisse faktisch freigegeben würden, bevor das Bestehen des Besichtigungsanspruches rechtskräftig festgestellt wurde, sondern auch dazu, dass die nicht vom Anspruch umfassten, weil zur Rechtsdurchsetzung nicht erforderlichen, aber im Bericht enthaltenen Betriebsgeheimnisse ebenfalls preisgegeben würden. Durch die parteiöffentliche Erörterung des gesamten Berichtsinhalts im Freigabeprozess käme es zur vorzeitigen Kenntnisnahme durch den Anspruchsteller, welche durch die Anwendung des mehrstufigen Besichtigungsverfahrens unter Einbeziehung des neutralen Sachverständigen gerade vermieden werden sollte. Insofern wäre die Einschaltung des Sachverständigen nutzlos gewesen381. Daher kann nach geltendem Recht ohne die Möglichkeit eines „in camera“-Verfahrens382 die Entscheidung über die Freigabe des Berichts nicht unter Heranziehung des Berichts getroffen werden383. Auch deshalb ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass § 809, 2. Fall BGB die Gewissheit einer Rechtsverletzung gerade nicht verlangt, sondern dies erst Gegenstand des Verletzungsprozesses ist. Auch mangels der Möglichkeit, schon im Freigabeprozess den Bericht zu Beweiszwecken heranzuziehen, ist es nur folgerichtig, dass zumindest im Bereich des Urheberrechts der nötige Grad der Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung von einer „erheblichen Wahrscheinlichkeit“ auf eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“, kombiniert mit einer Interessenabwägung, die die anderweitigen Möglichkeiten der Beweisbeschaffung einbezieht, abgesenkt wurde. Die ausführliche verletzungsbezogene Erörterung des Berichts ist erst im Verletzungsprozess Verhandlungsgegenstand384. 380 Brandi-Dohrn, Reichweite und Durchsetzung, GRUR 1985, S. 179, 186; Karger, Beweisermittlung, S. 119. 381 Dies wird von der genannten Ansicht zum Teil eingeräumt, vgl. nur Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696; Karger, Beweisermittlung, S. 118 f. 382 Vgl. hierzu unten unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (2) und (3). 383 „Jedenfalls“ für die Verhandlungen im einstweiligen Verfahren vertritt auch das OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2006, 295, 296 a.E. f. diese Auffassung: Danach „kommt es auf den Inhalt der sachkundigen Feststellungen […] nicht an, weil die Durchsetzung des Besichtigungsanspruches […] nicht der inhaltlichen Klärung etwaiger Zweifel an den Feststellungen des Sachverständigen dient. Dazu wird regelmäßig gar kein Anlass bestehen, weil die Feststellungen nicht an den Ast. herauszugeben sind und damit nicht Gegenstand der Erörterung zwischen den Parteien im Eilverfahren sein können.“ Es komme allein auf die Voraussetzungen des Besichtigungsanspruches an. „Zutreffend hat das LG die ausreichende Wahrscheinlichkeit für die Rechtsverletzung deshalb auch nicht auf Grund des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens […] hergeleitet.“; a.A.: Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696, 701, S. 770, 771; Karger, Beweisermittlung, S. 112 f., 118 f.; Brandi-Dohrn, Reichweite und Durchsetzung, GRUR 1985, S. 179, 186 f. 384 Der Konflikt zwischen der nötigen Ermittlung des Sachverhalts und der möglichen Aufdeckung von Betriebsgeheimnissen bei gleichzeitiger Wahrung des Anspruches auf rechtliches Gehör der Parteien verlagert sich teilweise auf die Ebene des Verletzungsprozesses. Allerdings sind in diesem Stadium, dann bereits Betriebsgeheimnisse, die nicht verlet-

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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c) Zulässigkeit eines beweisrechtlichen „Geheimverfahrens“ nach bisher geltendem Recht? Auch weil das anzuwendende Verfahren nicht gesetzlich geregelt ist, ist die Frage der möglichen Offenlegung von Betriebsgeheimnissen des Besichtigungsschuldners im Freigabeprozess ein gravierendes praxisrelevantes Problem. Zudem ist problematisch, dass der Kläger zum Nachweis des Bestehens seines eigenen Immaterialgüterrechts eventuell eigene Betriebsgeheimnisse in der parteiöffentlichen Verhandlung mitteilen muss385. Um diese beiden Parteien unerwünschte Offenlegung zu vermeiden, wurden umfangreiche Geheimhaltungsmaßnahmen vorgeschlagen, die bereits ohne eine gesetzliche Verankerung zulässig sein sollen386. Kern der Vorschläge ist ein so genanntes beweisrechtliches „Geheimverfahren“, bei welchem die Parteien auf verschiedene Weise von der Erhebung und Würdigung sensibler Beweise ausgeschlossen werden. (1) Sogenannte „Sachverständigenlösung“387 In der ersten Variante des „Geheimverfahrens“ werden die sensiblen Beweise unter Ausschluss des Gerichts und der anderen Partei ausschließlich von einem weiteren zur Verschwiegenheit verpflichteten, gerichtlich bestellten Sachverständigen gewürdigt. Dieser entscheidet auch selbständig über das Vorliegen der relevanten Tatsachen388. Dieses Vorgehen widerspricht allerdings wesentlichen Prinzipien des Prozessrechts, insbesondere dem Recht der anderen Partei, zu den Entscheidungsgrundlagen Stellung zu beziehen (Art. 103 Abs. 1 GG), der Pflicht des Gerichts, nach § 286 ZPO die Beweise frei, kritisch und für die Parteien nachvollziehbar zu würdigen, und dem Verbot gutachterliche Ergebnisse nicht ungeprüft gerichtlichen Entscheidungen zu Grunde zu legen. Daher ist es als unzulässig abzulehnen389.

zungsbezogen sind und nicht vom Besichtigungsanspruch erfasst werden, möglichst vom Gericht herausgestrichen oder geschwärzt worden. Die verbleibende Geheimhaltungsproblematik unterscheidet sich dann idealerweise in einem solchen Verletzungsprozess nicht von anderen Verletzungsprozessen. 385 Vgl. Karger, Beweisermittlung, S. 118. 386 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 696 ff.; Karger, Beweisermittlung, S. 124 ff. 387 Nicht zu verwechseln mit der Einschaltung eines neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen als Gutachter gem. §§ 809, 242 BGB. 388 Siehe zur „Sachverständigenlösung“: OLG Nürnberg, CR 1986, S. 197, 197 ff.; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1202 ff.; Pagenberg, Know-HowSchutz, CR 1991, S. 65, 68: „Sachverständiger als Ersatz-Richter?“; Kersting, Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses, S. 277 ff. 389 BGHZ 116, S. 47, 47, 58 – „Amtsanzeiger“; BVerfG, Beschl. MMR 2006, S. 375, 378.

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(2) Sogenannte „Anwaltslösung“, „counsel-only“-Lösung bzw. „in-camera“-Verfahren In seiner zweiten Variante werden nur die Naturalparteien von der Beweisaufnahme ausgeschlossen und lediglich durch ihre Anwälte im Prozess vertreten. Letztere sind aber gegenüber der eigenen Naturalpartei und deren Mitarbeitern, also ihrem Mandanten, zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Regelungstechnisch soll dies durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Verhandlung (§ 172 Nr. 2 GVG), einen Ausschluss oder einen freiwilligen Verzicht der Naturalparteien auf ihre Anwesenheit und eine Verpflichtung der bei der Verhandlung Anwesenden – also der Anwälte – zur Geheimhaltung (§ 174 Abs. 3 GVG) erreicht werden390. Zudem sollen als „flankierende“ Maßnahme auf der Grundlage der §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils um die relevanten geheimen Informationen gekürzt werden391. Bei dieser so genannten „Anwaltslösung“ – auch „counsel-only“-Lösung oder „in-camera“-Verfahren genannt – liegt zunächst unstreitig eine Beeinträchtigung des grundrechtlichen Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und – einfachgesetzlich – des Grundsatzes der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme und des Rechtes zur Stellungnahme zum Beweisergebnis (§§ 357 Abs. 1, 285 Abs. 1 ZPO) vor. Danach haben die Naturalparteien das Recht bei Verhandlung und Beweisaufnahme anwesend zu sein und sich zu allen rechtlichen und insbesondere tatsächlichen Fragestellungen des Verfahrens zu äußern. Das Gericht hat diese Stellungnahmen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern muss sie in seine Überlegungen aktiv einbeziehen392. Hier sollen der grundrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör und die Interessen der nicht anwesenden Naturalpartei zwar soll durch die Anwesenheit und Einflussnahme der Prozessvertreter gewahrt sein393. Allerdings müssten sich die Naturalpar390 Vgl. z. B. Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697 ff.; Kersting, Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses, S. 281 ff.; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204 f.; Stadler, Schutz des Unternehmensgeheimnisses, S. 231 ff.; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 72; Karger, Beweisermittlung, S. 132 ff.; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 164; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 431 ff.; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 381; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3131; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 922; für einen völligen Ausschluss der risikobelasteten Partei – auch der Anwälte – wegen Zweifel an der Verschwiegenheit der Anwälte, Stürner, Aufklärungspflicht, S. 223 f.; Schweikhardt, Beweislast bei Verletzung von Schutzrechten auf Verfahren, GRUR 1962, S. 116, 124. 391 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 227; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 699; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1205; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 71; Karger, Beweisermittlung, S. 137. 392 BVerfG, NJW 1995, S. 2095, 2096; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 89, S. 381, 392; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 224. 393 Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697 ff.; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204 f.; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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teien aufgrund der – auch nachträglichen – Geheimhaltungspflicht der Anwälte ganz auf deren Kompetenz verlassen. Wegen der Kürzung des Tatbestands und der Urteilsgründe um die relevanten geheimen Informationen als „flankierende“ Maßnahme wäre auch eine nachträgliche Inhaltskontrolle des Prozesses und der Arbeit der Prozessvertreter nicht möglich. Jedenfalls ein zwangsweiser Ausschluss der Naturalpartei verstößt somit gegen ihre grundrechtlich und einfachgesetzlich verankerten Rechte394. In einer Konstellation, in welcher die Offenlegung von Geheimnissen des Besichtigungsschuldners, also der nicht-beweisbelasteten Partei, während der Verhandlung oder der Prüfung des Berichts zu befürchten ist, wird daher vertreten, der beweisbelastete Kläger solle freiwillig auf seine persönliche Anwesenheit verzichten, wie nach § 141 ZPO zulässig. Weiterhin solle er freiwillig, im Voraus und unwiderruflich auf seine Informationsrechte gegenüber seinem Anwalt verzichten und so quasi selbst die Geheimhaltungspflicht seines Anwalts begründen. Eine entsprechende Erklärung solle bereits bei der Beantragung der Besichtigungsmaßnahme vorzulegen sein395. Schließlich könne der Anwalt gegenüber der eigenen Naturalpartei auf der Grundlage von §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 S. 1 GVG zur Geheimhaltung verpflichtet werden. Eine Verpflichtung zu diesem freiwilligen Verzicht könne sich für den beweisbelasteten Kläger und Antragsteller gegebenenfalls aus § 242 BGB ergeben. Im Übrigen habe er ein eigenes Interesse an seinem Ausschluss, da eine Entscheidungsfindung und damit eine Freigabe des Berichts in seiner Anwesenheit nicht erfolgen könne396. Auch bei einem bedingt freiwilligen Verzicht stellt sich die Frage, inwiefern die Naturalpartei auf ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör rechtlich bindend und unwiderruflich verzichten kann. Zur Beurteilung der Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts ist auf die Funktion des einzelnen Grundrechts und die Nähe der Verzichtshandlung zum unverzichtbaren Menschenwürdegehalt abzustellen397. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll den Bürger davor schützen zum bloßen Gegenstand eines Verfahrens zu werden, und ihm wirksamen Rechtsschutz ermöglichen398. Zwar können Dritte alleine das rechtliche Gehör nur „in eng begrenzten Ausnahmefällen vermitteln“399, doch spricht die Anwesenheit des eigenen Rechtsbeistandes sowie die Tä1991, S. 65, 72; Karger, Beweisermittlung, S. 132 ff; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 164. 394 Knemeyer, Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, HdbStR VI, § 155 Rdn. 29; ähnlich Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3131; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 574 f. 395 So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697 f.; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 437; so nun auch in Bezug auf den Vorschlag eines „Düsseldorfer Verfahrens“ Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 191; Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 125. 396 So Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697 f. 397 Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rdn. 136 f. 398 Schmidt-Bleibtreu/Klein-Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rdn. 2. 399 Schmidt-Bleibtreu/Klein-Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rdn. 3.

136 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

tigkeit des neutralen, vereidigten Sachverständigen eher für eine wirksame Wahrnehmung der Rechte des Antragstellers und damit für die Zulässigkeit eines derartigen Verfahrens. Problematisch ist freilich, dass die Naturalpartei im Voraus und nicht frei widerruflich auf ihre Anwesenheit verzichten soll, ohne absehen zu können, zu welcher Fragestellung sie sich zukünftig nicht persönlich äußern darf400. Diesbezüglich war bisher eigentlich eindeutig, dass zwar ein nachträglicher Verzicht möglich, ein Verzicht auf das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG im Voraus allerdings gänzlich unzulässig ist401. Nun hat das Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren zu § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO a.F.402 selbst ein Hauptargument der Befürworter eines „in-camera“-Verfahrens bestätigt: Die informationssuchende Naturalpartei hat die Wahl, entweder auf ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zu beharren, mangels Geheimhaltungsmöglichkeit dann aber gegebenenfalls auf die Einbeziehung sensibler Information der nicht-risikobelasteten Partei verzichten zu müssen und so letztlich den erstrebten effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zu erhalten oder auf einen Teil ihres Anspruchs auf rechtlichen Gehör zu verzichten und durch die entstehenden Geheimhaltungsmöglichkeiten gegebenenfalls effektiveren Rechtsschutz wahrnehmen zu können403. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert nun, Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG stünden in engem Zusammenhang und dienten beide der Verbesserung des Rechtschutzes – hier – der informationssuchenden Naturalpartei. Die beiden Grundrechte dürften nicht „in Gegensatz zueinander gerückt werden“404. Daher trete der durch Art. 103 Abs. 1 GG bezweckte Schutz zurück, wenn er sich gegen den Schutzbedürftigen wende. Denn effektiver Rechtsschutz sei gegebenenfalls nur durch eine Beschränkung des rechtlichen Gehörs möglich405. Schließlich müsste dem durch Art. 103 Abs. 1 GG berechtigten Schutzrechtsinhaber jegliche Information vorenthalten werden, wenn er sich nicht auf Geheimhaltungsmaßnahmen einlasse406. Art. 103 Abs. 1 GG, der dem Schutz des Einzelnen diene, könne diesem dann nicht entgegengehalten werden, wenn ein begrenzter Verzicht die Rechtsschutzposition verbessere. Unter dieser Voraussetzung sei ein „in-camera“-Verfahren – das Gericht meint hiermit ein Zwischenverfahren, bei dem selbst die Anwälte ausgeschlossen sind, nur das Gericht die Akten kennt und über die Ge-

400

Siehe zur Problematik des für die Zukunft bindenden Grundrechtsverzichts Pieroth/ Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rdn. 139 f. 401 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 225 f.; Röhl, Das rechtliche Gehör, NJW 1953, S. 1531, 1532. 402 BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175 ff. 403 So schon Stürner, Aufklärungspflicht, S. 226 f.; Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 853; ähnlich auch Kersting, Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses, S. 283 ff. 404 BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178. 405 BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178. 406 Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 853.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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heimhaltungsbedürftigkeit entscheidet – ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig407. In Konstellationen, in welchen der informationssuchende Kläger das Bestehen seines Schutzrechts beweisen will oder der Beklagte gerade entgegenstehende Betriebsgeheimnisse erläutert, wird die andere Partei mangels eigenen Interesses nicht freiwillig auf ihr persönliches Erscheinen verzichten. Hier wird unter Berufung auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes ein zwangsweiser Ausschluss für zulässig erachtet. Art. 103 Abs. 1 GG trete im Rahmen einer Güterabwägung insoweit zurück; die Anwesenheit des Prozessvertreters mache die Maßnahme verhältnismäßig408. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist dies allerdings höchst zweifelhaft, da sich die Rechtsschutzposition zumindest des nicht-beweisbelasteten Beklagten nicht verbessert. Verfassungsrechtlich ungelöst ist daher das Problem der Darlegung der Schutzfähigkeit des mutmaßlich verletzten Schutzrechts. Bedingt durch die Beweislastregeln könnten im Verfahren tatsächlich Unternehmensgeheimnisse des Klägers offenbar werden409. (3) Stellungnahme und Ergebnis Höchst fraglich ist, ob die erläuterte, gegebenenfalls vorliegende verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Geheimverfahrens angesichts gefestigter Strukturen in Justiz und Anwaltschaft und entgegenstehender Festlegungen des einfachen Rechts in aktuellen Verfahren tatsächlich anwendbar ist und somit einer Bewertung des bisher geltenden Rechts zu Grunde gelegt werden kann oder ob dies nur auf Grund einer vorzunehmenden gesetzlichen Neuregelung möglich ist. In der Tat werden teilweise mit guten Gründen Zweifel an der Praktikabilität eines solchen Verfahrens in der Rechtswirklichkeit geäußert, welche das tradierte Verhältnis der Naturalpartei zu ihrem Anwalt, die Verflechtung ihrer Interessen und gegebenenfalls die Gefahr mangelnder Verschwiegenheit in den Blick nehmen. Der Anwalt sei zwar Organ der Rechtspflege, im Wesentlichen nehme er aber die Interessen des Mandanten wahr; eine wirkungsvolle Prozessvertretung sei ohne einen beiderseitigen, stetigen und umfangreichen Informationsaustausch nicht denkbar410. Gewichtiger ist allerdings, dass im Falle eines zwangsweisen Ausschlusses der Naturalpartei – also mindestens gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei – ein echter, nicht wegabzuwägender Eingriff in das Grundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt. Dieser bedarf nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes einer einfachgesetzlichen Grundlage. Diese besteht nach bisher geltendem Recht aber 407

BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178. Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204. 409 Baumgärtel, „Geheimverfahren“, FS Habscheid, S. 1, 7; Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 17. 410 Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 853 f.; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 224, der letztlich jedoch das „Geheimverfahren befürwortet (S. 226 ff.); für ein „Geheimverfahren“ Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 70. 408

138 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

weder in § 141 ZPO noch in § 139 Abs. 3 S. 2 PatG, der nur eine Reaktion auf die in § 139 Abs. 3 S. 1 PatG ausgesprochene Beweislastumkehr bei Verfahrenspatenten darstellt411. Auch § 174 Abs. 3 S. 1 GVG stellt keine Eingriffsgrundlage dar, da die Norm zwar ermöglicht, den Anwesenden eine Geheimhaltungspflicht aufzubürden, die Anwesenheitserlaubnis aber nicht auf die Prozessvertreter begrenzt und keine Grundlage bildet, den Anwalt zur Verschwiegenheit gegenüber einer Prozesspartei zu verpflichten412. Aber selbst wenn man das aufforderungsgemäße, bedingt freiwillige Fernbleiben der beweisbelasteten Naturalpartei nicht nur als Ergebnis der Rechtfertigung eines Grundrechteingriffs im Wege des Ausgleichs von Grundrechten nach den Regeln der praktischen Konkordanz, sondern gar nicht als einen der gesetzlichen Regelung vorbehaltenen Eingriff werten will, wird man nicht umhin kommen festzustellen, dass einfachgesetzliche Regelungen nach bisher geltendem Recht schlicht entgegenstehen. Die §§ 285 Abs. 1, 357 Abs. 1 ZPO verbieten explizit ein geheimes Prozedere und berechtigen die Naturalpartei zur Anwesenheit bei der Tatsachenfeststellung413, und zwar nicht nur aus Gründen des Individualrechtsschutzes, sondern auch zum Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtsprechung insgesamt. Diese gesetzlichen Vorgaben und die Aufgabenzuweisung der Regelung des gerichtlichen Verfahrens zugunsten des Gesetzgebers erlauben kein einfaches Wegabwägen elementarer zivilprozessualer Bestimmungen im Einzelfall, so wünschenswert ein „in-camera“-Verfahren auch wäre. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Verfahren zu § 99 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 1 VwGO a.F.414 zwar die Verfassungswidrigkeit der Re411 § 139 Abs. 3 S. 2 PatG ermöglicht wegen Art. 103 Abs. 1 GG zudem nur die Zwischenschaltung eines neutralen Sachverständigen, bei dessen zurückhaltender Befragung die Partei wieder anwesend wäre, vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 218; ähnlich Stein/ Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 18. 412 Kersting, Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses, S. 286 f., der darauf hinweist, dass die ZPO sogar davon ausgeht, dass sich die nicht anwesende Partei über ihren Anwalt informieren lässt; dennoch wendet Kersting § 174 Abs. 3 GVG zur Ermöglichung der Anwaltslösung analog an. Für die Untauglichkeit des § 174 Abs. 3 GVG als gesetzliche Grundlage bezogen auf den Ausschluss der nicht-beweisbelasteten Naturalpartei, also des Beklagten, auch Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 62; und Karger, Beweisermittlung, S. 134. Ibbeken und Karger stimmen der Anwaltslösung aus Abwägungsüberlegungen im Prinzip trotzdem zu. 413 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 285 Rdn. 1 ff.; Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 1 ff. 414 § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO erlaubt die Verweigerung der Aktenvorlage durch eine Behörde im Falle eines Geheimhaltungsbedürfnisses. § 99 Abs. 2 S. 1 VwGO verlangte die Glaubhaftmachung der Weigerungsgründe. Eine wirkliche gerichtliche Kontrolle der Weigerungsgründe war nicht möglich, auch deshalb weil die Möglichkeit eines gerichtlichen Geheimverfahrens – z. B. als Zwischenstreit – nicht vorgesehen war und deshalb die Parteiöffentlichkeit der gerichtlichen Überprüfung im Wege stand, vgl. BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1177 f.; § 99 Abs. 2 VwGO n.F. (RmBereinVpG v. 20. 12. 2001, BGBl. I S. 3987) sieht nun zur Verwirklichung effektiven Rechtschutzes bei gleichzeitiger Einschränkung des rechtlichen Gehörs ein gerichtliches Zwischenverfahren unter Ausschluss der informationssuchen-

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gelung im Hinblick auf den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) festgestellt, aber dennoch das Primat des Gesetzgebers betont. Das Verfassungsgericht führt aus, dass Ansatzpunkte für eine verfassungskonforme Auslegung von § 99 VwGO415 – also die Begründung eines Geheimverfahrens – weder im Gesetzestext noch in der Gesetzgebungsgeschichte sichtbar seien – dies ist auch bei §§ 809, 242 BGB nicht der Fall. Auch ein Verzicht auf die Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG eröffne nicht den Weg zu einer verfassungskonformen Auslegung. Da es nicht nur eine einzige Möglichkeit der Behebung des Mangels gebe und eine Reihe von Ausgestaltungsfragen aufgeworfen werde, deren Beantwortung nicht Sache der Gerichte sei, komme nur eine gesetzliche Neuregelung in Betracht416. Diese Feststellungen lassen sich auf die hier vorliegende Konstellation übertragen. Die Einführung eines „in-camera“-Verfahrens wäre erstrebenswert, um im Immaterialgüterrecht – einem Gebiet mit einem schmalen Grat zwischen rechtsverletzender Leistungsübernahme und geheimhaltungsbedürftigem eigenen Know-How, einer Verflechtung von beidem sowie einem typischen Informationsdefizit der risikobelastete Partei – die Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast durch die risikobelasteten Partei und gleichzeitig den Schutz von Unternehmensgeheimnissen beider Parteien besser miteinander vereinbaren zu können. Obwohl gewichtige Zweifel an der Praktikabilität solcher Verfahren im Hinblick auf das traditionelle Rollenverständnis der beteiligten Akteure bleiben, wäre ein solches Verfahren unter den genannten Umständen zumindest als verfassungsrechtlich zulässig anzusehen. Bisher stehen jedoch jedenfalls einfachgesetzliche Regelungen entgegen. Die Gerichte können nicht eigenmächtig handeln417. Auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit aufgrund eine Abwägung konkurrierender Verfassungsgüter im Wege praktischer Konkordanz kann nicht zur Zulässigkeit eines „in-camera“-Verfahren de lege lata führen, denn der Vorbehalt des Gesetzes und das Demokratieprinzip setzen ein Tätigwerden des Gesetzgebers voraus. Eine hinreichend bestimmte gesetzliche Neuregelung ist daher erforderlich418. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Bewertung der Informationsbeschaffungsinstrumente nach bisher geltendem Recht müssen Geheimhaltungsverfahren, die den Ausschluss der Naturalpartei von Verhandlung und Beweisaufnahme oder eine Geden Partei zur Feststellung der Geheimhaltungsbedürftigkeit vor, vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 99 Rdn. 18 ff. 415 § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO entspricht insofern § 242 BGB, der den Anspruch nach § 809 BGB einschränkt und eine Offenlegung verbietet. Die §§ 285 Abs. 1, 357 Abs. 1 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG stehen einer effektiveren (Art. 19 Abs. 4 GG) Regelung der §§ 809, 242 BGB entgegen, weil sie Geheimhaltungsmaßnahmen verhindern. 416 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178 f., das Gericht setzte eine Frist zur Neuregelung unter Beachtung des Art. 19 Abs. 4 GG bis zum 31.12.2001. 417 Vgl. Prütting/Weth, Geheimverfahren, DB 1989, S. 2273, 2278. 418 So im Ergebnis auch Prütting/Weth, Geheimverfahren, DB 1989, S. 2273, 2278; Karger, Beweisermittlung, S. 134; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 62; Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 713.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

heimhaltungspflicht des Anwalts gegenüber der eigenen Naturalpartei vorsehen, daher als unzulässig betrachtet werden419. Auch aus diesem Grund ist eine Offenlegung von Geheimnissen im Freigabeprozess zu vermeiden bzw. auf das absolut Notwendige zur Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 809 BGB und zur Ermittlung einer Tatsachengrundlage für die Interessenabwägung zu beschränken. d) Das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens (1) Freigabe des Berichts an den Kläger Ist das Gericht nach der Verhandlung der Überzeugung, dass die Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, hat es über eine im Einzelfall interessengerechte Rechtsfolge zu befinden, bei der es Informationsinteresse und Geheimhaltungsinteresse zu einem sinnvollen Ausgleich bringt. Insbesondere hat es darauf zu achten, dass der Bericht nur insoweit freigegeben wird, wie sein Inhalt dem Umfang des Anspruchs nach § 809 BGB entspricht. Die Mitteilung von Betriebsgeheimnissen des Beklagten ist nicht durch das Informationsinteresse des Klägers gerechtfertigt. Textabschnitte, die Informationen über Betriebsgeheimnisse beinhalten, sind daher vom Gericht anhand der glaubhaft gemachten Angaben des Beklagten aus dem Bericht zu entfernen420, soweit diese Untersuchungsergebnisse nicht für die Gewissheitsverschaffung des Klägers zwingend erforderlich sind. Eine teilweise Entfernung von Textabschnitten durch das Gericht, falls es doch zu einer Überschreitung des erlaubten Umfanges der Besichtigung durch den Sachverständigen kommt, ist einer vollständigen Versagung der Freigabe, d. h. des Besichtigungsanspruches, jedenfalls vorzuziehen. Darüber hinaus ist über die bereits angesprochene Zweiteilung des Berichts nachzudenken: In einem ersten Teil könnten Identitäten detailliert beschrieben werden, in einem weiteren Teil könnte nur im Ergebnis mitgeteilt werden, ob nach Ansicht des Sachverständigen eine Verletzung durch äquivalente Mittel oder unfreie Bearbeitungen vorliegt oder nicht421. Das Gericht hätte diesbezüglich besonders darauf zu achten, dass Betriebsgeheimnisse bzw. Details über Abweichungen, die im Verletzungsprozess möglicherweise doch nicht als Äquivalenz, sondern als schutzfähige, eigen419 Vgl. hierzu auch Schlosser, Wirtschaftsprüfervorbehalt, FS Großfeld, S. 997, 1010, 1014, der vertritt es gebe nach geltendem deutschen Recht „keinen Fall, in dem ein Anwalt gegenüber seiner eigenen Partei zur Verschwiegenheit verpflichtet oder auch nur berechtigt wäre“, dies sei allenfalls im Rahmen einer freiwilligen Verfahrensvereinbarung möglich. 420 Vgl. Brandi-Dohrn, Softwareverletzungen, CuR 1985, S. 67, 70; Karger, Beweisermittlung, S. 108, 113; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 67; Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 908; Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192. 421 Siehe dazu vor allem oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. d) (5); ähnlich Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 162, der allgemein nur das Ergebnis der Besichtigung mitteilen lassen will; Zweiteilung kurz angedeutet auch bei Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 67; siehe auch Saß, Beschaffung von Informationen, S. 93 f., der die Beschränkung der Mitteilung auf das Ergebnis nur hinsichtlich § 809 2. Fall BGB fordert.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ständige Entwicklung bewertet werden könnten, in der freizugebenden Version des Berichts nicht enthalten sind. Die Beratung des Gerichts im Hinblick auf eine interessengerechte Rechtsfolge und die Prüfung des Berichts unter Aussonderung eventuell enthaltener Betriebsgeheimnisse erfolgen naturgemäß unter Ausschluss der Parteien. Dies stellt keinen Widerspruch zu den oben betonten Grundsätzen der freien und offenen Beweiswürdigung (§§ 285, 286 ZPO) und der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme (§ 357 Abs. 1 ZPO) dar, denn es liegt keine Beweisaufnahme vor. Die Parteien hatten während der Verhandlung ausreichend Gelegenheit, parteiöffentlich zur Schutzfähigkeit, zum Informationsinteresse und zu den Betriebsgeheimnissen Stellung zu nehmen. Die Beratung des Berichts und die Entfernung nicht vom Anspruch umfasster Teile können als Teil der nichtöffentlichen Beratung der Entscheidung nach § 309 ZPO, § 193 GVG eingestuft werden. Das Gericht übt hierbei eine Tätigkeit aus, vergleichbar mit der Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers bei der Durchsetzung der Ansprüche auf Auskunft oder Rechnungslegung mit Wirtschaftsprüfervorbehalt422. Bei den prozessvorbereitenden Informationsansprüchen – im Rahmen des materiellen Rechts –, ist diese Art des Geheimnisschutzes, also die Aussonderung von Betriebsinterna durch eine neutrale Instanz, möglich423. Eine nichtparteiöffentliche Aussonderung von Betriebsinterna bei grundsätzlicher Freigabe des Berichts ist zwingend erforderlich und der Sinn der Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs im mehrstufigen Verfahren. Anders zu entscheiden, also entweder parteiöffentlich auszusondern bzw. ohne inhaltliche Überprüfung freizugeben oder die Freigabe bei möglicher Gefährdung von Betriebsgeheimnissen ganz zu versagen, würde bedeuten, entweder das Informationsinteresse oder das Geheimhaltungsinteresse einseitig zu betonen. § 809 BGB will die beiden gegensätzlichen Interessen jedoch gerade miteinander in Einklang bringen. Eine solche Wertung des materiellen Rechts darf durch das Prozessrecht nicht überspielt werden424. (2) Fristsetzung zur Erhebung einer Verletzungsklage? In der Entscheidung „Faxkarte“ wird ausdrücklich betont, dass die Besichtigungsergebnisse nur zu dem „vorgesehenen Zweck eingesetzt werden“ dürfen425. Als vorbereitender Hilfsanspruch dient § 809 BGB vor allem der Zusammenstellung von Beweismaterial zur Vorbereitung eines Verletzungsprozesses. Zweck des Anspruchs ist es insbesondere, sich Gewissheit über das mutmaßliche Bestehen eines Verletzungsanspruches zu verschaffen, wenn die eigenen Erkenntnismittel hierzu nicht ausrei422 Siehe zum Wirtschaftsprüfervorbehalt bei den Auskunftsansprüchen BGH, GRUR 1981, S. 535, 535. 423 Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 18, der weiter darauf hinweist, dass eine „Fortentwicklung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche“ gegenüber „schwerwiegenden Veränderungen des Prozessrechts“ in Gestalt eines beweisrechtlichen Geheimverfahrens vorzuziehen ist. 424 Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 18. 425 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“.

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chen426. Schon vor der Entscheidung „Faxkarte“ wurde auf Grund dieser Überlegung vertreten, die Freigabe dürfe nur unter der Bedingung erfolgen, den Bericht ausschließlich zur Prozessvorbereitung zu nutzen. Jede andere Verwendung sei zu verbieten. Hierzu könne gemäß dem Rechtsgedanken des § 926 Abs. 2 ZPO dem Kläger eine Frist zur Erhebung der Verletzungsklage gesetzt werden. Bei Nichteinhaltung der Frist müsse der Kläger den bei seinem Prozessvertreter hinterlegten Bericht und alle Kopien hiervon zurückgeben427. Klar ist diesbezüglich zunächst, dass der Kläger nicht verpflichtet werden kann, tatsächlich eine Verletzungsklage zu erheben. Das Besichtigungsverfahren beinhaltet gerade auch die Möglichkeit, dass sich die gewünschte Gewissheit nicht einstellt oder dass sich sein Verdacht zwar erhärtet, der Kläger aber das zu Tage geförderte Material – z. B. im Äquivalenzbereich – für eine erfolgreiche Verletzungsklage für nicht ausreichend erachtet. Da der Kläger den Bericht nach seiner Freigabe zum ersten Mal prüfen kann428, trifft er hinsichtlich einer Klageerhebung eine eigenständige Entscheidung. Im Übrigen darf das Besichtigungsmaterial tatsächlich nur zu dem oben genannten Zweck eingesetzt werden. Die Pflicht zur Abwägung der entgegenstehenden Interessen und der Gedanke des § 926 Abs. 1 und 2 ZPO bieten deshalb auch die Möglichkeit einer Fristsetzung mit Rückgabeanordnung. Dies kann sinnvoll sein; anders als im Rahmen des § 926 Abs. 1 und 2 ZPO429 ist das Gericht jedoch nicht verpflichtet, auf Antrag entsprechende Anordnungen zu treffen. Denn zum einen bedarf es nach § 242 BGB gerade einer einzelfallabhängigen Interessenabwägung zum anderen wird die Fristsetzung in § 809 BGB auch nicht explizit angeordnet. Schließlich kann auch die Rückgabe des Berichts und der Kopien nur schwer darüber hinwegtäuschen, dass eine einmal freigegebene Information nur unter Schwierigkeiten rückholbar ist, zumindest wenn die antragstellende Naturalpartei auch während der Vorbereitung der Verletzungsklage nicht konsequent von sensiblen Informationen fern gehalten wird. 3. Die Verletzungsklage Soweit der freigegebene Bericht dem Anspruchsteller Gewissheit über das Vorliegen einer Rechtsverletzung verschafft, kann er die gewonnenen Kenntnisse nutzen, um eine individualisierte Verletzungsklage zu erheben und in diesem Verletzungsverfahren substantiiert vorzutragen. Neben den anderen üblichen Beweismitteln – wie Inaugenscheinnahme und Beauftragung eines gerichtlich bestellten Sachverständi426

BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. Vgl. Karger, Beweisermittlung, S. 117, „Rechtsgedanke der §§ 494a, 926 Abs. 2 ZPO“; Brandi-Dohrn, Rechtsverwirklichung, CR 1987, S. 835, 837; zustimmend in Bezug auf § 926 Abs. 2 ZPO auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 52; siehe zu § 926 ZPO auch Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 937 ff. 428 Siehe oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. IV. 2. b). 429 Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 926 Rdn. 6. 427

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gen – kann der hiesige Sachverständige als sachverständiger Zeuge gem. §§ 414, 373 ff. ZPO aussagen, während der Bericht als Privatgutachten in das Verletzungsverfahren eingeführt wird. VII. Alternative Vorschläge zur Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs: Kombination des selbstständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO mit dem Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB – sogenannte „Düsseldorfer Praxis“ 1. Die so genannte „Düsseldorfer Praxis“ In neuerer Zeit wurde eine abweichende Variante eines Besichtigungsverfahrens ins Gespräch gebracht, welche von den Patentverletzungskammern des LG Düsseldorf vorgeschlagen wurde und dort praktiziert wird, die daher so genannte „Düsseldorfer Praxis“430. Dieses Besichtigungsverfahren basiert auf der Kombination eines selbstständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ff. ZPO und einer einstweiligen Duldungsverfügung mit dem Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB als Verfügungsanspruch431. Der Ablauf dieses Verfahrens soll hier – verbunden mit einer kritischen Stellungnahme – kurz dargestellt werden: Auf Antrag des Schutzrechtsinhabers ordnet das Gericht ein selbstständiges Beweisverfahren, gerichtet auf die Inaugenscheinnahme bzw. schriftliche Begutachtung der beweiserheblichen Sache durch einen Sachverständigen an (§§ 485 Abs. 1, 2. oder 3. Fall bzw. 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), um das Vorhandensein identischer oder äquivalenter Merkmale zu untersuchen432. Anders als beim mehrstufigen Besichtigungsverfahren nach § 809 BGB wird der Sachverständige hierbei gerichtlich ausgewählt und bestellt. Vorteilhaft sei diese Vorgehen deshalb, weil das erstellte Gutachten kein Privatgutachten, sondern ein unabhängiges, vollwertiges Gerichtsgutachten darstelle, welches eine verlässliche Entscheidungsgrundlage im Verletzungsstreit bilde (vgl. §§ 492 Abs. 1, 493 Abs. 1, 410, 411, 412 ZPO)433. Dieser Sachverständige wird ebenfalls zur Geheimhaltung

430 Begriff bei Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738; vgl. zu diesem Verfahren nun auch ausführlich Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 113 ff., der das Verfahren ohne Problematisierung nach bisher geltendem Recht für zulässig hält und seiner Darstellung zu Grunde legt. 431 Siehe dazu Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185 ff.; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 73 ff.; König, Rezension, Mitt. 2005, S. 188, 188; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117b. 432 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187 f.; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 73. 433 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 188, 189, 191; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 73; vgl. nun auch Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 119; sowie Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117b.

144 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

verpflichtet434. Die Begutachtung der Sache erfolgt ohne vorherige Anhörung oder sonstige Warnung des Antragsgegners435. Dem entscheidenden Schwachpunkt des selbstständigen Beweisverfahrens, nämlich dass die Inaugenscheinnahme und die Begutachtung hierbei nicht erzwungen werden kann436, begegnet das LG Düsseldorf offenbar dadurch, dass ergänzend eine einstweilige Verfügung erlassen wird, in welcher dem Antragsgegner die Duldung des Zutritts zur und der Untersuchung der Sache aufgegeben wird. Grundlage dieser Verfügung ist dabei als materieller Anspruch nun doch wieder § 809 BGB437; dieses Düsseldorfer Verfahren funktioniert daher nur als eine abgewandelte Form der Besichtigung nach § 809 BGB. Entgegen den §§ 485 ff. ZPO ermöglicht die Kombination mit einer einstweiligen Verfügung nun die zwangsweise Vollziehung der Anordnung der Duldung und Mitwirkung beim Zugang zur Sache und deren Besichtigung nach §§ 890, 883, 892, 758 Abs. 3 ZPO einschließlich der Anwendung von Gewalt438. Anders als im herkömmlichen mehrstufigen Verfahren wird der gerichtliche Sachverständige bei seiner Untersuchung von den Prozessvertretern des Schutzrechtsinhabers begleitet439. Der nötige Geheimnisschutz soll gewährleistet werden, indem die Prozessvertreter in Bezug auf die Wahrnehmungen bei der Durchführung der Besichtigung gegenüber ihrem eigenen Mandanten zur Verschwiegenheit verpflichtet werden440. Dem Einwand, dies stelle einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff sowohl in Art. 103 Abs. 1 GG als auch in das Anwalt-Mandanten-Verhältnis dar, stellen sich die Autoren mit dem Argument, der Antragsteller würde freiwillig diesem Eingriff zustimmen. Denn würde er die Verschwiegenheitspflicht nicht billigen, müsse das Ge-

434 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 191; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 73; vgl. nun auch Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 120 f. 435 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 190; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 73; h.M., jedoch im Hinblick auf §§ 491, 493 Abs. 2 ZPO strittig, siehe unten 1. Teil, 2. Abschnitt, A. III. 2. b) und 3. c). 436 Siehe unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, A. III. 3. b); so auch Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117b. 437 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 190; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 74, Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006; § 139 Rdn. 117b. 438 Ähnlich nun auch Eck/Dombrowski, Rechtsschutz, GRUR 2008, S. 387, 390, die zu Recht bemerken, dass nur das „Zusammenspiel“ der beiden Institute den Beschluss zu einem „scharfen Schwert“ werden lässt. 439 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 191; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 74; teilweise a.A. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006; § 139 Rdn. 117b, wonach es bei einem „gravierenden Eingriff in die berechtigten Geheimhaltungsinteressen und geringer Wahrscheinlichkeit“ abzulehnen sein kann“, dass die Prozessvertreter der Besichtigung beiwohnen. 440 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 191; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 74; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006; § 139 Rdn. 117b.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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richt die Besichtigung unter noch weitergehende Restriktionen stellen oder den Antragsgegner zuvor anhören441. Wenn das Gutachten erstellt ist, wird es dem Antragsgegner und den wiederum zur Verschwiegenheit verpflichteten Vertretern des Antragstellers zur Stellungnahme übersandt. Anschließend findet unter Ausschluss der antragstellenden Naturalpartei, vertreten durch die zur Verschwiegenheit verpflichteten Prozessvertreter, eine gerichtliche Anhörung beider Parteien statt, um zu klären, ob das Gutachten – gegebenenfalls unter Schwärzung von Passagen – dem Schutzrechtsinhaber offen gelegt werden und die Verschwiegenheitspflicht aufgehoben werden kann442. Das Beweisverfahren endet mit der Verhandlung der Frage, ob sich aus dem Gutachten eine Schutzrechtsverletzung ergibt. Hieran darf der Schutzrechtsinhaber persönlich aus Gründen des Geheimnisschutzes in der Regel ebenfalls nicht teilnehmen443. Schließlich wird das Gutachten an den Antragsteller weitergeleitet444. 2. Stellungnahme und Ergebnis Das vorgeschlagene und praktizierte Verfahren zeichnet sich durch Schnelligkeit und Effizienz aus. An die zügige Begutachtung der Sache schließt sich nahtlos die Erörterung des Berichtsinhalts und der Verletzungsfrage an. Ein Hauptsacheverfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 809 BGB und die Freigabe des Berichts entfällt. Mit Blick auf die Geschwindigkeit, mit der man zu verwertbaren Ergebnissen gelangt, ist es dem langwierigen und zähen mehrstufigen Besichtigungsverfahren deutlich überlegen. Im Gegensatz zum mehrstufigen Besichtigungsverfahren kann in der Folge eine Entscheidung über die Verletzungsfrage getroffen werden, solange diese noch marktrelevant ist. Insofern ist es deutlich praxistauglicher. Auch die bereits am Anfang erfolgende Anbindung des Sachverständigen an das Gericht und die daraus folgende vollgültige Verwertbarkeit des Berichts als Beweismittel ist von Vorteil. Mit seiner Konzentration auf eine effektive Begutachtung hätte das Verfahren daher durchaus als Vorbild für eine Reform des deutschen Rechts dienen können445. Sehr kritisch muss allerdings angemerkt werden, dass es sich hierbei um eine Neuschöpfung handelt, die einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage entbehrt und mit dem bisher geltenden Recht nicht in Einklang stand:

441

So Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 191. So Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 192; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 75; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006; § 139 Rdn. 117b. 443 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192 f. 444 Siehe Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 134. 445 Im Ergebnis ebenso Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838; König, Rezension Kühnen/Geschke, Mitt. 2005 S. 188, 188. 442

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Die Schnelligkeit und Effizienz wird bei dem Düsseldorfer Verfahren nur erreicht durch die Kombination zweier unterschiedlicher Rechtsinstitute, die systematisch in keinem Zusammenhang stehen und unterschiedliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen aufweisen. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers sind nach bisher geltendem Recht prozessuale Institute des Beweisrechts, insbesondere die ausnahmsweise vorprozessuale Beweiserhebung im selbstständigen Beweisverfahren, gerade nicht unmittelbar erzwingbar446. Dieser Nachteil, oder besser: diese Nachgiebigkeit, hat es auf der anderen Seite jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers ermöglicht, das selbstständige Beweisverfahren so zu regeln, dass relativ zügig verwertbare Ergebnisse hervorgebracht werden, ohne dass langwierige Verhandlungen über das Vorliegen seiner Voraussetzungen stattfinden müssten. Dagegen ist der materielle Besichtigungsanspruch, beispielsweise im Wege der einstweiligen Verfügung, zwangsweise durchsetzbar. Diese Schärfe wird jedoch nach bisher geltenden Recht dadurch ausgeglichen, dass im Wege der einstweiligen Verfügung nur eine vorläufige Entscheidung erfolgt, der Antragsgegner im eigentlichen Hauptsacheverfahren die Gelegenheit erhält, das Vorliegen der Voraussetzungen des Besichtigungsanspruchs ausführlich zu verhandeln und es möglichst zu widerlegen. Zudem bestehen gegebenenfalls Schadensersatzansprüche. Bei der Kombination der Institute werden mit Blick auf die – tatsächlich sehr erstrebenswerte – Schnelligkeit des Verfahrens die für die Informationsbeschaffung vorteilhaften Merkmale isoliert herausgegriffen und kombiniert und entgegen dem bisherigen Willen des Gesetzgebers die als Ausgleich vorgesehenen Sicherungsmittel weggelassen. In Bezug auf die §§ 485 ff. ZPO wird die fehlende Erzwingbarkeit umgangen. In Bezug auf die einstweilige Verfügung auf Grundlage des § 809 BGB wird die Einstweiligkeit der Entscheidung, das Erfordernis eines Hauptsacheverfahrens und das für § 809 BGB zumindest nach herrschender Auffassung noch geltende Verbot der Befriedigungsverfügung unterlaufen. Wenn von Verfechtern der „Düsseldorfer Praxis“ argumentiert würde, ein Hauptsacheverfahren sei nicht erforderlich und eine Befriedigungsverfügung liege nicht vor, da es sich um ein selbstständiges Beweisverfahren handele, müsste dies zurückgewiesen werden, da das vorgeschlagene Verfahren wegen der Notwendigkeit einer zwangsweisen Durchsetzung nur als eine Form der einstweiligen Verfügung seinen Zweck erfüllen kann. Diese neue Kombination – also ein „erzwingbares selbstständiges Beweisverfahren“ – findet daher im Gesetz keine Grundlage und verstößt gegen den Willen des Gesetzgebers, auch wenn die bisherige Rechtslage noch so reformbedürftig ist. Die Gerichte können Gesetze auslegen und rechtsfortbildend tätig werden; Neuschöpfungen gegen den Willen des Gesetzgebers sind jedoch nicht zulässig. Auch das von den Gerichten angewandte Rechtsschutzkonzept gegen Besichtigungsverfügungen nach Vorbild der „Düsseldorfer Praxis“ begegnet verfassungsmäßigen Bedenken447. 446

Siehe unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, A. III. 3. b). Vgl. hierzu die sehr kritischen Anmerkungen von Eck/Dombrowski, Rechtsschutz, GRUR 2008, S. 387, 388 ff., die darlegen, dass wegen der künstlichen Aufteilung der Besichtigungsverfügung in Abschnitte, die auf § 485 ff. ZPO und die auf § 809 BGB beruhen, ein 447

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Wie bereits dargestellt, findet auch das in der Verhandlung angewandte „in-camera“-Verfahren im bisher geltenden Gesetzesrecht keine ausreichende Stütze448. Nach der Düsseldorfer Praxis wird darüber hinausgehend dem Prozessvertreter die Anwesenheit bei der Besichtigung gestattet und ihm diesbezüglich ebenfalls die Geheimhaltung gegenüber seiner Mandantschaft auferlegt. Selbst wenn man allerdings in § 174 Abs. 3 GVG eine gesetzliche Stütze für ein „in-camera“-Verfahren in der Verhandlung sehen will, kann § 174 Abs. 3 GVG definitiv keine Rechtfertigung sein für eine Geheimhaltungspflicht in Bezug auf die Besichtigungsmaßnahmen außerhalb der mündlichen Verhandlung. Reine Abwägungsüberlegungen können zwar zutreffend sein, mit Blick auf den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes ist für diesen neuerlichen Eingriff jedoch eine gesetzliche Grundlage nötig. Diese fehlt erneut. Auch die Abgabe einer bedingt freiwilligen Verzichtserklärung durch die Naturalpartei kann daran nichts ändern449. Da dieses Verfahren auch in das Standesrecht der Rechtsanwälte eingreift, ist spätestens wegen Art. 14 GG eine gesetzliche Regelung nötig. Abgesehen davon ist das Betreten der Räumlichkeiten des Besichtigungsschuldners durch den gegnerischen Anwalt für Ersteren eine kaum zumutbare und nicht erforderliche Belastung. Das Düsseldorfer Verfahren bietet somit einige Vorteile hinsichtlich Effizienz und Praxistauglichkeit einer Besichtigung der mutmaßlich rechtsverletzenden Sache und kann daher teilweise als Anregung für gesetzgeberische Maßnahmen dienen. Zum Zeitpunkt vor Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie entspricht es jedoch nicht dem geltenden Recht450. Eine Durchsetzung im Wege der „Düsseldorfer Praxis“ kann daher einer Bewertung des bisher geltenden Rechts nicht zu Grunde gelegt werden. Verfechter der „Düsseldorfer Praxis“ gehen jedoch soweit, nicht nur die Übereinstimmung der „Düsseldorfer Praxis“ mit dem bisherigen deutschen Recht zu vertreten, sondern auf Grund dieser behaupteten Übereinstimmung und einer restriktiven Auslegung der Durchsetzungs-Richtlinie auch eine Richtlinienkonformität des bisher geltenden Rechts anzunehmen und somit einen Umsetzungsbedarf der Durchsetzungs-Richtlinie zu verneinen451. Dies ist unzutreffend, wie noch zu zeigen sein wird.

effektiver Rechtsbehelf gegen die Besichtigungsverfügung nach Vorbild der „Düsseldorfer Praxis“ nicht bestehe (S. 388), was in der vorliegenden Konstellation verfassungswidrig sei (S. 389). Es müsse zugelassen werden, alle Regelungsinhalte der Besichtigungsverfügung nach Vorbild der „Düsseldorfer Praxis“ generell mit dem Widerspruch gem. § 924 ZPO anzugreifen. 448 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3). 449 A.A. Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 126. 450 Im Ergebnis ebenso Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838; wenn die Forderung von Tilmann, dass „der Gesetzgeber“ daran „anknüpfen“ sollte, so zu verstehen ist, sind auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738; und König, Rezension Kühnen/Geschke, Mitt. 2005, S. 188, 188 dieser eher skeptischen Ansicht. 451 Vgl. Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 227 f.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung Die Frage, ob der materielle Besichtigungsanspruch nach bisher geltendem Recht ein effektives Instrument zur Überwindung des strukturellen Informationsdefizits des vermutlich in seinen Rechten verletzten Schutzrechtsinhabers darstellt und ihm wirksame Hilfe bei der Individualisierung, Substantiierung und dem Beweis der Schutzrechtsverletzung bietet, wird zunächst bestimmt durch die Anforderungen an den Tatsachenvortrag, welcher erforderlich ist, damit dem Antrag auf Einleitung eines Besichtigungsverfahrens stattgegeben wird. Im Patentrecht verhindert nach wie vor das Erfordernis der Darlegung eines „erheblichen Grades“ an Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung den Zugang zur Besichtigung nach § 809 BGB, gerade wenn sie in typischen Fällen einer aufgrund gewisser äußerer Anzeichen bloß vermuteten Rechtsverletzung hilfreich wäre. Könnte der Schutzrechtsinhaber bereits die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung darlegen und beweisen, hätte er eine weitere vorprozessuale Gewissheitsverschaffung kaum nötig. Der Besichtigungsanspruch dürfte im Patentrecht daher oft nutzlos sein. Interessant ist dabei, dass zur Begründung dieser Rechtsansicht wieder auf das Dogma vom Ausforschungsverbot und den „nemo tenetur“-Grundsatz zurückgegriffen wurde. Im Urheberrecht hat die Absenkung der Anforderungen an den Vortrag des Schutzrechtsinhabers eine deutliche Annäherung an dessen praktische Bedürfnisse gebracht. Hier ist regelmäßig nur noch eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ einer Verletzung nötig, verbunden mit einer Interessenabwägung, die die Kriterien der Angewiesenheit auf die Besichtigung und die Möglichkeiten eines Schutzes entgegenstehender Interessen durch Verfahrensgestaltung in die Formulierung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag mit einbezieht. Der Besichtigungsanspruch bezieht sich weiterhin nur auf eine Sache, von deren Beschaffenheit der Verletzungshauptanspruch in irgendeiner Weise abhängt. Das ist im Wesentlichen die rechtsverletzende Sache. Die Vorlage oder Besichtigung von bloßen Beweisstücken, die auf die Rechtsverletzung hindeuten oder sie beweisen, kann nicht verlangt werden. Eine allgemeine Informations- oder Beweismittelbeschaffung ermöglicht § 809 BGB somit nicht. Die konkrete zu besichtigende Sache ist zudem vorher genau zu bezeichnen. Der Schutzrechtsinhaber muss die Existenz, den Standort und die Beschaffenheit der Sache bereits vorher ziemlich genau kennen. Durchsuchungsmaßnahmen mit dem Zweck zu ermitteln, ob die gegnerische Partei im Besitz rechtsverletzender Sachen ist oder ob Sachen vorhanden sind, die bestimmte Merkmale erfüllen, sind nicht zulässig452. § 809 zielt damit lediglich auf die Gewissheitsverschaffung über die Rechtsverletzung durch eine bestimmte, dem Schutzrechtsinhaber im Prinzip bekannte 452 Vgl. BGH, GRUR 2004, S. 420, 420 (Leitsatz), 421 – „Kontrollbesuch“; vgl. auch die ablehnende Würdigung dieser Entscheidung durch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 f.

1. Abschn., A. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Sache. Eine Ermittlung von unbekannten Beweisstücken für die Rechtsverletzung erfolgt nach § 809 BGB nicht. Nur in einem vorher festgelegten Rahmen erhält der Schutzrechtsinhaber wirklich neue Informationen über die vermutete Rechtsverletzung. Daher lässt sich festhalten, dass auch der materielle Anspruch nach § 809 BGB stark vom Ausforschungsverbot und dem Erfordernis, vorher zu substantiieren, was bewiesen werden soll, geprägt wird. Bei § 809 BGB gibt es praktisch keine ausforschenden Elemente, auch da nicht wo sie nützlich wären und durch die Einführung eines Geheimverfahrens den Anspruchgegners nicht unzumutbar beeinträchtigen würden. Eine allgemeine Anspruchsermittlung findet – allerdings zu Recht – nicht statt. Nach bereits eingeführter Definition453 handelt es sich zunächst lediglich um eine Beweissicherung bzw. -beschaffung im Hinblick auf eine konkrete Sache, von deren Beschaffenheit der Hauptanspruch in irgendeiner Weise abhängt. Nur in Bezug auf diese Sache können in einem engen Rahmen neue Informationen, wie z. B. die konkrete Ausführungsform, ermittelt werden. Eine weitergehende, auch andere Beweisstücke und somit neue Informationen einschließende Beweisermittlung erfolgt nicht. Im Patentrecht hat außerdem weiterhin die Rechtsprechung zum Verbot des Substanzeingriffs Gültigkeit454. Weitergehende Eingriffe, die eine tatsächliche Beurteilung der Schutzrechtsverletzung erlauben, sind nach Durchführung einer Interessenabwägung, die die Fragen der Zumutbarkeit für den Besichtigungsschuldner einbezieht und das Integritätsinteresse durch Stellung einer Sicherheit berücksichtigt, nur im Urheberrecht zulässig. Zudem verbietet die „Druckbalken“-Entscheidung für das Patentrecht die Beschreibung von Äquivalenzen durch den Sachverständigen. Problematisch an dem Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB ist jedoch vor allem das sehr langwierige und praxisuntaugliche „mehrstufige“ Verfahren zur Durchsetzung des Anspruchs. Dieses sehr zähe Verfahren ergibt sich zum einen aus feststehenden Grundsätzen des bisher geltenden Rechts, wie beispielsweise dem Verbot der Befriedigungsverfügung, zum anderen aus fehlenden Möglichkeiten des bisher geltenden Rechts, die berechtigten Interessen des Besichtigungsgegners auf andere Weise zu wahren. Die gesetzliche Einführung eines neuen Verfahrens unter Einbeziehung eines „in-camera“-Verfahrens könnte Verfahrensschritte einsparen und vor allem durch die Möglichkeiten der Geheimhaltung gegenüber der antragstellenden Naturalpartei und die Aussonderung sensibler Informationen eine noch weitergehende Informationsermittlung angemessen erscheinen lassen. Das vorgeschlagene „Düsseldorfer Verfahren“ entbehrt zur Zeit noch der gesetzlichen Grundlage.

453

Vgl. oben unter Einleitung D. Übertragbarkeit der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ auf das Patentrecht ausdrücklich offengelassen durch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 1. 2003, GRUR-RR 2003, S. 327, 327 – „Raumkühlgerät“. 454

150 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Insgesamt verwundert es daher nicht, dass die bisherige Anwendungspraxis des § 809 BGB zu der häufig geäußerten Ansicht von Rechtsanwälten aus der Praxis führt, die Besichtigung nach § 809 BGB sei in der Praxis ohne Wert, wenn entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen mit der Folge der Anwendung des mehrstufigen Durchsetzungsverfahrens geltend gemacht werden bzw. wenn das Gericht nicht „glücklicherweise“ eine Befriedigungsverfügung für zulässig hält455. Nach alldem ist festzuhalten, dass die Entscheidung „Faxkarte“ zwar vieles zum Positiven verändert hat. Dennoch stellt sich der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB nur sehr bedingt und mit vielen Abstrichen als ein zur effektiven Überwindung des Informationsdefizits geeignetes Instrument dar.

2. Abschnitt

Prozessuale Instrumente A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO als vorprozessuales Instrument der Beweissicherung I. Einführung Es gilt nun zu untersuchen, ob es außerhalb des eigentlichen Verletzungsprozesses – also vorprozessual – neben dem materiellen Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB weitere Möglichkeiten für den Schutzrechtsinhaber gibt, um bei einem mehr oder weniger erhärteten Verdacht einer Schutzrechtsverletzung zur eigenen Information und gegebenenfalls zur Substantiierung einer Verletzungsklage die nötigen Tatsachen und Beweise zu ermitteln und den Gegner hierbei zur Mitwirkung zu verpflichten. In Betracht kommt hierzu das bereits angesprochene selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO als prozessrechtliches Instrument der Beweissicherung. Beim selbstständigen Beweisverfahren handelt es sich im Ergebnis schlicht um eine vorweggenommene gerichtliche Beweisaufnahme vor oder außerhalb eines möglichen Rechtsstreits456. Durch die vorsorgliche gerichtliche Feststellung streitiger 455 Diese Auffassung der Praxis wird bestätigt durch die Erhebung von Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 185 f., wonach auch nach der Entscheidung „Faxkarte“ das Besichtigungsverfahren gemessen an den anhängig gemachten Verfahren kaum genutzt wird, trotz eines unbestreitbar vorliegenden, enormen strukturellen Informationsdefizits des Schutzrechtsinhabers. 456 BGH, BauR 2004, S. 531, 531; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 7; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 1; MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 1.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Tatsachen sollen zum einen Beweise für einen späteren Rechtsstreit gesichert werden (§ 485 Abs. 1 ZPO), zum anderen sollen streitige tatsächliche Fragen durch eine frühzeitige sachverständige Begutachtung geklärt werden, um so die gütliche Einigung der Parteien zu fördern (§ 485 Abs. 2 ZPO)457. Das selbstständige Beweisverfahren dient somit neben der Beweissicherung auch der Prozessvermeidung und der Entlastung der Gerichte458. Es ist Teil der streitigen Gerichtsbarkeit: Das Verfahren folgt im Wesentlichen den allgemeinen Regeln der ZPO. Bei der eigentlichen Beweisaufnahme finden ausschließlich die Beweismittel der ZPO und die hierfür geltenden Vorschriften Anwendung (§ 492 Abs. 1 ZPO)459. Charakteristisch für das selbständige Beweisverfahren ist außerdem die Begrenzung der zulässigen Beweismittel: Der Urkundenbeweis und die Parteivernehmung sind hier nicht vorgesehen. Das erzielte Beweisergebnis ist im späteren Hauptprozess wie ein vor dem Prozessgericht erhobener Beweis zu behandeln (§ 493 Abs. 1 ZPO)460. II. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen Es sind verschiedene Erscheinungsformen des selbstständigen Beweisverfahrens zu unterscheiden. § 485 Abs. 1 ZPO regelt das einvernehmliche Beweisverfahren461 (§ 485 Abs. 1, 1. Fall ZPO) sowie das sichernde Beweisverfahren (§ 485 Abs. 1, 2. Fall ZPO). Anderen Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterliegt das streitvermeidende Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO. 1. Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO Die Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO sind nur außerhalb oder während eines Streitverfahrens zulässig, d. h. vor dessen Einleitung oder solange die Beweiserhebung in einem anhängigen Verfahren noch nicht angeordnet ist462. In der ersten Variante des Beweisverfahrens bedarf es gem. § 485 Abs. 1, 1. Fall ZPO allein der Zustimmung des Gegners zur Einleitung des Verfahrens. Obwohl bei dieser einvernehmlichen Beweiserhebung der Sachverhalt umfassend und ohne Be457

Cuypers, Das selbständige Beweisverfahren, NJW 1994, S. 1985, 1985. Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 27; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 1; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 1; MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, vor § 485 Rdn. 1 u. § 485 Rdn. 1. 459 Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 9; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 6; MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 19, § 492 Rdn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 492 Rdn. 1; Zöller/Herget, ZPO, § 492 Rdn. 1. 460 MüKo-ZPO/Schreiber, § 493 Rdn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 493 Rdn. 1; Zöller/ Herget, ZPO, § 493 Rdn. 1. 461 Begriff bei Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 28. 462 Zöller/Herget, ZPO, § 485 Rdn. 1; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 17. Das Streitverfahren ist dabei das Hauptsacheverfahren, dem der streitige Sachverhalt zu Grunde liegt. 458

152 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

grenzung im Umfang erforscht werden darf und so eine gütliche Einigung erreicht werden könnte, wird diese Variante in der Prozesspraxis eher selten angewendet463. Alternativ hierzu ist das selbständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1, 2. Fall auch zulässig, wenn zu befürchten ist, dass Beweismittel verloren gehen oder deren Benutzbarkeit erschwert wird. Der drohende Beweismittelverlust kann sich sowohl aus personengebundenen als auch aus sachbezogenen Gründen ergeben. Zu den letztgenannten Gründen zählt vor allem die bevorstehende Veränderung des Zustandes der zu besichtigenden oder zu begutachtenden Sache464, welche auch im Hinblick auf diese Untersuchung von besonderem Interesse ist465. Der Zweck des Schutzes vor Beweismittelverlust begrenzt den Umfang der Beweiserhebung nach § 485 Abs. 1, 2. Fall ZPO; das heißt, es kann nur über Tatsachen Beweis erhoben werden, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder nur unter verschlechterten Bedingungen erforscht werden können. Untersuchungen, die noch zu einem späteren Zeitpunkt mühelos durchgeführt werden können, haben zu unterbleiben466. 2. Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO Ein streitvermeidendes Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO kann nur beantragt werden, wenn der Rechtsstreit, auf dessen Verfahrensgegenstand sich die Beweiserhebung beziehen soll, noch nicht anhängig ist467. Ziel dieses Verfahrens ist es, durch die schriftliche Begutachtung der streitigen Frage durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen – als einziges im Rahmen des § 485 Abs. 2 ZPO zugelassenes Beweismittel – die tatsächlichen Grundlagen des Streits zu klären und so auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, um einen Hauptsacheprozess zu vermeiden. Ein rechtliches Interesse des Antragstellers an der Feststellung einer Tatsache nach § 485 Abs. 2 Nr. 1 – 3 ZPO ist Voraussetzung für die Durchführung eines Verfahrens i.S. § 485 Abs. 2 ZPO. Zu den Umständen, an deren Kenntnis ein rechtliches Interesse bestehen muss, gehören der Zustand einer Person oder Sache (Nr. 1), die Ursache eines Schadens (Nr. 2) und der für die Beseitigung des Schadens erforderliche Auf463 Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 22; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 28. 464 Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 31 – 37; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 28; MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 7 – 11; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 485 Rdn. 9; Zöller/Herget, ZPO, § 485 Rdn. 5. 465 Zwar ist für die Beurteilung der Voraussetzungen die Sachlage zum Zeitpunkt der Anordnung des Beweisverfahrens maßgeblich, jedoch ist nicht erforderlich, dass die zu untersuchenden Tatsachen bereits zu diesem Zeitpunkt beweiserheblich erscheinen. Auch die Erfolgsaussichten einer möglichen Klage sind hier nicht relevant. Vgl. Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 8; MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 7; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 28; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 31. 466 Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 30. 467 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 485 Rdn. 13; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 38.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wand (Nr. 3). Für den Nachweis einer vermuteten Schutzrechtsverletzung ist dabei insbesondere § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO – das rechtliche Interesse am Zustand einer Sache – relevant. Dieses rechtliche Interesse nach § 485 Abs. 2 besteht jedenfalls nach Satz 2 bereits – aber nicht ausschließlich – dann, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Der Begriff des rechtlichen Interesses gem. § 485 Abs. 2 ZPO ist daher nach überwiegender Ansicht weit zu fassen468. III. Verfahren und Durchführung der Beweisaufnahme 1. Der Antrag und seine Bestimmtheit a) Allgemeines Der Antrag wird bei dem nach § 486 ZPO zuständigen Gericht gestellt469. Inhaltlich muss der Antrag gem. § 487 Nr. 1 – 4 ZPO vier Mindesterfordernissen genügen. Dabei ist die Bezeichnung des Gegners (Nr. 1) und die Bezeichnung des beantragten Beweismittels (Nr. 3) in Bezug auf die Informationsbeschaffung bei vermuteter Schutzrechtsverletzung unproblematisch, insbesondere da eine Bezeichnung des Gegners entbehrlich ist, wenn der Schutzrechtsinhaber glaubhaft macht, dass er schuldlos nicht in der Lage ist, den Gegner, also die Person des möglichen Verletzers, zu bezeichnen (§ 494 Abs. 1 ZPO), und da die Person des Sachverständigen bei Beantragung eines Sachverständigenbeweises vom Gericht zu bestimmen ist (§§ 492 Abs. 1, 404 ZPO)470. In seinem Antrag hat der Antragsteller weiterhin nach § 487 Nr. 4 ZPO diejenigen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, aus denen sich die Zulässigkeit des Verfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts ergeben. Dabei ist insbesondere auf die behauptete Gefahr des Beweismittelverlustes bzw. der Beweiserschwernis oder das 468 OLG Bamberg, NJW-RR 1995, S. 893, 894; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 41; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 485 Rdn. 21 ff.; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 30; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 34; a.A.: MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 13. Es genügt die theoretische Möglichkeit, dass es über die festzustellenden Umstände zu einem Rechtsstreit kommen kann oder ein solcher durch die Beweisaufnahme vermieden werden kann. Antragsberechtigt ist folglich jeder, der auf die zu begutachtenden Umstände einen Anspruch stützen will oder der sich gegen einen möglichen, daraus abgeleiteten Anspruch verteidigen will. Das rechtliche Interesse fehlt nur dann, wenn keine rechtliche Beziehung zum Antragsgegner erkennbar ist und sich aus den festzustellenden Umständen eindeutig keine Ansprüche ableiten lassen. Vgl. hierzu Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 485 Rdn. 21, 26; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 34; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 41. Die Erfolgsaussichten eines Vorgehens sind jedoch wiederum nicht zu prüfen. Vgl. hierzu OLG Köln, NJW-RR 1996, S. 573, 574; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 485 Rdn. 22; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 30; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 44. 469 Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 78, 78 f.; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 67 – 70, 119 – 131. 470 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 487 Rdn. 2, 5; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 59.

154 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

rechtliche Interesse an den nach § 485 Abs. 2 ZPO zu treffenden Feststellungen einzugehen. Dies dürfte im Bereich des geistigen Eigentums zumindest in Bezug auf einen mutmaßlich böswilligen Verletzer wenig Schwierigkeiten bereiten. b) § 487 Nr. 2 ZPO und das Ausforschungsverbot Relevant für die Überwindung des Informationsdefizits und die Frage nach der Mitwirkungspflicht der nicht-risikobelasteten Partei ist wiederum, welche Anforderungen an den Tatsachenvortrag des Schutzrechtsinhabers gestellt werden, damit eine Mitwirkungspflicht des Gegners ausgelöst wird. Die Anforderungen an den anfänglich zu leistenden Tatsachenvortrag begrenzen hierbei den Zugang zu den Informationsbeschaffungsinstrumenten. Für den informationssuchenden Schutzrechtsinhaber von besonderer Bedeutung und durchaus problematisch ist hier daher das Mindesterfordernis der Nr. 2 des § 487 ZPO, dem der Antrag genügen muss. Danach hat der Antragsteller die „zu beweisenden Tatsachen zu bezeichnen“. Im Prinzip muss der Schutzrechtsinhaber deshalb bei der Stellung des Antrags bereits eine recht genaue Vorstellung von der Art der zu beweisenden Schutzrechtsverletzung haben. Denn die Anforderungen an die Bestimmtheit der Tatsachenbezeichnung im hiesigen Antrag müssen im Wesentlichen denjenigen Anforderungen genügen, die auch für den Beweisantrag im Hauptsacheprozess gelten (§§ 359 Nr. 1, 371, 373, 377 Abs. 2 Nr. 2, 403 ZPO). Dies ergibt sich aus der Funktion des selbständigen Beweisverfahrens als vorgezogene Beweisaufnahme471. Einigkeit besteht daher jedenfalls darüber, dass ein Ausforschungsbeweisantrag unzulässig ist472. (1) Meinungsstand Die von der herrschenden Auffassung unerwünschte Ermöglichung einer Ausforschung wird aber gerade bei den §§ 485 ff. ZPO im Vergleich zum normalen Beweisverfahren als gravierendes und zu verhinderndes Problem wahrgenommen473. Was aber im Falle des selbstständigen Beweisverfahrens unter einer unzulässigen „Ausforschung“ bzw. einer ausreichenden Substantiierung zu verstehen ist, ist durchaus umstritten.

471

Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 94; Zöller/Herget, ZPO, § 487 Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 487 Rdn. 5. 472 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 357 f.; Dörschner, Beweissicherung im Ausland, S. 28; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 31; Werner/Pastor/Pastor, Bauprozess, Rdn. 56; MüKo-ZPO/Schreiber, § 487 Rdn. 2; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 94; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 485 Rdn. 18; Zöller/Herget, ZPO, § 487 Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 487 Rdn. 5; a.A. nur Sturmberg, Beweissicherung, Rdn. 75, wonach die Rspr. im Einzelfall „unter Umständen“ sogar einen Ausforschungsbeweis zugelassen habe. 473 Siehe nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 485 Rdn. 2.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Diskutiert wird, ob sich aus dem Zweck des Beweissicherungsverfahrens Abweichungen im Hinblick auf das erforderliche Ausmaß der Substantiierung bei der Bezeichnung des Beweisgegenstandes folgern lassen474. Vermehrt wird hierbei vertreten, dass zum Teil niedrigere Anforderungen an die Darlegungspflicht als im Hauptsacheprozess zu stellen sind, da keine streitige, vollstreckbare Entscheidung ergehe und der Zweck des Verfahrens gerade die Vermeidung eines Hauptsacheprozesses sei. Die Wortwahl in § 485 Abs. 2 ZPO, nämlich, dass ein Sachzustand vom Sachverständigen „festgestellt“ werde, könne darauf hinweisen, dass auch eine erstmalige präzise Ermittlung bestimmter Tatsachen möglich sein könne. Außerdem trage der Antragsteller alleine das Risiko des Verfahrens, sowohl hinsichtlich der Verwertbarkeit der Ergebnisse im Hauptsacheprozess als auch hinsichtlich der Kosten des Verfahrens475. Mit Blick auf den Zweck des Verfahrens wird daher teilweise gefolgert, es genüge eine Bezeichnung der Beweistatsachen in „groben Zügen“476. Dem wird von Anderen entgegengehalten, dass sich alleine mit dem Zweck der Prozessvermeidung keine geringeren Anforderungen an die Substantiierung rechtfertigen ließen477. Vielmehr sei zwischen verschiedenen Zwecken zu unterscheiden: Reguläre Anforderungen könnten bei einem sichernden Beweisverfahren, geringfügig niedrigere Anforderungen bei einem streitvermeidenden Beweisverfahren gestellt werden478. Im Übrigen sei es ein im Zivilprozessrecht völlig verfehlter Gedanke, von der Übernahme einer Kostenlast auf den Umfang der erforderlichen Substantiierung zu schließen479. Daher müsse man sich prinzipiell auf die Kriterien des Hauptsacheverfahrens stützen. Beweisermittlungen seien daher gerade unzulässig, wobei sicherlich einzelfallgerechte Abweichungen unter zurückhaltender Anwendung des Kriteriums der Zumutbarkeit weitergehender Substantiierung unter Umständen zulässig sein könnten480. Für die hier vorzunehmende Untersuchung ergeben sich kaum Unterschiede aus diesen Lehrmeinungen. Festzuhalten ist, dass man sich auch hier im Wesentlichen am Ausforschungsverbot orientiert. Zur Feinjustierung wird gegebenenfalls auch auf

474 Siehe dazu vor allem Kroppen/Heyers/Schmitz, Beweissicherung im Bauwesen, Rdn. 569 – 605. 475 KG, NJW-RR 1992, S. 575, 575 = MDR 1992, S. 410, 410; OLG Hamburg, MDR 1978, S. 845, 845; MüKo-ZPO/Schreiber, § 487 Rdn. 2; Kleine-Möller/Merl/Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 94; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 487 Rdn. 5. 476 OLG Hamburg, MDR 1978, S. 845, 845. 477 Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 26, 31. 478 Kroppen/Heyers/Schmitz, Beweissicherung im Bauwesen, Rdn. 573 f. 479 Kroppen/Heyers/Schmitz, Beweissicherung im Bauwesen, Rdn. 598. 480 Kroppen/Heyers/Schmitz, Beweissicherung im Bauwesen, Rdn. 605, 581 f.; KG, NJWRR 1999, S. 1369, 1369; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 487 Rdn. 2.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Kriterien der Möglichkeit und Zumutbarkeit abgestellt481. Keinesfalls erfolgt jedoch im selbstständigen Beweisverfahren eine eigentliche Beweisermittlung. Für den weiteren Gang der Arbeit ist jedoch auch festzuhalten, dass einige im Schrifttum gerade mit Blick auf die vorprozessuale Beweisbeschaffung und deren Zweck erkannt haben, dass zumindest ein zu starres Festhalten am Ausforschungsverbot kontraproduktiv ist und effektivem Rechtsschutz entgegensteht. (2) Übertragung auf den konkreten Fall Im konkreten Fall der lediglich vermuteten Schutzrechtsverletzung müsste der Antragsteller daher folgendermaßen vorgehen: Zunächst hat er alle Tatsachen anzuführen, die einer näheren Substantiierung des Beweisgegenstandes förderlich sein können. Hierbei kann es allerdings ausreichend sein, wenn die Beweistatsachen nur in groben Zügen bezeichnet werden, zumindest dann, wenn dem Antragsteller eine weitergehende Substantiierung im Einzelfall nicht möglich oder nicht zumutbar ist und dennoch keine bloße Beweisermittlung angestrebt wird482. Im privaten Baurecht, wo die §§ 485 ff. ZPO häufig angewendet werden, gilt insofern als gesichert, dass eine ausreichende Substantiierung im Sinne § 487 Nr. 2 ZPO erreicht ist, wenn der zu beweisender Mangel zumindest als vorhanden behauptet und nach seinem äußeren Erscheinungsbild möglichst präzise beschrieben wird; weiter ist zu behaupten, dass sich der mutmaßliche Mangel an einer bestimmten Stelle befindet. Keine unzulässige Informationsermittlung wäre es dann, den Sachverständigen unbestimmt zu fragen, wie es zu dem Mangel kam und inwiefern hier nicht lege artis gearbeitet wurde, d. h. ob auch rechtlich von einem Mangel gesprochen werden kann. Eine unzulässige Informationsermittlung wäre es hingegen, die Frage zu stellen, ob an einer bestimmten Stelle überhaupt eine äußerliche Abweichung von der Norm, d. h. ein mutmaßlicher Mangel, vorhanden sei483. Übertragen auf das Immaterialgüterrecht hieße dies, dass es zu unbestimmt wäre, den Sachverständigen zu fragen, ob sich anhand der Beschaffenheit der zu begutachtenden Sache eine Schutzrechtsverletzung feststellen lasse. Notwendig wäre es, das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung mit der Begründung zu behaupten, es bestünden Übereinstimmungen bei bestimmten Merkmalen oder Funktionen oder zumindest möglichst genaue Anknüpfungstatsachen für die behauptete Schutzrechtsverletzung zu nennen. 481 Siehe z. B. Kroppen/Heyers/Schmitz, Beweissicherung im Bauwesen, Rdn. 576, 605; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 487 Rdn. 5; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 54; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 95, m.w.N. 482 KG, MDR 1992, S. 410, 410 = NJW-RR 1992, S. 575; OLG Düsseldorf, MDR 1981, S. 324, 324; OLG Hamburg, MDR 1978, S. 845, 845; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 487 Rdn. 5; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 54, 56; KleineMöller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 95, 100. 483 Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 54, 56; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 95, 99.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Für den Schutzrechtsinhaber dürfte es indes sehr schwierig sein, diesen Anforderungen an den Tatsachenvortrag zu genügen, zumindest dann, wenn sich die mutmaßlich rechtsverletzende Sache – wie regelmäßig – in der Sphäre des Antragsgegners befindet484. Meist wird der Schutzrechtsinhaber nur einen aus externen Quellen geschöpften Verdacht haben. Seine mangelnden tatsächlichen Informationen werden daher häufig zu einem Beweisantrag führen müssen, der gem. § 487 Nr. 2 ZPO als unzulässiger ausforschender Beweisermittlungsantrag qualifiziert werden muss485. 2. Verfahrensablauf, rechtliches Gehör und Ladung a) Der Beweisbeschluss Die Entscheidung über den Antrag muss durch Beschluss ergehen (§§ 490 Abs. 1, 128 Abs. 4 ZPO)486. Falls ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, ist dem Antragsgegner vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Rechtliches Gehör (Art. 103 GG) ist auch im selbständigen Beweisverfahren zu gewähren und zwar wegen der erheblichen Folgen des Verfahrens für den Antragsgegner in einem späteren Prozess487 (vgl. § 493 Abs. 1 ZPO) rechtzeitig vor der Beschlussfassung, so dass der Antragsgegner ausreichend Zeit hat auf die Beschlussfassung und auf den Inhalt einer eventuell vorzunehmenden Beauftragung eines Sachverständigen Einfluss zu nehmen488. Diese vorherige Benachrichtigung des mutmaßlichen Schutzrechtsverletzers könnte aber gerade im Immaterialgüterrecht zu einer Beeinträchtigung des Sicherungszwecks des Verfahrens führen. Abhilfe könnte hier zumindest insoweit geschaffen werden, als die Anhörung des Antragsgegners nach verbreiteter Ansicht generell auch nachträglich, also nach der Beschlussfassung erfolgen kann, da der stattgebende

484 Dies gilt selbst dann nach Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 95, die als Einzige vertreten, dass es geringfügige Auswirkungen auf das Ausmaß der nötigen Substantiierung haben mag, dass sich die Sache in der Sphäre des Antragsgegners befinde. 485 Ein unzulässiger Beweisermittlungsantrag liegt nach bisher geltendem Recht vor, wenn der Antragsteller zunächst keine konkreten Tatsachen nennen kann, aus denen sich eine Schutzrechtsverletzung ergeben würde. Stattdessen erhofft er sich durch die auf einen bloßen Verdacht gestützte Beweisaufnahme erst konkrete, anspruchsbegründende Tatsachen zu erfahren, die er zur Grundlage seines weiteren, dann substantiierten, Sachvortrages machen kann, vgl. KG, NJW-RR 2000, S. 468, 468; KG, NJW-RR 1999, S. 1369, 1369 f. 486 Allerdings kann weiterhin eine mündliche Verhandlung anberaumt werden. Dies geschieht jedoch nur sehr selten, vgl. Sturmberg, Beweissicherung, Rdn. 118 f.; Musielak/Huber, ZPO, § 490 Rdn. 1, 3; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 134. 487 Wegen der gravierenden Folgen ist in jedem Fall rechtliches Gehör zu gewähren, siehe nur OLG Karlsruhe, MDR 1982, S. 1026, 1027. 488 Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 135; Musielak/Huber, ZPO, § 490 Rdn. 1; MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/HartmannHartmann, ZPO, § 490 Rdn. 3.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Beschluss jederzeit aufgehoben werden kann489. Richtigerweise kann dies nur ausnahmsweise geschehen, nämlich alleine dann, wenn große Eile nötig ist und besonders gewichtige Gründe eine Überraschung des Antragsgegners erforderlich machen490. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich hierbei keineswegs bereits aus der Natur des Verfahrens oder der bloßen Möglichkeit, aufgrund der späteren Aufhebbarkeit des Beschlusses den Gegner nachträglich anzuhören491. Anders als im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes muss diese Ausnahme tatsächlich eine Ausnahme bleiben; sie ist daher sorgfältig zu begründen492. Im Immaterialgüterrecht – gerade in den Fällen, in denen sich mögliches Beweismaterial in der Sphäre des Gegners befindet – ist die Überraschung des mutmaßlichen Verletzers jedoch sehr häufig notwendig, da oft Beweismittelverlust oder -manipulation nicht auszuschließen sind. Insofern muss hier eine erst nachträgliche Anhörung möglich sein. In diesem Fall sind jedoch, wie es dem Ausnahmecharakter entspricht, die Gründe, die zu einer Gefahr des Beweismittelverlustes führen, im Antrag auch im Einzelnen darzulegen. Der stattgebende Beschluss493 ist den Parteien mitzuteilen und im Falle einer Terminbestimmung förmlich zuzustellen494. Im Falle einer nachträglichen Anhörung aufgrund der notwendigen Überraschung des Antragsgegners ist der Beschluss dem Antragsgegner sinnvollerweise erst kurz vor Beginn der Beweisaufnahme bekannt zu geben. Inwieweit dies mit dem Erfordernis einer rechtzeitigen Ladung 489 Für die Pflicht rechtliches Gehör einzuräumen, aber offenbar auch für eine generelle Nachholbarkeit im Ermessen des Richters: OLG Karlsruhe, MDR 1982, S. 1026, 1027; MüKoZPO/Schreiber, § 485 Rdn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 490 Rdn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 490 Rdn. 1; Musielak/Huber, ZPO, § 490 Rdn. 1. 490 Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 136; wegen der „Endgültigkeit“ der „Rechtswirkungen“ des § 493 ZPO zumindest für „Zurückhaltung“ bei Eingriffen in den Anspruch auf rechtliches Gehör auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 491 Rdn. 2. 491 Anders OLG Karlsruhe, MDR 1982, S. 1026, 1027, die Gründe für die nachträgliche Gewährung ergäben sich generell aus der Natur des Verfahrens. 492 Zum Ausnahmecharakter als Einzige: Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 136, die allerdings auch als Einzige die Notwendigkeit der Überraschung als gewichtiges Interesse für eine nachträgliche Anhörung anführen; daneben ist auch Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 491 Rdn. 2, zumindest für „Zurückhaltung“ bei Eingriffen in den Anspruch auf rechtliches Gehör. 493 Der stattgebende Beschluss entspricht nach Form und Inhalt dem Beweisbeschluss gem. § 359 ZPO, vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 490 Rdn. 3; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 150; Sturmberg, Beweissicherung, Rdn. 120. Somit muss er die zu beweisenden Tatsachen und die Beweismittel sowie gegebenenfalls die Person des Sachverständigen bezeichnen (§ 490 Abs. 2 S. 1 ZPO), vgl. Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 150. Insofern ein Sachverständiger beauftragt wird, ist der Auftrag so präzise zu fassen, dass er die Beweistatsachen und den Umfang und die Grenzen des Auftrages klar bestimmen kann. Auch dies geschieht auch um einer Ausforschung zuvorzukommen, vgl. Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 78, 79. 494 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 490 Rdn. 3.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(§ 491 Abs. 1 ZPO) vereinbar ist und nicht zum Ausschluss der Verwertbarkeit der Beweisergebnisse (§ 493 Abs. 2 ZPO) führt, wird noch zu zeigen sein. b) Die Ladung des Antraggegners Bevor man sich mit der Notwendigkeit der Ladung des Antraggegners zur Beweisaufnahme befasst, ist zu fragen, welche verschiedenen Termine beim selbstständigen Beweisverfahren überhaupt zu unterscheiden sind: Neben dem fakultativen, gerichtlichen Beschlusstermin (§§ 490 Abs. 1, 128 Abs. 4 ZPO) kommen in Frage der nichtgerichtliche Ortstermin des Sachverständigen (§ 404 a Abs. 4 ZPO) und weitere fakultative gerichtliche Termine zur Beweisaufnahme (z. B. Zeugenvernehmung) (§ 491 Abs. 1 ZPO), zur mündlichen Erläuterung des Sachverständigenberichts (§§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 3, 402, 397 ZPO) sowie zur Erreichung einer gütlichen Einigung auf Grundlage des Beweisergebnisses (§ 492 Abs. 3 ZPO). Die ohnehin fakultativen gerichtlichen Termine können dabei miteinander verbunden werden495. § 491 Abs. 1 und 2 ZPO bestimmen nun, dass, sofern es die Umstände des Einzelfalles zulassen, der Antragsgegner zum Beweistermin rechtzeitig zu laden ist, damit er seine Rechte wahrnehmen kann (§ 491 Abs. 1 ZPO). Ein Verstoß gegen das Ladungserfordernis hindert allerdings nicht die Durchführung der Beweisaufnahme (§ 491 Abs. 2 ZPO). Sollte der Gegner jedoch in einem Termin nicht erscheinen, kann das Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens gem. § 493 Abs. 2 ZPO im Hauptprozess nur verwendet werden, wenn der Gegner rechtzeitig geladen war. Die §§ 491 Abs. 1 und 2 sowie 493 Abs. 2 ZPO beziehen sich nach Wortlaut und Systematik jedoch nur auf die gerichtlichen Termine – nicht auf den Ortstermin des Sachverständigen496. Wenn – wie häufig – gem. § 485 Abs. 2 ZPO die Erstellung eines schriftlichen Gutachtens angeordnet wird, ist ein gerichtlicher Termin hingegen nicht erforderlich497. Folglich scheint hier das Ladungserfordernis nicht zu gelten und insofern auch die Möglichkeit der überraschenden Sichtung und Sicherung des Beweismaterials durch einen Sachverständigen nicht beeinträchtigen zu können. Letztlich gilt das Ladungserfordernis aber auch für den Ortstermin des Sachverständigen: Denn auch bei den Ermittlungstätigkeiten des Sachverständigen vor Ort – insbesondere bei Besichtigungen – steht beiden Parteien ein Anwesenheitsrecht zu498. Da es sich nicht um eine gerichtliche Beweisaufnahme handelt, ergibt sich dies entweder aus einer analogen Anwendung des Prinzips der Parteiöffentlichkeit (§ 357 495

Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 78, 79. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 493 Rdn. 2; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, § 493 Rdn. 11; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 296; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 78, 80. 497 MüKo-ZPO/Schreiber, § 491 Rdn. 1. 498 BGH, NJW 1975, S. 1363, 1363 (implizit); OLG München, NJW 1984, S. 807, 807; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 404a Rdn. 8; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 493 Rdn. 11; Musielak/Huber, ZPO, § 404a Rdn. 6. 496

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ZPO)499 oder aus dem Grundsatz der Waffengleichheit der Parteien500 und der Befürchtung, dass die nicht anwesende Partei den Sachverständigen sonst als befangen ablehnen könnte (§§ 492 Abs. 1, 406 ZPO)501. Der Sachverständige, der seine Termine selbst macht, hat die Parteien analog § 491 Abs. 1 ZPO also grundsätzlich rechtzeitig zu dem Besichtigungstermin zu laden, damit sie diese Rechte wahrnehmen können. Auch § 493 Abs. 2 ZPO ist folglich auf den Termin des Sachverständigen anzuwenden502. Wiederum würde jedoch eine Ladung als vorherige Warnung des Antragsgegners den Überraschungseffekt der Beweissicherung zunichte machen und dem mutmaßlichen Verletzer Gelegenheit geben, Beweismaterial zu manipulieren oder zu entfernen503. Die nachzuweisende Notwendigkeit der Überraschung bzw. besonderen Eilbedürftigkeit kann aber ein Anlass sein, der „nach den Umständen des Falles“ (§ 491 Abs. 1 ZPO) eine Ladung verzichtbar machen kann504. Selbst wenn man diese Ansicht nicht teilt, steht jedenfalls fest, dass das Fehlen einer Ladung der Beweisaufnahme als solcher nicht entgegen steht (§ 491 Abs. 2 ZPO). Zu beachten wäre allerdings weiterhin § 493 Abs. 2 ZPO505. Daraus wird teilweise geschlossen, dass das Beweisergebnis in keinem Fall im Hauptprozess benutzt werden kann, falls der Gegner nicht rechtzeitig geladen wurde506. Die Ladung wäre bei dieser Auslegung für den Erfolg des Verfahrens zwingend, eine Überraschung niemals möglich und § 491 Abs. 2 ZPO würde letztlich leer laufen507. 499 So Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 407a Rdn. 15; a.A. Sturmberg, Beweissicherung, Rdn. 153; OLG Dresden, NJW-RR 1997, S. 1354, 1354 f. 500 Bei sonst drohender Anwesenheit nur einer Partei: OLG Dresden, NJW-RR 1997, S. 1354, 1354 f.; Sturmberg, Beweissicherung, Rdn. 156; Zöller/Greger, ZPO, § 402 Rdn. 5a; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 261. Hinzuweisen ist aber auf Fälle, in denen die Anwesenheit einer Partei unzumutbar ist, z. B. im Falle einer körperlichen Untersuchung, vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 404a Rdn. 6. 501 BGH, NJW 1975, S. 1363, 1363; MüKo-ZPO/Damrau, § 404a Rdn. 11; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 407a Rdn. 15. 502 Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 83; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 260, 296; Ulrich, Beweisverfahren, AnwBl 2003, S. 78, 80; Musielak/Huber, ZPO, § 493 Rdn. 3. 503 Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 737; Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217; v. Hartz, Beweissicherung, S. 128. 504 Für ersteres: Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 941; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 75; für letzteres: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 491 Rdn. 2. 505 Wortlaut: Wenn der Gegner „nicht erschienen“ ist, „so kann das Ergebnis nur benutzt werden, wenn der Gegner rechtzeitig geladen“. 506 Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 737; Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217; v. Hartz, Beweissicherung, S. 128; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 357. 507 Bzw. hätte nur dann eine Bedeutung, wenn das Beweisergebnis bei Verstoß gegen §§ 491 Abs. 1, 493 Abs. 2 ZPO nur als Urkundenbeweis in den Hauptprozess eingeführt werden könnte; siehe dazu unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, A. III. 3. c).

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Richtigerweise regelt aber § 493 Abs. 2 ZPO den Fall, dass der Gegner nicht erschienen ist508. Es wird daher nur bestimmt, dass das Ergebnis nicht benutzt werden kann, wenn der Gegner – kumulativ – nicht erschienen ist und nicht rechtzeitig geladen war. Das Ergebnis ist daher immer im Sinne des § 493 Abs. 1 ZPO benutzbar, wenn der Gegner anwesend war oder wenn er zwar nicht anwesend war, aber ordnungsgemäß geladen wurde509. Der Verzicht auf die Ladung ist für den Erfolg der Beweisaufnahme also dann unschädlich, wenn der Gegner zufällig vor Ort war und somit seine Rechte wahrnehmen konnte, denn das Abwehrrecht der §§ 491 Abs. 1, 493 Abs. 2 ZPO greift nur ein, wenn rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährt wurde510. Sollte der Gegner hingegen „zufällig abwesend“ sein511 oder liegen die Voraussetzungen der §§ 491 Abs. 1, 485 Abs. 1, 172 Abs. 1, S. 1 ZPO vor, so dass die Ladung eines bestellten Prozessvertreters erforderlich ist512 und rechtliches Gehör somit nicht durch die alleinige Anwesenheit des Antragsgegners gegeben ist, tritt die Verbotswirkung des § 493 Abs. 2 ZPO ein. Ein weiterer unangekündigter Besichtigungsversuch wäre danach gewiss nicht mehr überraschend. Das Risiko der fehlenden Verwendbarkeit des Ergebnisses bei einem Verzicht auf die Ladung liegt also beim Antragsteller. Für den Fall, dass die Verbotswirkung des § 493 Abs. 2 ZPO eintritt, ist streitig, welche Folgen dies tatsächlich für die Verwertbarkeit des Gutachtens hat513. Falls der Antragsgegner im Hauptprozess der Verwertung widerspricht (§ 295 ZPO), scheint es mit Blick auf den unzweideutigen Wortlaut von § 493 Abs. 2 ZPO am überzeugendsten, die völlige Unverwertbarkeit zu vertreten514.

508

Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 493 Rdn. 10 (implizit). Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1667 Fn. 22; Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 942; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 75; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 493 Rdn. 2; MüKo-ZPO/Schreiber, § 493 Rdn. 3 (implizit); Musielak/Huber, ZPO, § 493 Rdn. 3; unzutreffend v. Hartz, Beweissicherung, S. 128 Fn. 554. 510 Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 942. 511 Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 75. 512 Musielak/Huber, ZPO, § 491 Rdn. 1; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 262. 513 Teilweise wird davon gesprochen, das Gutachten und seine Verwertbarkeit seien frei zu würdigen, § 286 ZPO, vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 493 Rdn. 4. Andere folgern aus den §§ 491, 494, 493 Abs. II ZPO, dass die Ladung keine unabdingbare Voraussetzung sei und § 493 Abs. 2 ZPO somit kein absolutes Verwertungsverbot enthalte. Der Antragsteller dürfe den Sachverständigenbeweis oder eine Zeugenaussage zumindest als Urkundenbeweis in den Hauptprozess einführen. Bei einem Verstoß gegen §§ 491 Abs. 1, 493 Abs. 2 ZPO könne der Antragsgegner aber entgegen § 493 Abs. 1 ZPO, d. h. ohne die Einschränkungen der §§ 360, 398, 411 Abs. 4, 412 ZPO, im Hauptprozess selbst den Gegenbeweis antreten durch erneute unmittelbare Durchführung des Beweises, vgl. OLG Frankfurt, MDR 1985, S. 853, 853; Zöller/Herget, ZPO, § 493 Rdn. 5; Zöller/Greger, ZPO, § 373 Rdn. 9; Musielak/Huber, ZPO, § 493 Rdn. 3; § 373 Rdn. 4. 514 So auch OLG Köln, MDR 1974, S. 589, 589; Thomas/Putzo-Thomas, ZPO, § 493 Rdn. 2. 509

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Nach alldem erweist sich das selbstständige Beweisverfahren sowohl mit als auch ohne Ladung als nicht besonders schlagkräftiges Instrument der Beweissicherung. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit einer Beweisermittlung fehlt. 3. Die Durchführung der Beweisaufnahme a) Allgemeines Wegen der Wirkung des § 493 ZPO muss die Beweisaufnahme im selbstständigen Beweisverfahren genauso gewissenhaft erfolgen wie im Hauptprozess und denselben Prinzipien gerecht werden. Daher verweist § 492 ZPO für die Beweisaufnahme als solche auf die auch für den Hauptprozess geltenden allgemeinen Vorschriften zur Beweisaufnahme gem. §§ 355 – 371 ZPO und speziell für die im selbstständigen Beweisverfahren zulässigen Beweismittel des Augenscheins, des Zeugenbeweises und des Sachverständigenbeweises auf die §§ 371 – 372a, §§ 373 – 401 und §§ 402 – 414 ZPO515. b) Die fehlende Erzwingbarkeit von Maßnahmen nach §§ 485 ff. ZPO gegenüber der gegnerischen Partei Entscheidend für die Beurteilung der Wirksamkeit des selbstständigen Beweisverfahrens als Instrument der Beweissicherung und -ermittlung ist die Frage der Durchsetzbarkeit von Anordnungen der Beweiserhebung gegen den Willen des Antragsgegners. Beispielsweise wird gerade im Immaterialgüterrecht oft eine Ortsbesichtigung auf dem Grundstück des mutmaßlichen Schutzrechtsverletzers oder die Untersuchung im Besitz desselben stehender Gegenstände erforderlich sein. Fraglich ist, inwiefern der Antragsgegner zur Duldung von Maßnahmen der selbstständigen Beweiserhebung nach §§ 485 ff. ZPO gezwungen werden kann. Dies bestimmt sich gem. § 492 Abs. 1 ZPO auch für das selbstständige Beweisverfahren nach den allgemeinen Regeln über die Beweisaufnahme. (1) Die Auswirkungen der §§ 492 Abs. 1, 371, 144 ZPO Die Frage der Erzwingbarkeit von Maßnahmen der Beweiserhebung nach diesen allgemeinen Regeln soll an anderer Stelle ausführlich erörtert werden516. Hier kann aber bereits festgehalten werden, dass die Beweiserhebung grundsätzlich nur gegenüber Dritten erzwungen werden kann (vgl. zur Inaugenscheinnahme eines Gegenstandes im Besitz eines Dritten und den möglichen Zwangsmitteln die §§ 371

515 Siehe hierzu z. B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 492 Rdn. 2, 4. 516 Vgl. hierzu unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 3.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Abs. 2, S. 1, 2. Fall, 144 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 144 Abs. 2, S. 2, 390 ZPO)517. Gegenüber der gegnerischen Partei führt eine unberechtigte Verweigerung der Mitwirkung bei der Beweiserhebung nach den Grundsätzen der Lehre von der Beweisvereitelung lediglich zu einer negativen Beweiswürdigung der Verweigerung zu Lasten dieser Partei518. Die Mitwirkung oder Duldung kann jedoch gerade nicht erzwungen werden519. Diese allgemeinen Regeln gelten auch für das selbstständige Beweisverfahren520. An diesen Grundsätzen hat auch die Umgestaltung der §§ 371, 144 ZPO durch die Zivilprozessrechtsreform521 nichts Wesentliches geändert: Im selbstständigen Beweisverfahren kann zwar gem. § 492 Abs. 1 ZPO Beweis angetreten werden, indem eine Anordnung gegenüber der gegnerischen Partei auf Vorlage von Augenscheinsobjekten bzw. Duldung ihrer Sachverständigen-Begutachtung nach §§ 371 Abs. 2, S. 1, 2.Fall, 144 ZPO beantragt wird. Allerdings verweist § 144 Abs. 3 ZPO in Bezug auf das Durchsetzungsverfahren auf § 371 Abs. 3 ZPO522. § 371 Abs. 3 bestimmt jedoch ausdrücklich, dass bei einer Vereitelung der Augenscheinseinnahme durch eine Partei lediglich die behaupteten Tatsachen als bewiesen angesehen werden können523. Nichts anderes ergibt sich auch aus der neu geschaffenen Möglichkeit von Amts wegen eine an die gegnerische – nicht selbst bezugnehmende – Partei gerichtete Vorlage- bzw. Duldungsanordnung zur Ermöglichung der Augenscheinseinnahme bzw. der Begutachtung durch den Sachverständigen nach § 144 Abs. 1 ZPO zu erlassen. Nur hinsichtlich eines nicht kooperierenden Dritten verweist § 144 Abs. 2, S. 2 ZPO auf den § 390 ZPO524. Sowohl aus § 371 Abs. 3 ZPO als auch aus § 144 Abs. 2, S. 2 i.V.m. Abs. 3 ZPO ergibt sich somit, dass nach der Lehre von der Beweisvereitelung weiterhin im Falle der Weigerung der gegnerischen Partei nur beweisrechtliche Konsequenzen bis hin

517 Eine Ausnahme ist z. B. die Durchsetzbarkeit der Abstammungsuntersuchung nach § 372a ZPO, vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, vor § 371 Rdn. 2, § 372a Rdn. 12, 16. 518 Vgl. zu dieser Lehre unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 3. 519 Siehe hierzu unten 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 3. 520 Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 200; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 86; zuvor bereits Kroppen/Heyers/Schmitz, Beweissicherung im Bauwesen, Rdn. 452 ff.; und sehr instruktiv Wussow, Beweissicherung, NJW 1969, S. 1401, 1406 f. 521 Vgl. hierzu unten 1 Teil, 2 Abschnitt, D. IV. 2. a). 522 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 144 Rdn. 23; a.A. König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 154, der nur § 286 ZPO für anwendbar hält. 523 Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 20; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 371 Rdn. 8; Zöller/Greger, ZPO, § 371 Rdn. 5; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 86. 524 König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 154.

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zur Vermutung der Wahrheit der zu beweisenden Tatsachen drohen525. Folglich ist gegenüber der sich verweigernden Partei der Einsatz von Zwangsmitteln unzulässig526. (2) Die Auswirkungen materieller Pflichten Zwar besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 809 BGB auch eine materielle Pflicht für den Antragsgegner, bei der Augenscheinseinnahme bzw. Begutachtung mitzuwirken. Allerdings ist dieser Anspruch selbst nur im Wege einer eigenen Klage durchsetzbar und nicht im Rahmen der Beweissicherung selbst als prozessrechtliches Instrument527. Nach klageweiser Durchsetzung steht fest, dass der Gegner zur Mitwirkung im Rahmen der §§ 485 ff. ZPO verpflichtet ist. Es bleibt aber auch dann bei der Vollstreckung des Titels nach §§ 887, 888, 890 ZPO analog – die Beweissicherung selbst ist weiterhin nicht erzwingbar528. Möglich ist auch, dass der Schutzrechtsinhaber zeitlich parallel die materiellen Ansprüche durchzusetzen sucht und gleichzeitig ein Beweissicherungsverfahren nach §§ 485 ff. ZPO anstrengt. Entgegen der bereits erörterten so genannten „Düsseldorfer Praxis“ ist jedoch eine verfahrensmäßige Kombination der Rechtsinstitute bzw. eine Erzwingung der prozessualen Beweissicherung nach §§ 485 ff. ZPO mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung auf Grundlage des § 809 BGB als unzulässig abzulehnen529. Neben den bereits oben genannten Argumenten würde dies die gesetzgeberische Entscheidung der fehlenden zwangsweisen Durchsetzbarkeit der prozessualen Beweissicherung gemäß der Wertung der §§ 492 Abs. 1, 144 Abs. 2, Abs. 3, 371 Abs. 3 ZPO unterlaufen530.

525

Selbst beweisrechtliche Konsequenzen drohen nicht, wenn die gegnerische Partei einwendet, die Weigerung sei nicht unberechtigt, da die Offenlegung von „Gewerbegeheimnissen“ drohe, so schon RG, GRUR 1938, S. 428, 429, 431 – „Pedalachsen“. 526 Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 8 f.; Zöller/Greger, ZPO, § 144 Rdn. 4, § 142 Rdn. 4; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 77, „im Umkehrschluss“; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 153 f.; insofern hat sich seit RG, GRUR 1938, S. 428, 429 – „Pedalachsen“ (Verweigerung der Inaugenscheinnahme wird nach § 286 ZPO frei gewürdigt) nicht viel verändert. 527 Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 19; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 211; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, vor § 371 Rdn. 2; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 88; Wussow, Beweissicherung, NJW 1969, S. 1401, 1407. 528 Wussow, Beweissicherung, NJW 1969, S. 1401, 1407. 529 A.A. „Düsseldorfer Praxis“: Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187 ff.; Kühnen/Geschke, Durchsetzung, S. 73 ff., welche die angegebene Fundstelle – Kleine-Möller/ Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 212 – zumindest m. E. nicht zutreffend interpretieren. 530 Noch radikaler in der Ablehnung einer klageweisen Erzwingung des § 809 BGB und anschließender Auswirkungen der materiellen Pflicht auf die Beweisaufnahme ist Hök, Beweissicherung, BauR 1999, S. 221, 227, der sich auf die zwingende und abschließende Regelung des Prozessrechtsverhältnisses, der Beweiswürdigung, der Beweisvereitelung und der §§ 371 ff, 402 ff. ZPO durch die ZPO beruft. Ausnahmen lässt er nur hinsichtlich der §§ 356 sowie 422, 429 ZPO zu.

2. Abschn., A. Das Selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 – 494 a ZPO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(3) Ergebnis Im Ergebnis gibt es im Rahmen der §§ 485 ff. ZPO somit keine Möglichkeit, die Beweisaufnahme gegen den Willen des Antraggegners durchzusetzen531. c) Verfahrensende und Verwendbarkeit im Hauptprozess Das selbstständige Beweisverfahren endet mit der Vorlage des Beweisprotokolls oder mit der Übersendung des Gutachtens an die Parteien, sofern dagegen keine Einwendungen erhoben werden532. Dass hierdurch Betriebsgeheimnisse offenbar werden, braucht indes nicht befürchtet zu werden, denn sollten Betriebsgeheimnisse entgegenstehen, hätte die gegnerische Partei das Beweisverfahren wohl nicht geduldet. In diesem Fall hätte sie nicht einmal beweisrechtliche Konsequenzen zu fürchten, da sie einwenden kann, ihre Weigerung sei nicht unberechtigt533. Wenn sich der Schutzrechtsinhaber im Verletzungsprozess auf die Tatsache der Schutzrechtsverletzung beruft und diesbezüglich selbstständig Beweis erhoben wurde, steht diese Beweiserhebung nach § 493 Abs. 3 ZPO einer Beweiserhebung im Verletzungsprozess selbst gleich534. IV. Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung Die mangelnde Eignung des selbstständigen Beweisverfahrens zur effektiven Überwindung des Informationsdefizits des mutmaßlich verletzten Schutzrechtsinhabers ergibt sich danach vor allem aus den zu hohen Anforderungen an den anfänglichen Tatsachenvortrag des Schutzrechtsinhabers, den Problemen bei der Herstellung eines Überraschungsmoments zu Beginn der selbstständigen Beweiserhebung und der fehlenden Erzwingbarkeit der mit Verweis auf die §§ 371 Abs. 2, S. 1, 2. Fall durchaus gegebenen Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei bei der selbstständigen Beweiserhebung. Die Anforderungen an den anfänglichen Tatsachenvortrag des Antragstellers sind wiederum geprägt von dem Verbot des Ausforschungsbeweises. Da er die die Schutzrechtsverletzung begründenden Tatsachen bereits vorher darzulegen hat, kann das 531

So auch OLG Düsseldorf GRUR 1983, S. 741, 743, 744 – „Geheimhaltungsinteresse und Besichtigungsanspruch I“; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 86; Karger, Beweisermittlung, S. 145; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 77 f.; im Ergebnis ebenso: Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217; Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1667 f.; Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 942; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 552, 559; v. Hartz, Beweissicherung, S. 128 f.; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 357 f. 532 Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 492 Rdn. 3. 533 Beweisrechtliche Konsequenzen müssen nicht gezogen werden, wenn die Weigerung möglicherweise berechtigt ist, da die Offenlegung eines „Gewerbegeheimnisses“ droht, so schon RG, GRUR 1938, S. 428, 429, 431 – „Pedalachsen“. 534 Vgl. hierzu auch Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 493 Rdn. 1.

166 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

selbständige Beweisverfahren dem Schutzrechtsinhaber nur hilfreich sein, wenn er bereits eine recht präzise Vorstellung von der Art und Weise der mutmaßlichen Verletzung hat. Zu einer solch präzisen Vorstellung zu gelangen, dürfte angesichts der Sphärenproblematik und des Bestehens lediglich äußerer Anzeichen einer Schutzrechtsverletzung schwierig sein, da es mannigfaltige Möglichkeiten gibt das geschützte Recht durch unzureichende Abwandlungen des Produkts zu verletzen535. Es ist weiter darauf hinzuweisen, dass sich die Begutachtung im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens nur auf ein konkretes, vorher genau zu bezeichnendes Augenscheinsobjekt bzw. auf ein vorher zu bestimmendes Beweisstück beziehen kann. Dagegen kann nicht in der Sphäre des Gegners nach passenden Beweisstücken gefahndet werden, die bloß vorher festgelegten Merkmalen entsprechen536. Das selbstständige Beweisverfahren nützt dem Schutzrechtsinhaber somit zum einen nur, wenn es ihm um die Sicherung (Abs. 1) oder die erste gutachterliche Bewertung und Würdigung (Abs. 2) bereits im Wesentlichen bekannter und konkret zu bezeichnender Beweisstücke geht. Die §§ 485 ff. sind damit lediglich ein Instrument der Beweissicherung bereits bestehender Beweise537. Keinesfalls geht es um Beweisermittlung im eigentlichen Sinn. Spätestens die Kombination des Erfordernisses einer anfänglichen Darlegung des Verletzungstatbestandes mit dem Bezeichnungserfordernis, führt dazu, dass dem Schutzrechtsinhaber, der außer einer bloßen Vermutung anhand bestimmter Anhaltspunkte keine konkrete Kenntnis von den Merkmalen und Umständen der Verletzung hat und auch streiterhebliche Beweisstücke noch nicht bezeichnen kann, keine Beweiserleichterungen zu Gute kommen. Das selbstständige Beweisverfahren ist somit auch kein Instrument der eigentlichen Informationsermittlung. Es ist auch nach der Aufnahme des Ziels der Prozessvermeidung und der Schaffung der Möglichkeit einer vorprozessualen, ersten gutachterlichen Klärung der Tatsachengrundlage nicht geeignet, neue, dem Antragsteller unbekannte Beweise ausfindig zu machen, einen Verdacht in Gewissheit zu verwandeln und damit die strukturelle Beweisnot des Schutzrechtsinhabers zu überwinden538. Auch die Möglichkeiten einer überraschenden Begutachtung des Beweisstückes sind, wie bereits erörtert, sehr begrenzt. Selbst wenn man die Rechte des Antragsgegners bis an die äußerste Grenze des Zulässigen einschränkt, ausnahmsweise eine nachträgliche Anhörung ins Auge fasst und auf eine Ladung verzichtet, kann ein un535

Vgl. zur Sphären-Problematik bereits oben unter Einleitung B. II. 1. Siehe hierzu schon zu § 809 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. und BGH, GRUR 2004, S. 420, 420 (Leitsatz), 421 – „Kontrollbesuch“. 537 Vgl. auch Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217. 538 Siehe auch Norrenberg, Anton Piller Order, S. 357; Treichel, Sanktionen, S. 219; v. Hartz, Beweissicherung, S. 126 f., 129; Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217; Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 942; Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 737; Götting, Besichtigungsanspruch, Liber Amicorum Hay, S. 181, 184; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 26. 536

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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angekündigter Beweiserhebungsversuch mit Bekanntgabe des Beschlusses vor Ort nur dann erfolgreich sein, wenn der Gegner zufällig anwesend ist und kein Fall der §§ 491 Abs. 1, 485 Abs. 1, 172 Abs. 1, S. 1 ZPO vorliegt. Sollte dies nicht der Fall sein, tritt die Verbotswirkung des § 493 Abs. 2 ZPO ein. Um das Risiko der möglichen Unverwertbarkeit nach dieser Norm zu vermeiden, müsste der Gegner geladen werden, was wiederum die Gefahr der Beweismittelvernichtung oder -manipulation begründet. Hieran zeigt sich, dass das selbständige Beweisverfahren für einen überraschenden Zugriff schlichtweg nicht geschaffen ist. Schließlich fehlt es an wirksamen Mitteln zur Durchsetzung der Mitwirkungspflicht. Eine unberechtigte Verweigerung hat für den Antragsgegner weder solche nachteiligen Folgen, dass er sich zu einer Mitwirkung veranlasst sieht, noch ergibt sich aus der Möglichkeit der negative Beweiswürdigung eine alternativ geeignete Beweishilfe. Die negative Beweiswürdigung in Folge der §§ 144, 371 Abs. 3 ZPO hilft dem Schutzrechtsinhaber meist nicht, sein Informationsdefizit zu überwinden, denn das Gericht kann zwar aus der Mitwirkungsverweigerung den Schluss ziehen, dass die behauptete Tatsache der Schutzrechtsverletzung vorliegt; allerdings ist dies nicht möglich, wenn die gegnerische Partei eine berechtigte Weigerung glaubhaft macht539 oder wenn der Schutzrechtsinhaber aufgrund der Sphärenproblematik und mangels konkreter Vorstellungen nicht einmal in der Lage ist, so substantiiert und konkret vorzutragen, dass sein Vorbringen als bewiesen angesehen werden kann540.

B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung und -erhebung im laufenden Zivilprozess Ging es im Zweiten Abschnitt des Ersten Teils bisher um prozessuale Institute zur Informationsbeschaffung im Vorfeld eines Verletzungsprozesses, sollen nun prozessuale Institute beleuchtet werden, die zur Begründung von Mitwirkungspflichten der gegnerischen Partei bei der Stoffsammlung ein bestehendes Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien – also vor allem eine Klageerhebung – voraussetzen. In Bezug auf den laufenden Zivilprozess haben sich in Rechtsprechung und Schrifttum verschiedene Lehren herausgebildet, die für sich reklamieren, beispielsweise dem informationssuchenden Schutzrechtsinhaber effektive Instrumente zur Erleichterung seiner Darlegungs- und Beweislast zur Verfügung zu stellen, die mit der bisherigen lex lata in Einklang stehen. Mit diesen Lehren soll die Erörterung der prozessualen Instrumente des laufenden Zivilprozesses beginnen. Zwar haben sie sich nur teilweise in der Rechtspraxis durchsetzen können, aus ihrer Behandlung ergeben sich jedoch wichtige und erkenntnisreiche Einblicke in die Dogmatik der Informationsbeschaffung im deutschen Recht. 539

Vgl. schon RG, GRUR 1938, S. 428, 429, 431 – „Pedalachsen“. Nur bei substantiiertem Vortrag und klaren Anhaltspunkten helfen die Grundsätze der Beweisvereitelung, vgl. ähnlich Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217. 540

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

I. Substantiiertes Bestreiten und „sekundäre Behauptungslast“ 1. Allgemeines Grundsätzlich vollziehen sich Tatsachenvortrag der darlegungspflichtigen Partei und Erwiderung der gegnerischen Partei in einer Art Wechselspiel. Die darlegungspflichtige Partei beginnt damit, nach § 138 Abs. 1 ZPO eine substantiierte, subjektiv wahre Tatsachenbehauptung aufzustellen – das heißt eine Behauptung, die präzise genug ist, um daraus den Schluss auf die Schlüssigkeit des behaupteten Anspruchs zuzulassen und die „nicht ins Blaue hinein“ erfolgt541. Nur auf eine solche Behauptung muss die gegnerische Partei nun nach § 138 Abs. 2 ZPO erwidern. Hierzu genügt kein einfaches Bestreiten (vgl. § 138 Abs. 3 ZPO); allerdings muss die gegnerische Partei grundsätzlich auch nicht mehr Aufwand betreiben als die darlegungspflichtige Partei. Der Grad der erforderlichen Konkretisierung der Erwiderung richtet sich also grundsätzlich nach dem Grad der erfolgten Substantiierung der ursprünglichen Behauptung der darlegungspflichtigen Partei. Folglich wird die gut beratene erwiderungspflichtige Partei nie von sich aus bestimmte Umstände oder Details ins Spiel bringen, sondern sich auf eine oberflächliche Schilderung des Geschehens aus ihrer Warte begrenzen, um nicht der darlegungspflichtigen Partei eine Substantiierung zu ermöglichen, die ihr aus eigenen Ressourcen nicht möglich war. Wenn die erwiderungspflichtige Partei der Ansicht ist, dass die darlegungspflichtige Partei „im Nebel stochert“ oder sich durch bloßes Raten „ins Blaue hinein“ tastet, wird sie den Vortrag berechtigterweise als unerheblich ignorieren und nicht erwidern542. Dieser wechselseitige Vortrag hat so lange zu erfolgen, bis den erkennenden Richtern deutlich ist, welche Tatsachen streitig und entscheidungserheblich sind, und daher eines Beweises bedürfen. In Abweichung von diesen Prinzipien nimmt die Rechtsprechung im Einzelfall eine „Last zum substantiierten Bestreiten“ – auch sogenannte „sekundäre Behauptungslast“ – an: Danach hat die nicht-darlegungspflichtige Partei ausnahmsweise substantiiert unter Angabe näherer Umstande zu erwidern, obwohl die nicht-darlegungspflichtige Partei unsubstantiiert bzw. ohne Angabe von Einzelheiten, die zur Festellung der Schlüssigkeit erforderlich sind, vorgetragen hat. Wenn die nicht-darlegungspflichtige Partei ihrer „sekundären Behauptungslast“ nicht nachkommt, kann die Behauptung der darlegungspflichtigen Partei als zugestanden gem § 139 Abs. 3 ZPO gelten, obwohl die Behauptung an sich nicht ausreichend substantiiert war. Eine solche „sekundäre Behauptungslast“ kann angenommen werden, wenn die an sich darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablau-

541

Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rdn. 2 f. BGH, NJW 1999, S. 1404, 1405; BGH, NJW-RR 1996, S. 1211, 1211; BGH, NJW 1995, S. 3311, 3312; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rdn. 8 f. 542

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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fes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Umstände besitzt, während der Prozessgegner diese Kenntnis hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind543. Mit den hierbei zum Ausdruck kommenden Abhängigkeiten der Darlegungslasten von den Kenntnisnahmemöglichkeiten in Bezug auf die abgegrenzten Herrschaftsbereiche scheint diese Rechtsprechung prädestiniert für eine Anwendung auf das Informationsdefizit des Schutzrechtsinhabers. Bisher war eine Anwendung dieser Rechtsprechung im Immaterialgüterrecht indes nicht zu erkennen, teilweise wurde sie sogar für das Immaterialgüterrecht explizit abgelehnt, insbesondere wegen Fehlens eines Geheimverfahrens und der daraus resultierenden Gefahr der unabgesonderten Offenlegung von Betriebsgeheimnissen544. 2. Entscheidung „Blasenfreie Gummibahn II“ Nun hat der Bundesgerichtshof jedoch – zumindest in einem Einzelfall, der seine Besonderheiten hat und dessen Anwendungsfeld daher eng begrenzt sein dürfte – eine Erleichterung der Darlegungslast der darlegungspflichtigen Partei im Patentverletzungsverfahren angenommen, die an die Rechtsprechung zur „sekundären Behauptungslast“ erinnert. In dem Verfahren stritten die Parteien um die behauptete Verletzung eines Verfahrenspatents zur Herstellung einer blasenfreien Gummibahn. Das OLG Düsseldorf hatte in der Vorinstanz angenommen, es fehle an einer substantiierten Darlegung der Klägerin und Schutzrechtsinhaberin, dass bei dem angegriffenen Verfahren als Ausgangsmaterial eine noch ungehärtete Gummimasse verwendet werde, die zur Blasenbildung neige, und daher auf die geschützte Weise behandelt werde. Nötig sei ein „konkreter Sachvortrag“ der Klägerin, wie bei dem angegriffenen Verfahren der Beklagten die „ungehärtete Gummimasse im Einzelnen zusammengesetzt und wie sie hergestellt worden sei“545. „Blasenfreiheit“ könne nämlich „auch auf andere Weise erreicht werden“, als durch das geschützte Verfahren546. Der X. Senat führt nun aus, wenn die Beklagte geltend mache, es werde zwar dasselbe Verfahrensergebnis – „Blasenfreiheit“ – erreicht, es würden auch die nach dem 543 BGHZ 86, S. 23, 29; BGHZ 140, S. 156, 158; BGHZ 145, S. 170, 183 f.; BGH, MDR 2004, S. 898, 898; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 34 f., 34c; vgl. auch Schlosser, Wirtschaftsprüfervorbehalt, FS Großfeld, S. 997, 1005. Unzumutbar kann es sein, Umstände offenbaren zu müssen, die Betriebsgeheimnisse beinhalten (vgl. BGH, NJW 1992, S. 1817, 1819; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 34 b). 544 Vgl. Karger, Beweisermittlung, S. 158; so auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen; letzterer verweist jedoch auf eine gefestigte Anwendung im Wettbewerbsrecht, vgl. BGH, GRUR 1962, S. 270, 272. Wie gesehen, ist hieran zutreffend, dass es nach der Rechtsprechung unzumutbar sein, Umstände zu offenbaren, die Betriebsgeheimnisse beinhalten (vgl. Fn. zuvor). 545 Vgl. OLG Düsseldorf, zitiert nach BGH, GRUR 2004, S. 268, 269 – „Blasenfreie Gummibahn II“. 546 Ebenda.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

geschützten Verfahren vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt, allerdings seien diese nicht mitursächlich für die „Blasenfreiheit“ und dienten anderen Zwecken als nach dem geschützten Verfahren, sei es – trotz der Darlegungspflicht der Klägerin für die anspruchsbegründenden Tatsachen – Sache der Beklagten hierzu näher vorzutragen. Denn es sei in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, dass sich „unter bestimmten Voraussetzungen“ eine „Verpflichtung der nicht-beweisbelasteten Partei ergeben kann, dem Gegner gewisse Informationen […] zu bieten, wozu die Spezifizierung von Tatsachen gehören kann, wenn und soweit diese der mit der Beweisführung belasteten Partei nicht […] zugänglich sind, während ihre Offenlegung für den Gegner sowohl ohne weiteres möglich als auch zumutbar erscheint“547. Diese Grundsätze seien auch im Patentverletzungsverfahren anwendbar. Ein weiterer Vortrag sei nach den „Grundsätzen von Treu und Glauben von der Klägerin […] nicht zu verlangen“548. Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen. Vor zu großem Optimismus ist jedoch zu warnen: Zwar kann man in dieser Entscheidung eine auf diesen Einzelfall bezogene Übertragung der Grundsätze der „sekundären Behauptungslast“ sehen. Hieraus allerdings zu schließen, dass die besagten Grundsätze nun in größerem Umfang im Patentrecht Anwendung finden werden, wäre wohl verfehlt. Dazu ist der entschiedene Einzelfall doch zu speziell. Zudem ist das gefundene Ergebnis so nahe liegend, dass es wohl auch ohne Rückgriff auf die Grundsätze der „sekundären Behauptungslast“ erzielt worden wäre: Die Beklagte hatte offenbar bereits eingeräumt, dass sowohl „Blasenfreiheit“ als Verfahrensergebnis erreicht wird, als auch die im Patentanspruch vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden. Jetzt von der außerhalb des Geschehens stehenden Klägerin noch zu verlangen, zu substantiieren, wie das angegriffene Verfahren im Einzelnen funktioniere und dass die verwendeten Maßnahmen eben nicht anderen Zwecken dienen – also die „Blasenfreiheit“ nicht durch andere Gegebenheiten, insbesondere nicht durch ein anderes Ausgangsmaterial erreicht wird –, und dazu eine Analyse des Ausgangsmaterials der Beklagten vorzulegen, wäre bei dieser Indizienlage nach dem allgemeinen Rechtsempfinden geradezu grotesk. Richtigerweise bezieht sich der X. Senat daher ebenfalls auf die Grundsätze von Treu und Glauben. Auch der Rechtsgedanke von § 139 Abs. 3 PatG liegt nahe549.

