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German Pages [464] Year 2013
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie
Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 139
Vandenhoeck & Ruprecht
Michael Weinrich
Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56407-3 ISBN 978-3-647-56407-4 (E-Book) Ó 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Karl Barth 1934 in Bonn (bisher unveröffentlicht), gezeichnet von Ulrich Behrend (1916 – 1983), der 1934 sein Studium der Theologie in Bonn begonnen hatte und diese Zeichnung in einer Lehrveranstaltung von Karl Barth angefertigt hat. Behrend war nach dem Zweiten Weltkrieg Pfarrer unter anderem in Jerichow (Elbe) und Halle und hat sich zeitlebens auch künstlerisch betätigt.
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1 Theologische Fundamentalentscheidungen 1.
Immer noch Karl Barth? Eine hinführende Rechenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die erkenntnistheoretische Verlegenheit der Theologie 1.2 Der Vorrang des biblischen Zeugnisses . . . . . . . . 1.3 Theologische Religionskritik . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Ostertheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Geschenk der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Befreiung zur Weltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Konfessionalität und ökumenische Weite . . . . . . .
2.
Theologischer Ansatz und Perspektive der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths Trinitarische Hermeneutik und die Reichweite der Theologie . . 2.1 Die Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Offenbarung – das Wort Gottes Der Entdeckungshorizont theologischer Erkenntnis . . . . 2.3 Der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein Der Erkenntnisweg der Theologie . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die dreifache Gestalt des einen Wortes Gottes . . . . 2.3.2 Barths trinitarische Hermeneutik . . . . . . . . . . 2.4 Die mögliche Unmöglichkeit der Theologie . . . . . . . . . 2.4.1 Die Stigmatisierung der natürlichen Theologie . . . 2.4.2 Von der Demut der Theologie . . . . . . . . . . . .
3.
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„Die neue Welt in der Bibel“ Grundentscheidungen in Karl Barths Verständnis von der Schrift 3.1 Die Wiederentdeckung der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die alte Welt und die neue Welt . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Gegenständlichkeit der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Dogmatik als konsequente Exegese . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Kritischere Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Die Verlegenheit der Bibelauslegung . . . . . . . . . . . . . 3.7 Die Freiheit der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 4.
5.
Inhalt
Unbequeme, weil konsequente Theologie: Johannes Calvin und Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Calvin und Barth waren höchst umstrittene Theologen . . . 4.2 Ist von zwei Reformationen oder von zwei Schritten einer Reformation zu sprechen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Nicht der Mensch ist die entscheidende Frage, sondern Gott 4.4 Nur der freie Mensch und die freie Kirche können Gott die Ehre erweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christus als Zeitgenosse Von der Gegenwart der Parusie Jesu Christi . . . . . . 5.1 Problemanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Eine Übergangsüberlegung . . . . . . . . . . . . 5.3 „Mir ist gegeben alle Gewalt …“ Das Realissimum der Geschichte . . . . . . . . . 5.3.1 Universalgeschichte – Siegergeschichte . 5.3.2 Realgeschichte – Kampfgeschichte . . . . 5.3.3 Aktualgeschichte – Geistes-Geschichte . . 5.4 „Ich bin bei euch alle Tage …“ Die Gnade der Realpräsens . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Allgegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Realgegenwart . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Geistes-Gegenwart . . . . . . . . . . . . . 5.5 „Gehet hin in alle Welt …“ Die lebendige Gemeinde des lebendigen Christus 5.5.1 Die Existenzfrage des Christen . . . . . . 5.5.2 Im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . 5.5.3 Hic et nunc . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 In Ungeduld geduldig . . . . . . . . . . . 5.5.5 Nicht mit dem Anfang aufhören! . . . . .
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6.
God’s Free Grace and the Freedom of the Church Theological Aspects of the Barmen Declaration . 6.1 The First Commandment . . . . . . . . . . 6.2 The threefold form of the Word of God . . 6.3 The rejection of natural theology . . . . . . 6.4 The freedom of the church . . . . . . . . . 6.5 The ecumenical dimension of Barmen . . .
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7.
Karl Barth – ein reformierter Reformierter Theologie für eine durch Gottes Wort zu reformierende Kirche 7.1 Von der Besonderheit des Bekenntnisses . . . . . . . . . . 7.2 Wort Gottes und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Von der Mitte aus offen in alle Richtungen . . . . . . . .
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153 155 160 165
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9
Inhalt
7.4
Ein reformierter Reformierter . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Teil 2 Die Kirche im Horizont einer entmythologisierten Welt 8.
Die Weltlichkeit der Kirche Systematische Zugänge zu einem Grundproblem der Ekklesiologie 8.1 Die Verweltlichung der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Verkirchlichung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Die Weltlichkeit der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 175 181 185
9.
Missio Dei und die Sendung der Kirche Systematisch-theologische Anregungen in der Perspektive von Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Das erste Gebot als Einweisung in die Welt . . . . . . . . 9.2 Das Zeugnis der Kirche und die Missio Dei . . . . . . . . 9.3 Missio Dei und das Zeugnis der Kirche . . . . . . . . . .
10. Gottes Einstehen für seine Schöpfung Aspekte der Vorsehungslehre von Karl Barth 10.1 Von der Dynamik der Fürsorge Gottes . 10.2 Die drei Gestalten der Fürsorge Gottes . 10.2.1 Gottes Erhalten . . . . . . . . . 10.2.2 Gottes Begleiten . . . . . . . . . 10.2.3 Gottes Regieren . . . . . . . . . 10.3 Als Geschöpf leben . . . . . . . . . . . 10.4 Vom Ernstnehmen des ersten Gebots .
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11. Die religiöse Verlegenheit der Kirche Religion und christliches Leben als Problem der Dogmatik 11.1 Karl Barths Frage an uns . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Eine religionslose Welt war angesagt . . . . . . 11.2.2 Es ist ganz anders gekommen . . . . . . . . . . 11.2.3 Zielsicher an Barth vorbei . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Außertheologische Apologien . . . . . . . . . . 11.2.5 Die Kirche im Aufwind der Religion . . . . . . 11.2.6 Religion als Dispositive der Macht . . . . . . . 11.3 Religion als Neuzeitproblem . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Der allgemeine Religionsbegriff . . . . . . . . 11.3.2 Wilhelm Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Karl Barth und die neuzeitliche Religion . . . .
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Teil 3 Religion und Religionskritik
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Inhalt
11.4 Religion als Thema der Dogmatik bei Karl Barth . . . . . . . 11.4.1 Religion als uneigentliches Thema der Theologie . . . 11.4.2 Die Unausweichlichkeit der Religion . . . . . . . . . . 11.5 Die Kirche in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Religion und Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2 Die Religionen der Welt – die Welt der Religion . . . . 11.5.3 Kirche: Christliches Leben als weltliches Leben in der Anrufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Von der Humanität der Religion Karl Barths Religionsverständnis und der interreligiöse Dialog 12.1 Voraussetzungen zum Verständnis Barths . . . . . . . . . 12.1.1 Die Religionskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Die Substanzlosigkeit der Apologetik der Religion 12.1.3 Religion als Thema der Theologie . . . . . . . . . 12.2 Die Schwäche der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Die Stärke der Schwäche der Religion . . . . . . . . . . . 12.4 Religion und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 4 Kritische Zeitgenossenschaft 13. Karl Barths politische und ökumenische Zeitgenossenschaft Ausgewählte Aspekte der Barthrezeption . . . . . . . . . . . . . . 319 13.1 Barth als Zeitgenosse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 13.2 Ökumenische Zeitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 326 14. Der Katze die Schelle umhängen Konflikte theologischer Zeitgenossenschaft: Anregungen aus der theologischen Biographie Karl Barths . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Hominum confusione et Dei providentia – Die menschliche Geschichte und die Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Das Erleben der Geschichte und Gott . . . . . . . . 14.1.2 Geschichtliche Aufbrüche und die Kirche . . . . . . 14.1.3 Politische Theologie und der biblische Gott . . . . . 14.2 „Sozialdemokratisch, aber nicht religiös-sozial“ . . . . . . . 14.2.1 Der Christ in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Das menschliche Subjekt und das Reich Gottes . . . 14.2.3 Der politische Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Die ,Sachlichkeit‘ der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Der Gegenstand der Theologie . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Der Ort der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.3 Die Aufgabe der Theologie . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Die Grenze der Staatsbürgerpflicht . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Der Eid auf den Führer . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
14.4.2 Der Berner Kirchenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . 385 14.4.3 Die Profanisierung des Staates und der Politik . . . . 389 15. Karl Barths theologischer Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus Von der bescheidenen Kompromisslosigkeit der Theologie . . . . 15.1 Die Aufkündigung des Friedens . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Die völkische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Friedrich Gogarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Wilhelm Stapels Verständnis von Volksnomos und totalem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Die Illusion des Kompromisses . . . . . . . . . . . . 15.3 Karl Barths bescheidene Kompromisslosigkeit . . . . . . .
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. 401 . 405 . 407
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
Vorwort Fragen wir nach unserer „theologischen Existenz heute“, so wäre als Antwort gewiss ein schlichter Hinweis auf Karl Barth verfehlt, ist doch unser Heute durchaus ein anderes als dasjenige Barths. Auch wenn die Vorstellungen vom rasanten Wandel der Zeiten und der sich ständig beschleunigenden Modernisierungsgeschwindigkeit ihre nüchtern zu beachtenden Grenzen haben, wird nicht zu leugnen sein, dass die konkreten Herausforderungen der Kirche heute andere sind als zu Zeiten Barths. Wenn sich der Protestantismus in Deutschland aus guten Gründen diesen Herausforderungen als „Kirche der Freiheit“ zu stellen versucht, so hält er gewiss an einem zentralen Thema der Reformation fest, aber eben auch an dem Thema, dem die Theologie Barths im 20. Jahrhundert zu einer bis dahin nicht wahrgenommenen Tiefe und Reichweite verholfen hat, so dass sich eine theologisch belastbare Rede von der „Freiheit eines Christenmenschen“ ebenso wie von der Freiheit der Kirche heute immer noch an dem wird messen lassen müssen, was Barth in Wahrnehmung seiner theologischen Verantwortung zu bedenken gegeben hat. Freilich ist Barth auch ganz anders gelesen worden. Nach wie vor wird er mit dem Vorwurf der Neo-Orthodoxie bedacht, aber wohl kaum von denjenigen, die sich ernsthaft darum bemüht haben, ihn zu verstehen. Barth ist durch und durch ein Theologe der Freiheit und zwar einer Freiheit, die sich auf der einen Seite nicht andauernd für irgendwelche Kompromisse krümmt und die sich auf der anderen Seite aber auch niemals absolut nimmt, weil sie nicht der Ausdruck eines Selbstdurchsetzungsvermögens ist, sondern ein teilnehmender Hinweis auf die sich allein durch Gott erschließende Wirklichkeit seines Eintretens für den Menschen. Für Barth war beispielsweise die Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ ein „bescheidener aber nicht zu durchbrechender Damm“ (Abschied, 541) gegen die Unterwerfungen der Theologie unter die Herrschaft von Gesichtspunkten, die der Theologie von außen eine bestimmte Blickrichtung vorschreiben wollten; sie stand für die von ihm wahrgenommene Freiheit. Wir schaffen diese Freiheit nicht erst durch unser Engagement, sondern bezeugen sie, so dass uns durchaus Bescheidenheit geboten bleibt. Und zugleich geht es tatsächlich um Freiheit und nicht um ein strategisches Kalkül, das sich immer auch schon an seiner Bestreitung ausrichtet. Hier zeigt sich die bescheidene Kompromisslosigkeit, in der Barth Theologie getrieben hat und die auch unter den veränderten Gegenwartsbedingungen nach wie vor bedenkenswert geblieben ist. Dieser Band trägt Studien zu Karl Barth zusammen, die sich ihrerseits auf einen Zeitraum von beinahe dreißig Jahre beziehen – ein Zeitraum, innerhalb dessen nicht zuletzt mit der Wende ganz und gar unerwartet und unvorbe-
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Vorwort
reitet der Ost-West-Antagonismus überwunden wurde. Indem Barths Theologie ihre Freiheit gerade aus einer Relativierung der Bindungen an die vom Menschen veranstaltete Geschichte bezieht, werden die zu bedenkenden Anregungen Barths von dieser „Wende“ nur marginal tangiert, weil sich durch sie das Verhältnis des Menschen zu seiner Geschichte nicht grundsätzlich verändert hat, so wie ja auch der größte Teil der Probleme geblieben ist, um von den noch hinzugekommenen einmal ganz zu schweigen. Gleichwohl liegt es der Natur der voranschreitenden Zeit, dass sich zwischen den älteren und den jüngeren Beiträgen vor allem in der Diktion die eine oder andere Akzentverschiebung registrieren lässt, ohne dass sich dabei die systematische Perspektive weitreichend verändert hat. Ein Teil der Studien wird hier das erste Mal veröffentlicht. Bei den anderen wird der Ort der Erstveröffentlichung jeweils angegeben. Ohne die Beiträge in ihrem jeweils ursprünglichen Charakter zu verändern, habe ich mir die Freiheit genommen, kleine Revisionen vorzunehmen und offenkundige Fehler zu tilgen. Für die Neuveröffentlichung werden die Belegnachweise durchgängig an der Karl Barth Gesamtausgabe – soweit sie bis jetzt vorliegt – orientiert. Die Studien ergeben insgesamt einen sinnvollen Gedankenbogen, bleiben aber dennoch Einzelstudien, was sich vor allem darin zeigt, dass sich gelegentlich übereinstimmende inhaltliche Zuspitzungen finden, an denen sich nicht zuletzt die besondere heuristische Wahrnehmungsperspektive des Verfassers zeigt. Ein weiterer Teil solcher Dubletten wurde durch gelegentliche Kürzungen und entsprechende Querverweise vermieden. Ulrich Barniske sei gedankt für die Überlassung der bisher unveröffentlichten Zeichnung seines Schwiegervaters Ulrich Behrend (Jahrgang 1916), von der ich hoffe, dass sie insofern für diesen Band insgesamt als symbolisch angesehen werden kann, als sie einen durchaus individuellen Blick auf Karl Barth wirft, zugleich aber diesen doch unschwer zu erkennen gibt. Ebenso gilt mein Dank meinen Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl Ulrike Busse, Karen Lutz und Annegreth Schilling für die engagierte Unterstützung dieses Projekts. Den Herausgebern der „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie“, Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz, danke ich für die Aufnahme meiner Studien in die von ihnen verantwortete Reihe. Im Verlag danke ich für Anregungen und bewährte verlässliche Begleitung Silke Hartmann und Jörg Persch. Bochum/Paderborn, Reminiszere 2013
Teil 1 Theologische Fundamentalentscheidungen
1. Immer noch Karl Barth? Eine hinführende Rechenschaft Insbesondere in Deutschland herrscht im Blick auf Karl Barth eine merkwürdige Gereiztheit, die schon allein durch die Nennung seines Namens aktiviert wird. Er steht hier – im bemerkenswerten Unterschied etwa zum englischen Sprachraum – für eine Theologie, die sich vor allem im Selbstgespräch befinde und dabei mit steilen Aussagen die Aussichtslosigkeit aller menschlichen Bemühungen mit der Souveränität des in Christus ergehenden Wortes Gottes konfrontiere. Der Cantus Firmus seiner Theologie mache den Menschen und all seine Errungenschaften klein und verweise ihn ganz und gar auf die gnädige Zuwendung Gottes, die gerade in ihrer Unausweichlichkeit auch als demütigend empfunden werden könne. In dieser Wahrnehmung scheint Barths Theologie beinahe himmelweit von dem tatsächlichen Lebensbewusstsein des modernen Menschen entfernt zu sein, der in seiner Suche nach Identität vor allem auf Bestätigung ausgerichtet ist. Barth nehme dagegen allein die Ansprüche Gottes ernst, ohne diese mit den Erfahrungen und dem aktuellen Selbstbewusstsein des Menschen zu vermitteln. In der spezifischen Situation des Konflikts mit dem Nationalsozialismus mögen seine Zuspitzungen ein begrenztes Recht gehabt haben, doch jenseits dieses Konflikts bekomme die insistente Verklammerung des Menschen mit dem bekennenden Anspruch des Glaubens etwas unvermeidlich Penetrantes und unangenehm Übergriffiges, das gerade vom christlichen Glauben fernzuhalten sei. Und so stehen das aktuelle kirchliche Interesse und die ihm folgenden theologischen Anstrengungen weithin in einem beinahe allergischen Verhältnis zu Barth, der allen als notwendig etikettierten Veränderungen und Reformen gegenüber nur noch als eine unproduktive Störung empfunden wird. Gewiss wird manch ein theologisch allzu streitbarer Barthianer zu solch einem entstellten Bild beigetragen haben, aber diese können wohl kaum allein für dieses merkwürdig haltbare Negativimage von Barth verantwortlich gemacht werden, lässt man sich doch auch sonst nicht durch schlechte Schüler von guten Lehrern abbringen. Immerhin gibt es auch überaus problematische Erfahrungen mit diversen Lutheranern, denen es aber nicht gelungen ist, auch gleich das Bild Luthers insgesamt zu trüben. Der Blick auf Luther belegt zudem, dass der Verweis auf eine Barth gern unterstellte Rückständigkeit nicht wirklich sticht, denn Luther könnte wohl kaum ernsthaft als moderner und zeitgemäßer ausgegeben werden als Barth. Häufig warten gerade diejenigen, die Barth bestenfalls nur noch einen Platz in der Vergangenheit einräumen, beinahe im gleichen Atemzug mit Vor-
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Immer noch Karl Barth?
schlägen auf, die unschwer erkennbar aus dem 19. Jahrhundert, zumindest aber aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen (insbesondere von Friedrich Schleiermacher und Ernst Troeltsch). Es scheint vor allem der Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu sein, der auf die idealistisch geprägten Großtheorien und Universalhorizonte und die mit ihnen verbundenen Kulturvisionen zurückgreifen lässt, denen gegenüber Barth mit seiner betonten Konzentration auf das theologisch Besondere nur als ein Rückfall in die vorneuzeitliche dogmatische Tradition bzw. eine zwischenzeitliche Entwicklungsverzögerung empfunden wird. Die Tatsache, dass die meisten Konzepte, die heute Barth mehr oder weniger kategorisch als abgetan annoncieren, in ihrer sachlichen Substanz aus der Zeit vor Barth stammen, verdeutlicht, dass es nicht um die schnell herangezogene historische Abständigkeit Barths geht, sondern um grundsätzliche konzeptionelle Differenzen. Um diese aber nicht systematisch durchbuchstabieren zu müssen, dient die konsequente Historisierung Barths vor allem dazu, ihn entschieden und diskussionslos für die Gegenwart als anachronistisch zurückweisen zu können. Jede Beschäftigung mit Barth wird von vornherein einem Bereich zugewiesen, der außerhalb der aktuellen Konkurrenz um ein angemessenes theologisches Denken und Sprechen liegt. Sein Anliegen wird konsequent mit den Bedingungen verrechnet, unter denen er seine Theologie entwickelt und annonciert hat. Die Historisierung ist offenkundig ein galanter Weg, einer Theologie für die Gegenwart wirksam den Boden zu entziehen. Es wird nicht zu bestreiten sein, dass die Historisierung durchaus stichhaltige Argumente anführt und sich auch darauf berufen kann, dass Barth selbst sich als ein Theologe verstand, der seine jeweiligen Zuspitzungen innerhalb eines bestimmten Kontextes formulierte. Das historische Argument ist nicht das Problem, wohl aber die vollständige Reduktion auf die historischen Umstände, so dass die Legitimation und Plausibilität seines theologischen Arguments allein an den außergewöhnlichen geschichtlichen Kontext gebunden wird. Es ist dann schon überaus frappant, wie selbstverständlich und unmittelbar dagegen mit Zitaten von Luther oder auch von Dietrich Bonhoeffer umgegangen wird, so als seien da keine beachtenswerten historischen Bedingungen mit im Spiel. Auch die verbreitete Selbstbedienungsfreudigkeit bei Schleiermacher – vor allem in der Praktischen Theologie – ist mit ihren freihändigen Assoziationen häufig weit davon entfernt, tatsächlich sachlich belastbaren Begründungsansprüchen zu genügen. Die historistische Stilllegung Barths kann tatsächlich nur als unhistorisch bezeichnet werden. Sie folgt einem dogmatischen Interesse. Selbst die Theologie der Deutschen Christen geht nicht allein in den historischen Umständen auf, sondern präsentiert zugleich einen – wenn auch problematischen – Beitrag zu der Herausforderung, den christlichen Glauben und die christliche Tradition unter den zeitgenössischen Umständen zur Sprache und zur Geltung zu bringen. Wenn Barth unter den gleichen Umständen zu ganz anderen Lösungen kommt, so liegt das eben nicht nur an der andersartigen Wahrnehmung der
Eine hinführende Rechenschaft
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historischen Umstände, sondern vor allem an den Orientierungen seines Verständnisses des christlichen Glaubens, das sich nicht nur als deutlich hellsichtiger und situativ leistungsfähiger, sondern auch als sachlich begründeter und tragfähiger erwiesen hat als die Anpassungsoptionen der Deutschen Christen. Barth kommt es auf einen Umgang mit theologischer Einsicht an, der gerade nicht den gegebenen Umständen verpflichtet ist, auch wenn er entschieden in den gegebenen Umständen zur Geltung gebracht wird. Ohne die Würdigung dieses entscheidenden Aspektes wird man das Anliegen seiner Theologie nur verfehlen können. Konsequenter als die meisten theologischen Konzeptionen seiner Zeit und eben auch darüber hinaus bietet Barth eine Perspektive für die Theologie an, die durch eine spezifische Freiheit gekennzeichnet ist, die er genuin mit dem Projekt der Theologie verbunden sieht und die deshalb auch über die konkreten Umstände hinaus erwägenswert bleibt, ohne dass gleich alle seine Ausführungen übernommen werden müssen. Historisierungen sollten sich über die Grenzen ihrer Reichweite ebenso bewusst Rechenschaft ablegen wie das allzu sorglose Überspringen von historischen Abständen. Gewiss blicken wir bei Barth nicht auf einen Theologen der Gegenwart, aber er steht in seinen Problemwahrnehmungen auf allen Ebenen den einzuräumenden geschichtlichen Verflechtungen unserer Gegenwart deutlich näher als Luther oder Schleiermacher. Wenn wir uns heute mit Karl Barth beschäftigen, kann das nur sinnvoll sein, wenn es dabei um mehr geht als um ein Herauszögern des Untergangs eines verblassenden Sterns der Vergangenheit. Weder ein schmollendes Räsonieren über eine enttäuschende Wirkungsgeschichte noch Spekulationen über vermutete theologiepolitische Dynamiken dürfen im Vordergrund stehen. Vielmehr soll es um die substanzielle Vergegenwärtigung und Vergewisserung von theologischen Errungenschaften Barths gehen wie um überhaupt erst vorzunehmende Rekonstruktionen, Entfaltungen und Entdeckungen von bisher nur wenig oder gar nicht rezipierten Perspektiven. Mir liegt weniger an dem Nachweis der dann doch ein wenig nostalgisch bleibenden Anschlussfähigkeit Barths an die gegenwärtigen Problemlagen, sondern vor allem an dem bisher weithin ungenutzten Potenzial dieser Theologie für die Umbruchsituation, in der wir uns heute auf allen Ebenen befinden. Dabei wird nicht von der Unterstellung ausgegangen, dass auch in der Theologie das Pendel zwischen erneuerndem Aufbruch und konservativer Konsolidierung oder gar Restauration hin und her schlage, so dass wir uns jetzt nach einer Phase der Liberalisierung und Säkularisierung wieder auf eine Phase der Selbstbesinnung und religiöser Stabilisierung zubewegen. Auch wenn heute manche Anzeichen für eine solche Rückbesinnung zu sprechen scheinen, was von den einen offensiv begrüßt und anderen skeptisch befürchtet wird, wäre eine Berufung auf Barth in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht der Ausdruck der wohl größtmöglichen Verkennung seiner Theologie, die sich so unablässig wie kaum eine andere Theologie der Versuchung entgegengestellt hat, dass sich die Kirche an sich selbst verliert und
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sich vor allem mit ihrer Konsolidierung beschäftigt. Eben das, was sich zur Zeit im großen Maßstab in den Ambitionen der Kirchen wiederspiegelt, indem sie sich mit der Hoffnung auf erkennbare Identität einer deklaratorischen Verpflichtung auf die Bewahrung ihrer Tradition hingeben und auf diese Weise für die zu schützenden Werte unserer Gesellschaft eintreten, gehört zu den offenkundig unausräumbaren kirchlichen Attitüden – aus eigenem Antrieb oder in Beantwortung von außen an sie hergetragener Erwartungen –, die Barth in begründeten Zorn versetzen konnten. Barth beklagte vielmehr, dass sich die Kirche in ihrer durchaus zutreffenden Wahrnehmung ihrer Defizite nicht entschlossen den einzig verheißungsvollen Quellen ihrer Erneuerung zuwandte, sondern sich stattdessen durchaus selbstgenügsam um die alten und zur Genüge abgespeisten Kessel einer verklärten Vergangenheit scharte, ohne auch nur in Ansätzen von der Furcht befallen zu sein, damit auch wieder in die alten Gefangenschaften zurückgeholt zu werden. Dem augenfälligsten Ausdruck dieser Mentalität begegnen wir in einem erneuten Aufschwung des allerdings zu keiner Zeit ganz erlahmten Klerikalismus, den Barth immer als eine demonstrative Kapitulation gegenüber der gebotenen Argumentation verstanden hat. Da wo kreative und theologisch ausgewiesene Erneuerung stattfinden sollte, ereignet sich phantasielose Verwaltung von Beständen, die immer schon mehr für die Selbstgefälligkeit der Kirche als für deren wachsame Mobilisierung gestanden haben. Gewiss wird eifrig an den Formen gezurrt – und das ist zweifellos auch nötig, auch wenn den eingeschlagenen Richtungen allzu deutlich auf der Stirn geschrieben bleibt, dass es vor allem darum zu gehen scheint, die institutionelle Makrostruktur weiterhin über die Runden zu retten.1 Aber von der gern lauthals auf den Plan gerufenen Theologie scheint keine Phantasie erwartet zu werden, sondern sie soll die geschätzten und bewährten wertvollen Museumsstücke der Vergangenheit nun wieder ins Fenster stellen, damit man sich in den traditionell von der Kirche bereitgestellten heiligen Hallen auch möglichst schnell zurecht finden und dann eben zu Hause fühlen könne. Es scheint hier das Gebot der Wahrung der Elternehre neu entdeckt zu sein, das aber in der denkbar konservativsten Interpretation verstanden wird – nicht als Ermutigung, sondern allein als Bindung und Verpflichtung.2 Barth wusste sich zwar in seiner Theologie auch sehr dem Erbe der theologischen Ahnen verpflichtet – kein anderer Theologe des 20. Jahrhunderts hat sich in vergleichbarer Intensität um eine Würdigung der theologischen Tradition und der Bekenntnisse der Kirche bemüht –, aber er sah die Eltern nicht schon geehrt, wenn ihr Erbe treu und unangetastet bewahrt wird, sondern erst 1 In diesem Punkt sitzen die meisten Kritiker des sogenannten Reformprozesses der Evangelischen Kirche in Deutschland offenkundig mit seinen Protagonisten in einem Boot. 2 Die beinahe manische Fixierung auf das Reformationsjubiläum 2017 mit einem zehnjährigen Vorlauf spricht im Blick auf das, was sich die deutschen Kirchen heute gedrängt sehen, sagen zu sollen, durchaus Bände.
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dann, wenn die von ihren immer auch nur vorläufigen Einsichten bereitgestellte Freiheit aufgegriffen und genutzt wird, was dann auch in neuen Akzentsetzungen und eigenen Vertiefungen erkennbar werden müsse. Eine Vergegenwärtigung des Erbes ohne eine eigenständige Fortführung beleidigt im Grunde die Eltern, geht sie doch an deren Bemühen vorbei, das Verstehen des Glaubens auf die Höhe ihrer Zeit mit ihren jeweiligen Konflikten zu bringen. Wo der Tradition nicht ihr spezifischer Lebensimpuls oder auch ihre eigentümlichen Blockierungen abgespürt werden, kann eine Berufung auf sie diese nur verfehlen und somit nur weit unter ihrem Niveau bleiben. Das gilt dann eben auch für die Beschäftigung mit Barth, der nicht in der Konservierung seiner Formulierungen bewahrt sein will, sondern in der Wahrnehmung und Fortführung seiner Impulse. Theologie wäre in seinem Sinne schon zutiefst missverstanden, wenn sie als Lehre betrachtet würde. Recht verstanden geht es um Beratung, Konsultation, Differenzierung und Pünktlichkeit, und dies kann grundsätzlich nicht allein durch die Inanspruchnahme von Tradition eingelöst werden. Die Tradition kann uns gewiss in erheblichem Maße auf die Sprünge helfen, aber sie kann uns eben das eigene Denken, Antworten und Zuspitzen nicht abnehmen. Im Folgenden sollen nun die systematischen und inhaltlichen Aspekte annonciert werden, mit denen uns Barth nach meiner Wahrnehmung auf die Sprünge helfen will und die auch für unser eigenes Nachdenken heute eine weiterführende Hilfe sein können.
1.1 Die erkenntnistheoretische Verlegenheit der Theologie Barth hielt den altkirchlichen Grundsatz, dass Gott allein durch Gott erkannt werden kann, für eine von jeder Theologie, die sich nicht anmaßt, sich über ihren Gegenstand zu stellen, respektvoll einzuhaltende erkenntnistheoretische Maxime. Auch wenn die Theologie sich in besonderer Weise um die Angemessenheit unserer menschlichen Rede von Gott verpflichtet weiß, steht ihr Gott nicht einfach zur Verfügung. In der Neuzeit ist dieser Grundsatz mehr und mehr an den Rand und schließlich ganz in Vergessenheit geraten. Ein fundamentaler Impuls der Theologie Barths ist das möglichst konsequente Ernstnehmen der Nichtselbstverständlichkeit Gottes. Er ist nichts Vorkommendes, das sich als solches vergegenständlichen ließe, um dann diese und jene Auskunft über sich zu ermöglichen. Nicht die Kirche oder die Christen bringen Gott ins Spiel, und schon gar nicht die Theologie. Zwar mögen sie von Gott reden, und das tun sie in der Regel auch, aber sie können es keineswegs als eine Gegebenheit betrachten, dass überall, wo sie Gott zur Sprache bringen, tatsächlich auch Gott auf dem Plan ist. So wenig wie sie Gott demonstrieren können, so wenig steht er ihnen zur Verfügung. Erst wo diese unüberwindliche Verlegenheit im Bewusstsein
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steht, dass wir Gott nicht inszenieren können, sondern wir ihm gegenüber zunächst einmal mit leeren Händen und somit als auf ihn angewiesene dastehen, kann sich eine Perspektive erschließen, in der sich Gott uns gegenüber erweisen kann. Wir mögen mehr oder weniger professionelle Religionsagenten oder noch so dekorierte Kirchenrepräsentanten (oder gar Stellvertreter Christi auf Erden) sein, aber wenn wir es uns nicht verboten sein lassen, Gott in den Dienst der Kirche (welcher Kirche eigentlich?) oder unserer religiösen Bedürfnisse oder theologischen Interessen zu stellen, werden wir vor allem von uns selber reden. Wenn der junge Barth zunächst betont hat, dass Gott „der ganz andere“ sei, so ging es ihm darum, die von uns so selbstverständlich in Anspruch genommene Nähe zu Gott in Frage zu stellen, in der sich geradezu gewohnheitsmäßig auf Gott zurückgreifen lässt. Wo nicht befürchtet oder gar damit gerechnet wird, dass wir mit unserem Greifen nach Gott auch ganz und gar ins Leere greifen können, wird die Abgründigkeit noch nicht geahnt, die sich auftut, wenn Menschen sich daran machen, von Gott zu reden. Mit dieser Intervention geht es Barth weniger um eine Verunsicherung als vielmehr um eine Erinnerung an die Ernsthaftigkeit und die nicht überschaubare Reichweite der Gottesfrage, die ganz und gar unterschätzt wird, wenn sie in unser menschliches Ermessen und in essenzielle Abhängigkeit von unseren Entscheidungen gestellt wird. In der Neuzeit hat die Gottesfrage ihre Selbstverständlichkeit verloren. Gott kann nicht einfach gegen seine immer offensiver werdende Bestreitung ins Feld geführt werden. Und so wendet sich Barth auch nicht an die Atheisten, um ihnen irgendeine Inkonsequenz oder ein Defizit vorzuhalten, sondern er hat diejenigen im Blick, die sich ihre Gottgläubigkeit zugutehalten und sich damit auf der richtigen Seite wähnen. Ihnen gegenüber ist dem Atheismus durchaus eine gewisse Plausibilität nicht abzusprechen. Es ist nicht an uns, die Orte des Inerscheinungtretens Gottes festzulegen und ihm seine Aufgaben zuzuweisen. Und es hängt eben auch nicht an uns, dass er in Erscheinung tritt oder nicht – es bleibt übrigens merkwürdig, warum uns diese prinzipielle Überforderung so selten bedrängt. Aber es reicht auch nicht aus, von Offenbarung zu reden, wenn nicht gesagt wird, auf welche Weise dabei die Initiative Gottes geschützt wird. Es gilt, möglichst konsequent zu verhindern, dass irgendwelche anthropologischen Bedingungen unversehens zu einem einfach begehbaren Ermöglichungshorizont Gottes werden und damit dem Verdacht Feuerbachs einen kaum zu schützenden Angriffspunkt liefern. Gotteserkenntnis unterliegt ihren eigenen Bedingungen und unterscheidet sich damit fundamental von jeder anderen Erkenntnis. Nur eine Theologie, welche die spezifischen Grenzen unserer Erkenntnis wahrt und damit um ihre unüberwindliche Begrenztheit weiß, kann darauf hoffen, tatsächlich von Gott und nicht nur von einer selbstgemachten Gottesidee, einem vergöttlichten Ideal oder einer so oder so zugespitzten ultima ratio zu sprechen. Damit steht die Theologie gleich zu Beginn – ja, bevor sie auch nur einen ihr gemäßen
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Gedanken formuliert hat – zumindest an der Grenze eines Zirkels, den zu betreten ihr Unternehmen überhaupt erst sinnvoll machen kann. Eine Theologie, die sich davon überrascht zeigt oder gar versucht, diesen Zirkel zu eliminieren, kann kaum für sich in Anspruch nehmen, schon die Reichweite einer seriös gestellten Gottesfrage in den Blick genommen zu haben. Wo nicht Gott das Subjekt seiner Erkenntnis ist, kann Gott nur ein von den menschlichen Erkenntnisbedingungen und den mit ihnen verbundenen Grenzen limitiertes Wesen sein. Sein Geheimnis bliebe abstrakt und somit allen Besetzungsambitionen der menschlichen Phantasie ausgeliefert. Es kann nicht darum gehen, dass Gott sein Geheimnis unserer Erkenntnis preisgibt, aber er macht es zu einem bestimmten Geheimnis, und eben darauf kommt es entscheidend an, wenn sich mit ihm eine Wirklichkeit verbindet, die uns tatsächlich angeht. Der Horizont des Allgemeinen bleibt sprachlos; nur vom Besonderen aus kann es etwas zu erkennen und dann auch zu sagen geben. Barth versucht so konsequent wie uns das eben möglich ist, Gott aus den Umklammerungen unserer Vereinnahmungs- und Privatisierungsversuche zu befreien, um so seine Souveränität in die Waagschale zu legen, ohne die eine Beschäftigung mit ihm früher oder später zu einer religiösen Verwaltungsangelegenheit verkommt, wozu die Kirchen ein allzu reichhaltiges Anschauungsfeld darstellen. An dem rechten Umgang mit der Gottesfrage hängt die ganze Unternehmung, und dieser entscheidet sich nicht an der Initiative des Menschen, sondern allein an der Wahrung der Initiative Gottes. – Es liegt in der Konsequenz dieser Einsicht, wenn Barth als fundamentaltheologische Exposition seine theologische Erkenntnislehre als trinitarische Erschließung der Selbstmitteilung Gottes entfaltet.
1.2 Der Vorrang des biblischen Zeugnisses Sowenig Barths insistente Konzentration auf die Initiative Gottes und damit auf die Offenbarung den Blick in die Vergangenheit zurücklenken will, so sehr bleibt sie ein Hinweis auf unsere Verwiesenheit auf das Zeugnis der Bibel. Gewiss ist die Bibel ein Dokument der Vergangenheit und ganz und gar von den Bedingungen ihrer Zeit geprägt, aber ihr ist zugleich in der Erwartung zu begegnen, durch ihr Zeugnis hindurch die lebendige „Anrede“ Gottes vernehmen zu können und zwar gegenwärtig ebenso wie sie seinerzeit von ihren Verfassern und dann auch immer wieder in der Geschichte der Kirche vernommen wurde. In der Bibel finden sich nicht nur Frömmigkeitszeugnisse antiker Menschen, sondern sie verweist vor allem wie nichts anderes auf die lebendigen Veranlassungen dieser Glaubenszeugnisse und steht damit für eine Wirklichkeitswahrnehmung im Lichte der Zuwendung Gottes zu dem als sein Geschöpf erkennbaren Menschen. Es kommt ganz und gar auf das Zutrauen an, das wir dem biblischen
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Zeugnis entgegenbringen. Solange die Sprachkraft der biblischen Texte auf die historischen Bedingungen ihrer Entstehung begrenzt wird, erfahren wir grundsätzlich nicht mehr als wir uns mit unserer historischen Phantasie vorstellen können. Alle Überraschungen, die uns vom biblischen Text erreichen können, werden im Rahmen der Plausibilitäten gehalten, mit denen wir auch sonst gewohnt sind, unsere Wirklichkeit zu verstehen. Wir passen uns den Inhalt der biblischen Texte an unser Selbstbild an und unterwerfen ihn damit unserem Wirklichkeitsverständnis, das zur Anerkennung seiner Tatsächlichkeit grundsätzlich nur immanente Gründe und Plausibilitäten zulässt. Wir werden es dann auf das damalige Weltbild schieben können, warum die Akteure in der Bibel beinahe durchgängig ihre Frömmigkeit auf dieses oder jenes Eingreifen Gottes beziehen. Dazu kommt die allerdings keineswegs ohne weiteres beweisbare Unterstellung, dass der antike Mensch selbstverständlich davon ausgegangen sei, sein Geschick aus den Händen Gottes zu empfangen, die nicht an die Gesetzmäßigkeiten gebunden sind, denen wir uns in unserem Umgang mit der Wirklichkeit zu unterwerfen haben. Wollen wir uns heute vergegenwärtigen, was die Verfasser der biblischen Texte wirklich gemeint haben, so gelte es hinter die weltanschaulichen Bindungen zurückzufragen, um auf den eigentlichen Kern ihrer Frömmigkeit und ihres Selbstausdrucks zu kommen. In diesem Horizont wird vom biblischen Text grundsätzlich nicht mehr erwartet als wir auch von uns selbst erwarten. Das ist auch ein Zirkel, aber eben nicht der, welcher der Theologie einen eigenen Weg zu eröffnen vermag, sondern der, der dem theologischen Zirkel kontradiktorisch entgegensteht und ihr jede mit unserer erfahrbaren Wirklichkeit verbundene Rede von Gott verstellt. Barth macht darauf aufmerksam, dass sich das biblische Zeugnis nur dann angemessen verstehen lässt, wenn wir mit unseren Erwartungen über uns und unsere Möglichkeiten hinausgehen und dazu bereit sind, auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass uns die biblischen Texte auf eine Wirklichkeit aufmerksam machen wollen und können, die auch über unseren immanenzverschlossenen Wirklichkeitshorizont hinausgeht, weil sie von einem Handeln Gottes an und in dieser Welt zu erzählen wissen, durch das unsere ganze Weltwahrnehmung in ein anderes Licht gerät. Barth geht es um die an die Bibel zu ihrem angemessenen Verständnis zu stellende Erwartung, doch wenigsten damit zu rechnen, dass uns die biblischen Zeugen auf etwas aufmerksam machen wollen, was wir uns gerade nicht selbst sagen können. Können wir wirklich den biblischen Texten gerecht werden, solange wir sie unablässig gerade an der Stelle mit Skepsis bedenken, wo sie sich darum bemühen, uns etwas Besonderes mitzuteilen? Wäre nicht auch ebenso eine Erwartung vorstellbar, sie in dem tatsächlich ernst zu nehmen, was ihnen über Gott mit den allzumal begrenzten Möglichkeiten der menschlichen Sprache uns mitzuteilen am Herzen liegt? Freilich werden auch durch eine solche Erwartung längst nicht alle Probleme gelöst, aber immerhin befände man sich mit der Überlieferung in einem Verständigungsraum, in dem es ein vorläufiges Einver-
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nehmen darüber gibt, dass Gott nicht unserem Verstehenshorizont angepasst werden kann, sondern einen ganz eigenen Zugang zu unserem Wirklichkeitsverständnis mitbringt. Schlicht formuliert geht es für Barth um das der Bibel entgegenzubringende Vertrauen, dass das, was sie uns über das Handeln Gottes zu bezeugen versucht, tatsächlich der lebendigen Wirklichkeit Gottes entspricht. Die Bibel bewegt sich nicht in dem selbstbeschlossenen Zirkel des erkenntnistheoretischen Immanentismus, sondern konfrontiert uns vielmehr mit der Wirklichkeit Gottes und versetzt uns somit in den Zirkel, der durch das Gegenüber Gottes konstituiert wird, in dem auch alle unsere immanenten Wahrnehmungen in das Licht der wahrgenommenen Beziehung Gottes zum Menschen gestellt werden. Es geht entschieden nicht um die Zulassung einer Dimension der Transzendenz, die uns einen abstrakten Schauer des Respekts über den Rücken schicken soll, sondern um die konkreten geschichtlichen Positionierungen, die uns von der Geschichte Gottes mit den Menschen in der Bibel erzählt werden. Es gilt eben in die Richtung zu blicken, in die uns die Bibel mit ihren sehr unterschiedlichen Stimmen weist, damit sich auch uns erschließt, was sich ihnen schon erschlossen hat. – In dem sich durchhaltenden facettenreichen Motiv des Bundes Gottes mit den Menschen hat dies bei Barth seinen zentralen Ausdruck gefunden.
1.3 Theologische Religionskritik Die Theologie hat nach Barth nicht in erster Linie eine affirmative Funktion, sondern eine kritische. Es geht um das Offenhalten der Kirche bzw. der Gemeinde für die Lebendigkeit der Beziehung Gottes zu ihr. Damit ist nicht die Aufforderung zu permanenter Selbsterfindung oder Dauerprophetie gemeint, wohl aber die Wachsamkeit gegenüber der kaum zu überschätzenden Versuchung zur Besitzergreifung und Stilllegung der Wirklichkeit Gottes. Es ist die Gefahr der vollständigen Transformation der Zuwendung Gottes in Religion und damit die Gefahr der vollständigen Überführung der wahrgenommenen Beziehung Gottes zu uns und unseren Lebensumständen in menschlich organisierte und observierte Gestaltungsformen. Gott wird vor allem durch die menschlichen Versuche seiner religiösen Eingemeindung bedrängt. Die Stilllegungsversuche können sich durchaus einer regen Aktivität und Betriebsamkeit bedienen. Nicht die absolute Ruhe ist ihr Ziel, sondern die Übernahme der Regie, nicht die Erstarrung, sondern die Inbesitznahme, die sich dadurch ausweist, alles im Griff zu haben, und sei es auch nur als ein Mysterium. Zwar ist und bleibt die Religion die menschliche Antwort auf die Offenbarung Gottes, aber sie ist unablässig von der Neigung geprägt, sich diese möglichst weitgehend anzueignen. Um dieser Gefahr nicht zu erliegen, bedarf die Religion gerade in ihrer
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Unausweichlichkeit der permanenten Kritik, die der Permanenz der benannten menschlichen Versuchung entspricht. Es ist nicht mit einer gelegentlichen Inventur getan, sondern es geht um das andauernde Wachhalten des Wissens um die prinzipielle und somit unabstellbare Gefahr der Missbräuchlichkeit aller ihrer Errungenschaften. In diesem Sinne versteht Barth Theologie als Religionskritik. Sie hat im Unterschied zu den neuzeitlichen Hauptimpulsen der Religionskritik von außen nicht die Überwindung und Annullierung der Religion zum Ziel, sondern ihre Revision. Sie entspricht sowohl der Einsicht in die wesensmäßige Vorläufigkeit und Fragilität der Religion als auch den unabweislichen Erfahrungen ihrer Ambivalenz, denen gegenüber die Religion niemals erhaben sein kann. Wird die Theologie wie bei Barth in einer bestimmten Hinsicht dezidiert als Religionskritik verstanden, so wird die Religion ganz und gar von ihrem menschlichen Charakter aus in den Blick genommen. Zugleich bleibt auch der menschliche Charakter der Theologie im Blick, die sich ja nicht nur auf die Religion einlässt, sondern auch selbst ein Moment des komplexen Phänomens der Religion darstellt. Es geht nicht um eine Maßregelung von außen, die von einer vermeintlichen oder auch tatsächlichen höheren Warte aus ergeht, sondern um eine Selbstrevision aus dem Bemühen daraus, die Religion soweit es irgend geht in dem Horizont zu halten, in dem sie sich als eine lebendige Antwort auf die lebendige Zuwendung Gottes vollziehen kann. Ihrer Neigung nach Selbstverkapselung und Selbstdarstellung kann nicht in einer einmaligen Aktion Einhalt geboten werden. Sie ist wie ein guter Nutzrasen immer wieder neu zu mähen, damit sie nicht ins Kraut schießt und so für ihren Zweck unbrauchbar wird, was aber unweigerlich geschieht, wenn sie nicht andauernd im Blick gehalten wird. Die Analogie mit dem Nutzrasen mag auch in der Hinsicht sprechend sein, dass die Religion durchaus kurz zu halten ist. Wenn ihren eigenen Wachstumsneigungen unkontrolliert viel Raum gelassen wird, verliert sie mehr und mehr ihren funktionalen Charakter und versucht sich durch sich selbst zu imponieren, wobei sie durchaus eine eigene Ästhetik entwickeln mag, aber eben nicht mehr für das nutzbar ist, was sie einmal auf den Plan gerufen hat. Religion kann im theologischen Verständnis gerade kein Naturschutzpark sein. In diesem Horizont der Theologie als Religionskritik liegt auch Barths Intervention gegen die ,natürliche Theologie‘, die ebenfalls nicht einfach abgestellt werden kann, die aber als solche nicht noch ausdrücklich gewollt werden sollte, sondern vielmehr in ihrem Gefahrenpotenzial kritisch im Blick zu halten bleibt. Es wird deutlich, dass Barths Theologie himmelweit von allen Illusionen hinsichtlich der Purifikation der eigenen Unternehmung entfernt bleibt. Wohl aber ist sie ernüchtert hinsichtlich aller Natürlichkeitsillusionen, die unweigerlich vor allem die Manifestationen von Selbstverschlossenheiten sind, die gerade von dem Inerscheinungtreten Gottes in Frage gestellt und aufgebrochen werden.
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1.4 Ostertheologie So kritisch die Theologie Barths auch daherkommt, so entschieden gilt ihr Engagement nicht der Skepsis und der Relativierung, sondern der Konzentration und der Vergewisserung. Barth ist keine Vertreter ,negativer Theologie‘, auch wenn er ihrem Anliegen ein begrenztes Recht einräumt. Gewiss kennt Barth einen gehörigen Überdruss insbesondere gegenüber dem hausbackenen Kleinmut und ängstlichen Provinzialismus des selbstbeschaulichen verfassten Kirchentums und des mit ihm verbundenen Milieus. Aber der entscheidende Grund auch für diesen Überdruss liegt in der Wahrnehmung seiner flagranten Unempfindlichkeit gegenüber der zu vernehmenden Botschaft und der betriebsamen Geschäftigkeit, sich unbeschadet der doch offenkundigen Unbeholfenheit selbst auf irgendeine Weise als Licht der Welt zu erweisen. Es ist Barths Sorge, dass wir mit unserem eigenen Ja zu uns selbst das viel grundlegendere und weitreichendere Ja Gottes zu uns verstellen und uns somit sofort radikal dem Nein ausgeliefert finden, wenn unser eigenes Ja zu uns an seine keineswegs unabsehbaren Grenzen gerät. Die Kritik und das Nein haben nicht schon aus sich heraus Bedeutung. Ein Nein kann nur dann ein legitimes sein, wenn es um des Ja willen ergeht. Es kann seine Überzeugungskraft allein aus diesem Ja beziehen und muss deshalb bereits von ihm ausgehen. Damit wird zugleich jedes Nein zum Menschen, was nicht von diesem Ja Gottes ausgeht oder nicht zumindest auf dieses bezogen werden kann, attackiert und unter den Verdacht der Inhumanität gestellt. Es kann ganz und gar nicht darum gehen – hier stimmt Barth in der Sache ganz und gar mit Bonhoeffer überein –, den Menschen erst zu erschrecken und mit seiner aussichtslosen Verlorenheit und Verderbtheit zu konfrontieren, um auf diesem Wege einen Boden für seine Rettung zu präparieren. Diese unseriöse Apologetik – häufig mit Hilfe einer missbräuchlichen Benutzung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium – wird mittelfristig den Apologeten auf die eigenen Füße fallen, denn die erschlichene Einwilligung wird sich früher oder später als solche den Genötigten erschließen. Es kann nur das Ja selber sein, das dem Menschen dann auch seine prekäre Lage jenseits des göttlichen Ja zu erschließen vermag. Wenn Barth in der Auferstehung Jesu das „Axiom aller Axiome“3 (IV/1, 382) der Theologie ausmacht, ist seine Theologie in ihrem Zentrum Ostertheologie. Ostern ist der geschichtliche und sachliche Ausgangspunkt des christlichen Bekenntnisses. Es ist das Licht der Ewigkeit, das in die Zeit leuchtet. Hier zeigt sich die überwältigende Bedeutung der Andersartigkeit Gottes, die sich nicht unseren Erkenntnisbedingungen unterordnen lässt. Ostern ist der exponierte Ort der Selbstmitteilung Gottes und somit das entscheidende Geschehen zur Qualifikation unserer Gotteserkenntnis. Es ist Gott 3 Die Verweise auf Barth, Die Kirchliche Dogmatik, erfolgen mit Bd. und Seitenangabe im Text.
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selbst, der sich zu erkennen gibt, denn menschliche Erkenntnis könnte bestenfalls den Gekreuzigten lebendig reden, aber niemals tatsächlich lebendig machen. Und das gilt dann auch für die Erkenntnis des Auferstandenen und seiner gegenwärtigen Lebendigkeit: Wir können zwar in die Richtung des Osterzeugnisses der Bibel blicken und auf die mit ihm verbundene Botschaft hören, aber wirklich erschließen kann sich die Lebendigkeit Gottes allein durch sich selbst. Damit wird der von uns aus nicht einzuholende besondere Anspruch benannt, der mit der christlichen Gottesrede verbunden ist, die stets über das hinausgeht, was sie selbst zu erweisen vermag. – So wie die Trinität die besondere Form der Theologie prägt, so steht die Christologie für ihren besonderen Inhalt. Wenn Barth konsequent Ostern als den Entdeckungshorizont des christlichen Bekenntnisses herausstreicht, rückt er ebenso konsequent das Evangelium vor das Gesetz. Es entspricht der eben betonten Abweisung der Apologetik, wenn Gottes Inerscheinungtreten freigehalten bleibt von dem Anschein, eine Lösung von Problemen zu sein, mit deren Beklagen der Mensch Gott überhaupt erst auf den Plan gerufen habe. Solange Jesu Auferstehung als eine Reanimation verstanden würde wie die von ihm erzählten wunderhaften Totenauferweckungen der Tochter des Jairus (Mt 9,18ff parr.) oder des Lazarus (Joh 11) bliebe sie im Horizont menschlicher Sehnsüchte. Indem aber Ostern für die Erhöhung des Gekreuzigten in die lebendige Ewigkeit Gottes steht, werden alle uns zugänglichen Vorstellungshorizonte überschritten und wir werden mit einer Wirklichkeitsdimension konfrontiert, für die unsere Sprache und unser Vorstellungsvermögen nicht ausreichen. Alle Beschreibungen, die wir mit unserer ganz und gar diesseitigen Sprache vornehmen können, kommen daher nicht über die immer auch missverständlichen Bilder aus unserer alten Welt – eben die Bilder von Reanimationen – hinaus. So sehr sich auch das biblische Zeugnis bemüht, diese Bilder mit Hilfe von anderen Bildern zu konterkarieren, so wenig gelingt es ihm, die angezeigte Wirklichkeit zu fassen – auch das neutestamentliche Zeugnis bleibt an der entscheidenden Stelle auf die Selbstbezeugung des Auferstandenen angewiesen, wie es kaum schöner erzählt werden kann als in der Geschichte der beiden Emmausjünger (Lk 24).4 Es ist die in gewisser Weise prinzipiell unbefriedigend bleibende Absicht der Theologie Barths, die Kirche und die Theologie regelmäßig – um nicht zu sagen unablässig – an eben die Orte zu führen, wo sie dann verstummen muss und nur darauf setzen kann, Gott selbst reden zu lassen. Indem sie essenziell als Ostertheologie verstanden werden will, wird deutlich, dass es sich hier nicht um eine Grenzbestimmung der Theologie, sondern um ihre eigentliche Aufgabe handelt. Solange Barths Theologie an diesem Punkt als zu aufdringlich oder gar ein wenig penetrant empfunden wird, bleibt anzunehmen, dass sachlich nicht ausreichend realisiert wird, dass sie konsequent ihren Ausgangspunkt in einer nicht operationalisierbaren Angewiesenheit auf 4 Vgl. Weinrich, Das Geheimnis der Kirche.