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Vgl. BGH, GRUR 2004, S. 268, 269 – „Blasenfreie Gummibahn II“; vgl. BGH, GRUR 2006, S. 313, 315 – „Stapeltrockner“, wonach „die Klägerin darzulegen“ habe, „wie die angegriffene Ausführungsform im Einzelnen beschaffen“ sei, „wobei ihr allerdings nach Treu und Glauben Beweiserleichterungen zugute kommen können, wenn und soweit sie Tatsachen nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Erschwernissen spezifizieren kann, während ihre Offenlegung für den Gegner sowohl ohne weiteres möglich als auch zumutbar ist“ (unter Verweis auf BGH „Blasenfreie Gummibahn II; Anm. d. Verf.). 548 Vgl. BGH, GRUR 2004, S. 268, 269 – „Blasenfreie Gummibahn II“; § 139 III PatG war ein weiteres Mal nicht anwendbar (Anm. d. Verf.). 549 Eine analoge Anwendung verbietet sich, da das Erzeugnis eben gerade nicht „neu“ ist.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Im Übrigen geht es hier nur noch um Details in der Sphäre der Beklagten in Bezug auf einen im Wesentlichen von der Klägerin bereits dargelegten Vorgang. Weder handelt es sich um eine Umkehr der Darlegungslast im Anschluss an einen in deutlicherer Weise unsubstantiiertem Vortrag, noch um eine Anwendung der Grundsätze der „sekundären Behauptungslast“ auf die kontroverseren Fälle einer bloß vermuteten Schutzrechtsverletzung auf Grund gewisser äußerer Anhaltspunkte wie Entwicklungsdauer, Preis oder optische Erscheinung. 3. Der Vorschlag von Mes Mes versucht nun die sphärenbedingte Informationsnot im Immaterialgüterrecht für bestimmte Einzelfälle zu lösen, indem er einen Rückgriff auf die Grundsätze der „sekundären Behauptungslast“, verbunden mit der Aufforderung an den darlegungspflichtigen Schutzrechtsinhaber, zunächst hypothetische Behauptungen über die unbekannte Schutzrechtsverletzung aufzustellen, vorschlägt. Er setzt hierzu an den zwei Erfordernissen der Darlegungslast an, nämlich erstens die Bestimmtheit des Vortrages, und zweitens eine gewisse Plausibilität, insofern als der Vortrag nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen darf, sondern sich an bestimmten Anhaltspunkten orientiert550. In Fällen, in denen es dem Schutzrechtsinhaber an Erkenntnismöglichkeiten über den Tatbestand der Schutzrechtsverletzung fehle, solle er dennoch – quasi hypothetisch – eine bestimmte Behauptung, dass sein Schutzrecht verletzt sei, aufstellen. Seiner Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO genüge er trotzdem, da jede Partei auch Tatsachen behaupten dürfe, die sie „nicht kennt und auch nicht kennen kann“551. Einer Darlegung weiterer Umstände, wieso er dieser Meinung sei, bedürfe es nicht552. Die Grenze sei erst erreicht, wenn die Partei „wider besseres Wissen“ vortrage553. Der Vortrag dürfe zwar weiterhin nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen, allerdings könne hiervon erst ausgegangen werden, wenn die Partei die Behauptung „im Grunde selbst gar nicht glaubt“554. Dieser Unglaube sei jedoch „schwer feststellbar“ und die „absolute Ausnahme“555. Das Problem des Ausforschungsbeweises wird dadurch relativiert, dass eine Feststellung hierüber erst bei dem Beweisantritt zu erfolgen habe und vorher die wechselseitigen Darlegungslasten der Parteien auszuschöpfen seien. Der Prozessgegner habe sich nun nach den Grundsätzen der „sekundären Behauptungslast“ zu der Behauptung, er verletze das Schutzrecht, nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO „vollständig und der Wahrheit gemäß“ zu erklären556. Die Erfüllung 550 Stein-Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdn. 40, 42 ff., 45 ff.; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573. 551 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 937. 552 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 938 f. 553 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 937. 554 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 938; unter Verweis auf BGH, NJW-RR 1995, S. 723, 723. 555 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 938. 556 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 938.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

dieser Erwiderungspflicht soll offenbar die erstrebte Aufklärung bewirken. Jedenfalls sei die Erwiderungspflicht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung gegnerischer Betriebsgeheimnisse unzumutbar, denn habe der Gegner beispielsweise eine patentfreie Abwandlung entwickelt, sei er dennoch „nicht so schutzwürdig“, dass „das hohe Gut der Mitwirkungslasten der Parteien […] zu Gunsten einer Partei“ suspendiert werden könne557. Eines Ausschlusses der gegnerischen Partei im Wege des „Geheimprozesses“ bedürfe es nicht, da die „Ausnutzung eben des Geschäftsgeheimnisses des Prozessgegners unredlich wäre“558. 4. Stellungnahme Selbst wenn man aus der Entscheidung „Blasenfreie Gummibahn II“ eine grundsätzliche Anwendung der Rechtsprechung zur „sekundären Behauptungslast“ im Immaterialgüterrecht ableiten will, ergeben sich hieraus für den Schutzrechtsinhaber nicht in größerem Umfang Möglichkeiten zur Überwindung seines Informationsdefizits. Der praktische Anwendungsbereich ist doch eher auf wenige Konstellationen begrenzt. In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen ging es in der Regel um Fälle weniger gravierender Informationsdefizite und um die Mitteilung von – sicherlich entscheidenden – Einzelheiten, nach dem der Verletzungsvorgang schon im Groben dargelegt war, wenn auch nicht im Sinne der nötigen vollständigen Substantiierung559. In Fällen bloß vermuteter Schutzrechtsverletzung, in denen zwar äußere Anhaltspunkte vorliegen, der Schutzrechtsinhaber jedoch die angegriffene Ausführungsform gänzlich nicht kennt und nicht beschreiben kann, werden die Grundsätze nur in wenigen Fällen helfen560. Dass der Anwendungsbereich begrenzt ist, zeigt auch die Folge einer Verweigerung der substantiierten Erwiderung. Nach § 138 Abs. 3 ZPO gilt der unsubstantiierte Vortrag als zugestanden. Dies ist indes nur in Bezug auf Einzelheiten sinnvoll. Fehlt es mangels Kenntnis bereits gänzlich an einer Beschreibung der angegriffenen Ausführungsform, kann ein hypothetischer Vortrag des Schutzrechtsinhabers nicht als zugestanden bewertet werden und als Beschreibung einer zu unterlassenden Verwendung Inhalt der Urteilsformel werden. Zu einer vollständigen Lösung des Problems sind die Grundsätze daher keinesfalls geeignet. 557 Vielmehr müsse er auch, wenn er das Betriebsgeheimnis in einem Prozess gegen einen Dritten geltend mache, da dieser das Geheimnis unredlich verwerte, das Betriebsgeheimnis gegenüber dem Prozessgegner offenbaren, vgl. Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 940. 558 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 940. 559 Vgl. BGHZ 100, S. 190, 196 (Verwendung von Gesellschaftsmitteln); BGHZ 145, S. 170, 183 f. (Darlegung zu den ergriffenen Sicherungsmaßnahmen bei Wahrscheinlichkeit eines groben Organisationsverschuldens). 560 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 942, nennt Fälle, in denen der Patentinhaber Schwierigkeiten hat, konkretere Anhaltspunkte vorzutragen, die über die Tatsachen hinausgehen, dass er „infolge seiner langjährigen Erfahrung, seiner Beobachtung des Marktes und seiner Kenntnis technischer Zusammenhänge begründeter Auffasung ist, dass eine Schutzrechtsverletzung vorliegt.“

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Effektiver Rechtsschutz hat zudem auch viel mit Vorhersehbarkeit zu tun. In diesem Zusammenhang wird die Rechtsprechung zur „sekundären Behauptungslast“ als „unberechenbar“ kritisiert561. Im Übrigen gestatten weder die Grundsätze zur „sekundären Behauptungslast“ noch die weitergehenden Vorschläge von Mes eine vorprozessuale Informationsermittlung. Infolgedessen ermöglichen sie nicht die Formulierung eines bestimmten Klageantrags562. Dieser Gegensatz zu den strikten Anforderungen der aktuellen Entscheidung „Blasfolienherstellung“, wonach der Schutzrechtsinhaber das angegriffene Verfahren bereits im Klageantrag derart konkret beschreiben muss, dass ein dem Antrag entsprechendes Urteil Grundlage der Zwangsvollstreckung sein kann563, spricht schließlich auch gegen eine zu grundsätzliche Interpretation der Entscheidung „Blasenfreie Gummibahn“. Bei ausschließlicher Anwendung der Grundsätze der „sekundären Behauptungslast“ müsste der Schutzrechtsinhaber ohne vorprozessuale Informationsmöglichkeit zudem einen Prozess wagen, ohne die Erfolgsaussichten und damit das Prozesskostenrisiko einschätzen zu können564. Schließlich verschafft auch ein substantiierter Vortrag des Gegners keine Beweisstücke, noch dazu keine unbekannten565. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass der weitergehende Vorschlag von Mes, der auf einer Absenkung der Anforderungen an einen „nicht ins Blaue hinein“ erfolgenden Sachvortrag beruht, sowohl bei den Instanzgerichten als auch bei den Schutzrechtsinhabern zumindest keine Akzeptanz finden wird. Die hypothetische Behauptung einer schutzrechtsverletzenden Ausführungsform, die in bestimmter Weise vorgetragen wird und an die der Schutzrechtsinhaber selbst glaubt, mag eventuell rechtlich kein Vortrag „ins Blaue hinein“ sein, faktisch ist er jedoch genau das. Auch wenn tatsächlich keine überzogenen Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind, ist anzunehmen, dass die ganz überwiegende Zahl der Gerichte der Auffassung des von Mes kritisierten LG Düsseldorf folgen, wonach ein unzulässiger Vortrag „ins Blaue“ vorliegt, wenn der Kläger – gegebenenfalls nach Erörterung mit dem Gericht – nicht in der Lage ist, „tatsächliche Anhaltspunkte oder Erkenntnisquellen dafür darzulegen, woraus er die Behauptung gewonnen 561

Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 34d. So auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 85 f. 563 BGH, GRUR 2005, S. 569, 569 – „Blasfolienherstellung“, zudem genüge selbst bei Geltendmachung einer wortsinngemäßen Verletzung eine schlichte Wiedergabe des Wortlautes des Patentanspruches nicht. 564 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 938, 939, gibt zu bedenken, dass der Kläger den Prozess verlieren kann, wenn die Darstellung des Beklagten von dem hypothetischen Vortrag des Klägers abweicht, sich „keine Schutzrechtsverletzung ergibt“, und der Kläger für seinen Vortrag „keinen Beweis anbieten kann“. 565 Das Institut der „sekundären Behauptungslast“ ist somit kein Institut der Beweisermittlung; und auch Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 942 räumt ein, dass selbst bei Anwendung seiner Gedanken „in vielen Fällen das Risiko des Klägers hoch bleibt“ der bei ihm verbleibenden „Beweisführungslast und auch der Beweislast zu entsprechen“. 562

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hat“566. Denn es wird in der Rechtsprechung häufig gefordert, dass die Partei „im Zweifelsfall“ diese „Anhaltspunkte und Erkenntnisquellen“ darzulegen hat567. Selbst wenn der Schutzrechtsinhaber aufgrund äußerer Anhaltspunkte und seiner langjährigen Erfahrung in seinem Marktsegment im Ergebnis zu Recht davon ausgeht, dass eine Schutzrechtsverletzung vorliegt, muss er dennoch eine ganz bestimmte verletzende Ausführungsform substantiieren. Aber: Wenn es sich nicht zufällig um eine plumpe wortsinngemäße Verletzung handeln sollte, soll der Schutzrechtsinhaber angesichts der Vielzahl möglicher äquivalenter – also noch verletzender – Abwandlungen die konkrete Ausführungsform erraten? Angesichts des enormen Aufwands und des hohen Kostenrisikos, das ein Verletzungsprozess mit sich bringt, wird der Schutzrechtsinhaber den Prozesserfolg wohl kaum auf eine Hypothese stützen, bei aller berechtigter Annahme einer Verletzung als solcher568. Allerdings ist letztlich der Vorschlag von Mes insofern sehr zu befürworten, als er das faktische Problem der fehlenden Kenntnis des Schutzrechtsinhabers, kombiniert mit dem Erfordernis der Substantiierung sehr klar und zutreffend benennt. Es werden auch insofern die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, als die Anforderungen an den Tatsachenvortrag des Schutzrechtsinhabers gesenkt werden und die gegnerische Partei stärker in die Pflicht genommen wird. In letzter Konsequenz wirken seine Vorschläge jedoch zu konstruiert, um die Annahme zu begründen, sie stünden im Einklang mit dem geltenden Recht und der ständigen Rechtsprechung und könnten daher auf Vertrauen bei den Rechtsanwendern stoßen. Schließlich ist auch seinen Ausführungen zur Schutzwürdigkeit einer selbstentwickelten patentfreien Abwandlung – also von Betriebsgeheimnissen – und der Entbehrlichkeit des Ausschlusses der Naturalpartei nicht zuzustimmen569.

566

LG Düsseldorf, Urt. V. 16. 12. 1999 – „Doppelkettenstich-Mehrfach-Nadelsteppmaschine“, zitiert nach Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 938; letzterer gibt selbst an, dass das Gericht „nach Erörterung mit der Partei über deren Anhaltspunkte für das Behauptete“ die Feststellung trifft, ob „ins Blaue“ vorgetragen wird (S. 938, unter Verweis auf BGH, NJW 1995, S. 2111, 2111 f.). 567 Vgl. BGH NJW 1991, S. 2707, 2707; BGH, NJW 1988, S. 315, 315; so auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 85; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 5, der zusätzlich angibt, dass die Partei grundsätzlich auch darlegungspflichtig ist – Ausnahme: Beweislastumkehr, „sekundäre Behauptungslast“ – wenn sie keine gesicherte Kenntnis haben kann, ggf. habe sie den Beweis mittelbar zu führen, indem sie Indizien unter Beweis stelle. 568 Mes, Si tacuisses, GRUR 2000, S. 934, 942 schließt seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass „eine gesunde Korrektur zu […] „blindwütig“ aufgestellten Behauptungen“ das „hohe Prozesskostenrisiko das regelmäßig […] mit der Führung von Prozessen des gewerblichen Rechtsschutzes verbunden ist“ sei; diese „Korrektur“ macht allerdings die gesamte Konstruktion fragwürdig. 569 Die Schutzwürdigkeit der patentfreien Abwandlung wird hierbei zu gering bewertet und die informationsbegehrende Partei wird sich kaum von einer wirtschaftlichen Verwertung offengelegter, fremder Betriebsgeheimnisse abbringen lassen, nur weil dies moralisch verwerflich ist.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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II. Die fehlende Erzwingbarkeit der Beweisaufnahme und die Grundsätze der Beweisvereitelung Aus dem Prozessrechtsverhältnis ergeben sich für die Parteien unstreitig bestimmte prozessuale Förderungspflichten. Es zeigt sich jedoch, dass es de lege lata bei dem Grundsatz bleibt, dass die allgemeine Prozessförderungspflicht wie auch prozessuale Mitwirkungspflichten der Parteien bei der Beweisaufnahme nicht erzwingbar sind. Insbesondere besteht grundsätzlich keine Pflicht der gegnerischen Partei, die Inaugenscheinnahme oder Begutachtung von Objekten nach § 371 ZPO zu dulden570. Hieran hat auch die Umgestaltung der §§ 371, 144 ZPO im Kern nichts geändert: Die mittelbare Erzwingung einer Zeugenaussage durch die Festsetzung von Zwangsmitteln gem. §§ 380, 390 ZPO kann nur gegenüber einem Dritten erfolgen571. Wenn die Einnahme des Augenscheines beantragt wurde, kann das Gericht gem. §§ 371 Abs. 2, S. 1, 2. Fall, 144 Abs. 1, S. 1 – 3 ZPO die Augenscheinseinnahme anordnen und einen Dritten zur Vorlage eines Gegenstands oder Duldung einer Maßnahme verpflichten. Im Falle einer unberechtigten Weigerung des Dritten572 kann die Anordnung gem. §§ 144 Abs. 2, S. 2, 390 ZPO durchgesetzt werden573. Anders sieht dies bei der Durchsetzung einer Mitwirkung des Antragsgegners aus. Nur die Abstammungsuntersuchung (§ 372 a ZPO) kann mittelbar und unmittelbar zwangsweise durchgesetzt werden (§ 372 a Abs. 2 ZPO)574. Das Betreten des gegnerischen Grundstücks oder die Untersuchung eines dem Gegner gehörenden Gegenstands kann hingegen nicht erzwungen werden. Wenn der beantragte Augenscheinsbeweis angeordnet wurde, kann der Gegner somit trotzdem seine Mitwirkung verweigern und dem Gericht z. B. das Betreten seines Grundstücks verbieten575. Im Falle der Zumutbarkeit der Anordnung stellen sich die Mitwirkungsverweigerung, respektive das Betretungsverbot, zwar als Verletzung der Prozessförderungspflicht dar, eine Erzwingbarkeit folgt daraus jedoch nicht576. Vielmehr waren in diesem Fall schon bisher bei treuwidrigem, vorwerfbarem Verhalten lediglich die Grundsätze der Beweisvereitelung anzuwenden. Nach der Umgestaltung des § 371 ZPO bestimmt nun Abs. 3 570

Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, Grdz § 128 Rdn. 11 f., Übers. § 371 Rdn. 7; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 200; Musielak/ Stadler, ZPO, § 138 Rdn. 11, § 144 Rdn. 8; Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 19. 571 Z. B. Zöller/Greger, ZPO, § 380 Rdn. 1 ff., § 390 Rdn. 1 ff. 572 Der Dritte ist zur Verweigerung berechtigt, falls die Vorlage oder Duldung die Grenzen der Zumutbarkeit überschreitet oder ein Weigerungsrecht gem. §§ 383 – 385 ZPO analog vorliegt (§ 144 Abs. 2 ZPO); Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 9. 573 Zöller/Greger, ZPO, § 371 Rdn. 6; Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 9. 574 Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, vor § 371 Rdn. 2, § 372a Rdn. 12, 16. 575 Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 19 f.; Baumbach/Lauterbach/Albers/HartmannHartmann, ZPO, Übers. § 371 Rdn. 7; Hök, Beweissicherung, BauR 1999, S. 221, 228. 576 Schulte, (In-)Kompetenzen, NJW 1988, S. 1006, 1009; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann-Hartmann, ZPO, Übers. § 371 Rdn. 7; Kleine-Möller/Merl-Praun/Merl, Baurecht, § 16 Rdn. 200; Hök, Beweissicherung, BauR 1999, S. 221, 225; Wussow, Beweissicherung, NJW 1969, S. 1401, 1406.

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ausdrücklich, dass bei einer Vereitelung der Augenscheinseinnahme durch eine Partei die behaupteten Tatsachen als bewiesen angesehen werden können577. Daraus folgt allerdings auch, dass der sich verweigernden Partei eben nur beweisrechtliche Konsequenzen drohen und damit weiterhin der Einsatz von Zwangsmitteln unzulässig ist578. Auch mit Blick auf die amtswegige Inaugenscheinnahme nach § 144 ZPO gelangt man zu keinem anderen Ergebnis: § 144 Abs. 3 ZPO verweist für das anzuwendende Verfahren wiederum lediglich auf § 371 Abs. 3 ZPO579. Zu der fehlenden Erzwingbarkeit kommt bei der beantragten Inaugenscheinnahme für die beweisbelastete Partei erschwerend hinzu, dass § 371 ZPO anders als bei der amtswegigen Inaugenscheinnahme nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO auch weiterhin nicht die Möglichkeit des Bestehens einer Duldungspflicht der gegnerischen Partei erwähnt. Die Lehre von der Beweisvereitelung kann nun, als einen gesetzlich geregelten Anknüpfungspunkt, den Wortlaut von § 371 Abs. 3 ZPO für sich in Anspruch nehmen. Zuvor wurde mehrheitlich angenommen, dass sich diese Lehre aus einem allgemeinen Rechtsgedanken ergibt, der in den Regelungen zum Urkundenbeweis nach §§ 427, 444 ZPO zum Ausdruck kommt und auch für alle weiteren Beweismittelarten Geltung beanspruchen kann580. Von einer Beweisvereitelung kann gesprochen werden, wenn die nicht-beweisbelastete Partei vor oder während des Prozesses schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – durch eine pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung die an sich mögliche Beweisführung der beweisbelasteten Partei vereitelt581. Dies kann beispielsweise geschehen durch Manipulation von Beweismitteln, Unterlassung einer erforderlichen Dokumentation582, oder eben Verweigerung des Zugangs zu Beweisstücken. Solange die Mitwirkungsverweigerung sich als vorwerf-

577 Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 20; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 371 Rdn. 8; Zöller/Greger, ZPO, § 371 Rdn. 5; Werner/Pastor-Pastor, Bauprozess, Rdn. 86. 578 Zöller/Greger, ZPO, § 144 Rdn. 4, § 142 Rdn. 4; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 77; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 153 f. 579 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 144 Rdn. 23; a.A. König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 154, der nur § 286 ZPO für anwendbar hält. 580 Schulte, (In-)Kompetenzen, NJW 1988, S. 1006, 1009; Hök, Beweissicherung, BauR 1999, S. 221, 226; Musielak/Huber, ZPO, § 444 Rdn. 1; MüKo-Prütting, ZPO, § 286 Rdn. 80 ff.; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 357; Baumbach/Lauterbach/Albers/HartmannHartmann, ZPO, Anh § 286 Rdn. 27, Übers. § 371 Rdn. 8, § 444 Rdn. 4 f.; Zöller/Geimer, ZPO, § 427 Rdn. 1 f., § 444 Rdn. 1. 581 BGH, NJW 1998, S. 79, 81; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 114 Rdn. 21; Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, FG BGH, Bd. III, S. 193, 219; Paulus, Beweisvereitelung, AcP 197 (1997), S. 136, 137. 582 Vgl. zu den Befundsicherungs- und Dokumentationspflichten des Arztes: Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 114 Rdn. 23 f.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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bar darstellt, nimmt die Rechtsprechung je nach Lage des Einzelfalles „Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr“ an583. Allerdings ist dieses Institut aus mehreren Gründen nicht geeignet, dem informationsbedürftigen Schutzrechtsinhaber effektive Hilfen zur Verfügung zu stellen. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich bei dem Institut freilich nicht um ein Instrument der – vorprozessualen – Beweisbeschaffung oder gar Beweisermittlung handelt, ist es kaum anzunehmen, dass das Gericht die Verletzung in Form einer bestimmten Ausführungsform als erwiesen annimmt, wenn die beweisbelastete Partei die verletzende Ausführungsform nicht bereits substantiiert dargelegt hat, was ihr oft schwerfällt, wenn ihr Augenscheinsobjekte vorenthalten werden, so dass sie das Bestehen der Verletzung und die konkrete Verletzungsform nicht ermitteln kann. Wenn sich die verletzungsbezogenen Informationen in der gegnerischen Sphäre befinden, können die Grundsätze dem Schutzrechtsinhaber – wenn überhaupt – nur in den wenigen Fällen helfen, in denen er aufgrund zusätzlich verfügbarer Informationen bereits eine sehr konkrete Vorstellung von Bestehen und Erscheinungsform der Schutzrechtsverletzung hat. Im Übrigen muss die beweisbelastete Partei darlegen, dass die Beweisführung an sich, d. h. ohne die Vereitelung, möglich gewesen wäre, was bei Fehlen eines substantiierten Vortrags ebenfalls nicht in jedem Fall überzeugend gelingen kann. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das Gericht von beweisrechtlichen Schlüssen zu Lasten der sich verweigernden Partei gänzlich absieht, da diese in anerkannter Weise vortragen kann, dass die Verweigerung nicht vorwerfbar ist, da die Gefährdung von Betriebsgeheimnissen die Inaugenscheinnahme unzumutbar erscheinen lässt584. Abschließend ist festzuhalten, dass die Dogmatik der Beweisvereitelung recht unsicher ist und eine gewisse Unklarheit hinsichtlich der Voraussetzungen, Rechtsfolgen und deren Annahme im Einzelfall besteht, so dass die negativen Folgen zu Lasten des Gegners für den nur vermutlich Verletzten besonders schwer kalkulierbar erscheinen585 und er die Prozessführung daher nicht allein auf dieses Institut stützen wird.

583 BGH, GRUR 1995, S. 697, 697; BGH, NJW 1998, S. 79, 81; BGH, NJW 1996, S. 315, 317; BGH, NJW 1983, S. 2935, 2936; Schulte, (In-)Kompetenzen, NJW 1988, S. 1006, 1009; Hök, Beweissicherung, BauR 1999, S. 221, 226; Musielak/Huber, ZPO, § 444 Rdn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 114 Rdn. 21; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 357; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, Anh § 286 Rdn. 27, Übers. § 371 Rdn. 8, § 444 Rdn. 4 f.; Zöller/Geimer, ZPO, § 427 Rdn. 1 f., § 444 Rdn. 1; Wussow, Beweissicherung, NJW 1969, S. 1401, 1406; Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, FG BGH, Bd. III, S. 193, 218 ff.; Paulus, Beweisvereitelung, AcP 197 (1997), S. 136, 139 f. 584 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO, vor § 371 Rdn. 39. 585 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 444 Rdn. 7.

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III. Die Lehre von einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien und deren Mitwirkungspflicht bei der Stoffsammlung Die Lehre von einer (allgemeinen) Aufklärungspflicht der Parteien soll hier vor allem deshalb behandelt werden, weil sie von ähnlichen Prämissen ausgeht, wie sie dieser Arbeit zu Grunde liegen: Es gibt Fälle „typischer Unkenntnis“ der risikobelasteten Partei, und zwar regelmäßig dann, wenn sich der streitige Sachverhalt in der Sphäre des Gegners abspielt, die risikobelastete Partei also keine genaue Kenntnis haben kann586. Diese Fälle struktureller Beweisnot bestehen – wie in dieser Arbeit gezeigt – typischerweise bei der vermuteten Verletzung von Immaterialgüterrechten587. In ihrer Informationsnot stellt die risikobelastete Partei auf bloße Vermutungen gestützte, unsubstantiierte Beweisanträge, welche dann als unzulässiger Ausforschungsbeweis zurückgewiesen werden. Obwohl ein gewisser Verdacht für das Bestehen des Anspruchs spricht und die nicht-risikobelastete Partei die nötigen Informationen in zumutbarer Weise – also spätestens nach der gesetzlichen Einführung eines Geheimverfahrens – liefern könnte, droht die Rechtsdurchsetzung oft an dem Ausforschungsverbot und der Hürde der Substantiierung einerseits und der strukturellen Informationsnot andererseits zu scheitern, bevor eine Sachverhaltsaufklärung überhaupt beginnen kann. Dies erscheint manchen unbillig. Darüber hinaus wird sich bei der Erörterung des Art. 6 der Durchsetzungs-Richtlinie leicht eine gedankliche Verbindung zur Lehre von einer prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien herstellen lassen.

1. Hintergrund der Entstehung der Lehre: Wahrnehmung einer zunehmenden Rechtsfortbildung vor allem im Bereich materieller Informationsbeschaffungsansprüche bei gleichzeitigem formalem Festhalten am „nemo-tenetur-edere-contra-se“-Grundsatz a) Einführung Die Lehre vom Bestehen einer Aufklärungspflicht der gegnerischen Partei in Konstellationen „typischer Unkenntnis“588 entstand nicht nur aus dem Rechtsempfinden heraus, dass der risikobelasteten Partei die Erfüllung ihrer Darlegungs- und Beweislast ermöglicht werden muss, sondern auch deshalb, weil Vertreter dieser Lehre in der Rechtsprechung eine Rechtsfortbildung zugunsten der risikobelasteten Partei wahrnehmen, diese Entwicklung aber unstrukturiert sei oder gar geleugnet werde. So wird beispielsweise geltend gemacht, dass sich das deutsche Recht – zumindest streng nach dem Gesetzeswortlaut – bei einem Zusammentreffen von „Informationsnot“ 586

Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208 f. Vgl. oben unter Einleitung, B. II. 588 Da die Aufklärungspflicht nur Fälle „typischer Unkenntnis“ betrifft, ist sie nicht allgemein; vgl. unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. b). 587

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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und der Gefahr einer „unbegründeten Verfahrenseinleitung“ auf Basis bloßer Behauptungen zugunsten der „Verhinderung der unbegründeten Verfahrenseinleitung“ entscheide, indem immer eine Substantiierung der Behauptungen gefordert werde. Dennoch sei es zu Rechtsfortbildungen gekommen. Dies sei der Tatsache geschuldet, dass sich das „deutsche System der Sachverhaltsermittlung“ wie es sich de lege lata darstelle, aus Billigkeitsgründen „nicht durchzuhalten“ sei. Daher sei das geltende Grundprinzip in vielen Fällen durchbrochen worden, es werde aber „vordergründig […] so getan, als ob die theoretische Konzeption beibehalten“ werde589. b) Rechtsfortbildungen Zutreffend ist, dass Gesetzgeber, Rechtsprechung und Lehre sowohl in Verfolgung des materiellen als auch des prozessualen Lösungsansatzes rechtsfortbildend tätig waren und im Ergebnis den von der nicht-risikobelasteten Partei geforderten Aufklärungsbeitrag ausgebaut haben. (1) Materielles Recht Betrachtet man die materiellen Auskunfts-, Rechnungslegungs- und Vorlageansprüche, fällt auf, dass diese von der Rechtsprechung tatsächlich zunehmend großzügiger gehandhabt590 oder vom Gesetzgeber neu eingeführt wurden. Neben dem § 809 BGB591 trifft dies beispielsweise auch auf den von der Rechtsprechung aus § 242 BGB entwickelten Auskunftsanspruch zu. Zwar wird ein allgemeiner – im Sinne eines voraussetzungslosen – Auskunftsanspruch abgelehnt592. Ausgehend vom Warenzeichenrecht593 wurde aber im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht gegenüber dem Verletzer ein allgemeiner auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung gerichteter Anspruch, gestützt auf §§ 259, 260 i.V.m. § 242 BGB, begründet, um dem Verletzten die Bezifferung, d. h. Substantiierung, seines dem Grunde nach feststehenden Ersatzanspruchs zu ermöglichen594. Auch im allge-

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Siehe zu dieser Einschätzung Lang, Aufklärungspflicht, S. 88 f. Peters, Prozessförderungspflicht, FS Schwab 1990, S. 399, 405; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 606; Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 534. 591 Großzügigere Auslegung des Besichtigungs- und Vorlegungsanspruches bei BGH, GRUR 2002, S. 1015 ff. – „Faxkarte“ im Vergleich zu BGH, GRUR 1985, S. 512 ff. – „Druckbalken“. 592 BGHZ 74, S. 379, 380; BGH ZZP 104 (1991), S. 203, 207, = BGH, NJW 1990, S. 3151 ff. – „allg. Aufklärungspflicht“. 593 RGZ 108, S. 1, 7 – „Lachendes Gesicht“. 594 BGH, GRUR 1986, S. 62, 64 – „GEMA-Vermutung I“; BGH GRUR 1980, S. 227, 232 f. – „Monumenta Germaniae Historica“; damals skeptisch Tilmann, Auskunftsanspruch, GRUR 1987, S. 251, 252 f. 590

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

meinen Zivilrecht ist mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt595, dass dieser Auskunftsanspruch nach § 242 BGB besteht, falls der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die nötigen Informationen nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann, der Verpflichtete die Information unschwer geben kann und eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem besteht596. Im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse – somit auch bei der Verletzung geistigen Eigentums – ist erforderlich, dass die Rechtsverletzung bereits feststeht597. Nach der Rechtsprechung muss auch im Bereich existierender vertraglicher Sonderbeziehungen generell der streitige Anspruch dem Grunde nach bestehen. Um keinen allgemeinen Auskunftsanspruch zu etablieren, dürfe nur noch der Inhalt des Anspruchs fraglich sein598. Das die Informationsbeschaffung begrenzende Kriterium ist vor allem das Erfordernis des Nachweises einer rechtlichen Sonderverbindung, so dass der Anspruch dem Prinzip nach keinesfalls dazu dient, das Bestehen eines Anspruchs erst zu ermitteln. Aber auch dieses Kriterium hat die Rechtsprechung im Einzelfall zur Überwindung eines typischen Informationsdefizits sehr nachgiebig interpretiert599. Teilweise hielt man innerhalb bestehender Rechtsbeziehungen die bloße Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Hauptanspruchs für ausreichend600. In den sogenannten GEMA-Fällen wurde ein Anspruch auf „Grundauskunft“ hinsichtlich einer Vielzahl von Handlungen zuerkannt, obwohl die GEMA nicht nur über den Umfang, sondern auch über das Bestehen einer Rechtsverletzung im Ungewissen war. Anknüpfungspunkt für die Auskunftspflicht war dabei, dass vorangegangene Handlungen frühere, an sich abgeschlossene, rechtliche Beziehungen begründet hatten601. Im Zusammenhang mit der Ausdehnung materieller Informationsansprüche sei noch auf die durch das Produktpirateriegesetz 1990 eingeführten Auskunftsansprüche gem. §§ 140 b PatG, 101 a UrhG, 19 MarkenG usw. hingewiesen602. Diese Ansprüche auf Drittauskunft dienen dazu, die Identität weiterer möglicher Schutzrechts595

Köhler, Schadensersatz-, Bereicherungs- und Auskunftsanspruch, NJW 1992, S. 1477, 1480; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 5; Wandtke/Bullinger-v.Wolff, UrhG, § 97 Rdn. 43. 596 BGHZ 10, S. 385, 387; BGHZ 61, S. 180, 184; BGHZ 74, S. 379, 380 f.; BGH ZZP 104 (1991), S. 203, 207 = BGH, NJW 1990, S. 3151 ff. – „allg. Aufklärungspflicht“. 597 Tilmann, Schutz gegen Produktpiraterie, BB 1990, S. 1565, 1569. 598 BGHZ 74, S. 379, 380 f. 599 Vgl. Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 606. 600 BAG, BB 1967, S. 839, 839 f., unter Hinweis auf Lüderitz, Ausforschungsverbot, S. 32 ff.; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 5. 601 BGH, GRUR 1986, S. 66, 69 – „GEMA-Vermutung II“; BGH, NJW 1989, S. 389, 390 = BGH, GRUR 1988, S. 604, 605 – „Kopierwerk“; vgl. hierzu auch Schlosser, Wirtschaftsprüfervorbehalt, FS Großfeld, S. 997, 999, der der Auffassung ist, dass die Rechtsprechung das Erfordernis des Bestehens einer „Grundbeziehung“ bei Angewiesenheit auf die Information „sehr strapaziert“, jedoch nicht aufgehoben hat. 602 Vgl. z. B. Tilmann, Schutz gegen Produktpiraterie, BB 1990, S. 1565, 1565 ff.

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verletzer zu ermitteln und die Quellen und Vertriebswege schutzrechtsverletzender Ware offenzulegen603. Erforderlich ist allerdings, dass der Auskunftsschuldner selbst objektiv rechtswidrig – nicht notwendigerweise schuldhaft – ein fremdes Schutzrecht verletzt hat604. Neben der Einführung der Ansprüche ist hier anzumerken, dass vereinzelt in der Rechtsprechung versucht wurde, das letztgenannte anspruchsbegrenzende Kriterium zu umgehen. Contra legem sollten nach § 101a UrhG (analog) rechtmäßig handelnde Internet-Service-Provider Auskunft erteilen über die Identität ihrer rechtsverletzenden Nutzer605. (2) Prozessrecht Im Prozessrecht ergeben sich gesetzliche Pflichten der nicht-risikobelasteten Partei einen Aufklärungsbeitrag zu leisten beispielsweise im Rahmen der verschiedenen Pflichten zur beantragten Urkundenvorlage (vgl. §§ 422, 423, 421, 424, 425, 427 ZPO), bei der Pflicht zur Duldung einer Abstammungsfeststellung (vgl. § 372a ZPO), im Rahmen der beantragten oder amtswegigen Parteivernehmung (vgl. §§ 445, 446, 448 ZPO), und schließlich bei der amtswegigen Anordnung der Vorlage von Urkunden oder anderen Gegenständen (vgl. §§ 142, 144 ZPO). Wie bereits aufgezeigt606, hat die Rechtsprechung daneben in Abweichung von den Grundsätzen der Erklärungslast des Prozessgegners nach § 138 Abs. 2 ZPO – Bestehen und Umfang der Erwiderungspflicht des Gegners sind abhängig vom Grad der Substantiierung der Erklärungen der darlegungsbelasteten Partei607 – zur Überwindung von typischen Informationsdefiziten im Einzelfall eine „sekundäre Behauptungslast“ der nicht-darlegungspflichtigen Partei angenommen608. 603

Z. B. Dreier/Schulze-Dreier, UrhG, § 101a Rdn. 1, m.w.N. Dreier/Schulze-Dreier, UrhG, § 101a Rdn. 6. 605 LG Hamburg, Urt. v. 7.7. 2004, CR 2005, S. 136, 136 ff. Zustimmend: Czychowski, Auskunftsansprüche gegen Internetzugangsprovider, MMR 2004, S. 514, 516 f.; Nordemann/ Dustmann, to peer or not to peer, CR 2004, S. 380, 386. Zurecht einen analogen Anspruch verneinend Kitz, Auskunftspflicht des Zugangsvermittlers, GRUR 2003, S. 1014, 1017; Schlegel, Anm. LG Hamburg, CR 2005, S. 136, 144 f.; Spindler/Dorschel, Auskunftsansprüche gegen Internet-Service-Provider, CR 2005, S. 38, 40; Sieber/Höfinger, Drittauskunftsansprüche gegen Provider, MMR 2004, S. 575, 577; Spindler/Dorschel, Vereinbarkeit der geplanten Auskunftsansprüche gegen Internet-Provider mit EU-Recht, CR 2006, S. 341, 341. So wünschenswert ein solcher Anspruch wäre, er entspricht nicht der geltenden Rechtslage. Abhilfe schafft hier in Zukunft die Umsetzung von Art. 8 Durchsetzungs-Richtlinie in deutsches Recht. 606 Siehe dazu ausführlicher oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. I. 607 Musielak/Stadler, ZPO, § 138 Rdn. 10; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rdn. 8a. 608 Insbesondere wenn sich die strittigen Umstände in der Sphäre des Prozessgegners abspielen, das heißt, wenn die an sich darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Umstände besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind, trägt der Prozessgegner im Einzelfall ausnahmsweise eine Last zum substantiierten Bestreiten, obwohl die an sich darlegungspflichtige Partei nicht substantiiert vorgetragen hat. Vgl. hierzu oben ausführlich unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. I. 1. Die hierzu ergangene Rechtsprechung wird 604

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Das Erkennen einer Sphären-Problematik hat teilweise auch die Lehren um die Beweislastverteilung beeinflusst. Grundsätzlich richtet sich die Verteilung der Beweislast nach dem materiellen Recht. Es gilt eine ungeschriebene Grundregel, wonach jede Partei die ihr günstigen Tatsachen zu beweisen hat, die durch ausdrückliche gesetzliche Regelungen ergänzt und durchbrochen wird. Die Beweislastverteilung ist dabei Ausdruck einer wertenden und „generalisierenden Risikoverteilung“609. Sie muss auch Fälle der Beweislosigkeit trotz voller Aufklärungsanstrengungen beider Parteien nach den Maßstäben materieller Gerechtigkeit überzeugend regeln610. Daher richten sich zumindest diese feststehenden Beweislastgrundregeln nicht nach Gefahrenbereichen oder besseren prozessualen Aufklärungsmöglichkeiten611. Darüber hinaus gehend entstand aber im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung eine umfangreiche Kasuistik, welche Beweiserleichterungen und Beweislastumkehrungen abweichend von den Grundregeln annahm612. Einige wollen mit Blick auf diese Kasuistik erkennen, dass die Rechtsprechung die Beweislast oder wenigstens die Pflicht zur Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation zunehmend – wiederum unter zahllosen Durchbrechungen im Detail – nach Gefahrenbereichen und ausschließlichen Einflusssphären verteilt hat613. Selbst wenn man dieser sehr weitgehenden Bewertung nicht zustimmt, so lässt sich doch sagen, dass die anerkannte Grundregel zu einem zwischen Sozialbereichen unterscheidenden, differenzierten System wechselnder „Informationsbeschaffungslasten“ weiterentwickelt wurde614. Auch die Grundsätze der Beweisvereitelung berücksichtigen zumindest im Ergebnis die Schwierigkeiten der beweisbelasteten Partei Vorgänge im Einflussbereich des Gegners zu beweisen615. Teilweise wird aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung, teilweise als „ausufernd und unberechenbar“ kritisiert (vgl. Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 34d). 609 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 17. 610 Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 238. 611 Kur, Beweislast und Beweisführung, S. 51; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 238; mit abw. Begründung Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 223 ff. 612 Vgl. zur Kasuistik die Rechtsprechungsübersichten bei Musielak/Foerste, ZPO, § 286 Rdn. 38 ff.; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 19 ff.; jeweils unter Hinweis auf Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1 – 4; Musielak/Foerste, ZPO, § 286 Rdn. 64, spricht im Hinblick auf die Beweislastumkehr bei unterbliebener „Befundsicherung“ auf Ärzte und Warenhersteller von einer „Aushöhlung der gesetzlichen Beweislastverteilung“. 613 Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 65 ff., 72 ff.; Thomas/ Putzo-Reichold, ZPO, vor § 284 Rdn. 25 ff.; a.A. Schilken, Zivilprozessrecht, Rdn. 506; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 213 ff.; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, S. 127 f.; wohl auch Kur, Beweislast und Beweisführung, S. 52 f., 66; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 238, der annimmt, dass auch in diesen Fällen die „Nähe zur materiellen Rechtsfolge“ die Beweisrisikoverteilung regelt und nicht die Aufklärungsmöglichkeit. 614 Paulus, Discovery, ZZP 104 (1991), S. 397, 406; Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 535. 615 Nach diesen Grundsätzen hat das prozessuale Verhalten der Parteien Einfluss auf die Beweiswürdigung, und zwar dann, wenn eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vor oder während des

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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insbesondere aus der Obliegenheit die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung zu erkennen und dies in das eigene Verhalten einzubeziehen, das Bestehen einer vorprozessualen Beweiserhaltungspflicht gefolgert. Dabei glaubt man, diese Beweiserhaltungspflicht nicht nur materiell – bei bestehenden Sonderbeziehungen616 –, sondern auch rein prozessual begründen zu können – z. B. bei ausschließlichen Deliktsrechtsstreitigkeiten617. Hier ist zunächst bemerkenswert, dass wiederum – einem offenbar bestehenden Bedürfnis folgend – einzelne gesetzliche Regelungen (§§ 444, 427, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs.1 ZPO) auch in der Rechtsprechung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens interpretiert und über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus stark ausgedehnt wurden. Der Gedanke einer negativen Beweiswürdigung bei einer Vereitelung der Mitwirkung findet sich schließlich jetzt nicht nur in Rechtsprechung und Lehre, sondern auch ausdrücklich in § 371 Abs. 3 ZPO n.F. Insgesamt lässt sich somit tatsächlich festhalten, dass der gesetzliche status quo der Informationsbeschaffung von einigen oftmals offenbar als unzureichend empfunden wird. Jedoch sind mit Blick auf die erwähnten Instrumente zahlreiche Anstrengungen erkennbar, um die Rechtslage den tatsächlichen Bedürfnissen anzupassen618. 2. Die Lehre von einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien Die Frage, ob, inwiefern und auf welcher Rechtsgrundlage die nicht-risikobelastete Partei Aufklärungsbeiträge leisten muss, lässt sich – wie bereits erwähnt – auf der Grundlage zweier entgegengesetzter Lösungsmodelle beantworten: Einer prozessualen und einer materiellrechtlichen Lösung619. Verfahrens vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder deren Benutzung erschwert oder indem sie zumindest fahrlässig die Aufklärung eines bereits eingetretenen Schadensereignisses unterlässt, um dadurch die Entstehung eines Beweismittels zu verhindern, obwohl die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung für sie bereits erkennbar sein musste; vgl. ausführlich oben unter 1 Teil, 2. Abschnitt, B. II.; sowie BGH, NJW 1986, S. 59, 59; BGH, NJW 1987, S. 1482, 1482; BGH NJW 1998, S. 79, 81; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 286 Rdn. 17. 616 Siehe z. B. zur nebenvertraglichen Befundsicherungs- bzw. Dokumentationspflicht des Arztes BGH, NJW 1996, S. 779, 780 f.; BGH NJW 1993, S. 2375, 2376; Musielak/Foerste, ZPO, § 286 Rdn. 39. 617 Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 241, als weiteren Hinweis für das Bestehen einer Basis einer allgemeinen Aufklärungspflicht in der Rechtsprechung. 618 Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 535; Paulus, Discovery, ZZP 104 (1991), S. 397, 402 ff.; Messer, Schutz des Schwächeren, FS 50 J. BGH, S. 67, 68 ff., 77 f., bezeichnet diese Anstrengungen im Einzelfall jedoch als „konturenlos und ohne Überzeugungskraft“. 619 Am nächsten kommt dem geltenden Gesetzesrecht in der Auslegung der Rechtsprechung wohl ein prozessual und materiell gemischtes Modell, das die Passivität der gegnerischen Partei als die Regel begreift und die sicher stark zunehmenden Mitwirkungspflichten entweder materiellrechtlich oder prozessual begründet, siehe Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 212 f.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Eine prozessuale Lösung bietet die so genannte Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess bzw. deren Mitwirkungspflicht bei der Stoffsammlung an. Die Vertreter dieser Lehre nehmen für sich in Anspruch die erwähnten Rechtsfortbildungen in allen Bereichen – die sich ihnen als langsam in die richtige Richtung gehend, aber ansonsten „undurchdringlicher Wildwuchs“620 darstellen – dogmatisch zu verarbeiten und zu erklären. Darüber hinaus wird das Bestehen weitergehender, allgemeiner, jedoch nicht voraussetzungsloser – insofern ebendoch nicht allgemeiner – Aufklärungspflichten zu begründen versucht621.

a) Die ersten Vertreter einer prozessualen Aufklärungspflicht Schon 1939 erkannte von Hippel die Problematik der prozessualen Informationsbeschaffung. Er forderte die umfassende Geltung einer Aufklärungspflicht, welche vollumfänglich auch die Parteien erfasst. Nur im Falle entgegenstehender Interessen, wie z. B. der Unzumutbarkeit einer Aufklärung, entfalle die Aufklärungspflicht. Verbunden ist dieses frühe Modell freilich noch mit einer grundsätzlichen Kritik an der Verhandlungsmaxime622. Im Gegensatz dazu sehen sich die Vertreter der prozessualen Aufklärungspflicht heute gerade nicht mehr im Gegensatz zur Verhandlungsmaxime. Nach Lüderitz neutralisieren sich regelmäßig das Informationsinteresse der einen Partei und das Geheimhaltungsinteresse der anderen Partei, so dass grundsätzlich keine Aufklärungspflichten entstehen. Das Informationsinteresse setze sich allerdings durch, wenn die eigentlich unsubstantiierte Behauptung durch den Vortrag von Anhaltspunkten eine gewisse Wahrscheinlichkeit erlange623. Für diesen Bereich der Wahrscheinlichkeit unterhalb der Schwelle der vollständigen Substantiierung entwickelt er verschiedene Arten von Mitwirkungspflichten. Differenziert nach dem Grad der Kenntnis der beweisbelasteten Partei reichen diese von einer Verstärkung der gegnerischen Erwiderungslast über eine Umkehr der Darlegungslast bis hin zu einem materiellen Auskunftsanspruch624. Zwar lehnt er einen allgemeinen Auskunftsanspruch ab; er verzichtet aber auf das anerkannte Erfordernis einer feststehenden Sonderbeziehung und billigt ein Auskunftsrecht bereits dann zu, wenn ohne Rücksicht auf bestehende derartige Beziehungen nur eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Hauptanspruchs spricht625. 620

So Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599. Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 242, 256; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208 f., 212; Stürner, Beweislastverteilung und Beweisführungslast, FS Stoll, S. 691, 700 f.; Roth, Rezension Lang, ZZP 113 (2000), S. 503, 506. 622 von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, 1939, S. 235, 287 ff., 336 f. 623 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, S. 27 f. 624 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, S. 29 ff. 625 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, S. 32 ff., 35. 621

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b) Die Stürnersche Lehre von einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien Nachdem schon Peters in Analogie zu einzelnen Vorschriften eine allgemeine Mitwirkungspflicht vertreten hatte626, entwickelte Stürner, vor allem auch mit Blick auf die Entwicklung der richterlichen Rechtsfortbildung und einzelne Hinweise im Gesetz627, die eigentliche Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess: Danach folge aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip der Anspruch des Einzelnen auf die Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dies schließe auch im Zivilrecht die umfassende tatsächliche Prüfung des Streitgegenstandes ein. Zusammen mit dem einen der mehreren Zwecke des Zivilprozesses, nämlich der Ermittlung der materiellen Wahrheit, folge daraus ein verfassungsrechtlich geschützter Anspruch auf ein der Wahrheitsfindung dienendes Verfahren, welches gerade auch die Parteien selbst als Informationsquelle einschließe, sofern keine anderen verfassungswerten Güter entgegenstünden628. Außerdem wertet diese Lehre bestimmte einzelne Regelungen – wie z. B. das „Vorschriftenpaket“ des § 138 Abs. 1 – 4 ZPO und hierbei insbesondere die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht sowie die Erwiderungslast – nicht als isolierte Normen, sondern als „lückenhafte Normierung“ einer bereits bestehenden Aufklärungspflicht629. Gleichzeitig würden durch die Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht nur die längst vorliegenden richterlichen Rechtsfortbildungen zur Kenntnis genommen, dogmatisch verarbeitet, systematisiert und nur punktuell ausgeweitet630. Eine Mitwirkungspflicht der gegnerischen Partei gebe es ansatzweise bereits in vielen Bereichen, beispielsweise als „sekundäre Behauptungslast“ oder als Umkehr der Beweislast. Die Unkalkulierbarkeit631 und Uferlosigkeit der Einzelfallrechtsprechung müsse aber beendet und das

626 Peters, Beweisvereitelung und Mitwirkungspflicht, ZZP 82 (1969), S. 200, 200 f., 208 ff.; vgl. zum Ganzen auch Peters, Ausforschungsbeweis, S. 1 ff. 627 Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 212; vgl. auch Henckel, Rezension, ZZP 92 (1979), S. 100, 100; Yoshida, Informationsbeschaffung, S. 49 f. 628 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff., 42 ff, 46 f., 48 ff., 56; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 248 f. unter Verweis auf BVerfGE 54, S. 277, 291; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 212, 215 f. 629 Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 213 f. 630 Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 240 f., 242 f., 256; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 212, 214; insofern zustimmend Jauernig, Zivilprozessrecht, § 55 III Nr. 2, der im Einzelfall beim Urkundenbeweis auch die Entwicklung hinzu einer allgemeinen „Editionspflicht“ beobachtet; obwohl diese Lehre ablehnend, schreibt Messer, Schutz des Schwächeren, FS 50 J. BGH, S. 67, 77 in Bezug auf Tendenzen der Rechtsprechung: „Was unterscheidet diese Begründung noch von einer allgemeinen Aufklärungspflicht…?“. 631 Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599; Peters, Prozessförderungspflicht, FS Schwab, S. 399, 406; Greger, Justizreform?, JZ 2000, S. 842, 847; Lang, Aufklärungspflicht, S. 94 ff.

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Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt werden632. Die vielerorts noch vorhandenen Lücken könnten und sollten weder durch eine Überdehnung materieller vorprozessualer Auskunftsansprüche noch durch Einführung einer amtswegigen richterlichen Untersuchungstätigkeit geschlossen werden, sondern nur durch prozessuale Aktivierung und Befähigung der Parteien im Rahmen der Verhandlungsmaxime633. Voraussetzung für das Entstehen der Aufklärungspflicht der nicht-risikobelasteten Partei ist nach dieser Lehre ein substantiierter Vortrag oder in Fällen „typischer Unkenntnis“ eine allgemeine Behauptung der risikobelasteten Partei, sofern zumindest Anhaltspunkte die Behauptung plausibel machen634. Sofern diese Anhaltspunkte vorliegen, wird die Schwelle der Substantiierung abgesenkt. Gestützt auf eine Gesamtanalogie zu den §§ 138 Abs. 1 und 2, 423, 445 ff., 372a ZPO und § 656 Abs. 1 ZPO a.F. wird argumentiert, dass der Gegner sodann seiner Aufklärungspflicht zu genügen habe. Dieser habe ausführlich darzulegen und alle zumutbaren Aufklärungsbeiträge zu leisten, d. h. insbesondere Auskunft zu geben über erhebliche Tatsachen und die Existenz von Beweismitteln, die Besichtigung und Untersuchung von Augenscheinsobjekten zu dulden sowie Urkunden vorzulegen635. Folge einer vorwerfbaren Nichterfüllung dieser Pflicht ist nach dieser Lehre jedoch wiederum nicht die Erzwingbarkeit der Aufklärungsbeiträge, sondern, ähnlich wie in den Beweisvereitelungsfällen636 eine widerlegbare Fiktion der Wahrheit der behaupteten Tatsachen, falls dies im Einzelfall der richterlichen Beweiswürdigung nicht zuwider laufe637. Das Erfüllen dieser Aufklärungspflicht lässt die objektive Beweislast, also das Risiko der Beweislosigkeit („non liquet“), unangetastet. Nur die Beweisführungslast wird entgegen dem Grundsatz „Beweislast ist gleich Beweisführungslast“ neu geregelt: Vorsichtig kann man formulieren, die Verteilung der Beweisführungslast bleibt unverändert, die Aufklärungspflicht soll nur ihre Bewältigung erleichtern; dramatischer könnte man auch sagen, Beweislast und Beweisführungslast würden teilweise getrennt. „Non liquet“-Situationen und dadurch Beweislastentscheidungen werden jedenfalls in der Regel verringert. Damit nimmt möglicherweise die Bedeutung

632 Schlosser, Prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599, 604 ff.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 212, 214, 213: Die Ergebnisse der Einzelfallrechtsprechung seien „vielfach gleich oder ähnlich“. 633 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 62 ff.; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 245 f., 254 f.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 214 f; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 606 ff. 634 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 112 ff., 119 ff; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 251 f.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208. 635 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 92 ff, 134 ff.; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 250 f.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208 f. 636 Nach §§ 444, 427 analog ist der Vortrag der risiko-belasteten Partei „als erwiesen“ anzusehen. 637 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 242 ff.; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 253 f.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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der objektiven Beweislast ab638. Die Sanktion bei einem Nichterfüllen der Aufklärungspflicht entspricht im Ergebnis einer Beweislastumkehr. c) Meinungsstreit (1) Literatur Zwar gab es auch zustimmende Stellungnahmen639, neben differenzierenden Standpunkten640 überwog in der Literatur aber lange Zeit die klare Ablehnung dieser Lehre641. Erst in jüngerer Zeit erfährt sie zunehmend Zuspruch – dabei zumindest teilweise als Reformüberlegung de lege ferenda642.

638

Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rdn. 34; Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237,

255 f. 639 Henckel, Rezension, ZZP 92 (1979), S. 100, 100 ff.; Schlosser, Zivilprozessrecht I, Rdn. 426 ff.; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 599 ff., 607 f.; Peters, Prozessförderungspflicht, FS Schwab, S. 399, 407 f.; MüKo-ZPO/Peters, § 138 Rdn. 22; Stadler, Schutz des Unternehmensgeheimnisses, S. 80 ff.; wohl auch Grunsky, Zivilprozessrecht, Rdn. 43 mit dem Hinweis „das gerechte Urteil bleibt das Ziel des Prozesses“; teilweise auch Jauernig, Zivilprozessrecht, § 55 III Nr. 2, der ausführt, „die Praxis“ habe beim Urkundenbeweis eine über die ZPO hinausgehende, „praktisch: eine allgemeine Vorlegungspflicht des Gegners entwickelt“. 640 Zumindest differenzierend aber: Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 13. Aufl. 1981, § 118 VI Nr. 3, der eine allgemeine Aufklärungspflicht ablehnt, aber eine Aufklärungspflicht im Einzelfall als Analogie auch zu prozessualen Vorschriften für möglich hält; ebenso Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, § 118 VI Nr. 2, der auch die allgemeine Aufklärungspflicht ablehnt, aber klarmacht, dass der von der Rechtsprechung betonte Grundsatz „niemand müsse dem Gegner das Material verschaffen, über das er nicht von sich aus verfüge“ in dieser Form im Prozessrecht keine Geltung mehr habe. 641 Arens, Aufklärungspflicht, S. 10 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 137 ff.; MüKoZPO/Prütting, § 286 Rdn. 125; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22; Thomas/PutzoReichold, ZPO, § 138 Rdn. 12; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rdn. 55; Winkler v. Mohrenfels, Abgeleitete Informationsleistung, S. 212 ff.; Schilken, Auskunft und Vorlegung, Jura 1988, S. 525, 532; Brehm, Bindung des Richters, S. 24 ff., 62 ff.; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 3; Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 234 f.; Messer, Schutz des Schwächeren, FS 50 J. BGH, S. 67, 78 f.; auch noch Gottwald, Anm. zu BGH, ZZP 92 (1979), S. 364, 365 ff.; und nach seinen Reformbemühungen (siehe nächste Fn.) jetzt de lege lata Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 8; Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 f.; Prütting, Geistiges Eigentum, FS Bartenbach, S. 417, 421 ff. 642 Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 43 ff., 57 ff. 61 ff.; Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 465 ff., 467 f.; Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 533 ff.; Musielak/Stadler, ZPO, § 138 Rdn. 11; die Einführung genereller prozessualer Aufklärungspflichten de lege ferenda fordernd: Gottwald, Gutachten, S. A 15 ff., A 19; Greger, Zivilprozess der Zukunft, JZ 1997, S. 1077, 1080; Greger, Justizreform?, JZ 2000, S. 842, 847; Lang, Aufklärungspflicht, S. 264 ff.; Roth, Rezension Lang, ZZP 113 (2000), S. 503, 506; Roth, Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), S. 271, 291 f.; wohl auch Paulus, Discovery, ZZP 104 (1991), S. 397, 409; die Tatsache einer „Wende“ zumindest konstatierend Prütting, Geistiges Eigentum, FS Bartenbach, S. 417, 423.

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Scharfe Kritik kommt vor allem von einem Teil der Literatur, der die Lösung gegebenenfalls bestehender Informationsprobleme der risikobelasteten Partei alleine im materiellen Recht sieht und daher eventuell vorhandene Aufklärungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei ausschließlich vom Bestehen entsprechender materieller Ansprüche abhängig machen will (materiellrechtliche Lösung). Die Vertreter dieser Rechtsauffassung bringen vor, dass das materielle Recht keine ausdrücklichen Ansprüche auf Aufklärung per se kenne und die übrigen Fälle sich unter Rückgriff auf den Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) befriedigend lösen ließen, sofern eine rechtliche Sonderbeziehung bestehe. Ein allgemeiner Auskunftsanspruch werde im materiellen Recht gerade abgelehnt und könne nicht durch die Hintertüre im Prozessrecht eingeführt werden643. Insgesamt liegt dieser Auffassung die Annahme einer dienenden Funktion des Prozessrechts zu Grunde, welches als reines Verfahrensrecht nur bezweckt, die Durchsetzung von materiellen Ansprüche zu ermöglichen, jedoch – auch nicht zu diesem Durchsetzungszweck – keine neuen gegenseitigen Ansprüche begründet644. Diese Aufgabenteilung und der bloße Bezug der ZPO auf das materielle Recht zeige sich an dem Institut der Stufenklage (§ 254 ZPO) und an dem Erfordernis eines materiellen Anspruches für die Urkundenvorlage nach § 422 ZPO645. Zudem werden die von Stürner genannten Vorschriften als Basis für eine Analogie für nicht ausreichend erachtet. Es handele sich hierbei um Ausnahmen und nicht um ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip. Verwiesen wird dabei vor allem auf die Vorschrift des § 423 ZPO (prozessuale Urkundenvorlagepflicht), deren Ausnahmecharakter anerkannt sei. Hinsichtlich des § 138 ZPO betont die Kritik einseitig den Grundsatz, dass die Erwiderungslast nicht aufgrund pauschaler Behauptungen entstehe, sondern nur durch einen substantiierten Vortrag begründet werden könne646. Die Relativierung dieses Arguments durch die Rechtsprechung zur „sekundären Behauptungslast“ hätte hier allerdings ebenfalls zur Kenntnis genommen werden müssen. Gleichzeitig wird davor gewarnt, den Prozesszweck der Wahrheitsfindung absolut zu setzen. Ziel sei die Ermittlung der Wahrheit auf faire, verfahrensgemäße Weise. Verfahrensgemäß im Sinne der ZPO sei aber die Wahrheitsfindung gemäß dem Prinzip der Parteiherrschaft und der Rücksichtnahme auf entgegenstehende Interessen647.

643 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22; Arens, Aufklärungspflicht, S. 21 f.; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 3. 644 Prütting, Geistiges Eigentum, FS Bartenbach, S. 417, 422; übersehen wird hierbei freilich, dass aus dem „Prozessrechtsverhältnis“ als solchem wechselseitige und echte Parteipflichten folgen können, vgl. Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 539; Lüke, Betrachtungen zum Prozessrechtsverhältnis, ZZP 108 (1995), S. 427, 443. 645 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22; Arens, Aufklärungspflicht, S. 21 f.; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 3. 646 Arens, Aufklärungspflicht, S. 13; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 138. 647 Arens, Aufklärungspflicht, S. 11 f.; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22; Brehm, Bindung des Richters, S. 27.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Mit der gegenteiligen Ansicht ist hierauf aber zu erwidern, dass sich die zutreffende Anerkennung entgegenstehender Interessen im Sinne der Gerechtigkeit, aber auf besonders gewichtige verfassungsrechtlich geschützte Gegeninteressen beschränken muss und nur ausnahmsweise die Wahrheitsfindung verwehren darf. Ein schützenswertes Recht auf Passivität und Blockade um des Prozesssieges willen ist nicht anzuerkennen und überwiegt nicht das Wahrheits- und Gerechtigkeitsinteresse648. Kritisiert wird von der herrschenden Ansicht letztlich vor allem, dass eine allgemeine Aufklärungspflicht unvereinbar sei mit dem anerkannten System des geltenden Zivilprozessrechts: Die Rechtsunsicherheiten und Unklarheiten bei den Voraussetzungen und der Feststellung einer Verletzung der Aufklärungspflicht sowie der zu weit reichende Inhalt der Pflicht führten zu einem enormen Beurteilungsspielraum des Richters „auf Kosten der Parteirechte“. Ebenso befürchtet wird die Aufhebung der Anerkennung einer Privat- und Freiheitssphäre und eines prozessfreien Raumes des Prozessgegners durch die geltende Prozessordnung. Umfassende Aufklärungspflichten der Parteien bei gleichzeitiger Beweiswürdigungsmacht und Verhandlungsleitung durch den Richter würden im Ergebnis auf eine richterliche Untersuchungsmaxime hinauslaufen, somit den tragenden Verhandlungsgrundsatz, wonach die Parteien bestimmen, welche Tatsachen beigebracht und Grundlage des Urteils werden, beseitigen und die Richtermacht stärken649. Obwohl die objektive Beweislast im Sinne einer Risikoverteilung durch die Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht formal nicht angetastet wird, nehmen die Kritiker der prozessualen Aufklärungspflicht durch die partielle Verlagerung der Aufklärungslast gravierende Auswirkungen auf die Bedeutung der objektiven Beweislast an. Durch dieses partielle Auseinanderfallen von Beweis- und Aufklärungslast sehen die Kritiker letztlich das Wesen des kontradiktorischen Verfahrens in Gefahr650. Dazu wird von den Vertretern einer prozessualen Aufklärungspflicht zu Recht erwidert, dass Rechtsunsicherheit und wachsende Richtermacht eher bei unkalkulierbarer Einzelfallrechtsprechung zu erwarten seien. Im Übrigen würden verstärkte Auf648 Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 246; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 215 f. Richtigerweise soll es einen liberalistischen „Kampf ums Recht“, bei dem der Gewieftere gewinnt („sporting theory of justice“), entsprechend dem geltenden Verfassungsverständnis und der – auch – sozialen Funktion des Zivilprozesses so nicht mehr geben, vgl. Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 600, 603 f.; Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 536 f.; Greger, Zivilprozess der Zukunft, JZ 1997, S. 1077, 1077 ff. Davon zu trennen ist freilich die Frage, ob die liberale Rechtsordnung nicht eine Freiheitssphäre anerkennt, in die nur im zu begründenden Einzelfall einzugreifen ist. So dass auch bei weiterhin auszudehnenden Mitwirkungspflichten, das Regel-Ausnahme-Verhältnis aus prinzipiellen Erwägungen nicht umzukehren wäre. 649 Arens, Aufklärungspflicht, S. 14 ff., 17, 18 ff.; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 3. 650 Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 13. Aufl. 1981, § 118 VI Nr. 3; Lüke, Informationsanspruch, JuS 1986, S. 2, 3; Arens, Aufklärungspflicht, S. 1, 18; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 137 f.; MüKo-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 125; Prütting, Geistiges Eigentum, FS Bartenbach, S. 417, 421 f., 422 f.

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klärungspflichten die Verhandlungsmaxime nicht schwächen, sondern stärken, indem die Parteien befähigt würden, selbst den Sachverhalt zu klären. Dadurch könne die zunehmende Sachverhaltsaufklärung durch richterliche Inquisition651 vermieden werden. Anzuerkennen sei jedenfalls, dass gerade das anglo-amerikanische System unbestritten auf der Verhandlungsmaxime basiert und trotzdem umfangreiche „disclosure“ vorsehe652. Die von den Kritikern gewünschte größere prozessfreie Sphäre hängt also tatsächlich nicht von der Geltung der Verhandlungs- oder der Inquisitionsmaxime ab. Zu Recht wird angemerkt, dass Beweisführungslast, Parteiautonomie und Beibringungsgrundsatz nicht als „Instrument zur Erschwerung der Wahrheitsfindung“ missverstanden werden dürften653. (2) Rechtsprechung Die Rechtsprechung sieht ebenfalls die Verhandlungsmaxime und die Verteilung der Beweislast gefährdet und lehnt daher die Lehre von einer allgemeinen Aufklärungspflicht ab. Sie betont die Abhängigkeit der gegnerischen Mitwirkungspflicht bei der Stoffsammlung vom Bestehen materieller Ansprüche. Dabei beharrt sie auf der – vorgeblich – uneingeschränkten Geltung des Grundsatzes, „dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht von sich aus verfügt“654. Die Rechtsprechung ist damit geprägt von einer gewissen Widersprüchlichkeit. Zwar wird quasi als „Dogma“ formell am Grundsatz „nemo tenetur edere contra se“ festgehalten. Gleichzeitig werden allerdings nicht nur materielle Ansprüche deutlich erweiternd ausgelegt, sondern vor allem in Fällen der Informationsnot – allein aus dem Prozessrecht folgend – die Grundsätze der Beweisvereitelung und die „sekundäre Behauptungslast“ herangezogen, wobei gerade bei Letzterer trotz Fehlens eines materiellen Anspruchs – im Ergebnis richtigerweise – dem Gegner das Material

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Siehe dazu nur die §§ 142, 144 ZPO n.F., die auf richterlicher Inquisition basieren, vgl. unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. I. 652 Auch nach der Stärkung der Rolle des Richters und der Abschwächung der „discovery of documents“ hin zu sog. „disclosure“ durch die Einführung der Civil Procedure Rules (CPR) in England 1999 ist dies noch zutreffend, vgl. Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 538. 653 Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 254 ff.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 215; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 603 f.; Peters, Prozessförderungspflicht, FS Schwab, S. 399, 408; Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 62; ähnlich Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 536 f., 540. 654 BGH, WM 1958, S. 961, 962; BGH, ZZP 104, S. 203, 205 – „allg. Aufklärungspflicht“, = NJW 1990, S. 3151, 3151 ff.; BGHZ 116, S. 47, 56, = NJW 1992, S. 1817, 1819; BGH, NJW 1997, S. 128, 129; BGH, NJW 2000, S. 1108, 1109.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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verschafft wird, über das er nicht selbst verfügt655. Das bedeutet, dass gegebenenfalls je nach Sachverhalt wahlweise die Regel von der „sekundären Behauptungslast“ oder der „nemo tenetur“- Grundsatz zur Begründung oder Ablehnung eines Mitwirkungsbeitrages herangezogen wird. Trotz einer immer umfangreicheren Kasuistik zu weitergehenden, gerade auch prozessual begründeten Mitwirkungspflichten im Einzelfall muss dennoch festgehalten werden, dass die Grenze zur Anerkennung einer „allgemeinen“ Editionspflicht unter Betonung des Grundsatzes „nemo tenetur edere contra se“ nicht offen überschritten wird656. Zwar ist es schlicht unzutreffend, dass der von der Rechtsprechung zitierte Grundsatz – zumindest in dieser starren Form – noch der geltenden Rechtsund der eigenen Rechtsprechungslage entspricht657, dennoch bleibt trotz zunehmender Annäherungen im Einzelfall die Rechtsprechung einen entscheidenden Schritt hinter einer allgemeinen Aufklärungspflicht zurück und hält am traditionellen Regel-Ausnahme-Verhältnis fest658. (3) Neuere Entwicklungen In letzter Zeit erlebt die Idee einer umfassenden, insofern allgemeinen, Aufklärungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei eine Renaissance. Obwohl – oder gerade weil – große Übereinstimmung herrscht, dass der Gesetzgeber mit der Reform der Zivilprozessordnung und der Umgestaltung der §§ 142, 144, 371, 428, 429 ZPO keine allgemeine Aufklärungspflicht einführen wollte659, hat die ZPO-Reform die Diskussion um die Aufklärungspflichten neu belebt660: 655 Hackenberg, Erklärung mit Nichtwissen, S. 118; Lang, Aufklärungspflicht, S. 94 f.; vgl. auch Chudoba, Beweisantrag, S. 37 „umfangreiche Rechtsprechung lässt klare Aussagen vermissen“, S. 194, „die häufig aufgestellte These, „niemand sei verpflichtet […]“ treffe nicht zu. 656 Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 467 f.; Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 57 ff. 657 Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 465 ff., 467 f.; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage, NJW 2002, S. 3129, 3130; Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 63; Peters, Prozessförderungspflicht, FS Schwab, S. 399, 408; Musielak/Stadler, ZPO, § 138 Rdn. 11; Zweifel auch bei Greger, Justizreform?, JZ 2000, S. 842, 846. 658 Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 534 f.; Stein/JonasLeipold, ZPO, § 138 Rdn. 22a; Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 57 ff. 659 Mit Blick auf die Gesetzesbegründung Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage, NJW 2002, S. 3129, 3129 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 8; Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff.; Zöller/Greger, § 142 Rdn. 1; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117e; Stein/JonasLeipold, ZPO, § 142 Rdn. 9; a.A. mit Blick auf den Wortlaut von § 142 Abs. 1, S. 1 und einen erst-Recht-Schluss von der Mitwirkungspflicht Dritter (§ 142 Abs. 2 ZPO) auf das Bestehen einer allgemeinen Mitwirkungspflicht der Parteien MüKo-ZPO/Peters, Aktualisierungsband 2002, § 142 Rdn. 3; etwas zurückhaltender die Einführung einer allgemeinen Pflicht zur Vorlage von Augenscheinsobjekten annehmend mit Blick auf § 144 Abs. 1, S. 3 ZPO und denselben Erst-Recht-Schluss Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 8.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Bereits auf dem 61. Deutschen Juristentag 1996 hat Gottwald – ein Gegner der Annahme einer allgemeinen Aufklärungspflicht de lege lata – die gesetzliche Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht vorgeschlagen661: Dazu sollten die Erwiderungslast nach § 138 Abs. 2 ZPO und die Vorschriften über den Urkundenbeweis der §§ 421 ff. ZPO insofern zu einer allgemeinen Erklärungs- und Editionspflicht umgeformt werden, als sich die Parteien zu den gegnerischen Behauptungen umfassend zu erklären und zu streitigen Tatsachen alle entscheidungsrelevanten Unterlagen vorzulegen hätten662. Gestützt wurden diese Vorschläge auf eine Rechtsvergleichung mit dem englischen Recht und das Ziel, die in der Rechtsprechung praktizierten partiellen Aufklärungspflichten aufzugreifen und abzurunden663. Allerdings wurden diese Vorschläge von einer „in materiellrechtlicher Behäbigkeit“664 verharrenden Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Praktiker abgelehnt665. Dennoch wird weiterhin die Einführung umfassender prozessualer Aufklärungspflichten der Parteien gefordert. Argumentiert wird dabei jetzt auch mit der Rechtsfigur des Prozessrechtsverhältnisses, welches die Parteien miteinander nach Art einer Sonderverbindung in Beziehung setzt und nach neuerer Ansicht auch echte Parteipflichten begründen kann666. Es wird daher als taugliche künftige Rechtsgrundlage für Aufklärungspflichten angesehen667. Jedenfalls könne aus dem Prozessrechtsverhältnis folgen, dass die Parteien kein Recht haben entscheidungsrelevante Informationen zurückzuhalten668. Beklagt wird von dieser Seite vor allem auch die festgestellte „Rückständigkeit des deutschen Rechts“ im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, die sich in ihren Prozessordnungen schon früher ausdrücklich vom „nemo tenetur“-Grundsatz verabschiedet haben669 : So bleibt das englische Zivilprozessrecht auch nach der Abschwächung der extremen „adversary procedure“ des englischen Zivilprozesses und der Hinwendung zu starken „active case management“-Befugnissen des Richters durch die Einführung der neuen Civil Procedure Rules (CPR) 1999 einer besonderen Betonung der Verhandlungsmaxime verpflichtet670. Dennoch – oder gerade deshalb – 660 Vgl. auch Yoshida, Informationsbeschaffung, S. 53 f., 58 ff.; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24 Fn. 25. 661 Gottwald, Gutachten, S. A 15 ff. 662 Gottwald, Gutachten, S. A 19 f. 663 Gottwald, Gutachten, S. A 17. 664 In anderem Zusammenhang: Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 607. 665 Lang, Aufklärungspflicht, S. 98 Fn. 399. 666 Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 539; Lüke, Betrachtungen zum Prozessrechtsverhältnis, ZZP 108 (1995), S. 427, 443. 667 Greger, Justizreform?, JZ 2000, S. 842, 847; Katzenmeier, Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 539. 668 Greger, Justizreform?, JZ 2000, S. 842, 847. 669 Lang, Aufklärungspflicht, S. 103 f., 266; Roth, Rezension Lang, ZZP 113 (2000), S. 503, 503 ff.; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage, NJW 2002, S. 3129, 3130. 670 Sobich, Civil Procedure Rules 1999, JZ 1999, S. 775, 776 f.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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bestehen umfangreiche allgemeine „disclosure“- Pflichten der Parteien, insbesondere gerichtet auf Vorlage von Urkunden und Augenscheinsgegenständen, gerade wenn diese das Vorbringen der anderen Partei unterstützen. Dabei muss die gegnerische Partei diese Dokumente von sich aus benennen671. In Frankreich verdeutlichen die Art. 10 Code civil, Art. 11 NCPC, welche bestimmen, dass die Parteien ohne Rücksicht auf die Beweislast verpflichtet sind, bei der Wahrheitsfindung mitzuwirken, insbesondere Beweismittel vorzulegen, die Abkehr vom „nemo tenetur- Grundsatz672. Konkretisiert werden diese Pflichten durch Vorschriften über Parteipflichten zur vorprozessualen Zugänglichmachung von streiterheblichen Urkunden (Artt. 132 – 137 NCPC), die Vorlagepflicht von Urkunden durch die Parteien im Prozess (Art. 142 iVm. Artt. 138 f. NCPC), und die Begutachtung von Gegenständen durch einen Sachverständigen (Artt. 232 ff. NCPC)673. Diese Pflichten sind mittelbar zwangsweise durchsetzbar (Zwangsgeld); daneben sind beweisrechtliche Sanktionen möglich674. Die Anerkennung umfangreicher prozessualer Aufklärungspflichten der Parteien ist also nicht nur dem anglo-amerikanischen Rechtskreis inherent, sondern findet sich als „internationaler Trend“ auch in kontinental-europäischen Prozessordnungen wie der französischen675. Im Hinblick darauf wird das Festhalten am „nemo tenetur“Grundsatz als Vereinzelung des deutschen Rechts wahrgenommen. Diese Feststellung wird verbunden mit der Aufforderung, die internationale Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen676. Jedenfalls bei der Reform der §§ 142, 144 ZPO sei die Chance hierzu vom Gesetzgeber vertan worden677. 671

Vgl. Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1632, 1635, mit Verweis auf CPR 1998 Part 31; Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 463 ff.; vgl. auch Roth, Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), S. 271, 291; im Bereich des geistigen Eigentums ist zudem auf die sogenannte „search order“ zu verweisen, vgl. hierzu ausführlich unten unter 2. Teil, B. II. 3. a). 672 Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 468; Lang, Aufklärungspflicht, S. 102 ff.; Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1632; vgl. auch Roth, Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), S. 271, 291. 673 Lang, Aufklärungspflicht, S. 121 ff., 124 ff., 141 ff. 674 Lang, Aufklärungspflicht, S. 102 ff.; speziell im Bereich des geistigen Eigentums besteht die Möglichkeit der Anordnung einer saisie-contrefaÅon – Durchsuchung und Beschlagnahme von Gegenständen –, die auch unmittelbar erzwingbar ist, vgl. Lang, Aufklärungspflicht, S. 151 ff., 168, sowie ausführlich unten unter 2. Teil, B. II. 3. b). 675 Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441, 469; Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 600 ff. 676 Roth, Vorschläge der Kommission für ein europäisches Ziviprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), S. 271, 291; Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 65. 677 Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage, NJW 2002, S. 3129, 3130; Katzenmeier, Aufklärungs-/ Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 537, 540; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 118 Rdn. 47.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

3. Stellungnahme a) Allgemeines Die Diskussion hat gezeigt, wie lange das Problem der Informationsnot der risikobelasteten Partei, insbesondere in Fällen „typischer Unkenntnis“, verbunden mit einer gewissen Zurückhaltung der deutschen Rechtswissenschaft bei der Lösung des Problems bereits wahrgenommen wird. Es wird deutlich, dass neben der zunächst nahe liegenden Lösung des Informationsproblems über vorprozessuale materielle Informationsansprüche auch ein weiterer plausibler Lösungsweg über die Begründung prozessualer Aufklärungspflichten der gegnerischen Partei besteht, der den Vorteil hat einen Vorprozess über die Informationsbeschaffung und damit eine Verfahrensverdopplung zu vermeiden. Die Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht kann dazu dienen, weitergehende prozessuale Mitwirkungspflichten der Parteien zu erklären und eine Fortentwicklung des Rechts dogmatisch vorzubereiten678. Ob die Lehre allerdings bereits dem bisher geltenden Recht entspricht ist fraglich: Keinesfalls liegt zumindest ein Verstoß gegen den Verhandlungs- und Beibringungsgrundsatz vor. Im Gegensatz zum Beibringungsgrundsatz steht die Inquisitionsmaxime, also eine amtswegige Sachverhaltsermittlung durch den erkennenden Richter. Weitergehende Aufklärungspflichten der gegnerischen Partei ermöglichen jedoch gerade, dass die risikobelastete Partei den Streitgegenstand eigenständig bestimmen und auf eigene Initiative der Prozessstoff in das Verfahren eingeführt werden kann, indem die nicht-risikobelastete Partei in Fällen „typischer Unkenntnis“ der risikobelasteten Partei einen Mitwirkungsbeitrag leistet, und so gerade eine Amtsermittlung des Prozessstoffes vermieden wird. Gerade die Neugestaltung der §§ 142, 144 ZPO, mit einer offenbar als notwendig angesehenen Stärkung der erstinstanzlichen Sachverhaltsaufklärung im Wege richterlicher Inquisition und Verfahrensleitung, zeigt, dass es an prozessrechtlichen Möglichkeiten der Parteien fehlt, sich gegenseitig heranzuziehen, um so auf Parteiebene streitige Tatsachen zu klären, wenn materielle Ansprüche ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. Statt die Inquisitionsmaxime im Zivilprozess zu verstärken, hätte der Reformgesetzgeber besser die Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung unter der Ägide der Parteien verbessern sollen. Worauf die Kritik mit ihrem Verweis auf den Verhandlungsgrundsatz wohl wirklich abzielt, ist, dass der risikobelasteten Partei auch in Fällen, in welchen sie den gesamten Prozessstoff nicht aus eigener Kraft vortragen kann, nicht grundsätzlich die Verfahrenseinleitung verwehrt wird. Nicht gewollt ist von der Kritik damit im Prinzip, dass mit der Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht die Bedeutung der Substantiierungspflicht und des Ausforschungsverbotes – also der Verbote aufgrund unsubstantiierter Behauptungen das Verfahren oder die Sachverhaltsaufklärung einzuleiten – abnimmt. Damit ginge selbstverständlich in Teilen auch die schützende Funk678

Katzenmeier, Aufklärungs-/ Mitwirkungspflicht, JZ 2002, S. 533, 539.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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tion dieser Institute verloren, nämlich einerseits den Einzelnen – hier den möglichen Prozessgegner – davor zu schützen aufgrund haltloser Behauptungen in ein Verfahren hineingezogen zu werden und ihm eine prozessfreie Freiheitssphäre zu gewähren, in die nicht ausforschend eingegriffen wird, andererseits die Gerichte als Schutz vor Überlastung und Querulantentum nur mit plausiblen – quasi wasserdichten – Rechtsbegehren zu befassen. Die Verteidigung dieser Prinzipien ist verständlich – ist doch der Schutz vor „ungebührlicher Verfahrenseinleitung“ ein hohes Gut. Allerdings führt das Ziel der Erreichung von Verfahrenseffizienz mittels der Betonung einer umfassenden Substantiierungspflicht dazu, dass gegebenenfalls durchaus begründete Rechtsbegehren an der Hürde von Substantiierung und Ausforschungsverbot scheitern. Dies ist immer dann unbillig und widerspricht der Gesamtrechtsordnung, wenn die Informationsnot unverschuldet und typisch, das heißt strukturell bedingt ist und daher der Grundentscheidung für die Schutzwürdigkeit des betroffenen materiellen Rechts widerspricht, weil die Rechtsdurchsetzung in Folge dessen in diesem Bereich häufig vor Problemen bei der Substantiierung steht. Wenn in diesen begrenzten Fällen typischer Unkenntnis unabhängig vom Bestehen eines materiellen Anspruchs eine Verfahrenseinleitung aufgrund einer allgemeine Behauptung der risikobelasteten Partei, sofern zumindest gewisse Anhaltspunkte vorliegen, erlaubt wird und statt dessen die gegnerische Partei zur Leistung zumutbarer Aufklärungsbeiträge herangezogen wird, mit der Folge, dass das Ausforschungsverbot deutlich relativiert wird, ist dies nur recht und billig. Im Normalfall sollte es jedoch bei den bisherigen Regelungen bleiben. Der notwendige Schutz der Freiheitssphäre der gegnerischen Partei ist in diesen Spezialfällen struktureller Informationsnot unter dem Kriterium der Zumutbarkeit zu betrachten. Spezielle entgegenstehende Rechte vom selben Verfassungsrang wie das Recht auf effektiven Rechtsschutz sind auf andere Weise als durch Verweigerung des Rechtsschutzes zu schützen, beispielsweise durch ein einzuführendes Geheimverfahren679. Inwieweit man eine Mitwirkung der gegnerischen Parteien bei der Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall für richtig erachtet, ist daher richtigerweise nicht eine Frage des Beibringungsgrundsatzes im Gegensatz zum Amtsermittlungsgrundsatz, sondern vielmehr eine Frage danach, wie die Zumutbarkeitsgrenze gegenüber dem Prozesszweck – also neben anderen: die Ermittlung der Wahrheit – zu definieren ist680. Die Entwicklung hin zu weitergehender Informationsbeschaffung und einem größer werdenden Mitwirkungsbeitrag der nicht-beweisbelasteten Partei sowohl im Bereich des materiellen Rechts wie auch des Verfahrensrechts ist nicht zu übersehen. Allerdings ist es richtig, dass die Analogiebasis, die für die Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht vorgebracht wird, zu schmal ist681. De lege lata besteht sie zur 679

Vgl. hierzu z. B. Stürner, Aufklärungspflicht, S. 223 ff. Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1631. 681 Durchaus vertretbar wäre allerdings, dass die Neugestaltung der §§ 142, 144 ZPO die Analogiebasis verbreitert hat. Diese Normen fordern nämlich auf prozessualer Basis Aufklä680

196 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Zeit in dieser Form nicht. Gerade im Immaterialgüterrecht spricht daher einiges dafür, eine gesetzliche Grundlage für stärkere prozessuale Aufklärungspflichten zu schaffen. b) Folgerungen für das Immaterialgüterrecht Folgerungen aus der Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht für das Immaterialgüterrecht ergeben sich in zweifacher Hinsicht. Zunächst behandelt diese Lehre mit dem Fall der „typischen Unkenntnis“ der risikobelasteten Partei eine Konstellation, die stark an die strukturelle Informationsnot des Schutzrechtsinhabers erinnert. Auch dieser kann häufig außerhalb der fremden Sphäre nur allgemeiner gehaltene Behauptungen in Bezug auf die vermutete Schutzrechtsverletzung abgeben, die durch gewisse Anhaltspunkte untermauert werden682. Die Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht reagiert hierauf durch Modifizierungen an dem entscheidenden Punkt der Statuierung von Informationsbeschaffungsinstrumenten, nämlich bei den Anforderungen an den klägerischen Tatsachenvortrag, und nimmt eine Absenkung der Substantiierungsanforderungen vor. In Fällen „typischer Unkenntnis“ wäre diese Absenkung auch im Immaterialgüterrecht sehr hilfreich683 und würde sowohl die Verfahrenseinleitung als auch ein Obsiegen trotz bestehender Informationsnot ermöglichen684. Ein weiterer Vorteil prozessualer Aufklärungspflichten besteht auch im Immaterialgüterrechtsstreit darin, dass ein Ausgleich des Informationsdefizits innerhalb des eigentlichen Verletzungsverfahrens erfolgen kann. So kann gegebenenfalls Zeit gespart und einer Verfahrensverdoppelung entgangen werden. Denn bei einer vorprozessualen Informationsbeschaffung aufgrund materieller Ansprüche ist in der Regel vorher ein separates Hauptsacheverfahren über das Bestehen des vorbereiten-

rungsbeiträge der gegnerischen Partei, unabhängig vom Bestehen materieller Ansprüche, selbst wenn der Gesetzgeber betont hat, dass am Ausforschungsverbot gerade festgehalten werden und darin keine Einführung der Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht gesehen werden soll. 682 Vgl. das Beispiel von Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24 zum Einsatz einer prozessualen Aufklärungspflicht im Immaterialgüterrecht: Der Patentinhaber hat „in Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten in nahe liegender Weise vorgetragen, dass der Gegner eine Vorrichtung nur unter Verwendung des Klagepatents in wirtschaftlich sinnvoller Weise herstellen konnte“ (ohne allerdings – wie eigentlich erforderlich – das angeblich verletzende Herstellungsverfahren substantiiert zu beschreiben (Anm. d. Verf.)). 683 A.A. wohl Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 80. 684 Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24 f. schlägt eine Umsetzung von Art. 6 RL durch Einführung einer umfassenden prozessualen Aufklärungspflicht des Prozessgegners, bezogen auf einen konkreten Gegenstand, vor. Nach Haedicke hätte der Prozessgegner im Anschluss an einen Tatsachenvortrag des Schutzrechtsinhabers wie in der vorherigen Fußnote „Zugang zu der von ihm verwendeten Vorrichtung zu gewähren bzw. Auskunft über das von ihm verwendete Herstellungsverfahren zu geben“.

2. Abschn., B. Allgemeine Regeln und Lehren der Beweisbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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den Informationsanspruches erforderlich685. Dies führt insbesondere bei dem mehrstufigen Besichtigungsverfahren nach § 809 BGB zu einer enormen Langwierigkeit. Aus dieser Ersparnis eines vorprozessualen Verfahrens folgt allerdings zugleich der Hauptnachteil einer innerprozessualen Informationsbeschaffung: Der Schutzrechtsinhaber kann nicht vor Erhebung der Verletzungsklage einen Eindruck vom Bestehen seines Verletzungsanspruchs gewinnen und muss so unter Umständen einen Prozess führen, ohne die Erfolgsaussichten seines Vorgehens und das Kostenrisiko richtig einschätzen zu können686. Ein weiterer bedeutender Nachteil zumindest der Stürnerschen Lehre ist, dass als Folge einer Verweigerung der Mitwirkung bei der Informationsbeschaffung wiederum nur beweisrechtliche Nachteile – also gegebenenfalls die Fiktion der behaupteten Tatsache – drohen687. Die fehlende Erzwingbarkeit nimmt der Aufklärungspflicht Einiges an Effektivität, denn dem Schutzrechtsinhaber hilft die Fiktion wenig, wenn er kaum Substantiiertes vortragen kann, was als bewiesen angesehen werden kann. Eine weitere Verbindung zwischen dieser Lehre und dem Immaterialgüterrecht stellt offenbar Art. 6 der Durchsetzungs-Richtlinie her688. Unbestreitbar regelt Art. 6 RL die Beweismittelbeschaffung in einem laufenden Verfahren unter Inanspruchnahme der gegnerischen Partei. Teilweise wird in Art. 6 RL ein „wichtiger Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der prozessualen Aufklärungspflicht“ im deutschen Recht gesehen und eine Umsetzung von Art. 6 RL unter Rückgriff auf diese Lehre gefordert689. Jedenfalls kann bereits hier festgestellt werden, dass die Durchsetzungs-Richtlinie sowohl Regelungen zur innerprozessualen Beweisbeschaffung (Art. 6 RL), als auch zur vorprozessualen Beweisbeschaffung (Art. 7 RL) – jeweils unter Mitwirkung der gegnerischen Partei – enthält. Die bereits hier erörterten Fragestellungen – vor- oder innerprozessual, materiellrechtlich oder prozessrechtlich – werden also wieder auftauchen. Die noch zu erörternde Durchsetzungs-Richtlinie darf aber jedenfalls keineswegs isoliert betrachtet werden. Die zu behandelnde Fragestellung, ob die DurchsetzungsRichtlinie eine bloße Beweissicherung oder, unter Relativierung der Substantiierungsanforderungen, eine Beweisermittlung fordert, ist letztlich wiederum die 685 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 300 ff.; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 23. 686 Auf diese Nachteile weist Stürner, Aufklärungspflicht, S. 300 ff. selbst hin, versucht sie aber zu entkräften indem er auf den Vorschlag einer „kostensanktionierten vorprozessualen Informationspflicht“ verweist, vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, S. 301, 274 ff.; Abhilfe kann hier Art. 7 RL schaffen, der vorprozessual anwendbar ist; vgl. hierzu unten unter 2. Teil, C. III. 5. 687 So auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 80; diese Verweigerungsfolge folgt bei Stürner, Aufklärungspflicht, S. 237 ff., der ja nur systematisieren und nicht reformieren will, wohl aus einem Vergleich mit den §§ 138 Abs. 3, 427, 444, 449 ZPO a.F.; falls man Art. 6 RL prozessual umsetzen will, ist diese Option nicht zwingend. 688 Siehe hierzu ausführlich unten unter 2. Teil, C. III. 2. 689 Siehe Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24 f.

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Frage nach dem Bedürfnis und dem Umfang von Aufklärungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei und wo diese Pflichten zu verorten sind. Dies ist Gegenstand einer längeren Entwicklung in der Rechtswissenschaft – national und international. Mit der Durchsetzungs-Richtlinie wird jetzt offenbar von außen ein Anschluss an die europäische Rechtsentwicklung gefordert, dem sich die Rechtswissenschaft in Deutschland lange Zeit widersetzt hat690. Abschließend ist hier allerdings festzuhalten, dass sich die Lehre von der prozessualen Aufklärungspflicht weder in Literatur und Rechtsprechung durchgesetzt hat noch der geltenden Rechtslage voll entspricht. Daher kann einer Bewertung des bisher geltenden deutschen Rechts der Informationsbeschaffung diese Lehre derzeit nicht zu Grunde gelegt werden.

IV. Beweislastumkehr bei Verfahrenspatenten Nach § 139 Abs. 3 S. 1 PatG kann im Bereich der möglichen Verletzung eines Verfahrenspatents in beschränktem Umfang eine Beweislastumkehr zur Anwendung kommen. Danach wird in Bezug auf ein Erzeugnis, das von gleicher Beschaffenheit ist wie ein Erzeugnis, das nach dem patentierten Verfahren hergestellt wurde, widerleglich vermutet, dass das Erzeugnis nach dem patentierten Verfahren hergestellt wurde691. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich bei dem geschützten Verfahren um ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses handelt692. Verfahren, die der Herstellung eines schon bekannten Erzeugnisses in besserer Qualität oder auf schnellere oder kostengünstigere Weise dienen oder gänzlichen andere Zwecke verfolgen sollen, fallen also aus dem Anwendungsbereich heraus. Zudem gilt § 139 Abs. 3 PatG nur für Erzeugnisse gleicher Beschaffenheit, wobei es nicht ausreicht, dass die Erzeugnisse im Wesentlichen übereinstimmen693. Der nach § 139 Abs. 3 S. 2 PatG angemahnte Schutz von Betriebsgeheimnissen kann bei dem Beweis des Gegenteils die Zwischenschaltung eines Sachverständigen gebieten694. Aufgrund ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs kann die Regelung dem Schutzrechtsinhaber nur in wenigen Fällen zu Gute kommen. Zudem können Regelungen zur Beweislastumkehr keine Hilfe bei der Substantiierung der Klage oder der Bezeichnung der zu unterlassenden Ausführungsform bieten. 690 Vgl. Lorenz, Neuregelung der pre-trial-Discovery, ZZP 111 (1998), S. 35, 65, der bereits 1997 (vgl. S. 35) orakelt: „Der europäischen Entwicklung auf diesem Gebiet wird sich das deutsche Recht jedenfalls auf Dauer nicht widersetzen können. Es wäre vorteilhaft, auf diesem Gebiet die Rolle eines die Entwicklung beeinflussenden „Vorreiters“ einzunehmen, anstatt sich im Richtlinienwege Neuregelungen diktieren zu lassen“. Genau dies ist nun geschehen. 691 Vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 208. 692 Vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 213 ff.; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006; § 139 Rdn. 121. 693 BGH, GRUR 1977, S. 100, 104 f. – „Alkylendiamine“; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006; § 139 Rdn. 117b. 694 Vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, § 139 Rdn. 218.

2. Abschn., C. Die Pflicht des Prozessgegners 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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C. Die Pflicht des Prozessgegners zur Vorlegung von Urkunden nach §§ 421 ff. ZPO Die Vorschriften der §§ 421 – 427 ZPO ermöglichen dem Schutzrechtsinhaber keine Informations- oder Beweisbeschaffung unter Inanspruchnahme der gegnerischen Partei, die über das bisher Gesagte hinausgeht. Zwar kann Beweis mit einer Urkunde im Besitz des Gegners durch den Antrag angetreten werden, dem Gegner die Vorlegung aufzugeben (vgl. § 421 ZPO). Allerdings ist der Gegner zur Vorlegung nur verpflichtet, wenn die beweisbelastete Partei einen materiellen Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch gegen ihn hat (vgl. § 422 ZPO) oder der Gegner sich selbst auf die Urkunde bezogen hat (vgl. § 423 ZPO). Damit unterstützen die Vorschriften zum einen die Auffassung, wonach Mitwirkungspflichten von materiellen Ansprüchen abhängig sind (materiellrechtliche Lösung), zum anderen ist § 423 ZPO wohl ein Ausdruck der angestrebten Waffengleichheit im Prozess. § 427 ZPO statuiert schließlich, dass die Urkundenvorlage nach §§ 421 ff. ZPO nicht erzwingbar ist. Allerdings macht er auch deutlich, dass die gegnerische Partei beweisrechtliche Nachteile erleidet, wenn sie in vorwerfbarer Weise die Mitwirkung verweigert, und stellt damit einen Anknüpfungspunkt für die Lehre von der Beweisvereitelung dar695. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die gegnerische Partei danach „weitgehend davor geschützt“696 ist, eigene Unterlagen vorlegen zu müssen.

D. Die amtswegige richterliche Anordnung der Vorlegung von Unterlagen und Augensscheinsgegenständen und der Duldung ihrer Inaugenscheinnahme und Begutachtung nach §§ 142, 144 ZPO Bis zur jüngsten ZPO-Reform waren die prozessualen Möglichkeiten, vom Prozessgegner die Vorlegung von Unterlagen oder die Vorlegung bzw. Duldung der Besichtigung von Augenscheinsgegenständen zu erreichen, wie gesehen, äußerst gering. Beim Urkundenbeweis beschränkten sich die Vorlegungspflichten auf die §§ 421 ff. ZPO. Im Rahmen des Augenscheinsbeweises bestand nach herrschender Auffassung – neben einzelnen im Klagewege durchzusetzenden materiellen Ansprüchen – gerade keine prozessuale Pflicht, Augenscheinsgegenstände vorzulegen oder deren Inaugenscheinnahme zu dulden697. Im Einzelfall wurde von der Rechtsprechung eine treuwidrige, vorwerfbare Verweigerung der Augenscheinseinnahme

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Vgl. Zöller/Geimer, ZPO, § 427 Rdn. 1 f. Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 481. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 13.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

ohne triftigen Grund nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung im Rahmen der freien Beweiswürdigung negativ gewertet698. Nach der Umgestaltung durch die ZPO-Reform699 gilt es zu untersuchen, in welchem Umfang die §§ 142700, 144701 ZPO n.F. durchsetzbare Vorlagepflichten der Parteien vorsehen, und ob die Vorschriften insgesamt zur Informationsermittlung – also der Aufklärung einer vermuteten Schutzrechtsverletzung – und/oder zur Beweisermittlung – also der Ermittlung bisher unbekannter Beweisstücke – geeignet sind. Ins Auge fällt zunächst, dass jetzt auch unbeteiligte Dritte nach §§ 142 Abs. 1, 2, 144 Abs. 1, 2 ZPO einer prozessualen Vorlagepflicht hinsichtlich Urkunden und Augenscheinsobjekten unterfallen, und zwar nun unabhängig vom Bestehen materieller Ansprüche (vgl. dazu §§ 429, 422 ZPO). Außerdem kann nach Ermessen des Gerichts auch die nicht-beweisbelastete Partei losgelöst von materiellen Ansprüchen (vgl. § 422 ZPO) oder einer eigenen Bezugnahme (vgl. § 423 ZPO) zur Urkundenvorlage verpflichtet sein, sofern nur der Beweisführer Bezug nimmt. Daneben kann das Gericht nun eine Pflicht der nicht-beweisbelasteten Partei zur Vorlegung von Augenscheinsobjekten begründen. Die Vorschriften wurden also wesentlich erweitert702. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen nun vor allem die Möglichkeiten einer Vorlegungsanordnung gegenüber der anderen Partei, also dem mutmaßlichen Schutzrechtsverletzer, geprüft werden. Die Anordnungsmöglichkeiten gegenüber Dritten werden nur am Rande erörtert. I. Zielsetzung Gem. §§ 142, 144 ZPO kann das Gericht nach seinem Ermessen die Vorlegung der Erkenntnismittel von Amts wegen anordnen. Es bedarf hierzu keines Antrags703. Ziel des Reformgesetzgebers war es, dem Richter frühzeitig „im Interesse der Sachaufklä698 MüKo-ZPO/Damrau, 2. Aufl. 2000, § 371 Rdn. 7 ff.; Stein/Jonas-Chr. Berger, ZPO, 21. Aufl. 1999, vor § 371 Rdn. 32 ff., 39 ff., sowie oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 699 Gesetz vom 27. 7. 2001 (BGBl. I, S. 1887) in Kraft getreten am 1.1.2002. 700 Im Wesentlichen bestimmt nun § 142 Abs. 1 ZPO, dass das Gericht einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung von Urkunden oder sonstigen in deren Besitz befindlichen Urkunden, „auf die sich eine Partei bezogen hat“, aufgeben „kann“. Nach Abs. 2 sind Dritte im Falle der Unzumutbarkeit oder der Anwendbarkeit von Zeugnisverweigerungsrechten nach §§ 383 bis 385 ZPO zur Vorlegung nicht verpflichtet. Nur auf Dritte sind die Zwangsmittel der §§ 386 bis 390 ZPO entsprechend anwendbar. 701 Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 144 Abs. 1 ZPO. Danach „kann“ das Gericht die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Hierzu kann es einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung von in deren Besitz befindlichen Gegenständen oder die Duldung einer solchen Maßnahme aufgeben, sofern keine Wohnung betroffen ist. § 144 Abs. 2 ZPO entspricht § 142 Abs. 2 ZPO. Abs. 3 verweist für das anzuwendende Verfahren auf die für die beantragte Inaugenscheinnahme oder Begutachtung geltenden Vorschriften (§§ 371 ff. sowie §§ 402 ff. ZPO). 702 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 1. 703 Beachte aber die Möglichkeit der Vorlageanordnung nach Antrag gem. §§ 371 Abs. 2, S. 1, 2. Fall, 144 ZPO hinsichtlich welchem dann kein Ermessen besteht.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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rung“ einen „Überblick“ über den „zugrunde liegenden Sachverhalt“ zu ermöglichen, um so den Prozess effizienter zu gestalten und um hinsichtlich der „Umgestaltung des Berufungsverfahrens“ die „Sachverhaltsfeststellung“ in der ersten Instanz zu konzentrieren704. Als Standort der Vorschrift wählte er aber nicht die Regelungen der Beweiserhebung, sondern die Nähe zur Regelung der materiellen Prozessleitungsbefugnis des Gerichts (§ 139 ZPO n.F.). Die Vorschriften haben nach h.M. daher eine Doppelfunktion: Zunächst dienen sie der Verbesserung der richterlichen Prozessleitung durch frühzeitige, umfassendere Information des Gerichts und der Konkretisierung der Parteivorträge – mittels amtswegiger Heranziehung klärender Erkenntnismittel705. Daneben bezwecken die §§ 142, 144 ZPO die Bereitstellung von Beweismitteln zur Klärung streitiger Tatsachen706. In dieser Funktion sind §§ 142, 144 ZPO für die vorliegende Untersuchung relevant. Diese zweite beweisrechtliche Funktion wird teilweise allerdings bestritten. Es wird geltend gemacht, der Standort der Normen spreche für die alleinige Funktion der Prozessleitung707. Weiterhin habe der Gesetzgeber die Ablehnung einer prozessualen Aufklärungspflicht durch die herrschende Ansicht nicht revidieren wollen und somit eine Ausweitung der Editionspflichten mit der Tendenz zur allgemeinen Editionspflicht nicht beabsichtigt708. Wenn man nun aber richtigerweise mit der herrschenden Ansicht zu § 142 ZPO die Vorlegung nur von einer Bezugnahme und einer pflichtgemäßen Ermessensausübung abhängig mache und auf das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 421 ff. ZPO verzichte, würden sich gravierende Veränderungen des Beweisrechts und die Gefahr der Ausforschung ergeben. Da die Vorschriften über den Urkundenbeweis nach §§ 421 ff. ZPO durch die Reform aber unberührt und unverändert geblieben seien und zudem durch § 142 ZPO nicht ausgehöhlt werden dürften, sei folgende Auslegung angezeigt: Es handele sich bei §§ 142, 144 ZPO nur um eine Konkretisierung des § 139 ZPO, welche nur der Information des Gerichts bei lückenhaftem, jedoch gerade unstreitigem Tatsachenvortrag außerhalb des Beweisrechts diene. Zur Klärung streitiger Tatsachen verbiete sich eine amtswegige Vorlegungsanordnung, stattdessen seien nur die §§ 421 ff. ZPO anzuwenden709.

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Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S. 58 ff., 62, 78. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S. 62; Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 481; Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 310 f., 314 f.; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 1, § 144 Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 1; Zöller/Greger, § 142 Rdn. 1; im Ergebnis Lüpke/Müller, § 142 ZPO – ein trojanisches Pferd?, NZI 2002, S. 588, 588. 706 H.M.: Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 1, § 144 Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 1, § 144 Rdn. 1; wohl auch Zöller/Greger, § 142 Rdn. 1: „Die Regelung dient nicht Beweiszwecken […] kann aber Beweisaufnahme […] entbehrlich machen; Erkenntnisse aus dem Vorlageverfahren gehören […] zum Gegenstand der Beweiswürdigung“. 707 Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 314. 708 Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff. 709 Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 309 ff., 314 ff., 333. 705

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Zwar lässt sich auf diese Weise die vom Reformgesetzgeber nicht erwünschte Ausforschung gänzlich vermeiden, für diese zu enge Auslegung findet sich aber kein Anhaltspunkt im Wortlaut der Normen. Sie widerspricht auch dem Willen des Gesetzgebers710, der ausdrücklich keine Ausforschung, jedoch eine behutsame Erweiterung der Vorlagepflichten der Parteien zur Stärkung der erstinstanzlichen Sachaufklärung erreichen wollte711. Zudem entspricht es der bisher h.M., in § 142 ZPO auch eine Befugnis zur amtswegigen Beweiserhebung zu sehen. Für § 144 ZPO folgt dies zudem aus der Bezugnahme auf die §§ 383 ff., 371 ff., 402 ff. ZPO (vgl. § 144 Abs. 2 u. 3 ZPO). Diese Beweiserhebung von Amts wegen soll nach dem Willen des Reformgesetzgebers den Beibringungsgrundsatz aber nur variieren und nicht partiell durch die richterliche Untersuchungsmaxime ersetzen, denn eine Vorlegungsanordnung dürfe nur auf der „Grundlage“ des Parteivortrages ergehen. Eine Ermächtigung „unabhängig von einem schlüssigen Vortrag zum Zwecke der Informationsgewinnung Urkunden anzufordern“ bestehe nicht712. Ebenfalls nicht erwünscht ist demnach eine amtswegige Ausforschung, weder durch eine Befreiung der bezugnehmenden Partei „von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast“, noch durch eine „Annäherung an das US-amerikanische „discovery“-Verfahren“713. Obwohl dieser restriktive Standpunkt dem Bedürfnis nach weiter reichenden Mitwirkungspflichten im Rahmen des Verhandlungsgrundsatzes und der Wahrung der Freiheitssphäre nicht entspricht, ist diese eindeutige Stellungnahme des Gesetzgebers bei der Auslegung zu berücksichtigen. Da die §§ 142 und 144 ZPO sich insgesamt in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen sehr ähnlich sind, gelten die zu § 142 ZPO gefundenen Ergebnisse in der Regel auch für § 144 ZPO.

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Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 1, Fn.1; im Ergebnis auch Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 481, der zwar davon ausgeht, es handele sich um Prozessleitung und nicht um Beweisführung oder Beweiszwecke, aber die Begrenzung auf unbestrittenen Vortrag für „zu eng“ hält und vertritt, § 142 ZPO könne eine Beweisaufnahme „nicht ersetzen, aber […] entbehrlich machen“. 711 Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 120 f.; Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrs. 14/4722, S. 62, 78. 712 Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 121. 713 Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 120 f.; vgl. nun auch Zöller/Greger, § 142 Rdn. 1; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117e; zum US-amerikanischen „discovery“-Verfahren siehe Pfeiffer, „discovery“-Verfahren, GRUR Int. 1999, S. 598, 598 ff.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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II. Voraussetzungen einer Anordnung 1. § 142 ZPO a) Gegenstand der Anordnung Gegenstand einer Vorlegungsanordnung nach § 142 ZPO können Urkunden und sonstige Unterlagen sein. Der Urkundenbegriff entspricht dem der §§ 415 ff. ZPO und umfasst daher nur schriftlich verkörperte, unmittelbar lesbare Gedankenäußerungen714. Die „sonstigen Unterlagen“715 nach § 142 ZPO sind von den Augenscheinsobjekten nach § 144 ZPO abzugrenzen. Die in § 142 ZPO a. F. erwähnten „Stammbäume, Pläne, Risse und sonstige Zeichnungen“ fallen in die ersten Gruppe. Gleiches gilt für alle Unterlagen, die entsprechend den Urkunden zwar keine schriftlich verkörperte, aber doch eine unmittelbar zugängliche Gedankenäußerung enthalten, wie technische Fotos716 oder technische Grafiken717. Elektronische Dokumente werden jetzt eindeutig in § 371 Abs. 1, S. 2 ZPO den Augenscheinsobjekten zugeordnet. Sie unterfallen damit auch der Anordnung nach § 144 ZPO und nicht § 142 ZPO718. b) Besitz Die vorzulegenden Unterlagen müssen sich im Besitz der Partei oder des Dritten befinden. Der Begriff des Besitzes umschreibt dabei nicht nur den unmittelbaren, sondern auch den mittelbaren Besitz, sofern der Vorlegungsverpflichtete die Unterlagen auch aktuell herausverlangen kann719. Da sich die Unterlagen zur Zeit der Anordnung im Besitz befinden müssen, besteht entgegen früher herrschender Ansicht jedenfalls

714 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 12; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 2; Zöller/ Greger, vor § 415 Rdn. 2. 715 Zu den „sonstigen Unterlagen“ siehe auch Uhlenbruck, Gerichtliche Anordnung der Vorlage, NZI 2002, S. 589, 590, der es zu Recht für zweifelhaft hält z. B. ganze „Behältnisse oder Leitzordner […] unter diesen Begriff zu subsumieren“ und wegen des Erfordernisses der konkretisierten Bezugnahme nur bestimmte Unterlagen, welche sich „in einem Aktenordner befinden können“, vorlegen lassen will. 716 Anders als die übliche Einordnung von Fotos als Augenscheinsobjekte, vgl. BGHZ 65, S. 300, 300. 717 Ähnlich Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 13; Zöller/Greger, § 142 Rdn. 1; anders Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428, der auf das Kriterium der einfachen Transportabilität abstellt. 718 Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 2; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 15; siehe dort auch zum früheren Streit um die analoge Anwendung der Regeln über den Urkundenbeweis. 719 Dies ergibt sich nicht nur aus der gebräuchlichen Verwendung des Begriffes in BGB und ZPO, sondern auch aus dem Sinn der Änderung des Wortlauts der Norm von „in den Händen“ haben (§ 142 ZPO a. F.) zu „Besitz“ (§ 142 ZPO n.F.): Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 316 f.; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 16; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 3.

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keine Pflicht, Pläne oder Zeichnungen vorzulegen, die noch nicht existieren, also für die Vorlegung erst herzustellen wären720. c) Bezugnahme durch „eine“ Partei Nach dem Wortlaut der Norm setzt eine richterliche Vorlegungsanordnung die Bezugnahme einer Partei auf die Urkunde voraus. Dieses Tatbestandsmerkmal könnte der Anknüpfungspunkt sein für eine Aktivierung der nicht-risikobelasteten Partei bei der Sachverhaltsaufklärung. (1) Bezugnahme Entgegen der allgemeinen Meinung zu § 142 ZPO a. F. ist dieses Erfordernis bei der Neufassung der Norm alles andere als bedeutungslos721: Der Reformgesetzgeber hat betont, dass die §§ 142, 144 ZPO weder der Einführung der richterlichen Inquisitionsmaxime im Sinne einer amtswegigen Sachverhaltsaufklärung noch der Ausforschung dienen sollen. Vielmehr soll auch bei der Sachverhaltsfeststellung die Prozessleitungsbefugnis gegenüber den Parteien gestärkt werden, allerdings unter Wahrung des Beibringungsgrundsatzes. Die richterliche Anordnung muss sich sachlich daher noch im Rahmen des Parteivortrags halten. Die Betonung des „Ausforschungsverbotes“ gebietet zudem eine Auslegung, welche die Parteien nicht von ihrer Substantiierungslast entbindet722. Bezugspunkt dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist das Tatbestandsmerkmal der „Bezugnahme“, welches entsprechend auszulegen ist. Einigkeit besteht darin, dass das Gericht nicht von sich aus neue Tatsachen oder Beweismittel in den Prozess einführen oder die Substantiierungsprobleme einer Partei dadurch beheben darf, dass es schlicht Unterlagen von der anderen Partei anfordert, um so Hinweise auf die rechtserheblichen Tatsachen zu erlangen. Insofern muss die Funktion des Tatbestandsmerkmals – nämlich die dargestellte doppelte Zielsetzung im Tatbestand zu verankern – die Auslegung bestimmen. Die einzelnen Anforderungen an die Bezugnahme werden jedoch durchaus unterschiedlich beurteilt und sind im Einzelnen noch unklar. Die jeweilige Sichtweise scheint dabei auch vom Standpunkt der Autoren in der Diskussion um die Notwendigkeit weiter reichender prozessualer Aufklärungsbeiträge der nicht beweisbelasteten Partei abzuhängen.

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Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 3; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 14. Siehe zur jetzt überholten korrigierenden Auslegung des § 142 ZPO a. F. im Hinblick auf § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO a. F. Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 307 m.w.N. 722 Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 120 f.; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, § 139 Rdn. 117e; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 9; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 142 Rdn. 1; Zöller/Greger, § 142 Rdn. 2; dagegen vertritt Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428, ein Befürworter weiter reichender Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei, § 142 ZPO n. F. diene auch einer „(vernünftig begrenzten) Ausforschungsmöglichkeit“. 721

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Richtigerweise sind im Rahmen der „Bezugnahme“ drei Punkte zu unterscheiden, die indes im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion meist unzulässig vermengt werden: Der nötige konkretisierte Tatsachenvortrag, die Bezeichnung der Unterlagen und die Bezugnahme also solche: Der Bezugnahme muss ein nach allgemeinen Grundsätzen substantiierter Tatsachenvortrag zugrunde liegen723. Es sind bestimmte, konkretisierte Tatsachen vorzutragen. Dabei muss die Partei die Existenz der Tatsachen nicht positiv kennen. Die konkretisierte Behauptung von Vermutungen ist zulässig. Jedoch sind auf bloßen Verdacht ohne greifbare Anhaltspunkte – quasi „ins Blaue“ – vorgebrachte Tatsachen nicht zu berücksichtigen724. Der Schutzrechtsinhaber muss deutlich machen, dass sich diese behaupteten Tatsachen aus dem Urkundeninhalt ergeben sollen. Es ist also ein bestimmter Urkundeninhalt zu behaupten; die Vorlage darf nicht erst der Ermittlung der Tatsachen dienen725. Schwierig ist zudem, wie konkret die Urkunden zu bezeichnen sind, d. h. welchen Grad an Bestimmtheit die Bezeichnung erreichen muss, um die Vorlegungsanordnung nicht als unzulässige Ausforschung erscheinen zu lassen. Zu weit gehend wird es sein, von der bezugnehmenden Partei eine genaue Bezeichnung der Urkunde – etwa nach Datum oder laufender Nummer – zu verlangen726. Dies ist ohne Einblick in die Interna der Gegenpartei nicht möglich727 und würde § 142 ZPO faktisch leer laufen lassen. Sinnvoll ist daher die näherungsweise Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes oder des konkret behaupteten Inhalts einer bestimmten Urkunde, die die Unterlagen bestimmbar bzw. identifizierbar macht728. Hierbei wird angeregt, für die Beschreibung abgesenkte Anforderungen vergleichbar den Grundsätzen der

723

Vgl. auch Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117e, die einen „schlüssigen Vortrag“ fordern, außerdem gelte eine mit Art. 43 Abs. 1 TRIPs-konforme Auslegung, so dass der klagende Patentinhaber „substantiiert zum Verletzungstatbestand“ vorzutragen habe und „zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit“ für sein Vorhaben sprechen müsse. 724 A.A. offenbar Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117e, die wohl in der Absicht die Anforderungen zu senken, über die Voraussetzungen einer Substantiierung hinausgehen und gar eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ fordern. 725 Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 482; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 10; ausführlich Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573 f., die zu Recht darauf hinweisen, dass das Vorbringen man sei „zuversichtlich den Unterlagen weitere relevante Fakten zur Unterstützung des Vortrages zu entnehmen“ mangels Bestimmtheit des Vortrages eine Anordnung nicht begründen könne. 726 So aber Uhlenbruck, Gerichtliche Anordnung der Vorlage, NZI 2002, S. 589, 590; sowie Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 11; zutreffend Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 482. 727 Vgl. auch Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 4, die richtigerweise anführt, dass es sich um „Urkunden aus fremder Geschäftssphäre [handelt, Anm. d. Verf.], zu denen die beweisführenden Partei keinen Zugang“ habe“. 728 Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 482; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 4.

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sekundären Behauptungslast genügen zu lassen729. Dies würde allerdings den Vorstellungen des Reformgesetzgebers wohl nicht mehr entsprechen730. Zu weitgehend im Sinne des § 142 ZPO ist es jedenfalls auch, ohne genauere Informationen auf ganze Aktenordner oder -sammlungen Bezug zu nehmen oder solche zur Durchforstung nach behaupteten prozessrelevanten Inhalten vorlegen zu lassen731. Substantiierung im Rahmen der Bezugnahme bedeutet schließlich auch, dass regelmäßig zumindest konkrete Anhaltspunkte für die Existenz732 und einen bestimmten Inhalt der Urkunde vorliegen müssen. Fraglich ist, inwiefern Urkunden angefordert werden können, deren Vorhandensein (nur) vermutet wird, da sie üblicherweise erstellt werden. Teilweise wird dies für zulässig gehalten, sofern es sich nicht um willkürliche Behauptungen, sondern um berechtigte Annahmen handele und die Vorlage nicht dazu diene, Kenntnis vom Vorliegen weiterer günstiger Urkunden zu verschaffen733. Richtigerweise ist es aber nicht ausreichend, die Existenz der Unterlagen mit den üblichen Gepflogenheiten zu begründen734, selbst wenn dies eine berechtigte Annahme sein mag. Vielmehr bedarf es konkreter Anhaltspunkte für ein bestimmtes Dokument; die Abgrenzung kann jedoch im Einzelfall schwierig sein. Entscheidendes Kriterium muss aber der Wille des Reformgesetzgebers sein, der in der Frage der Ausforschung keine wesentliche Veränderung des status quo anstrebte und die Ermittlung neuer – das heißt unbekannter oder unsubstantiiert vorgetragener – Beweise gerade ablehnt, selbst wenn dies im Einzelfall wünschenswert und deren Existenz üblicherweise zu erwarten wäre. § 142 ZPO gewährleistet eben nicht die Aufklärung von Punkten hinsichtlich derer die darlegungspflichtige Partei kein eigenes zuverlässiges Wissen besitzt735. Die Bezugnahme als solche muss richtigerweise nur dem Beibringungsgrundsatz gerecht werden. Daher sind hier keine hohen Anforderungen zu stellen736. Es ist aus729

Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 4. Sollte eine den Fällen der sekundären Behauptunglast vergleichbare Interessenlage bestehen, müsste das Gericht unabhängig von einer Vorlageanordnung zunächst gem. § 139 Abs. 1 ZPO auf das Bestehen einer sekundären Behauptungslast hinweisen. 731 So aber LG Ingolstadt ZInsO 2002, S. 990, 990, = NZI 2002, S. 390, 390; kritisch Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 482; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 4; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 11. 732 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 11; im Ergebnis auch Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 573. 733 Uhlenbruck, Gerichtliche Anordnung der Vorlage, NZI 2002, S. 589, 590; Lüpke/Müller, § 142 ZPO – ein trojanisches Pferd?, NZI 2002, S. 588, 589, die zwar anerkennen, dass der Gesetzgeber eine Ausforschung verhindern wollte, aber doch die Möglichkeit sehen, dass im Rahmen der praktischen Anwendung eine dem Discovery-Verfahren vergleichbare Situation entstehen kann. Dies wird für zulässig gehalten. 734 So auch Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 11; vgl. auch Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 4, die die Grenzen zu „unzulässiger Ausforschung des Inhalts“ gewahrt sehen will und den Verweis auf ein übliche Existenz für „zu vage und reine Spekulation“ hält. 735 A.A. Uhlenbruck, Gerichtliche Anordnung der Vorlage, NZI 2002, S. 589, 590. 736 Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 308 f. 730

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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reichend, wenn sich die Bezugnahme „stillschweigend“ aus dem Parteivortrag oder eingereichten Unterlagen ergibt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass dies mit dem Ziel der Erreichung einer Vorlegungsanordnung erfolgt. Die schlichte Erwähnung der Urkunde verbunden mit dem Willen, diese zu einem Teil des eigenen Vorbringens zu machen, reicht aus. Das Gericht kann und soll also durchaus die Initiative zur Beweiserhebung ergreifen, ohne aber den von den Parteien gesteckten Rahmen zu verlassen und ohne gänzlich neue und zur vollständigen Substantiierung erforderliche Informationen zu ermitteln. (2) Die Bezug nehmende Partei Gem. § 142 Abs. 1, S. 1 ZPO kann die Vorlage solcher Unterlagen angeordnet werden, die sich im Besitz einer Partei oder eines Dritten befinden, sofern sich „eine“ Partei auf diese bezogen hat. Die Bezug nehmende Partei kann sich zunächst auf Unterlagen beziehen, die sich in ihrem eigenen Besitz befinden. Nach dem klaren Wortlaut der Norm kann sich die Bezug nehmende Partei aber gerade auch auf Unterlagen beziehen, die nicht in ihrem Besitz, sondern im Besitz des Prozessgegners stehen. Die Bezug nehmende und die besitzende, d. h. vorlegungspflichtige Partei können also auseinander fallen, da es nicht heißt, es könne die Vorlage von im Besitz einer Partei befindlichen Unterlagen angeordnet werden, „auf die sich „die“ (besitzende) Partei bezogen hat, sondern da die Norm lautet „auf die sich „eine“ (das heißt: irgendeine) Partei bezogen hat“737. Mehrheitlich wird daher zu Recht angenommen, dass § 142 n. F. eine Vorlegungsanordnung auch gegenüber dem Prozessgegner ermöglicht, der sich nicht selbst auf eine Urkunde bezogen hat, die sich in seinem Besitz befindet738. d) Sonstige Voraussetzungen Wenn die Anordnung Beweiszwecken dienen soll, müssen die zu beweisenden Tatsachen zudem nach allgemeinen Grundsätzen streitig und entscheidungserheblich sein739. 2. § 144 ZPO a) Gegenstand der Anordnung und Besitz Nach § 144 Abs. 1 ZPO kann von Amts wegen die Augenscheinseinnahme bzw. die Sachverständigenbegutachtung angeordnet werden. Dementsprechend kann die Vorlage von bzw. die Duldung entsprechender Maßnahmen bezogen auf Augenscheinsgegenstände aufgegeben werden, die sich im Besitz einer Partei oder eines 737

Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 309. Im Ergebnis Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 572; a.A. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 17 ff.; vgl. ausführlich hierzu unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. III. 1. b) (2). 739 Siehe z. B. Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 1. 738

208 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Dritten befinden. Augenscheinsobjekte sind dabei alle Gegenstände, die einer sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind und nicht zur Wiedergabe eines verkörperten Gedankeninhalts herangezogen werden. § 142 ZPO ist insoweit die speziellere Vorschrift. Augenscheinsgegenstände in diesem Sinne sind z. B. mutmaßlich schutzrechtsverletzende Gegenstände oder Gegenstände zur Herstellung mutmaßlich schutzrechtsverletzender Gegenstände. Auch elektronische Dokumente gelten jetzt nach § 371 Abs. 1, S. 2 ZPO eindeutig als Augenscheinsobjekte. Sie fallen daher in den Anwendungsbereich von § 144 ZPO740. Hinsichtlich des Besitzbegriffes gilt das zu § 142 ZPO Gesagte. b) Sonstige Voraussetzungen Weitere Voraussetzungen im engeren Sinne bestehen nicht. Ein ausdrückliches Bezugnahmeerfordernis wie bei § 142 ZPO fehlt. Ob und welche weiteren Voraussetzungen für amtswegige Anordnungen gegenüber einer Partei oder einem Dritten gelten, ist aus § 144 ZPO als solchem nicht ersichtlich. Jedenfalls muss sich auch hier eine zu Beweiszwecken vorgenommene Anordnung auf streitige und entscheidungserhebliche Tatsachen beziehen741. Darüber hinaus steht die Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die besondere Zielsetzung des § 144 ZPO ist daher im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung, insbesondere hinsichtlich der Beachtung der Grenzen und des Zwecks des eingeräumten Ermessens – frühzeitige Sachverhaltsaufklärung unter Vermeidung einer unzulässigen, inquisitorischen Ausforschung – zu erörtern.

740 Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 2; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 15; siehe dort auch zum früheren Streit um die analoge Anwendung der Regeln über den Urkundenbeweis. Nach einer restriktiven Auffassung handelt es sich bei elektronischen Dokumenten nur um elektronisch lesbare Schriftstücke, d. h. Text-Dateien. Dafür spricht die gleichzeitige Einführung mit §§ 126a, 126b BGB und § 130a ZPO, welche ebenfalls auf diesen engen Begriff abzielen, vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 11, m.w.N. Eine andere Auffassung plädiert für ein weites Verständnis, nach welchem der Begriff auch Grafik-, Audio-, Video-Dateien sowie Software erfassen soll, vgl. Berger, Beweisführung, NJW 2005, S. 1016, 1017; im Ergebnis ebenso Zöller/Greger, ZPO, § 371 Rdn. 1; MüKo-ZPO/Damrau, Aktualisierungsband 2002, § 371 Rdn. 3. Letztere Auffassung erscheint zweckmäßiger, da sonst Regelungslücken für die genannten Dateien entstünden und die Diskussion um deren Klassifizierung als Augenscheinsobjekt erneut beginnen würde. 741 Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 3.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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III. Die Rechtsfolgen einer Anordnung 1. § 142 ZPO a) Gerichtliches Ermessen Für die Reichweite und Effektivität auf der einen Seite und für die Eingriffsintensität einer Regelung zur Beweismittelvorlage auf der anderen Seite ist zusätzlich von Bedeutung, ob das anordnende Gericht eine gebundene Entscheidung oder eine Ermessensentscheidung zu treffen hat. Aus der Sicht des Normgebers stellen sich Ermessensentscheidungen als die flexibleren Regelungen dar. Sie können großzügiger gewährt werden: Es bedarf geringerer einschränkender Voraussetzungen, die Rechtsfolgen können eingriffsintensiver, weiter reichend sein, denn es erfolgt stets zusätzlich eine Ermessensentscheidung als ausgleichendes Moment. Im Falle des § 142 ZPO kann das Gericht die Anordnung im Einzelfall verweigern. Für den sich in Beweisnot befindlichen mutmaßlich Schutzrechtsverletzten sind die potentiell nachgiebigeren Voraussetzungen einer Regelung mit Ermessensentscheidung sicher vorteilhaft, zugleich hat er jedoch – was wiederum einen Nachteil bedeutet – keinen Anspruch auf die Anordnung. Die Anerkennung einer Ermessensreduzierung durch das Gericht ist kaum verlässlich. Da er vom Faktor „Mensch“ abhängig ist, stellt sich für ihn das Ermessen als solches als weniger effektive Beweiserhebungsmöglichkeit dar. Bei einer gebundenen Entscheidung hat das Gericht weniger Möglichkeiten auf den Einzelfall zu reagieren – außer durch ergebnisorientierte Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen (Subsumtion) –, daher bestehen in der Regel höhere tatbestandliche Anforderungen742. Für den Beweisführer sind die strengeren Voraussetzungen möglicherweise problematisch, letztlich ist eine gebundene Entscheidung jedoch vorteilhafter für ihn. Er hat einen Anspruch und kann die beantragte Beweiserhebung effektiv einfordern. Für den Vorlegungspflichtigen ist hingegen gerade dies von Nachteil, würde sich für ihn als Anordnungsadressaten eine gebundene Entscheidung mit nur wenigen beschränkenden Voraussetzungen doch als besonders weit gehende und eingriffsintensive Regelung darstellen. Die Entscheidung über die Beweiserhebung nach förmlichen Parteiantrag oder Beweisantritt (z. B. §§ 371, 373, 420, 421 ZPO) ist eine gebundene Entscheidung. Sie ergeht aber bisher unter strengen Voraussetzungen (vgl. z. B. §§ 422 ff. ZPO), ist beschränkt durch umfangreiche Weigerungsrechte (vgl. §§ 383 ff. ZPO) oder ist nicht sehr eingriffsintensiv, da nach h.M. bisher keine ausdrückliche Duldungspflicht bestand (vgl. § 371 ZPO a.F.).

742 Zu diesen Überlegungen vgl. kurz, jedoch im Ansatz wohl teilweise ähnlich McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 17: 2. a.E und Fn. 38 u. 24.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Um die Effektivität der Beweiserhebungsmöglichkeit beurteilen zu können, ist nun zu klären, welche Art der Entscheidung bei § 142 ZPO und später bei § 144 ZPO vorliegt. (1) Im Rahmen einer Anordnung von Amts wegen Wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, „kann“ das Gericht die Vorlage der Unterlagen anordnen. Die Anordnung steht also im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Eine pflichtgemäße, d. h. rechtmäßige Ermessensausübung hat vor allem den Sinn und Zweck und die Grenzen des eingeräumten Ermessens zu beachten. Das Ermessen wird zweckentsprechend ausgeübt, wenn die Anordnung, wie oben dargestellt, die Prozessleitung verbessert und zur frühzeitigen Sachverhaltsaufklärung, einschließlich der Beweiserhebung über strittige Tatsachen, beiträgt. Gleichzeitig muss das Ausforschungsverbot beachtet werden sowie die wesentlichen Grundsätze des Beibringungsgrundsatzes und der Parteiverantwortung für die Stoffsammlung gewahrt bleiben. (a) Entscheidungsfindung Eine sachgerechte Entscheidungsfindung erfolgt dabei in zwei Schritten. Sobald den strengen Anforderungen an die substantiierte Bezugnahme genügt ist, hat das Gericht zu prüfen, ob eine Heranziehung der Unterlagen voraussichtlich der Aufklärung des relevanten Sachverhalts und damit der eigenen Entscheidungsfindung förderlich wäre743. Wenn die amtswegige Beweiserhebung die einzige Aufklärungsmöglichkeit ist, da eine Vorlegung durch die darlegungs- und beweispflichtige Partei nicht möglich ist – z. B. weil die Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO nicht gegeben sind – und die Tatsachen streitig und entscheidungserheblich sind, kommt es zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Der Aufklärungszweck gebietet dann eine Anordnung und würde einen Verzicht darauf ohne entgegenstehende Gründe als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen744. Allerdings ist dies für die beweisbelastete Partei nicht kalkulierbar.

743 Dies setzt voraus, dass die zu beweisenden Tatsachen entscheidungserheblich sind und der bisherige Parteivortrag hierzu streitig (beweisrechtliche Funktion) oder zumindest lückenhaft oder missverständlich (konkretisierende Funktion) ist. 744 Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 318, unter Bezugnahme auf Schöpflin, Beweiserhebung von Amts wegen, S. 17 ff.; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 7; Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1644 f.; ähnlich Greger, Reparaturkostenabrechnung, NJW 2002, S. 1477, 1477 a.E. f.: „Der Richter wird im Rahmen seines Bemühens […] kaum umhin können, sich die Rechnung […] vorlegen zu lassen.“; Lüpke/Müller, § 142 ZPO – ein trojanisches Pferd?, NZI 2002, S. 588, 588; a.A. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 7. Die ablehnende Ansicht verkennt, dass es sich bei Vorliegen der genannten Umstände nicht um eine freie Entscheidung des Gerichts handelt, sondern um pflichtgemäßes Ermessen, welches zumindest auch den Interessen der beweisbelasteten Partei zu dienen bestimmt ist.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Dieses Ergebnis ist auf einer zweiten Ebene anhand weiterer abwägungsrelevanter Punkte zu überprüfen und eventuell einer Korrektur zu unterziehen. Sinn der Einräumung richterlichen Ermessens ist es u. a., entgegenstehende Interessen zu berücksichtigen, welche sich nur schwer als negative Tatbestandsmerkmale fassen lassen. Neben dem Ausforschungsverbot und dem Grundsatz der Parteiverantwortung hat das Gericht vor allem die berechtigten Interessen der vorlegungspflichtigen Partei in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Der Reformgesetzgeber geht dabei insbesondere davon aus, dass das Gericht den Geheimhaltungsinteressen der Parteien durch eine entsprechende Handhabung des Ermessens Rechnung trägt745. (b) Geheimnisschutz Zu diesen geheimhaltungsbedürftigen Informationen zählen schutzwürdige Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse746 sowie persönliche Informationen aus der Privatund Intimsphäre. Die Geheimhaltungsinteressen sind im konkreten Einzelfall gegen den Anspruch der anderen Partei auf effektiven Rechtsschutz und dem – auch – öffentlichen Interesse an der Findung der materiellen Wahrheit abzuwägen. Bedauerlich ist, dass das Gericht hierbei bisher im Sinne eines „Alles-oder-NichtsPrinzips“ nur die Möglichkeit hat, die Anordnung zu erlassen oder sie zu versagen. Ein abgestufter Geheimnisschutz mittels Verfahrensvorkehrungen, wie beispielsweise der Anordnung des (zwangsweisen) Ausschlusses der Naturalpartei von der Beweiserhebung, ist nicht möglich. Erstens sieht die ZPO solche „in camera“-Verfahren bisher nicht vorher747. Zweitens verstößt die Würdigung streitentscheidender Beweise zumindest unter zwangsweisem Ausschluss der Naturalpartei gegen §§ 286 Abs. 1, 357 ZPO sowie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG)748. Während bei materiell-rechtlichen Informationsansprüchen – z. B. § 809 BGB – die Einschaltung eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen als „menschlicher Filter“, der nur streiterhebliche Informationen weitergibt und Betriebsgeheimnisse aussondert, möglich ist und sich aus § 242 BGB – unter dessen Vorbehalt die materiellen Ansprüche stehen – zwingend ergeben kann, schließen die genannten Grundsätze nach einer Ansicht die Anwendung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts bei der Beweiserhebung im Hauptsacheverfahren nach § 142 ZPO aus749. Weiterhin wurde der Vorschlag gemacht, die festgestellte Rechtslage dadurch mit den widerstreitenden Interessen in Einklang zu bringen, dass das Gericht im Rahmen 745

Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 120. Zur Begriffsbestimmung der „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ siehe bereits oben unter Einleitung F. I. 747 Vgl. hierzu bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (2), (3). 748 Knemeyer, Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, HdbStR VI, § 155 Rdn. 29; ähnlich Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3131; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 574 f.; siehe dazu bereits oben ausführlicher unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (2), (3). 749 Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428. 746

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

seiner Entscheidungsfindung der Bezug nehmenden Partei deutlich machen solle, es könne eine Vorlage nur anordnen, wenn die Parteien freiwillig eine Prozessvereinbarung folgenden Inhalts abschlössen: Die Urkunden werden nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen übergeben; die Partei verzichtet auf eine vollständige Offenbarung750. Unzulässig wäre es jedenfalls, dem Sachverständigen selbstständig die Entscheidung darüber zu überlassen, welche enthaltenen Tatsachen streiterheblich sind, oder gar, ob die Voraussetzungen des streitigen Anspruchs erfüllt sind751. Zulässig mag es hingegen sein, dass die Beweise durch das Gericht „in camera“ unter freiwilliger Abwesenheit der Naturalpartei und in Anwesenheit der gegenüber der eigenen Partei zur Verschwiegenheit verpflichteten Rechtsvertreter gewürdigt werden. Dennoch stellt sich auch hier das Problem, inwiefern die Partei auf ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör im Voraus rechtlich bindend verzichten kann. Wie bereits erörtert, ist ein begrenzter Verzicht auf den Schutz durch Art. 103 Abs. 1 GG ausnahmsweise dann möglich, wenn dieser Verzicht die Rechtsschutzposition des Verzichtenden verbessert752. Dieser Vorschlag hätte für die Bezug nehmende Partei zumindest den Vorteil, dass Informationen, die ohne die Prozessvereinbarung überhaupt nicht zugänglich gemacht werden dürften, zumindest zur Kenntnis des Gerichts und des Rechtsbeistandes gelangen, und so eventuell im Ergebnis mehr Information zur Erreichung wirksamen Rechtsschutzes zur Verfügung steht, als bei einer gezwungenermaßen negativen Ermessensentscheidung. Allerdings fehlt es bisher an einer gesetzlichen Regelung solcher Geheimhaltungsvereinbarungen, so dass die Bereitschaft der Gerichte gering sein wird, sich auf diese Vereinbarungen einzulassen753. Es wird folglich häufig zu einer negativen Ausübung des Ermessens kommen müssen.

750

Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428. Der Sachverständige kann nur einen Katalog tatsächlicher Fragestellungen überprüfen. Denn es ist alleinige Aufgabe des Gerichts, die Beweise frei, kritisch und nachvollziehbar zu würdigen (vgl. § 286 ZPO). Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation auch BGHZ 116, S. 47, 47, 58 – „Amtsanzeiger“; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 68: „Sachverständiger als Ersatz-Richter?“. Vgl. zur Unzulässigkeit der „Sachverständigenlösung“ auch oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (1). Zulässig mag es sein, dass der Sachverständige Geheimhaltungsbedürftiges aussondert, welches ganz offensichtlich nichts mit den streiterheblichen Tatsachen zu tun hat, und nur vom Gericht vorgegebene Fragen beantwortet. 752 BVerfG, Beschluss v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178; vgl. darüber hinaus Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 853. Schließlich müssten dem durch Art. 103 Abs. 1 GG berechtigten Schutzrechtsinhaber ansonsten gegebenenfalls jegliche Informationen vorenthalten werden, wenn er sich nicht auf Geheimhaltungsmaßnahmen einlässt. 753 Vgl. zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung bereits oben unter 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3). 751

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(c) Sonstige Erwägungen Weitere zweckentsprechende Ermessenserwägungen können der voraussichtliche Erkenntnisgewinn im Verhältnis zu dem zeitlichen Aufwand und den Kosten einer Vorlage sein. Falls gewichtige Gründe entgegenstehen – aber nur dann –, kann das Gericht von dem auf der ersten Stufe gefundenen Ergebnis abweichen und von einer Vorlageanordnung absehen. (2) Gebundene Entscheidung bei Parteiantrag auf Vorlegungsanordnung gegenüber einem Dritten Auch die Anordnung der Vorlegung von Unterlagen gegenüber einem Dritten steht regelmäßig im Ermessen des Gerichts. Allerdings liegt eine gebundene Entscheidung des Gerichts vor, wenn die beweispflichtige Partei von der in § 428 2. Fall ZPO genannten Möglichkeit Gebrauch macht und einen Antrag auf Erlass einer Vorlegungsanordnung nach § 142 ZPO stellt. Es handelt sich dann um einen förmlichen Beweisantritt, dem das Gericht entsprechen muss, wenn die allgemeinen Voraussetzungen vorliegen754. Die Voraussetzungen der §§ 429 S. 1, 422 ZPO – materieller Vorlegungsanspruch gegen den Dritten – müssen hierzu nicht vorliegen. Dies ergibt sich aus § 429 S. 2 ZPO, welcher § 142 ZPO für unberührt erklärt, und der Gesetzesbegründung755. Damit werden die Vorlegungspflichten des Dritten erweitert, insbesondere, da eine klageweise Geltendmachung (§ 429 S. 1 ZPO) bei einem Rückgriff auf § 142 nicht mehr erforderlich ist756. Eine solche Möglichkeit einer beantragten richterlichen Vorlegungsanordnung als gebundene Entscheidung besteht gegenüber dem Prozessgegner gerade nicht. Weder die §§ 421 ff. noch § 371 ZPO wurden, vergleichbar den §§ 428, 429, 371 Abs. 2 ZPO, abgeändert. Gebundene Entscheidungen über die Beweismittelvorlage durch den Prozessgegner werden nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§ 421 ff. ZPO ge754 Dies sind Streitigkeit und Entscheidungserheblichkeit der zu beweisenden Tatsachen und Beweisgeeignetheit der Unterlagen. 755 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S. 92; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3132; Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 483; Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 324; Stein/JonasLeipold, ZPO, § 142 Rdn. 8, 32 – 34; Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1642; Musielak/Huber, ZPO, § 428 Rdn. 2, 5; nun auch Zöller/Geimer, ZPO, § 429 Rdn. 1. Allerdings gelten bei der beantragten Vorlegungsanordnung dieselben Anforderungen an die Substantiierung durch den Beweisführer wie bei amtswegigem Vorgehen. 756 Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1642. Entgegenstehende Interessen des Dritten werden in diesem Fall nicht im Rahmen des Ermessens, sondern über § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO berücksichtigt: Unzumutbarkeit, entsprechende Anwendung der Zeugnisverweigerungsrechte. Eine ganz ähnliche Verweisung auf die richterliche Vorlegungsanordnung mit denselben Rechtsfolgen findet sich beim Augenscheinsbeweis (vgl. §§ 371 Abs. 2 S. 1, 144 ZPO).

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

währt. Ein entsprechender Parteiantrag auf Vorlegung stellt sich ohne das Vorliegen dieser Voraussetzungen nur als formlose „Anregung“ einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung des Gerichts dar757. Die Heranziehung ist dann durch diese Entscheidung bedingt, was Folgen für die Ausübung des Ermessens haben kann. b) Der Anordnungsadressat (1) Anordnungen gegenüber der Bezug nehmenden Partei Unproblematisch können Vorlegungsanordnungen gegenüber der Partei ergehen, die sich selbst auf die Unterlagen bezogen hat, und zwar unabhängig von der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Sollte es sich dabei um die nicht-beweisbelastete Partei handeln, würde eine solche Anordnung nicht über die Rechtsfolgen des § 423 ZPO hinausgehen. (2) Anordnungen gegenüber der nicht Bezug nehmenden Partei (Prozessgegner) (a) Meinungsstand Wie bereits oben nachgewiesen, erlaubt der klare Wortlaut der Norm eine Vorlegungsanordnung gegenüber beiden Parteien, also auch der nicht Bezug nehmenden Partei, selbst wenn diese nicht die Darlegungs- und Beweislast trägt758. Insofern kann die beweisbelastete Partei durch eine Bezugnahme eine Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei bewirken, die über die §§ 422, 423 ZPO hinausgeht. Da nach nun herrschender Auffassung § 142 ZPO weder eine eigene Bezugnahme (wie § 423 ZPO) noch einen materiellen Anspruch des Beweisführers gegen den Prozessgegner (wie § 422 ZPO) voraussetzt759, kommt es durch die Neuregelung zu einer ermessensabhängigen Erweiterung der prozessualen Vorlagepflichten der Parteien, insbesondere der nicht-beweisbelasteten Partei. Die sich ergebende Abweichung wird von einigen, die auch in der Frage der Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Stoffsammlung eine strenge Anbindung an das materielle Recht vertreten (materiellrechtliche Lösung)760, strikt abgelehnt: 757 Greger, Reparaturkostenabrechnung, NJW 2002, S. 1477, 1477; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3129; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 8; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 7; ähnlich Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 572. 758 Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130. 759 Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130; Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 481; im Ergebnis auch Lüpke/Müller, § 142 ZPO – ein trojanisches Pferd?, NZI 2002, S. 588, 588; Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 572 f. 760 Vgl. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 138 Rdn. 22.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Die Diskrepanz zu den §§ 422, 423 ZPO und insbesondere die Tatsache, dass bei § 142 ZPO allein die Bezugnahme auf eine Sache der gegnerischen Partei für eine amtswegige Vorlegungsanordnung gegenüber dieser anderen Partei ausreichend sein solle, selbst wenn die Bezug nehmende Partei die Darlegungs- und Beweislast trage, während die beantragte Urkundenvorlage nach § 423 ZPO eine Bezugnahme der vorlegungspflichtigen, nicht beweisbelasteten Partei auf ihre eigene Sache voraussetze, wird als „schwer nachvollziehbar“ bzw. „äußert problematisch“761 empfunden. Entgegen dem Wortlaut wird § 142 ZPO von diesen Literaturvertretern daher korrigierend ausgelegt, um mit den Regelungen zum Urkundenbeweis übereinstimmende Ergebnisse zu erreichen. Argumentiert wird vor allem damit, dass durch die Reformgesetze der § 423 ZPO nicht um das Tatbestandsmerkmal der Bezugnahme durch den Beweisführer erweitert wurde. Entgegen der Neufassung hinsichtlich der Urkundenvorlegung durch Dritte nach § 428 ZPO sei für den Beweisführer in den §§ 421 ff. ZPO auch nicht die Möglichkeit geschaffen worden, einen förmlichen Antrag auf eine richterliche Anordnung der Vorlegung nach § 142 ZPO zu stellen und so den Beweis anzutreten. Hätte der Gesetzgeber weiter reichende Vorlagepflichten der nicht-beweisbelasteten Partei begründen wollen, hätte er nach dieser Ansicht die §§ 422, 423 ZPO ändern können. Wenn bei der beantragten Urkundenvorlegung eine Bezugnahme durch den Beweisführer auf die Urkunde des Gegners nicht ausreiche, könne dies allein auch bei einer amtswegigen Vorlegungsanordnung nicht ausreichend sein762. In die Bestimmung der Voraussetzungen des § 142 ZPO bezieht diese Ansicht daher die Verteilung der Beweislast mit ein. Gegenüber der beweispflichtigen Partei könne eine Anordnung aufgrund einer Bezugnahme durch irgendeine Partei erfolgen. Dagegen könne gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei aufgrund einer Bezugnahme durch die beweisbelastete Partei eine Anordnung nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der § 422 oder § 423 ZPO ergehen763. Allein auf diese Weise lasse sich auch adäquat begründen, warum die Grenzen der Vorlagepflicht nach § 142 Abs. 2 ZPO nur hinsichtlich des Dritten gelten: Zugunsten des beweisbelasteten Partei bedürfe es keiner Grenzen; die Grenzen zugunsten der nicht-beweisbelasteten Partei würden sich hingegen aus den §§ 422, 423 ZPO ergeben764. (b) Stellungnahme Eine solche einschränkende Auslegung widerspricht nicht nur dem klaren Wortlaut, sondern auch dem Willen des Reformgesetzgebers, welcher in der Gesetzesbe761

Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 581, 583; Stein/JonasLeipold, ZPO, § 142 Rdn. 20 ff. 762 Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 581, 583; Stein/JonasLeipold, ZPO, § 142 Rdn. 20. 763 Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 582 f.; Stein/JonasLeipold, ZPO, § 142 Rdn. 21; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 142 Rdn. 6. 764 Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 583; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 22.

216 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

gründung ausdrücklich schreibt, dass eine Anordnung nach § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO „unabhängig von einem Beweisantritt“ ergehen kann, wenn sich „eine Partei“ auf die Unterlagen bezogen hat765. Auch dem Sinn und Zweck der Norm, nämlich dem Gericht frühzeitig ein besseres Verständnis des Sachverhaltes zu ermöglichen, kann erheblich besser entsprochen werden, wenn auch die nicht Bezug nehmende Partei, zur Vorlage veranlasst werden kann, unabhängig von der Verteilung der Beweislast766. Darüber hinaus ist es eigentlich unstreitig, dass nach der Entstehungsgeschichte der Norm die Aufstellung des Bezugnahmeerfordernisses nur dazu dienen sollte, die Beachtung des Beibringungsgrundsatzes zu sichern und eine amtswegige Inquisition oder gar Ausforschung zu verhindern, wozu eine Bezugnahme durch irgendeine Partei ausreichen würde767. Eine Verbindung mit der Beweislastverteilung oder eine Zurücknahme der beabsichtigten Erweiterung der Vorlagepflichten durch eine Koppelung an die §§ 422, 423 ZPO wurde dadurch sicher nicht intendiert. Schließlich lässt sich die Nichtanwendbarkeit der Vorlageverweigerungsrechte nach § 142 Abs. 2 ZPO auf die Parteien auch auf andere Weise einleuchtend erklären: Einem unbeteiligten Dritten ist es aufgrund des fehlenden Prozessrechtsverhältnisses noch weniger als einer Partei zumutbar, eigene Unterlagen vorzulegen, um anderen die Beweisführung zu ermöglichen768. Außerdem kann es im Rahmen der Vorlagepflicht des Dritten über §§ 428, 142 ZPO zu einer gebundenen Entscheidung kommen, bei der es mangels Ermessens ausdrücklicher gesetzlicher Grenzen bedarf. Gegenüber den Parteien ergehen nach § 142 ZPO dagegen nur Ermessensentscheidungen, in deren Rahmen entgegenstehende Interessen flexibel berücksichtigt werden können769. Dass dabei auf einer zweiten Ebene nur gewichtige Interessen wie Geheimhaltungsbedürfnisse eine negative Entscheidung rechtfertigen, stellt kein Manko der

765 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S. 78; das Entgegenstehen der Gesetzesbegründung erwähnt auch Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 581. 766 So auch Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 310 f.; ähnlich Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1640. 767 Dies muss auch Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 563, 580 f. einräumen. 768 So in anderem Zusammenhang: Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 483; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130. Allerdings ist auch anzumerken, dass die Pflichten Dritter auch umfassender sein können, da sie nicht in die – nach traditioneller Auffassung unerwünschte („nemo tenetur edere contra se“) – Gefahr kommen durch eine Vorlage sich selbst einen Prozessnachteil einzuhandeln. Aus diesem Grund ergehen im Weigerungsfalle gegenüber der Partei auch keine Zwangsmaßnahmen (analog §§ 386 ff. ZPO), sondern entstehen „nur“ negative Folgen im Rahmen der Beweiswürdigung. 769 Davon geht auch der Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 120 aus: „Den Interessen der Parteien an der Wahrung ihrer Geheimnisse trägt der Richter dadurch Rechnung, dass er von dem ihm eingeräumten Ermessen entsprechenden Gebrauch macht.“

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Neuregelung des § 142 ZPO dar, welches über §§ 422, 423 ZPO zu korrigieren wäre770, sondern ist gerade deren Sinn und Zweck. Die inhaltliche Diskrepanz zwischen den Normen und ihr Unbehagen bezüglich einer Ausweitung der prozessualen Vorlagepflichten wird von anderen dadurch gelöst, dass sie das Verhältnis der §§ 421 ff. ZPO zu den §§ 142, 144 ZPO wie folgt klären: Während die §§ 421 ff. ZPO der Beweiserhebung dienten, gelte dies für die §§ 142, 144 ZPO nicht. Sie bezweckten nur die Klärung unstreitiger, aber missverständlich vorgetragener Tatsachen im Rahmen der Prozessleitung771. Jedoch ist auch dies abzulehnen. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Instrumente der beweisrechtlichen Wahrheitsfindung nämlich den beantragten Urkundenbeweis als Anspruch der Partei und die amtswegige Urkundenvorlage als richterliche Ermessensentscheidung. Dabei relativieren sich die weiter reichenden Pflichten nach den §§ 142, 144 ZPO etwas durch die Unwägbarkeiten einer Ermessensentscheidung. Freilich kann und sollte es auch zu einer Ermessensreduzierung auf Null kommen, wenn die Tatsache streitig und entscheidungserheblich ist und keine gewichtigen Interessen entgegenstehen. Ob dies aber tatsächlich zu einem Bedeutungsverlust der §§ 421 ff. ZPO führen wird772, wird erst die tägliche Praxis zeigen und wohl auch von unterschiedlichen Richterpersönlichkeiten abhängen. Letztlich ist jedenfalls der nun herrschenden Auffassung773 zuzustimmen. Dies führt zu dem auch dogmatisch überzeugenden Ergebnis, dass bei einer Ermessensentscheidung gegenüber der Partei, wegen der Schutzwirkung des Ermessens, ein materieller Anspruch nicht erforderlich ist, während, wenn eine gebundene Entscheidung gegenüber der Partei zu treffen ist, also gegebenenfalls ein prozessualer Anspruch der anderen Partei besteht, ein materieller Anspruch erforderlich ist. (3) Anordnungen gegenüber einem Dritten Die grundlegendste Änderung erfolgte in § 142 ZPO in Bezug auf die Vorlagepflicht Dritter. Bisher mussten Unbeteiligte weder von Amts wegen noch auf Parteiantrag eigene Unterlagen im Prozess vorlegen. Der Beweisführer konnte den Beweis mit Hilfe von Unterlagen Dritter nur antreten, wenn das Gericht auf Antrag nach § 428 ZPO a.F. dem Beweisführer eine Frist zur Herbeischaffung dieser Urkunde setzte. In der Zwischenzeit konnte der Beweisführer separat Klage gegen den Dritten auf Vorlage erheben (vgl. § 429 ZPO a.F.), welche nur begründet war, wenn ein materieller Anspruch auf Herausgabe der Unterlagen bestand (vgl. §§ 429, 422 ZPO).

770

So scheint es Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 580 zu

sehen. 771

Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 315 f.; siehe dazu bereits oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. I. 772 Dies prophezeit Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1645 f. 773 Im Ergebnis auch Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 572.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Fortan können Dritte unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Partei von Amts wegen nach Ermessen des Gerichts zur Vorlage verpflichtet werden, ohne dass ein materieller Anspruch gegeben sein muss774. Dabei sollte mangels bestehenden Prozessrechtsverhältnisses und daraus folgender Prozessförderungspflicht zunächst eine Sachverhaltsaufklärung durch vorrangige Heranziehung der Parteien versucht werden775. Daneben besteht für den Beweisführer nun die Möglichkeit, den Beweis durch einen Antrag auf Erlass einer Vorlegungsanordnung gegenüber dem Dritten anzutreten (vgl. § 428 2. Fall ZPO); dies wäre dann eine gebundene Entscheidung, ebenfalls ohne die Notwendigkeit eines materiellen Anspruchs776. Eine separate Klage ist zulässig, aber nicht mehr erforderlich (vgl. § 429 S. 2 ZPO). Nicht nur hinsichtlich der nicht-beweisbelasteten Partei, sondern auch in Bezug auf den Dritten kam es also durch die ZPO-Reform 2001 zu einer Loslösung der Vor774 Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1641 f.; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3131 f.; bezüglich des Dritten auch Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 579. Beschränkt werden die neuen Vorlagepflichten Dritter freilich durch umfangreiche Weigerungsrechte nach § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO. Danach sind die Zeugnisverweigerungsrechte entsprechend anzuwenden. Die Vertraulichkeit des Anwalt-Mandanten-Verhältnisses ist somit gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützt – Gewerbegeheimnisse nach § 384 Nr. 3 ZPO. Unerheblich ist es, ob es sich bei den Geheimnissen um eigene Geheimnisse des Dritten oder fremde Geheimnisse handelt, vgl. Schlosser, Anm. zu LG München I, Beschluss vom 10.6. 1981, ZZP 95 (1982), S. 364, 365; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3132. Allerdings gilt dies nicht für vom Dritten gewahrte Geheimnisse der Parteien, vgl. LG München I, Beschluss vom 10.6. 1981, ZZP 95 (1982), S. 362, 364; a.A. Schlosser, Anm. zu LG München I, Beschluss vom 10.6. 1981, ZZP 95 (1982), S. 364, 365. Diese sind wie eigene Geheimnisse der Parteien zu behandeln, also in die Interessenabwägung einzubeziehen, vgl. Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3132, Fn. 53. 775 Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 483; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3131. Dass die Pflichten Dritter nachrangig und exzessive Vorlageanordnungen zu vermeiden sind (vgl. Zekoll/Bolt, a.a.O., 3132), zeigt sich auch an der Einfügung des weiteren Weigerungsgrundes der fehlenden Zumutbarkeit in § 412 Abs. 2 ZPO noch während des Gesetzgebungsverfahrens. Die demgemäß zu schützenden „berechtigten Interessen des Dritten“ (so die Definition in der Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 14/ 4722, S. 92) sind neben den genannten Zeugnisverweigerungsrechten nicht einfach zu bestimmen. Der Schutz der Privat- und Intimsphäre wird dazu gehören, vgl. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 27: der „persönliche Aufzeichnungen“ anspricht. Um die Zeugnisverweigerungsrechte nicht ihrer Bedeutung zu berauben, wird man die dort berücksichtigten Interessen als abschließend behandelt betrachten müssen, vgl. Greger, a.a.O., 483; Zekoll/Bolt, a.a.O., 3132. Das Weigerungsrecht der fehlenden Zumutbarkeit ist somit ein Auffangtatbestand. In begründeten Fällen bietet sich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an, in welche die Bedeutung des Beweismittels für den Prozess sowie der Aufwand und die Kosten für den Dritten einzufließen haben, vgl. Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung, FS Beys Bd. 2, S. 1625, 1642, sowie Fn. 65; Zekoll/Bolt, a.a.O., 3132; Greger, a.a.O., 483. Dies gilt insbesondere deshalb, weil eine Kostenerstattung zugunsten des Dritten gerade nicht vorgesehen ist, vgl. Zekoll/Bolt, a.a.O., 3133; Greger, a.a.O., 483, Fn. 34; a.A. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 31. Die Anwendung des Kriteriums der Unzumutbarkeit darf dennoch nicht dazu führen, die beabsichtigte Erweiterung der Vorlagepflichten in ihr Gegenteil zu verkehren. 776 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. III. 1. a) (2).

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lagepflichten von materiellen Ansprüchen. Mitwirkungspflichten können ihre Rechtfertigung nicht mehr nur alleine im materiellen Recht finden, sondern unabhängig davon in einem prozessualen Aufklärungsbedürfnis777. Dies sollte von den Vertretern einer rein materiellen Lösung bei der Begründung von Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Sachverhaltsaufklärung zur Kenntnis genommen werden778. 2. § 144 ZPO a) Art der Anordnungen (1) Allgemeines Nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO „kann“ das Gericht die Einnahme des Augenscheins, sowie die Begutachtung durch einen Sachverständigen anordnen. Die Inaugenscheinnahme bezeichnet dabei die unmittelbar gegenständliche Wahrnehmung z. B. der mutmaßlich schutzrechtsverletzenden Sache durch das Gericht. Der unmittelbaren Prüfung des Übereinstimmens der immaterialgüterrechtlich geschützten Merkmale mit den Merkmalen der streitgegenständlichen Sache durch das Gericht selbst kommt dabei ein hoher Beweiswert zu779. Zur Ermöglichung der Beweiserhebung in der genannten Form kann das Gericht den Parteien oder einem Dritten die Vorlegung des Gegenstands oder die Duldung der Inaugenscheinnahme oder Begutachtung aufgeben (§ 144 Abs. 1 S. 2, 3 ZPO)780. Die Einführung einer Duldungspflicht gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei ist ein

777 Zumindest bezüglich des Dritten auch Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 576 f. 778 Zumindest bezüglich des Dritten spricht selbst Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 576, im Zusammenhang mit dieser Loslösung von einem „grundlegenden Systemwechsel“. 779 Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 3, 7. Im Rahmen der ebenfalls einer amtswegigen Anordnung zugänglichen Begutachtung der Sache durch einen Sachverständigen hat das Gericht die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten (§ 404 a ZPO). Dazu hat es ihm im hier zu prüfenden Fall bestimmte tatsächliche Fragen zur Begutachtung vorzulegen. Hinsichtlich des sachlichen Umfangs der Untersuchungstätigkeit des Sachverständigen kann auf das zu § 809 BGB Gesagte verwiesen werden, da insoweit die Interessenlage vergleichbar ist. Im Rahmen des Ermessens sind die widerstreitenden Interessen abzuwägen, um die zulässige Intensität der sachverständigen Untersuchung zu bestimmen. Damit ist die Zulässigkeit von Substanzeingriffen und der Inbetriebnahme der Sache eine Frage der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung des Zwecks der Begutachtung im konkreten Einzelfall, vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt A. III. 2. b) und c). 780 Zweckmäßig und für die vorlegungspflichtige Person weniger belastend ist es hinsichtlich der Art der Anordnung, zwischen beweglichen und unbeweglichen bzw. schwer zu transportierenden Gegenständen zu differenzieren. Hinsichtlich der Erstgenannten käme eine Vorlegung in Betracht, hinsichtlich der Letztgenannten eine Duldung.

220 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

deutliches Signal an diese, ihren Mitwirkungspflichten auch nachzukommen, selbst wenn es an einer Erzwingbarkeit fehlt781. Bisher musste nach Parteiantrag zwar eine Inaugenscheinnahme angeordnet werden, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Beweiserhebung vorlagen, es bestand aber keine prozessuale Pflicht des Beweisgegners, Augenscheinsgegenstände vorzulegen oder deren Inaugenscheinnahme zu dulden782. Allein die Grundsätze der Beweisvereitelung waren anwendbar. (2) Schutz der „Wohnung“ Zu beachten ist allerdings, dass eine Duldung nicht angeordnet werden kann, sofern „eine Wohnung betroffen ist“, das bedeutet, sofern sich der Gegenstand dort befindet. Die Regelung erging mit Blick auf Art. 13 GG783 und gilt sowohl gegenüber einer Partei als auch gegenüber einem Dritten. Daher ist bei der Auslegung auch der Begriff der Wohnung nach Art. 13 GG zugrunde zu legen784. Wohnungen in diesem Sinne sind aber nicht nur die Wohn-, sondern auch die Betriebs- und Geschäftsräume. Auch die Geschäftsräume einer juristischen Person sind umfasst785. (3) Stellungnahme Im Ergebnis kann damit bei unbeweglichen oder schwer zu transportierenden Gegenständen – z. B. fest installierte oder „große“ Maschinen zur Herstellung schutzrechtsverletzender Waren oder zur Anwendung eines geschützten Verfahrens – bei denen nur eine Duldung in Betracht kommt, eine solche nicht angeordnet werden. Somit verliert auch die vorherige Anordnung der Inaugenscheinnahme oder Begutachtung hinsichtlich dieser Gegenstände an Bedeutung. Dies ist umso bedauerlicher, als man zumindest in Bezug auf die Begutachtung durch einen Sachverständigen die berechtigten Interessen des Anordnungsadressaten an der Integrität seiner Räumlichkeiten und der Geheimhaltung innerbetrieblicher Abläufe auch anders als durch eine völlige Versagung des Betretens hätte schützen können. Beispielsweise hätte der Gesetzgeber nur den häuslichen Bereich der „Wohnung“ im Sinne Art. 13 GG absolut von Duldungsanordnungen in diesem Sinne ausnehmen können und für den betrieblich genutzten Bereich zumindest eine Duldungsanordnung in Bezug auf das Betreten 781

Siehe hierzu unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. IV. 2. a). Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 13. 783 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs 14/4722, S. 79. 784 Vgl. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 25. 785 BVerfGE 44, S. 353, 371; BVerfGE 42, 212, 219; MüKo-ZPO/Heßler, § 758a Rdn. 4; so auch Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 25; a.A. Behr, Vollstreckung, NJW 1992, S. 2125, 2126; a.A. möglicherweise auch Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 1, § 357 Rdn. 3, jedenfalls hält sie Duldungsanordnungen hinsichtlich des Betretens „fremder Grundstücke und Räumlichkeiten“ für möglich. Ausgenommen seien „nur“ Wohnungen. Völlig unerwähnt lässt sie jedoch, dass eine „Wohnung“ im Sinne des Art. 13 GG nach Auslegung des BVerfG alle Räume umfasst, die „häuslichen oder beruflichen Zwecken ihres Inhabers dienen“, und damit weit zu verstehen ist (vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, § 758 Rdn. 2). 782

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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und die Begutachtung durch einen Sachverständigen zulassen können. Bei der Sachverständigenbegutachtung in diesem betrieblich genutzten Bereich hätte man zudem die gegnerische Partei von der Anwesenheit ausschließen können. Eine Änderung der Regelungen über die Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme wäre für diesen Ausschluss nicht erforderlich gewesen. Zwar gilt auch hinsichtlich der Ermittlung von Anknüpfungstatsachen vor Ort durch den Sachverständigen der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit (§ 357 ZPO) zumindest analog, weshalb grundsätzlich ein Anwesenheitsrecht der Parteien anerkannt ist786. Der Sachverständige muss zudem für das Gericht und die Parteien „überprüfbar offen legen“ wie die Befundtatsachen aufgeklärt wurden787. Letzteres setzt aber nicht zwingend die Anwesenheit der gegnerischen Partei vor Ort voraus. Bereits bisher ist anerkannt, dass das Anwesenheitsrecht bei der Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen (§ 357 ZPO analog) nicht uneingeschränkt gilt und bei Sachverständigenbegutachtungen eine Unzumutbarkeit der Anwesenheit der gegnerischen Partei möglich ist788. Der Gesetzgeber hätte somit den Willen deutlich machen können, dass er bei Ermittlungen des Sachverständigen in Wohnungen im Sinne des Art. 13 GG, entweder grundsätzlich oder da eine Gefährdung von Betriebsgeheimnissen glaubhaft gemacht wurde, einen Fall der Unzumutbarkeit für gegeben hält. So würden sich Sachverständigenbegutachtungen im betrieblich genutzten Teil der Wohnung zur Beweiserhebung ohne die gegnerische Partei als verhältnismäßig darstellen. Zugegebenermaßen wäre allerdings nach dem Konzept der §§ 142, 144 ZPO auch diese Duldungsanordnung gegenüber einer Partei weder unmittelbar noch mittelbar erzwingbar789. Bei fest installierten Gegenständen wäre zudem eine zusätzliche richterliche Durchsuchungsanordnung nach § 758 a ZPO entbehrlich, da das Gericht in diesem Fall zwangsläufig das Betreten und die Durchsuchung bei dem Erlass der Duldungsanordnung in seinen Willen aufgenommen haben sollte790. (4) Die alternative Lösung über § 371 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 ZPO Abgesehen von einer amtswegigen oder einer gegenüber einem Dritten nach § 371 Abs. 2 S. 1, 2. Fall ZPO beantragten Duldungsanordnung nach § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO kann die beweisbelastete Partei den Augenscheinsbeweis wie bisher gem. § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO antreten. Sie hat dazu den Augenscheinsgegenstand und die zu beweisende Tatsache substantiiert zu bezeichnen. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn 786 Musielak/Stadler, ZPO, § 357 Rdn. 2; a.A. Musielak/Huber, ZPO, § 404a Rdn. 6; siehe zum Anwesenheitsrecht der Parteien bei der Sachverständigenbegutachtung vor Ort auch oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, A. III. 2. b). 787 So Musielak/Huber, ZPO, § 404a Rdn. 5. 788 Hinsichtlich der Privatsphäre bei körperlichen Untersuchungen: Musielak/Huber, ZPO, § 404a Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 404a Rdn. 8. 789 Siehe hierzu unten unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. IV. 2. a). 790 Siehe zur Frage der Entbehrlichkeit einer zusätzlichen richterlichen Durchsuchungsanordnung auch oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. c) (2).

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

die allgemeinen Voraussetzungen der Beweiserhebung vorliegen, selbst wenn sich der Gegenstand in einer Wohnung im Sinne des Art. 13 GG oder auf einem Grundstück der nicht-beweisbelasteten Partei befindet. Die Anordnung der Inaugenscheinnahme ergeht dabei aber ohne Duldungsanordnung. Verweigert die nicht-beweisbelastete Partei zulässigerweise dem Gericht und dem Beweisführer oder nur dem Beweisführer den Zutritt zu der Wohnung im Sinne des Art. 13 GG, kann die Beweiserhebung nicht stattfinden; im letzteren Fall aufgrund einer strikten Auslegung des § 357 Abs. 1 ZPO bei der Inaugenscheinnahme. Jetzt bestimmt § 371 Abs. 3 ZPO allerdings ausdrücklich, dass der nicht-beweisbelasteten Partei daraus zumindest beweisrechtliche Nachteile, bis hin zur Annahme der Tatsache als bewiesen, erwachsen können. Dies gilt jedoch nicht, wenn eine solche Inaugenscheinnahme unzumutbar ist, also ein Weigerungsgrund vorliegt791. Ein solcher ist gegeben im Falle der Unverhältnismäßigkeit von Eingriffsintensität und Bedeutung des Streitgegenstandes. Der Hinweis auf die Wohnungseigenschaft der Räume im Sinne des Art. 13 GG reicht dabei allein in der Regel nicht792. Glaubhaft gemachte Unternehmensgeheimnisse sollen dagegen unter Umständen ein Grund sein, zumindest dem Gegner den Zutritt verweigern zu können und dennoch keine negative Beweiswürdigung fürchten zu müssen793. Wegen § 357 Abs. 1 kommt dann nach allgemeiner Meinung keine Inaugenscheinnahme, aber nach der hier vertretenen Ansicht eine Sachverständigenbegutachtung in Betracht. In Bezug auf Dritte gilt § 371 Abs. 2 ZPO, der einmal auf § 144 ZPO zurückverweist oder die §§ 422 bis 432 für anwendbar erklärt. (5) Ergebnis Die Ausgestaltung des § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO ist im Ergebnis sehr bedauerlich794. Die gesetzliche Neuregelung sieht vor, dass selbst in Bezug auf den nur betrieblich genutzten Teil einer „Wohnung“ zwar eine Inaugenscheinnahme oder Begutachtung angeordnet werden kann, jedoch in dieser Hinsicht gerade keine Duldungsanordnung ergehen kann. Selbst wenn diese Duldungsanordnung, wie die Anordnungen nach §§ 142, 144 ZPO insgesamt, nicht erzwingbar gewesen wäre, wäre doch die erstmalige Einführung einer Duldungspflicht gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zur vorherigen Rechtslage nach § 371 ZPO gewesen. Auch ist die Zwangswirkung, die eine gerichtliche Duldungsanordnung als solche entfaltet, nicht zu unterschätzen. Die Missachtung einer ausdrücklichen Dul791 Musielak/Stadler, ZPO, § 357 Rdn. 3, § 144 Rdn. 10; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 26. 792 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 26; Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 20; MüKo-ZPO/Damrau, § 371 Rdn. 9. 793 Musielak/Stadler, ZPO, § 357 Rdn. 4. 794 So ohne Begründung auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839: „Die verfehlte Gesetzgebung zu § 144 I 3 ZPO darf sich nicht wiederholen.“

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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dungsanordnung legt darüber hinaus auch stärkere beweisrechtliche Nachteile nahe als die Missachtung einer einfachen Anordnung der Inaugenscheinnahme oder Begutachtung. Eine Einbeziehung des betrieblich genutzten Teils der „Wohnung“ kann zwar über § 371 ZPO erfolgen, jedoch kann hier – genauso wie gem. § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO – nur eine Inaugenscheinnahme oder Begutachtung angeordnet werden, eine Duldungsanordnung kann ebenfalls nicht ergehen. Eine effektive Alternative liegt hierin also nicht. Die gesetzliche Neuregelung ist somit nicht hinreichend durchdacht. Der Gesetzgeber hat gerade für eine mögliche Anwendung auf die Verletzung gewerblicher Schutzrechte ohne Not die Effizienz der Regelung gemindert. Zwar wurde zu Recht der Schutz der „Wohnung“ gewahrt. Hinsichtlich des betrieblich genutzten Teils wären aber – wie gezeigt – auch flexiblere Lösungen in Betracht gekommen, die sowohl dem Rechtsschutzinteresse als auch dem Integritäts- und Geheimhaltungsinteresse gerecht geworden wären. (6) Besonderheiten bei der Übermittlung elektronischer Dokumente Wenn der Vorlegungspflichtige eine Datei vorzulegen hat, muss er nicht den gesamten Datenträger bzw. die Festplatte vorlegen, auf der die beweiserhebliche Datei gespeichert ist. Ausreichend ist die Kopie der Datei auf einen transportablen Datenträger und die Vorlage desselben oder die Übermittlung via Internet. Dafür spricht der Wortlaut des § 371 Abs. 1 S. 2, der die „Übermittlung“ der „Vorlegung“ gleich stellt. Streitigkeiten über die Identität von beweiserheblicher und übermittelter Datei sind gegebenenfalls im Wege des Sachverständigenbeweises zu klären795. Nach dem Wortlaut des diesbezüglich auch für § 144 ZPO maßgeblichen § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO sind die Dateien nur vorzulegen bzw. zu übermitteln. Teilweise wird daraus wohl geschlossen, das Gericht selbst müsse die Dateien selbst nicht öffnen können. Richtigerweise ist zweckentsprechend aber jede Handlung zur „Zugänglichmachung“ des Dateien-Inhalts erforderlich. Somit sind auch entsprechende Passwörter zum Öffnen der Datei mitzuteilen796. b) Gerichtliches Ermessen (1) Im Rahmen einer Anordnung von Amts wegen Auch die Anordnungen nach § 144 ZPO stehen regelmäßig im Ermessen des Gerichts. Insoweit kann im Prinzip vollumfänglich auf die Ausführungen zu § 142 ZPO verwiesen werden. Allerdings fehlt im Tatbestand des § 144 ZPO ein Bezugnahmeerfordernis. Dennoch gelten die zu § 142 ZPO angestellten Erwägungen zu der vom 795 MüKo-ZPO/Damrau, Aktualisierungsband 2002, § 371 Rdn. 5 – 9; Berger, Beweisführung, NJW 2005, S. 1016, 1020. 796 So auch Berger, Beweisführung, NJW 2005, S. 1016, 1020.

224 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Gesetzgeber angestrebten Wahrung des Beibringungsgrundsatzes und der Vermeidung einer Ausforschung des Gegners auch bei § 144 ZPO. Daher sind hier die gleichen Anforderungen an die Substantiierung des Tatsachenvortrags und die Bestimmtheit der Bezeichnung der Augenscheinsgegenstände zu stellen797. Im Gewerblichen Rechtsschutz ist beispielsweise auf Basis von greifbaren Anhaltspunkten eine bestimmte Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform zu behaupten. Darüber hinaus ist als Gegenstand der Inaugenscheinnahme oder Begutachtung eine konkrete Sache bestimmt zu bezeichnen. Eine Suche nach mutmaßlich beweiserheblichen Gegenständen, die bestimmte abstrakte Merkmale erfüllen, ist nicht gestattet. Das Gericht hat die in der Gesetzesbegründung genannte Zielsetzung, die Geltung von Substantiierungspflicht und Ausforschungsverbot zu wahren, und somit die hier genannten Anforderungen, in seine Ermessensüberlegungen einzubeziehen und darf keine Anordnung erlassen, wenn den Substantiierungsanforderungen nicht genügt ist. Daneben besteht im Rahmen des Ermessens die Möglichkeit, Geheimhaltungsinteressen abzuwägen. Gegebenenfalls hat das Gericht in diesem Zusammenhang von seiner Hinweispflicht gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch zu machen. Vor der Zivilprozessrechtsreform 2001 war ein Beweisantrag auf Anordnung der Inaugenscheinnahme eines Gegenstandes im Besitz des Gegners möglich (§ 371 ZPO a. F.), wobei es sich um eine gebundene Entscheidung handelte798. Dennoch bestand für diesen keine prozessuale Duldungs- oder Vorlagepflicht, abgesehen von § 372 a ZPO und einer negativen Würdigung nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung799. Auch § 144 ZPO a. F. enthielt eine ermessensabhängige Möglichkeit der amtswegigen Anordnung der Augenscheinseinnahme, jedoch keine ausdrücklichen Duldungs- oder Vorlegungspflichten der Parteien. § 144 Abs. 1 S. 2 u. 3 ZPO enthalten nun ausdrückliche Duldungs- und Vorlegungspflichten auch der gegnerischen Partei, ausgenommen die „Wohnung“ der Partei. Dagegen bestimmt § 142 ZPO keine ausdrückliche Duldungsanordnung gegenüber der Partei. Eingeschränkt werden diese erweiterten Pflichten nach § 144 ZPO allerdings dadurch, dass es sich bei § 144 ZPO um eine Ermessensentscheidung handelt, in deren Rahmen entgegenstehende Interessen berücksichtigt werden können. Ob im Gegensatz zu den Regelungen der Urkundenvorlegung auch gebundene – und damit eventuell noch weiter gehende – Entscheidungen gegenüber der gegnerischen Partei ohne das Erfordernis eines materiellen Anspruches und in Kombination mit ausdrücklichen Duldungspflichten ergehen können, soll Gegenstand des nächsten Abschnitts sein. 797

Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 5, 14. Die Beweisanordnung nach förmlichem Beweisantritt muss ergehen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen – Erheblichkeit, Streitigkeit, Beweisgeeignetheit – vorliegen, vgl. Zöller/Greger, ZPO, § 371 Rdn. 3, vor § 284 Rdn. 8a; Thomas/Putzo-Thomas, ZPO, § 371 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 371 Rdn. 5. 799 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rdn. 13; Zöller/ Greger, ZPO 20. Auflage, 1997, § 371 Rdn. 3. 798

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(2) Gebundene Entscheidung bei Parteiantrag auf eine Anordnung nach §§ 371 Abs. 2 S. 1, 144 ZPO gegenüber einem Dritten und gegenüber der Partei? Grundsätzlich steht auch die Anordnung gegenüber dem Dritten im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Fest steht aber auch, dass der Beweisführer zumindest gegenüber dem Dritten gem. § 371 Abs. 2 S. 1 ZPO den Beweis auch dadurch antreten kann, dass er den Erlass einer Anordnung nach § 144 ZPO beantragt. Da dies einen förmlichen Beweisantrag darstellt, liegt insofern keine Ermessens-, sondern eine gebundene Entscheidung vor. Die Anordnung muss ergehen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der beantragten Beweiserhebung – zumindest Streitigkeit und Erheblichkeit der Tatsachen, sowie Geeignetheit des Beweismittels – vorliegen. Ob darüber hinaus weitere Voraussetzungen bestehen, ist deshalb umstritten, da in § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO missverständlich auf die entsprechende Anwendung der §§ 422 – 432 ZPO verwiesen wird, nachdem in Satz 1 zunächst die Möglichkeit des Beweisantritts durch Beantragung einer Herbeischaffungsfrist (vgl. auch § 428 1. Fall ZPO) und anschließend die durch Beantragung einer Anordnung nach § 144 ZPO genannt wird. Unklar ist auch, ob ein förmlicher Beweisantrag auf Erlass einer Anordnung nach § 144 ZPO auch gegenüber einer Partei, also dem Beweisgegner, gestellt werden kann mit der Folge einer gebundenen Entscheidung ohne „Ermessensfilter“ und ohne Erfordernis eines materiellen Anspruchs. Dies würde von dem Regelungskonzept in §§ 422, 423, 428, 429 ZPO800 abweichen und i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO eine weitgehende Editionspflicht auf Parteiantrag in Bezug auf Augenscheinsgegenstände, einschließlich elektronischer Dokumente, darstellen, nur abhängig von Erheblichkeit, Streitigkeit sowie Beweisgeeignetheit, und natürlich einer konkreten Bezeichnung ohne ausforschende Elemente. Damit würde der Augenscheinsbeweis nach § 371 ZPO um ermessensunabhängige Duldungspflichten der gegnerischen Partei erweitert. Diese Pflichten wären allerdings wiederum nicht zwangsweise durchsetzbar (vgl. § 371 ZPO). Diese Unklarheiten entstanden durch eine chaotisch zu nennende Entstehungsgeschichte des § 371 ZPO n.F., welche dazu führte, dass sogar in aktuellen Standardkommentaren eine falsche Fassung des § 371 Abs. 2 ZPO abgedruckt ist801. Zunächst wurde durch Art. 2 Nr. 6 des Formvorschriftenanpassungsgesetzes vom 13. Juli 2001, in Kraft seit 1. 8. 2001802, an § 371 ZPO a. F. dieser Satz 2 angefügt:

800 Gebundene Entscheidung gegenüber dem Dritten mit den Rechtsfolgen des § 142 ZPO möglich, da Verweis auf § 142 ZPO; keine solche Möglichkeit gegenüber der gegnerischen Partei. 801 Vgl. Musielak/Huber, ZPO, 4. Auflage 2005, § 371, dort lautet die Fassung des § 371 Abs. 2 S. 1 ZPO: „Befindet sich der Gegenstand nach der Behauptung des Beweisführers im Besitz eines Dritten, …“. (Hinweis darauf bei Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 16 Fn. 14). 802 BGBl. 2001 I, 1542, 1543.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

„Ist ein elektronisches Dokument Gegenstand des Beweises, wird der Beweis durch Vorlegung oder Übermittlung der Datei angetreten; befindet sich diese nicht im Besitz des Beweisführers, gelten die §§ 422 bis 432 entsprechend.“ (Hier sog. Fassung 1).

Damit werden elektronische Dokumente endgültig als Augenscheinsobjekte klassifiziert und der darüber entbrannte Streit beendet803. Diese Regelung erging vor allem mit Rücksicht auf den Beweiswert dieser Dokumente804. Allerdings gelten für den Beweisantritt die Regelungen des Urkundenbeweises, denn das Dokument ist nicht zu bezeichnen (vgl. § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO), sondern vorzulegen (vgl. § 420 ZPO). Falls der Beweisführer das Dokument nicht besitzt, gelten auch für die Vorlage durch den Beweisgegner oder den Dritten die strengen Voraussetzungen des Urkundenbeweises805. Grundsätzlich will der Gesetzgeber also eine Koppelung der Voraussetzungen an den Urkundenbeweis, wodurch elektronischen Dokumenten eine „Zwitterstellung“806 zukommt. Durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001, in Kraft seit 1. 1. 2002807, wurden an § 371 ZPO a. F. zwei neue Absätze angefügt. Dabei wurde der neu angefügte § 371 Abs. 1 S. 2 schlicht vergessen, so dass Abs. 1 mit S. 1 endete. Der neue Abs. 2 lautete nun zunächst: „Befindet sich der Gegenstand nach der Behauptung des Beweisführers im Besitz eines Dritten, so wird der Beweis außerdem durch den Antrag angetreten, zur Herbeischaffung des Gegenstandes eine Frist zu setzen oder eine Anordnung nach § 144 zu erlassen. Die §§ 429 bis 432 gelten entsprechend.“ (Hier sog. Fassung 2).

In der Gesetzesbegründung werden hierzu folgende Ausführungen gemacht: Absatz 1 entspreche dem bisherigen § 371808. Dies ist, wie gezeigt, so nicht zutreffend. Absatz 2 beziehe sich auf den Fall des Augenscheinobjekts im Besitz eines Dritten; der Fall der Fristsetzung komme in Betracht, wenn ein materieller Anspruch bestehe809. Nur insoweit wird auf die entsprechende Anwendung der Regelungen zum Urkundenbeweis verwiesen. Der Fall des Antrags auf Vorlegungsanordnung sei dagegen in Betracht zu ziehen, wenn gegen den Dritten ein materieller Anspruch nicht bestehe810. Insoweit wird gerade nicht auf die Voraussetzungen des Urkundenbeweises verwiesen. Die Begründung hält zudem fest, dass es sich im Fall der beantragten Vorlegungsanordnung um eine gebundene Entscheidung handele und die Anordnung zu ergehen habe, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Beweiserhebung vorlä-

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Berger, Beweisführung, NJW 2005, S. 1016, 1016 f. Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drs. 14/4987, S. 23. Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drs. 14/4987, S. 23. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 117 Rdn. 10. BGBl. 2001 I, 1887, 1894. Siehe Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs 14/4722, S. 90 f. Siehe Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs 14/4722, S. 90 f. Siehe Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs 14/4722, S. 90 f.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gen811. Diese Erwägungen stimmen bisher genau mit der Konzeption der Vorlegungspflichten nach dem Zivilprozessreformgesetz überein. Um nun die vergessenen elektronischen Dokumente zu berücksichtigen, wurde der versehentlich gestrichene § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO a. F. in zwei Teile geteilt und durch Art. 5 Abs. 1a Nr. 1 Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 29. November 2001, in Kraft seit 1. 1. 2002812, auf Abs. 1 und Abs. 2 des § 371 ZPO n. F. verteilt. Die nun gültige Fassung lautet daher: § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO: „Ist ein elektronisches Dokument Gegenstand des Beweises, wird der Beweis durch Vorlegung oder Übermittlung der Datei angetreten.“ § 371 Abs. 2 ZPO: „Befindet sich der Gegenstand nach der Behauptung des Beweisführers nicht in seinem Besitz, so wird der Beweis außerdem durch den Antrag angetreten, zur Herbeischaffung des Gegenstandes eine Frist zu setzen oder eine Anordnung nach § 144 zu erlassen. Die §§ 422 bis 432 gelten entsprechend.“ (Hier sog. Fassung 3).

Im Gegensatz zur Fassung 2 des ZPO-Reformgesetzes enthält § 371 Abs. 2 ZPO in der Fassung 3 des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit der Formulierung „nicht in seinem Besitz“ nicht nur Regelungen mit Wirkung für den Dritten, sondern auch mit Wirkung für die gegnerische Partei. Eine Regelung für beide potentiellen Anordnungsadressaten wollte man sicherlich in Bezug auf elektronische Dokumente treffen, wie dies auch in Fassung 1 geschah. Daher hat man auch in Fassung 3 die §§ 422 bis 432 für anwendbar erklärt. Übersehen hat man jedoch offenbar, dass Abs. 2 nach Fassung 2 nicht nur Regelungen gegenüber dem Dritten in Bezug auf §§ 429 bis 432 enthält, sondern nach Wortlaut, Systematik und Gesetzesbegründung auch einen Direktverweis auf § 144 ZPO als beantragte, d. h. gebundene Entscheidung, ohne die Voraussetzungen der §§ 429 bis 432. Durch die Einbeziehung der gegnerischen Partei in Abs. 2 nach Fassung 3 trifft man somit auch für diesen Adressaten eine Regelung in Bezug auf die direkte Anwendbarkeit des § 144 ZPO auf Parteiantrag, also als gebundene Entscheidung, und ohne weitere Einschränkungen durch §§ 144 Abs. 1 u. 2 sowie §§ 422 ff. ZPO. Eine gebundene Entscheidung gegenüber der gegnerischen Partei nach §§ 142 bzw. 144 ZPO widerspricht indes der Konzeption des ZPO-Reformgesetzes. Sie wäre angesichts der schon bisher geringeren Anforderungen an den Augenscheinsbeweis (vgl. § 371 ZPO a.F.) im Vergleich zum Urkundenbeweis (§§ 421 ff. ZPO) hinsichtlich von Augenscheinsgegenständen im engeren Sinn aber noch nachvollziehbar. Wenn der Gesetzgeber jedoch die Vorlegung elektronischer Dokumente an die Voraussetzungen des Urkundenbeweises koppeln wollte813, wäre ein Direktverweis zumindest hinsichtlich elektronischer Dokumente sehr überraschend, da eine bean811 Siehe Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs 14/4722, S. 90 f.; siehe zu den Voraussetzungen einer Anordnung gegenüber dem Dritten insoweit zutreffend auch Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 19. 812 BGBl. 2001 I, 3138, 3179. 813 Siehe oben in demselben Abschnitt; sowie Begründung des Gesetzentwurfes, BTDrs. 14/4987, S. 23.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

tragte Urkundenvorlegungsanordnung gegenüber der gegnerischen Partei ohne die Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO nicht möglich ist (vgl. §§ 142, 422 ff. ZPO)814. Auch der Beweisantritt durch Antrag auf Fristsetzung zur Herbeischaffung in § 371 Abs. 2 S. 1, 1. Fall ZPO ergibt eigentlich nur Sinn als Parallele zu der Fristsetzung gegenüber dem beantragenden Beweisführer selbst zur Ermöglichung der separaten Herausgabeklage gegen den Dritten (vgl. §§ 428 1. Fall; 429 S. 1, 2. HS; 431 Abs. 1 u. 2 ZPO), aber nicht im Zusammenhang mit dem Beweisgegner, also einem Prozessbeteiligten815. Ohne die Notwendigkeit einer separaten Klage gegen einen Prozessunbeteiligten bedarf es weder einer Fristsetzung gegen den Beweisführer selbst noch einer praktischen Aussetzung des Verfahrens. Anderes gilt natürlich für die Fristsetzung gegenüber dem Vorlegungspflichtigen, z. B. nach § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO. Der Gesetzgeber hat augenscheinlich nicht erkannt, dass er nach dem Wortlaut von § 371 Abs. 2 ZPO nach Fassung 3 auch die Möglichkeit einer beantragten Vorlegungsanordnung nach § 144 ZPO gegenüber dem Beweisgegner geschaffen hat816. In der Gesetzesbegründung des Rechtsausschusses heißt es nur, die Nichtberücksichtigung von § 371 Abs. 1 S. 2 werde „korrigiert“ und die elektronischen Dokumente würden in den „Regelungszusammenhang des durch das ZPO-RG neu gefassten § 371 ZPO integriert“817. Eine im Vergleich zum ZPO-Reformgesetz (Fassung 2) erfolgte Einbeziehung des Beweisgegners und nochmalige Erweiterung seiner Pflichten wird nicht erwähnt.

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Siehe oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. III. 1. a) (2). Denn es handelt sich nicht um eine Vorlegungsfrist gegenüber einem besitzenden Prozessbeteiligten, sondern um eine Frist zur Herbeischaffung bzw. Vorlegung durch den Beweisführer, während deren Lauf das Verfahren unterbrochen ist und die Herausgabeklage gegen den Dritten möglich ist (vgl. § 428 1. Fall i.V.m. 429 S. 1, 2. HS ZPO). Unklar Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 14 a.E., wenn er eine Fristsetzung zur Vorlegung im Zusammenhang mit dem Besitz des Beweisgegners erwähnt. Unklar auch MüKo-ZPO/Damrau, Aktualisierungsband 2002, § 371: Dort wird zum Besitz des Beweisgegners und § 371 Abs. 2 S. 1, 1. Fall in Rdn. 12 ausgeführt: „Der Antrag des Beweisführers, gegen sich selbst eine […] Frist zu beantragen, bedeutet, dass der Prozess für die Dauer der Frist ausgesetzt ist, der Beweisführer gewinnt so Zeit.“ Aber wofür? Dazu Rdn. 15: „Wenn noch Zeit zur Ermittlung des Verbleibs des Gegenstandes gewonnen werden muss.“ Das ist die Aufgabe des hier angeblich nach § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO vorlegungspflichtigen Beweisgegners, eine Frist gegen den Beweisführer selbst wäre nicht nötig. Richtig dann Rdn. 17 (Besitz eines Dritten): „Die Bestimmung einer Frist zur Herbeischaffung eines Gegenstandes, der im Besitz des Dritten ist, richtet sich gegen den Beweisführer selbst. Dieser erreicht damit praktisch eine Aussetzung des Verfahrens (vgl. Zöller § 428 Rdn.1) […]. Innerhalb dieser Zeit muss der Beweisführer dann nötigenfalls gegen den Dritten auf Herausgabe […] klagen.“ 816 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 18: „keinen Aufschluss, […] wie § 371 Abs. 2 in der Verbindung mit § 144 zu verstehen ist, […]. Offenbar wurde dieses Problem nicht erkannt.“ 817 BT-Drs. 14/7052, S. 210. 815

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(a) Die Anordnungen gegenüber dem Dritten nach § 371 Abs. 2 ZPO Nach dem bisher Gesagten gilt in Bezug auf den Dritten Folgendes: Befindet sich der Gegenstand vorgeblich in seinem Besitz, kann der Beweis durch einen Antrag auf Fristsetzung angetreten werden. Dabei gelten gem. § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO die zusätzlichen Anforderungen der §§ 422 – 432 ZPO (insbesondere materieller Herausgabeanspruch vgl. §§ 428, 429 S. 1, 422 ZPO)818. Obwohl nach dem missverständlichen Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht zwischen § 371 Abs. 1 S. 2, 1. Fall und 2. Fall differenziert wird, gelten für die zweite Möglichkeit des Beweisantritts, den förmlichen Antrag auf Erlass einer Anordnung nach § 144 ZPO, die Anforderungen der §§ 422 – 432 ZPO nicht. Insofern ergibt sich aus der Gesetzesbegründung klar, dass eine gebundene Entscheidung über eine Vorlegungsanordnung ermöglicht werden soll, wenn eine materiellrechtliche Vorlegungsverpflichtung des Dritten gerade nicht besteht819. In Bezug auf elektronische Dokumente gilt dasselbe. Die gewünschte Übereinstimmung mit den Anforderungen an eine Urkundenvorlegungsanordnung gegenüber Dritten820 besteht. Die Ausweitung der Urkundenvorlegungspflichten des Dritten durch die ZPO-Reform wurde in Fassung 3 nachvollzogen. (b) Die Anordnungen gegenüber der Partei nach § 371 Abs. 2 ZPO Vorausgesetzt, mit Fassung 3 sollte nur eine Korrektur der aufgezeigten Nichtberücksichtigung erreicht werden, so dass die Pflichten der gegnerischen Partei bereits durch das lang diskutierte ZPO-Reformgesetz festgelegt wurden und keine neuerliche Erweiterung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz beabsichtigt war, gilt hier Folgendes: Hinsichtlich des Adressatenkreises von § 371 Abs. 2 ist im Prinzip noch Fassung 2 maßgebend. Bei der nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 ZPO erfolgten Einbeziehung der gegnerischen Partei in den Beweisantritt durch Fristsetzung oder Antrag auf eine Anordnung nach § 144 ZPO handelt es sich um ein klassisches redaktionelles Versehen. Der Beweisantritt mit Augenscheinsgegenständen im Besitz der gegnerischen Partei erfolgt nach § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO. Beim Vorliegen der allgemeinen Beweiserhebungsvoraussetzungen hat die Inaugenscheinnahme zu erfolgen; eine ausdrückliche Duldungspflicht besteht hier nicht. Daneben ist die bloße Anregung einer amtswegigen Ermessensentscheidung nach § 144 ZPO gemäß den dort geltenden Voraussetzungen möglich. Hier bestehen Duldungspflichten nach Maßgabe von § 144 Abs. 1, S. 3 ZPO. Für elektronische Dokumente gilt § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO. Befinden sich diese im Besitz der gegnerischen Partei, kann eine Ermessensentscheidung unmittelbar nach 818

Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S. 90. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S. 90 f., danach „hat“ das Gericht „dem Gesuch zu entsprechen“, wenn kein Anspruch besteht und die Tatsache „erheblich“ ist. Es gelten zudem die Weigerungsrechte des § 144 Abs. 2 ZPO. So auch Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 19; Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 14. 820 Begründung des Gesetzentwurfes (Formvorschriftenanpassungsgesetz), BT-Drs. 14/ 4987, S. 23. 819

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

§ 144 ZPO angeregt werden, hinsichtlich der die Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO nicht gelten. Darüber hinaus finden für den förmlichen Beweisantritt mittels elektronischer Dokumente im Besitz des Gegners die §§ 371 Abs. 2 S. 2, 422 – 427 ZPO Anwendung. Damit entsprechen die Voraussetzungen für eine Vorlegung von elektronischen Dokumenten denjenigen für eine Vorlegung von Urkunden. Dies folgt dem gesetzgeberischen Willen und ist sinnvoll, da sich diese Beweismittel funktional entsprechen und erstere die verkörperten Urkunden zunehmend ersetzen. Die hier vorgenommene Auslegung führt nicht zu einer noch weitergehenden Editionspflicht des Beweisgegners, nur abhängig von einer hinreichenden Substantiierung und Bezeichnung durch die risikobelastete Partei. Die Einführung einer solchen Editionspflicht wäre zwar zur Verbesserung der Effektivität der Beweiserhebung gerade im Immaterialgüterrecht sehr wünschenswert gewesen, sie entspricht aber nicht der Konzeption der ZPO-Reform und dem gesetzgeberischen Willen, die Vorlegungspflichten nur behutsam zu erweitern. Soweit das Problem als solches wahrgenommen wird, können andere vorgeschlagene Lösungswege nicht überzeugen: Teilweise wird für einen förmlichen Beweisantritt durch Antrag auf Erlass einer Vorlegungsanordnung (gebundene Entscheidung) nach § 144 ZPO in Bezug auf Gegenstände im Besitz des Gegners das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 422 – 427 ZPO nach § 371 Abs. 2 S. 2 gefordert821. Dieses Ergebnis beruht auf der unzutreffenden Argumentation, dass auch eine ermessensabhängige, amtswegige Vorlegungsanordnung nach § 144 ZPO gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO verlange, genauso wie dies bei einer amtswegigen Urkundenvorlegungsanordnung nach § 142 ZPO gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei der Fall sei822. Andere gehen wohl noch von einem unzutreffenden Wortlaut aus und kommen dann zu dem Ergebnis, dass für elektronische Dokumente bei dem Dritten ein Antrag nach § 144 ZPO möglich sei, während für elektronische Dokumente im Besitz des Gegners ein „unmittelbares Vorgehen des Gerichts nach § 144 ZPO in Betracht“ komme823. Wieder andere problematisieren diese Frage nicht und stellen – am Wortlaut orientiert? – fest, dass der Beweisführer einen Antrag auf Erlass einer Anordnung nach § 144 ZPO gegenüber dem Beweisgegner stellen kann, und zwar unabhängig von den §§ 422, 423 ZPO824. 821

So Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 20; der Hinweis auf die Verweisung in § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO kann jedoch dann nicht überzeugen, wenn man vorher zu Recht feststellt, der Gesetzgeber habe das Problem des unklaren Verhältnisses von § 371 Abs.2 und § 144 so gar nicht erkannt, und wenn man hinsichtlich des Dritten und § 144 ZPO den § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht anwendet, vgl. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 18 f. 822 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 20; siehe dazu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. III. 1. b) (2) (a). 823 Stadler, Zivilprozess und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 111 (2002), S. 413, 431, nimmt dort zumindest noch an, dass § 371 Abs. 1 auf §§ 422 ff. ZPO verweise. 824 Berger, Beweisführung, NJW 2005, S. 1016, 1019; Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 14 a.E.; MüKo-ZPO/Damrau, Aktualisierungsband 2002, § 371 Rdn. 13; widersprüchlich

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Man könnte der Diskussion hier entgegenhalten, dass es hinsichtlich der gegnerischen Partei doch keinen Unterschied mache, ob man es zulasse, dass § 144 ZPO auf Antrag angewendet wird, denn § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO erfordere ohnehin einen Antrag. In beiden Konstellationen bestünde ein Anspruch der risikobelasteten Partei und es seien nur die allgemeinen Voraussetzungen der Beweiserhebung erforderlich. Ein Unterschied bestehe doch nur in der unbedeutenden Frage des Vorliegens einer ausdrücklichen Duldungsanordnung bzw. -pflicht. Es scheint weiter unerheblich zu sein, ob eine Entscheidung nach § 144 ZPO auf Antrag (gebundene Entscheidung) ergeht oder im Ermessen des Gerichts steht, mit der Möglichkeit der Ermessensreduzierung auf Null. Nachdem allerdings bis zur Reform der ZPO 2001 allgemein anerkannt war, dass gerade keine prozessual begründeten Duldungspflichten der gegnerischen Partei hinsichtlich einer Inaugenscheinnahme oder Vorlage von entsprechenden Gegenständen bestehen825, ist die Reichweite der Duldungspflicht durchaus von Bedeutung, gerade angesichts deren Zwangswirkung auf Grund richterlicher Anordnung, unabhängig von einer tatsächlichen Erzwingbarkeit. Zudem ist es für die risikobelastete Partei im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit und die Effektivität des Rechtsschutzes sehr wichtig, ob sie einen Anspruch auf die Anordnung hat, oder von der Ermessensausübung des Gerichts abhängig ist. Vor allem kommt in Bezug auf die elektronischen Dokumente hinzu, dass für diese § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht gilt und eine Vorlegungspflicht der gegnerischen Partei nur unter den Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO besteht. Da die Möglichkeit einer Antragstellung auf eine gebundene Entscheidung nach § 144 ZPO ohne die Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO für die risikobelastete Partei somit einen bedeutenden Unterschied gemacht hätte, erübrigt sich die vorstehende Diskussion gerade nicht. c) Der Anordnungsadressat Wie bei § 142 ZPO kommen als mögliche Adressaten einer Anordnung nach § 144 ZPO die beweisbelastete Partei, die nicht beweisbelastete Partei und Dritte in Betracht. Die Ausführungen zu § 142 ZPO gelten entsprechend auch hier. Wie auch bei § 142 ZPO wird teilweise versucht, die Vorlegungs- und Duldungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei nach § 144 ZPO entgegen dem Wortlaut der Norm einzuschränken. Danach soll der Beweisgegner nur Verpflichteter sein können, wenn ein materieller Anspruch oder eine eigene Bezugnahme vorliege gem. §§ 371

Zöller/Greger, ZPO, § 371 Rdn. 3a und 4: Während der Beweisführer nach Rdn. 3a „bei fehlendem Besitz“ eine Anordnung nach § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO beantragen kann, ist nach Rdn. 4 eine Vorlegung nach § 144 (§ 371 Abs. 2 S. 1, 2. Fall ZPO) anzuordnen, wenn … das Gericht „vom Besitz des Dritten“ überzeugt ist. Für den Antrag auf Fristsetzung (§ 371 Abs. 2 S. 1, 1. Fall ZPO) wird zu Recht auf §§ 430, 431 ZPO verwiesen, dort ist nur vom Dritten die Rede. 825 Vgl. nur Thomas/Putzo-Thomas, ZPO, 22. Auflage 1999, vor § 371 Rdn. 2.

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Abs. 2 S. 2; 422, 423 ZPO826. Dies widerspricht aber – wie oben erläutert – dem gesetzgeberischen Willen und dem Sinn und Zweck der Regelung, würde es doch die Mitwirkungspflichten einschränken, statt sie vorsichtig zu erweitern. Auch die gezogene Parallele zur beantragten Vorlegungsanordnung und zu den Voraussetzungen des Urkundenbeweises überzeugt nicht. Grenzen der Mitwirkungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei ergeben sich damit nur aus dem Wortlaut, den allgemeinen Voraussetzungen der Beweiserhebung und den im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden Umständen. Die stark erweiterten Mitwirkungspflichten des Dritten finden ihre Grenze in der fehlenden Zumutbarkeit und den Weigerungsrechten analog den §§ 383 ff. ZPO (vgl. § 144 Abs. 2 ZPO). IV. Verfahren und Durchsetzbarkeit 1. Verfahren Die §§ 142 und 144 ZPO sind in jedem Verfahren anwendbar, für welches die ZPO gilt, sowohl innerhalb als auch außerhalb der mündlichen Verhandlung. Als terminvorbereitende Maßnahme können die Anordnungen nach § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO durch den Vorsitzenden getroffen werden. In diesem Fall kann eine nach Fristsetzung (vgl. § 142 Abs. 1 S. 2 ZPO) verspätete Vorlage durch die beweispflichtige Partei zu einer Zurückweisung (Präklusion) nach § 296 Abs. 1 führen827. Für § 144 ZPO stellt Abs. 3 ausdrücklich klar, dass sich das Verfahren nach den §§ 371 ff., 402 ff. ZPO richtet. Daneben kommen die allgemeinen Vorschriften der §§ 355 ff. zur Anwendung828. 2. Durchsetzbarkeit a) Gegenüber einer Partei (1) Die Wirkung der §§ 371 Abs. 3, 427 S. 2 ZPO analog Die Anordnungen nach §§ 142, 144 ZPO sind gegenüber einer Partei weder unmittelbar noch mittelbar erzwingbar. Die Festsetzung willensbeugender Zwangsmittel gegenüber einer Partei nach § 390 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ZPO ist nicht vorgesehen. Eine Folgeleistung kann somit in jeder Hinsicht verweigert werden. Dies führt beispielsweise im Fall des § 144 Abs. 1, S. 3 ZPO zu dem bemerkenswerten Ergebnis einer nicht erzwingbaren Duldungsanordnung bzw. -pflicht.

826 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 22. Jedenfalls gelte bei anderer Auslegung zumindest das aus §§ 144 Abs. 3, 371 Abs. 3 ZPO abgeleitete Kriterium der Zumutbarkeit, Stein/ Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 23. Allerdings kann m. E. kein Umstand eine Unzumutbarkeit begründen, welcher nicht schon im Rahmen des Ermessens zu beachten gewesen wäre. 827 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 142 Rdn. 3, 22, § 144 Rdn. 4; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 6, 13, § 144 Rdn. 2, 11. 828 Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 12.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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§ 144 Abs. 3 ZPO verweist für das anzuwendende Verfahren allerdings auf die §§ 371 ff. ZPO, und somit auch auf § 371 Abs. 3 ZPO829, wonach die Vereitelung einer zumutbaren Beweiserhebungsmaßnahme beweisrechtliche Nachteile für die vereitelnde Partei zur Folge hat, bis hin zur Annahme der behaupteten Tatsache als bewiesen. Anders als bei dem Dritten (vgl. § 144 Abs. 2 S. 1 ZPO) hindert die fehlende Zumutbarkeit nicht die Anordnung als solche – zu beachten ist aber die Berücksichtigung entgegenstehender Belange im Rahmen des Ermessens –, sie kann aber beweisrechtliche Konsequenzen der Weigerung für den Vorlagepflichtigen ausschließen. Um die beabsichtigte Erweiterung der Parteipflichten nicht „durch die Hintertüre“ wieder zu kassieren, sind jedoch Fälle fehlender Zumutbarkeit, die nicht schon im Rahmen des Ermessens zwingend zu bedenken waren, sehr zurückhaltend anzunehmen. Dies kann bei einer deutlichen Unverhältnismäßigkeit der Auswirkungen für den Anordnungsadressaten in Bezug auf die Bedeutung des Streitgegenstandes oder aufgrund bisher nicht beachteter Geheimhaltungsinteressen der Fall sein830. Bei der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ist die Nichtbefolgung einer zumutbaren Anordnung sodann frei zu würdigen. Ein mögliches Ergebnis ist dabei die Annahme der Tatsache als erwiesen831. Es handelt sich somit nicht um eine gesetzliche Fiktion oder einen Fall der Beweislastumkehr832, in der Regel wird das Gericht aber einen entsprechenden Schluss aus der Weigerung ziehen833. Für § 142 ZPO fehlt es an einer ausdrücklichen Verweisung auf § 371 Abs. 3 ZPO bzw. die §§ 427, 444 ZPO. Jedoch werden auch hier die Weigerung und ihre Gründe gem. § 286 ZPO gewürdigt. Eine pflichtwidrige Beweisvereitelung kann analog § 427 S. 2 ZPO zu denselben negativen beweisrechtlichen Schlüssen führen. Darauf weist schon die Gesetzesbegründung hin834. (2) Abweichende Auffassungen Die Vertreter einer restriktiveren Auslegung, z. B. im Sinne einer Anlehnung an den Urkundenbeweis bzw. das materielle Recht, kommen aber auch hier zu graduell 829

Musielak/Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 8; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 31. MüKo-ZPO/Damrau, § 371 Rdn. 9; Musielak/Huber, ZPO, § 371 Rdn. 20; Musielak/ Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 7. 831 Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130; Musielak/ Stadler, ZPO, § 144 Rdn. 8; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 144 Rdn. 31. 832 MüKo-ZPO/Schreiber, § 444 Rdn. 4 Fn. 7; Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 481 f. 833 Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130; MüKo-ZPO/ Damrau, Aktualisierungsband 2002, § 371 Rdn. 30. 834 Begründung des Gesetzentwurfes BT-Drs. 14/4722, S. 78: „die beweisrechtlichen Folgen“ „nach § 427 ZPO bleiben unberührt“; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 7; Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 481. 830

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

abweichenden Ergebnissen: Die analoge Anwendung des § 427 ZPO wird im Zusammenhang mit § 142 ZPO an das Bestehen einer Vorlagepflicht nach §§ 422, 423 ZPO gebunden. Eine beweisrechtliche Sanktion (analog § 427 ZPO) eines Verstoßes gegen eine amtswegige Vorlegungsanordnung nach § 142 ZPO, die unabhängig vom Bestehen einer materiellen Pflicht gegenüber der anderen Partei nach §§ 422, 423 ZPO erging, wird abgelehnt835. Andere wollen § 427 ZPO als zu einem bestimmten Ergebnis ermächtigende Norm verstanden wissen. Bei einer konkreten, ergebnisoffenen Beweiswürdigung im Rahmen einer analogen Anwendung des § 427 ZPO soll berücksichtigt werden, dass § 427 in seinem „originären Anwendungsbereich“ sehr wohl das Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 422, 423 ZPO verlange836. Wer eine beweisrechtliche Funktion der §§ 142, 144 ZPO gänzlich bestreitet, behandelt eine Weigerung nur analog zur Nichtbefolgung einer richterlichen Aufforderung nach § 139 ZPO837. Diese Auffassungen sind insoweit abzulehnen, als sie die Entkopplung prozessualer Vorlagepflichten von materiellen Ansprüchen auf der Ebene der Sanktionen einer Nichtbefolgung wieder rückgängig machen wollen. Dies würde jedoch dem geäußerten Willen des Reformgesetzgebers widersprechen. (3) Ergebnis Im Ergebnis bleibt es damit auch nach der ZPO-Reform bei dem Grundsatz der fehlenden Erzwingbarkeit der Beweiserhebung. Selbst richterliche Duldungsanordnungen sind nicht durchsetzbar; die sich verweigernde Partei hat nach wie vor einzig beweisrechtliche Nachteile im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu fürchten. Selbst die Annahme einer von der beweispflichtigen Partei vorgetragenen Tatsache als erwiesen kommt der Partei in Beweisnot aber nicht zugute, wenn sie schon nicht in der Lage ist substantiiert vorzutragen. Das Gericht kann dann nur die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsache anhand einer unzureichenden Beweislage würdigen und gegebenenfalls zur Grundlage der Entscheidung machen, wenn zumindest die zu beweisenden Tatsachen hinreichend bestimmt und konkretisiert behauptet wurden. Fehlt es schon an Informationen und greifbaren Anhaltspunkten zur Substantiierung, was im Immaterialgüterrecht regelmäßig der Fall ist, kann die Beweiswürdigung nur zu Lasten des mutmaßlich Verletzten ausfallen838. Die Sanktion trifft damit die sich in Beweisnot befindende Partei und nicht die sich verweigernde Partei.

835 Leipold, Anordnung der Urkundenvorlage, FS Gerhardt, S. 563, 584; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 37. 836 Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 482. 837 Gruber/Kießling, Vorlagepflichten, ZZP 116 (2003), S. 305, 331 f. 838 Siehe hierzu auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 16 f., 20.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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b) Gegenüber einem Dritten Wenn sich der Dritte nach §§ 142 Abs. 2 S. 1, 144 Abs. 2 S. 1 ZPO weigert, die angeforderten Gegenstände vorzulegen, kann er gem. §§ 142 Abs. 2 S. 2, 144 Abs. 2 S. 2 ZPO wie ein Zeuge behandelt werden, der seiner Zeugnispflicht nicht nachkommt (vgl. §§ 386 – 390 ZPO)839. Die willensbeugenden Ordnungsmittel führen im Ergebnis zu einer effektiven Durchsetzbarkeit der Anordnungen gegenüber Dritten. V. Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung Der Reformgesetzgeber hat mit der Neuregelung der §§ 142, 144 ZPO die prozessualen Vorlage- und Duldungspflichten der nicht beweisbelasteten Partei, d. h. des mutmaßlichen Schutzrechtsverletzers, vorsichtig erweitert mit dem Ziel der Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung. Diesem Ziel ist er etwas näher gekommen, allerdings nicht in einer Weise, wie es den hier zu Grunde gelegten Bedürfnissen des sich in einem spezifischen Informationsdefizit befindlichen mutmaßlich Schutzrechtsverletzten entsprochen hätte und der gegnerischen Partei, von deren Lauterkeit auszugehen ist, zumutbar gewesen wäre. 1. Die nicht-beweisbelastete Partei als Adressat und die prozessuale Herleitung Fest steht nun zumindest, dass prinzipiell eine – sicherlich in ihrer Reichweite stark begrenzte – prozessual begründete Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei bestehen kann. Dabei entstehen diese neuen Mitwirkungspflichten unabhängig von materiellen Ansprüchen und der Beweislastverteilung allein aufgrund des Prozessrechtsverhältnisses und einer prozessualen Mitwirkungsnotwendigkeit. Diese Loslösung von materiellen Ansprüchen ist zu begrüßen. Daher ist es schlicht nicht mehr haltbar, uneingeschränkt zu vertreten, keine Prozesspartei sei verpflichtet, „die Sache ihres Gegners zu betreiben“ bzw. ihm „das Material zu verschaffen“, es sei denn, es bestünden materielle Ansprüche840. Dieser Grundsatz wurde spätestens jetzt „in nennenswertem Umfang verlassen“841. 839 Über das Bestehen von Weigerungsrechten wird durch Zwischenstreit entschieden (vgl. §§ 387 f. ZPO), was zu einer ineffektiven Zeitverzögerung führen kann, vgl. Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3133. Im Falle einer unberechtigten Weigerung wird ein Ordnungsgeld (§ 390 Abs. 1 S. 2 ZPO), und im Wiederholungsfall Ordnungshaft (§ 390 Abs. 2 ZPO) festgesetzt. Außerdem können die entstehenden Kosten auferlegt werden (§ 390 Abs. 1 S. 1 ZPO). Da eine unmittelbare zwangsweise Durchsetzung nicht möglich ist, dient dies der mittelbaren Erzwingung der Anordnung. 840 So jedoch BGH, WM 1958, S. 961, 962; Brehm, Bindung des Richters, S. 83; BGH, ZZP 104, S. 203, 205, = NJW 1990, S. 3151, 3151 ff. 841 Dieses Zitat findet sich nun auch bei einem entschiedenen Gegner prozessualer Aufklärungspflichten, vgl. Prütting, Informationsbeschaffung durch neue Urkundenvorlagepflichten, FS Nemeth, S. 702, 712, der allerdings einschränkt, die Gesetzesänderungen seien

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Die Behandlung der Vorschläge Gottwalds und die Gesetzesbegründung lassen dennoch klar erkennen, dass die Einführung einer allgemeinen Aufklärungs- oder Editionspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei klar abgelehnt wurde. Angesichts dieser Willensäußerung des Gesetzgebers lässt sich das Bestehen einer solchen Pflicht de lege lata – über die zweifelsohne bestehenden Hilfskonstruktionen der Rechtsprechung hinaus – kaum mehr begründen842. Dies sagt aber nichts über die Richtigkeit der Einführung weitergehender prozessualer Aufklärungspflichten de lege ferenda aus. Gerade die Unzulänglichkeiten der vorgenommenen Neuregelung haben die Fälle typischer Beweisnot wieder ins Bewusstsein gerückt und zu einer steigenden Zustimmung zu grundsätzlicheren Änderungen des Beweisrechts geführt843. Eine Betrachtung der Durchsetzungs-Richtlinie muss das Problembewusstsein hier weiter schärfen und kann nicht ohne Auswirkungen auf die Diskussion auch im Zivilprozessrecht sein. 2. Keine Informations- oder Beweisermittlung Diese ausdrückliche, prozessual begründete Mitwirkungspflicht ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie stellt sich aber nicht als echter „Aufklärungs“-Beitrag dar. Der Reformgesetzgeber betont ganz ausdrücklich das Festhalten an den hergebrachten Grundsätzen des Ausforschungsverbotes, der Unzulässigkeit eines Beweisermittlungsantrages und die Notwendigkeit der Substantiierung entsprechend dem üblichen Grad als Voraussetzung des Entstehens der Mitwirkungspflicht844. Diese Absicht fließt in die Auslegung des Bezugnahmeerfordernisses und die zweckentsprechende Ausübung des Ermessens ein. Der mutmaßlich in seinen Rechten Verletzte hat daher bereits vor Einleitung der Maßnahme substantiiert bestimmte Tatsachen, wie beispielsweise die Eigentümlichkeiten angeblich schutzrechtsverletzender Merkmale, zu behaupten und Beweisstücke konkret zu bezeichnen. Die §§ 142, 144 ZPO dienen damit der Ermöglichung des Beweises, wenn sich bei einem im Wesentlichen darlegungsfähigen Sachverhalt das im Wesentlichen bekannte Beweisstück in der Sphäre des Gegners befindet. Sie zielen auf die teilweise Überwindung des bereits erwähnten Verfügbarkeitsproblems. Da die Substantiierung vor„nicht systemkonform“ und in „einem sehr engen Rahmen eingefügt“; zum alten Recht gänzlich anders noch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 137. 842 Deutliche Ablehnung nach wie vor z. B. durch Prütting, Informationsbeschaffung durch neue Urkundenvorlagepflichten, FS Nemeth, S. 702, 711 f.; a.A. wohl MüKo/Peters, ZPO, Aktualisierungsband 2002, § 142 Rdn. 3. 843 Selbst völlig anderer Ansicht konstatiert auch Prütting, Informationsbeschaffung durch neue Urkundenvorlagepflichten, FS Nemeth, S. 702, 706, dass sich eine „gewisse Wende anzubahnen“ scheint. 844 Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/6036, S. 120 f.; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, § 139 Rdn. 117e; Musielak/Stadler, ZPO, § 142 Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, § 142 Rdn. 9; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 142 Rdn. 1; Zöller/Greger, § 142 Rdn. 2; dagegen Schlosser, Anm. „Faxkarte“, JZ 2003, S. 427, 428, ein Befürworter weiter reichender Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei.

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ausgesetzt wird, kann das ebenfalls erwähnte Problem fehlender Kenntnis auf diese Weise nicht gelöst werden. Die notwendige Informations- oder Beweis-„Ermittlung“ im eigentlichen Sinn kann nicht stattfinden, denn neue Informationen und Beweise, die ihm die Erhärtung seines plausiblen Verdachts ermöglichen würden, erhält der mutmaßliche Schutzrechtsverletzte gerade nicht845. Die Substantiierung im herkömmlichen Sinn bleibt die Schwelle, die zu überwinden ist, um eine prozessuale Beweiserhebung nach §§ 142, 144 überhaupt auszulösen. Das typische Informationsdefizit des Schutzrechtsinhabers, der lediglich den Verdacht einer Schutzrechtsverletzung hat, den er auf bestimmte äußere Anhaltspunkte stützt, ohne jedoch die angegriffene Ausführungsform auch nur annähernd beschreiben oder ein konkretes, einzelnes Beweisstück für seine These in der gegnerischen Sphäre bezeichnen zu können, kann so nicht überwunden werden. Die „verworrene und unberechenbare“ Rechtslage betreffend das Ausforschungsverbot, das Substantiierungserfordernis und ihre einzelfallspezifischen Variationen wurde nicht durch eine „klare“ Regelung ersetzt846. Die übermäßige Betonung des Ausforschungsverbotes verhindert insofern eine nötige Weiterentwicklung. Um nicht nur das Verfügbarkeitsproblem, sondern auch das Informationsdefizit zu beheben, hätte es einer Regelung der Beweismittelvorlagepflicht bedurft, die bei Gegenständen und Geschehensabläufen in der Sphäre des Gegners einen abgesenkten Grad an Substantiierung des Parteivortrages ausreichen lässt, ohne sogleich zu Missbräuchen einzuladen, wie sie im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen discovery-Verfahren und den gefürchteten „fishing expeditions“ auftreten. Es ist sicher zutreffend, dass die tatsächliche Reichweite der neuen Regelungen davon abhängen wird, wie die Gerichte von dem ihnen eingeräumten Ermessen Gebrauch machen. Dabei wird teilweise „Fingerspitzengefühl“ angemahnt, um nicht – wie es unzutreffenderweise für möglich gehalten wird – eine dem „discovery“-Verfahren vergleichbare Situation entstehen“ zu lassen847. Die Neuregelungen nehmen jedoch nur punktuell und eng begrenzt Änderungen an den Voraussetzungen einer Vorlagepflicht vor. Auch bei großzügigerer Auslegung wären sie mit dem „discovery“-Verfahren in keiner Weise vergleichbar848.

845 Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass der mutmaßlich Verletzte Unterlagen, die üblicherweise vorhanden sind, deren konkrete Existenz aber nur vermutet werden kann, nicht erlangen kann, selbst wenn sie wahrscheinlich beweiserheblich sind. 846 So auch Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3130. 847 Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 574, 575; Lüpke/Müller, § 142 ZPO – ein trojanisches Pferd?, NZI 2002, S. 588, 589. 848 Zur Einleitung einer „pretrial discovery“ bedarf es nicht eines konkreten bestimmten Vortrags. Eine vorherige Schlüssigkeitsprüfung findet nicht statt und auf die Streiterheblichkeit der Unterlagen wird kaum geachtet. Der letztlich relevante Streitstoff soll erst durch das Verfahren selbst zu Tage gefördert werden. Vgl. zur Abgrenzung der §§ 142, 144 ZPO zum „discovery“-Verfahren Prütting, Informationsbeschaffung durch neue Urkundenvorlagepflichten, FS Nemeth, S. 702, 709 f., 710 f.; Zekoll/Bolt, Pflicht zur Vorlage von Urkunden, NJW 2002, 3129, 3133 f.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Entgegen den Befürchtungen mancher ist es auch nicht zu erwarten, dass die beweisbelastete Partei das Gericht zu einer Vorlegungsanordnung bewegen könnte, wenn sie – ähnlich den Vorschlägen von Mes849 rein spekulativ, quasi erdacht, jedoch, um den Substantiierungserfordernissen formal zu genügen, bestimmt und schlüssig vorgetragen einen Geschehensablauf schildert, der noch nicht völlig willkürlich, oder „aus der Luft gegriffen“ erscheint850. Dies wirkt zum einen konstruiert, aber selbst wenn er ein Gericht findet, dass die Substantiierungsanforderungen im Einzelfall so nachgiebig auslegt, müsste der Schutzrechtsinhaber, der ohne irgendwelche genauere Informationen hinreichend bestimmt einen spekulativen Geschehensablauf schildert, zum anderen seine Klage auf Spekulationen stützen und ist immer in der Gefahr, die tatsächlichen Ausführungsformen völlig verfehlt zu beschreiben851. Im Falle der vermuteten Verletzung eines Immaterialgüterrechts erscheint dies angesichts der unzähligen möglichen Benutzungsformen nicht als Erfolg versprechendes Vorgehen. Ohne dem weiteren Gang der Arbeit vorgreifen zu wollen, muss bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Bundesgerichtshof in der aktuellen Entscheidung „Restschadstoffentfernung“ insbesondere im Hinblick auf zu hohe Anforderungen an den Tatsachenvortrag bei § 142 ZPO offenbar die Auffassung vertritt, dass § 142 ZPO nicht voll mit Art. 6 der Durchsetzungs-Richtlinie in Einklang steht. Daher nimmt er eine richtlinienkonforme Auslegung vor und diskutiert eingehend die Frage des Ausforschungsverbotes und des Grades der Wahrscheinlichkeit der Schutzrechtsverletzung852. Da es sich dabei ausdrücklich bereits um eine richtlinienkonforme Auslegung handelt, kann diese Auslegung einer Darstellung des originären deutschen Rechts in Abgrenzung zu den Umsetzungs-Erfordernissen der Richtlinie nicht zu Grunde gelegt werden853. 3. Schutz der Geheimnis- und Privatsphäre Bedauerlich ist auch, dass weiterhin eine überzeugende gesetzliche Lösung des Geheimnisschutzproblems, welche die widerstreitenden Interessen zusammenführt, aussteht. Die Berücksichtigung entgegenstehender Geheimhaltungsinteressen im 849

Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. I. 3. Genau dies befürchten aber Kraayvanger/Hilgard, Urkundenvorlegung, NJ 2003, S. 572, 574. 851 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. I. 4. sowie Marshall, Besichtigungsanspruch, FS Preu, S. 151, 162 und Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 89. 852 BGH, Urt. v. 1. 8. 2006, WRP 2006, S. 1377, 1377 – „Restschadstoffentfernung“, danach ist § 142 ZPO im Lichte von Art. 6 RL bei den technischen Schutzrechten differenziert zu betrachten und anzuwenden. Eine Vorlegung kann angeordnet werden, wenn sie „zur Aufklärung des Sachverhaltes“ erforderlich ist. Als Anlass der Vorlegung kann ausreichen, dass die Benutzung des Gegenstandes des Schutzrechts „wahrscheinlich“ ist. 853 Eine Darstellung erfolgt im Zusammenhang mit der Erörterung des durch Art. 6 RL entstehenden Umsetzungsbedarfs, vgl. hierzu unten unter 3. Teil, A. II. 1. a) (2). 850

2. Abschn., D. Die amtswegige richterliche Anordnung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Rahmen des Ermessens wird hier meist zu einer unflexiblen Entweder/Oder-Entscheidung führen müssen, solange die einfachgesetzlichen Regelungen über die Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme nicht zumindest den Ausschluss der Naturalpartei in Form eines „in camera“-Geheimverfahrens erlauben854. Auch die große Reichweite des Wohnungsbegriffs in § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO mindert die Effektivität einer Anordnung nach § 144 ZPO. Gerade im Immaterialgüterrecht wäre eine Duldungsanordnung in Bezug auf den betrieblich genutzten Teil der Wohnung – also die Betriebs- und Geschäftsräume – äußert hilfreich gewesen855. Die Möglichkeit einer Anordnung der Duldung einer Sachverständigen-Begutachtung unter gesetzlich geregeltem Ausschluss der Partei wäre der gegnerischen Partei sicher zumutbar gewesen. 4. Ermessensentscheidung und fehlende Durchsetzbarkeit Wie gesehen, können gegenüber der gegnerischen Partei nach §§ 142, 144 ZPO nur amtswegige Ermessensentscheidungen ergehen, für die allerdings kein materieller Informationsanspruch gegeben sein muss. Abgesehen von dem Bereich der „Wohnung“ kann nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO auch eine Duldungspflicht der gegnerischen Partei bestehen. Eine gebundene Entscheidung kann für die Inaugenscheinnahme und Begutachtung sowie ohne materiellen Anspruch, nur nach § 371 Abs. 1 ZPO ergehen, dann besteht jedoch keine Duldungspflicht. Eine gebundene Entscheidung hinsichtlich elektronischer Dokumente nach § 371 Abs. 1 S. 2 setzt zudem das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO voraus. Die Diskussion hat schließlich gezeigt, dass für den Schutzrechtsinhaber entgegen dem Wortlaut keine Möglichkeit besteht, gegenüber der gegnerischen Partei eine gebundene Entscheidung nach §§ 371 Abs. 2 S. 1, 2. Fall, 144 ZPO zu erwirken und so ohne Bindung an materielle Ansprüche und gestützt auf die Duldungspflicht nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO eine weitergehende Editionspflicht der gegnerischen Partei zu erreichen. Der praktische Nutzen der untersuchten Beweismittelvorlageinstrumente für den Schutzrechtsinhaber leidet erheblich unter dieser Verweisung auf eine bloße richterliche Ermessensausübung. Die richterliche Ermessensausübung ist weder vorhersehbar noch verlässlich und beeinträchtigt die Effektivität der Maßnahme als Instrument der Beweisbeschaffung zugunsten der nicht-beweisbelasteten Partei. Bei einer Entscheidung von Amts wegen besteht nicht einmal ein Antragsrecht der Partei. Die Verteidigung des Ausforschungsverbotes unter Zitierung des Beibringungsgrundsatzes und die Ablehnung parteigetragener prozessualer Mitwirkungspflichten führt damit schließlich paradoxerweise zur Stärkung des inquisitorischen Elements in der Zivilprozessordnung.

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Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3). Kritisch zu § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839: „verfehlte Gesetzgebung“. 855

240 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Zum Fehlen eines Anspruchs der nicht-beweisbelasteten Partei auf die Beweismittelvorlage kommt hinzu, dass die gegnerische Mitwirkung weiterhin nicht erzwingbar ist. Die möglichen nachteiligen beweisrechtlichen Konsequenzen für die sich verweigernde Partei, die noch dazu unter dem Vorbehalt der Zumtbarkeit der Mitwirkung stehen, helfen wenig, wenn der Schutzrechtsinhaber die Verletzungsform nicht substantiiert beschreiben kann. Im Ergebnis scheitert der mutmaßlich schutzrechtsverletzte Kläger sowohl an der Notwendigkeit eines substantiierten Vortrags856 als auch – ein zweites Mal – an der unzureichenden Sanktionierung der Verweigerung der Mitwirkung seitens des Gegners. Allerdings ist innerprozessualen Beweisbeschaffungsinstrumenten ohnehin zu eigen, dass sie keine Informationen beschaffen können, die bereits bei Klageerhebung von Vorteil sind oder eine Beurteilung von Erfolgsaussichten und Prozesskostenrisiko ermöglichen.

E. Fazit zur Informationsbeschaffung nach bisher geltendem deutschen Recht: „Ausforschungsverbot statt Geheimverfahren“ Wie gesehen, lassen sich Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Stoffsammlung sowohl materiell als auch prozessual begründen. Ohne die von Rechtsprechung und Schrifttum vorgenommenen Differenzierungen und Hilfestellungen außer Acht zu lassen, gilt, dass nach bisherigem deutschen Recht keiner der beiden Ansätze dem Schutzrechtsinhaber ein effektives Informations- und Beweisbeschaffungsinstrument zur Verfügung stellen kann, welches ihn befähigt im Falle einer nur aufgrund von äußeren Anhaltspunkten vermuteten Schutzrechtsverletzung sein strukturelles Informationsdefizit zu überwinden. Die Entstehung der gegnerischen Mitwirkungspflicht setzt im bisherigen deutschen Recht stets einen anfänglichen Tatsachenvortrag des Schutzrechtsinhabers voraus. Wie hoch die Anforderungen an diesen Tatsachenvortrag und damit an die aus eigenen Quellen zu leistende Sachverhaltsaufklärung sind, bestimmt welches Ausmaß und welchen Charakter die Mitwirkungspflicht der gegnerischen Partei bei der Sachverhaltsaufklärung hat857. Im Rahmen des Besichtigungsverfahrens nach § 809 BGB muss beispielsweise in Bezug auf die vermutete Schutzrechtsverletzung bereits anfänglich ein Überzeugungsgrad erreicht werden, der einer „erheblichen“

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Da ihm sehr häufig hinreichende Informationen und Anhaltspunkte zur ausreichenden Substantiierung fehlen; nach McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 20, ist dies „bei Schutzrechtsverletzungen […] nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“ 857 Vgl. hierzu Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 23.

2. Abschn., E. Fazit zur Informationsbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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oder „gewissen“ Wahrscheinlichkeit entspricht858. Im Rahmen von Maßnahmen nach §§ 485 ff. ZPO und §§ 142, 144 ZPO hat der Schutzrechtsinhaber – außerhalb der fremden Sphäre stehend – substantiiert vorzutragen; also recht präzise eine Verletzungshandlung zu beschreiben, die er bisher aufgrund äußerer Anhaltspunkte nur vermuten kann. Hinzu kommt, dass bei allen Maßnahmen nach § 809 BGB, §§ 485 ff., 142, 144 ZPO die zur Beweisführung gewünschte Sache im Antrag genau zu bezeichnen ist. Das heißt, nur eine konkrete, im Wesentlichen bekannte Einzel-Sache wird Gegenstand dieser Maßnahmen. Dem Schutzrechtsinhaber konkret unbekannte, neue Beweisstücke, welchen eine dem Schutzrechtsinhaber neue Information zu entnehmen sein könnte, die den Verdacht verifizieren oder falsifizieren würde, können nicht ermittelt werden. Diese hohen Anforderungen an den Vortrag und die Bezeichnung führen dazu, dass die Mitwirkungs-„Pflichten“ des Gegners bei der Stoffsammlung per se eher gering bleiben. Die Mitwirkungs-„Pflichten“ beschränken sich in aller Regel auf die Mitwirkung bei einer schlichten Beweissicherung859. Unter Umständen kann so das beschriebene Zugangs- und Verfügbarkeitsproblem gelöst werden, wenn der Schutzrechtsinhaber schon recht konkrete Vorstellungen vom Verletzungssachverhalt und den in der gegnerischen Sphäre verfügbaren Beweisstücken hat, und die Beweisstücke lediglich benötigt werden, um den Verletzungssachverhalt im gerichtlichen Verfahren zu beweisen. Insbesondere im hier untersuchten Fall der bloßen Vermutung einer Schutzrechtsverletzung innerhalb der gegnerischen Sphäre aufgrund von tatsächlichen äußeren Anhaltspunkten ist dies jedoch nicht ausreichend. Der Schutzrechtsinhaber weiß nicht, ob die Verletzung tatsächlich vorliegt, kann die konkrete Ausführungsform nicht beschreiben und relevante Beweisstücke nur unter Schwierigkeiten benennen. Es bedürfte daher Maßnahmen, die eine echten Informations- und Beweisermittlung ermöglichen und so das erwähnte Kenntnisproblem lösen helfen. Diese finden sich im bisherigen deutschen Recht in Bezug auf das Bestehen der Verletzung als solcher jedoch nicht860. Die Instrumente, die hier untersucht wurden, um zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, auch im Falle des strukturellen Informationsdefizits den Sachverhalt so aufzuklären, dass vorprozessual Erfolgsaussichten und Prozesskostenrisiko beurteilt, ein entsprechend der Entscheidung „Blasfolienherstellung“ hinreichend bestimmter Klageantrag gestellt861 und schließlich im Prozess die Verletzungshandlung substantiiert werden kann, setzen bereits bei Antragstellung die Substantiierung

858

Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c); zumindest im „Druckbalken“-Verfahren wurden zur Begründung das Ausforschungsverbot und der „nemo tenetur“-Grundsatz herangezogen, vgl. 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (2). 859 Der Begriff „Pflicht“ ist hier untechnisch zu verstehen. 860 Zur etwas anderen Situation bei § 809 BGB siehe sogleich. 861 Vgl. BGH, GRUR 2005, S. 569, 569 – „Blasfolienherstellung“.