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Gottes Selbstbezeugung hat, so dass sie dann auch in ihrem Vollzug bei allen relevanten Inhalten immer wieder auf diese Angewiesenheit stößt, angesichts derer sie nur auf die Bitte um den Heiligen Geist verweisen kann. Die an dieser Stelle empfundene Aufdringlichkeit ist nicht die Aufdringlichkeit der Theologie Barths, sondern die Aufdringlichkeit des Inhalts, auf den Barth die Theologie gewiesen sieht. Nirgends kann dies deutlicher werden als in der Zentrierung der Theologie auf das Osterbekenntnis.
1.5 Geschenk der Freiheit Barth stellt sich mit seiner Theologie entschlossen in die Reihe der reformatorischen Proklamation der Freiheit, d. h. er versteht seinerseits den heute fortzuführenden reformatorischen Impuls für die Theologie ganz und gar von dem Motiv der Freiheit her. Es war nicht nur Luther, der mit seiner berühmten – oft allerdings häufig nur unzulänglich wahrgenommenen – Freiheitsschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) das große Thema der Freiheit angeschlagen hat, das sich dann in besonderer Weise zu dem zentralen Thema der Neuzeit entwickeln sollte, sondern auch Zwingli und Calvin haben je auf ihre Weise einen exponierten Akzent auf die Freiheit gelegt. Wenn Barth dies nun im 20. Jahrhundert auf seine Weise bestätigt, blickt er nicht nur auf die Reformatoren, sondern auch auf 200 Jahre Aufklärung und neuzeitliche Freiheitgeschichte mit ihren anzuerkennenden Erfolgen, aber auch ihren unvergleichlichen Katastrophen zurück. Ohne jemals auch nur ansatzweise denjenigen zugeneigt gewesen zu sein, die insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg dem Liberalismus die Schuld für die Katastrophe anlasteten und deshalb nun unterschiedliche Formen der Bindung einforderten, hält Barth entschlossen an der Verteidigung der Freiheit fest, macht aber auf die mit einer einseitig verstandenen Freiheit verbundene selbstzerstörerische Neigung der Selbstverabsolutierung aufmerksam. Die Bindung an die Bindungslosigkeit kann sich schnell zu einem Absolutismus entwickeln, der alles seinen eigenen Bedürfnissen unterstellt, ohne sich über die damit hofierten Bindungen noch Rechenschaft abzulegen. Für Barth war es ganz und gar kein Zufall, dass die Zeit der Aufklärung historisch weithin mit der Epoche zusammen fällt, die gewöhnlich mit Absolutismus bezeichnet wird.5 Die restlos durchgestylten barocken Lustgärten symbolisieren in all ihrer durch die Hand des Menschen präparierten Pracht den mit der Freiheit verbundenen Herrschaftsanspruch in seiner möglicherweise harmlosesten Gestalt und machen damit indirekt auf eine Ambivalenz eines Freiheitsanspruchs aufmerksam, der sich erst selbst seinen Verwirklichungsraum und Bestätigungshorizont schaffen muss. Die Freiheit gerät hier zwangsläufig unter einen von ihr selbst auszufüllenden Im5 Vgl. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 19 f. u. ö.
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perativ, der keineswegs per se ihrem Wesen entspricht, sondern ihr in seiner letzten Konsequenz ganz und gar entgegengerichtet sein kann. Es zeigt sich ein überaus sensibles Spannungsverhältnis, in dem sich auch die potenziellen Abgründe der Freiheit abzeichnen. Hier zeichnet sich die Problematik ab, die dann auch von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ (1947) in die Debatte eingebracht wurde. Barths Kritik stellt nicht die Freiheit in Frage, sondern ihre Konditionierungen, die nicht von dem Verdacht freigesprochen werden können, die Freiheit in problematischer Weise zu funktionalisieren. Barth ringt um das Thema einer wirklichkeitsgerechten Freiheit, wobei in theologischer Perspektive die ins Auge zu fassende Wirklichkeit nicht von dem Verhältnis Gottes zu der als seine Schöpfung verstandenen Wirklichkeit absehen kann. Ihren Freispruch kann die Freiheit nur bekommen, wenn sie als eine bereits gegebene, eben eine von Gott geschenkte verstanden wird, denn als eine erst zu schaffende gerät sie unweigerlich in das Geflecht ihrer Durchsetzungsbedingungen. Indem aber Konstitution, Erhalt und auch Durchsetzung der Freiheit in theologischer Perspektive als die Durchsetzung des Bundeswillens Gottes verstanden werden, der im Ostergeschehen seine Erfüllung annonciert, gilt es hier einen Freiheitsraum auszufüllen, der sich nicht in seiner Bereitstellung und Selbstbehauptung erschöpft, sondern in dem von dem Moment seiner Wahrnehmung an gelebt werden kann. Die gelösten Fesseln, aufgekündigten Knechtschaften und geöffneten Gefängnisse können verlassen werden im Licht des Befreiungshandelns Gottes. Die Paradoxie auf die Barth in diesem Zusammenhang stößt, ist die, dass der Mensch offenkundig auch dort sein Gefängnis nicht verlässt, wo ihm längst alle Türen geöffnet wurden.
1.6 Befreiung zur Weltlichkeit Es ist eine Konsequenz der von Barth vorgenommenen genuinen Verflechtung von Dogmatik und Ethik, dass insbesondere die Hervorhebung der in der Begegnung mit Gott grundgelegten Freiheit nun auch die Ethik Barths orientiert. Die Konkretisierung der Freiheit vollzieht sich auf eben dem Grund, der die Freiheit auch konstituiert hat. Kurz gefasst ist es das Evangelium des Ersten Gebots, das die Freiheit konstituiert: Nicht die Wahrnehmung, dass der Mensch einen Gott hat, ist entscheidend, sondern dass er diesen aus der Knechtschaft befreienden Gott hat. Sein Inerscheinungtreten bedeutet Befreiung und die lebendige Wahrnehmung der Beziehung zu ihm bedeutet Freiheit. Diese Freiheit konkretisiert sich in einem radikal ernüchterten Verhältnis des Menschen zu seinen Lebensumständen und -bedingungen. Die nicht einfach umgehbare Gegebenheit der jeweiligen Lebensbedingungen büßt ihre kategoriale Überlegenheit ein und verliert nicht nur jeden Anspruch an Letztgültigkeit, sondern auch jeden Anschein einer ihre Relativität überstei-
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genden Autorität oder gar Dignität, in der sie sich gern als verpflichtend zu präsentieren geneigt zeigt. Gott ist Gott und nicht die von ihm geschaffene Welt oder die jeweiligen Umstände, in denen wir uns vorfinden. Es kann nichts auf dieser Welt geben, dem eine vergleichbare Ehrfurcht entgegenzubringen ist wie Gott, der als der Schöpfer mit keinem Element seiner Schöpfung so identifiziert werden kann, dass dieses selbst an seine Stelle treten könnte. Die einzige Hervorhebung neben Gott genießt der Mitmensch, von dem grundsätzlich gilt, dass er als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Es gibt keinerlei Veranlassung für den Menschen, sich von dieser Welt irgendein Tun als Gottesdienst abverlangen zu lassen. Zwar bemüht sich die Welt unablässig darum, sich selbst möglichst eindrucksvoll zu verklären, um auf diese Weise die Menschen vor diesen oder jenen selbst proklamierten Heiligtümern in serviler Ehrfurcht zu halten, und längst hat der Mensch einen Teil seiner Freiheit an die von ihm selbst autorisierten Mächte abgegeben, die er kaum noch in angemessener Weise unter Kontrolle hat – Barth nennt sie die „herrenlosen Gewalten“.6 Jeder Versuch, diese Usurpationen zu heiligen und ihnen irgendeine Dignität zuzusprechen, kann nur als Widerspruch zum Ersten Gebot und der von ihm geschützten Freiheit verstanden werden. Der Glaube an Gott konfrontiert die sich selbst heiligende Welt, die gern an den von ihr selbst errichteten Altären dieses oder jenes Opfer von den Menschen einfordert, mit ihrer Profanität. Alle Dienstverhältnisse werden einer nüchternen Überprüfung und der Forderung ihrer konsequenten Humanisierung ausgesetzt unter der Maßgabe, dass sie dem Ausleben des Bundes Gottes mit dem Menschen nicht im Wege stehen dürfen. Das ist der kategorische Imperativ der Freiheit, in die sich der Mensch durch die Erkenntnis Gottes gestellt sieht. Er hat weitreichende auch politische Implikationen, deren Ignorierung sich nicht ebenfalls einfach auf die christliche Freiheit berufen kann, sondern zu einer Herausforderung der christlichen Gemeinde führt, die sie zu einer einvernehmlichen Klärung der Provokation ihres besonderen Weltverhältnisses drängt. Barths These von der Profanisierung der Welt durch die dem christlichen Bekenntnis entsprechende Freiheit, die nicht mit der Säkularisierungsthese verwechselt werden darf, stößt im gegenwärtigen Klima der Wiederbelebung von Spiritualität und einer teilweise weitreichenden Sakramentalisierung der Welt (mit und ohne mystische Versenkungen) auf schroffe Ablehnung, ohne dass eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den besonderen Begründungszusammenhängen stattfindet, so dass wir unversehens wieder mit Problemkonstellationen konfrontiert werden, die im Grunde als durchstanden gelten sollten. Barths konsequente Thematisierung der Freiheit geht nach wie vor weit über das hinaus, was heute unter dem Etikett einer „Kirche der Freiheit“ thematisiert wird. Immerhin bleibt es zu begrüßen, dass das Etikett stimmt, auch wenn jenseits des Labels noch Vieles aufzuarbeiten sein wird. 6 Vgl. Barth, Das christliche Leben, 363 ff.
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1.7 Konfessionalität und ökumenische Weite Es ist eine besondere Stärke der Theologie Barths, die heute mit einem verbreiteten Misstrauen konfrontiert wird, nämlich seine Konzentration auf das aktuelle Bekenntnis der Kirche: Theologie ist wesentlich bekennende Theologie und Kirche wesentlich bekennende Kirche. Auch wenn nicht bestritten wird, dass die aktuelle öffentliche Positionierung zu den wahrzunehmenden Dimensionen kirchlichen Lebens gehört, wird aus verschiedenen Gründen die deutliche Herausstellung dieser Dimension vor allem deshalb skeptisch beurteilt, weil sie zugleich für eine Konfessionalisierung und somit Partikularisierung stehe, die sowohl dem volkskirchlichen als auch dem ökumenischen Anspruch der Kirche zuwiderlaufe. Es werde hier eine höchst problematische protestantische Neigung fortgeführt, die mit ihrem Bekennermut oft ein wenig oberlehrerhaft drängend ihre Umgebung mit einer zugespitzten Wahrnehmung der jeweiligen Situation behelligt, wenn nicht gar belästigt, und damit mehr die auseinanderstrebenden Kräfte mobilisiere als die integrativen, sammelnden und aufbauenden. Dass es gerade in der Schule Barths eine merkwürdig klerikale Linie gibt, die einer solchen Wahrnehmung in die Hände spielt, indem sie die Theologie als eine Art universale Gewissenskontrolle erscheinen lässt, die uns unablässig vor irgendwelche Alternativlosigkeiten stelle, ist eine zu registrierende Hypothek eines Missverständnisses, das sich möglicherweise auf diese und jene entschlossene Äußerung Barths berufen kann, die aber seinem Geist zutiefst entgegensteht, schon deshalb, weil sie nur mit einem ausgeprägten Klerikalismus funktioniert, dem sich Barth – wie bereits unterstrichen – zeitlebens entgegengestellt hat. Andererseits hört der Klerikalismus in der Kirche nicht dort auf, wo diese unangemessene Aneignung Barths endet, sondern er scheint sowohl in seiner prophetischen, mehr aber noch in seiner priesterlichen Variante der größte gemeinsame Nenner der verschiedenen Optionen für die Kirche zu sein, die dann auch in einer frappanten – bis in kontraproduktive Werbeaktionen hineinreichenden – Hemmungslosigkeit damit herumschwadroniert, dass es vor allem um sie gehe – nicht nur um ihren Erhalt, sondern eben um ihr Wachstum, auch gegen den Trend. Wenn sich erst einmal diese Perspektive festgesetzt hat, kann es kaum noch verwundern, dass da andauernd den Menschen und der Gesellschaft die Kirche als etwas verordnet wird, was ihnen und ihr gut tue und ohne das es ihnen und ihr doch deutlich schlechter ginge. Da werden dann auch u. U. Mut machende Statistiken bemüht, wie etwa die, dass es den Kirchen immer noch gelinge, jede Woche mehr Menschen in ihren Gottesdiensten zu versammeln als der DFB in seinen Stadien – wenn das dann einmal nicht mehr stimmen sollte, wird es eine andere ebenso tiefsinnige Vergleichsgröße geben, die dann wiederum dem Selbstbewusstsein der Kirche schmeicheln soll. Auch hier sei eingeräumt, dass es natürlich für die Gesellschaft – und somit auch nicht nur für die Menschen
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in der Kirche – nicht gleichgültig ist, ob in ihr auch handlungsfähige und qualifiziert agierende Kirchen tätig sind oder nicht. Aber wenn sich die Kirche am Ende nur noch als ein möglichst handlungsfähiger Konkurrent im Horizont gesellschaftsdienlicher Anbieter versteht, wird sie auch damit zufrieden sein müssen, ausschließlich an ihrer Leistungsfähigkeit in diesem Bereich bemessen zu werden. Das wäre genau die Barth entgegenstehende Partikularisierung, welche die Substanz der Kirche keineswegs weniger angreift als der Versuch, die Kirche auf andauernde Prophetie einschwören zu wollen. Der Gestus im Auftritt wäre zwar von einer integrativen Absicht geprägt, aber in der Bindung ihres Auftritts an den Selbsterhalt oder gar ihr Wachstum stellt sich in anderer Weise eine gewiss auch zu bedenkende Nebenabsicht in das Zentrum und verdrängt damit essenzielle Bestimmungen über die Berufung, das Wesen und die Sendung der Kirche, über deren universal ausgerichtete Pflege die Theologie in besonderer Weise zu wachen hätte. Indem für Barth die Barmer Theologische Erklärung sowohl als geschichtliches Ereignis als auch als theologische Markierung beispielhaft für die essenziell zur Kirche gehörende ökumenische Bestimmung steht, positioniert er sich deutlich gegenüber den beiden soeben benannten Partikularisierungen. Auf der einen Seite wird das Konfessionelle der Kirche in einer grundsätzlichen Distanz zu jedem Konfessionalismus gesehen, der faktisch nach wie vor das Haupthindernis der Ökumene darstellt. Auf der anderen Seite werden gerade in der konkreten Situation und mit ebenso konkreter Perspektivierung auf die partikularkirchliche Gestaltung der Praxis das Wesen und die Sendung der Kirche ganz und gar von ihrem universalen Horizont aus vorgenommen, so dass unterstrichen wird, dass das Stehvermögen des Lokalen nur aus der Konkretisierung des Universalen kommen kann und nicht etwa als eine systematische Generalisierung lokaler Kontingenzen präsentiert werden dürfe. Das Barmer Bekenntnis bezieht seine spezifische Kraft in der Sache aus seiner implizit grundsätzlichen Berufung auf die Katholizität der Kirche und stellt sich damit entschlossen in den einen ökumenischen Horizont. Es ist dieser Zugang zur Ökumene, der Barths Skepsis gegenüber der Genfer Ökumene genährt hat und dabei auch zu manchen ungerechten Bewertungen geführt hat. Zugleich bleibt sein Vorschlag gerade angesichts der offenkundigen Selbstblockierungen, in der sich inzwischen die Ökumene festzufahren scheint, eine theologisch aufhelfende Perspektive, die weniger von den konfessionellen Prägungen der Vergangenheit ausgeht als vielmehr von den heute zu bestehenden und theologisch zu bearbeitenden ökumenischen Herausforderungen.7 Da trifft sich heute Barth sowohl mit katholischen als auch orthodoxen Ökumenikern, die ein Vorankommen in der Ökumene vor allem auf dem Weg eines Nachdenkens über den Auftrag der Kirche erhoffen und dabei mehr auf eine Zuwendung zu einer Wort Gottes Theologie als auf eine weitere Sezierung der unterschiedlichen Ekklesiologien setzen. Auch diese Perspektive ruft sofort ihre 7 Vgl. Weinrich, Calvins Ökumeneverständnis und die ökumenische Bewegung, 91 – 99.
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Limitierungen auf den Plan, aber sie impliziert im systematischen Unterschied zu den allseitigen reduktionistischen Strategien in der Ökumene – insbesondere in ihrem protestantischen Flügel – eine Hoffnung auf eine theologisch orientierte Erweiterung des theologischen Blickwinkels und seiner inhaltlichen Aufmerksamkeit. Die Ökumene wird von Barth an die sie von Anfang an begleitende strategische Grundsatzdifferenz zwischen theologischer Konsensualität und praktisch motivierter Zusammenarbeit erinnert und in eine Richtung gewiesen, in der beide Dimensionen nicht nur parallel zueinander und mehr oder weniger unabhängig voneinander verfolgt, sondern in ihrer genuinen Verbundenheit miteinander wahrgenommen werden. Zugleich sehe ich zwei Fundamentalprobleme in der Ökumene, für welche die Impulse Barths und das systematische Potenzial seines theologischen Denkens immer noch zum Schaden der diskutierten theologischen Tiefenschärfe weithin ungenutzt geblieben sind. Das sind zum einen die theologischen Konsequenzen, die aus der inzwischen zumindest teilweise anerkannten Bedeutung Israels bzw. des Judentums für die Ekklesiologie zu ziehen sind, und zum anderen die Erschließungskraft, die Barths dialektisches Verständnis der Religion für eine Theologie der Religionen zur Verfügung stellen könnte. Während die Israeltheologie Barths immerhin bereits teilweise in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wurde, ist die Wahrnehmung der produktiven Kraft von Barth Religionsverständnis bisher auf eine kleine Minderheit von Barth-Interpreten beschränkt geblieben, deren Überlegungen die theologisch noch weithin unterbestimmte Debatte um die Theologie der Religionen nicht erreicht haben.8 Es ist überhaupt erstaunlich, mit welcher Nachlässigkeit und Unzulänglichkeit bisher dieses Fundamentalthema der Gegenwart in der Theologie behandelt wird. Anstatt es offensiv theologisch aufzugreifen, bestimmen immer noch defensive Selbstverflüchtigungen die Szene, die kaum mehr als einen milden intellektuellen Liberalismus zu befriedigen vermögen und damit gründlich an der eigentlichen Herausforderung der Situation der tatsächlich existierenden „Religionen“ vorbeigehen. Das sind die sieben Hauptaspekte, die für mich nach wie vor die Theologie Barths in besonderer Weise interessant sein lassen: 1. eine über ihre spezifischen Grenzen aufgeklärte theologische Erkenntnistheorie, 2. eine theologisch ausgewiesene Schärfung der an das orientierende biblische Zeugnis zu richtenden Erwartung, 3. die Verlegenheit angesichts der unausweichlichen Ambivalenz der Religion und die Dialektik der damit verbundenen theologischen Religionskritik, 4. die fundamentale Anbindung aller theologischer Einsichten an das Osterzeugnis, 5. die darin grundgelegte Konstitution der Freiheit des Menschen, die 6. eine konkrete Befreiung zu einer nüchternen Wahrnehmung der Welt und Gestaltung der Weltlichkeit ermächtigt und 7. die theologisch
8 Dahling-Sander/Plasger, Hören und Bezeugen; Krçtke, Impulse für eine Theologie der Religionen; Vroom, Karl Barth and the nature of false and true religion; Weinrich, s. u. Kap 12.
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ausgewiesene ökumenische Universalität, die auch anschlussfähig für eine fundierte Theologie der Religionen ist. Das systematische Argumentationspotenzial und die befreienden theologischen Öffnungen der Theologie Barths auch für die gegenwärtige theologische Debatte sollen in den folgenden Kapiteln zur Diskussion gestellt werden. Nicht der Konservierung einer Theologie soll das Wort geredet werden, sondern der Entdeckung der in ihr enthaltenen systematischen Explorationskraft und weiterführenden Befreiungsperspektive.
2. Theologischer Ansatz und Perspektive der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths Trinitarische Hermeneutik und die Reichweite der Theologie1 Vier Schritte beabsichtige ich zu gehen: In einer kleinen theologiegeschichtlichen Miszelle soll der theologische Neuaufbruch Barths und seine inhaltliche Klärung bis 1935 in Erinnerung gerufen werden, um auf den zumindest seit 1914 sensibilisierten zentralen Nerv seiner Theologie aufmerksam zu machen (1). Dann schließen sich drei weitere Schritte an, in denen die zentralen systematischen Aspekte des Themas skizziert werden sollen. Zunächst kommt Barths Verständnis von Offenbarung als der Entdeckungshorizont angemessener Gotteserkenntnis zur Sprache (2). Anschließend bedenken wir die Lehre von der dreifachen Gestalt des einen Wortes Gottes und die sich daraus ergebende trinitarische Hermeneutik2 als den Erkenntnisweg der Theologie (3). Daraus ergibt sich schließlich ein spezifisches Verständnis von Theologie, mit dem Barth entschieden die vorgespurten Wege verlässt (4). Meine Aufmerksamkeit bleibt auf die Grundlegung und Perspektivierung der Dogmatik konzentriert, weniger auf die Erfassung der ganzen Reichweite der Trinitätslehre bei Barth, die im Laufe der Zeit auch spezifische Erweiterungen bzw. Neuakzentuierungen erfahren hat.
2.1 Die Herausforderung Die Grundfrage Barths ist seit 1914 die gleiche geblieben. Was sich anlässlich des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs insbesondere in dem Briefwechsel mit Martin Rade als eine die Fundamente der Theologie betreffende Alarmierung artikulierte, findet in einem vorwärts drängenden Klärungsprozess schließ1 Erweiterte Fassung des Eröffnungsvortrags auf dem internationalen Symposion „Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935 – 1955)“ zuerst in: Michael Beintker / Christian Link / Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935 – 1950). Widerstand – Bewährung – Orientierung, Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2010, 15 – 45. 2 Es soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Verwendung so geprägter Begriffe wie des der Hermeneutik im Blick auf Barth nur mit Vorbehalt zulässig ist; vgl. Plasger, Wort vom Wort, 43 ff. Generell kann mit Jan Muis festgestellt werden: „Barth bestimmte seine zentralen Begriffe, indem er sie miteinander verbindet. Das hat zur Folge, daß er nicht so sehr in Begriffen denkt, als vielmehr in Begriffsverschränkungen. Die Verschränkung kann so weit gehen, daß am Ende die Begriffe einander definieren.“ (Muis, Spricht Gott in der Heiligen Schrift?, 132)
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lich im Kontext des so genannten Kirchenkampfes in den Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik zu einer begründeten und überaus pointierten Konzeption.3 Es trifft ganz und gar auf Barth zu, was Hans Joachim Iwand als die entscheidende Herausforderung der Theologie im 20. Jahrhundert benennt: „Der erste und entscheidende Punkt betrifft die Offenbarung, oder, was dasselbe ist, die Lehre vom Worte Gottes. Was für die Reformatoren die Frage nach der Rechtfertigung war, scheint heute für uns die Lehre von der Offenbarung werden zu sollen.“4
Die Neuzeit hat ihr eigenes theologisches Zentralthema, und das ist nicht weniger umstritten und von Missverständnissen in der Substanz bedroht als die Gnadenlehre im Mittelalter, um deren Klarheit bis hin zur Kirchenspaltung gerungen wurde. Und für Barth sollte das Thema „Offenbarung“ bzw. der Gotteserkenntnis5 nun ebenfalls zu einem solchen Zerreißthema werden. Er hat das Thema nicht aufgebracht, vielmehr wurde in der Theologie noch nie so viel von und über Offenbarung gesprochen wie seit dem 18. Jahrhundert, so dass von ihr sogar als dem Prinzip neuzeitlicher Theologie gesprochen werden kann.6 Allerdings war durchaus umstritten, was unter Offenbarung zu verstehen sei.7 Barth sah sie im 19. Jahrhundert ganz dem Druck einer konsequenten Individualisierung erliegen, gleichsam als eine religiöse Versiegelung der Subjektivität.8 Im Rückblick nennt er 1914 den großen Augenblick, in dem sich die Berufung auf Offenbarung theologisch hätte bewähren müssen (KD I/ 1, 267). Hier sah er die neuzeitliche Theologie vor ihre zentrale Entscheidungsfrage gestellt, an der sich das Sein und Nichtsein der Kirche entscheide. Barth fragt die Kirche, ob sie sich in aller Konsequenz klar mache, dass ihre Ermöglichung und ihre Wirklichkeit allein in dem Faktum gründen, dass sie sich auf das Geschehen der Offenbarung berufen darf und deshalb auch muss. Die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis kommt nur in den Blick, wenn 3 Zur Kontextualität dieser Entwicklung sowie der Theologie Barths insgesamt vgl. Gorringe, Karl Barth; Schellong, Theologie nach 1914; vgl. auch in diesem Band Kap. 14. 4 Iwand, Der Prinzipienstreit, 231. – Während die Alte Kirche um die Trinitätslehre und um die Christologie gerungen hat, stand von Augustin an bis in den nachreformatorischen Konfessionalismus im Abendland das Thema der Rechtfertigung im Zentrum der Theologie. Heute geht es an der Wirklichkeit vorbei, wollte man weiterhin „in den Schützengräben der Reformation“ die alten Konfessionalismen durchzukämpfen versuchen; vgl. Iwand, Der moderne Mensch und das Dogma, 99 f. 5 Dieter Schellong hebt die Gotteserkenntnis als das Hauptthema der Theologie Barths hervor : Schellong, Barth lesen, 26. 6 Vgl. Eicher, Offenbarung. 7 Barth steigt energisch in diese Diskussion ein, nicht um sie zurückzudrehen oder nur zu bestätigen, sondern um sie über die von ihm ausgemachten Aporien und Selbstwidersprüche hinauszuführen; es kann von einer „post-critical version of the idea“ gesprochen werden; vgl. Hart, Revelation, 38. 8 Das ist eine Wahrnehmung Barths, die er bereits vor seiner Alarmierung durch die Kriegstheologie von 1914 – hier noch unter ausdrücklicher Zustimmung – gemacht hat; vgl. dazu seinen ersten theologischen Aufsatz: Moderne Theologie und Reichsgottesarbeit (1909); vgl. dazu Schellong, Es geht in der Theologie um unser Gottesverhältnis.
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sie als eine bereits orientierte thematisiert wird. Die Klärung des damit markierten spezifischen Erkenntnisweges hebt Barth nicht als die entscheidende Frage der Theologie überhaupt, wohl aber als die für seine Zeit gebotene unausweichliche Aufgabenstellung hervor (I/1, 25). Jede Unklarheit in dieser Frage treibt die Theologie unweigerlich in die ebenso weit geöffneten wie auch bereits reichlich bevölkerten Arme Ludwig Feuerbachs.9 Sowohl Ingrid Spieckermann als auch Bruce McCormack haben aufgezeigt, dass bei allen Wandlungen, die Barth bis hin zu seinen Prolegomena der Kirchlichen Dogmatik durchlaufen hat, die Konzentration auf die Umkehr der Denkrichtung von den Bedingungen der menschlichen Subjektivität hin zu den Bedingungen des Selbsterweises Gottes unverändert im Zentrum seiner Bemühungen gestanden hat.10 Wenn Barth nach dem spezifischen Erkenntnisweg der Theologie fragt, greift er schlicht eine Frage auf, welche die Theologie in der Neuzeit immer wieder interessiert hat. Sie ist der Theologie so wichtig geworden, dass sie für diese Frage in der Dogmatik die Lehrebene der Prolegomena betont hervorhebt, auf der man zunächst – bevor die inhaltlichen Aspekte in Angriff genommen werden – die formale Möglichkeit einer für die Gegenwart angemessenen Theologie auf dem Hintergrund der menschlichen Rezeptionsmöglichkeiten meinte abwägen zu müssen und zu können. Auch für Barth ist die Frage nach der Möglichkeit einer angemessenen Theologie die entscheidende Frage seiner Prolegomena, aber hier geht es betont „nicht um die vorher, sondern um die zuerst zu sagenden Dinge“ (I/1, 41). Wenn Barth seine Prolegomena bekanntlich als ein „Teilstück der Dogmatik selber“ (ebd.) bezeichnet, dann wird damit hervorgehoben, dass es im Grunde keine allgemeinen Vorklärungen für die Theologie geben kann. Nur wenn auch die Vorklärungen von vornherein theologisch orientiert sind, können sie als Vorklärungen für die Theologie gelten. Hier gibt es weder einen anthropologischen Bedingungshorizont auszuleuchten noch erkenntnistheoretische Spezifizierungen vorzunehmen, denn auch Anthropologie und Hermeneutik kommen in der Theologie erst dann sinnvoll zur Sprache, wenn sie in der besonderen Perspektive der Theologie in den Blick genommen werden. Der im Laufe der Neuzeit auch von der Theologie bevorzugte Weg vom Allgemeinen zum Besonderen kann deshalb an kein für die Theologie relevantes 9 Vgl. u. a. Hart, 40 f. 10 Als „ein theologisches Fundamentalproblem ersten und prinzipiellen Ranges“ sieht Ingrid Spieckermann „eine von der prinzipiellen Selbstvorgabe ihres allererst relationsstiftenden Gegenstands in seinem Wort in Jesus Christus durch die Schrift herkommende und auf sie hinzielende radikale Umkehrung der Denkrichtung, die das Neue und die Einheit der Barth’schen Theologie durch alle Wandlungen ihrer Explikation hindurch bezeichnet.“ (Spiekermann, Gotteserkenntnis, 73); vgl. McCormack, Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, bes. 434 – 441. McCormack hebt ausdrücklich hervor, dass Barth selbst die Differenz zwischen der Christlichen Dogmatik (1927) und der Kirchlichen Dogmatik und somit auch die Bedeutung des Anselmbuches übertrieben bewertet habe (ebd., 441 – 448), was ja umgekehrt nicht bedeutet, dass es keine weiteren Klärungen gegeben habe.
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Ziel führen, weil das Besondere, um das es in der Theologie geht, seinem Wesen nach nicht als die Spezifikation eines uns zur Verfügung stehenden Allgemeinen in Erscheinung tritt.11 Auf diesem Weg könnte nur offenbar werden, dass es nicht wirklich etwas Besonderes ist, was von Gott erwartet wird. Diese Vorgehensweise eignet sich nur zur Dokumentation, dass der Mensch mit sich und seinen gern als unausschöpflich eingeschätzten Möglichkeiten im Grunde ganz zufrieden ist. Gott gilt darin als nützlich und willkommen, dass er je nach Lage dem menschlichen Selbstbewusstsein diese und jene Bekräftigung oder dann auch diese und jene Ermahnung zukommen lässt. Wenn die Theologie jedoch in die Lage versetzt werden soll, „dem Rhythmus ihrer eigenen Sachlichkeit zu folgen“ (I/1, XI), dann hat sie sich auf das Besondere ihres Erkenntniswegs zu besinnen, den sie sich nicht aussucht, sondern der ihr durch das Ereignis der Offenbarung vorgegeben ist und auf den sie sich dementsprechend zu begeben hat.12 Christliche Erkenntnis und christliche Theologie sind ihrem Wesen nach sekundär, sie sind reaktiv und nicht initiativ ; das ist das Zentrum von Barth Thematisierung der Offenbarung.13 Eine deutliche Selbstbeschränkung gilt es bei Barth zu registrieren, der wir heute in dem inzwischen allgemein gepflegten Selbstempfehlungsklima weithin den Rücken zugekehrt haben. Es handelt sich weniger um eine aktiv zu betreibende, sondern um eine nüchtern wahrzunehmende und dann aber auch entschieden zu ergreifende Selbstbeschränkung, ohne die Barths Theologie nicht recht verstanden werden kann. Ich meine die immer deutlicher werdende Konzentration auf die Kirche, die dann in der Kirchlichen Dogmatik die nötige Klarheit gefunden hat. Nun ließe sich einwenden, dass auch Schleiermacher die Theologie konsequent der Kirche zuweist. Der Unterscheid zwischen Barth und Schleiermacher besteht jedoch darin, dass Schleiermacher in der Kirche noch eine gesamtgesellschaftliche Agentur für die Weckung und Pflege der christlichen Religion sieht, während Barth sich von der Vorstellung einer christlichen Gesellschaft verabschiedet hat. Überhaupt ist das Adjektiv,christlich‘, das Barth schließlich nur noch sehr zurückhaltend benutzt, zu diffus und assoziiert unversehens ein menschliches Existenzverständnis, das sich allzu leicht der theologischen Perspektive bemächtigt.14 Kirche ist im Verständnis Barths dagegen ein theologisch gefüllter Begriff, dessen Bestimmung nicht von den 11 Vgl. Hart, Revelation, 47; Hunsinger, How to read Karl Barth, 32, 73. 12 Pointiert stellt Ingrid Spieckermann heraus: „Gott ist nur Gegenstand und Sache des Glaubens als sich ihm selbst vor-gebendes Subjekt des Glaubens, die Gottesfrage nur die zentrale Frage des neu sich ihm zuwendenden Denkens als von Gott selber aufgeworfene und beantwortete […] Frage.“ (Spiekermann, Gotteserkenntnis, 74) 13 „Christian faith and speech are essentially response and not essentially source. God produces faith and not vice versa. It is this concern which lies behind Barth’s relentless appeal to the category of revelation and his particular way of interpreting what is involved in revelation.“ (Hart, Revelation, 41) 14 Vgl. dazu den Exkurs I/1, 128 – 136, wo Barth die Gründe bedenkt, weshalb er mit der Kirchlichen Dogmatik nun doch noch einmal ganz von vorn beginnt. Zur Abweisung des Adjektivs ,christlich‘ vgl. auch Barth, Der heilige Geist und das christliche Leben.
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existenziellen Identifikationsmöglichkeiten abhängig ist. Barth geht im Grunde schon von der erst in den 1950er und 1960er Jahren in der Theologie entdeckten Säkularisierung aus, ohne sich von dem Faktum des Unglaubens allzu sehr beeindrucken zu lassen. Im 20. Jahrhundert auch nur an Resten der Vorstellung eines Corpus Christianum festhalten zu wollen, war für ihn ein nicht mehr nachvollziehbarer Anachronismus. So wenig Barth die gesellschaftliche Säkularisierung beunruhigte, so sehr war es das Paradox der sich innerhalb der Kirche vollziehenden Säkularisierung, das sich mal zaghaft und dann aber auch dreist und selbstbewusst gespreizt im Gewand des Glaubens präsentiert. Nicht das Bekenntnis des Unglaubens, sondern das des Glaubens ist das Thema der Theologie. Es ist der Horizont des Glaubens, in dem sich die Frage nach rechter und falscher Lehre stellt.15 Das, was die Theologie zu bedenken hat, hat seine Relevanz allein da, wo es um den Glauben und sein rechtes Verstehen geht, eben in der Kirche. Es kann nicht darum gehen, dass die Theologie in alle Richtungen mit dem Nachweis ihrer Möglichkeit zu punkten versucht, sondern dass sie da ihre Verantwortung wahrnimmt, wo einerseits ihre Notwendigkeit unstrittig und andererseits ihre jeweilige Realisierung durchaus strittig bleibt.
2.2 Die Offenbarung – das Wort Gottes Der Entdeckungshorizont theologischer Erkenntnis Die Frage, ob Gott erkennbar ist, mag eine philosophische oder anthropologische Frage sein, eine theologische Frage kann und darf sie nicht sein (I/1, 28; II/1, 2,68 u. ö.). Wenn Gott sich nicht zu erkennen gegeben hätte, bliebe die Theologie eine spekulative und als solche unsinnige Möglichkeit. Die Frage des Gegenstandes der Theologie ist keine offene Frage; es geht nicht um eine Veranstaltung, die sich aufgrund einer menschlichen Wahl vollzieht, in der sie sich entscheidet, nach dem letzten Grund der Welt, dem höchsten Gut oder dem Absoluten zu fragen (II/1, 4 f).16 Barth fragt nicht nach Gottes Platz in unserer Geschichte, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf unseren Platz in seiner Geschichte17 – diese Umkehrung ist die zentrale Zumutung seiner Theologie (I/ 2, 64). Als Gedanke bleibt Gott undenkbar (II/1, 28). „Nur indem Gott sich selbst setzt als Gegenstand, ist der Mensch gesetzt als Erkennender Gottes.“ (II/1, 22) Deshalb spricht Barth so dezidiert von der Selbstoffenbarung bzw. der Selbstenthüllung Gottes (I/1, 332 f, 338, 342 u. ö.), d. h. Gott bleibt ihr Subjekt 15 Hans Joachim Iwand hebt hervor, dass Barth das Thema der Häresie auf die Tagesordnung der neuzeitlichen Theologie bringt: Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium, 91. 16 „The God who can be colonized is at the end of the day just the largest member of the universe, perhaps the end of the series but not utterly distinct from it.“ (Gorringe, Karl Barth, 136) 17 Vgl. Jenson, Karl Barth, 51.
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sowie ihr Inhalt. Trevor Hart benennt das Problem treffend, wenn er von „selfobjectifying“ – „Selbstvergegenständlichung“ spricht.18 Damit wird ausgeschlossen, dass es irgendetwas oder irgendjemand gäbe, wodurch Gott in den Blick kommen könnte, und zugleich wird hervorgehoben, dass er nicht irgendetwas anderes als eben sich selbst offenbart. Die Betonung, dass Gott das Subjekt bleibe, entspricht dem Modus, indem Gott als der Kyrios seine Herrschaft ausübt (I/1, 155, 323). Und es entspricht dieser Herrschaft Gottes, dass sich durch sie die ganze Wirklichkeit neu konstituiert.19 Hinsichtlich der Offenbarung kann es nicht um menschliches Begreifen, sondern nur um ein Ergriffenwerden durch Gott gehen (II/1, 14). Um dem Geschehen den nötigen Nachdruck zu verleihen, spricht Barth von der Offenbarung als einem „göttlichen Übergriff“ (II/1, 76), der sich in unserer Wirklichkeit vollzieht. Indem es als ein Geschehen in der diesseitigen Wirklichkeit in Erscheinung tritt, gründet es aber nicht auf den Bedingungen der Welt, so sehr es sich diesen Bedingungen auch unterwerfen mag. Barth benutzt das Bild des Regenbogens, der eben auch nur scheinbar auf der Erde gründe, aber tatsächlich nicht auf dieser Unterlage stehe (I/1, 234). Die Welt an sich ist gleichsam gott-blind. Es ist die Offenbarung selbst, die den Menschen der Unfähigkeit überführt, von Gott zu reden, und die ihn dieser Unfähigkeit zum Trotz dazu auffordert, dies dennoch zu tun (II/1, 238).20 Barth hebt immer wieder den altkirchlichen Grundsatz (Hilarion) hervor, dass Gott allein durch Gott erkannt werde. Der Hinweis auf die Unfähigkeit zu natürlicher Gotteserkenntnis gewinnt an Plausibilität, wenn nicht nur die formale, sondern auch die mit ihr verbundene inhaltliche Seite beachtet wird. Pointiert gesagt entspricht die Unfähigkeit des Menschen zur Gotteserkenntnis seiner Unfähigkeit zur Auferstehung vom Tode.21 Es ist nicht zuletzt diese nur inhaltlich zu erhellende Radikalität der sich mit der Offenbarung vollziehenden Veränderung, die Barth von der Gotteserkenntnis als einem Wunder sprechen lässt (I/2, 70 f u. ö.). Wenn Barth betont, dass sich die Dogmatik „auf dem schmalen Weg von der Offenbarung her zu der Offenbarung hin“ (I/1, 13) vollziehe, dann heißt dies, dass sie „das Maß, an dem sie mißt, nicht erst zu finden, geschweige denn zu erfinden“ (I/1, 11) habe. Sie hat ihren Gegenstand aufgrund der bereits ge18 Hart, Revelation, 44. 19 „God is not simply ,another object‘ to be interpreted or described by the human subject, but the most concrete Reality in the light of which every facet of our understanding requires to be reconceived.“ (Torrance, Alan, The Trinity, 72) 20 Dieser Hinweis erinnert direkt an die weithin bekannte Zuspitzung Barths in dem Vortrag: Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie. Dort heißt es: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides, unser Sollen und Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ (Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 151) 21 „The impossibility of humans knowing God must be placed alongside the impossibility of resurrection from the dead to which it is formally similar within the logic of Christian faith.“ (Hart, Revelation, 43)
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schehenen Offenbarung (I/1, 93), aber das ist ein Kriterium, das nicht in die menschliche Verfügung gegeben ist, sondern sich selbst reguliert, weil es fundamental und bleibend um das Ereignis des eigenen Redens Gottes geht (I/1, 94 f). Einerseits muss die nichtgegenständliche Seite der Offenbarung betont werden, weshalb sie auch niemals direkt Gegenstand, sondern nur ein nichtgegenständlicher Gegenstand der Theologie sein kann. Sie war und ist nicht nur Ereignis, sondern bleibt auch ganz und gar Ereignis (II/1, 294ff), eben „das Ereignis, in dem der freie Gott seine freie Gnade walten und wirken lässt“ (I/1, 120). Und andererseits gilt es ebenso zu unterstreichen: Die Theologie hat einen Gegenstand, und somit ist ihr jede „Flucht in die Nicht-Gegenständlichkeit nicht nur überflüssig, sondern unmöglich gemacht“ (II/1, 11). Gotteserkenntnis gibt es nur „in concreto“ und „a posteriori“ (II/1, 3). Barth hebt entschlossen den objektivierenden Charakter der Offenbarung hervor und betont dabei, dass sie dem Menschen im Horizont der von ihm begehbaren Wirklichkeit entgegensteht. Objektivität betont vor allem die Widerständigkeit gegenüber den Planierungs- und Übersichtsinteressen des Menschen. Sie entlarvt die Abstraktion als die Grundsünde der Theologie.22 Es ist dieser Gegenständlichkeit wesentlich, dass sie sich auch angesichts ihrer Materialität, angesichts dessen, was sie uns zu sagen ermächtigt, niemals dem Verdinglichungsbedürfnis des Menschen unterwirft. Die Gegenständlichkeit der Offenbarung sperrt sich gegen die gewohnheitsmäßig gewordenen Verdinglichungen des Menschen.23 Gotteserkenntnis lässt sich nur mit dem Erscheinen des auferstandenen Christus durch die von uns verschlossenen Türen vergleichen.24 Sie vollzieht sich in ihrem entscheidenden Grundakt als Anerkenntnis (I/2, 214ff).25 Barth kann Offenbarung auch „Zeichengebung“ nennen und über den Begriff des Zeichens dann sogar von einem Sakrament (II/1, 56), ja dem Sakrament sprechen. Von da aus wird der spezifische Charakter des Wesens von Offenbarung im biblischen Sinne erhellt: Offenbarung enthüllt in Verhüllung, sie offenbart, indem sie verbirgt (II/1, 60 f); sie erscheint in welthafter Verhüllung, die zugleich ihre Enthüllung ist (I/1, 172 f), d. h. sie offenbart gleichsam Verborgenheit (II/1, 206). Es geht stets um innerweltliche Größen – Ereignisse, Worte oder Bilder –, aber sie werden alle für etwas in Anspruch genommen, was grundsätzlich die in ihnen liegenden Möglichkeiten überschreitet.26 Das Be22 23 24 25
Vgl. Gorringe, Karl Barth, 133. Vgl. dazu Schellong, Von der Unmöglichkeit, Barth weiterzuführen, 202 – 206. Vgl. Torrance, The Trinity, 73. Die Zirkelhaftigkeit der damit avisierten Logik erweist sich als die unausweichliche Form der Logik der Theologie, wie Barth sie insbesondere in seinem Anselmbuch „Fides quaerens intellectum“ (1930) herausgearbeitet hat. Sie ist nicht das Eingeständnis einer Schwäche der Theologie, sondern entspricht exakt den erkenntnistheoretischen Bedingungen der Theologie; vgl. dazu Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 42 ff. 26 „If revelation is to occur […] then this occurrence will necessarily be one in which God takes
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kenntnis zur Verborgenheit Gottes ist nicht Ausdruck unseres Nichtwissens, sondern des Wissens um Gott (II/1 215).27 Die Dialektik von Verhüllung und Enthüllung wahrt darin die prinzipielle Überlegenheit der Offenbarung, dass sie uns keine Synthese von Gestalt und Gehalt anbietet. Wo sie selber eines ist, müssen wir immer zweierlei sagen: Keine Enthüllung ohne die Hülle und keine Hülle ohne die Enthüllung. Die realistische Deutung, die nur auf die Hülle blickt, verfehlt ebenso die Offenbarung wie die idealistische Deutung, die mit ihrer Erkenntnis glaubt, die Hülle schließlich hinter sich lassen zu können. Indem sich in der Gestalt der Gehalt erschließt, bleiben wir an diese gebunden, ohne damit den Gehalt in unsere Verfügung zu bekommen (I/1, 180 – 183). Jede Synthese käme dem Versuch gleich, „den Widerschein des schönen silbernen Mondes in einem Sieb aus dem Teich schöpfen zu wollen“ (I/1, 226). Es scheint mir bemerkenswert zu sein, dass Barth sowohl in den Prolegomena als auch in der Gotteslehre keine Deduktionen aus der Christologie vorträgt, wie es wohl manche von ihm erwarten würden. Vielmehr werden wir auf die Erzählung vom brennenden Dornbusch verweisen. Das Zeichen – Barth spricht auch hier von sakramentaler Wirklichkeit (II/1, 65) – ist der nichtverbrennende Dornbusch, dessen Heiligkeit uns daran hindern soll, ihm zu nahe zu treten und zu versuchen, ihm auf den Grund zu kommen. Was er dem Glauben enthüllt, ist die Verborgenheit Gottes. Auch die Namenskundgebung schließt den direkten Zugriff auf Gott aus.28 Die Enthüllung macht den Glauben nicht überflüssig, sondern begründet ihn erst – um seiner Begründung willen ergeht die Offenbarung (II/1, 60). Um die Indirektheit theologischer Erkenntnis zu beschreiben, spricht Barth von einer bekleideten Gegenständlichkeit (II/1, 16), die der Wahrnehmung erst ihre Bekleidung präsentiert, in der sich dann der Inhalt erschließt. Er erschließt sich aber nicht dadurch, dass wir die Bekleidung lüften, sondern allein dadurch, dass sie sich selbst als die Bekleidung ihres besonderen Inhalts erweist. Im weiteren Sinne wird damit sachlich und methodisch zur Geltung gebracht, dass sich theologische Erkenntnis im Orientierungshorizont des biblischen Zeugnisses zu bewegen hat, das seinerseits auch in seinen direktesten Ausdrucksmöglichkeiten konsequent diese Indirektheit wahrt. Es ist immer eine Gestalt irdischer Wirklichkeit, der sich die Offenbarung bedient. Die Dogmatik hat als „konsequente Exegese“29 den Bezügen dieser irdischen Reflexe zu folgen, um in der Spur der von der Bibel erzählten besonderen Geschichte mit ihrem lebendigen Subjekt konfrontiert zu werden. Dies kann
objects, events, words, ideas and other this-worldly entities and bestows upon them a capacity which in and of themselves they do not possess.“ (Hart, Revelation, 46) 27 „That God remains ,veiled‘ means that although God takes form the result is not a third thing between God and creature – in which case God would be manipulable.“ (Gorringe, Karl Barth, 136) 28 Vgl. dazu Maurer, Grammatik des biblischen Redens von Gott, 115 f. 29 Jìngel, Einführung, 46.
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nur gelingen, indem sich der Mensch auch selbst in dieser Geschichte entdeckt und sich von ihrem Subjekt konstituiert versteht.30 Alle von Barth in seinen Prolegomena vorgenommenen Unterscheidungen – auch die der im nächsten Schritt zu erörternden trinitarischen Hermeneutik – haben hier ihren Entdeckungs- und Begründungshorizont. Die Grundsätzlichkeit, die Barth in diese Konzentration legt, kann in dem Gewicht ermessen werden, das ihr als das Zuerst-zu-Sagende in den Prolegomena zugewiesen wird. Man trifft nicht den Punkt, wenn man Barth nur halbherzig damit beschäftigt sieht, nun auch das zweifelhafte Instrument der Prolegomena, dem im 19. Jahrhundert eine besondere Bedeutung zugewachsen ist, zu bedienen. Vielmehr sehen wir ihn hier nicht nur entschlossen, umsichtig und engagiert den Horizont abstecken, in dem für die Theologie und für die Kirche überhaupt tragfähige Einsichten zu erwarten stehen, sondern auch sorgfältig den Charakter und die Reichweite von solchen Einsichten abmessen. Das Faktum, dass der Theologie ihr Gegenstand gesetzt ist, macht die Frage nach dem Modus ihrer Erkenntnis noch keineswegs überflüssig. Sie bleibt ihr im Gegenteil in höchst anspruchsvoller Weise gestellt, wenn sie sich nicht im Verlauf ihres Vollzuges schließlich doch mehr an sich selbst und ihr wichtig erscheinenden Fragen abarbeiten und dabei die Offenbarung aus dem Blick verlieren will. Offenbarung wird von Barth zunächst schlicht gleichgesetzt mit dem Wort Gottes (I/1, 120, 307 f u. ö.). Es ist das Wort Gottes, das der kirchlichen Verkündigung ihren spezifischen Inhalt gibt (I/1, 79). Eben darum ist es auch das alles bestimmende Kriterium der Theologie, weshalb Barth es als den „Zentralbegriff unserer Prolegomena Dogmatik und der Dogmatik überhaupt“ (I/1, 90) bezeichnet. Auch die Entfaltung des Wortes Gottes wird nicht sofort christologisch fixiert.31 Vielmehr legt Barth großen Wert darauf, dass dem Herrn der Weg bereitet wird, so dass er sich dann auch leichter finden lässt, wenn er in Erscheinung tritt, und wir nicht ganz hilflos an seiner Krippe und dann erst recht an seinem Kreuz stehen. Nicht dass wir ihm etwa den Weg bereiteten, sondern es ist das Wort Gottes selbst, sofern es in der Bibel zu vernehmen ist, das sich hier als Wegbereitung erweist. Es ist der von Barth immer wieder aufgenommene wunderbare Gottesname ,Immanuel‘ – ,Gott mit uns‘ (I/1, 111, 155, 182), in dem der Inhalt des Wortes Gottes seine allgemeine Annoncierung findet (I/1, 166). Der Name repräsentiert die Person und damit den unendlichen qualitativen Unterschied zu jeder Idee oder jedem denkbar höchsten
30 Vgl. dazu ausführlich Mhringer, Der Beitrag von Karl Barths trinitarischer Grammatik. Mähringer hebt bei Barth konsequent den substanziellen Zusammenhang von Offenbarungssubjekt und Offenbarungsgeschichte als Bestimmungshorizont für die menschliche Subjektivität und die ihr ermöglichte Geschichte hervor. 31 Er verrennt sich nicht in das von ihm selbst kritisch markierte „exklusive ,Jesus-Christus‘-Loch der Lutheraner“; Brief an Eduard Thurneysen vom 20. April 1924 (Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. 2, 243 – 246, 245); vgl. Link, Leuenberg 1998.
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Gut.32 Nicht eine Lehre von der Versöhnung und somit eine statuierte oder statuierbare theologische Wahrheit soll eine mehr oder weniger interessierte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern es bleibt konsequent bei dem von Gott ausgehenden Beziehungsgeschehen, das sich am Menschen vollzieht. Offenbarung repräsentiert nicht irgendetwas, sondern sie bleibt Ereignis.33
2.3 Der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein Der Erkenntnisweg der Theologie Der fundamentale Bezug der Theologie auf die Selbstreferenzialität der Offenbarung benennt zwar den für Barth einzig verheißungsvollen Ausgangspunkt der Theologie, besagt aber nur wenig über den Modus der Erkenntnis. Die Steilvorlage mit der Konzentration auf die Offenbarung scheint der Theologie ein strikt deduktives Vorgehen aufzuerlegen, so wie es Barth auch gern gleichsam als Markenzeichen angeheftet wird.34 Sein Zugang zur Erhellung der Reichweite dessen, was mit Wortes Gottes theologisch bezeichnet wird, schlägt jedoch einen ganz anderen Weg ein. Barth geht sehr behutsam und kleinschrittig vor, ganz und gar induktiv. In einer ersten Annäherung beschreibt Barth in der Lehre vom Wort Gottes den Entdeckungshorizont des theologischen Erkenntnisweges.35 In der zweiten steht dann im Horizont der Trinitätslehre seine Form zur Debatte. Auch wenn Barth die Identität von Form und Inhalt betont, so können doch beide als unterschiedliche Aspekte dieser Identität voneinander unterschieden werden. Es kann zwar nie davon abgesehen werden, dass die Form von vornherein die Form des besonderen Inhalts ist36, aber es ist eben die Form dieses Inhalts, die den für die Theologie insgesamt gebotenen Erkenntnisweg markiert.37 32 Zur Bedeutung des Namens für das theologische Denken vgl. Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 123 ff. 33 „Revelation, as Barth never tires of reminding his readers, is an event: it is something which happens, something which God does, and something in which we are actively involved.“ (Hart, Revelation, 45) 34 Die Unterstellung eines Offenbarungspositivismus geht ebenso an Barths theologischem Anliegen vorbei wie alle Verdächtigungen auf Neoorthodoxie, nach denen Barth lediglich die alte Architektur der Theologie wieder restauriert habe. Zum Vorwurf des Offenbarungspositivismus vgl. Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 174 – 180. 35 Jan Muis spricht von der Lehre der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes als der Ortsbestimmung für theologische Orientierung; vgl. Muis, Spricht Gott in der Heiligen Schrift?, 139. 36 Form und Inhalt können nicht voneinander getrennt werden, denn was das Wort orientiert, ist nicht nur seine Form, sondern der mit ihr in Erscheinung tretende Inhalt. Trevor Hart macht in seinen Überlegungen über Barths Offenbarungsverständnis darauf aufmerksam, dass Offenbarung und Versöhnung zwei Aspekte derselben Wirklichkeit seien (vgl. Hart, Revelation, 42). Damit wendet er sich gegen den von Gustav Wingren und Alister McGrath erhobenen Vorwurf,
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Barths Ergebnis der Überlegungen zum Erkenntnisweg der Theologie leuchtet am ehesten ein, wenn auch der Weg in den Blick genommen wird, auf dem es sich gleichsam einstellt. Deshalb betrachten wir zunächst die Lehre von der dreifachen Gestalt des einen Wortes Gottes und dann die sich daraus ergebende trinitarische Hermeneutik. 2.3.1 Die dreifache Gestalt des einen Wortes Gottes Der Konzentration auf die Selbstreferenz der Offenbarung wäre sofort der Boden entzogen, wenn ihrer Selbstvermittlung kein gegenwärtiges Geschehen zugeordnet werden könnte. Gäbe es in unserer Gegenwart kein Offenbarsein der Offenbarung, dann erübrigte sich nach der Maßgabe, unter die Barth die Theologie gestellt hat, jede weitere Bemühung, denn es könnte sich ja nur um Bemühungen handeln, die der Begegnung mit der Offenbarung vorauslaufen und dann auf irgendeine Weise zu ihr hinführen sollen. Die Berufung auf die Prävalenz der Offenbarung wird allein durch ihr gegenwärtiges Offenbarsein ins Recht gesetzt. Ansonsten müsste das ganze Unternehmen gleich nach seiner Ankündigung abgesagt werden. Neben dem Erschließen dieser logischen Stringenz steht bei Barth auf gleicher Höhe der phänomenologische Hinweis auf das Faktum der kirchlichen Verkündigung. Traditionell gilt die kirchliche Verkündigung als Dienst am Wort, und genau auf diese Näherbestimmung kommt es Barth jetzt an. Die Verkündigung präsentiert nicht einfach das Wort Gottes, sondern geschieht auf die Verheißung hin, dass sich in ihr das Wort Gottes selber hörbar macht. Sie vermittelt also nicht einfach das Wort Gottes, sondern setzt auf die lebendige Kontingenz des Heiligen Geistes, der die menschlichen und als solche immer auch unzulänglichen Worte der Predigerin oder des Predigers tatsächlich zum Wort Gottes macht. Ohne das Ernstnehmen des Heiligen Geistes läuft das ganze Unternehmen in Leere. Die Verheißung des Heiligen Geistes besagt aber nichts weniger, als dass Gott selbst in und durch die menschliche Verkündigung reden will.38 Hier findet sich ein deutlicher Hinweis darauf, dass Barth habe theologisch den Akzent von der Versöhnung zur Jungfrauengeburt und Inkarnation (Wingren) bzw. zur Frage der Gotteserkenntnis (McGrath) verschoben (ebd., 53 – 55). 37 Diese beiden Annäherungen stehen im Blick auf das hier zu erörternde Thema im Vordergrund. In einer dritten Annäherung wird dann mit den gewonnenen Orientierungen der Erkenntnisweg hinsichtlich seines Inhalts betreten, nicht um dann in einem Durchmarsch gleichsam alles abzuernten, sondern um ihn – je nach aufgegriffener Fragestellung – immer wieder neu ganz zu durchlaufen, so wie es Barth dann Band für Band in der Kirchlichen Dogmatik beispielhaft getan hat. Es ist Robert W. Jenson zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass in der KD „jedes Lehrstück eine vollständige Theologie entwickelt, die um ein bestimmtes Thema organisiert ist. Mit jedem ,Band‘ beginnt Barth den Reflexionsprozeß neu.“ (Jenson, Karl Barth, 39) Vgl. auch Hunsinger, How to read Karl Barth, 58 f. 38 „Wirkliche Verkündigung […] heißt […]: Menschliche Rede von Gott, in der und durch die Gott selber von sich selber redet.“ (I/1, 97)
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Barths Lehre vom Wort Gottes und somit seine Theologie in der Pneumatologie ihren Ausgang nimmt.39 Die Verkündigung ist die erste Gestalt des Wortes Gottes, die essenziell mit dem Wirken Gottes im Heiligen Geist verknüpft ist, so dass es Gott selbst ist, der sich in der Verkündigung zu Wort meldet. Wenn die Verkündigung auf die Erwartung hin geschieht, dass sie zur Offenbarung des Wortes Gottes werden kann, dann hat dies seinen Grund darin, dass sie sich auf die bereits geschehene Offenbarung beruft (I/1, 101ff). Sie bezieht sich – und damit gehen wir auf die zweite Gestalt des Wortes Gottes zu – auf das biblische Zeugnis als den die Kirche orientierenden Kanon, ohne den sie allein auf sich selbst gestellt wäre. Das zu wahrende Gefälle zeigt sich darin, dass das Wort Gottes nicht an die Bibel, sondern diese an das Wort Gottes gebunden ist (I/2, 569). Es kommt also darauf an, durch das biblische Zeugnis auf das Wort Gottes hingewiesen zu werden, das sich dann selbst als solches erweist. Zugespitzt kann Barth das Schriftzeugnis in einen Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der Christologie stellen, indem es als Zeugnis von der Offenbarung selber Offenbarung werden will und dabei zugleich eben ein historisches literarisches Dokument bleibt (I/2, 555).40 Nur dann ist die Schrift Wort Gottes, wenn sie es wird (I/1, 112 f, 116) – so wie der Teich von Bethesda erst seine Bestimmung durch die jeweilige Bewegung durch den Engel realisiert (I/1, 114). Es ist nicht da, sondern geschieht (I/2, 585 f). Nicht die Schrift offenbart Gott, sondern dieser offenbart sich selbst, was durch das biblische Zeugnis im besten Fall repräsentiert werden kann.41 Das illic et tunc vergegenwärtigt sich hic et nunc (I/1, 155); „Gott redet jetzt, was dieser Text redet“ (I/2, 591). Das geschieht nicht schon dadurch, dass wir nach der Bibel greifen – sie ist kein „griffbereit vorliegendes Gotteswort“ (I/2, 576) –, sondern dass wir sie nach uns greifen lassen, denn darin besteht die Chance, dass sie Gottes Wort wird (I/1, 112 f). Wenn Barth in die eine oder andere Richtung vom „Greifen“ spricht, schwingt darin mit, dass hier Wort und Tat unauflöslich zusammengehören (I/1, 148). Jedes beteiligungslose Zuhören wird unmöglich.42 Die dritte Gestalt des Wortes Gottes ist schließlich die, auf welche die zweite und die erste Gestalt hinweisen. Es ist das von der Bibel direkt und in der 39 Vgl. dazu ausführlich Obst, Veni creator spiritus. 40 „This pattern – truly divine and truly human without division, separation or confusion – was to become one of the most important motifs of his theology and is used, for example, to illustrate the way in which Scripture is ,wholly the word of man and wholly the Word of God‘.“ (Gorringe, Karl Barth, 135) 41 Vgl. Muis, Spricht Gott in der Heiligen Schrift?, 145. Die Göttlichkeit ist nicht zu einer Eigenschaft der Schrift geworden. „Daß die Schrift Gottes Wort wird, ist ein Ereignis, das vorübergeht. Die Menschenworte der Schrift sind keine Worte Gottes geworden, Göttlichkeit ist keine Eigenschaft der Schrift geworden. […] Wir bleiben auf Gott selbst angewiesen.“ (Ebd., 153) 42 Zum Schriftverständnis von K. Barth vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes.
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Verkündigung der Kirche indirekt bezeugte Wort Gottes selbst, d. h. das Wort Gottes als Selbstmitteilung Gottes. Indem die kirchliche Verkündigung davon lebt, dass Gott selbst reden wird, und das biblische Zeugnis bekundet, dass Gott selbst bereits geredet hat, wird deutlich, dass die Offenbarung ihrer Form nach Rede ist, und zwar nicht irgendeine Rede, sondern – und dies wird durch die dritte Gestalt des Wortes Gottes hervorgehoben – alles entscheidende Rede, nämlich: Es ist vollbracht! Das ist das „Deus dixit“ (I/1, 119).43 Das ist das Wort Gottes, das den Offenbarer offenbart, ohne dass dieser direkt sichtbar werden würde. Enthüllung und Verhüllungen gehen auch hier zusammen. Dieses Wort Gottes in seiner eigenen Gestalt ist Jesus Christus: Als das „Deus dixit“ ist er der Offenbarer, auf den die Offenbarung in der Bibel und das Offenbarsein in der Verkündigung bezogen sind. Diese dritte Gestalt des Wortes Gottes ist sachlich natürlich die erste. Aber sie wäre eben auch nicht die erste ohne die beiden anderen. In allen drei Gestalten geht es um dasselbe Wort Gottes, es geht jeweilig um das Ganze und zugleich lassen sich die drei Gestalten in ihrer Unzertrennbarkeit auch deutlich voneinander unterscheiden; das eine Wort Gottes in seinen drei irdisch-geschichtlich realen Gestalten. Eine prägnante Zusammenfassung dieser Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes finden wir in der ersten These des Barmer Bekenntnisses: „Jesus Christus, wie er uns in der heiligen Schrift bezeugt wird“ – die These beginnt mit der zweiten Gestalt – „ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören haben“ – das ist in der Entfaltung Barths die dritte Gestalt –, und sie sind die einzige Quelle der kirchlichen Verkündigung – und damit kommt auch die erste Gestalt des Wortes Gottes zur Geltung.44 Barth nimmt selbst ausdrücklich immer wieder Bezug auf diese These (vgl. bes. II/1, 194 – 200).45 Damit haben wir den Entdeckungszusammenhang des Erkenntnisweges der Theologie abgesteckt. Barth weist nun darauf hin, dass diese Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes in der Trinitätslehre ihre einzige Analogie habe (I/1, 124).46 Die Untersuchung des biblischen Offenbarungsverständnisses, nach dem das geschichtliche Ereignis Jesus Christus als wirkliche Offenbarung Gottes zu verstehen ist, weist den Weg zur Trinitätslehre.47 Al43 Kurz gefasst kann Barth sagen: „,Gottes Wort‘ heißt: Gott redet“ (I/1, 137), wobei die Rede nicht vom Redner getrennt werden darf. 44 Vgl. Heimbucher/Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung, 37. 45 Timothy J. Gorringe hebt zu Recht mit der zweiten Barmer These hervor, dass dieses Wort unser ganzes Leben in Anspruch nehme und nicht nur eine akademische Angelegenheit darstelle; Gorringe, Karl Barth, 129; vgl. dazu auch Schellong, Barmen II. 46 Mit der Betonung der Exklusivität dieser Analogie geht die Abweisung der so genannten vestigia trinitatis zusammen, die Barth als „ein uraltes trojanisches Pferd“ bezeichnet (I/1, 355), weil sich in den vestigia unversehens die gerade ausgeschlossene versuchliche Möglichkeit einschleicht, die Trinität von der Welt aus zu erobern und nicht die Welt von der Trinität her zu verstehen (I/1, 360) und auf diese Weise das Heilige zu profanisieren (I/1, 363). Dagegen gilt es zu unterstreichen, dass die Trinität eben selbst ein vestigium und nicht die Sache selbst ist (I/1, 367). 47 „Wir kommen nicht auf einem anderen Weg zur Trinitätslehre als eben auf dem Weg einer
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lerdings wiederholt die Trinitätslehre nicht einfach noch einmal dasselbe. Zwar gibt es deutliche Entsprechungen, und von daher hat Barth seine Regie über die ganzen Prolegomena organisiert, aber diese Entsprechungen zielen nicht auf eine vollständige systematische Stringenz.48 Bei aller Betonung der Entsprechung ist immer auch Nicht-Entsprechung zu bedenken.49 Aber solche Brechungen gehören durchaus zu Barths Verständnis von Analogie.50 Kein klassisches Äquivalenzdenken ist gemeint, sondern die in der Offenbarung enthaltene Ermächtigung und Erlaubnis an das Geschöpf, in der ihm zur Verfügung stehenden geschöpflichen Sprache zumindest indirekt angemessen von Gott reden zu können.51 2.3.2 Barths trinitarische Hermeneutik Ebenso schlicht wie folgenreich wird in der Trinitätslehre nichts anderes bedacht als die biblische Erkenntnis, dass Gott sich selbst offenbart. Gott offenbart nicht irgendetwas, sondern sich selbst. Gott wird nicht durch irgendetwas anderes offenbart, sondern er ist es selbst, der sich offenbart. „Gott offenbart sich. Er offenbart sich durch sich selbst. Er offenbart sich selbst.“ (I/1, 312). In aller Konsequenz evakuiert Barth jede Zwischeninstanz zwischen Gott und Mensch, der irgendeine Offenbarungsrelevanz zugemessen werden könnte.52 Das läuft darauf hinaus, dass nicht mehr und nicht weniger offenbart wird als dass eben Offenbarung geschehen ist und deshalb geschehen kann. Die Trinitätslehre ist die materiale Entfaltung des Namens Gottes, wie er vom Zeugnis der ganzen Bibel in die Mitte gestellt wird.53 Er steht seinerseits fundamental für die Nichtdefinierbarkeit Gottes.54
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Analyse des Offenbarungsbegriffs. Und umgekehrt: die Offenbarung muß, um richtig interpretiert zu werden, als Grund der Trinitätslehre interpretiert werden …: wir finden die Offenbarung selbst in der Heiligen Schrift so bezeugt, daß unser auf dieses Zeugnis sich beziehendes Verständnis der Offenbarung bzw. des sich offenbarenden Gottes eben die Trinitätslehre sein muß.“ (I/1, 329) Vgl. auch Jenson, Karl Barth, 47. Es wird sogar mit durchaus nachvollziehbaren Gründen gemutmaßt, dass Barth sich hier relativ freimütig einen Übergang verschaffe, indem er mehr die formale als die inhaltliche Analogie in Anspruch nehme; vgl. Muis, Die Rede von Gott und das Reden Gottes, 64. Die Entsprechung mag für die ökonomische Trinität funktionieren, stößt aber im Blick auf die immanente Trinität auf ihre Grenzen. „,Analogie‘ bedeutet im Unterschied zu Gleichheit und Ungleichheit: Ähnlichkeit d. h. teilweise und darum die Gleichheit und Ungleichheit begrenzenden Entsprechung und Übereinstimmung“ (II/1, 254). Dieter Schellong macht darauf aufmerksam, dass Barth den Analogiebegriff im Blick auf die Gotteslehre ausdrücklich negativ einführt (II/1, 82 – 86), indem er uns gerade die Analogien entzieht und damit einen deutlich „verfremdeten“ Analogiebegriff benutzt; Schellong, Barth lesen, 47 f. Vgl. dazu Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 210 – 214. Vgl. Jenson, Karl Barth, 48. „Wir sind bei unserem Nachweis der Wurzel der Trinitätslehre in der biblischen Offenbarung
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Einen Moment lang möchte ich von der Verwendung der Trinitätslehre als der Grammatik der Theologie Gebrauch machen55, weil Barth selbst das „Deus dixit“ als den Inbegriff seines Verständnisses von Offenbarung grammatikalisch interpretiert: Der Satz „Deus dixit“ werde darin recht verstanden, dass „Subjekt, Prädikat und Objekt sowohl gleichzusetzen als auch zu unterscheiden sind“ (I/1, 316). Dies verbirgt sich hinter der ebenfalls grammatikalisch angelegten Formel vom Offenbarer, der Offenbarung und dem Offenbarsein (Leitsatz zu § 8, I/1, 311). Wird die Offenbarung tatsächlich von ihrem Subjekt aus verstanden, dann bedeutet dies die Anerkennung der Identität des Subjekts der Offenbarung mit seinem Tun und mit seiner Wirkung (I/1, 312; II/1, 294). Wer offenbart sich da, was vollzieht sich und was wird damit erreicht (I/1, 313)? In seiner Offenbarung ist Gott nicht einfach er selbst, sondern in einer ganz bestimmten Weise er selbst, was nur dann angemessen in den Blick kommt, wenn Differenzierungen vorgenommen werden, wie sie in der Trinitätslehre vollzogen werden (I/1, 315). „Es ist Gott selber, es ist in unzerstörbarer Einheit der gleiche Gott, der nach dem biblischen Verständnis der Offenbarung der offenbarende Gott ist und das Ereignis der Offenbarung und dessen Wirkung am Menschen.“ (I/1, 315) Damit steht und fällt das christliche Gottesverständnis (I/1, 318 f). In diesem Sinne konstituiert die Trinitätslehre den Zugang zum christlichen Monotheismus (I/1, 374). Die Entschlossenheit, mit der Barth diesen Weg einschlägt, nährt sich nicht aus dem systematischen Lehrinteresse der Theologie. Vielmehr zeigt sich in ihr Barths Einsicht in einen Umgang mit der Bibel, der ihrer Bedeutung als Offenbarungszeugnis hermeneutisch gerecht zu werden versucht. Die trinitarische Hermeneutik Barths ist konsequent als biblische Hermeneutik bzw. – mit Dietrich Ritschl gesprochen – als „Makro-Exegese“ der Bibel56 zu verstehen. Die Grundbeobachtung, die Barth beim Betreten des trinitarischen Weges in den Blick rückt, ist der biblisch charakteristische Umstand, dass es dem Wesen Gottes entspricht, „sich von sich selbst zu unterscheiden, sich selber ungleich zu werden und doch der gleiche zu bleiben“ (I/1, 337 f). Die Notwendigkeit der Selbstunterscheidung hat ihren Grund in dem Umstand, dass Gott selbst seinem Wesen nach unenthüllbar ist (I/1, 332 f). Für die Offenbarung bedarf es einer spezifischen Seinsweise, in der sich Gott von sich selbst unterscheidet, ohne deshalb in dieser Seinsweise weniger Gott zu sein. Die Verborgenheit Gottes bleibt gewahrt und zugleich offenbart Gott diese seine Verborgenheit (I/1, 334). ausgegangen von und immer wieder zurückgekehrt zu dem Altes und Neues Testament zusammenfassenden offenbarten Namen Jahve – Kyrios. Die Trinitätslehre ist nichts Anderes und will nichts Anderes sein als eine explizierende Bestätigung dieses Namens.“ (I/1, 368) 54 Vgl. Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 125 f. 55 Vgl. dazu Maurer, Grammatik des biblischen Redens von Gott; Mhringer, Der Beitrag von Karl Barths trinitarischer Grammatik. Es war zunächst George A. Lindbeck, der die theologische Lehre insgesamt als die Grammatik des Glaubens verstand: Lindbeck, Christliche Lehre als Grammatik des Glaubens. 56 Ritschl, D., Theologie ist explikativ, 24.
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Es erschließt sich nicht, was Gott ist, wohl aber, dass er mit uns ist, d. h. – mit Robert W. Jenson gesprochen – es wird offenbart, „daß Offenbarung geschehen kann“ und zwar so, wie sie bereits geschehen ist.57 Es geht nicht um Gott an sich, sondern um Gott in seiner Zuwendung zu uns, der sich aber in seiner Zuwendung als kein anderer erweist als der, der er selbst ist.58 Die biblische Hermeneutik ist so angelegt, dass sowohl das Subjekt als auch die Geschichte der Offenbarung als in Gott gegründet nicht nur aufeinander bezogen bleiben, sondern zugleich auch als der wirkliche Konstitutionshorizont der Selbsterkenntnis des Menschen in den Blick kommen. Von der Offenbarung ist nach Gott zu fragen, und die Frage nach Gott wird auf die Offenbarung verwiesen. In diesem Verweisungszusammenhang von Geschichte und ihrem göttlichen Subjekt sieht Barth die Wurzel der trinitarischen Selbsterschließung Gottes.59 Erst wenn das Geschehen der freien Selbstbezüglichkeit Gottes auf das zwischen Gott und Mensch sich ereignende Beziehungsgeschehen hin evident wird, kann im biblischen Sinne von Erkenntnis gesprochen werden.60 Es steht insofern die Göttlichkeit Gottes auf dem Spiel als sich hier die Reichweite der unbedingten Souveränität seines Gegenübers zu der von ihm geschaffenen Kreatur artikuliert. Er ist in keiner Hinsicht ein Ausstattungselement des vom Menschen erforschten Kosmos. Vielmehr bleibt er vom Menschen aus unerforschlich. Andererseits bleibt er auch in seiner Gegenständlichkeit hinsichtlich seiner Erkennbarkeit souverän, so wie schließlich auch ein drittes Mal in seiner Selbstvergegenwärtigung. Die göttliche Souveränität – Barth spricht vom „Herrsein Gottes“ – wird in allen Dimensionen seines Inerscheinungtretens bestätigt.61 Gott ist „in dreimaliger Wiederholung der eine Gott […] so, daß diese Wiederholung selbst in seiner Gottheit begründet ist, also so, daß sie keine Alteration seiner Gottheit bedeutet“ (I/1, 369). Auf dem zu beschreibenden Erkenntnisweg der Theologie rückt nun die Christologie deshalb in den Vordergrund, weil die Reichweite der Offenbarung 57 58 59 60
Vgl. Jenson, Karl Barth, 50. Vgl. dazu den Leitsatz zu § 28 in II/1, 288. Vgl. Mhringer, Der Beitrag von Karl Barths trinitarischer Grammatik, 35. Hier erschließt sich erst, was Barth unter Geschichte versteht. „Geschichte eines Wesens hebt darin an, geht darin weiter und vollendet sich darin, daß etwas, was es nicht ist, ein seiner Natur Transzendentes ihm begegnet, zu ihm hinzukommt, sein Sein in der ihm eigenen Natur bestimmt, so daß es seinerseits genötigt und befähigt wird, sich selbst in der Richtung auf dieses Andere und Neue und im Verhältnis zu diesem zu transzendieren. Geschichte eines Wesens findet dann statt, wenn es in dieser Bewegung, in dieser Veränderung, in diesem Verhalten begriffen, wenn die Geschlossenheit seiner Bewegung in sich von außen durchbrochen wird durch die Bewegung zu ihm und die entsprechende Bewegung aus ihm, wenn es von außen überschritten wird, um dann auch sich selber nach außen überschreiten zu müssen und zu können.“ (III/2, 189) Geschichte und Beziehung bzw. Gemeinschaft gehören unauflöslich zusammen; vgl. Jenson, Karl Barth, 44. 61 „It is the Lordship of God in each of these three dimensions of God’s Selfdisclosure that, for Barth, constitutes the root of the doctrine of the Trinity.“ (Torrance, The Trinity, 79)
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erst dadurch in den Blick des Menschen gerät, dass sie in ihrem entscheidenden Geschehen erkannt wird. Gott tut etwas und zwar in einer Gestalt, in der er sich als auch für uns seiend erweist (I/1, 334). Er nimmt gegenüber dem Menschen Gestalt an, in der er sich als Deus revelatus erweist. In seiner Selbstunterscheidung wird Gott „Nicht-Gott“, er wird Mensch; der Schöpfer wird Geschöpf. Gott erscheint als Nicht-Gott, um sich selbst zu offenbaren, indem dieser gewöhnlicher irdischer Erkenntnis zugängliche Mensch gleichsam zu Gott hin transparent wird und somit Gott offenbart.62 Die chalcedonensische Christologie gibt Barth den Schlüssel für die sich in Gott selbst vollziehende Begegnung mit dem Sohn als dem Urbild aller Gottesbeziehung, in welche der Mensch durch Offenbarung hineingestellt wird.63 Hier erhellt sowohl die sachliche Zentralität der Christologie, weil sie die substanzielle Quelle der Gotteserkenntnis ist, als auch ihre ebenso bedeutungsvolle Relativierung, weil sie selbst darauf hin angelegt ist, uns auf die über sie hinausgreifende dreieinige Gestalt Gottes verweisen will.64 Barth selbst warnt davor, die Theologie allzu christozentrisch zu perspektivieren, weil sie unversehens – wie die neuzeitliche Theologie in erschreckendem Ausmaß zeige – der Gefahr der Kreaturvergötterung die Tür öffnet.65 Und zugleich weiß er, dass die Christologie der entscheidende Schlüssel jeder christlichen Gotteserkenntnis ist. Gott enthüllt sich. Dabei kommt es darauf an, dass nicht die Gestalt Gott, sondern Gott sich in der Gestalt offenbart (I/1, 338 f), d. h. er verhüllt sich in einer ihn enthüllenden Gestalt. Hier kommt der von Barth besonders hervorgehobene Akzent zum Tragen, der schon im Alten Testament auf dem Namen Gottes liegt (I/1, 334). Gott übergibt den Menschen kein auf Dauer gestelltes Medium, mit dem sie nun fortan zu zuverlässiger Gotteserkenntnis gelangten, sondern er bleibt selbst derjenige, der in der Verhüllung die Enthüllung erkennbar macht. Zugleich bleibt ebenso entschieden zu betonen, das Gott Gestalt annimmt, was dann zu den trinitarischen Distinktionen führt, die sich formal am schlichtesten so beschreiben lassen: Gott ist der, der Gestalt annimmt (der Sohn), Gott ist der, der sich uns zur Erkenntnis dieser Gestalt und zur Antwort auf sein Inerscheinungtreten befähigt (der Geist), und er ist zugleich der, der keine Gestalt annimmt (der Vater).66 So wie seine Offenbarung eine dreifache Gestalt annimmt, so offenbart sie auch einen dreieinigen Gott. Gott der Of62 63 64 65
Vgl. Hart, Revelation, 52. Vgl. dazu den Exkurs zu Joh 1,1 – 2 in II/2, 102 – 106. Vgl. Hart, Revelation, 53. Vgl. Barth, „Unterricht in der christlichen Religion“. Erster Band: Prolegomena, 109 f.; ders., Die christliche Dogmatik im Entwurf, 175 ff. Vgl. Gorringe, Karl Barth, 102 f. Christozentrischer und trinitarischer Ansatz können nicht gegeneinander ausgespielt werden, weil es in beiden um dasselbe geht (vgl. Jenson, Karl Barth, 46). 66 Vgl. Hart, Revelation, 49: „The Father sends his Son into the world and creates a community of response in the power of the Spirit. Thus the event of revelation is Trinitarian in form as well as in content.“
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fenbarer ist identisch mit seiner Offenbarung und seinem Offenbarsein (I/1, 312). Wenn es heißt, dass die Offenbarung nicht die Mitteilung einer Information sei (I/1, 323 f), sondern Gott teile sich selber mit, dann liegt auch hier wieder der Ton auf der Beziehungswirklichkeit, die durch die Selbsterschließung Gottes initiiert wird. In der Offenbarung erreicht Gott in seinem dreifältigen Handeln den Menschen, tritt mit ihm in Beziehung, an der es nicht irgendetwas abzulesen gilt, die nicht auf einen beschreibbaren ,christlichen Habitus‘ angelegt ist, sondern die direkt und umweglos auf die Gegenseitigkeit ausgerichtet ist. Die Geschichte Gottes entdeckt sich dem Menschen dadurch, dass er in sie mit hinein genommen wird. Dieses Moment der Teilnahme spiegelt sich in Barths Hervorhebung des Bundes und der von ihm konstituierten Bundesgenossenschaft des Menschen (I/1, 335). Damit ist bereits der Erkenntnisweg der Theologie formal umrissen. Er erschließt sich exakt in dem Problem, dessen sich die Trinitätslehre von ihren ersten Anfängen an angenommen hat, nämlich der theologisch tragfähigen Einbindung der Christologie in die Gotteslehre. Das sachgemäße Gefälle lautet in dieser Perspektive: Offenbarung, Offenbarer und Offenbarsein. Und Barth erläutert die drei zusammengehörenden Momente in vier weiteren analogen Formeln: Enthüllung, Verhüllung und Mitteilung – Gestalt, Freiheit und Geschichtlichkeit – Ostern, Karfreitag und Pfingsten – und so schließlich auch – der Sohn, der Vater und der Geist (I/1, 351, vgl. 381, 392, 401). Alle Varianten kommen darin überein, dass sie auf die unverfügbare ontische und noetische Basis der Theologie verweisen (I/2, 313).67 Die nun umgestellte Ausgangsformel für den Erkenntnisweg der Theologie kann auch schlicht mit den folgenden drei Grundbestimmungen erläutert werden: 1. Christus als die Offenbarung offenbart den Vater (zu verstehen als analytischer und nicht als synthetischer Satz) (I/1, § 11). Weil Gott nur durch sich selbst geoffenbart werden kann, ergibt sich überhaupt erst mit der Offenbarung in Christus das von der Trinitätslehre bedachte Problem. Die Christusfrage wirft das Problem der Selbstbezüglichkeit Gottes auf. 2. Der Vater als der Offenbarer ist der Urheber seiner Offenbarung und seines Offenbarseins (I/1, § 10). Es bedarf der Vergewisserung, dass es Gott selbst ist, der in seinem inkarnierten Wort handelt. 3. Der Heilige Geist als das Offenbarsein bezeichnet das Offenbarwerden der Offenbarung des Vaters im Sohne (I/1, § 12). Dabei geht es entschieden nicht um eine Versicherung der Wirklichkeit Gottes uns gegenüber, sondern im Geist versichert sich Gott unser – das meint Pfingsten (I/1, 477). Drei
67 „The Trinity constitutes both the ontic and noetic basis of the Word revealed and defines, therefore, the whole compass – the beginning and end – of the theological task.“ (Torrance, The Trinity, 74)
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Aspekte und zugleich dreimal dasselbe, oder mit Ernstpeter Maurer: „Gott ist dreimal anders, und zwar dreimal anders dreieinig.“68 Wenn Barth dann auch von dem bleibenden Geheimnis, dem mysterium trinitatis spricht, dann ist das nur in zweiter Linie der Hinweis auf die in Ehrfurcht zu wahrende verklärte Unnahbarkeit der Wahrheit Gottes. In erster Linie betont Barth, dass es verstanden sein muss, warum und inwiefern die Trinität ein Geheimnis ist. Der entscheidende Grund ist darin zu suchen, dass es keine Möglichkeit ihrer Einordnung und Beurteilung nach unseren Maßstäben gibt, sondern alle Erklärungen aus ihr selbst zu entnehmen bleiben – das ist das Geheimnis, was geradezu als ein Kriterium dafür anzusehen ist, was als Offenbarung gelten kann (II/1, 44). Erst wenn in diesem Sinne der Geheimnischarakter verstanden ist, handelt es sich um ein wirkliches Geheimnis.69 Es zeigt sich insbesondere darin, dass die weltliche Gestalt, in der die Offenbarung spricht, in einem unauflöslichen Widerspruch zu der von ihr bezeichneten Sache steht.70 Deshalb kommt es für die Theologie darauf an, das Geheimnis als Geheimnis, d. h. Offenbarung als Offenbarung zu verstehen. Nur so ist sie gegen die Versuchung gewappnet, dieses so oder so auflösen und erklären zu wollen. Das ist nicht zuletzt die Versuchung des die ganze Kirchengeschichte begleitenden Antitrinitarismus, der unweigerlich entweder die Offenbarung in Christus oder eben die Einheit Gottes leugnet (I/1, 371). Streng genommen ist theologische Erkenntnis der Nachvollzug der Selbsterkenntnis Gottes. Und ebenso gilt, dass es die immanente Trinität niemals ohne die ökonomische gibt.71 Der Erkenntnisweg – und das mag dann als Hermeneutik gelten – folgt dem Gefälle der Selbstrelation, das Gott in seiner Freiheit dem Menschen zu erkennen gibt, indem er ihm durch seinen Geist im Glauben Anteil gewährt.
2.4 Die mögliche Unmöglichkeit der Theologie72 Die Antwort auf die Frage nach dem rechten Erkenntnisweg der Theologie bringt diese in eine prinzipielle Verlegenheit, denn es handelt sich um einen 68 Maurer, Grammatik des biblischen Redens von Gott, 123. 69 „Die Geheimnisse der Welt haben es an sich, daß sie einmal aufhören können, Geheimnisse zu sein. Gott ist immer wieder Geheimnis. Offenbarung ist immer wieder Offenbarung im Vollsinn des Wortes, oder sie ist nicht Offenbarung, jedenfalls nicht das, was in der Bibel so heißt.“ (I/1, 339) 70 Barth verweist mit dem Geheimnis auf ein unauflösliches Paradoxon (I/1, 172); vgl. Muis, Spricht Gott in der Heiligen Schrift?, 149. 71 Vgl. Maurer, Grammatik des biblischen Redens von Gott, 119. Hier zeigt sich dann auch der klassische Charakter von Barths Trinitätslehre, in dem alle fundamentalen Distinktionen der Tradition einen Platz behalten, was hier nicht im Einzelnen dargelegt werden kann. 72 Die „mögliche Unmöglichkeit“ der Theologie korreliert unmittelbar mit der „möglichen Unmöglichkeit“, von Gott zu reden; vgl. dazu Weinrich, Wir sind aber Menschen.
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Weg, der ihr nicht einfach offen steht, um sich – wenn schon nicht souverän so doch – einigermaßen selbstverständlich auf ihm bewegen zu können. Indem Gottes Wirklichkeit von den menschlichen Möglichkeiten nicht erreicht werden kann (I/1, 249), bleibt theologische Erkenntnis ihrem Wesen nach ermöglichte Erkenntnis (I/1, 239). Die verbreitete Scheu vor der Theologie ist allzu begründet, hört man sie doch von den wunderlichsten Dingen sprechen, während sie zugleich faktisch mit leeren Händen dasteht (I/1, 22). Es ist die permanent in der Theologie schlummernde Versuchung der Selbstermöglichung, der Barth entgegentritt, indem er die natürliche Theologie angreift. Ihr stellt er eine Theologie gegenüber, die im Wissen um ihre prinzipielle Vorläufigkeit dennoch den Mut aufbringt, in aller Offenheit der Kirche ihre aktuell verantworteten Ratschläge anzutragen. Das sind die beiden Aspekte, die ich in diesem Schlusskapitel auch nur andeuten kann.
2.4.1 Die Stigmatisierung der natürlichen Theologie Wir betreten mit der Frage nach Barths Kritik an der natürlichen Theologie ein reichlich vermintes Feld. Hier sind Barth der heftigste Widerspruch sowie die meisten Missverständnisse erwachsen, die ihn an die Grenze des Überdrusses bringen konnten. Barth war es leid, „immer wieder das Sprüchlein zu hören“ als stelle er „den Glauben hinsichtlich des Glaubenden Menschen in die Luft“, ohne die eigene Glaubenserfahrung des Menschen zu berücksichtigen (I/1 218). Und es sind eben eine ganze Reihe von Negationen, derer Barth gerne verdächtigt wird – etwa zur Religion, der Kultur oder der jeweils gegebenen historischen Lage. In diesen Verdrehungen und fehlgeleiteten Zuspitzungen sah Barth ein Ausweichmanöver gegenüber dem entscheidenden Argument, dass es in der Theologie nie und nirgends um die Bedeutung und Wichtigkeit gehen könne, die der Mensch sich selbst und den ihm wichtig erscheinenden Begebenheiten und Dingen zumisst. Die Aussage, dass unsere Existenz keinen Hinweis auf die Wirklichkeit Gottes bereithalte, lässt sich nicht einfach umdrehen, um dann zu behaupten, dass deshalb auch Gott nichts mit unserer Existenz zu tun habe.73 Wenn Gott kein Element unserer natürlichen Erfahrung ist, so ist damit entschieden nicht ausgeschlossen, dass Gottes Inerscheinungtreten zu einem Element unserer Erfahrung werden kann. Hier kommt alles auf das Begründungsgefälle und den Richtungssinn an, die eben nicht einfach umgedreht werden können. Indem die Selbstbezeugung Gottes in unserer Welt uns zu einer grundstürzend neuen Wahrnehmung unserer ganzen Wirklichkeit erweckt, wird alles, was wir von uns 73 „Our existence in itself and as such does not include his, but his existence includes ours in itself. Grace is external to nature, but nature not external to grace. Nature is rather taken up, purged, and transformed by grace and is therefore really established by it.“ (Hunsinger, How to read Karl Barth, 100)
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aus von uns selbst und dieser Wirklichkeit zu wissen meinten, in ein neues Licht gestellt und somit im Grunde beiläufig zum Schweigen gebracht, weil es nun Anderes auch im Blick auf unsere Erfahrungen, unsere Religion, die Kultur und unsere jeweilige historische Lage zu sagen gibt. Was sollte jetzt noch von dem zu erwarten stehen, was sich ohne dieses Licht artikuliert? Barth bleibt dabei im eingangs angedeuteten Sinne auf die Kirche konzentriert. Man würde gewiss übers Ziel hinausschießen, wenn seine Kritik an der natürlichen Theologie als ein Angriff auf den die Neuzeit in besonderer Weise prägenden Cartesianismus verstanden würde. Barths Angriff zielt vielmehr auf das, was er als den „christlichen Cartesianismus“ oder den „indirekten Cartesianismus“ bezeichnet (I/1, 224), so als könne es eine Form der menschlichen Selbstvergewisserung geben, in deren Vollzug es dem Menschen gelingen könne, die Offenbarung und somit die lebendige Wirklichkeit Gottes in seine Weltwahrnehmung zu integrieren. Dahinter stehe das fundamentale Missverständnis, dass die Bestimmung des Menschen durch Gott zu einem Moment der menschlichen Selbstbestimmung werden könne. Der Mensch versteht sich in diesem Horizont nicht tatsächlich aus dem Wort Gottes, sondern aus seiner Entscheidung für dieses und somit im Grunde aus sich selbst, so sehr er sich auch auf das Wort Gottes berufen mag (I/1, 222). Da mag es dazu kommen, dass der Cartesianismus mit erhobener Hand abgewiesen wird, um ihn aber im gleichen Moment in der Gestalt eines gläubigen Cartesianismus wieder anzuerkennen74 – das ist die religiöse Variante des von Barth in der Aufklärung diagnostizierten „absolutistischen“ Menschen.75 Indem die Kirche sich nicht allein auf die Bereitschaft Gottes zu seiner Selbstmitteilung verlässt, sondern stets auch an die Bereitschaft des Menschen zur Erkenntnis Gottes appelliert, hat sie der natürlichen Theologie einen stabilen Platz auf dem eigenen Territorium gesichert (I/1, 142). Bei genauem Hinsehen handelt es sich bei der natürlichen Theologie um ein Epiphänomen eines ihr voraus laufenden Lebens, das sich in ihr eine entsprechende „Theologie“ verschafft.76 Das in sich gesetzte Selbstvertrauen verdrängt die 74 Zu Barths Auseinandersetzung mit Descartes vgl. Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 79 – 90. 75 Barth versteht die Aufklärung als die Unabhängigkeitserklärung des menschlichen Subjekts gegenüber jeder Begrenzung von außen: „Der Mensch, der seine eigene Kraft, sein Können, die in seiner Humanität, d. h. in seinem Menschsein als solchem schlummernde Potentialität entdeckt, der sie als Letztes, Eigentliches, Absolutes, will sagen: als ein Gelöstes, in sich selbst Berechtigtes und Bevollmächtigtes und Mächtiges versteht, der sie darum hemmungslos nach allen Seiten in Gang setzt, dieser Mensch ist der absolutistische Mensch.“ (Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 19) 76 „Indem der Mensch sich selbst ertragen kann und sehr wohl erträgt trotz und in seiner Existenz im Schatten der Schuld und des Todes, indem er auch das Angebot des Wortes ertragen kann und faktisch sehr wohl erträgt, ohne sich aus seiner Bahn werfen zu lassen, hat er eine Theologie schon gelebt, bevor er sie als solche gedacht und entwickelt hat, deren Kernsatz dieser ist: daß die Wahrheit für ihn auch ohne die Wahrheit selbst zu haben ist, weil er sich selber die Wahrheit oder jedenfalls auch – in Selbstständigkeit gegenüber der Wahrheit Gottes – selber die Wahrheit
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Erkenntnis der eigenen Bedürftigkeit. Bestenfalls will sich der Mensch in seinem eigenen Tragen getragen wissen, aber niemals wird er seine vollkommene Angewiesenheit auf Gott einräumen, was ihn der Gnade Gottes gegenüber auf Abstand hält (I/1, 151). Wir stoßen hier mit voller Wucht auf das besonders dem neuzeitlichen Menschen zutiefst suspekt gewordene Faktum der Sünde. Der auf seine Autonomie setzende und insofern ,in sich selbst verkrümmte‘ Mensch77 beharrt auf seinen eigenen Möglichkeiten, die sich angesichts der spezifischen Gestalt, in der sich die Gnade Gottes offenbart, nur als Unmöglichkeit erweisen können. Das zeigt sich in der Behauptung, im Grunde gar nicht und im besten (bzw. schlimmsten) Falle nur teilweise der Gnade Gottes bedürftig zu sein. Es ist diese gelebte Selbstwahrnehmung, die sich in der natürlichen Theologie ein theologisches Gewand zu geben versucht, was auch die unvergleichliche Intensität, mit der sie verteidigt wird, zu erklären vermag (II/1, 151). In der von ihr besonders gepflegten Harmlosigkeit bemächtigt sich die natürliche Theologie der Offenbarung, indem sie zu einer Bereicherung der eigenen Möglichkeiten verdreht wird, die der Mensch in Bewährung seiner eigenen Meisterschaft zu wählen bereitgemacht werden soll (II/1, 154). Barth spricht von einer „Domestizierung der Offenbarung“ (II/1, 155), die er auch eine „Verbürgerlichung des Evangeliums“ nennt (II/1, 157). Schlimmer als die Gefahr, das Evangelium abzuweisen, ist die, es in den eigenen Besitz zu nehmen, um es dort für die eigenen Bedürfnisse dienlich zu machen.78 In der natürlichen Theologie schlägt die Natur des Menschen durch, d. h. seine Selbstherrlichkeit Gott gegenüber, die er von sich aus nicht abzulegen vermag.79 „Die Vitalität der natürlichen Theologie ist die Vitalität des Menschen als solchen.“ (II/1, 185) Sie setzt auf die der natürlichen Vernunft zugängliche Gotteserkenntnis (IV/3, 131). Deshalb irrt, wer meint, Barth sei der Ansicht gewesen, dass sich die natürliche Theologie überwinden lasse. Das wäre eine Wiederholung des immer noch zu vernehmenden Irrtums, Barth habe sich mit seiner Religionskritik in einer grundsätzlichen Opposition zur Religion positioniert.80 Die Stoßrichtung verläuft jedoch genau anders herum:
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ist. Diese gelebte Theologie braucht als solche bloß expliziert zu werden und alle natürliche Theologie steht in ihrem Grundgedanken bereits in Kraft“ (II/1, 150). Vgl. Jenson, Karl Barth, 31. Zu Barths Kritik der Verbürgerlichung der Theologie vgl. Schellong, Bürgertum und christliche Religion. Hier zeigt sich der systematisch grundsätzliche Charakter von Barths Abweisung der natürlichen Theologie, der nicht mit dem Hinweis auf die zugespitzte Krisensituation im Kirchenkampf als „ein nahezu klassisches Beispiel einer Problemreduktion“ (Sauter, Theologisch miteinander streiten, 279) relativiert werden sollte. Gewiss hatte diese Auseinandersetzung um die natürliche Theologie eine konfessorische Bedeutung in der konkreten Situation, der auch manche Zuspitzung geschuldet sein mag, aber das nimmt ihr nicht ihre grundlegende Bedeutung, wie sie insbesondere in II/1 – also deutlich später als die akute Auseinandersetzung mit Brunner – entfaltet wird; vgl. auch Gorringe, Karl Barth, 131 f. Vgl. dazu in diesem Band Kap. 11 u. Kap. 12.
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Jede Theologie hat sich bewusst zu machen, dass sie als menschliche Anstrengung „natürliche Theologie“ ist81, ebenso wie sie auch dem Horizont der Religion und ihrer Ambivalenz nicht entkommen kann (I/2, 306ff).82 Deshalb gibt es allen Grund, dass die Theologie zuerst und anhaltend gegen sich selbst kritisch bleibt, weil sie niemals in sich selbst bereits gerechtfertigt ist, sondern der Rechtfertigung immer bedürftig bleibt.83 Der entscheidende Aspekt, welcher der eigenen Gottesbereitschaft im christlichen Cartesianismus seinem Wesen nach abgeht – und deshalb sind auch deren Konsequenzen (milde gesprochen) teils so halbherzig entschieden, teils so rührend belanglos oder eben gutwillig hilflos – ist die Gewissheit, zu der die selbstgemachte Gottesbereitschaft mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln niemals durchfinden kann. Ohne diese Gewissheit aber – und da steht Barth ganz in der Tradition der reformatorischen Theologie – bleibt der Mensch unweigerlich auf sich selbst und die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten angewiesen. Aus eigener Kraft kommt er niemals über sich selbst hinaus. Das ist auch der Grund, weshalb es mit der natürlichen Theologie eigentlich nichts zu verhandeln gibt. Sie ist ganz und gar durch sich selbst negiert, so dass sie keiner weiteren Negation bedarf, die ja doch nur verraten würde, ihr noch irgendwie verhaftet zu sein (II/1, 185). Sie hat nur so lange Kraft, solange der fragile Boden, auf dem sie sich bewegt, grundsätzlich für tragfähig angesehen wird. Jede feierliche Bekämpfung der natürlichen Theologie, die sich früher oder später immer auch als aussichtslos herausstellen wird, lässt ihr die Ehre zuwachsen, dass es irgendwie interessant sein könnte, sich mit ihr auseinanderzusetzen, eben so interessant wie sich ihre Protagonisten stets zu präsentieren verstehen (II/1, 186 f). „Die Illusion, daß wir uns selbst desillusionieren könnten, ist die größte von allen Illusionen. Und eine Theologie, die dem Menschen die natürliche Theologie als solche ausreden und verbieten zu können meint, ist bestimmt selber noch natürliche Theologie.“ (II/1, 190)
In ihr steckt wie in dem Trojanischen Pferd die Gefahr der feindlichen Übernahme, wie sie Barth sich zu Beginn der 1930er Jahre als ein weiteres 81 Vgl. Jenson, Karl Barth, 38. 82 Den Zusammenhang von Barths Religionskritik mit seiner Abweisung der natürlichen Theologie betont auch Gorringe, Karl Barth, 140 f. 83 Auch Dieter Schellong hebt die Unausweichlichkeit der natürlichen Theologie bei Barth hervor. „Nur : Sie muß als Unrecht erkannt werden, als etwas, das die Kirche, die sich an Gottes Offenbarung orientieren will, nicht noch ausdrücklich pflegen darf. Daran, daß die Menschen auch in der Kirche den Willen Gottes mit ihren eignen Wünschen vertauschen und vermengen, wird es faktisch nicht mangeln; aber dies noch zu einer Tugend, zu einer positiven Aufgabe zu erklären, das darf in der Kirche nicht geschehen. […] Letztlich und entscheidend aber hilft gegen die falsche, gegen die getrübte und gespaltene, gegen die von uns domestizierte Gotteserkenntnis nicht die Lehre der Theologie, sondern nur Gott selbst.“ (Schellong, Barth lesen, 39)
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Glied in einer bereits längeren Kette ereignen und zur eigentlichen Orthodoxie insbesondere der Kirchenleitungen werden sah, der gegenüber das nur gelegentlich zu vernehmende Beharren auf der an der Offenbarung orientierten Sachlichkeit der Theologie sich „als schwärmerische Einseitigkeit und Übertreibung verdächtigen lassen mußte“ (II/1, 195). Und so bezeichnet Barth angesichts der nicht nur hingenommenen, sondern auch engagiert betriebenen Konstanz der Domestizierung der Offenbarung in jeweils opportun erscheinende Zwangskoalitionen den allen Erwartungen entgegen von der Barmer Bekenntnissynode im Mai 1934 verabschiedeten ersten Satz der Barmer Theologischen Erklärung als ein Wunder, eben „das Wunder, das wider alles Erwarten wieder einmal an der Kirche geschehen war“ (II/1, 198), um sie als Kirche am Leben zu erhalten. Im einfachen Rückschluss kann die Bescheidenheit dessen ermessen werden, was Barth tatsächlich hinsichtlich einer Neuorientierung der Theologie erwartet.
2.4.2 Von der Demut der Theologie Barth stellt der natürlichen Theologie keinen einfach einzunehmenden Standpunkt gegenüber. Wird ernst genommen, dass der Theologie gemäß der skizzierten trinitarischen Hermeneutik ihr Erkenntnisgegenstand, ihr Erkenntnisgrund und auch ihre Erkenntnis nicht einfach zur Verfügung stehen, so wird sofort deutlich, dass Barth die Theologie ständig an ihre Grenzen stoßen sieht. Die Trias, mit der die Aufgabe der Theologie als die kritische Rechenschaft der Kirche über den Inhalt ihrer Verkündigung befasst ist, lautet: Das Wort Gottes, das Dogma und die Dogmatik (I/1, § 7). Sie ist in ihrer Ausrichtung auf das je gegenwärtige Reden der Kirche, insbesondere in ihrer Verkündigung, ihrem Wesen nach schriftbezogen, wobei die Schrift kanonisch gelesen wird. Aus dieser Platzanweisung folgt für Barth nicht nur, dass die Theologie ihre Grenzen im Blick haben müsse, sondern dass sie diese auch ausdrücklich zur Sprache zu bringen habe. George Hunsinger hat in seinem Buch „How to read Karl Barth“, das nun endlich auch in deutscher Sprache erschienen ist,84 auf die konzeptionelle Bedeutung der verschiedenen Grenzen und Selbstdisziplinierungen der Theologie Barths aufmerksam gemacht.85 Die Grenze ist ausdrücklich kein Deus absconditus und somit der Respekt vor dem immer noch in Rechnung zu stellenden Unbekannten, sondern sie liegt in der „bekleideten Gegenständlichkeit“ der Offenbarung, die es uns ermöglicht, die Nichtdefinierbarkeit Gotte zu definieren und somit die Undenkbarkeit Gottes zu denken, wie es in der Trinitätslehre geschieht.86 Indem sie möglicherweise aus bester Absicht mehr sagt, als ihr zu sagen ermöglicht ist, beteiligt sie sich 84 Hunsinger, Barth lesen. Eine Einführung in sein theologisches Denken. 85 Vgl. dazu meine Rezension in: ZDT 14, 1998, 89 – 96. 86 Vgl. dazu auch Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 204 – 210.