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

oder doch zumindest verletzungsbezogene Informationen voraus, die der Schutzrechtsinhaber im hier zu Grunde gelegten Fall nicht hat. Dies gilt sicherlich nur teilweise für § 809 BGB: Dort wird in gewisser Weise eine neue Information ermittelt, wenn durch die Sachverständigen-Besichtigung die bisher unbekannte konkrete Ausführungsform beschrieben, so dass die Verletzung verifiziert werden kann und ein bestimmter Klageantrag möglich wird. Allerdings wird dieser Befund dadurch stark entwertet, dass § 809 BGB mit der Darlegung einer „Wahrscheinlichkeit“ – im Patentrecht einer „erheblichen“ Wahrscheinlichkeit – wie gesagt wiederum hohe Anforderungen an den Vortrag stellt, denen häufig anfänglich nicht genügt werden kann; und zudem nur die vorher bezeichnete konkrete Sache untersucht werden kann. Zudem ist im Patentrecht die Beschreibung von unbekannten Äquivalenzen untersagt, so dass diesbezüglich nur die wortsinngemäße Verletzung behauptet und durch die Untersuchung verifiziert werden kann. Insofern bestätigt die Untersuchung den konkreten Vortrags der Identität. Abgesehen von der Beschreibung der konkreten Ausführungsform fehlt ein im eigentlichen Sinne ermittelndes Element. Im Übrigen steht fest, dass eine Beweisermittlung, um aus unbekannten Beweisstücken weitere verletzungsrelevante Informationen zu gewinnen, nicht stattfindet. Außerdem sind im Patentrecht bei der Untersuchung der Sache erkenntnisbringende Substanzeingriffe ausgeschlossen. Schließlich kann die Besichtigung nur mittels eines langwierigen und komplizierten Verfahrens durchgesetzt werden, welches der Besichtigung die Effektivität und Praxistauglichkeit nimmt. Das Kenntnisproblem bleibt also auch hier aus verschiedenen Gründen häufig ungelöst. Die Effektivität der prozessualen Instrumente gem. der §§ 485 ff. ZPO sowie der §§ 142, 144 ZPO leidet zudem an der fehlenden Möglichkeit die Beweismaßnahme im Fall der Mitwirkungsverweigerung seitens des Gegners zwangsweise durchzusetzen. Auf Grund der Statuierung einer bloßen amtswegigen Ermessensentscheidung ist die Anordnung von Maßnahmen gem. der §§ 142, 144 ZPO gegenüber der gegnerischen Partei außerdem nicht hinreichend kalkulierbar. Im Rahmen der Maßnahme nach §§ 485 ff. ZPO bestehen schließlich Schwierigkeiten bei der Herstellung eines Überraschungsmomentes. Sicherlich ist dies stark zugespitzt, jedoch lässt sich sagen, dass sich die mangelnde Eignung des bisher geltenden deutschen Rechts, das strukturelle Informationsdefizit zu lösen, nicht nur aus der Vielzahl der Detailprobleme ergibt, sondern vor allem aus der Betonung des Ausforschungsverbotes862. Es wird offenbar als eherner Grundsatz betrachtet, dass der Beweispflichtige die Beweisbeschaffungsinstrumente in keinem Fall dazu nutzen darf, Informationen erst zu ermitteln, um erstmalig einen sub862 Im Einzelfall macht der BGH sicherlich Abstriche bei den Anforderungen an die Substantiierung, wenn der Kläger bestimmte Tatsachen nicht wissen kann, allerdings ist diese Praxis nicht verlässlich und kalkulierbar und wird von den Instanzgerichten häufig nicht beachtet, vgl. zu dieser Problematik Kiethe, Zulässigkeit von Beweisantritten, MDR 2003, S. 1325, 1325 ff.; zudem ermöglichen diese Abstriche bei der Substantiierung im Einzelfall weder die vorprozessuale Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage noch die Stellung eines hinreichend präzisen Antrags.

2. Abschn., E. Fazit zur Informationsbeschaffung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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stantiierten und schlüssigen Klagevortrag zu erreichen863. Folglich werden bereits als Voraussetzung verfahrensförmiger Sachverhaltsaufklärung durch die untersuchten Beweisbeschaffungsinstrumente die erörterten Substantiierungs- und Bezeichnungserfordernisse aufgestellt. Die Sachverhaltsaufklärung muss damit in aller Regel aus eigenen Quellen erfolgen. Wenn substantiert vorgetragen wurde, können gegebenenfalls zum Beweis der streitigen Tatsache im Prozess die bezeichneten Beweisstücke aus der Sphäre der gegnerischen Partei beschafft werden, um anschließend die substantiierte Behauptung zu beweisen. Jedoch werden die gegnerische Partei und ihre Sphäre für die Informations- und Beweisermittlung als grundsätzlich nicht zuständig betrachtet. Ungeachtet neuerer Entwicklungen im Hinblick auf eine rein prozessual begründete Mitwirkungspflicht nach §§ 142, 144 ZPO scheint immer noch die Rechtstradition tief verankert, dass niemand verpflichtet ist, dem Gegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, es sei denn, er ist durch das materielle Recht hierzu verpflichtet864. Diese tradierten Prinzipien strahlen auch auf das materielle Recht aus, so dass zwar in Bezug auf die Aufklärung des Vorliegens einer vermuteten Schutzrechtsverletzung als materieller Anspruch, der im Sinne der genannten Rechtstradition die Aufklärungspflicht begründen könnte, § 809 BGB in Betracht kommt; allerdings wurde auch dieser materielle Anspruch paradoxerweise bereits mit Hinweis auf die genannte Rechtstradition restriktiv ausgelegt865. Abgesehen von der „Druckbalken“-Entscheidung wird zwar bei dem materiellen Anspruch nach § 809 BGB nicht explizit von Substantiierung und Ausforschungsverbot gesprochen, allerdings wird zur Begründung von materiellen Auskunfts- und Vorlageansprüchen grundsätzlich eine existierende Sonderverbindung zwischen den Parteien vorausgesetzt, welche die Pflichtigkeit der gegnerischen Partei begründet. Obwohl § 809 BGB eine solche ausnahmsweise nicht voraussetzt, da das Bestehen der Sonderverbindung erst nachgewiesen werden soll, rückt der deutsche Gesetzgeber mit dem Kriterium des Sich-„Gewissheit“-Verschaffen-Wollens über das Bestehen einer Sonderverbindung die zu überwindende Schwelle doch in gewisse Nähe zu dem tatsächlichen Bestehen einer Sonderverbindung. Damit wird deutlich, dass letztlich nur die nachgewiesene Sonderverbindung als das pflichtigkeitsbegründende Moment angesehen wird und sich § 809 BGB als Ausnahme darstellt. Bezugspunkt des nötigen Tatsachenvortrags bleibt somit die Sonderverbindung, die als möglichst „wahrscheinlich“ darzustellen ist. Es gelten wiederum hohe Anforderungen an den Tatsachenvortrag, die einer Substantiierung einerseits recht nahe kommen, andererseits über sie hinausreichen, da das Substantiierungserfordernis in Bezug auf den Überzeugungsgrad nur die Behauptung „ins Blaue“ verbietet, jedoch keine Wahrscheinlichmachung verlangt. Sowohl die prozessualen als auch die materiellen Instrumente beruhen somit auf einer Art von Substantiierungserfordernis, als positiv formuliertem Ausforschungsverbot. 863

Vgl. Einleitung, B. I. 3. Vgl. Einleitung, C. 865 Vgl. BGH, GRUR 1985, S. 512, 515 f. – „Druckbalken“, mit Hinweis auf den „nemo tenetur“-Grundsatz und das Ausforschungsverbot. 864

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

Wenn der Schutzrechtsinhaber in der hier untersuchten Fallkonstellation sphärenbedingt nur den Verdacht des Vorliegens einer Schutzrechtsverletzung äußern kann, welchen er auf wenige tatsächliche Anhaltspunkte stützt, kann er den geforderten Wahrscheinlichkeitsgrad oftmals nicht erreichen bzw. die nötige Substantiierung nicht vornehmen. Falls sein begründeter Verdacht im Ergebnis tatsächlich zutreffend gewesen wäre, wäre die Rechtsdurchsetzung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt gescheitert, obwohl sich der Rechtsinhaber nicht in haltlosen Spekulationen ergeht. Das Ausforschungsverbot in seiner strengen Auslegung kann somit zu einem Ergebnis führen, welches sich zumindest dann als unbillig darstellt, wenn das Informationsdefizit auf Grund der beschriebenen Sphären-Problematik typisch und unverschuldet ist866. Das Scheitern der Rechtsdurchsetzung allein aus diesem Grund würde zudem der Grundentscheidung für die rechtliche Schutzwürdigkeit der Immaterialgüterrechte widersprechen. Muss die Folge dieser Bestandsaufnahme nun sein, dass die gegnerische Partei Eingriffe in ihre Sphäre auf Grundlage eines begründeten Verdachts dulden muss? Die Antwort gemäß dem bisherigen deutschen Recht ist ein klares Nein. Bei einer idealtypischen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien wird bei einem bloßen Verdacht auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte der Schutz der gegnerischen Partei und ihrer Sphäre höher bewertet. Umgesetzt wird dies durch das Ausforschungsverbot: Dessen Zweck ist – neben anderen Zwecken – auch der Schutz der Geschäfts- und Privatsphäre der gegnerischen Partei vor Ausspionierung durch Wettbewerber und andere Neugierige, also der Schutz von Betriebsgeheimnissen, und der allgemeine Schutz vor Belästigungen durch ein gerichtliches Verfahren aufgrund von haltlosen Spekulationen867. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass im bisher geltenden deutschen Recht zwar Ansatzpunkte für einen verfahrensmäßigen Geheimnisschutz, z. B. durch Einschaltung eines neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen, vorhanden sind, jedoch ein gesetzlich geregeltes Geheimverfahren nicht existiert868. Durch die konsequente Anwendung eines Geheimverfahrens könnte der Zweck des Ausforschungsverbotes teilweise auf andere Weise erreicht werden, indem man den Wettbewerber von der Kenntnis sensibler Informationen aus der Sphäre des Gegners ausschließt. Wie noch zu zeigen sein wird, könnte ein stringentes Geheimverfahren die genannte Schutzfunktion des Ausforschungsverbotes teilweise übernehmen, so dass die Anforderungen an die Substantiierung und die Bezeichnung abgesenkt werden könnten. Auf diese Weise könnten das Interesse an der Überwindung des Infor866 Chudoba, Beweisantrag, S. 194, ist daher der Auffassung, dass in Konstellationen, die aufgrund ihrer „objektiven Typizität durch erhebliche Unkenntnis der risikobelasteten Partei geprägt sind“, es der „Gedanke des effektiven Rechtsschutzes“ gebiete, die „Anforderungen an den Tatsachenvortrag“ weiter gehend zu senken, und entgegen der herrschenden Auffassung, gegebenenfalls „einen ausforschenden Beweisantrag“ zuzulassen. 867 Vgl. hierzu ähnlich Stürner, Aufklärungspflicht, S. 114 f.; Lang, Aufklärungspflicht, S. 42. 868 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3).

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mationsdefizits und das Interesse an dem Schutz von Betriebsgeheimnissen nebeneinander verfolgt werden – und nicht alternativ. Mangels Geheimverfahrens im bisher geltenden deutschen Recht, ist ein solches Vorgehen allerdings nur schwer möglich. Folglich ist es aus traditioneller Sicht sogar konsequent und zum Schutz von Betriebsgeheimnissen gegebenenfalls erforderlich, das Ausforschungsverbot derart zu betonen. Es ist daher festzuhalten, dass das bisherige deutsche Recht von dem Paradigma geprägt wird: „Ausforschungsverbot statt Geheimverfahren“. Sicherlich sind bereits im bisher geltenden Recht Tendenzen erkennbar, dass von diesem Paradigma teilweise abgewichen wird bzw. eine Weiterentwicklung schon im Gang ist. Auch mangels gesetzlicher Voraussetzungen sind diese Tendenzen jedoch nicht geeignet, die grundsätzlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Zu erinnern ist diesbezüglich an die Entscheidung „Faxkarte“, wonach „stets“ ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit erforderlich sei869. Zudem könne zwar im Falle des Bestehens „besonderer Geheimhaltungsinteressen“ eine „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ erforderlich sein, allerdings sei der „Grad der Wahrscheinlichkeit“ nur einer von mehreren Punkten in einer „Gesamtwürdigung“870. Ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit reiche daher aus, wenn andere zumutbare Beweismöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden und „Geheimhaltungsinteressen“ durch Verfahrensausgestaltung „weit gehend ausgeräumt“ werden könnten871. Diese Aussagen der Entscheidung „Faxkarte“ bestätigen einerseits die gewonnenen Erkenntnisse, wonach hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit auch dazu dienen, die Geheimhaltungsinteressen zu schützen. Andererseits ist die Tatsache festzuhalten, dass der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Faxkarte“ im Vergleich zur Entscheidung „Druckbalken“ gerade eine Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag vorgenommen hat und zwar ausdrücklich mit Hinweis auf das Kriterium der Angewiesenheit auf die Besichtigung – also das strukturelle Informationsdefizit – und die Möglichkeit eines alternativen Schutzes der Geheimhaltungsinteressen durch Verfahrensausgestaltung. Zwar erfolgt eine Absenkung der Anforderungen auf das Niveau einer „gewissen Wahrscheinlichkeit“ im Patentrecht wohl nicht872, und eine solche Absenkung ist auch ansonsten nicht immer ausreichend, so dass dies an der grundsätzlichen Bewertung nichts ändert873. Allerdings könnte ein Zuendedenken der Entscheidung „Fax869

BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046, 1048 – „Faxkarte“. BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 871 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“. 872 Die Übertragung der Entscheidung „Faxkarte“ auf das Patentrecht wurde bisher zumindest ausdrücklich offengelassen, vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (6) (a). 873 Auch aus anderen, bereits genannten Gründen ist die Besichtigung nach § 809 BGB, selbst entsprechend der in der Entscheidung „Faxkarte“ vorgenommenen Auslegung, nicht geeignet das strukturelle Informationsdefizit praxisgerecht zu überwinden. 870

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1. Teil: Informationsbeschaffung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums

karte“ zu der sicherlich nicht dem bisher geltenden Recht entsprechenden Erkenntnis führen, dass eine noch weiter gehende Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag möglich ist, wenn nur im Gegenzug weiter verbesserte Möglichkeiten des Geheimnisschutzes zur Verfügung stehen. Hinzuweisen ist auch auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Restschadstoffentfernung“: Im Rahmen dieser Entscheidung ist schon unter expliziter Bezugnahme auf die bis 26. April 2006 umzusetzende Durchsetzungs-Richtlinie und eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung des § 142 ZPO im Bereich der technischen Schutzrechte und ausdrücklich entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur, die „allerdings überwiegend konkretisierten Tatsachenvortrag“ verlange und „eine Ausforschung als unzulässig“ ansehe, und entgegen der Instanzrechtsprechung, die „die Erforderlichkeit einer Substantiierung […] durchgehend“ bejahe und „ein „globales“ Vorlageverlangen als nicht ausreichend“ ansehe, die Tendenz zu einer deutlichen Distanzierung vom Ausforschungsverbot erkennbar874.

874 Vgl. BGH, Urteil v. 1. August 2006, WRP 2006, S. 1377, 1383 – „Restschadstoffentfernung“; vgl. hierzu ausführlich im Rahmen der Erörterung des Umsetzungsbedarfs von Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL unten unter 3. Teil, A. II. 1. a) (2).

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2. Teil

Die EG-Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums A. Einführung I. Allgemeines Am 29. April 2004 wurde durch das EU-Parlament und den EU-Ministerrat die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums1, so genannte Durchsetzungs-Richtlinie, verabschiedet. Sie hätte nach Art. 20 Abs. 1 Durchsetzungs-Richtlinie (RL) bereits bis zum 29. April 2006 durch die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Bereits bisher hat die Europäische Gemeinschaft der Harmonisierung des Rechts des geistigen Eigentums große Beachtung geschenkt. Im Bereich des materiellen Rechts ergingen hierzu zahlreiche Richtlinien und Verordnungen. Hierdurch wurden sektoral die bestehenden materiellen Schutzrechte der Mitgliedstaaten harmonisiert und neue einheitliche Gemeinschaftsschutzrechte geschaffen2. Dabei wurde insgesamt ein „hohes Schutzniveau“ erreicht3. Fast gänzlich ausgespart von diesen Harmonisierungsbestrebungen blieben dabei die Fragen der verfahrensrechtlichen Durchsetzung der Immaterialgüterrechte und der materiellen Sanktionen ihrer Verletzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten4. Mit der Durchsetzungs-Richtlinie werden die Mitgliedstaaten nun zum ersten Mal angehalten, einen bestimmten Katalog an prozessualen Maßnahmen zur Durchsetzung der Immaterialgüterrechte zu gewährleis1 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157, S. 45 ff. vom 30.4. 2004; berichtigte Fassung in ABl. L 195, S. 16 ff. vom 2.6.2004. 2 Siehe die Auflistung der Gemeinschaftsmaßnahmen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums im Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, Teil 1, A (S. 4 f.) sowie Anhang zu Art. 2 Abs. 1 RL-V (S. 49 f.). 3 So Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 922, 933; siehe auch McGuire, GRUR Int. 2005, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15. 4 Abgesehen z. B. von den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Bekämpfung der Produktpiraterie durch das Durchsetzungs-Mittel der Grenzbeschlagnahme; siehe zur Grenzbeschlagnahme zuletzt die Verordnung (EG) Nr. 1891/2004 der Kommission vom 21. 10. 2004 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte des geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, ABl. L 328 vom 30. 10. 2004, S. 16 ff.

248 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

ten5, welche einem hohen Effektivitätsstandard genügen müssen. Bei der Harmonisierung differenziert der europäische Gesetzgeber nicht zwischen dem Urheberrecht und den gewerblichen Schutzrechten, sondern wählt einen horizontalen Ansatz, der alle Schutzrechte erfasst und das Durchsetzungsverfahren einheitlich regelt6. Der Richtliniengeber erkennt hier die enorme Bedeutung einer zügigen Informationsbeschaffung für die effektive Durchsetzung der Immaterialgüterrechte und damit für ihren Bestand überhaupt7. Folglich stehen die Art. 6 bis 9 RL mit Regelungen zur Beweismittelvorlage, zur Beweisermittlung, zu Auskunftsansprüchen und einstweiligen Maßnahmen im Zentrum der Harmonisierungsbemühungen. Kernstück der Richtlinie ist insbesondere Art. 7 RL8 mit weit reichenden Anforderungen an die Bereitstellung eines auch vorprozessualen Beweisermittlungs-Instruments9. Schon an dieser Stelle lässt sich vorausschicken, dass die Richtlinie nicht nur in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich – also im Immaterialgüterrecht – erheblichen Umsetzungsbedarf nach sich zieht10, sondern auch darüber hinaus auch einen 5 Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 798; Metzger/ Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 922, 933; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 745 f.; Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 65; Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682; Mayer/ Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 313 f.; McGuire, GRUR Int. 2005, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15; Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 706 f.; Lehmann, Präventive Schadensersatzansprüche, GRUR Int. 2004, S. 762, 762 f. 6 Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 922; Mayer/ Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 313; Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 707; kritisch Drexl/Hilty/ Kur, Vorschlag für eine Richtlinie, GRUR Int. 2003, S. 605, 607, die angesichts der Unterschiede zwischen den einzelnen Immaterialgüterrechten eine „stärkere Differenzierung“ für erforderlich halten. 7 Zur Bedeutung effektiver Regelungen der Rechtsdurchsetzung und der Informationsbeschaffung für den praktischen Wert eines materiellen Immaterialgüterrechts schon Götting, Methoden der Beweisbeschaffung, GRUR Int. 1988, S. 729, 729; Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 208; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 557 ff. 8 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737. 9 In Richtung einer solchen Interpretation jedenfalls Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 837 ff.; in eine ähnliche Richtung, ohne es so zu nennen, auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738: Es gehe „nicht nur um die Sicherung von Beweisen […], sondern auch um die Feststellung einer Schutzrechtsverletzung überhaupt, deren Einzelheiten […] noch unbekannt sind.“, S. 739: Durchsuchung zulässig, „um rechtserhebliche Beweismittel sicherzustellen.“; zuvor bereits Knaak, EGRichtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 ff. 10 So auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 745, 750; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 20, 32; Leistner, Die „Trojanischen Pferde“ der Kommission, FS Schricker, S. 87, 101 ff.; McGuire, GRUR Int. 2005, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15, 19 f.; Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 393 ff.; auch die Vorschläge von Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 837 ff.; und Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737 ff. basieren auf dieser Annahme; a.A. (kein Handlungsbedarf) dagegen: v. Hartz, Beweissicherung, S. 213,

A. Einführung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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prägenden Einfluss auf das allgemeine Zivil- und Zivilprozessrecht entfalten11 und gegebenenfalls ein weiterer Anstoß zur Reform sein kann. Die grundsätzliche Stoßrichtung der Richtlinie wird von Wissenschaft und Praxis im grünen Bereich weit überwiegend befürwortet, teilweise wird an Detailregelungen allerdings auch harsche Kritik geäußert. Diese Arbeit klammert materielle Auskunftsansprüche als Mittel der Informationsbeschaffung und somit Art. 8 RL aus. Im Folgenden werden vor allem die Art. 6 und 7 RL erörtert.

II. Die Auslegung von Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Richtlinien Die Auslegung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts obliegt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Gericht erster Instanz (EuG) (vgl. Art. 220 EGV). Die von den Gemeinschaftsgerichten praktizierten Auslegungsmethoden sind daher auch bei der hier vorzunehmenden Auslegung der Durchsetzungs-Richtlinie maßgebend. Grundsätzlich kommen dabei die von der Auslegung nationalen Rechts bekannten Interpretationsmethoden zur Anwendung. Es gelten aber bestimmte Besonderheiten, wie z. B. eine andere Gewichtung der Auslegungsmethoden12. Die Orientierung am Wortlaut kann wegen der gleichrangigen, jedoch ggf. unterschiedlichen Sprachfassungen Probleme bereiten. Das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls „autonom“, d. h. „spezifisch gemeinschaftsrechtlich“ auszulegen. Der Hinweis auf mitgliedstaatliche Sinngehalte verbietet sich angesichts der notwendigen einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts13. Auch das Abstellen auf die Entstehungsgeschichte und den historischen Willen des Normgebers begegnet Schwierigkeiten angesichts oft widersprüchlicher Stellungnahmen und schwieriger Verhandlungsprozesse. Hilfreiche Hinweise auf die 217; Kühnen, Besichtigung im Patentrecht, GRUR 2005, S. 185, 193 ff., der allerdings von der Übereinstimmung der sog. „Düsseldorfer Praxis“ mit dem geltenden Recht ausgeht, (vgl. hierzu oben unter siehe dazu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VII.; keinen Handlungsbedarf sieht nun auch Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 227. 11 Haedicke, Informationsbefugnisse des Schutzrechtsinhabers, FS Schricker, 2005, S. 19, 32; Leistner, Die „Trojanischen Pferde“ der Kommission, FS Schricker, S. 87, 101 ff.; McGuire, GRUR Int. 2005, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 22. 12 Hierzu Grabitz/Hilf-Pernice/Mayer, EU, Art. 220 EGV Rdn. 42; Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 11; zweifelnd Dederichs, Methodik des EuGH, S. 11, 134 ff. 13 EuGH, RS. 149/79, Kommission/Belgien, Slg. 1980, 3881, Rdn. 19; Grabitz/Hilf-Pernice/Mayer, EU, Art. 220 EGV Rdn. 42; Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 11; entgegen traditioneller Auffassung geht Dederichs, Methodik des EuGH, S. 64 ff., 79 f., nach statistischer Auswertung von einer „zentralen Bedeutung“ der grammatischen Auslegung in der Rechtsprechung des EuGH aus.

250 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Konzeption und gerade nicht erwünschte Rechtsetzungsalternativen erhält man durch einen Vergleich des (Richtlinien-)Vorschlags der Kommission mit den in der endgültigen Version erfolgten Änderungen. Falls die Regelungen auf nationalrechtlichen Vorbildern beruht, kann auch dies – ohne eine schlichte Übertragung der dortigen Auslegung vorzunehmen – bei einer historischen Auslegung herangezogen werden. Zu beachten ist dabei aber der regelmäßig zu beobachtende Prozess der „Europäisierung“14. Neben der systematischen Auslegung kommt vor allem der teleologischen Auslegung sehr großes Gewicht zu. Dabei berücksichtigt der EuGH sowohl den Sinn und Zweck der auszulegenden Gemeinschaftsnorm als auch die Ziele des EG-Vertrages insgesamt. Er benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff des „effet utile“: Die Norm ist so auszulegen, dass sie ihre „praktische Wirksamkeit“ entfalten kann und der mit ihr verfolgte Zweck „möglichst effektiv“ erreicht wird. Daher ist vor allem die Grundsatzentscheidung der Norm zu beachten, während „Ausnahmen grundsätzlich eng auszulegen“ sind15. Die Erwägungsgründe einer Richtlinie sind weiterhin Teil der Norm und sind vorrangig zur Ermittlung des Sinns und Zwecks heranzuziehen16. Gleichsam „fünfte Auslegungsmethode“ ist die Rechtsvergleichung, der eine „relativ wichtige“ Funktion zukommt17. Sie ist hilfreich bei der Harmonisierung des Rechts und kann zum Verständnis von Normen beitragen, die ihren Ursprung im Recht eines Mitgliedstaates haben. Dies ist jedoch wiederum nicht als schlichte Übertragung mitgliedstaatlicher Strukturen oder als Abkehr von dem Grundsatz der autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu verstehen18. Bei der Auslegung der Art. 6 und 7 RL wird somit darauf zu achten sein, dass diesen Auslegungskriterien Genüge getan wird. Dabei ist insbesondere Wert darauf zu legen, dass der Sinn und Zweck der Regelungen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums möglichst effektiv zur Geltung kommen kann.

14 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 12; Dederichs, Methodik des EuGH, S. 122 f. geht von einer untergeordneten Bedeutung der historischen Auslegung aus, die aber bei Sekundärrecht zumindest gewisse Relevanz habe. 15 So EuGH, RS. 9/70, Leberpfennig, Slg. 1970, 825, Rdn. 5; EuGH, RS. 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Rdn. 36 ;Grabitz/Hilf-Pernice/Mayer, EU, Art. 220 EGV Rdn. 44 ff.; Calliess/ Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 14; nach Dederichs, Methodik des EuGH, S. 98 ist allerdings die teleologische Auslegung in ihrer Bedeutung der grammatischen Auslegung unmittelbar nachgeordnet, aber nie die einzige Argumentationsform. 16 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 14. 17 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 15; Grabitz/Hilf-Pernice/ Mayer, EU, Art. 220 EGV Rdn. 47 f. 18 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 15; Grabitz/Hilf-Pernice/ Mayer, EU, Art. 220 EGV Rdn. 47 f.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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III. Die Umsetzung von Richtlinien Der Erlass einer Richtlinie ist das bevorzugte Instrument der Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts. Sie ist Teil eines „zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens“: Nach Art. 220 Abs. 3 EGV legt der europäische Gesetzgeber für die adressierten Mitgliedstaaten verbindlich das zu erreichende Regelungsziel fest. Innerhalb einer Frist haben die Mitgliedstaaten die gemachten Vorgaben in innerstaatliches Recht umzusetzen. Dabei sind sie in der Wahl von Form und Mittel der Umsetzung frei. Es sind aber diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Durchsetzung der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) der durch die Richtlinie gesetzten Standards und zur Verwirklichung des verfolgten Zwecks „am besten eignen“19. Ziel der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie in deutsches Recht muss es also sein, den noch zu ermittelnden Zweck bei der Umsetzung bestmöglich zur Geltung zu bringen. Da die Wahl der Umsetzungsmittel dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibt, steht es ihm frei eine Umsetzung entweder durch materielle Ansprüche20 oder aber durch prozessuale Instrumente21 zu wählen. Neben einer zweckentsprechenden Umsetzung ist die Umsetzungsmaßnahme so zu wählen, dass sie sich möglichst gut in die bestehenden nationalen Regelungssysteme einpasst. Denn gerade die Möglichkeiten der Berücksichtigung der spezifischen mitgliedstaatlichen Situation und verschiedener nationaler Traditionen und Entwicklungslinien machen den Vorzug einer Richtlinie als Harmonisierungsinstrument aus22.

B. Auslegungskriterien Um die Richtlinie anhand der dargestellten Kriterien auslegen zu können, werden nun zunächst als Hilfe zur späteren detaillierten Auslegung der Regelungen die Entstehungsgeschichte sowie die Zielsetzung und das Regelungsanliegen der Richtlinie erörtert. Dabei ist überblicksartig auch auf ein englisches sowie ein französisches Rechtsinstitut der Beweisermittlung im Bereich des Immaterialgüterrechts einzugehen, welche bei der Konzeption der Regelungen der Richtlinie offenbar als Vorbild gedient haben.

19

EuGH, RS. 48/75, Royer, Slg. 1976, 497, Rdn. 69, 73; Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/ EGV, Art. 249 EGV Rdn. 46, 43 f.; Geiger, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdn. 8 f. 20 In Bezug auf Art. 7 RL für eine Umsetzung anknüpfend an § 809 BGB: Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der EnforcementRichtlinie, ZUM 2005, S. 376, 379 f. 21 In Bezug auf Art. 7 RL eine Anknüpfung an die §§ 485 ff. ZPO entsprechend der „Düsseldorfer Praxis“ für möglich haltend: Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738. 22 Vgl. Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, Teil III D (S. 17); Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 746 f.

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

I. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie und ihr endgültiger Wortlaut 1. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie im Allgemeinen und einzelner Artikel im Besonderen Der Analyse der Entstehungsgeschichte kommt nicht nur eine einleitende Funktion zu. Sie ist ebenfalls wichtig, um bei der folgenden Untersuchung der einzelnen Bestimmungen einen Anknüpfungspunkt für die historische Auslegung zu gewinnen. Das Ziel der Arbeiten an der Durchsetzungs-Richtlinie war es ursprünglich, Maßnahmen zu entwickeln, um punktuell und sehr scharf die Produktpiraterie zu bekämpfen. Unter Produktpiraterie im Sinne des Richtlinienvorschlages wurde eine Schutzrechtsverletzung verstanden, welche entweder gewerbsmäßig erfolgt oder einen nachhaltigen Schaden verursacht23. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens entstand allerdings eine Richtlinie, deren verabschiedete Version eine horizontale Harmonisierung der Rechtsfolgen von Immaterialgüterrechtsverletzungen bezweckt und dabei jede erdenkliche Schutzrechtsverletzung in den Fokus nimmt, auch die durch Private in nicht gewerblichem Ausmaß24: Die Bekämpfung von Nachahmungen und Produktpiraterie war schon früh ein Ziel des gemeinschaftlichen Handelns im grünen Bereich. Bereits 1988 ergriff die Gemeinschaft mit der Verabschiedung der Produktpiraterieverordnung erste Maßnahmen, um an den Außengrenzen der Gemeinschaft die Produktpiraterie wirksam zu bekämpfen25. Die Zollbehörden sollen danach schutzrechtsverletzende Waren aufgreifen und beschlagnahmen, bevor sie Zugang zu dem freien Warenverkehr der Gemeinschaft erhalten können. Die erste Piraterieverordnung wurde in der Folge durch weitere Verordnungen ersetzt und der Anwendungsbereich der Grenzbeschlagnahmemaßnahmen zunehmend erweitert26. In zeitlicher Nähe zu dem Kommissionsvorschlag einer Durchsetzungs-Richtlinie erfolgte schließlich auch ein Vorschlag für eine neue Grenzbeschlagnahmeverordnung, welche mittlerweile in Kraft ist und

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Vgl. die Tatbestandsmerkmale in Art 2 Nr. 1 RL-V („Anwendungsbereich“), KOM (2003), 0046 endgültig. 24 Zur Ausweitung des Anwendungsbereichs und zur Verlagerung der Zielsetzung vgl. Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, Einleitung (S. 3 f.), Teil II (S. 8 ff.), Teil IVArt. 2, Art. 2 Nr. 1 RL-V; im Vergleich zu Art. 2 Abs. 1 RL, ABl. L 157, S. 60 vom 30. 4. 2004; vgl. weiter Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 794 ff.; Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 706 f.; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 746 f.; Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524. 25 Verordnung (EG) Nr. 3842/86, ABl. L 357 vom 18. 12. 1986, S. 1 ff.; Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 795. 26 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 3295/94, ABl. L 341 vom 30. 12. 1994, S. 8 ff.; geändert durch Verordnung (EG) Nr. 241/99, ABl. L 27 vom 2. 2. 1999; zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 806/2003, ABl. L 122 vom 16. 5. 2003, S. 1 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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den Anwendungsbereich nochmals erweitert27. Zum einen werden nun auch Patente in den Schutzbereich einbezogen, zum anderen können Waren vorläufig beschlagnahmt werden, die im Verdacht stehen bestimmte Schutzrechte zu verletzen28. Der Richtlinienvorschlag zielte nun auf die Bekämpfung der Piraterie auf dem Gebiet der Gemeinschaft selbst. Einer der Regelungsanlässe mag es gewesen sein, dass sich durch die Ost-Erweiterung der EU mutmaßliche Herkunftsländer von Piraterieware nun innerhalb der Gemeinschaftsgrenzen befinden und Beschlagnahmemaßnahmen an den Außengrenzen damit an Wirksamkeit verlieren29. Die Kommission erarbeitete zunächst ein „Grünbuch über die Bekämpfung von Nachahmungen und Produkt- und Dienstleistungspiraterie im Binnenmarkt“, veröffentlicht am 15. 10. 199830. Darin wurde nicht nur das Phänomen der Produktpiraterie umfassend erörtert und als ernstes Problem erkannt, sondern mit der Feststellung, dass unterschiedliche nationale Rechtsdurchsetzungsinstrumente zu Wettbewerbsverzerrungen führen können und somit das Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen, auch die Grundlage für ein Tätigwerden der Gemeinschaft gelegt31. In Reaktion auf das Grünbuch kam es zu zahlreichen Stellungnahmen32, bis hin zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments, in denen durchgängig die Entwicklung gemeinschaftlicher Maßnahmen zur effektiven Rechtsdurchsetzung, einschließlich effizienterer zivilrechtlicher Verfahren, Maßnahmen mit „abschreckender“ Wirkung wie „exemplarischer Schadensersatz“ sowie die „Verschärfung strafrechtlicher Maßnahmen“, gefordert wurde33, alles jedoch unter der Prämisse der Pirateriebekämpfung. In einer Mitteilung der Kommission über „Folgemaßnahmen zum Grünbuch“ vom 30. 11. 2000 wurde erstmals eine Richtlinie als „Sofortmaßnahme“ angekündigt, die eine Verbesserung der Durchsetzungsmöglichkeiten im Vergleich zu dem TRIPs27

Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. 7. 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte des geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, ABl. L 196 vom 2. 8. 2003; hierzu Durchführungsvorschriften in der Verordnung (EG) Nr. 1891/2004 der Kommission vom 21. 10. 2004, ABl. L 328 vom 30. 10. 2004, S. 16 ff.; siehe zur Entwicklung der Grenzbeschlagnahme auch Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 795 f.; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 746. 28 Vgl. Erwägungsgründe und Art. 2 Abs. 1 c) der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003. 29 Ähnlich Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 746; so auch Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 155. 30 KOM (1998), 0569 endgültig. 31 Vgl. Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, Einleitung B (S. 3); Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 66; Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 796. 32 Siehe den Bericht über die Stellungnahmen zum Grünbuch der Kommission vom 21. 6. 1999; Gloy/Loschelder, Stellungnahme zum Grünbuch KOM (98) 559 endg., GRUR 1999, S. 479, 483; zuletzt eine Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 24. 2. 1999, ABl. C 116 vom 28. 4. 1999, S. 35 ff. 33 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. 5. 2000, ABl. C 41 vom 7. 2. 2001, S. 56, 59 Nr. 27 und 30.

254 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Übereinkommen bewirken und Verfahren zur wirksameren Sicherung von Beweismitteln beinhalten sollte34. Schließlich legte die Kommission am 30. 1. 2003 einen Richtlinien-Vorschlag (RL-V) vor, in dessen Begründung die Produktpiraterie als ernsthaftes und zunehmendes Problem beschrieben wird, das den Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft erheblichen Schaden zufügt und auch aufgrund der Möglichkeiten moderner Informationstechnologie („Internet“) geographisch ein „globales“ und quantitativ ein „industrielles“ Ausmaß erreicht habe35. Deutlich wurde diese Fokussierung auf die nachhaltige Bekämpfung der Piraterie vor allem durch die Begrenzung des Anwendungsbereichs der geplanten Maßnahmen auf Schutzrechtsverletzungen „zu gewerblichen Zwecken“ oder solche, die einen „nachhaltigen Schaden“ zufügen (vgl. Art. 2 Nr. 1 RL-V)36. Zugleich wurden die anerkannten Regeln der dreifachen Schadensberechnung ergänzt: Art. 17 Nr. 1 a) RL-V sah die Einführung eines Schadensersatzanspruchs in doppelter Höhe einer üblichen Lizenzgebühr („doppelten Schadensersatz“) vor. Die Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie erhielt damit neben der Kompensationsfunktion ein deutliches Abschreckungs- („Präventions-“) bzw. Strafelement („punitive damages“)37. Die drastischen Maßnahmen wurden schließlich abgeschlossen durch die Statuierung strafrechtlicher Sanktionen im Falle „schwerwiegender“ Schutzrechtsverletzungen (vgl. Art. 20 RL-V). Der Richtlinienvorschlag führte zu umfangreicher Lobby-Arbeit der betroffenen Interessensgruppen und teils heftigen Diskussionen in der Wissenschaft38. Auch 34

KOM (2000), 0789 endgültig, S. 1, 2 („Sofortmaßnahmen“), 6 („TRIPs“), 7 („Beweismittel“). 35 Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, Einleitung A (S. 3), Teil II A (S. 9), F (S. 12). 36 Vgl. KOM (2003), 0046 endgültig, Teil IV S. 20 u. 35; zum Anwendungsbereich des RLV und dem Ziel der Pirateriebekämpfung siehe auch Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 924 f., die den Anwendungsbereich gemessen an dem Ziel dennoch für zu weit halten; ebenso Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682. Drexl/Hilty/Kur, Vorschlag für eine Richtlinie, GRUR Int. 2003, S. 605, 607 Nr. 9, halten die Merkmale in Art. 2 RL-V für „kaum geeignet“ eine „wirksame Eingrenzung“ auf den „engen Bereich“ der Produktpiraterie zu erreichen; kritisch auch Mayer/ Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 314, die eine Definition der Produktpiraterie oder zumindest eine genauere „Negativabgrenzung“ vermissen; die Ungeeignetheit des Kriteriums „gewerbliches Ausmaß“ (z. B. Art. 6 Abs. 2 RL endg.) stellen auch Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524, fest; gänzlich a.A. wohl Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 797, der durch Art. 2 RLV „sämtliche“ Verletzungen für erfasst hält. 37 Zu den Schadensersatzregelungen der Richtlinie und deren Funktion siehe auch Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 707 ff.; zum doppelten Schadensersatz im Richtlinien-Vorschlag Hoeren, High-noon, MMR 2003, S. 299, 301 f. 38 Umfassende, ja vernichtende Kritik durch Drexl/Hilty/Kur, Vorschlag für eine Richtlinie, GRUR Int. 2003, S. 605, 605 ff.; kritisch auch Hoeren, High-noon, MMR 2003, S. 299, 299 „John-Wayne-Mentalität“, 299 ff.; Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR e.V., GRUR 2003, S. 682, 682 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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durch Gemeinschaftsorgane kam es zu durchaus kritischen Stellungnahmen39, so dass der Richtlinien-Vorschlag im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens deutliche Änderungen erfuhr: Der Anwendungsbereich wurde schrittweise ausgedehnt, die einschränkenden Merkmale in Art. 2 Nr. 1 RL-V gänzlich fallengelassen40. Die am 26. 4. 2004 vom Ministerrat angenommene und am 29. 4. 2004 im Namen von Parlament und Rat unterzeichnete Richtlinie ist nun ausdrücklich auf jede denkbare Immaterialgüterrechtsverletzung anwendbar (vgl. Art. 2 Abs. 1 RL). Einzelne Bestimmungen, die besonders auf potentielle Produktpiraten abschreckend wirken sollten, wie die Einführung des doppelten Schadensersatzes (vgl. Art. 17 Nr. 1 a) RL-V) oder der strafrechtlichen Sanktionen (vgl. Art. 20 RL-V), wurden gestrichen. Befürchtet wurde, dass nach der Ausweitung des Anwendungsbereichs beispielsweise auch jede Urheberrechtsverletzung durch Private eine doppelte Lizenzgebühr nach sich ziehen bzw. eine Straftat darstellen sollte. Damit wurden allerdings auch die wirksamsten Mittel der eigentlich geplanten Pirateriebekämpfung ausgegliedert41. Einzig die Regelungen über die Beweissicherung bzw. -ermittlung wurden nicht eingeschränkt, sondern eher ausgeweitet42. Herausgekommen ist eine Richtlinie, in deren Begründung und einzelnen Regelungen der Piraterieansatz noch zu spüren ist43, dominierend ist jetzt jedoch das darüber hinaus gehende Ziel einer umfassenden, horizontalen Harmonisierung der Instrumente zur Rechtsdurchsetzung im Bereich des geistigen Eigentums im Interesse eines gemeinsamen Binnenmarktes44. Dieses umfassendere Harmonisierungsziel entwickelte sich im Laufe des Verfahrens. Um die Richtlinie mehrheitsfähig zu machen, wurde auf besonders drastische Mittel der Pirateriebekämpfung verzichtet. Gleichzeitig beförderte die allgemein vorhandene Bereitschaft, die Piraterie zu be39

Siehe z. B. die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29. 9. 2003, ABl. C 32/2004 vom 5. 2. 2004, S. 15 ff. 40 Vgl. zunächst den Bericht von Janelly Fourtou für den Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, Parlaments-Dok. A5 – 0468/2003 vom 5. 12. 2003, S. 1, 12, die die bisherigen Qualifikationen in Art. 2 RL-V durch den Text „die Charakteristika jedes Einzelfalls berücksichtigen“ zu ersetzen empfahl; danach die Fassung nach der 1. Lesung im Europäischen Parlament, Parlaments-Dok. P5_TA-0147/2004 vom 9. 3. 2004, S. 1, 16 wo es schlicht „any infringement“ heißt. 41 Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 707. 42 Vgl. Art. 8 Nr. 1 RL-V, wo es heißt „nachweislich die Gefahr der Beweismittelvernichtung“, und Art. 7 (neue Zählung) Abs. 1 S. 1 und 3 RL, wo zunächst dieses Merkmal als Voraussetzung der Maßnahme fehlt (S.1), und es dann heißt, die Maßnahme könne (S.3) „ggf. ohne Anhörung“ [ ergehen] „insbesondere dann, wenn“ […] „oder wenn nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweise vernichtet werden.“ 43 Z.B. werden in den Regelungen zur Informationsbeschaffung besonders weit reichende Rechtsfolgen an das Kriterium des Handelns „in gewerblichem Ausmaß“ gebunden, siehe Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 a) b) c), Abs. 2 a), Art. 9 Abs. 2 RL; vgl. im Ergebnis auch Frey/ Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524. 44 Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 707.

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

kämpfen, eine Gesetzgebungsmaßnahme, die schließlich andere – nämlich viel umfassendere – Auswirkungen hat45. Letztlich wurde die Richtlinie in „Rekordzeit“ noch vor der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in Osteuropa – mit möglicherweise abweichender Auffassung zur Bekämpfung von Immaterialgüterrechtsverletzungen – verabschiedet46. 2. Stellungnahme Im Ergebnis ist die umfassende Harmonisierung und Verbesserung der Rechtsdurchsetzung sehr positiv zu bewerten47. Bei der Auslegung sowie der Umsetzung ist aber unter teleologischen und historischen Aspekten jedenfalls zwischen Regelungen zu unterscheiden, die primär dem ursprünglichen Ziel der Bekämpfung der gewerblichen Produktpiraterie dienen, und solchen, die unproblematisch auf jede Verletzungshandlung – auch die zu privaten Zwecken – anzuwenden sind. Insbesondere bei Verletzungshandlungen in geringem Ausmaß und zu privaten Zwecken ist mit Blick auf die teils einschneidenden Maßnahmen bei der Umsetzung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit besonders zu beachten und zu prüfen, inwiefern das Umsetzungsgesetz durch unterschiedliche Rechtsfolgen zwischen verschiedenen Verletzungssituationen differenzieren sollte48. Zwar spricht gerade die ausdrückliche Ausweitung des Anwendungsbereichs für eine Gleichbehandlung aller Situationen und den Ausnahmecharakter der Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 a) b) c), Abs. 2 a), Art. 9 Abs. 2 RL. Dennoch muss die ursprüngliche Zielrichtung der Bekämpfung planmäßiger Piraterie auch in Fällen nicht planmäßiger Piraterie berücksichtigt werden. Dafür spricht auch die Erwähnung der Verhältnismäßigkeit in Art. 3 Abs. 2 RL.

45

Zu letzterem auch Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793,

798. 46 Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 522; vgl. auch den Verweis auf die „Osterweiterung“ bei Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 155. 47 Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 798, 804; KunzHallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR e.V., GRUR 2003, S. 682, 682; Knaak, EGRichtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 746; schließlich auch Hoeren, High-noon, MMR 2003, S. 299, 303. 48 Im Ergebnis ähnlich Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 798; allgemein für eine Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen auch KunzHallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR e.V., GRUR 2003, S. 682, 682; in anderem Zusammenhang vehement für die „Absicherung eines fairen Verfahrens für den von Zwangsmaßnahmen Betroffenen“ bei der Umsetzung der Richtlinie Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 802 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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3. Der Wortlaut wesentlicher Bestimmungen des Beweisrechts Schließlich wurden Regelungen folgenden Wortlauts verabschiedet49, wobei hier vor allem jene Bestimmungen interessieren, die Auswirkungen auf die Beweismittelbeschaffung haben: „Artikel 1: Gegenstand Diese Richtlinie betrifft die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Im Sinne dieser Richtlinie umfasst der Begriff „Rechte des geistigen Eigentums“ auch die gewerblichen Schutzrechte.“ „Artikel 2: Anwendungsbereich (1) Unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten, die für den Rechtsinhaber günstiger sind, finden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 3 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.“

Es folgen die Abs. 2 und 3, die hier nicht von Bedeutung sind50. „Artikel 3: Allgemeine Verpflichtung (1) Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtline abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen. (2) Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“ „Artikel 6: Beweise

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Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157, S. 45, 59 ff. vom 30.4. 2004; berichtigte Fassung in ABl. L 195, S. 16, 19 ff. vom 2.6.2004. 50 Insbesondere für die Auslegung von Art. 8 und 9 RL hinsichtlich des Bestehens und der Reichweite der Auskunftspflicht von nicht rechtsverletzenden Internet-Service-Providern betreffend die persönlichen Daten ihrer rechtsverletzenden (Dritten-)Nutzer von Bedeutung sind Art. 2 Abs. 2 RL, wo es heißt: „Diese Richtlinie gilt unbeschadet der besonderen Bestimmungen zur Gewährleistung der Rechte und Ausnahmen, die […] vorgesehen sind, namentlich in […] der Richtlinie 2001/29/EG [Informationsgesellschafts-Richtlinie; Anm. d. Verf.], insbesondere in den Artikeln 2 bis 6 und Artikel 8“ und Art. 2 Abs. 3 a) RL, wo es heißt: „Diese Richtlinie berührt nicht […] die Richtlinie 2000/31/EG im Allgemeinen [E-CommerceRichtlinie; Anm. d. Verf.] und insbesondere deren Artikel 12 bis 15 [Haftungsbeschränkungen zugunsten von Providern in Ausnahme zu Art. 8 Abs. 3 Informationsgesellschafts-Richtlinie; Anm. d. Verf.]“.

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(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag einer Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und die in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befindlichen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei anordnen können, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. Für die Zwecke dieses Absatzes können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine angemessen große Auswahl aus einer erheblichen Anzahl von Kopien eines Werks oder eines anderen geschützten Gegenstandes von den zuständigen Gerichten als glaubhafter Nachweis angesehen wird. (2) Im Falle einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung räumen die Mitgliedstaaten den zuständigen Gerichten unter den gleichen Voraussetzungen die Möglichkeit ein, in geeigneten Fällen auf Antrag einer Partei die Übermittlung von in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befindlichen Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen anzuordnen, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird.“ „Artikel 7: Maßnahmen zur Beweissicherung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der Sache auf Antrag einer Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche, dass ihre Rechte an geistigem Eigentum verletzt worden sind oder verletzt zu werden drohen, vorgelegt hat, schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung anordnen können, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. Derartige Maßnahmen können die ausführliche Beschreibung mit oder ohne Einbehaltung von Mustern oder die dinglichen Beschlagnahme der rechtsverletzenden Ware sowie gegebenenfalls der für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Waren notwendigen Werkstoffe und Geräte und der zugehörigen Unterlagen umfassen. Diese Maßnahmen werden gegebenenfalls ohne Anhörung der anderen Partei getroffen, insbesondere dann, wenn durch eine Verzögerung dem Rechtsinhaber wahrscheinlich ein nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde, oder wenn nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweise vernichtet werden. Wenn Maßnahmen zur Beweissicherung ohne Anhörung der anderen Partei getroffen wurden, sind die betroffenen Parteien spätestens unverzüglich nach der Vollziehung der Maßnahmen davon in Kenntnis zu setzen. Auf Antrag der betroffenen Parteien findet eine Prüfung, die das Recht zur Stellungnahme einschließt, mit dem Ziel statt, innerhalb einer angemessenen Frist nach der Mitteilung der Maßnahmen zu entscheiden, ob diese abgeändert, aufgehoben oder bestätigt werden sollen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Maßnahmen zur Beweissicherung an die Stellung einer angemessenen Kaution oder entsprechenden Sicherheit durch den Antragsteller geknüpft werden können, um eine Entschädigung des Antragsgegners wie in Absatz 4 vorgesehen sicherzustellen. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Maßnahmen zur Beweissicherung auf Antrag des Antragsgegners unbeschadet etwaiger Schadensersatzforderungen aufgehoben oder auf andere Weise außer Kraft gesetzt werden, wenn der Antragsteller nicht innerhalb einer angemessenen Frist – die entweder von dem die Maßnahmen anordnenden Gericht festgelegt wird, sofern dies nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist, oder, wenn es nicht zu einer solchen Festlegung kommt, 20 Arbeitstage oder 31 Kalendertage, wobei der längere der bei-

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den Zeiträume gilt, nicht überschreitet – bei dem zuständigen Gericht das Verfahren einleitet, das zu einer Sachentscheidung führt. (4) Werden Maßnahmen zur Beweissicherung aufgehoben oder werden sie auf Grund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig, oder wird in der Folge festgestellt, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag, so sind die Gerichte befugt, auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat. (5) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen zum Schutz der Identität von Zeugen ergreifen.“

II. Zielsetzung und Regelungsanliegen Mit Blick auf die teleologische Auslegung dieser Bestimmungen werden nun verschiedene Regelungsziele des Europäischen Gesetzgebers untersucht: 1. Bekämpfung der Produktpiraterie sowie umfassende und horizontale Harmonisierung der Rechtsdurchsetzungsregeln Die ursprüngliche Konzeption einer wirksamen Bekämpfung der Produktpiraterie und die Verlagerung der Zielsetzung hin zu einer allgemeinen Harmonisierung der Rechtsfolgen von Immaterialgüterrechtsverletzungen wurden bereits ausführlich dargestellt. Insofern kann auf die obigen Ausführungen51 verwiesen werden. 2. „TRIPs-Plus“-Ansatz a) Das TRIPs-Übereinkommen, seine Rechtsnatur und die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit Am 1. Januar 1995 trat das WTO-Übereinkommen52 in Kraft. Als integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens (vgl. Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen) und eines von drei Übereinkünften (GATT, GATS, TRIPs) unter dem Dach der neu geschaffenen Welthandelsorganisation wurde damit gleichzeitig auch das TRIPsÜbereinkommen53 wirksam54. Es handelt sich dabei um einen multilateralen, völker51

Siehe oben unter 2. Teil, I. Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation vom 15. 4. 1994, BGBl. 1994 II, S. 1625, 1625 ff. 53 TRIPs = „Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights“, Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15. 4. 1994, BGBl. 1994 II, S. 1730, 1730 ff. 54 Siehe hierzu Lange, Markenrecht, Rdn. 133; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 29; Duggal, TRIPs-Übereinkommen, S. 3, 39; siehe zur Entstehungsgeschichte und den 52

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

rechtlichen Vertrag zur Gewährleistung des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums55. Aufgrund einer damals fehlenden ausschließlichen Vertragsabschlusskompetenz der EG für weite Teile des TRIPs-Übereinkommens haben sowohl die Europäische Gemeinschaft als solche als auch die einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, somit auch die Bundesrepublik Deutschland, das WTO- und als Anhang 1 C auch das TRIPs-Übereinkommen unterzeichnet und förmlich ratifiziert56. Da die internen Zuständigkeiten den anderen Unterzeichnerstaaten nicht offen gelegt wurden, sind sowohl die Gemeinschaft als auch die Mitgliedstaaten völkerrechtlich an das TRIPs-Übereinkommen in seiner Gesamtheit gebunden57. Eine von diesem Außenverhältnis zu trennende Frage ist die der innergemeinschaftlichen bzw. innermitgliedstaatlichen Geltung des TRIPs-Übereinkommens58. Ohne dies hier vertiefen zu wollen, zeigt spätestens die zunehmende Harmonisierung – nun auch der Rechtsfolgen durch die Durchsetzungs-Richtlinie –, dass die langfristig praktikableren Lösungen jedenfalls durch eine einheitliche Qualifikation als Gemeinschaftsrecht zu erzieZielen von TRIPs- und WTO-Übereinkommen auch Katzenberger, TRIPs und Urheberrecht, GRUR Int. 1995, S. 447, 447 ff.; sowie Faupel, GATT und geistiges Eigentum, GRUR Int. 1990, S. 255, 255 ff. 55 Siehe z. B. Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 777 ff. 56 Ein solches Vorgehen bei unklarer interner Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich des Vertragsgegenstandes führt zu sog. „gemischten Abkommen“: Vgl. zu diesen Gemeinschaftsabkommen und der Abschlusskompetenz der EG, welche sowohl vom Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EGV), der Abschlusskompetenz für die gemeinsame Handelspolitik (Art. 133 EGV) und v. a. dem Stand der gemeinschaftsinternen, harmonisierenden Sekundärrechtssetzung (AETR-Doktrin) abhängt, EuGH, RS. 22/70, Kommission/ Rat (AETR), Slg. 1971, S. 263, 263 ff.; EuGH, Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr. 170, Slg. 1993, I-1064, 1080; EuGH, Gutachten 1/94, WTO/GATS/TRIPs, Slg. 1994, I-5267, 5267 ff.; Streinz/Nettesheim/Duvigneau, EUV/EGV, Art. 133 EGV Rdn. 8 ff.; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 47 ff. Aufgrund der Neufassung des Art. 133 Abs. 5 EGV (vgl. hierzu Calliess/Ruffert-Hahn, EUV/EGV, Art. 133 EGV Rdn. 28 ff., 41) und der zunehmenden internen Rechtsharmonisierung haben sich die Kompetenzen der EG weiter ausgedehnt: Nach der Regelung auch der Rechtsfolgen durch die Durchsetzungs-Richtlinie besteht m. E. wohl keine parallele, sondern eine ausschließliche Abschlusskompetenz der EG für TRIPs, jedenfalls nicht mehr eine alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Bereich der Rechtsdurchsetzung; vgl. zum „principle of dynamic competence“ Drexl, TRIPs Agreement and the EC, in Beier/Schricker, S. 18, 36; zumindest eine Verschiebung der Abschlusszuständigkeiten zu einem Zeitpunkt vor Erlass der Durchsetzungs-Richtlinie (2002) annehmend Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 279 ff.; bereits zuvor (2000) in die Zukunft blickend auch, Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 66 ff., 69, „wegen der der AETR-Doktrin innewohnenden Dynamik […] werden sich [dieAbschlusskompetenzen] auch künftig ausdehnen“. 57 So die Ansicht von Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 72. 58 Hierbei ist zuerst zu entscheiden, ob das „gemischte“ TRIPs-Übereinkommen einheitlich als Gemeinschaftsrecht zu qualifizieren ist („Einheitsmodell“) oder je nach Zuständigkeit für die relevanten Bestimmungen Teil des Gemeinschaftsrecht oder Teil des mitgliedstaatlichen Rechts ist („Trennungsmodell“). Dies ist entscheidend für die Reichweite der Auslegungszuständigkeit des EuGH und für die Art und Weise der internen Anwendbarkeit des Übereinkommens („Geltungsgrund“ im konkreten Einzelfall), vgl. Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 779; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 381 ff.; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 73 ff., 88 ff., 103 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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len sind, da durch die Durchsetzungs-Richtlinie die Abschlusskompetenzen der EG sowieso zunehmen, auch wenn bei der so vorgenommenen Bewertung der Argumente bestehende Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten teilweise übergangen werden59. Somit ist der EuGH gänzlich zur Auslegung berufen60, und die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit richtet sich vollständig nach Gemeinschaftsrecht61. Nach Gemeinschaftsrecht sind Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens unmittelbar anwendbar, wenn das Abkommen darauf abzielt, unmittelbar angewendet zu werden und einen geringen Grad an Flexibilität hinsichtlich seiner Verpflichtungen aufweist. Zudem müssen die konkret anzuwendenden Normen präzise formuliert, vorbehaltlos anzuwenden und inhaltlich abgeschlossen sein62. Der EuGH ist danach der Ansicht, dass schon das TRIPs-Übereinkommen als solches wegen seiner „Natur“ und „Systematik“ nicht unmittelbar anwendbar sei, da es keine „eindeutige und unbedingte Verpflichtung“ enthalte, deren Erfüllung „nicht vom Erlass eines weiteren Aktes“ abhänge63. Demgegenüber geht die Wissenschaft mehrheitlich von einer grundsätzlichen unmittelbaren Anwendbarkeit des Übereinkommens aus64. Hinsicht59 So vor der Durchsetzungs-Richtlinie bereits Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 782 f.; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 93 ff., 102: einige Argumente: „einheitliche Auslegung und einheitliche Art der Anwendbarkeit“, „Funktionsfähigkeit der EG“, „zunehmende Verschiebung der Kategorien vermeiden“; Gegenargumente u. a. bei Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 397 ff.: „Wahrung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten“; a.A. auch EuGH, RS. C-300/98 und C-392/98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11359 ff., der von einer geteilten Zuständigkeit und Zugehörigkeit teilweise zum Gemeinschaftsrecht und teilweise zum mitgliedstaatlichen Recht ausgeht, nach Rdn. 41, 47 – 49 ist nur der Teil des Übereinkommens „der Sphäre des Gemeinschaftsrechts zuzurechnen“, „in dem die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat“, wo dies nicht der Fall sei, falle der Bereich in die „Zuständigkeit der Mitgliedstaaten“ und unterliege der Immaterialgüterrechtsschutz „nicht dem Gemeinschaftsrecht“. Nach dieser Rechtsprechung wäre zumindest im Ergebnis das TRIPs-Übereinkommen nun noch weiter gehend dem Gemeinschaftsrecht zuzuordnen, da die Durchsetzungs-Richtlinie auch die Rechtsfolgen umfassend harmonisiert. 60 Im Ergebnis EuGH, RS. C-53/96, Herms, Slg. 1998, I-3603, 3648 f. Rdn. 32, auch wegen eines „klaren Interesses“ an einheitlicher Auslegung; EuGH, RS. C-300/98 und C-392/ 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11358 f. Rdn. 37, „aus praktischen wie aus rechtlichen Gründen“ müsse man „einheitlich auslegen“, Rdn. 40; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 93 ff., 101 f. 61 Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 783 ff.; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 103 ff.; a.A.: Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 400 ff., 405 ff.: Relevanz des mitgliedstaatlichen Rechts für Rechtsgebiete ohne Gemeinschaftsschutzrechte; obwohl er seine Auslegungszuständigkeit bejaht, geht der EuGH in EuGH, RS. C-300/98 und C-392/98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11359 ff. Rdn. 41 – 49, von einer geteilten Zugehörigkeit und einer jeweils unterschiedlichen Beantwortung dieser Frage aus; so auch EuGH, RS. C-89/ 99, Schieving-Nijstad, Slg. 2001, I-5851, 5892 Rdn. 52 ff., 55. 62 So die umfassende Analyse von Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 143 ff. 63 EuGH, RS. C-300/98 und C-392/98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11359 f. Rdn. 42 f.; EuGH, RS. 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3719, 3752 Rdn. 14; EuGH, RS. C-149/96, Portugal/ Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439 Rdn. 47. 64 Drexl, Nach „GATT und WIPO“, GRUR Int. 1994, S. 777, 784 f.; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 214 ff., 240; auch Autoren, die diese Frage teilweise nach Maßgabe des

262 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lich der konkreten Vorschriften des hier relevanten Teiles III betreffend die Rechtsdurchsetzung wird die unmittelbare Anwendbarkeit allerdings für einen Großteil der Vorschriften überwiegend verneint65. Gerade die hier interessierenden Artt. 43 Abs. 1, 50 Abs. 1 b), 2 – 7 TRIPs sollten aber nach zutreffender Ansicht unmittelbar anzuwenden sein, da sie unzweideutig formuliert und vorbehaltlos verpflichtend sind66. Für den rechtssuchenden Schutzrechtsinhaber ist jedoch – ungeachtet dogmatisch richtiger Erwägungen – die Rechtswirklichkeit von Bedeutung. Der deutsche Gesetzgeber ist nämlich der Auffassung, dass die Vorschriften in Teil III „nicht unmittelbar anwendbar sind“67. Der BGH hat in der Entscheidung „Faxkarte“ die unmittelbare Anwendbarkeit gewissermaßen offen gelassen und ging von der Notwendigkeit einer TRIPs-konformen Auslegung des deutschen Rechts aus68. b) Einschlägige Regelungen der Rechtsdurchsetzung im TRIPs-Übereinkommen Das TRIPs-Übereinkommen enthält in seinen Teilen I und II zahlreiche allgemeine Grundsätze und materielle Schutzstandards69. Die eigentliche Bedeutung des mitgliedstaatlichen Rechts beantworten, verneinen die unmittelbare Anwendbarkeit nicht grundsätzlich, sondern stellen auf die konkrete Norm ab: vgl. Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 407 ff., 419. 65 Krieger, Durchsetzung, GRUR Int. 1997, S. 421, 422; Schäfers, Normsetzung, GRUR Int. 1996, S. 763, 774 ff, 776. Dem ist aus folgenden Gründen zuzustimmen: Teilweise werden die unterzeichnenden Staaten schon dem Wortlaut der Norm nach nicht verpflichtet bzw. die Einführung der Durchsetzungsmaßnahme wird in ihr Ermessen gestellt (z. B. Artt. 41 Abs. 4 S. 2 und Abs. 5, 44 Abs. 1 S. 2, bzw. Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 TRIPs). Andere Normen enthalten auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe (z. B. Art. 41 Abs. 2 und 3 TRIPs), vgl. Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 215; Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 266 ff. Gegen das Argument prozessuale Verpflichtungen seien – anders als materielle – nur insofern unmittelbar anwendbar, wie das nationale Recht bereits entsprechende Verfahren vorsehe und nicht sofern „neue Verfahren“ erst „geschaffen werden“ müssten (so Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 215), spricht jedoch, dass dem Rechtssuchende gerade in Mitgliedstaaten mit besonders rückständigen Verfahrensrecht die unmittelbare Anwendbarkeit verwehrt bliebe und unmittelbar anzuwendende immaterialgüterrechtliche Regelungen ohne Umsetzungsmaßnahmen nicht durchzusetzen wären (ähnlich v. Hartz, Beweissicherung, S. 101). 66 Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 215, hält bei Art. 43 Abs. 1, 50 Abs. 1 TRIPs eine unmittelbare Anwendbarkeit zumindest für denkbar. In diesem Sinne auch Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 270, zu Art. 50 TRIPs; v. Hartz, Beweissicherung, S. 101, zu Art. 50 Abs. 1 – 3 TRIPs; Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 940 f. zu Art. 50 Abs. 6. 67 Begründung des Zustimmungsgesetzes, BT-Drs. 12/7655 (neu), S. 347. 68 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“, „nicht ohne weiteres“ unmittelbar anwendbar. 69 Die wichtigsten Grundsätze sind die Gewährleistung eines Mindestschutzes (Art. 1 Abs. 1 S. 2 TRIPs), das Prinzip der Inländerbehandlung (Art. 3 TRIPs) und der Meistbegünstigung (Art. 4 TRIPs); siehe hierzu und allgemein zu Teil I und II: Katzenberger, TRIPs und Urheberrecht, GRUR Int. 1995, S. 447, 458 ff.; Duggal, TRIPs-Übereinkommen, S. 65 ff.; Kur,

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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TRIPs-Übereinkommens liegt jedoch in seinen Regelungen zur Rechtsdurchsetzung. Erstmals wurde in einem internationalen Abkommen in größerem Umfang und detailliert die praktische Durchsetzung der Immaterialgüterrechte vereinbart. Getrieben wurde man dabei von der Erkenntnis, dass die ambitioniertesten materiellen Schutzstandards ins Leere laufen, wenn ein Mindestmaß an effektiven Durchsetzungsinstrumenten fehlt70. Dabei wurde ein horizontaler, d. h. für alle Immaterialgüterrechte geltender, Regelungsansatz gewählt (vgl. Art. Art. 41 Abs. 1 S. 1 TRIPs). Die verfahrensrechtlichen Regelungen finden sich in Teil III des Übereinkommens71. Die wichtigsten Neuerungen auf internationaler Ebene stellen, neben den Schadensersatzregelungen (Art. 45 TRIPs) und dem Auskunftsanspruch über beteiligte Dritte und Vertriebswege (Art. 47 TRIPs), die allgemeinen Durchsetzungsregeln (Art. 41 TRIPs), sowie die Beweisregelungen (Art. 43 TRIPs) und die Regeln über einstweilige Maßnahmen (Art. 50 TRIPs) dar. Sie werden nun teilweise im Wortlaut dargestellt, um nachzuweisen, dass die Normen der Durchsetzungs-Richtlinie teilweise im Wortlaut übereinstimmen bzw. in welchen Punkten gerade Abweichungen bestehen. Wörtliche Übereinstimmungen mit Regelungen der Durchsetzungs-Richtlinie sind dabei hervorgehoben und in der Fußnote zugeordnet: (1) Art. 41 TRIPs Art. 41 TRIPs enthält allgemeine Verpflichtungen, die für sämtliche Durchsetzungsregeln gelten. Nach Abs. 1 sind wirksame Mechanismen zur Verfügung zu stellen, einschließlich von Eilverfahren zur Verhinderung und angemessenen Rechtsfolgen zur Abschreckung von weiteren Verletzungen. Grenze dieser Durchsetzungsmaßnahmen ist allerdings nach Abs. 1 S. 2 das Missbrauchsverbot72, denn die Maßnahmen müssen „so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“73. Art. 41 Abs. 2 TRIPs bestimmt nun:

TRIPs und das Markenrecht, GRUR Int. 1994, S. 987, 990 ff.; Straus, Bedeutung des TRIPs für das Patentrecht, GRUR Int. 1996, S. 179, 187 ff. 70 Vgl. Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 205 f. unter Verweis auf eine „Ministererklärung“, nun Teil der Präambel, 208; Duggal, TRIPs-Übereinkommen, S. 77 ff.; Kur, TRIPs und das Markenrecht, GRUR Int. 1994, S. 987, 997; vgl. zur Rechtsdurchsetzung nach TRIPs auch Wand/Leistner, ALAI-Kongress, GRUR Int. 2000, S. 151, 152 f.; sowie Ryberg, Verfahrensrecht bei Patentstreitsachen, GRUR Int. 1998, S. 234, 234, 236. 71 Vgl. zu Teil III z. B. Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 205 ff.; Fritze, Durchsetzung, GRUR Int. 1997, S. 143 ff. 72 Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 210; nach v. Hartz, Beweissicherung, S. 49 ist „primär“ das Ziel der Durchsetzung zu verwirklichen, nur „sekundär“ wirke das Missbrauchsverbot: „Regel-Ausnahme-Verhältnis“. 73 Vgl. zum Ziel der Abschreckung und zur wörtlichen Übereinstimmung Art. 3 Abs. 2 RL.

264 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

„Die Verfahren zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums müssen fair und gerecht sein. Sie dürfen nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen.“74.

(2) Art. 42 TRIPs In Art. 42 S. 5 TRIPs wird festgehalten, dass die Verfahren es ermöglichen müssen, gerade auch „vertrauliche Informationen festzustellen und [gleichzeitig] zu schützen“, sofern dies mit nationalem Verfassungsrecht in Einklang zu bringen ist. (3) Art. 43 TRIPs (a) Wortlaut Gerade Art. 6 RL der Durchsetzungs-Richtlinie enthält zahlreiche Übereinstimmungen mit dem Wortlaut von Art 43 Abs. 1 TRIPs: „Hat eine Partei alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und rechtserhebliche Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden, bezeichnet, so sind die Gerichte befugt anzuordnen, dass diese Beweismittel von der gegnerischen Partei vorgelegt werden, gegebenenfalls unter Bedingungen, die den Schutz vertraulicher Informationen gewährleisten.“75.

Art. 43 Abs. 2 TRIPs legt als Sanktion für die Verweigerung einer angeordneten Vorlage die Möglichkeit des Erlasses eines Endurteils auf Basis des Vortrags der beweisbelasteten Partei fest. Die Regelung folgt damit den Grundsätzen der Beweisvereitelung. Allerdings ist die Gewährleistung dieser Sanktion nicht verpflichtend, sondern steht im Ermessen der Unterzeichner-Staaten76. (b) Schlussfolgerungen Art. 43 TRIPs widmet sich dem Beweisrecht und statuiert eine Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Beweismittelbeschaffung. Nach Art. 43 Abs. 1 TRIPs hat die gegnerische Partei bereits dann eigene Beweismittel vorzulegen, wenn sich der mutmaßlich verletzte Schutzrechtsinhaber in Beweisnot befindet und selbst alles Zumutbare getan hat, um Beweise zur „hinreichenden Begründung“ des mutmaßlichen Anspruches vorzulegen. Am Wortlaut orientiert wird man einen Art. 43 TRIPs entsprechenden Vorlageantrag nicht mehr zu vorschnell als Ausfor74 Vgl. die wörtliche Übereinstimmung der Hervorhebungen mit Art. 3 Abs. 2 RL; vgl. auch Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 210 Fn. 51, der auf die Übereinstimmung von Art. 41 Abs. 2 TRIPs mit Art. 1714 Abs. 2 NAFTA hinweist. 75 Vgl. die wörtliche Übereinstimmung der Hervorhebungen mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL. Die Vorlage von „vernünftigerweise verfügbaren Beweismitteln“ genügt auch nach Art. 7 Abs. 1 S.1 RL, dort fehlt aber das zusätzliche Erfordernis der Bezeichnung der vorzulegenden Beweismittel im Besitz des Gegners. 76 Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 211; Markfort, Geistiges Eigentum, S. 156.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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schungsbeweisantrag einstufen können. Teilweise wird geltend gemacht, eine unzulässige Ausforschung sei erst beim Erreichen der Missbrauchsgrenze nach Art. 41 Abs. 1 S. 2 TRIPs anzunehmen. Hinsichtlich des Hauptanspruchs sei schon dann ein ausreichender Grad an Substantiierung erreicht, wenn alleine das vorgetragen und vorgelegt werde, was „ohne Zugang“ zu den im Besitz der gegnerischen Partei befindlichen Beweismitteln „möglich“ sei77. Dadurch wird im Ergebnis eine situationsabhängige Absenkung der Substantiierungslast im Vergleich zu den bisherigen Maßstäben ähnlich der Lehre von der Aufklärungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei bzw. eine Parallele zum Erfordernis der „gewissen Wahrscheinlichkeit“ unter Einbeziehung einer einzelfallabhängigen Interessensabwägung entsprechend der BGH-Entscheidung „Faxkarte“ vertreten. Selbst wenn man nicht so weit gehen will, wird in Art. 43 Abs. 1 TRIPs neben bestimmten Mindestanforderungen an die Substantiierung – „hinreichende Begründung“ durch beweisbelastete Partei – doch erkennbar ein Zusammenhang zwischen der Erreichbarkeit der Beweismittel und dem erforderlichen Grad an Substantiierung hergestellt. Art. 43 Abs. 1 TRIPs berücksichtigt die Beweisnot offenbar nicht nur unter dem Aspekt des bereits erörterten Verfügbarkeitsproblems wie beispielsweise die §§ 142, 144 ZPO, sondern möglicherweise auch unter dem Aspekt des Bestehens eines fundamentalen Kenntnisproblems des Schutzrechtsinhabers. Nach dem Wortlaut müssen als Ergebnis einer erfolgten Beweismittelvorlage durch die nicht-beweisbelastete Partei „rechtserhebliche“ Beweismittel „zur Begründung“ der „Ansprüche“ der beweisbelasteten Partei vorgelegt werden, nachdem die beweisbelastete Partei diese Ansprüche lediglich „hinreichend“ begründet hat. Eine umfassende Sammlung und Aufdeckung aller – auch unbekannter – mehr oder weniger rechtserheblicher Beweise ist unter Berufung auf Art. 43 Abs. 1 TRIPs aber nicht möglich, denn die beweisbelastete Partei hat die „rechtserheblichen“ Beweismittel zu „bezeichnen“. Wenn der Rechtinhaber die einzelnen Beweismittel in der Sphäre des Gegners nicht zumindest näherungsweise bestimmen kann, hilft ihm die Norm somit nicht seine Beweisnot zu überwinden78. Auffällig ist weiterhin, dass Art. 6 RL den Inhalt von Art. 43 Abs. 1 TRIPs vollständig übernimmt, die Verweigerungsfolgen in Art. 43 Abs. 2 TRIPs aber gänzlich weglässt. Für das Verständnis der Richtlinie könnte dies bedeuten, dass eine bloße negative Beweiswürdigung der Weigerung als nicht weit genug reichende oder ineffektive Sanktion betrachtet wird. Selbstverständlich ist es ebenfalls denkbar, dass die Wahl der angemessenen Sanktion lediglich den Adressaten der Richtlinie überlassen bleiben sollte79.

77 Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 307, anders aber S. 333, unter Hinweis auf Tilmann/ Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 917, dort wird „fallabhängig“ eine Begründung gefordert, die die Schutzrechtsverletzung nicht nur in „unerheblichen Maße wahrscheinlich“ macht. 78 Welche Substantiierungserfordernisse zur Einleitung einer Beweismittelvorlage gemäß Art. 6 RL zu erfüllen sind, wird noch anhand weiterer Auslegungskriterien zu untersuchen sein. 79 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19.

266 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

(4) Art. 50 TRIPs Art. 50 TRIPs verpflichtet schließlich dazu, schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, auch um rechtserhebliche Beweise zu sichern. Vor allem mit Art. 7 RL lassen sich hier Übereinstimmungen feststellen: (a) Wortlaut Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs: „Die Gerichte sind befugt, schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um einschlägige Beweise hinsichtlich der behaupteten Rechtsverletzung zu sichern.“ Nach Art. 50 Abs. 2 TRIPs können die Maßnahmen „ohne Anhörung der anderen Partei“ getroffen werden, „insbesondere dann, wenn durch eine Verzögerung dem Rechtsinhaber wahrscheinlich ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde oder wenn nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweise vernichtet werden.“ Voraussetzung dieser Maßnahmen kann nach Art. 50 Abs. 3 TRIPs u. a. sein, dass der Antragsteller „alle vernünftigerweise verfügbaren Beweise“ vorgelegt hat, damit sich das Gericht „mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen“ kann, dass der Antragsteller der Rechtsinhaber ist und sein Recht „verletzt wird“ oder verletzt zu werden „droht“80. (b) Schlussfolgerungen Auch hier fragt sich wiederum, welche Anforderungen an den anfänglichen Tatsachenvortrag des Schutzrechtsinhabers gestellt werden müssen, um eine einstweilige Beweissicherungsmaßnahme statthaft erscheinen zu lassen. Ausgangspunkt der Überlegung sind die Formulierungen „behauptete“ Rechtsverletzung, „vernünftigerweise verfügbare Beweise“ und „mit ausreichender Sicherheit überzeugen“. Zwar könnte die Formulierung „behaupten“, die sich in Art. 43 TRIPs nicht findet, suggerieren, dass an die Darlegung noch geringere Anforderungen zu stellen sind. Der systematische Zusammenhang mit Art. 43 TRIPs und die schlichte Überschrift „einstweilige Maßnahmen“ sprechen jedoch dafür, dass es sich bei Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs nicht um eine weitere Absenkung der Substantiierungsanforderungen handelt. Es geht hier vielmehr um eine Ausweitung des Art. 43 TRIPs: Die einstweiligen, d. h. vorprozessualen Maßnahmen nach Art. 50 Abs. 1 b) beziehen sich vor allem auf die Beweismittelvorlage nach Art. 43 TRIPs81. Mit Blick auf das Kriterium das Gericht „mit ausreichender Sicherheit“ zu überzeugen, wird in diesem Zusammenhang teilweise von einer „Glaubhaftmachung“ von Rechtsinhaberschaft und Verletzung gesprochen82. 80 Vgl. die Übereinstimmung der Hervorhebungen und weiterer Passagen des Art. 50 TRIPs mit Art. 7 Abs. 1 – 4 RL. 81 Vgl. auch BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; vgl. hierzu auch v. Falck, Einstweilige Verfügungen, Mitt. 2002, S. 429, 437. 82 Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 212.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Auch das Fehlen des Erfordernisses der Bezeichnung der Beweismittel bei Art. 50 TRIPs darf aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit Art. 43 TRIPs nicht überbewertet werden. Die Substantiierungsanforderungen entsprechen Art. 43 TRIPs. Entgegen dem Wortlaut sind die zu sichernden Beweismittel daher zumindest näherungsweise zu bezeichnen83. Hieran zeigen sich auch die Grenzen eines Wortlautvergleichs zwischen TRIPs und der Durchsetzungs-Richtlinie: Selbst wenn man die Formulierung „behauptete Verletzung“ und das Fehlen des Bezeichnungserfordernisses in der DurchsetzungsRichtlinie auch als mehr oder weniger zufällige Übertragungen aus dem Text von Art. 50 TRIPs ohne besondere Bedeutung ansehen könnte, wird man aufgrund weiter reichender teleologischer und rechtsvergleichender Erwägungen diesen Formulierungen bei der Auslegung der Durchsetzungs-Richtlinie eine grundsätzlichere Bedeutung beimessen müssen84. Dennoch sind zur Einleitung der Maßnahmen neben bestimmten Mindestanforderungen an die Substantiierung eben nur die Beweismittel und damit die Informationen in Reichweite vorzulegen, was für den Antragsteller analog zu Art. 43 TRIPs eine deutliche Erleichterung im Hinblick auf die Darlegungslast darstellt. Daneben scheinen die Art. 43, 50 Abs. 1 b) TRIPs möglicherweise auf eine Befriedigung des Vorlagebegehrens im Wege der einstweiligen Verfügung ausgerichtet zu sein. Die Beweise wären damit nicht nur für ein Hauptsacheverfahren über den Hauptanspruch zu sichern, sondern vor dem Hauptsacheverfahren über den Hilfsanspruch auch zugänglich zu machen85. In diese Richtung weist auch die Formulierung in Art. 50 Abs. 1 HS. 1, wonach die Maßnahmen „schnell und wirksam“ sein müssen86. Einstweilige Maßnahmen nach Art. 50 TRIPs müssen die Möglichkeit einschließen, die gerichtlichen Anordnungen auch unmittelbar durchzusetzen.

83

Zumindest im Ergebnis auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 319, der auf Art. 50 Abs. 5 TRIPS („weitere Informationen“ vorlegen, für die Identifizierung der betreffenden Waren“) abstellt. M.E. bezieht sich Abs. 5 ausschließlich auf Abs. 1 a). 84 Für eine grundsätzlichere Bedeutung sprechen auch die unterschiedlichen Überschriften von Art. 50 TRIPs und Art. 7 RL. Erst Art. 9 RL spricht wieder von „einstweiligen Maßnahmen“. 85 So Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 923, 925 f., gestützt auf Art. 43, 50 TRIPs, allerdings auch auf das unzutreffende Argument, das Befriedigungsverbot gelte nicht, da § 809 BGB ein vorbereitender Hilfsanspruch sei, und der eigentliche Verletzungshauptanspruch nicht erfüllt werde; in Richtung einer Befriedigungsverfügung möglicherweise auch Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 218, wenn er angesichts des mehrstufigen Besichtigungsverfahrens nach § 809 BGB, eine „Geltendmachung im Wege des eVVerfahrens“ fordert. 86 Zur Bedeutung der Formulierung „schnell und wirksam“: v. Hartz, Beweissicherung, S. 65; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 314, 366 f. Für Markfort, Geistiges Eigentum, S. 157 f. ist es eine Frage der Wirksamkeit, ob die mit der Sicherung eigentlich „bezweckte Auswertung von […] Beweisen mittels einer einstweiligen Verfügung auf wirksame Weise gelingt“, im übrigen sei die bloße Sicherung durch eine einstweilige Verfügung zwar ausreichend schnell, aber unter Umständen nicht ausreichend wirksam (S. 190).

268 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

c) Umsetzungsstand Da sich die Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung nicht durchgesetzt hat, kommen für die Erfüllung des TRIPs-Übereinkommens eine entsprechende Änderung des nationalen Rechts oder eine TRIPs-konforme Auslegung in Betracht, falls eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen des Übereinkommens und dem nationalen Recht festzustellen ist. Die Wissenschaft ist überwiegend der Ansicht, dass die deutsche Rechtslage, insbesondere § 809 BGB und §§ 485 ff. ZPO, in ihrer gängigen Anwendung nicht vollständig den Art. 43 Abs. 1 und 50 Abs. 1 b), Abs. 4 TRIPs, insbesondere in Verbindung mit dem Wirksamkeitserfordernis, genügt87. Auch die Rechtsprechung scheint diesbezüglich gewisse Zweifel zu hegen, wenn sie in Hinblick auf § 809 BGB eine TRIPs-konforme Auslegung für geboten erachtet88. Im Gegensatz zur Rechtsprechung und zur herrschenden Ansicht in der Literatur sah der deutsche Gesetzgeber jedoch die nationalen Regelungen zur Rechtsdurchsetzung „voll in Einklang“ mit den Anforderungen des TRIPs-Übereinkommens89. Entgegen anderslautender Reformvorschläge für das deutsche Recht in Bezug auf TRIPs aus der Literatur sind daher bis heute keine legislativen Umsetzungsmaßnahmen ins Werk gesetzt worden. Der Europäische Gesetzgeber nimmt hingegen offenbar ebenfalls eine andere Position ein als der deutsche Gesetzgeber90 und bemängelt nun die trotz der Unterzeichnung des TRIPs-Übereinkommens in den Mitgliedstaaten bestehenden „großen Unterschiede“ im Bereich der Rechtsdurchsetzung. Gerade auch Deutschland wird vorgehalten, „nicht sehr schlagkräftige“ Möglichkeiten der Beweissicherung und einstweiliger Maßnahmen bereitzuhalten91.

87 Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 217 f.; Schäfers, Normsetzung, GRUR Int. 1996, S. 763, 774; Krieger, Durchsetzung, GRUR Int. 1997, S. 421, 424 f.; Grosheide, Durchsetzung, GRUR Int. 2000, S. 310, 323; v. Bogdandy, Überlagerung der ZPO durch WTO-Recht, NJW 1999, S. 2088, 2089 f.; v. Hartz, Beweissicherung, S. 174 ff., aber „weitest gehende Schließung“ von Lücken durch „Wortlaut“ von § 809 BGB und „Faxkarte-Entscheidung“ (S. 180); Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 364 ff. Vor der Entscheidung „Faxkarte“ zumindest eine extensive Interpretation des § 809 BGB und eine unmittelbare Anwendung des Art. 50 Abs, 6 TRIPs fordernd Karg, Interferenz, ZUM 2000, S. 934, 944 f.; nach Markfort, Geistiges Eigentum, entspricht das deutsche Recht Art. 43 TRIPs (S. 188 f.), aber nicht Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs (S. 189 f.); ebenso Patnaik, effektive Mittel?, GRUR 2004, S. 191, 192 ff., 194; a.A. Bork, Beweissicherung, NJW 1997, S. 1665, 1672, der eine weiter reichende Interpretation des § 809 BGB, die im wesentlichen der in der Entscheidung „Faxkarte“ gefundenen entspricht, für ausreichend hält. 88 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 – „Faxkarte“. 89 Begründung des Zustimmungsgesetzes, BT-Drs. 12/7655 (neu), S. 347. 90 Vgl. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15. 91 Erwägungsgrund 7, RL 2004/48/EG, Abl. L 157 vom 30. 4. 2004, S. 47, berichtigte Fassung, Abl. L 195 vom 2. 6. 2004, S. 17; Begründung des Richtlinien-Vorschlages der Kommission vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endg, S. 14 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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d) Regelungsanliegen des Richtliniengebers: „TRIPs-Plus“-Ansatz und Folgerungen für das Verständnis der Durchsetzungs-Richtlinie Mit der Verabschiedung der Durchsetzungs-Richtlinie verfolgt der Richtliniengeber nun ein doppeltes Ziel: Zunächst will er jedenfalls die Wahrung und Implementierung des TRIPs-Übereinkommens in allen Mitgliedstaaten sicherstellen. Wie gezeigt, übernimmt er dazu in den Text der Durchsetzungs-Richtlinie zahlreiche wortlaut-identische Passagen und Formulierungen aus dem TRIPs-Übereinkommen. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie könnten somit möglicherweise analog zu diesen Passagen auszulegen sein. Zu beachten ist allerdings, dass der Richtliniengeber an entscheidenden Stellen deutlich über die Standards des TRIPs-Übereinkommens hinaus geht und das Schutzniveau weiter anhebt („TRIPs-Plus-Ansatz“)92, so dass sich relevante Abweichungen ergeben. Ziel der Regelungen ist es, auf Basis des TRIPs-Übereinkommens weitergehende Elemente der Rechtsdurchsetzung verbindlich zu machen, um so gemeinschaftsweit ein „hohes“ und „homogenes Schutzniveau“ zu erreichen93. Dieser „TRIPs-Plus-Ansatz“ zeigt sich beispielsweise daran, dass in Art. 6 RL die Regelungen über eine negative Beweiswürdigung als Sanktion einer Verweigerung gem. Art. 43 Abs. 2 TRIPs gerade nicht übernommen werden. Deutlicher wird dies jedoch bei einem Blick auf Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs im Vergleich zu Art. 7 RL. Während Ersterer vor allem eine einstweilige Sicherungs-Maßnahme in Bezug auf Art. 43 TRIPs darstellt, orientiert sich Letzterer trotz der Parallelen im Wortlaut entscheidend an bewährten Instituten wie der „search order“ und der „saisie-contrefaÅon“ mit abweichender Zielsetzung94. Die Beweismittelbeschaffung nach Art. 7 RL erhält damit einen anderen Charakter als Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs und ermöglicht – wie noch zu zeigen sein wird – die vermutete Verletzung erst nachzuweisen und ohne vorherige konkrete Bezeichnung rechtserhebliche Beweismittel zu suchen, d. h. zu ermitteln95.

92 Vgl. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 15. Nach Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 66 f. ist es das Ziel der Richtlinie „to combine TRIPS-inspired provisions with the second main plank, extra „TRIPS plus“ elements“. Nach Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747 „verpflichtet“ die Richtlinie „in wichtigen Punkten […] zu mehr“. Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 803, spricht gar von einer „,TRIPS plus-Richtlinie“, bemängelt aber, dass die Richtlinie „deutlich über TRIPs hinausgeht“ […] jedoch „lediglich einseitig zugunsten der Rechtsinhaber“. 93 Erwägungsgründe 4 – 10, RL 2004/48/EG, Abl. L 157 vom 30. 4. 2004, S. 47 f., berichtigte Fassung, Abl. L 195 vom 2. 6. 2004, S. 16 f. 94 Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Begründung des Richtlinien-Vorschlages der Kommission vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endg, S. 22. 95 Vgl. auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; siehe v. a. auch unten unter 2. Teil, C. III. 5. a).

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Für die Auslegung der Durchsetzungs-Richtlinie bedeutet der „TRIPs-Plus-Ansatz“ somit, dass eine Parallele zum TRIPs-Übereinkommen zu ziehen ist, wenn keine anderen Auslegungshinweise vorliegen. Sollte der Richtliniengeber jedoch divergierende Auslegungshinweise geben – wie zum Beispiel das Abstellen auf die so genannte „Best-Practice“-Maßnahmen96 – ist diesem „Plus“ verstärkt Beachtung zu schenken. Einige setzen daher die „TRIPs-Plus-Elemente“ den „Best-Practice“Maßnahmen gleich97. 3. „Best-Practice“-Ansatz Neben dem Anliegen, eine einheitliche Implementierung des TRIPs-Übereinkommens einschließlich darüber hinaus gehender Maßnahmen in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, macht sich der Richtliniengeber eine weitere Regelungstechnik zu eigen: Die Regelungen nehmen sich teilweise Durchsetzungsmaßnahmen zum Vorbild, welche sich in anderen Mitgliedstaaten bereits bewährt haben, so genannte „Best-Practice“-Maßnahmen98. Harmonisierungsziel ist es somit, mit den dann harmonisierten Durchsetzungsregelungen in der gesamten Union einen Grad an Durchsetzungs-Effizienz zu erreichen, wie er in einigen Mitgliedstaaten bereits erzielt wird. Angestrebt werden kann dabei aber sicherlich nur ein vergleichbarer Standard, keine Uniformität. Gerade im Bereich der Beweissicherung bzw. -ermittlung stellen einige Mitgliedstaaten Instrumente zur Verfügung, die für den Rechteinhaber deutlich vorteilhafter sind, als dies nach deutschem Recht der Fall ist. In Bezug auf Art. 8 RL-Vorschlag – dieser entspricht ohne Änderungen dem hier relevanten Art. 7 RL – heißt es z. B. in den Materialien zur Richtlinie: „Diese Maßnahme ergänzt […] Art. 43 [TRIPs] […] und orientiert sich an Bestimmungen, die sich […] bewährt haben, insbesondere im Vereinigten Königreich (Anton Piller Order, Doorstep Piller Order) und in Frankreich (saisie-contrefaÅon)“99.

96

Hierzu sogleich. Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 67. 98 Hierzu Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 65, 67; HarteBavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 794, 798; auch Kunz-Hallstein/ Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683 verweisen auf diese Institute. 99 Begründung des Richtlinien-Vorschlages der Kommission vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endg, S. 22. Dass die entsprechenden Institute „Pate gestanden haben für die Konzeption des Art. 7 RL“ betonen auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f.; Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 68; auch Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683 sind zumindest der Ansicht, dass in den Art. 7, 8 RL-V (Art. 6, 7 RL, a. d. Verf.) diese Institute „aufgegriffen werden sollten“; a.A. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301, die zwar die Begründung des Richtlinien-Vorschlages zur Kenntnis nehmen, jedoch in der Entstehungsgeschichte und den Erwägungsgründen der verabschiedeten Richtlinie keinen Hinweis auf die „Best-Practice“-Maßnahmen erkennen können und daher für eine autonome Auslegung der Richtlinie plädieren. 97

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Daher sollen die Charakteristika des englischen Rechtsinstituts der „Anton Piller Order“ – nun besser: „search order“ – und des französischen Institutes der „saisiecontrefaÅon“ im Folgenden herausgearbeitet werden. Ohnehin kann die Rechtsvergleichung als „fünfte Auslegungsmethode“ des EU-Rechts das Verständnis schärfen für Regelungen, die ursprünglich aus mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen stammen und nun in gegebenenfalls abgewandelter Form gemeinschaftsweit Anwendung finden sollen100. Noch wichtiger ist eine Heranziehung allerdings, wenn der Europäische Gesetzgeber die Regelungen – wie hier – als „Best-Practice“-Maßnahmen betrachtet und ausdrücklich darauf Bezug nimmt. Die gefundenen Ergebnisse sind daher für die teleologische Auslegung der Richtlinie sehr hilfreich. Sie können zudem verdeutlichen, welches Schutzniveau der Europäische Gesetzgeber mit der Verabschiedung der Richtlinie gemeinschaftsweit anstrebt, an welchen Effizienzgraden sich eine künftige deutsche Regelung zu messen hat und auf welche Weise diese Effizienzgrade erreicht werden können. a) „Anton-Piller-order“/„search order“ Die vom Richtliniengeber herangezogene englische „Best-Practice“-Maßnahme der “Anton-Piller-order“ bzw. „search order“ wurde speziell an die Bedürfnisse des mutmaßlich verletzten Schutzrechtsinhabers angepasst und wird daher häufig zur Unterstützung eines Verletzungsverfahrens herangezogen. Sie zeichnet sich durch umfassende Ermittlungsbefugnisse des Schutzrechtsinhabers aus. Der Zugang zu diesem Beweissicherungsinstrument – und damit der Schutz des Anordnungsadressaten – wird vor allem durch zumindest formal strenge materielle Anordnungsvoraussetzungen geregelt. Daneben existieren verfahrensrechtliche Sicherungen zur Absicherung der Rechte des Gegners. (1) Grundlagen Im englischen Zivilverfahrensrecht nimmt die vorprozessuale Beweisbeschaffung generell einen höheren Stellenwert ein als im deutschen Recht. Traditionell tauschten die Parteien dabei unter ihrer eigenen Ägide – sog. „adversary procedure“ – gegenseitig Informationen aus. Das Inkrafttreten der neuen „Civil Procedure Rules 1998“ (CPR) am 26. April 1999 hat zwar eine Ablösung des „automatic discovery“-Verfahrens durch das weniger aufwändige „disclosure“-Verfahren und eine deutliche stärkere Rolle des Richters („active case management“) bewirkt101, das Prinzip des vor100 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdn. 15; Grabitz/Hilf-Pernice/ Mayer, EU, Art. 220 EGV Rdn. 47 f. 101 Siehe zu „overriding objektive“ und „active case management“ (CPR part 1): Arnheim/ Stirling/Tromans, Handbook, S. 1 ff.; Sims, English Law, S. 65 ff.; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 53 ff., 55 ff.; Greene, New Civil Procedure Rules, S. 19 ff., 23; siehe zu „disclosure and inspection of documents“ (CPR part 31): Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 105 ff.; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 329 ff.; Greene, New Civil Procedure Rules, S. 227 ff.

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

prozessualen Austausches von Urkunden und Augenscheinsgegenständen unter Zugrundelegung eines weiten Relevanzbegriffes blieb jedoch unverändert. Bereits vor einiger Zeit wurde allerdings erkannt, dass die Beweisproblematik im Recht des geistigen Eigentums eine besondere Rolle spielt und die Spezifika des mutmaßlich verletzten Rechts – Immaterialität und Ubiquität – gegebenenfalls nach einem Instrument für den schnellen Zugriff auf zu sichernde, streiterhebliche Beweismittel gerade ohne Vorwarnung des Gegners verlangen. 1975 entwickelte daher im Wesentlichen der Court of Appeal in dem Verfahren Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd. die Grundsätze der sog. „Anton Piller order“102. Bei dieser Beweissicherungsmaßnahme handelte es sich um ein Instrument des „common law“; der Court of Appeal konnte nach seiner Ansicht daher die Ermächtigung zu ihrer Entwicklung aus der „inherent jurisdiction“ des Richters ableiten, da nach den Grundsätzen des „Equity“-Rechts im Einzelfall ohne den Erlass nicht das anzustrebende gerechte und angemessene Ergebnis zu erzielen war103. Wie jede equitable remedy stand der Erlass der „order“ daher auch im Ermessen des Gerichts104. Bei der „order“ handelte es sich folgerichtig auch nicht um einen materiellen Anspruch, sondern sie ist dem Prozessrecht zuzuordnen. Die „order“ erging nach möglichst vollständiger Offenbarung aller Umstände durch den Antragsteller („duty of full and frank disclosure“), jedoch zweckentsprechend ohne Anhörung des Antragsgegners („ex parte“ bzw. „without notice“). Dem Antragsgegner konnte gerichtlich aufgegeben werden, dem Antragsteller den Zutritt zu seinen Geschäftsräumen und die Suche nach zuvor eingegrenztem und relevantem Beweismaterial und dessen Untersuchung, Ablichtung und gegebenenfalls Beschlagnahme zu gestatten105. Wegen ihrer offensichtlichen Wirksamkeit zugunsten des Rechteinhabers kam die „Anton-Piller-order“ in der Folge nicht nur im Immaterialgüterrecht häufig zur Anwendung, sondern fand auch in anderen Rechtsgebieten Anklang106.

102 Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd., (1976) 1 All E.R. S. 779, 779 ff.; Bainbridge, Intellectual Property, S. 141; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48 f. 103 Sims, English Law, S. 89 ff.; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 185, der darauf hinweist, dass unabhängig von der Frage, ob als Rechtsgrundlage die „inherent jurisdiction“ oder s 37 (1) SCA 1981 angenommen wird, das Gericht ungeschriebene Befugnisse hat, um eine Entscheidung im Ergebnis „just and convenient“ zu machen. 104 Sims, English Law, S. 89; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 185. 105 Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. 106 Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 729; Hay, Informationsbeschaffung, in Schlosser (Hrsg.), Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, S. 1, 42; zur Anwendung der „Anton Piller order“ vgl. auch Axster, TRIPS, liber amicorum Volhard, S. 19, 25. Selbstverständlich blieb der unbestreitbare und nachdrückliche Eingriff in die Sphäre des Gegners nicht ohne Kritik. Diese machte sich jedoch weniger am grundsätzlichen Bestehen der „order“ und ihren Rechtsfolgen fest, als an der wahrgenommenen zu laxen Prüfung ihrer Anordnungsvoraussetzungen und der teilweise exzessiven Art und Weise ihrer konkreten Dürchführung, vgl. Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 50; vgl. auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 114 ff.

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Im Rahmen der englischen Zivilprozessrechtsreform kam es auch zu einer gesetzlichen Regelung der „Anton-Piller-order“. Nun stellt section (s) 7 (1) (a) ff. Civil Procedure Act 1997 (CPA) eine Ermächtigungsgrundlage für die Gerichte zum Erlass von Beweissicherungsmaßnahmen107 einschließlich des Zutritts zu Grundstücken (s 7 (3) (a)), der Suche nach und Untersuchung von Beweismaterial (s 7 (4) (a)), und dessen Ablichtung (s 7 (4) (b)) und Beschlagnahme (s 7 (5) (b)) dar. Der Erlass der Maßnahme steht weiterhin im Ermessen (vgl. s 7 (1): „may“) des Gerichts. Auch die Geltung des strafrechtlichen „nemo-tenetur“-Grundsatzes wird bestätigt (vgl. s 7 (7) CPA 1997, als eingeschränktes sog. „privilege against self-incrimination“108). Die auf Basis von s 1 CPA 1997 erlassenen Civil Procedure Rules 1998 (CPR) regeln in CPR part 25 diese Beweissicherungsmaßnahme und bezeichnen sie in CPR rule 25.1 (1) (h) als „search order“109. Ferner wurden gem. s 5 CPA 1997 sog. Practice Directions (PD CPR) aufgestellt, welche die Regelungen der CPR ergänzen und im Sinne einer quasi-verpflichtenden Empfehlung für die Praxis konkretisieren110. (2) Antrag und formelle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke Eine „search order“ kann zwar auch während eines Hauptsacheverfahrens beantragt werden, aufgrund des erwünschten Überraschungseffekts ist aber die vorprozessuale Antragstellung ohne Beteiligung des Gegners („ex parte“ bzw. „without notice“) die Regel111. Antragsberechtigt sind daher auch die künftigen Parteien eines Hauptsacheverfahrens112. Im Antrag ist die gewünschte „order“ bereits zu skizzieren113. Dabei hat der Antragsteller auch die von der „order“ erfassten beweisrelevanten Gegenstände zu benennen. Damit ist jedoch nicht die Bezeichnung bestimmter einzelner Beweisstücke gemeint, die den Antragsteller ohne Kenntnis der fremden Sphäre vor ernste Schwierigkeiten stellen würde. Vielmehr erleichtert ihm die großzügige Interpretation des Begriffs der „relevanten“ Sache sowie die Möglichkeit, re-

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Hierzu Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. Zum „privilege against self-incrimination“ vgl. Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 54 f.; Bainbridge, Intellectual Property, S. 143 f. 109 Greene, New Civil Procedure Rules, S. 5, 125, 132; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 289; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. Diese neue Begrifflichkeit soll auch im Folgenen verwendet werden. 110 Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 9; Sims, English Law, S. 65; Greene, New Civil Procedure Rules, S. 7, 10, 13; vgl. auch v. Hartz, Beweissicherung, S. 185; zur search order vgl. PD CPR 25 para. 7.1 ff. 111 Vgl. s 7 (1) CPA; CPR 25.2 (1) (a); Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 289, 291; zu den damit einhergehenden Gefahren vgl. Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 49. 112 Vgl. s 7 (2) CPA. 113 Vgl. PD CPR 25 para. 2.4; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 290. 108

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levante Beweismittel allgemeiner zu umschreiben und auf ganze Sachklassen Bezug zu nehmen114 die Antragstellung ganz erheblich. Dem Antrag sind alle weiteren Informationen beizufügen, die das Gericht für seine Entscheidung benötigt. Insbesondere sind die bereits gegenwärtig verfügbaren Beweise und Anhaltspunkte vorzulegen, die für das Bestehen des zu beweisenden Hauptanspruches sprechen115. In diesem Zusammenhang ist eine eidesstattliche Erklärung – sog. „affidavit“ – über das Vorliegen von Beweismaterial und dessen Richtigkeit abzugeben116. Dieses „affidavit“ muss zudem Ausführungen darüber enthalten, warum die „order“, wie regelmäßig, „ex-parte“ bzw. „without notice“, also ohne Anhörung der Gegenseite, erlassen werden soll und welche Tatsachen die Dringlichkeit der „order“ begründen und die Beseitigung von Beweismaterial bei Kenntnis der Gegenseite von dem Erlass der „order“ und einem drohenden Hauptsacheverfahren wahrscheinlich erscheinen lassen117. Da die „order“ ohne Beteiligung des Antragsgegners ergehen soll, hat der Antragsteller sämtliche Informationen offenzulegen, vor allem auch solche, die gegen den Erlass der „order“ sprechen118. Diese aus der common-law-Rechtsprechung übernommene „duty of full and frank disclosure“ findet sich nun in den Practice Directions wieder119. Um die Einhaltung der verfahrensmäßigen Rechte des Anordnungsadressaten zu gewährleisten, haben die mit der Durchführung der „order“ befassten Anwälte und der Antragsteller zusätzlich bestimmte schriftliche Zusicherungen bzw. Verpflichtungserklärungen – sog. „undertakings“120 – gegenüber dem Gericht abzugeben121. 114 Vgl. s 7 (8) CPA: „an order […] may describe anything generally, whether by reference to a class or otherwise“. Vor Inkrafttreten des CPA 1997 und der CPR 1998 spricht Norrenberg, Anton Piller Order, S. 221 davon, dass die Gegenstände „möglichst genau zu bezeichnen“ sind und zwar „den Anforderungen einer „discovery“-Anordnung entsprechend“. Angesichts des weiten Relevanzbegriffes bei der „discovery“ spricht dies nicht dafür, dass die genaue Bezeichnung deutschen Maßstäben zu entsprechen hat. 115 Vgl. PD CPR 25 para. 3.3: „evidence must set out the facts on which the applicant relies for the claim being made […]“; PD CPR 25 para. 7.3 (2): „must disclose very fully the reason the order is sought, […]“; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 290; ähnlich auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 124. 116 Vgl. PD CPR 25 para. 3.1: „[…] supported by affidavit evidence“; Arnheim/Stirling/ Tromans, Handbook, S. 290; zur alten Rechtslage bereits Norrenberg, Anton Piller Order, S. 167. 117 Vgl. PD CPR 25 para. 3.4: „set out why notice was not given“, PD CPR 25 para. 7.3 (2): „[…] including the probability that relevant material would disappear if the order was not made“. 118 Vgl. auch vor Inkrafttreten der CPR 1998 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 175; Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 732. 119 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 173 ff. (zur „duty of full and frank disclosure“ vor der Zivilprozessrechtsreform); Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 126 f.; vgl. PD CPR 25 para. 3.3: „[…] including all material facts of which the court should be made aware.“ 120 Vgl. hinsichtlich der Übersetzung des Begriffs des „undertaking“ Bugg, Langenscheidt Recht Englisch, S. 391.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Das für den Anordnungsadressaten wichtigste „undertaking“, das einer Art Sicherheitsleistung gleichkommt, ist das „undertaking in damages“ des Antragstellers, in welchem dieser garantiert, umfänglich Schadensersatz zu leisten, wenn bei der konkreten Durchführung der „order“ die verfahrensmäßigen Rechte des Gegners verletzt werden, richterliche Anordnungen überschritten werden oder sich die „order“ nachträglich als rechtswidrig herausstellt und aufgehoben wird122. Daneben verpflichtet er sich dazu, eine Sicherheitsleistung auf ein Treuhandkonto einzuzahlen und eventuell vom Grundstück des Gegners entfernte Gegenstände zu versichern123. Die Anwälte verpflichten sich beispielsweise beschlagnahmte Original-Dokumente so schnell wie möglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Werktagen, zurückzugeben und alle Gegenstände persönlich aufzubewahren und nicht aus der Hand zu geben124. (3) Materielle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an den Tatsachenvortrag Zwar wurden die formellen Voraussetzungen, die Rechtsfolgen und die Durchführung der „search order“ umfassend statuiert, die materiellen Voraussetzungen jedoch nicht. Diesbezüglich und soweit keine gesetzlichen Regelungen bestehen, ist unter Beachtung des Sinn und Zwecks der CPR weiterhin die ratio der einschlägigen common law-Rechtsprechung, respektive des Anton-Piller-KG-Verfahrens, maßgebend125. Zuförderst muss ein „extremely strong prima facie case“ vorliegen126. Das bedeutet, die „search order“ hängt wie § 809 BGB von einem materiellen Anspruch, im hier relevanten Fall von einem Anspruch aufgrund der zu beweisenden Schutzrechtsverletzung, ab. Dieser Anspruch muss nicht feststehen; die vorliegenden Anhalts121 Vgl. PD CPR 25, Annex, search order, Schedule C, D, E; zu PD CPR 25 para. 5.1 vgl. Greene, New Civil Procedure Rules, S. 131; zur Rechtslage vor Inkrafttreten der CPR 1998 bereits Norrenberg, Anton Piller Order, S. 199 ff. 122 Vgl. zum „undertaking in damages“ PD CPR 25 para. 5.1 (1); PD CPR 25, Annex, search order, Schedule C (1); Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 291; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48; vgl. zur nachträglichen Aufhebung der „order“: Lock International Plc. v. Beswick, (1989) 1 W.L.R. S. 1268; Hay, Informationsbeschaffung, in Schlosser (Hrsg.), Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, S. 1, 47; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 52 f. 123 Vgl. PD CPR 25, Annex, search order, Schedule C (5), (6); zu einer vergleichbaren Regelung vor Inkrafttreten der CPR 1998 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 200. 124 Vgl. PD CPR 25, Annex, search order, Schedule D (4), (3); dies gilt auch für den „supervising solicitor“ vgl. Schedule E (3); siehe bereits Scott J, Columbia Pictures Industries Inc. v. Robinson, (1986) 3 All E.R. S. 338, 371; vgl. zur Rechtsnatur der „undertakings“ und zu den Folgen eines Verstoßes auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 125; Schlosser, Common Law Undertakings, RIW 2001, S. 81, 81 ff. 125 Vgl. auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 119, 122. 126 Omrod LJ, Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd., (1976) 1 All E.R. S. 779, 784; Bainbridge, Intellectual Property, S. 141; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 298; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 229; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48.

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punkte müssen aber deutlich für das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung sprechen. Die Formulierung „extremely strong prima facie case“ weist hierbei auf einen Grad an Wahrscheinlichkeit hin, welcher offenbar einer ganz erheblichen Wahrscheinlichkeit gleichkommt127. Jedenfalls ist es nicht zulässig, mit Hilfe der „search order“ zu versuchen zu ergründen, ob überhaupt irgendwelche Ansprüche bestehen könnten128. Daneben wird von den Gerichten ein „very serious actual or potential damage for the plaintiff“, also das Bestehen oder der drohende Eintritt eines sehr schweren Schadens gefordert129. Bei der Beurteilung der Schwere des Schadens ist gemäß der verwendeten Formulierung „for the plaintiff“ nicht unbedingt eine objektive Bewertung vorzunehmen, sondern es sind die Folgen für den jeweiligen Antragsteller zu betrachten. Dabei muss es sich weder um einen großen finanziellen Schaden, noch überhaupt um einen finanziellen Schaden handeln130. Weiterhin wird mit der Voraussetzung des Vorliegens von „clear evidence of possession and real possibility of destruction“ darauf hingewiesen, dass eine „search order“ nur ergehen darf, wenn klare Anhaltspunkte dargelegt wurden, dass der Antragsgegner im Besitz relevanten Beweismaterials ist und eine tatsächliche Möglichkeit der Zerstörung dieses Materials besteht, wenn die Anordnung nicht „ex-parte“, sondern nach vorheriger Anhörung des Gegners ergehen würde131. Da diese Umstände in der Sphäre und der Person des Gegners begründet sind, sind diese Voraussetzungen naturgemäß schwer zu belegen. Teilweise hat man diesen Voraussetzungen daher keine große Bedeutung beigemessen bzw. man half sich mit hilfsweisen Begründungen, gefolgert aus anderem unbilligen Verhalten des Gegners. Tatsächlich sind jedoch bloße Mutmaßungen und Verdächtigungen des Antragstellers nicht ausreichend. Anhand des Gegnerverhaltens im konkreten Einzelfall sind zumindest Anhaltspunkte für eine konkrete Zerstörungsgefahr darzulegen132.

127

Ähnlich vor Inkrafttreten der CPR 1998 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 186 ff., 190 f.; vgl. auch die erforderliche „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ nach BGH, GRUR 1985, S. 512, 516 – „Druckbalken“; sowie die „gewisse Wahrscheinlichkeit“ nach BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046, 1048 f. – „Faxkarte“; vgl. hierzu auch oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. c). 128 Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 59; vor Inkrafttreten der CPR 1998 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 191. 129 Omrod LJ, Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd., (1976) 1 All E.R. S. 779, 784; Bainbridge, Intellectual Property, S. 141; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 298; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 229; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. 130 Norrenberg, Anton Piller Order, S. 192, spricht von der „Möglichkeit eines Reputationsverlustes“. 131 Omrod LJ, Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd., (1976) 1 All E.R. S. 779, 784; Bainbridge, Intellectual Property, S. 141; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 299; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 230; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. 132 Templeman J, Universal City Studios Inc. v. Mukhtar & Sons, (1976) 2 All E.R. S. 330, 331, 333; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 193 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Ursprünglich durfte die Anordnung einer „search order“ dem Gegner „no real harm“, also keinen echten Schaden zufügen. Angesichts des naturgemäß beträchtlichen Eingriffs in die Sphäre des Gegners wurde dieses Tatbestandsmerkmal später als Erfordernis einer Interessenabwägung bzw. Verhältnismäßigkeitsprüfung interpretiert133 : In die nötige Abwägung fließen alle Umstände des Einzelfalles ein, insbesondere das Bedürfnis des Antragstellers nach Beweissicherung und die Bedeutung der behaupteten Verletzung, einschließlich der Gefahr, ihm ohne eine „ex-parte“-Anordnung möglicherweise effektiven Rechtsschutz zu versagen, und – als Gegenstück – die Beeinträchtigungen des Gegners, sowie der Schutz seiner Privatsphäre134. (4) Inhalt der Anordnung und Durchführung der „search order“ Sollten die dargestellten Voraussetzungen gegeben sein, liegt die Anordnung im Ermessen des Gerichts (vgl. s 7 (1) CPA). Der zulässige Umfang und Inhalt einer Anordnung wird in s 7 (3) – (6) CPA festgelegt. Einzelheiten der Durchführung und des Ablaufes der angeordneten Maßnahmen regeln die Practice Directions. Diese Vorschriften setzen jedoch nur die rechtlich zulässigen Grenzen einer Anordnung und beschreiben ihren regelmäßigen Inhalt. Dem Gericht verbleibt ein beträchtlicher Freiraum bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Anordnung135, wie sich auch aus s 7 (6) CPA („order […] is […] subject to such conditions as are specified in the order“) ergibt. Die „search order“ wird bewusst nicht als Duldungsanordnung formuliert, sondern enthält die an den Antragsgegner gerichtete Anordnung, die Maßnahmen formal selbst zu gestatten (vgl. s 7 (3) CPA: „Such an order may direct any person to permit […]“), um eine zivilrechtlich unzulässige zwangsweise Durchsuchung zu vermeiden136. Faktisch besteht jedoch kaum eine Weigerungsmöglichkeit137. Zu gestatten hat der Anordnungsadressat in der Regel folgende Handlungen: Zunächst hat er das Betreten des Grundstücks und aller Räumlichkeiten zu erlauben, die in der „order“ aufgeführt sind138. Dabei hat die Durchführung der „order“ in der Regel werktags zu normalen Geschäftszeiten zu erfolgen139. Zutrittsberechtigte Personen sind dabei in jedem Fall ein so genannter „supervising solicitor“ und wei133 Lord Denning MR, Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd., (1976) 1 All E.R. S. 779, 784; Scott J, Columbia Pictures Industries Inc. v. Robinson, (1986) 3 All E.R. S. 338, 371; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 230; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48 Fn. 16. 134 Ähnlich schon Norrenberg, Anton Piller Order, S. 196 ff. 135 Im Ergebnis v. Hartz, Beweissicherung, S. 189. 136 Bainbridge, Intellectual Property, S. 141; Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 299: „respondent is expressly told […] that he „must allow“ entry […]“; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 229; ähnlich schon Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 129 f. 137 Siehe hierzu sogleich. 138 Bainbridge, Intellectual Property, S. 141; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. 139 PD CPR 25 para. 7.4 (6); Bainbridge, Intellectual Property, S. 142.