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unversehens an der Errichtung eines goldenen Kalbes, das ja ebenfalls „nicht einem fremden Gott, sondern den Gott, der Israel aus Ägypten geführt, darstellen“ sollte (I/1, 265). An der Seite der Baumeister des goldenen Kalbes sieht Barth die „mit dem Pietismus und der Aufklärung an die Führung gekommene Theologie“, die auch – gewiss in bester Absicht – nichts anderes im Sinne hatte als die Fortschreibung der ihr auferlegten kritischen Funktion (I/1, 265). Lässt sich die Theologie das Maß ihres Wissens und Redens tatsächlich vom biblischen Zeugnis geben, dann wird sie nicht aus den Augen verlieren können, dass ihre Aufgabe im Grunde mehr in der Wachsamkeit gegenüber der Behinderung des Wortes Gottes als in der Operationalisierung seiner Beförderung liege. Barth sieht darin die zeichenhafte Bedeutung des Protestantismus, dass er auf die der Kirche gegenüber aufgerichtete Instanz des biblischen Zeugnisses hinweist (I/1, 279 f).87 Wo er dies nicht tut, verliert er seine Existenzberechtigung und erübrigt jedes Engagement zu seiner Verteidigung. Selbst und gerade wenn die Theologie – wie immer nur zu hoffen bleibt – mit dem biblischen Zeugnis übereinstimmt, wird sie nicht den Anspruch erheben können und wollen, die Wahrheit selber zu sein. Die Notwendigkeit der Theologie liegt ausdrücklich nicht in der Theoriebedürftigkeit der Kirche, sondern sie wird von der Frage nach der Treue der Kirche zu ihrem Auftrag auf den Plan gerufen. Sie systematisiert nicht die Wahrheit, sondern überwacht und pflegt die Beziehung zur Wahrheit. Barth verweist auf das biblische Verständnis von Wahrheit, indem er an das hebräische und das griechische Aquivalent „emet“ und „alätheia“ erinnert, die beide keine zu verstehende Theorie oder eine andere vom Menschen handhabbare Größe annoncieren, sondern auf ein verlässliches, in der Treue Gottes begründetes Geschehen zielen (II/1, 233 f). Wenn Barth den „wesentlich gymnastischen Charakter“ (I/1, 80) und die beratende Funktion (I/1, 89) der Theologie hervorhebt, dann liegt ihm an dem ihr wesentlichen Begleitcharakter zu der ihr prinzipiell immer vorausgehenden und dann eben als solche zu thematisierenden lebendigen Beziehung. Deshalb kann es grundsätzlich in der Theologie nicht mit der schlichten Wiederholung bereits formulierter theologischer Ansichten sein Bewenden haben. Der Ton liegt darauf, dass die Theologie aktiv an dem Beziehungsgeschehen von Anrede und Antwort teilzunehmen hat – das meint credo ut intelligam – und sich das eigene Antworten nicht durch die Zitation einer bereits gegeben Antwort ersparen darf, weil das den Eindruck wecken könnte, dass wir die Antwort schon hätten. Die Wiederholung kann in der Theologie die Weigerung bedeuten, den zu gehenden Weg weiter zu gehen, ja den Versuch, Gott mit den bereits gewonnenen Einsichten meistern zu wollen (II/1, 241). Weil eine Antwort, die man hat, nur eine Häresie sein kann, bedarf es 87 Hier ist vermutlich auch seine entscheidende Schwäche den anderen Konfessionen gegenüber zu vermuten, deren Substanz zu einem nicht unwesentlichen Anteil aus den Quellen natürlicher Religion gespeist wird.
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andauernder theologischer Arbeit, die Beziehung zur Wahrheit vor der Erstarrung in kirchlicher Selbstverschlossenheit zu bewahren. Es gibt grundsätzlich keinen theologischen Satz, der nicht zur Hybris werden könnte.88 So deutlich bei Barth insbesondere in den Prolegomena die kritische und als solche eben die selbstkritische Dimension der Theologie im Vordergrund steht, so nachdrücklich hebt er zugleich ihre materiale Bedeutung hervor. Die Mahnung zum rechten Hören bliebe gleichsam auf halbem Wege stecken, wenn sie nicht stets verbunden wäre mit der Aufforderung zu einem nach bestem Vermögen orientierten Reden. Es besteht also nicht nur die Gefahr, dass beim Hören nicht die notwenige Sorgfalt herrscht, sondern ebenso die Gefahr, dass die Kirche es beim bloßen Hören belassen könnte (I/2, 946). So wie eine nur rezipierende Kirche keine rechte Kirche wäre, so wäre auch eine nur warnende, eine nur Einspruch erhebende Theologie keine Theologie. Die Reklamation der biblischen Norm wird erst dadurch tatsächlich ins Recht gesetzt, dass auch ihr Inhalt expliziert wird, die Theologie also lehrende Theologie wird, um die Kirche darin zu unterstützen, dass die Kirche in dem, was sie sagt, auch tatsächlich etwas zu sagen hat. Der theologische Hinweis auf die Schranke unseres menschlichen Tuns muss immer auch der Hinweis darauf sein, dass eben diese Schranke zugleich das Tor für unser Tun und Reden ist – die Bindung an den besonderen unverfügbaren Gegenstand zugleich die von diesem Gegenstand eröffnete Freiheit bedeutet (I/2, 957). Wollte sich die Theologie nicht auch im Blick auf diese Freiheit als hilfreich erweisen, so verkümmerte sie zu einem Gesetz, das gewiss auch bald seine Bedeutung einbüßen würde. Wenn Barth der Theologie besonders die Demut ans Herz legt (II/1, 228, 240), dann soll der theologischen Existenz fest ins Bewusstsein geschrieben werden, dass sie ihren Anfang, ihr Zentrum und ihr Ziel nicht in sich selbst hat. Barths Betonung der Anerkennung meint allerdings entschieden keine reine Passivität. Vielmehr bestimmt er Anerkennung näher durch ,persönliche Erkenntnis‘, „Gutheißen“, „Entscheidung“, „Bewegung“ und wohlgemerkt auch durch „Selbstbestimmung“ (I/1, 214 – 217; vgl. auch I/1, 209).89 Damit geht Barth in spezifischer Weise auf das Neuzeitthema der menschlichen Selbstbestimmung ein, indem er die Freiheit des Menschen nicht formal, sondern inhaltlich versteht.90 Die für die Theologie annoncierte Demut zielt also nicht nur auf Selbstzurücknahme. Sie bezeichnet den charakteristischen Modus einer durchaus orientierten und entschlossenen Selbstwahrnehmung. Als Gegensatz zur Demut verweist Barth vor allem auf die Resignation. Die 88 Barth hat das Thema später in IV/3 im Blick auf die Lüge als „die spezifisch christliche Gestalt der Sünde“ (500), durch welche sich der Mensch die Wahrheit Gottes sich selbst anpasst (Nostrifikation), weiter konkretisiert. 89 Barth betont hier auch die Erfahrung und anerkennt die Rede vom ,religiösen Bewußtsein‘ – auch wenn gegen die Benutzung des Intellekts nichts einzuwenden sei (I/1, 218). 90 Vgl. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 92 f; Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 58 ff.
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Resignation verschließt sich der Möglichkeit, etwas gesagt zu bekommen. In der Resignation verbirgt sich insofern der Hochmut des Menschen, als sie ihn in der Meinung bestätigt, in sich selbst alle Hoffnung und allen Trost finden zu müssen und dann eben auch zu können. Die Demut fügt sich dagegen dem circulus veritatis dei (II/1, 276 f), der ja nicht einfach auf ein Abstraktum abstellt, sondern auf den trinitarisch beschriebenen Erkenntnisweg verweist, der schon in seiner formalen Beschreibung zu erkennen gibt, was sich alles auf ihm entdecken und dann auch bedenken lässt. Die Berufung auf die Zuwendung Gottes kommt keinem Ankerwerfen gleich, sondern kann nur Ausfahrt bedeuten (II/1, 285). Und es entspricht der gleichen Metaphorik, dass unterwegs alle vorgenommenen Verortungen immer nur für den heutigen Tag gelten können – morgen muss wieder ganz neu hingesehen, hingehört und auch gesprochen werden (II/1, 304). Die Systematik der Theologie muss als systematisch begrenzt gelten (II/1, 282). Die Theologie muss theologisch vor sich selbst gewarnt sein (I/1 171), um nicht zu theologischem Gerede zu werden. Eine Theologie allerdings, die nicht um ihre Gefährdung weiß, wäre wie ein Uhrwerk ohne Pendel (I/1, 169). Methodisch wird der Theologie die Abstinenz auferlegt, sich auf keine die Theologie organisierende Grundannahmen festzulegen, weder auf die Christologie (I/2, 974) noch auf irgendein Bekenntnis (I/2, 967), nicht einmal auf die Ehre Gottes (I/2, 976). Den einzigen Beweis, um den es in ihr gehen kann, ist der Selbsterweis Gottes (I/1, 169) – in diesem Zusammenhang macht Barth durchaus betont vom Begriff des Beweises bzw. Selbstbeweises Gebrauch (vgl. II/1, 49ff).91 Folgt sie diesem Selbstbeweis, dann wird sie von dem Gott zu reden haben, der sich in den drei Seinsweisen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes als der eine Gott offenbart hat, d. h. sie wird – um es jetzt verkürzt zu sagen – Schöpfungslehre, Versöhnungslehre, Erlösungslehre und Gotteslehre zu bedenken haben, und zwar so, dass unter jedem Aspekt die anderen Aspekte nicht aus dem Blick geraten (I/2, 975 – 981). Die vier Loci ergeben sich aus der Offenbarung des dreieinigen und einen Gottes, und die Theologie ist nicht dazu aufgefordert, diese durch eine eigene Zentralschau zu organisieren (I/2, 981). Die Theologie bleibt eine ermöglichte Unmöglichkeit, die allein dadurch ermöglicht wird, dass sie sich dem im Grunde unbegreiflichen Sachverhalt stellt, dass sich Gott selbst zum Gegenstand seiner Selbsterkenntnis gemacht hat (II/1, 15). Der Ton liegt auf der Aufgabe, sich dafür immer wieder neu offen zu halten: „nur darin besteht die dogmatische Methode“ (I/2, 970).92 Anders als auf dem trinitarischen Erkenntnisweg kann sich die Theologie keiner so91 „Nach dem Selbstzeugnis seiner Offenbarung hat Gott die Freiheit, seine Existenz innerhalb der von ihm verschiedenen Wirklichkeit selbst zu beweisen.“ (II/1, 342) Vgl. dazu Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 40 ff. 92 Geradezu katechismusartig kann es heißen: „Dogmatische Methode besteht also schließlich schlicht darin, daß Gottes Werk und Handeln in seinem Wort über Alles (wirklich über Alles!) geehrt, gefürchtet und geliebt werde“ (I/2, 970).
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liden Einsicht vergewissern. Das ist die Erklärung des Anspruchs, dass sich Gotteserkenntnis nur in concreto ermöglicht oder eben ganz ausbleibt, auch wenn noch so viel von Gott geredet werden mag.
3. „Die neue Welt in der Bibel“ Grundentscheidungen in Karl Barths Verständnis von der Schrift1 3.1 Die Wiederentdeckung der Bibel Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war für Karl Barth ein radikaler Einschnitt, der ihm das unmaskierte Gefälle des so gern annoncierten Fortschritts des 19. Jahrhunderts in seinem destruktiven Charakter deutlich zu Bewusstsein brachte.2 „Nun ist die Abrechnung da, und sie lautet nicht gut.“3 Das, was als Fortschritt hochgehalten wurde, war vor allem eine vernebelnde Präsentation der sich mehr und mehr verselbständigenden, quantitativ orientierten wirtschaftlichen Expansion, die konsequent die Augen vor der wesensmäßig dieses Wachstum begleitenden und seinerseits fortschreitenden Destruktionskraft verschloss. Der Ausbruch des Krieges zeigte für Barth nun unausweichlich an, dass diese bisher mit den Importen exportierte Zerstörung umschlägt in Selbstzerstörung, die der Krieg nun wieder exportieren soll, was ihm aber nicht mehr gelingt, ohne das Zerstörerische auch im eigenen Lager sichtbar werden zu lassen. So wie der Krieg den ideologischen Charakter des Fortschrittspathos zutage förderte, so entlarvte er auch den kollaborativen Charakter der Religion, die dieses Fortschrittsbewusstsein mit ihrem Segen garnierte, indem sie Gott immer mehr im Gleichschritt mit dem Menschen wähnte. Der nun mit den Soldaten in den Krieg marschierende Gott wurde für Barth jedoch ein Hinweis auf das Abhandengekommensein Gottes. Nun „ist uns Gott ein Fremder geworden. Das ist der Zustand. Wir haben uns so verhalten, daß er nicht bei uns bleiben konnte. […] Und Gott ließ uns gehen.“ Und Barth korrigiert sich gleich, um deutlich zu machen, dass nicht etwa wir fortschreiten, sondern Gott es ist, der weiter geht: „Nein, er ließ uns stehen, da wo wir uns hingestellt, und 1 Gekürzte und überarbeitete Fassung von zwei mit einander verbundenen Vorträgen, die ich im Rahmen eines Pastoralkollegs der EKvW am 19. und 21. Oktober 1993 in Iserlohn gehalten habe; zuerst in: Astrid Greve / Folker Albrecht (Hg.), „…, dann werden wir sein wie die Träumenden“, FS f. Ingo Baldermann z. 65. Geb., Siegen: Verlag der Gesellschaft für christlichjüdische Zusammenarbeit 1994, 425 – 453. – Zur Thematik vgl. besonders die beiden umfassenderen Studien von Bchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik (1987) und Schlichting, Biblische Denkform in der Dogmatik (1971) – und heute auch: Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes und die Beiträge in dem Sammelband Hunsinger (Hg.), Thy Word is Truth. 2 Vgl. dazu Schellong, Theologie nach 1914. 3 Barth, Predigt am 23. August 1914, in: Ders., Predigten 1914, 439.
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ging weiter, ohne uns, und wurde uns ein Fremder“4. Der menschliche Fortschritt zeigt sich bei genauerem Hinsehen als Stagnation, als höchst gefährlicher und im Grunde selbstzerstörerischer Stillstand, während Gott fortschreitet, aber eben nicht mit uns – wie es auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten zu lesen war –, sondern „ohne uns, und wurde uns ein Fremder“. Mensch und Gott lassen sich nicht einfach in einem Atemzug nennen; ihre Zusammengehörigkeit ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Gott als Stabilisator eines Menschen, dessen besinnungslose Destruktionsbereitschaft nun allgemein zum Vorschein kam, wurde Barth zu einem Widerspruch in sich selbst.5 Ist aber Gott nicht einfach bei den Menschen und in der von ihnen inszenierten Geschichte zu finden, so stellt sich die Frage, wo er sich finden lassen will, wenn anders es sinnlos würde, überhaupt noch von Gott zu sprechen. Von unseren begrifflichen Anstrengungen, die Gott als höchstes Wesen, als den Grund des Seins, als den Garanten des höchsten Gutes oder den absoluten Geist bzw. den tiefsten Grund des sittlichen Erlebens entwerfen, ist nichts zu erwarten. All diese Bestimmungen, mit denen wir gleichsam den Referenzrahmen Gottes festlegen wollen, sind ihrem Wesen nach nicht mehr und nicht weniger als perspektivische und optionale Abstraktionen des Menschen, der sich mit sich selbst, mit seinen Grenzen und seinen Wünschen auseinandersetzt. Der begriffliche Gott bleibt notwendig in eben dem Bedingungshorizont gefangen, in dem der Mensch in seiner gefährlich-naiven Fixierung auf das Konkurrenzprinzip seinen ersten und dann die weiteren Weltkriege vorbereitet. Der begriffliche Gott bleibt – so absolut und unantastbar er damals oder so partizipatorisch und kritisch er heute auch vorgestellt werden mag – ein Gott des sich selbst ausmessenden Menschen. Gerade seine Idealität enthebt ihn nicht vor seiner Partikularität, gerade seine Allgemeinheit befreit ihn nicht aus seiner Begrenztheit, gerade seine begrifflich ausgefächerte Freiheit erspart ihm nicht die Fixierung. Er ist gewiss von dieser Welt, so weltüberlegen und kontrafaktisch er auch vorgestellt werden mag. Wenn Barth 1914 von der Fremdheit Gottes und später von Gott als dem ganz Anderen spricht, dann liegt ihm an der ,Befreiung‘ Gottes aus all den Vermischungen, in die wir ihn mit unseren Wünschen und Projektionen gebracht haben. Barth ruft den über Gott so oder so zur Ruhe gekommenen Menschen in die Beunruhigung zurück, die davon ausgehen müsste, wenn es tatsächlich noch Grund gäbe, von Gott, aber nicht unserem synthetischen Gott, sondern von dem lebendigen Gott des Evangeliums zu reden. Das scheint mir der Hintergrund zu sein, auf dem Barths Wiederentdeckung der Bibel für die Theologie zu verstehen ist. Offenkundig war Barth der Meinung, dass in der Bibel in einer unseren begrifflichen Möglichkeiten überlegenen Weise von Gott gesprochen wird. Die Wiederentdeckung der 4 Predigt am 13. Dezember 1914, in: Barth, Predigten 1914, 616. 5 Vgl. dazu u. Kap. 14.1.1.
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Bibel als kritischer Instanz gegenüber der zeitgenössischen Theologie konnte nur von tatsächlicher Relevanz sein, wenn in der Bibel nicht nur die Frömmigkeitsbezeugungen ihrer Autorinnen und Autoren vernommen werden, sondern darüber hinaus auch die Wirklichkeit der Selbstbezeugung Gottes. Der Spiegel der Frömmigkeit ihrer Verfasser konfrontiert uns früher oder später zwangsläufig mit dem oben angedeuteten Konflikt mit der Religionskritik. Nur wenn der Schritt zu etwas anderem als den Frömmigkeitsneigungen und Frömmigkeitserfahrungen der Zeugen möglich ist, ist den Vorwürfen Feuerbachs zu entkommen. Nur wenn das Zeugnis der Zeugen auch tatsächlich überragt wird von dem dort Bezeugten verdient die Bibel eine besondere Aufmerksamkeit. Wollen wir die entscheidende Pointe von Barths Perspektivenwechsel verstehen, so müssen wir uns klarmachen: Es ging Barth bei der Wiederentdeckung der Bibel nicht um eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Christentums und deren Reinerhaltung, sondern es ging Barth um die Rückgewinnung eines Redens von Gott, das nicht von den Möglichkeiten unseres Spekulationsvermögens oder der Tiefe unseres Frömmigkeitsempfindens begrenzt ist, sondern das in den Grenzen unserer menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Gott selber angestoßen und begrenzt wird. Ohne die Wahrnehmung dieser qualitativen Differenz verlieren wir den sachlichen Nerv sowohl von Barths Widerspruch gegen die Kriegstheologie als auch der Wiederentdeckung der Bibel für die Theologie aus den Augen.
3.2 Die alte Welt und die neue Welt Von der alten Welt ist bereits die Rede gewesen. Es ist die Welt des Krieges, die nach seinen Befürwortern zusammen mit den Zeiten des Nicht-Krieges von der vom Menschen inszenierten Geschichte gehalten wird, es ist die Welt der Moral und der Sittlichkeit, die nach ihren Befürwortern entweder mit einer Ethik oder mit einem stets interpretationsbedürftigen Recht erhalten wird, und es ist die Welt der Frömmigkeit, in der von ihren Befürwortern die Seele auf eine mehr oder weniger abgründige Reise geschickt wird. Diese alte Welt ist gewiss auch in der Bibel zu finden, und sie wird solange die einzige Welt sein, solange wir eben nur diese Welt in ihr suchen. „Wir werden in ihr immer gerade so viel finden, als wir suchen“.6 Hier gilt das bekannte Sprichwort: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Wenn wir bereits alles mitbringen, was wir von der Bibel erwarten, dann schallt es heraus, was wir hineinrufen, – dann legen wir aus, was wir einlegen, – dann hören wir stets nur das Echo, von dem es nicht verwunderlich ist, dass es schwächer und undifferenzierter klingt, als was es von uns aus zu sagen gab. Um im Bild zu bleiben: Solange wir von draußen in 6 Barth, Die neue Welt in der Bibel [1917], 323.
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die Bibel hineinfragen als riefen wir in einen undurchdringlich dunklen Wald hinein, solange werden wir mit einem naturgemäß schwächeren Echo unserer selbst zufrieden sein müssen. Wir werden dann unversehens von der Aporie eingeholt, ausgerechnet von diesem Buch behaupten und herbeireden zu müssen, dass es so überaus inspirierend und heilsam, ja für unser Leben orientierend und erhellend sei. Es bleibt aber bei dem Faszinosum des Echos, das schlicht darin besteht, dass überhaupt wieder etwas herauskommt, so dass wir uns immer wieder an den Waldrand stellen, um zu zeigen oder auch nur uns selbst erneut zu versichern, dass es funktioniert; und – in der Tat – es kommt ein Echo, merkwürdig genug, gibt es doch lichtere Wälder, von denen wir auch nicht den geringsten Ton zurück erhalten. Das Faszinosum des Echos besteht zudem darin, dass es immer ,up to date‘ ist, wenn auch nicht immer ganz deutlich, aber beim zweiten Versuch gelingt es dann meistens, dass wir uns in unserer aktuellen Situation wiedererkennen, zumal wir all das, was nicht so recht zu hören war, ja unschwer ergänzen können, weil wir ja wissen, was uns das Echo zu sagen hat. Und so gibt die Bibel tatsächlich Antwort auf alle Fragen, nichts ist ihr fremd und zuverlässig bestätigt sie unsere Erwartungen, je nach Luftfeuchtigkeit, mal klarer und mal ein wenig verschwommener. Und so rufen wir all das hinein, was uns – wenigstens im Augenblick – wichtig, anregend und hilfreich zu sein scheint und sind zufrieden, dass uns dann gesagt wird, dass eben genau dies und eben genau heute wichtig, anregend und hilfreich sei. Allerdings jenseits der innerkirchlichen religiösen Begeisterung insbesondere ihrer Berufsverkündiger hat die Bibel jeden Kredit verloren. Vielleicht kommt das auch daher, dass es im sogenannten gesunden Menschenverstand noch einen unbewussten Sinn für den betrügerischen Charakter dieses Spiels mit dem Echo gibt, denn jeder weiß doch, dass es nicht der dunkle Wald ist, der da plötzlich zu sprechen beginnt, sondern dass wir es sind, die den Wald gleichsam dazu verführen, uns das zu sagen, was wir gerne hören wollen. Nach einer Weile verliert dieses Spiel seinen Reiz, denn es wird uns bewusst, dass alles an uns hängt. Längst erwarten wir von Bibel nichts Substanzielles mehr, und es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sie im kirchlichen Leben nur noch eine mehr äußerliche als tatsächlich sachliche Rolle spielt. Dieser veräußerlichte Gebrauch der Bibel in der Kirche kann einen penetranten Charakter annehmen, und es ist durchaus plausibel, wenn das Image der Bibel bei vielen Menschen – besonders bei Schülerinnen und Schülern – so negativ und abstoßend ist: Von der Bibel ist nichts zu erwarten, sie ist eher langweilig und gewiss recht dunkel, eine Angelegenheit für eher laute Menschen, die aus allem etwas herausholen, die auf ihren Spaziergängen durch all das, was sie als wichtig ausgeben, um sich herum lamentieren und dann davon erzählen, wie gesprächig doch die Vielfalt der Natur sei, besonders da, wo man es gar nicht vermute, und selbst der dunkelste Wald könne zu sprechen beginnen.7 7 Auf diesem Hintergrund ist es für mich durchaus verständlich, dass – wenn überhaupt noch
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Im Sinne dieses selbstverschlossenen Umgangs mit der Bibel ist es der Vorwurf Barths an die Theologie, dass sie weithin damit beschäftigt sei, ihr eigenes Echo zu interpretieren. Die Theologie verbleibe in der alten Welt, von der aus gesehen die Bibel als ein mehr oder weniger finsterer Wald erscheine, von dem aus der Ferne kaum mehr als diese oder jene Vermutung bestätigt werden könne. Aber es sei die Bibel selbst, die sich gegen diese Planierung zur Wehr setzt, indem sie uns mit unseren Spiegeleien schließlich doch nicht in Ruhe lässt. Ich zitiere einen längeren Absatz, in dem Barth einen zentralen Aspekt des reformatorischen Schriftprinzips zu interpretieren versucht, nämlich den, dass nicht wir die Schrift auslegen, sondern diese sich selber auslege: „Denn die Bibel hat nicht nur das an sich, dass sie zunächst jedem das gibt, was er verdient, was ihm entspricht […] sondern auch das Andre, dass sie uns, wenn wir nur aufrichtig sind, gar keine Ruhe lässt, wenn wir mit unsern kurzsichtigen Augen und plumpen Fingern so eine Antwort aus ihr herausgeholt haben, wie sie uns entspricht. Wir merken dann bald: das ist etwas, aber das ist nicht alles […]. Das ist nun das, was dir vielleicht in der Tat sehr gut passt: zu deinen Gemütsbedürfnissen und Ansichten, in deine Zeit und in eure ,Kreise‘, zu euren religiösen und philosophischen Theorien! Sieh, nun hast du dich spiegeln wollen in mir und hast wirklich dein eigenes Bild in mir wiedergefunden! […] Es ist ein Geist in der Bibel, der lässt es wohl zu, dass wir uns eine Weile bei den Nebensachen aufhalten und damit spielen können, wie es unsere Art ist – dann aber fängt er an, zu drängen, und was wir auch einwenden mögen: wir seien ja nur schwache, unvollkommene, höchst durchschnittliche Menschen! er drängt uns auf die Hauptsache hin, ob wir wollen oder nicht. Es ist ein Strom in der Bibel, der trägt uns, wenn wir uns ihm nur einmal anvertraut haben, von selber dem Meere zu. Die heilige Schrift legt sich selber aus, aller unserer menschlichen Beschränktheit zum Trotz. Wir müssen es nur wagen, diesem Trieb, diesem Geist, diesem Strom, der in der Bibel selbst ist, zu folgen, über uns selbst hinauszuwachsen und nach der höchsten Antwort zu greifen.“8
Unserer alten Welt stellt Barth die Entdeckung der ,neuen Welt‘ in der Bibel gegenüber, die sich jedoch erst aufschließen kann, wenn wir nicht in einem distanzierten Gegenüber zur Bibel verharren, sondern wenn wir in sie hineingehen und uns in ihr umsehen und vor allem umhören. Barth nennt eine Erwartung, die mitzubringen sei. Diese Erwartung trägt er in unterschiedlicher Weise vor. Die allgemeinste, aber als solche gewichtige Fassung ist die, dass die Bibel mit der Erwartung zu betreten sei, sie „sei ein gutes Buch und es etwas im Umfeld von Theologie und Kirche interessiert – es vor allem Personen sind, die zu begeistern verstehen und mit denen man sich u. U. identifiziert, wohl weil sie in besonderer und ungewohnter Weise den Wald zum Sprechen zu bringen vermögen. Offenkundig wird recht zuverlässig gespürt, dass da weniger die Bibel spricht oder ausgelegt wird, sondern Eugen Drewermann oder eben jemand anders. Es ist dann schlicht ein Akt der Redlichkeit, wenn am Ende eben auch die mehr oder weniger originelle Person des Interpretationskünstlers in das Zentrum des Interesses rückt und nicht etwa die Bibel. 8 Barth, Die neue Welt in der Bibel, 324 f.
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lohne sich, wenn man ihre Gedanken mindestens ebenso ernst nimmt, wie seine eigenen“.9 Das klingt sehr unspezifisch, und in der Tat setzt diese Erwartung darauf, dass dann die Bibel selbst erweisen werde, inwiefern sie ein gutes Buch sei.10 Es reicht nicht aus, durch die Bibel zu gehen, wie durch eine ägyptische Pyramide, in die man auch erst hineingehen musste, um den eigentlichen Sinn des Bauwerks zu entdecken. Die Neuheit des Inhalts der Pyramide bleibt prinzipiell die Neuheit all des Alten, das in ihr zu sehen ist. Die neue Welt der Bibel meint aber keine versunkene Herrlichkeit der Vergangenheit, sondern es geht in ihr um die gegenwärtige Wirklichkeit, die nicht einfach in der Vorfindlichkeit unserer alten Welt aufgeht. Es ist eine Erwartung, die etwas zu tun hat mit der Erkenntnis der Not unserer alten Welt, eben der Not, von der sich Barth zu Beginn des Ersten Weltkrieges so unausweichlich getroffen fühlte. Es ist die Not, die sich einstellt, wenn die selbstverständliche Rede von Gott und seinem Tun an unserer Welt einmal im Halse stecken bleibt. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir von und mit Gott reden; es ist etwas, das wir als Menschen von uns aus gerade nicht können.11 Ein Gott, der mehr ist als das gefügige Echo unserer selbst, kann sich – wenn man es konsequent bedenkt – nur selbst bekannt machen, kann sich nur selbst zur Sprache bringen. Von ihm ist nur zu reden, wenn er selbst geredet hat. Dass aber Gott geredet hat, das ist die Erwartung, mit der die Bibel zu betreten ist. Barth ist sich durchaus bewusst, dass die damit ausgesprochene Erwartung im Grunde zu kühn ist, als dass man sie einfach zu einer Bedingung machen könnte, denn die mit ihr in den Blick genommene Antwort überschreitet prinzipiell unsere Möglichkeiten. Barth spricht von dieser Erwartung auch im Sinne einer „Bedrängnis“, die groß sein müsse, damit sich die Bibel recht vernehmen lasse.12 Und wenn wir dann von der „neuen Welt“ in der Bibel sprechen, müssen wir „uns offen eingestehen, dass wir mit dieser Antwort weit über uns selbst hinausgreifen. Aber das ist’s gerade: wenn wir überhaupt dem Inhalt der Bibel näher treten wollen, müssen wir es wagen, weit über uns selbst hinauszugreifen. Der Inhalt der Bibel selber lässt das nicht anders zu.“13 Solange wir nicht den Mut haben, uns von der Bibel etwas über Gott sagen zu lassen, was wir uns nicht selbst sagen können, solange bleiben wir in der Tradition von Theologie und Kirche, die – nach Barth – „seit Anbeginn der Welt mehr für das Einschlafen als für das Wachwerden der Gottesfrage getan“14 haben. Vielmehr
9 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 20. 10 Friedrich-Wilhelm Marquardt verweist auf die „Erfahrung, daß es sinnvoll ist, sich gymnastisch auf ihn [sc. den biblischen Kanon] einzulassen“ (Marquardt, Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie, 664). 11 Vgl. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie [1922]. 12 Vgl. Barth, Erklärung des Johannes Evangeliums [1925/1926], 398. 13 Barth, Die neue Welt in der Bibel, 324. 14 Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke [1920], 669.
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sollen wir uns – um mit Friedrich-Wilhelm Marquardt zu sprechen – „der Aggression des Objekts, der von ihm ausgehenden Revolution“15 stellen. Die Erwartung an die Bibel, von der hier die Rede ist, bringt Barth mit dem Glauben in Verbindung. Dabei hat er jedoch nicht gleich das ganze Gewicht der in den Glauben zu legenden Wahrheit im Blick, von dem sich manche bzw. mancher eher erdrückt als auferbaut fühlt, sondern es geht Barth zunächst schlicht um den Mut, sich ernsthaft und konsequent auf die die Bibel bewegende Gottesfrage einzulassen: „Wollen wir uns auf ,Gott‘ einlassen? Wagen wir es, dahin zu stehen, wohin wir da offenbar geführt werden? Das wäre also ,Glauben‘! Eine neue Welt ragt da in unsre gewöhnliche, alte Welt hinein.“16 Die neue Welt der Bibel – um nun gleich auf die inhaltliche Pointe zu kommen – steht unter dem revolutionären Anspruch Gottes: „Siehe, ich mache alles neu!“ Es ist der ,Ton vom Ostermorgen‘17, der uns die Radikalität des Neuen ahnen lässt, was sich uns im biblischen Zeugnis erschließen will. Damit stoßen wir nun auf das Thema, das in Barths Theologie stets das bewegende Grundmotiv geblieben ist18. Die Botschaft von der Auferstehung und damit der Gegenwart des Auferstandenen ist die Mitte von Barths Theologie, weil er sie für die Mitte des biblischen Zeugnisses hält (vgl. KD I/2, 538). Die neue Welt der Bibel ist die Welt des überwundenen Todes und des mit seiner Überwindung in Christus hineingebrochenen und sich durchsetzenden Gottesreiches. Die alte Welt des Todes und seiner Schrecken bekommt am Ostermorgen eine Grenze gesetzt. Das sind der Grund und die Perspektive der Hoffnung, die sich auf das Zeugnis der Bibel stützt. Die Auferstehung ist die schlechterdings neue Wirklichkeit, die – ernstgenommen – niemals das Echo der von uns wahrgenommenen Wirklichkeit sein kann. Es geht um diese „letzten Dinge, die im Christentum nun einmal die ersten sind“.19 Wenn wir von dieser inhaltlichen Perspektive nun wieder einen Schritt zurückgehen und auf die Erwartung zurückkommen, mit der wir der Bibel begegnen, so ist ganz ungespreizt und zugleich entschieden zu sagen, dass es bei der Lektüre um die Erwartung geht, etwas von Gott und seinem Handeln an uns zu erfahren. Ihr Zeugnis weist in mal deutlicherer und mal undeutlicherer Weise auf Offenbarung, so dass sich die an die Bibel heranzutragende Erwartung auch traditionell ausdrücken lässt: „daß dieser Text ein Offenbarungszeugnis sei“20. Schlichter und nicht weniger anspruchsvoll ließe sich formulieren, dass die Autoren der Bibel tatsächlich das meinen, was sie sagen, so dass wir nicht nur auf sie, sondern auch auf das Gesagte selbst aufmerksam werden. Eben dies ist gemeint, wenn Barth davon spricht, dass die Gedanken 15 16 17 18 19 20
Marquardt, Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie, 672. Barth, Die neue Welt in der Bibel, 328. Vgl. ebd., 322. Vgl. auch u. Kap. 5. Barth, Die Auferstehung der Toten [1924], 56. Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 181.
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der Bibel mindestens ebenso ernst zu nehmen seien, wie unsere eigenen.21 Dann wird es die Bibel selbst sein, die uns in ihre neue Welt einführt, nicht indem sie uns aus der alten Welt herausnimmt oder gar über diese stellt, sondern indem sie diese alte Welt in das Licht der Wirklichkeit Gottes stellt.
3.3 Die Gegenständlichkeit der Bibel Eine Zeit lang war es üblich, von der ,Sache‘ der Theologie, des Religionsunterrichts oder auch der Bibel zu reden. ,Sache‘ klingt in unseren Ohren heute recht abständig, neutral, objektivistisch, fast trostlos ernüchtert und unpersönlich. Hinter diesem merkwürdigen Wort verbirgt sich aber das berechtigte Anliegen, die Theologie, den Religionsunterricht und eben auch die Bibel von der Besonderheit ihres Inhalts aus in den Blick zu nehmen. Die Besonderheit der Bibel ist nicht das würdige Alter des Buches, nicht ihre Sprache oder gar ihr übermenschlicher Ursprung, durch den sie sich von anderen Büchern unterscheidet.22 Sie hat keine formale Autorität. Den Propheten und Aposteln, den Liederdichtern oder Redaktoren sind keine besonderen Fähigkeiten zuzuschreiben, durch die sie sich etwa von uns heute unterschieden. „Sie waren fehlbare und irrtumsfähige Menschen wie wir, Kinder ihrer Zeit, wie wir Kinder der unsrigen sind, ihr geistiger Horizont so beschränkt und in wichtiger Hinsicht viel beschränkter als der unsrige. Wem das Freude macht, der mag noch und noch einmal konstatieren, daß uns ihre Naturwissenschaft, ihr Weltbild und weithin auch ihre Moral nicht maßgeblich sein können. Sie haben auch Sagen und Legenden erzählt und von allerlei mythischen Stoffen wenigstens freien Gebrauch gemacht. Sie haben sich in manchen Angaben und auch in wichtigen Sätzen unter sich widersprochen. Sie waren mit wenigen Ausnahmen keine bemerkenswerten Theologen.“23
Es ist allein der besondere Inhalt, der die Bibel zu einem besonderen Buch macht: „Der sonderbare Inhalt dieser menschlichen Dokumente, die merkwürdige Sache, um die es den Schreibern dieser Quellen und denen, die hinter den Schreibern standen, gegangen ist, das biblische Objekt, das ist die Frage, die uns heute bedrückt und beschäftigt.“24 Neben „Inhalt“ und „Sache“ spricht Barth hier von dem „biblischen Objekt“. Das entspricht der Rede vom ,Gegenstand‘ der Bibel, die mir deshalb noch am adäquatesten vorkommt, weil das Wort ,Gegenstand‘ mehrere Verstehensweisen ermöglicht, – eben auch die Verstehensweise, dass es da in der Bibel etwas gebe, das uns entgegensteht, das 21 S.o. Anm. 9. 22 Zu dem hier angedeuteten Problem der unterschiedlichen Idealisierungen bzw. Genialisierungen der Bibel vgl. Miskotte, Das Problem der theologischen Exegese, 52 f. 23 Barth, Die Autorität und Bedeutung der Bibel, 6. 24 Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke, 674.
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widerständig bleibt gegenüber unseren Versuchen, die Bibel einfach einzureihen in die lange Reihe religiöser Selbstbekundungen vergangener Zeiten. Die Gegenständlichkeit der Bibel schließt ihre ,Gegenständigkeit‘ mit ein, mit der sie sich selbst zur Geltung bringt und die ihre bleibende inhaltliche Anstößigkeit ausmacht. Es gehört zum Wesen dieses Gegenstandes der Bibel, dass er nun gerade nicht zu einem stummen Objekt unserer Erkenntnis gemacht werden kann, so wie wir andere Gegenstände vollständig unserem Erkenntnisvermögen unterwerfen. Um diese Versuchung möglichst gering zu halten, sollte vielleicht besser anstatt von Erkenntnissen zunächst von Wahrnehmungen gesprochen werden. Der Begriff der Wahrnehmung fasst drei wichtige Aspekte eines ,gegenstandsgemäßen‘ Umgangs mit der Bibel zusammen. Einerseits betont er 1. den rezeptiven Aspekt und gibt 2. zu erkennen, dass die Erkenntnis stets nur partikular bleibt; und andererseits stellt der Begriff Wahrnehmung 3. eine Verbindung zur Wahrheit her, von der gesagt wird, dass sie zu empfangen, eben zu „nehmen“ ist. Aber niemals vermag das Wahrgenommene in dem Sinne die Wahrheit zu sein, so als sei es möglich, ihrer irgendwie habhaft zu werden. Es bedarf keiner komplizierten Erkenntnistheorie, sondern schlicht einer Wahrnehmungsbereitschaft, die sich auf das einlässt, was dasteht. Hier kommt noch ein zweiter Aspekt der Gegenständlichkeit der Bibel mit ins Spiel. Die Bibel verstellt der Theologie den Weg der Spekulation und Phantasterei. Zumindest ist sie eine Hemmung für freischwebende Postulate und situationsgeborenes Wunschdenken, indem sie ihre besonderen Geschichten erzählt, ihren Trost und ihre Anklagen ausspricht, ihre Belehrungen erteilt, ihre Gebete spricht, ihre Lieder anstimmt und ihre Klagen und Hoffnungen vernehmen lässt. Die Bibel ist zunächst eine Gegebenheit, so wie sie ist, und so oder so hat sich die Theologie mit eben dieser Gestalt auseinanderzusetzen. Zu dem Inhalt der Bibel als ihrem Gegenstand ist nur zu kommen, indem man sich zunächst die Bibel selbst zum Gegenstand macht, und zwar in der konkreten überlieferten Fassung mit all ihren Eigentümlichkeiten und Unwegbarkeiten. Die Bibel macht die Theologie zu einer konkreten und gegenstandsbezogenen Wissenschaft. Indem die Theologie an die Erforschung bereits gegebenen Materials gebunden ist, hatte Barth große Vorbehalte, die Theologie einfach den Geisteswissenschaften zuzuordnen. In Bezug auf die Gegenstandstreue scheute er im Gegenteil nicht den Vergleich mit den Naturwissenschaften, die sich auch, wenn sie zu rechten Erkenntnissen kommen wollen, der Fremdheit ihrer Gegenstände auszuliefern haben, bis sich diese ihnen aufschließen. Oder wenn Barth mehr den Dienstcharakter der Theologie herausstellen will, dann vergleicht er sie – vielleicht ein wenig allzu vertrauensselig – mit der juristischen Fakultät, deren Auslegungsarbeit auch ganz und gar an das gegebene Recht gebunden sei, das zu verstehen und zu bewahren ihr aufgegeben ist. Es geht um Vergegenwärtigungsarbeit, die von der Relevanz des zu Vergegenwärtigenden von vornherein überzeugt ist. So wie Barth von der Osterbotschaft als dem Gegenstand der Bibel sprechen
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kann,25 so muss um dieses Gegenstandes willen die uns überlieferte Bibel zum zentralen Gegenstand der Theologie werden.
3.4 Dogmatik als konsequente Exegese Es war für Barth eine Selbstverständlichkeit, dass die Exegese die fundamentale Aufgabe der Theologie darstellt, denn diese fragt „nach der Begründung unserer Rede von Gott“ (I/1, 15). In den Wirren des Kirchenkampfes gab Barth seinen Bonner Studenten den eindringlichen Rat: „Exegese, Exegese und noch einmal Exegese! […] Lassen Sie die systematische Kunst, die einen auch rasend machen kann, ein wenig ruhen und halten Sie sich an das Wort, an die Schrift, die uns gegeben ist und werden Sie vielleicht weniger systematische als Schrifttheologen. Dann ist gewiß auch für die Systematik und Dogmatik gesorgt.“26 Wenn ich hier die Formulierung von Eberhard Jüngel aufgreife, dass „Barths Dogmatik […] nichts anderes als konsequente Exegese“ sei27, so soll sie dahingehend verstanden werden, dass Barth versucht hat, die kritische Aufgabe der Dogmatik ganz und gar auf das zu begrenzen, was sich vom biblischen Zeugnis aus begründen lässt. Die Dogmatik hat nicht die allgemeinen Bedingungen zu beschreiben oder festzulegen, unter denen das Besondere des biblischen Zeugnisses zur Sprache zu bringen ist bzw. verstehbar gemacht werden kann, sondern sie hat von dem Besonderen der biblischen ,Gegenständigkeit‘ auszugehen, um eben die Allgemeinheit dieses Besonderen möglichst angemessen zur Sprache zu bringen. Die Bezeichnung ,Systematische Theologie‘ war Barth stets deshalb verdächtig, weil sie dazu neigt, den Anschein zu erwecken, als ließe sich aus all dem, was in der Kirche zu sagen ist, ein System entwerfen. Die Theologie hatte sich dazu immer gern an die Philosophie und ihre Erkenntnis- bzw. Systematisierungsprämissen angelehnt. Aber auch die traditionelle Dogmatik war und ist von diesem Systemsog nicht frei, kann sie doch dem Missverständnis unterliegen, sie könne die Wahrheit in Lehre fassen. Sie wird dann dogmatistisch und kehrt sich bei aller möglicherweise bestehenden Richtigkeit in das Gegenteil dessen, was sie sein soll. Die Dogmatik kann niemals die präzise Abbildung Gottes sein und soll es auch gar nicht sein wollen. Ließe sich Gott in Lehre einfangen, so bestünde die Gefahr, dass der Glaube schließlich der Dogmatik und nicht ihm gilt. Vielmehr soll die Dogmatik eine kritische Funktion gegenüber allen Gottesbildern – eben auch den dogmatischen Gottesbildern – wahrnehmen. Als die stets neu zu vollziehende kritische Rechenschaft hinsichtlich der Angemessenheit un25 Vgl. ebd., 693. 26 Barth, Das Evangelium in der Gegenwart, 17. 27 Jìngel, Einführung, 45 f.
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seres Redens von Gott ist die Dogmatik nicht mehr als ein Formulierungsversuch der jeweiligen Lernerfahrung mit der Bibel und der Geschichte ihres Verstehens. Als solche kann sie nur im Missverständnis eine abstrakte Lehre sein. „Seufzen wir nach ,praktischen‘ Ergänzungen, dann sicher darum, weil unsere Lehre nicht mehr oder noch nicht wieder diese, die apostolische, die wahrhaft ,praktische‘ Lehre ist!“28 Barth nennt die Theologie „eine bestimmte Funktion in der kirchlichen Liturgie“.29 Sie hat zu prüfen, wie in der Kirche „von Gott geredet, was hier ,Gott‘ genannt und als Gottes Willen und Werk ausgegeben wird“.30 Dabei „wird sie ihre Aufgabe zuerst und vor allem in der Exegese der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes erblicken“31. Indem das Gehörte dann von uns zu verantwortendes Gesprochenes werden muss, stellt sich unausweichlich auch die Aufgabe der Dogmatik. Sie steht ganz und gar in der Konsequenz der Exegese, nicht als deren Überbietung oder gar Konkretisierung, sondern sie stellt sich der Herausforderung, „die Gedanken der biblischen Zeugen heute, hier, selber zu denken, im Namen der gegenwärtigen Kirche auszusprechen als deren eigene Erkenntnis“32. Der Weg, den die Dogmatik mit der Kirche dabei zu betreten hat, ist der Weg von der Erkenntnis zum Bekenntnis.33 Betrachten wir unter diesen vorläufig bestimmten Prämissen der Dogmatik nun Barths eigene Dogmatik, so kann durchaus kritisch festgestellt werden, dass es ihm keineswegs stets gelungen ist, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, auch wenn Rudolf Smend zuzustimmen ist, dass „keine Theologie […] [ihrer Denkform nach] biblischer als die seine“ ist.34 Besonders KD I und KD II lassen sich – auch den sympathischen Hinweisen von Kornelis H. Miskotte zum Trotz35 – heute weithin nur mühsam lesen, weil Barth hier noch möglichst konsequent versucht hat, die Auseinandersetzung mit der begrifflich orientierten theologischen Tradition insbesondere des 19. Jh.s und der mit ihr verbundenen Philosophiegeschichte zu führen, was zwangsläufig dazu führt, dass seine Dogmatik auch in der Abwehr dieser Tradition selbst in einer problematischen Abhängigkeit von ihr verbleibt. Es lässt sich immer wieder – besonders deutlich scheint es mir in der Eigenschaftslehre Gottes zu sein – eine merkwürdige Disharmonie zwischen dem Inhalt und der Darstellungsweise beobachten. Es ist meine noch zu überprüfende Vermutung, dass der Grund für diese problematische Darstellungsweise in dem meist so positiv annoncierten Anselm-Buch36 zu suchen ist. Die pointierte 28 29 30 31 32 33 34 35
Barth, Der Dienst am Wort Gottes, 207. Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 177, 180. Ebd., 180. Ebd., 181. Ebd. Vgl. ebd., 181 f. Smend, Nachkritische Schriftauslegung, 215. Miskotte sieht gerade II/1 für ,vorbildlich‘ an, auch wenn der Band sich mit der Aufnahme der regula Nomini an die klassische Dogmatik anlehne (vgl. Miskotte, Die Erlaubnis zu schriftgemäßem Denken, 39). 36 Barth, Fides quaerens intellectum [1931].
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Frische der dogmatischen Entwürfe der 20er Jahre verliert sich in durchaus inhaltsreichen, aber – zumindest für den heutigen Leser – kompliziert angelegten Grundsätzlichkeiten, die bisweilen erst zum Schluss recht erkennen lassen, worauf die Argumentation hinaus will, so dass man nicht selten – nun belehrt von dem Ergebnis der Argumentation – zurückblättert, um dann beim zweiten Lesen die Zielstrebigkeit des Gedankengangs angemessener rekonstruieren zu können. Mit der Schöpfungs- und dann besonders in der Versöhnungslehre verändert sich dann die Darstellungsweise und die Dogmatik findet zu ihrer spezifischen biblischen Denkform, wie sie Barth für die Dogmatik eingefordert hat.
3.5 Kritischere Kritik „Kritischer müßten mir die Historisch-Kritischen sein!“ Dieser Satz aus dem Vorwort zur völlig neu bearbeiten Fassung des Römerbrief-Kommentars von Barth ist bekannt. Barth wirft der historischen Kritik einen Mangel an Kritik vor. Sie befasse sich mehr oder weniger einfühlsam mit den Umständen der Entstehung der biblischen Texte, ohne aber dem Inhalt eine eigene Bedeutung zuzumessen. Der Inhalt muss gleichsam ungehört zurückstehen hinter die Rekonstruktion, wie es zu solchen Texten kommen konnte. Der Inhalt bekommt kein Mitspracherecht bei der Rekonstruktion der Texte eingeräumt, sondern nur die nach unserem Fassungsvermögen gebildete Vorstellungskraft, welche menschlichen Umstände zu solchen Texten geführt haben mögen. Es ist nicht so, dass Barth diese Frage nach den menschlichen Umständen abweist. Im Gegenteil, er hält sie für eine unausweichliche Frage, die der Bibel als einem menschlichen Zeugnis auch ganz und gar angemessen ist. „Die Forderung, daß man die Bibel historisch lesen, verstehen und auslegen müsse, ist also selbstverständlich berechtigt und kann nicht ernst genug genommen werden. Die Bibel stellt selbst diese Forderung: sie ist auf der ganzen Linie, auch da, wo sie sich ausdrücklich auf göttliche Aufträge und Eingebungen beruft, in ihrem tatsächlichen Bestand menschliches Wort, und dieses menschliche Wort will offenbar eben als solches ernst genommen, gelesen, verstanden und ausgelegt sein. Alles Andere hieße an der Wirklichkeit der Bibel und damit auch an der Bibel als Zeugnis der Offenbarung vorbeisehen. Die Forderung ,historischen‘ Verständnisses der Bibel muß ja sinnvollerweise dies bedeuten: daß man sie als das nehmen soll, was ist unzweideutig ist und sein will: eine durch bestimmte Menschen zu bestimmten Zeiten in bestimmter Lage, in bestimmter Sprache und Absicht geschehene menschliche Rede, daß ihr Verständnis redlich und rückhaltlos ein durch alle damit angedeuteten Gesichtspunkte geleitetes Verständnis sein soll.“ (I/2, 513)37 37 Vgl. auch Barth, „Unterricht in der christlichen Religion“, Bd. I, 264; ders., Die christliche Dogmatik im Entwurf, 435, 450. „Die Bibel ist ein menschliches Dokument, mitten in der ganzen Religionsgeschichte.“ (Ders., Credo, 162)
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So sehr Barth betont, dass die historische Fragestellung auch aus theologischen Gründen angemessen ist, so wenig konnte er sie jedoch als eine theologische Fragestellung anerkennen.38 Doch bevor sich Barth der spezifisch theologischen Fragestellung zuwendet, bringt er zunächst auch auf der historischen Ebene eine fundamentale Kritik an, die eine elementare menschliche und noch keineswegs eine theologische Dimension anspricht. Barth spricht immer wieder die Unterscheidung der Zeugen von dem von ihnen Bezeugten an. Die traditionelle historische Fragestellung bleibt bei den Zeugen und ihren jeweils begrenzten Anliegen stehen. Das, was sie uns mitteilen, wird ganz und gar durch sie und ihre jeweiligen Umstände bestimmt. Barth empfindet diese restlose Verrechnung der Botschaft mit den Botschaftern als ein gravierendes Problem, das in seiner Konsequenz jede zwischenmenschliche Kommunikation verunmöglicht. „Wir reden nicht um des Redens, sondern um des durch unser Reden zu vollziehenden Hinweises, wir reden um des mit unserer Rede Bezeichneten oder Gemeinten willen. Auf ein uns gesagtes menschliches Wort hören kann also nicht etwa nur das heißen, daß wir dieses Wort als solches zur Kenntnis nehmen. Es kann sein Verständnis nicht etwa bloß darin bestehen, daß wir ergründen, aus welchen Voraussetzungen und in welcher Lage, in welchem sprachlichen Sinn und in welcher Absicht, in welchem konkreten Zusammenhang – und in diesem Sinn: in welcher Meinung der Andere uns nun eben dies oder das gesagt haben möchte. Und es kann die Auslegung seines Wortes unmöglich nur in der Auslegung bestehen, die ich mir, indem ich ihn anhöre, unwillkürlich oder auch bewußt, von ihm selbst, dem Redenden, zu machen versuche. Mit all dem wäre ich ja an sein Wort als solches gerade noch nicht herangekommen. Ich hätte mich mit dem Allen bestenfalls auf das Hören, Verstehen, Auslegen vorbereitet. Würde ich diese Vorbereitung schon für das Hören, Verstehen, Auslegen selbst halten und also dabei stehenbleiben, mich mit dem Wort
38 Zur Würdigung der Bibelkritik bei Barth vgl. den grundlegenden Aufsatz von Smend, Nachkritische Schriftauslegung. Um die theologisch bedeutsame Seite der historischen Kritik herauszustellen, erinnert Smend an Franz Overbeck, der die biblischen Texte „gegen die Attentate ungewaschener Subjektivität ihrer Ausleger“ in Schutz nehmen will, und an B. Duhm, der seine historische Arbeit als „Schutzmauer für die alten Schriftsteller gegen die Razzien der Dogmatiker aller Farben“ versteht (220). Darüber hinaus entlarvt die historische Kritik die falschen Stützen des Glaubens (226). Barth an Adolf v. Harnack: „Kritisch-geschichtliches Studium bedeutet das verdiente und notwendige Ende der ,Grundlagen‘ […], die keine sind […]. Wer es etwa noch nicht weiß (und wir wissen es alle immer noch nicht), daß wir Christus nach dem Fleische nicht mehr kennen, der mag es sich von der kritischen Bibelwissenschaft sagen lassen; je radikaler er erschrickt, um so besser für ihn und die Sache.“ (Barth, An Prof. Dr. Adolf von Harnack, Berlin, 1923 (zwei Briefe), in: Ders., Offene Briefe 1909 – 1935, 55 – 88, 66 f) Allerdings warnt Smend davor, nur einseitig den negativen Erkenntniswert historischer Kritik zu sehen, schließlich sei es nicht die Aufgabe der Kritik, das historische Wissen aus der Bibel zu eliminieren, sondern dieses kritisch zu bestimmen, was „freilich nach der negativen Seite hin deutlicher als nach der positiven“ gelinge, „aber das ist gut so“ (Smend, Nachkritische Schriftauslegung, 228). In Anlehnung an Smend vgl. auch Wharton, Karl Barth as Exegete.