278 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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tere in der „order“ genannte Personen, wie z. B. Anwälte und Fachpersonal des Antragstellers140. Ein ausdrückliches Verbot der Anwesenheit des Antragstellers persönlich erwähnen die neuen gesetzlichen Bestimmungen nicht. Jedoch sollen keine Personen die Räumlichkeiten betreten dürfen, die bestimmte Umstände, welche sie während ihrer Anwesenheit zu Gesicht bekommen könnten, wirtschaftlich ausnutzen könnten141. Der „supervising solicitor“ soll Erfahrung in der Durchführung von „search orders“ haben und muss, obwohl er gleichfalls vom Antragsteller ausgewählt wird, unabhängig von den Anwälten des Antragstellers sein. Als neutrale Aufsichtsperson soll er die Art und Weise der Durchführung der „search order“ beobachten142. Insbesondere hat er die Interessen des Antragsgegners zu schützen und diesem die gerichtliche Anordnung der „search order“ persönlich zu übergeben sowie ihn über seine verfahrensmäßigen Rechte aufzuklären143. Anschließend hat der Anordnungsadressat den anwesenden Personen die Suche nach den Gegenständen, welche in der „order“ aufgeführt sind, zu erlauben144. Je nach dem Grad der Kooperation des Adressaten handelt es sich dabei faktisch um eine Durchsuchung der Räumlichkeiten nach den betreffenden Gegenständen145. Das in Frage kommende Beweismaterial umfasst dabei sowohl Gegenstände als auch Unterlagen und Dokumente. Obwohl die betroffenen Gegenstände in der „order“ zu beschreiben sind (vgl. s 7 (4) (a) CPA: „described in the order“) und nur solche Gegenstände von der „order“ erfasst werden146, handelt es sich nicht nur um eine Suche nach einer bestimmten, vom Antragsteller genau bezeichneten Sache, sondern um eine umfassendere Suche nach rechtserheblichem Beweismaterial. Dies ergibt sich aus zwei Umständen: Die „order“ nimmt erstens nicht nur eine bestimmte Sache in den Fokus, sondern bezweckt allgemeiner die Sicherung von Beweismaterial, welches für das Hauptverfahren erheblich ist oder – darüber hinaus ge-

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Vgl. s 7 (3) CPA; PD CPR 25 para. 7.4 (3). Vgl. PD CPR 25, Annex, modell „search order“, para. 6. Fn. 7; auf diese Fundstelle weist auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 144 Fn. 197 hin; für eine Zutrittverweigerungsrecht in diesen Fällen zuvor schon Norrenberg, Anton Piller Order, S. 222; siehe auch unten unter 2. Teil, B. II. 3. a) (6). 142 Bainbridge, Intellectual Property, S. 142; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 229; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 48. 143 Vgl. PD CPR 25 para. 7.4 (1), (4); Arnheim/Stirling/Tromans, Handbook, S. 230. 144 Bainbridge, Intellectual Property, S. 142; Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 229. 145 Lang, Aufklärungspflicht, S. 199. 146 Vor Inkrafttreten des CPA 1997 und der CPR 1998 spricht Norrenberg, Anton Piller Order, S. 221 davon, dass die Gegenstände „möglichst genau zu bezeichnen“ sind und zwar „den Anforderungen einer discovery-Anordnung entsprechend“. Dies spricht indes nicht dafür, dass die genaue Bezeichnung deutschen Maßstäben zu entsprechen hat. 141

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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hend – auch nur sein könnte (vgl. s 7 (1) (a) CPA: „the preservation of evidence which is or may be relevant“)147. Im Zusammenhang mit den von einer „Anton-Piller-order“ erfassten Gegenständen und der Frage ihrer Streiterheblichkeit ist in der Literatur bereits auf die größere tatbestandliche Weite des Relevanzbegriffs in den „common-law“-Staaten hingewiesen worden148. Außerdem müssen diese möglicherweise relevanten Gegenstände – zumindest an deutschen Maßstäben gemessen – weder im Antrag noch in der „order“ genau bezeichnet werden, sondern können dort allgemeiner beschrieben bzw. umschrieben werden, beispielsweise durch Bezugnahme auf eine Klasse von Sachen (vgl. s 7 (8) CPA: „an order […] may describe anything generally, whether by reference to a class or otherwise.“). Es lässt sich daher sagen, dass zwar eine Art „fishing expedition“ unzulässig ist, bei welcher bei Gelegenheit der Durchsuchung alles Greifbare untersucht und be147 Zur alten Rechtslage vor Inkrafttreten des CPA 1997 und der CPR 1998: In der insgesamt restriktiven Entscheidung „Columbia Pictures Industries Inc v. Robinson“ (1986) 3 All E.R. S. 338 stellt Scott J (S. 352) freilich fest, dass nichts entfernt werden darf, um erst bei Gelegenheit zu untersuchen, ob es sich um „illicit goods“ handelt oder nicht. Dies ermöglicht jedoch auch, dass, die „order“ eine solche Art der Bezeichnung wählen darf und eine entsprechende Feststellung bzw. Einordnung vor Ort getroffen werden kann. Auch Norrenberg, Anton Piller Order, S. 221 f. weist auf die Bezeichnung und Auflistung der Gegenstände in der „order“ hin, um anschließend zu erklären (S. 222), dass zu einer „ordnungsgemäßen Durchführung“ „die Feststellung“ (offenbar vor Ort) „der Relevanz des Materials für den Beweis des geltend gemachten Anspruchs“ gehöre und „mit einer Anton Piller order […] nahezu sämtliche beweglichen Gegenstände sichergestellt werden, die den Streitgegenstand oder Beweismaterial darstellen“. Die nötige Auflistung und Beschlagnahme geschieht also unter Bezugnahme die auf festzustellende Relevanz des Materials und wird nicht vereitelt durch das Unvermögen, den Gegenstand völlig exakt und zweifelsfrei ex ante zu bezeichnen. 148 Lang, Aufklärungspflicht, S. 182 f., 187 f. unter Verweis auf Brett LJ, Compagnie Financire du Pacifique v. Peruvian Guano Co., (1882) 11 Q.B.D. S. 55, 63; Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 131; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 334 stellt unter Hinweis auf „Peruvian Guano“ fest, dass im Hinblick auf die „discovery of documents“ insofern Schutz vor ausforschenden „fishing expeditions“ besteht, „als es nicht zulässig“ ist, „Material für einen neuen Anspruch ausfindig zu machen“ – für den Rechtsstreit relevante Schriftstücke sind aber offenzulegen, „wobei das Kriterium weit ausgelegt wird“ und „Unterlagen… weder selbst verwertbares Beweismaterial darstellen“, „noch geeignet sein“ müssen, für eine „streitige Tatsache Beweis zu erbringen“; ausreichend ist, „wenn die Unterlagen in irgendeiner Hinsicht Licht auf den Streit werfen können“. Es ist darauf hinzuweisen, dass die neue „standard disclosure“ nach rule 31.6 CPR 1998 nur noch die ersten beiden Kategorien des „Peruvian Guano“-Falles umfasst und nicht die letzten beiden. Danach sind alle Dokumente offenzulegen, die die Ansprüche der gegnerischen Partei berühren oder unterstützen. Nicht standardmäßig offenzulegen sind Dokumente, die eine Licht auf den Hintergrund des Streits werfen oder zu einem „train of inquiry“, also einer echten Ausforschung weiterer, unbekannter Ansprüche, führen (vgl. Greene, New Civil Procedure Rules, S. 237). Nichtsdestotrotz bleibt der Relevanzbegriff sehr weit und die gegnerische Aufklärungspflicht übertrifft bei weitem alles, was im deutschen Recht als zulässig anerkannt ist.

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schlagnahmt wird, um auszuforschen, welche Ansprüche überhaupt bestehen könnten und sogleich das passende Beweismaterial an sich zu nehmen. Allerdings summieren sich der Sinn und Zweck der Maßnahme (vgl. s 7 (1) (a) CPA), die großzügigere Auffassung bei der Relevanz der Gegenstände und bei der Umschreibung des zu sichernden Materials zu einem Instrument, welches im Ergebnis nicht nur einen Sicherungs-, sondern auch einen deutlichen Informations- und Ermittlungscharakter aufweist. Zwar hat der Antragsteller das Bestehen des Anspruchs in besonderem Maße wahrscheinlich zu machen, hinsichtlich des den Anspruch bestätigenden, zu umschreibenden Beweismaterials wird jedoch keine besondere Kenntnis vorausgesetzt. Da die Nennung von Gegenstandsklassen ausreicht, kann der Antragsteller – zumindest auf ein einzelnes Beweisstück bezogen – auch ihm noch unbekannte Beweismittel suchen und streiterhebliche Einzelstücke erst noch ermitteln. Diesen kann ein Beweisinhalt zu entnehmen sein, der dem Antragsteller – wenigstens im Einzelnen – so nicht bekannt war. Dieser Charakter der „search order“ wird bestätigt durch den Umfang der Suche und der Untersuchung der aufgefundenen Gegenstände. Diesbezüglich sind alle Maßnahmen zulässig, die in der „order“ aufgeführt sind. Dies kann eine eingehende Untersuchung, sowie die Erstellung und Ansichnahme von Kopien, Fotos und Mustern einschließen (vgl. s 7 (4) (a), (b) CPA). Auch die Inbetriebnahme der Sache149 und maßvolle Substanzeingriffe dürften in der Regel zulässig sein. Jedenfalls können die in der „order“ genannten Personen beispielsweise Zugriff auf die EDV-Anlage und die installierten Dateien und Mitteilung der erforderlichen Schlüssel verlangen. Weiterhin dürfen Programmausdrucke vorgenommen werden. Bei diesen Substanzeingriffen sind Schäden an den Gegenständen des Antragsgegners jedoch so weit wie möglich zu vermeiden150. Schließlich können Beweisstücke beschlagnahmt werden, sofern sie in der „order“ – wenigstens als Bestandteil einer Klasse – umschrieben wurden151. (5) Durchsetzung der search order Die Vollziehung der Anordnungen in einer „search order“ setzt voraus, dass der Antragsgegner die Durchführung formal gestattet. Eine unmittelbare Durchsetzung im Sinne einer gegebenenfalls zwangsweisen Vollstreckung ist nicht zulässig. Daran hat sich auch durch die gesetzliche Regelung der „order“ nichts geändert. Je149

Vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 189. Vgl. PD CPR 25 para. 7.5 (8) – (10); vgl. zum Zugang zum Computersystem auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 137. 151 Wenn dies geschieht, hat der „supervising solicitor“ dem Antragsgegner zur Wahrung seiner Rechte eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände zu überlassen, vgl. s 7 (5) (b) CPA; PD CPR 25 para. 7.5 (6). Über die ordnungsgemäße Durchführung der „search order“, insbesondere die Beachtung der weiteren in der „Practice Direction“ aufgeführten Vorsichtsmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners, ist zuletzt durch den „supervising solicitor“ eine Bericht zu verfassen, der dem Gericht sowie beiden Parteien auszuhändigen ist, vgl. PD CPR 25 para. 7.5 (11) f. 150

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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doch kann von einer mittelbaren Durchsetzung gesprochen werden, da die Weigerung, der „order“ Folge zu leisten, als „contempt of court“ betrachtet und vergleichsweise hart bestraft wird. Da diese Missachtung des Gerichts eine Straftat darstellt, kommen als mögliche Folgen eine Geldstrafe – „fine“ – oder eine Haftstrafe – „committal“ – in Betracht152. Dieser mittelbaren Zwangswirkung kann sich der Anordnungsadressat faktisch nicht entziehen, so dass im Ergebnis sehr effektive Durchsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. (6) Behandlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Im Hinblick auf den Schutz von Betriebsgeheimnissen wäre zunächst an die Berufung auf das „privilege against self-incrimination“ zu denken. Dieses Weigerungsrecht erfasst jedoch nur strafrechtlich relevante Gegenstände und wurde darüber hinaus, um im Hinblick auf die Strafbarkeit der Verletzung geistigen Eigentums nicht eine zu starke Einschränkung der Beweisermittlung zu bewirken, durch s 72 des Supreme Court Act 1981 für den Bereich des geistigen Eigentums zu einem bloßen Verwertungsverbot in Strafsachen bei fortbestehender Offenlegungspflicht herabgestuft153. Auch abgesehen davon bestehen grundsätzlich keine weiteren Bestimmungen, die eine gänzliche Verweigerung der Untersuchung von Gegenständen, welche Betriebsgeheimnisse beinhalten könnten, ermöglichen154. Es scheint jedoch zulässig, dass der Antragsgegner all jenen den Zutritt zu seinem Grundstück verwehrt, die einen wirtschaftlichen Vorteil aus Informationen, die während des Betretens einsehbar sind, ziehen könnten bzw. dass die „order“ den Zutritt auf bestimmte Personen beschränkt und beispielsweise dem Antragsteller selbst – d. h. als Naturalpartei – das Betreten des Grundstücks nicht gestattet155. Zudem wird zumindest empfohlen, dem Antragsteller selbst die persönliche Kenntnisnahme von besonders sensiblen Unterlagen zu verwehren156. 152 Sims, English Law, S. 71, spricht in Bezug auf den „contempt of court“ von „criminal offence“; vgl. auch Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 53; Norrenberg, Anton Piller Order, S. 231 ff.; Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 730; v. Hartz, Beweissicherung, S. 192; Hay, Informationsbeschaffung, in Schlosser (Hrsg.), Informationsbeschaffung für den Zivilprozess, S. 1, 46. 153 Vgl. Gerlis/Loughlin, Civil Procedure, S. 340; Bainbridge, Intellectual Property, S. 143 f.; Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 735; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 54. 154 Bezogen auf den Zivilprozess allgemein Maier, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 261. 155 Im Hinblick auf die Zutrittsverweigerung Norrenberg, Anton Piller Order, S. 222; so nun auch in der Modell „search order“ in PD CPR 25, Annex, modell „search order“, para. 6. Fn. 7. 156 Nicholls V-C., Universal Thermosenors v. Hibben, (1992) F.S.R. S. 361, 387; v. Hartz, Beweissicherung, S. 195 (Zugang zu Dokumenten auf bestimmte Personen begrenzt); Berücksichtigung im Rahmen des Ermessens und Beschränkung der „discovery“ auf bestimmte Personen, vgl. Lang, Aufklärungspflicht, S. 212; Schlosser, Internationale Rechtshilfe, ZZP 94 (1981), S. 369, 400.

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Weiterhin besteht für alle Beteiligten die Pflicht, aus Beweismaterial stammende Informationen ausschließlich für den Prozess und nicht etwa zur Egalisierung eines Wettbewerbsvorteils der anderen Partei zu verwenden. Eine Missachtung dieser Verpflichtung wird als „contempt of court“ angesehen und im Falle der Beweisbarkeit entsprechend hart bestraft157. Diese allgemeine Verpflichtung wird dadurch ergänzt, dass der Antragsteller einer „search order“ in aller Regel gegenüber dem Gericht eine Versicherung – „undertaking“ – eben dieses Inhalts abzugeben hat, die gewonnenen Informationen lediglich zu Zwecken der Prozessvorbereitung und -führung zu gebrauchen158. Im englischen Zivilverfahrensrecht ist darüber hinaus ein echtes „in camera“-Verfahren, beschränkt auf die zur Verschwiegenheit verpflichteten Anwälte der Parteien, nicht vorgesehen. Wenn Betriebsgeheimnisse zur Sprache kommen, kann lediglich die Öffentlichkeit von dem Verfahren ausgeschlossen werden159. (7) Anhörung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Schadensersatz Um dem Antragsgegner nach der „ex-parte“-Anordnung der „order“ die Möglichkeit zu eröffnen, seine Sicht der Dinge zu erläutern und die Rechtmäßigkeit der „order“ nochmals zu überprüfen, verpflichten die „Practice Directions“ zur Durchführung einer Anhörung unter Anwesenheit beider Parteien – „return date“ –. In Folge dieser Anhörung kann die „search order“ aufgehoben werden160. Unabhängig von einer Aufhebung der „order“ kann der Antragsteller schadensersatzpflichtig sein, beispielsweise wenn die „order“ auf Grund falscher Angaben erwirkt wurde oder bei ihrer Durchführung die gesetzten Grenzen überschritten wurden. Dazu kann auf das „undertaking in damages“ zurückgegriffen werden161. (8) Klageerhebung in der Hauptsache Weder soll der Antragsgegner lange über das Bestehen der ihm zur Last gelegten Verletzungen im Unklaren gelassen werden, noch soll der Antragsteller während einer überlangen Wartezeit bis zum Verletzungsverfahren in die Versuchung gebracht 157 Für den Zivilprozess allgemein Maier, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 262. 158 Vgl. PD CPR 25, Annex, search order, Schedule C (4): „The Applicant will not […] use any information or documents obtained as a result of carrying out this order nor inform anyone else of these proceedings except for the purposes of these proceedings […]“; allgemein zu einem „undertaking“ dieses Inhalts Maier, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 263. 159 Zum Ausschluss der Öffentlichkeit vgl. Maier, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 263 f. 160 Vgl. PD CPR 25 para. 5.1 (3): „any order must contain […] a return date for a further hearing at which the other party can be present“; vgl. auch Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 52 f. 161 Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, Rdn. 2 – 53; Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 733.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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werden, die Materialien zu anderen als Zwecken der Prozessvorbereitung zu benutzen. Nicht zuletzt wird in einer überlangen Vorbereitungszeit ein Indiz dafür gesehen, dass der Antragsteller keine klaren Vorstellungen von der angeblichen Verletzung besaß und einzig einen Wettbewerber auszuspionieren beabsichtigte. Daher soll bei allen einstweiligen Maßnahmen, soweit möglich, die „order“ zeitgleich mit der eigentlichen Klageschrift zugestellt werden162. Speziell im Rahmen der „search order“ hat der Antragsteller ein „undertaking“ abzugeben, wonach er die Hauptsacheklage so schnell wie möglich einreicht163. (9) Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erzielen, bietet es sich auch bei der Zusammenfassung der Merkmale der „search order“ an, die schon oben verwendeten Kriterien zur Bestimmung der Effektivität der Beweisbeschaffungsmaßnahme und damit der Art und des Umfangs der gegnerischen Mitwirkungspflicht heranzuziehen. Gerade mit Hilfe bestimmter Schlüsselfragen lassen sich aussagekräftige Ergebnisse erzielen, die bei der Auslegung der Durchsetzungs-Richtlinie, orientiert an wesentlichen Merkmalen der „Best-Practice“-Maßnahmen, verwendet werden können. Zur „search order“ lässt sich demnach Folgendes festhalten: Die „order“ stellt ein Institut des Prozessrechts dar, auf dessen Erlass kein Anspruch des Antragstellers besteht. Nach wie vor steht die Anordnung der Maßnahme im Ermessen des Gerichts. Die häufige Anwendung lässt aber auf eine verlässliche und kalkulierbare Anwendungspraxis schließen. Dabei wird die Maßnahme in aller Regel vorprozessual durchgeführt. Besonders bedeutsam für den Grad der Mitwirkungspflicht sind die Anforderungen die an den Vortrag des mutmaßlich Verletzten gestellt werden. Hier formuliert das englische Recht zunächst hohe Hürden für den Tatsachenvortrag des Antragstellers. Dieser muss das Bestehen der behaupteten Schutzrechtsverletzung in besonderem Maße – ganz erheblich – wahrscheinlich machen. Dazu sind stichhaltige Anhaltspunkte vorzutragen. Weder muss der Anspruch jedoch feststehen, noch muss der Verletzungstatbestand in substantiierter Weise geschildert oder gar vollständig bewiesen werden. Allerdings ist es nicht erlaubt, eine Art Anspruchsermittlung zu betreiben, um herauszufinden, ob überhaupt irgendein Anspruch besteht. Damit soll eine missbräuchliche Form der Ausforschung vermieden werden. Zuletzt sind klare Anhaltspunkte für den Besitz relevanter – jedoch nicht bestimmter – Beweisstücke und die konkrete Möglichkeit ihrer Zerstörung zu liefern, so dass eine Beweissicherung erforderlich erscheint164. Auf den ersten Blick scheint sich aus diesen zumindest auf 162 Vgl. PD CPR 25 para. 4.4 (2); zur älteren Rechtslage bereits Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 732 f. 163 Vgl. PD CPR 25, Annex, search order, schedule C (2): „As soon as practicable the Applicant will issue a claim form“. 164 Dieses Erfordernis wird aber mangels Einblick in die Sphäre des Gegners nachgiebig interpretiert, siehe oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (3).

284 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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dem Papier165 sehr strengen Voraussetzungen keine echte Beweisermittlung mit ausforschenden Elementen zu ergeben. Die anfänglich hohen Hürden könnten somit die Lösung des Beweis- und Informationsproblems von vornherein zunichte machen. Erstens werden sie aber als erforderlich betrachtet, um den Antragsgegner vor spekulativer Belästigung durch neugierige Wettbewerber zu schützen. Zweitens werden die strengen Anforderungen an die Wahrscheinlichmachung der eigentlichen Verletzung jedoch mehr als kompensiert durch eine deutlich großzügigere Auffassung im Hinblick auf den Grad der Bestimmtheit des Vortrags des Antragstellers hinsichtlich der notwendigen Bezeichnung der Beweisstücke, welche von der Maßnahme betroffen sein sollen. Gegenstand der Maßnahme kann nicht nur eine bestimmte, im Antrag genau zu bezeichnende Sache sein166, sondern jede Sache, die unter den weiten Begriff der Relevanz oder möglichen Relevanz167 für den Rechtsstreit subsumiert werden kann. In seinem Antrag darf sich der mutmaßlich Verletzte darauf beschränken das betroffene Beweismaterial allgemein zu umschreiben und ganze Sachklassen, d. h. Kategorien von Gegenständen, zu nennen, die streiterheblich sein könnten und so Gegenstand der Maßnahme werden dürfen. Dadurch, dass ex ante keine konkrete Sache zu bezeichnen ist, ist zudem keine konkrete Kenntnis von der Existenz oder Beschaffenheit einer bestimmten Sache erforderlich. Der Antragsteller muss nur die Existenz bestimmter Gegenstandskategorien kennen, wobei er sich sicherlich auch auf sein Gespür für regelmäßig vorhandene Gegenstandskategorien verlassen kann168. Dies ist auch recht und billig, denn mehr als das Vorhandensein bestimmter Gegenstandskategorien, die regelmäßig existieren und für deren Existenz Anhaltspunkte vorliegen, kann der Antragsteller außerhalb der Sphäre des Antragsgegners rechtmäßigerweise gar nicht kennen. Innerhalb der zu benennenden und vor Ort aufzufindenden Gegenstandskategorien findet also eine echte Ermittlung des relevanten einzelnen Beweisstücks statt. Auf das konkrete Einzelstück bezogen werden folglich auch ex ante unbekannte Beweisstücke von der Maßnahme erfasst. Diese Auffassung zur Relevanz und die fehlende Bestimmtheit der Bezeichnung machen den Ermittlungscharakter der „search order“ aus, der nötig ist, um die strukturelle Beweisnot des Schutzrechtsinhabers zu überwinden. An bisher geltenden deutschen Maßnahmen gemessen, würden wohl viele die fehlende Bestimmtheit und die Ermittlung relevanter Einzelstücke als Ausforschung bezeichnen.

165

Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 143, weist zu Recht darauf hin, dass die formal strengen Voraussetzungen angesichts der häufigen Anwendung der „search order“ offenbar nicht durchgängig beachtet wurden. 166 In Ansehung der Sache muss zudem kein Anspruch bestehen; vgl. die hierzu § 809 BGB: Es kann nur eine konkrete Sache, in Ansehung derer ein bestimmter Anspruch wahrscheinlich ist, besichtigt werden. 167 Auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 142, verweist auf die Weite des Relevanzbegriffs, „so dass weit reichende Suchaktionen möglich sind“. 168 Vgl. hierzu §§ 142, 144 ZPO: Dort ist eine bestimmte einzelne Sache genau zu bezeichnen. Der Hinweis auf Gegenstandsklassen oder das üblicherweise Bestehen bestimmter Unterlagen ist gerade nicht zulässig; siehe oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. II. 1. c) (1).

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Die Durchführung der „order“ erfolgt weiterhin unter Ausnutzung eines wirklichen Überraschungseffekts beim Antragsgegner, da die „order“ „ex parte“ ohne Anhörung des Adressaten erlassen wird. Auch der Umfang der einmal festgestellten Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei ist größer als im geltenden deutschen Recht. Mangels realistischer Weigerungsmöglichkeit muss die andere Partei das Betreten von Wohn- und Geschäftsräumen faktisch dulden. Dort findet sodann nicht nur eine Suche nach einer im Antrag bezeichneten konkreten Sache statt, hinsichtlich der ein Anspruch bestehen muss, sondern es kommt zu einer echten Durchsuchung nach relevantem Beweismaterial, solange es sich den vorher bezeichneten Sachkategorien zuordnen lässt169. Man ermittelt also einzelne Beweisstücke, welche den in der „order“ vorher aufgelisteten Kategorien angehören und eine Beweiserheblichkeit aufweisen, die vor Ort festgestellt wird170. Innerhalb vorher festgelegter, bekannter Klassen trifft man so auf neue, unbekannte Beweisstücke, die im Antrag nicht näher konkretisiert wurden. Dies stellt in der Tat eine Form der Ausforschung dar171. In den Fokus der Maßnahme geraten zudem nicht nur mutmaßlich schutzrechtsverletzende Gegenstände, sondern weitere beweiserhebliche Gegenstände sowie Unterlagen und Dokumente. Diese Gegenstände dürfen zudem gründlich untersucht werden, was eine Inbetriebnahme und maßvolle Substanzeingriffe einschließt. Diese eingehenden Untersuchungs- und Feststellungsmöglichkeiten verhelfen zu wirklich aussagekräftigen Ergebnissen über das Bestehen und den Umfang einer Schutzrechtsverletzung, so dass für die Verwertung im Verletzungsverfahren gewichtige Beweise zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit – auch grundsätzlich einschneidender – Beweisermittlungsmaßnahmen bestimmt sich nicht zuletzt danach, wie entgegenstehende Interessen des Adressaten, insbesondere Geheimhaltungsinteressen behandelt werden. Das Bemühen, die verfahrensmäßigen Rechte des Gegners und seine Integritätsinteressen durch die Abgabe diverser „undertakings“, respektive einer Art Sicherheitsleistung, zu gewährleisten, kann vorbildlich sein. Darüber hinaus werden jedoch gerade mögliche Betriebsgeheimnisse unzureichend geschützt. Eine gänzliche Verweigerung der Offenlegung von Gegenständen, die potentiell Geheimnisse enthalten, wird zwar zu Recht abgelehnt. Jedoch sollte wenigstens der Ausschluss des Antragstellers selbst 169 Im Rahmen einer Besichtigung nach § 809 BGB wird hingegen nach einer vorher bestimmten Sache gesucht, vgl. auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 144, der im Hinblick auf die „search order“ von einer Suche nach „Kategorien von Objekten“ spricht; auch hinsichtlich der §§ 142, 144 ZPO sind die vorzulegenden Beweisstücke genau zu bezeichnen, müssen also vorher in gewisser Weise bekannt sein. 170 Im Rahmen einer Besichtigung nach § 809 BGB darf eine Durchsuchung der Räume nach Sachen, die bestimmte Merkmale aufweisen, gerade nicht durchgeführt werden, vgl. BGH, GRUR 2004, S. 420, 420 (Leitsatz) und 421 – „Kontrollbesuch“; Kühnen/Geschke, Durchsetzung von Patenten, Rdn. 102. 171 Die Ergebnisse zum Umfang der Durchsuchung korrelieren naturgemäß mit den Ausführungen zu den anforderungen an die Bezeichnung der Beweismaterialien.

286 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

von dem Betreten des gegnerischen Grundstücks und der Offenlegung besonders sensibler Unterlagen bzw. eine Beschränkung auf notwendigerweise mit dem Verfahren befasste Personen zuverlässig gesetzlich verankert werden. Die Durchführung der „search order“ allein durch eine neutrale Person wäre einer Durchführung unter Beteiligung der Anwälte des Antragstellers vorzuziehen, selbst wenn dies unter Aufsicht und Anleitung eines „supervising solicitors“ erfolgt. Sollte das anwaltliche Fachwissen bei der Suche unabdingbar sein, könnte man die beteiligten Anwälte zur Verschwiegenheit verpflichten. Da im Übrigen auch die Überwachung der Verpflichtung, gewonnene Informationen lediglich im Sinne des legitimen Interesses der Prozessvorbereitung zu verwenden nur schwer möglich ist, wäre auch im englischen Recht die Einführung eines echten Geheimverfahrens, begrenzt auf zur Verschwiegenheit verpflichtete Rechtsvertreter oder zumindest auf namentlich aufzulistende und strikt zahlenmäßig eingeschränkte notwendigerweise befasste Personen, bedenkenswert. Die Durchsetzung der Beweisermittlung ist wiederum, wie gezeigt, sehr effektiv ausgestaltet. Die Mitwirkungsverweigerung der nicht-beweisbelasteten Partei kann nicht nur beweisrechtliche Wertungen zu ihren Lasten nach sich ziehen172, sondern als quasi-strafbare Handlung entsprechend streng – bis zur Haftstrafe – geahndet werden, so dass auch ohne unmittelbar zwangsweise Durchsetzung eine wirksame Durchsetzung erfolgt. Die Effektivität einer Rechtsdurchsetzungs- insbesondere einer Beweisbeschaffungsregelung misst sich auch an der zeitlichen Länge des Verfahrens bis zu einer Verwertung der Ermittlungsergebnisse im Verletzungsverfahren. Überlange Verfahrensdauern bis zu einem Unterlassungstitel grenzen im schnelllebigen Wirtschaftsleben bei kürzer werdenden Innovations- und Verwertungszyklen an Rechtsverweigerung. Bei der „search order“ folgt auf die „ex parte“-Anordnung der Maßnahme sowie deren Durchführung lediglich eine Anhörung beider Parteien – „return date“ –, um gegebenenfalls über die Aufhebung der „order“ zu befinden. Sodann stehen die ermittelten Beweise zur Nutzung im Verletzungsverfahren zur Verfügung. Ein aufwändiges Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit der „interim remedy“ findet jedenfalls nicht statt. Es handelt es sich also um ein recht kurzes und damit auch insofern praxistaugliches Verfahren. Insgesamt handelt es sich bei der englischen „search order“ um ein sehr wirksames Instrument nicht nur der Beweissicherung, sondern der echten Beweisermittlung, mit umfangreichen Mitwirkungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Stoffsammlung173. 172

So auch Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 730. In Bezug auf das Bestehen des Anspruchs als solchen ist der Ermittlungscharakter geringer als in Bezug auf die einzelnen Beweisstücke, da bereits ein starker „prima facie case“ glaubhaft zu machen ist. Diese Glaubhaftmachung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Substantiierung des Verletzungstatbestandes oder der Beschreibung der konkreten Ausführungsform. 173

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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b) Saisie-contrefaÅon Auch bei der französischen „Best-Practice“-Maßnahme handelt es sich um ein spezielles Beweissicherungsverfahren für den Bereich des geistigen Eigentums. Es erlaubt ganz besonders weit reichende Eingriffe in die Sphäre des mutmaßlichen Verletzers zur Ermittlung des Verletzungstatbestandes. Anders als bei ihrem englischen Pendant wird bei der „saisie“ der Zugang zur Beweisermittlung nicht durch hohe materielle Hürden reglementiert. Diese sind vielmehr ausgesprochen niedrig. Das naturgemäß entgegenstehende Interesse der gegnerischen Partei wird insgesamt geringer bewertet und findet nur bei der Ausgestaltung der konkreten Durchführung der Beweisermittlung Berücksichtigung. Insgesamt handelt es bei der „saisie“ um ein Instrument, bei welchem das Ziel der Überwindung der strukturellen Beweisnot des Rechtsinhabers durch Beweisermittlung in der gegnerischen Sphäre im europäischen Vergleich am konsequentesten verwirklicht wird. Unabhängig von Auslegung und Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie gab es daher schon früh Stimmen in der wissenschaftlichen Diskussion, die eine Reform des deutschen Rechts orientiert an dem französischen Vorbild angeregt haben174. (1) Grundlagen Die „saisie-contrefaÅon“ kann bereits auf eine lange Anwendungsgeschichte zurückblicken. Nach einigen Vorläuferregelungen fand sie ihre endgültige Gestalt durch das Gesetzbuch betreffend das geistige Eigentum – „Code de la proprit intellectuelle“ (CPI) – vom 1. Juli 1992175. Die „saisie-contrefaÅon“ ist im „Code de la proprit intellectuelle“ jedoch nicht horizontal für alle Immaterialgüterrechte einheitlich geregelt. Art. L. 615 – 5 CPI176 enthält eine Regelung für das Patentrecht, welcher die Regelungen für das Sortenschutz- und das Geschmacksmusterrecht entsprechen177. Diese Regelungen bezwecken ausschließlich die Beweisermittlung und -sicherung, anhand einiger weniger gegebenenfalls zu beschlagnahmender Beweisstücke. Dagegen dient die „saisie“ im Bereich des Urheber-, Computer- und Markenrechts178 zusätzlich der Vorbereitung der Einziehung bzw. des Aus-dem-Verkehr-Ziehens schutz-

174 Schweikhardt, Beweislast bei Verletzung von Schutzrechten auf Verfahren, GRUR 1962, S. 116, 121; Gloy/Loschelder, Stellungnahme zum Grünbuch, GRUR 1999, S. 479, 483; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231 ff., letztlich aber eine extensivere Interpretation des § 809 BGB bevorzugend, S. 237 f. 175 Zur Entwicklung der „saisie“ und der Gesetzgebungsgeschichte des CPI vgl. Treichel, Sanktionen, S. 163 f.; sowie Dreier/Kraßer, CPI, S. 1 ff. Bei Dreier/Kraßer, CPI, findet sich eine zweisprachige Ausgabe des französischen Gesetzbuches des geistigen Eigentums. 176 Vgl. zweisprachigen Text bei Dreier/Kraßer, CPI, S. 233 f. 177 Vgl. Art. L. 623 – 27 CPI bzw. Art. L. 521 – 1 CPI; Dreier/Kraßer, CPI, S. 255 f., 177 f. 178 Vgl. Art. L. 332 – 1 – 332 – 3 CPI, Art. L. 332 – 4 CPI, Art. L. 716 – 7 CPI; Dreier/Kraßer, CPI, S. 154 f., 155, 276.

288 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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rechtsverletzender Gegenstände, also größerer Sachmengen. Letztere folgt daher teilweise unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen179. Wegen ihrer beispielhaften Bedeutung für die andere Herangehensweise an die immaterialgüterrechtliche Beweisermittlung in Frankreich sollen hier nur die patentrechtliche Regelung gem. Art. L. 615 – 5 CPI und ihre Wesensmerkmale erläutert werden. Selbstverständlich kann auch in Frankreich der Verletzungstatbestand mittels aller allgemein zugelassenen Beweismittel nachgewiesen werden (vgl. Art. L. 615 – 5 CPI). Wegen ihres großen Wirkungsgrades und der geringen Kosten180 vertraut der Rechtsinhaber jedoch bei fast jedem Patentverletzungsverfahren auf die Ergebnisse eines fakultativ vorgeschalteten „saisie“-Verfahrens181. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass sich die „saisie“ aufgrund ihrer Anordnung ohne Anhörung des Gegners und der Möglichkeit der Durchsuchung der grundrechtlich geschützten Wohnung von den allgemeinen Regeln des französischen Zivilprozessrechts unterscheidet und insofern regelungstechnisch eine Ausnahme speziell zum Schutz des geistigen Eigentums darstellt182. (2) Antrag und formelle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke Die „saisie“ ergeht auf Antrag. Antragsberechtigt sind in Patentrechtssachen der Inhaber eines Patents, einer anhängigen Patentanmeldung sowie einer ausschließlichen Lizenz (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 1, 3 CPI)183. Für den Erlass der Anordnung ist als Einzelrichter der Präsident des „Tribunal de grande instance“ – einem Landgericht entsprechend – zuständig, in dessen Bezirk die „saisie“ stattfinden soll, unabhängig von der Zuständigkeit für das spätere Verletzungsverfahren (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 CPI)184. Wie noch darzustellen sein wird, kann die „saisie“ nicht 179 Treichel, Sanktionen, S. 165; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 693; sowie Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; siehe auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 187 f. 180 Vgl. zu den Kosten Vil, Kosten eines Patentverletzungsprozesses, Mitt. 2002, S. 412, 412 f.: „ca. 1500 bis 3000 E“. 181 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 691; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 409; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 404. 182 Treichel, Sanktionen, S. 166 f.; so auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 163 ff.; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 693. 183 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 693; Treichel, Sanktionen, S. 170 f.; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 409; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 160; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 404. 184 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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nur eine bestimmte, mutmaßlich schutzrechtsverletzende Sache erfassen, sondern auch weitere Gegenstände und Unterlagen, die zur Aufklärung des Verletzungstatbestandes erforderlich erscheinen. Alle diese Gegenstände und die mutmaßlich verletzende Sache sind im Antrag zu identifizieren. Allerdings wird der Rechtsinhaber selten an einer zu geringen Bestimmtheit einer diesbezüglichen Antragstellung scheitern, da die Eigenschaften der zu beschreibenden oder zu beschlagnahmenden Gegenstände auch durch bloße Bezugnahme auf die Patentansprüche dargelegt werden können. Sollte die Bestimmung der Gegenstände aufgrund mangelnder Kenntnisse des Antragstellers weiteren Schwierigkeiten begegnen, ist es zudem ausreichend, die Gegenstände durch exakte Angabe des Ortes der beantragten Maßnahmen zu benennen185. Die „saisie“ wird prinzipiell ex-parte ohne vorherige Anhörung der gegnerischen Partei erlassen, ohne dass besondere Tatsachen dargetan werden müssen, die im Einzelfall eine besondere Dringlichkeit begründen sollen. Diese Regelung basiert auf der zutreffenden Annahme, dass im Immaterialgüterrecht die Gefahr der Beweismittelmanipulation ganz generell als erhöht angesehen werden kann. Diesem durch Verzicht auf die Anhörung entstehenden Überraschungseffekt wird oft die besondere Wirksamkeit der „saisie“ zugeschrieben186. Auch wenn dies zweifelsohne richtig ist, dürfte gerade im Vergleich zum deutschen Recht der eigentliche Grund für die überzeugende Lösung der strukturellen Beweisnot in den noch zu diskutierenden geringen materiellen Voraussetzungen und den umfassenden Untersuchungsbefugnissen liegen. (3) Materielle Voraussetzungen: Insbesondere die Anforderungen an den Tatsachenvortrag Alleine die Rechtsinhaberschaft187 ist materielle Voraussetzung für die Anordnung einer „saisie“ und entsprechend nachzuweisen (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 1, 2 CPI). Der tatsächliche Bestand des Rechts wird für das Beweissicherungsverfahren dann vermutet188. Anders als bei § 809 BGB oder der „search order“ muss der Rechtsin-

Int. 2001, S. 690, 693; Treichel, Sanktionen, S. 171 f.; Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 392. 185 Vgl. Treichel, Sanktionen, S. 173 sowie Fn. 996; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 694 sowie Fn. 65. 186 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 693 f.; Treichel, Sanktionen, S. 172 f.; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 392. 187 Rechtsinhaberschaft an einem Patent bzw. einer anhängigen Patentanmeldung oder einer ausschließlichen Lizenz; vgl. auch Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 409 f.; Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 392 f. 188 Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 694; Treichel, Sanktionen, S. 174; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 158; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231.

290 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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haber den Hauptanspruch, also die Schutzrechtsverletzung, weder darlegen, noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen beweisen oder glaubhaft machen. Da weitere materielle Voraussetzungen nicht existieren, erscheint dies zunächst sehr befremdlich. Diese Lösung überzeugt jedoch mindestens durch ihre Stringenz: Der französische Gesetzgeber hat die strukturelle Beweisnot des Schutzrechtsinhabers anerkannt und deshalb eine spezielles Beweiserhebungsverfahren geschaffen. Auf dieser Basis kann man es als konsequent bezeichnen, dass vom Schutzrechtsinhaber keine Wahrscheinlichmachung oder eine Darlegung von Einzelheiten des zu beweisenden Verletzungstatbestandes verlangt wird, denn nach Ansicht der französischen Rechtswissenschaftler soll die „saisie“ gerade erst dazu dienen, Beweisstücke zu beschaffen, um diese Verletzung nachzuweisen189. Ohnehin kann der Rechtsinhaber vor der Beweisermittlung oftmals nur Mutmaßungen anstellen. Im Ergebnis wird daher vorprozessual kein substantiierter Vortrag gefordert. Der Rechtsinhaber soll stattdessen mittels der „saisie“ in die Lage versetzt werden im Hauptsacheverfahren substantiiert vorzutragen. Folgerichtig stellt der „Code de la proprit intellectuelle“ ein Instrument zur Verfügung, welches nach deutschen Maßstäben ein unzulässiges Beweisermittlungsverfahren darstellen und gegen das Ausforschungsverbot verstoßen würde190. Bei aller Übereinstimmung mit diesem grundsätzlichen Regelungsansatz, fragt sich jedoch, ob es im Sinne einer Missbrauchsabwehr nicht sinnvoll wäre, vom Rechtsinhaber zumindest den Vortrag gewisser äußerer Anhaltspunkte für eine Verletzung zu verlangen191, um die Basis seiner Mutmaßungen zu prüfen, ohne gleich eine Bezugnahme oder Substantiierung des Verletzungstatbestandes zu fordern. Im Übrigen muss sich der Rechtsinhaber dennoch gut überlegen, ob er von der Rechtsmacht, ein „saisie“-Verfahren durchführen zu lassen, wirklich Gebrauch macht. Als gewisser Ausgleich steht dem Antragsgegner nämlich eine Klagemöglichkeit wegen „missbräuchlicher saisie“ zur Verfügung192. (4) Inhalt der Anordnung und Durchführung der saisie Wenn diese im Wesentlichen formalen Voraussetzungen gegeben sind, hat der Rechtsinhaber einen Rechtsanspruch auf Erlass einer „saisie-contrefaÅon“ – sog. 189 Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 158 f.; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 694; Treichel, Sanktionen, S. 174; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321. 190 Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 694; Treichel, Sanktionen, S. 174 f. 191 Nach Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 694 Fn. 75 m.w.N., wird auch im belgischen Recht die „saisie-description“ nur unter ganz besonderen Umständen verwehrt, zumindest für eine „saisie relle“, dürfe die mutmaßliche Verletzung aber nicht „prima facie bestreitbar sein“. Dies bedeutet wohl, dass die Verletzung nicht auf den ersten Blick sehr zweifelhaft erscheinen darf. 192 Vgl. dazu Treichel, Sanktionen, S. 206 ff.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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„droit damnager la preuve“ – (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 CPI)193. Ermessenserwägungen des Richters zur Berücksichtigung entgegenstehender Belange sind nicht zulässig. Dieser hat jedoch einen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Art und Weise der Durchführung der Beweissicherung194, in dessen Rahmen entgegenstehende Interessen Berücksichtigung finden können. So kann der Richter beispielsweise eine Hinterlegung bzw. Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft zur Bedingung für die Durchführung der „saisie“ machen (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 CPI)195. In der Regel erfolgt die Anordnung einer Hinterlegung, wenn eine „saisie relle“, also eine tatsächliche Beschlagnahme der Gegenstände angeordnet wird. In letzterem Fall hat der Richter auch die Möglichkeit, den Wert der tatsächlich beschlagnahmten Gegenstände durch Zahlung einer Geldsumme ablösen zu lassen (vgl. Art. R. 615 – 2 CPI)196. Wenn der Richter die „saisie“ anordnet, legt er den Ort, die Personen und die Gegenstandskategorien fest, die von der Beweisermittlungsmaßnahme erfasst werden sollen. Anknüpfungspunkt des Gesetzes ist dabei primär die Feststellung der angeblichen Patentverletzung und der verletzenden Gegenstände und Methoden (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 S. 1 CPI). Ausdrücklich dürfen auch weitere Feststellungen, die der Ermittlung des Ursprungs und des Ausmaßes der Verletzung dienen (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 S. 4 CPI), getroffen werden197. Das Instrument der „saisie“ zielt jedenfalls sowohl nach Satz 1 als auch nach Satz 4 zunächst auf das Ergebnis und das Objekt der Beweisermittlung und ist damit eher objekts- als personenbezogen198. Daher bewilligt der Richter die „saisie“ für alle Orte, an denen sich vermutlich Beweisstücke auffinden lassen. Dies können nicht nur Räume sein, die dem Antragsgegner zuzuordnen sind, sondern auch solche, die im Besitz früherer Besitzer der Gegenstände oder sonstiger Dritter stehen199. Diese Räume dürfen betreten und durchsucht werden. 193

Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 694; Treichel, Sanktionen, S. 173 f.; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 392 f. 194 Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 393; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 159; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Treichel, Sanktionen, S. 177. 195 Dies soll den Ersatz von Schäden, die bei der Durchführung der „saisie“ entstehen oder auf einer missbräuchlichen „saisie“ beruhen, gewährleisten, wenn die Klage in der Hauptsache unbegründet ist. 196 Treichel, Sanktionen, S. 178 f.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; siehe zur „Kaution“ zuvor schon Schweikhardt, Beweislast bei Verletzung von Schutzrechten auf Verfahren, GRUR 1962, S. 116, 119. 197 Vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 bei Dreier/Kraßer, CPI, S. 233. 198 Ähnlich in der Bewertung Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 189; Treichel, Sanktionen, S. 179, 181. 199 Vgl. Treichel, Sanktionen, S. 179, 181; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 166, 191; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 410.

292 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Ausgehend von Art. L. 615 – 5 Abs. 2 S. 1 und S. 4 CPI erfasst die „saisie-contrefaÅon“ eine große Bandbreite von möglichen Beweismitteln. Auf richterliche Anordnung kann das betroffene Material von dem angeblich patentverletzenden Gegenstand bzw. Verfahren bis zu erläuternden Dokumenten und Unterlagen, wie technischen Plänen, Gebrauchsanweisungen und Preis- sowie Kundenlisten, reichen, die für den Nachweis der Verletzung und ihres Ursprungs und Ausmaßes von Bedeutung sind200. Mit der Durchführung der „saisie“ wird ein „huissier de justice“ – ein Gerichtsvollzieher – beauftragt. Dieser kann vom Antragsteller ausgewählt werden201. Begleitet wird der Gerichtsvollzieher gegebenenfalls von einem Polizeibeamten, wenn Widerstand durch den Antragsgegner erwartet werden muss202. Daneben hat der Antragsteller das Recht Sachverständige auszuwählen, die den Gerichtsvollzieher bei seiner Arbeit unterstützen (vgl. Art. L. 615 – 5 Abs. 2 CPI). In der Regel wird es sich dabei um einen Patentanwalt handeln, dem im weiteren Verlauf eine Schlüsselrolle zukommt, sowie um weitere Hilfspersonen, wie z. B. einem Fotografen und Ingenieuren203. Der „Code de la proprit intellectuelle“ bestimmt darüber hinaus nicht, welche weiteren Personen bei der Durchführung der „saisie“ mitwirken dürfen; vielmehr entscheidet der Richter über den Teilnehmerkreis nach seinem Ermessen. Idealerweise legt er dieser Entscheidung zugrunde, dass die teilnehmenden Personen in den Räumen des Antragsgegners unter Umständen Kenntnis von schützenswerten Betriebsund Geschäftsgeheimnissen nehmen können. Daher schließt er im Allgemeinen den Antragsteller selbst, seine Arbeitnehmer und seinen Rechtsanwalt von der Teilnahme aus. Mangels einer gesetzlichen Regelung ist dieses Vorgehen aber nicht in jedem Einzelfall garantiert204.

200

Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 393; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 322; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 405. 201 Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695; Treichel, Sanktionen, S. 182; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 410; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 168; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231. 202 Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 393; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695; Treichel, Sanktionen, S. 182; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 410. 203 Vgl. Schweikhardt, Beweislast bei Verletzung von Schutzrechten auf Verfahren, GRUR 1962, S. 116, 119; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695; Treichel, Sanktionen, S. 184; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 410; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 405; Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 393; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231. 204 Treichel, Sanktionen, S. 184 f. u. Fn. 1078, verweist daneben noch auf Art. 4, Dekret Nr. 92 – 755, PIBD 1992, 534.III.643, wonach der Antragsteller einer „Sicherungsmaßnahme“ bei deren „Vollstreckung“ „nicht anwesend“ sein darf, „es sei denn“, dass die „Anwesenheit“ richterlich „genehmigt wurde“, „sofern die Modalitäten des Eingriffs dies rechtfertigen“. Nach

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

293

Zu Beginn der „saisie“ ist es die Aufgabe des Gerichtsvollziehers dem Besitzer der betroffenen Räumlichkeiten eine Abschrift der Anordnung der „saisie“ tatsächlich zu übergeben (vgl. Art. R. 615 – 2 Abs. 2 CPI). Dies soll dem Antragsgegner die Möglichkeit eröffnen, die Reichweite der Anordnung mit den vor Ort durchgeführten Maßnahmen zu vergleichen, um sich „im Falle einer Überschreitung“ zur Wehr setzen zu können. Eine Nichtbeachtung dieser Regelung kann zur Nichtigkeit der „saisie“ führen205. Bei dem Begriff der „saisie-contrefaÅon“ handelt es sich in Wirklichkeit um einen Oberbegriff für Maßnahmen, in deren Rahmen fremde Räumlichkeiten betreten und durchsucht werden dürfen, um Beweisstücke aufzufinden und diese zu untersuchen sowie ihre Merkmale zu dokumentieren und ggf. Muster zu beschlagnahmen. Welche Eingriffe im Einzelfall zulässig sind, legt der Richter dabei ganz genau und zwingend in der Anordnung fest. Grundsätzlich existieren zwei Arten der „saisie-contrefaÅon“, die sich durch ihre Eingriffsintensität unterscheiden. Gleichsam die Basisverfügung stellt die „saisie-description“ dar. Hierbei kommt es vor Ort nur zu einer detaillierten Beschreibung des aufgefundenen Beweismaterials. Eine zusätzliche „saisie relle“, also die tatsächliche Beschlagnahme von Beweisstücken muss ausdrücklich beantragt und genehmigt werden206. Beide Arten der „saisie“ können sich auf alle oben genannten Gegenstandsklassen beziehen. Sobald die relevanten Gegenstände aufgefunden wurden, wobei nur der Gerichtsvollzieher Durchsuchungsmaßnahmen vornehmen darf, erfolgt bei der „saisie-description“ eine ausführliche Beschreibung der Gegenstände bzw. Verfahren und ihrer angeblich patentrechtsverletzenden Merkmale durch den vereidigten Gerichtsvollzieher. Dadurch soll unter Vergleich mit den geschützten Merkmalen herausgefunden werden, inwiefern eine Schutzrechtsverletzung vorliegen könnte207. Bei seinen Untersuchungen und Feststellungen wird der Gerichtsvollzieher ganz wesentlich vom teilnehmenden Patentanwalt unterstützt. Auf Grund seines Fachwissens kann dieser den Gerichtsvollzieher auf bestimmte Merkmale hinweisen und deren Bedeutung erklären. Oft nimmt dadurch der Patentanwalt die eigentliche Bewertung vor208. Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379, ist die Anwesenheit des Antragstellers „nicht vorgesehen und nicht zulässig“. 205 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Treichel, Sanktionen, S. 189 f.; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231. 206 Diese Unterscheidung trifft schon Schweikhardt, Beweislast bei Verletzung von Schutzrechten auf Verfahren, GRUR 1962, S. 116, 119; vgl. weiter Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695; Treichel, Sanktionen, S. 177 f., 185 ff.; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 153; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379. 207 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231; Treichel, Sanktionen, S. 185 f.; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 170 f.; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321 f. 208 Treichel, Sanktionen, S. 184; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 231.

294 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Anders als bei Besichtigungen nach § 809 BGB im Hinblick auf Patentverletzungen209 sind in Frankreich Substanzeingriffe zur Ermöglichung der „saisie-description“ zulässig; beispielsweise darf eine Maschine zur Untersuchung auseinanderund wieder zusammengebaut werden. Zur Ermittlung des verwendeten Verfahrens und der Funktionsweise kann die Maschine vom Gerichtsvollzieher zudem in Betrieb genommen werden210. Auf Grund seines umfassenden Auftrags kann der Gerichtsvollzieher auch eine – seiner Ansicht nach – äquivalente Verletzung in seine Beschreibung aufnehmen211; jedoch darf der Antragsgegner nicht zur aktiven Mitarbeit gezwungen werden. Weder ist der Gerichtsvollzieher berechtigt, den Antragsgegner einer Befragung oder Vernehmung zu unterziehen und Einlassungen zur Sache zu fordern212, noch darf er ihn ersuchen, eine stillstehende Maschine in Betrieb zu setzen213. Im Rahmen einer „saisie-description“ dürfen von dem teilnehmenden Fotografen auch Fotos und Videoaufnahmen zur Ergänzung der Beschreibung erstellt werden. Zum Schutz von Betriebsgeheimnissen kann der Richter jedoch diese Aufnahmen strikt auf die angeblich patentverletzenden Gegenstände und Verfahren begrenzen214. Schließlich ist in der Regel das Fotokopieren relevanter Unterlagen zulässig215. Die mit Unterstützung des Patentanwalts vorgenommene Beschreibung möglicherweise verletzender Merkmale muss der Gerichtsvollzieher noch an Ort und Stelle in einem Protokoll festhalten216. Diesem Protokoll kommt als authentische Urkunde – „acte authentique“ – eine besondere Beweiskraft im Verletzungsprozess zu, so dass die getroffenen Feststellungen nur sehr schwer in Zweifel gezogen werden können. Dies gilt jedoch nur für die Abschnitte des Protokolls, die selbständige Feststellungen und unmittelbare Wahrnehmungen des Gerichtsvollziehers enthalten. Die hiervon optisch deutlich zu unterscheidenden Abschnitte, die nur Bewertungen und Erläuterungen des Patentanwalts enthalten, unterliegen der normalen Beweiswürdigung.

209 Vgl. zur BGH-Entscheidung „Druckbalken“ und dem Verbot des Substanzeingriffes: 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. b) (1). 210 Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 167; vgl. zur Inbetriebnahme auch die Rechtslage zu § 809 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. b). 211 So auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 170. 212 Allerdings darf er spontane Äußerungen des Antragstellers zu beweiserheblichen Sachverhalten im Protokoll vermerken; vgl. Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 322; Treichel, Sanktionen, S. 188. 213 Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 322; Treichel, Sanktionen, S. 182 f., 188; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695. 214 Treichel, Sanktionen, S. 180 f.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 696. 215 Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 322; Treichel, Sanktionen, S. 181 f.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379. 216 Hierzu Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Treichel, Sanktionen, S. 186, 191.; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 405; zuvor schon Schweikhardt, Beweislast bei Verletzung von Schutzrechten auf Verfahren, GRUR 1962, S. 116, 119.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Dem Antragsgegner ist sofort mit dem Abschluss der „saisie“ eine Abschrift des Protokolls zur Prüfung der Ergebnisse zu übergeben217. Bei der zweiten Variante der „saisie“, der „saisie relle“, können angeblich schutzrechtsverletzende Gegenstände beschlagnahmt und mitgenommen werden. Regelmäßig dürfen indes lediglich zwei Musterexemplare – eines zur Verwahrung durch das Gericht, das andere für den Antragsteller – entfernt werden. Dazu ist das Zerlegen von Gegenständen ebenso wie die Entnahme von Proben zulässig; entnommene Proben dürfen anschließend im Labor untersucht werden218. Sperrige Gegenstände oder Einzelstücke werden sequestriert und verbleiben generell beim Antragsgegner. Bei großen Fertigungsanlagen und im Hinblick auf Verfahrenspatente kann ohnehin nur eine „saisie-description“ stattfinden219. Insgesamt fällt auf, dass sehr viel Beweismaterial in den Fokus der Maßnahme gelangt und umfangreiche und intensive Eingriffe zulässig sind. (5) Durchsetzung der saisie Die Effektivität eines Beweismittelbeschaffungsinstruments bemisst sich insbesondere an ihrer Durchsetzbarkeit gegen den Willen des Betroffenen. Nach dem bisher Gesagten ist es nicht überraschend, dass der französische Gesetzgeber auch in diesem Fall das Interesse an der Überwindung der spezifischen Beweisnot sehr hoch bewertet. Die „saisie-contrefaÅon“ beinhaltet daher eine gerichtliche Duldungsanordnung, welche unter Umständen mit Hilfe unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden kann. Zu diesem Zweck kann sich der Gerichtsvollzieher von einem Polizeibeamten und – sehr martialisch – einem „Schlosser“ begleiten lassen220. (6) Behandlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Es hat sich gezeigt, dass das französische Recht ein sehr wirkungsvolles Instrument zur Linderung des Informationsdefizits des mutmaßlich verletzten Schutzrechtsinhabers bereitstellt. Es ist offensichtlich, dass die weitgehenden Eingriffsbefugnisse eine Missbrauchsgefahr mit sich bringen. Insbesondere der notwendigerweise ausforschende Charakter einer echten Beweisermittlung könnte Wettbewerber einladen, die gesammelten Materialien zur Ausspionierung fremder Betriebsgeheimnis-

217 Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Treichel, Sanktionen, S. 186, 191; Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 410. 218 Treichel, Sanktionen, S. 178, 187; Treichel, Saisie-contrefaÅon, GRUR Int. 2001, S. 690, 695 f.; Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321 f.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379. 219 Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 321 f.; Treichel, Sanktionen, S. 187 f.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379. 220 Lang, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2000, S. 319, 322; Treichel, Sanktionen, S. 182; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 378; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 193.

296 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

se zu gebrauchen221. Es fragt sich daher, ob und wie beim Instrument der „saisie“ das Geheimhaltungsinteresse des Antragsgegners im Hinblick auf schutzwürdige Betriebsgeheimnisse verwirklicht wird, ohne dem Antragsteller beweisrelevante Informationen vorzuenthalten. Dabei ist zu betonen, dass sich entgegen einer verbreiteten Ansicht Betriebsgeheimnisse und streiterhebliche Informationen vor einer ausgiebigen Erörterung oft nicht klar voneinander trennen, d. h. absondern, lassen, sondern häufig in einer Information zusammenfallen222. Im Gegensatz zur gängigen Auslegung des § 809 BGB findet bei der „saisie“ keine anfängliche Interessenabwägung statt, die Teil der Tatbestandsvoraussetzungen wäre und zeitlich vor der Durchführung der Maßnahme liegt. Entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen können daher weder zu einer völligen Versagung der Beweismittelsichtung223 noch zu einer Berücksichtigung durch Verfahrensvorkehrungen während der eigentlichen Beweismittelsichtung führen224. Der Erlass und die Durchführung der „saisie“ stehen ganz unter der Prämisse, dem berechtigten Informationsinteresse zur Durchsetzung zu verhelfen225. Der Geheimnisschutz bei der „saisie“ ist insofern ein nachgelagerter. Die Schutzmaßnahmen verhindern gegebenenfalls eine Kenntnisnahme durch den Antragsteller selbst nach Abschluss der eigentlichen „saisie“: Wenn der Antragsgegner im Verlaufe der Durchführung der „saisie“ Betriebsgeheimnisse gefährdet sieht und dies geltend macht, werden die betroffenen Merkmale oder Unterlagen trotzdem beschrieben bzw. beschlagnahmt. Materialien und Protokoll werden anschließend jedoch nicht an den Antragsteller weitergeleitet, sondern vom Gerichtsvollzieher bis auf weiteres geheim gehalten226. Beide Parteien sind nun berechtigt, im Schnellverfahren nach Art. 496 ff. NCPC, sog. „rfr“-Verfahren, die Geheimhaltung, d. h. (Teil-)Aufhebung der Beweisermittlungsmaßnahme – „rtractation“ –, bzw. die vollständige Offenlegung der Informationen zu beantragen. Neben dem „juge des rfrs“ im Schnellverfahren kann zudem auch der Richter im Hauptsacheverfahren über die Geheimhaltung bzw. Verwertung befinden227. In der Regel ordnet der zuständige Richter jedenfalls die Einleitung eines Aussonderungs221 Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 233 f.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 380; Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/ Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1032. 222 Z.B. kann nur das Gericht klären, ob eine äquivalente Benutzung vorliegt. Dazu muss es das verwendete Verfahren prüfen. Dieses ist also streiterheblich. Ist das Gericht schließlich der Ansicht, dass es sich um eine eigenständige Variante der technischen Problemlösung handelt, stellt sich dasselbe beweisrelevante Material als schutzwürdiges und geheimhaltungsbedürftiges fremdes Know-How dar. 223 Vgl. zur „Druckbalken“-Entscheidung oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. d). 224 Vgl. zur Entscheidung „Faxkarte“ oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. d); vgl. auch die ähnlichen Feststellungen von Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 193. 225 Vgl. Treichel, Sanktionen, S. 192. 226 Treichel, Sanktionen, S. 194; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 175. 227 Treichel, Sanktionen, S. 175 f., 194.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

297

verfahrens an. Der Richter beauftragt hierzu einen neutralen und zur Geheimhaltung verpflichteten Sachverständigen, der das gesamte Material sichtet und nach vorgegebenen Kriterien bestimmten Geheimhaltungskategorien zuzuordnen hat228. Die Klassifizierung wurde dabei teilweise nach dem Kriterium der Vertraulichkeit – „caractre confidentiel“ – vorgenommen, so dass nur Material vom Antragsteller verwertet werden durfte, welches angeblich keine Betriebsgeheimnisse enthielt. Vertrauliches Material wurde ausgesondert229. Gravierender Nachteil dieser Methode ist, dass dabei auch vertrauliches Material aussortiert wird, welches für den Nachweis einer Schutzrechtsverletzung oder deren Nichtvorliegen relevant ist, da Beweisrelevantes und Vertrauliches oft untrennbar zusammenfällt. Auch eine Differenzierung nach dem Grad der Schutzwürdigkeit des Geheimhaltungsinteresses – je eigenständiger die Entwicklung, desto schutzwürdiger wäre die Information – hilft ex ante nicht weiter, da die Abgrenzung von eigenständiger Entwicklung und Schutzrechtsverletzung erst unter Sichtung des entscheidenden Materials im Prozess durch das Gericht geklärt werden kann. Die Aussonderung beweiserheblichen, wenn auch vertraulichen Materials würde unter Umständen die Aussagekraft des Materials sehr stark vermindern und damit den Sinn und Zweck der Durchführung der „saisie“ entfallen lassen. In der Regel und auch in einer jüngeren Entscheidung ist daher das Material nach dem Kriterium der beweisrechtlichen Nützlichkeit – „utilit“ – einzustufen. Material, welches für den Beweis der Schutzrechtsverletzung erforderlich ist, darf der Antragsteller für den Prozess nutzbar machen, unabhängig davon, ob es sich um geheimhaltungsbedürftiges oder nicht-geheimhaltungsbedürftiges Material handelt. Jegliches Material, welches hierzu nicht zwingend notwendig ist, ist dem Antragsteller endgültig vorzuenthalten230. Letztere Aussage gibt mangels schutzwürdigen Informationsinteresses eine bloße Selbstverständlichkeit wieder. Als zusätzliche Maßnahme sind in weiterzugebenden Unterlagen und wohl auch im Protokoll des Gerichtsvollziehers nicht beweiserhebliche Abschnitte, die geheimhaltungsbedürftig sind, richtigerweise auch solche, die nicht geheimhaltungsbedürftig sind, durch den neutralen Sachverständigen unkenntlich zu machen231. Insgesamt setzt sich also abermals 228

TGI Paris, Beschl. v. 14. 5. 1999, „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, 1031, 1031; Treichel, Sanktionen, S. 195 f.; Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1033 f. 229 TGI Paris, Urt. v. 6. 12. 1996, „Barkats/France Tlcom“, zitiert nach Vron, Documents confidentiels, RDPI Nr. 83, Januar 1998, S. 11, 12, zitiert nach Treichel, Sanktionen, S. 196; Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1034. 230 TGI Paris, Beschl. v. 14. 5. 1999, „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, 1031, 1031 f.; Treichel, Sanktionen, S. 196; Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1034; ihm folgend Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 178; siehe auch Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 405 f. 231 TGI Paris, Beschl. v. 14. 5. 1999, „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, 1031, 1032; Treichel, Sanktionen, S. 194 f.; Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1034; siehe auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 179; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 405 f.

298 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

– dem Charakter der „saisie“ entsprechend – das Informationsinteresse des Schutzrechtsinhabers durch. Für die gleichzeitige Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen viel entscheidender ist jedoch, welche Personen auf Seiten des Antragstellers Zugang zu relevantem, aber geheimem Beweismaterial erhalten, sei es während der Aussonderung oder anschließend in der Vorbereitung auf die Verletzungsklage. Vereinzelt wurde in der Rechtsprechung unter Hinweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit sowohl dem Antragsteller selbst als auch seinen Anwälten die Anwesenheit während der Aussonderung untersagt232. Regelmäßig erlauben die Gerichte jedoch den Patent- und Rechtsanwälten die Anwesenheit während der Aussonderung; allerdings werden die Anwälte zur Verschwiegenheit gegenüber der eigenen Partei verpflichtet. Die Naturalpartei wird dagegen von der Anwesenheit ausgeschlossen233. Die Rechtslage nach Aussonderung und ggf. Unkenntlichmachung bestimmter Passagen ist jedoch noch nicht vollständig geklärt. Vereinzelt wurde der Naturalpartei ab diesem Punkt vollständiger Zugang zu den zu verwertenden, wenn auch geheimen Materialien gewährt234. In einer anderen Entscheidung erhielt die antragstellende juristische Person nach Abschluss der Aussonderung zwar grundsätzlich Zugang zu den Unterlagen; diese durften aber nur denjenigen Angestellten zugänglich gemacht werden, die innerhalb des Unternehmens mit dem Verletzungsstreit befasst waren235. Zu begrüßen ist schließlich die Entscheidung des TGI de Paris, wonach die Naturalpartei keinen Zugang zu geheimen Unterlagen erhält, sondern dieser weiterhin auf zur Verschwiegenheit verpflichtete Prozessvertreter beschränkt bleibt236. Durch diese Vorkehrung kann die notwendige umfassende Untersuchung auf beweiserhebliche Merkmale verhältnismäßig erscheinen. In der Literatur wurde zuletzt angeregt, ganz generell den Ausschluss der Naturalpartei bei gleichzeitiger Anwesenheit zur Verschwiegenheit verpflichteter Prozessvertreter nicht nur auf das „saisie“-Verfahren anzuwenden, sondern auf das Verletzungsverfahren in der Hauptsache auszudehnen237. 232

TGI Paris, Urt. v. 2. 10. 1997, RDPI Nr. 83, Januar 1998, S. 25 ff., zitiert nach Treichel, Sanktionen, S. 198, und Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1033. 233 TGI Paris, Beschl. v. 14. 5. 1999, „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, 1031, 1031 f.; TGI Paris, Urt. v. 24. 11. 1997, RDPI Nr. 83, Januar 1998, S. 26, zitiert nach Treichel, Sanktionen, S. 198; siehe auch Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 405 f. Zu Recht wird dabei geltend gemacht, dass dieses Vorgehen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs wahrt. 234 TGI Lyon, Beschl. v. 11. 5. 1998, RDPI Nr. 87, Mai 1998 S. 26, zitiert nach Treichel, Sanktionen, S. 198, = PIBD 1998, 662.III.477, zitiert nach Treichel, Anm. TGI Paris „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, S. 1032, 1033. 235 Vgl. TGI Paris, Beschl. v. 14. 5. 1999, „Quick Turn/Meta Systems“, GRUR Int. 2000, 1031, 1032, Namen und Anschriften dieser Personen mussten mitgeteilt werden. 236 TGI Paris, Urt. v. 24. 11. 1997, RDPI Nr. 83, Januar 1998, S. 26, zitiert nach Treichel, Sanktionen, S. 198. 237 Treichel, Sanktionen, S. 199.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(7) Klage wegen missbräuchlicher „saisie“ Den weitgehenden Eingriffsbefugnissen des Antragstellers und der damit einhergehenden Missbrauchsgefahr steht die Möglichkeit einer Schadensersatzklage des Antragsgegners wegen missbräuchlicher Anwendung des „saisie“-Verfahrens gegenüber. Eventuell entfaltet diese Klagemöglichkeit sogar präventive Schutzwirkung zugunsten des Gegners, indem grobe Verletzungen seiner Interessen kompensiert werden. Die grundsätzliche Präferierung der Ermittlungsinteressen zum Ausgleich des strukturellen Informationsdefizits bleibt hierbei jedoch unangetastet. Die Spruchpraxis der Gerichte scheint eher restriktiv zu sein, denn im Ergebnis haben solche Klagen nicht häufig Erfolg238. Grundvoraussetzung eines Schadensersatzanspruchs ist nach der Rechtsprechung, dass die „saisie“ „arglistig und in bösem Glauben“ beantragt wurde, beispielsweise wenn der Antragsteller das Nichtbestehen seines Schutzrechts oder das Nichtvorliegen einer Verletzung kannte oder kennen musste, oder dass er die gerichtliche gesetzten „Eingriffsbefugnisse deutlich überschritten“ hat und dem Antragsgegner ein „konkreter Schaden“ entstanden ist239. Daneben lassen sich bestimmte Fallgruppen der missbräuchlichen „saisie“ unterscheiden: Schadensersatz gewährt wurde in Fällen, in denen die „saisie“ einzig und allein zum absichtsvollen Ausspionieren von Betriebsgeheimnissen missbraucht wurde und das untersuchte Material nicht beweiserheblich ist oder aussagekräftiges Material bereits in ausreichender Menge vorhanden ist. Bejaht wurden Ansprüche auch, wenn die „saisie“ in rufschädigender Weise öffentlich vollzogen wurde, nur um den Antragsgegner in Misskredit zu bringen, weiterhin in Fällen der Nichtigkeit der „saisie“ auf Grund eines Formfehlers, wenn dieser zu einem Schaden geführt hat240. Schließlich kann die durch die „saisie“ offenbarte Unbegründetheit der eigentlichen Verletzungsklage zu Ersatzansprüchen führen, allerdings nur, wenn weitere Missbrauch nahelegende Umstände hinzutreten241. Auch wenn sich dies im praktischen Ergebnis offenbar kaum wiederspiegelt, scheint die „saisie“ so konstruiert, dass der Antragsteller das Verfahren angesichts der geringen Tatbestandsvoraussetzungen auf eigenes Risiko betreibt und den Gegner entschädigt, falls er dies exzessiv oder ohne tragende Gründe getan hat242. 238

Treichel, Sanktionen, S. 207, m.w.N., kritisch hierzu S. 211 f. Treichel, Sanktionen, S. 207, 211, m.w.N.; ihm folgend Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 183; siehe bereits Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 232. 240 Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 232; Treichel, Sanktionen, S. 207 f.; vgl. auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 183 f.; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 406. 241 Treichel, Sanktionen, S. 208 f. 242 Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 232, 233, konstatiert zudem eine „dem Grunde nach […] sehr scharfe Haftung“, verweist aber darauf, dass „die in der Form regelgerechte“ Beschlagnahme in der Regel keinen Anspruch begründe und es „schwer zu beurteilen“ sei, ob ein „wirklicher Ausgleich“ geschaffen werde; unabhängig von einem Schadensersatzanspruch macht Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 159, geltend, dass die „saisie“ „auf eigene Verantwortung […] beantragt“ und vollzogen werde; Treichel, Sanktionen, S. 211 f. verweist 239

300 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(8) Klageerhebung in der Hauptsache Um für die beteiligten Parteien Rechtssicherheit zu schaffen und eine wettbewerbswidrige Verwertung der Beweismaterialien zu vermeiden, hat der Antragsteller innerhalb von 15 Tagen die eigentliche Verletzungsklage zu erheben. Ansonsten wird die „saisie“ nach Art. L. 615 – 5 Abs. 4 CPI unwirksam, d. h. nichtig243. Das Material wäre dann zurückzugeben und dürfte nicht mehr verwendet werden244. Weitere Konsequenzen drohen jedoch nicht. Mehrheitlich wird zudem vertreten, dass sich Frist und Unwirksamkeitsfolge nur auf die „saisie relle“, nicht jedoch auf die „saisie-description“ beziehen245. (9) Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse Auch bei der französischen „saisie-contrefaÅon“ handelt es sich um ein Institut des Prozessrechts, das sinnvollerweise vor der Erhebung der Verletzungsklage durchgeführt wird. Es besteht zudem ein Rechtsanspruch auf Durchführung dieses Beweisermittlungsverfahrens. Die Anforderungen an den Tatsachenvortrag als Voraussetzung des Entstehens der gegnerischen Mitwirkungspflicht sind denkbar gering. Allein die Rechtsinhaberschaft ist nachzuweisen. Darüber hinaus wird eine Wahrscheinlichmachung oder Substantiierung einer Schutzrechtsverletzung nicht gefordert. Das Problem der strukturellen Beweisnot und eines daraus resultierenden Informationsinteresses wird somit sehr ernst genommen. In radikaler Weise wird folglich formuliert, dass als Voraussetzung des Erlasses der Maßnahme nicht irgendwie geartete Nachweise einer Verletzung zu liefern sind, wenn es das Ziel der Maßnahme ist, diese Nachweise erst durch ihre Vollziehung zu Tage zu fördern. Im Ergebnis ist damit theoretisch eine umfängliche Ausforschung möglich. Neben der Ermittlung von Informationen und Beweisen über die vermutete Verletzung, deren Einzelheiten und Ausmaß kann daher nicht nur festgestellt werden, ob eine Vermutung zutrifft und eine Verletzung besteht, wenn bereits gewisse Anhaltspunkte vorliegen, sondern ganz allgemein, ob überhaupt (irgend)ein Anspruch aus einer Schutz(wie auch Stauder, a.a.O, S. 232) in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Tribunal civil de la Seine, 4. 2. 1928, Ann. 1928, S. 130, 131, und bedauert, dass die Rechtsprechung die dort vertretene „Risikohaftung“ stark eingeschränkt habe und nun den in gutem Glauben handelnden Antragsteller entlaste, und so das „objektive Gleichgewicht“ der widerstreitenden Interessen störe. Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 380, macht dagegen geltend, dass schädigender Missbrauch „streng“ bestraft werde und daher die Anwälte auf eine schonende Durchführung hinwirken würden und trotz größerer Rechtsmacht dazu „raten“, die „saisie“ nur zu beantragen, wenn sie „wirklich notwendig“ sei. 243 Treichel, Sanktionen, S. 203; vgl. auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 179 f.; Bird, Saisie-contrefaÅon, Mitt. 2002, S. 404, 406. 244 Lang, Planung, Mitt. 2002, S. 407, 410; Vron, Patentverletzungsprozess, Mitt. 2002, S. 386, 393. 245 Str.; kritisch hierzu Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 379; Treichel, Sanktionen, S. 203.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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rechtsverletzung besteht. Denkbar und zulässig ist somit neben einer umfangreichen Beweisermittlung quasi eine Anspruchsermittlung „ins Blaue hinein“. Dass in der Praxis die „saisie-contrefaÅon“ nur beantragt zu werden scheint, wenn der Antragsteller gewisse Gründe für seine Mutmaßungen zu haben glaubt, mag an der Möglichkeit einer Schadensersatzklage des Gegners liegen, wenn der Antrag „arglistig und in bösem Glauben“ gestellt wurde. Auch die Frage der Bestimmtheit der Bezeichnung der zu untersuchenden Beweisstücke stellt eine geringe Hürde für den Rechtsinhaber dar. Zwar ist die schutzrechtsverletzende Sache, einschließlich der weiteren Beweisstücke, im Antrag zu identifizieren. Wenn allerdings die Bezugnahme auf die Patentansprüche zur Beschreibung relevanter mutmaßlich schutzrechtsverletzender Gegenstände bzw. die Angabe des (mutmaßlichen) Fundortes ausreicht, ist es möglich, noch vor Ort die Übereinstimmung mehrerer Gegenstände mit den Ansprüchen bzw. die tatsächliche Beweiserheblichkeit des vor Ort aufgefundenen Materials zu prüfen. Auch diesbezüglich liegt somit ein hoher Grad an Ermittlungsintensität vor. Generell ergeht die „saisie-contrefaÅon“ ex parte ohne Anhörung des Gegners, zudem ohne dass hierfür eine besondere Dringlichkeit darzutun wäre. Der entstehende Überraschungseffekt macht einen Teil der hohen Effizienz der Maßnahme aus. Darüber hinaus ist der Umfang der vom Gegner zu duldenden Ermittlungstätigkeit beträchtlich. Im Rahmen der „saisie-contrefaÅon“ kann die Duldung des Betretens und der Durchsuchung all jener Orte angeordnet werden, an denen Material vermutet wird. Zwar legt der Richter vorher fest, welche Gegenstandskategorien und Beweisstückarten von der „saisie“ erfasst werden. Auf Grund der Zielsetzung, die Verletzung umfassend aufzuklären, sind regelmäßig jedoch die unterschiedlichsten Beweismittel, wie die verletzende Sache und weitere Unterlagen, betroffen. Vor Ort kann dann geklärt werden, ob die gefundenen Gegenstände zu den festgelegten Arten von Beweisstücken gehören und eine Beweisrelevanz aufweisen. Jedenfalls handelt es sich nicht ausschließlich um die Suche nach einem einzelnen bzw. mehreren genau konkretisierten Beweisstücken246, sondern eher um eine Durchsuchung nach Gegenständen, die bestimmte Merkmale aufweisen. Zur Ermöglichung einer ausführlichen Beschreibung – auch äquivalenter Benutzungsformen – sind, wie gesehen, außerdem Substanzeingriffe, die selbst vorgenommene Inbetriebnahme sowie eine Dokumentation mittels Fotografie und Fotokopie zulässig, nach Anordnung zudem die Beschlagnahme von Musterexemplaren und die Entnahme von Proben zur labortechnischen Untersuchung, so dass die Ergebnisse eine erschöpfende Beurteilung der Verletzungssituation gestatten. Entgegenstehende Interessen des Antragsgegners, respektive seine Geheimhaltungsinteressen, finden bei der Entscheidung über das „ob“ des Erlasses der Maßnah246 Vgl. hierzu § 809 BGB: Suche nach einer konkreten vorher bezeichneten mutmaßlich schutzrechtsverletzenden Sache, vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 1.; und § 142 ZPO: Bezugnahme auf eine bestimmte Urkunde, vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. II. 1. c) (1).

302 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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me keine Berücksichtigung. Lediglich bei der Ausgestaltung des „wie“ der Durchführung der Maßnahme wird der Schutz gegnerischer Interessen einbezogen, beispielsweise kann eine Absicherung des Gegners gegen finanzielle Einbußen in Folge einer exzessiven Durchführung der „saisie“ mittels einer Sicherheitsleistung erfolgen. Allerdings wird die prinzipielle Durchsetzung des Informationsinteresses auch bei der Festlegung der Modalitäten der „saisie“ nicht in Frage gestellt. Positiv zu bewerten ist jedenfalls die Beauftragung eines neutralen, wenn auch vom Antragsteller ausgewählten, Gerichtsvollzieher mit der Vornahme der Protokollierung sowie die Differenzierung zwischen eigenständig von diesem vorgenommenen Wertungen und solchen Aussagen, die letztlich von dem ihn begleitenden, nicht neutralen Patentanwalt stammen. Letzterer sollte aber zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Ebenfalls sinnvoll ist der in der Regel praktizierte Ausschluss des Antragstellers und seines Rechtsanwalts von der Durchführung der „saisie“. Ein verlässlicherer Geheimnisschutz ließe sich jedoch durch eine gesetzliche Verankerung dieses Ausschlusses erreichen. Die im Anschluss an die eigentliche „saisie“ auf Antrag der Parteien unter vorläufiger Geheimhaltung stattfindende Aussonderung bestimmter Materialien durch einen neutralen und zur Geheimhaltung verpflichteten Sachverständigen erfolgt zu Recht nach dem Kriterium einer strikten Beweisrelevanz. Ein Abstellen auf das Kriterium der Vertraulichkeit würde gegebenenfalls Beweiserhebliches ausschließen und so das ganze Verfahren stark entwerten. Das zugegebenermaßen sehr dringliche Problem eines zuverlässigen Geheimnisschutzes entscheidet sich sowieso im Grunde eher anhand der Zusammensetzung des Personenkreises, welcher Zugang zu dem streng vertraulichen und beweiserheblichen Material erhält. Diesbezüglich wird die Naturalpartei sinnvollerweise von der Aussonderung ausgeschlossen und regelmäßig im Einklang mit der Garantie rechtlichen Gehörs von zur Verschwiegenheit verpflichteten Anwälten vertreten. Leider ist die Verfahrenspraxis hinsichtlich des restlichen Verfahrens nicht derart klar und einwandfrei geregelt. Von einem vollständigen Zugang der Naturalpartei zur Verwertung auch vertraulichen Materials bis zu deren Ausschluss und der Begrenzung des Zugangs auf die zur Verschwiegenheit verpflichteten Anwälte – Geheimverfahren – wird hierbei die ganze Bandbreite der möglichen Vorgehensweisen praktiziert. Angesichts der geringen Anforderungen an den Tatsachenvortrag und des positiv zu bewertenden großen Umfanges des erlangten wirklich relevanten Beweismaterials führt dieser unzureichend rechtlich gewährleistete Geheimnisschutz zu einer Schieflage – selbst unter Zugrundelegung des strukturellen Informationsbedürfnisses. Abhilfe schaffen könnte man, indem das teilweise angewendete Geheimverfahren hinsichtlich vertraulicher Informationen247 unter Beibehaltung des Umfanges der Ermittlung relevanten Materials für den gesamten Rest des Verfahrens gesetzlich garantiert und so ein besseres Gleichgewicht der Interessen herstellt würde. Abgesehen von dieser Verbesserungsnotwendigkeit ist jedoch positiv zu vermerken, dass überhaupt ein 247 Treichel, Sanktionen, S. 200 f. fordert die „Interessen“ „feiner auszublancieren“ und z. B. ein „geheimes Verfahren“ zu schaffen (S. 201 mit weiteren Vorschlägen).

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Ausschluss der Naturalpartei als Bestandteil des Schutzes bestimmter Dokumente zum Teil gerichtlich angeordnet wurde. Dem Schutz der Interessen des Gegners und dem Ausgleich der geringen Anforderungen an den Tatsachenvortrag dient auch die Klagemöglichkeit wegen missbräuchlicher „saisie“. Diese Idee eines Ausgleichs ist an sich ein sinnvoller Gedanke. Angesichts der selten erfolgreichen Klagen lässt sich aber kaum sagen, ob die verfahrensmäßigen Sicherungen wirklichen Missbrauch tatsächlich eindämmen oder ob die Gerichte die Hürde für den Nachweis von Missbrauch zu hoch legen248. Die „saisie“ kann überdies denkbar effektiv, nämlich notfalls mittels unmittelbaren Zwanges, durchgesetzt werden. Auch die voraussichtlich kurze Verfahrensdauer und die geringen Kosten stellen die Praxistauglichkeit des Verfahrens sicher: Nach der „ex-parte“ Anordnung der „saisie“ steht gegebenenfalls nur die Aussonderung von Materialien im Eilverfahren zwischen der Durchführung der „saisie“ und der Verwertung der Ergebnisse im Verletzungsverfahren. Ein Hauptsacheverfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen der „saisie“ entfällt249. Insgesamt stellt sich die französische „saisie-contrefaÅon“ als eine sehr wirkungsvolle Maßnahme der Beweis- und Informationsbeschaffung dar. Sie geht weit über die Sicherung bekannter Beweise hinaus und ermöglicht neben der Ermittlung von Beweisen eine umfangreiche Ausforschung in der Sphäre des Gegners zur Aufklärung des Bestehens und der Umstände der Schutzrechtsverletzung als solcher. Angesichts des strukturell bestehenden Informationsdefizits erfolgt die Präferierung des Informationsinteresses mit guten Gründen, so dass zu Recht geringere Anforderungen an den Tatsachenvortrag gestellt werden und Geheimhaltungsinteressen die grundsätzliche Kenntnisnahme von wirklich beweisrelevanten Unterlagen nicht ausschließen können. Allerdings bietet sich die gesetzliche Garantie eines verfahrensmäßigen Geheimnisschutzes an. Immerhin sollen die gesetzlichen Regelungen und die richterliche Ermessensausübung zu einem „fairen und bedingt kontradiktorischen Verfahren“ führen250. Das eigentlich gegebene Gleichgewicht zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse würde zudem jedoch noch besser berücksichtigt, wenn man ergänzend bei voller Anerkennung des immaterialgüterrechtlich bedeutenden Informationsbedürfnisses eine Einbeziehung geheimer Unterlagen in das Verfahren nur gestatten würde, wenn der Antragsteller etwas mehr darzulegen hat als die bloße Rechtsinhaberschaft, also tragfähige Anhaltspunkte, ohne mit der Forderung nach 248 Vgl. einerseits Treichel, Sanktionen, S. 233: „Daraus kann man schließen, dass die gegenwärtige Praxis der Aussonderung […] zu einem Rückgang der missbräuchlichen Anwendung […] geführt hat“; andererseits Treichel, Sanktionen, S. 207: „Die Tatsachengerichte sind allgemein sehr zurückhaltend, wenn die Gegenpartei […] Ansprüche […] geltend“ macht. 249 Vgl. hierzu § 809 BGB: Notwendigkeit eines Hauptsacheverfahrens, vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. V. 3. sowie VI. 2.; zu diesem Unterschied vgl. auch Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 194. 250 So Treichel, Sanktionen, S. 233.

304 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

einer überwiegenden Wahrscheinlichmachung das Pendel wiederum in die falsche Richtung ausschlagen zu lassen und mehr zu verlangen, als der Antragsteller typischerweise leisten kann. c) Die „Best-Practice“-Maßnahmen und Folgerungen für das Verständnis der Durchsetzungs-Richtlinie Sicherlich sind die dargestellten Regelungen dieser Institute nicht deckungsgleich auf die Richtlinie zu übertragen. Allerdings können die gefundenen Ergebnisse im Sinne einer rechtsvergleichenden und teleologischen Auslegung die wortlautgemäße Interpretation der Richtlinie sinnvoll unterstützen, da deutlich wird, welche Regelungen der Richtliniengeber ausdrücklich als „Best-Practice“-Maßnahmen vor Augen hatte251, als er bestimmte Formulierungen wählte. Wenn man anhand der immer wieder hervorgehobenen Kriterien der Charakterisierung eines Beweisbeschaffungsinstrumentes vorgeht, können die gefundenen Ergebnisse einen Maßstab bilden, der nicht unterschritten werden darf, und zeigen, welchen Grad an Effizienz bei der Beweismittelbeschaffung der Richtliniengeber gemeinschaftsweit erreicht sehen will und auf welche Weise sich dies beispielsweise erreichen lässt. Dies gilt insbesondere, da zur Umsetzung von Richtlinien – bei aller Freiheit im Hinblick auf Form und Mittel der Umsetzung – diejenigen Mittel zu wählen sind, welche sich zur Zweckerreichung „am besten eignen“252. Interessant, hinsichtlich der Umsetzung aber sicher nicht zwingend zu beachten ist, dass es sich sowohl bei der „search order“ als auch bei der „saisie“ um prozessrechtliche Institute handelt253. Während der Erlass der „search order“ im Ermessen des Richters steht – allerdings bei verlässlicher Anwendungspraxis –, besteht bei der „saise“ ein Rechtsanspruch. Wie die in diesem Zusammenhang in der Richtline ver-

251 Vgl. Begründung des Richtlinien-Vorschlags der Kommission vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endg, S. 22; dass die entsprechenden Institute „Pate gestanden haben für die Konzeption des Art. 7 RL“ betonen auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f.; Ellard, The EUs IPR Enforcement Directive, CRi 2004, S. 65, 68; auch Kunz-Hallstein/ Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683 sind der Ansicht, dass in den Art. 7, 8 RL-V (Art. 6, 7 RL, a. d. Verf.) diese Institute „aufgegriffen werden sollten“; vgl. auch den Hinweis bei Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21; a.A. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301, die zwar die Begründung des Richtlinien-Vorschlages zur Kenntnis nehmen, jedoch in der Entstehungsgeschichte und den Erwägungsgründen der verabschiedeten Richtlinie keinen Hinweis auf die „Best-Practice“-Maßnahmen erkennen können und daher für eine autonome Auslegung der Richtlinie plädieren. 252 EuGH, RS. 48/75, Royer, Slg. 1976, 497, Rdn. 69, 73; Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/ EGV, Art. 249 EGV Rdn. 46, 43 f.; Geiger, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdn. 8 f. 253 Obwohl dies tatsächlich dem nationalen Gesetzgeber überlassen ist, fragt sich auch angesichts der tradierten deutschen Auffassung von der Vorzugswürdigkeit materieller Informationsansprüche, ob eine prozessrechtliche oder eine materiellrechtliche Umsetzung sinnvoller wäre.

B. Auslegungskriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wendete Formulierung „die zuständigen Gerichte können“ zu interpretieren ist, wird noch zu untersuchen sein254. Unterschiedliche Ergebnisse zeigt auch der Vergleich der Anforderungen an den Tatsachenvortrag. Welche Schlussfolgerungen sich für die Auslegung der Richtlinie angesichts der Diskrepanz zwischen der Forderung nach einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung auf Grund des ersten Anscheins und der bloßen Notwendigkeit des Nachweises der Rechtsinhaberschaft ziehen lassen, muss ebenfalls noch einer genauen Betrachtung unterzogen werden255. Deutlich aussagekräftiger ist die Betrachtung der Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke. Bei beiden „Best-Practice“-Maßnahmen handelt es sich nicht nur um Beweissicherungs-, sondern um echte Beweisermittlungsmaßnahmen, wie sich schon bei der Antragsformulierung zeigt. Zwar sind jeweils die zu untersuchenden Beweisstücke im Antrag zu identifizieren, doch darf dies entweder durch eine allgemeinere Umschreibung bzw. Bezugnahme auf ganze Kategorien möglicherweise relevanter Gegenstände („search order“) oder durch Angabe bestimmter zu erfüllender Merkmale („saisie“) erfolgen. Als Folge dieser großzügigeren Auffassung können noch vor Ort relevante Einzelstücke ermittelt, d. h. als beweiserheblich erkannt werden, solange sie zu der vom Richter abgesegneten und im Antrag genannten Kategorie zählen. Zum Zeitpunkt der Antragsformulierung waren diese Einzelstücke in der Sphäre des Gegners jedenfalls nur vage bekannt bzw. unbekannt. Diese Möglichkeit nicht nur der Sicherung konkret bezeichneter Stücke, sondern der Ermittlung von unbekannten Beweisstücken muss Folgen für die Auslegung und Umsetzung der Richtlinie haben. Wenn die Richtlinie also von „bezeichnen“ spricht (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL), dann muss dies nicht in jedem Fall so konkret geschehen wie nach bisherigem Verständnis im deutschen Recht. Und wenn wie in Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL ein ausdrückliches Bezeichnungserfordernis gar völlig fehlt, dann handelt der Richtliniengeber absichtsvoll, und dies ist entsprechend ernst zu nehmen, beispielsweise durch die Zulassung der Bezugnahme auf Gegenstandskategorien oder abstrakte Merkmale. Die Anordnung der Beweisermittlungsmaßnahme ohne Anhörung der gegnerischen Partei ist auch in der Richtlinie generell vorgesehen (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 3 RL), um die Überraschung des Gegners zu gewährleisten. Der Umfang der Mitwirkungspflicht sowohl bei der „search order“ als auch bei der „saisie“ wirkt sich ebenfalls auf das Verständnis der Durchsetzungs-Richtlinie aus. Beide Instrumente erlauben faktisch das Betreten von Wohn- und Geschäftsräumen der anderen Partei. Zudem hat die gegnerische Partei an Ort und Stelle nicht nur 254

Siehe hierzu unten unter 2. Teil, C. III. 2. b) (1) sowie 5. b) (1). Aus dieser Diskrepanz folgern Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301, wohl ihre Feststellung, dass sich das französische und englische Recht der Beweissicherung „maßgeblich“ unterscheiden, und daher insgesamt keine Heranziehung als Auslegungshinweis angezeigt sei, sondern eine autonome und restriktive Auslegung der Richtlinie. 255

306 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

die Suche nach einer konkret bezeichneten Sache zu dulden, sondern darüber hinaus die Durchsuchung der Räumlichkeiten nach im Einzelnen noch unbekannten, jedoch relevanten Beweisstücken und Unterlagen, sofern diese nach ihren abstrakten Merkmalen noch von der richterlichen Anordnung erfasst sind. Die gefundenen Gegenstände können umfassend untersucht werden, einschließlich des Eingriffs in ihre Substanz, der Inbetriebnahme, der Feststellung äquivalenter Benutzungsformen und der fotografischen Dokumentation. Art. 7 Abs. 1 S. 1 u. 2 RL enthält einige unbestimmte Rechtsbegriffe, die ein solches Verständnis der zulässigen Maßnahmen erlauben und bereits andeuten, wie zum Beispiel: „wirksame […] Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung“; „ausführliche Beschreibung“. Nach der ausdrücklichen Stellungnahme des Richtliniengebers256 sollten die dargestellten Durchsuchungs- und Untersuchungsmöglichkeiten, respektive eine richterlich begrenzte und überwachte Form der Ausforschung, in diese Formulierungen hineingelesen werden. Beide „Best-Practice“-Maßnahmen gehen richtigerweise davon aus, dass die widerstreitenden Interessen derart in Einklang zu bringen sind, dass das berechtigte Informationsinteresse bei Vorliegen eines Anfangsverdachts auf Grund der speziellen Interessenlage weitestgehend berücksichtigt werden sollte, während das Geheimhaltungsinteresse ebenfalls wirksam zu schützen ist, jedoch auf andere Weise als durch Versagung des Informationsbegehrens. Allerdings stellt sich auch unter Zugrundelegung des Konzepts eines „bloß“ verfahrensmäßigen Geheimnisschutzes zumindest die englische Regelung aus den oben genannten Gründen nicht als uneingeschränkt vorbildlich dar. Aber auch die Regelungen der „saisie“ zeigen Mängel und können nicht immer den „Schutz vertraulicher Informationen gewährleisten“ wie von Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL gefordert. Richtige Ansätze, wie z. B. die Durchführung der eigentlichen Ermittlungsmaßnahme in der Sphäre des Gegners durch eine neutrale Person, der Ausschluss mindestens der Naturalpartei von dieser Durchführung, sowie der teilweise vorgenommene Ausschluss der Naturalpartei vom Zugang zu geheimen Unterlagen, sind jedoch vorhanden. Daran und auch an die bewährten Regelungen im deutschen Recht gilt es anzuknüpfen. Diese verfahrensmäßigen Vorkehrungen sind daher bei der Umsetzung der Richtlinie auszubauen. Die Richtlinie nimmt sich noch weitere Schutzmechanismen der „Best-Practice“Maßnahmen zum Vorbild: Art. 7 Abs. 2 RL sieht vor, dass der Erlass der Maßnahme wie bei der „search order“ und der „saisie“ von der Stellung einer Sicherheit abhängig gemacht werden kann; während Art. 7 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 RL statuiert, dass die Gerichte bei bestimmten Formen einer missbräuchlichen Anwendung der Beweisermittlungsmaßnahme die Zahlung eines Schadensersatzes aus dieser Sicherheit anordnen können. Zu prüfen ist, ob hierbei an den eher restriktiven Voraussetzungen des vergleichend herangezogenen Schadensersatzanspruches wegen missbräuchlicher „saisie“ festzuhalten ist. 256 Vgl. Begründung des Richtlinien-Vorschlages der Kommission vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endg, S. 22.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Beide „Best-Practice“-Maßnahmen gehen von einer mindestens mittelbar zwangsweisen Durchsetzung der gerichtlichen Anordnung aus. Die Richtlinie hingegen trifft hierzu keine ausdrückliche Festlegung. Das Konzept einer wirksamen und echten Beweisermittlung und die vorgenommene Rechtsvergleichung lassen aber bloße beweisrechtliche Nachteile im Falle einer Verweigerung der Mitwirkung als nicht ausreichend erscheinen. Die „Best-Practice“-Maßnahmen sehen zudem zwar die nachträgliche Anhörung der anderen Partei mit der Möglichkeit der Abänderung oder Aufhebung der Maßnahme vor, verzichten aber auf ein langwieriges Hauptsacheverfahren über Voraussetzungen und Inhalt der Maßnahme und erzielen damit kürzere Verfahrensdauern. Daran orientiert sich auch Art. 7 Abs. 1 S. 4 und 5 RL. Insgesamt zeigt somit die Rechtsvergleichung, dass sich auch in der Auslegung der Richtlinie die Idee einer wirklich effizienten Beweisermittlung mit ausforschenden Elementen widerspiegeln muss. Die in Art. 3 Abs. 2 RL geforderte Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist danach insbesondere durch verfahrensmäßige Sicherungen zu gewährleisten.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie I. Gegenstand und Anwendungsbereich 1. „Rechte des geistigen Eigentums“ – sachlicher Anwendungsbereich Nach Art. 1 RL sind Gegenstand der Richtlinie die „Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe“, die „erforderlich“ sind, um die „Rechte des geistigen Eigentums“ durchzusetzen. Diese Rechte umfassen auch „gewerbliche Schutzrechte“. Art. 2 Abs. 1 RL spezifiziert dies und bezieht alle Rechte des geistigen Eigentums, „die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind“, in den Anwendungsbereich mit ein. Nachdem bisher die Immaterialgüterrechte nur einzeln Gegenstand gemeinschaftlicher Gesetzgebung waren, nimmt damit die Richtlinie erstmals eine horizontale Harmonisierung aller Immaterialgüterrechte vor, was auf Grund der Vergleichbarkeit der Rechte, trotz der bestehenden Unterschiede nur konsequent ist257. Nicht unstreitig ist dabei jedoch die Frage, was unter dem Begriff der „Rechte des geistigen Eigentums“ nach Art. 1 und 2 RL zu verstehen ist. In einer Erklärung der Kommission heißt es hierzu, dass nach ihrer Ansicht „zumindest“ die folgenden Rechte in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen: Urheberrechte, dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte, Schutzrechte sui generis der Hersteller von Datenbanken, Schutzrechte der Schöpfer von Topographien von Halbleitererzeugnissen, Markenrechte, Schutzrechte an Geschmacksmustern, Patentrechte einschließlich 257

Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 922 ff.

308 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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der aus ergänzenden Schutzzertifikaten abgeleiteten Rechte, geographische Herkunftsangaben, Gebrauchsmusterrechte, Sortenschutzrechte sowie Handelsnamen, soweit es sich dabei nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats um ausschließliche Rechte handele258. Bei den genannten Rechten handelt es sich sicherlich um „Rechte des geistigen Eigentums“. Da die Aufzählung jedoch nicht abschließend ist, wurde bereits die Frage aufgeworfen, ob nicht auch der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 9 UWG als Nachahmungsschutz als „Recht des geistigen Eigentums“ zu qualifizieren sei, so dass der ergänzende Leistungsschutz bei der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie zwingend zu berücksichtigen wäre259. Auch der ergänzende Leistungsschutz nach § 4 Nr. 9 UWG gewährt einen Investitionsschutz und will einen Anreiz zu geistigem Schaffen setzen. Und obwohl der ergänzende Leistungsschutz im Verletzungsfalle ebenfalls einer dreifachen Schadensberechnung zugänglich ist260, so dass ein Gleichlauf bei weiteren Rechtsfolgen nicht fernliegend wäre, spricht gegen eine solche Qualifikation, dass der ergänzende Leistungsschutz schlicht kein absolutes subjektives Recht entstehen lässt, sondern nur eine Marktverhaltensregel darstellt261. Im Gegensatz dazu begründen die von der Kommission aufgezählten Immaterialgüterrechte ein Ausschließlichkeitsrecht an der geistigen Leistung zugunsten des Rechtsinhabers. Da vom Grundsatz der Nachahmungsfreiheit außerhalb des Schutzbereiches der Immaterialgüterrechte auszugehen ist, müssen bei § 4 Nr. 9 UWG zu der Nachahmung fremder Leistung auf jeden Fall noch weitere, besondere, die Unlauterkeit des Marktverhaltens begründende Umstände hinzutreten262, während die Immaterialgüterrechte das Recht als solches schützen und daran anknüpfen. Gegen eine solche Qualifikation ist weiter anzuführen, dass der Richtliniengeber es den Mitgliedstaaten nach Erwägungsgrund 13 S. 2 ausdrücklich freistellt, sich der Regelungen der Richtlinie fakultativ auch im Bereich des unlauteren Wettbewerbs zu bedienen263. Damit nimmt er jedoch gleichzeitig eine deutliche Abgrenzung 258 Erklärung der Kommission zu Artikel 2 der Durchsetzungs-Richtlinie 2005/295/EG, Abl. L 94 vom 13. 4. 2005, S. 37, 37. 259 So Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz, WRP 2005, S. 1354, 1355, 1358. 260 Vgl. Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz, WRP 2005, S. 1354, 1355, 1358; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rdn. 9.4. 261 Vgl. Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz, WRP 2005, S. 1354, 1355; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rdn. 9.4. 262 Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4 UWG Rdn. 9.4, 9.17, 9.40 ff.; Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz, WRP 2005, S. 1354, 1355, 1357. 263 Vgl. Erwägungsgrund 13, Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, Abl. L. 157 vom 30. 4. 2004, S. 45, 49: „Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie muss so breit wie möglich gewählt werden, damit er alle Rechte des geistigen Eigentums erfasst, […]. Dieses Erfordernis hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran, die Bestimmungen dieser Richtlinie bei Bedarf zu innerstaatlichen Zwecken auf Handlungen auszuweiten, die den unlauteren Wettbewerb einschließlich der Produktpiraterie oder vergleichbare Tätigkeiten betreffen.“; dieses Gegenargument führt auch Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz, WRP 2005, S. 1354, 1357 an.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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von den „Rechten des geistigen Eigentums“ im Sinne des Erwägungsgrundes 13 S. 1, sowie Art. 1 und 2 RL, und einer diesbezüglichen zwingenden Umsetzung vor. Folglich wird im Ergebnis der ergänzende Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 9 UWG nicht von der Umsetzungsanordnung nach Art. 20 RL erfasst, sondern nur die traditionellen Immaterialgüterrechte264. Mit der Festlegung, alle Immaterialgüterrechte regeln zu wollen, „die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats“ materiell geschützt sind (vgl. Art. 2 Abs. 1 RL), entscheidet sich der Richtliniengeber zudem für den umfassenderen Harmonisierungsansatz. In Art. 2 Abs. 1 RL-V fand sich noch eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf diejenigen Immaterialgüterrechte, „die sich aus den im Anhang aufgeführten gemeinschaftlichen und europäischen Rechtsakten zum Schutz geistigen Eigentums sowie aus denjenigen Bestimmungen ergeben, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Rechtsakte […] erlassen haben […].“ Damit hätte die Durchsetzungs-Richtlinie nur Regelungen für die bereits anderweitig harmonisierten Bereiche des Immaterialgüterrechts in der Gemeinschaft getroffen265. Dies geschah wohl mit der Überlegung, sich im Hinblick auf die ohnehin bestrittene Reichweite der Kompetenz gem. Art. 95 EG zur Regelung der

264

A.A. Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz, WRP 2005, S. 1354, 1356 f., 1357 f., mit Verweis auf das zugegebenermaßen gewichtige Argument, dass auch mit Blick auf Erwägungsgrund 5 RL Rechtsbegriffe der Durchsetzungs-Richtlinie, die auch im TRIPs-Übereinkommen verwendet werden, gegebenenfalls entsprechend auszulegen sind (siehe hierzu bereits oben unter 2. Teil, B. II. 2. d)), und ein „Recht des geistigen Eigentums“ gem. Art. 50 Abs. 1 TRIPs nach Auslegung des EuGH ein „nach den allgemeinen Vorschriften des nationalen Rechts über unerlaubte Handlungen, insbesondere über unlauteren Wettbewerb, gegebenes Klagerecht, das auf den Schutz eines gewerblichen Modells vor Nachahmung gerichtet ist“, sein „kann“, sofern das „nationale Recht“ dies so „festlegt“, siehe EuGH, RS. C-300/98 und C-392/ 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11365 Rdn. 62, 63. Anzumerken ist, dass eine TRIPs-entsprechende Auslegung nicht in jedem Fall angezeigt ist, insbesondere, wenn andere Auslegungshinweise bestehen. Fraglich bleibt auch, ob der ergänzende Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 9 UWG nach nationalem deutschen Recht tatsächlich auf den Schutz einer Leistung „gerichtet“ ist, da es sich nicht um ein Ausschließlichkeitsrecht handelt und gerade weiteres unlauteres Marktverhalten hinzukommen muss. Zu denken wäre bei einem solchen Klagerecht möglicherweise eher an § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines sonstigen absoluten Rechts. Nach Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht, S. 38, 45 f. kann das Recht des unlauteren Wettbewerbs unter den Begriff des geistigen Eigentums nach Art. 1 Abs. 2 TRIPs subsumiert werden, allerdings wohl nur solange der ausdrücklich erwähnte „Schutz nicht offenbarter Informationen“ nach Abschnitt 7, Teil II TRIPs betroffen ist. Diese „nicht offenbarten Informationen“ nach Art. 39 Abs. 2 TRIPs entsprechen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach deutschem Recht, vgl. auch Christians, Immaterialgüterrechte und GATT, S. 75 f. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Durchsetzungs-Richtlinie auf den Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wäre systematisch nahe liegender, da diese nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 17 UWG zivilrechtlich geschützt sind, und neben die Offenbarung, d. h. Verletzung des Geheimnis-„Rechts“, kein weiteres unlauteres Verhalten treten muss, vgl. Kiethe/Groeschke, Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, WRP 2005, S. 1358, 1361, 1368 ff. 265 Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 923.

310 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Materie nicht noch angreifbarer zu machen266. Dadurch hätten die Mitgliedstaaten sich jedoch, um eine gelungene Eingliederung der Umsetzungsmaßnahme in die nationalen Sondergesetze zum Schutz des geistigen Eigentums zu gewährleisten und nicht unterschiedliche Rechtsfolgen herzustellen, des Modells der überschießenden Richtlinienumsetzung hinsichtlich der nicht bereits harmonisierten Rechtsgebiete bedienen müssen. Dies hätte Probleme für die Auslegung der Umsetzungsgesetze mit sich gebracht267. Auch insofern ist die nun gefundene Regelung vorteilhafter. An den deutschen Gesetzgeber ergeht damit der Auftrag, die Rechtsfolgen wirklich sämtlicher Immaterialgüterrechte unabhängig vom gemeinschaftlichen Harmonisierungsgrad den Anforderungen der Durchsetzungs-Richtlinie anzupassen. 2. „Jede Verletzung“ – persönlicher Anwendungsbereich Die endgültige Fassung der Richtlinie sieht zudem vor, dass gem. Art. 2 Abs. 1 RL die geforderten Maßnahmen und Verfahren „gemäß Artikel 3“ – also entsprechend der allgemeinen Verpflichtung der Effektivität, aber auch der Verhältnismäßigkeit – „auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums“Anwendung finden sollen. Die endgültige Richtlinie verzichtet insofern auf eine Beschränkung der sicherlich teilweise einschneidenden Maßnahmen auf Verletzungen „zu gewerblichen Zwecken“ oder solchen, die „einen nachhaltigen Schaden“ zufügen, wie es noch in Art. 2 Abs. 1 RL-V vorgesehen war268, und erfasst folglich mit diesen Maßnahmen ausdrücklich auch die Verletzung durch Private oder isolierte Verletzungen in geringem Umfang. Der Richtliniengeber relativiert damit deutlich das ursprünglich singuläre Ziel der Bekämpfung der organisierten und auf Gewinn abzielenden Produktpiraterie und ergänzt es durch das nun vorrangige und gewichtigere Konzept einer möglichst umfassenden Harmonisierung der Rechtsfolgenseite269. Praktische Auswirkungen hat diese Erweiterung vor allem in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen durch Private, z. B. mittels Download urheberrechtlich geschütz266

Vgl. Begründung des Richtlinien-Vorschlags vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, S. 17 ff.; Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 922, 925; kritisch zur Kompetenzbegründung z. B. Drexl/Hilty/Kur, Vorschlag für eine Richtlinie, GRUR Int. 2003, S. 605, 607. 267 Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 923 f., 925; umfassend zum Problem der überschießenden Umsetzung vgl. Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung, insbesondere S. 55 ff., zum Problem der möglicherweise gespaltenen Auslegung S. 107 ff., 128 ff., 142 ff. (differenzierend); gegen eine gespaltene und für eine richtlinienorientierte Auslegung BGH, NJW 2002, S. 1881, 1884 – „Heininger“; kritisch hierzu Franzen, „Heininger“ und die Folgen, JZ 2003, S. 321, 327. 268 Zu Art. 2 RL-V siehe noch Mayer/Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 314; Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 924 f.; Drexl/Hilty/Kur, Vorschlag für eine Richtlinie, GRUR Int. 2003, S. 605, 607. 269 Vgl. Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524; Knaak, EGRichtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 746; Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 707.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

311

ten Materials aus dem Internet unter Nutzung von Peer-to-Peer-File-Sharing-Software. Diese Schutzrechtsverletzungen werden nun eindeutig von der Richtlinie erfasst, selbst wenn die Kommission aufkommende Kritik dadurch zu entkräften versucht, dass sie beteuert, die Richtlinie ziele „in erster Linie auf große Fische und nicht so sehr auf diejenigen, die relativ harmlose Verstöße begehen, wenn sie zu ihrem Privatvergnügen ein paar Titel aus dem Internet herunterladen“270. Da dies in der Masse jedoch große Schäden verursacht, haben die entsprechenden Rechtsinhaber mit Erfolg darauf hingewirkt, dass nach Art. 8 RL – hier nicht näher behandelt – künftig ein Drittauskunftsanspruch gegen nicht-rechtsverletzende Internet-Service-Provider auf Offenlegung der Identität ihrer regelmäßig zu privaten Zwecken handelnden urheberrechtsverletzenden Nutzer gegeben sein soll, auch mit Hilfe der Ausweitung des Begriffs der Verletzung nach Art. 2 RL271. Obwohl die Einbeziehung der Privaten teilweise kritisch gesehen wird272, ist der durch die ausdrückliche Erweiterung zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille bei der Auslegung zu beachten und die Maßnahmen der Richtlinie tatsächlich auch auf die Verletzung zu privaten Zwecken anzuwenden. Dennoch gibt es Hinweise auf das Fortbestehen eines gewissen Differenzierungsbedarfs: Statt einer Einschränkung des Anwendungsbereichs beinhaltet Art. 2 Abs. 1 RL, anders als noch Art. 2 Abs. 1 RL-V, nun einen ausdrücklichen Verweis auf eine Anwendung der Maßnahmen „gemäß Artikel 3“. Es wird also unterstrichen, dass die Maßnahmen effektiv, aber vor allem auch verhältnismäßig auszugestalten und anzuwenden sind. Insbesondere wird dies für die Verletzung zu privaten Zwecken zu gelten haben. Des weiteren werden besonders weitreichende Maßnahmen weiterhin an das einschränkende Kriterium des (vermuteten) Vorliegens einer Rechtsverletzung „in gewerblichem Aus-

270 Binnenmarktkommissar Bolkestein, Geistiges Eigentum, Pressemitteilung der Kommission vom 9. 3. 2004, S. 1, 1, Rapid-Datenbank IP/04/316; vgl. auch Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524. 271 Zur bisherigen Rechtslage (str.): Einem Auskunftsanspruch nach § 101 a UrhG analog zustimmend: LG Hamburg, Urt. v. 7.7. 2004, CR 2005, S. 136, 136 ff.; Czychowski, Auskunftsansprüche gegen Internetzugangsprovider, MMR 2004, S. 514, 516 f.; Nordemann/ Dustmann, to peer or not to peer, CR 2004, S. 380, 386. Zurecht einen analogen Anspruch verneinend: Kitz, Auskunftspflicht des Zugangsvermittlers, GRUR 2003, S. 1014, 1017; Schlegel, Anm. LG Hamburg, CR 2005, S. 136, 144 f.; Spindler/Dorschel, Auskunftsansprüche gegen Internet-Service-Provider, CR 2005, S. 38, 40; Sieber/Höfinger, Drittauskunftsansprüche gegen Provider, MMR 2004, S. 575, 577; Spindler/Dorschel, Vereinbarkeit der geplanten Auskunftsansprüche gegen Internet-Provider mit EU-Recht, CR 2006, S. 341, 341. Vgl. zu Art. 8 RL nun Spindler/Dorschel, Vereinbarkeit der geplanten Auskunftsansprüche gegen Internet-Provider mit EU-Recht, CR 2006, S. 341, 343 ff.; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 28 ff.; Czychowski, Auskunftsansprüche gegen Internetzugangsprovider, MMR 2004, S. 514, 514 ff. 272 Hoeren, High-noon, MMR 2003, S. 299, 299, erkennt insgesamt eine „John-WayneMentalität“; weit weniger scharf auch Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524.

312 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

maß“ (vgl. Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 a) b) c), Abs. 2 a), Art. 9 Abs. 2 RL) geknüpft273. Bei der Umsetzung der Richtlinie und der richtlinienkonformen Anwendung des Umsetzungsgesetzes ist somit ein schwieriger Spagat zu meistern: Einerseits ist der jetzt geäußerte Wille zur durchgängigen Anwendung der Maßnahmen auf jede Art der Verletzung zu beachten – insoweit sind die Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 a) b) c), Abs. 2 a), Art. 9 Abs. 2 RL als einzeln aufgelistete Ausnahmen zu verstehen –, andererseits ist bei der Anwendung gegenüber Privaten die Mittel-Zweck-Relation nicht aus den Augen zu verlieren, insbesondere nach der Erwähnung des Art. 3 RL im „neuen“ Art. 2 Abs. 1 RL, – insoweit verweisen die Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 a) b) c), Abs. 2 a), Art. 9 Abs. 2 RL auf die ursprüngliche Abstimmung der Regelungen auf das Ziel der Pirateriebekämpfung. Angestrebt werden darf diese Beachtung der Verhältnismäßigkeit jedenfalls nicht, indem man die Anwendung der Regelungen auf private Schutzrechtsverletzungen gegebenenfalls völlig ausschließt. Vorzugswürdiger ist es, durch die Formulierung des Umsetzungsgesetzes eine größere Flexibilität bei der Anwendung im Einzelfall zu ermöglichen. Dem Richter könnte es z. B. gestattet sein, höhere Anforderungen an den Tatsachenvortrag zu stellen oder die Intensität der Rechtsfolge unter Umständen abzumildern274. Auch wenn dies auf Kritik stößt, ist jedoch nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass der exzessive Download urheberrechtlich geschützter Dateien aus dem Internet zu privaten Zwecken in allen Fällen lediglich ein Kavaliersdelikt darstellt. Angesichts der in der Masse entstehenden großen Schäden muss den Rechtsinhabern erlaubt sein, von den neuen Instrumenten auch Gebrauch zu machen. II. Allgemeine Anforderungen an die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums 1. Allgemeines In Art. 3 Abs. 1 und 2 RL sind an die Mitgliedstaaten gerichtete so genannte „allgemeine Verpflichtungen“ niedergelegt. Dabei handelt es sich um abstrakte Anforderungen, welche der Darstellung der einzelnen Regelungen vorangestellt sind. Die Auslegung der Richtlinie hat bei jedem einzelnen Merkmal einer Maßnahme im Lich273

Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524. Für eine „Vereinheitlichung“ zur Gewährleistung effektiven Schutzes, jedoch auch für eine „deutlichere Abstufung der verschiedenen Schutzrechtseingriffe“ und „jeweils angemessene Sanktionen“ Harte-Bavendamm, Richtlinienvorschlag, FS Tilmann, 2003, S. 793, 798. Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 925, forderten zum RLV die Erfassung jeder Verletzung, aber auch „verhältnismäßige Rechtsfolgen“ für „weniger bedeutsame Verletzungshandlungen“; allgemein für eine Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen auch Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682. 274

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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te dieser Anforderungen zu erfolgen. Aber auch bei der Umsetzung sowie der richtlinienkonformen Anwendung der umgesetzten Regelungen sind sie in Rechnung zu stellen. Die Anforderungen bringen bestimmte Ziele zum Ausdruck, welche sich notwendigerweise im Einzelfall auch widersprechen können. Im Rahmen einer Interessenabwägung sind die widerstreitenden Ziele jedoch möglichst gleichrangig zum Ausgleich zu bringen275. Trotz ihrer unbestimmten Formulierung sind diese Regelungsziele als zwingend anzusehen, und die (umgesetzten) Maßnahmen sind unabhängig von den Einzelregelungen danach auszurichten und daran zu messen, so dass insofern eine eigenständige Verpflichtung entsteht. In besonderer Weise fließen diese Ziele in vorzunehmende Abwägungen mit ein. Wie bereits dargestellt, entspricht Art. 3 Abs. 1 RL im Wesentlichen Art. 41 Abs. 2 TRIPs. Danach sollen die Maßnahmen „fair und gerecht“276 sowie „nicht unnötig kompliziert oder kostspielig“ sein und „keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen“. Nach Art. 3 Abs. 2 RL müssen die Maßnahmen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein277. Die Richtlinie greift damit teilweise auf Anforderungen zurück wie sie bereits allgemein in Art. 41 Abs. 1 S. 1 TRIPs und für die Beweissicherung in Art. 51 Abs. 1 b) TRIPs aufgestellt werden278. Das Kriterium der Abschreckung bezieht sich vor allem auf die Sanktion einer festgestellten Schutzrechtsverletzung, beispielsweise den Schadensersatz nach Art. 13 RL. Das Kriterium macht deutlich, dass die Sanktionen neben dem Zweck der Kompensation auch ein Moment der Prävention beinhalten sollen279. 2. Wirksamkeit Von sehr großer Bedeutung für die Verfahren zur Beweisbeschaffung ist vor allem das Kriterium der Wirksamkeit oder Effektivität. Die laut Erwägungsgrund 3 „zen275 Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 210 erkennt in widerstreitenden allgemeinen Prinzipien bei Art. 41 Abs. 1 TRIPs („Wirksamkeit“, aber auch „Missbrauchsverbot“) ein System von „checks and balances“. 276 Vgl. zu diesem „Billigkeitsgrundsatz“ bei TRIPs auch v. Hartz, Beweissicherung, S. 50; Duggal, TRIPs-Übereinkommen, S. 78. 277 Zudem müssen sie so „angewendet werden, dass die Errichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist“, insofern entspricht Art. 3 Abs. 2 RL dem Art. 41 Abs. 1 S. 2 TRIPs; vgl. zu diesem „Missbrauchsverbot“ Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 210. 278 Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747. 279 Vgl. Dreier, Urheberrechtsrichtlinie, ZUM 2002, S. 28, 40, zu der gleichen Formulierung in Art. 8 Abs. 1 Urheberrechtsrichtlinie, der daraus die Anregung zur Einführung eines „doppelten Schadensersatzes“ ableitet; siehe zur Abschreckungswirkung und Überlegungen zum „doppelten Schadensersatz“ aus Anlass der Durchsetzungs-Richtlinie Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen, GRUR Int. 2004, S. 706, 707 ff.; grundsätzlich Dreier, Kompensation und Prävention.

314 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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trale Bedeutung“ gerade „wirksamer Instrumente“ zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums für den Schutz der Immaterialgüterrechte insgesamt ist im Grunde unbestritten280. Schon vor einiger Zeit wurde im Zusammenhang mit der Erläuterung der „Hauptschwierigkeit“, nämlich eine „behauptete Rechtsverletzung zu beweisen“, darauf hingewiesen, dass das materielle Recht „wertlos“ bleibt, wenn der Inhaber sich nicht „effektiv zur Wehr setzen kann“281. Eine Definition des Begriffs der Wirksamkeit gestaltet sich indes schwierig. Näherungsweise kann man sagen, eine Maßnahme ist wirksam, wenn sie uneingeschränkt geeignet ist, den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen – hier den Nachweis einer vermuteten Schutzrechtsverletzung, für welche bislang nur Indizien vorliegen – und zwar in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verbundenen Aufwand, d. h. Kosten und Zeit. In Bezug auf die Erreichung der Mindeststandards des TRIPs-Übereinkommens, über die hier hinauszugehen ist – „TRIPs-Plus“ –, wird in Verbindung mit dem Wirksamkeitserfordernis von einem „Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Durchsetzung“ des Immaterialgüterrechts gesprochen. Das bedeutet, es solle zwar nicht jeder Interessenskonflikt „einseitig zu Gunsten“ des Rechtsinhabers gelöst werden, jedoch solle eine Vermutung für die Durchsetzung des Rechts und die Erreichung des Zwecks sprechen. Erst sekundär kämen entgegenstehende Ziele zum Tragen282. Zutreffend daran ist, dass die Erreichung des Zwecks zunächst im Vordergrund steht. Entgegenstehende Interessen sind nicht durch Versagung der Maßnahme, sondern auf andere Weise zu berücksichtigen, ohne die Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Wenn eine Berücksichtigung auf andere Weise tatsächlich nicht möglich ist, folgt daraus die Versagung dennoch nicht zwingend. Die Entscheidung, welches Interesse dann zurückzustehen hat, erfolgt auf Grund einer Bewertung der Bedeutung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter und einer Interessenabwägung im Einzelfall. Die Richtlinie misst den Immaterialgüterrechten dabei eine hohe Bedeutung zu. Anders als noch bei den allgemeinen Verpflichtungen nach Art. 41 TRIPs, bedarf es jedenfalls einer Auslegung der einzelnen Maßnahmen der Richtlinie und einer eigenständigen, d. h. gesonderten, Überprüfung bestehender nationaler Vorschriften anhand dieses besonders betonten Wirksamkeitserfordernisses283. 280 Vgl. Erwägungsgrund 3, Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, Abl. L. 157 vom 30. 4. 2004, S. 45, 46. 281 Götting, Entwicklung, GRUR Int. 1988, S. 729, 729. 282 Vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 49. 283 Auf Grund des dann doch abweichenden Wortlautes („vorgesehen werden, um ein wirksames Vorgehen […] zu ermöglichen“, vgl. Art. 41 Abs. 1 TRIPs) ging Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 210 in Bezug auf Art. 41 Abs. 1 TRIPs noch zurückhaltender davon aus, dass die Mitglieder ihrer Verpflichtung wohl durch Bereitstellung grundsätzlich wirksamer Mittel genügten, ohne dass offenbar eine zusätzliche spezielle Überprüfung der Wirksamkeit bestehender Maßnahmen in der Praxis erforderlich sei; so auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 302 „bloßes Ziel“, anders dann S. 314 zu Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs „eigenständige Bedeutung des Wirksamkeitserfordernisses“; ebenso zuvor schon Markfort, Geistiges Eigentum, S. 93 f. „Absichtserklärung“, anders dann S. 157 zu Art. 50 Abs. 1 b) TRIPS. A.A. v.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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3. Verhältnismäßigkeit Im Gegensatz zur Situation in Bezug auf das TRIPs-Übereinkommen ist auch die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine allgemeine Verpflichtung bei der Anwendung der Durchsetzungs-Richtlinie284. Gerade die Tatsache dieser Weiterentwicklung lässt der Verhältnismäßigkeit eine besondere Bedeutung zukommen. Den Maßnahmen soll also „weder die Eignung zur Erreichung dieses [verfolgten] Zieles fehlen, noch sollen sie zu unnötigen Härten führen“285. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit regelt insofern die Konkurrenz zwischen verschiedenen grundrechtlich geschützten Positionen, beispielsweise dem Eigentum und der Forderung nach effektivem Rechtsschutz auf der einen Seite und Privatsphäre und Eigentum auf der anderen Seite. Es beschränkt den Eingriff in Grundrechte, indem es fordert, dass der Eingriff geeignet ist, den verfolgten Zweck zu erreichen, der Eingriff zur Erreichung des Zwecks erforderlich ist und schließlich der Eingriff verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Letzteres bedeutet, dass nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen werden darf bzw. dass das verfolgte Rechtsgut mit dem beschränkten Rechtsgut in Beziehung zu setzen ist (Zweck-Mittel-Relation), um eine Bewertung der Bedeutung der konkurrierenden Rechtsgüter im Einzelfall vorzunehmen und entsprechend zu entscheiden286. Über die Grundrechte bindet das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Ausübung staatlicher Gewalt. Zwischen Privaten – also im Privatrecht – wirkt es eigentlich nur indirekt in Form einer mittelbaren Drittwirkung. Jedoch verpflichtet das Prinzip die Staatsgewalt in Gestalt des Gesetzgebers bei der Umsetzung der Richtlinie und in Gestalt der Rechtsprechung bei der Anwendung umgesetzter Maßnahmen, selbst wenn sie im Privatrecht tätig wird287. Dies gilt allein schon, wenn höherrangiges EU-Recht dies hier zur allgemeinen Verpflichtung macht. Allerdings ist im Privatrecht besonders zu beachten, dass anders als das Verfassungsrecht das Privatrecht „nichts zu verschenken hat“, denn „es kann dem einen nur geben, was es einem anderen nimmt“288. Der Schutz der Rechte des Adressaten Hartz, Beweissicherung, S. 48, der eine spezielle Prüfung der Effektivität einer Regelung in der Praxis anhand von Art. 41 Abs. 1 TRIPs für nötig hält. Eine eigenständige Bedeutung des allgemeinen Effektivitätserfordernisses nach TRIPs vertritt auch Haedicke, Schutzrechtsverletzende Importe, GRUR Int. 1999, S. 497, 501 ff., in einem Beitrag zur Interessenabwägung zwischen Inländerbehandlungsgrundsatz und Effektivitätsgrundsatz. 284 Vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 377; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 32. 285 Medicus, Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), S. 35, 36. 286 Medicus, Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), S. 35, 51, 69. 287 Medicus, Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), S. 35, 46 f., 54 f. 288 Selbstverständlich versuchen auch im öffentlichen Recht staatliche Organe schützenswerte Rechtsgüter durchzusetzen und nehmen hierfür Beschränkungen von Grundrechte vor. Auch diese Zwecke dienen letztlich Individuen, so dass auch hier eine Überbetonung der Verhältnismäßigkeit den Schutz dieser dahinterstehenden Individuen beeinträchtigen kann.

316 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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„zehrt“ somit an den Rechten des möglicherweise Verletzten289. Diese Wechselwirkung ist bei einer allzu großzügigen Einwendung mangelnder Verhältnismäßigkeit zu bedenken290. Da allerdings der Richtliniengeber selbst die Verhältnismäßigkeit als Maßstab heranzieht, ist diesem Grundsatz hohe Bedeutung beizumessen. Für eine sorgfältige Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen von Beweisbeschaffungsmaßnahmen spricht weiter, dass es sich hierbei nicht um Maßnahmen gegenüber überführten Rechtsverletzern handelt. Adressat der Maßnahmen sind Personen, gegen die bisher lediglich Indizien und Vermutungen sprechen. Sie sind bis zum Beweis des Gegenteils prinzipiell als Rechtstreue anzusehen, die nun unvermittelt von Zwangsmaßnahmen betroffen sind291. Die Einbeziehung der „privaten“ Verletzung sowie die Erwähnung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, welche jeweils in Art. 2 RL-V sowie Art. 3 RL-V nicht vorgesehen waren, sind als im Zusammenhang stehend anzusehen. Folglich ist diesem Prinzip insbesondere bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie in Bezug auf „private“ Verletzungen Geltung zu verschaffen292. Dennoch gilt: Solange entgegenstehende Interessen auf andere Weise vollständig gewahrt werden können, ist nicht voreilig eine Versagung der Maßnahme mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit zu fordern, wenn der Eingriff in die fremde Sphäre der einzige Weg ist, wirklich berechtigten Informationsinteressen nachzukommen und das Übermaßverbot gewahrt ist. Schließlich ist zu bemerken, dass die Verhältnismäßigkeit bei der Auslegung, der Umsetzung und der richtlinienkonformen Anwendung jeder einzelnen Maßnahme zu beachten ist. Dies betrifft auch und gerade Art. 6 und 7 RL, selbst wenn dort die

Nach Medicus, Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), S. 35, 59 stehen aber nicht auf beiden Seiten regelmäßig grundrechtlich geschützte Positionen. 289 Vgl. Medicus, Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), S. 35, 57 f., 59 ff., 69 f., der in diesem Zusammenhang von der Gefahr einer „Rechtsschutzverweigerung“ spricht, zumindest wenn die Rechtsprechung das Verhältnismäßigkeitsprinzip ohne Hinweis des Gesetzgebers zu großzügig auf geltendes Privatrecht anwendet. 290 Wenn der Richtliniengeber die abzuwägenden Interessen im Vergleich zur deutschen Rechtstradition gegebenenfalls neu gewichtet, was zwingend bestimmte Beeinträchtigungen für die nicht-beweisbelastete Partei mit sich bringt, sollte nicht reflexartig die Verhältnismäßigkeit der Mittel angemahnt werden, sondern nur dann, wenn dies zum Schutz der Geschäftsund Privatsphäre tatsächlich angezeigt ist. 291 Für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit und eine „Unschuldsvermutung“ als „Grundlage eines fairen Verfahrens“ Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 808; seinen restriktiven Schlussfolgerungen kann jedoch nicht zugestimmt werden. 292 Ähnlich Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682, die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des ursprünglichen Zieles der Bekämpfung der Produktpiraterie sowohl auf der Tatbestans- wie auch auf der Rechtsfolgenseite zwischen „normalen“ und „schwerwiegenden“ Verletzungen unterscheiden wollen. Nur Letztere erlaubten „besonders einschneidende Rechtsfolgen“.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Zweck-Mittel-Relation nicht mehr eigens erwähnt wird, sondern nur noch auf die Effektivität und Schnelligkeit (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL) rekurriert wird293. Zur Verwirklichung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wurde in Bezug auf die Beweismittelbeschaffung aus Anlass von Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten mehrfach auf ein „Stufenmodell“ verwiesen. Danach sollen die Anforderungen an die Substantiierung des Verletzungstatbestandes, (d. h. an die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung), umso höher sein, je umfangreicher die Informations- und Mitwirkungspflichten des Adressaten sind, d. h. je tiefer in seine Rechtssphäre eingegriffen wird294. Inwiefern dieses auf den ersten Blick sehr einleuchtende Modell geeignet ist, den widerstreitenden Interessen tatsächlich gerecht zu werden, wird noch zu untersuchen sein295. III. Die Beweismittelbeschaffung nach Art. 6 und Art. 7 RL 1. Verhältnis der Art. 6 und Art. 7 RL Art. 6 und Art. 7 RL bilden den zweiten Abschnitt der verbindlichen Regelungen der Richtlinie. Dieser ist mit „Beweise“ überschrieben und beinhaltet Instrumente zur Herbeischaffung oder zumindest Besichtigung von gegenständlichen Beweismitteln, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei – jedenfalls nicht im Besitz der beweisbelasteten Partei – befinden, für den Fall, dass der Nachweis des Bestehens oder des Umfang einer Schutzrechtsverletzung noch nicht geführt ist. Dagegen regelt Art. 8 RL im dritten Abschnitt die Erteilung von schlichten Auskünften durch den festgestellten Verletzer oder Dritte zur Ermittlung des Ursprungs und der Vertriebswege rechtsverletzender Waren mit dem Ziel der Identifizierung weiterer Verletzer (vgl. Art. 8 Abs. 2 a) RL) oder des Umfangs der Verletzung (vgl. Art. 8 Abs. 2 b) RL)296. Es scheint zunächst schwierig, Art. 6 und Art. 7 RL klar voneinander abzugrenzen, ihre Bedeutung und ihr Verhältnis zu bestimmen297. Sie unterscheiden sich zu293

Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 32. 294 Zu Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 60 f.; zur Durchsetzungs-Richtlinie vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378; zuvor schon Lüderitz, Ausforschungsverbot, S. 29; ähnlich bezogen auf die Schwere einer Verletzung Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682, „besonders einschneidende Rechtsfolgen“ sind an „tatbestandliche Voraussetzungen“ zu knüpfen, „die die Schwere der Verletzung zum Ausdruck bringen“. 295 Siehe dazu unten unter 2. Teil, C. III. 5. a) (2) (b). 296 Art. 8 RL wird im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt. 297 So Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21, „angesichts des unklaren Wortlauts“; noch zu Art. 7 und 8 RL-V (entspr. Art. 6 und 7 RL): Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683, sind der Auffassung das Verhältnis sei „klärungsbedürftig“; Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 529, sehen

318 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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nächst in ihrem Anwendungszeitpunkt. Während Art. 7 Abs. 1 RL „selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der (Haupt-)Sache“, also sowohl vorprozessual als auch – im Erst-Recht-Schluss auf das weniger einschneidende Mittel – in einem laufenden Verletzungsverfahren zum Einsatz kommt, fehlt ein Hinweis auf die vorprozessuale Anwendung in Art. 6 RL, so dass im Umkehr-Schluss nur von einer Anwendung nach Klageerhebung in der Verletzungs-Hauptsache auszugehen ist298. Dies ist auch folgerichtig, da die Artikel sich außerdem im Hinblick auf den Grad des Informationsbedürfnisses des Rechtsinhabers unterscheiden. In der Konstellation des Art. 6 RL besitzt der Rechtsinhaber zwar nicht alle verletzungsbezogenen Informationen, aber doch so grundlegende Informationen, dass er ein Verletzungsverfahren einleiten kann. Er ist in der Lage, einen annähernd konkreten Antrag zu stellen, und ihm ist ein gerade noch hinreichende Substantiierung der Klage möglich. Außerdem kennt er bestimmte relevante Beweisstücke, zumindest insofern, als er diese Beweisstücke im Sinne des Art. 6 RL „bezeichnen“ kann299. Allerdings kann er diese Beweisstücke dem Gericht nicht präsentieren, da sie sich „in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden“. Art. 6 RL bezweckt – neben der Erlangung präziserer Informationen – dieser Beweismittel habhaft zu werden. Art. 7 RL hingegen regelt eine Situation, in welcher der Rechtsinhaber vor Klageerhebung auf Grund eines Informationsdefizits bereits entweder zur Stellung eines ausreichend konkreten Unterlassungsantrags oder einer Individualisierung des Streitgegenstandes oder zu einer Substantiierung der Klage in der Anfangsphase eines Verletzungsverfahrens nicht in der Lage ist, obwohl Indizien vorliegen, die eine Verletzung vermuten lassen. Art. 7 RL verlangt daher nicht die Bezeichnung bestimmter Beweisstücke, denn er ist vorprozessual auf die Ermittlung neuer Informationen und unbekannter Beweisstücke gerichtet300. Vorprozessual können diese Beweisstücke überraschend gesucht und gesichert werden. Es handelt sich daher bei den Artikeln 6 und 7 RL nicht um ein einziges, einheitliches Instrument, für welches in Art. 7 unter im Wesentlichen identischen Voraussetzungen lediglich die Anwendbarkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren statuiert wäre301. Vielmehr handelt es sich um zwei unterschiedliche Instrumente der Beweis„Anlass für kontroverse Auseinandersetzungen“, angesichts der „wenig präzisen Formulierungen“; Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 928, stellen fest, die Artikel seien „nebulös formuliert“. 298 Vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747, 748; in diese Richtung schon Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683, Nr. 8, die nur an der einschränkenden Formulierung in Art. 8 Abs. 1 a.E. RL-V zweifelten, die nun in Art. 7 Abs. 1 a. E. geklärt ist. 299 Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21. 300 Vgl. auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21. 301 So aber wohl Begr. des RegE. vom 24. 1. 2007 des Umsetzungsgesetzes, S. 59 ff., wohl mit Blick auf Art. 43 und 50 TRIPS, die ggf. in einem solchen Verhältnis stehen; vgl. zum

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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beschaffung mit verschiedenen Anwendungsbereichen, Voraussetzungen und Rechtsfolgen, wie noch zu zeigen sein wird. Beide Instrumente befassen sich mit der Beweisnot des Schutzrechtsinhabers im weiteren Sinne, die aus der Sphärenproblematik folgt, und begründen eine Mitwirkungspflicht der nicht-risikobelasteten Partei bei der Stoffsammlung. Während Art. 6 RL jedoch primär das bereits erörterte Verfügbarkeitsproblem regelt und sekundär ein sich daran anschließendes Kenntnisproblem, geht Art. 7 RL nicht nur in Bezug auf den Anwendungszeitpunkt deutlich darüber hinaus und befasst sich primär mit dem sich aus der fehlenden Verfügbarkeit ergebenden Kenntnis- und Informationsdefizit. Die Auslegung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Artikel 6 und 7 RL orientiert sich zunächst an dem Wortlaut der einzelnen Merkmale der Normen. In einem zweiten Auslegungsschritt werden zum besseren Verständnis der Normen die weiteren Auslegungshilfen hinzugezogen. 2. Die Beweiserlangung nach Art. 6 Absatz 1 Satz 1 RL a) Tatbestandsvoraussetzungen (1) Grundsätzliches Unabhängig von der Frage des Anwendungszeitpunktes wird Art. 6 Abs. 1 RL im Verhältnis zu Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 RL teilweise in einer grundsätzlicheren Weise als „vor die Klammer gezogene“ Norm gesehen, die mit Wirkung für sämtliche weiteren Instrumente definiere, wie sich Probleme bei der Erreichbarkeit von Beweismitteln auf die Darlegungs- und Beweislast des Rechtsinhabers auswirkten302. Wenn Art. 6 Abs. 1 RL demgemäß die Darlegungs- und Beweislast des Rechtsinhabers absenkt, muss dies auf der anderen Seite zur Entstehung von Mitwirkungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei führen. Diese abstrakten Feststellungen sind zwar zutreffend, es spricht aber letztlich mehr dafür, Art. 6 Abs. 1 RL als konkretes Instrument im Sinne der oben vorgenommenen Aufgabenteilung zu verstehen. Wie bereits erwähnt, scheint Art. 6 RL auf die Geltendmachung in einem laufenden Hauptsacheverfahren ausgerichtet zu sein. Dies ergibt sich vor allem im Umkehrschluss aus dem Fehlen einer Formulierung, wie sie in Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL zu finden ist303. Diese explizite Anwendung im eigentlichen Verletzungsverfahren, die BezugVerständnis des Umsetzungsgesetzgebers betreffend das Verhältnis von Art. 6 zu Art. 7 RL unten unter 3. Teil, C. II. 2. a). 302 So offenbar Mayer/Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 315. 303 Ebenso Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747, 748; in diese Richtung schon Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683, Nr. 8; noch zu Art. 7 RL-V: Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 529, halten dies für „offen“; a.A. Mayer/Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 315, „vorprozessuale Beweismittelbeschaffung“; auch Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 928, finden dies wünschenswert. Diese abwei-

320 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

nahme auf eine „gegnerische Partei“, die ebenfalls in Art. 7 Abs. 1 RL fehlt, sowie die Anordnung durch die Gerichte sprechen wiederum dafür, dass Art. 6 RL auf die Schaffung eines entsprechenden prozessualen Instruments abzielt304. Die gerichtliche Anordnung an die gegnerische Partei zur Vorlage von Beweismitteln im laufenden Verfahren ergeht „auf Antrag“ der sich in Beweisnot befindlichen Partei. Daraus folgt zunächst, dass es sich nicht um eine amtswegige Entscheidung handeln kann, sondern ein echtes Antragsrecht der Partei und damit ein Anspruch auf eine Entscheidung des Gerichts besteht, unabhängig von der Frage, ob ein Anspruch auf den Erlass der Maßnahme als solcher gegeben ist oder ob Ermessen des Gerichts vorliegt. (2) Anforderungen an den Tatsachenvortrag Entscheidend für Charakter und Ausmaß der gegnerischen Mitwirkungspflicht ist, wie bereits gezeigt, welche Anforderungen an den anfänglichen Tatsachenvortrag der beweisbelasteten Partei – also an die von ihr aus eigenen Erkenntnisquellen zu leistende Sachverhaltsaufklärung – gestellt werden, um eine gegnerische Mitwirkungspflicht – nach Art. 6 RL eine Vorlagepflicht – entstehen zu lassen305. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL enthält gewisse Anhaltspunkte, welche Voraussetzungen hierfür im Hinblick auf die Darlegung des Verletzungstatbestandes und die Vorlage von Beweismitteln zur Untermauerung dieses Vortrages gestellt werden: Die beweisbelastete Partei hat danach ihre Ansprüche „hinreichend“ zu begründen. Hierzu hat sie selbst „alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel“ vorzulegen. Allerdings sollen erst die zu bezeichnenden Beweismittel in der Verfügungsgewalt des Gegners „zur Begründung ihrer Ansprüche“ dienen. (a) Darlegung des Verletzungsgeschehens In Bezug auf die Bestimmtheit des Tatsachenvortrages enthält der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 RL wenige Anhaltspunkte. Es ist lediglich von der „hinreichenden Begründung“ der eigenen Ansprüche die Rede. Bei der Auslegung dieses Merkmals ist ausschlaggebend, was unter „hinreichend“ zu verstehen ist. Die Auslegung wird sich vor allem an der dargestellten prozessualen Situation zu orientieren haben, welche chenden Ansichten mögen darauf zurückzuführen sein, dass die Letztgenannten zu Art. 8 RL-V noch davon ausgingen, dieser regele nur eine Beweismittelsicherung im Falle der Vernichtungsgefahr, vgl. Mayer/Linnenborn, a.a.O., S. 315; Metzger/Wurmnest, a.a.O., S. 929. 304 Vgl. Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 160, der von einer „prozessualen Maßnahme“ ausgeht; vgl. auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; wohl auch Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 529, „Eingang […] in das prozessuale Instrumentarium […] finden muss“. Nach Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 23 steht es frei, Art. 6 RL materiell oder prozessual umsetzen, „gewichtige Gründe“ sprächen jedoch für Letzteres. Ebenso McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21, weil materielle Ansprüche „nicht ausreichend“ „im Sinne der RL“ sind und „die RL ausdrücklich die Geltendmachung im Verletzungsprozess“ vorsehe. 305 Vgl. zu Art. 6 RL hierzu Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 23.

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Art. 6 RL zu lösen beabsichtigt. Es handelt sich um eine innerprozessuale Mitwirkungspflicht. Der Schutzrechtsinhaber hat also die Hürde einer ordnungsgemäßen Klageerhebung bereits gemeistert, d. h. er hat das dem Streitgegenstand zugrunde liegende Verletzungsgeschehen zumindest ausreichend individualisiert. Eine Substantiierung zu Prozessbeginn ist zumindest in Grundzügen insofern möglich, als bestimmte Entstehungstatsachen bereits dargelegt werden können. Allerdings fehlen noch bestimmte einzelne Informationen, um so detailliert vorzutragen, dass der Schluss auf die Schlüssigkeit der Klage erfolgen kann, und damit von einer vollständigen Substantiierung gesprochen werden kann. Vor allem aber fehlen Beweisstücke, um den Verletzungstatbestand im Bestreitensfalle zu beweisen und so die Begründetheit der Klage herbeizuführen306. Wenn im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 RL somit davon gesprochen wird, der Schutzrechtsinhaber habe seinen Vortrag „so weit wie möglich zu substantiieren“, um die prozessuale Aufklärungspflicht auszulösen307, ist dies zutreffend. Zu weit gehend wäre es allerdings, bereits hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 RL im Sinne der Stürnerschen Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht eine derartige Absenkung der Substantiierungslast308 zu vertreten, dass es beispielsweise ausreichend wäre, „in nahe liegender Weise“ vorzutragen, der Gegner könne seiner betrieblichen Tätigkeit „in wirtschaftlich sinnvoller Weise“ nur unter Verletzung des streitgegenständlichen Schutzrechts nachgehen309. Das Abstellen auf Indizien und gewisse äußere Anhaltspunkte dürfte Art. 7 RL vorbehalten sein. Eine „hinreichende Begründung“ müsste somit das Verletzungsgeschehen individualisieren, auch anhand von gewissen Einzeltatsachen. Jedoch ist eine lückenlose Darlegung des Verletzungstatbestandes in allen für die Schlüssigkeit nötigen Einzelheiten nicht zu verlangen. Bei der Anwendung des Merkmals der „hinreichenden Begründung“ im Einzelfall ist darauf zu achten, dass – wie im Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 RL angelegt – keine zu strengen Anforderungen an die Darlegung des Verletzungsgeschehens zu stellen sind310, denn erst die Vorlage der bezeichneten Beweismittel durch den Gegner soll nicht nur dem Beweis als solchem, sondern auch der endgültigen „Begründung ihrer Ansprüche“ dienen. Im Fall des Art. 6 RL ist ohne diese Beweismittel eine genauere Substantiierung oft nicht möglich. Das Maß der nötigen Substantiierung bestimmt sich damit auch anhand der Möglichkeiten des Antragstellers vor Erlass der beantragten Maßnahme. Dementsprechend kann als weiterer Auslegungshinweis 306 Nach Stein/Jonas-Schumann, ZPO, § 253 Rdn. 128, 125 ff., 135 ff. seien die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Klage im allgemeinen geringer als die Anforderungen an die Schlüssigkeit eines Klagebegehrens; nach Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rdn. 12a, sei für die Zulässigkeit der Klage nur so viel vorzutragen, dass der Klageanspruch eindeutig individualisiert ist – ob alles vorgetragen ist, was zur Rechtfertigung des Klagebegehrens erforderlich sei, betreffe die Frage der Schlüssigkeit und Begründetheit. 307 So Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24. 308 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. b). 309 So aber Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24, der allerdings im weiteren Verlauf wieder von einer „Substantiierung“ (S. 24 a.E.) spricht. 310 Vgl. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19.

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Art. 43 Abs. 1 TRIPs herangezogen werden, wo ein gewisse Absenkung der Substantiierungslast statuiert wird, da ein Zusammenhang zwischen der Erreichbarkeit eigener Erkenntnisquellen und dem erforderlichen Grad an Substantiierung hergestellt wird311. (b) Vorlage vernünftigerweise verfügbarer Beweismittel: Wahrscheinlichmachung? Neben der Frage nach dem Grad der Bestimmtheit des Tatsachenvortrags stellt sich bei der Auslösung einer Mitwirkungspflicht als zweites Merkmal regelmäßig die Frage, ob der Vortrag einen bestimmten Wahrscheinlichkeits- oder Überzeugungsgrad erreichen muss. Nach Art. 6 Abs. 1 RL hat der Antragsteller zur Untermauerung seines Vortrags „alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel“ vorzulegen. Verfügbar sind alle streitrelevanten Beweismittel, die sich bereits in der Verfügungsgewalt des Antragstellers befinden oder sich in zumutbarer Weise beschaffen lassen. Da eine Mitwirkungspflicht des Gegners erst erforderlich, d. h. verhältnismäßig, erscheint, wenn alle übrigen Erkenntnismittel nicht ausreichen, hat sich der Antragsteller zunächst selbst nach Kräften zu bemühen312. Dabei hat er vor der Inanspruchnahme des Gegners auch Erkenntnismittel vorzulegen, die zu seinem Nachteil sind, um dem Gericht eine möglichst umfassende und objektive Beurteilung der Lage zu ermöglichen313. Die Formulierung „vernünftigerweise verfügbar“ beinhaltet allerdings eine zweifache Absenkung der Anforderungen an den Antragsteller. Zunächst sind nur die „verfügbaren“ Beweise vorzulegen. Damit wird das im Immaterialgüterrecht regelmäßig bestehende Problem der fehlenden Verfügbarkeit von Beweismitteln in der eigenen Sphäre anerkannt und ist bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals zu beachten. Der Antragsteller hat gerade nicht den vollen Beweis der Schutzrechtsverletzung zu liefern. Das Erfordernis eines vollen Beweises würde im Übrigen den Sinn einer gegnerischen Vorlagepflicht entfallen lassen314. Zudem enthält der Verweis auf das „vernünftigerweise“ Verfügbare eine Zumutbarkeitsgrenze. In zumutbarer Weise kann vom Antragsteller nur verlangt werden, 311 Zumindest im Hinblick auf Art. 6 RL – anders möglicherweise bei Art. 7 RL – wäre es zu weit gehend zu vertreten, die Partei habe ihren Anspruch nur so weit zu substantiieren, „wie ihr dies ohne Zugang zu sich in der Verfügungsgewalt des Gegners befindlichen Beweismitteln möglich ist“, so Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 307, zu Art. 43 TRIPs, anders aber S. 333, ebenfalls zu Art. 43 TRIPs, unter Hinweis auf Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 917. 312 Dieser grundsätzliche Gedanke findet sich auch in BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1049 – „Faxkarte“; vgl. auch Tilmann/Schreibauer, Anm. „Faxkarte“, GRUR 2002, S. 1015, 1018, bereits dort mit Verweis auf die Formulierung „vernünftigerweise verfügbare Beweismittel“ in Art. 43 und 50 TRIPs. 313 Wichtiger ist dies allerdings noch bei einer Anordnung ex parte, wie z. B. bei Art. 7 RL; vgl. zu Art. 50 Abs. 3 TRIPs v. Hartz, Beweissicherung, S. 57. 314 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19.

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diejenigen Beweismittel vorzulegen, die er mit legalen Mitteln heranschaffen kann315. Das Aushorchen von Mitarbeitern der gegnerischen Partei oder Verhaltensweisen, die an Betriebsspionage grenzen, werden daher beispielsweise vom Antragsteller nicht erwartet. Das Aufsuchen von Produktmessen oder Testkäufe auf dem freien Markt sind allerdings zumutbar, genauso wie die Vornahme von Untersuchungen an frei verfügbaren Gegenständen. Die für die Heranschaffung aufzuwendenden Summen müssen jedoch in einem angemessenen Verhältnis zum Streitwert stehen. Offen bleibt, ob Art. 6 Abs. 1 RL voraussetzt, dass die Vorlage der Beweismittel den hinreichend zu begründenden Anspruch in irgendeiner Weise wahrscheinlich macht. Der Wortlaut enthält keinen ausdrücklichen Hinweis. Die Anerkennung der strukturellen Beweisnot durch die Formulierung „vernünftigerweise verfügbar“ könnte darauf hindeuten, dass gerade keine Wahrscheinlichmachung erforderlich ist. Zu Art. 43 Abs. 1 TRIPs wird allerdings vertreten, dass eine „hinreichende Begründung“ auch eine hinreichende Wahrscheinlichmachung voraussetze316. Teilweise wird ein solcher Grad an Wahrscheinlichkeit auch im Hinblick auf Art. 6 RL vertreten317. Andere lassen jedoch mit dem Hinweis, dass bei zu strengen Anforderungen die gegnerische Mitwirkungspflicht überflüssig wäre, eine „Glaubhaftmachung“ ausreichen318 oder stellen hierzu nach grundsätzlichen Überlegungen zur gegnerischen Mitwirkungspflicht lediglich fest, dass eine solche umso umfangreicher begründet erscheine, je eindeutiger die Schutzrechtsverletzung feststehe319. Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Vorlagepflicht sollte dem Antragsteller jedenfalls neben der Forderung nach einer Substantiierung in groben Zügen die Beweismittelvorlage nicht dadurch verwehrt werden, dass man eine zähe Verhandlung über die Frage führt, ob ein bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht wurde. Das Bestehen des Anspruchs sollte dem Gericht zumindest nicht unplausibel erscheinen. Da Art. 6 RL vor allem die Lösung des Verfügbarkeitsproblems bezweckt, können gegebenenfalls leicht höhere Anforderungen gestellt werden als bei Art. 7 RL. Nicht zu fordern ist aber, dass das Bestehen des Anspruchs wahrscheinlicher ist, als dessen Nicht-Bestehen. (3) Anforderungen an die Bezeichnung der Beweisstücke Vor allem die Anforderungen, die an die Bezugnahme des Antragstellers auf die vorzulegenden Beweisstücke gestellt werden, machen deutlich, ob es sich bei Art. 6 RL um ein Instrument der Beweissicherung oder um ein Instrument der Beweisermitt315 Mayer/Linnenborn, Bekämpfung der Produktpiraterie, K&R 2003, S. 313, 315, die davon ausgehen, dass dieses Merkmal im Übrigen „das Prozessrisiko des Rechteinhabers weit gehend“ mindere. 316 Tilmann/Schreibauer, Beweissicherung, FS Erdmann, S. 901, 905. 317 Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 394. 318 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19. 319 Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, siehe hierzu vor allem unten unter 2. Teil, C. III. 5. a) (2) (b).

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

lung handelt. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL hat die Partei die vorzulegenden Beweismittel in ihrem Antrag zu „bezeichnen“. Die Statuierung eines Bezeichnungserfordernisses zeigt, dass Art. 6 RL vor allem auf die Lösung des Verfügbarkeitsproblems abzielt und entsprechend auszulegen ist, während Art. 7 RL eher die Lösung des Kenntnisproblems bezweckt. Denn die Bezeichnung der Beweisstücke setzt eine gewisse Kenntnis von den in der Verfügungsgewalt des Gegners befindlichen Beweisstücken und deren ungefährem Inhalt voraus320. Es fragt sich, welchen Grad an Bestimmtheit diese Bezeichnung erreichen muss. Notwendig wäre insofern systematisch eine Abgrenzung von Art. 7 RL, wo das Bezeichnungserfordernis fehlt321 und daher eine deutlich unbestimmtere Bezugnahme auf relevantes Material zulässig ist. In Abgrenzung hierzu sind bei Art. 6 RL wohl konkrete Einzelstücke in einer vergleichsweise bestimmteren Weise zu bezeichnen. Weiterhin geht Art. 6 Abs. 1 RL anders als Art. 7 Abs. 1 RL zunächst einmal nur von der „Vorlage“ dieser Beweismittel durch den Gegner aus. Die Bezugnahme hat also zumindest derart bestimmt zu erfolgen, dass der Gegner – und natürlich auch das Gericht – zweifelsfrei erkennen kann, welche Stücke vorzulegen sind, ohne dass eine dritte, sachkundige Person auf dem Gelände des Gegners die Auswahl vornehmen muss. Auf der anderen Seite muss für den Grad der Bestimmtheit berücksichtigt werden, dass für den Antragsteller aus dem Verfügbarkeitsproblem auch ein Informationsproblem folgt und er daher, selbst wenn er gewisse Kenntnisse besitzt, Gegenstände in der Verfügungsgewalt des Gegners nicht detailreich beschreiben kann. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich Art. 6 Abs. 1 RL auf bestimmte konkrete Beweisstücke bezieht, hinsichtlich welcher der Antragsteller gewisse Kenntnis von ihrer Existenz und ungefähren Beschaffenheit hat. Ohne dass eine exakte Bezeichnung erwartet werden kann, hat der Antragsteller die einzelnen Beweisstücke identifizierbar zu machen, indem er beispielsweise das äußere Erscheinungsbild näherungsweise beschreibt oder konkrete Inhalte kombiniert mit anderen Merkmalen nennt, die das konkrete Beweisstück unterscheidbar machen. Unzulässig dürfte es im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 RL sein, ganze Aktensammlungen zur Inspektion anzufordern, ohne bereits konkrete Inhalte zu nennen322. 320 Zu Art. 43 TRIPs geht auch v. Hartz, Beweissicherung, S. 51 davon aus, dass „Kenntnis“ von Beweisen in der gegnerischen Verfügungsgewalt notwendig ist, dies sei in einer Vielzahl von Schutzrechtsverletzungsverfahren jedoch nicht der Fall; vgl. auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21. 321 Das Fehlen des Bezeichnungserfordernisses bei Art. 7 RL konstatieren auch Knaak, EGRichtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21; Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395. 322 Im Ergebnis kommt damit das Bezeichnungserfordernis – und nur dieses – ungefähr bestimmten Aspekten der „Bezugnahme“ nach § 142 ZPO nahe; vgl. in diese Richtung auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 25; bezogen auf Art. 6 Abs. 2 RL bereits Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; zu § 142 ZPO Greger, Mediation und Inquisition, DStR 2005, 479, 482.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Dennoch ist verglichen mit dem deutschen Recht ein unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag nicht zu rasch anzunehmen. Die genauen Anforderungen an die Bezeichnung hat das Gericht mit Blick auf den Einzelfall und die Möglichkeiten des außerhalb der fremden Sphäre stehenden Antragstellers festzulegen323. Neben der dargestellten Bezeichnung ist es erforderlich, dass sich die Beweismittel „in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei“ befinden. Nach dem Sinn und Zweck von Art. 6 RL ist damit jegliche Form des Besitzes gemeint, die es dem Gegner ermöglicht, die beweisbelastete Partei von der Kenntnisnahme und dem Zugriff auf die Beweismittel auszuschließen bzw. die Vorlage an die beweisbelastete Partei zu veranlassen. Wie bei jeder prozessualen Beweismittelvorlage müssen die vorzulegenden Beweismittel beweiserheblich sein. Allerdings ist eine solche Feststellung „ex ante“ für Beweismittel, die sich noch außerhalb der eigenen Sphäre befinden, nicht mit letzter Sicherheit möglich. (4) Geheimnisschutz Schließlich ist es nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL Voraussetzung einer Vorlageanordnung, dass der „Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird“. Falls dabei entgegenstehende Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geltend gemacht werden, hat dieser Schutz dem Zweck des Art. 6 RL entsprechend vorrangig verfahrensmäßig und nicht etwa durch Versagung der Vorlage bestimmter streiterheblicher Beweisstücke zu erfolgen324. Die befürchtete Offenlegung von Betriebsinterna ist im Übrigen bei Vorlagemaßnahmen ein nicht ganz so drängendes Problem wie bei Besichtigungsmaßnahmen, da die bloße Vorlage nicht mit einem Eindringen in die Sphäre des Gegners und damit der Möglichkeit eines Ausspionierens „bei Gelegenheit“ verbunden ist. In Bezug auf verbleibende Geheimhaltungsinteressen können im Rahmen der Umsetzung verschiedene Schutzmechanismen vorgesehen werden: Vorzulegende Beweisstücke könnten zunächst nur dem Gericht oder einem vereidigten Wirtschaftsprüfer übergeben werden. Diese Stellen könnten vor einer Einbeziehung des Antragstellers nachweislich nicht streiterhebliche Bestandteile bzw. Textstellen aussondern bzw. schwärzen325. Streiterhebliche vertrauliche Informationen müssten grundsätzlich offengelegt werden, es sei denn, die Abwägung zeigt, dass

323 Vgl. hierzu Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 160, der fordert „keine zu strengen Anforderungen“ an die Bezeichnung zu stellen. 324 A.A. zu Art. 43 Abs. 1 TRIPs wohl Renner, Rechtsschutz von Computerprogrammen, S. 72, der vertrauliche Informationen gänzlich von der Vorlagepflicht ausnimmt; siehe zum Geheimnisschutz im Rahmen von Art. 7 RL vor allem unten unter 2. Teil, C. III. 5. d). 325 Zur Möglichkeit des Schwärzens eines Sachverständigen-Protokolls siehe bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A., III. 2. d) (5); sowie Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192.

326 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

die Bedeutung des Geheimnisschutzes die Bedeutung des Streitgegenstandes übersteigt. Vorzulegende Beweismittel könnten dem Antragsteller zudem nur in einem sogenannten Datenraum auf dem Gelände des Gerichts zugänglich gemacht werden, um eine zweckwidrige Benutzung zu verhindern. Eine weitere Verschärfung des Geheimnisschutzes könnte den Ausschluss der Naturalpartei beinhalten, um so zum Nutzen der Naturalpartei eine Versagung des Zugangs zu streiterheblichem Material zu vermeiden. b) Rechtsfolge Vorausgesetzt, die genannten Bedingungen sind erfüllt, sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Gerichte „die Vorlage“ der bezeichneten „Beweismittel“ durch „die gegnerische Partei anordnen können“ (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL). (1) Ermessen oder gebundene Entscheidung? Aufgrund der Formulierung „können“ bleibt zunächst unklar, ob es sich bei der Vorlageanordnung um eine gebundene Entscheidung oder eine Ermessensentscheidung der Gerichte handeln soll. Da Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL entsprechend seinem Wortlaut als Regelungsauftrag gerichtet an die Mitgliedstaaten zu verstehen ist, ist die Formulierung „können“ eher als Anweisung an die Mitgliedstaaten auszulegen, den Gerichten die Rechtsmacht einzuräumen, prozessuale Vorlageanordnungen erlassen zu können, ohne dass diese Formulierung jedoch als Anordnung einer Ermessensregelung zu interpretieren wäre. Wenn man angesichts des unklaren Wortlauts der Regelung und aus prinzipiellen Überlegungen bei der Umsetzung von Richtlinien diesbezüglich allerdings einen Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers ins Auge fassen will, ist an die allgemeinen Anforderungen an die vorzusehenden Durchsetzungs-Instrumente nach Art. 3 Abs. 2 RL zu erinnern. Nach Art. 3 Abs. 2 RL müssen die Instrumente unter anderem „wirksam“ sein. Die Instrumente stellen sich für den Schutzrechtsinhaber unter anderem dann als wirksam oder effektiv dar, wenn der Erlass der Maßnahme verlässlich und kalkulierbar ist, er also einen Anspruch auf die Anordnung der Vorlage hat, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Im Ergebnis wird daher nur eine gebundene Entscheidung die vollständige Wirksamkeit der Regelung sicherstellen können326. Um die ebenfalls von Art. 3 Abs. 2 RL geforderte Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten, wird es jedenfalls bei innerprozessualen Maßnahmen ausreichend sein, dem Gericht – über die Subsumtion der Tatbestandsmerkmale hinaus – Spielraum bei der Ausgestaltung der Modalitäten der Vorlage einzuräumen. 326 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737; wohl auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 20.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(2) Inhalt der Vorlageanordnung Die Maßnahme nach Art. 6 Abs. 1 RL ist gerichtet auf die „Vorlage“ von „Beweismitteln“. Dem Wortlaut nach ist somit zumindest jede Form der körperlichen Vorlage von Gegenständen erfasst. Mit Blick auf die verbindliche englische Fassung von Art. 43 Abs. 1 TRIPs, in welcher der Ausdruck „produce evidence“ verwendet wird, wird zu Art. 43 Abs. 1 TRIPs vertreten, die Norm regele nicht nur die bloße Vorlage von Gegenständen, sondern darüber hinaus die Zugänglichmachung sämtlicher im Zivilprozess zulässiger Beweismittel, wie etwa auch die Parteivernehmung327. Auch die englische Fassung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL verwendet die Formulierung „produce evidence“328. Im Sinne einer gemeinschaftsweit einheitlichen Auslegung und entsprechend dem Zweck der Regelung, das Verfügbarkeitsproblem des Antragstellers zu mildern, ist es durchaus denkbar, den Begriff der „Vorlage“ von „Beweismitteln“ auf mehr als nur körperliche Beweismittel zu beziehen. Zu beachten ist jedoch, dass unter systematischen Gesichtspunkten vom Anwendungsbereich des Art. 6 RL jedenfalls jede Informationsquelle ausgeschlossen bleiben muss, die auf Grund anderer Voraussetzungen unter den Auskunftsanspruch nach Art. 8 RL fällt. Dies betrifft Auskünfte des festgestellten Verletzers über den Umfang der Verletzung und die Identität weiterer möglicher Verletzer. Möglich wäre hiernach die Pflicht zur Erteilung bestimmter Auskünfte durch die gegnerische Partei, die sich auf die Feststellung der Verletzung als solche beziehen329. Dies kann für die adressierte Partei gegebenenfalls auch weniger belastend sein als andere Maßnahmen. Diese Auskünfte müssten jedoch entsprechend der Zielsetzung des Art. 6 RL eher ein aus der Abgrenzung zweier Sphären resultierendes Verfügbarkeitsproblem, als ein grundsätzliches Kenntnisproblem lösen330. Abgesehen hiervon ist unter „Beweismitteln“ primär alles zu verstehen, was beweiserheblich und im engeren Sinne vorlagefähig ist. Dies umfasst sowohl die möglicherweise schutzrechtsverletzende Sache als auch weitere Beweismittel, die auf das Vorliegen einer Verletzung oder ihren Umfang hindeuten, also vor allem Augenscheinsgegenstände und Urkunden331. Hinsichtlich der Urkunden ist jedoch anzumer327

Markfort, Geistiges Eigentum, S. 155; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 307 f. Vgl. die englische Fassung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL (abrufbar unter www.urheberrecht.org): „[…] may order that such evidence be produced by the opposing party“. 329 Ohne auf den Begriff der „Vorlage“ oder die Rechtsfolgen näher einzugehen, hält es Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24, der Art. 6 RL durch Einführung einer umfassenden prozessualen Aufklärungspflicht des Prozessgegners umzusetzen vorschlägt, für möglich nach entsprechendem Vortrag des Klägers den Beklagten zu verpflichten „Auskunft über das von ihm verwendete Herstellungsverfahren zu geben“; dieser Auskunftskomplex soll hier nicht weiter vertieft werden, doch scheint ein schutzwürdiges Interesse nur insoweit zu bestehen, als Auskünfte erteilt werden, die belegen, dass jedenfalls das geschützte Verfahren nicht verwendet wurde. 330 Die Nennung eines dem Antragsteller unbekannten Zeugen wäre z. B. die Lösung eines Kenntnisproblems. 331 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19. 328

328 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

ken, dass auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 RL nur solche Urkunden vorgelegt werden können, welche nicht unter gesteigerten Voraussetzungen – nämlich das „gewerbliche Ausmaß“ der Verletzung – in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 RL fallen. Nicht erfasst sind somit Finanz- und Handelsunterlagen, die sich im Wesentlichen auf den festzustellenden Umfang der Verletzung und die Identität weiterer möglicher Verletzer beziehen. Anordnungsadressat kann schließlich nur die gegnerische Partei sein. c) Durchsetzung der Vorlageanordnung Zu klären bleibt, wie diese in Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL vorgesehene prozessuale Mitwirkungspflicht des Prozessgegners durchgesetzt werden kann, falls dieser der Vorlageanordnung nicht Folge leistet. Hier entscheidet sich, ob sich die Regelung tatsächlich als effektiv erweist oder die Erleichterungen zugunsten des Rechtsinhabers mangels Durchsetzungsmöglichkeit von nur theoretischer Bedeutung sind. Ausgangspunkt der Überlegungen ist hier eine auffällige Abweichung zu der bisher zumindest wortlautgemäß nachgebildeten Norm Art. 43 TRIPs332. Während 43 Abs. 2 TRIPs festlegt333, dass bei einer grundlosen Verweigerung der angeordneten Beweismittelvorlage durch den Gegner eine Entscheidung auf Grundlage des Vorbringens der beweisbelasteten Partei ergehen kann und somit die allgemeinen Grundsätze der Beweisvereitelung anwendbar sind334, fehlt in Art. 6 RL gerade eine Festlegung auf eine solche Sanktion. Diese Auslassung kann zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen Anlass geben: Einerseits ist es denkbar, dass der Richtliniengeber die bloße negative Beweiswürdigung der Weigerung als unzureichend und wenig effektiv betrachtet hat335. Andererseits ist es ebenfalls möglich, dass die Festlegung einer angemessenen Sanktion schlicht den Mitgliedstaaten in den Grenzen von Art. 3 RL und unter Beachtung des Sinn und Zweckes von Art. 6 RL überantwortet werden sollten, so dass diese eine Regelung angepasst an ihre jeweiligen Rechtstraditionen wählen können336. Angesichts der ansonsten praktizierten großen wortlautgemäßen Übereinstimmung mit Normen des TRIPs-Übereinkommens spricht im Umkehrschluss vieles für die erste Interpretationsmöglichkeit. Letztlich ist Art. 6 RL jedoch im Lichte des Art. 3 RL auszulegen. Somit entscheidet sich auch die Frage der Durchsetzungs-

332 Entsprechend dem TRIPs-Plus-Ansatz geht Art. 6 RL in Sinn und Zweck und Regelungsinhalt über Art. 43 TRIPs hinaus. 333 Die Umsetzung dieser Regelung steht allerdings im Ermessen der Unterzeichner-Staaten. 334 Siehe hierzu Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 211; Markfort, Geistiges Eigentum, S. 156. 335 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19 li. Sp. 336 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19 re. Sp.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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möglichkeit nach den Kriterien der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit337. Ziel der Beweismittelvorlage ist es, im Sinne der Wahrheitsfindung bei einer unverschuldeten Beweisnot der beweisbelasteten Partei streiterhebliche Gegenstände aus der Sphäre des Gegners für den Prozess nutzbar zu machen, um eine Beweislastentscheidung zu vermeiden. Eine effektive und verhältnismäßige Regelung müsste uneingeschränkt geeignet sein, die Beweismittel auch tatsächlich zu Tage zu fördern, um den Sachverhalt zu beweisen ohne entgegenstehende Rechtsgüter über Gebühr zu beeinträchtigen. Eine bloße negative Beweiswürdigung der Verweigerung der Vorlage wäre insofern nicht wirksam, da im äußersten Fall der Vortrag des Klägers als wahr unterstellt werden kann. Dies dient zum einen nur einem formalen Begriff der Wahrheit. Gravierender ist zum anderen jedoch, dass die Möglichkeit einer erfolgreichen Beweiswürdigung zugunsten des Antragstellers eine exakte Tatsachenbehauptung des Klägers zu jedem Tatbestandsmerkmal der Anspruchsgrundlage und gegebenenfalls zur Höhe des Anspruchs voraussetzt, damit das Gericht den entsprechenden Punkt als zutreffend unterstellen kann. Die negative Beweiswürdigung ist somit völlig ungeeignet, wenn es mangels Informationen des Klägers an einem substantiierten oder lückenlosen Vortrag des Klägers fehlt. Dies ist auf Grund des strukturellen Beweisdefizits im Immaterialgüterrecht regelmäßig der Fall338. Eine negative Beweiswürdigung kann der beweisbelasteten Partei die gewünschte Erleichterung nicht verschaffen und eine Mitwirkung des Gegners nicht bewirken. Die Umsetzung durch Statuierung bloßer prozessualer Nachteile im Weigerungsfalle würde die Vorlageanordnung im Ergebnis undurchsetzbar machen, Art. 6 RL insgesamt seine Effektivität nehmen und würde daher nicht den Anforderungen der Richtlinie entsprechen339. Eine unmittelbar zwangsweise Durchsetzung der Vorlageanordnung im Sinne einer Vollstreckung wäre zwar effektiv, doch auch dieser Möglichkeit begegnen Zweifel. Art. 7 Abs. 2 RL-V sah die Möglichkeit vor, die „Übermittlung“ und „Beschlagnahme“ von Unterlagen anzuordnen. Aus der endgültigen Fassung des Art. 6 Abs. 2 RL wurde die Variante der „Beschlagnahme“ gestrichen340. Dies nimmt der 337 Bereits Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 928 stellen einen Zusammenhang zwischen den Durchsetzungsmöglichkeiten und der Effektivität der Regelung her; der verweis auf das Gebot der Wirksamkeit findet sich auch bei Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 162. 338 McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 16 f., 20; vgl. auch Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 162. 339 Für eine tatsächliche Durchsetzbarkeit auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 (zu Art. 6 Abs. 2 RL); im Ergebnis auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737, wegen der Verpflichtung, die volle Wirksamkeit der Richtlinie herzustellen (Art. 10 Abs. 1 EG iVm. Art. 249 Abs. 3 EG); wohl auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19; Metzger/Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 928; Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 394; sowie Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 162. 340 Zu einem solchen Änderungsvorschlag des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments zum Richtlinien-Vorschlag siehe bereits Metzger/Wurmnest, Euro-

330 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Vorschrift ihre Schärfe und grenzt sie von Art. 7 RL ab, welcher die Beschlagnahme ausdrücklich ermöglicht. Dies hat auch für das Verständnis von Art. 6 Abs. 1 RL Konsequenzen. Es zeigt, dass die Regelung des Art. 6 RL insgesamt als das weniger einschneidende Mittel ausgestaltet ist und – im Gegensatz zu Art. 7 RL – nicht von einem unmittelbaren Eingriff in die Sphäre der anderen Partei ausgeht. Eine unmittelbar zwangsweise Durchsetzung mit der Folge eines Eindringens in die Sphäre der anderen Partei ist im Rahmen des Art. 6 RL daher abzulehnen. Wenn man von einem prozessualen Verständnis des Art. 6 RL ausgeht, wäre eine mittelbare Durchsetzung der Mitwirkungspflicht durch Anordnung von Beugemitteln – Zwangsgeld oder Zwangshaft – zumindest weniger systemfremd als eine unmittelbar zwangsweise Durchsetzung. Prozessuale Beugemittel sind im deutschen Recht bisher nur im Zusammenhang mit der Verweigerung der Zeugnispflicht sowie der Verweigerung der Pflichten nach §§ 412, 144 ZPO durch einen Dritten bekannt, nicht jedoch in Bezug auf eine Prozesspartei (vgl. §§ 142 Abs. 2 S. 2, 144 Abs. 2 S. 2 ZPO; 380, 390 ZPO; Ausnahme § 372a ZPO)341. Eine Anwendung auf eine zu schaffenden Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei in besonderen Fällen wäre zumindest denkbar. Die mittelbare Zwangswirkung von Beugemitteln würde immer noch eine sehr effektive Durchsetzungsmöglichkeit im Weigerungsfalle darstellen. Schließlich würde auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit jedenfalls nicht gegen eine solche Interpretation sprechen. Wenn man sich erst einmal für eine Beweismittelvorlage als Teil einer prozessualen Mitwirkungspflicht des Gegners in begründeten Fällen entschieden hat, ist es erforderlich und geboten, diese auch zumindest mittelbar durchzusetzen. Die Anordnung von Beugemitteln verbleibt im Übrigen im Ermessen des Gerichts. Das Gericht kann die Umstände des Einzelfalles gegeneinander abwägen. Zudem wäre eine nur mittelbare Durchsetzung nicht mit einem Eindringen in die Sphäre des Gegners verbunden. Die Einführung von Beugemitteln entspricht daher am ehesten den Anforderungen von Art. 6 RL.

d) Zusammenfassung und Bewertung Die Anerkennung einer typischen und regelmäßig unverschuldeten Beweisnot der risikobelasteten Partei durch Art. 6 Abs. 1 RL führt folgerichtig zu Mitwirkungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei hinsichtlich der in ihrer Sphäre befindlichen Beweismittel, vorausgesetzt man will an dem Ziel der Ermittlung der Wahrheit, als einem der auf verfahrensmäßige Weise zu erreichenden Prozessziele, festhalten. Im Rahmen dieser Mitwirkungspflichten statuiert Art. 6 Abs. 1 RL ein prozessuales Instrument, welches nach der Klageerhebung im laufenden Verletzungsverfahren päisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 928, die eine Einschränkung der Effektivität befürchten. 341 Vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, vor § 373 Rdn. 9 f., § 390 Rdn. 2 f., § 446 Rdn. 1, § 372a Rdn. 12 ff.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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zur Anwendung kommen kann, um vorrangig das Problem der fehlenden Verfügbarkeit von Beweismitteln in der Sphäre der gegnerischen Partei zu lösen. Die Anforderungen an den Tatsachenvortrag ergeben sich aus der Tatsache, dass anfänglich zumindest so viele verletzungsbezogene Informationen vorhanden waren, um in der Klageschrift das Verletzungsgeschehen zu individualisieren und im Wesentlichen bestimmte Anträge zu stellen. Hinsichtlich des Erlasses der Beweisbeschaffungsmaßnahme ist die Verletzungshandlung somit bereits anhand von gewissen Einzeltatsachen zu individualisieren, wobei allerdings noch keine lückenlose Substantiierung erforderlich ist, wie sie für eine gänzliche Schlüssigkeit des Verletzungsvortrages notwendig wäre. Das Vorliegen des Verletzungsanspruches ist dabei als in gewisser Weise wahrscheinlich darzustellen. Weiterhin bezieht sich die Maßnahme auf bestimmte konkrete Beweisstücke, die so zu bezeichnen sind, dass sie zumindest individuell identifizierbar sind, wobei außerhalb der fremden Sphäre eine exakte Beschreibung der Beweisstücke nicht möglich und nicht erforderlich ist. Daran dass weitere Voraussetzungen nicht bestehen, wird deutlich, dass Art. 6 Abs. 1 RL allein auf der prozessualen Notwendigkeit basiert im Falle der im Immaterialgüterrecht typischen Beweisnot, fehlende Beweisstücke aus der Sphäre des Gegners gegen dessen Willen zu erlangen. Da nur leicht abgesenkte Anforderungen an die Substantiierung gestellt werden und die vorzulegenden Beweisstücke individuell zu bezeichnen sind, ermöglicht Art. 6 Abs. 1 insofern keine Ermittlung neuer, unbekannter Beweisstücke342. Die vorzulegenden Beweisstücke dienen vor allem dem Beweis streitiger Tatsachen. Im Einzelfall kann ihnen jedoch auch eine neue verletzungsbezogene Information zu entnehmen sein, so dass im Ergebnis ein in jeder Einzelheit schlüssiger Vortrag möglich ist. Im Rahmen einer gebundenen Entscheidung ist schließlich die Vorlage von Augenscheinsgegenständen und Urkunden durch die gegnerische Partei anzuordnen. Diese Vorlagepflicht kann mit Hilfe der Anordnung von prozessualen Beugemitteln mittelbar durchgesetzt werden. Da die Verpflichtung der eigentlich nicht-beweisbelastete Partei Beweisstücke aus der eigenen Sphäre vorzulegen alleine mit Rücksicht auf die durch die Beweisnot gekennzeichnete prozessuale Situation begründet ist, erfolgt durch Art. 6 Abs. 1 RL im Prinzip eine Anerkennung einer umfassenden, prozessualen Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Stoffsammlung343. 3. Die Beweiserleichterung nach Art. 6 Absatz 1 Satz 2 RL Vollständigkeitshalber sei noch Art. 6 Abs. 1 S. 2 RL erläutert. Dabei handelt es sich nach dem klaren Wortlaut um eine fakultative Regelung, deren Umsetzung im Ermessen der Mitgliedstaaten steht. Dort heißt es, „für die Zwecke dieses Absatzes“ 342 343

Ebenso Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21. Vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 24 f.

332 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

wird von den Gerichten „eine angemessen große Auswahl aus einer erheblichen Anzahl von Kopien eines Werks […] als glaubhafter Nachweis“ angesehen. Es liegt hier somit eine Beweiserleichterung im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL vor. Das Verständnis der Norm hängt wesentlich von der Bedeutung der Formulierung „für die Zwecke dieses Absatzes“ ab. Man könnte dies so verstehen, dass der Antragsteller den Anforderungen an seinen Tatsachenvortrag genügt, wenn er die genannte Auswahl von rechtsverletzenden Kopien vorlegt, um seine Ansprüche glaubhaft zu machen und so eine Beweismittelvorlagemaßnahme einzuleiten. Wozu bedarf es jedoch der Beweismittelvorlage, wenn der Antragsteller bereits im Besitz einer Auswahl an rechtsverletzenden Kopien ist? Zutreffender dürfte es daher sein, Satz 2 als eigenständige Beweiserleichterungsvorschrift zu verstehen. Insofern wäre der Zweck des ersten Absatzes grundsätzlich der Nachweis einer Schutzrechtsverletzung. Daraus folgt, dass nach Satz 2 für eine große Anzahl von möglicherweise schutzrechtsverletzenden Gegenständen im Rahmen der Beweiserhebung der Nachweis einer Schutzrechtsverletzung in Bezug auf die Gesamtheit dieser Gegenstände als geführt gilt, wenn dies anhand einer Stichprobe, bestehend aus einer angemessen großen Auswahl, nachgewiesen werden kann344. 4. Die Beweiserlangung nach Art. 6 Absatz 2 RL Art. 6 Abs. 2 RL sieht eine Regelung vor, die die Gerichte ermächtigt, bei Verletzungen „in gewerblichem Ausmaß“ die „Übermittlung“ von „Bank-, Finanz-, oder Handelsunterlagen“ anzuordnen. a) Tatbestandsvoraussetzungen Ursprünglich diente Art. 6 Abs. 2 RL ausweislich des Wortlautes von Art. 7 Abs. 2 RL-V dazu, die „tatsächlichen Nutznießer der Rechtsverletzung“ zu ermitteln. Trotz der Streichung dieser Formulierung aus der endgültigen Fassung scheint dies auch jetzt noch einer der Zwecke der Norm zu sein345. Auf jeden Fall umfasst die durch die Streichung erweiterte Zielsetzung daneben nun die Ermittlung des Umfangs der Verletzung. Insofern ergänzt die Norm Art. 8 Abs. 1 und 2 a), b) RL, der materielle Auskunftsansprüche über beteiligte Dritte und über den Umfang der Verletzung gewährt. Während Art. 8 RL primär die Abgabe von Erklärungen zum Gegenstand hat, zielt Art. 6 Abs. 2 RL direkt auf die Vorlage von Unterlagen. Die Norm übernimmt in 344 Diese Beweiserleichterung geht auf einen Vorschlag des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments zum Richtlinien-Vorschlag zurück, vgl. Metzger/ Wurmnest, Europäisches Sanktionenrecht, ZUM 2003, S. 922, 929. 345 Vgl. Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, S. 1, 38; vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 161; die zu große Reichweite der Formulierung „tatsächliche Nutznießer“ wurde zuvor kritisiert durch Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 683.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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dieser Hinsicht als prozessuale Maßnahme die Funktion eines materiellen Rechnungslegungsanspruchs346. Eine prozessuale Beweismittelvorlageanordnung sollte die Erheblichkeit der vorzulegenden Unterlagen in dem laufenden Verfahren voraussetzen. Hinsichtlich von Unterlagen zur Ermittlung des Umfangs der Verletzung ergeben sich dabei keine Schwierigkeiten. Allerdings sind Unterlagen zur Ermittlung der tatsächlichen Nutznießer nicht erheblich in diesem Sinne347. Dies könnte dafür sprechen, die beschriebene Streichung ernster zu nehmen und den Anwendungsbereich entsprechend zu beschränken. Letztlich scheint jedoch Art. 6 Abs. 2 RL den Auskunftsanspruch nach Art. 8 RL im Hinblick auf die Vorlage von Unterlagen komplementär zu ergänzen, so dass die Vorlage von Unterlagen sowohl hinsichtlich der Erlangung von Informationen über den Umfang, als auch von Informationen über die tatsächlichen Nutznießer der Verletzung, angeordnet werden kann. Unklar ist, ob eine Maßnahme nach Art. 6 Abs. 2 RL erst zum Einsatz kommen kann, wenn eine Verletzung – zumindest dem Grunde nach und unabhängig von einem Verschulden – bereits feststeht. Hierfür würden die textliche Bezugnahme auf eine „begangene Rechtsverletzung“ sowie die Parallelen in der Zielsetzung zu Art. 8 RL, welcher auch das Feststehen der Verletzung voraussetzt, sprechen. Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass dem Wortlaut nach die Anordnung „unter den gleichen Voraussetzungen“ wie bei Art. 6 Abs. 1 RL möglich sein soll, der eine hinreichende Begründung der Ansprüche ausreichen lässt. Letztlich ist es aber auch unter dem Gesichtspunkt der Effektivität ausreichend, wenn der Umfang der Verletzung und ihre Nutznießer erst festgestellt werden, wenn die Verletzung mit Hilfe der Instrumente nach Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 RL dem Grunde nach bereits feststeht. Der Verweis auf Art. 6 Abs. 1 bezieht sich somit vor allem auf die nötige Bezeichnung der Unterlagen. Eine andere Entscheidung würde gegebenenfalls zu einer Reichweite der Norm führen, die auch durch das Erfordernis einer Verletzung „in gewerblichem Ausmaß“ kaum mehr zu rechtfertigen wäre. Angesichts des dennoch bestehenden großen Wirkungsbereichs der Norm soll Art. 6 Abs. 2 RL nur anwendbar sein, wenn eine „in gewerblichem Ausmaß“ begangene Schutzrechtsverletzung vorliegt. Die Norm zielt somit auf eine dezidierte Bekämpfung der Produktpiraterie und greift die ursprüngliche Differenzierung zwischen gewerbsmäßiger Produktpiraterie und Fällen einfacher Schutzrechtsverletzung wieder auf. Die Herausnahme der Fälle einfacher Schutzrechtsverletzungen aus dem Anwendungsbereich soll insofern die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme wahren. Der Begriff der gewerbsmäßigen Verletzung bzw. einer solchen in gewerblichem Ausmaß erschließt sich indes nicht sofort. In Erwägungsgrund 14 erfolgte diesbezüglich allerdings eine Definition, die hier zugrundegelegt werden soll. Danach liegt eine in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzung vor, wenn die Verletzung 346 347

Vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747. Ähnlich Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747.

334 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

„zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen“ wurde. Gemeint ist also ein vorsätzliches Handeln mit Gewinnerzielungsabsicht. Dies schließe „in der Regel Handlungen aus, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen“ wurden348. Die Norm sollte somit Verletzungen zu privaten Zwecken nicht erfassen, solange sie ein gewisses Ausmaß nicht überschreiten. Dies sollte auch dann gelten, wenn diese Verletzungen zu privaten Zwecken in bösem Glauben erfolgen. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass bei Verletzungen in nicht gewerblichen Ausmaß ohnehin keine verletzungsbezogenen Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen bestehen, oder umgekehrt keine nicht-gewerbliche Handlung zu privaten Zwecken vorliegt, wenn der Umfang der Verletzung quasi eine Buchführung erforderlich macht. Zum Schutz vertraulicher Informationen bieten sich dieselben Verfahren an, die bereits zu Art. 6 Abs. 1 RL erläutert wurden. Auch ansonsten gelten ausdrücklich die „gleichen Voraussetzungen“ wie bei Art. 6 Abs. 1 RL; insofern kann nach oben verwiesen werden. b) Rechtsfolge Auf der Rechtsfolgenseite sollen die Mitgliedstaaten den Gerichten die Rechtsmacht einräumen, die „Übermittlung“ von „Bank-, Finanz-, oder Handelsunterlagen“ anzuordnen. Auch hier dürfte den Gerichten bei Vorliegen der Voraussetzungen nur ein Ermessen hinsichtlich der Modalitäten der Übermittlung, nicht jedoch hinsichtlich der Übermittlung als solcher zustehen. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum in Absatz 2 von „Übermittlung“ und nicht von „Vorlage“ wie in Absatz 1 die Rede ist. Eine Übermittlung in elektronischer Form kommt nicht in Betracht. Die Wortwahl „Übermittlung“ diente in Art. 7 Abs. 2 RL-V wohl nur der Abgrenzung von der damals noch vorgesehenen „Beschlagnahme“. Auf letztere wird nun ausdrücklich verzichtet, so dass in Absatz 2 wie in Absatz 1 von der Notwendigkeit einer gegenständlichen Vorlage auszugehen ist. Eine solche Anordnung sollte aber, auch wegen des Verzichts auf eine Beschlagnahmemöglichkeit, im Weigerungsfalle nicht unmittelbar zwangsweise, sondern nur mit Hilfe von Beugemitteln durchgesetzt werden. Schließlich sind unter „Bank-, Finanz-, oder Handelsunterlagen“ unter anderem all jene Unterlagen zu verstehen, die über den Umfang, die Beteiligten und die wirtschaftlichen Begleitumstände der Verletzung, jedoch nicht vorrangig über das Vorliegen einer Verletzung als solcher, Auskunft geben.

348 Vgl. Erwägungsgrund 14 der Durchsetzungs-Richtlinie, ABl. L 157 vom 30. 4. 2004, S. 45, 49; siehe schon Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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5. Die Beweisermittlung nach Art. 7 RL Eine Maßnahme nach Art. 7 RL muss schon vor der Erhebung der Verletzungsklage zur Anwendung kommen, und zwar insbesondere dann, wenn mangels genauerer Informationen die Erstellung einer hinreichend individualisierten Klageschrift, einschließlich konkreter Einlassungen zur angeblich verletzenden Ausführungsform, nicht möglich ist. Wie konkret die Vermutungen oder Wahrscheinlichkeiten im Hinblick auf die behauptete Verletzung sein müssen, um eine Maßnahme nach Art. 7 RL auslösen zu können, gilt es insofern zu prüfen. Klar ist, dass eine Verletzung gerade noch nicht feststehen muss, da mit Hilfe dieser Maßnahme gerade erst geklärt werden soll, ob eine solche vorliegt. Art. 7 RL dient somit der Informationsgewinnung und daher nicht nur der Sicherung, sondern auch der Ermittlung bislang unbekannter Beweisstücke349. a) Tatbestandsvoraussetzungen (1) Grundsätzliches Eine Maßnahme nach Art. 7 RL kann im Unterschied zu Art. 6 RL „selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der Sache“ angeordnet werden (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL). Gemeint ist damit eine Anwendung vor Beginn des Verletzungsverfahrens in der Hauptsache. Ob die Maßnahme hierzu prozessual oder materiell umzusetzen ist, ist dadurch nicht vorweggenommen. Beides ist denkbar350. Jedenfalls müssen die ermittelten Informationen bei der Erstellung der Klageschrift verfügbar sein351. Eine Anwendung während des Hauptsacheverfahrens alternativ zu Maßnahmen nach Art. 6 RL ist durch die verwendete Formulierung („selbst“) gerade nicht ausgeschlossen und kann angezeigt sein, wenn Maßnahmen nach Art. 6 RL nicht ausreichen, weil beispielsweise bestimmte Beweisstücke nicht konkret genug bezeichnet werden können. Entscheidend für die Qualifizierung und den Wirkungsgrad einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL ist hier erneut, welche Anforderungen an das Vorbringen der risiko349

Vgl. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738, der ausführt: „nicht nur Sicherung von Beweisen“, sondern „Feststellung einer Schutzrechtsverletzung überhaupt“; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21, 25, vertritt, dass Art. 7 RL die „Beschaffung“ von „unbekannten Beweismitteln“ ermögliche; vgl. auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 f.; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; wohl auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 711. 350 Prozessual könnte ein eigenes Verfahren, vergleichbar dem selbständigen Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO, geschaffen werden. Genauso ist ein materieller Anspruch, durchsetzbar im Wege eines Hauptsacheverfahrens oder im Wege einer einstweiligen Verfügung in Form der Erfüllungsverfügung, denkbar. Vgl. zu den prozessualen oder materiellen Umsetzungsmöglichkeiten unten unter 3. Teil, B. I. 351 Falls die vorher ermittelten Informationen erst während des Hauptsacheverfahrens offengelegt werden sollen, müssten jedenfalls die Anforderungen an die Substantiierung der Klage abgesenkt werden.

336 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

belasteten Partei gestellt werden, damit eine Mitwirkungs- bzw. Duldungspflicht der gegnerischen Partei entstehen kann. Wesentlich sind zwei Aspekte des Vorbringens: Der Tatsachenvortrag zur Darlegung der eigenen Ansprüche sowie die Bezeichnung oder Bezugnahme auf das zur Beweisführung gewünschte Beweisstück. (2) Anforderungen an den Tatsachenvortrag Die Anforderungen an den Tatsachenvortrag gliedern sich wieder in Anforderungen an seine Bestimmtheit und gegebenenfalls Anforderungen an seine Wahrscheinlichmachung. (a) Darlegung des Verletzungsgeschehens Wie auch bei Art. 6 Abs. 1 RL bietet der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL wenige Anhaltspunkte, welche Anforderungen an die Bestimmtheit des Tatsachenvortrags zu stellen sind. Es wird lediglich von einer „Begründung“ der Ansprüche und einer „behaupteten Verletzung“ gesprochen. Diese Auslegungshinweise können jedoch vor allem für die Diskussion um das eventuelle Erfordernis einer Wahrscheinlichmachung der Verletzung nutzbar gemacht werden, weniger für die Frage der Bestimmtheit des Vortrags. Eine Heranziehung der „Best-Practice“-Maßnahmen als Auslegungshinweis fördert nur insofern ein Ergebnis zu Tage als nach dem französischen Institut der „saisie“ ein substantiierter und damit auch ein bestimmter Vortrag nicht erforderlich ist, da es allgemeiner Meinung entspricht, dass diese Maßnahme einen substantiierten Klägervortrag im Verletzungsverfahren gerade erst ermöglichen soll352. Letztlich wird sich die Frage der erforderlichen Bestimmtheit nur anhand des Sinns und Zwecks des Art. 7 Abs. 1 RL und mit Blick auf die typische Informationssituation des Schutzrechtsinhabers beantworten lassen. Art. 7 Abs. 1 RL befasst sich mit einer Situation vor Klageerhebung, in welcher der Schutzrechtsinhaber zwar Indizien für eine Verletzung, jedoch mangels weitergehender verletzungsbezogener Informationen Schwierigkeiten bei der Klageerhebung und dem Beginn eines Verfahrens hat, da er beispielsweise keinen hinreichend präzisen Antrag stellen353 oder die Verletzungshandlung nicht ausreichend beschreiben kann. Insbesondere hat er zwar Anhaltspunkte für eine Verletzung, weiß jedoch nicht, ob tatsächlich eine Verletzung vorliegt oder gar auf welche genaue Weise bzw. durch welche Ausführungsform die Verletzung erfolgt. Viele Einzelheiten sind ihm unbekannt oder er kann entscheidende verletzungsbezogene Einzelheiten nicht so vortragen, dass sie anschließend zulässigerweise Gegenstand einer Beweisaufnahme sein könnten354. Da diese Situation je352 Siehe hierzu oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (3); in der deutschen Rechtstradition würde dies als unzulässige Ausforschung angesehen. 353 Vgl. zu den Anforderungen an den Klageantrag bei unmittelbarer Patentverletzung, BGH, GRUR 2005, S. 569, 569 – „Blasfolienherstellung“; siehe hierzu auch oben unter Einleitung, B. I. 2. 354 Vgl. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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doch typisch und unverschuldet ist, ist der Rechtsinhaber dennoch schutzwürdig. Wenn die Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL vor diesem Hintergrund dazu dient, die Feststellung einer Verletzung und die konkrete Beschreibung der Verletzungsform und somit eine bestimmte Form der Informations- und Beweisermittlung zur Überwindung des aus der Sphärenproblematik folgenden Kenntnisproblems zu ermöglichen, und Art. 7 Abs. 1 RL damit nicht nur die Sicherung von Beweisen hinsichtlich einer präzise beschriebenen Verletzungshandlung355 oder hinsichtlich exakt bezeichneter Beweisstücke zur Überwindung des Verfügbarkeitsproblems bezweckt, muss dies Auswirkungen auf die Anforderungen an die Bestimmtheit des klägerischen Vortrags haben. Das Ziel der Überwindung der vorprozessualen Informationsnot führt insofern zu im Vergleich zu Art. 6 Abs. 1 RL noch etwas geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit: Nachdem der Rechtsinhaber zunächst unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit die Tatsache einer Schutzrechtsverletzung als solche behauptet hat, sollte er zwar die eigentliche Verletzungshandlung soweit wie möglich durch Angabe von Einzelheiten substantiieren, dies fällt ihm in der durch Art. 7 Abs. 1 RL geregelten Situation allerdings schwer. Zudem ist es ihm auch kaum zuzumuten und für den weiteren Verfahrensverlauf ohnehin nicht hilfreich, wenn er als Alternative quasi „ins Blaue“ eine hypothetische, jedoch hinreichend bestimmte Beschreibung einer angeblichen Verletzungshandlung als Arbeitsgrundlage einer Beweisermittlungsmaßnahme abzugeben hätte, wie es der Vorschlag von Mes nahe legt356. Daher schadet es dem Rechtsinhaber im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 RL nicht, wenn er die eigentliche Verletzungshandlung bzw. die angegriffene Ausführungsform nicht konkret beschreiben kann und er hierzu wenige oder keine Einzelheiten vorträgt, so dass sich anhand seines Vortrages die Schlüssigkeit seiner Behauptung gerade noch nicht beurteilen lässt, wie es zur Substantiierung erforderlich wäre357. Das Gericht hat somit vergleichsweise geringe Anforderungen an die Bestimmtheit des Vortrags von ver355 Vgl. auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838. 356 Siehe hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. I. 3.; vgl. auch Stürner, Aufklärungspflicht, S. 120, der von einem „unwürdigen Spiel“ spricht, „ein Märchen zu erzählen, dessen mangelnde Übereinstimmung mit der Wirklichkeit sich alsbald auch dann herausstellt, wenn die Partei [in Bezug auf die Tatsache einer Verletzung als solcher; Anm. d. Verf.] recht behält“. 357 So im Umkehrschluss wohl auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838, wenn er ausführt, dass „die nach Art. 7 der Richtlinie erlangten Informationen [erstmals; Anm. d. Verf.] auch die Beschreibung der konkreten Verletzungsform ermöglichen“ sollen und der Antragsteller „erfahren“ müsse, „wie das Produkt oder Verfahren beschaffen ist, gegen das er sich wegen der Schutzrechtsverletzung wendet“; a.A. wohl Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 25, der mit beachtlichen Argumenten den vorprozessualen Informationsanspruch „restriktiv“ gewähren will und vorprozessuale Maßnahmen, die dazu dienen, den klägerischen Vortrag überhaupt erst schlüssig zu machen ablehnt. Allerdings tritt Haedicke wiederum für eine starke Erweiterung innerprozessualer Aufklärungspflichten nach Art. 6 RL ein und hält in diesem Rahmen einen klägerischen Vortrag für zulässig, der von den hier vertretenen Anforderungen offenbar kaum abweicht (vgl. a.a.O., S. 24).

338 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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muteten Verletzungshandlungen zu stellen, welche sich innerhalb der Sphäre des mutmaßlichen Verletzers abspielen. Daher hat das Gericht gegebenenfalls Informationsbegehren zuzulassen, die zumindest in Bezug auf die angebliche Verletzungshandlung bzw. die verletzende Ausführungsform nach bisherigen Maßstäben von einer Mehrheit in Rechtsprechung und Literatur mangels bestimmten Vortrags als unsubstantiiert oder als unzulässiger Ausforschungsversuch gewertet würden. Bei der Einleitung der vorprozessualen Maßnahme kann somit in Fällen typischer Unkenntnis die Schwelle der Substantiierung in Bezug auf die Bestimmtheit abgesenkt werden und eine allgemeiner gehaltenen Behauptung der Verletzungshandlung ausreichen, sofern in einem zweiten Schritt – wie noch zu zeigen sein wird – zumindest Anhaltspunkte die Behauptung plausibel machen, wie es bereits Stürner vorgeschlagen hat358. Die geringeren Anforderungen an eine Substantiierung der Verletzungshandlung zeigen auch eine Annäherung der Voraussetzungen einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL an die Voraussetzungen der französischen „saisie“359. Wichtiger als ein bestimmter Vortrag der eigentlichen Verletzungshandlung innerhalb der fremden Sphäre scheint es für den Erlass einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL somit zu sein, Indizien und tatsächliche Verdachtsmomente für die Tatsache der Verletzung als solcher vorzutragen, die außerhalb der Sphäre des Gegners sichtbar wurden. Bereits in Bezug auf die innerprozessualen Mitwirkungspflichten der gegnerischen Partei nach Art. 6 Abs. 1 RL wurde vertreten, es könne ausreichend sein, wenn der Schutzrechtsinhaber „in nahe liegender Weise“ vortrage, der Gegner könne seiner betrieblichen Tätigkeit „in wirtschaftlich sinnvoller Weise“ nur unter Verletzung des streitgegenständlichen Schutzrechts nachgehen360. Diese Feststellung leitet über zum nächsten Aspekt des klägerischen Vortrags und der Frage, ob die zitierte Aussage im Rahmen des Art. 7 RL Geltung beanspruchen kann. (b) Vorlage vernünftigerweise verfügbarer Beweismittel in Bezug auf eine behauptete Verletzung: Plausibelmachung Im Hinblick auf die Anforderungen an diesen zweiten Aspekt des klägerischen Vortrags finden sich einige Auslegungshinweise im Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 RL. Wie bei Art. 6 Abs. 1 RL wird von der risikobelasteten Partei die Vorlage „aller vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel“ zur Begründung ihrer Ansprüche verlangt. Die informationsbegehrende Partei hat sich also zunächst aus eigenen Ressour-

358 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. b); sowie Stürner, Aufklärungspflicht, S. 119 ff., der typische Unkenntnis „bei Vorgängen, die sich im Geschäftsbereich des anderen Teils abspielen“ annimmt (S. 120); Stürner, Parteipflichten, ZZP 98 (1985), S. 237, 251 f.; Stürner, Anm. BGH „allg. Aufklärungspflicht“, ZZP 104 (1991), S. 208, 208. 359 Vgl. insofern auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f. 360 So Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24, der allerdings im weiteren Verlauf wieder von einer „Substantiierung“ (S. 24 a.E.) spricht.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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cen nach Kräften selbst zu bemühen361 – die Inanspruchnahme der gegnerischen Partei ist dementsprechend nachrangig –, weiterhin wird deutlich, dass die Inanspruchnahme des Gegners nicht voraussetzungslos ist, sondern eine irgendwie geartete Erhärtung des Verdachts bzw. eine Plausibel- oder gar Wahrscheinlichmachung erfordert. Dennoch beinhaltet dieses Tatbestandsmerkmal auch den Hinweis auf eine Zumutbarkeitsgrenze362 und die Anerkennung eines typischen Kenntnis- und Verfügbarkeitsproblems des risikobelasteten Schutzrechtsinhabers. Insofern kann auf die Ausführungen zu Art. 6 Abs. 1 RL verwiesen werden. Die Vorlage der genannten Beweismittel soll „zur Begründung“ der Ansprüche aus einer Immaterialgüterrechtsverletzung erfolgen. Auffällig ist zunächst, dass im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 RL nicht von einer „hinreichenden“ Begründung dieser Ansprüche die Rede ist. Teilweise wird daraus geschlossen, dass die Norm demzufolge keinen zu erreichenden Grad der Wahrscheinlichkeit festlege363. Zutreffender dürfte es jedoch sein, bereits mit Blick auf das Fehlen des Merkmals „hinreichend“ die Tendenz zu einem im Vergleich zu Art. 6 Abs. 1 RL geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Eine bloß zufällige Übertragung des Wortlautes von Art. 50 Abs. 3 TRIPs liegt jedenfalls nicht vor, da diese Norm die Formulierung „zur Begründung“ nicht kennt. Dort ist vielmehr die Vorlage der Beweismittel nötig, um das Gericht „mit ausreichender Sicherheit“ zu überzeugen. Ein Verständnis des Merkmals „zur Begründung“, welches von einem höheren Grad an Wahrscheinlichkeit bis hin zu einer vollständigen „Begründung“ des Anspruchs zur Herstellung einer gerichtlichen Überzeugung ausgeht, ist sicherlich mit Blick auf die Funktion der Überwindung des vorprozessualen Informationsdefizits ausgeschlossen. Wenn ein voller Beweis bereits zur Einleitung der Maßnahme nötig wäre, wären weitere Maßnahmen überflüssig364. Im weiteren Verlauf wird in Art. 7 Abs. 1 RL von Beweismaßnahmen „hinsichtlich der behaupteten Verletzung“ gesprochen. Das Wort „behaupten“ verweist ebenfalls auf den zweiten Aspekt des klägerischen Vortrags. Wenn der Schutzrechtsinhaber die Tatsache der Schutzrechtsverletzung lediglich zu behaupten hätte, würde dies nach dem Sinngehalt des Begriffs bedeuten, dass er seine Vermutung in keiner Weise wahrscheinlich oder plausibel zu machen hätte. Denn das bloße Behaupten stellt als 361 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739, spricht insofern von einer „ausreichenden Bemühung“. 362 Vgl. zu einer „Grenze des Zumutbaren“ bei Art. 50 Abs. 3 TRIPs bereits v. Hartz, Beweissicherung, S. 57. 363 So Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395; Benkard/Rogge/ Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117c, sind der Ansicht die Festlegung des nötigen Grades an Wahrscheinlichkeit bleibe „dem nationalen Gesetzgeber überlassen“; auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748, trifft zunächst diese Feststellung; im Ergebnis auch v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378. 364 So schon McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 19 zu Art. 6 Abs. 1 RL.

340 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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schlichtes „in den Raum Stellen“ ein deutliches Minus im Vergleich zur Herstellung von Plausibilität oder – weitergehend – Wahrscheinlichkeit dar365. Somit spricht diese Textstelle zumindest nach dem Wortlaut für keine bis geringe Anforderungen an die Untermauerung des Vortrags durch Darlegung von tatsächlichen Anhaltspunkten. Die Formulierung „behauptete Rechtsverletzung“ findet sich zudem bereits in Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs. Diesbezüglich wird vertreten, dass diese Formulierung als Ausdruck von „reduzierten“ Anforderungen zumindest nicht „ohne Bedeutung“ sein könne, da sie sonst nicht bewusst in den Wortlaut dieser Norm aufgenommen worden wäre366. Dies unterstützt die bisher gefundene Interpretation. Wenn man als weiteren Auslegungshinweis die „Best-Practice“-Maßnahmen heranzieht, an denen sich die Maßnahme nach Art. 7 RL orientiert, zeigt sich, dass bei dem Erlass der französischen „saisie“ die Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung überhaupt nicht geprüft wird und nur die Rechtsinhaberschaft nachzuweisen ist367. Dies würde dafür sprechen, die eigentliche Bedeutung des Wortes „behaupten“ tatsächlich ernst zu nehmen. Im Gegensatz dazu wird allerdings bei der anderen „Best-Practice“-Maßnahme, der englischen „search order“, zumindest nominal eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung auf Grund des ersten Anscheins verlangt368. Diese enorme Diskrepanz macht es schwierig, aus der vergleichenden Orientierung an den „Best-Practice“-Maßnahmen eine eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen. Man könnte sich jedoch fragen, ob die Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL möglicherweise mehr zu der einen oder mehr zu der anderen „Best-Practice“-Maßnahme tendiert. Teilweise wird in der Literatur offenbar angenommen, dass die Ausgestaltung des Art. 7 RL in ganz besonderer Weise nach dem „Vorbild“ der „saisie“, insbesondere auch im Hinblick auf die nachgiebige Haltung zur Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung, erfolgte369. Andere nutzen die aufgezeigte Diskrepanz, um 365

Für die Zwecke dieser Arbeit soll davon ausgegangen werden, dass sich folgende Abstufungen des Grades einer Wahrscheinlichkeit ergeben, beginnend mit dem geringsten Grad: Behauptung (schlichtes „in den Raum Stellen“ einer Möglichkeit), Plausibilität bzw. Erhärtung eines Verdachts oder einer Vermutung, Wahrscheinlichkeit (gewisse Wahrscheinlichkeit, überwiegende Wahrscheinlichkeit, erhebliche Wahrscheinlichkeit), voller Beweis (keine vernünftigen Zweifel, richterliche Überzeugung). 366 Vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 59, zu Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs. 367 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (3). 368 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (3). 369 Vgl. hierzu Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f.: (S. 748) „Auf die Wahrscheinlichkeit […] kommt es bei […] [der „saisie“; Anm. d. Verf.] nicht an. […] Die saisie-contrefaÅon ist nach französischem Rechtsverständnis dazu da, die Verletzung nachzuweisen. Es scheint, dass Art. 7 der Richtlinie diese Möglichkeit schaffen will, aber auch für strengere nationale Lösungen offen ist.“ (S. 749) „Hier zeigt sich besonders deutlich, wie das französische Modell der saisie-contrefaÅon bei der Konzeption des Art. 7 Pate gestanden hat. Auch die weiteren Bestimmungen in Art. 7 der Richtlinie entsprechen ganz dem französischen Vorbild.“ Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 162, sieht „vor allem“ die „saisie“ als „Pate“. Unabhängig von der hier zu erörternden Frage kommt Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 227, insgesamt zu dem restriktiven und unzutreffenden Ergebnis, dass das bisherige deutsche Recht richtlinienkonform sei, wenn er im Gegensatz zu Knaak die

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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die „Best-Practice“-Methode insgesamt zu diskreditieren und eine gänzlich autonome und restriktive Auslegung vornehmen zu können370. Sofern man keine Präferenz für das eine oder das andere Vorbild erkennen will, kann man als kleinsten gemeinsamen Nenner mindestens die Schlussfolgerung ziehen, dass beide „Best-Practice“Maßnahmen keine vollständige Darlegung verlangen und die Maßnahme wenigstens der Ermittlung neuer verletzungsbezogener Informationen dient, um zu einem höheren Überzeugungsgrad zu gelangen. Ein sinnvoller Mittelweg wäre sicherlich, vom Antragsteller die Darlegung gewisser Anhaltspunkte zu verlangen. Angesichts der aufgezeigten Diskrepanz ergibt sich aus den „Best-Practice“-Maßnahmen jedenfalls kein zwingendes Ergebnis, so dass weitere Auslegungskriterien heranzuziehen sind. In Art. 3 Abs. 1 und 2 RL sind so genannte „allgemeine Verpflichtungen“ statuiert, welche als zusätzlicher Auslegungshinweise anzusehen sind, da – wie gezeigt – jedes Merkmal der Beweismaßnahmen im Lichte dieser Anforderungen auszulegen ist371. Nach Art. 3 Abs. 2 RL wäre dann auch die Frage einer möglichen Plausibel- oder Wahrscheinlichmachung des Verletzungsvortrages auf der Tatbestandsseite der Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Gesamtmaßnahme zu betrachten. Für eine entsprechende Auslegung auch der Tatbestandsmerkmale spricht zudem, dass vorprozessual nur tatsächliche Indizien für eine Rechtsverletzung durch die potentiellen Adressaten einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL sprechen und noch kein Prozessrechtsverhältnis besteht. Ergebnis der vorprozessualen Beweismaßnahme und des folgenden Prozesses könnte auch sein, dass es sich bei dem Adressaten um einen Rechtstreuen handelt, welcher vorprozessual Zwangsmaßnahmen ausgesetzt war372. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne würde insofern dafür streiten, die Anforderungen an den tatsächlichen Vortrag höher, jedenfalls nicht zu niedrig, anzusetzen, um Irrtümer zahlenmäßig zu begrenzen bzw. nur in begründeten Fällen Maßnahmen einzuleiten. In der Literatur wurde teils explizit zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, teils als Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Interessen oder grundsätzlicher Überlegungen zur Herleitung einer Mitwirkungspflicht der nicht-risikobe„saisie“ in seine Betrachtungen überhaupt nicht einbeziehen und gänzlich auf das englische Vorbild abstellen. Kritisch ist auch anzumerken, dass Battenstein auch den Wortlaut von Art. 7 RL nicht hinreichend würdigt. Allerdings hätte auch die vorgenommene unzutreffende Gleichsetzung von „search order“ und Richtlinie nicht zu dem genannten Ergebnis einer Richtlinienkonformität führen dürfen. 370 Vgl. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301, die zwar die Begründung des Richtlinien-Vorschlages zur Kenntnis nehmen, jedoch in der Entstehungsgeschichte und den Erwägungsgründen der verabschiedeten Richtlinie keinen Hinweis auf die „Best-Practice“-Maßnahmen erkennen können und auch aus diesen Gründen für eine autonome, restriktive Auslegung der Richtlinie plädieren. 371 Vgl. oben unter 2. Teil, C. II.; für eine Auslegung im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 32. 372 Für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit und eine „Unschuldsvermutung“ als „Grundlage eines fairen Verfahrens“ Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 808, seinen restriktiven Schlussfolgerungen kann jedoch nicht zugestimmt werden.

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lasteten Partei und teils zuvor aus Anlass einer Untersuchung spezifischer Tatbestandsmerkmale des Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs ein sogenanntes „Stufenmodell“ zur Diskussion gestellt373. Danach wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen den Anforderungen an den Tatsachenvortrag auf der Tatbestandsseite und der Reichweite der zu duldenden Eingriffe auf der Rechtsfolgenseite. Dieses Modell ist für die hier gestellte Frage insofern von Bedeutung, als insbesondere an den Grad der Wahrscheinlichkeit der mutmaßlichen Rechtsverletzung angeknüpft wird. Dem Modell liegt letztlich die Überzeugung zu Grunde, dass im Prinzip nur ein vertragliches oder deliktisches Schuldverhältnis Mitwirkungspflichten der nicht-risikobelasteten Partei begründen kann. Der – idealtypisch – Rechtstreue, der eindeutig keine Rechtsverletzung begangen hat, schuldet eigentlich keine Mitwirkung. Je mehr sich das Verhältnis zweier beziehungsloser Parteien jedoch zu einem deliktischen Verhältnis zu verdichten scheint, desto eher ist der nicht-risikobelasteten Partei dementsprechend ein Aufklärungsbeitrag zumutbar. Wenn ein vager Verdacht zu einer Wahrscheinlichkeit und weiter zu einer erheblichen Wahrscheinlichkeit anwächst, nimmt somit die „Pflichtigkeit“ der nicht-risikobelasteten Partei zu und die Berechtigung entgegenstehender Interessen ab374. Daraus wird gefolgert, „je eindeutiger eine Schutzrechtsverletzung feststehe“, desto eher und desto umfangreicher könne die Aufklärungspflicht entstehen375. Die in Beziehung stehenden Abstufungen sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite sollen die Aufklärungsmaßnahme insgesamt als verhältnismäßig erscheinen lassen376. Die Anforderungen an die Untermauerung bzw. Wahrscheinlichmachung des Vortrags des Schutzrechtsinhabers bestimmen sich danach nach der Tiefe der Eingriffe in die Sphäre des Gegners, die der Schutzrechtsinhaber konkret beantragt. Gerade im Hinblick auf die zutreffende Feststellung einer zunehmenden Pflichtigkeit bei zunehmender Wahrscheinlichkeit erscheint das Stufenmodell zunächst sehr einleuchtend. Ebenso scheinen die vorgenommenen Abstufungen sowohl den Infor373 Zu Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 60 f.; zur Durchsetzungs-Richtlinie vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 24; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378; zuvor schon Lüderitz, Ausforschungsverbot, S. 29; ähnlich auch Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682; ähnlich Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 856. 374 Vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24. 375 Zu Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 60; vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22; sowie v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378; zuvor schon Lüderitz, Ausforschungsverbot, S. 29, bezogen auf den erforderlichen Substantiierungsgrad; ähnlich KunzHallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR, GRUR 2003, S. 682, 682, „besonders einschneidende Rechtsfolgen“ sind an „tatbestandliche Voraussetzungen“ zu knüpfen, „die die Schwere der Verletzung zum Ausdruck bringen“; ähnlich Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 856. 376 Vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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mationsinteressen als auch und gerade dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen. Allerdings kann auch dieses Modell die entscheidende Frage, welcher Grad der Wahrscheinlichmachung auf einer ersten Stufe als Mindestanforderung anzusehen ist, nicht aus sich heraus beantworten. Vertreter des Stufenmodells haben mit Blick auf andere Auslegungshinweise und unabhängig von Art. 7 Abs. 1 RL teilweise eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ausreichend erachtet377. Gravierender ist jedoch, dass die Vornahme von Abstufungen zwar theoretisch überzeugen kann, jedoch nicht unbedingt mit den anfänglichen Aufklärungsmöglichkeiten des Schutzrechtsinhabers in Einklang zu bringen ist. Auch ein Schutzrechtsinhaber, der für seinen Verdacht nur einen einzigen tatsächlichen Anhaltspunkt dartun und daher möglicherweise für sein Anliegen nicht einen gesteigerten Grad an Wahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen kann, kann genauso schutzwürdig sein, wie ein Schutzrechtsinhaber, dem dies aus möglicherweise zufälligen Umständen besser gelingt. Auch ersterem sollte – solange er wenigstens ein nicht zu hoch anzusetzendes Mindestmaß erreicht – in diesem Fall die ganze Bandbreite der Rechtsfolgen zur Verfügung stehen, so dass eine echte Möglichkeit besteht, die vermutete Verletzung aufzuklären, solange sein Informationsdefizit typisch und unverschuldet erscheint und sein Verdacht auf mindestens einer Tatsache beruht. Denn Art. 7 Abs. 1 RL scheint gerade auch den Schutz dieses Rechtsinhabers zu bezwecken. Wenn von Vertretern des Stufenmodells erkannt wird, dass am Beginn der Rechtsdurchsetzung häufig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung noch gering ist, wird die Lösung teilweise in „mehrfach gestuften“, „wiederholten“ Besichtigungen gesehen. Danach sollen bei noch geringer Wahrscheinlichkeit „zur ersten Ermittlung des Sachverhalts […] erste, zunächst noch tastende Versuche“ unternommen werden. Wenn sich hierbei „weitere Anhaltspunkte […] ergeben haben“ und die Wahrscheinlichkeit steige, könne „im Zuge […] unter Umständen mehrfach wiederholter Besichtigungen […] in immer stärkerem Maße“ bei den Besichtigungen in die Sphäre des Gegners eingegriffen werden378. Auch dieses Modell erscheint zunächst sehr überzeugend. Obwohl sichergestellt wird, dass an die schwierige Informationslage des Schutzrechtsinhabers angeknüpft wird und dennoch intensive Eingriffe nur bei dann gesteigerter Wahrscheinlichkeit erfolgen, mangelt es dem Modell jedoch an Praxistauglichkeit: Die Notwendigkeit mehrfacher Besichtigungen führt erneut zu extrem langwierigen Verfahren und lädt zu Beweismanipulationen geradezu ein. Im Ergebnis sind daher bereits bei Erreichen einer noch zu bestimmenden Mindestanforderung an die Wahrscheinlichmachung dem Schutzrechtsinhaber sämtliche zulässige Rechtsfolgen zur Verfügung zu stellen, so dass die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme vorrangig durch Berücksichtigung auf der Rechtsfolgenseite zu gewährleisten ist, insbesondere durch Verfahren zum Schutz von Integritäts- und Geheimhaltungsinteresse, und nicht durch gegebenenfalls zu hohe Anforderungen an den Überzeugungsgrad auf der Tatbestandsseite; zumindest, wenn die entgegenstehenden In377 378

Zu Art. 50 Abs. 1 b), Abs. 3 TRIPs vgl. v. Hartz, Beweissicherung, S. 62. Vgl. zu § 809 BGB Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 856.

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teressen auf andere Weise vollständig gewahrt werden können, die Gewähr gegen Missbrauch gegeben ist und der Eingriff in die fremde Sphäre die einzige verbleibende Möglichkeit ist, die vermutete Verletzung aufzuklären. Entsprechend dieser Zielsetzung sind die Anforderungen auf der Tatbestandsseite auch unter dem Auslegungskriterium der „Wirksamkeit“ (vgl. Art. 3 Abs. 2 RL) zu betrachten. Die Tatbestandsvoraussetzungen wären danach so auszulegen, dass die Maßnahme uneingeschränkt geeignet ist den mit ihr verfolgen Zweck zu erreichen379. Wenn die Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL dazu dient, vor Klageerhebung ein vermutete Rechtsverletzung aufzuklären und nicht nur Beweise für eine bereits bekannte Rechtsverletzung zu sichern380, müssen die Tatbestandsvoraussetzungen folglich so formuliert werden, dass ein Schutzrechtsinhaber in einer solchen Informationssituation sie regelmäßig erfüllen kann. Der Aufklärungszweck kann nur erreicht werden, wenn nicht verlangt wird, bereits das darzulegen, was der Schutzrechtsinhaber eigentlich zunächst aufklären wollte. Wäre er in der Lage eine Sachverhaltsdarstellung vorzulegen, die keine Zweifel lässt, würde er die Rechtsdurchsetzung sofort mit der Verletzungsklage beginnen und die Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL wäre nicht erforderlich. Auch in der Literatur wird unter Heranziehung des Merkmals der „Wirksamkeit“ bereits auf Tatbestandsseite gefordert, „die Anforderungen nicht zu überspannen“381. Zutreffend ist die Frage, was der Schutzrechtsinhaber dartun muss, um seinen Verletzungsvortrag zu untermauern, und welchen Überzeugungsgrad er dadurch erreichen muss, nur zu beantworten, wenn anerkannt wird, dass Art. 7 Abs. 1 RL hinsichtlich verletzungsbezogener Beweismittel nicht nur ein Verfügbarkeitsproblem lösen will, sondern ein sphärenbedingtes Kenntnisproblem hinsichtlich verletzungsbezogener Informationen insgesamt. Autoren, die sich in diesem Sinne sowohl an der bereits beschriebenen Situation typischer Informationsnot, als auch an dem – hier vertretenen – Zweck des Art. 7 As. 1 RL zu orientieren scheinen, sprechen in Bezug auf den Überzeugungsgrad offenbar bewusst nicht von einer – gewissen oder erheblichen – „Wahrscheinlichkeit“ einer Rechtsverletzung. Ahrens verwendet mehrfach die Formulierung „Verdacht“, wenn er beispielsweise vertritt, durch die „Beweisermittlung“ solle der „Verdacht […] erhärtet oder ausgeschlossen werden“382, oder die „Beweisermittlung“ basiere auf der „bloßen Behauptung einer Rechtsverletzung, […] die sich auf glaubhaft gemachte Verdachtsmomente stützt“383. In seinem konkreten Gesetzesgebungsvorschlag zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 RL gebraucht er zwar den Begriff „Wahrscheinlichkeit“, ebenso kommt im Wortlaut der vorgeschlagenen Norm jedoch

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Vgl. oben unter 2. Teil, C. II. 2. Vgl. hierzu sogleich. 381 v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378. 382 Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838. 383 Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839. 380

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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auch die Formulierung „zur Klärung des Verdachts“ und „Verdachtsmomente“ vor384. Tilmann stellt fest, dass Art. 7 RL zwar eine ausreichende eigene Bemühung, nicht jedoch notwendigerweise eine Wahrscheinlichkeit der Verletzung voraussetze. Daher solle im Umsetzungsgesetz in ausdrücklicher Weiterentwicklung der BGHEntscheidung „Faxkarte“ nicht eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“, sondern lediglich ein „hinreichender Verdacht“ gefordert werden385. Dies wird von anderen Autoren teilweise sehr kritisch gesehen, die zumindest die Rechtsfolge der „Durchsuchung […] auf Grund eines bloßen Verdachts“ für „schlechterdings unangemessen halten“386 oder mit Verweis auf das „Verbot des Ausforschungsbeweises“ mindestens das Erfordernis einer „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ verlangen387. Wieder andere nehmen eine vermittelnde Position ein, wenn sie einerseits darauf verweisen, dass durch die Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL die Frage der „Sonderrechtsbeziehung“ „erst geklärt“ werden solle, andererseits der „vorprozessuale Informationsanspruch“ grundsätzlich „restriktiv zu gewähren“ sei und sich die „besondere Pflichtigkeit“, die den Informationsanspruch rechtfertigen kann, aus bestimmten tatsächlichen Umständen ergeben müsse. Daher müsse die Schutzrechtsverletzung „nahe liegend“ erscheinen388. Sinnvoll dürfte es sein, sich auf der Tatbestandsebene konsequent an der Situation typischer Informationsnot des außerhalb der fremden Sphäre stehenden Schutzrechtsinhabers und des – hier vertretenen – Sinns und Zwecks des Art. 7 Abs. 1 RL, nämlich der Überwindung dieser Informationsnot, zu orientieren. Die Untermauerung des Vortrags einer Schutzrechtsverletzung kann insofern noch nicht dazu dienen, eine gesteigerte Pflichtigkeit darzutun, die bereits nahe am Feststehen der Schutzrechtsverletzung liegt. Vielmehr hat der Schutzrechtsinhaber alle tatsächlichen Anhaltspunkte für die Verletzung darzutun, die sich außerhalb der Sphäre des mutmaßlichen Verletzers auffinden lassen. Dabei hat er einen Überzeugungsgrad zu erreichen, der zwar höher anzusiedeln ist als bei einem bloßen Behaupten nach Art der französischen „saisie“, jedoch niedriger als bei einer Wahrscheinlichkeit im eigent-

384

Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839 f. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; siehe zum Überzeugungsgrad der „gewissen Wahrscheinlichkeit“ entsprechend der BGH-Entscheidung „Faxkarte“ ausführlich oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (5). 386 So Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395, der eine „weite Auslegung“ „mit Blick auf den Wortlaut durchaus“ für berechtigt hält, darin aber einen „unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte“ des Gegners sieht. 387 Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300 f.; kritisch auch Franz, TRIPS plus, ZUM 2005, S. 802, 808. 388 So Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 25, der allerdings in Bezug auf Art. 6 RL das Nahe-Liegen aus tatsächlichen Umständen schließt, die aus dem Vortrag folgen können, eine bestimmte Vorrichtung könne „nur unter Verwendung des Klagepatents in wirtschaftlich sinnvoller Weise“ hergestellt werden (S. 24). 385

346 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

lichen Sinne389 oder gar einer erheblichen Wahrscheinlichkeit nach Art der englischen „search order“. Man könnte somit von der Plausibelmachung eines Verdachts oder einer gesteigerten Möglichkeit sprechen. Die Plausibilität390 muss jedoch auf mindestens einer echten, beweisbaren Tatsache beruhen, an die der Verdacht angeknüpft wird, und nicht nur auf Mutmaßungen „ins Blaue hinein“. Im Fokus steht somit die Frage, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Schluss auf eine Verletzung plausibel erscheinen lassen, nicht das Erreichen eines feststehenden Wahrscheinlichkeitsgrades. Fehlt jedoch ein konkretes, tatsächliches Anzeichen liegt eine unzulässige völlig willkürliche Behauptung nahe. Nach Stürner ist die Plausibilitätskontrolle insofern auch „Mittel der Selbstkontrolle“, denn wer einer „reduzierten Substantiierungslast“ nicht gerecht werden könne, habe sich wohl „in fixe Ideen verbissen“ und tue gut daran „in eigenem Interesse von unnützen Streitereien abzulassen“391. Nach der hier vertretenen Ansicht dient die Plausibelmachung damit weniger der Wahrscheinlichmachung einer Sonderrechtsbeziehung als vielmehr der Missbrauchsabwehr. Der Informationsschuldner soll jedenfalls vor einer Inanspruchnahme aufgrund von haltlosen Spekulationen ohne konkretes tatsächliches Anzeichen geschützt werden, welche nahe legt, dass sie nur der versuchten Ausspionierung eines Wettbewerbers dient. Zwar kann man über die Verletzung als solche sicher haltlose Mutmaßungen anstellen, einen tatsächlichen Anhaltspunkt wider besseres Wissen darzutun, fällt jedoch schwer392. Für eine solche Lösung streiten – wie gesehen – der Wortlaut393, der Sinn und Zweck, das Kriterium der Wirksamkeit und auch die Orientierung an den „Best-Practice“-Maßnahmen, jedenfalls wenn man eine größere Nähe zur französischen „saisie“ annimmt394. Die Annahme niedrigerer Anforderungen an den Überzeugungsgrad sieht sich jedoch dem Vorwurf der Ausforschung und fehlender Verhältnismäßigkeit ausgesetzt395. Dies kann allerdings entkräftet werden: Ein gewisses Maß an Ausforschung kann im Einzelfall gerechtfertigt sein. Gemeint ist hier nicht ein wahlloses Ausspionieren auf Basis von aus der Luft gegriffenen Spekulationen, sondern reduzierte Anforderungen an die nach bisherigen Maßstäben erforderliche Substantiierung mit der Folge der Zulässigkeit einer Beweisermittlungsmaßnahme, die ein „ausforschendes Element“ beinhaltet. Dies steht unter zwei Bedingungen: Erstens muss zunächst generalisierend betrachtet ein Fall typischer Informationsnot der risikobe389 Wenn also das Bestehen des Anspruchs zwingend wahrscheinlicher sein muss als das Nicht-Bestehen. 390 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, S. 123: „Plausibilität besteht in einem sehr niedrigen Wahrscheinlichkeitsgrad“. 391 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, S. 126. 392 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, S. 126. 393 Dies räumt auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395, ein. 394 So wohl Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f. 395 Vgl. z. B. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300 f.; Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lasteten Partei vorliegen. Dies ist hier gegeben. Weiterhin muss der Zweck des Substantiierungserfordernisses und des Ausforschungsverbotes betrachtet werden. Nach der hier vertretenen Auffassung folgt es weniger aus dem Beibringungsgrundsatz und ist keinesfalls Selbstzweck, sondern dient sowohl der Ermöglichung einer Plausibilitätskontrolle, um die Beteiligten vor einem Missbrauch des Verfahrens und Belästigungen durch einen Prozess aufgrund haltloser Spekulationen zu schützen, als auch aus grundsätzlichen Überlegungen dem Schutz der fremden Geschäfts- und Privatsphäre vor fremden Einblicken und damit dem Schutz von Betriebsgeheimnissen396. Gewisse Relativierungen des Ausforschungsverbotes können dann ausnahmsweise hingenommen werden, wenn diese Zwecke auch auf andere Weise erreicht werden können. Hier wird zur Plausibelmachung ein tatsächlicher Anhaltspunkt verlangt. Wichtiger – und damit die zweite oben geforderte Bedingung – ist jedoch, dass die fremde Geschäfts- und Privatsphäre jedenfalls wirksam gegen den Verlust von schutzwürdigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geschützt wird. Statt durch hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit und die Ablehnung auch ausforschender Elemente sollte die Unversehrtheit der fremden Sphäre durch einen deutlich verbesserten Geheimnisschutz gewährleistet werden397. Insofern Ausforschungsverbot und Geheimnisschutz teilweise ähnlichen Zwecken dienen, kann ein verstärkter verfahrensmäßiger Geheimnisschutz das Ausforschungsverbot in Teilen vertreten und zumindest ausforschende Elemente rechtfertigen. Während strenge Anforderungen auf der Tatbestandsseite den Informationssuchenden gegebenenfalls gänzlich den Rechtsschutz verwehren, können Maßnahmen des Geheimnisschutzes auf der Rechtsfolgenseite die widerstreitenden Interessen des Informationssuchenden und des Informationsschuldners unter Umständen besser in Einklang bringen. Maßnahmen des Geheimnisschutzes können auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gewährleisten, welche durch hier geforderte niedrige Anforderungen an den erforderlichen Überzeugungsgrad in Gefahr scheint. (3) Sinn und Zweck der Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL: Beweisermittlung oder Beweissicherung? Bereits mehrfach ist bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen mit dem Sinn und Zweck des Art. 7 Abs. 1 RL argumentiert worden. Um die gefundenen Ergebnisse zu bestätigen und Hinweise für die Auslegung weiterer Tatbestandsmerkmale zu erhalten, soll hier nun eine detailliertere Auseinandersetzung mit dieser durchaus umstrittenen Thematik erfolgen. Teilweise wird – wie auch hier vertreten – in unterschiedlicher Ausprägung davon ausgegangen, Art. 7 Abs. 1 RL diene der Beschaffung und insbesondere auch der Er-

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Vgl. oben unter Einleitung, B. I. 3. A.A. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301, die gerade das umgekehrte Modell vertreten. 397

348 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

mittlung neuer und anfänglich noch unbekannter Beweisstücke398. Andere wiederum sind restriktiver der Auffassung, Art. 7 Abs. 1 RL erlaube nur die Sicherung bestimmter Beweismittel399. Für die restriktive Auffassung wird zunächst die Überschrift des Art. 7 RL („Maßnahmen zur Beweissicherung“), ein Textabschnitt des Art. 7 Abs. 1 RL, in dem es lautet „Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel“ sowie der Wortlaut der übrigen Absätze des Art. 7 RL, in denen jeweils von „Maßnahmen zur Beweissicherung“ die Rede ist, angeführt400. Ein „lediglich sichernder Zweck“ ergebe sich zudem aus Art. 7 Abs. 1 S. 3 RL, wonach eine Maßnahme nach Art. 7 RL ohne Anhörung nur ergehen dürfe, „wenn“ die Gefahr eines irreversiblen Schadens oder die nachweisliche Gefahr der Beweismittelvernichtung bestehe401. Teilweise beruht die Annahme einer bloßen Beweissicherungsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 1 RL auch auf einem grundsätzlich anderen Verständnis des Verhältnisses von Art. 6 RL zu Art. 7 RL. Während hier vertreten wird, dass Art. 6 und 7 RL nicht nur zeitlich einen anderen Anwendungsbereich haben, sondern auch unterschiedliche Informationssituationen – d. h. unterschiedliche Ausmaße der Informationsnot – und damit zwei unterschiedliche Hauptansprüche regeln402, geht die abweichende Auffassung offenbar davon aus, dass es sich bei Art. 6 RL um den eigentlichen und einzigen Hauptanspruch auf Beweismittelvorlage handelt: Die Richtlinie differenziere zwischen einem Vorlageanspruch und der Sicherung „dieses“ Anspruchs im Wege des einstweiligen Verfahrens zur späteren Nutzung im Hauptsacheverfahren. Art. 7 RL sehe nur diese einstweilige Sicherung der Beweismittel vor, regele jedoch keinesfalls die Zugänglichmachung der Beweisstücke an den Antragsteller zur (vorprozessualen) Prüfung des tatsächlichen Bestehens eines Verletzungsanspruchs. Die Vorlage der Beweisstücke könne nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 im Hauptsacheverfahren403 erfolgen404. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses wird zudem mo398 Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 f.; Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737, 738; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; wohl auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 711. 399 Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300; Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395; wohl auch v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378. 400 Vgl. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300. 401 Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300. 402 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 1.; wie hier z. B. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748. 403 Unklar bleibt, ob es sich nach dieser Ansicht hierbei um das Verletzungshauptsacheverfahren handeln soll, oder ob nur die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens über den Vorlageanspruch im Sinne des Verbotes der Erfüllungsverfügung festgeschrieben werden soll. 404 So Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300 f.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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niert, eine vorprozessuale Beweisermittlung verstoße gegen das Verbot der Erfüllungsverfügung und das Verbot des Ausforschungsbeweises405. Andere räumen zwar ein, dass der Wortlaut des Art. 7 RL die erstmalige Feststellung einer Schutzrechtsverletzung und die Sicherstellung nicht näher konkretisierten, rechtserheblichen Beweismaterials durchaus zulasse. Allerdings sei diese „weite Auslegung“ unverhältnismäßig. Im Übrigen sei es sinnwidrig, wenn eine Maßnahme im Verletzungsprozess nach Art. 6 RL engeren Voraussetzungen unterliege – gemeint ist damit wohl das Fehlen eines Bezeichnungserfordernisses nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 RL406 – als eine Maßnahme nach Art. 7 RL außerhalb des Verletzungsprozesses407. Das „Schweigen“ des Richtliniengebers in Bezug auf das Bezeichnungserfordernis wird daher als Einräumung eines Gestaltungsspielraumes der Mitgliedstaaten verstanden408. Diese Auffassung erkennt jedoch nicht die tatsächliche Konzeption des Art. 7 Abs. 1 RL, welche an bisherigen deutschen Maßstäben gemessen neuartig ist bzw. geradezu einen Paradigmenwechsel darstellt. Sicherlich wird im Wortlaut des Art. 7 RL der Begriff „Beweissicherung“ verwendet. Der Begriff Sicherung schließt jedoch keinesfalls aus, dass die relevanten Beweisstücke zunächst ermittelt und anschließend sichergestellt werden409. Der Wortlaut bietet zudem weitere Auslegungshinweise: Am auffälligsten ist, dass zwar in Art. 6 RL ausdrücklich die Bezeichnung der vorzulegenden Beweisstücke gefordert wird, in Art. 7 RL dieses Bezeichnungserfordernis jedoch gerade fehlt410. Zwar könnte argumentiert werden, dass dieser Auslassung keine besondere Bedeutung zukomme, da Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL sich lediglich stark an dem Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 lit. b) sowie Abs. 3 TRIPs orientiere und auch dort in Abweichung von Art. 43 Abs. 1 TRIPs von einem Bezeichnungserfordernis keine Rede ist, ohne dass diese Abweichung dort von der Literatur bisher in besonderer Weise gewürdigt worden wäre411. Anders als bei Art. 43 Abs. 1 und Art. 50 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 TRIPs folgen die Art. 6 Abs. 1 S. 1 und Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL allerdings direkt aufeinander und sind in den Tatbestandsvoraussetzungen 405 Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301. 406 Siehe hierzu sogleich. 407 Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395. 408 So Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378, will „über den eigentlichen Besichtigungsgegenstand hinaus Beweismittel sichern lassen“, fordert aber zur Verhinderung einer „Ausforschung“ diese im Antrag „hinreichend konkret“ aufzuführen. 409 Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21, spricht von „ermittelt und sichergestellt“. 410 Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21; dies stellt auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395 fest. 411 Vgl. nur Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 319, der sogar davon ausgeht, dass bei Art. 50 TRIPs „bestimmte Beweismittel“ „benannt werden“ müssen und insofern „nichts anderes gelten kann“ als bei Art. 43 Abs. 1 TRIPs.