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als solchem und seinem Sprecher zu beschäftigen, wie würde ich mich da täuschen! Wie gänzlich vergeblich würde der andere dann für mich geredet haben.“ (I/2, 513 f)
Barth spitzt den Gedankengang noch weiter zu: „Welcher gewissenlosen Gewalttat würde ich mich ihm gegenüber schuldig machen, wenn der Ertrag meiner Begegnung mit ihm nun etwa nur der sein sollte, daß ich ihn jetzt kenne oder etwas besser kenne als zuvor? […] Wieviel Unrecht tut man sich dauernd an, wieviel unleidliche Verstopfung der menschlichen Beziehungen, wieviel Abgeschlossenheit und Armut, in der infolgedessen die Einzelnen leben müssen, hat nur darin seinen Grund, daß man diesen doch in sich eigentlich sonnenklaren Anspruch, den jedes vom Einen an den Anderen gerichtete Wort bedeutet, nicht ernstnimmt.“ (I/2, 515)
Wenn sich Barth hier gegen die Personalisierungen, gegen die Historisierungen und die damit verbundenen Psychologisierungen wendet, dann geht es ihm um ein Grundproblem menschlicher Kommunikation. Natürlich soll keinen Moment bestritten werden, dass diese verschiedenen Aspekte immer im Spiel sind, wenn wir miteinander reden oder auch wenn wir etwas schreiben. Das ist nicht der Punkt, den Barth hier im Auge hat. Vielmehr geht es darum, dass dieses Ernstnehmen der Personen und ihrer jeweiligen Bedingungen bei allzu konsequenter Durchführung dazu führen kann, dass wir diese Personen schließlich gar nicht mehr ernstnehmen, indem wir sie durch unsere Fragestellungen entmündigt haben, indem wir sie gleichsam in ihre Bedingungen aufgelöst haben, so dass sie am Ende nicht mehr sie selbst, sondern nur noch das Sprachrohr ihrer jeweiligen Bedingungen sind. Der ganze Aufwand, der um sie getrieben wird, führt schließlich nur dazu, dass sie für höchst leicht und im Grunde unselbständig befunden werden. Deutlich zeigt sich das darin, dass die Psychologisierungen und Relativierungen da besonders phantasiereich werden, wo uns entweder etwas Ärgerliches gesagt wird, was wir uns eben nicht gerne sagen lassen, oder wo unserer Vorstellungsphantasie etwas zugemutet wird, was ihre eingeübten Kombinationsmuster übersteigt. Um entweder dieses Ärgerliche oder dieses Unvorstellbare nicht zu dicht an uns herankommen zu lassen, brechen wir ihnen die Spitze ab, indem wir sie mit den genannten Relativierungsinstrumentarien gleichsam abfedern, um nicht zu sagen, an uns abprallen lassen. Wir nehmen uns das Recht, selbst auszuwählen, was wir ernstnehmen wollen und was wir besser mit den jeweiligen Umständen verrechnen. Es ist diese Art der selbstschonenden Kritik, die in alle Richtungen um sich herum höchst kritisch auftritt, ohne aber auch nur einen Bruchteil ihrer kritischen Energie für die Selbstkritik zu verwenden, die Barth meint, wenn er Klage führt, dass unserer Kommunikation die Gegenstände, die Inhalte zu entschwinden drohen.39 39 Barth selbst hat immer wieder am eigenen Leibe spüren müssen, dass man sich nicht seinen Argumenten stellte, sondern ihm entweder vorwarf, er sei Schweizer und als solcher nicht dazu fähig, die deutschen Verhältnisse richtig einzuschätzen (Martin Rade, Emanuel Hirsch), oder er
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Im Umgang mit der Bibel bekommt diese allgemeine Sorge Barths nur deshalb eine besondere Brisanz, weil die Bibel uns recht viel Unvorstellbares zumutet. Dass dies so ist, kann nur den verwundern, der nicht weiß, worum es in der Bibel geht. Wird aber auch nur geahnt, dass es in der Bibel nicht nur um uns, sondern auch um Gott und seine Geschichte mit uns geht, so kann es jedenfalls kein prinzipieller Einwand mehr sein, wenn da auch die Grenzen des Gewohnten überschritten werden. Indem die geläufige Kritik aber nur den Zugriff von uns auf die Bibel befördert, bleibt sie ein durchaus einseitiges Instrument. Sie verfolgt das gewiss partiell legitime, aber in der konsequenten Einseitigkeit totalitäre Interesse, den Gesprächspartner auf die eigenen Bedingungen zu verpflichten. Die Kommunikation mit dem biblischen Text findet im Entscheidenden nicht statt. Sie ist zu einer Einbahnkommunikation geworden, in der wir es sind, die nun den Text darüber belehren, was er entweder eigentlich sagen wollte oder was er hätte sagen sollen. Da sind wir wieder bei dem bereits beschriebenen Spiel mit dem Echo, von dem es keineswegs verwunderlich ist, dass es dann auch nach einiger Zeit langweilig wird, was offenkundig diejenigen am wenigsten merken, die es am meisten betreiben. Zur Kommunikation gehört die Gegenseitigkeit. Barth klagt mit seinem Vorwurf an die historische Kritik die zweite Seite der Kommunikation ein. Das von Barth geforderte Mehr an Kritik ist die Kritik, die uns aus der Bibel entgegenkommt und die wir nun unsererseits zu hören haben. Nur so kann eine Kommunikation mit der Bibel ihren Inhalt zurückgewinnen. Um diesen Inhalt soll es doch gehen und nicht um eine Kommunikation an sich. Nicht ein geschwätziges Gespräch ist gefragt, in dem der Gesprächspartner nichts weiter ist als die erneute Gelegenheit, noch einmal all das sagen zu können, was mir wichtig ist; man redet getrost aneinander vorbei, um schließlich von den selbst bekräftigten Einsichten ermutigt von dannen zu gehen. Ebensowenig ist das unverbindliche Gespräch gemeint, das gleichsam wie ein Flirt munter hin und her geht, und von dem allein bedeutungsvoll ist, dass es stattfindet. Zumindest im Blick auf die Kommunikation mit der Bibel fallen diese beiden Varianten aus. Die Kommunikation ist vielmehr dadurch geprägt, dass die biblischen Zeugen uns etwas mitteilen wollen. Und so kann ein Gespräch mit ihnen nur dann zustande kommen, wenn nicht wir zu reden beginnen, so als hätten wir den biblischen Zeugen zunächst erst einmal etwas Wichtiges mitzuteilen, sondern es kommt dadurch in Bewegung, dass wir erst einmal zuhören und den Gesprächspartner tatsächlich ausreden lassen. Und das gilt nach Barth nicht allein für die Theologinnen und Theologen, sondern auch für die Historiker, die eben kritischer sein sollten als sie sind. In dem kritischen Hören geht es um das möglichst konsequente Abbauen aller Verstehenshindernisse, die dem Inhalt des Gesprächs mit der Bibel im Wege stehen. Diese sei im Grunde ein Wissenschaftsverächter und als solcher nun gerade nicht dazu berufen, sich Gedanken über die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu machen (so könnte man pointiert die Meinung Adolf von Harnacks in seiner Auseinandersetzung mit Barth zusammenfassen).
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Verstehenshindernisse werden aber nicht von vornherein als Selbstverstellungen des Textes durch seine historische Ferne oder seine Unbeholfenheit angesehen, sondern sie können ebenso auf unserer Seite zu suchen sein. Von hier aus ergibt sich für Barth das grundlegende hermeneutische Prinzip, das Marquardt prägnant zusammengefasst hat: „Ausharren beim Text durch Vertrauen zum Text“!40 Wenn Barth nun vermutet, dass die Verstehenshindernisse tatsächlich mehr auf unserer Seite zu suchen sind, so hängt das mit der Besonderheit des Inhalts der Bibel zusammen. Es geht in ihr um einen Gegenstand, der für die AutorInnen und für die LeserInnen (HörerInnen) in einerseits gleicher und andererseits unterschiedlicher Weise belangvoll ist. In gleicher Weise ist der Inhalt der Bibel für ihre VerfasserInnen und für uns deshalb belangvoll, als die AutorInnen mit ihren Texten auf etwas hinweisen, was gleichsam die Wirklichkeit insgesamt verändert und somit für alle von Bedeutung ist (davon wird im nächsten Abschnitt noch zu reden sein). In unterschiedlicher Weise belangvoll ist aber der Inhalt des biblischen Zeugnisses für die Verfasser der Bibel und für uns insofern, als wir diesen Inhalt nicht anders als eben durch sie übermittelt bekommen. Es gibt das „Wort Gottes“ nicht an sich, sondern es gibt nur das in menschlicher und somit relativer Gestalt bezeugte „Wort Gottes“. Wir sind auf diese Zeugen angewiesen, insofern sind wir durchaus von ihnen und ihrer Zuverlässigkeit abhängig. Stellen wir ihre Zuverlässigkeit – nicht in jeder Formulierung, aber in der ,Sache‘ – in Frage, so steht die ,Sache‘ selbst in Frage, denn es gibt keinen Ort, von dem aus sich nun zuverlässig diese Unzuverlässigkeit korrigieren ließe. Mit dieser Feststellung befinden wir uns nun allerdings nicht mehr in dem Bereich eines historischen Urteils. Vielmehr wird die Grenze des historischen Urteils erreicht, wo die Bibel nicht nur „eine Sammlung antiker religiöser Literatur“41, sondern als die für unser Reden von Gott schlechthin normative Urkunde angesehen wird, wo von ihr in diesem Sinne als der Heiligen Schrift gesprochen wird oder gar von dem Wort Gottes. „Nennt die Kirche und die Dogmatik als die Wissenschaft von der christlichen Rede dieses Schrifttum Heilige Schrift, Gottes Wort, so ist das ein Urteil, das der Historiker nur aussprechen kann, sofern er sich nicht weigert, in der Spitze seines Denkens theologisch zu denken. Als Historiker sieht und kennt er hier wie überall nur Menschenworte. […] Die christliche Kirche weiß, sie muß wissen, daß sie, indem sie die 40 Marquardt, Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie, 661. Oder mit Kornelis H. Miskotte gesprochen: „Dieses beharrliche Verbleiben bei den kleinsten Wendungen, dieser treuherzige Wille, nichts als klein, veraltet, unzeitgemäß, skurill, unbegreiflich zu vertuschen, ist wohl imstande, immer neue Begeisterung zu entfachen und neues Vertrauen zu begründen.“ (Miskotte, Die Erlaubnis zu schriftgemäßem Denken, 50) Im Blick auf dieses Prinzip der Textreue lassen sich beachtliche Parallelen zu Martin Bubers Umgang mit den biblischen Texten feststellen; vgl. dazu Weinrich, Grenzgänger, 184 –193. 41 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 435.
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Stimme der Propheten und Apostel respektiert als die Stimme des Heiligen Geistes, eine Einsicht vollzieht, bei der ihr die historische Wissenschaft, und wäre ihr Verständnis für die Eigentümlichkeit und Bedeutsamkeit solcher und speziell dieser Literatur noch so groß, gerade am entscheidenden Punkte nicht helfen kann.“42
3.6 Die Verlegenheit der Bibelauslegung Der soeben zitierte Abschnitt hebt hervor, dass die Normativität der Bibel, ihre spezifische Autorität für Theologie und Kirche nicht durch ein historisches Argument plausibel gemacht werden kann43. Im Hintergrund steht die Behauptung, dass die biblischen Autoren nicht auf eigene Veranlassung geschrieben und formuliert haben, sondern dass sie sich von Ereignissen zu schreiben genötigt fanden, die sie als Selbstoffenbarung Gottes verstanden und eben so bezeugt haben. Damit sind wir nun an dem Punkt, auf den alles ankommt und an dem wir uns nach allen Seiten umschauen, um argumentative Unterstützung zu erhalten. Wenn Barth hier im Unterschied zu einem historischen Urteil an ein theologisches Urteil denkt, so kann dies auch missverständlich sein, denn ein theologisches Urteil kann an dieser Stelle nichts anderes heißen, als dass es sich eben um ein Bekenntnis handelt (I/2, 509). Gewiss gibt es eine Menge plausible Gründe für die Unaustauschbarkeit des biblischen Zeugnisses und für seine sachliche Bewährung, aber es gibt keinen zwingenden Grund dafür, dass es tatsächlich auf Gottes eigene Offenbarung hinweist und dass Gott sich selbst durch dieses Zeugnis weiter offenbaren will (Präsens!). Keine Apologetik vermag dies darzulegen, – das ist die unausräumbare Verlegenheit, in der sich alle Bibelauslegungen befinden. Wenn Barth hier an ein theologisches Urteil denkt, dann in dem Sinne, dass alle theologischen Urteile ihren Ursprung darin haben, dass es im Denkhorizont der Bibel sinnvoll und begründet sei, von Gott zu sprechen. Pointiert gesagt: Die Bibel ist nicht nur wirkliches Zeugnis, sondern ihr Zeugnis ist bezeugte Wirklichkeit. Deshalb hat die Verkündigung der Kirche einen lebendigen Grund und die Theologie einen realen Gegenstand. Aber dass dieses gesagt werden kann, bleibt ein Akt des Bekennens. Wenn Barth so sehr die Gegenständlichkeit des biblischen Zeugnisses betont, dann geht es darum, die biblischen Texte als Offenbarungszeugnis ernstzunehmen. Ohne dieses Bekenntnis wird der Hörer bzw. Leser dem biblischen „Wort gegenüber sozusagen in der Luft stehen, er wird es dann gewiß nicht verstehen können, weil er keinen Ort hat, von dem aus er es verstehen könnte, und er wird es dann 42 Ebd., 435 f. 43 Sachlich vollziehen wir an dieser Stelle den Übergang von dem, was Luther die „äußere Klarheit“ der Schrift genannt hat, hin zur „inneren Klarheit“, über die wir nicht einfach verfügen, auf die es aber ankommt, wenn aus dem durch die Lektüre gewonnenen Wissen nun auch ein rechtes Verstehen werden soll.
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selbstverständlich auch nicht auslegen können“ (I/2, 518 f). Auf dem Hintergrund der fundamentalen Bedeutung des Bekenntnisses für das Verstehen der Bibel bezeichnet Barth die Vorstellung „als geradezu drollig“, nach der „eine … völlige Teilnahmslosigkeit, weil sie völlige ,Unbefangenheit‘ verspreche, die geeignetste, ja die eigentlich normale Disposition zur rechten Bibelexegese sei“ (I/2, 519). Es ist die Bibel selbst, die sich gegen diesen neutralen Standpunkt zur Wehr setzt, denn unversehens wird unsere „Frage an sie […] zur Frage an uns“44. Das ist die spezifische „Verlegenheit“45, in welche die Bibel unsere Auslegungen immer wieder versetzt. Sie besteht darin, dass sie in all ihren Mühen schließlich doch auf die Selbstbezeugung des Bezeugten verwiesen bleibt. All unsere Bemühungen, den Bewegungen des biblischen Zeugnisses nachzugehen, enden immer an dem Punkt, wo sich das, was wir so lebendig wiederzugeben versuchen, nun auch tatsächlich lebendig erweisen soll. In diesem Sinne stellt Barth im Blick auf seine Römerbriefauslegung fest: „Der Vogel macht alle nur erdenklichen Anstrengungen zu fliegen, aber schließlich ists doch auch wieder ein gemalter Vogel, wie es ja nicht anders sein darf.“46 Alles, was herauskommen kann, ist eben nicht mehr als bestenfalls „nur wieder eine neue Theologie“47. Deshalb kann es letztlich weder auf die Auslegung noch auf die dahinter stehende Dogmatik bzw. Theologie ankommen, vielmehr haben Auslegung und Theologie alles daran zu setzen, das biblische Zeugnis selbst stark zu machen. Sie sollen in die Bibel einhelfen, und sich nicht über diese erheben, denn das Entscheidende, was zu sagen ist, kann sie schließlich nur selbst sagen, und wir können lediglich bemüht sein, einige der vielen Verstehenshindernisse auszuräumen. Rudolf Smend macht in seinem materialreichen Aufsatz über Karl Barth als Bibelausleger, dem meine Ausführungen manch einen Hinweis verdanken, die schöne und anschauliche Beobachtung, dass für Barth das Lessingproblem („zufällige Geschichtswahrheiten“ und „notwendige Vernunftwahrheiten“) das vergleichsweise kleine Problem war, dem gegenüber er die gewichtigere Herausforderung in dem Petrusproblem gesehen habe („Herr, gehe hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“). Das Lessingproblem lasse sich geradezu als Fluchtproblem vor dem eigentlichen Problem begreifen, vor das wir durch die Bibel gestellt werden.48 Damit bekommt die Verlegenheit der Bibel gegenüber nun noch eine inhaltliche Zuspitzung, die uns wieder an die Widerständigkeit des biblischen Zeugnisses erinnert, an die Krisis, in die wir durch die Bibel gestellt werden, und die wahrzunehmen ist, wenn es tatsächlich um eine gegenseitige Kommunikation mit der Bibel gehen soll. Über 44 45 46 47 48
Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke, 668. Ebd. Barth/Thurneysen, Briefwechsel, Bd. I, 448 (Brief vom 3. Dezember 1920). Ebd., 265 (Brief vom 11. Februar 1918). Smend, Karl Barth als Ausleger der Heiligen Schrift, 30.
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den Anspruch, den die Bibel in dieser Kommunikation stellt, kann man und wird man sich durchaus ärgern. „Tun wir es nicht, so ist uns wohl das Gewicht jenes Anspruches nicht bewußt.“ (I/2, 563) Nur wenn wir in der Bibel auch das „Wort Gottes“ zu hören vermögen, löst die Aufdringlichkeit der Bibel keinen Unmut aus. Allein die Anerkennung, dass hinter ihrem Reden nicht nur die Zeugen, sondern der bezeugte Gott selber steht, vermag diesen Ärger abzuweisen. Diese Anerkennung ist aber nichts anderes als der Glaube, und so zeigt sich, dass wir durch das von Barth aufgenommene reformatorische Schriftprinzip in einen Zirkel gestellt werden. Dieser Zirkel besagt, dass das zu Erkennende stets auch bereits die Voraussetzung der Erkenntnis ist. „Wir haben uns selbst und wir haben auch jedem anderen, der uns danach fragen sollte, einzugestehen, daß der Satz, daß die Bibel Gottes Wort ist, ein analytischer Satz ist, ein Satz, dessen Begründung immer nur in seiner Wiederholung, Umschreibung und Erläuterung, nicht aber in seiner Ableitung aus irgendwelchen übergeordneten Sätzen bestehen kann. Er kann nur als in sich selbst begründeter, allen anderen Sätzen vorangehender Satz oder er kann gar nicht verstanden werden. Es will die Bibel als Gottes Wort erkannt sein, um als Gottes Wort erkannt zu werden. Die Lehre der evangelischen Kirche von der Heiligen Schrift lautet dahin, daß eben dieser logische Zirkel der Kreis der Wahrheit ist, die sich selbst als solche behauptet und bezeugt, in den erst hineinzutreten ebenso unmöglich ist, wie wieder aus ihm herauszutreten: Der Kreis unserer Freiheit, der als solcher auch der Kreis unserer Gebundenheit ist.“ (I/2, 595)
Das ist nichts weiter als der Versuch einer Erläuterung des oben bedachten Sachverhalts, dass es eben ein Bekenntnis ist, wenn wir von der Bibel als der Heiligen Schrift sprechen, weil wir hinter dem Zeugnis die Wirklichkeit des Bezeugten erkennen. Dieser Zirkel, in den bereits die Reformatoren durchaus bewusst die Schrift gestellt wissen wollten, macht die eigentliche Dynamik des semper reformanda aus. Als solcher wäre er aber missverstanden, wenn nur die bedrängende und nicht auch die tröstliche Seite der von ihm bezeichneten Verlegenheit gesehen würde. Die Verlegenheit bedeutet ja kein bedrückendes Schweigen, sondern sie ist die Eröffnung einer verheißungsvollen und orientierenden Kommunikation, ohne die sich die Kirche und der Glaube nur in einem hoffnungslosen Selbstgespräch befänden. Der tröstliche Charakter der Verlegenheit des Schriftprinzips liegt in der „Anerkennung, daß die Kirche nicht allein, nicht ihren Selbstgesprächen und überhaupt nicht sich selbst überlassen ist. Das wäre sie in dem Augenblick, wo jene Entgegenstellung zwischen ihrer eigenen und der göttlichen Autorität zunichte würde. Die Kirche müßte dann, mit göttlicher Würde bekleidet, wie Gott auf sich selber stehen und aus sich selber leben. Das bedeutet aber, wie groß und stattlich es sich in seiner Gottähnlichkeit scheinbar ausnehmen mag, für die von Gott unterschiedene Kreatur ganz einfach Elend […]. Es ist das Wort Gottes als heilige Schrift, das diesem Elend ein Ende macht. Weil die heilige Schrift die Autorität Jesu Christi in der Kirche ist,
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darum braucht die Kirche ihre Sorgen, Nöte und Fragen nie und nirgends mit sich selbst auszumachen, darum braucht sie sich nicht zu beladen mit der unmöglichen Aufgabe, sich selbst regieren zu wollen […]. Unter dem Wort und das heißt unter der heiligen Schrift darf und kann die Kirche leben, während sie über oder neben dem Wort nur sterben könnte.“ (I/2, 651 f)
3.7 Die Freiheit der Auslegung49 Die von der Bibel ausgehende Verlegenheit ist zugleich „der Kreis unserer Freiheit“ (I/2, 595). Barths entschieden zurückhaltende und behutsam entschiedene Annäherungen an eine biblische Hermeneutik lassen sich insgesamt als ein Kampf um die Freiheit des Exegeten verstehen.50 Es sollen zum Schluss nur noch fünf eher thesenartige Andeutungen zu der Wahrnehmung dieser Freiheit gemacht werden, die im Übrigen von jedem selbst zu gestalten ist: 1. Es gibt nicht die richtige Auslegung. Das enthebt uns zwar nicht der Sorgfalt der Exegese, befreit uns aber aus der Sorge, nun eine bestimmte zuverlässige Methode finden zu müssen, mit der sich die Bibel aufschließen lasse. Vielmehr sind alle Methoden unzuverlässig, die historisch-kritische ebenso wie die tiefenpsychologische usw. Ebenso sind wir befreit davon, eine bestimmte exegetische Methode in besonderer Weise verdammen zu müssen, weder die historisch-kritische noch die tiefenpsycholgische noch eine andere. Gewiss sollen wir die Grenzen da genau benennen, wo wir sie zu sehen glauben, aber solange sich eine Auslegungsmethode tatsächlich mit der Bibel beschäftigt, kann sie nicht vollkommen verfehlt sein. Wenn man so will, geht es hier um den Vorrang der Exegese vor ihrer Methodologie einschließlich der mit ihr verbundenen Hermeneutik.51 Die Freiheit der Exegese vor der Methodologie wird durch den Vorrang des Textes gesichert, den dieser wiederum gegenüber der Exegese behält.52 Barth hat diese Freiheit der Exegese besonders gegenüber der existenzialen Bibellektüre Rudolf Bultmanns hervorgehoben, in der er dem Neuen Testament eine „Zwangsjacke“53 angelegt sah. Es war 49 Zum spannungsreichen Verhältnis von ,Autorität‘ und ,Freiheit‘ bei Barth vgl. zur Vermeidung der geläufigen Missverständnisse den Exkurs I/2, 743 – 746. 50 Vgl. auch Marquardt, Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie, 664. 51 Vgl. Smend, Karl Barth als Ausleger der Heiligen Schrift, 31. 52 Georg Eichholz weist auf Barths Skepsis gegenüber den Methodologien der Auslegung hin: „Wenn es wahr ist, daß alles daran hängt, daß der Text selbst zum Reden kommt, dann kann es keine Methode geben, mit der diesem Reden vorgegriffen wird. […] in der Tat wäre eine theologische ,Methode‘ eine höchst untheologische Verkennung des ganzen Sachverhalts – es ist nicht einzusehen, daß es nun doch einen Schlüssel in der Hand des theologischen Exegeten geben sollte, mit dem er den Philologen oder Historiker überspielen könnte, und der Verdacht, mit dem der Philologe ihm begegnet, wäre berechtigt.“ (Eichholz, Der Ansatz Karl Barths in der Hermeneutik, 57 f) 53 Barth/Bultmann, Briefwechsel 1922 – 1966, 197 (Brief vom 24. Dezember 1952).
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Barths Hoffnung, dass Bultmann doch „zu einem freien Ausleger des frei für sich selbst sprechenden Neuen Testamentes“ werden möge.54 Dabei machte er sich keine Illusionen hinsichtlich einer idealen Auslegung: „Niemand kann auslegen ohne auch einzulegen. Kein Ausleger ist sicher vor der Gefahr, mehr einzulegen als auszulegen.“55 2. Die Freiheit von der Bindung an die eine oder andere Methode öffnet der Exegese die Freiheit des biblischen Textes, d. h. die Freiheit, von der die biblischen Zeugen Gebrauch machten, wenn sie uns die Geschichte Gottes zu erzählen versuchten. Die Freiheit der Exegese ist schließlich die Freiheit der „Anteilnahme an der Freiheit des Wortes“ (I/2, 781). Das betrifft sowohl die Freiheit der unterschiedlichen literarischen und sprachlichen Formen als auch die Freiheit des Umgangs mit den zeitgenössischen Weltbildern und schließlich die Freiheit gegenüber dem aktuellen Stand dieser oder jener Philosophie bzw. dieser oder jener anderen Wissenschaft. Das Wissen um die Begrenztheit und das je relative Recht aller dieser Aspekte hat sie nicht zu einem ressentimentbeladenen Rückzug und einem puritanistischen Abstand veranlasst, sondern ihnen eine Freiheit verliehen, diese Dimensionen je nach Gutdünken in Anspruch zu nehmen, um das, was sie sagen wollte, möglichst illustrativ und überzeugend sagen zu können. Da es keinen direkten Weg zum Ziel gibt, sondern der indirekte Weg hier die direkteste Form bleibt, ist der Hinweis auf die von den Verfassern der Bibel in Anspruch genommene Freiheit durchaus ermutigend, auch für unsere Freiheit der Auslegung. 3. Die Bibel hat nicht immer alles gesagt, sondern zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten Bestimmtes. Ich möchte dies die Freiheit der Kontextualität nennen. Diese Freiheit besteht einerseits in der Ernüchterung hinsichtlich der Begrenztheit unseres Redens auf je einen bestimmten Kontext, und sie besteht andererseits in der Ermutigung, nun tatsächlich auch das für diesen Kontext Nötige und Orientierende zu sagen.56 Als diese Freiheit zur Kontextualität ist sie zugleich Freiheit zum Bekenntnis, d. h. die Freiheit mit einem eigenen heute und hier zu verantwortenden Wort auf die Anrede der Bibel zu antworten. Da wo kein Bekenntnis mehr zu vernehmen ist, wo also eine Kirche „konfessionslos“ geworden wäre, findet kein ernsthaftes Gespräch mit der Bibel mehr statt und fällt deshalb auch eine angemessene Wahrnehmung der Verantwortung aus (I/2, 725ff). 4. Die Freiheit der Auslegung ist auch die Freiheit der Beziehung, die Freiheit wirklicher Kommunikation, sowohl mit den biblischen Texten aber auch mit den anderen Auslegerinnen und Auslegern und ihren Gesprächsergebnissen. Die Kommunikationsfreiheit bedeutet die Erlösung vom Monologisierungszwang, in dem wir uns aus uns selbst heraus erklären und allzumeist 54 Ebd., 294 (Brief an Landesbischof Theophil Wurm vom 29. Mai 1947). 55 Barth, Vorwort zur englischen Ausgabe der Römerbriefauslegung, 480; zur Differenz Barth – Bultmann vgl. Eichholz, Der Ansatz Karl Barths in der Hermeneutik, 64 f. 56 Vgl. dazu I/2, 699 – 713.
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dabei eben verklären müssen. In dieser Kommunikation geht es aber nicht um einen abstrakten Wahrheitsbegriff oder einen heeren Objektivismus, der dann in der Mitte zwischen Text und uns zu stehen käme, sondern – man höre und staune – sie wird erst darin sachgemäß, wenn „ein Jeder auf Schritt und Tritt an sich selber denkt. Wer hier nicht um sich selber weiß, weiß hier überhaupt nichts. Das durch das Wort Gottes befreite Gewissen ist das persönliche Gewissen jedes Einzelnen. Und es ist jeder Einzelne, der sowohl der Würde wie auch der Sorge dieser Freiheit unter dem Wort teilhaftig ist. Anderswo als in der Freiheit jedes Einzelnen würde man diese Freiheit vergeblich suchen.“ (I/2, 788) Denn: „Wie könnten wir den Text objektiv verstehen, ohne subjektiv, d. h. mit unserem Denken dabei zu sein.“ (I/2, 816) 5. Die Freiheit der Auslegung ist substanziell die Hoffnung auf den Heiligen Geist. In der rechten Hoffnung auf ihn als den Geist, der sich durch das biblische Zeugnis mitteilen will, ist alles erlaubt und auch zuträglich. Die Kraft dieser Hoffnung und der mit ihr verbundenen Freiheit haben wir jedoch nicht einfach von uns aus, sondern um sie bitten wir im Gebet. Und so gehört schließlich das Gebet – wen sollte das im Blick auf Barth wundern? – essenziell mit zu unserer Freiheit der Bibelauslegung. Das Gebet ist gleichsam das letzte Wort, das wir von unserer Seite aus zu sagen vermögen, „und eben darum muß hier das Gebet das letzte Wort haben“ (I/2, 590).57 So kann es zu tatsächlicher Kommunikation mit der Bibel kommen. „Es hängt […] die Erhaltung der Kirche daran, daß die Schrift vor ihren Augen offen bleibt, daß alle, auch die besten Konzeptionen von ihrem Inhalt durchsichtig bleiben, damit sie selbst diese bestätigen und legitimieren oder auch korrigieren oder auch gänzlich beseitigen kann. Anders als in dieser Freiheit kann sie das Leben der Kirche nicht sein. Ist die Kirche, was sie ist, dann wird sie der Schrift diese Freiheit lassen, sie wird von der Schrift ausgehend, immer aufs Neue zur Schrift zurückkehren müssen. Wir müssen aber wieder schließen: Eben dies, dass die Kirche ist, was sie ist, hängt daran, dass die Schrift sich selbst diese Freiheit verschafft und erhält in ihrer Mitte, dass die Schrift selbst die Kirche nötigt, immer wieder zur Schrift zurückzukehren. Wie sollten wir ihr diese Freiheit geben können auch bei der größten Schrifttreue? Wieder stehen wir hier vor der Wirklichkeit, für deren Gegebensein wir nur danken können, um deren Gegebenwerden wir immer wieder bitten müssen.“ (I/2, 775)
57 Vgl. I/2, 767, 779 u. bes. 781 ff.
4. Unbequeme, weil konsequente Theologie: Johannes Calvin und Karl Barth1 Beide, Calvin und Barth, waren ebenso exponierte wie aber auch einsame Theologen. Sie standen immer wieder in öffentlichen Auseinandersetzungen, in denen sie gegen die Mehrheit und das allgemeine Empfinden argumentierten – nicht aus Eigenwilligkeit, sondern aus einer begründeten theologischen Verantwortlichkeit heraus. Gewiss mag zumindest hier und da auch eine Portion Eigenwilligkeit mit im Spiel gewesen sein – beide waren gewiss keine einfachen Charaktere –, aber die psychologische Erklärung macht es sich zu einfach, weil sie dazu verführen kann, den jeweils zur Debatte stehenden sachlichen Fragen nicht mehr ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie längst andere ausreichend erklärungskräftig eingeschätzte Gründe für die jeweilige Zuspitzung gefunden hat. Wenn Aussagen oder Entscheidungen mit den vermuteten psychologischen Konstellationen verrechnet werden, haben sie keine Chance, aus sich heraus ernst genommen zu werden, was dann auch unweigerlich bedeutet, dass die Personen, die etwas gesagt oder entschieden haben, ebenfalls mit den Umständen verrechnet und nicht mehr tatsächlich ernst genommen werden. Wenn hier die nüchterne sachliche Wahrnehmung der jeweiligen Positionierungen eingefordert wird, so bedeutet dies ja nicht, dass ihnen auch immer Recht zu geben ist; wohl aber sollte unterstellt werden, dass sich jeweils Gründe rekonstruieren lassen, die zu dieser oder jener Positionierung geführt haben – mit denen mag man sich dann auseinandersetzen.2 1 Vortrag auf dem internationalen Calvin Symposium der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 16. bis 18. März 2009 in der landeskirchlichen Tagungsstätte Haus Villigst; zuerst veröffentlich in: Michael Weinrich/Ulrich Mçller (Hg.), Calvin heute. Impulse der reformierten Theologie für die Zukunft, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH 2009 (22010), 79 – 95 (engl. Fassung in: Michael Welker/Michael Weinrich/Ulrich Mçller (Hg.), Calvin Today. Reformed Theology and the Future of the Church, London/New York: T & T Clark International 2011, 65 – 79) – Wiederabdruck hier in leicht revidierter Fassung. 2 Das gilt übrigens auch für Calvins Zustimmung zur Verurteilung von Michael Servet wie für Barths umstrittenen Hromdka-Brief von 1938, in dem er zum Kampf mit der Waffe gegen Deutschland aufruft (Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 107 – 133). Es ist problematisch, wenn heute die Hinrichtung Servets gern als anzuerkennender schwarzer Fleck auf der Weste Calvins freigegeben wird, so als habe Calvin hier auf fatale Weise auch eine persönliche Rechnung beglichen und sich dabei einfach der allgemeinen Rechtsprechung bedient. Immerhin war Servet bereits verurteilt. Jedes mildere Urteil in Genf hätte erneut den Vorwurf von Caroli aufkeimen lassen, dass in Genf nicht die rechte Lehre von der Trinität gelehrt werde, was bereits 1537 zu sehr weitreichenden Irritationen geführt hat und Calvin in große Schwierigkeiten brachte (vgl. dazu Weinrich, Calvin als ökumenisches Ereignis, 185 – 190). Im Falle Servets plädierten alle eingeholten Gutachten ebenfalls auf die für einen solchen Fall seinerzeit vorgesehene Todesstrafe.
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Sowohl im Blick auf die Kirche als auch das Gemeinwesen, zu dem die Kirche jeweils gehörte, sahen sie sich in diese besondere Verantwortlichkeit gestellt. Ich möchte die These entfalten, dass die Reserviertheit oder gar Feindschaft, die Johannes Calvin vor allem in Genf ebenso entgegenschlug wie auch Karl Barth während des Kirchenkampfes, dann aber auch in der Schweiz insbesondere während des Zweiten Weltkriegs und darüber hinaus, mit der Entschlossenheit und Konsequenz zu tun haben, in der beide Theologie getrieben und öffentlich vertreten haben. Beide demonstrieren unter höchst unterschiedlichen Umständen auf je eigene Weise den Konflikt, der mehr oder weniger unweigerlich zu erwarten steht, wenn der Glaube die ihn auszeichnende Freiheit nicht nur als einen im Inneren zu hütenden Schatz pflegt, sondern in den konkreten Lebensumständen praktisch bezeugt. Bereits der Hinweis auf die Möglichkeit, die christliche Freiheit zu einer Stellungnahme in einer konkreten Situation in Anspruch zu nehmen, konnte dazu ausreichen, Unmut, Distanzierung und sogar Empörung hervorzurufen. Damit kommt eine Fragestellung in den Blick, die nicht nur historische, sondern auch eine aktuelle Bedeutung hat. Calvin und Barth führen uns vor Augen, dass diese Freiheit zumindest zwei Dimensionen umfasst. Einerseits geht es grundlegend um die Kirche, um das, was die Kirche zur Kirche macht und dann auch ihr Leben als einer nicht in sich selbst konstituierten Gemeinschaft trägt und prägt. Und anderseits hat sich die Freiheit auch öffentlich zu bewähren in dem Verhältnis der Kirche zu den Belangen des öffentlichen Gemeinwesens und zu den herrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnissen, von denen sie immer auch ein Teil ist.3 Es liegt auf der Hand, dass in diesen zusammengehörenden und zu unterscheidenden Bereichen ein großes Konfliktpotential schlummert. Es ist die theologische Konsequenz, in der Calvin und Barth die Reichweite der in der Versöhnung begründeten Freiheit des Christenmenschen und der christlichen Gemeinde bis in das tatsächlich zu führende Leben ausziehen, die sie zu unbequemen, aber lebensnahen Theologen macht. Ihre Theologie tritt dem alten Adam allzu nahe, so dass dieser unwillig wird, weil er sich in seiner gewohnheitsstabilisierten Trägheit und frommen Selbstbeheimatung belästigt fühlt. Da wird dann gern über Orthodoxie und Dogmatismus gestöhnt. Nicht Calvin hätte hier aus einem allgemein anerkannten sensiblen Konsens ausscheren müssen. Insofern stand hier durchaus ein Stück der Reformation insgesamt auf dem Spiel, womit nicht behauptet werden soll, dass Calvin hier oder auch an anderen Stellen unfehlbar gewesen sei. Weder die Reinheit der Weste Calvins noch die von Barth stehen hier zur Debatte, sondern die sachliche und d. h. die historische Redlichkeit, auch bei unbequemen Wahrnehmungen zunächst einmal die jeweiligen sachlichen Beweggründe so genau wie möglich in Erwägung zu ziehen, anstatt vorschnelle moralische Geschmacksurteile zu fällen. 3 Ich vermeide die räumliche Metaphorik von Freiheit nach „innen“ und nach „außen“, weil diese schnell in die Irre führt, indem sie den Anschein erweckt, als sei das Verhältnis der Kirche zur Welt ein Außenverhältnis, dem sie sich erst in einem besonderen Akt zuzuwenden habe. Tatsächlich ist Kirche aber immer auch schon Welt in einem mehr oder weniger qualifizierten Sinne.
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zufällig trifft beide der Vorwurf eines neuen Papsttums.4 Und zugleich liegt gerade in der Zumutung ihrer Theologie eine Ermutigung zu einer konsistent begründeten theologischen Existenz, die sich nicht nur mit dem Etikett einer unbestimmten Freiheit selbst inszeniert, sondern auch den Beweis des Geistes und der Kraft christlicher Freiheit zu führen vermag. Mit vier nebeneinander gestellten skizzenhaften Gedankenbögen soll diese These erläutert werden: 1. Ein paar Hinweise zum Charakter der Umstrittenheit von Calvin und Barth. 2. Ist von zwei Reformationen oder von zwei Schritten einer Reformation zu sprechen? 3. Nicht der Mensch ist die entscheidende Frage, sondern Gott. 4. Nur der freie Mensch und die freie Kirche können Gott die Ehre erweisen.
4.1 Calvin und Barth waren höchst umstrittene Theologen Calvin ist nicht das berühmten Persönlichkeiten häufig geschenkte Glück widerfahren, dass sich in der späteren Erinnerung vor allem die rühmlichen Seiten behaupten und das Bild prägen. Eher ist ihm das umgekehrte Schicksal beschieden. Auch Barth war zeitlebens von Skepsis und Ablehnung umgeben. Der inzwischen weithin vollzogenen theologiegeschichtlichen Einreihung Barths, in der Barth gern als einer der bedeutendsten Theologen gepriesen wird, gelingt es nur partiell, die ihn prägenden Ecken und Kanten so einzuebnen, dass am Ende ein ganz normaler mitteleuropäischer Theologieprofessor herauskommt.5 Es sind vor allem die Konsequenz und Entschiedenheit, in der sich Barth sowohl in innerkirchlichen Auseinandersetzungen als auch in gesellschaftlichen Konflikten positioniert hat, die zu den jeweiligen Abgrenzungen geführt haben. Zur „Sache“ zu reden hat für Barth immer auch geheißen, zur „Lage“ zu reden,6 mal mehr indirekt7 und gelegentlich auch sehr 4 Im Blick auf Calvin vgl. Neuser, Calvin, 39. Zu Barth vgl. den Briefs Barths an Eduard Thurneysen vom 23. 11. 1934 in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. 3, 756 – 763, 58; vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 278. 5 Zwar hat die insbesondere im deutschen Sprachraum zu findende Neigung abgenommen, in der neue Diskussionsbeiträge sich zunächst einmal möglichst drastisch von Barth abgrenzen oder sich an einer Karikatur seiner Theologie abarbeiten, aber die Auseinandersetzung um Barth ist immer noch von einer Empfindlichkeit gekennzeichnet, die über das sonst in akademischen Diskussionen übliche Maß hinausgeht. 6 Vgl. Barth, Theologische Existenz heute. – „Wo theologisch geredet wird, da wird implizit oder explizit immer auch politisch geredet.“ (Brief an Studenten in Leiden vom 27. 02. 1939, zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 305) – Barth wehrt sich gegen diejenigen, „die mich in einen Theologen und in einen Politiker aufteilen wollen, um sich dann nur am Theologen […] interessieren und erbauen zu wollen, den Rest aber als eine Art pudendum, von dem man nur wünschte, daß es nicht da wäre, bei Seite schieben möchten.“ (Brief an H. Thomas vom 19. 06. 1947, zit. n. Busch, 303) In einem offenen Brief an Michael M. Hoffmann schreibt Barth am 21. 06. 1932: „Die Kirche ist per se politisch, sofern sie die in der Unordnung befindliche heidnische
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direkt.8 Wenn sich Barth gegen die offenkundig auch in der Kirche überaus wirksame Versuchung der nationalsozialistischen Ideologie auf das erste Gebot berief oder die Kirche an ihr theologisches Fundament erinnerte, ging es ihm um die Bewahrung bzw. die Wiederentdeckung der spezifischen christlichen Freiheit.9 In dem Maße, in dem sich Barth dabei mit dem kirchlichen oder gesellschaftlichen Mainstream angelegt hat, wurde er immer wieder marginalisiert.10 Das geschah in der Regel ohne eine eingehende Auseinandersetzung mit seinen theologischen Begründungen. Bischof Marahrens sah in Barth 1934 „die größte Gefahr für die D.E.K. [s.c. Deutsche Evangelische Kirche]“.11 Barth verspürte neben der großen Aufmerksamkeit, die ihm durchaus zuteilwurde, auch eine große Einsamkeit.12 Calvins Einsamkeit hat ganz andere Veranlassungen, aber in ihr spiegelt sich insofern dasselbe Phänomen, als auch er sich aus theologischen Gründen immer wieder dazu gedrängt sah, den Mehrheitsmeinungen und -überzeugungen zu widersprechen und eine verantwortlich begründete Verfahrensweise einzufordern. Das ebenso junge wie beflügelnde bürgerliche Freiheitsgefühl, das in Genf gerade erst erwacht war und zur Befreiung von der bischöflichen und römischen Bevormundung geführt hatte, wurde Calvin vor allem in zwei Bereichen zum Problem. Einmal da, wo es vor allem der Eigenwilligkeit und eben nicht der Gemeinschaft diente, und zum anderen da, wo die Politik sich in die Angelegenheiten der Kirche einmischte, wie sich besonders am Beispiel der so genannten Kirchenzucht zeigen ließe; hier sah er die Gefahr, dass das politische Machtkalkül die seelsorgerliche Freiheit der Kirche dominierte. Die von Calvin gegen das bürgerliche Emanzipationsbe-
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Polis zur Verwirklichung von Recht aufzurufen hat. Gut ist sie dann, wenn es das konkrete Gebot Gottes ist, ungut ist sie dann, wenn es die abstrakte Wahrheit einer politischen Ideologie ist, was sie vertritt.“ (Barth, Offene Briefe 1909 – 1935, 233) Die grundsätzliche Anerkennung dieses engen Zusammenhangs bedeutet keineswegs eine automatische Zustimmung zu allen seinen politischen Optionen, so wie ja auch die theologische Gefolgschaft nicht einfach im Wiederholen dessen bestehen kann, was uns zum eigenen Nachdenken angeboten wird. Allerdings sollten wir uns aufgefordert sehen, die jeweils in Anspruch genommene Freiheit auch auf ihre theologischen Implikationen hin zu betrachten. Auch die Kirchliche Dogmatik ist kontextuell zu verstehen; vgl. dazu u. a. Gorringe, Karl Barth. Vgl. insbesondere seine offenen Briefe, die in drei Bänden in der Karl Barth Gesamtausgabe erscheinen sind. Ohne jede Abstufung unterscheidet Barth zwischen regulärer und irregulärer Dogmatik, vgl. KD I/1, 292 ff. Vgl. u. a. Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom [1933]; ders., Für die Freiheit des Evangeliums [1933]; vgl. dazu auch in diesem Band Kap. 14 und 15. Besonders eindrucksvoll sind die beiden Dokumentationen von Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth und Ficker Sthelin, Karl Barth und Markus Feldmann. Als Zitat überliefert in einem Brief von Barth an Eduard Thurneysen vom 27. 11. 1934, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. 3, 756 – 763, 758. Vgl. u. a. den Brief Barths an Thurneysen vom 25. 08. 1933, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. 3, 482 – 485; vgl. auch im gleichen Bd., 337, 352 f., 428, 494, 512, 532, 543, 545 f., 568, 743, 779, 900, 904; vgl. die Hinweise im Register in Barth, Briefe des Jahres 1933; vgl. auch Busch, Karl Barths Lebenslauf, 278.
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wusstsein für die Kirche beanspruchten Rechte wurden unversehens unter den Verdacht gestellt, dass wieder die alte Oberherrschaft der Kirche installiert werden sollte, so dass sich Calvin in einer äußerst schwierigen Situation befand, die schnell in das Licht von Missverständnissen geraten konnte. Auch wenn der Jurist Calvin zweifellos einen Sinn für die Notwendigkeit vereinbarter Ordnungen gehabt hat, ist es ihm nie und nimmer darum gegangen, das abgeschüttelte Joch der bischöflichen Machtausübung nun durch strenges reformatorisches Regelwerk zu ersetzen.13 Es mag sich heute paradox anhören, aber in der Kirchenzucht stand für Calvin die Frage der Bewahrung und Bewährung der Freiheit der Kirche zur Debatte.14 Aus guten Gründen hat sich Calvin unter der vom Evangelium ausgehenden Freiheit etwas anderes vorgestellt als einen bürgerlichen Individualismus, dem allein in den Gesetzen des Staates eine Grenze gesetzt ist. Damit stand Calvin – zumindest bis 1555 – gegen das allgemeine Empfinden insbesondere der einflussreichen Genfer Akteure und musste sich immer wieder gegen öffentliche Anfeindungen zur Wehr setzen. Die starke Emotionalisierung weist darauf hin, dass sich der Konflikt nicht allein auf der Ebene der Theologie abspielte. Die theologische Argumentation hatte in den Konflikten weder bei Calvin noch bei Barth eine realistische Chance, tatsächlich gehört und ernst genommen zu werden. Die treibenden Kräfte in den Auseinandersetzungen folgten einer ganz anderen Agenda als derjenigen, die dem Bedürfnis nach theologischer Klärung folgt. Das ist ein nach wie vor brisantes Problem, dem nur schwer beizukommen ist, was aber nicht bedeuten darf, es deshalb einfach zu ignorieren. Die folgenden Überlegungen werden dies jedoch nicht weiter erörtern. Vielmehr sollen hier die theologischen Begründungszusammenhänge im Vordergrund stehen.
4.2 Ist von zwei Reformationen oder von zwei Schritten einer Reformation zu sprechen? Um zu verdeutlichen, in welchem Sinne von der Theologie Calvins und Barths als einer konsequenten Theologie gesprochen werden kann, soll ein kurzer Blick auf Calvins Reformation und ihre Wahrnehmung durch Karl Barth geworfen werden. Dabei spielt die Frage, wie sich die Schweizer Reformation zur Wittenberger Reformation verhält, eine entscheidende Rolle für die theologiegeschichtliche Bewertung. Es war kein geringerer als Heiko A. Oberman, der erneut im Blick auf Luther 13 Die Genfer Kirchenordnung hat einen eher minimalistischen Charakter, auch wenn sich dies der heutigen Lektüre nicht mehr sofort erschließt. 14 Vgl. Staedtke, Johannes Calvin, 52.
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und Calvin pointiert von zwei Reformationen gesprochen hat.15 Dabei sind vor allem sozialgeschichtliche Aspekte bestimmend. Oberman unterscheidet die vom Kloster ausgehende Reformation der Länder von der Stadtreformation Genf.16 Ihm liegt daran, die zweifellos bestehenden unterschiedlichen Profile der Reformation zu würdigen. Zu Recht stellt er fest, dass ein ausschließlich an Wittenberg orientiertes Verständnis eine reduktionistische Sicht der tatsächlichen Geschichte sei. Der Effekt dieser sozialgeschichtlich begründeten Sichtweise könnte nun aber der sein, dass der auf die Eigenständigkeit und Unterschiedlichkeit gelegte Akzent den engen inneren Zusammenhang und das grundlegende Bewusstsein von einer gemeinsamen Notwendigkeit zu sehr in den Hintergrund drängt. Damit gerät Calvin unweigerlich in eine problematische Beleuchtung, die weder seinem Selbstbewusstsein noch seinem fundamentalen ökumenischen Engagement entspräche. In seiner überaus anregenden Vorlesung über Calvin spricht Barth von einer „zweiten Wendung“ der Reformation.17 Damit würdigt er die enge Verbundenheit zur Wittenberger Reformation und zugleich die Eigenständigkeit der zweiten Generation in dem Privileg, im Horizont bereits wahrnehmbarer Fehlentwicklungen, Kurzschlüsse oder Inkonsequenzen auch entschlossen über die Entscheidungen der ersten Generation hinausgehen zu können und zu müssen. Das Privileg bezeichnet zugleich die besondere Verantwortung, die auf der zweiten Generation liegt. Ein Schüler wäre kein rechter Schüler, wenn er lediglich Epigone wäre und nicht auch über seinen Lehrer hinausginge.18 Luther wird nicht durch seine Wiederholung verteidigt, sondern durch das konsequente Weitergehen auf dem von ihm eingeschlagenen Weg. Der emphatische Ausbruch aus dem strengen Reglement einer alles in Beschlag nehmenden Kirche kann nur ein erster Schritt sein. Ihn gegangen zu sein, bleibt die unantastbare und bleibende Größe Luthers. Allerdings wäre ohne den Schutz einiger Landesfürsten – Oberman spricht von der „Reformation der Fürsten“ –, die sich aus recht unterschiedlichen Gründen als Schutzpatrone der Reformation engagierten, schon dieser erste Schritt im Keime erstickt worden.19 Selbst mit den Fürsten ist es zu Aufständen, die nur mit Gewalt befriedet werden konnten, und zum Teil chaotischen Zuständen gekommen, die vor allem den Interessen Roms in die Hände spielten und der Gegenreformation ein leichtes Feld bereiteten. Wenn es sich bei der Reformation also nicht nur um ein abenteuerliches historisches Zwischenspiel handeln sollte, dann musste sie auch den zweiten 15 Oberman positioniert sich damit in einer Debatte, die bis in die 1950er Jahre zurückreicht; vgl. dazu Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 115 – 117. 16 Vgl. Oberman, Zwei Reformationen, 206 f. Die „Reformation der Flüchtlinge“ kann Oberman dann auch als die dritte Reformation bezeichnen (vgl. ebd.) bzw. die dritte Phase der Reformation (ebd., 218). 17 Vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 66, 89 f., 95 f., 119 ff., 126, 133, 138 f. u. ö. 18 Vgl. ebd., 96. 19 Vgl. Oberman, Zwei Reformationen, 160 f.
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Schritt zu einer grundlegend erneuerten Lebensordnung und auch einer institutionellen Neukonstitution tun, um in einem verlässlichen und theologisch verantworteten Rahmen auf eigene Beine zu kommen.20 Wenn nicht die im Hören auf das Evangelium wahrgenommene Freiheit wieder unversehens verspielt werden sollte, galt es die notwendigen Konsequenzen für die Gestalt der Kirche und ihr Leben zu ziehen. Es entspricht der realistischen Nüchternheit Calvins, dass er nicht auf das nur mit der Auferstehung der Toten vergleichbare Wunder gewartet hat, das für ihn eine wahre Reformation bedeuten würde,21 sondern sich in aller Konsequenz der konkreten Gestaltungsaufgabe der Kirche gestellt hat. In diesem Sinne spricht Barth davon, dass Calvin „die Reformation welt- und geschichtsfähig gemacht“22 habe. Auf diese ebenso unverzichtbare wie undankbare Rolle war Calvin weder vorbereitet, noch hat er sie einfach mit Leichtigkeit und fehlerfrei gemeistert. Sein doppeltes Verdienst besteht allerdings darin, dass er sich einerseits dieser Aufgabe konsequent und schließlich auch erfolgreich gestellt hat und dass er andererseits auch theologisch die Notwendigkeit aufgewiesen hat, die in der expliziten Wahrnehmung dieser lebensgestaltenden Aufgabe gesehen werden muss. Die Art und Weise, in der Barth diese mit Calvin verbundene zweite Wendung in der Reformation charakterisiert hat, besagt ebenso viel über Calvin wie eben auch über ihn selbst. Während „das Mittelalter […] ganz und gar in der Horizontale lebt“, habe „Luther […] ganz und gar in der Vertikale“ gelebt. Barth spricht hier die Sprache seines Römerbriefes und zugleich geht er – angeregt von Calvin – sachlich einen Schritt über ihn hinaus. Luther habe dafür gerungen, dem Wort wieder den ihm zukommenden freien Lauf zu verschaffen – „werde dann aus den Werken, was da wolle“. Die Aufgabe der zweiten Wendung der Reformation bestand dann darin, die notwendige positive „Beziehung zwischen der Vertikalen und der Horizontalen“ herzustellen.23 Die Metaphorik der beiden Dimensionen des Kreuzes24 bestimmt Barths Charakterisierung der beiden notwendig zusammengehörigen Schritte der Reformation. Luthers Frage war eine charakteristische Mönchsfrage, mit deren Auflösung sich zugleich das Kloster auflöst und den irdischen Möglichkeiten eine deutliche Relativierung widerfährt. Die zweite Wendung verbindet nach Barth das befreite Wort nun wieder – gleichsam „auf einer höheren Kurve des Weges“ – mit der Frage nach der angemessenen christlichen Weltlichkeit.25
20 Über die Reformation der Lehre hinaus musste es auch zu einer Reformation des Lebens kommen, was von der zweiten und dritten Generation der Reformatoren vorangetrieben wurde; vgl. Strohm, Eigenart der Theologie Calvins, 97 f. 21 Vgl. CO 6,510 f.; vgl. Oberman, Zwei Reformationen, 164. 22 Vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 121. 23 Vgl. ebd., 64 ff. 24 Es lässt sich kaum überhören, dass Barth hier bewusst und wiederholt einen besonderen Ton auf die vor allem lutherisch besetzte „theologia crucis“ legt. 25 Vgl. ebd., 89 f. Barth hebt für die zweite Wendung in der Reformation und somit für das
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Das einzigartige und als solches anzuerkennende Verdienst Luthers liegt in der „Eröffnung der Bewegung“26, aber es sei eben auch nicht nur ein geschichtlicher Zufall, dass sich das Schwärmertum vor allem in seinem Umfeld ermutigt fand.27 Ohne den zweiten Schritt hätte die Reformation nicht das nötige geschichtliche Stehvermögen gehabt. Eine Verdächtigung dieses zweiten Schrittes als eine Reaktivierung der gerade erst überwundenen Gesetzlichkeit könne nur als Ausdruck geschichtlicher und auch theologischer Ignoranz bewertet werden.28 Dennoch wird nicht Luther, sondern Calvin von Barth als eine tragische Gestalt bezeichnet.29 Sein unvergleichlicher Erfolg habe darin bestanden, dass er die Reformation geerdet und zu ihrer Geschichtsfähigkeit ernüchtert und damit zugleich an ihre Grenze geführt hat.30 Die Tragik ist nun darin zu sehen, dass die Konsequenz, in der Calvin die Reformation vollendet habe, zugleich ihre Gefährdungslinie in den Blick rückt, wo die Reformation gleichsam wieder auf ihren Ausgangspunkt stößt. Ich möchte es einmal so zusammenfassen: Aus der mittelalterlichen Verdienstlichkeit des menschlichen Lebens wurde durch Luther das sola fide; zu diesem sola fide ist dann durch Calvin der freie Dienst des Lebens hinzugekommen; und dieser bringt zugleich wieder die Versuchung in Sicht, dass sich über den freien Dienst unversehens auch das Motiv des Verdienstes wieder zurückmeldet.31 Die weitere Geschichte hat gezeigt, dass diese Versuchung keineswegs nur theoretische Möglichkeit ist. Barth verweist hier auf die durchaus gefährliche Dialektik der Reformation, die mit der notwendigen Vollendung unweigerlich einhergeht.32
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Reformiertentum die dann auch für seine eigene Theologie charakteristische „Einheit von Glauben und Leben, Dogmatik und Ethik“ hervor ; vgl. ebd., 104, 108. Vgl. ebd., 95. Vgl. ebd., 112 f. Vgl. ebd., 121 f. In einer „zögernden Unsicherheit Luthers gegenüber dem ethischen Problem steckte ja der erste Sinn, das Lebendige der Reformation, das allerdings nach einer zweiten, vollendenden Wendung förmlich schrie, ohne das aber der Schritt ins Leben nichts Anderes war als Verrat und Preisgabe der neuen Erkenntnis, Rückkehr zu der Hure der Vernunft und in die Gottlosigkeit des Papsttums, um es in lutherischen Kategorien auszudrücken.“ (Ebd., 126) Hinrich Stoevesandt weist darauf hin, dass Barth später das Wort ,Tragik‘ „fast ostentativ gemieden hat“ (Stoevesandt, Barths Calvinvorlesung, 111). Vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 153. Barth weist hier auch nüchtern auf eine gewisse in der Person Calvins liegende Tragik hin, die sich in seinem bisweilen allzu eifernden ,heiligen‘ Temperament entzündet; vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 167 f. Vgl. ebd., 153; vgl. auch 119, 122. Hier liegt auch der Grund für Barths betontes Festhalten an Luther : „Ein guter Reformierter muß seine Sache immer damit anfangen, daß er Luthers einzigartige Stellung in der Reformation glatt anerkennt und von Luther sich auch dadurch nicht abdrängen läßt oder selber löst, daß er sich, den Winken Zwinglis und Calvins folgend, genötigt sieht, einen Schritt über Luther hinaus zu tun, sondern, indem er das ganz bewusst tut, immer wieder auf Luthers Ansatz zurückkommt.“ (Ebd., 95) – Es ist Calvin nicht hinreichend gelungen, die Einheit von Dogmatik und Ethik darzustellen, und es bleibt Barth auch eine Frage, ob dies je gelingen kann oder nicht doch für den Menschen eine „unmögliche Möglichkeit“ bleibt (Vgl.
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Calvin und Barth stehen darin zusammen, dass sie den Glauben erst recht thematisiert sehen, wenn er die ganze menschliche Existenz durchdringt und somit auch das konkrete Leben prägt. Was könnte mit der Ehre Gottes gemeint sein, wenn nichts für sie geschieht?33 Der Glaube muss einerseits seine spezifischen Konstitutionsbedingungen, aber auch andererseits seine Sendung kennen, denn er soll ja nicht aus der Welt herausführen, sondern erst recht in sie hineinführen und in ihr zur Ehre Gottes gelebt werden: Ein konsequentes Festhalten am sola fide wird erst dann möglich, wenn seine Reichweite und seine existenzielle Bedeutung klar bestimmt sind.
4.3 Nicht der Mensch ist die entscheidende Frage, sondern Gott Über die Bedeutung des berühmten ersten Satzes der Institutio ist viel gerungen worden. Jenseits aller Veränderungen, die Calvin im Zuge der verschiedenen Ausgaben der Institutio in der Formulierung vorgenommen hat, steht der konstitutive Zusammenhang von Gotteserkenntnis und menschlicher Selbsterkenntnis als Bedingungshorizont aller ernsthaft so zu nennenden Weisheit in der Mitte dieses Satzes.34 Nicht die Heilsfrage ist der Ausgangspunkt, sondern Calvin rückt entschlossen die Erkenntnisfrage an den Anfang seiner Theologie.35 Von ihr hängt alles andere ab – was wir für wahr halten und was für falsch, was uns als verlässlich gilt und was nur als Schein, worauf es ankommt und was ohne Bedeutung ist, worauf eine Verheißung liegt und was ins Nichts führt, ja, was überhaupt als Wirklichkeit gelten kann und was sich nur als solche in Szene zu setzen versucht. Damit hängt die Frage nach der Instanz zusammen, die einer Erkenntnis die zu erwartende Verlässlichkeit zu geben vermag. Hier entscheidet sich, ob die erwartete Freiheit eine blinde und somit diffuse bzw. willkürliche, oder ob sie eine orientierte und somit tatsächlich entscheidungsfähige Freiheit ist. Ohne eine Klärung dieser Frage bewegen wir uns unweigerlich in einem unbestimmten Raum diffus floatierender und miteinander konkurrierender Einsichten und Bewertungen, die – konsequent zu Ende gedacht – vor allem ebd., 109, 120), so dass die hier gestellte theologische Aufgabe eine dialektische bleibt (vgl. auch Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 145). 33 Vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 104. 34 1536: „Die Summe der hg. Lehre umfasst offenbar diese beiden Teile: die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis.“ (Calvin, Christliche Glaubenslehre nach der ältesten Ausgabe vom Jahre 1536, 25) – 1559: „All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfaßt im Grunde zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis. Diese beiden aber hängen vielfältig zusammen. Und darum ist es nun doch nicht so einfach zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus bewirkt.“ (Inst. I, 1.1: Unterricht in der christlichen Religion, 23). Zur Diskussion über Calvins Erkenntnislehre vgl. Klappert, Die Rezeption der Theologie Calvins, 54 – 59; Dowey Jr., The Knowledge of God; Parker, Calvin’s Doctrine of the Knowledge of God. 35 Vgl. auch Stadtland, Rechtfertigung und Heiligung bei Calvin, 62.
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dazu geeignet sind, sich gegenseitig aufzuheben. In freier Abwandlung von Wittgenstein steht das Problem zur Debatte: Was gibt uns den Mut, etwas zu sagen und nicht vielmehr zu schweigen? Es ist nicht ein bestimmtes Problem und auch nicht das Problem des Menschen, um dessen Lösung willen die Theologie angegangen wird, sondern Calvin betont, dass die Theologie den Menschen mit einem bestimmten Problem konfrontiert, das er von sich aus so gar nicht aufwerfen würde. Es ist das Problem, dass es schon eine ungeheure Selbstüberschätzung wäre, wollte der Mensch behaupten, von sich aus um sein Problem zu wissen. Auf sein eigentliches Problem muss der Mensch erst hingewiesen werden. Die Theologie erörtert nicht den problematisierenden, sondern den problematisierten Menschen – nicht den nach Gott fragenden Menschen, sondern den nach dem Menschen fragenden Gott. Eben deshalb verlangt „die rechte Ordnung […], daß wir zunächst die Gotteserkenntnis und dann die Selbsterkenntnis behandeln“.36 Und im Blick auf die Gotteserkenntnis kommt es entscheidend darauf an, der altkirchlichen Einsicht die Treue zu halten, dass Gott allein durch Gott erkannt werden kann.37 Um die Theologie kann es auf die Dauer nur dann gut bestellt sein, wenn sie sich nicht allein an die Heilsfrage des Menschen hängt. Genau dies ist der Einwand, den Calvin gegen Kardinal Sadolet erhebt: Das „jedenfalls ist zu wenig theologisch [gedacht], den Menschen in einer Weise mit sich selbst zu befassen, daß man ihm unterdessen, den Eifer, Gottes Ehre ans Licht zu bringen, nicht mehr als Grundlage seiner Lebensführung vor Augen stellt.“38 Nur dann wird auch das Heil des Menschen tatsächlich zur Sprache kommen können, wenn es nicht die treibende Sorge der Überlegungen darstellt. Das ist die eigentliche Herausforderung der Theologie Calvins, die dann auch bei Barth in neuer Weise aufgegriffen wird: Nicht der vom Menschen thematisierte Gott führt zu der erhofften Orientierung.39 Es kann vielmehr nur der von Gott gefundene Mensch sein, der gerade nicht auf seiner Perspektive und seinen Fragen beharrt, sondern sich diese von Gott aus neu erschließen lässt. Das ist eine theologische Forderung, von der sowohl Calvin wusste als auch Barth, dass sie grundsätzlich zu hoch greift. Wir werden ständig hinter dieser Forderung zurückbleiben, so dass sie immer wieder neu unsere geschichtliche theologische Existenz zu bestimmen hat. Um Gottes willen kann von dieser Forderung nicht abgerückt werden. Sie bleibt gleichsam als permanenter Einspruch gegen unsere Neigung zu theologischen Fixierungen und kirchli36 Institutio I, 1.3. Vgl. dazu auch Link, Streitbare Theologie, 107 ff. 37 Vgl. Institutio 1, 13.21. Zu Calvin Erkenntnislehre vgl. auch Niesel, Die Theologie Calvins, 23 – 52; Hesselink, Calvin’s theology, 77 f.; Venema, Accepted and Renewed in Christ, 34ff (hier weitere Literaturabgaben). 38 Calvin, Antwort an Kardinal Sadolet, 363. 39 Es muss uns hier nicht interessieren, inwiefern Barth davon überzeugt war, in diesem Punkt noch über die Reformatoren hinausgehen zu müssen. Bereits die festzustellende Gemeinsamkeit stellt für die heutige Theologie eine grundlegende Anfrage dar.
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chen Selbsttraditionalisierungen im Blick zu halten.40 Im Unterschied zu Barth haben die Reformatoren noch mit einer natürlichen Gotteserkenntnis gerechnet, faktisch aber haben auch sie von dieser Möglichkeit keinen substanziellen Gebrauch mehr gemacht.41 Dass damit das Problem nur benannt, aber noch keineswegs gelöst ist, war sowohl Calvin als auch Barth klar. Für eine angemessene theologische Hermeneutik bleibt festzuhalten: Aus der Gefangenschaft unserer Selbstbefreiungsversuche können wir nur befreit werden. Wo es nicht Gott ist, der uns von uns selbst befreit, kann Freiheit nur ein Ausdruck unserer Gefangenschaft sein, eben dem Verurteiltsein zu ebenso permanenter wie prinzipiell vorläufiger Selbstinterpretation. Indem wir aber auch da, wo wir uns von Gott auf die Beine gestellt sehen, immer auch mehr oder weniger auf unser eigenes Stehvermögen vertrauen, bleiben wir auf den befreienden Geist Gottes angewiesen.
4.4 Nur der freie Mensch und die freie Kirche können Gott die Ehre erweisen Ein besonders charakteristisches Band, das die verschiedenen reformatorischen Traditionen zusammenhält, ist das betonte Motiv der Freiheit der Christenmenschen.42 Allerdings bleibt dabei zu beachten, dass Freiheit bei den Reformatoren nicht einfach das ist, was später insbesondere seit der Aufklärung unter Freiheit verstanden wird.43 Gewiss gibt es zwischen Luther und Calvin eine Menge unterschiedliche Akzentsetzungen, aber angesichts der heutigen Diskussionslage ist es von Bedeutung, zunächst einmal auf die grundsätzliche Übereinstimmung44 in den drei Fundamentalaspekten hinzuweisen: 1. Die Freiheit kann niemals das Resultat menschlicher Selbstbestimmung sein, sie wird nicht vom Menschen ergriffen, sondern ergreift ih40 Zum hier ins Blickfeld kommenden Problem der natürlichen Theologie bei Barth vgl. o. Kap. 2.4.1. 41 So Barth in der Aussprache auf der reformierten Synode in Barmen vom 3. u. 4. Jan. 1934, in: Immer (Hg.), Freie reformierte Synode, 27; vgl. dagegen u. a. Postema, Calvin’s Alleged Rejection of Natural Theology. 42 Wenn die EKD ihren angestrebten Reformprozess 2007 unter die Überschrift stellt: „Kirche der Freiheit“, trifft sie einen zentralen Nerv reformatorischer Theologie. Problematisch bleibt allerdings, dass sich der Begriff nicht selbst erklärt. Vielmehr stellt Freiheit einen sehr unterschiedlich besetzbaren Begriff dar, so dass sich der Eindruck aufdrängt, als werde mit diesem Begriff vor allem versucht, ein in alle Richtungen attraktiv wirkendes Aushängeschild aufzustellen. 43 Auch hinsichtlich der Kontinuitätsvorstellungen, nach der das aufklärerische Freiheitsverständnis eine ebenso konsequente wie nahe liegende Frucht der Reformation sei, sollte ein genaues Hinsehen auferlegt sein, damit die tatsächlichen Konflikte nicht einfach eingeebnet werden. Vgl. dazu auch Weinrich, Zur Freiheit befreit; ders., Freiheit verbindet. 44 Vgl. auch Link, Streitbare Theologie, 115.
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rerseits den Menschen. 2. Freiheit wird insofern zu einem Souveränitätszeichen des Menschen als sie die Welt profanisiert, so dass der Mensch wieder den ihm zugeschriebenen Adel der Gottebenbildlichkeit wahrnehmen kann. Und 3. ist der von seiner Selbstsorge befreite Mensch ein seinem Befreier und dem geknechteten Geschöpf zuhöchst verpflichteter Mensch, dessen Blick nun nicht mehr von den Bedürfnissen der Selbstsorge gehalten wird, sondern der sich den tatsächlichen Erfordernissen der immer noch von Leid und Elend gekennzeichneten Wirklichkeit stellt. Freiheit ist in diesem Sinne als eine besondere Wirklichkeitsbefähigung des Menschen zu verstehen und impliziert automatisch, dass sie stets auch eine Menge zu tun hat, solange wir noch nicht im Reiche Gottes leben. Neben dieser fundamentalen Übereinstimmung gibt es nun auch deutlich unterschiedliche Akzente. Diese hängen nicht zuletzt damit zusammen, dass sich Luther vor allem nomistischen Gegnern,45 Calvin aber libertinistischen Gegnern gegenübersah.46 Während Luthers Emphase auf dem Befreiungshandeln Gottes – also dem ersten Aspekt – liegt, betont Calvin den dritten Aspekt, indem er die Heiligkeit des Lebens der Befreiten zur Ehre Gottes hervorhebt.47 In diesem Unterschied spiegeln sich die Einsichten, die wir oben im Zusammenhang der ersten und der zweiten Wendung der Reformation gemacht haben.48 Das, was für Luther bereits der entscheidende Zielpunkt zu sein scheint, aus dem dann alles andere gleichsam automatisch folgt, ist für Calvin lediglich der dezidierte Ausgangspunkt, die Bedingung der Möglichkeit für ein geheiligtes Leben, wo die Freiheit erst zu ihrer entscheidenden Bestimmung durchdringt. Das zeigt bereits die auch immer wieder – insbesondere von lutherischer Seite – problematisierte Architektur der Institutio, die den Glauben als Werk Gottes sofort mit dem rechten Leben als der entscheidenden Zielbestimmung in Verbindung bringt und erst im weiteren Verlauf – gleichsam als den entscheidenden Ermöglichungsgrund – auf die Rechtfertigung zu sprechen kommt.49 Diese Architektur verstellt von vornherein jede Neigung zu einer
45 Die Begegnung Luthers mit dem so genannten Schwärmertum und der Forderung, das Gesetz vollkommen abzutun, bestimmt nicht seinen reformatorischen Impuls, sondern holt ihn erst später ein, so dass er sich gedrängt sieht, hier Klarheit zu schaffen wie etwa in seinen ersten Thesen gegen die Antinomer 1537. 46 Vgl. auch Stadtland, Rechtfertigung und Heiligung bei Calvin, 16. 47 So schon im VI. Kapitel der ersten Auflage der Institutio von 1536. 48 Dabei bleibt besonders zu beachten, dass Calvin bereits 1547 auf die gegenreformatorische Abfassung des Rechtfertigungsverständnisses reagiert, wie es in der ersten Phase des Konzils von Trient formuliert wurde, das er mit großer Aufmerksamkeit beobachtet und dann auch publiziert und kommentiert hat; vgl. Calvin, Die Akten des Trienter Konzils. 49 Als letzte Konsequenz der Betonung der Alleinwirksamkeit Gottes im Gnadengeschehen bedenkt Calvin – gleichsam in einem Grenzgedanken – das Motiv der Prädestination. Es bekam allein deshalb innerhalb seiner Theologie ein relativ bedeutungsvolles Gewicht, weil sich Calvin in dieser Frage immer wieder gegen seine Bestreitung zu verteidigen hatte, was er auch ent-
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selbstzwecklichen Thematisierung des Glaubens.50 Indem der Glaube seine Bestimmung in einem von Gott geheiligten Leben hat, bekommt die Versöhnungslehre gleichsam instrumentellen Charakter, indem sie den seinem Wesen entsprechenden Weg Gottes beschreibt, auf dem es zu diesem Leben kommt.51 So wie der Glaube seinen Zweck nicht in sich selbst hat, so eben auch nicht die Gnade Gottes. Sie ist in ihrer doppelten Gestalt der vom Geist im Glauben gewirkte Weg, auf dem die Versöhnung den Menschen grundlegend betrifft und die menschliche Existenz prägt.52 Sie beschreibt gleichsam die doppelte Wohltat der den Glauben kennzeichnenden Vereinigung mit Christus, auf die Calvin ein besonderes Gewicht gelegt hat.53 Dem perfectum der Rechtfertigung entspricht nicht ein perfectum der Heiligung; vielmehr steht diese im Zeichen der bleibenden vitalen Angewiesenheit des Menschen auf den Heiligen Geist in den jeweiligen Dynamiken unseres Lebens. Cornelis P. Venema unterscheidet in seiner neueren Studie über die zweifältige Gnade den Status des Gerechtfertigtseins von dem Prozess der lebenslang andauernden Transformation des Lebens durch das Wirken des Heiligen Geistes.54 Wenn Calvin betont, dass es dabei um eine Umkehr des Lebens zu Gott gehe, hat er nicht einfach irgendwelche Taten im Blick sind, sondern es geht ihm um die vom Glauben bewirkte Durchdringung und Veränderung der ganzen menschlichen Existenz. Nur insofern kann von der Heiligung etwas pointiert als der Rechtfertigung unseres Tuns gesprochen werden,55 als unser Tun eben immer eine Ausdrucksform unseres jeweiligen Existenzverhältnisses darstellt – Calvin spricht in diesem Zusammenhang von der Seele
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schlossen getan hat, weil es für den inneren Halt insbesondere der zahlreichen Flüchtlingsgemeinden von fundamentaler Bedeutung war; vgl. Oberman, Zwei Reformationen, 218 ff. Cornelis P. Venema sieht die Vorordnung der Heiligung vor die Rechtfertigung in dem möglichst konsequenten Ausschluss der Möglichkeiten begründet, dass einerseits die Rechtfertigung als Argument gegen gute Werke ausgespielt und andererseits dem gottgefälligen Tun irgendeine rechtfertigende Bedeutung zugemessen werden könnte. „Consequently, Calvin’s order of treating the ‘twofold grace of God’ is a rhetorical device that serves his theological understanding of justification and sanctification as corollary, though distinct, aspects of the grace of God in Christ.“ (Venema, Accepted and Renewed in Christ, 137) Es muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass diese Reihenfolge jedoch nicht als eine Rangfolge im sachlichen Gewicht angesehen werden darf. Im Blick auf das theologische Gewicht kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Rechtfertigung das erste und grundlegend bleibende Element des Glaubens ausmacht; vgl. mit zahlreichen Belegen Venema, Accepted and renewed in Christ, 95 ff. Vgl. ebd., 79. Die doppelte Gnade ordnet Calvin dem priesterlichen (Rechtfertigung) und königlichen (Heiligung) Amt Jesu Christi zu (vgl. Stadtland, Rechtfertigung und Heiligung, 143), was später von Barth in konsequenter Weise aufgegriffen und weiter entfaltet wird (KD IV/ 1 und KD IV/2); vgl. dazu auch grundlegend Schellong, Calvins Auslegung der synoptischen Evangelien, 236 ff.; Venema, Accepted and Renewed in Christ, 145 ff. Institutio III 11,1; vgl. dazu u. a. Venema, Accepted and Renewed in Christ, 83 ff.; vgl. auch Gracia, Life in Christ. Vgl. Venema, Accepted and Renewed in Christ, 111, 130. Es geht in keiner Weise weniger um ein Handeln Gottes am Menschen als im Rechtfertigungsgeschehen; vgl. ebd., 113. Calvin hat selbst von der doppelten Rechtfertigung gesprochen; vgl. dazu ebd., 163 ff.
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oder dem Herz des Menschen, die eben durch den Geist gleichsam auf Gott ausgerichtet werden.56 Dabei orientiert weniger das Motiv der Reue als vielmehr das Motiv der Dankbarkeit gegenüber der Güte Gottes.57 Es ist von Bedeutung, daran zu erinnern, dass die Versöhnungslehre bei Calvin sachlich in die Bundestheologie eingezeichnet ist, denn im Bund kommt der hier nicht weiter zu entfaltende Bedingungshorizont des christlichen Lebens in den Blick.58 Im 19. Kapitel des dritten Buches der Institutio zeigt Calvin in einem klärenden Anhang zur Rechtfertigungslehre, dass es in dem von ihm herausgestellten Leben im Glauben um die christliche Freiheit geht, die es entschieden vor ihrer Privatisierung zu schützen gilt.59 Die Freiheit der Kinder Gottes bzw. seiner Partner vollzieht sich in dem von Gott gestifteten und dann auch von ihm selbst erfüllten asymmetrischen Bund. Die christliche Freiheit liefert die entscheidende Begründung für den etwas unglücklich sogenannten tertius usus legis, nach dem sie dem Gebot aus Dankbarkeit „Gott in freudiger Bereitwilligkeit“ zu folgen sich bemüht.60 Im Römerbriefkommentar paraphrasiert Calvin Paulus prägnant: „Es ist absurd, nach der Freilassung weiter unter den Bedingungen der Knechtschaft zu verbleiben, denn [nun] gilt es, den erlangten Stand der Freiheit zu bewahren. Denn es ziemt sich für euch nicht, wieder unter die Herrschaft der Sünde gebracht zu werden, von welcher ihr durch Christus frei gemacht worden seid.“61 Die Freiheit schafft keine Distanz zum Gebot Gottes, sondern sie wird zum Trost des Gewissens angesichts der auch im Glauben bleibenden Unvollkommenheit unseres Tuns.62 Keine autoritativen Maßregeln werden aufgestellt, sondern Calvin erwägt vor allem das Problem der Möglichkeit des menschlichen Tuns, seine Begründung und Reichweite.63 Es ist diese in der Bindung an Gott konstituierte Freiheit, in der Calvin der Reformation in Genf eine konkrete tragfähige Gestalt zu geben versucht hat und dabei immer wieder in Konflikt mit anderen Erwartungen an die Kirche geriet. Auch Barth betont mit der Freiheit den Entsprechungscharakter zu der durch die Gnade Gottes hergestellten Wirklichkeit, in welcher der Mensch als Gottes Gegenüber in Freude leben darf. In Entsprechung zu der erwählenden Freiheit Gottes kann die Freiheit des Menschen unmöglich in „nackte[r] Souveränität“ oder in der Wahlfreiheit des „Herkules am Scheideweg“ be56 Vgl. Institutio III 3,6. Wenn Calvin hier auch gern davon spricht, dass wir zu Kindern Gottes werden, so ist einerseits diese vertrauensvolle Ausrichtung unserer „Seele“ auf Gott im Blick als auch die bleibende Unvollkommenheit unseres Tuns, die aber in den Augen des gütigen Vaters dennoch mit Freude betrachtet wird; vgl. Stadtland, Rechtfertigung und Heiligung, 200. 57 Vgl. Venema, Accepted and Renewed in Christ, 116 f. 58 Vgl. dazu u. a. Wolf, Die Einheit des Bundes; Venema, Accepted and Renewed in Christ, 183 ff. 59 Vgl. dazu auch Niesel, Die Theologie Calvins, 139 ff. 60 Vgl. Institutio III 19,4. 61 Calvin, Der Brief an die Römer, 325 (zu Röm 6,18). 62 Vgl. Institutio III 19,4; vgl. dazu auch Freudenberg, Zum Antworten geschaffen. 63 Vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 278 f. Es kann nicht verwunderlich sein, wenn Calvin dann auch den Jakobusbrief ganz anders liest als Luther ; vgl. dazu Stadtland, Rechtfertigung und Heiligung, 201 – 203 mit den entsprechenden Hinweisen auf die Quellen.
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stehen.64 Sie bleibt grundsätzlich unterbestimmt, wenn sie nur als Möglichkeit verstanden wird. Der zielgerichteten Gabe entspricht nur ihre zielgerechte Wahrnehmung; ihre Wirklichkeit kann nur ihre wirklichkeitsgerechte Betätigung bestätigen. Wo sie nicht als eine zur Beziehung zu Gott und den Mitmenschen befähigende Gabe Gottes wahrgenommen wird, wird sie gar nicht wahrgenommen, so sehr sie auch versuchen mag, sich mit dem Etikett der Freiheit zu schmücken, wie es durch die Eigenwilligkeit des Menschen ja ununterbrochen vorgeführt wird.65 Indem es sich um die Freiheit der Wirklichkeit des Bundes Gottes mit dem Menschen handelt, wird sie nach Kräften, und d. h. dann auch durch „Wahl, Entscheidung, Entschluß, Tat“66 eben diesen Bund zu bestätigen versuchen. Alles andere stünde gegen die Bedingungen ihrer Ermöglichung und würde somit dem Gesetz einer anderen Wirklichkeit folgen. Indem aber das Gesetz dieser anderen Wirklichkeit nicht das Gesetz unseres Befreiers ist, bleibt davon auszugehen, dass die dort zu findende Freiheit nichts anderes als eine schönfärberische Umbenennung einer faktischen Knechtschaft darstellt. Einem Gesetz kann grundsätzlich keine Freiheit abgerungen werden, es sei denn, es ist das Gesetz der Freiheit, d. h. die Benennung ihrer Bedingung und eben nicht ihres Zwecks. Der Bund steht für die Wirklichkeit, in welcher der Mensch nicht sich selbst überlassen ist. Seine Wirklichkeit ist der Raum eben der Freiheit, um derer willen er installiert ist. Und so ist es nicht nur konsequent, sondern schlicht wirklichkeitsgerecht, nun auch das Wählen, Entscheiden und Handeln an dieser den Bund ausmachenden Freiheit auszurichten. Das funktioniert nur, wenn sich die Freiheit auch darin erweist, dass sie allen anderen um den Menschen werbenden Ansprüchen und Erwartungen gegenüber den Vorbehalt wahrt, dass diese nicht mit den Gesetzen des die Freiheit des Menschen ausmachenden Bundes in Konflikt geraten dürfen. In diesem Sinn sah Barth die Kirche in den verschiedenen Konfliktbereichen „zu einer ganz neuen Freiheit ihres Bekenntnisses und ihrer Erkenntnis aufgerufen“67 – das ist das Zentrum der vielen ekklesiologischen Beiträge Barths vor allem in den 1930er und 1940er Jahren. Hier wird deutlich, dass der Freiheit des Christenmenschen keineswegs eine konfliktfreie Entfaltung verheißen ist. Vielmehr zeichnen sich die Kon64 65 66 67
Vgl. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 4, 9. Vgl. ebd., 10. Vgl. ebd., 9. Barth, Das Evangelium in der Gegenwart, 34. Es heißt dort weiter (und dabei wird deutlich, dass es nicht um steile Kontraste, sondern um durchaus bewegliche Dynamiken geht, die allerdings im Horizont eines klaren Begründungsgefälles agieren): „Zur Freiheit von allen denjenigen Voraussetzungen, Bindungen und Verpflichtungen, die ihr nicht durch das Evangelium, sondern von außen, durch die Rücksicht auf die eigene Natur und Richtung der geschichtlichen Kräfte und Mächte auferlegt wurden. Ihre Beziehungen zu diesen Kräften und Mächten müssen – nicht gelöst, wohl aber gelockert, sie müssen in Erfüllung jener Solidarität wieder zu Beziehungen eines lebendigen kirchlichen Handelns an ihnen werden“.
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flikte ab, in die sie unweigerlich in der Begegnung mit den vielen Gesetzen geraten wird, die je für sich beanspruchen, die Wirklichkeit der Welt zu bestimmen. Nichts ist so umworben wie die Wirklichkeit, und so kommt es entscheidend darauf, von wo aus uns die Augen für diese geöffnet werden. Auf diesen besonderen Anspruch der Freiheit als einer wirklichkeitsgerechten Freiheit haben Calvin und Barth entschlossen hingewiesen. Die ihnen immer wieder entgegengebrachte Skepsis und dann auch offene Ablehnung hat etwas mit dieser beunruhigenden Konsequenz zu tun, in der sie den Glauben mit dem Leben verbunden haben und somit der Freiheit zu einem nicht nur theologisch relevanten Verständnis verholfen haben. Das ganze Leben in den Horizont freier Dankbarkeit zu stellen, kann jedoch nur denen zu einem Stein des Anstoßes werden, denen sich entweder der tatsächliche Grund zur Dankbarkeit noch nicht erschlossen hat, oder die sich entweder träge oder hochmütig oder eben unaufrichtig über ihn hinwegsetzen.
5. Christus als Zeitgenosse Von der Gegenwart der Parusie Jesu Christi1 5.1 Problemanzeige Im April 1941 – also mitten in dem heftig wütenden und noch keineswegs entschiedenen Zweiten Weltkrieg – schreibt Karl Barth einen Brief an die Christen in Großbritannien, in dem es heißt: „Wer heute für Hitlers Unternehmen oder nicht dagegen oder doch nicht mit allen Konsequenzen dagegen ist, der verdient es, nach dem Willen Gottes, durch die ,Revolution des Nihilismus‘ zu empfangen, was er wert ist. […] Der klare Wille Gottes macht das Einstehen für diesen Krieg zu einer Sache des christlichen Gehorsams.“2
Hier macht Barth eine Zäsur und fragt: „Kann man das so bestimmt sagen?“ Die nun folgende Antwort konfrontiert uns mit dem Problem, dem ich mit meinem Referat nachgehen will – ich zitiere einen längeren Abschnitt: „Wir Christen müssen es darum in aller Bestimmtheit sagen, weil die Welt, in der wir leben, der Ort ist, wo Jesus Christus von den Toten auferstanden ist. […] Weil das wahr ist, darum ist die Welt, in der wir leben, nicht irgendein finsterer Raum, in welchem das Schicksal oder der Zufall regieren, in welchem alle möglichen ,Mächte und Gewalten‘ sich ungescheut und grenzenlos ausleben und austoben dürften. […] Wir würden die Auferstehung Jesu Christi verachten und sein Regiment zur Rechten des Vaters verleugnen, wir könnten auch in der Kirche, in unserer Anbetung Gottes, in unserer Verkündigung und in unserem Hören seines Wortes, in unserem persönlichen Glauben, Lieben und Hoffen keine ruhige Stunde mehr haben, keinen Trost und keine Kraft mehr finden, wir müßten vor Gott und seinen Engeln und allen Kreaturen in Schanden dastehen, wenn wir die schon geschehene Heiligung der Welt, in der wir leben, vergessen, wenn wir nicht um Jesu Christi willen den Koboldsgeistern entschlossen und mutig gegenüber treten würden.“3
Nicht weniger als dieses wird damit von Barth annonciert: Mit der Frage des Widerstands gegen den Nazi-Faschismus steht für die Christen mit allen Konsequenzen die Frage nach ihrem Christusbekenntnis auf dem Spiel; es 1 Erweiterte Fassung eines Vortrags am 12. 07. 1988 auf der 19. Karl Barth-Tagung in der Heimstätte Leuenberg; zuerst in: ZDT 4, 1988, 185 – 225. Der Beitrag, der Friedrich-Wilhelm Marquardt zum 60. Geburtstag gewidmet ist, wird hier in geringfügig revidierter Fassung abgedruckt. 2 Barth, Eine Schweizer Stimme 1938 – 1945, 184 f. 3 Ebd., 185 f.
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geht hier in umwegloser Direktheit um die Treue zu Christus oder um seine Verleugnung. Als Grund für diese Bestimmtheit gibt Barth die Heiligung der Welt durch den Auferstandenen an. Wohlgemerkt heißt es nicht, dass sich die Christen nun in ihrem aktiven Widerstand der Heiligung unterziehen sollten, sondern Barth konfrontiert die Gemeinde mit dem Faktum der Heiligung der Welt, das sich zwingend aus Christi Regiment zur Rechten des Vaters ergebe. Daher handelt es sich nicht um eine Ermessensfrage oder eine Frage politischer Sympathie bzw. Antipathie, sondern es geht um den unmittelbaren Gegensatz von Wahrheit und Lüge. Die Wahrheit bemisst sich an der Anerkennung der Wirklichkeit des lebendigen Christus, während die Lüge in die synthetische Welt von Meinungen und Interpretamenten führt, in die Welt unserer ambivalenten Reime, bzw. auf die Bühne, auf der wir das doch so gut gemeinte Schauspiel unserer Ethik inszenieren, so als folgte die Wirklichkeit unseren Besprechungen über sie. Der Widerstand gegen den Faschismus hat als historisches Beispiel den großen Vorteil, dass – da im Blick auf seine Ablehnung zumindest mit einer vordergründigen Einigkeit gerechnet werden kann – nicht unversehens von der Theologie auf politische Einschätzungsprobleme ausgewichen wird. Dann kommt es meist zu ebenso ereifernden wie unergiebigen Diskussionen, die ganz und gar die theologische Fragestellung verdrängt. Auf der anderen Seite muss aber deutlich bleiben, dass es sich hier nur um ein Beispiel handelt, das zwar für Barth von besonders herausfordernder Bedeutung war4 und deshalb so eingehend erörtert wurde, das aber nur recht verstanden wird, wenn es stellvertretend betrachtet wird im Blick auf andere auch aktuellere Herausforderungen, die mit einer vergleichbaren theologischen Beurteilung zu rechnen haben, wie es uns hier am Beispiel des Nazi-Faschismus von Barth vor Augen geführt wird; ich denke da etwa an die sich anhaltend zuspitzenden Probleme und Konflikte, die hinter den drei Schlüsselbegriffen des vom Ökumenischen Rates der Kirchen angestoßenen konziliaren Prozesses stehen: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Auch hier bleibt theologisch von der Wirklichkeit des im Regimente sitzenden Christus auszugehen.
4 Im Leben Barths nimmt die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus zweifellos eine herausragende Stellung ein, wie sie wohl keiner anderen zeitgeschichtlichen Herausforderung zukommt. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass Barth in anderen Fragen weniger entschieden votiert hätte, sondern es soll nur angezeigt werden, dass sich Barth an dieser Stelle theologisch am entschiedensten herausgefordert gefühlt hat. Einerseits wird das seinen Grund darin haben, dass es sich hier nicht um eine potenzielle, sondern um eine sich gegenwärtig ereignende, alles zerfressende Bedrohung gehandelt hat, in deren Wahrnehmung und Einschätzung Barth andererseits relativ einsam dastand, so dass er nicht damit rechnen konnte, dass von einer anderen Seite aus das je Notwendige gesagt werden würde. Insofern liegt sein Widerstand gegen den Faschismus durchaus nicht einfach auf einer Linie mit seinem Widerstand gegen die atomare Bewaffnung, den er im Übrigen für eine „Sache der primitivsten Vernunft“ hielt (Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 392).
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5.2 Eine Übergangsüberlegung Bevor weiter auf den eingangs unterstrichenen Vorrang der Wirklichkeit des auferstandenen Christus eingegangen werden soll, möchte ich versuchen, den theologischen Ort zu beschreiben, an dem Barth das aktuelle irdisch-geschichtliche Gewicht der Auferstehungsbotschaft dogmatisch reflektiert. Alle theologischen Aussagen sind höchst ortsabhängig, d. h. sie sind nicht schon in sich wahr oder falsch, sondern werden es erst durch den Zusammenhang, in dem sie zur Geltung gebracht werden. Ein entscheidendes Problem der Theologie ist das Problem der Reihenfolge – was folgt auf was, und wann ist etwas dran –, denn es kann nicht überall alles behandelt werden. Die rechte Reihenfolge zu finden und damit den jeweils rechten Ort für eine Fragestellung zu bestimmen, das ist eine zentrale Aufgabe der systematischen Theologie. In Barths Abweisungen anderer theologischen Entwürfe fällt auf, dass Barth im Grunde nie einen generellen Widerspruch anmeldet; zumindest erkennt er das Recht dieser oder jener Frage an,5 das er nicht gefährden will, auch wenn er eine Behandlung in einem anderen sachlichen Zusammenhang ins Auge fasst, d. h. der Frage einen anderen theologischen Ort zuweist. Ein wesentliches Stück der theologischen Leistung Barths liegt darin, dass er die Reihenfolge der theologischen Fragen neu geordnet hat, d. h. in ein theologisch sachlich stringentes Gefälle gebracht hat, wobei dies wohlgemerkt stets in der Sorge geschehen ist, dabei möglichst keine Fragestellung aus der Theologiegeschichte verloren gehen zu lassen. Deutlich wird das u. a. in den vielen selbstreflexiven Zwischenbemerkungen in der Kirchlichen Dogmatik, wo Barth den Gedankengang dadurch konzentriert, dass er ihn unterbricht und anzeigt, auf welchem Stück des Weges er sich gerade befindet und welche Schritte es nun zu tun gibt und welche Schritte eben hier nicht hingehören, sei es, weil sie längst getan wurden, oder sei es, weil sie erst später zu gehen sind. Zu vielen Missverständnissen wäre es nicht gekommen, wenn mehr beachtet worden wäre, wie ortsabhängig theologische Sätze sind, wobei jeder Ort nur eine Station auf einem Weg ist, auf dem ein Vorher in Erinnerung und ein Nachher in Sicht ist. Der Blick auf das Ganze – und genau das ist der implizite Sinn jeder Ortsbestimmung – entlastet und konzentriert die Einzelüberlegung, denn er erinnert daran, dass nicht an jeder Stelle alles gesagt werden kann, ohne dass sich daraus eine falsche Relativierung ergibt. Kehren wir zurück zur Frage nach der christlichen Existenz in der Gegenwart des Auferstandenen. Was ist bei Barth der richtige theologische Ort, an dem die konkrete Bestimmung der Existenz der Gemeinde durch die Gegenwart des lebendigen und herrschenden Christus zur Sprache kommt? Wir müssen ein wenig ausholen: Im Rahmen der Versöhnungslehre, deren 5 Vgl. dazu eindrucksvoll Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert.
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Struktur den drei Ämtern Christi folgt, findet sich jeweils an entscheidender Stelle – gleichsam als Dreh- und Angelpunkt der drei Bände – ein recht ausführlicher Abschnitt, den Barth als eine Übergangsüberlegung bezeichnet (KD IV/1, § 59.3: Das Urteil des Vaters; IV/2, § 64.4: Die Weisung des Sohnes; IV/3, § 69.4: Die Verheißung des Geistes). Gemeinsam ist diesen drei Übergangsüberlegungen, dass sie aufbauend auf dem zuvor gelegten christologischen Grund in den anthropologischen Bereich überleiten wollen. Nicht der zweifellos bedenkenswerte Schritt vom extra nos zum pro nobis ist gemeint – dieser ist vielmehr per definitionem zu gehen,6 sondern der viel heiklere Schritt vom theologisch-prinzipiellen pro nobis zu der konkreten Gesamtkonstitution unseres gegenwärtigen Daseins. Wenn Barth zunächst stets die Exklusivität der Christologie betont, und in ihr alle theologische Erkenntnis verwurzelt, so zielt doch alles – wenn es mehr als ein unverbindliches Gedankenspiel sein soll – auf die Inklusivität der Christologie (IV/1, 385). Alles läuft auf die Frage zu: Wie kommt Christus in unseren Bereich? Genauer : Wie kommen wir hier und heute dazu anzunehmen oder gar zu behaupten, „daß auch wir unter denjenigen ,wir‘ sind, die sein pro nobis angeht“ (IV/1, 314), zumal wir nach wie vor in einer augenscheinlich unversöhnten Welt leben? „Wer nicht bemerken wollte, daß ihm an dieser Stelle zunächst Halt geboten ist, der würde von da aus nicht legitim, sondern nur durch eine Erschleichung und also nicht wirklich, sondern nur scheinbar weiterkommen. Wir müssen wissen, was wir tun, wenn wir es wagen, an dieser Stelle weiterzugehen.“ (IV/3, 320)
Nicht die Vergewisserung irgendeines Heilszustandes oder gar Heilsbesitzes steht zur Debatte, sondern Barth problematisiert jeweils in diesen Übergangsüberlegungen die in der Kirche so verbreitete Selbstverständlichkeit: Christus und wir Christen. „Wie können wir es wagen, mit einer Tragweite seines Seins und Tuns für das unsrige zu rechnen […]“ (IV/1, 315; vgl. IV/3, 319). Als Selbstverständlichkeit formuliert könnte „Christus und wir Christen“ nämlich nur heißen, dass wir Christus als ein Integral der Kirche ansehen. Diese Ansicht kennzeichnet Barth als Ausdruck von Hochmut, Trägheit und Lüge als den drei jeweils im Anschluss an die Übergangsüberlegungen vollzogenen Grundbestimmungen der Sünde. Nur wenn das Begründungsgefälle konsequent umgekehrt verläuft, von Christus hin zur jeweiligen konkreten Gestalt der Kirche, kann auch von ,Christus und uns Christen‘ gesprochen werden. Allerdings entbehrt diese Rede – wie sich schnell zeigen lässt – gründlich jeder Selbstverständlichkeit, denn nun kommt heraus, dass das pro nobis Christi nicht sein Zeugnis für uns bzw. für die Kirche ist, sondern dass eben wir bzw. die Kirche seine Zeugen zu sein haben, wenn anders gilt, dass Gott die Welt mit sich versöhnt hat (2Kor 5,19), d. h. das „pro nobis“ bleibt das 6 Vgl. dazu KD IV/1, 312 – 314; IV/2, 294 – 296. In IV/3 findet sich dann die Unterscheidung zwischen de iure und de facto; vgl. 321 – 327.
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in Christus für die Welt gültige Perfektum (Faktum) der Versöhnung, das die Kirche in Wort und Tat zu bezeugen hat. Die Brisanz des Problems wird sofort deutlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass Barth hier die Frage der menschlichen Selbsterkenntnis thematisiert, und zwar ganz konkret bis hinein in den existenziellen Bereich: Man „unterlasse nur alle Abstraktionen als ginge es um den Menschen oder die Menschheit im Allgemeinen, als ginge es nicht um uns selbst! – man unterlasse nur alles bloß logische Folgern und Deduzieren von jenem allerdings Vorgegebenen her! man denke nur praktisch, d. h. ein Jeder im Blick auf sich selbst!“ (IV/2, 295)
Der zu bedenkende Übergang ist der Übergang von der Erkenntnis Jesu Christi zu unserer Selbsterkenntnis, bzw. präziser: es geht um die keineswegs selbstverständliche und ebenso wenig ins Belieben zu setzende höchst folgenreiche Orientierung unserer Selbsterkenntnis durch die Erkenntnis Jesu Christi. Dabei schließt Barth zwei Möglichkeiten prinzipiell aus: zum einen die Möglichkeit, im Blick auf Christologie und Anthropologie von zwei selbständigen, je für sich zu thematisierenden Bereichen zu sprechen. Zum anderen wird aber auch – und das sei besonders in die Richtung einer allzu vollmundigen und dann am Ende eben doch dogmatisch leichtfüßigen Barthrezeption betont – jede Ineinssetzung von Christologie und Anthropologie ausgeschlossen.7 Die selbstverständliche Annahme, als handele es sich hier einfach um einen Bereich, geht mindestens ebenso weit an dem Problem vorbei wie die Unterstellung von zwei selbständigen Bereichen. Wenn hier vom Übergang gesprochen wird, dann zielt die Bewegung auf die Durchdringung des „anthropologischen Bereichs“ mit dem als christologisch grundlegend Erkannten. Wäre hier bereits alles durch die Christologie ausgemacht, so bedürfte es keiner besonderen Übergangsüberlegung. Und es bedürfte ebenfalls keiner besonderen Übergangsüberlegung, wenn hier einfach ein plausibles und handhabbares Analogiemodell in Anwendung kommen könnte. Beispielsweise sei darauf hingewiesen, dass es erhebliche Mühe bereiten würde, die sachliche Evidenz von Barths oben zitierten Äußerungen zum aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit Hilfe des Analogiegedankens schlüssig auszuweisen.8 Es ist noch ein wenig komplizierter und in seiner Dialektik radikaler, als dass hier irgendwelche formalen Generalhinweise ausreichten. Viel näher am Nerv der Grundbestimmung christlicher Existenz und damit zugleich am Nerv der ganzen Kirchlichen Dogmatik dürften wir dann sein, wenn wir uns die Bedeutung der in den Viererbänden
7 Barth spricht deutlich von „dem so ganz anderen Bereich, in dem wir existieren“ (IV/3, 319). 8 Der Begriff der Analogie bleibt bei Barth im Blick auf Anthropologie und Ethik ein durchaus polemisch konstituierter Hilfsbegriff, der als solcher – wie es vielleicht nach dem Vortrag „Christengemeinde und Bürgergemeinde“ den Anschein haben könnte – keineswegs zu dem alles bestimmenden ethischen Schlüsselbegriff wird.