350 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

fast parallel formuliert, so dass die Diskrepanz hinsichtlich des Bezeichnungserfordernisses zu sehr ins Auge springt, um auf gesetzgeberischem Zufall oder der schlichten textlichen Übernahme von Art. 50 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 TRIPs zu beruhen. Mit Art. 7 RL wird anders als bei Art. 50 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 TRIPs im Verhältnis zu Art. 43 Abs. 1 TRIPs ausweislich der Bezugnahme auf die „Best-Practice“-Maßnahmen ein gänzlich eigenständiges Konzept verfolgt. Wenn die Auslassung durch den Richtliniengeber daher absichtsvoll erfolgt, legt dies nahe, dass dieser davon ausgeht, der Schutzrechtsinhaber habe in der Situation des Art. 7 RL weniger verletzungsbezogene Kenntnisse als in der Situation des Art. 6 RL und könne die entscheidenden Beweisstücke gar nicht individuell bezeichnen. Wenn er folglich das Bezeichnungserfordernis erlässt – bestimmte Beweisstücke wären somit nicht oder zumindest weniger konkret zu bezeichnen – erlaubt er noch unbekannte, in der fremden Sphäre befindliche Einzelstücke in noch festzulegenden Grenzen zu ermitteln, bevor sie gesichert werden. Aufgrund des Unterschieds im Bezeichnungserfordernis wird deutlich, dass Art. 6 RL ein Verfügbarkeitsproblem lösen soll, während Art. 7 auch ein Kenntnisproblem löst. Für den weitergehenden Zweck der Informations- und Beweisermittlung spricht auch die von der abweichenden Auffassung zitierte Textstelle „zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel“412, wenn man die Betonung von „Sicherung“ auf „rechtserheblich“ verschiebt und die Textstelle mit der entsprechenden Textstelle des Art. 6 RL vergleicht, wo es heißt „die […] Gerichte [können] auf Antrag einer Partei, die […] Beweismittel […] bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel […] anordnen […]“413. Hierdurch verändert sich der scheinbar eindeutige Sinngehalt: Bei Art. 7 RL können die „rechtserheblichen“ Beweismittel gesichert und gegebenenfalls zuvor ermittelt werden, während bei Art. 6 diese, also nur die bezeichneten, also bereits bekannten Beweismittel vorzulegen sind. Möglicherweise könnte man jedoch tatsächlich von einer Beschränkung der Gesamtmaßnahme auf Sicherung und Beweismittelschutz ausgehen, wenn eine Anordnung ohne Anhörung nach dem Wortlaut wirklich von der Gefahr der Beweismittelvernichtung abhinge. Entgegen dem Zitat der Gegenauffassung lautet die entsprechende Textstelle jedoch nicht „wenn“414, sondern „insbesondere dann, wenn“ (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 3 RL). Der Richtlinienvorschlag zu Art. 7 RL (= Art. 8 RLV) sah für ex-parte-Maßnahmen noch das Erfordernis der Beweismittelvernichtungsgefahr vor („wenn“)415. In der verabschiedeten Richtlinie wird auf dieses Erfordernis jedoch gerade verzichtet und die genannte Formulierung gewählt416. Möglicherweise 412

Vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 1, Hervorhebungen durch den Verfasser. Vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1, Hervorhebungen durch den Verfasser. 414 So jedoch Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300. 415 Vgl. Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, S. 1,; so auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748. 416 Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300, räumen in 413

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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hat man erkannt, dass dieses Erfordernis, selbst wenn es auf ex-parte-Maßnahmen beschränkt war, zu unzutreffenden Schlussfolgerungen in Bezug auf den Zweck des Art. 7 RL führen könnte. Die in den Verzicht mündende Entstehungsgeschichte und die Formulierung als bloßes Regelbeispiel einer besonderen Eil- oder Überraschungsbedürftigkeit zeigen deutlich, dass Art. 7 RL durchaus weit verstanden werden soll417. Für den Zweck der Beweisermittlung sprechen schließlich die laut Begründung des Richtlinienvorschlags zur Orientierung bei Art. 7 RL heranzuziehenden „BestPractice“-Maßnahmen418. Sowohl die englische „search order“ als auch die französische „saisie“ unterscheiden sich von anderen Beweismittelvorlageinstrumenten dadurch, dass es sich jeweils um echte Beweisermittlungsmaßnahmen handelt. Das heißt, die Gegenstände, die von den Maßnahmen erfasst sein sollen, sind zwar vom Antragsteller zu identifizieren. Damit ist jedoch nicht die individuelle Identifizierung eines Einzelstückes im Sinne einer Bezeichnung gemeint. Zu erfassende, streiterhebliche Gegenstände können allgemeiner umschrieben werden. Die Identifizierung von konkreten Einzelstücken als streiterheblich, als von der allgemeinen Umschreibung im Antrag und damit als von der erlassenen Beweismaßnahme erfasst, erfolgt vor Ort419. Der Verzicht auf das Bezeichnungserfordernis und verschiedene Auslegungsansätze weisen somit daraufhin, dass Art. 7 Abs. 1 RL über die Sicherstellung eines konkret bezeichneten Beweisstücks hinausgeht. In festzulegenden Grenzen scheint es zulässig, auf seiner Grundlage nicht näher konkretisierte, aber streiterhebliche Beweisstücke ermitteln und suchen zu lassen420. gewisser Weise ein, dass eine Maßnahme, die „nicht mehr die nachweisliche Gefahr der Beweismittelvernichtung“ voraussetzt „als allgemeiner Beweisermittlungsanspruch im einstweiligen Verfügungsverfahren angesehen werden“ könnte. 417 Vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748: „Anwendungsbereich erheblich ausgeweitet“. 418 Vgl. Richtlinien-Vorschlag vom 30. 1. 2003, KOM (2003), 0046 endgültig, S. 1, 22; als Argument für den Beweisermittlungszweck vgl. auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21 f.; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f. 419 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (4) sowie b) (4). 420 Vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 164, sieht die Möglichkeit einer „Durchsuchung zur Sicherung dabei erst vorgefundener Beweismittel“; so wohl auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 f., wenn er die BGH-Entscheidung „Kontrollbesuch“, nach der es nicht zulässig ist, Durchsuchungen vornehmen zu lassen, um zu prüfen, ob der Gegner möglicherweise im Besitz schutzrechtsverletzender Ware ist, als „Stolperstein einer effektiven Durchsetzung des § 809 BGB“ bezeichnet und für die Richtlinien-Umsetzung „Durchsuchungen“ für notwendig hält, wenn das Sachsubstrat einer Verletzung „zunächst einmal ausfindig gemacht werden muss“; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21, 26, spricht von „ermitteln“ und fordert nicht die konkrete Bezeichnung eines Einzelstücks, sondern dass „die gewünschten Beweismittel ihrer Art nach [Hervorhebung d. Verf.] eindeutig genannt werden“, „Hausdurchsuchungen“ seien jedoch nur bei drohender Beweismittelmanipulation zulässig.

352 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Wie nun diese Beweisermittlung durch bestimmte Anforderungen an eine offener formulierte Bezugnahme im Antrag begrenzt werden kann, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, den gefürchteten „fishing expeditions“ Tür und Tor zu öffnen, soll Gegenstand des nächsten Abschnitts sein. (4) Anforderungen an eine Bezugnahme zur Eingrenzung zu ermittelnder Beweisstücke Wie bereits erläutert, ist es neben dem Erfordernis eines bestimmten und substantiierten Verletzungsvortrags ein Wesensmerkmal der Beweismaßnahmen nach bisherigem deutschen Recht – sei es nun nach § 809 BGB oder nach den §§ 142, 144 ZPO –, dass sie sich stets auf eine konkrete Einzel-Sache beziehen, die bei der Antragstellung genau bezeichnet werden muss421. Die Untersuchung hat auch gezeigt, dass dies für Art. 7 Abs. 1 RL so nicht gelten kann. Welche genauen Anforderungen an die Eingrenzung des Gegenstands der Maßnahme und die entsprechende Antragstellung zu stellen sind, ergibt sich aus mehreren Gesichtspunkten: Als zu weitgehend, weil sowohl mit den Interessen des Antragsgegners als auch den europäischen Vorbildern der „search order“ und der „saisie“ nicht mehr vereinbar, wäre es zu qualifizieren, in der Antragstellung auf jede Eingrenzung oder Festlegung zu verzichten und nur die Streiterheblichkeit als maßgebliches Kriterium der Ermittlungen vor Ort anzusehen. Dies könnte zu unverhältnismäßigen „fishing expeditions“ führen, bei welchen bei Gelegenheit der Durchsuchung von Geschäftsräumen des Gegners alles Greifbare untersucht und beschlagnahmt wird, um auszuforschen, welche Ansprüche überhaupt bestehen könnten und sogleich das passende Beweismaterial an sich zunehmen, solange es sich vor Ort als rechtserheblich erweist. Auf der anderen Seite dient die Maßnahme gerade erst dem Nachweis der vermuteten Schutzrechtsverletzung und der Sammlung weiterer verletzungsbezogener Informationen. Sie muss daher Gegenstände und daraus abgeleitete Informationen erfassen, die der Schutzrechtsinhaber gerade noch nicht kennt. Weil er selbst keine Gewissheit hinsichtlich des Bestehens der Verletzung hat und ihm ein Einblick in die fremde Sphäre verwehrt ist, kann und muss er die einzelnen Beweisstücke, die sich auf eine Verletzung beziehen, die er nicht positiv kennt, nicht bezeichnen. Einen Weg aus diesem Spannungsfeld kann ein Blick auf die „Best-Practice“Maßnahmen aufzeigen, die nicht nur eine sinnvolle Lösung bereithalten, sondern auch zwingend bei der Auslegung etwaiger Unklarheiten heranzuziehen sind422. Bei diesen ausländischen Rechtsinstituten ist nicht das sphärenbedingt häufig unbekannte einzelne Beweisstück zu benennen, sondern das höchstwahrscheinlich rechtserhebliche Beweisstück wird als Teil einer Sachgesamtheit oder nach allgemeineren 421

Auch Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 164, stellt fest, dass „keine Bezeichnung bestimmter Mittel verlangt“ wird. 422 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3.; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 weist bei der Ermittlung rechtserheblichen Beweismaterials auf die Parallele zur „saisie“ hin.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Kriterien eingegrenzt und identifizierbar gemacht. So können die von der Maßnahme erfassten Gegenstände etwa umschrieben werden, indem beispielsweise eine Klasse von Gegenständen genannt wird („search order“), der das unbekannte Einzelstück zwingend angehören muss. Eine andere Möglichkeit besteht darin, bestimmte Merkmale anzugeben, die das zu ermittelnde und zu untersuchende Einzelstück erfüllen muss („saisie“). Wenn es sich nicht um zusätzliche Beweisgegenstände handelt, sondern um eine mutmaßlich rechtsverletzende Sache, kann das Merkmalsprofil unter Rückgriff z. B. auf die Patentansprüche erarbeitet werden. Diese Grundsätze sollten auch für die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 RL gelten. Bei der Durchführung einer Beweisermittlungsmaßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL dürfte dann nicht umfassend nach rechtserheblichen Gegenständen gesucht werden, sondern nach den im Antrag eingegrenzten Kategorien von Gegenständen. Vor Ort können dann die Zugehörigkeit von Einzelstücken zu diesen Kategorien und die Streiterheblichkeit geprüft werden. Bei der Benennung der Gegenstandskategorie muss der Antragsteller somit nur die Existenz dieser Gegenstandskategorie kennen. Anders als z. B. bei den §§ 142, 144 ZPO dürfte es auch zulässig sein, eine Gegenstandskategorie zu benennen, die der Antragsteller sphärenbedingt nicht positiv kennt, die in dem betroffenen Industriezweig jedoch regelmäßig vorhanden ist und deren Existenz daher höchstwahrscheinlich ist423. Innerhalb der eindeutig zu benennenden und vor Ort aufzufindenden Gegenstandskategorie findet eine echte Ermittlung des rechtserheblichen einzelnen Beweisstückes statt424; zum Zeitpunkt der Antragstellung war dieses konkrete Einzelstück, welches letztlich zum Nachweis der Verletzung verwendet wird, noch unbekannt. Ihm kann ein Beweisinhalt zu entnehmen sein, der dem Schutzrechtsinhaber ebenfalls so nicht bekannt war. Dadurch, dass Beweisstücke herangezogen werden, die nicht konkret bezeichnet, und Informationen erst ermittelt werden, die zuvor nicht substantiiert behauptet wurden, bekommt die so interpretierte Maßnahme sicherlich ein ausforschendes Element. Dies wird jedoch bei der Beweisermittlungsmaßnahme nach Art. 7 Abs. 1

423

Vgl. zu den §§ 142, 144 ZPO oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. II. 1. c) (1): Dort ist eine bestimmte einzelne Sache genau zu bezeichnen. Der Hinweis auf Gegenstandsklassen oder das üblicherweise Bestehen bestimmter Unterlagen ist nach herrschender Ansicht gerade nicht zulässig. 424 Vgl. zur Thematik Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21, 26, der die Ermittlung „unbekannter Beweismittel“ für möglich hält, jedoch fordert „die gewünschten Beweismittel ihrer Art nach [Hervorhebung d. Verf.] eindeutig“ zu benennen; Knaak, EGRichtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748, hält Durchsuchungen zur Sicherstellung „rechtserheblichen Beweismaterials“ für möglich und eine konkrete Bezeichnung einer Sache für nicht erforderlich; restriktiver wohl Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738, der zwar Durchsuchungen zur Sicherstellung „rechtserheblicher Beweismittel“ für zulässig hält, jedoch voraussetzt, dass der Antragsteller schlüssig vorträgt, dass „die von ihm bezeichneten Beweismittel tatsächlich im Besitz des Antragsgegners sind“ – insofern behalte die BGHEntscheidung „Kontrollbesuch“ ihre Geltung.

354 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

RL zur Überwindung des Informationsdefizits des Schutzrechtsinhabers gerade bezweckt425. (5) Geheimnisschutz Bereits nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 RL setzen die tiefgreifenden Beweisermittlungsmaßnahmen voraus, dass „der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet“ ist. Auch ohne diesen ausdrücklichen Hinweis ergäbe sich die besondere Bedeutung des Geheimnisschutzes bereits aus dem Wesen von Informations- und Beweisermittlungsverfahren426. Bei den zur Überwindung des typischen Informationsdefizits des Schutzrechtsinhabers notwendigen Eingriffen in die Sphäre des Gegners entsteht zwangsläufig die Gefahr der Offenlegung schutzwürdiger Betriebsgeheimnisse des Gegners427. Angesichts dieser Eingriffe und Gefahren ist ein wirksamer Geheimnisschutz dringend erforderlich, um die Verhältnismäßigkeit der Gesamtmaßnahme und die Balance der widerstreitenden Interessen zu wahren. Nach der hier vertretenen Auffassung, die eine Beweisermittlung auf Grundlage eines durch tatsächliche Anhaltspunkte untermauerten Verdachts zulässt, sind im Rahmen einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL die Geheimhaltungsinteressen des Gegners nicht durch Betonung des Ausforschungsverbotes auf Tatbestandsebene zu schützen, weil dies zu „Ja-oder-Nein“-Entscheidungen einschließlich der Zurückweisung gegebenenfalls berechtigter Informationsbegehren führen könnte, sondern statt dessen durch einen wirksamen Geheimnisschutz auf der Rechtsfolgenseite. Dies hat den Vorteil, dass die widerstreitenden Interessen nicht alternativ, sondern kumulativ berücksichtigt werden können. Die niedrigen Anforderungen an den Überzeugungsgrad erfordern dann jedoch tatsächlich einen strengen und auch sanktionierten Geheimnisschutz. Dieser ist insbesondere so auszugestalten, dass die geprüften Informationen „zurückgegeben“ werden können428, wenn sich der Verdacht trotz Anhaltspunkten im vorprozessualen Verfahren als unbegründet erweisen sollte429. Eine „Rückgabe“Möglichkeit setzt voraus, dass Personen, die diese Informationen wirtschaftlich verwerten könnten, mit diesen solange nicht in Kontakt kommen, bis sich der Verdacht 425 426

Vgl. zum Sinn und Zweck der Maßnahme oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (3). Vgl. zum Geheimnisschutz bereits oben ausführlich unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2.

c). 427 Dies kann bei Gelegenheit des Betreten des fremden Betriebsgeländes geschehen, oder durch Einsicht in nicht streiterhebliche Informationen bei der Untersuchung der eingegrenzten Gegenstände, oder wenn sich der streiterhebliche, angebliche schutzrechtsverletzende Gegenstand, nicht als Verletzungsform, sondern als eigenständig entwickeltes und schutzfähiges Know-how herausstellt. 428 Da dies nach bisherigem Recht ohne strengen Geheimnisschutz in der Regel nicht möglich ist, wird zumeist bei Informationsansprüchen keine Ausnahme vom Verbot der Erfüllungsverfügung gemacht; vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. V. 3. 429 Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 301, vertreten das umgekehrte Modell und kritisieren gerade, dass Befürworter einer vorprozessualen Beweisermittlung gezwungen seien für den Fall der Nichtfeststellung einer Verletzung ausführliche Regelungen zum Geheimnisschutz vorzusehen.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

355

und damit die Tatsache, dass es sich bei den Informationen nicht um schützenswerte Betriebsgeheimnisse handelt, bestätigt hat. Ein bloßes Verwertungsverbot hinsichtlich erlangter Informationen im Falle der Feststellung der Nichtverletzung ist nicht ausreichend, da wirksame Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten fehlen430. Der Geheimnisschutz muss aus zwei Elementen bestehen: Bei der eigentlichen Beweisermittlung einschließlich des Betretens des gegnerischen Betriebsgeländes sind der Antragsteller und sein Prozessvertreter auszuschließen. Wenn anschließend über das Ergebnis der Beweisermittlung verhandelt wird, sind die Öffentlichkeit und die Naturalpartei von der Anwesenheit auszuschließen. Letztere wird von einem Prozessbevollmächtigten vertreten, welcher ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Diese Verschwiegenheitspflicht wird streng sanktioniert431. Auf diesen verfahrensmäßigen Geheimnisschutz wird sogleich näher einzugehen sein, wenn Anforderungen an ein mögliches Verfahren auf der Rechtsfolgenseite diskutiert werden. b) Rechtsfolge Wenn die erörterten Bedingungen erfüllt sind, sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Gerichte „zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel […] schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen […] anordnen können“. Diese Maßnahmen können die „ausführliche Beschreibung“ oder die „dingliche Beschlagnahme“ umfassen (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 1 u. 2 RL). (1) Ermessen oder gebundene Entscheidung? Hinsichtlich der Frage, ob Art. 7 Abs. 1 RL eine Ermessensentscheidung des Gerichts oder einen Anspruch des Antragstellers vorsieht, gilt im Wesentlichen dasselbe wie im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 RL. Es ist im Ergebnis auf die allgemeinen Anforderungen an die Durchsetzungs-Instrumente abzustellen. Insbesondere die Effektivität und auch die abschreckende Wirkung des Beweisermittlungsinstruments im Sinne des Art. 3 Abs. 2 RL ist nur herzustellen, wenn sein Erlass verlässlich und kalkulierbar ist. Daher muss ein Anspruch des Antragstellers auf den Erlass der Maßnahme bestehen432. Die genaue Ausgestaltung der Durchführung der Maßnahme, insbesondere der genaue Zuschnitt der beantragten und benannten Gegenstandsklassen, innerhalb derer rechtserhebliches Mate430

A.A. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738, 739 f., der in einem solchen Fall ein Verwertungsverbot nach französischen Vorbild annimmt; vgl. hierzu auch oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (8). 431 Vgl. Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839 f., vorgeschlagenen Normen § 809a Abs. 1 und 2 BGB, § 174 Abs. 4 GVG, § 114 Abs. 3 BRAO, § 96 Abs. 3 PatAnwO. 432 Für einen „Anspruch“ auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737, 738; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839; bezogen auf Art. 6 Abs. 1 RL wohl auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 20.

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rial ermittelt werden darf, und die Entscheidung über die Stellung einer Sicherheit (vgl. Art. 7 Abs. 2 RL) stehen jedoch im Ermessen des Gerichts. (2) Inhalt der Beweisermittlungsmaßnahme Sowohl die Ermittlung als auch die bloße Sicherstellung von Beweisstücken setzen voraus, dass das Betriebsgelände und die Geschäftsräume des Antragsgegners betreten werden dürfen. Wenn der Antragsgegner den Standort der mutmaßlich schutzrechtsverletzenden Sache und der anderen möglichen Beweisstücke nicht von sich aus offenbart, muss sich eine Suche bzw. eine Durchsuchung der Räumlichkeiten anschließen433. Dies ergibt sich aus dem Wesen der Maßnahme, dem Erfordernis der Wirksamkeit434 und einem Vergleich mit den beiden „Best-Practice“-Maßnahmen. Beide erlauben das Betreten der Räumlichkeiten und die Suche nach der schutzrechtsverletzenden Sache bzw. den genannten Kategorien435. Die Maßnahme nach Art. 7 RL – und damit die Suche – bezieht sich zum einen auf die mutmaßlich schutzrechtsverletzende Sache. Art. 7 Abs. 1 S. 2 RL spricht insofern von der „rechtsverletzenden Ware“. Dabei kann es sich selbstverständlich nicht nur um Waren, sondern auch um Maschinen und sonstige Vorrichtungen handeln. Anders als beispielsweise § 809 BGB erweitert Art. 7 Abs. 1 RL den Untersuchungsgegenstand jedoch deutlich auf weitere, zusätzliche Beweistücke436. Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 S. 2 RL bezeichnet diese zusätzlichen Beweisstücke als die „für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Waren notwendigen Werkstoffe und Geräte“ und die „zugehörigen Unterlagen“. Während die schutzrechtsverletzende Sache Informationen über das Bestehen der Verletzung und insbesondere die konkrete Verletzungsform geben kann, liefern die darüber hinaus gehenden Beweisstücke gegebenenfalls weiteren Beweis für das Bestehen oder für den Umfang der Schutzrechtsverletzung. Während sich die Suche nach der mutmaßlich schutzrechtsverletzenden Sache auf eine konkrete Sache bezieht, kann sich die Suche nach den zusätzlichen Beweismitteln anders gestalten. Hier wird nach der im Antrag genannten Art oder Klasse von Gegenständen gesucht. Wenn eine solche Kategorie von Gegenständen aufgefunden wurde, kann vor Ort innerhalb der Kategorie ein einzelnes Beweisstück ermittelt, und sodann geprüft werden, ob es für den zu beurteilenden Streit erheblich ist. 433 Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 f.; Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748 f.; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 26; Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 164, sieht die Möglichkeit einer „Durchsuchung zur Sicherung dabei erst vorgefundener Beweismittel“; nun auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 711: „als ultima ratio“; a.A. jedenfalls nicht auf Basis eines Verdachts Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395. 434 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739. 435 Vgl. oben unter 2. Teil, B. 3. a) (4) und b) (4). 436 § 809 BGB bezieht sich nicht auf zusätzliche Beweismittel, sondern nur auf Sachen, die Gegenstand eines Anspruchs sein können, der im weiteren Sinne aus einer Schutzrechtsverletzung folgt, vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 1.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Die aufgefundenen Gegenstände können dann umfassend untersucht werden. In Art. 7 Abs. 1 S. 2 RL ist zunächst von einer „ausführlichen Beschreibung mit oder ohne Einbehaltung von Mustern“ die Rede. Damit nimmt die Richtlinie deutlich Bezug auf die französische „saisie-description“437 und ist entsprechend auszulegen. Ziel der Untersuchung und Beschreibung ist die Aufklärung des „Vorhandenseins von Merkmalen des Schutzrechtsanspruches“438, egal, ob es sich um eine mögliche identische Übernahme oder eine äquivalente Benutzung handelt. Genauso wie bei der „saisie-description“, jedoch anders als bei Besichtigungen nach § 809 BGB im Hinblick auf Patentverletzungen439, dürften hierzu maßvolle Substanzeingriffe zulässig sein. Zulässig ist beispielsweise bei der „saisie-description“ – und somit wohl auch nach Art. 7 Abs. 1 RL – die Inbetriebnahme einer Maschine zur Ermittlung des verwendeten Verfahrens440. Ebenso dürfen durch einen Sachverständigen – nach seiner Ansicht – Verletzungen durch äquivalente Mittel beschrieben werden441, auch wenn hierbei besonders darauf zu achten ist, dass der Beurteilung durch das Gericht nicht vorgegriffen wird und kein eigenständig entwickeltes Know-how in die Hände des Antragstellers gelangt. Zur Dokumentation sind genau auf die streiterhebliche Sache begrenzte Fotografien zulässig. Dieses Ausmaß der Untersuchungen ergibt sich auch bei einem Vergleich mit den zulässigen Maßnahmen bei der „search order“ als zweiter „Best-Practice“-Maßnahme442. Die Maßnahmen haben nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 RL im Übrigen „wirksam“ zu sein. Ihr Umfang hat sich daher maßgeblich an der Funktion der Aufklärung der Schutzrechtsverletzung zu orientieren. Es ergeben sich folglich Übereinstimmungen mit dem von der Literatur vertretenen „funktionalen Besichtigungsbegriff“ bei § 809 BGB443. In einer zweiten Variante sieht Art. 7 Abs. 1 S. 2 RL die „dingliche Beschlagnahme“ der aufgefundenen Gegenstände vor. Dies entspricht ebenfalls dem Vorbild der

437 Hierauf verweisen auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; sowie Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 749 Fn. 44; vgl. zu den im Rahmen der „saisie“ zulässigen Maßnahmen oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (4). 438 So Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838, zu den Zielen der Beweisermittlung; vgl. auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738. 439 Vgl. zur BGH-Entscheidung „Druckbalken“ und dem Verbot des Substanzeingriffes: Erster Teil, Erster Abschnitt, A. III. b) (1). 440 Vgl. zur Inbetriebnahme auch die Rechtslage zu § 809 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. b). 441 Vgl. zur abweichenden Rechtslage zu § 809 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. d). 442 Solange es das Gericht anordnet, sind dort ebenfalls Substanzeingriffe, Inbetriebnahme, Beschreibung äquivalenter Nutzung und Fotografien zulässig; vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (4). 443 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. b) (4).

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„saisie“, und zwar diesmal in Form der „saisie relle“444, und der „search order“445. Die Beschlagnahme kann die Entfernung der Beweisstücke vom Grundstück des Antraggegners und ihre Verwahrung bei Gericht oder einer anderen neutralen Instanz einschließen. Aufgrund der Verhältnismäßigkeit dürfte die Entfernung jedoch gegenüber der weniger eingriffsintensiven Beschreibung nachrangig und nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch das Gericht zulässig sein. Zu beachten ist auch, dass die Beschlagnahme oder Entfernung den laufenden Geschäftsbetrieb des Antraggegners nicht stören darf. Situationen, in denen eine Entfernung erforderlich ist, liegen beispielsweise vor, wenn vor Ort ansonsten der Zweck der Feststellung der Schutzrechtsverletzung nicht erreicht werden kann, weil gegebenenfalls die Untersuchung von Proben in einem Labor notwendig ist, oder wenn die dringende Gefahr der Beweismittelvernichtung- oder -manipulation besteht und diese auch durch eine Beschreibung und fotografische Dokumentation der Beweismittel als abwendbar erscheint. Bei ganzen Fertigungsanlagen bleibt es bei einer Beschreibung; für den Geschäftsbetrieb unentbehrliche Einzelstücke können vor Ort sequestriert werden. c) Durchsetzung der Beweisermittlungsmaßnahme Zunächst gilt auch hier das zu Art. 6 RL Gesagte: Wenn sich die gegnerische Partei der gerichtlich angeordneten Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsaufklärung verweigert und das Betreten ihrer Geschäftsräume sowie die Untersuchungshandlungen nicht dulden will, darf dies nicht nur eine negative Beweiswürdigung des vereitelnden Verhaltens zur Folge haben. Eine solche Sanktion wäre wenig effektiv und für den Antragsteller wenig hilfreich: Eine erfolgreiche Beweiswürdigung – also eine Unterstellung des Klägervortrages als wahr – erfordert einen im entscheidenden Punkt vollständig substantiierten Vortrag, welcher bei der hier dargestellten Beweisermittlungsmaßnahme aufgrund des Informationsdefizits gerade fehlt. Insbesondere die Beweisermittlung nach Art. 7 Abs. 1 RL kann ihren Zweck nicht durch Schlussfolgerungen zu Lasten des Antragsgegners erreichen, sondern mangels Kenntnis der konkreten Verletzungsform nur durch tatsächliche Aufklärung, also das Betreten und die Untersuchung der Beweisstücke. Wie gesehen, stellen sowohl die „search order“ als auch die „saisie“ im Ergebnis sehr effektive Durchsetzungsmöglichkeiten der gerichtlichen Anordnung zur Verfügung. Bei ersterer wird eine Verweigerung als „contempt of court“ betrachtet und mit Geld- oder Haftstrafe geahndet; bei letzterer ist der Einsatz unmittelbaren Zwangs möglich.

444

Vgl. den Hinweis von Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; sowie Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 749 Fn. 45; sowie oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (4). 445 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (4).

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Nicht nur wegen Art. 3 Abs. 2 RL, sondern schon nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL haben die Mitgliedstaaten „wirksame“ Maßnahmen zu gewährleisten. Dies unterscheidet die Norm noch einmal von Art. 6 Abs. 1 RL, hinsichtlich dessen hier mittelbare Zwangsmaßnahmen für ausreichend erachtet wurden. Eine Abstufung hierzu sowie das Erfordernis der „Wirksamkeit“ sprechen letztlich dafür, dass nur die Möglichkeit der Durchsetzung mittels unmittelbaren Zwangs den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 RL gerecht wird446. d) Verfahren und verfahrensmäßiger Geheimnisschutz (1) Anforderungen an das Verfahren Art. 7 RL statuiert an mehreren Stellen ausdrückliche Anforderungen an das anzuwendende Verfahren447. Nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL haben die Mitgliedstaaten vor allem „schnelle“, „einstweilige“ Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Schnelligkeit der Klärung des Bestehens von Verletzungsansprüchen und der damit verbundenen Möglichkeit der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen ist im Immaterialgüterrecht von besonderer Bedeutung auf Grund kurzer Innovationszyklen, der Gefährdung von Reputation und Marktstellung durch verletzende Produkte und der Schwierigkeit, nachträglich den tatsächlich entstandenen Schaden zu bemessen und zu liquidieren. Gerade in Bezug auf die gewünschte Schnelligkeit des Verfahrens hat nach bisherigem deutschen Recht das mehrstufige Besichtigungsverfahren nach § 809 BGB große Schwächen gezeigt und sich als sehr langwierig erwiesen448. Auch die Regelung, dass die Maßnahme „ohne Anhörung der anderen Partei“ erlassen werden kann (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 3 RL), verweist auf die nötige Schnelligkeit der Durchführung im Hinblick auf Ermittlung und Verwertung der Ergebnisse. Nach dem Wortlaut kann dies „insbesondere dann“ geschehen, wenn „durch eine Verzögerung dem Rechtsinhaber wahrscheinlich ein nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde, oder wenn nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweise vernichtet werden“. Die Formulierung „insbesondere“ zeigt klar, dass die Regelung nicht abschließend ist, sondern eine Anordnung ohne vorherige Anhörung darüber hinaus immer dann in Betracht kommt, wenn ein Fall von Eilbedürftigkeit vorliegt oder ein Überraschungsmoment bei Durchführung der Ermittlung erforderlich ist. Eine Überraschung der gegnerischen Partei ist beispielsweise erforderlich in diesem Sinne, wenn eine vorherige Warnung die Gefahr einer Beweismittelmanipulation nahe legt. Dies dürfte im Immaterialgüterrecht mit großer Regelmäßigkeit anzunehmen 446 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838: „Entfaltung unmittelbaren Zwangs im Wege der Zwangsvolstreckung“; Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 395. 447 Hier soll es zunächst um die Anforderungen gehen, welche in Art. 7 Abs. 1 RL geregelt sind. Die weiteren Sicherungsmaßnahmen, die die Absätze 2 bis 5 beinhalten, sollen in den folgenden Abschnitten erörtert werden. 448 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI.

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sein449, so dass oft eine vorherige Anhörung entbehrlich ist, ohne dass besondere Tatsachen für die Gefahr der Beweismittelmanipulation vorgebracht werden müssten. Art. 7 Abs. 1 S. 4 und 5 RL legen fest, dass die gegnerische Partei im Falle einer Durchführung der Ermittlung ohne vorherige Anordnung unverzüglich nach deren Durchführung zu informieren ist und auf Antrag ein Prüfungstermin, einschließlich des Rechts zur Stellungnahme, stattzufinden hat, bei welchem über die Aufhebung, Abänderung oder Bestätigung der Maßnahme zu entscheiden ist. Nach den obigen Ausführungen zum Verhältnis des Ausforschungsverbotes auf der Tatbestandsseite und des Geheimnisschutzes auf der Rechtsfolgen- bzw. Verfahrensseite, muss – nachdem das Ausforschungsverbot relativiert wurde – der in Art. 7 Abs. 1 S. 1 RL geforderte Schutz vertraulicher Informationen verfahrensmäßig umgesetzt werden. (2) Mögliches Verfahren zur Anwendung des Art. 7 RL Unabhängig von der Frage, ob Art. 7 RL materiell oder prozessual umzusetzen ist, und wie sich ein solches Verfahren in das bestehende deutsche Recht eingliedern ließe, soll hier ein modellhaftes Verfahren skizziert werden, welches versucht den widerstreitenden Interessen gerecht zu werden: Ein mögliches Beweisermittlungsverfahren beginnt mit dem Antrag des Schutzrechtsinhabers, der den zuvor beschriebenen Voraussetzungen genügen muss. Das Gericht erlässt die Maßnahme in der Regel ohne vorherige Anhörung der gegnerischen Partei. Es kann bestimmte Modalitäten der Beweisermittlung festlegen, beispielsweise die Kategorien zu ermittelnder Beweisstücke präziser fassen oder die Durchführung der Maßnahme von einer Sicherheitsleistung nach Art. 7 Abs. 2 RL abhängig machen. Die Maßnahme beinhaltet die Erlaubnis des Betretens und der Durchsuchung der Geschäftsräume der gegnerischen Partei und eine entsprechende Duldungsanordnung. Aufgrund des Richtervorbehalts in Art. 13 GG ist dabei die Durchsuchungsanordnung explizit in der gerichtlichen Verfügung aufzuführen450. Anders als nach bisherigem Recht sollte für die Durchsuchungsanordnung ebenfalls das die Maßnahme erlassende Gericht zuständig sein451. Die eigentliche Beweisermittlung startet mit der Bekanntgabe der gerichtlichen Verfügung gegenüber der anderen Partei quasi an deren Werkstor und der Duldung

449 Nach Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 190 ist dies eine „kaum jemals auszuschließende Gefahr“. 450 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; a.A. Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839, der dies für überflüssig hält, da mit der zwangsweisen Durchsetzung „typischerweise“ ein Betreten der Wohnung verbunden sei, aber dennoch für eine Aufnahme der Ermächtigung zu Durchsuchungen in den Gesetzeswortlaut plädiert. 451 Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739; zum bisherigen Recht siehe z. B. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. c) (2).

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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des Betretens des Werksgeländes durch dieselbe. Dieser überraschende Auftritt muss allerdings zu normalen Geschäftszeiten erfolgen452. Die Durchsuchung und die Begutachtung der relevanten Gegenstände werden durch einen neutralen Sachverständigen vorgenommen. Dieser ist gegenüber beiden Parteien zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Nicht der Schutzrechtsinhaber, sondern das Gericht wählt und bestellt hierzu eine Person mit großem Sachverstand und besonderer Erfahrung453. Fraglich ist, welche Personen den Sachverständigen begleiten dürfen. Keinesfalls dürfen die klägerische Naturalpartei oder deren Angestellte, die fremde Betriebsgeheimnisse wirtschaftlich verwerten könnten, an der Beweisermittlung teilnehmen. Zu erörtern ist, ob dem Prozessvertreter oder dem Patentanwalt der klägerischen Partei ein Anwesenheitsrecht einzuräumen ist. Teilweise wird aus guten Gründen vertreten, dass auch den selbst gewählten Prozessvertretern eine Teilnahme untersagt sei454. Hierfür spricht, dass der vollständige Ausschluss sicherlich die konsequenteste und sicherste Form des Geheimnisschutzes ist und die Besichtigung dadurch auf größeres Verständnis bei der gegnerischen Partei treffen wird. Dennoch wird ebenfalls vertreten, dass dem Prozessvertreter oder dem Patentanwalt der klägerischen Partei die Teilnahme zu gestatten sei. Dieser sei jedoch zu absoluter Verschwiegenheit gegenüber der eigenen Naturalpartei zu verpflichten. Für diese Lösung streitet zum einen, dass mit der Anwesenheit zumindest eines Vertreters der Naturalpartei – angesichts der Anwesenheit der gegnerischen Partei – dem Grundsatz der Waffengleichheit und in gewisser Weise auch dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme Genüge getan werden kann. Zum anderen spricht hierfür, dass der Sachverständige trotz Einarbeitung und großer Sachkunde auf Grund des komplexen Sachverhalts gegebenenfalls nicht in der Lage ist, ohne Hilfe eines mit der Materie vertrauten Patentanwalts streiterhebliche einzelne Beweisstücke oder äquivalente Problemlösungen durch die mutmaßlich schutzrechtsverletzende Sache zu erkennen455. Auch im Rahmen der „saisie“ wird zwar in der Regel dem Rechtsanwalt der Zutritt versagt, allerdings wird der Gerichtsvollzieher von einem Patentanwalt des Antragstellers begleitet456. Nachdem in dieser Arbeit dafür plädiert wurde, das Ausforschungsverbot 452

Vgl. hierzu die Regelungen bei der „search order“ oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (4). Vgl. den Vorschlag von Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 191; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839: Vorschlag eines § 809a Abs. 2 S. 2 BGB. Bisher wurde im Verfahren nach § 809 BGB der Sachverständige vom Schutzrechtsinhaber ausgewählt, vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c) (3). 454 Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839, der die Interessen der klägerischen Partei durch Beistellung eines vom Gericht ausgewählten, zur Verschwiegenheit verpflichteten Rechtsanwalts wahren will; vgl. auch die bisherige Anwendungspraxis bei § 809 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c) sowie VI. 2. b). 455 So Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 191; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839, sieht neben dem Sachverständigen zumindest die Teilnahme eines neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten, vom Gericht bestellten Rechtsanwalts vor, der die Interessen des Klägers wahren soll. 456 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (4). 453

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

zu relativieren und zum Ausgleich einen strikten Geheimnisschutz durchzuführen, spricht trotz der vorgetragenen, gewichtigen Argumente vieles für einen vollständigen Ausschluss der Parteivertreter von der unmittelbaren Ermittlung in der fremden Sphäre. Allerdings ist auch die andere Ansicht prinzipiell mit dem geforderten Geheimnisschutz vereinbar, denn man sollte sich im Klaren darüber sein, dass spätestens bei der Verhandlung über das Ermittlungsergebnis unter Ausschluss der Naturalpartei und in Anwesenheit zur Verschwiegenheit verpflichteter Prozessvertreter diese Prozessvertreter in Kontakt mit Betriebsgeheimnissen kommen können457. Die Verschwiegenheitspflicht muss also in jedem Fall scharf sanktioniert werden. Wenn trotz scharfer Sanktionierung an der Verlässlichkeit einer solchen Verschwiegenheitsverpflichtung gezweifelt würde, wäre das System eines verfahrensmäßigen Geheimnisschutzes nicht durchführbar. Ergebnis der Beweisermittlung in der oben beschriebenen Art und Weise innerhalb der Sphäre des Antragsgegners sind ein Untersuchungsbericht und gegebenenfalls ermittelte und beschlagnahmte weitere Beweisstücke. Diese Ermittlungsergebnisse werden zunächst bei dem Gericht verwahrt. Nach Art. 7 Abs. 1 S. 5 RL findet nun eine „Prüfung, die das Recht zur Stellungnahme einschließt, mit dem Ziel statt, innerhalb einer angemessenen Frist nach der Mitteilung der Maßnahmen zu entscheiden, ob diese abgeändert, aufgehoben oder bestätigt werden sollen.“ Diese Überprüfung des Erlasses der Maßnahme findet in Form einer mündlichen Verhandlung statt und sollte einhergehen mit einer Verhandlung über das Ermittlungsergebnis. Ziel dieses Schnellverfahrens ist aus Sicht des Antragsgegners die Aufhebung der Ermittlungsverfügung und die Rückgabe des Untersuchungsberichts und der beschlagnahmten Gegenstände, bevor der Antragsteller Kenntnis nehmen kann. Dies kann geschehen, wenn die formellen oder materiellen Voraussetzungen für den Erlass nicht vorlagen oder bei der Ermittlung die gerichtlich gesetzten Grenzen überschritten wurden, indem beispielsweise Gegenstände beschlagnahmt wurden, die zwar streiterheblich sind, sich den festgelegten Kategorien aber nicht zuordnen lassen. Der Antragsteller strebt im Rahmen dieser Verhandlung die Freigabe des Untersuchungsberichts und der beschlagnahmten Gegenstände zur Vorbereitung der Erhebung der Verletzungsklage und Verwendung im Verletzungsverfahren an. Voraussetzung einer Freigabe kann daher nicht das Feststehen einer Schutzrechtsverletzung anhand der Ermittlungsergebnisse sein. Das Bestehen der Schutzrechtsverletzung kann vielmehr erst nach allgemeinen Grundsätzen im eigentlichen Verletzungsverfahren geklärt werden, nicht in einem Schnellverfahren. Da die vorprozessuale Beweisund Informationsermittlung die Erhebung einer Verletzungsklage ermöglichen soll, setzt die Freigabe ein berechtigtes Interesse an der Ermöglichung dieser Klage457 Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839 f., will an einer solchen mündlichen Verhandlung wiederum nicht den frei gewählten Anwalt des Antragstellers, sondern nur einen neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten, vom Gericht bestellten Rechtsanwalts teilnehmen lassen, der die Interessen des Klägers wahren soll.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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erhebung voraus. Dieses Interesse dürfte bestehen, wenn sich der im Antrag dargelegte Verdacht anhand eines kursorischen Blickes auf die Ermittlungsergebnisse weiter erhärtet und nun eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung besteht. An die eigentliche Beweisermittlung und die mündlichen Verhandlung über die Freigabe der Ergebnisse schließt sich hier kein Hauptsacheverfahren über das Bestehen eines Anspruchs auf Beweisermittlung, die Freigabe der Ergebnisse oder die Rechtmäßigkeit der Beweisermittlung an. Es folgt lediglich das eigentliche Verletzungsverfahren. In der Literatur besteht mit Blick auf Art. 7 RL im Prinzip Einigkeit über die Notwendigkeiten eines schnellen und effektiven Beweisermittlungsverfahrens und den Verzicht auf ein langwieriges Hauptsacheverfahren. Schwierigkeiten und Divergenzen ergeben sich jeweils bei dem schwierigen Unterfangen ein solches Verfahren mit den Mitteln des bestehenden deutschen Verfahrensrechts zu realisieren458. Während dieser mündlichen Anhörung im Anschluss an die eigentliche Beweisermittlung sind auch Entscheidungen hinsichtlich der Geheimhaltungsinteressen der gegnerischen Partei zu treffen. An die Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen durch den Antragsgegner im Rahmen der Anhörung sind aus Gründen der Gleichbehandlung der streitenden Parteien ebenfalls keine hohen Anforderungen zu stellen. 458 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 189, 192, 193 ff, der die „Düsseldorfer Praxis“ (siehe hierzu bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VII.) für richtlinienkonform hält (S. 193 ff.), lässt ohne vorherige Anhörung des Gegners ein selbstständiges Beweisverfahren einschließlich Begutachtung durchführen. Der Untersuchungsbericht wird zunächst dem Gericht übergeben und durch dieses dem Besichtigungsschuldner und den zur Verschwiegenheit verpflichteten Prozessvertretern des Antragstellers übersandt. Nun sieht auch Kühnen die Notwendigkeit einer mündlichen Erörterung: Die Parteien müssten Gelegenheit erhalten „zu den gutachterlichen Ausführungen Stellung zu nehmen“, die „mündliche Anhörung des Sachverständigen zu beantragen“, oder zu „etwaigen Geheimhaltungsinteressen des Besichtigungsschuldners“ vorzutragen. Anschließend sei eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der antragsstellenden Naturalpartei das Gutachten offenbart werden könne. Eine gerichtliche Entscheidung hierüber sei dem selbständigen Beweisverfahren „immanent“ (S. 192). Das Verfahren endet sodann mit der Übersendung des Berichts unter bestimmten Auflagen und setzt erst mit Erhebung der Verletzungsklage wieder ein. Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838, 840, plädiert für eine Erfüllungsverfügung und den Verzicht auf ein zusätzliches Hauptsacheverfahren. Im Rahmen der Erfüllungsverfügung erfolge keine vorherige Anhörung, jedoch nachträglich eine mündliche Verhandlung über die Freigabe des Untersuchungsberichts. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Eilverfahrens erfolge nicht im Hauptsacheverfahren, sondern sei einem Schadensersatzverfahren nach § 945 ZPO, einem Verfahren über Kostenersatz oder einem Feststellungsprozess vorbehalten. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738, plädiert ebenfalls für eine Erfüllungsverfügung und lehnt ein „Zuwartenmüssen“ bis zum Ende des einstweiligen Verfahrens sowie ein anschließendes Hauptsacheverfahren ab. Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 451, hält auch eine „Verhandlung über die Herausgabe des Sachverständigenberichts“ „noch im Verfügungsverfahren“ für erforderlich und verzichtet auf ein Hauptsacheverfahren.

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Werden keine Geheimhaltungsinteressen geltend gemacht oder lassen sich diese unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründen, hebt das Gericht sämtliche Geheimnisschutzmaßnahmen auf und gestattet dem Antragsteller persönlich die Teilnahme an dieser Verhandlung459. Sofern der Antragsgegner Geheimhaltungsinteressen geltend macht, ergeben sich für das Gericht zwei Handlungsmöglichkeiten: Sind in dem Bericht Betriebsgeheimnisse enthalten, die sich klar und ohne Überschneidung von denjenigen streiterheblichen Informationen trennen lassen460, die für die Feststellung der Schutzrechtsverletzung erforderlich sind, hat das Gericht diese nicht streiterheblichen, geheimhaltungsbedürftigen Informationen zu schwärzen. Die antragsstellende Naturalpartei erhält dann dieses geschwärzte Exemplar des Untersuchungsberichts461. Dies wird jedoch nur in wenigen Fällen möglich sein. Meist wird sich das geltend gemachte Betriebsgeheimnis gerade auf das Merkmal beziehen, welches auch für den Antragsteller von Interesse ist und gerade den Unterschied ausmacht zwischen Schutzrechtsverletzung durch äquivalente Mittel und patentwürdiger, eigenständiger Weiterentwicklung durch den Antragsgegner. Streiterhebliche Information und Betriebsgeheimnis lassen sich dann ex ante nicht voneinander trennen, sondern fallen in einem Merkmal zusammen. Ob ein berechtigtes Informationsinteresse bestand, weil es sich gerade noch um eine Abwandlung im Äquivalenzbereich handelt, oder ob ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse bestand, weil eine eigenständige und damit schutzwürdige Abwandlung vorliegt, entscheidet sich erst, wenn über das Vorliegen der Schutzrechtsverletzung entschieden wird462, also im Verletzungs-

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Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192. Dies sind zum Beispiel Betriebsgeheimnisse, die bei Gelegenheit der Besichtigung oder im Übereifer in den Bericht aufgenommen wurden, mit der Schutzrechtsverletzung aber deutlich nicht in Zusammenhang stehen. 461 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 452; nun auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 714; siehe zur Freigabe des Berichts und möglichen Schwärzungen bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. d) (5), m.w.N.; die Schwärzungen betreffen nicht nur geheimhaltungsbedürftige, nicht streiterhebliche Informationen, sondern alle nicht streiterheblichen Informationen, weil hieran kein berechtigtes Informationsinteresse besteht. 462 Zur fehlenden Abtrennbarkeit vgl. bereits oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (6); auch Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192, verweist auf die Unmöglichkeit einer Schwärzung in Fällen einer „abhängigen Erfindung“, wenn sich die Schutzwürdigkeit des Geheimhaltungsinteresses daran messe, ob es sich um eine „in patentwürdiger Weise weiterentwickelte Ausgestaltung“ oder um eine „zwar abgewandelte“, aber dennoch verletzende Benutzungsform handele. Dies entscheide sich erst bei der Entscheidung über die Schutzrechtsverletzung als solcher. Anders als hier vertreten will Kühnen jedoch die Frage der Schutzrechtsverletzung sogleich nach der Geltendmachung des Geheimhaltungsinteresses zum Ende des selbständigen Beweisverfahrens entscheiden und nicht erst im Verletzungsprozess. Ergebe sich eine Schutzrechtsverletzung, überwiege das Informationsinteresse. Ergebe sich keine Verletzung könne der Bericht der Naturalpartei nicht ausgehändigt werden und die Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter bestehe fort. 460

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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prozess463. Die betreffende Information ist also zunächst streiterheblich und gleichzeitig geheimhaltungsbedürftig. Eine Schwärzung kommt somit nicht in Betracht. Daraus folgt, dass die Information zum einen zur Klagevorbereitung und im Verletzungsverfahren genutzt werden muss, es zum anderen jedoch nicht ermöglicht werden darf, dass die Naturalpartei die Information wirtschaftlich verwerten kann. Eine Lösung kann nur darin bestehen, den Prozessvertretern des Antragstellers die Information, d. h. den Bericht, zur Klagevorbereitung zugänglich zu machen, diese jedoch gegenüber der eigenen Naturalpartei zu strengster Verschwiegenheit zu verpflichten464. (3) Verfahrensmäßiger Geheimnisschutz: Insbesondere die Verhandlung über Ermittlungsergebnis und Schutzrechtsverletzung unter Ausschluss der Naturalpartei in Anwesenheit zur Verschwiegenheit verpflichteter Prozessvertreter Insofern als Geheimhaltungsinteressen geltend gemacht werden und gleichzeitig eine gänzliche Aussonderung der möglichen Betriebsgeheimnisse des Antragsgegners nicht in Betracht kommt, ergibt sich bei der erforderlichen Verwertung dieser streiterheblichen Informationen eine Gefährdung der gegnerischen Geheimhaltungsinteressen während der eigentlichen Beweisermittlung, aber vor allem während der anschließenden mündlichen Verhandlung nach Art. 7 Abs. 1 S. 5 RL und im Rahmen des tatsächlichen Verletzungsverfahrens. Die zum Zwecke des verfahrensmäßigen Geheimnisschutzes nach Art. 7 Abs. 1 RL hier vorgeschlagene Durchführung der Beweisermittlung durch einen neutralen Sachverständigen ist bereits etabliert und wäre nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Zivilprozess- und Verfassungsrechts vereinbar465. Allerdings setzt ein von Art. 7 Abs. 1 RL geforderter und auf Grund der hier vertretenen Relativierung von Substantiierungspflicht und Ausforschungsverbot zwingend gebotener Geheimnisschutz voraus, dass zumindest die klägerische Naturalpartei während der mündlichen Verhandlung im Beweisermittlungsverfahren und zudem im eigentlichen Verletzungsverfahren von der Anwesenheit ausgeschlossen wird und die sie vertretenden Anwälte auch im Übrigen zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Dieses sogenannte „in-camera“-Verfahren – oder auch „Anwaltslösung“ oder „counsel-

463 Dass dies erst im Verletzungsprozess geschieht und daher erst dann eine endgültige Entscheidung über die Aufhebung der Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen werden kann, wird häufig übersehen; vgl. die unzutreffenden Annahmen bei Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839; Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192. 464 Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192, trifft – sobald Geheimhaltungsinteressen geltend gemacht wurden – aus oben genannten Gründen bereits frühzeitig eine Entscheidung über die Schutzrechtsverletzung. Zum Zwecke der Ermöglichung dieser Verletzungsdiskussion unter Geheimhaltungsbedingungen lässt auch er die klägerischen Prozessvertreter gegenüber der eigenen Naturalpartei zur Verschwiegenheit verpflichten. 465 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c) sowie VI. 2. b).

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

only“-Lösung – wurde bereits oben ausführlich erörtert466. Anders als die Zwischenschaltung des neutralen Sachverständigen verstößt diese Art des Geheimnisschutzes im Verletzungsverfahren jedenfalls gegen bisher geltendes deutsches Verfahrensrecht: Ein zwangsweiser Eingriff in das betroffene Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) findet keine Rechtfertigung in § 141 ZPO, § 139 Abs. 3 S. 2 PatG oder §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 S. 1 GVG467. Daneben verbieten die einfachgesetzliche Regelungen der §§ 285 Abs. 1, 357 Abs. 1 ZPO unstreitig ein beweisrechtliches Geheimverfahren und berechtigen die Naturalpartei zur Anwesenheit bei der Tatsachenfeststellung468. Dennoch wäre, wie bereits erörtert, ein „incamera“-Verfahren im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4 sowie 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zulässig469. Hier soll der Fokus zunächst nur auf der Auslegung des Art. 7 RL und dem Vorschlag eines richtlinienkonformen Verfahrens unabhängig von der bisherigen deutschen Rechtslage liegen. Bei der Beweisermittlung muss einerseits die Offenlegung von Betriebsgeheimnissen gegenüber der antragstellenden Naturalpartei verhindert werden, indem deren Recht auf persönliche Anwesenheit und Stellungnahme während der Verhandlung und Beweisaufnahme eingeschränkt wird und insofern als möglicherweise gegnerische Betriebsgeheimnisse betroffen sind, eine Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter gegenüber der eigenen Partei begründet werden. Andererseits müssen die Wahrnehmung der Interessen und Rechte der antragstellenden Partei sowie die Durchführung eines dialektischen Verfahrens durch die Teil- und Einflussnahme von Prozessvertretern dieser Partei gewahrt werden. Teilweise wird geltend gemacht, dass zur Gewährleistung der nötigen Verschwiegenheit die Vertretung der Naturalpartei in den Verhandlungen nicht durch den selbst gewählten, langjährigen Rechtsanwalt zu erfolgen habe, sondern durch einen vom Gericht aus der Anwaltschaft gewählten Prozessvertreter, der zusätzlich gegenüber den selbst gewählten Rechtsbeiständen zur Verschwiegenheit zu verpflichten sei470. Allerdings bereitet schon den selbstgewählten Prozessvertretern der Ausschluss der Naturalpartei und die Verschwiegenheitspflicht ihr gegenüber Schwierigkeiten, da die Partei auch dann nicht hinzugezogen werden kann, wenn ihr technischer Sachverstand in Bezug auf die streiterheblichen Produkte hilfreich wäre. Dies kann nur ausgeglichen werden durch das Vorhandensein von Kenntnissen bei dem Prozessvertreter, die im Rahmen eines langjährigen Mandatsverhältnisses erworben wurden, die Heranziehung des mit der Materie vertrauten Patentanwalts der Partei und eine 466

Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (2) und (3). Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3); sowie bezogen auf den Ausschluss der nicht-beweisbelasteten Naturalpartei Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 62; Karger, Beweisermittlung, S. 134. 468 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 285 Rdn. 1 ff.; Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 1 ff. 469 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (2) und (3). 470 So Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204. 467

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gemeinsame Vorbereitung von Partei und selbst gewähltem Rechtsanwalt vor Beginn der Beweisermittlung und damit vor Beginn einer Verschwiegenheitspflicht471. Somit kann nur eine Vertretung durch die selbstgewählten Rechtsanwälte stattfinden472. Gerade aufgrund dieses – erforderlichen – langjährigen Vertrauensverhältnisses zwischen selbst gewähltem Anwalt und Mandanten, sowie des tradierten Berufsbildes des Rechtsanwaltes sind Zweifel an der Verlässlichkeit einer anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht gegenüber der eigenen Partei geäußert worden473. Letztlich wird man jedoch davon ausgehen müssen, dass die übergroße Mehrheit der Rechtsund Patentanwälte ihrer Stellung als „Organ der Rechtspflege“ gerecht wird. Die Einhaltung der auferlegten Pflichten ist zudem durch Einführung strenger Strafen bei Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht zu unterstützen. Zu Recht wird daher vorgeschlagen, bei nachgewiesenen Verstößen nicht nur empfindliche Geldbußen, sondern auch ein „generelles Vertretungs- und Beistandsverbot von mindestens einem Jahr Dauer“ zu verhängen474. Dies sollte die nötige Abschreckungswirkung entfalten und auch auf Seiten der informationspflichtigen Partei Vertrauen in die Geheimnisschutzmaßnahmen begründen. Bereits die mündliche Verhandlung unmittelbar im Anschluss an die Beweisermittlung hat unter Ausschluss der Naturalpartei und unter Wahrung der Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter stattzufinden. Falls eine Schwärzung von Betriebsgeheimnissen im Untersuchungsbericht möglich war, kann die Verschwiegenheitspflicht ex nunc mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, nicht jedoch in Bezug auf die zuvor offengelegten Betriebsgeheimnisse. In dem oben erörterten Fall einer Verquickung von geheimhaltungsbedürftigen und streiterheblichen Informationen kann die Freigabe des Untersuchungsberichts und der beschlagnahmten Gegenstände zur Vorbereitung der Verletzungsklage nur gegenüber den Prozessvertretern der antragstellenden Partei erfolgen. Insofern muss auch die Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter hinsichtlich der die Frage der Schutzrechtsverletzung entscheidenden Informationen fortdauern475. 471

Vgl. zu dieser Problematik Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 192. Vgl. auch Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697; Ibbeken, TRIPsÜbereinkommen, S. 436. 473 Vgl. die Bedenken von Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 853 f.; sowie Stürner, Aufklärungspflicht, S. 224, der sich letztlich aber für ein „Geheimverfahren“ ausspricht (S. 227 f.). 474 Vgl. Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 840. 475 A.A. Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839, der die Geheimhaltungspflichten aufheben will, wenn sich nach der Beweisermittlung der Verdacht zu einer hohen Wahrscheinlichkeit verdichtet hat und der Untersuchungsbericht freigegeben wird; Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 193, vertritt einen dynamischen Prozess, wonach mit „jedem Argument“, das „eine Patentverletzung plausibler macht“, die Geheimhaltungsinteressen neu zu bewerten seien und ggf. der Ausschluss der Naturalpartei zu lockern sei; ähnlich in Bezug auf sein Konzept einer mehrfachen Besichtigung und einer zunehmenden Beteiligung des Antragstellers Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 856. 472

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

In einem solchen Fall, in dem sich erst im Verletzungsverfahren bei der Entscheidung über das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung herausstellt, ob die mittels der Beweisermittlungsmaßnahme in der Sphäre des Gegners gegebenenfalls zwangsweise erlangte Information ein schutzwürdiges Betriebsgeheimnis darstellt oder die Tatsache einer Schutzrechtsverletzung begründet, weil sich beispielsweise nach Auffassung des Gerichts ein ermitteltes Merkmal gerade noch außerhalb oder eben innerhalb des geschützten Äquivalenzbereiches befindet, bedarf es nach dem aus Art. 7 Abs. 1 RL abzulesenden Prinzip „echte Beweisermittlung gegen echten Geheimnisschutz“ konsequenterweise weitergehender Geheimnisschutzmaßnahmen: Die Vorbereitung der Verletzungsklage darf allein durch die Prozessvertreter erfolgen, die weiterhin zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. In die auf Basis der ermittelten Beweisstücke zu treffende Entscheidung über die Erhebung der Verletzungsklage ist die eigentlich handelnde Naturalpartei nur insofern einzubeziehen, als ihr nicht die nun zur Verfügung stehenden Beweismittel und streiterheblichen Informationen offengelegt werden. Bei der Würdigung dieser neuen Informationen muss sie sich auf die Kenntnisse und Erfahrungen des gewählten Prozessvertreters verlassen. Folglich können der Naturalpartei auch die zu erstellende und einzureichende Klageschrift sowie die ausgetauschten Schriftsätze, soweit diese anhand der Ermittlungsergebnisse die angeblich schutzrechtsverletzenden Merkmale, d. h. die konkrete Ausführungsform darlegen, nicht zur Kenntnis gebracht werden. Wenn Betriebsgeheimnisse nicht vorher ausgesondert werden können, ist schließlich auch in der mündlichen Verhandlung im eigentlichen Verletzungsverfahren nach dem Prinzip des „in-camera“-Verfahrens vorzugehen und die klägerische Naturalpartei auszuschließen. Das Gericht schließt sowohl das Beweisermittlungsverfahren als auch das Verletzungsverfahren nach mündlicher Verhandlung durch ein Urteil ab. Für den erforderlichen Geheimnisschutz bedeutet dies folgendes: Das das Beweisermittlungsverfahren abschließende Urteil ist im Tatbestand und den Entscheidungsgründen um die relevanten geheimen Informationen zu kürzen. Zumindest gilt dies für die Ausfertigung, die der klägerischen Naturalpartei übermittelt wird476. Dasselbe gilt für das Urteil im Verletzungsverfahren, wenn sich die Schutzrechtsverletzung nicht als gegeben erweist und die klägerische Partei unterliegt. In diesem Fall dauert die Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter auch nachprozessual fort. Wenn sich jedoch im Falle eines rechtskräftigen Obsiegens das behauptete Betriebsgeheimnis als schutzrechtsverletzend herausstellt, kann die Verschwiegenheitspflicht endgültig und mit Wirkung ex tunc enden und auch die klägerische Naturalpartei erhält eine Urteilsausfertigung mit vollständigen Tatbestand und Entscheidungsgründen. Das Ende der Geheimhaltungsverpflichtung gilt wiederum nicht in Bezug auf Betriebsgeheimnisse,

476 Vgl. zuvor schon Stürner, Aufklärungspflicht, S. 227; Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 699; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1205; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 71; Karger, Beweisermittlung, S. 137.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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die im Beweisermittlungsverfahren endgültig als nicht streiterheblich ausgesondert wurden und an deren Kenntnis also auch weiterhin kein berechtigtes Interesse besteht. Wenn die Geheimnisschutzmaßnahmen stringent durchgeführt werden, besteht schließlich kein Bedürfnis nach einem Verwertungsverbot bei einem für den Schutzrechtsinhaber negativen Verfahrensausgang, da dieser keine Informationen erhalten hat, an denen er kein berechtigtes Interesse hat477. e) Weitere Sicherungen zugunsten des Adressaten Neben der Statuierung von Tatbestandsvoraussetzungen, Rechtsfolgen, allgemeinen Anforderungen und der bereits erörterten nachträglichen Anhörung des Adressaten sowie der Prüfung der angeordneten Maßnahmen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nach Abschluss der Beweisermittlung (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 5 RL) enthält Art. 7 RL in seinen Absätzen 2 bis 5 einige explizite Regelungen zur weiteren Sicherung der Interessen des Adressaten einer Beweisermittlungsmaßnahme. (1) Stellung einer Sicherheit Nach Art. 7 Abs. 2 RL müssen die Gerichte die Möglichkeit erhalten, den Erlass der Beweisermittlungsmaßnahme von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Die Sicherheitsleistung bezweckt weniger, die Einhaltung der Geheimnisschutzmaßnahmen oder im Falle der Zuwiderhandlung finanziellen Ausgleich zu gewährleisten, denn hierzu ist sie kaum geeignet478. Vielmehr dient die Stellung einer angemessenen Sicherheit einerseits der Sicherung der Integritätsinteressen des Antragsgegners, wenn beispielsweise während der Beweisermittlung oder infolge einer Beschlagnahme Sachen des Antragsgegners beschädigt werden. Andererseits sichert die zu stellende Kaution nach Art. 7 Abs. 2 RL explizit den Schadensersatzanspruch des Antragsgegners nach Art. 7 Abs. 4 RL im Falle der nachträglichen Aufhebung der Beweisermittlungsmaßnahme oder wenn sich später herausstellt, dass gar keine Schutzrechtsverletzung vorliegt479. Insofern nimmt sich Art. 7 Abs. 2 RL insbesondere die französische „saisie“, bei welcher eine entsprechende Hinterlegung in der Regel im Rahmen der Anordnung einer „saisie relle“, also eine tatsächliche Beschlagnahme, erfolgt, und die englische „search order“ mit ihrem „undertaking in damages“, wel-

477 Zu einem „Verwertungsverbot bei negativem Verfahrensausgang“ vgl. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738 f.; vgl. auch die Anordnung von Verwertungsverbot und diesbzgl. „undertaking“ bei der „search order“ oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (6) und (8). 478 Vgl. Karger, Beweisermittlung, S. 128; Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 712. 479 Vgl. zu Art. 7 Abs. 2 und 4 RL und den Parallelen im bisherigen deutschen Recht auch Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 195.

370 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ches spätere Schadensersatzansprüche bei festgestellter Rechtswidrigkeit der „order“ sichert, zum Vorbild480. Im Übrigen kann bereits nach Art. 50 Abs. 4 TRIPs das Gericht die Anordnung von Beweissicherungsmaßnahmen an die Stellung einer Kaution knüpfen. (2) Frist zur Erhebung der Verletzungsklage Nach Art. 7 Abs. 3 RL sind die getroffenen Maßnahmen der Beweisermittlung und -sicherung auf Antrag der informationspflichtigen Partei „aufzuheben oder auf andere Weise außer Kraft zu setzen“, wenn nicht die informationsbegehrende Partei innerhalb einer angemessenen, vom Gericht zu bestimmenden Frist oder innerhalb von 20 Arbeits- bzw. 31 Kalendertagen die eigentliche Verletzungsklage erhebt. Bereits im Rahmen der „search order“ hat der Antragsteller per „undertaking“ zu versichern, die Hauptsacheklage so schnell wie möglich einzureichen481. Eine genau bestimmte Klagefrist von 15 Tagen findet sich bei der „saisie“, welche nach Fristablauf unwirksam wird. Dies hat zur Folge, dass das Material zurückzugeben ist und insbesondere ein Verwertungsverbot zu erlassen ist482. Schließlich enthält Art. 50 Abs. 6 TRIPs eine fast wortlautidentische Regelung. Diese Klagefrist dient der Beschleunigung der Prüfung und Vorbereitung der Verletzungsklage und der alsbaldigen Gewissheitsverschaffung hinsichtlich der erhobenen Vorwürfe nach einem so drastischen Eingriff wie der Beweisermittlung in der fremden Sphäre. Insofern schützt Art. 7 Abs. 3 RL die informationspflichtige Partei vor schikanöser Entschleunigung und gibt ihr die Möglichkeit, bei Nichtbestätigung des Verdachts rasch auf eine Rehabilitierung durch Aufhebung der Maßnahmen und Erhebung einer Schadensersatzklage nach Art. 7 Abs. 4 RL zu dringen. Nochmals wird so deutlich gemacht, dass die Beweisermittlung nicht zur Schädigung von Wettbewerbern missbraucht werden darf, sondern einzig dem Zweck einer ernsthaften Klagevorbereitung zu dienen bestimmt ist. Folglich kann die Frist auch nicht mit Erlass der Beweisermittlungsanordnung beginnen, sondern erst, wenn die Untersuchungsergebnisse freigegeben sind und somit die Vorbereitung der Verletzungsklage beginnen kann. Wenn der Zweck der Fristsetzung die Sicherung des alleinigen Verwendungszwecks der Ermittlungsergebnisse ist, kann die Frist in aller Regel nicht verlängert werden oder eine Fristversäumung entschuldigt oder geheilt werden483. Die bei Fristversäumung anzuordnende Aufhebung der Beweissicherungsmaßnahmen hat zur Folge, dass der informationspflichtigen Partei der Untersuchungsbericht sowie alle beschlagnahmten Gegenstände zurückzugeben sind und eine gegebe480 Vgl. zum „undertaking in damages“ bei der „search oder“ oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (2), und zur Hinterlegung bei der „saisie“ oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (4); auf die Parallele zur „saisie“ verweist bereits Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 749. 481 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. a) (8). 482 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (8). 483 Vgl. zu Art. 50 Abs. 6 TRIPs Karg, Interferenz der ZPO durch TRIPS, ZUM 2000, S. 934, 935 f.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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nenfalls bestehende Sequestration aufzuheben ist484. Wenn teilweise vertreten wird, dies könne jedoch für die eigentlichen Besichtigungsergebnisse, respektive den Untersuchungsbericht, nicht gelten, da die Informationen mit der Freigabe des Berichts zum Ende des Beweisermittlungsverfahrens bereits offengelegt worden und somit schlechterdings nicht rücktransferierbar seien485, ist dies nach der hier vertretenen Vorgehensweise in vielen Fällen nicht zutreffend. Da die Freigabe oft nur gegenüber den Prozessvertretern erfolgt und deren Verschwiegenheitspflicht oftmals bis in das Verletzungsverfahren aufrechtzuerhalten ist486, hat die Naturalpartei selbst noch keine wirtschaftlich verwertbaren Informationen erhalten, so dass die Maßnahmen gänzlich aufgehoben werden können, indem der Bericht zurückgegeben und eine dauerhafte Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht angeordnet wird. Wenn die Frist endgültig abgelaufen und die Maßnahme aufgehoben ist, dürfen die bei den Prozessvertretern verbliebenen Informationen nicht mehr zur Klageerhebung verwendet werden. Es ergeht ein entsprechendes Verwertungsverbot. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Fristsetzung und dem Vorbild der „saisie“487. (3) Schadensersatzanspruch Art. 7 Abs. 4 RL sieht vor, dass der Antragsgegner einen Anspruch auf einen angemessenen Schadensersatz hat, wenn die Maßnahme aufgehoben oder auf Grund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig oder festgestellt wird, dass keine Schutzrechtsverletzung oder drohende Schutzrechtsverletzung vorlag. Dabei handelt es sich um eine schlichte Übernahme des Wortlauts des Art. 50 Abs. 7 TRIPs. Eine Schadensersatzpflicht erscheint unproblematisch, wenn die Maßnahme aufgehoben wird, weil entgegen dem Antrag des Schutzrechtsinhabers die Voraussetzungen eines Erlasses nicht vorlagen oder weil bei der Durchführung die Grenzen der eingeräumten Befugnisse überschritten wurden. Zu beachten ist allerdings, dass Ziel der Maßnahme die Verifizierung einer Vermutung ist und auch der Schutzrechtsinhaber nur auf Grundlage eines begründeten Verdachts handelt. Ergebnis der Beweisermittlung kann somit auch sein, dass sich der Verdacht gerade nicht bestätigt. In einem solchen Fall wird der Schutzrechtsinhaber im Interesse aller von einer Verletzungsklage absehen, was die aufgezeigte Folge einer Aufhebung der Maßnahmen mit sich bringt. Da er nicht zur Erhebung der Klage gezwungen sein kann, wenn ein 484

Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 196. Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 196. 486 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. d) (3). 487 Vgl. auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739 f., mit Verweis auf Art. 3 RL und die Gebote der Fairness, Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit; bzgl. einer Art. 50 Abs. 6 TRIPs konformen Auslegung des § 809 BGB im Ergebnis auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 456, der zu Recht darauf hinweist, dass eine Fortwirkung des Verwertungsverbots auf andere Beweis- und Erkenntismöglichkeiten nicht anerkannt werden kann. 485

372 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Ermittlungsergebnis zu Tage gefördert wird, welches von Anfang an ebenfalls als Ergebnis der Maßnahme denkbar war, fragt es sich, ob es dann billig erscheint, wenn er allein deswegen Schadensersatz zu leisten hätte. Weiterhin ist zu überlegen, ob im Rahmen einer Maßnahme, die auf den begründeten Verdacht einer Schutzrechtsverletzung zugeschnitten ist, Schadensersatz zu leisten ist, wenn sich herausstellt, dass „keine Verletzung […] vorlag“ (vgl. Art. 7 Abs. 4 RL)488. Denn die Voraussetzungen eines Erlasses – der begründete Verdacht – können anfänglich vorgelegen haben, auch wenn sich ex post ergibt, dass eine Verletzung nie bestand. Anders formuliert handelt es sich hier um die Frage, ob Art. 7 Abs. 4 RL eine strikte Garantiehaftung begründet, und zwar auch für Umstände, die nicht im Wissensoder Einflussbereich des Antragstellers liegen, oder ob vielmehr eine Verschuldenshaftung besteht. Zugegebenermaßen hätte eine Garantiehaftung eine gewisse Konsequenz für sich: Aufgrund der Schutzwürdigkeit des betroffenen Immaterialgüterrechts und eines strukturellen Informationsdefizits werden im Rahmen des Art. 7 RL niedrige Anforderungen an den Vortrag des Schutzrechtsinhabers kombiniert mit weitreichenden Ermittlungsbefugnissen. Dies wird ausgeglichen durch umfangreiche Maßnahmen des Geheimnisschutzes. Es würde in gewisser Weise in dieses System des Art. 7 RL passen, wenn sich der Schutzrechtsinhaber seine durch Art. 7 RL erlangte Privilegierung dadurch erkaufen müsste, dass er die Beweisermittlung anhand von bloßen Anhaltspunkten quasi auf eigenes Risiko und eigene Rechnung durchführen wurde und, wenn sich sein Verdacht nicht als zutreffend erweist, verschuldensunabhängig für den entstandenen Schaden haftet. Eine solche strenge Risikohaftung lässt sich teilweise auch in der Anwendungsgeschichte der „saisie“ nachweisen489. Zu Recht ist man jedoch bei der „saisie“ von dieser sehr strengen Haftung wieder abgekommen490. Eine strikte Garantiehaftung würde den Antragsteller in die Gefahr bringen, dass ihm alle möglichen Schäden aufgebürdet werden, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt. Entgegen der Intention des Art. 7 RL, welche eine Verbesserung der Aufklärungsmöglichkeiten bezweckt, würde er davon abgeschreckt, bei einem auf Anhaltspunkte gestützten Verdacht eine Beweisermittlung zu beantragen. Die Hilfestellung, die ihm die Beweisermittlung nach Art. 7 RL auf der einen Seite zu 488 Vgl. auch Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117c, sind jedenfalls der Ansicht, dass die Leistung von Schadensersatz angeordnet werden kann, wenn sich „herausstellt“, „dass keine Verletzung vorlag“. 489 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (7); sowie Treichel, Sanktionen, S. 211 f., mit Verweis auf ein Urteil des Tribunal civil de la Seine, 4. 2. 1928, Ann. 1928, S. 130, 131, der bedauert, dass die Rechtsprechung die dort vertretene strenge „Risikohaftung“ stark eingeschränkt habe und so nicht mehr ein „objektive[s] Gleichgewicht“ der widerstreitenden Interessen bestehe. 490 Vgl. oben unter 2. Teil, B. II. 3. b) (7), zwar ist die Haftung grds. streng und der Antragsteller handelt auf eigenen Verantwortung, allerdings knüpft die Haftung an bestimmte Missbrauchstatbestände an und setzt offenbar Verschulden voraus; vgl. auch Stauder, Überlegungen, GRUR Int. 1978, S. 230, 232 f.; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 159; Treichel, Sanktionen, S. 207 ff.; Boval, Sicherungs- und einstweilige Maßnahmen, GRUR Int. 1993, S. 377, 380.

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Gute kommen lässt, würde ihm auf der anderen Seite wieder genommen. Daher ist prinzipiell davon auszugehen, dass die Haftung des Antragstellers Verschulden voraussetzt. Entsprechend der Anwendungspraxis im Rahmen der „saisie“ und grundsätzlichen Überlegungen muss insofern folgendes gelten: Der Verzicht auf die Verletzungsklage bzw. die Nicht-Bestätigung des Verletzungsverdachts begründen nur dann eine Haftung, wenn der Antragsteller das Nichtbestehen seines Schutzrechts oder das Nichtvorliegen einer Verletzung kannte oder kennen musste. Ein Schadensersatzanspruch ist auch immer dann gegeben, wenn objektiv Umstände vorliegen, die nahe legen, dass die Beweisermittlung zum Ausspionieren von Betriebsgeheimnissen missbraucht werden sollte oder wenn die Eingriffsbefugnisse deutlich überschritten wurden und mehr oder anderes Material beschlagnahmt wurde als gerichtlich festgelegt wurde oder wenn offensichtlich nicht beweiserhebliches Material beschlagnahmt wurde. Aufgrund einer abstrakten Zuweisung von Risiken dürfte der Antragsteller jedoch verschuldensunabhängig haften, wenn Sachen des Antragsgegners während der Beweisermittlung oder der Beschlagnahme beschädigt werden. f) Zusammenfassung und Bewertung Wie gesehen, dient Art. 7 RL der Überwindung des Informationsdefizits des Schutzrechtsinhabers durch Statuierung einer – in aller Regel vorprozessualen – echten Beweisermittlungsmaßnahme in der Sphäre des Gegners. Dass hier im Ergebnis eine erhebliche Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht der nicht-risikobelasteten Partei zugunsten der risikobelasteten Partei begründet wird, ergibt sich vor allem bei einem Blick auf einige der wesensbestimmenden Elemente einer Informationsbeschaffungsmaßnahme, nämlich den Anforderungen an den Tatsachenvortrag der informationsbegehrenden Partei und den Anforderungen an die Bezugnahme auf die zur Informationsgewinnung gewünschten Beweisstücke. Insofern gelten im Vergleich zur bisherigen Tradition im deutschen Recht geradezu provozierend niedrige Anforderungen: In Bezug auf den erforderlichen Bestimmtheitsgrad des Vortrags gilt, dass die eigentliche Verletzungshandlung gegebenenfalls nicht konkret beschrieben werden muss und in Fällen sphärenbedingter, typischer Unkenntnis ein allgemeiner gehaltener Vortrag zulässig ist, der auf Basis des bisherigen deutschen Rechts von einer Mehrheit der Rechtsanwender wohl als Verstoß gegen Substantiierungspflicht und Ausforschungsverbot betrachtet würde. In Bezug auf den durch den Vortrag zu erreichenden Überzeugungsgrad ist zudem nicht von einer Wahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinne zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um die Plausibelmachung eines Verdachts. Dieser Verdacht muss jedoch zwingend auf einer beweisbaren Tatsache beruhen, die sich als deutliches Indiz für eine Schutzrechtsverletzung darstellt. Bloße Mutmaßungen und haltlose Spekulationen ohne konkretes Anzeichen sind daher nicht ausreichend.

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Während sich beispielsweise die Maßnahmen nach § 809 BGB oder §§ 142, 144 ZPO nur auf eine bestimmte einzelne Sache bezogen, die sehr konkret zu bezeichnen ist, muss zur Einleitung einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL kein einzelnes Beweisstück bezeichnet werden, sondern es können eine Gegenstandsklasse oder bestimmte zu erfüllende Merkmale angegeben werden. Vor Ort darf dann innerhalb des festgelegten Rahmens ein zuvor noch unbekanntes rechtserhebliches Beweisstück ermittelt werden, dem gegebenenfalls auch ein neuer Informationsgehalt zu entnehmen ist. Die niedrigeren Tatbestandsanforderungen und der erweiterte Fokus führen dazu, dass sich die Maßnahme nach Art. 7 RL nicht nur als Sicherungsmaßnahme darstellt, sondern als Maßnahme einer weitreichenderen Informations- und Beweisermittlung. Unter Inanspruchnahme der nicht-risikobelasteten Partei kann demgemäß festgestellt werden kann, ob die vermutete Verletzung tatsächlich vorliegt und wie die bisher unbekannte, konkrete verletzende Ausführungsform beschaffen ist. Zudem können den ermittelten unbekannten Beweisstücken weitere verletzungsbezogene Informationen entnommen werden. Die Zielsetzung der Überwindung typischer und unverschuldeter Informationsdefizite, wenn Anhaltspunkte einen Verletzungsverdacht begründen, aber die Sphärengrenzen ohne die Mitwirkung der gegnerischen Partei eine weitere Aufklärung des Sachverhalts verhindern würden, wird auf der Rechtsfolgenseite konsequent fortgeführt. Der informationssuchende Schutzrechtsinhaber ist nicht abhängig von einer Ermessensausübung, sondern erhält einen Anspruch auf den Erlass der Maßnahme; dies macht die Informationsbeschaffung für ihn vorhersehbar und kalkulierbar. Das Betriebsgelände und die Geschäftsräume des Antragsgegners dürfen betreten und nach den zuvor eingegrenzten Beweisstücken durchsucht werden. Die aufgefundenen Gegenstände können umfassend untersucht und beschrieben werden, was auch Substanzeingriffe und die Beschreibung von Ausführungsformen im Äquivalenzbereich einschließt, so dass aussagekräftige Informationen zur Verfügung stehen. Soweit erforderlich können Gegenstände auch beschlagnahmt werden. Diese Maßnahmen können gegebenenfalls effektiv mit Hilfe unmittelbaren Zwanges durchgesetzt werden. Mit Hilfe einer Maßnahme basierend auf Art. 7 RL dürfte es möglich sein, trotz eines sphärenbedingten Informationsdefizits genügend verletzungsbezogene Informationen zu erlangen, um vor Erhebung der Verletzungsklage die Erfolgsaussichten einer Klage beurteilen zu können, in der Klageschrift das Verletzungsgeschehen zu individualisieren und hinreichend bestimmte Antrag zu stellen, sowie schließlich im Prozess schlüssig vorzutragen. Obwohl es sich hier nicht um die Einleitung von Beweisermittlungsinstrumenten auf Grundlage von haltlosen Spekulationen, sondern nur um eine deutliche Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag in Bezug auf den zu erreichenden Bestimmtheits- und Überzeugungsgrad sowie die Bezugnahme auf die zu ermittelnden einzelnen Beweisstücke handelt, führt dies zu Ermittlungsmaßnahmen mit deut-

C. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lich ausforschenden Elementen. Zugespitzt gilt somit, dass gem. Art. 7 RL das Ausforschungsverbot zumindest in seiner traditionellen Auslegung in Bezug auf Beweisbeschaffungsmaßnahmen, wie sie Art. 7 Abs. 1 RL beschreibt, keine Geltung mehr beanspruchen kann491. Anders als das bisherige deutsche Recht verlangt Art. 7 RL allerdings auch die Anwendung eines Geheimverfahrens durch das die klägerische Naturalpartei konsequent von der Kenntnis aller Informationen aus der gegnerischen Sphäre ausgeschlossen wird, die sie unberechtigterweise wirtschaftlich verwerten könnte. Sollte auf Grund der Streiterheblichkeit von gegebenenfalls als Betriebsgeheimnis zu klassifizierenden Informationen eine vorherige Aussonderung der sensiblen Informationen nicht möglich sein, ist der verfahrensmäßige Geheimnisschutz, wie bereits erörtert492, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Bestehen einer Schutzrechtsverletzung auszudehnen. Wie gesehen, dienen – zumindest zum Teil – sowohl das Ausforschungsverbot als auch das beschriebene Geheimverfahren dem Schutz der gegnerischen Sphäre vor Ausspionierung von schützenswerten Betriebsgeheimnissen493. Eine lückenlose Anwendung des Geheimverfahrens kann somit teilweise die Schutzfunktion des Ausforschungsverbotes übernehmen. Diese Übereinstimmung in der Schutzrichtung macht deutlich, dass es zumindest in Fällen typischer Unkenntnis möglich ist, auf hohe Anforderungen an den Tatsachenvortrag zu verzichten und das Ausforschungsverbot zu relativieren, wenn im Gegenzug die fremde Geheimsphäre auf andere Weise wirksam geschützt wird, nämlich durch Statuierung eines deutlich verbesserten verfahrensmäßigen Geheimnisschutzes. Nach der hier vertretenen Auffassung kann daher im Rahmen des Art. 7 RL eine Beweisermittlung auf Grundlage eines durch tatsächliche Anhaltspunkte untermauerten Verdachts zugelassen werden, da die Sphäre des Gegners und seine Geheimhaltungsinteressen zwar nicht durch Betonung des Ausforschungsverbotes auf Tatbestandsebene geschützt werden, aber durch einen wirksamen Geheimnisschutz auf Verfahrensebene. Um die Einhaltung der Geheimnisschutzverpflichtungen zu gewährleisten, sind Verstöße streng zu sanktionieren. Weiterhin muss das Verfahren so ausgestaltet sein, dass die zur Vorbereitung der Verletzungsklage geprüften sensiblen Informationen vor einer Kenntnisnahme durch die Naturalpartei quasi „zurückgegeben“ werden können494, wenn sich der Verdacht trotz Anhaltspunkten als unbegründet erweisen sollte.

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Vgl. hierzu zumindest ähnlich Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 161, der davon spricht, dass „im Einklang mit der internationalen Entwickung durch die R[icht]L[inie] eine gewisse Aufweichung [des Ausforschungsverbots; Anm. d. Verf.] erfolgen“ werden müsse. 492 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. d) (3). 493 Vgl. oben unter Einleitung, B. I. 3. sowie 1. Teil, 2. Abschnitt, E. 494 Dies ist nach bisherigem Recht ohne strengen Geheimnisschutz in der Regel nicht möglich, daher wird in der Regel bei Informationsansprüchen keine Ausnahme vom Verbot der Erfüllungsverfügung gemacht; vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. V. 3.

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2. Teil: Die EG-Richtlinie 2004/48/EG

Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass nicht durch überhöhte Anforderungen auf der Tatbestandsseite eine „Entweder-Oder“-Entscheidung herbeigeführt wird, die zur Zurückweisung eines Informationsbegehrens kann, welches sich im weiteren Verlauf möglicherweise als berechtigt erwiesen hätte. Durch den verfahrensmäßigen Geheimnisschutz können die widerstreitenden Interessen nebeneinander berücksichtigt werden, so dass einerseits eine echte Beweisermittlung zur Überwindung des Informationsdefizits stattfinden kann, und andererseits das gegenläufige Interesse, dass der klagende Wettbewerber die ermittelten Informationen nicht wirtschaftlich verwerten kann, genauso folgerichtig durch weitgehenden Ausschluss der Naturalpartei geschützt wird. Unter den Bedingungen des beschriebenen Geheimnisschutzes stellt sich die umfassende Mitwirkungspflicht der nicht-risikobelasteten Partei auch als zumutbar dar. Verbleibende Bedenken können durch die Überlegung ausgeräumt werden, dass sich bei einer Entscheidung gegen die Informationsermittlung unter Mitwirkung der gegnerischen Partei das eingeräumte Immaterialgüterrecht gegebenenfalls als wertlos erweisen würde; dies würde angesichts der Tatsache, dass sich das zu überwindende Informationsdefizit unverschuldet aus dem Wesen der Immaterialgüterrechte ergibt, der Grundsatzentscheidung für die Schutzwürdigkeit der Immaterialgüterrechte widersprechen. Der grundsätzliche Gedanke, dass im Interesse der gebotenen Sachverhaltsaufklärung eine Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag möglich ist, wenn nur im Gegenzug der verfahrensmäßige Geheimnisschutz verbessert wird, ist im Übrigen, wie bereits erörtert, schon in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Faxkarte“ angelegt495. Eine Absenkung unterhalb des Niveaus einer „Wahrscheinlichkeit“ im eigentlichen Sinne war dort auf Grund der gesetzlichen Vorgaben des § 809 BGB und des Fehlens eines Geheimverfahrens nicht möglich. Sicherlich vereinfachend, jedoch zu Ende gedacht, lässt sich sagen, dass die Beweisbeschaffung nach Art. 7 RL nicht wie das bisherige deutsche Recht von dem Grundsatz „Ausforschungsverbot statt Geheimverfahren“ geprägt wird496, sondern dem Paradigma „Geheimverfahren statt Ausforschungsverbot“ folgt.

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Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, E. Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, E.

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3. Teil

Umsetzungsbedarf, Umsetzungsmöglichkeiten und die konkrete Umsetzung durch das Umsetzungsgesetz A. Umsetzungsbedarf I. Zuordnung der Maßnahmen nach Art. 6 und 7 RL zu den bestehenden Instituten nach bisherigem deutschen Recht 1. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL regelt ein prozessuales Institut der Beweisbeschaffung, welches im bereits laufenden Verletzungsverfahren zur Anwendung kommt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ergibt sich ein prozessualer Anspruch gegen die nicht-beweisbelastete Partei auf Vorlage von Urkunden und Augenscheinsgegenständen. Mit Blick auf den Anwendungszeitpunkt und die Rechtsfolge lässt sich Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL noch am ehesten den Regelungen der amtswegigen Beweismittelvorlageanordnung nach §§ 142, 144 ZPO zuordnen1. Dogmatisch kommt die Regelung der Lehre von der allgemeinen Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei bei der Stoffsammlung sehr nahe2. Da sich diese Lehre in der Rechtspraxis nach bisherigem deutschen Recht jedoch nicht durchsetzen konnte, kann sie einer Prüfung des Umsetzungsbedarfes der Richtlinie nicht zu Grunde gelegt werden. Gleiches gilt für den Vorschlag von Mes3. 2. Art. 6 Abs. 1 S. 2 RL Art. 6 Abs. 1 S. 2 RL normiert eine eigenständige Beweiserleichterungsregel im Rahmen des gerichtlichen Nachweises einer Schutzrechtsverletzung. Danach gilt die Gesamtheit einer aufgefundenen Menge von Gegenständen als schutzrechtsverletzend, wenn sich dieser Nachweis in Bezug auf eine Stichprobe, bestehend aus 1 Ähnlich zumindest in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 RL Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747, 750; in Bezug auf § 142 ZPO Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 25; ähnlich auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 394; vgl. hierzu auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 20 f. 2 Ebenso Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22 ff. 3 Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, B. I. 3. und 4.

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

einer angemessen großen Auswahl an Gegenständen, führen lässt4. Eine Beweisregel dieses Inhalts existiert im bisherigen deutschen Recht nicht. Rückschlüsse dieser Art lassen sich der freien richterliche Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zuordnen; nach § 286 ZPO ist das Gericht an schematisierte Beweisregeln jedoch grundsätzlich gerade nicht gebunden5. Allerdings sind die geltenden Denk- und Erfahrungssätze zu beachten6. Wenn man die Beweiserleichterungsregel nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL großzügig als Erfahrungssatz ansieht, kann sie im Rahmen der Beweiswürdigung Anwendung finden. Wenn man stattdessen gerade den Grundsatz der freien Beweiswürdigung betont, wäre die Aufnahme der Beweiserleichterungsregel nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL in die Sondergesetze zum Schutz des Immaterialgüterrechts unerlässlich. 3. Art. 6 Abs. 2 RL Art. 6 Abs. 2 RL statuiert im Falle einer dem Grunde nach bereits feststehenden und in gewerblichem Umfang begangenen Schutzrechtsverletzung einen Anspruch auf Vorlage von Bank-, Finanz-, oder Handelsunterlagen zur Ermittlung des Umfangs und der tatsächlichen Nutznießer der Verletzung7. Systematisch bestehen damit Parallelen zu § 142 ZPO sowie zu dem materiellen Rechnungslegungsanspruch im Falle einer dem Grunde nach feststehenden, schuldhaften Verletzungshandlung gem. §§ 687 Abs. 2, 681, 666 BGB analog bzw. gem. § 242 BGB8. 4. Art. 7 RL Art. 7 RL normiert eine Beweisermittlungsmaßnahme, welche im Falle einer nur vermuteten Schutzrechtsverletzung vor allem vorprozessual zur Anwendung kommt, um die Voraussetzungen einer Klageerhebung und einer erfolgreichen Prozessführung zu schaffen. Im Hinblick auf den Anwendungszeitpunkt und die Funktion ist Art. 7 RL vor allem mit § 809 BGB vergleichbar9. Auch die Beweissicherung nach §§ 485 ff. ZPO kommt in Betracht; da sich die §§ 485 ff. ZPO aber als derart ungeeignet erwiesen haben10, soll ein Vergleich mit §§ 485 ff. ZPO hinsichtlich der Feststellung eines Umsetzungsbedarfs hier unterbleiben. Insofern als nach der hier gefundenen Auslegung des Art. 7 RL im Einzelfall auch eine Anwendung in einem laufenden Verfahren in Betracht kommt, und zwar dann 4

Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, C. III. 3. Vgl. Musielak/Foerste, ZPO, § 286 Rdn. 9 ff., 14. 6 BGH, NJW 1993, S. 935, 937; Musielak/Foerste, ZPO, § 286 Rdn. 10. 7 Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, C. III. 4.; vgl. im Hinblick auf die tatsächlichen Nutznießer auch Wiebe, EnforcementRL, TB „IT doesnt matter!?“, S. 153, 161. 8 Zu letzterem vgl. Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 747; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 574 ff.; Kraßer, Patentrecht, § 35 V. 9 Auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 750 vergleicht Art. 7 RL mit § 809 BGB und stellt fest, dass Art. 7 RL über § 809 BGB „erheblich hinaus“ gehe. 10 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, A. IV. 5

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wenn primär die Lösung eines Kenntnisproblems erforderlich ist11, drängt sich auch ein Vergleich mit den §§ 142, 144 ZPO unter dem Gesichtspunkt verminderter Anforderungen an die Substantiierung der Verletzungshandlung und an die Bezeichnung der Beweisstücke auf. Gerade Art. 7 RL könnte unter diesem Gesichtspunkt die Frage nach dem Bestehen oder der Einführung einer echten Aufklärungspflicht der nichtbeweisbelasteten Partei unter diesen abgesenkten Voraussetzungen aufwerfen. II. Umsetzungsbedarf der Art. 6 und 7 RL im Vergleich mit dem bisher geltenden deutschen Recht 1. Art. 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 RL im Vergleich mit den §§ 142, 144 ZPO a) Tatbestandsvoraussetzungen (1) Vergleich Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL verlangt lediglich, dass die Verletzungshandlung anhand von Einzeltatsachen individualisiert wird, was nicht in jedem Fall einen lückenlos substantiierten, d. h. schlüssigen Vortrag erfordert. Das Vorliegen des Verletzungsanspruches ist in gewisser Weise wahrscheinlich zu machen. Nach Art. 6 Abs. 2 RL muss eine schuldhafte Verletzungshandlung in gewerblichem Ausmaß dem Grunde nach bereits feststehen. Eine Anordnung nach § 142 ZPO bzw. § 144 ZPO setzt jeweils einen substantiierten, d. h. bestimmten Tatsachenvortrag voraus, der nicht „ins Blaue hinein“ erfolgt. Insofern besteht hinsichtlich des nötigen Bestimmtheitsgrades gewisser Anpassungsbedarf, nicht jedoch hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrades12. In Bezug auf Art. 6 Abs. 2 RL ergibt sich kein Umsetzungsbedarf, da die §§ 142, 144 ZPO die nachgiebigeren Voraussetzungen aufweisen. Allerdings ermöglicht Art. 6 Abs. 2 RL die Vorlage von Unterlagen zur Ermittlung der tatsächlichen Nutznießer der Verletzung. Die §§ 142, 144 ZPO setzen jedoch die Entscheidungserheblichkeit der vorzulegenden Sachen bezüglich des laufenden Rechtstreites voraus, so dass Unterlagen, die nur die Klage gegen Dritte ermöglichen sollen, nicht vorgelegt werden müssen. Die entstehende Divergenz zwischen Art. 6 Abs. 2 RL und den §§ 142, 144 ZPO lässt sich dennoch nicht einfach als Umsetzungs11

Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (1). Vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 25 f., der Art. 6 RL durch „Einführung einer umfassenden Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht des Prozessgegners nach Substantiierung des Sachvortrags durch den Schutzrechtsinhaber“ umzusetzen empfiehlt, jedoch offenbar auch einen Vortrag für zulässig hält, der „soweit wie möglich substantiiert“ ist; a.A. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21, die auch bei Geltendmachung im Verletzungsprozess die Nachforderungen an den Nachweis der Verletzung reduziert sehen will. 12

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

bedarf einordnen, da Art. 6 Abs. 2 RL als Ausgleich für die Fokusierung auf Dritte eine feststehende Verletzung voraussetzt, was bei den §§ 142, 144 ZPO wiederum nicht der Fall ist. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 RL sind bestimmte einzelne Beweisstücke zwar nicht exakt, jedoch so zu bezeichnen, dass sie zumindest individuell identifizierbar sind, wobei außerhalb der fremden Sphäre keine zu strengen Anforderungen gestellt werden dürfen. Die nach §§ 142, 144 ZPO vorzunehmende Bezeichnung weicht hiervon kaum ab13, auch wenn nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL ein unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag nicht so rasch anzunehmen sein dürfte wie im deutschen Recht, so dass diesbezüglich kaum Umsetzungsbedarf besteht14. Da die Neufassung der §§ 142, 144 ZPO zur Einleitung einer Vorlageanordnung gegenüber der nicht-beweisbelasteten Partei auch eine Bezugnahme durch die beweisbelastete Partei ausreichen lässt, besteht auch insofern kein Anpassungsbedarf. (2) Entscheidung „Restschadstoffentfernung“ In der aktuellen Entscheidung „Restschadstoffentfernung“15 kommt der Bundesgerichtshof dagegen im Ergebnis zu einem weit größeren Umsetzungsbedarf hinsichtlich der Anforderungen an den Tatsachenvortrag bei § 142 ZPO, wenn man die auch vom Bundesgerichtshof zitierte Auslegung des § 142 ZPO durch die ganz herrschende Auffassung mit der Auslegung des § 142 ZPO vergleicht, zu der der Bundesgerichtshof unter ausdrücklicher Heranziehung der Anforderungen des Art. 6 RL – mit dessen Umsetzung die Bundesrepublik Deutschland zum Urteilszeitpunkt in Verzug war – gelangt. Der Bundesgerichtshof kommt in der Entscheidung „Restschadstoffentfernung“ zu dem zutreffenden Gesamtergebnis, dass in Zukunft unter der Einwirkung der Durchsetzungs-Richtlinie Vorlageanordnungen – gerade „bei Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte“ begründet sein können, wenn diese „zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich“ sind16, so dass im zu entscheidenden Fall eine Vorlageanordnung hätte ergehen müssen, obwohl nach Ansicht des Berufungsgerichts durch den Kläger „der rechtliche Bezug der Darstellung zum Streitstoff nicht ausreichend dargelegt“ war. Dabei macht der Bundesgerichtshof an mehreren

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Vgl. auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 25. A.A. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21, die auch hinsichtlich Art. 6 RL die Anforderungen an die Bezeichnung des Beweismittels reduziert sehen will. 15 BGH, Urteil v. 1. August 2006, X. ZR-Senat, WRP 2006, S. 1377, 1377 ff. – „Restschadstoffentfernung“. 16 Vgl. BGH, WRP 2006, S. 1377, 1377 (Leitsatz), 1382, [Hervorhebung d. Verf.], – „Restschadstoffentfernung“. 14

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Stellen deutlich, dass er den Verweis auf das „Ausforschungsverbot“ in Bezug § 142 ZPO künftig so nicht mehr gelten lassen will17. Dieses zutreffende Gesamtergebnis leitet der Bundesgerichtshof auf eine Weise her, die teilweise der anerkannten Auslegung des § 142 ZPO widerspricht, verschiedene Rechtsinstitute in unsystematischer Weise vermengt und in unklarer Weise eine Auslegung von § 142 ZPO nach bisher geltendem Recht, eine richtlinienkonforme Auslegung und eine Umsetzung der Richtlinie gleichsetzt. Zu begrüßen ist, dass der Bundesgerichtshof feststellt, dass „sich gerade im Bereich der besonders verletzlichen technischen Schutzrechte in besonderem Maß“ ein „Beweisnotstand des Klägers“ ergeben kann18. Der Bundesgerichtshof zieht nun § 142 ZPO heran, um diesem Beweisnotstand „zu begegnen“19. Zunächst zitiert er eine „verbreitete Auffassung“ bzw. die Gesetzesbegründung zu § 142 ZPO n. F., wonach § 142 ZPO „nicht zur Ausforschung“ führen dürfe bzw. „nicht von schlüssigem Vortrag“ entbinde20. Genauso wird die Literatur zu § 142 ZPO zitiert, die „allerdings überwiegend konkretisierten Tatsachenvortrag“ verlange und eine „Ausforschung als unzulässig“ ansehe; ebenso die „Instanzrechtsprechung“, die „die Erforderlichkeit einer Substantiierung […] durchgehend“ bejahe und „ein „globales“ Vorlageverlangen als nicht ausreichend“ ansehe21. Allerdings stellt der Bundesgerichtshof nun fest, dass sich „ein Ausforschungsverbot […] dem Wortlaut“ des § 142 ZPO nicht entnehmen lasse22. Vielmehr komme § 142 ZPO im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes „nunmehr auch die Funktion zu, die Maßnahmen zu verwirklichen, die nach Art. 6 [RL…] zur Vorlage von Beweismitteln vorgesehen“ seien und das „französische Recht in Form der „saisie contrefaÅon“ oder das Recht des Vereinigten Königreichs in Form der „search order“ (Anton Piller Order“)“ kenne23. Eine differenzierte Anwendung des § 142 ZPO im gewerblichen Rechtsschutz sei geboten, da 17 Vgl. BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382, 1383 – „Restschadstoffentfernung“. Der Bundesgerichtshof versucht allerdings mit einem Verweis auf seine Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast (S. 1383) den Eindruck zu erwecken, dass dies bereits bisher so gewesen sei, und das Berufungsgericht die Anforderungen an eine Vorlageanordnung bereits nach bisher geltendem Recht „verkannt“ habe. Das Berufungsgericht – immerhin das OLG München – hat mit seinem Argument einer zu verhindernden Revision der Beweislastregeln der Zivilprozessordnung (zit. nach BGH, a.a.O., S. 1383) jedoch nur ein Argument genannt, wie es von der herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung in ihrer Ablehnung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht nach bisher geltendem Recht durchgängig gebraucht wurde (vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. c) (1). Immerhin macht der BGH deutlich, dass die Anforderungen, die er nun an § 142 ZPO stellt, sich von den Anforderungen unterscheiden, die – nur auf Basis des bisher geltenden Rechts, unter Außerachtlassung der Richtlinie – die ganz herrschende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung an § 142 ZPO stellte. 18 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 – „Restschadstoffentfernung“. 19 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 – „Restschadstoffentfernung“. 20 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1381 a. E. f. – „Restschadstoffentfernung“. 21 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1383 – „Restschadstoffentfernung“. 22 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 li. Sp. – „Restschadstoffentfernung“. 23 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 – „Restschadstoffentfernung“.

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

eine spezialgesetzliche Regelung bisher fehle und nach dem „derzeitigen Stand der Gesetzgebungsarbeiten auch nicht vorgesehen sei“24. Unter dem Eindruck des Art. 6 RL senkt der Bundesgerichtshof im Ergebnis die Anforderungen an den Tatsachenvortrag bei § 142 ZPO im Vergleich zur Auslegung durch das Berufungsgericht und die zitierten Auffassungen ab, wenn er ohne Hinweis auf einen konkretisierten Vortrag feststellt, dass eine Vorlageanordnung ergehen könne, wenn dies „zur Aufklärung […] geeignet, […] erforderlich […und] nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumutbar“ sei25. Unzutreffenderweise stellt der Bundesgerichtshof nun fest, dass es zudem ausreiche, wenn die Schutzrechtsverletzung „wahrscheinlich“ sei. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Übertragung der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“26 zu dem materiellen Anspruch nach § 809 BGB. Nach dieser Entscheidung stehe das „Ausforschungsverbot“ dieser Annahme nicht entgegen27. Richtigerweise haben die Wahrscheinlichkeit und damit ein gesteigerter Überzeugungsgrad – in Anlehnung an das tatsächliche Bestehen einer Sonderverbindung – mit dem prozessualen Instrument nach § 142 ZPO jedoch nichts zu tun. Nach allgemeiner Meinung reicht es bei § 142 ZPO in Bezug auf den nötigen Überzeugungsgrad aus, dass der Vortrag nicht „ins Blaue hinein“ erfolgt. Eine Übertragung der Anforderungen eines materiellen Anspruches auf das prozessuale Instrument ist insofern verfehlt. Erklären lässt sich dieses Vorgehen möglicherweise dadurch, dass der Bundesgerichtshof – wie sich aus einer Gesamtbetrachtung der Urteilsbegründung ergibt – wohl die Anforderungen an die Substantiierung, d. h. die Bestimmtheit, des Verletzungsvortrages im Einzelfall absenken, nämlich wenn es zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich und zumutbar ist, und in einem solchen Fall im Gegenzug die Anforderungen an den durch Darlegung gewisser Anhaltspunkte zu erreichenden Überzeugungsgrad leicht anheben will28. Gerade der Verweis auf die „Best-Practice“-Maßnahmen durch den Bundesgerichtshof machen deutlich, dass der Bundesgerichtshof mit seinen Hinweisen auf eine Relativierung des Substantiierungsgebots eher auf Art. 7 RL Bezug nimmt. Möglicherweise wird Art. 6 RL nur zitiert, weil er mit seinem eindeutig innerprozessualen Anwendungsbereich besser zu einer Auslegung des vom Berufungsgericht an-

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BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 – „Restschadstoffentfernung“. Hierin liegt eine deutliche Kritik des unverändert gebliebenen Umsetzungsgesetzes, welches nur an § 809 BGB anknüpft und eine prozessuale Umsetzung der Richtlinie völlig außer Acht lässt. 25 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 a. E. f. – „Restschadstoffentfernung“. 26 BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1046 ff. – „Faxkarte“; vgl. hierzu ausführlich oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt. 27 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1383 – „Restschadstoffentfernung“, mit Verweis auf BGH, GRUR 2002, S. 1046, 1048 f. 28 Ein weiterer Grund könnte sein, dass Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL verlangt, dass die Schutzrechtsverletzung in gewisser Weise „wahrscheinlich“ ist.

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gewendeten § 142 ZPO und der vorgefundenen innerprozessualen Situation passt29. Ein weiterer Grund für die Anwendung des Art. 6 RL unter Bezugnahme auf Auslegungskriterien des Art. 7 RL mag darin begründet sein, dass in dem dem Bundesgerichtshof vorliegenden Referentenentwurf einer Umsetzung der DurchsetzungsRichtlinie fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass Art. 6 RL und Art. 7 RL – ähnlich dem Verhältnis von Art. 43 TRIPs zu Art. 50 Abs. 1 lit. b) TRIPs – Teil einer einheitlichen Maßnahme seien, für die Art. 7 RL lediglich die Anwendung im einstweiligen Verfahren regele30. Aus diesen Gründen eignet sich die Entscheidung „Restschadstoffentfernung“ auch nicht zu einer systematischen Abgrenzung von Art. 6 RL und Art. 7 RL. Da die Entscheidung bereits unter dem Eindruck der abgelaufenen Umsetzungsfrist für Art. 6 RL erging und einige systematische Unklarheiten, sowohl in Bezug auf die Durchsetzungs-Richtlinie, als auch vor allem in Bezug auf § 142 ZPO und § 809 BGB enthält, die der bisher anerkannten Auslegung gänzlich widersprechen, eignet sie sich auch nicht zur Bestimmung des Umsetzungsbedarfs von Art. 6 RL im Vergleich zu § 142 ZPO, wie dies hier zunächst unterstellt wurde. Hierzu waren eher die vom Bundesgerichtshof zitierte Gesetzesbegründung zu § 142 ZPO sowie die ebenfalls zitierte allgemeine Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung heranzuziehen, welche noch keine ausdrückliche Bezugnahme auf die Durchsetzungs-Richtlinie enthalten. Unabhängig von diesen systematischen Fragen und der hier vertretenen Abgrenzung von Art. 6 zu Art. 7 RL wird hier jedoch auch deutlich, dass der Bundesgerichtshof angesichts der Art. 6 und 7 RL bereit ist, einen „typischen Beweisnotstand des Klägers“ im „gewerblichen Rechtsschutz insgesamt“ und „gerade im Bereich der besonderen technischen Schutzrechte“31 anzuerkennen und unter wohl abgesenkten – im Einzelnen nicht dargestellten – Voraussetzungen an die Substantiierung der Verletzungshandlung und offenbar unter Relativierung des Ausforschungsverbotes sowie unabhängig vom Bestehen eines materiellen Vorlageanspruches der nicht-beweisbelasteten Partei die Vorlage von Beweismitteln aufzugeben. Unter dem bestimmenden Einfluss der Art. 6 und 7 RL interpretiert er damit – zumindest im Immaterialgüterrecht – den § 142 ZPO in einer Weise, die als Schritt hin zur Anerkennung einer prozessualen Aufklärungspflicht gedeutet werden muss, wie sie vor Verabschiedung der Durchsetzungs-Richtlinie von der herrschenden Meinung zu § 142 ZPO mit

29 Hinzuweisen ist darauf, dass nach der hier gefundenen Auslegung Art. 7 RL im Einzelfall auch in einem laufenden Verfahren angewendet werden kann, wenn primär die Lösung eines Kenntnisproblems erforderlich ist; vgl. hierzu oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (1). 30 Vgl. Referentenentwurf des Umsetzungsgesetzes (Stand 3. 1. 2006), S. 49 ff.; vgl. zum Verhältnis von Art. 6 RL zu Art. 7 RL nach Auffassung des Umsetzungsgesetzgebers unten unter 3. Teil, C. II. 2. a); vgl. zur zutreffenden Auffassung hinsichtlich des Verhältnisses von Art. 6 RL zu Art. 7 RL oben unter 2. Teil, C. III. 1. sowie 5. a) (3). 31 BGH, WRP 2006, S. 1377, 1382 – „Restschadstoffentfernung“.

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

Blick auf die Gesetzesbegründung noch klar abgelehnt wurde32. Da diese Rechtsprechung jedoch nicht allein auf § 142 ZPO, sondern auf der Kombination mit Art. 6 RL beruht, im Hinblick auf Art. 7 RL nicht weit genug reicht und keinesfalls als gefestigt bezeichnet werden kann, lässt sie den Umsetzungsbedarf von Art. 6 und 7 RL nicht entfallen, so dass eine gesetzliche Neuregelung erforderlich bleibt. b) Rechtsfolge Auf der Rechtsfolgenseite ist hinsichtlich des Umsetzungsbedarfs von Art. 6 RL zunächst festzuhalten, dass sich Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL auf Urkunden und Augenscheinsgegenstände bezieht und Art. 6 Abs. 2 RL explizit auf Finanzunterlagen. Dies entspricht § 142 ZPO (Urkunden) sowie § 144 ZPO (Augenscheinsgegenstände, einschließlich elektronischer Dokumente, vgl. § 371 Abs. 1, S. 2 ZPO), so dass insofern kein Umsetzungsbedarf besteht. Sowohl Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL als auch Art. 6 Abs. 2 RL gewähren der risikobelasteten Partei jedoch ein Antragsrecht und einen Anspruch auf die Vorlageanordnung gegenüber der gegnerischen Partei unabhängig von einem materiellen Anspruch. Eine Anordnung nach § 142 ZPO ergeht gegenüber der gegnerischen Partei auf Grund einer amtswegigen Ermessensentscheidung unabhängig von einem materiellen Anspruch. Nach § 144 ZPO ergeht unabhängig von materiellen Ansprüchen nach einer amtswegigen Ermessensentscheidung gegenüber der gegnerischen Partei die Anordnung Augenscheinsgegenstände vorzulegen bzw. ihre Inaugenscheinnahme zu dulden. Eine Duldungspflicht kann jedoch nicht angeordnet werden, wenn sich der in Augenschein zu nehmende Gegenstand in einer Wohnung befindet, worunter auch Betriebsund Geschäftsräume einer juristischen Person zu verstehen sind. Der Beweisantritt hinsichtlich regulärer Augenscheinsgegenstände im Besitz der gegnerischen Partei kann auch nach § 371 Abs. 1 S. 1 ZPO, nicht jedoch nach §§ 371 Abs. 2 S. 1, 144 ZPO erfolgen33. Diesbezüglich besteht jedoch keine ausdrückliche Duldungspflicht. Hinsichtlich elektronischer Dokumente ergeht unabhängig von einem materiellen Anspruch eine amtswegige Ermessensentscheidung nach § 144 ZPO. Eine gebundene Entscheidung kann hinsichtlich elektronischer Dokumente unter den Voraussetzungen der §§ 371 Abs. 2 S. 2, 422 – 427 ZPO, also des Vorliegens eines materiellen Anspruchs, ergehen34. 32 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. c) (3); auch die Geltung des „nemotenetur“-Grundsatzes wird durch dies Rechtsprechung unter dem Einfluss des Art. 6 RL klar zurückgewiesen. Bereits vor BGH „Restschadstoffentfernung“ hat Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 22, 24 f., den Art. 6 RL als Schritt zur Anerkennung einer prozessualen Aufklärungspflicht gedeutet und eine entsprechende Umsetzung im Wege der Einführung einer solchen Aufklärungspflicht gefordert. 33 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. III. 2. b) (2) (b). 34 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. III. 2. b) (2) (b).

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Umsetzungsbedarf besteht folglich insofern, als in jeder der angesprochenen Konstellationen eine gebundene Entscheidung, also ein Anspruch der beweisbelasteten Partei, unabhängig von einem materiellen Anspruch vorzusehen ist. Diesbezüglich muss auch eine entsprechende Duldungs- bzw. Mitwirkungspflicht bestehen, welche Gegenstände, die sich in einer Wohnung befinden, nicht ausnimmt. Die Vorlagepflicht nach Art. 6 RL kann zumindest mittels der Anordnung von prozessualen Beugemitteln mittelbar durchgesetzt werden. Gegenüber einer Partei sind die Anordnungen nach §§ 142, 144 ZPO jedoch weder unmittelbar noch mittelbar erzwingbar. Die Verweigerung der Mitwirkung zieht einzig beweisrechtliche Nachteile im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach sich (vgl. §§ 144 Abs. 3, 371 Abs. 3 ZPO bzw. §§ 142, 427 S. 2 ZPO analog)35. Die Umsetzung des Art. 6 RL erfordert daher im Immaterialgüterrecht die Einführung von zwangsweise durchsetzbaren prozessualen Mitwirkungs- und Duldungspflichten bei der Beweismittelvorlage. c) Fazit Vorausgesetzt man macht – wie hier vertreten – die eigentlichen Informations- und Beweisermittlungselemente einschließlich der Absenkung der Anforderungen an die Substantiierung der Verletzungshandlung und an die Bezeichnung der Beweisstücke unter Relativierung des Ausforschungsverbotes vor allem an Art. 7 RL fest, dann ergibt sich in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 RL vor allem ein Umsetzungsbedarf in Bezug auf die Rechtsfolgen und die Durchsetzbarkeit einer Vorlageanordnung. 2. Art. 7 RL im Vergleich mit den §§ 809, 242 BGB, 935 ff. ZPO Die Ermittlung des Umsetzungsbedarfs erfolgt hier zunächst unter Zugrundelegung einer materiellen Umsetzungsmöglichkeit, da das noch zu erörternde Umsetzungsgesetz diesen Weg wählt. Anschließend werden jedoch alternative, respektive prozessuale Umsetzungsmöglichkeiten diskutiert36. a) Tatbestandsvoraussetzungen Art. 7 Abs. 1 RL setzt nicht voraus, dass der Schutzrechtsinhaber so bestimmt vorträgt, dass sich anhand seines Vortrags die Schlüssigkeit seiner Behauptung beurteilen lässt. Er muss die eigentliche Verletzungshandlung im Einzelfall nicht konkret beschreiben, sondern darf hierzu allgemeiner vortragen37. Hinsichtlich des nötigen 35 36 37

Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, D. IV. 2. a) (1). Vgl. hierzu Dritter Teil, B. II. Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (2) (a).

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

Überzeugungsgrades ist ein tatsächlicher Anhaltspunkt darzutun, der den geäußerten Verdacht plausibel erscheinen lässt38. Gemäß der Entscheidung „Druckbalken“ gilt im Patentrecht in Bezug auf § 809, 2. Fall BGB nach wie vor das Erfordernis der Darlegung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit. Im Urheber- und Wettbewerbsrecht kann nach der Entscheidung „Faxkarte“ als Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung die Darlegung einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausreichend sein39. Zur Frage des nötigen Bestimmtheitsgrades des Vortrags äußert sich der Bundesgerichtshof nicht explizit. Es ist anzunehmen, dass der Bestimmtheitsgrad entsprechend den recht hohen Anforderungen an den Überzeugungsgrad dem Erfordernis einer Substantiierung zumindest nahe kommen muss, jedoch die konkrete Ausführungsform, die erst durch die Besichtigung beschrieben werden soll, nur näherungsweise, aber gerade nicht in gänzlich schlüssigkeitsbegründender Weise – wie es für eine vollständige Substantiierung erforderlich wäre – beschrieben werden muss. Folglich besteht insbesondere im Patentrecht die Notwendigkeit die Anforderungen an die Darlegung des Überzeugungsgrads in Fällen typischer Unkenntnis abzusenken, insofern als anhand tatsächlicher Anhaltspunkte die Darlegung eines begründeten Verletzungsverdachts ausreicht40. Auch in Bezug auf die Bestimmtheit des Vortrags darf im Einzelfall allgemeiner vorgetragen werden. Nach Art. 7 Abs. 1 RL muss nicht ein bestimmtes einzelnes Beweisstück konkret bezeichnet werden. Es ist ausreichend, wenn zur Identifizierung eine Klasse von Gegenständen oder eine Reihe von Merkmalen genannt wird41, so dass vor Ort geprüft werden kann, ob das gefundene Einzelstück der genehmigten Kategorie angehört. 38

Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (2) (b). Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c). 40 Vgl. hierzu Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839, der mehrfach von „Verdacht“ spricht, jedoch in seinem Gesetzesvorschlag eines § 809 a Abs. 1 BGB sowohl die Formulierungen „Wahrscheinlichkeit“ als auch „Verdacht“ verwendet; in diese Richtung auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738 f., wenn er ausführt, der Rechtsinhaber könne zur Schutzrechtsverletzung und ihren Einzelheiten „auch nichts vortragen, was alsdann bewiesen werden könnte“, er benötige daher einen Anspruch auf Feststellung, „nicht nur einen Anspruch auf Sicherung von Beweisen für eine bereits präzise bezeichnete Verletzungshandlung“ (S. 738), zudem setzte Art. 7 RL „zwar eine ausreichende Bemühung, aber nicht notwendig eine Wahrscheinlichkeit“ voraus, es müsse jedoch „ein hinreichender Verdacht“ (S. 739) bestehen; a.A. wohl Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 25, der zwar die Einführung einer prozessualen Aufklärungspflicht fordert und in diesem Zusammenhang auch einen wenig substantiierten Vortrag für zulässig hält (S. 24), jedoch einen vorprozessualen Informationsanspruch „restriktiv“ gewähren will, und vorprozessuale Beweisersuchen um den eigenen Vortrag „erst schlüssig machen“ zu können aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für unzulässig hält. 41 Vgl. zur dieser Thematik auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21 ff., der Art. 7 RL so interpretiert, dass „neue, bislang noch unbekannte Beweismittel ermittelt werden können“, die „anders als in Art. 6 nicht ,bezeichnet“ sein müssen (S. 21), jedoch „ihrer Art nach eindeutig genannt“ (S. 26) sein müssen; Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 739 spricht dagegen von „bezeichneten“ Beweismitteln. 39

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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§ 809 BGB ist kein Institut zur Ermittlung unbekannter Beweisstücke. Insofern muss die zu untersuchende und mutmaßlich rechtsverletzende Einzel-Sache genau bezeichnet werden42. Folglich besteht Umsetzungsbedarf43. b) Rechtsfolge Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Schutzrechtsinhaber einen Anspruch auf Erlass der Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL44. Auch auf die Anordnung der Besichtigung nach § 809, 2. Fall BGB hat er einen materiellen Anspruch, so dass insofern kein Umsetzungsbedarf besteht. Zur Auffindung der Beweisstücke, die der genannten Gegenstandskategorie angehören, dürfen nach Art. 7 Abs. 1 RL die Geschäftsräume der gegnerischen Partei betreten und durchsucht werden. Für die Durchsuchungsanordnung ist das Prozessgericht zuständig. Die Maßnahme bezieht sich nicht nur auf eine konkrete Sache, gegebenenfalls die rechtsverletzende Sache, sondern nimmt weitere Beweisstücke in den Fokus. Es findet insofern eine Suche nach Gegenständen statt, die sich der genehmigten Kategorie zuordnen lassen45. Zur Durchsetzung eines Titels nach § 809 BGB kann der Gerichtsvollzieher gem. §§ 758, 758 a, 759 ZPO die Geschäftsräume des Schuldners zur Auffindung der konkret im Titel genannten Sache durchsuchen46. Zulässig ist nach § 809 BGB jedoch keine allgemeine Durchsuchung zur Auffindung von nicht konkret bezeichneten Beweisstücken, die einer Gegenstandskategorie angehören oder bestimmte Merkmale erfüllen47. Zudem bezieht sich § 809, 2. Fall BGB nur auf die Einzel-Sache, hinsichtlich welcher ein Anspruch wahrscheinlich ist; nicht auf weitere Beweisstücke. Außerdem ist jedenfalls nach § 758 a Abs. 1 S. 2, 802 ZPO zur Anordnung der Durchsuchung das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Durchsuchung stattfinden soll, zuständig48. Umsetzungsbedarf besteht also im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit49. Vor allem ist es jedoch erforderlich, die Ermittlung von unbekannten und nicht konkret bezeichneten, weiteren Beweisstücken zu ermöglichen50. 42

Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. a) und III. 1. A.A. Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 227 f. 44 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. b) (1). 45 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. b) (2). 46 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. c) (2) (a). 47 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 1. sowie BGH, GRUR 2004, S. 420, 420, 421 – „Kontrollbesuch“. 48 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. c) (2) (a), jedoch auch (c) und (d). 49 Vgl. hierzu auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 840. 50 Vgl. zur Thematik der Durchsuchungen auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 f., der jedenfalls Durchsuchungen für möglich hält, 43

388 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

Die aufgefundenen Gegenstände dürfen nach Art. 7 Abs. 1 RL eingehend untersucht werden. Dies schließt erforderliche und zumutbare Substanzeingriffe sowie die Beschreibung von möglichen Verletzungsformen im Äquivalenzbereich ein51. Während im Patentrecht noch das Verbot des Substanzeingriffes und der Beschreibung möglicherweise äquivalenter Ausführungsformen gilt, ist im Urheber- und Wettbewerbsrecht ein maßvoller Substanzeingriff möglich, sofern das Integritätsinteresse des Schuldners durch Stellung einer Sicherheit hinreichend berücksichtigt erscheint und die Zumutbarkeitsgrenze nicht überschritten ist52. Vor allem im Bereich des Patentrechts ergibt sich somit deutlicher Umsetzungsbedarf. Die gerichtliche Anordnung einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL kann im Falle der Mitwirkungsverweigerung unmittelbar zwangsweise durchgesetzt werden53. Dies gilt auch für einen Titel hinsichtlich des materiellen Anspruchs nach § 809 BGB, so dass kein Umsetzungsbedarf besteht. c) Verfahren Art. 7 Abs. 1 RL verlangt „schnelle“ und „wirksame“ Maßnahmen. Folglich muss die Beweisermittlungsmaßnahme ohne vorherige Anhörung der gegnerischen Partei stattfinden können. Im Anschluss an die eigentliche Beweisermittlung findet in einer Art Schnellverfahren eine mündliche Verhandlung über die Rechtmäßigkeit des Erlasses der Ermittlungsmaßnahme und die Ermittlungsergebnisse statt. Bei einer Freigabe der Ermittlungsergebnisse erfolgt die Verwertung der Ergebnisse zur Klagevorbereitung sogleich, ohne dass ein Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme erforderlich ist54. Eine Entscheidung über die Sicherung des Besichtigungsanspruchs nach § 809 BGB im Wege der einstweiligen Verfügung kann nach § 937 Abs. 2 ZPO ohne vorherige mündliche Verhandlung ergehen, wenn eine besondere Dringlichkeit besteht. In den hier zu beurteilenden Konstellationen wird dies in der Regel der Fall sein55, so dass kein Umsetzungsbedarf besteht. Nach der eigentlichen Besichtigung findet im einstweiligen Verfahren nach einem Widerspruch des Antragsgegners gem. §§ 936, 924 ZPO eine mündliche Verhandlung statt. Gegenstand von Verhandlung und Entscheidung ist nur die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung, nicht das grunddie über BGH-„Kontrollbesuch“ hinausgehen und bezwecken das „Sachsubstrat einer Schutzrechtsverletzung zunächst einmal ausfindig“ zu machen. 51 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. b) (2). 52 Wohl im Ergebnis auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 27, der sichergestellt sehen will, dass sich „der Patentinhaber auf vergleichbar weitgehende Eingriffsbefugnisse wie der Urheber berufen kann“; vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. b) und d). 53 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. c). 54 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. d) (1) und (2). 55 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. a) (b).