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explizit vollzogenen, aber auch vorher immer wieder implizit vollzogenen Übergangsüberlegungen vor Augen führen. Wenn ich eben von der Durchdringung des anthropologischen Bereichs sprach, dann bleibt hinzuzufügen, dass es sich hier nicht um die Feststellung von Vereinigungen bzw. Identifikationen handelt, sondern es geht um das Wiedererkennen des Auferstandenen in der von ihm regierten Wirklichkeit. Wahre Worte und Lichter oder die im Geist lebendige Gemeinde sind eben auch mehr als Analogien. Und deshalb stehen sie uns auch nicht einfach zur Verfügung, so als ließe sich am Ende die Annahme begründen, dass es gleichgültig sei, ob wir von dem wahren Licht oder von seinen Reflexen ausgehen.9 Nicht an ein irgendwie von uns zu veranstaltendes Meinen ist zu denken, sondern an das aktuelle Wiedererkennen des lebendigen Sohnes Gottes in unserem Leben als die alles bestimmende Wirklichkeit.10 Dabei kommen nun nicht plötzlich ganz neue Konstitutionsmomente zu Ehren, so als sei die Christologie ein Modellfall oder gar nur ein Entwurf, der nun von uns aus mit Leben zu erfüllen sei, wie in dem von Erasmus gegen Luther gebrauchten Bild vom Architekten und den nach seinen Plänen agierenden Bauleuten.11 Es geht vielmehr um das „Vivit“ nicht als Potenzialität, sondern als Aktualität, nicht als „Angebot und Möglichkeit […], sondern als Wirklichkeit“ (IV/2, 296). Das heißt aber gleichzeitig: Es geht auch um die möglichst pünktliche und konkret mobilisierende Benennung „des scharfen Striches zwischen einem in ihm vergangenen Alten und dem in ihm schon gegenwärtigen Neuen, […]“ (ebd.). Es kommt entscheidend darauf an, „zu unterscheiden und zu verbinden“ (IV/3, 317). Barth insistiert mit seinen Übergangsüberlegungen einerseits streng auf der Unterscheidung von christologischem Grund und christlicher Existenz, während er gleichzeitig ebenso energisch ihren höchst konkreten Zusammenhang aufzeigt. Die Konkretheit des Zusammenhangs hängt ganz und gar an der Fähigkeit, unterscheiden zu können, und umgekehrt erweist sich die Unterscheidungskompetenz gerade in der Entschlossenheit, die Zusammenhänge bis hinein in die zeitgenössische Praxis der Kirche konkret anzuzeigen und anzumahnen. Unterscheidung und Zusammenhang werden in der schlichten, aber sachlich umfassenden Frage zusammengefasst: „Was heißt: als sein [sc. Christi] Mitmensch zu leben?“ (IV/1, 319). Damit ist bereits signalisiert, dass bei dem Übergang von der Christologie in den „anthropologischen Bereich“ „kaum ein Schritt zu tun sein wird, bei dem wir nicht dringenden Anlass haben werden, auf diesen Anfang zurück zu blicken, uns darüber im Klaren zu bleiben, daß und inwiefern wir von ihm her kommen, daß und inwiefern alles im Einzelnen Aufzuzeigende nur von ihm her zu 9 Vgl. dazu Schellong, Gleichnisse des Himmelreichs. 10 Barth spricht auch von der „Umschließung und Beherrschung unseres, des anthropologischen Bereichs“ durch Christus (IV/2, 295). 11 Vgl. Erasmus von Rotterdam, Vom freien Willen, 73.
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verstehen ist“ (IV/3, 318). Die in diese Richtung blickende Übergangsüberlegung wird von Barth deshalb auch noch jeweils mit in den christologischen Paragraphen hineingenommen und nicht an den Anfang der anthropologischen und ekklesiologischen Überlegungen gestellt. So sehr es in diesem Übergang um das Wiedererkennen Jesu Christi in unserem Bereich geht, so zielt allerdings der theologische Weg auf das selbstkritische Wiedererkennen unserer selbst in Jesus Christus; das geht aber erst, wenn die Übergangsüberlegung vollzogen ist, und nicht zufällig kommt dann jeweils die Rede auf die menschliche Sünde, nicht um dann bei ihr stehen zu bleiben, sondern um die aktuelle Tragweite des bereits erwähnten in Christus gezogenen scharfen Striches zwischen der neuen und der alten Welt erkennbar werden zu lassen. Und schließlich ein letzter Aspekt zu dem theologischen Ort, an dem sich die Frage nach der Gegenwart des Auferstandenen in unseren irdisch-geschichtlichen Verhältnissen stellt: Es geht hier um die besondere Übergangsüberlegung, die unter dem Aspekt zu vollziehen ist, dass Christus der Mittler zwischen Gott und Mensch ist und als solcher den Bund Gottes mit den Menschen erfüllt hat. Unter dem Aspekt der Mittlerschaft thematisiert die Theologie Barths auch das dritte Amt Jesu Christi, das prophetische Amt, das die beiden anderen Ämter in ihrer Unterscheidung zusammenfasst und vergegenwärtigt. Als eben dieser Mittler ist er „ganz und gar lebendig und tätig“ (IV/1, 135). Darauf kommt es nun an: Es ist nach der Gestalt seines Lebens in unserem Leben zu fragen. Inwiefern kann von Christus als dem gegenwärtigen „Vollstrecker“ (IV/1, 136) der Versöhnung gesprochen werden? Nicht der Wahrheitsgehalt steht hier zur Debatte – dieser wird in der Geschichte der Erniedrigung und Erhöhung des Menschensohnes bedacht –, sondern der Wahrheitscharakter (IV/1, 151) d. h. der Charakter ihrer Aktualität; nicht die Materialität der Christologie, sondern die konkretgeschichtliche Reichweite ihrer Aktualität. Hier entdeckt Barth das von der Theologiegeschichte bisher nur wenig ausgeführte prophetische Amt Jesu Christi als die „Einheit und Ganzheit“ seiner Geschichte (IV/1, 149). Indem Christus selbst der wahrhaftige Zeuge ist, ist er lebendig als „sein eigener Prophet“ (IV/1, 151); er bleibt selbst das Subjekt seiner Bezeugung, ohne sich an den Zeugendienst der ihn verkündigenden Kirche gebunden zu haben. Daraus ergeben sich folgenschwere Konsequenzen – Hemmungen und Antriebe – für die Kirche. Mit einer dieser Konsequenzen habe ich mein Referat begonnen. Zu ihr gilt es, theologisch durchzudringen. Dabei wird unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die auch im Blick auf das prophetische Amt Jesu Christi anzustellende Übergangsüberlegung konzentriert.12 Nach dieser Skizze zum theologischen Ort, an dem ich die zu behandelnde Fragestellung angesiedelt sehe, möchte ich nun in den drei Hauptteilen meines 12 Der Umstand, dass die christliche Existenz darauf gründet, dass Christus „sein eigener Prophet“ ist, bleibt als ein weiterer Hinweis zu werten, dass der Analogiegedanke für die Ethik nicht hinreichend ist (vgl. o. Anm. 8).
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Referats die sachliche Differenzierung rekonstruieren, die Barths Überlegungen zugrunde liegt. Die Rekonstruktion hat sich zum Ziel gesetzt, die innere Stringenz der Differenzierungen zu unterstreichen, damit auch die denkerische Disziplin ein wenig erkennbar wird, in der Barth Schritt für Schritt einem deutlich gesehenen Weg folgt. Der für Barth stets konstitutive biblische Zusammenhang steht uns beispielhaft im Schluss des MatthäusEvangeliums vor Augen: 1. „Mir ist gegeben alle Gewalt […]“ (Mt 28,18) – wir beginnen mit einer Reflexion gleichsam zum gegenwärtigen Stand der Geschichte Gottes mit dem Menschen (5.3). 2. „Ich bin bei Euch alle Tage […]“ (Mt 28,20) – hier sind nicht nur der soteriologische, sondern auch der ekklesiologische Aspekt zu bedenken, d. h. der reale Bewegungshorizont der gegenwärtigen christlichen Gemeinde (5.4). 3. – hier bevorzuge ich die markinische Formulierung: „Gehet hin in alle Welt […]“ (Mk 16,15) – nach dem Bewegungshorizont bleibt die Bewegungsrichtung der Gemeinden zu erörtern und das ihren gegenwärtigen Bewegungen zuzumessende Gewicht abzuwägen (5.5).
5.3 „Mir ist gegeben alle Gewalt …“ Das Realissimum der Geschichte Die Botschaft des Evangeliums weist uns nicht zuerst an das leere Grab – hier halten sich vornehmlich diejenigen auf, die uns gegen alle Worte des Engels glauben machen wollen, bereits der Leere eigne die Kraft, den scheinbar gelungenen Gottesmord zu widerlegen –, sondern auf die Fülle des Lebens des Auferstandenen. Sie ist die Quelle allen Glaubens und aller Hoffnung. Damit ist zugleich der entscheidende Konzentrationspunkt benannt: „Wenn es ein christlich-theologisches Axiom gibt, so ist es dieses: Jesus Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ (IV/3, 47) (Hervorhebung K.B.)
Es ist das „Axiom aller Axiome“ (IV/1, 382), wobei der hier zu bedenkende Aspekt noch besser als in der perfektischen Formulierung – er ist auferstanden – in dem so schlichten und zugleich so schwierigen präsentischen „Er lebt“ zum Ausdruck gebracht wird (IV/3, 41), d. h. er sitzt zur Rechten Gottes, und alle Gewalt liegt in seinen Händen. Wäre er nicht auferstanden, so wäre er trotz des leeren Grabes tot, und wir müssten uns zumindest neben Feuerbach stellen, wenn nicht gleich neben Abb¦ Meslier,13 denn es gibt dann keinen begründbaren Sinn, den religiösen 13 Vgl. Das Testament des Abb¦ Meslier [1729], hg. v. Gustav Mensching, Frankfurt/M. 1976.
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Schwindel weiter zu verheimlichen. Wir könnten nur als falsche Zeugen auftreten, die mit Pathos die faktische Leere ihres Redens übertönen (1Kor 15,14). Und nicht viel anders sähe es aus, wenn wir nicht mehr die Grammatik des Perfekts verstünden – das ist die spezifisch kirchliche Gefährdung – und unter der Hand aus dem Perfekt ein Plusquamperfekt machten, was für das Perfekt schlicht auf ein Imperfekt hinausliefe, wodurch der religiöse Betrug eine gewisse museale Würde gewönne. Alles hängt am Perfekt als der Bestimmung des Präsens, und so kann auch umgekehrt gesagt werden: Alles hängt am Präsens als die lebendige Bewahrung und Bewährung des Perfekts. Die zu vollziehende Übergangsüberlegung bewegt sich vom Perfekt zum Präsens. Unterscheidung und Zusammenhang liegen hier auf der Hand, wobei sie freilich nicht nur durch die Zeit gegeben sind, sondern auch durch einen notwendigen Wechsel der Blickrichtung bestimmt werden, so dass nicht nur von Perfekt und Präsens, sondern ebenso von Perfektum und Existenz zu reden sein wird. Damit deutet sich bereits an, dass die geschichtliche Dimension ihr qualitatives Zentrum in der Christologie finden muss, so wie umgekehrt alle christologischen Aussagen erst darin ihre volle Tragweite entfalten, dass sie streng geschichtliche Aussagen bleiben: Geschichte nun nicht im Sinne der Erinnerung an vergangene Ereignisse, sondern im Sinne eines realen Geschehens, denn Christus sitzt zur Rechten Gottes und ihm ist gegeben alle Gewalt, d. h. „Es wird regiert“. Das Regieren, die tatsächliche Macht zur Herrschaft ist das, was wir als „Geschichte machen“ kennen, und eben dies wird vom auferstandenen Christus zu sagen sein, wenn wir es ernst meinen mit der Abwehr des Doketismus. Er ist das Realissimum der Geschichte als die „eminent reale Bestimmung der ganzen Menschwelt“ (IV/3, 564). Die Tragweite dieser in so allgemeiner Formulierung noch relativ konsensfähigen Aussage bleibt nun zu entfalten. Ich beschränke mich auf drei zusammenhängende Pointen: Ich will sie mit den Begriffen Universalgeschichte, Realgeschichte und Aktual-Geschichte kennzeichnen. Ich könnte auch sagen Siegergeschichte, Kampfgeschichte und Geistes-Geschichte, aber nicht in den Begriffen liegt das Heil, sondern in dem von ihnen mehr oder weniger treffend bezeichneten Geschehen. 5.3.1 Universalgeschichte – Siegergeschichte Das ist das Fundament allen Redens von Geschichte, dass Christus als der Erfüller des Bundes Gottes mit dem Menschen „als der sich selbst erniedrigende und so den Menschen mit sich selbst versöhnende Gott und als der von Gott erhöhte und so mit ihm versöhnte Mensch“ (IV/1, 148) lebt. Theologisch ist ein Gedanke erst dann zu Ende gedacht – und das wird hier zur Geltung gebracht –, wenn er in das Präsens hineinreicht, ganz gleich, wie weit er zurückgeht oder auch vorausblickt. Das Präsens ist erfüllt von der Präsenz des
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versöhnenden Bundesgottes, so dass sich das Evangelium in der präsentisch übersetzten Bundesformel zusammenfassen lässt: „Ich bin euer Gott und ihr seid mein Volk!“ Die Beschreibung der Gegenwart des Auferstandenen kommt nicht mit der Feststellung des bereits errungenen Sieges aus, sie bleibt als Proklamation des Indikativs im Sinne von Zustand unterbestimmt, so lange sie sich nicht auf das Drama seines gegenwärtigen Siegens, auf das aktuelle Geschehen seiner Geschichte einlässt. Nicht ein Siegerdenkmal und die von dem auf den Sockel gestellten Sieger geschaffene Ordnung bleiben zu pflegen – dann wären wir fein raus mit unseren Kirchen- und Christentümern –, sondern wir werden in die aktuale Bewegung der sich vollziehenden Geschichte Gottes mit den Menschen hineingestellt. Barth greift die bekannte Formulierung Johann Christian Blumhardts d. Ä. „Jesus ist Sieger“ auf als „eine Zusammenfassung und knappste Formulierung vieler neutestamentlicher Worte“ (IV/3, 192 f, 200). Sie zeigt den universalgeschichtlichen, d. h. den die ganze Geschichte umfassenden Aspekt14 der in allen geschichtlichen Auseinandersetzungen vorauszusetzenden unerschütterlichen Überlegenheit des lebendigen Gottes an, nicht im Sinne der Überlegenheit eines Prinzips, auch nicht eines Christusprinzips – „Triumph der Gnade“ (Berkouwer) –, sondern als die unverfügbare, d. h. auch begrifflich nicht umstellbare und sich so jedem Analogieschematismus entziehende Überlegenheit (vgl. IV/3, 201) des prophetisch existierenden Christus als dem Inhaber aller Gewalt im Himmel und auf Erden. „Wer könnte und würde denn beten: Dein Reich komme!, der nicht davon ausginge, daß es in Christus schon in seiner ganzen Herrlichkeit nahe herbeigekommen ist?“ (IV/3, 205)
Die Bitte des Vaterunser gründet auf der Gewissheit dieser Überlegenheit Christi, die ihrerseits alle Kraft aus der Botschaft von der Auferstehung Christi und der Gegenwart des Auferstandenen im Regiment Gottes zieht (vgl. IV/3, 303 f). Die Siegesgewissheit im Blick auf das Ziel der Geschichte setzt ausschließlich auf das Selbstzeugnis des lebendigen Christus selbst und bedeutet damit den Abbruch jeder menschlichen Siegergeschichte und die Annullierung aller Hoffnung auf irgendwelche endgültigen Menschheitssiege (vgl. IV/3, 304).
5.3.2 Realgeschichte – Kampfgeschichte Noch ist der Kampf Christi nicht ausgekämpft, so dass die Geschichte noch die Geschichte eines durchzustehenden Konfliktes sein muss und tatsächlich noch zu „beten, rufen, schreien“ bleibt: Dein Reich komme! (vgl. IV/3, 205). 14 Es sei nur beiläufig darauf hingewiesen, dass Barths Verständnis von Universalgeschichte – er benutzt den Begriff nur ganz selten – nicht mit dem Verständnis übereinstimmt, das Wolfhart Pannenberg mit diesem Begriff verknüpft.
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Hier rückt uns die Geschichte in ganz anderer Weise als unter dem Aspekt der Siegergeschichte auf den Leib, denn es zeigt sich, dass wir noch mitten in den der Dynamik des Konfliktes drinstehen, so dass es schlechthin unmöglich ist, ihrer Bewegung gegenüber neutral zu sein. Das Zeugnis der Bibel weist nicht auf einen anderen Raum, dem gegenüber wir uns als Zuschauer verhalten könnten, sondern: „indem Jesus Christus auch als Prophet lebt und wirkt, ist es objektiv aus mit unserer Ferne von ihm, haben wir ihm gegenüber keinen privaten Raum, sind wir in seinen Raum einbezogen: einbezogen in das, was in ihm geschieht, wird uns ihr Geschehen [sc. das der Versöhnung M.W.] objektiv zur eigenen Erfahrung, widerfährt uns hier, was dort geschieht“ (IV/3, 208).
Und in dieser Erfahrung – im Begriff der Erfahrung hat Barth die biblische Reichweite des Begriffs der Erkenntnis im Blick (vgl. den Exkurs IV/3, 210 – 212) – zeigt sich unausweichlich die Opposition in der sich der Mensch nach wie vor der Versöhnung gegenüber befindet, d. h. sein Versuch einer „absurden Behinderung und Problematisierung“ (IV/3, 218) der Siegergeschichte Gottes. Damit rückt der realgeschichtliche Konflikt zwischen ,schon‘ und ,noch nicht‘ in seiner ganzen Widersinnigkeit ins Blickfeld. Er zeigt sich schlicht und zugleich konsequent darin, dass „eben auf der Seite der Welt und des Menschen der Teufel los“ (IV/3, 214) ist. Der Widerspruch zwischen der Selbstverkündigung Christi und „deren schreckliche[r] Begrenzung“ (IV/3, 219) kennzeichnet die Realgeschichte der Welt. Der Mensch befindet sich in dieser Kampfgeschichte, d. h. er ist unausweichlich an ihr beteiligt, gleich ob er Christ oder Nicht-Christ ist – prinzipielle Unterscheidungen sind hier nicht zu machen (vgl. IV/3, 219 f). Diese Kampfgeschichte als Realgeschichte der Welt muss in den Zusammenhang der zuvor benannten Universalgeschichte gerückt werden. Nur so wird erkennbar, dass die Dynamik des Kampfes teleologisch ist, also nicht einem unbestimmten Ausgang entgegentaumelt, sondern den Charakter eines „guten Kampfes“ hat (IV/3, 225). Aber mehr noch als das bleibt zu unterstreichen, dass gegenüber dieser Geschichte alle anderen, im Rahmen der Möglichkeiten des Menschen entworfenen Geschichten Fiktivgeschichten bleiben, weil sie an der Realität des gegenwärtigen Versöhnungshandelns Jesu Christi vorbeigehen. Hier liegt der entscheidende Punkt des prophetischen Amtes, denn hier ist der sachliche Grund für Barths Brief nach Großbritannien ebenso wie für manch andere explizit politische Äußerung von ihm zu suchen. Zugespitzt kann Barth die prophetisch eröffnete Glaubenserkenntnis sogar als Versöhnungsgeschehen bezeichnen (vgl. IV/3, 249), denn sie bedeutet den tatsächlichen Wechsel von der Seite des Widerstandes gegen die Geschichte der Versöhnung auf die Seite des versöhnten Menschen, sie bedeutet Aufgabe der entstellenden Lüge gegen die Versöhnung und vorbehaltlose Teilnahme am Kampf gegen die Entstellungsversuche der Lüge. Das ist die Metanoia, zu der
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die Erkenntnis der Realgeschichte Jesu Christi führt und durch die „der ganze Mensch mit allen seinen Möglichkeiten, mit all seinen Erfahrungs- und Verhaltensweisen in einem Winkel von 180 Graden herumgerissen, […] ganz auf ihn ausgerichtet wird“ (IV/3, 251). Mit „der Erkenntnis eines an seinem Werk unbeteiligten, […] eines gewissermaßen dienstfreien oder auch nur teilweise beurlaubten, eines nur noch eben gaffenden Menschen [sc. ist es] ein für allemal vorbei“ (IV/3, 280). Es ist hier wie auch sonst bei Barth „das alte Spiel […] der Zuschauerei“ (IV/3, 291), in dem die Widersetzlichkeit gegen Gott meist in betont christlichem Gewand am deutlichsten zutage tritt, deutlicher als in dem noch so engagierten Bestreiten jeder Relevanz eines Handeln Gottes an und in unserer Welt. 5.3.3 Aktualgeschichte – Geistes-Geschichte Nicht die Geschichte lehrt – historia docet –, sondern sie geschieht – hic et nunc – als diese gute Kampfgeschichte in der Kraft des Heiligen Geistes. Sie ist in dem Sinne Geistes-Geschichte als die aktuale Selbstvergegenwärtigung des Auferstandenen seine Vergegenwärtigung im Geist ist. Damit kehren wir zurück zu der für unser Thema sachlich zentralen Übergangsüberlegung als dem Zielpunkt des bisher erörterten Sachgefälles von Universal- und Realgeschichte, denn nun muss auch der aktuale „Bereich unseres und des allgemeinen Menschenlebens“ (IV/3,318) in dem Blick kommen. Es geht um die Frage – daran sei noch einmal erinnert: „inwiefern und in welcher Weise Auswirkungen, Folgen, Entsprechungen des Seins und Geschehens im christologischen Bereich auf dem diesen umgebenden Feld unserer und der allgemeinen Geschichte tatsächlich stattfinden können?“ (IV/3, 319)
Barth sucht also nach dem aktualen Bindeglied zwischen der Realgeschichte Jesu Christi als der sachlichen Mitte aller Geschichte und unserer Aktualgeschichte, d. h. unserer konkreten Zeitgeschichte: Inwiefern können wir davon sprechen, dass Christus als das Licht des Lebens „wirklich auch uns, unter, in und durch uns leuchtet“ (IV/3, 320)? Die irdisch-geschichtliche Realität des Bundes, in dem Gott nicht ohne uns ist, bedarf, damit nun nicht plötzlich die agierenden Mächte durcheinander geraten, einer möglichst präzisen Bestimmung der Aktualität des Immanuel. Um die innere Verknüpfung zum theologisch alles orientierenden Ereignis der Auferstehung im Blick zu halten, muss die Frage auf den aktuellen Vollzug – Barth betont wiederholt: „aktuell, effektiv, de facto“ (IV/3, 321, 327) – österlicher Erkenntnis zugespitzt werden, die sich keineswegs beiläufig beantworten lässt, wenn man sich klarmacht, dass Barth hier nicht nach der Möglichkeit, sondern dezidiert nach der Wirklichkeit fragt (vgl. IV/3, 330). Barth stellt seine Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage unter das Stichwort der Parusie, das neutestamentlich seine konkrete Anschauung in
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der Auferstehung erhält, ebenso wie es gleichzeitig die wirksame Gegenwart des Auferstandenen und schließlich seine eschatologische Wiederkunft bezeichnet. Gegründet auf diesem neutestamentlichen Befund unterscheidet Barth drei Formen des Geschehens der Parusie, von denen das Osterereignis die erste, gleichsam die „Ur- und Grundgestalt“ (IV/3, 338) ist. Es gibt nicht drei Wiederkünfte Jesu Christi, sondern eine, in deren Geschehen bzw. Geschichte wir uns mitten drin befinden. Das „Eine Ganze der Wiederkunft“ bleibt aber – ausdrücklich entsprechend der Unterscheidungsnotwendigkeit in der innertrinitarischen Differenz (vgl. IV/3, 339) – auf seine drei Gestalten hin zu betrachten. Die eine Parusie kennt als die Geschichte des Wiederkommens Jesu Christi ein Perfekt, ein Präsens und ein Futur, die sich gegenseitig ineinander abbilden – Barth spricht hier sogar von einer Art Perichorese (vgl. IV/3, 341). Der Begriff der Parusie kennzeichnet die Endzeit insgesamt, wobei diese insofern mit dem Tod Jesu beginnt, als hier der alten Welt ihr Ende bereits gesetzt ist (vgl. IV/3, 340), so „daß die der Welt, allen Menschen, uns selbst gelassene Zeit nur noch Endzeit – ihrem ihr gesetzten Ende entgegenlaufende Zeit – sein kann“ (IV/3, 340 f). Das ist die entscheidende Prämisse dieser Übergangsüberlegung, dass sie streng im Horizont der einen in sich zu differenzierenden Parusie bleibt, auf deren Anheben wir im Osterereignis blicken und in deren nachpfingstlicher GeistesGegenwart wir uns befinden, die ihrerseits unsere Hoffnung auf seine endgültige Wiederkunft begründet. Nur wenn hier eins so definitiv wie das andere ist, hält das Ganze, wobei die inhaltliche Orientierung in dem Osterereignis als dem offenbaren Anheben der Parusie liegt, das zurückweist auf das Kreuz und die von ihm angezeigte Geschichte. Die Parusie ist die sich durchsetzende Geschichte der Osteroffenbarung. Es ist nicht die Geschichte des permanenten Wandels, bzw. der zum Ziele führenden Evolution, sondern der permanenten Treue Gottes und ihrer zum Ziele führenden Lebendigkeit, in deren menschenfreundlicher Geduld unsere Geschichte ihren Raum findet. Die Auferstehung ist das Wort seines Tuns und als solches auch seines Seins als Bundesgott, so wie sie auch umgekehrt die Performation seines Wortes ist, so dass sie als der noetische und ontische Realgrund für die Bestimmung seiner Selbsttreue anzusehen ist (vgl. IV/3, 343 f). Wir sehen nicht auf ein „einmal“, sondern alles hängt hier am „ein für allemal“, dessen Präsenz vom Heiligen Geist verbürgt wird. Der Unterschied der Zeiten wird durch die Selbsttreue Gottes zusammengehalten, und eben dadurch zu einer erkennbaren und als solcher schließlich definitiven Geschichte. In der Zeit nach Pfingsten, d. h. nach der Ausgießung des Heiligen Geistes, ist mit eben der vom Osterereignis verbürgten Sicherheit von dem im Geist real wirkenden lebendigen Christus auszugehen. Es ist die Gegenwart des Geistes als die Gegenwart des Auferstandenen, in der wir im Glauben die mit dem Osterereignis veränderte Realität sehen und uns eben damit nicht nur an unsere Zukunft erinnern, sondern uns ebenso auch mit allen noch zu bedenkenden Konsequenzen unsere Gegenwart vergegenwärtigen können.
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Und so wird die Gemeinde durch den Geist in den sich vollziehenden Advent der Wiederkunft Christi gestellt (vgl. IV/3, 372). Das Wirken des Geistes ist die gegenwärtige Gestalt der Wiederkunft Christi. Präziser ist mit Barth von der „Verheißung des Geistes“ zu sprechen, denn so bleibt der Geist streng gebunden sowohl an den Verheißenden als auch den Verheißenen (vgl. IV/3, 405). Beide Möglichkeiten des Genitivs kommen zum Tragen und umfassen damit die aktuelle Zeitgeschichte nicht nur auf der Ebene des Anspruchs, sondern auch auf der Ebene der Wirklichkeit. Damit ist das Realissimum auch des aktuellen Zeitgeschehens charakterisiert als Geistes-Geschichte, d. h. als die Geschichte des verheißenen und verheißenden Geistes. Zwar besteht die Brechung des „noch nicht“ und damit die unausräumbare Indirektheit des „schon“ – das gehört zum Wesen der Endzeit –, aber das entscheidende Vorzeichen bleibt dieses, dass jeder Tag „ein Tag Jesu Christi ist: ein Tag seiner Gegenwart, seines Lebens, seines Handelns und Redens“ (IV/3, 419). Damit sind wir beim Thema unseres nächsten Gedankenschrittes.
5.4 „Ich bin bei euch alle Tage …“ Die Gnade der Realpräsens Indem Christus der „wirkliche ,Herr der Geschichte‘ ist“,15 ist er auch der Herr der Gegenwart, d. h. der Zeit, in der wir wirklich leben. Es geht um Christi Zeitgenossenschaft zu uns, um sein Leben „als Zeitgenosse aller Menschen“ (IV/3, 572), bzw. umgekehrt um die Reichweite der Feststellung, dass wir „in erster Linie Zeitgenossen Christi“ (IV/3, 419) seien. Die Frage nach dem Präsens bringt die ursprüngliche Wortbedeutung von Parusie zum Vorschein, die im prägnanten Sinne auf die „wirksame Gegenwart Jesu Christi“ (IV/3, 337) zielt. So bleibt in strikter Parallelität zur erörterten Geschichtlichkeit der Gegenwart die innere Differenzierung der Gegenwart der Geschichte zu bedenken, die – ebenso anspruchslos und vorläufig, wie im letzten Kapitel – mit den drei Begriffen Allgegenwart, Realgegenwart und Geistes-Gegenwart bestimmt werden soll. 5.4.1 Allgegenwart Indem, wie bereits angedeutet, Geschichte nicht durch die Zeit definiert wird, sondern in der Zeit geschieht, d. h. nicht in erster Linie Ablauf, sondern wesentlich veränderndes Geschehen ist, und indem weiter dieses Geschehen 15 Barth, Eine Schweizer Stimme, 370.
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nicht durch die Interpretation bzw. Selbstinterpretation vorgängiger Ereigniszusammenhänge in den Blick kommt, sondern im strengen Sinne offenbartes Geschehen ist, das Mitte und Rand allein in Christus als dem alles erhellenden Licht hat, bedarf es keines erneuten Begründungsganges, wenn nun Gegenwart als das aktuale Präsens des Geschehens der Geschichte für Barth zunächst unter der universalen neutestamentlichen Verheißung thematisiert wird: „Ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“ Diese das Evangelium abschließende und zugleich in Kraft stellende Verheißung, definiert kein gleichbleibendes Immer, sondern akzentuiert jeden Tag für sich, nicht nur als von vorn und hinten durch Vergangenheit und Zukunft gehalten und somit als Partikel eines großen geschichtlichen Zusammenhanges, sondern auch als die wirksame Gegenwärtigkeit des geschichtlichen Geschehens. Die Aktualgeschichte hat ihren spezifischen Akzent darin, dass sie als die reale Vergegenwärtigung des Ganzen vorzustellen ist, dass sie konsequent im Zeichen der Verheißung der Allgegenwart Jesu Christi steht, womit ja keineswegs die Zeiten nivelliert werden, sondern durchaus unterscheidbar bleiben, womit allerdings jeder Versuch radikal abgeschnitten wird, die Gegenwart als ein falsch verstandenes „Zwischen den Zeiten“ auszugeben, etwa in dem Sinne, als sei die Gegenwart lediglich der in sich unselbständige Schnittpunkt von Erinnerung und Erwartung. Barths Kampf gegen die verschiedenen Formen der Geschichtstheologie ist in nicht unerheblichem Maße ein Kampf gegen die Unterbestimmungen unseres theologischen Verständnisses der Gegenwart im Horizont der Gegenwart Gottes. Die meisten Selbstmissverständnisse der Kirche lassen sich auf ein Missverstehen des komplementär-dialektischen Zusammenhangs zwischen der Geschichtlichkeit der Gegenwart und der Gegenwärtigkeit der Geschichte zurückführen. Die Unterbestimmung des Begriffs Geschichte zeigt sich an der Entleerung des Verstehens der Gegenwart,16 wobei die Kirche bereitwillig in die durch ihre eigene Schwachsichtigkeit entstandene Lücke springt, nicht etwa um die Unerkennbarkeit der Herrschaft Gottes zu beklagen, sondern um umgekehrt ihre eigenen Stellvertreterdienste anzuempfehlen. Die Gegenwart erscheint dann als das eher ortlose, zumindest nicht präzise lokalisierbare Geschehen eines großräumig konzipierten Geschichtsverständnisses, die auf keinerlei Pünktlichkeiten ansprechbar ist, da sie als Geschehen über keine qualitativ unverwechselbare Konzentration verfügt. Das Gegenextrem, in dem meist reflexionslos Geschichte als Gegenwart verstanden wird, gleicht insofern dem linearen, durch den Ablauf der Zeit bestimmten Geschichtsverständnis, als auch dieses keine 16 Es reicht nicht aus, nachdrücklich zu betonen, dass Barths Theologie vor allem die Geschichte herausstreiche, wenn dabei nicht deutlich wird, dass die Pointe dieser Geschichte in der Gegenwart gesucht und gefunden werden will. Die Reflexion der Geschichte hat ihre Relevanz darin, dass sie dazu helfen soll, die Gegenwart auf die Höhe ihrer Zeit zu bringen. Es geht also ganz und gar nicht darum, die Gegenwart irgendwie in einen Verlauf einzuordnen oder sie gar zu entwerten.
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inhaltliche Mitte namhaft machen kann, ja – denkt man etwa an den Personalismus – ausdrücklich namhaft zu machen verbietet.17 Wenn Barth in seinem Geschichtsverständnis dem Präsens einen so nachdrücklichen Akzent gibt, so stellt er sich sowohl gegen die Kontinuitätsutopie und die mit ihr einhergehende Herrschaftsillusion des Historismus als auch gegen die Kontingenzmanie und die von ihr propagierte Unterwürfigkeitsmentalität des Irrationalismus. Nicht eine nun doch noch hinterrücks eingeführte Idee von Geschichte steht zur Debatte, sondern die Pünktlichkeit der Wahrnehmung des realen Geschehens. Deshalb reicht auch theologisch ein Geschichtsverständnis nicht aus, das lediglich auf die noetische Konstitution des (gläubigen) Selbstbewusstseins zielt, sondern – und deshalb hat der Gegenwartsaspekt ein durchaus eigenes Gewicht – es muss möglich sein, Geschichte als reales und aktuales Geschehen zu identifizieren. Die Gegenwart ist für Barth keine Passierstation auf einem sich dem Ziel immer mehr annähernden Weg, sondern sie steht vor allem unter dem Anspruch der ontischen Bewahrheitung des Herrschaftsanspruches Gottes. Es ist also keine phantasiereiche Interpretationssemantik gefragt, sondern es geht um die Wahrheit der erlebten Wirklichkeit, um die Identifikation des realen Geschehens, zu der wir eben durch eine schlichte Betrachtung seiner Vorgängigkeit im Ablauf der Zeit nicht vorzudringen vermögen. Alle diese formalen Bestimmungsmomente weisen konsequent auf das zurück, was wir vorhin unter dem Stichwort des Realissimum der Geschichte bedacht haben, d. h. sie sind die Form eines ganz bestimmten Inhalts, der sich allen theologischen Aneignungsversuchen entgegen eben nicht als Prinzip oder als regulative Idee fassen lässt. Er macht sich in der Selbstvergegenwärtigung Christi im wörtlichen Sinne namhaft, denn es ist dieser Name, der nicht nur hier, sondern die Christologie überhaupt vor ihrer begrifflichen Stilllegung wirksam in Schutz nimmt. Es ist die Nachbarschaft zu dem lebendigen Christus, in der unserer Gegenwart der Grund gelegt ist (vgl. IV/3, 43), die Wahrnehmbarkeit seines Lichtes „mitten unter uns“ (IV/3, 90, vgl. 118). Barth spricht von der „Gnade der Realpräsenz“ (IV/3, 124). Gegenwart ist nicht nur der Ort der Wiedererkenntnis, sondern sie hat im Gefälle der prophetischen Herrschaft Jesu Christi den Charakter einer „sich selbst potenzierende[n] Geschichte“ (IV/3, 242), d. h. den Charakter einer sich selbst offenbarenden Geschichte, in der sich die Erkenntnis der Wahrheit der Wirklichkeit ereignet als die konkrete Vergegenwärtigung des Perfektums der Versöhnung (vgl. IV/3, 242 f). Dank der Prophetie Jesu Christi ereignet sich das ontisch Objektive als etwas noetisch Subjektives. Es geht um eine unauflösliche reziproke Implikatstruktur : „Dieses Ontische oder Objektive impliziert als seine Folge das von ihm begründete Noetische oder Subjektive. Genau so wie umgekehrt dieses Noetische oder Subjektive 17 Vgl. z. B. Grisebach, Gegenwart.
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das es begründende Ontische oder Objektive als seine Voraussetzung impliziert.“ (IV/3, 245)
Indem Christus in seinem prophetischen Amt die im hohenpriesterlichen und königlichen Amt vollzogene Versöhnung vergegenwärtigt, rückt die Gegenwart ganz und gar in das Licht seiner Gnade. Das ist das zentrale Geschehen der Gegenwart als die ereignishafte Vergegenwärtigung der Geschichte, die als solche eine konsequente Vergeschichtlichung der Gegenwart bedeutet – eben: Jesus Christus ist bei uns und handelt an uns nicht nur als Herr der Geschichte, sondern als dieser eben auch alle Tage, d. h. jeden Tag, auch heute, weshalb es uns möglich ist, tatsächlich in einem ernst zu nehmenden Sinne von Gegenwart zu sprechen. 5.4.2 Realgegenwart „Jesus Christus ist […] nicht ohne die Seinen“ (IV/3, 321). Diese Aussage wäre missverstanden, wollte man sie als zeitlose Wahrheit hören. Es gibt in theologischer Hinsicht prinzipiell keine zeitlose Wahrheit, nicht nur aufgrund der sich wandelnden irdisch-geschichtlichen Bedingungen, in der sie ausgesprochen wird, sondern auch, weil sie selbst in der je bestimmten Zeit innerhalb der Geschichte Gottes mit dem Menschen konstituiert wird. In eben dem Sinne, wie von der Realgeschichte zu reden war, ist nun in unmittelbarem Zusammenhang damit auch von der Realgegenwart zu sprechen, d. h. an die Stelle von „alle Tage“ muss nun konsequent „heute“ treten. Christus wirkt in der Geschichte, indem er heute wirkt (vgl. IV/3, 289), d. h. indem sein Licht in unserer Finsternis leuchtet (vgl. IV/3, 191). Das, was im Horizont der Realgeschichte den noch anhaltenden Kampf gegen die Finsternis ausmacht, bedeutet im Blick auf die Realgegenwart zunächst schlicht und einfach, dass Christus nicht überall zu finden ist. Vielmehr bleibt deutlich zu unterscheiden zwischen seinem Leuchten und der ihm entgegengesetzten Finsternis. In dem prophetischen Wirken Christi wird die Gegenwart mit einem asymmetrischen Herrschaftskonflikt konfrontiert, der am Ende immer und in der Sache ganz konkret auf das erste Gebot in seiner ganzen Reichweite als Evangelium und Gesetz zuläuft. Es ist ja die Gnade, die hier angreift und eingreift und den Kampf ansagt. Umgekehrt bleibt zu sagen, dass die Gnade sich in gegenwärtiger Kampfansage ereignet und nicht jenseits des Schauplatzes des geschichtlichen Dramas mitgeteilt wird; – sie schafft keine Versteckwinkel für Voyeure, sondern mobilisiert in die tatsächliche Bewegung der Geschichte hinein. Realgegenwart bedeutet real veränderndes Wirken Gottes in der immer noch der Vergangenheit verhafteten Welt und Geschichte: „In und mit dem von Jesus gesprochenen Wort schlägt vergleichbar dem 12-UhrSchlag in der Sylvester-Neujahrsnacht die letzte Stunde für den Bestand der Gestalt, in der die Geschichte der Welt in ihrer ganzen Vergangenheit verlaufen ist und noch in der Gegenwart, in der dieses Wort laut wird, weiter zu laufen in Begriff steht – und
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schlägt zugleich die erste Stunde einer in derselben Gegenwart anhebenden neuen Zeit“ (IV/3, 276).
Ja, die Gegenwart ist die Zeit mitten im Advent, in dem „die Zukunft schon begonnen“ hat, und zwar nicht nur als Utopie, sondern wirklich, so wie sie den Jüngern in der Auferstehung sichtbar wurde „als ein neues, aber wie alle andern konkret reales Element ihres eigenen Daseins“ (IV/3, 363). Die Pointe der Osterbotschaft liegt damals wie gegenwärtig in dem Heute: die konkrete reale Gegenwart ist von der ihr bestimmten Zukunft bereits durchdrungen (vgl. IV/3, 364). Was aber bedeutet die Tatsache des nach wie vor bestehenden Widerspruchs zwischen der alten und der neuen Zeit? Was bedeutet es, in der Gegenwart als der Zeit dieses noch nicht ausgeräumten Widerspruchs zu leben? Welcher Realität trägt der noch nicht angetastete Teil des Widerparts Rechnung und welche Bestimmung liegt für uns darin, in dieser konkreten Zeit des Widerspruchs zu leben? Diese Fragen zielen auf das Problem, weshalb sich die Parusie Christi derartig in die Länge zieht, so dass wir nun schon fast 2000 Jahre lang sagen müssen, dass wir in der Endzeit leben, ohne dass dies die Bewegung der eigensinnigen Geschichte des Menschen einschneidend bzw. überhaupt erkennbar geprägt hat. Indem diese Frage auf die freie Entscheidung Gottes zielt, der in seiner Treue den gestifteten Bund zu seiner Bestätigung selbst erfüllt und erneuert hat, kann die Antwort nur auf der von dem Versöhnungsgeschehen angezeigten sachlichen Linie zu suchen sein, d. h. es kann sich in dieser Endzeit nur in einem noch näher zu bestimmenden Sinne um Gnadenzeit und eben nicht um Schicksalszeit bzw. um eine noch unentschiedene Entscheidungszeit handeln. Es ist die vom Auferstandenen gegebene Zeit, die als solche in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zunächst uneingeschränkt gutzuheißen ist (vgl. IV/3, 375), um dann auch die in ihr erkennbare Ordnung benennen zu können, denn nun rückt konsequent das „noch nicht“ in den Bestimmungshorizont des „schon“, so dass die gegebene Zeit – d. h. hier die jeweilige Gegenwart – zu einem Raum wird, in dem uns, den Menschen, die Möglichkeit gegeben ist, Christus „in seinem noch unabgeschlossenen Kampf (…) zu begleiten“, und d. h. „mitzukämpfen, kurz: ihm nachzufolgen“ (IV/3, 381). Das ist der Bereich, in dem wir uns bewegen: es ist uns als der versöhnten Kreatur Raum und Zeit dazu gegeben, „an der der Saat ihrer Versöhnung folgenden Ernte nicht nur als Zuschauer, sondern aktiv teilzunehmen“ (IV/3, 383). Der Bund ist eben darin erneuert, dass Gott „die Welt, sein Volk, uns alle […] nicht nur als Objekte seines Tuns, sondern als selbständig tätige, freie Subjekte dabei haben [will …]. Er hat sein, das letzte, das entscheidende Wort darum noch nicht gesprochen, weil er auch in dieser Hinsicht nicht einsam, nicht ohne uns, nicht gewissermaßen über unseren Kopf weg vorgehen und handeln, weil er uns vielmehr auch in dieser Hinsicht in unserer Eigenstän-
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digkeit als Gottes zur Freiheit berufene Kreaturen und als die in ihm Gerechtfertigten und Geheiligten an seinem Werk teilnehmen lassen will“ (IV/3, 383).
Die Freiheit, die hier angesprochen wird und um die es stets geht, wenn theologisch qualifiziert von Freiheit gesprochen wird, ist allerdings nicht die Freiheit zur Selbstbestimmung, sondern Freiheit im Sinne von Wirklichkeitsbefähigung, die zwar das Subjekt erfasst, aber nicht im Subjekt allein konstituiert ist, denn es geht um Partizipation, in der nicht an erster Stelle das Individuum, sondern die von Gott versöhnte Wirklichkeit bestimmend ist. Es ist kein Widerspruch, wenn Barth hier im Blick auf die uns gelassene Zeit von der uns gegebenen Gelegenheit spricht, „in Freiheit in seinem Dienst zu treten“ (IV/3, 384). Ihm zu dienen, sein Werk zu bekennen und an ihm teilzunehmen, zu „diesem freien Tun [ist uns] Raum, Zeit und Gelegenheit gewährt“ (IV/3, 385). Welcher Sinn könnte dagegen einem Verständnis von Freiheit zugemessen werden, das hinsichtlich ihrer Entsprechung zu Wirklichkeit und Wahrheit indolent bzw. neutral und somit über ihren tatsächlichen Aktionsradius nicht realistisch auskunftsfähig wäre? Eine Freiheit jenseits der Wirklichkeit, die ihre bestimmende Mitte in der Realgegenwart des wirkenden Propheten der Versöhnung hat, könnte nur fiktiv oder eben illusionär sein. Es ist im Grunde ein ganz schlichter Gedankengang, der eben nur konsequent vollzogen wird. Die Tatsache, dass Barth gerade hier am meisten missverstanden bzw. am schärfsten attackiert wird, zeigt m. E. nur, dass man ihn an seinen Grundentscheidungen vorbei zu verstehen versucht, wohl vor allem, um der allgemeinen Feier des bürgerlichen Subjekts nicht die theologische Weihe entziehen zu müssen. Tatsächlich aber ist das neuzeitliche Subjekt in seiner hemmungslosen Selbstfeier längst nicht mehr auf irgendwelche religiösen Weihen angewiesen, so dass die andauernden theologischen Ovationen wohl nur verräterisch annoncieren, in welcher Koalition die Theologie glaubt, ihren Geltungsdrang befriedigen zu können. Die wortreich verhüllte Fiktivität korrespondiert mit einer faktischen Inhumanität, die in evolutionistischen Geschichtsentwürfen ideologisch zum Verschwinden gebracht wird. Wenn Barth immer wieder kritisch die größere Nähe der Christen zu den NichtChristen als zu Christus unterstreicht, dann trifft das in historisch-phänomenologischer Hinsicht genau diesen Zusammenhang der Selbstfeier der Christen mit der immer wahnhafter werdenden Selbstfeier des modernen Menschen, die nichts anderes bedeutet als die tätige Verleugnung der Realgegenwart Christi durch die selbstbetitelten Christen, die so bereitwillig mit ihrer Unvollkommenheit Frieden schließen, um weiterhin glücksspielerisch mit dem Schicksal shakern zu können, ohne sich von der damit akzeptierten Widersprüchlichkeit noch anfechten zu lassen (vgl. IV/3, 394 f). – Wir kommen zu einem letzten Aspekt der Gegenwart.
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5.4.3 Geistes-Gegenwart Die Realgegenwart Christi ist die Gegenwart des Geistes „als seine direkte unmittelbare Gegenwart und Aktion unter, bei und in uns“ (IV/3, 405). Der Auferstandene handelt selbst und braucht deshalb „wirklich keine Platz- und Statthalter, keine gesalbten oder ungesalbten, großen oder kleinen, sakramental oder existential ausgerüsteten Vikare“ (IV/3, 404). Und so ist auch das, was die Christen zu Christen macht, ganz und gar seine Geistes-Gegenwart. Der Geist ist nicht nur die geschichtliche Verknüpfung von Ostern mit der Vollendung des Reiches Gottes als der einen Wiederkunft Jesu Christi, sondern als solcher ist er auch die dynamische Gegenwart dieser geschehenden Geschichte. Barth legt das entscheidende sachliche Gewicht nun darauf, dass diese zweite Gestalt der Wiederkunft Jesu Christi im Heiligen Geist „nicht weniger wirklich“ sei „als damals und dort, im Osterereignis, sein Kommen zu seinen Jüngern – und auch nicht weniger wirklich als dereinst, in seinem Kommen in dessen letzter abschließender Gestalt, als Richter der Lebendigen und Toten“ (IV/3, 412). Das Sitzen zur Rechten Gottes bezeichnet ja nicht die Ferne Christi, sondern weist auf die tatsächliche Ausübung „der Regierungsgewalt“ (ebd.). Es gibt hier kein sich dem Begriff entziehendes „Zwischen den Zeiten“ zu bedenken, sondern vielmehr gilt es, die Gegenwart als „die Zeit der Mitte zwischen den Zeiten“ (IV/3, 413) zu erkennen. In ihr ist alles gegeben, so dass es nur eine völlige Verkennung der Realität unserer Existenz sein könnte, wollte man von unserer Zeit als der Zeit des Heiligen Geistes so sprechen, als sei hier ein wehleidiges oder gar auf die Jünger Jesu neidisches „nur“ angebracht. Die uns gelassene Zeit ist ganz und gar Gnadenzeit, auch wenn dies noch als ein Satz des Glaubens gegen die Erfahrung bekannt werden muss. Bei aller Sehnsucht nach dem endgültigen Kommen ist die Gegenwart „durchaus kein Negativum, durchaus keine möglichst rasch zu überwindende Peinlichkeit“ (IV/3, 417), sondern sie ist in voller Wirklichkeit die Zeit der Treue Christi, die nicht erst da in Kraft gesetzt wird, wo sie zu ihrer letzten Erfüllung gelangt ist (vgl. ebd.). An dieser Mitte hängt nicht nur das Ziel, sondern vor allem die Wahrnehmung der Tragweite der Auferstehung, die zentrale Bedeutung von Ostern als dem Axiom aller Axiome. Geistes-Gegenwart bezeichnet die Gewissheit, dass „auch unser heutiger Tag ein Tag des lebendigen Jesus Christus“ (IV/3, 418) ist, ohne dabei zu bestreiten, dass er auch immer noch „ein Tag des Teufels, der Dämonen“ (ebd.) ist. Die Tatsache der Gegenwart des wiederkommenden Christus macht uns vor jeder anderen Zeitgenossenschaft zu seinen Zeitgenossen. Als solche sind wir bewusst oder unbewusst, d. h. unausweichlich „unmittelbare Zeugen“ seines gegenwärtigen Tuns (IV/3, 419). Wir sind – ebenfalls ob wir es wollen oder nicht – tatsächlich beteiligt an seiner Wiederkunft, indem Christus nicht nur für uns war, sondern aktualiter für uns ist, d. h. lebt und regiert, so dass niemand wirklich aus dieser Beziehung herausfallen kann, so dass der Skandal der anhaltenden
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Verfinsterung dieser Wirklichkeit gerade bei den Christen ein unüberbietbarer Widersinn ist. Die Christen treten vielmehr diesem Skandal direkt entgegen, indem sie den Kampf Christi mitkämpfen, oder sie treten ihm in ihrer zweifellos auch immer wieder bedrängenden Angefochtenheit indirekt entgegen, indem sie sich im Gebet an Gott wenden: „Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel!“ (IV/3, 424; vgl. 205). Tertium non datur!, d. h. auf jedem anderen Weg treten sie vor allem Christus entgegen.
5.5 „Gehet hin in alle Welt …“ Die lebendige Gemeinde des lebendigen Christus 5.5.1 Die Existenzfrage des Christen Nachdem wir uns den gegenseitigen Interpretationszusammenhang von Geschichte und Gegenwart vor Augen geführt haben, wollen wir uns in diesem letzten Kapitel der eingangs aufgeworfenen Frage annähern, mit welcher Bestimmtheit die Gemeinde in den irdisch-geschichtlichen Herausforderungen ihrer Zeit Position zu beziehen habe. Lässt sich die jeden Kompromiss ausschließende Haltung, die Barth in seinem Brief an die Christen in Großbritannien eingenommen hat, dogmatisch einholen, oder handelt es sich hier um eine theologisch nicht zu deckende Radikalität? Wir können nun auch so fragen: Darf sich Barth mit dieser Haltung auf die Führung des lebendigen Geistes berufen, oder handelt es sich vielmehr um eine geistliche Verführung schwacher Geister? Beide Fragen zielen zentral zunächst auf die Existenzfrage des Christen und sodann auf die ekklesiologischen Grundbestimmungen, die Barth aus dem skizzierten prophetischen Amt Jesu Christi resultieren lässt. Die alles bestimmende Grundlage liegt darin, dass Barth es konsequent nicht den Christen oder der Gemeinde überlässt, ihre Existenzform und ihr Selbstbewusstsein selbst festzulegen, vielmehr wird über ihre Existenz ganz und gar dadurch entschieden, dass sie bewegt werden von der Prophetie Jesu Christi. Im Tambacher Vortrag (1919) fragt Barth – und in dieser Frage ist die bleibende Substanz für alle späteren Überlegungen enthalten: „wer könnte die Auferstehung sehen, ohne selber an ihr teilzunehmen […]?“18 Barth stellt sich gegen jede Möglichkeit einer theoretischen Konstitution des Christen. Im Grunde gilt für alle Wahrnehmungs- und Verstehensbegriffe (Hören, Vernehmen, Verstehen, Erkennen), dass sie im biblischen Sinne gebraucht werden, wo sie nicht nur auf den intellektuellen Nachvollzug zielen, sondern ein 18 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 48.