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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sätzliche Bestehen des Besichtigungsanspruchs. Wegen der unterschiedlichen Streitgegenstände von einstweiliger Sicherung und Hauptsacheentscheidung über das Bestehen des Besichtigungsanspruchs ist hier ein Übergang in den Hauptsacheprozess unzulässig56. Die herrschende Auffassung zu § 809 BGB lehnt zudem, nach bisher geltender Rechtslage zu Recht, die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung ab, zumindest wenn, wie regelmäßig, zu berücksichtigende Betriebsgeheimnisse geltend gemacht werden. An die Sicherung des Besichtigungsanspruchs im einstweiligen Verfahren schließt sich damit zwingend ein Hauptsacheverfahren wegen des Bestehens des Besichtigungsanspruchs an57. Insgesamt stellt sich das anzuwendende Verfahren als langwierig dar. Damit besteht Umsetzungsbedarf: Im Anschluss eine Beweisermittlung kann nicht in einem Schnellverfahren einschließlich mündlicher Verhandlung endgültig über die Rechtmäßigkeit einer Ermittlungsmaßnahme und die Freigabe der Ergebnisse entschieden werden. Eine mögliche Umsetzung des Art. 7 RL mit Hilfe eines materiellen Anspruchs und dem einstweiligen Verfahren dürfte sich jedoch nicht auf die Streichung des Hauptsacheverfahrens und die Einführung der Befriedigungsverfügung beschränken58, sondern müsste den Gegenstand der mündliche Verhandlung nach Widerspruch im Sinne des skizzierten Schnellverfahrens ausbauen59. Die eigentliche Beweisermittlung in der Sphäre des Gegners darf nach Art. 7 Abs. 1 RL ausschließlich durch einen neutralen und zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen erfolgen. Ein weitergehender Geheimnisschutz wird dadurch erreicht, dass in dem Untersuchungsbericht nicht streiterhebliche Informationen zu schwärzen sind60. Ein solches Vorgehen ist im deutschen Recht bereits etabliert61 oder auf Basis des bisher geltenden Rechts zumindest möglich62, so dass kein Umsetzungsbedarf besteht. Die weitreichende Beweisermittlung nach Art. 7 Abs. 1 RL erfordert zudem sowohl während der Verhandlung über die Freigabe der Ergebnisse als auch während der Vorbereitung der Verletzungsklage sowie gegebenenfalls im eigentlichen Verletzungsverfahren den Ausschluss der Naturalpartei von sensiblen Informationen und ihre Vertretung durch ihr selbst gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtete Pro56

Vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 924 Rdn. 7, § 916 Rdn. 4. Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. V. 3. 58 Für eine Befriedigungsverfügung z. B. Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 738. 59 Vgl. zum Ablauf und Gegenstand eines sinnvollen Schnellverfahrens oben unter 2. Teil, C. III. d) (2); auch Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187 ff., 193 ff., geht im Prinzip davon aus, dass das mehrstufige Verfahren gänzlich untauglich ist. Da Kühnen jedoch annimmt, die „Düsseldorfer Praxis“ sei gesetzeskonform (S. 187 ff.), vertritt er, dass Art. 7 RL hinsichtlich des Verfahrens kaum Umsetzungsbedarf nach sich ziehe (S. 193 ff.). So auch Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 227 f. 60 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. d) (2). 61 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c). 62 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. d) (1). 57

390 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

zessvertreter („in-camera“-Verfahren). Die Einhaltung dieser Verschwiegenheitspflicht muss durch Statuierung strenger Strafen bei einer Zuwiderhandlung, einschließlich eines zeitlich begrenzten Vertretungs- und Beistandsverbotes, abgesichert werden63. Unabhängig von einer möglichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ist jedoch der Ausschluss der Naturalpartei und die Begründung einer Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter im Sinne eines „in-camera“-Verfahrens nach geltendem einfachen Recht nicht zulässig. Die bestehenden Sanktionen betreffen insofern auch nicht diese Fallkonstellation64. Folglich muss der verfahrensmäßige Geheimnisschutz gänzlich neu geregelt werden65. Nach Art. 7 Abs. 2 RL muss die Beweisermittlung von der Stellung einer Sicherheit abhängig gemacht werden können66. Auch § 811 Abs. 2 S. 2 BGB (analog) ermöglicht die Anordnung einer Sicherheitsleistung sowohl bei der Vorlegung zur Besichtigung als auch beim der vom Wortlaut nicht erfassten Gestattung der Besichtigung67. Gleiches gilt nach §§ 936, 921 ZPO68, so dass insofern kein Umsetzungsbedarf besteht. Nach Art. 7 Abs. 3 RL ist die Anordnung einer Klagefrist anzuordnen, nach deren Ablauf die Maßnahme nach Antrag aufzuheben und die Ermittlungsergebnisse zurückzugeben sind69. Die §§ 936, 926 Abs. 1 und 2 ZPO sehen die Möglichkeit der Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage und der Aufhebung der Maßnahme im Falle der Fristversäumung vor. Analog angewendet könnte dies auch für die eigentliche Verletzungsklage gelten70. Mit der Maßgabe, dass der Schutzrechtsinhaber keinesfalls zur Erhebung der Verletzungsklage gezwungen sein kann71, besteht somit zumindest in Bezug auf das einstweilige Verfahren kein Umsetzungsbedarf. Nach Art. 7 Abs. 4 RL hat die gegnerische Partei einen Schadensersatzanspruch, wenn die Voraussetzungen des Erlasses der Maßnahme objektiv nicht vorlagen, die Sache unverschuldet beschädigt wurde oder objektiv die Grenzen der eingeräumten Befugnis überschritten wurden. Wohl entgegen dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 4 RL 63 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. d) (3); vgl. zu möglichen Sanktionen Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 840. 64 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3). 65 A.A. Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 227 f. 66 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. e) (1). 67 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. IV. 2. und 3. sowie 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. b) (3) (c). 68 Vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 921 Rdn. 7 f. 69 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. e) (2). 70 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. d) (2), sowie Musielak/Huber, ZPO, § 926 Rdn. 2 ff. 71 Von der Notwendigkeit eines Zwangs zur Verletzungsklage und der Schadensersatzpflicht im Fälle der Fristversäumung geht wohl Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 196 aus.

A. Umsetzungsbedarf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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besteht jedoch kein Schadensersatzanspruch, wenn sich im Verletzungsverfahren das Nicht-Vorliegen einer Verletzung erweist oder wenn trotz Fristsetzung keine Verletzungsklage erhoben wurde, weil die Ermittlungsergebnisse nach Einschätzung der Prozessvertreter des Schutzrechtsinhabers nicht ausreichen. Ein Schadensersatzanspruch in den zuletzt genannten Fällen besteht nur, wenn die klägerische Partei das Nicht-Vorliegen einer Verletzung kannte oder kennen musste, weil diese bei Statuierung eines verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruchs in diesen Fallkonstellationen entgegen dem Sinn und Zweck des Art. 7 RL von der Beantragung der Beweisermittlung abgehalten würde72. § 811 Abs. 2 BGB (analog) kann die Anforderungen des Art. 7 Abs. 4 RL nicht ganz erfüllen, da nur Fragen des Integritätsinteresses des Antragsgegners bei Beschädigung der Sache geregelt werden73. § 945 ZPO statuiert allerdings einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch74 des Antragsgegners auch in anderen Fällen. Dieser besteht, wenn die Verfügung „von Anfang an ungerechtfertigt“ (vgl. § 945 ZPO) war, wenn also objektiv die Voraussetzungen eines Erlasses nicht vorlagen75. Insofern ergibt sich kein Umsetzungsbedarf. § 945 ZPO greift allerdings auch ein, wenn schuldlos die Klagefrist gem. § 926 ZPO nicht eingehalten wurde76. Nach der hier gefundenen Auslegung geht § 945 ZPO insofern zu weit. Es besteht nach § 945 ZPO jedoch kein Schadensersatzanspruch, wenn sich erst im Verletzungsverfahren erweist, dass eine Schutzrechtsverletzung nicht vorlag. Denn wenn hinsichtlich der Verletzung anfänglich ein ausreichender Überzeugungsgrad vorlag, und sich erst später die fehlende Schutzrechtsverletzung erweist, erging die Verfügung zu Recht und nicht „von Anfang an ungerechtfertigt“77. Dies stimmt allerdings mit der hier gefundenen Auslegung des Art. 7 Abs. 4 RL überein. Umsetzungsbedarf besteht folglich nur insofern, als ein Schadensersatzanspruch bestehen muss, wenn der Schutzrechtsinhaber trotz Erreichen eines bestimmten Überzeugungsgrads das Nicht-Vorliegen der Verletzung kannte oder kennen musste78. 72

Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. e) (3). Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. IV. 2. und 3. 74 Vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 945 Rdn. 1. Die Risikohaftung bei § 945 ist im Gegensatz zur Situation bei Art. 7 Abs. 4 RL gerechtfertigt, da die Norm nicht unter Zugrundelegung einer Verdachtssituation geschaffen wurde, sondern weil der Antragsteller haften soll, wenn er ohne Not „auf eigenes Risiko einen noch nicht endgültigen Titel vollstreckt“ (vgl. Vgl. Musielak/ Huber, ZPO, a.a.O.). 75 Vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 945 Rdn. 2. 76 Vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 945 Rdn. 7. 77 Ebenso Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (Umsetzungsgesetz), S. 65. 78 A.A. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (Umsetzungsgesetz), S. 65, der sich in diesem Punkt das erste Mal eng am Wortlaut des Art. 7 RL orientiert und offenbar eine Risikohaftung vertritt. 73

392 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

d) Fazit: Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels Es zeigt sich, dass sich in Bezug auf Art. 7 RL und somit auf das Erfordernis der Richtlinie eine vorprozessuale Maßnahme zur Verfügung zu stellen, die gerade der Lösung des sphärenbedingten Kenntnisproblems dient, im bisher geltenden deutschen Recht der größte Umsetzungsbedarf besteht. Wie gesehen, ist im Hinblick auf den materiellen Anspruch nach § 809, 2. Fall BGB vor allem erforderlich, bei einer bloß vermuteten Schutzrechtsverletzung in Fällen typischer Unkenntnis die Anforderungen an den Tatsachenvortrag des informationsbedürftigen Schutzrechtsinhabers zu senken. Es muss in diesen Fällen im deutschen Recht möglich sein, zur Klagevorbereitung eine Beweisermittlungsmaßnahme einzuleiten, wenn der Überzeugungsgrad einer Wahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinne – nicht zu sprechen von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit – mangels Informationen noch nicht erreicht wird und bisher nur ein begründeter Verdacht auf Grund von tatsächlichen Anhaltspunkten dargelegt werden kann. Hierunter fallen nicht Informationsbegehren, die sich ohne Bezugnahme auf Tatsachen ausschließlich in Spekulationen ergehen. Zudem ist es nötig, im deutschen Recht eine Maßnahme zu verankern, die es erlaubt, die relevanten Beweisstücke nur ihrer Gegenstandsklasse nach zu bezeichnen, so dass vor Ort noch unbekannte, entscheidungserhebliche Einzelstücke ermittelt werden können. Diese Notwendigkeit echter Informations- und Beweisermittlung setzt sich insofern auf Rechtsfolgenseite fort, als gerade im Patentrecht die Möglichkeit gegeben sein muss unter Wahrung der gegnerischen Integritätsinteressen erkenntnisbringende Substanzeingriffe an den aufgefundenen Sachen vorzunehmen und mögliche Verletzungsformen im Äquivalenzbereich zu beschreiben. Insgesamt ist die Einführung von ausforschenden Elementen gefordert. Weiterhin wurde deutlich, dass es an einem schnellen, wirksamen und dabei rechtskonformen Durchsetzungsverfahren fehlt79. Vor allem aber folgt aus Art. 7 RL und dem Wesen weitergehender Ermittlungsmaßnahmen zwingend die Notwendigkeit der Einführung eines wirksamen Geheimnisschutzes. In Anbetracht gegebenenfalls schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen des Gegners ist zum Ausgleich von Ermittlungsmaßnahmen mit ausforschenden Elementen, die nicht auf Grundlage einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit oder bestehenden Sonderverbindung, sondern eines begründeten Verdachts ergehen, und somit auch das Nicht-Vorliegen einer Verletzung erweisen können, die Einführung eines Geheimverfahrens im Sinne eines Ausschlusses der Naturalpartei von der mündlichen Verhandlung und einer entsprechenden Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter erforderlich. Ein solches „incamera“-Verfahren existiert, wie gesehen, im bisher geltenden deutschen Recht nicht.

79 So zuvor schon Dreier, TRIPs, GRUR Int. 1996, S. 205, 218; Markfort, Geistiges Eigentum, S. 157, 189. Das Merkmal der Übereinstimmung mit dem bisher geltenden deutschen Recht ist insofern bei dem „Düsseldofer Praxis“ genannten Verfahren nicht gegeben, vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VII. 2.

B. Umsetzungsmöglichkeiten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Schematisierend lässt sich sagen, dass mit Art. 7 RL der Grundsatz „Geheimverfahren statt Ausforschungsverbot“80 auf den tradierten Grundsatz des bisherigen deutschen Rechts „Ausforschungsverbot statt Geheimverfahren“81 trifft. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels82.

B. Umsetzungsmöglichkeiten I. Prozessualer oder materieller Lösungsansatz? Für die Integration der neu zu schaffenden Vorlage- und Beweisermittlungsinstrumente in das deutsche Recht kommen prinzipiell ein prozessualer und ein materieller Lösungsansatz in Betracht. Regelungstechnisch am einfachsten ließe sich ein materieller Lösungsansatz verwirklichen. Der Gesetzgeber würde damit an die deutsche Rechtstradition der Verortung der Informationsbeschaffungsinstrumente im materiellen Recht anschließen83. Ein zu schaffender materieller Beweisbeschaffungsanspruch ließe sich zudem leicht im Anschluss an die durch das Produktpirateriegesetz geschaffenen Auskunftsansprüche in die Sonderschutzgesetze einfügen. Regelungen für die tatsächliche Erzwingbarkeit einer Beweisanordnung müssten bei einer materiellen Lösung nicht vorgesehen werden, denn diese ergeben sich aus der Möglichkeit der Zwangsvollstreckung eines entsprechenden Titels von selbst84. Vorteilhaft wäre auch, dass ein materieller Anspruch regelmäßig vor Erhebung der eigentlichen Verletzungsklage zur Anwendung kommen wird, so dass die Informationen – wie gewünscht – bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung zur Verfügung stünden85. Aus dieser Vorverlagerung folgt jedoch der Nachteil, dass der materielle Anspruch zunächst selbständig durchzusetzen ist und es daher bei Durchführung eines Informationsprozesses und

80

Vgl. hierzu bereits oben unter 2. Teil, C. III. 5. f). Vgl. hierzu bereits oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, E. 82 Vgl. zum Umsetzungsbedarf des § 809 BGB auch Schricker/Wild, UrhG, § 97 Rdn. 90a, der sich nicht so explizit äußert wie hier vertreten, jedoch feststellt, dass die Bestimmungen nicht den Anforderungen der Art. 6 und 7 RL genügten, und die Umsetzung in deutsches Recht schwierig werde „angesichts des deutschen Verbots des Ausforschungsbeweises und der Auflagen der Artikel 6 und 7, den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Wie dieser Interessengegensatz gelöst werden wird, ist offen.“ 83 Vgl. hierzu bereits Einleitung, C. 84 Vgl. Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 607. 85 Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 23, sieht hierin jedoch einen Hauptnachteil einer materiellen Regelung, da „zu weitreichende vorprozessuale Informationspflichten die Gefahr einer unangemessenen Beeinträchtigung des Interessen“ des Gegners mit sich bringen könnten [Hervorh. d. Verf.]. 81

394 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

eines späteren Verletzungsprozesses zu einer Verfahrensverdoppelung kommt86. Wenn zudem – wie regelmäßig – das Bedürfnis nach einer schnellen Sicherung der zu ermittelnden Informationen besteht und eine Befriedigungsverfügung nicht erlassen wird, findet zusätzlich ein einstweiliges Verfahren statt, was zu der von § 809 BGB bekannten und äußert langwierigen Dreiteilung des Verfahrens führt87. Schließlich erfordern materielle Informationsansprüche traditionell das Bestehen einer Sonderverbindung zwischen den Parteien88 bzw. eines Sachverhalts der dem Bestehen der Sonderverbindung zumindest nahe kommt, so dass schon aus diesen dogmatischen Gründen die Tendenz bestehen dürfte, die Anforderungen an den darzulegenden Überzeugungsgrad eher im oberen Bereich anzusiedeln. Die Vor- und Nachteile einer prozessualen Regelung ergeben sich insofern im Umkehrschluss. Zudem ist anzumerken, dass es durchaus möglich ist, bei Verletzung prozessualer Anordnungen durch die Parteien nicht nur prozessuale Nachteile vorzusehen, sondern auch Beugemittel, ähnlich den Regelungen gegenüber dem nicht erschienenen Zeugen, oder eine echte Erzwingbarkeit der Anordnung einzuführen89. Schließlich muss festgestellt werden, dass eine ausschließlich innerprozessuale Mitwirkungspflicht ohne vorprozessuale Informationsermittlung nur teilweise durch die mögliche Absenkung der Anforderungen an die Erhebung und die Substantiierung der Verletzungsklage kompensiert werden könnte, denn der Rechteinhaber wird sich ohne zuverlässige Möglichkeit der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage kaum auf das kostspielige Wagnis eines Verletzungsprozesses einlassen. Konkret ergibt sich hieraus, dass die Anforderungen der Durchsetzungs-Richtlinie nur durch die Einführung einer Kombination verschiedener Informationsbeschaffungsinstrumente umgesetzt werden können90. Der ohnehin als prozessuale Maßnahme angelegte Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL sollte Anlass für eine Statuierung einer innerprozessualen Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei unter den dargestellten Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL sein91. Hierbei 86 Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 23; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 300 f.; a.A. Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 607, der auf die Möglichkeit der Vermeidung der Verfahrensverdoppelung durch Erhebung einer Stufenklage verweist. 87 Vgl. hierzu Erster Teil, Erster Abschnitt, A. VI. 88 Schlosser, prozessuale Moderne, JZ 1991, S. 599, 607. 89 So auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 394. 90 Vgl. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21, die vertritt, dass allein der Verweis auf materielle Ansprüche den Anforderungen der Richtlinie nicht genüge und eine Ergänzung durch prozessuale Vorlagepflichten bzw. eine zumindest auch prozessuale Umsetzung erforderlich sei; vgl. auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 750, der für die Anpassung materiellrechtlicher Ansprüche, sowie die Statuierung von Verfahrensvorschriften plädiert; im Ergebnis auch Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24 f. 91 So Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24, der diese Pflicht ähnlich der dargestellten Lehre von Stürner (vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. b)) sehr umfassend ausgestaltet sehen will und ggf. offenbar bereits nach einem Sachvortrag, der „soweit wie möglich substantiiert“ ist. Im Gegenzug legt er zwar Art. 7 RL zutreffend aus, will jedoch vorprozessuale Ansprüche restriktiv gewähren (a.a.O., S. 25). Für eine prozessuale

B. Umsetzungsmöglichkeiten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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kann an die §§ 142, 144 ZPO angeknüpft werden. Allerdings ist es notwendig, dass eine Neuregelung sowohl einen Anspruch der informationsbegehrenden Partei auf die Mitwirkungshandlungen, als auch effektive Beugemittel bei Verweigerung der Mitwirkung vorsieht. Art. 7 Abs. 1 RL erfordert eine Umsetzung, die eine vorprozessuale Informationsbeschaffung ermöglicht. Hierzu kann durchaus auf eine materielle Regelung zurückgegriffen werden92. Neben den bereits genannten Nachteilen, stellt sich jedoch vor allem das Problem, dass bei einer notwendigen Durchsetzung des Anspruchs im einstweiligen Verfahren die §§ 935 ff. ZPO zur Anwendung kommen. Das feststehende System der §§ 935 ff. ZPO verhindert jedoch die Normierung neuer Verfahrensregelungen, wie sie oben zu Art. 7 RL skizziert wurden, und die entsprechend den widerstreitenden Bedürfnissen der Parteien maßgeschneidert werden müssten. Ähnlich den prozessrechtlichen Instituten der „search order“ und „saisie“ kennt jedoch auch das deutsche Recht prozessuale Institute vor der eigentlichen Klageerhebung, wie z. B. das selbstständige Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO. Die vorprozessuale Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 RL sollte insofern durch ein gänzlich neu zu schaffendes prozessrechtliches Institut erfolgen93. Im Rahmen dieses Instituts müssen sowohl Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Beweisermittlung geregelt werden, vor allem aber müssen Regelungen über die mündliche Verhandlung, einschließlich der Verhandlung über das Ermittlungsergebnis, und über das anzuwendende Geheimverfahren getroffen werden94. Im einstweiligen Verfahren nach den §§ 935 ff. ZPO erschwert die Unterschiedlichkeit der Streitgegenstände eines einstweiligen Sicherungsverfahrens hinsichtlich des Informationsanspruchs, nämlich die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Sicherung dieses Anspruchs, des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Informationsanspruchs, nämlich das Bestehen dieses Anspruchs, und des Verletzungsverfahrens, nämlich das Bestehen des Verletzungsanspruchs auf Grundlage der ermittelten Ergebnisse, zumindest de lege lata eine flexible Verhandlung über das Ergebnis der Ermittlungen bereits im einstweiligen Verfahren95.

Umsetzung des Art. 6 RL wohl auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21. 92 Dies vertreten Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 838 ff.; Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 750; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der Enforcement-Richtlinie, ZUM 2005, S. 376, 379. 93 Für eine vorprozessuale Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 RL durch prozessrechtliche Institute anknüpfend an die §§ 485 ff. ZPO Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 27 Fn. 46; sowie unter der Prämisse einer bereits bestehenden Rechtskonformität Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187 ff., 191. 94 Vgl. zum vorgeschlagenen Ablauf des Verfahrens oben unter 2. Teil, C. III. 5. d) (2) und (3). 95 Vgl. zur Unterschiedlichkeit der Streitgegenstände und dem Verbot des Übergangs in das Hauptsachverfahren (hinsichtlich des Informationsanspruchs) beispielsweise Musielak/Huber, ZPO, § 924 Rdn. 7, § 916 Rdn. 4.

396 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

II. Regelungsort Die Durchsetzungs-Richtlinie regelt die Beweisbeschaffung zwar nur „sektorspezifisch“ für den Bereich des geistigen Eigentums. Sie greift damit aber stark in das „horizontal übergreifende“ allgemeine Zivil- und Zivilprozessrecht ein96. Eine ausschließlich isolierte Umsetzung der Beweisbeschaffungsregeln der DurchsetzungsRichtlinie im Bereich des geistigen Eigentums würde zu einem Auseinanderfallen von im deutschen Recht allgemein angelegten Verfahrensregelungen in verschiedenen Bereichen des materiellen Rechts führen. Dieses Auseinanderfallen bzw. das „Voranschreiten“ einzelner Rechtsgebiete bei der Entstehung eines allgemeinen Gemeinschaftsprivatrechts ist jedoch auf Grund der erstrebten Einheitlichkeit des Zivilund Zivilprozessrechts grundsätzlich nicht erwünscht, so dass durch die Durchsetzungs-Richtlinie ein erheblicher „Harmonisierungsdruck“ auf das allgemeine deutsche Zivil- und Zivilprozessrecht entsteht97. Gleichzeitig wurde bereits festgestellt, dass auch für das allgemeine deutsche Zivilprozessrecht seit längerer Zeit die Forderung nach Einführung einer prozessualen Aufklärungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei erhoben wurde, in neuerer Zeit auch unter dem Aspekt den Anschluss an die europäische Rechtsentwicklung nicht zu verlieren98. Diese Forderung wurde jüngst ausdrücklich im Hinblick auf die notwendige Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL erneuert99. Da die wissenschaftliche Diskussion bereits so weit vorangeschritten ist und die Interessenlage im Hinblick auf die dargestellte Auslegung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL im Immaterialgüterrecht und im allgemeinen Zivilrecht tatsächlich vergleichbar ist, empfiehlt sich die Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL im Rahmen des allgemeinen Zivilprozessrechts. Dagegen beruht die Regelung des Art. 7 Abs. 1 RL vor allem auf dem typischen, sphären- und wesensbedingten Informationsdefizit des Schutzrechtsinhabers, welches im Immaterialgüterrecht mit größter Regelmäßigkeit auftritt. Diese Fälle typischer Unkenntnis existieren auch im allgemeinen Zivilrecht. Sie sind dort jedoch im Einzelfall nachzuweisen. Weiterhin ist zweifelhaft, ob in der wissenschaftlichen Diskussion betreffend das allgemeine Zivilrecht eine Relativierung des Ausforschungsverbots und die Einführung eines Geheimverfahrens bereits ausreichend vorbereitet sind, ohne dass dies durch den Erlass einer Richtlinie angeordnet worden ist. Insofern ist eine Umsetzung des Art. 7 RL durch entsprechende Regelungen im Immaterialgüterrecht empfehlenswert.

96

So – eher kritisch – Leistner, Die „Trojanischen Pferde“ der Kommission, FS Schricker, S. 87, 98 ff. 97 Leistner, Die „Trojanischen Pferde“ der Kommission, FS Schricker, S. 87, 101 ff.; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 32. 98 Vgl. oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 2. c) (3). 99 Vgl. Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 24 f.

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Im Ergebnis wird damit eine „vorsichtige Erweiterung der Vorlagemöglichkeiten in der dZPO […] durch Sonderregelungen für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes […] ergänzt“100. Die vorgeschlagene prozessuale Umsetzung des Art. 7 RL im Immaterialgüterrecht kann an zwei verschiedenen Regelungsorten erfolgen. Zunächst ist eine Eingliederung – auch einer prozessualen Regelung – in die jeweiligen Sondergesetze zum Schutz des geistigen Eigentums möglich101. Aus Gründen der Verständlichkeit und Vereinheitlichung ist jedoch auch der Vorschlag bedenkenswert, die parallelen Normen in den bestehenden Sonderschutzgesetzen in einem umfassenden Gesetzbuch des Geistigen Eigentums zusammenzufassen und gegebenenfalls anzupassen, sowie die Verfahrensregelungen zur Rechtsdurchsetzung dort in einem Allgemeinen Teil zu verorten102.

C. Umsetzungsgesetz Am 1. September 2008 trat das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums in Kraft, welches vor allem der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie dient103. Zuvor war ein Referentenentwurf vom 3. 1. 2006 veröffentlicht worden. Am 24. 1. 2007 verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (Regierungsentwurf). I. Regelungsort und Lösungsansatz 1. Umsetzungsgesetz Der Gesetzgeber entscheidet sich bewusst gegen die Einführung eines Allgemeinen Teiles eines Gesetzbuches zum Schutz des geistigen Eigentums mit Durchsetzungsregelungen für alle Immaterialgüterrechte. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ergänzt er stattdessen die bestehenden Spezialgesetze zum Schutz des geistigen Eigentums um weitere Vorschriften104.

100

So im Ergebnis auch McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21 f., die zu diesem Ergebnis gelangt, da sie die Durchsetzungs-Richtlinie teils prozessual, teils materiell umsetzen will; während hier eine prozessuale Umsetzung sowohl des Art. 6 RL als auch des Art. 7 RL vorgeschlagen wird. 101 Vgl. McGuire, Beweismittelvorlage, GRUR Int. 2005, S. 15, 21, die zwar insofern eine materielle Regelung vorzuziehen scheint, jedoch feststellt, dass „auch prozessuale Normen in die entsprechenden Materiegesetze eingefügt werden können“ (mit Verweis auch Knaak, EGRichtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 750). 102 Vgl. den Vorschlag von Ahrens, Allgemeiner Teil?, GRUR 2006, S. 617, 618 ff., 621, 624. 103 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 1 und 25. 104 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 26.

398 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

In Bezug auf die Informations- und Beweismittelbeschaffung erkennt der Gesetzgeber die Möglichkeit zweier unterschiedlicher Lösungsansätze, nämlich den Ausbau prozessrechtlicher Instrumente oder die Ausweitung materieller Ansprüche, und entscheidet sich für eine „Umsetzung auf der Grundlage materiell-rechtlicher Ansprüche“, da dies der „Systematik des deutschen Rechts“ entspreche und anders als bei prozessrechtlichen Instituten „problemlos eine direkte Erzwingbarkeit der Rechtsfolgen“ möglich sei105. Obwohl der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass es sich bei Art. 6 RL „nach dem Wortlaut […] um eine prozessrechtliche Vorschrift“ handele106, wird ein prozessualer Ansatz in keiner Weise, insbesondere nicht im Hinblick auf Art. 6 RL, verfolgt. 2. Kritik Der Gesetzgeber lässt insofern einige Chancen ungenutzt verstreichen und befasst sich nicht mit den bei einer Erörterung der Durchsetzungs-Richtlinie auftauchenden grundsätzlichen Fragestellungen im deutschen Recht. Dieses Versäumnis beruht teilweise auf einem auf Basis dieser Arbeit unzutreffenden Verständnis der Regelungen der Art. 6 und 7 RL107. Eine Durchsetzbarkeit prozessualer Regelungen hätte man jedenfalls vorsehen können108 II. Die Regelungen nach §§ 140 c, 140 d PatG Zur Umsetzung der Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL und Art. 7 RL stellt der Gesetzgeber in den Spezialgesetzen jeweils nur eine neue Vorschrift auf, nämlich die §§ 140 c PatG, 24 c GebrMG, 19 a MarkenG, 101 a UrhG, 46 a GeschMG, 37 c SortG. Die Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 RL soll wohl durch die §§ 140 c Abs. 1 S. 2 bzw. 140 d PatG usw. erfolgen109. Da die Entscheidung „Druckbalken“ nach wie vor Geltung beansprucht, besteht im Patentrecht der größte Umsetzungsbedarf. Daher soll sich die Darstellung hier aus Gründen der Vereinfachung und exemplarisch für die anderen genannten Normen auf die Erörterung der §§ 140 c, 140 d PatG beschränken. Die Regelung des § 140 c PatG knüpft in Systematik, Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen bewusst an die Regelung des § 809, 2. Fall BGB und die hierzu ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs „Druckbalken“ und „Faxkarte“ 105

Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27 und 40. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 26. 107 Hierzu sogleich. 108 So auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 394. 109 Vgl. hierzu die Begr. des RegE. vom 24. 1. 2007 des Umsetzungsgesetzes: Auf S. 95 f. wird zu § 140 c PatG insgesamt auf die Art. 6 und 7 RL verwiesen. Auf S. 98 wird zu § 140 d PatG zwar nur auf Art. 9 Abs. 2 S. 2 RL verwiesen, allerdings erfasst § 140 d PatG seinem Wortlaut nach auch Art. 6 Abs. 2 RL. 106

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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an110, so dass oftmals ein Bezug zu den dort gefundenen Ergebnissen hergestellt werden kann, um so das Verständnis des § 140 c PatG zu erleichtern. 1. Wortlaut a) § 140 c PatG § 140 c PatG hat folgenden Wortlaut: (1) Wer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Rechtsinhaber oder einem anderen Berechtigten auf Vorlage einer Urkunde oder Besichtigung einer Sache, die sich in seiner Verfügungsgewalt befindet, oder eines Verfahrens, das Gegenstand des Patents ist, in Anspruch genommen werden, wenn dies zur Begründung von dessen Ansprüchen erforderlich ist. Besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung, erstreckt sich der Anspruch auch auf die Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen. Soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, dass es sich um vertrauliche Informationen handelt, trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten. (2) Der Anspruch nach Absatz 1 ist ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. (3) Die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache kann im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden. Das Gericht trifft die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen wird. (4) § 811 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie § 140b Abs. 8111 gelten entsprechend. (5) Wenn keine Verletzung vorlag oder drohte, kann der vermeintliche Verletzer von demjenigen, der die Vorlage oder Besichtigung nach Absatz 1 begehrt hat, den Ersatz des ihm durch das Begehren entstandenen Schadens verlangen.

b) § 140 d § 140 d PatG hat folgenden Wortlaut: (1) Der Verletzte kann den Verletzer bei einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung in den Fällen des § 139 Abs. 2 auch auf Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen in Anspruch nehmen, die sich in der Verfügungsgewalt des Verletzers befinden und die für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich sind, wenn ohne die Vorlage die Erfüllung 110

Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27 f. und 40 f. § 140 b Abs. 8 PatG lautet: „Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden.“ 111

400 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

des Schadensersatzanspruchs fraglich ist. Soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, dass es sich um vertrauliche Informationen handelt, trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten. (2) Der Anspruch nach Absatz 1 ist ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. (3) Die Verpflichtung zur Vorlage der in Absatz 1 bezeichneten Urkunden kann im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden, wenn der Schadensersatzanspruch offensichtlich besteht. Das Gericht trifft die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen wird. (4) § 811 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie § 140b Abs. 8 gelten entsprechend.

2. § 140 c PatG a) Grundsätzliches § 140 c PatG knüpft ganz offensichtlich an die Regelung des § 809, 2. Fall BGB, die hierzu ergangene Rechtsprechung und die Anwendungspraxis nach bisherigem deutschen Recht an. Wie noch zu zeigen sein wird, nutzt der Gesetzgeber zudem die Gelegenheit, um teilweise die Grundsätze der das Urheber- und Wettbewerbsrecht betreffenden Entscheidung „Faxkarte“ ausdrücklich auf das Patentrecht zu übertragen112. Die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des materiell-rechtlichen Beweisbeschaffungsinstrumentes ergeben sich bei § 140 c PatG aus den Absätzen 1 und 2. Aus der Begründung des Regierungsentwurfs folgt, dass § 140 c Abs. 1 und 2 PatG erstaunlicherweise der Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL und nicht von Art. 7 RL dient113. Die im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des § 140 c Abs. 1 PatG zu erfüllenden Anforderungen leitet der Gesetzgeber folglich einzig aus Art. 6 RL ab. Zudem wird für zutreffend erachtet den Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL in Beziehung zu § 809, 2. Fall BGB zu setzen und insofern den Umsetzungsbedarf zu prüfen114. § 140 c Abs. 3 PatG regelt sodann nur noch eine Form der verfahrensmäßigen Durchsetzung des Beweisbeschaffungsinstruments nach § 140 c Abs. 1 PatG, indem es die Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Verfügung vor-

112 Vgl. z. B. zur Frage des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrads die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40 f., sowie zur Frage der Zulässigkeit von Substanzeingriffen die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 113 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27 ff. und 40 ff. 114 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27 f.; a.A. (Verknüpfung von Art. 7 RL und § 809 BGB, §§ 485 ff. ZPO) z. B.: Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 26; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 837 ff.; Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737 ff.; Kühnen, Besichtigung im Patentrecht, GRUR 2005, S. 185, 193 ff.; vgl. auch oben unter 3. Teil, A. I. 4., und II. 2.

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

401

sieht115. Obwohl § 140 c Abs. 3 PatG nach der Begründung des Regierungsentwurfs ausdrücklich der Umsetzung von Art. 7 RL dient und der Gesetzgeber die beispielsweise durch das Fehlen des Bezeichnungserfordernisses begründete Möglichkeit einer größeren tatbestandlichen Weite des Art. 7 RL erkennt, belässt er es bei einer „zeitlichen Vorverlagerung“ der Maßnahme nach § 140 c Abs. 1 PatG, ohne eine weiteres Beweisinstrument mit weitergehenden Ermittlungsbefugnissen zu schaffen116. Aus dieser Systematik des § 140 c PatG und der Begründung des Regierungsentwurfs ist abzulesen, dass der Gesetzgeber, wie bereits erwähnt, von einem gänzlich anderen Verständnis des Verhältnisses von Art. 6 RL zu Art. 7 RL ausgeht, als es in dieser Arbeit vertreten wird. Hier wird geltend gemacht, dass es sich bei Art. 6 RL und Art. 7 RL um zwei unterschiedliche Instrumente handelt, die unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen aufweisen117, und somit – unabhängig von der Frage des Anwendungszeitpunkts118 – unterschiedliche Anwendungsbereiche haben: Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL regelt vor allem ein Verfügbarkeitsproblem, während Art. 7 RL primär auf die Lösung eines Kenntnisproblems abzielt119. Dagegen kommt der Gesetzgeber offenbar zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL und Art. 7 RL ein einziges, einheitliches Beweisbeschaffungsinstrument normieren. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL ( § 140 c Abs. 1 PatG) soll dabei einheitlich Tatbestandsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und Anwendungsbereich statuieren. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL entspreche insofern „in vollem Umfang“ Art. 43 Abs. 1 TRIPs120. Art. 7 Abs. 1 RL ( § 140 c Abs. 3 PatG) soll nur die Durchsetzung dieses einheitlichen Anspruches nach Art. 6 RL im Wege der einstweiligen Verfügung gewährleisten. Art. 7 RL soll insofern eine Funktion zukommen, wie man sie gegebenenfalls Art. 50 Abs. 1 b)

115 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41; zustimmend Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300. 116 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27 f. und 41; zustimmend Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300. 117 Im Ergebnis auch Knaak, EG-Richtlinie, GRUR Int. 2004, S. 745, 748; Haedicke, Informationsbefugnisse, FS Schricker, S. 19, 21; wohl auch Tilmann, Beweissicherung nach Art. 7, GRUR 2005, S. 737, 737 ff.; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 837 ff.; v. Hartz, Beweissicherungsmöglichkeiten nach der EnforcementRichtlinie, ZUM 2005, S. 376, 378 ff.; Kühnen, Besichtigung im Patentrecht, GRUR 2005, S. 185, 193 ff.; a.A. Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 300. 118 Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL kommt nach Erhebung der Verletzungsklage zur Anwendung, während Art. 7 RL in der Regel vor Erhebung der Verletzungsklage Anwendung findet, wobei, wenn die Lösung eines gesteigerten Kennntisproblems erforderlich ist, auch eine Anwendung im laufenden Verletzungsprozess möglich ist. 119 Vgl. zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL und Art. 7 RL oben unter 2. Teil, C. III. 1. sowie 5. a) (3). 120 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 26.

402 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

TRIPs zuweisen kann121. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL und Art. 7 RL, und damit auch § 140 c Abs. 1 PatG und § 140 c Abs. 3 PatG, werden auf diese Weise in ein Verhältnis gesetzt, wie es Art. 43 TRIPs und Art. 50 Abs. 1 b) TRIPs zu Grunde liegt. Indem der Gesetzgeber den Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL entsprechend dem Art. 43 TRIPs zum eigentlichen – materiell umgesetzten – Beschaffungsinstrument erklärt, ergibt sich auch die Bezugnahme auf § 809, 2. Fall BGB gerade im Verhältnis zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL. Art. 7 RL wird kein eigener Anwendungsbereich zugewiesen, denn „mit Ausnahme der fehlenden Nennung der Tatbestandsvoraussetzungen“ deute „in Artikel 7 nichts darauf hin, dass der Anwendungsbereich über die erwähnte zeitliche Vorverlagerung hinaus größer sein“ solle „als bei Artikel 6“122. Die Auffassung des Gesetzgebers zum Verhältnis von Art. 6 RL zu Art. 7 RL und zur Natur des Art. 7 RL sind aus den bereits oben ausgeführten Gründen zurückzuweisen, insbesondere widerspricht das Festhalten an Art. 43, 50 Abs. 1 b) TRIPs dem Willen des Richtliniengebers nach Statuierung eine „TRIPs-Plus“- und eines „BestPractice“-Ansatzes123. Die Kenntnis dieser Auffassung des Gesetzgebers ist jedoch erforderlich, um ein Verständnis für die Systematik und den Regelungsinhalt des nun zu erörternden § 140 c PatG zu entwickeln. b) Tatbestandsvoraussetzungen (1) § 140 c Abs. 1 S. 1 PatG Der Vorlageanspruch nach § 140 c Abs. 1 PatG setzt nach seinem Wortlaut voraus, dass der Schutzrechtsinhaber mit seinem Tatsachenvortrag und entsprechenden Nachweisen einen Überzeugungsgrad erreicht, der einer „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ einer Schutz- bzw. Patentrechtsverletzung entspricht. Der Gesetzgeber scheint sich mit der Verwendung der offenen Formulierung „hinreichend“ im Sinne von „ausreichend“ zunächst nicht festlegen zu wollen, ob er mit der Einführung von § 140 c PatG mehr der Entscheidung „Druckbalken“ im Patentrecht und dem Erfordernis einer „erheblichen Wahrscheinlichkeit“, d. h. dem Schutz entgegenstehender Interessen durch sehr hohe Anforderungen an den anfänglichen Tatsachenvortrag, oder mehr der Entscheidung „Faxkarte“ im Urheberrecht und dem Erfordernis einer mindestens „gewissen Wahrscheinlichkeit“ verbunden mit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung, d. h. der Einbeziehung der Kriterien der Angewiesenheit auf das Beweismittel und der Möglichkeit eines verfahrensmäßigen Schutzes entgegenstehender Interessen in die Entscheidung, zuneigt124. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich jedoch zum einen, dass der Gesetzgeber der Auffassung ist, der Bundesge121

In der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27, wird ausgeführt: „Die Regelung [Art. 7 RL, Anm. d. Verf.] entspricht weitgehend Artikel 50 Abs. 1 Buchstabe 1 des TRIPSÜbereinkommens.“ 122 So die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 28. 123 Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, B. II. 2. d) sowie 3. 124 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c).

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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richtshof habe in der Entscheidung „Faxkarte“ die Übertragbarkeit der aufgestellten Grundsätze auf das Patentrecht „ausdrücklich offen gelassen“, so dass dort nach § 809, 2. Fall BGB eine erhebliche Wahrscheinlichkeit erforderlich ist125, und zum anderen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des § 140 c PatG bezweckt im Hinblick auf die Anforderungen an den Tatsachenvortrag und den Grad der Wahrscheinlichkeit nun die Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ auch auf das Patentrecht zu übertragen126. Zumindest im Vergleich mit der Entscheidung „Druckbalken“ nimmt der Gesetzgeber somit eine Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag vor. Mit der Formulierung „hinreichend“ knüpft der Gesetzgeber weiterhin an die Forderung einer „hinreichenden Begründung“ des Verletzungsanspruchs in Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL an. Zudem muss nach den Materialien die Vorlage oder Besichtigung „zur [endgültigen, Anm. des Verf.] Begründung eines Anspruches […] auf Grund der Rechtsverletzung erforderlich sein“. Beide Tatbestandsmerkmale sollen deutlich machen, dass der Anspruch nicht zur „allgemeinen Ausforschung“ von gegebenenfalls bestehenden Ansprüchen „missbraucht“ werden darf127. Der Schutzrechtsinhaber muss insofern aus eigenen Erkenntnisquellen so viele verletzungsbezogenen Informationen darlegen, dass deutlich wird, dass sein Informationsbegehren bereits auf einen bestimmten Anspruch abzielt, dessen Bestehen nur noch von dem Nachweis einer „bestrittene[n] anspruchsbegründende[n] Tatsache“ abhängt, oder davon, dass „überhaupt erst Kenntnis von dieser Tatsache“ erlangt werden muss128. Die Ablehnung einer „allgemeinen Ausforschung“ ist hier zunächst noch nicht als Zurückweisung der in dieser Arbeit geforderten ausforschenden Elemente zu verstehen, sondern als Ablehnung eines Vorgehens, welches darauf abzielt herauszufinden, ob überhaupt irgendein Anspruch gegen die gegnerische Partei besteht. Auch insofern knüpfen die Materialien wiederum an die Dogmatik zu § 809, 2. Fall BGB an, wonach das Bestehen des Anspruchs soweit geklärt sein muss, dass nur noch die Besichtigung im Hinblick auf diese eine Tatsache fehlt, um den Streitfall abschließend zu beurteilen129. Zur Frage der nötigen Bestimmtheit des Tatsachenvortrags findet sich im Wortlaut des § 140 c Abs. 1 PatG und in den Materialien kein ausdrücklicher Hinweis. Es ist jedoch davon auszugehen, dass entsprechend den gerade gemachten Ausführungen generell ein bestimmter Vortrag erforderlich ist, aber in Bezug auf die Tatsache,

125

Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27; vgl. zur Frage der Übertragbarkeit der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ auf das Patentrecht bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (6) (a). 126 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40: „Der gewählte Weg entspricht der neueren Rechtsprechung des BGH zu § 809 BGB (BGH, GRUR 2002, S. 1045 ff. – „Faxkarte“)“. 127 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40. 128 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40. 129 Vgl. hierzu und zum Gedanken der Besichtigung als letztes Glied einer Beweiskette oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (1).

404 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

die Gegenstand der Besichtigung sein soll, ein allgemeiner gehaltener Vortrag bzw. eine Bezugnahme auf die Patentansprüche ausreicht. Nach diesen großen Übereinstimmungen des § 140 c PatG mit den Anforderungen an den Tatsachenvortrag nach der Entscheidung „Faxkarte“ fragt es sich, ob der Gesetzgeber mit § 140 c Abs. 1 PatG nicht doch eine noch weitergehende Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag vorgenommen hat. Gemäß den Materialien zu § 140 c PatG kann der Patentinhaber durch die Vorlage „auch Informationen zur weiteren Substantiierung seines Vortrages sammeln“130. Dies impliziert, dass zwar anfänglich eine hinreichende Substantiierung erforderlich ist, jedoch noch keine gänzliche, und insofern § 140 c PatG in gewisser Weise ein ermittelndes Element innewohnt, um diese gänzliche Substantiierung zu ermöglichen. Dies geht jedoch nur unwesentlich über die Rechtsprechung zu § 809, 2.Fall BGB hinaus: Vorausgesetzt, dass ein bestimmter Verletzungsanspruch, d. h. eine bestimmte Verletzungshandlung, wahrscheinlich gemacht wurde, kann dort die konkrete verletzende Ausführungsform vor Ort vom Sachverständigen beschrieben werden. Diese Beschreibung kann insofern auch einen ermittelnden Charakter haben, wenn dem Tatsachenvortrag bei behaupteter wortsinngemäßer Verletzung lediglich die Patentansprüche zugrunde liegen und nun die unbekannte, konkrete Ausführungsform beschrieben wird oder wenn bei behaupteter äquivalenter Verletzung eine Beschreibung im Äquivalenzbereich für zulässig erklärt wird und diese vorgenommen wird. Die Beschreibung der konkreten Ausführungsform durch den Sachverständigen kann somit schon nach § 809, 2. Fall BGB den Klagevortrag vervollständigen und nicht nur im Bestreitensfall beweisen. Zwar ergibt sich aus den Materialien, dass § 140 c PatG sehr wohl in einem Stadium eingreifen soll, „in dem der Sachverhalt noch nicht feststeht“, allerdings verbindet sich damit gerade keine Absenkung der Anforderungen an den Tatsachenvortrag im Vergleich zur Entscheidung „Faxkarte“, denn der Anspruch soll nicht bei einem – „jedwedem“ – „Verdacht“ der Patentverletzung gewährt werden131. Insofern gelten im Rahmen des neuen § 140 c Abs. 1 PatG dieselben Anforderungen an die Wahrscheinlichmachung der Verletzungshandlung wie nach der Entscheidung „Faxkarte“ im Urheberrecht. Dies gilt auch für die Durchführung einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung. Für die Einzelheiten kann daher auf die Ausführungen zur Entscheidung „Faxkarte“ verwiesen werden132. Nach dem Wortlaut bezieht sich die Vorlage oder Besichtigung nach § 140 c PatG auf „eine“, d. h. eine konkrete Urkunde bzw. Sache. Auch in dieser Hinsicht entspricht § 140 c PatG dem § 809 BGB133. Diese Einschränkung auf der Rechtsfolgenseite kor130

Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40. Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40; hier wird freilich vertreten die Beweisermittlung nicht bei jedwedem, sondern nur bei einem durch tatsächliche Anhaltspunkte begründeten Verdacht zu gewähren. 132 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (5), sowie 4. c) (2). 133 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 1. 131

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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respondiert auf der Tatbestandsseite mit dem Erfordernis diese Sache „genau“ zu bezeichnen, wie sich aus den Materialien ergibt134. Angesichts dieser eindeutigen Festlegung scheint auch – wie hier zu Art. 7 Abs. 1 RL vertreten – eine bloße Bezugnahme auf eine Gegenstandsklasse nicht möglich. Damit bezieht sich § 140 c PatG nur auf im Wesentlichen bekannte Beweisstücke, die überhaupt genau bezeichnet werden können. In Anbetracht der Abgeschlossenheit der Sphäre des Anspruchsgegners schränkt die Statuierung dieses Bezeichnungserfordernisses den Anwendungsbereich der Norm deutlich ein. Unbekannte Beweisstücke können nach § 140 c PatG somit nicht ermittelt werden. Abgesehen von den Erkenntnisgewinnen, die bereits nach § 809, 2. Fall BGB in einer der Entscheidung „Faxkarte“ entsprechenden Auslegung möglich waren, zielt § 140 c PatG damit nicht auf eine Beweis- und Informationsermittlung einschließlich ausforschender Elemente. (2) Kritik Auf Grundlage des bisherigen deutschen Rechts ist es sicherlich sehr zu begrüßen, dass der Gesetzgeber nun die Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ ausdrücklich auf das Patentrecht überträgt, so dass auch dort die Grundregel des Erfordernisses einer gewissen Wahrscheinlichkeit verbunden mit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung gilt, wie dies bereits von der Wissenschaft gefordert wurde135. In Bezug auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL wäre dies auch ausreichend. Allerdings ist bedauerlich, dass es nach § 140 c PatG nicht ausreicht, wenn der Schutzrechtsinhaber einen auf tatsächlichen Anhaltspunkten und nicht nur Spekulationen beruhenden, begründeten Verdacht einer Rechtsverletzung darlegt. § 140 c PatG entspricht nicht den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 RL, wenn der Gesetzgeber die Anforderungen an den Überzeugungsgrad des Tatsachenvortrags nicht unter die Schwelle einer Wahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinn absenkt136, sofern diese Absenkung durch Einführung eines Geheimverfahrens ausgeglichen wird. Mit dem Festhalten an dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit orientiert sich der Gesetzgeber nicht ausreichend an dem Erfordernis der „Wirksamkeit“ der Beweis- und Informationsbeschaffungsmaßnahme (vgl. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 RL) und dem Aufklärungszweck des Art. 7 Abs. 1 RL; wonach eine Maßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL dazu dienen soll, die typische und sphärenbedingte Informationsnot des Rechtsinhabers betreffend die vermutete Verletzung zu überwinden137. 134

Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40. Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1. c) (6) (a). 136 Vgl. auch Tilmann, Stellungnahme des DAV durch den Ausschuss für Geistiges Eigentum zum (insoweit inhaltsgleichen) RefE. vom 3. 1. 2006 des Umsetzungsgesetzes, S. 8, der für § 140 c PatGE die neue Formulierung „besteht ein hinreichender Verdacht“ forderte; a.A (restriktiver) Kunz-Hallstein/Loschelder, Gemeinsame Stellungnahme, GRUR 2006, S. 393, 394, die „erhebliche Bedenken“ haben „das französische Modell der „saisie“ in der dort gegebenen Form zu übernehmen“. 137 Siehe zum Überzeugungsgrad nach Art. 7 Abs. 1 RL und den hierfür sprechenden Argumenten oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (2) (b). 135

406 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

Das Erfordernis der genauen Bezeichnung des Beweisstücks und die Begrenzung der Beweisbeschaffung auf diese konkrete Sache steht durchaus mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL in Einklang, insofern als Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL vor allem dazu dient das Problem fehlender Verfügbarkeit von Beweismitteln in der Sphäre des Gegners zu lösen138 und die Anforderungen an die Bezeichnung bei § 140 c PatG nicht überspannt werden. Eine andere Bewertung ergibt sich in Bezug auf Art. 7 Abs. 1 RL, wie im Rahmen der Erörtertung von § 140 c Abs. 3 PatG zu zeigen sein wird. (3) § 140 c Abs. 1 S. 2 PatG § 140 c Abs. 1 S. 2 PatG erstreckt den Anspruch nach S. 1 unter denselben Voraussetzungen auf die Vorlage von „Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen“, wenn eine Verletzung „in gewerblichem Ausmaß“ wahrscheinlich ist. Der Begriff der Verletzung „in gewerblichem Ausmaß“ ist richtlinienkonform auszulegen. Der auch in Art. 6 Abs. 2 RL verwendete Begriff bezeichnet also, wie bereits erörtert, eine Rechtsverletzung, die „zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen“ wurde und schließt „in der Regel Handlungen aus, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen“ wurden139. Damit erfasst § 140 c Abs. 1 S.2 PatG nicht die Patentverletzung zu privaten Zwecken ohne Gewinnerzielungsabsicht, sofern die Verletzung tatsächlich auch in entsprechend geringem Umfang erfolgt140. § 140 c Abs. 1 S. 2 PatG ist damit lex specialis im Verhältnis zu S. 1. Eine Vorlagepflicht hinsichtlich der nach S. 2 qualifizierten Unterlagen entsteht ausschließlich unter der Voraussetzung des Vorliegens eines gewerblichen Ausmaßes der Verletzung. (4) Kritik § 140 c Abs. 1 S. 2 PatG ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers wohl eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 2 RL, der zudem in § 140 c Abs. 2 PatG verankert wurde. Indem die Vorlage von Bank-, Finanzoder Handelsunterlagen bei einer bloß wahrscheinlichen Verletzung unter das zusätzliche Erfordernis des wahrscheinlichen Vorliegens einer Verletzung in gewerblichem Ausmaß gestellt wird, privilegiert der Gesetzgeber die Verletzung zu privaten Zwecken im Hinblick auf besonders einschneidende Rechtsfolgen. Wie von der Richtlinie gefordert, meistert der Gesetzgeber den schwierigen Spagat einerseits die Maßnahmen auf jede Verletzung anzuwenden und andererseits die besondere Schutzwürdig138 Vgl. zum Zweck des Art. 6 Abs. 1 S. 1 und zum Bezeichnungserfordernis oben unter 2. Teil, C. III. 1. sowie 2. a) (3). 139 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 4. a) sowie Erwägungsgrund 14 der DurchsetzungsRichtlinie, ABl. L 157 vom 30. 4. 2004, S. 45, 49; und Frey/Rudolph, Durchsetzungs-Richtlinie, ZUM 2004, S. 522, 524. 140 Nicht ausgeschlossen sind daher Verletzungen, die zwar nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, aber dennoch in großem Umfang stattfinden.

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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keit Privater dennoch bei der Umsetzung der Richtlinie unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen141. (5) § 140 c Abs. 2 PatG Nach § 140 c Abs. 2 PatG ist ein Anspruch nach Abs. 1 gänzlich ausgeschlossen, wenn eine entsprechende Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig wäre. Es wird somit eine Interessenabwägung normiert, wie sie auch der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Faxkarte“ fordert142. Anders als in der Entscheidung „Faxkarte“ geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass der gänzliche Ausschluss des Anspruchs die regelmäßige Rechtsfolge ist, wenn nach Abs. 1 eine hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Verletzung vorliegt und sich selbst bei Einschaltung eines neutralen Sachverständigen nach § 140 c Abs. 1 S. 3 PatG die Vorlage unverhältnismäßig erscheint. Eine solche Haltung würde eher der Entscheidung „Druckbalken“ und ihrer eindimensionalen „Entweder-Oder“-Entscheidung hinsichtlich des Ausschlusses des Anspruchs nach § 242 BGB entsprechen143. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 140 c PatG soll durch § 140 c Abs. 2 PatG „vermieden werden, dass bei geringfügigen Verletzungen umfangreiche Vorlageansprüche geltend gemacht werden“144, was für einen regelmäßigen und gänzlichen Ausschluss des Anspruchs in Fällen der Geringfügigkeit sprechen könnte. Zutreffender und eher Art. 3 Abs. 2 RL145 entsprechend wäre jedoch auch in Fällen der Geringfügigkeit und anderen Fällen drohender Unverhältnismäßigkeit im Rahmen des § 140 c PatG die durch die Materialien oft zitierte Entscheidung „Faxkarte“ weiterzudenken: Auch dort ist zwar in letzter Konsequenz der Ausschluss des Anspruchs denkbar, zunächst wird jedoch intensiv nach flexibleren Lösungen gesucht. So könnten in Fällen der Geringfügigkeit zunächst die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu § 140 c Abs. 1 S. 1 PatG erhöht, die Rechtsfolgen eingeschränkt und weniger intensiv gestaltet, sowie die Möglichkeiten eines umfassenden verfahrensmäßigen Interessenschutzes geprüft werden, statt den Anspruch auszuschließen146. Schließlich kann unter diesen Voraussetzungen 141

Siehe zur Ambivalenz der Verletzung zu privaten Zwecken und den diesbezüglichen Erfordernissen der Richtlinie oben unter 2. Teil, C. I. 2. 142 Siehe zur Durchführung des konkreten Abwägungsvorgangs nach der Entscheidung „Faxkarte“ oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. c) (2). 143 Vgl. zu den Auswirkungen der Interessenabwägung nach der Entscheidung „Druckbalken“ oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. d). 144 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 145 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41, danach sei die durch § 140 c Abs. 2 PatG vorgenommene Einschränkung mit Blick auf Artikel 3 Abs. 2 RL „ohne Weiteres richtlinienkonform“. 146 Vgl. zur umfassenden Einbeziehung aller Umstände in die Interessenabwägung nach „Faxkarte“ und zu ihrem Ergebnis oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. c) (2) sowie d); vgl. auch Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839, der in Fällen nicht gewerblichen Handlens, also einer Verletzung zu privaten Zwecken, nicht etwa den Anspruch wegen Unverhältnismäßigkeit ausschließen will, sondern „als Ausdruck gesteigerter Zumutbarkeitsanforderungen ein[en] höhere[n] Grad an Wahrscheinlichkeit“ verlangt. Er

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

auch in Fällen der Geringfügigkeit ein berechtigtes Interesse an der Rechtsdurchsetzung bestehen. Die Möglichkeit auch bei § 140 c PatG zu einer flexibleren Abwägung zu gelangen und den Ausschluss des Anspruchs nach § 140 c Abs. 2 PatG als allerletzte Variante anzusehen, und nicht vorschnell einen Ausschluss anzunehmen, deutet eventuell die Präzisierung in den Materialien an, dass „Unverhältnismäßigkeit auch dann vorliegen“ könne, „wenn das Geheimhaltungsinteresse des angeblichen Verletzers das Interesse des Rechtsinhabers […] bei Weitem“ überwiege und „dem Geheimhaltungsinteresse auch nicht durch Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 3 angemessen Rechnung getragen werden“ könne147. (6) Kritik § 140 c Abs. 2 PatG ist im Ergebnis eine richtlinienkonforme Ausprägung des Art. 3 Abs. 2 RL. Allerdings darf § 140 c Abs. 2 PatG keinesfalls dazu dienen, die durch § 140 c Abs. 1 und 3 PatG bewirkten Fortschritte zurückzunehmen, einer richtlinienkonformen, d. h. progressiven, Auslegung entgegenzuwirken, und aus einem schwer zu verortenden, durch die Rechtstradition des Ausforschungsverbots und des „nemo tenetur edere contra se“-Grundsatzes entstandenen Gefühl heraus, zu schnell Unverhältnismäßigkeit und einen Anspruchsausschluss anzunehmen. Ein Einfallstor für den durch Abs. 1 gerade zu überwindenden „nemo tenetur“-Grundsatz stellt § 140 c Abs. 2 PatG somit nicht dar. c) Rechtsfolgen (1) § 140 c Abs. 1 S. 1 und 2 PatG § 140 c Abs. 1 S. 1 und 2 PatG statuieren einen materiellen Anspruch auf die „Vorlage einer Urkunde oder die Besichtigung einer Sache, die sich in seiner Verfügungsgewalt befindet, oder eines Verfahrens, das Gegenstand des Patents ist“ bzw. die Vorlage von Bank-, Finanz-, oder Handelsunterlagen. Gegebenenfalls entgegen dem Wortlaut der Norm kann nicht nur die Besichtigung einer Sache gefordert werden, sondern im Hinblick auf den Zweck der Norm auch die Vorlage von transportfähigen Sachen, entsprechend der unzweideutig geregelten Vorlage von Urkunden. Vorlage und Besichtigung beziehen sich genauso wie im Rahmen des § 809 BGB jeweils nur auf eine konkrete Sache. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm und dem bereits erörterten Erfordernis einer genauen Bezeichnung der betreffenden Urkunde oder Sache. Weitere streiterhebliche Beweisstücke, die innerhalb der gegneri-

fordert dies zwar explizit in Bezug auf ein Untersuchungsobjekt besitzende Dritte, dies gilt jedoch im Erst-Recht-Schluss auch für den mutmaßlichen Verletzer. Wobei Ahrens darauf hinweist, dass die Verletzungstatbestände im deutschen Recht regelmäßig gewerbliches Handeln fordern. 147 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41 (Hervorhebungen d. Verf.).

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schen Sphäre nicht individuell bezeichnet werden können, werden von § 140 c PatG nicht erfasst. Folglich findet eine Durchsuchung von Geschäftsräumen auch nur insofern statt, als der Gerichtsvollzieher bei einer Zwangsvollstreckung die im Titel bezeichnete Sache zu suchen hat. Entgegen den Anforderungen von Art. 7 Abs. 1 RL kann eine Durchsuchung der gegnerischen Geschäftsräume nach rechtserheblichen Gegenständen, die lediglich nach ihrer Gegenstandsklasse oder bestimmten zu erfüllenden Merkmalen beschrieben wurden, nicht erfolgen148. Zudem hat der Anspruchsteller bereits zuvor nach § 140 c Abs. 1 S. 1 PatG darzulegen, dass sich die Sache in der „Verfügungsgewalt“ des Antragsgegners befindet. Diese beiden Merkmale zeigen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 140 c PatG an der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Kontrollbesuch“ festhält, wonach es unzulässig ist, Durchsuchungen durchzuführen, um festzustellen, ob der Anspruchsgegner überhaupt im Besitz einer rechtsverletzenden bzw. -erheblichen Sache ist149. Es fragt sich, ob § 140 c Abs. 1 PatG im Rahmen der Besichtigung oder im Anschluss an die Vorlage die Vornahme von Substanzeingriffen in die zu untersuchende Sache gestattet. Nach der bisher im Patentrecht zu § 809, 2. Fall BGB geltenden „Druckbalken“-Entscheidung sind Substanzeingriffe zur Feststellung der Patentverletzung nicht zulässig. Anderes gilt nach der Entscheidung „Faxkarte“ im Urheberrecht, sofern die Abwägung von Aufklärungs- und Integritätsinteresse unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Sicherheitsleistung die Zumutbarkeit des Eingriffs zum Ergebnis hat150. Aus den Materialien zu § 140 c PatG ergibt sich zunächst, dass die Norm keine Vorgaben „zur Art und Weise der Besichtigung“ mache. Allerdings könne der Verletzte grundsätzlich „die Art der Besichtigung verlangen, die zur Erlangung der Kenntnis erforderlich“ sei151. § 140 c PatG orientiert sich damit an dem hier vertretenen „funktionalen Besichtigungsbegriff“: Danach bestimmt sich die Auslegung vor allem nach dem Sinn und Zweck der Norm, nämlich der zuverlässigen Klärung des Bestehens und der Umstände einer Patentverletzung unter größtmöglicher Berücksichtigung entgegenstehender, berechtigter Interessen152. Folglich wird in den Materialien auf die Entscheidung „Faxkarte“ verwiesen und festgestellt, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeit „Eingriffe in die Substanz“ zulässig sein können153. § 140 c PatG setzt voraus, dass dies erforderlich ist, um die nötigen Feststellungen zu treffen, und gegebenenfalls eine Sicherheit nach § 140 c Abs. 4 PatG i.V.m. § 811 Abs. 2 S. 2 BGB geleistet wird. Da auch in diesem Punkt durch § 140 c PatG die Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ auf das Patentrecht übertragen 148

Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, C. III. 5. a) (4). Vgl. BGH, GRUR 2004, S. 420, 420 f. – „Kontrollbesuch“, sowie oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 1. 150 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. b); vgl. auch den Hinweis auf die Divergenz zwischen Patentrecht und Urheberrecht in Bezug auf die Zulässigkeit eines Substanzeingriffs nach § 809 BGB in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 27. 151 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 152 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. b) (4). 153 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 149

410 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

werden sollen, kann hinsichtlich der konkreten Durchführung der Abwägungsentscheidung auf die obige Interpretation der Entscheidung „Faxkarte“ hingewiesen werden154. Fraglich ist weiter, ob die Besichtigung nach § 140 c PatG nur die Beschreibung von wortsinngemäßen Patentverletzungen oder auch von möglicherweise äquivalenten Ausführungsformen umfasst. In der Entscheidung „Druckbalken“ zu § 809, 2. Fall BGB wird eine solche Beschreibung jedoch nicht zugelassen155. In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 140 c PatG findet sich zu dieser Problematik kein Hinweis. Im Prinzip sollte der bei § 140 c PatG offenbar zu Grunde gelegte funktionale Besichtigungsbegriff auch auf die Frage Anwendung finden, ob der Sachverständige nach seiner Auffassung äquivalente Merkmale beschreiben darf. Denn auch die Beschreibung von möglicherweise äquivalenten Ausführungsformen ist erforderlich, um das Bestehen einer Patentverletzung zu klären, und eine äquivalente Abwandlung stellt isoliert betrachtet kein anzuerkennendes Betriebsgeheimnis dar. Daher wurde zu § 809, 2. Fall BGB sowie zu Art. 7 Abs. 1 RL vertreten, Beschreibungen im Äquivalenzbereich zuzulassen156. Da der Sachverständige vor Ort den Äquivalenzbereich zunächst selbst bestimmt und er irrtümlicherweise eine Abwandlung als Äquivalent betrachten könnte, obwohl es sich um eine Problemlösung handelt, die ein eigenes Betriebsgeheimnis des Antragsgegners darstellt, setzte diese Stellungnahme zu § 809, 2. Fall BGB jedoch voraus, dass das Gericht den Sachverständigenbericht sorgfältig prüft und Beschreibungen, die den Äquivalenzbereich überschreiten vor einer Freigabe aus dem Bericht entfernt. Hierzu stand nach der vorläufigen Sicherung ein Hauptsacheprozess zur Verfügung. Bei Art. 7 RL wird zwar der Hauptsacheprozess durch ein dem einstweiligen Verfahren ähnliches Schnellverfahren ersetzt, allerdings wurde vertreten, durch ein „in camera“-Verfahren die Weitergabe von Betriebsgeheimnissen vor einer rechtskräftigen Entscheidung im Verletzungsverfahren zu verhindern157. Wie noch zu zeigen sein wird, sieht § 140 c PatG nun eine Erfüllungsverfügung, d. h. den Verzicht auf ein Hauptsacheverfahren, vor. Gleichzeitig wird eine Rechtsgrundlage für ein „in camera“-Verfahren jedoch nicht geschaffen. Trotz der Notwendigkeit der Feststellung äquivalenter Verletzungen muss hier damit offen bleiben, ob § 140 c PatG in jedem Fall selbstständige Feststellungen des Sachverständigen im Äquivalenzbereich erlaubt. Dies hängt angesichts der Möglichkeit des Irrtums des Sachverständigen davon ab, ob das die Verfügung erlassende Gericht gewillt ist, vor Abschluss des einstweiligen Verfahrens den Bericht des Sachverständigen sehr intensiv zu prüfen, um irrtümlicherweise als äquivalent betrachtete Verletzungen betrachtete Betriebsgeheimnisse aus dem Bericht zu entfernen, und ob eine entsprechende Wertung im Verletzungsprozess sehr nahe liegt.

154 155

Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. b) (3). Vgl. zur Problematik des Äquivalenzbereichs oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2.

d). 156 157

Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. d) (5) sowie 2. Teil, C. III. 5. b) (2). Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. d) (5) sowie 2. Teil, C. III. 5. b) (2).

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(2) Kritik Zustimmungswürdig ist in jedem Fall die vom Gesetzgeber vorgenommene Aufhebung des Verbots des Substanzeingriffs für das Patentrecht. Wie noch zu zeigen sein wird, ist jedoch problematisch, dass in Bezug auf die Rechtsfolgen der Beweisbeschaffung eine Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 RL in der hier gefundenen Auslegung unterbleibt, d. h. eine Durchsuchung von Geschäftsräume nach rechtserheblichen Gegenständen, die unter Bezugnahme auf eine Gegenstandskategorie oder bestimmte Merkmalen eingegrenzt wurden, nicht möglich ist. d) Verfahren und Geheimnisschutz (1) § 140 c Abs. 3 PatG Nach § 140 c Abs. 3 S. 1 PatG kann der Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruch „im Wege der einstweiligen Verfügung“ nach den §§ 935 ff. ZPO angeordnet werden. Diese Regelung dient im Rahmen des einheitlichen Anspruchs nach § 140 c PatG der Umsetzung von Art. 7 RL158. Wie bereits erörtert, geht der Gesetzgeber hierbei von einem gänzlich anderen Verständnis der Art. 6 und 7 RL aus, als es hier vertreten wird. Insofern nimmt § 140 c Abs. 3 PatG keine Erweiterung des materiellen Anspruchs nach § 140 c Abs. 1 PatG im Sinne der Ermöglichung einer Beweisermittlung vor, sondern regelt nur seine Anwendung im einstweiligen Verfahren. Dabei geht § 140 c Abs. 3 PatG über den eigentlichen Zweck des einstweiligen Verfahrens, nämlich der vorläufigen Sicherung des materiellen Anspruchs hinaus: Die herrschende Auffassung zu § 809, 2. Fall BGB lehnte bisher eine Erfüllung des Besichtigungsanspruchs, d. h. eine Freigabe des Sachverständigenberichts, im Rahmen des einstweiligen Verfahrens zu Recht ab, zumindest wenn Geheimhaltungsinteressen im Raum stehen und nicht ein Geheimverfahren die Rückübertragbarkeit der Informationen gewährleistet oder solange nicht eine gesetzliche Neuregelung das Verbot der Befriedigungsverfügung in Bezug auf den Besichtigungsanspruch aufhebt159. Nun wird in den Materialien zu § 140 c Abs. 3 S. 1 PatG ausdrücklich festgestellt, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung „entgegen den Grundsätzen des vorläufigen Rechtsschutzes auch dann möglich“ sei, „wenn hierdurch die Hauptsache vorweggenommen“ werde160. Damit ermöglicht § 140 c Abs. 3 S. 1 PatG eine rasche Erfüllung des Anspruchs nach Abs. 1 im Wege der Befriedigungsverfügung161. In den Materialien wird betont, dass die weiteren Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung vorliegen müssen. Weiterhin wird darauf verwiesen, dass das Gericht auch ohne Antrag Anordnungen zum Schutz vertraulicher Informa-

158

Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. Vgl. zum Verbot der Befriedigungsverfügung und den Gründen seiner Geltung bei Informationsansprüchen oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. V. 3. 160 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 161 So auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 396. 159

412 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

tionen nach § 140 c Abs. 3 S. 2 PatG162 treffen kann und die einstweilige Verfügung nach S. 3 auch ohne vorherige Anhörung der gegnerischen Partei ergehen kann163. Das Verfahren zur Durchsetzung des Vorlage- und Besichtigungsanspruchs nach § 140 c Abs. 1 PatG läuft daher regelmäßig wie folgt ab: Auf Antrag wird ohne vorherige Anhörung der gegnerischen Partei durch das Prozessgericht die Verfügung erlassen. Da eine Regelung in § 140 c PatG fehlt, die das Prozessgericht auch für die förmliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung der gegnerischen Partei im Rahmen der Zwangsvollstreckung für zuständig erklärt, müsste streng genommen das im Bezirk der Sache belegene Amtsgericht gem. §§ 758a, 802 ZPO zusätzlich die Durchsuchung der Wohnung anordnen164. Nach der Vorlage bzw. Durchführung der Besichtigung findet im Verfügungsverfahren nach einem Widerspruch des Antragsgegners gem. §§ 936, 924 ZPO eine mündliche Verhandlung statt. Gegenstand der Verhandlung ist im Prinzip nur die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung, jedoch nicht das grundsätzliche Bestehen des Vorlage- und Besichtigungsanspruchs oder gar der Schutzrechtsverletzung. Anschließend wird die vorgelegte Sache bzw. der Sachverständigenbericht gegebenenfalls unter Schwärzungen freigegeben und kann sofort zur Vorbereitung der Verletzungsklage verwendet werden. Nach den Materialien kann gem. „§ 926 Abs. 1 ZPO“ auf Antrag der gegnerischen Partei eine Frist zur Klageerhebung gesetzt werden165. Unklar bleibt, ob der Gesetzgeber damit die Hauptsacheklage im Verhältnis zum Verfügungsverfahren, also die Geltendmachung des Anspruchs nach § 140 c PatG, meint, oder eine Frist zur Erhebung der eigentlichen Verletzungsklage gem. § 926 Abs. 1 ZPO analog166. Unmittelbar erfasst § 926 Abs. 1 ZPO nur die Erhebung der Hauptsacheklage. Eine Frist zur Erhebung der Verletzungsklage würde jedoch eher dem in den Materialien genannten Art. 7 Abs. 3 RL entsprechen. Wenn der Gesetzgeber die Befriedigungsverfügung zur Ermöglichung der Schnelligkeit und Wirksamkeit des Verfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 RL eingeführt hat, sollte nach der Freigabe der Sache bzw. des Berichts im Verfügungsverfahren zumindest nicht mehr zwingend ein Hauptsacheverfahren über den Vorlage- und Besichtigungsanspruch stattfinden müssen167. 162

Vgl. hierzu sogleich. Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41; insofern kann auf die entsprechenden Ausführungen zu Verfügungsanspruch, Verfügungsgrund, besonderer Dringlichkeit, sowie Inhalt und Durchsetzung der einstweiligen Verfügung bei § 809, 2. Fall BGB verwiesen werden, vgl. entsprechend oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 1. 164 Vgl. auch Tilmann, Stellungnahme des DAV durch den Ausschuss für Geistiges Eigentum zum (insoweit inhaltsgleichen) RefE. vom 3. 1. 2006 des Umsetzungsgesetzes, S. 9 f., der fordert, dass für die Durchsuchungsanordnung das Patentgericht und nicht zuständige Amtsgericht zuständig sein sollte. 165 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 28. 166 Vgl. hierzu bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. d) (2). 167 Im Ergebnis auch Tilmann, Stellungnahme des DAV durch den Ausschuss für Geistiges Eigentum zum (insoweit inhaltsgleichen) RefE. vom 3. 1. 2006 des Umsetzungsgesetzes, S. 12. 163

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(2) Kritik Mit der gesetzlichen Ermöglichung einer Befriedigungsverfügung erkennt der Gesetzgeber zu Recht das Bedürfnis der Rechtsanwender nach einer schnellen und wirksamen Durchsetzung des Beweisbeschaffungsanspruchs an, um damit eine Klärung der Verletzungsfrage im eigentlichen Verletzungsverfahren zu ermöglichen, solange diese Frage noch marktrelevant ist. Mit gutem Grund war jedoch bei einer Befriedigungsverfügung in Bezug auf Informationsansprüche gefordert worden, dass entweder die Entscheidung über das Bestehen des Informationsanspruchs mit hoher Sicherheit getroffen werden kann oder die Informationen tatsächlich rückübertragbar sind, wenn sich nachträglich ergibt, dass kein berechtigtes Informationsinteresse bestand168. Problematisch ist dies vor allem, wenn der Sachverständige im Rahmen der Besichtigung eine Entscheidung über die Verletzungsfrage in gewisser Weise vorwegnehmen muss und Merkmale beschreibt, die seines Erachtens eine Verletzung durch äquivalente Mittel darstellen. Da eine Entscheidung über die (äquivalente) Verletzung nur schwer in der mündlichen Verhandlung gem. §§ 936, 924 ZPO getroffen werden kann, fällt diese erst im Verletzungsverfahren. Wenn das Gericht nun die Entscheidung anders trifft als der Sachverständige, hat der Anspruchsteller auf Grund der Befriedigungsverfügung bereits Informationen erlangt, an denen er kein berechtigtes Interesse hat. Eine echte Rückübertragung wäre nur möglich, wenn nur der Anwalt der anspruchstellenden Naturalpartei die Informationen zur Klagevorbereitung unter Geheimhaltungsbedingungen erhalten würde. Eine Befriedigungsverfügung überzeugt somit nur in voller Hinsicht, wenn sie – zumindest in Bezug auf unsichere Entscheidungen des Sachverständigen und sensible Informationen – mit einem Geheimverfahren kombiniert wird. Wie noch zu zeigen sein wird, reichen die Vorgaben des § 140 c Abs. 1 S. 3 und Abs. 3 S. 2 PatG jedoch nicht aus, um ein Geheimverfahren zu etablieren169. Eine andere Möglichkeit wäre, den Besichtigungsauftrag bei einer Befriedigungsverfügung stärker zu begrenzen. Allerdings ist dies gerade nicht wünschenswert. Abzulehnen ist der durch die Materialien angedeutete Zwang zur Erhebung einer Verletzungsklage170. Die Besichtigungsergebnisse dienen gerade dazu, das Bestehen einer vermuteten Verletzung aufzuklären. Bei der Prüfung der Besichtigungsergebnisse kann sich ergeben, dass kein Verletzungsanspruch besteht oder die Beweislage immer noch unsicher ist, so dass es vorzugswürdig erscheint, von einer Klageerhebung abzusehen. Der Zwang zur Klageerhebung widerspricht somit dem Zweck der Aufklärung und der unverbindlichen Prüfung der Erfolgsaussichten.

168

Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. V. 3. b) und c). Vgl. hierzu sogleich. 170 Vgl. auch Tilmann, Stellungnahme des DAV durch den Ausschuss für Geistiges Eigentum zum (insoweit inhaltsgleichen) RefE. vom 3. 1. 2006 des Umsetzungsgesetzes, S. 11 f., der auch darauf hinweist, dass ein Zwang zur Erhebung einer Hauptsacheklage betreffend den Beweisbeschaffungsanspruch kontraproduktiv wäre. 169

414 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

Problematisch an § 140 c Abs. 3 PatG ist jedoch vor allem, dass Art. 7 RL nicht hinreichend umgesetzt wird, obwohl gerade dies, ausweislich der Materialien, der Zweck des Abs. 3 sein soll. Wie gezeigt, regelt § 140 c Abs. 3 PatG nur die „zeitliche Vorverlagerung“ des Abs. 1 und erweitert nicht den Beweisbeschaffungsumfang171. Genauso wie § 140 c Abs. 1 PatG erfordert die Maßnahme nach Abs. 3 somit die genaue Bezeichnung der Beweisstücke. Anders als eindeutig von Art. 7 Abs. 1 RL gefordert, ermöglicht § 140 c Abs. 3 PatG also nur die Sicherung und Beschreibung im Wesentlichen bekannter Beweisstücke und nicht die Ermittlung unbekannter Beweisstücke, die nur anhand ihrer Gegenstandsklasse umschrieben werden. In Kenntnis des fehlenden Bezeichnungserfordernisses bei Art. 7 Abs. 1 RL172, ignoriert der Gesetzgeber nicht nur die daraus folgenden Schlussfolgerungen, sondern auch den „TRIPsPlus“- und „Best-Practice“-Ansatz des europäischen Richtliniengebers. § 140 c Abs. 3 PatG bleibt damit deutlich hinter den Anforderungen von Art. 7 Abs. 1 RL zurück173. Wie bereits erwähnt, entspricht es auch nicht den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 RL, wenn § 140 c Abs. 1 PatG den nötigen Überzeugungsgrad nicht unter die Schwelle einer Wahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinne absenkt174. (3) § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG Nach § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG soll das Gericht die „erforderlichen Maßnahmen“ treffen, „um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten“. Damit wird zunächst deutlich, dass die mögliche Gefährdung von Betriebsgeheimnissen dem Beweisbeschaffungsanspruch „nicht als Einwendung“ entgegengehalten werden kann175, wie dies noch in der Entscheidung „Druckbalken“ angeklungen ist176. Vielmehr werden die Gerichte ermächtigt, „den Anspruch so zu fassen“, dass ein wirksamer Geheimnisschutz besteht. Der Gesetzgeber setzt somit, wie bereits vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Faxkarte“ gefordert177, auf einen verfahrensmäßigen Geheimnisschutz. Die konkreten Maßnahmen sollen nach einer Interessenabwägung im Ermessen der Gerichte stehen. 171

Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40 f. Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 40 f. 173 Vgl. auch Tilmann, Stellungnahme des DAV durch den Ausschuss für Geistiges Eigentum zum (insoweit inhaltsgleichen) RefE. vom 3. 1. 2006 des Umsetzungsgesetzes, S. 11, der ausführt, das nicht hinreichend berücksichtigt werde, „dass Art. 7 RL dem Berechtigten auch dazu dienen soll, seinen Klageantrag zutreffend zu formulieren und die Klage (über die vorhandenen Indizien hinaus) vollends schlüssig zu begründen. Deswegen spricht Erwägungsgrund 20 nicht nur von „Sicherung von Beweismitteln“, sondern auch von der „Erlangung“ von Beweismitteln.“ 174 Vgl. oben unter 3. Teil, C. II. 2. b) (2); sowie Tilmann, Stellungnahme des DAV durch den Ausschuss für Geistiges Eigentum zum (insoweit inhaltsgleichen) RefE. vom 3. 1. 2006 des Umsetzungsgesetzes, S. 8, der für § 140 c PatGE die neue Formulierung „besteht ein hinreichender Verdacht“ forderte. 175 Vgl. die Begr. des RegE. vom 24. 1. 2007 des Umsetzungsgesetzes, S. 96. 176 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. d). 177 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 4. c). 172

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Zu unterscheiden ist zwischen dem Geheimnisschutz bei der eigentlichen Beweisbeschaffung in der Sphäre der gegnerischen Partei bzw. der konkreten Vorlage von Unterlagen und dem Geheimnisschutz während der mündlichen Verhandlung bzw. der Vorbereitung der Verletzungsklage. Hinsichtlich Ersterem gehen die Materialien unter Verweis auf die Entscheidung „Faxkarte“ wohl von der Zwischenschaltung eines neutralen Sachverständigen aus178. Diesem können ähnlich wie bei der Rechnungslegung mit Wirtschaftsprüfervorbehalt Unterlagen zur Entscheidung über die Aussonderung als geheimhaltungsbedürftig und nicht beweiserheblich bzw. die Weiterleitung vorgelegt werden oder er kann die Besichtigung vor Ort durchführen und rechtsverletzende Merkmale beschreiben. Weder die anspruchstellende Naturalpartei noch deren Anwälte nehmen an dieser Besichtigung teil. Insofern kann vollumfänglich auf die Ausführungen zu § 809 BGB verwiesen werden179. Es fragt sich weiterhin, ob § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG die Gerichte ermächtigt, zumindest während der mündlichen Verhandlung gem. §§ 936, 924 ZPO oder auch während der Vorbereitung der Verletzungsklage durch die Rechtsanwälte, die anspruchstellende Naturalpartei von der Anwesenheit auszuschließen und die ihre Interessen wahrnehmenden Anwälte zur Verschwiegenheit gegenüber der eigenen Naturalpartei zu verpflichten („in camera“-Verfahren). In den Materialien wird ausgeführt, dass die Regelung nach § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG nicht „die Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit in der Verhandlung“ erfasse, insofern bleibe es bei § 172 GVG180. In einem Erst-Recht-Schluss kann wohl davon ausgegangen werden, dass damit auch keine Ermächtigung für den Ausschluss der Naturalpartei geschaffen werden sollte. Zudem wird in den Materialien festgestellt, dass keine neue Ermächtigung für gerichtliche Geheimhaltungsauflagen geschaffen wird und in § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG „keine ausreichende Grundlage für eine [neue] Sanktionsnorm“ bei Verstößen gegen Geheimhaltungsauflagen gesehen werden kann181. Vielmehr wird im Hinblick auf Geheimhaltungsauflagen auf den bestehenden § 174 Abs. 3 GVG, und im Hinblick auf die Sanktionen bei Verstößen gegen § 174 Abs. 3 GVG auf die §§ 353d Nr. 2 und 203 StGB und das Standesrecht verwiesen182. Der Gesetzgeber geht wohl davon aus, dass nach § 174 Abs. 3 GVG bereits heute den anwesenden Anwälten eine Geheimhaltungspflicht auferlegt werden kann. Es findet sich keine Äußerung, ob die Geheimhaltungspflicht auch gegenüber der eige178

Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. Die verwendete Formulierung ist missverständlich. Gemeint ist keinesfalls ein Geheimnisschutz im Sinne der gesetzeswidrigen „Sachverständigenlösung“, bei der der Sachverständige richterliche Funktionen ausüben sollte (vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. c) (1)), sondern die Zwischenschaltung eines neutralen Sachverständigen bei der Besichtigung. 179 Zur Tätigkeit des neutralen Sachverständigen bei der Besichtigung vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. 2. c). 180 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 181 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 182 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41.

416 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

3. Teil: Umsetzungsbedarf

nen Partei gelten soll. Das Anwesenheitsrecht der Naturalpartei wird gerade nicht geregelt; der Begriff „Geheimverfahren“ mit keinem Wort erwähnt. Es ist somit davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, an der bisher geltenden Rechtslage etwas zu ändern: Das auch hier vorgeschlagene „in camera“-Verfahren wäre verfassungsrechtlich zulässig183. Sicherlich handelt es sich um einen Eingriff in den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)184. Auch die Anwesenheit der Prozessvertreter185 ändert hieran zunächst nichts, da aufgrund der auch nachprozessual andauernden Verschwiegenheitspflicht der Prozessvertreter für die Naturalpartei eine nachträgliche Überprüfung des Prozessverlaufes nicht möglich ist. Das verfassungsrechtliche Problem lässt sich jedoch im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen kollidierenden Verfassungsgütern lösen186. Da die Betriebsgeheimnisse der gegnerischen Partei in den Schutzbereich von Art. 12 und Art. 14 GG fallen, wäre zumindest bei nicht feststehender Schutzrechtsverletzung eine Offenlegung gegenüber der antragstellenden Naturalpartei, d. h. ein Verzicht auf umfänglichen Geheimnisschutz, nicht möglich. Wenn nun Art. 103 Abs. 1 GG einem wirksamen Geheimnisschutz entgegenstehen würden, wäre die Einbeziehung der geheimhaltungsbedürftigen und streiterheblichen Informationen in das Verletzungsverfahren überhaupt nicht möglich, so dass die Betonung des Rechts der antragstellenden Partei auf rechtliches Gehör dieser nicht mehr Rechtsschutz verschafft, sondern den angestrebten effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG) im Hinblick auf die mögliche Schutzrechtsverletzung vereitelt. Ihr eigenes Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG würde sich gegen ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz wenden. Effektiver Rechtsschutz ist für die antragsstellende Naturalpartei nur möglich, wenn eine Beschränkung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör zulässig ist187. Das Geheimverfahren ist insofern verfassungsrechtlich zulässig188. Bereits zuvor ist hier jedoch gefordert worden, dass trotz der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auf Grund des Vorbehalts des Gesetzes eine gesetzliche Ermäch183

Vgl. bereits oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3). BVerfG, NJW 1995, S. 2095, 2096; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 89, S. 381, 392; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 224; Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 712; Wagner, Datenschutz im Zivilprozess, ZZP 108 (1995), S. 193, 212. 185 Für einen Ausgleich des Eingriffs aufgrund der Anwesenheit der Prozessvertreter: Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697 ff.; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204 f.; Pagenberg, Know-How-Schutz, CR 1991, S. 65, 72; Karger, Beweisermittlung, S. 132 ff; König, Beweisnot, Mitt. 2002, S. 153, 164. 186 Vgl. auch Wagner, Datenschutz im Zivilprozess, ZZP 108 (1995), S. 193, 213. 187 BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 226 f.; Melullis, Besichtigungsanspruch, FS Tilmann, S. 843, 853; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 436; Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204; im Ergebnis auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 714; Wagner, Datenschutz im Zivilprozess, ZZP 108 (1995), S. 193, 213 f. 188 Vgl. ausführlicher oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3); sowie BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 1999, NJW 2000, S. 1175, 1178. 184

C. Umsetzungsgesetz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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tigungsgrundlage für das „in camera“-Verfahren geschaffen wird189. Diese Ermächtigungsgrundlage schafft der § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG und dem durch die Materialien vorgenommenen Verweis auf die §§ 172 ff. GVG nun nicht. Ein Ausschluss der Naturalpartei von der Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung ist auch jetzt nicht möglich, denn § 172 Nr. 2 GVG regelt nur den Ausschluss der Öffentlichkeit190. Als Alternative hierzu wird vertreten, dass die Naturalpartei freiwillig auf ihr Anwesenheitsrecht und ihren Informationsanspruch gegenüber ihrem Rechtsanwalt verzichten und eine unwiderrufliche Verzichtserklärung einreichen solle, um im Rahmen der Interessensabwägung eine Einbeziehung potentieller Betriebsgeheimnisse in das Verfahren zu ermöglichen191. Höchst fraglich ist allerdings, wie eine solche Verzichtserklärung auf einfachgesetzlicher Ebene durchgesetzt werden kann, wenn die Naturalpartei im bereits laufenden Verfahren unvermittelt auf ihrer Anwesenheit beharrt. Angesichts ihres gesetzlichen Anspruchs auf Anwesenheit in den §§ 285 Abs. 1, 357 Abs. 1 ZPO192 wird man sie kaum an ihrer Verzichtserklärung festhalten können193. Ob § 174 Abs. 3 GVG tatsächlich dazu ermächtigt, dem anwesenden Anwalt eine Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber der eigenen Naturalpartei aufzuerlegen ist sehr zweifelhaft. Nach § 174 Abs. 3 GVG kann den Anwesenden eine Geheimhaltungspflicht auferlegt werden. Dies gilt jedoch nur, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde (§ 174 Abs. 3 S. 1 GVG), und impliziert somit, dass die Verschwiegenheitspflicht nur gegenüber der Öffentlichkeit gilt. Die Naturalpartei kann auch nach den §§ 172 ff. GVG nicht von der Anwesenheit ausgeschlossen werden. Sie kann jederzeit erscheinen. Wenn sie zufällig nicht anwesend ist, verliert sie nicht ihre Parteistellung und ist nicht wie die Öffentlichkeit zu behandeln, so dass die Geheimhaltungspflicht ihr gegenüber nicht gilt194. 189 Vgl. oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. VI. 2. c) (3); so auch Karger, Beweisermittlung, S. 134; Prütting/Weth, Geheimverfahren, DB 1989, S. 2273, 2278; Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 713; a.A. Stadler, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, NJW 1989, S. 1202, 1204; sowie Wagner, Datenschutz im Zivilprozess, ZZP 108 (1995), S. 193, 213, der zwar feststellt, dass „die Gerichte nicht dazu befugt sind, die grundlegenden Abwägungsrelationen zwischen dem Recht auf Gehör und konfligierenden Rechtsschutz- und Geheimhaltungsinteressen selbst festzulegen“ (S. 213), aber dennoch eine „entsprechende Rechtsfortbildung durch die Gerichte“ für „zulässig“ und „geboten“ hält, da das Geheimverfahren die „einzige Möglichkeit“ eines Ausgleichs der Rechtsgüter biete (S. 217). 190 OLG München, NJW 2005, S. 1130, 1131; Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung, GRUR 2005, S. 837, 839; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 437. 191 So zu § 809 BGB Leppin, Besichtigungsanspruch, GRUR 1984, S. 695, 697 f.; Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 437; in Bezug auf das „Düsseldorfer Verfahren“ Kühnen, Besichtigung, GRUR 2005, S. 185, 187, 191; Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 125. 192 Vgl. hierzu Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 285 Rdn. 1 ff.; Stein/Jonas/Chr. Berger, ZPO, § 357 Rdn. 1 ff. 193 Auf einfachgesetzlicher Ebene ebenfalls skeptisch gegenüber einem freiwilligen Verzicht Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 713. 194 Kersting, Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses, S. 286 f., der darauf hinweist, dass die ZPO sogar davon ausgeht, dass sich die nicht anwesende Partei über ihren Anwalt informieren

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

Nach den Materialien ist § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG nicht die geeignete Sanktionsnorm bei Verstößen gegen die Geheimhaltungspflicht nach § 174 Abs. 3 GVG; vielmehr sind es die §§ 353d Nr. 2, 203 StGB. Unproblematisch ist insofern die Sanktionsnorm des § 353d Nr. 2 StGB i.V.m. § 174 Abs. 3 GVG. Teilweise wird jedoch versucht, unabhängig von der Reichweite des § 174 Abs. 3 GVG, dadurch eine umfassende Geheimhaltungspflicht des Anwalts gegenüber seiner Naturalpartei zu begründen, dass § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB extensiv ausgelegt wird. Nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist strafbar, wer ein fremdes Geheimnis offenbart, welches ihm als Rechtsanwalt anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass sich der Rechtsanwalt der anspruchstellenden Naturalpartei, unabhängig von einer gerichtlich auferlegten Geheimhaltungspflicht oder der Wirksamkeit einer Verzichtserklärung der anspruchstellenden Naturalpartei, strafbar mache, wenn er ein Betriebsgeheimnis der gegnerischen Partei an die eigene Naturalpartei weitergebe195. Dies ergebe sich daraus, dass ein „Anvertraut-wordensein“ des Betriebsgeheimnisses, z. B. durch die eigene Partei, bei § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erforderlich sei, wie die Alternative des „Bekannt-gewordensein“ zeige, und daraus, dass das Geheimnis nicht im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, z. B. einer Anwalt-Mandanten-Beziehung, bekanntgeworden sein müsse. Im Ergebnis ergibt sich somit kraft Berufsausübung eine strafbewehrte Geheimhaltungspflicht hinsichtlich von Geheimnissen der gegnerischen Partei gegenüber der eigenen Naturalpartei196. Diese Ansicht ist jedoch als zu weitgehend abzulehnen. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist „kein allgemeines Indiskretionsdelikt“, sondern schützt die „Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und dem [eigenen] Mandanten“197. Insofern ist § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB restriktiv auszulegen und bewirkt gerade keine strafbewehrte Geheimhaltungspflicht hinsichtlich von sog. „Drittgeheimnissen“198, unabhängig von einer konkreten Geheimhaltungsverpflichtung, zulasten der eigenen Naturalpartei. Im Ergebnis stellt § 140 c Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 PatG mit dem schlichten Auftrag an die Gerichte den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten, nicht die

lässt; Kersting wendet § 174 Abs. 3 GVG zur Ermöglichung eines Geheimverfahrens jedoch analog an. Für die Untauglichkeit des § 174 Abs. 3 GVG zur Begründung einer Geheimhaltungspflicht bezogen auf den Ausschluss der nicht-beweisbelasteten Naturalpartei, also des Beklagten, auch Ibbeken, TRIPs-Übereinkommen, S. 62; und Karger, Beweisermittlung, S. 134; im Umkehrschluss auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 714, die zur Ermöglichung eines Geheimverfahrens eine „Erweiterung des § 174 Abs. 3 GVG“ fordern, „mit der ein Anwalt vom Gericht auch zur Verschwiegenheit gegenüber seinem Mandanten verpflichtet werden könnte“. 195 Vgl. Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 126. 196 Vgl. Battenstein, Informationsbeschaffung, S. 126. 197 So Kiethe, Abgrenzung, JZ 2005, S. 1034, 1039. 198 Vgl. Kiethe, Abgrenzung, JZ 2005, S. 1034, 1039.

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gewünschte und benötigte einfachgesetzliche Ermächtigung zur Etablierung eines „in camera“-Verfahrens dar199. (4) Kritik Es ist bedauerlich, dass § 140 c PatG im Ergebnis die Gerichte nicht dazu ermächtigt, ein echtes Geheimverfahren, wie es hier vorgeschlagen wurde, anzuordnen. Dieser negative Befund wiegt umso schwerer, als ein wirksames Geheimverfahren, nach der hier gefundenen Auffassung, Voraussetzung gewesen wäre für noch weitergehende Beweisermittlungen mit ausforschenden Elementen, die über den status quo des § 140 c PatG hinausgehen200. e) Weitere Sicherungen zugunsten des Adressaten (1) § 140 c Abs. 4 PatG § 140 c Abs. 4 PatG erklärt zunächst § 811 BGB für entsprechend anwendbar. § 811 BGB trifft Regelungen zu Vorlegungsort, Gefahr- und Kostentragung, sowie zur Sicherheitsleistung. Letzteres ist nach der Entscheidung „Faxkarte“ insbesondere bei der Interessenabwägung im Hinblick auf die Zulässigkeit von Substanzeingriffen zu berücksichtigen. Zu § 811 BGB kann auf obige Ausführungen verwiesen werden201. § 140 c Abs. 4 PatG verweist zudem auf die entsprechende Geltung von § 140 b Abs. 8 PatG. Danach dürfen die durch die Beweisbeschaffung gewonnenen Erkenntnisse in einem Strafverfahren gegen den Verpflichteten nach § 140 c Abs. 1 PatG oder gegen einen seiner Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden. Es wird somit ein strafrechtliches Verwertungsverbot gesetzlich verankert, um die erzwungene Mitwirkung nicht als Verstoß gegen das strafrechtliche Verbot der Selbstbezichtigung („nemo tenetur se ipsum accusare“) erscheinen zu lassen202. Bedeutsam ist die gesetzliche Verankerung, weil hierdurch feststeht, dass die Gefahr einer Strafverfolgung nicht besteht, und das Verbot der Selbstbezichtigung somit –

199 Im Ergebnis und in Bezug auf den insofern gleichlautenden Referentenentwurf des Umsetzungsgesetzes auch Spindler/Weber, Geheimnisschutz nach Art. 7, MMR 2006, S. 711, 713; Peukert/Kur, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts zur Umsetzung der Richtlinie, GRUR Int. 2006, S. 292, 302; auch Kunz-Hallstein/Loschelder, Gemeinsame Stellungnahme, GRUR 2006, S. 393, 394, kritisieren, dass „unter Beteiligung der Rechts- und Patentanwälte ein vertrauliches Verfahren“ notwendig wäre. 200 Nicht so weitgehend, jedoch grundsätzlich stellen auch Kunz-Hallstein/Loschelder, Gemeinsame Stellungnahme, GRUR 2006, S. 393, 394, fest, dass, „wenn die Voraussetzungen zur Beweissicherung großzügig ausgestaltet sind“, es auch den „Schutz des Betroffenen und seiner Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse“ bedarf. 201 Vgl. zu § 811 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. IV. 202 Im Ergebnis auch Seichter, Umsetzung der Richtlinie, WRP 2006, S. 391, 396.

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

wie bereits oben vertreten – im Rahmen der Interessenabwägung nach § 140 c Abs. 2 PatG dem Anspruch nicht entgegengehalten werden kann203. (2) § 140 c Abs. 5 PatG § 140 c Abs. 5 PatG gewährt dem vermeintlichen Verletzer einen Schadensersatzanspruch, wenn „keine Verletzung vorlag oder drohte“. Die Regelung dient der Umsetzung von Art. 7 Abs. 4 RL Dieser Schadensersatzanspruch geht nach den Materialien ausdrücklich über § 945 ZPO hinaus. Denn § 945 ZPO ist, wie bereits ausgeführt204, nur gegeben, wenn die Verfügung „von Anfang ungerechtfertigt“ war. Die Verfügung erging jedoch rechtmäßig, wenn sich zum Zeitpunkt des Erlasses die Rechtsverletzung als hinreichend wahrscheinlich darstellt. In diesem Fall eines rechtmäßigen Erlasses der Verfügung soll nach den Gesetzesmaterialien ein Schadensersatzanspruch bestehen, wenn „später“ nach Durchführung von Vorlage bzw. Besichtigung im eigentlichen Verletzungsverfahren einer „abweisende Entscheidung“ ergeht, also nach Auffassung des Gericht keine Schutzrechtsverletzung besteht205. Aus dem Wortlaut der Norm und den Materialien ergibt sich zudem kein Verschuldenserfordernis. Der Gleichlauf mit § 945 ZPO spricht im Gegenteil für eine verschuldensunabhängige Haftung des Rechtsinhabers. Wenn der Rechtsinhaber also im Zeitpunkt der Antragstellung ex ante eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Schutzrechtsverletzung darlegen kann und hinsichtlich des Nicht-Bestehens einer Verletzung gutgläubig war, haftet er, wenn die Besichtigung bzw. der eigentliche Verletzungsprozess ex post keine Schutzrechtsverletzung ergibt, selbst wenn er dies im Zeitpunkt des Erlasses nicht wissen konnte. Nach § 140 c Abs. 5 PatG besteht somit eine Art Risiko- oder Garantiehaftung für die spätere Verifizierung der Wahrscheinlichkeit, obwohl dem Beweisbeschaffungsanspruch nach § 140 c PatG auf Basis einer Wahrscheinlichkeit und zur Feststellung der Verletzung von gesetzeswegen die Möglichkeit zu Grunde liegt, dass sich die Wahrscheinlichkeit nicht bestätigt. (3) Kritik Sicherlich stimmt § 140 c Abs. 5 RL mit dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 4 RL206 überein. Zutreffend ist zudem, dass die redliche gegnerische Partei die Kosten tragen muss, wenn sie nicht der Schutzrechtsinhaber trägt. Allerdings enthält bereits § 140 c Abs. 4 PatG i.V.m. § 811 Abs. 2 BGB eine verschuldensunabhängige Zuweisung der Kosten und der Sachgefahren der Vorlegung bzw. Besichtigung zulasten des Anspruchstellers. Danach trägt er ohnehin die Kosten einer Beschädigung der Sache und die Kosten, die sich unmittelbar aus der Vorlegung der Sache ergeben. Die Kosten

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Vgl. hierzu bereits oben unter Einleitung, F. II. Vgl. oben unter 3. Teil, A. II. 2. c). Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. Siehe hierzu bereits oben unter 2. Teil, C. III. 5. e) (3).

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der vorübergehenden Gebrauchsentziehung trägt er jedoch gerade nicht207. Eine über § 811 Abs. 2 BGB hinausgehende Regelung bringt den Anspruchsteller in die Gefahr mit unbestimmte Vermögensschäden in Form von geschätzten Verdienst- und Gewinnausfällen konfrontiert zu werden. Dieses Haftungsrisiko würde er nur eingehen, wenn er sich praktisch sicher ist, dass eine Verletzung besteht. Dies widerspricht aber dem Sinn und Zweck des § 140 c PatG. Eine Feststellung der Verletzung soll gerade auch erfolgen, wenn die Verletzung zwar wahrscheinlich, jedoch im Grunde unklar ist. Über die Haftung für das Integritätsinteresse nach § 811 Abs. 2 BGB hinaus, sollte § 140 c Abs. 5 PatG daher insofern korrigierend ausgelegt werden, als eine weitere Haftung Verschulden voraussetzt208. 3. § 140 d PatG § 140 d Abs. 1 PatG gewährt einen Anspruch auf Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen, wenn eine in gewerblichem Ausmaß begangene Rechtsverletzung feststeht und ein Schadensersatzanspruch besteht. Nach den Gesetzesmaterialien dient die Norm der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 S. 2 RL, und somit nicht der Gewinnung von Beweismitteln, sondern der Sicherung der Erfüllung des Schadensersatzanspruchs209. Der Anspruch besteht somit erst, wenn der Verletzer den Schadensersatzanspruch nicht erfüllt und der Verletzte keine ausreichende Kenntis über Vermögenswerte des Verletzers hat. Inhaltlich bezieht sich der Anspruch damit nur auf Urkunden, die Hinweise auf Vermögenswerte geben können210. § 140 d PatG unterscheidet sich damit deutlich von dem nach dem Wortlaut ähnlichen Art. 6 Abs. 2 RL. Art. 6 Abs. 2 RL kommt zeitlich früher zur Anwendung und dient der Ermittlung des Umfangs der Verletzung211.

III. Fazit Schematisierend und mit Abstrichen wurde am Ende des Ersten Teils festgestellt, dass das bisherige deutsche Recht von dem Grundsatz „Ausforschungsverbot statt Geheimverfahren“ geprägt wird212. Am Ende des Zweiten Teils ergab sich, dass insbesondere Art. 7 RL die Ermöglichung einer weitgehenden Beweisermittlung mit ausforschenden Elementen fordert, wobei der Schutz der Geheimhaltungsinteressen 207 Wenn kein Verschulden vorliegt, können diese Kosten im Falle der Bestätigung der Schutzrechtsverletzung im Rahmen des Verletzungsschadensersatzes dem Verletzer aufgebürdet werden, vgl. zu § 811 Abs. 2 BGB oben unter 1. Teil, 1. Abschnitt, A. IV. 2. 208 Vgl. hierzu auch Art. 7 Abs. 4 RL oben unter 2. Teil, C. III. 5. e) (3). 209 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41. 210 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5048, S. 41 f. 211 Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 4. 212 Vgl. hierzu oben unter 1. Teil, 2. Abschnitt, E.

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3. Teil: Umsetzungsbedarf

des Betroffenen durch ein wirksames Geheimverfahren sicherzustellen ist. Daraus folgte – plakativ – die Feststellung der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels im deutschen Recht der Beweismittelbeschaffung unter der Prämisse „Geheimverfahren statt Ausforschungsverbot“213. Das Umsetzungsgesetz hat diesen Paradigmenwechsel nur zum Teil vollzogen und blieb auf halber Strecke stehen. Dennoch hat sich seit der Entscheidung „Druckbalken“ für den Schutzrechtsinhaber, der eine Verletzung in der fremden Sphäre vermutet, Vieles zum Positiven verändert. Es steht nun mit § 140 c PatG und der dadurch gesetzlich garantierten Anwendung der Grundsätze der Entscheidung „Faxkarte“ auf das Patentrecht ein wirksameres Instrument zur Überwindung des strukturellen Informationsdefizits des Schutzrechtsinhabers zur Verfügung. Dennoch ist § 140 c PatG nicht ausreichend. Die Norm bleibt deutlich hinter den Anforderungen an eine Beweisermittlungsmaßnahme nach Art. 7 Abs. 1 RL zurück. Insbesondere ist zu kritisieren, dass § 140 c PatG nicht die Ermittlung unbekannter, rechtserheblicher Beweisstücke ermöglicht und zum Ausgleich dieser Ermittlungsermächtigung kein „in camera“-Verfahren vorsieht.

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Vgl. oben unter 2. Teil, C. III. 5. f).

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Sachwortverzeichnis Anhörung des Antragsgegners, vorherige 118, 126, 129, 144 f., 157 f., 166, 258, 266, 272 ff., 282 – 289, 301 – 307, 348 ff., 359 – 363, 369, 388, 399 f., 412 Anwesenheit 134 – 138, 147, 159, 161, 212, 221, 278, 282, 298, 355, 361 – 366, 415 ff. Äquivalenzbereich 78, 84, 101 – 107, 140 – 143, 149, 174, 242, 294 – 296, 301, 306, 357, 361, 364, 368, 374, 388, 392, 404, 410 – 413 Aufklärungspflicht, allgemeine, prozessuale 40 f., 63 f., 178 – 198, 201, 236, 243, 265 Ausforschungsverbot 27 f., 39, 41 f., 61, 64 f., 148 f., 154 f., 178, 194 f., 204, 211, 224, 236 ff., 240 ff., 290, 347, 354, 373 ff., 381 ff., 421 f. Befriedigungsverfügung 112 – 117, 146, 149 f., 389, 394, 411 – 413 Beschlagnahme 117, 121, 124, 258, 271 ff., 287 – 293, 329 – 334, 355 – 358, 369, 373 Bestimmtheitsgrad 27 f., 284, 322 ff., 373, 379, 386 Best-Practice-Maßnahme 45, 270 – 307, 336, 340 f., 350 – 357, 382, 402, 414 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 46 ff., 76 ff., 99 – 109, 122 f., 172 – 177, 211 f., 281 f., 294 – 299, 325, 354 f., 361 – 368, 414 – 418 Beweisantrag 29 f., 62, 154 ff., 178, 224 ff. Beweisermittlung 29 f., 43, 81, 149, 155 ff., 236 – 238, 241 – 251, 281 – 307, 335 – 337, 344 – 354, 355 – 378, 385 – 395, 411, 419 – 422 Beweismittelvernichtung und -manipulation, Gefahr der 43 f., 112, 128, 167, 348 ff., 358 Beweissicherung 43, 68, 117, 120, 127, 149, 150 – 167, 197, 241, 255, 266 ff., 270 – 286, 287 – 305, 313, 347 – 352, 370, 378

Beweisvereitelung 39, 163, 175 – 177, 182, 186, 190, 199 f., 220, 224, 233, 264, 328 Darlegungslast (siehe auch Behauptungslast, sekundäre) 25 ff., 78, 169, 171, 184, 267 Drittauskunft, Anspruch auf 36 f., 42, 113, 180, 311 Durchsuchung 86, 125 – 129, 145, 221, 277 ff., 285 ff., 293, 301, 306, 352, 356, 360 f., 387, 409 – 412 Düsseldorfer Praxis 117, 143 – 150, 164, 363 Einstweilige Verfügung 71, 117, 118 – 129, 143 – 146, 399 f., 412 Erklärungslast 38, 181 Erzwingbarkeit 146, 162 – 165, 175 – 178, 186, 197, 220, 234, 393 f. Foto 121, 203, 280, 292, 294, 301, 306, 357 f. Freigabe des Sachverständigenberichts 106, 130 – 145, 362 – 367, 371, 388 f., 410 ff. Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage 141, 370 f., 390 f. Geheimhaltungsinteresse 46 ff., 68 – 72, 76 – 87, 92 – 99, 103 – 106, 113 – 116, 296 – 306, 363 ff., 375, 392, 408 ff., 421 Geheimnisschutz 44, 47, 49, 53, 82, 92, 99, 144 f., 211, 238, 244 – 246, 295 f., 302 – 306, 325 f., 347, 354 f., 359 – 369, 375 f., 389 – 394, 411 – 419 Gerichtsvollzieher 117, 121, 124 ff., 292 – 297, 302, 361, 387, 409 Glaubhaftmachung 62, 71, 76 – 79, 115, 119, 140, 153, 167, 221 f., 258, 266, 290, 323, 332, 344 Grenzbeschlagnahme 43, 252 Gutachten 123, 130, 143 – 145, 159 – 161, 165 Hilfsanspruch 36, 51 f., 64 ff., 114, 141, 267

440 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Sachwortverzeichnis

Immaterialität 23, 30 f., 80, 272 in camera-Verfahren 131 – 139, 147 ff., 211 f., 239, 282, 365, 368, 390, 410, 415 – 422 Inbetriebnahme 88 – 97, 118, 123, 280, 285, 301, 306, 357 Informationsdefizit 23, 29 ff., 35 ff., 61, 71, 107, 139, 148, 165 ff., 172, 235 ff., 240 ff., 295, 318 f., 373 ff., 422 Informationsinteresse 24 ff., 45 ff., 49 ff., 73 ff., 105, 184, 296 ff., 306 Interessenabwägung 27, 48 ff., 53, 65, 68 f., 75 ff., 81, 84 f., 92, 96 ff., 113, 130 ff., 148 f., 277, 296, 313 f., 386, 404 – 407 Klageantrag 24 ff., 111, 130, 173, 241 ff. Mitwirkungspflicht der nicht-beweisbelasteten Partei 154, 165 ff., 175, 184 ff., 190 f., 199, 214, 219 f., 232, 235 f., 240, 264, 283 ff., 319 ff., 330 ff., 373 ff., 394 nemo tenetur edere contra se-Grundsatz 35, 40 f., 61, 178 ff., 190 f., 408 nemo tenetur se ipsum accusare-Grundsatz 47 ff., 76, 419

Schwärzung 106, 122, 145, 325, 364 – 367, 389, 412 Sekundäre Behauptungslast 38, 168 – 174, 181, 185, 190 Selbstständiges Beweisverfahren 37 ff., 143 ff., 150 – 167 Sequestration 117, 121, 124 f., 371 Sicherheitsleistung 84, 91 – 98, 109, 275, 285, 291, 302, 360, 369, 390, 409, 419 Sonderbeziehung, rechtliche 35 ff., 180 ff. Sphäre, gegnerische 30 ff., 41 ff., 51 f., 75 ff., 107, 157 f., 166 f., 178, 182, 236 ff., 241 ff., 287, 305, 322, 330, 337 ff., 350 ff., 373 ff., 422 Stufenklage 111, 188 Substantiierung 25 ff., 44, 60 ff., 111, 148, 155 f., 168 ff., 178 ff., 196 ff., 206, 237 f., 240 ff., 290, 318 ff., 322, 331, 337 ff., 394, 404 Substanzeingriff 88 – 97, 149, 242, 280, 285, 294, 301, 357, 374, 388, 392, 409, 411, 419 Tatsachenvortrag 61 – 64, 165, 168, 238 – 246, 275, 283, 289, 300 – 305, 320 – 322, 331 – 336 Testkauf 32, 73 f., 323 TRIPs-Plus-Ansatz 259 – 270, 314, 402, 414

Objectcode 31 f., 57 Passwörter 118, 123, 223 Plausibelmachung 77, 186, 323, 338 – 347, 373, 386 Produktpiraterie 57, 180, 252 – 259, 310, 333, 393 Prozessförderungspflicht 175, 218 Prozesskostenrisiko 24, 52, 173, 241 Prozessuale Institute 35 ff., 150 ff., 251, 395

Überzeugungsgrad 27 ff., 60, 72, 240, 322, 341 ff., 354, 373 f., 382, 386, 391 ff., 402 ff. Ubiquität 23, 30 f., 80, 272 Umkehr der Darlegungs- und Beweislast 33, 39, 56, 75, 138, 171, 177, 182, 184 ff., 198, 233 Urkunde 39, 42, 52, 151, 176, 181, 186 – 193, 199 – 235, 272, 294, 327 – 331, 377, 384, 399 – 408, 421

Quellcode 31 f., 57, 74 Rechtliches Gehör 115, 134 – 136, 157, 161, 212, 366, 416 Richtlinienkonforme Auslegung 45, 147, 238, 246, 312 – 316, 366, 381, 406 – 408 Sachverständiger 82, 92, 99, 109, 143 Schadensersatzanspruch 301, 306, 313, 369 – 373, 390 f., 399 f., 420 f.

Verfügungsanspruch 119, 143 Verfügungsgrund 119 f., 127 Verhältnismäßigkeit 44, 121, 222, 233, 256, 277, 285, 307, 310 ff., 315 – 317, 326, 329 f., 33, 341 – 347, 354, 358, 406 – 409 Verwertungsverbot, strafrechtliches 48, 76, 281, 419 Verwertungsverbot, zivilrechtliches 355, 369 – 371

Sachwortverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Wahrscheinlichkeit, erhebliche 61 – 69, 72, 77 – 85, 148, 245, 276, 386, 402 f. Wahrscheinlichkeit, gewisse 37, 65 – 69, 72, 77 – 85, 130 ff., 148, 245, 265, 402, 405 Wahrscheinlichkeit, hinreichende 105, 290, 399, 407, 414, 420

441

Wahrscheinlichkeitsgrad 50, 60 f., 119, 238 – 245, 276, 322 f., 339 – 346, 373 – 379 Wirtschaftsprüfervorbehalt 141, 211, 325, 415 Zuständiges Gericht 126, 129, 153, 258 f., 288, 296, 305, 360, 387, 412