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eingreifend veränderndes Geschehen bezeichnen, das den ganzen Menschen betrifft, von dem er sich nicht einfach distanzieren kann, um in vermeintlicher Neutralität unverändert seine Wege weitergehen zu können. Vielmehr ist etwas passiert, das die Voraussetzungen des Lebens grundlegend verändert hat. Und dort wo nichts passiert, da ist eben auch Fehlanzeige für die Christen zu erstatten, selbst wenn sie noch so geflissentlich den Namen Christi im Munde führen. Barth sieht sehr genau – und das ist sowohl ein Kontinuitätsmoment als auch ein sachlicher Schlüssel seiner Theologie –, dass die das Wort Gottes in ihren Betrieb nehmenden Christen die subtilste und wirkungsvollste Behinderung des Evangeliums sind. Wenn immer wieder vom Kampf Christi gegen das Widersetzliche die Rede ist, so ist von uns längst nicht realisiert, dass es hier in erster Linie um die Kirche geht, die eben weniger der Prophetie Christi folgt, als vielmehr mitten im Dorf stehen will. Das Widersetzliche als die konsequente Verbilligung, getarnt in einem grauen „Nebel von aufgebauschter Mittelmäßigkeit, pathetischer Langeweile und wichtigtuender Unwichtigkeit […] könnte sich ganz artig auf die Kirchenbank setzen, ganz munter den Talar anziehen und auf die Kanzel steigen, ganz eifrig christliche Gesten und Bewegungen machen, ganz saubere Theologie hervorbringen – um gerade so, in bewußter Beteiligung am Bekenntnis des Namens Jesu Christi aufs gründlichste dafür zu sorgen, daß sein prophetisches Werk zum Stehen kommt […]“ (IV/3, 298 f).
In keinem der Bände der Kirchlichen Dogmatik ist die Kirchenkritik so scharf und sachlich alarmierend wie in IV/3. Das hängt mit dem sachlichen Gewicht zusammen, das Barth dem prophetischen Amt Jesu Christi gibt, so dass dieser Band zu Recht als Schlüssel zur KD insgesamt bezeichnet wurde.19 Die Kirche ist weder ein nostalgischer Erinnerungsverein noch eine melancholische Hoffnungsgesellschaft auf die Ewigkeit – beides Erscheinungsweisen eines priesterlich verwalteten und mit allerlei Substituten dem Leben entfremdeten Quietismus –, sondern der lebendige Leib ihres lebendigen Herrn, d. h. sie hat Anteil an der Prophetie Jesu Christi oder sie ist nicht seine Gemeinde. Gerade in seinem prophetischen Amt will Christus nicht einsam sein (vgl. IV/3, 695). Hier ist die entscheidende Existenzfrage der Christen und der Gemeinde gestellt, wobei deutlich ist, dass Existenz nicht die Feststellung des Daseins oder des Soseins meint, sondern sie ist „Existenz in Bewegung“ (IV/3, 1078) im Sinne von Berufung und Sendung als tätige Zeugen des aktualen Kampfes Christi. Um nicht der Gefahr zu erliegen, nun nur in großdimensionierten definitorischen Obersätzen zu sprechen, unter denen man alles andere so selbstverständlich subsumiert wähnt, ist es ratsam, einige Einzelaspekte anzudeuten: a) Es wird zweifellos im Blick auf die Dogmatik kein Patentrezept für das 19 Vgl. Schellong, Barmen II und die Grundlegung der Ethik, 495; vgl. dazu Siller, Kirche für die Welt.
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spannungsreiche Verhältnis von Theorie und Praxis geben. So viel aber bleibt festzuhalten, dass Barth keinen Zweifel an der unmittelbaren Praxisrelevanz der Theorie lässt. Barth formuliert rhetorisch als Frage: Gibt es „eine christliche Theorie, die nicht selber und als solche auch ein Element christlicher Praxis sein müßte?“ (IV/3, 86) Damit ist ganz und gar nicht das so facettenreich diskutierte Verhältnis von Dogmatik und Ethik avisiert, sondern es wird viel fundamentaler auf den Punkt gewiesen, an dem überhaupt ein Bedarf an Theologie und damit an Theorie entsteht.20 Dieser ist ja nicht schon durch das Bedürfnis nach Wissenschaft oder gar das Faktum theologischer Fakultäten zureichend bestimmt, vielmehr entspringt der Bedarf an Theologie der je aktuellen genuinen „Not und Verheißung der christlichen Verkündigung“. Wenn sich die Theologie diesem Bedarf verpflichtet, d. h. wenn sie weiß, dass sie stets Ernstfall und nicht akademische Spielerei ist, dann weiß sie, dass sie auch in ihren theoretischsten Bemühungen nicht Wahrheit an sich sucht, sondern als Theorie eine genuin von der Praxis bewegte partikulare Anstrengung ist. Theologie ist für Barth immer Ernstfall. Zwar in gebührender Unterscheidung zu dem Vorrang der Wirklichkeit, über die sie sich Rechenschaft ablegt, aber ebenso in Unterscheidung von der spielerischen Leichtmütigkeit, als ginge es nur um die Modelle, Ansichten, Meinungen bzw. Paradigmen, über die sie mit ihren Bemühungen freilich nicht hinauskommt. Ernstfall meint, dass sie sich mit ihren stets begrenzten Möglichkeiten in dem Raum bewegt, in dem sich das tatsächlich ereignet, wovon sie zu sprechen versucht, damit es ihr bzw. der Kirche nicht so gehen möge, wie dem „Büblein einer afrikanischen Parabel, das jahrelang mit einem säuberlich und sehr naturgetreu aus Holz geschnitzten Löwen (es könnte ja auch eine saubere Dogmatik gewesen sein) gespielt hatte“ und dann „übel erschrocken [war], als es eines Tages einen wirklichen und lebendigen Löwen brüllend auf sich zukommen sah“ (IV/3, 756). Es ist, wenn man so will, das unausweichliche Theoriebedürfnis des Lebens, das der Theologie ihre Relevanz gibt, so dass umgekehrt festgestellt werden kann, dass es keine selbständige Notwendigkeit für die Theologie gibt. Als reine Lehre ohne Verbindung zum Leben, d. h. zur christlichen Existenz, ist sie schlicht der Gegenbegriff zu dem, was sie überhaupt erst relevant machen könnte. Es ist in diese Richtung zu verstehen, wenn Barth bemerkt, dass „Lehre auch als ein Gefüge vor lauter Richtigkeiten Lüge sein oder werden“ kann (IV/3, 434); wohlgemerkt nicht nur dann, wenn sie sich im Irrtum bewegt, sondern auch dann, wenn es richtig – man muss dann wohl sagen, nur richtig – zugeht. Der Schaden ist nicht nur ein festzustellender Mangel, sondern der einzugestehende Gegensatz zu ihrer eigentlichen Bestimmung. Sie ist dann zu einer abstrakten Theorie geworden, die dann in ein Gegenüber zu einem wohl ebenso freischwebenden Begriff von Praxis zu stehen kommt. Die Theologie bekommt unversehens weltanschaulichen Charakter, zumindest 20 Vgl. auch die zugespitzte Rekonstruktion von Marquardt, Theologie und Sozialismus, 276 ff.
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gleicht sie einer Weltanschauung durch die auch von ihr bevorzugte „beruhigende, die fröhliche Möglichkeit, es beim Gespräch, grundsätzlich bei einem endlosen Gespräch sein Bewenden haben zu lassen“ (IV/3, 295). Die Wahrheit, um die es der Theologie geht, entzieht sich prinzipiell der Möglichkeit von Lehre umfasst zu werden, geht es doch um den lebendigen Christus und die von ihm regierte Welt. Barth rückt den Begriff der Erkenntnis theologisch in die Nähe zum Begriff der Erweckung, der seinerseits in einer sachlichen Nähe zu dem verstanden werden soll, „was Jesus Christus in seiner Auferstehung widerfahren ist“ (IV/ 3, 588). Der Akzent liegt wieder auf der Veränderung, ja man muss sagen, auf der radikalen Umkehr der Situation, auf dem Geschehen, das Barth auch mit dem Begriff der Konfrontierung charakterisiert (vgl. IV/3, 209 u. ö.). Ohne diesen, das ganze Leben verändernden dynamischen Charakter (vgl. IV/3, 590) ist in der Theologie nicht ernsthaft von Erkenntnis zu sprechen. Das ist ein erster Aspekt zur Bestimmung der Existenzfrage des Christen, der von niemandem einfach als gegeben bzw. erfüllt vorausgesetzt werden kann. b) Konstitutive Bestimmungsmomente für Barths Verständnis des Christen sind Berufung und Sendung. Es gibt keinen Christen, der sich nicht von der Berufung und Sendung durch den Auferstandenen her versteht. Berufung und Sendung sind dabei nicht imperativisch zu verstehen, und dann gar noch so, als sei da irgendwann in neutestamentlicher Zeit eine immer gültige und somit zwangsläufig recht allgemein gehaltene und eben deshalb auch kaum verbindlich zu machende Aufforderung ergangen, die nun je neu zu aktualisieren sei. Auch hier gilt nicht das Prinzip, sondern das lebendige Gegenüber zu dem Auferstandenen, in dem sich die Knechts- und Königsgestalt Jesu Christi zwar aktual bestätigt und bewährt, aber eben nicht einfach ständig wiederholt im Sinne von historischen Analogien, die im Übrigen bei genauerem Hinsehen eher dazu geeignet sind, den Blick von Christus abzuwenden, indem wir recht schnell und scheinbar problemlos beinahe überall sein Kreuz aufgerichtet finden, während es doch darum gehen müsste, all dem Elend und Leid zum Trotz die Herrschaft des Auferstandenen zu bezeugen. Das ist ja das entscheidende Zeugnis, das sich die Welt nicht selbst geben kann und das auch nur glaubwürdig wird, indem sich der Bezeugte selbst vergegenwärtigt. Die Berufung des Menschen ist „das Handeln Jesu Christi als aller Menschen Zeitgenosse und also sein Handeln in der Zeit und also selber ein zeitliches Ereignis“ (IV/3, 572). Noch einmal geht es mit nachdrücklichem Akzent gegen ein doketisches Missverständnis. Nicht die Lehre Christi, sondern er selber tritt uns als unser Zeitgenosse in den Weg und redet uns als „Genossen des in ihm geschlossenen Bundes“ (IV/3, 577) an. Barth bekennt sich ausdrücklich dazu, dass hier „lieber kindlich, lieber ,mythologisch‘ [zu sprechen sei] als gar nicht oder so, daß die Meinung entstehen kann, seine [sc. Christi] Erwähnung könnte auch fehlen“ (IV/3, 578). Der agierende Geist „ist ja die Parusie Jesu Christi“ (ebd.), d. h. Christus selbst und niemand anderes handelt in ihm als Prophet. Berufung ist auf diesem Hintergrund die Neu-
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schöpfung des ganzen Menschen durch Christus (vgl. IV/3, 586). Es handelt sich um einen dynamischen Vorgang des tätigen Erkennens, den Barth ohne Berührungsängste mit dem Pietismus, aber ebenso ohne jeden Beerbungsversuch mit den Begriffen Erleuchtung und Erweckung näher beschreibt. Hier ließe sich nun theologisch Weitreichendes über die christologische Bedeutung des Bilderverbots und des Namensgeheimnisses Gottes anschließen, denn unsere Gottesbilder entspringen wahrhaft abstrakter Kunst, indem sie Gott zu einem theologischen oder sonst wie gearteten Prinzip umbilden und ihn völlig seiner durch den Namen geschützten Personalität berauben.21 Allerdings bleibt gegen den Pietismus festzuhalten, dass nicht das subjektive, sondern das objektive Moment vorherrscht. Die Berufung impliziert ihrem Wesen nach die Sendung an alle (vgl. IV/3, 351). Sie ist die in der Berufung liegende Beauftragung zum Zeugendienst (vgl. IV/3, 658 f, 679). Der Christ ist, indem er tut, was er ist, d. h. sein Sein tatsächlich ausübt in dem zwar entschiedenen, aber gleichwohl noch mit Vehemenz geführten Kampf Christi (vgl. IV/3, 749). Eben das ist gesagt, wenn es heißt: „Daß Christus durch den Heiligen Geist im Christen lebe, darauf ist es bei dessen Berufung abgesehen“ (IV/3, 691). c) Der Inhalt des Zeugnisses ist ebenso schlicht wie folgenreich, dass Christus heute der Herr ist, nicht nur der Herr der Kirche, sondern „der Herr der Welt und aller ihrer Mächte“.22 Er ist kein imaginärer, sondern ein lebendiger Gott.23 Indem die Gemeinde dies bezeugt, nimmt sie ihr prophetisches Amt wahr. Es ist keinesfalls zufällig, dass sich diese prägnante Inhaltsbestimmung des Zeugnisses der Gemeinde gerade in einem Zusammenhang findet, in dem Barths Überlegungen auf die politische Existenz der christlichen Gemeinde zielen. Es ist der Auferstandene und heute regierende Christus, also das sachliche Zentrum des Bekenntnisses, von dem aus es der Kirche unmöglich ist, einfach in der Mitte des Dorfes zu stehen. Vielmehr bezeugt sie die wahre Mitte der Wirklichkeit der Welt, die eben nicht das selbstverständliche und erhabene Zentrum unserer historischen Ansiedlungen ist (vgl. IV/3, 851). Gerade indem die Gemeinde das wahre Zentrum unserer Geschichte bezeugt und damit eben keine religiöse Privatmeinung vorträgt, sondern eine die ganze Welt betreffende Wirklichkeit anzeigt, gerät sie unter den Druck ihrer Umgebung, denn sie bestreitet ihr die Grundlage ihrer Selbstgewissheit, in der sie beispielsweise auch Kirchen in die Mitte ihrer Dörfer baut. Versieht der Christ
21 Bilder fixieren, und als solche verwirklichen sie nicht, sondern entwirklichen, denn die Wirklichkeit ist Geschehen, Bewegung, ein dynamischer Prozess, der sich nicht im Bild festhalten lässt. Zum Problem vgl. auch Barths Votum in der Auseinandersetzung um die Chorfenster im Baseler Münster (l952); Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 295 – 297 ; vgl. dazu Weinrich, Die Wahrheit des Bilderverbots. 22 Barth, Eine Schweizer Stimme, 286. 23 Vgl. Barth, Der Götze wackelt, 138.
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„seinen Zeugendienst, dann kann er es seiner Umgebung gar nicht ersparen, ihr zu nahe zu treten, durch sein Zeugnis einen Druck auf sie auszuüben, auf den sie mit Gegendruck reagieren muß und wird. […] Tut er das aber nicht, verzichtet er auf seinen Zeugendienst, dann ist das nicht eine kleine Unterlassung, die er sich […] wohl leisten dürfte […]. Sondern es bedeutet dann dieser Verzicht schlicht und schrecklich dies, daß er das Leben Christi in ihm und sein Leben in Christus und also seine Berufung verleugnet und suspendiert. Er hört […] auf, ein Christ zu sein. Und seiner persönlichen Heilserfahrung und Heilsgewissheit soll er sich dann nur ja nicht trösten wollen“ (IV/3, 706 f).
Bedrängnis ist also kein nur unter besonders ungünstigen Bedingungen zu erwartendes Geschick, sondern es gehört für Barth – und hier mag man sich an die Reformatoren erinnern – im weiteren Sinne zu den nota ecclesiae, von denen man sich nur als Deserteur auf der ganzen Linie entfernen kann (vgl. IV/3, 707 f). Die Bedrängnis, von der hier die Rede ist, ist die Signatur des Kampfes Jesu Christi, an dem die Christen partizipieren, wobei sie der Welt ohne eigene Macht und zudem in einem höchst missverständlichen religiösen Gewand gegenübertreten und insofern auch selbst noch Schauplatz des von ihnen bezeugten Kampfes sind. Die Bedrängnis, in die sie vonseiten der Welt notwendig und mit guten Gründen geraten, ist nicht nur ein Hinweis auf die lebendige Kraft ihrer Stärke, sondern ebenso ein Phänomen ihrer genuinen Schwäche, in der sie sich der Welt nur als ein durchaus gewöhnliches Stück Welt präsentieren können, was dazu führt, dass der Christ schließlich auch durch sich selbst in Bedrängnis (Anfechtung) verstrickt wird.24
5.5.2 Im öffentlichen Dienst Der Christ ist „per definitionem und also nicht beiläufig und nachträglich, sondern wesenhaft, von Haus aus, d. h. Kraft seiner besonderen in Jesus Christus geschehenen Erwählung zum Glied des Volkes Gottes ein berufener Zeuge Jesu Christi […], der als solcher nicht in einem Privatunternehmen, wie schön, wichtig und heilsam dieses für ihn auch sein möge, sondern in öffentlichem Dienst lebt und tätig ist“ (IV/3, 1070; vgl. 1078).
Die Auferstehung Jesu Christi ist kein den Jüngeren „bereitetes Privatvergnügen“ (IV/3, 350), sondern sie ist eine öffentliche Angelegenheit höchsten Ranges. Die Berufung der Gemeinde ist nicht eine Berufung in die Hofhaltung Christi, sondern Sendung in die Welt. Und ebenso gilt der Dienst der Kirche nicht der Sorge um die kirchliche Reinerhaltung eines vermeintlichen Werkes Christi gegenüber der Welt, sondern ihr Dienst ist seinem Wesen nach öffentlicher Dienst, d. h. seine Sorge gilt der Weltzugewandtheit des Evangeli24 Vgl. zum Ganzen IV/3, § 71.5.
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ums. Dazu ist die Kirche in die Welt gesandt, um in der Konfusion der eigenwilligen Geschichte des Menschen die providentia Dei anzusagen (vgl. IV/ 3, 794 f), d. h. sie hat die der Welt von Gott zugewandte Gnade zu bezeugen. Auch hier votiert Barth wieder gegen den Doketismus in der Gestalt eines ekklesiologischen Doketismus, so als sei die Kirche wesentlich unsichtbare, geglaubte Kirche. Das rechte Verständnis der Kirche ist vielmehr gleichsam das Paradigma auch für das Verständnis der Welt, indem es zwar mit verschiedenem Akzent, aber hier wie dort um die konsequente Zusammenschau von sichtbar und unsichtbar, hier wie dort um die Betonung der konkreten Weltlichkeit geht. Die Kirche vermag der Welt nur auf der Ebene der Welt zu begegnen, „nur indem sie ihr weltlich sichtbar, weil selber ganz und gar weltlich ist“ (IV/3, 829). Das „Nur“ zeigt dabei keine qualitative Beschränkung oder Herabsetzung an, sondern die Exklusivität der Kommunikationsvoraussetzung in Entsprechung zur konkreten Menschlichkeit und Sichtbarkeit Christi. Barth verweist in diesem Zusammenhang auf Israel und seine Geschichte, die nun gleichzeitig zu belegen vermag, dass zur Wesentlichkeit der Sichtbarkeit die Wesentlichkeit der Unsichtbarkeit gehört, was Israel ebenso wie die Kirche dem Missverständnis und zugleich der bedrängenden Missgunst der Welt aussetzt. Das Missverständnis liegt in der Identifikation mit der jeweiligen institutionellen Gestalt,25 und die Missgunst antwortet auf den in ihrem Zeugnis erhobenen Anspruch. Unsichtbar bleibt das Mitsein der Kirche mit Christus. Es ist Werk der Gnade und als solches „nicht von Natur ihr Wesen“ (IV/3, 834) als irdischgeschichtliches menschliches Volk. Gerade auf der Schwachheit ihrer Sichtbarkeit, in der sie ganz und gar Welt ist, liegt die Verheißung ihres prophetischen Wirkens, das sie nicht sich selbst, sondern allein der Macht des an ihr wirkenden creator Spiritus (vgl. IV/3, 861) zurechnen kann. Nur weil und indem Christus der Gott seines Volkes ist, vermag die Gemeinde sein Volk zu sein (vgl. IV/3, 862). Gerade diese tatsächliche Schwäche ihrer Existenz müsste es verhindern, dass sie sich zum Selbstzweck wird. Gerade die Verwiesenheit auf die Selbstvergegenwärtigung Gottes erinnert sie an ihre Weltlichkeit ebenso wie an die Tatsache, dass die Gnade Gottes eben das der Welt noch verborgene Geheimnis ihrer tatsächlichen Weltlichkeit ist.26 Sie steht insofern im öffentlichen Dienst als alles, was sie angeht, zugleich von allgemeinem Weltinteresse ist. „In einer nur eben auf ihr Eigenleben, ihr Eigenrecht, ihre Eigenart bedachten, in einer sich ihrer Umgebung gegenüber separieren wollenden Gemeinde würde die Welt sich selbst nur zu leicht wiedererkennen. Das ist es ja, daß die Welt ohnehin in 25 Eine schlichte Identifikation von Sichtbarkeit und Institution verfehlt völlig die Intention Barths, wirft er doch gerade der Neuzeit einen Mangel an „Auseinandersetzung mit dem Heidentum der alten und neuen Institutionen“ (IV/3, 28) vor. 26 Vgl. dazu Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 169 f.
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lauter der Güte ihrer Sache gewisse Personenkreise, Interessengruppen und Geistesrichtungen, Nationen, Religionen, Parteien und Sekten aller Art auseinanderstrebt und -fällt, jede von ihnen ängstlich darauf bedacht, sich selbst allen anderen gegenüber in ihren Grenzen zu behaupten und durchzusetzen“ (IV/3, 886 f).
Fernab jeder Form der Sektiererei weiß sich die Kirche in ihrer Solidarität zur Welt verpflichtet, Mitverantwortung in der Welt zu übernehmen. Und Barth spitzt gleich gegenüber der allzu verbreiteten kirchlichen Vorsichtigkeit zu: „Es wird ihr aber auch die strengste Selbstkritik nie zum Anlaß und Grund sein dürfen, der Vorsicht halber überhaupt nichts zu tun. Immer noch besser etwas Problematisches, allzu Mutiges und darum Korrektur- und Vergebungsbedürftiges als gar nichts!“ (IV/3, 892)
Es ist die Prophetie Jesu Christi, die die Gemeinde als eigenes Subjekt ermächtigt, eine eigene dem Wort Gottes entsprechende Antwort zu geben (vgl. IV/3, 900). Es bleibt zwar stets „ein Wagnis erster Ordnung, es ist aber kein auf eigene Faust, kein unautorisiert unternommenes Wagnis“ (IV/3, 904). Es mag in diesem Zusammenhang in Erinnerung gerufen werden, dass Barth die Kritik der Gesellschaft in Verbindung mit der Diakonie als dem konkreten Tun der Gemeinde thematisiert (vgl. IV/3, 1023). Kritik der Gesellschaft kann recht verstanden auch nur ein Bedürfnis der Praxis sein, zu der die Gemeinde berufen und befreit ist. Ebenso wenig wie für die Theologie generell so wenig gibt es auch für die Ekklesiologie ein eigenständiges Theoriebedürfnis, auch nicht als Praxistheorie, sondern „des Christen Befreiung“ (§ 71.6) heißt: „Der Christ wird aus der Ratlosigkeit heraus unter Überspringung jeder Theorie sofort in die Praxis, in die Tat geführt“ (IV/3, 767), d. h. in den öffentlichen Dienst genommen. Das Theoretisieren ist hier für Barth Ausdruck eben der Ratlosigkeit, aus der die Gemeinde ja gerade befreit ist zum Dienst an der Welt. In dem Maße, in dem die Gemeinde tatsächlich existiert, werden ihr die mühseligen Verhältnisbestimmungen von Theorie und Praxis zu Scheinproblemen werden. Theorie wird nicht mehr als Weltbetrachtung nötig, sondern nur noch als kritische Praxisbetrachtung, und sie wird allein ins Recht gesetzt von der prophetischen Existenz der Gemeinde her. Die tätige Partizipation der Gemeinde an der Prophetie Jesu Christi ist der systematische Reflexionshorizont für die ethische Kontur des Lebens der Gemeinde.
5.5.3 Hic et nunc Für die Wahrnehmung des öffentlichen Dienstes bleibt die Einsicht fundamental, dass die Bezeugung Christi nie raum- und zeitlos geschieht. „Nie leiblos und also nie ohne die Gestalt, den Ton und die Farbe bestimmter Entscheidungen in den die Kirche und die Welt heute, jetzt und hier bewegenden Fra-
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gen“.27 Denn auch das Wort Gottes selbst ist nicht zeitlos, sondern zielt eben auf die Zeit, in der wir leben, die als solche von Gott während der Wiederkunft Christi gewährte Zeit ist.28 Und so kann es die Gemeinde nicht damit bewenden lassen, „ein unartikuliertes Brummen frommer Worte“ (IV/3, 932) von sich zu geben. Die Gemeinde verfehlt ganz und gar ihren Auftrag, wenn sie, anstatt entschlossen auf verbindliche Schritte zuzugehen – Barth nennt als konkretes Beispiel das Gebet für den Frieden –, es bei der „in ihrer stumpfen Allgemeinheit ohnmächtige[n] Beteuerung“ belassen wollte, „daß Jesus Christus auferstanden sei, am letzten Tag wiederkommen und Alles gut machen werde und daß der Glaube an ihn der Sieg sei, der die Welt überwinde!“ (IV/3, 932) Es ist nach wie vor höchst aktuell, wenn Barth darauf hinweist, dass es wohl immer die versuchliche Veranlassung geben wird, nur ja nicht zu eindeutig Position zu beziehen, sondern lieber demütig in neutraler Allgemeinheit zu verweilen, um – wie ernst auch die Situation sei – die Einheit und den Frieden der Gemeinde nicht zu gefährden (vgl. IV/3, 933). Wenn die Kirche vor allem sich selbst will, dann muss sie sich zuerst Christus aneignen, um ihn dann der Welt entgegenhalten zu können, aus der sie ihn herausgenommen hat. Einer solchen priesterlichen Kirche ist nichts störender als die Prophetie des lebendigen Christus, weil sie sich selbst an Christi Stelle in Szene zu setzen bemüht. Sie usurpiert die Gegenwart für sich und tut so, als ob Christus „sein prophetisches Werk leider gerade heute unterbrochen hätte, gerade heute nicht oder nur schweigend in ihrer Mitte und also der heutigen Zeit und Situation gegenüber zu einem stummen Herrn geworden sei, im Gehorsam gegen den sie auch ihrerseits ehrfürchtig zu verstummen oder nebeneinander und durcheinander Ja und Nein zu sagen habe“ (IV/3, 933).
Die stumme oder auch nur zögernde und auf sogenannte Ausgewogenheit bedachte Kirche tut unversehens ihren Dienst an der Seite der Baals-Priester auf dem Karmel (vgl. IV/3, 934). Auch hier ist es überraschend, wie zugespitzt Barth in der KD formuliert. Die Zuspitzungen tragen exakt den gleichen Akzent, wie er bereits aus der Schweizer Stimme bekannt ist, was deutlich belegt, dass die Schärfe in der Sache und nicht nur in irgendwelchen aktuellen Konflikten begründet liegt. Bei aller Akzentuierung des „Hic et nunc“ bleibt schließlich aber auch vor der Versuchung einer prophetischen Überheblichkeit der Kirche zu warnen, die allzu schnell in eine demonstrative Konkurrenz zur priesterlichen Versuchung tritt, ohne zu bemerken, dass sie sich ihrerseits durch die Form der erklärten Verbindlichkeit schon auf dem Weg zu einer priesterlichen Kirche befindet.29 Die hier angesprochene prophetische Überheblichkeit wurzelt 27 Barth, Eine Schweizer Stimme, 74. 28 Ebd., 284. 29 Vgl. dazu Josuttis, Der Pfarrer ist anders.
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ebenfalls in einer Unterbestimmung der Weltlichkeit der Kirche, so als könne sich die Kirche auf eine prinzipiell höhere Einsicht als die Welt berufen. Die Berücksichtigung beider Versuchungen, die sich in ihrer Substanz darin gleichen, dass sie nicht Christus selbst den Propheten sein lassen wollen, führt schließlich zu einer durchaus bescheidenen und gleichwohl unkompromittierbaren Bestimmung des prophetischen Auftrags der Christen und somit der Kirche bzw. der Gemeinde: „Für einmal im Bild der römischen Gottesdienstordnung geredet: Der Christ ist nicht Priester, er liest nicht die Messe, er hat mit der Wandlung und dem Opfer und mit der Spendung der Kommunion nichts zu tun – er ist gerade nur der Ministrant, der Meßbub, der das Evangelien- und Epistelbuch hin- und herträgt, ein bisschen weihräuchert und im entscheidenden Augenblick das Glöcklein läutet! Eben das ist er aber, eben in solcher Art tut er mit. Zu solchem ministrierenden Dabeisein ist er berufen und das macht ihn zum Christen, das zeichnet ihn als solchen aus, daß er bei dem, was Christus tut, ministrierend mittut – in diesem Sinn mag es dann sein: beim Werk Christi mitwirkt“ (IV/3, 690).
Es geht um die Pünktlichkeit und Hörbarkeit, mit der das Glöcklein zu läuten ist, wobei die Korrektheit freilich nicht nur eine liturgische ist – das aber sicherlich auch, fasst man nur den Begriff der Liturgie weit genug –, sondern vor allem die der Freiheit des Gehorsams, in dem der Christ dem souveränen Christus „assistiert“ und „sekundiert“ (vgl. ebd.). Das „Kriterium der Echtheit allen Glaubens, Gehorchens, Bekennens der Christen wird immer wieder darin bestehen müssen, daß sie ihn [sc. Christus] allein das sein lassen, was er allein ist, ihn also weder offen noch heimlich ihrer eigenen Meisterschaft zu unterwerfen versuchen“ (IV/3, 626).
Wenn Barth dieses Kriterium gegen den schielenden Menschen und die ebenso schielende Kirche (vgl. IV/3, 797) in Anschlag bringt, so geht er davon aus, dass die lebendige Gemeinde durchaus nicht eine Angelegenheit der Mehrheit ist. Besonders dann, wenn es um den politischen Auftrag der Kirche geht, ist nicht mit der Einmütigkeit der Mehrheitskirche zu rechnen.30 Immer dann, wenn die Gehorsamsfrage Gott gegenüber aufgeworfen wird, d. h. sich die Alternative von Gottes- und Götzendienst auftut – das ist keineswegs gleich immer der Fall! –, dann ist eine konkrete politische Entscheidung, ein Ja oder ein Nein gefordert. Dabei sieht Barth durchaus, dass es häufig das „Wagnis Einzelner“ sein wird, die dann auch die Gemeinde herauszufordern haben, sich ihrerseits der Gehorsamsfrage zu stellen.31 Die Gemeinde kann und darf sich der prophetischen Herausforderung nicht entziehen, und sie wird es eben auch in dem Maße nicht tun, in dem sie tatsächlich Kirche ist. 30 Vgl. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 5. 31 Ebd., 11 ff.
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„Wer glaubt, flieht nicht“.32 Flucht bedeutet Verleugnung und ist damit Ausdruck der Lüge. Man lese Barths Kapitel über des Menschen Lüge (IV/3, § 70.2), die er als die spezifisch christliche Gestalt der Sünde bezeichnet. Es „darf nicht gelogen werden“,33 das ist die Grundbestimmung für die Existenz der Gemeinde, die im Grunde völlig zureichend ist, weil in ihr alles enthalten ist, worauf es im Leben der Gemeinde ankommen könnte. Die Tatsache, dass es sich um eine negative Formulierung handelt, mag als ein Hinweis auf die Unmöglichkeit gewertet werden, im Angesicht des lebendigen Christus so etwas wie eine normative Ekklesiologie erstellen zu wollen.
5.5.4 In Ungeduld geduldig34 Auch wenn es in den bisherigen Ausführungen bereits immer wieder indirekt angezeigt wurde, möchte ich doch noch eigens hervorheben, dass Barths Vorstellungen von der Gemeinde jede Aufgeregtheit, jeder Eifer oder gar ein charismatisches Pathos fremd sind. Seine Betonung der Ernsthaftigkeit ist stets gepaart mit der Ermahnung zur Nüchternheit. Wenn es um Prophetie geht, könnte ja durchaus ein heiliger Zorn zu erwarten sein, aber dieser Erwartung tritt Barth wiederholt entgegen, und zwar unter folgenden Gesichtspunkten: a) Theologisch grundlegend ist zunächst der Hinweis, dass – wenn es denn gilt, dass Christus zur Rechten des Vaters sitzt und regiert – dann ebenso mit allen Konsequenzen gilt: Sorget nicht! Es geht ja nicht um Ideale, die nun angepriesen werden müssten, über die der Mensch ins Schwärmen geraten müsste, um für sie Interesse zu wecken, wobei er aus dem Dilemma nicht herauskommt, dass er ihnen aus ihrer prinzipiellen Zweideutigkeit nicht hinauszuhelfen vermag, sondern es geht um Wirklichkeit, die eindeutig ist – auch wenn sie falsch verstanden werden mag –, es geht um den lebendigen Christus, der uns allen Schwärmereien gegenüber einen sorglosen, aber nicht unbesorgten klaren Kopf gibt. b) In ihren Auseinandersetzungen wird die Gemeinde ausschließlich von der Wahrheit orientiert, d. h. sie ist bekennende Gemeinde, ohne dabei auf irgendwelche Erfolgschancen ihres Zeugnisses fixiert zu sein. Damit wird keine Nachlässigkeit legitimiert, sondern die Exklusivität ihrer Aktion relativiert. Ihre Aktion bewirkt nicht die Heilsgeschichte, sondern sie bleibt eben Zeugnis und hat als solches ihren ausweisbaren Ort in der von Gott verbürgten Heilsgeschichte – sofern man diesen durchaus ambivalenten Begriff hier überhaupt benutzen will. 32 Barth, Eine Schweizer Stimme, 174. 33 Ebd., 248. 34 Vgl. IV/3, 469.
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c) Die Gemeinde hat prinzipiell nur höchst begrenzte Mittel, zumal es ihr nicht zukommt, anderen gegenüber Macht auszuüben: „Indem sie ihren Dienst versieht, kann sie sich dem Adressaten ihres Auftrages gegenüber unmöglich behaupten und durchsetzen, kann sie sich seiner nicht bemächtigen, kann sie ihn, und geschehe das in der besten Absicht, gerade nicht bevormunden wollen“ (IV/3, 950).
Und das gilt eben auch im Blick auf ihre sogenannte religiöse Kompetenz, die sie besonders gern benutzt, um sich unersetzbar zu machen,35 (obwohl sich gerade hier zeigen ließe, wie instabil und willkürlich die Stimmung und mit ihr die Mode wechselt, der sie ja faktisch stets hinterherläuft…). Die Gemeinde verfügt über keine sakramentalen Privilegien gegenüber der Welt, ebenso wie es in ihr keine besonders ausersehene und als solche auch weisungsbefugte Priesterkaste gibt. Gerade in der Machtfrage hat sie konsequent auf Christus zu zeigen, – das ist die spezifische Bestimmung ihrer Existenz. d) Die Sachlichkeit der gebotenen Nüchternheit besteht in der konsequenten Orientierung an der Menschlichkeit. Es kann und darf keine andere „Sache“ als die des Menschen geben (vgl. IV/3, 763). Auch dies ist ein höchst weitreichender Aspekt, der, wenn er tatsächlich in der Gemeinde zum Tragen käme, der Kirche einen höchst subversiven Charakter gäbe, denn wir leben in einer Welt, in der der Mensch von Sachen, Institutionen, Maschinen, dem Kapital und auch mehr oder weniger abstrakten Ideen beherrscht wird. e) Ein vorläufig letzter Gesichtspunkt liegt darin, dass Barth die nüchterne Aufmerksamkeit immer wieder auf die Gegenwart konzentriert, in der es übermäßig Handlungsbedarf gibt, so dass alle Spekulationen über die Zukunft oder gar über einen historischen Fortschritt allemal verfrüht und angesichts der noch unentschiedenen Gegenwart mehr als deplatziert sind. Wer allzu sehr am Morgen hängt, verkennt das Heute, und es entspricht auch der geforderten Nüchternheit, dass nämlich jedes Morgen tatsächlich ganz und gar an dem hängt, was heute passiert. Es ist auch hier nicht die Aufgabe, Geschichte zu machen, sondern die Geschichte anzuzeigen, in der wir uns befinden, und diese ist eben die Geschichte des gegenwärtig lebendigen Christus mit ihrer ganzen Geistes-Gegenwart, in der auch die nur allzu verständliche Ungeduld der Gemeinde ihre Geduld findet. 5.5.5 Nicht mit dem Anfang aufhören! Das hat ja seine bleibende Bedeutung, dass wir stets neu mit dem Anfang anzufangen haben,36 aber es gilt doch wohl nur für diejenigen, die auch immer
35 Zum Religionsproblem bei Barth vgl. u. Teil 3: Religion und Religionskritik. 36 Barth hat diese Formulierung immer wieder an durchaus zentraler Stelle gebraucht, was sie
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wieder über den Anfang hinauskommen, die sich nicht verliebt haben in die dann bequeme Bedrängnis, dass sich doch nichts Konkretes ausmachen lasse, um dann mit gewohnter kleingläubiger Selbstverständlichkeit fast liturgisch die Finsternis zu beklagen, in die wir nun einmal mit dem Glauben versetzt seien, wo es immer nur Ahnungen geben könne, die sich nur tastend und somit nur höchst unvollkommen verifizieren lassen. Am Ende wird es allzu schnell zu einem zweifelhaften Gemunkel von Unbeteiligten, die eben ahnen, dass, wenn sie ihre als Anfechtung ausgegebenen Zweifel aufgäben, sie dann heraustreten müssten aus ihren selbstverdunkelten Katakomben mit den vielen Dienstbotenein- und vor allem –ausgängen, und dann auch den Mund auftun müssten, um zu bekennen, dass Christus lebt und regiert. In dieser ja nicht theoretisch erdachten, sondern von der „Schlaf-Christlichkeit“ (IV/3, 595) so gepflegten schlaferhaltenden Finsternis schaltet Barth gleichsam das Licht an, indem er die Verdunklungen demontiert und zudem darauf hinweist, dass es da gar keine Katakomben gibt, sondern alles zu ebener Erde geschieht. Und auf der ebenen Erde, da wo wir alle leben, da leuchtet das Licht Christi und scheidet Licht und Finsternis – es erscheint die neue Schöpfung, die in ihm geschieht. Nicht nur grauer Nebel oder gar eine Gottesdämmerung zieht am Himmel auf, sondern ein klares Licht, dem gegenüber keine Verdunklungsgefahr besteht. Schon die nörgelnde Behauptung, als seien alle Katzen grau, ist krasse Verleugnung, denn es gibt zwischen Bekenntnis und Verleugnung keine dritte gleichsam neutrale Möglichkeit, wo man sich von Fall zu Fall unentschieden zurücklehnen könnte, als sei noch nichts geschehen, so als müsse es sich erst noch erweisen, worauf es schließlich ankomme und wo es dann hingehe. Alle Versuche einer Entleerung der Gegenwart zugunsten einer Eschatologie, in der die Überwindung des jetzt noch hinzunehmenden Jammertals verheißen wird, bezeichnet Barth als „eschatologischen Defaitismus“,37 der meist verhüllt, dass es ihm gar nicht um das Letzte, sondern vor allem um den Status quo im Vorletzten geht (vgl. IV/3, 1075). Es gibt eben doch so etwas wie eine Signatur des Glaubens in der Existenz, und wo diese Signatur fehlt – etwa weil dies ständige „mit dem Anfang anfangen“ schon so sehr ermüdet, dass die ganze Existenz bereits mit der Selbstbeschäftigung ausgefüllt ist –, dann ist das ein Indiz dafür, dass hier ein anderes Evangelium als das des Lichtes Christi gesucht bzw. fabriziert wird. Um es auf den hier hervorgehobenen Punkt der Eschatologie zuzuspitzen, bleibt mit Barth nur festzustellen: „Der Christ hofft, indem er als solcher dient. … Hoffen ist Handeln, und als solches echtes Hoffen.“ Denn: „Christliche Existenz ist auch in dieser Hinsicht Existenz in der Bewegung. Hoffen geschieht im Tun des nächsten Schrittes“ (IV/3, 1078). Kehren wir nun zwar nicht zum Anfang des Theologisierens und der theologischen Existenz, wohl aber zum Anfang der Überlegungen dieses allerdings noch nicht vor Missverständnissen schützt; vgl. Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 52 Anm. 8 (vom Hg.); vgl. u. Kap. 14, 354 f. 37 Barth, Eine Schweizer Stimme, 112.
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Kapitels zurück: Barths Aufruf an die Christen in Großbritannien zur Beteiligung am militärischen Widerstand gegen den Angriff der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Barth leitet die Bestimmtheit seines Aufrufes zum einen aus der Auferstehung Jesu Christi und der uns Zeit gewährenden Geduld Gottes ab, und zum anderen aus der Diagnose, dass der Hitlerstaat und seine Kriegsideologie nichts anders als ein antichristliches, gegen die Herrschaft Christi gerichtetes Unternehmen sei, das selbst den Anspruch einer religiösen Heilsanstalt erhebe.38 Mit Hermann Rauschning spricht Barth von einer „Revolution des Nihilismus“39 bzw. von einer „Explosion einer prinzipiellen und aggressiven Gottlosigkeit“,40 zu der es vonseiten der Christen nichts anderes als ein entschiedenes Nein zu sagen und zu bekennen gibt. Diese Diagnose hat nun ihrerseits zwei Begründungsebenen. Die erste ist schlicht der gesunde Menschenverstand, der unmöglich zu einem anderen als einem radikal ablehnenden Urteil über den Nationalsozialismus kommen kann, wenn er nur das wahrnimmt, was man „hinsichtlich der heutigen Weltlage [1940 M.W.] sehr bestimmt wissen“41 kann und muss. Dieses Wissen trägt weder eine theologische noch eine christliche Kontur, aber Barth nennt es „höchst unchristlich“42, wenn die Christen das, was in dieser bedrohlichen Situation gewusst werden kann, nicht wüssten. Die andere Begründungsebene ist das Bekenntnis und die Predigt des Auferstandenen unter dem alles bestimmenden Vorzeichen, dass Christus alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist.43 „Mit der Wahrheit dieses Wortes steht und fällt alles, für das wir heute, wenn auch am verschiedenen Ort und in verschiedener Weise, gemeinsam eintreten.“44 Die „Herrschaft des auferstandenen Jesus Christus […] hat auch politischen Gehalt“,45 d. h. sie führt nicht in ein religiöses Hinterland,46 sondern bringt das erste Gebot auch gesellschaftlich gegen jeden geschichtlich inszenierten Totalitätsanspruch zur Geltung. Damit wird das, was seit Thomas Hobbes in ein abstraktes jenseitiges Eschaton verlegt wurde, konsequent in die Gegenwart zurückgeholt, und zwar nicht so, dass Barth nun die Eschatologie präsentisch verstehen will oder die Gegenwart in ein mobilisierendes Hoffnungsgefälle zur eschatologischen Wiederkunft Christi stellt, sondern indem er die Gegenwart konsequent als die Zeit anspricht, in der Christus lebt und regiert. Die Gemeinde bekennt Jesus Christus „als den […] vor allem jetzt schon regierenden Herrn aller Menschen.“47 Deutschland hat 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Ebd., 85 ff. Ebd., 136, 151, 184, 258, 341. Ebd., 274. Ebd., 159. Ebd., 163. Ebd., 286 f. Ebd., 180. Ebd., 211. Ebd., 193. Ebd., 70.
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versucht, in das Regiment Gottes einzugreifen, aber Gott weicht nicht, – eben das hat die Gemeinde zu bezeugen.48 Hier ist das Glöcklein zu läuten, wenn anders der Gemeinde nur die Verleugnung und die Lüge bliebe, d. h. die öffentliche Bekundung, dass sie zwar Gott im Munde führt, ihm aber nicht tatsächlich zu dienen bereit ist. Da, wo ihr Glöcklein nicht zu vernehmen ist, da hat sie bereits ihren Gottesdienst verlassen. Alles hängt hier an der Pünktlichkeit des Dienstes, d. h. am Präsens. Wenn die Kirche aus welchen Gründen auch immer daran vorbeigeht, dann hat sie auch sonst nichts zu verkündigen, dann hat sie sich bereits in den Winkel der Finsternis gestellt, die gegen das Licht Christi zu opponieren versucht. Insofern hält Barth – ähnlich wie bei der Frage nach dem Führereid – seine Appelle keineswegs nur für eine persönliche Stellungnahme, auch wenn er sich zunächst nur als ein einzelner, aber als solcher eben als ein Lückenbüßer äußern kann.49 Es geht für ihn darum, „dass nun eben irgend jemand der Katze die Schelle angehängt hat“.50 Es könnten nun all die Aspekte durchbuchstabiert werden, die eben als Kennzeichen des weltlichen Lebens der Gemeinde angedeutet wurden. Sie bewähren sich alle im Blick auf Barths konkrete politische Äußerungen, nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus. Es lassen sich bei Barth kaum an die Öffentlichkeit gerichtete politische Äußerungen finden, die nicht den oben bedachten theologischen Ansprüchen zu genügen versuchen.51 Damit ist zugleich festgestellt – und das ist keine neue These –, dass in der Regel von einem engen und keineswegs beliebigen Begründungszusammenhang zwischen seiner Theologie und seinen Stellungnahmen zum Zeitgeschehen auszugehen ist, der es im Grunde verbietet, hier von zwei auseinanderhaltbaren Räumen zu sprechen.52 Freilich – und diese Erkenntnis bleibt grundlegend – gelingt es auch der Rekonstruktion nicht, ein regulierendes Formalprinzip zu benennen, das zuverlässig von den theologischen Aussagen zu den entsprechenden gesellschaftlichen Stellungnahmen führt – auch die Proklamation des Analogieprinzips bleibt hier doch höchst sperrig und unbefriedigend. Es muss vielmehr umgekehrt gefragt werden, ob es überhaupt ein solches Formalprinzip bzw. eine allgemeingültige Regel geben kann oder ob nicht vielmehr die Frage oder gar die dilatorische Fixierung darauf bereits ein Hinweis auf ein Ausweichmanöver bzw. den eigenen schwachen Geist ist, der am Ende dem Glauben doch weniger zutraut als seinen eigenen Regiebedürfnissen, die eben nach aktuellen Opportunitäten und nicht nach Christus fragen. Barth jedenfalls hat in seinem Brief nach Großbritannien nicht an eine Regel oder eine politische Anwendungsformel für theologische Erkenntnisse appelliert, sondern ganz schlicht und ruhig und – wenn man so will – auch ganz naiv auf den 48 Ebd., 322 ff. 49 Ebd., 250. 50 Barth in einem Brief an Hans von Soden am 5. 12. 1934 in: Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 271 – 274, 274. 51 Das schließt freilich nicht aus, dass er sich im Einzelfall mit seinen Einschätzungen geirrt hat. 52 Vgl. dazu ausführlicher u. Kap. 14.
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auferstandenen Christus hingewiesen. Wem das im Ergebnis zu wenig oder gar unbefriedigend erscheint, der sehe zu, dass sich seine Erwartung nicht an eine Lehre, ein Prinzip oder gar eine an die Stelle Christi gesetzte Ethik verliere. Die Inbesitz- und Inbetriebnahmen Christi kennen unzählige Varianten. Ihnen allen hält Barth nicht mehr und nicht weniger als den Auferstandenen selbst gegenüber. Es heißt in seinem Brief an die Christen in Großbritannien: „Es steht […] geschrieben, und wir dürfen und sollen uns auch heute daran halten: daß das Reich Jesu Christi sich auch in der Gegenwart, in der uns das Reich der Herrlichkeit Gottes erst eine Hoffnung sein kann, nicht etwa nur über die Kirche als die Gemeinde der Christgläubigen, sondern ohne Rücksicht auf den Glauben oder Unglauben der Menschen über den ganzen Raum dieser Welt, über alle seine Höhen und Tiefen erstreckt und also auch den bösen Mächten, Gewalten und Koboldsgeistern dieser Welt in aller Realität überlegen gegenübersteht.“53
Das ist der klare und als solcher unüberhörbare Ton des Glöckleins, das wir als die Ministranten Gottes zu läuten haben, auch heute und hier und dort, denn es gilt: Ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden … Er ist bei uns alle Tage, bis an der Welt Ende … und deshalb: Gehet hin in alle Welt …
53 Barth, Eine Schweizer Stimme, 185.
6. God’s Free Grace and the Freedom of the Church Theological Aspects of the Barmen Declaration1 It is said that upon returning from the Confessing Synod in Wuppertal Barmen, Barth exclaimed at Bonn central railway station: Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder – that is, ‘This happens only once, this does not occur again.’ This line from a well-known contemporary hit song2 hints at the singularity of the Barmen event, an event which Barth – though not only Barth – compared to a miracle.3 In his Church Dogmatics there are especially two areas in which he emphatically refers to the Barmen Declaration. On the one hand, he adjudged the insights of Barmen to be fundamental for the church with regard to the cognition of and the relation to God; in this sense the first truth of Barmen was understood as a kind of hermeneutical rule for the whole of theology.4 And, on the other hand, as an act of confessing the Barmen Declaration was central to his understanding of the mission of the church and the church’s unity. Barth’s lifelong reserve towards the ecumenical movement centered upon the World Council of Churches in Geneva is based upon his special esteem for the Barmen Declaration. The doctrine of God and the ecclesiology of the Barmen Declaration remained landmark decisions for Barth’s theology. These are also the two main topics of my considerations in this article. I will offer five sketches on hermeneutical and ecclesiological issues which seem to me still to be relevant for theological discernment today. My focus is not so much the right interpretation of single phrases in the statement but concerns its fundamental theological decisions. It is not just by chance that I will refer to Barth more than once in my explanations. If nowadays the equality and balance of the Reformed and the 1 This article is the substance of a lecture given on 29 May 2009 at King’s College, University of Aberdeen, School of Divinity, History and Philosophy. First published in: International Journal of Systematic Theology 12, 2010, 404 – 419. 2 It comes from the (in those days famous) movie ‘Der Kongress tanzt’ (1931), see Sauter, Was sagt die Barmer Theologische Erklärung uns heute?, 7. 3 Barth speaks about ‘the very miracle that against all expectation had once again happened to the church’ (Barth, Church Dogmatics (henceforth CD), II/1, 176). Obviously many participants experienced Barmen as a kind of miracle, see Heimbucher/Weth (eds.), Die Barmer Theologische Erklärung, 30. 4 I prefer speaking about the ‘truths’ of Barmen instead of speaking about ‘theses’. Theses are temporary results for further discussions; they are not to be confessed. But the synod in Barmen wanted to ‘pledge ourselves to the following evangelical truths’. (The Barmen Declaration, in: Leith (ed.), Creeds of the Church, 520)
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Lutheran character of the declaration is emphasized, this sounds more like a tactical argument, and I understand the reasons for this portrayal very well.5 In Germany we face a new kind of confessionalism that in my estimation is more irrational than it is based on serious theological reasons. So, if one wants to keep the Lutherans connected to the Barmen Declaration its ‘Lutheran character’ has to be praised to the skies. But historically it will be difficult to neglect the crucial impact of Barth on the theology of Barmen. Instead of manipulating matters of history we ought rather to acknowledge the ecumenical potential of Barth’s theology as a modern theology of Reformation. The Barmen Declaration is a document of a special type of ecumenism; I will come back to this later. From the very beginning the truths of Barmen were also subject in part to fundamental objections. In many cases it may be asked whether such objections really touch the declaration.6 This also is a vast issue. On this occasion I have decided not to deal with objections to the Barmen Declaration in order to keep the apologetic tone as modest as possible.
6.1 The First Commandment Nothing less than the church itself – its calling, its being and its mission – was at stake at Barmen. The problem was not the lack of professing faith in that time, but much more seriously the active confession of the wrong faith. The year 1933 was a year of confessions.7 But God was not the central subject of these confessions, instead they concerned themselves with his putative revelation in then current historical occurrences and developments. These confessions praised God for presenting Adolf Hitler as the appointed ‘Führer’ of the German 5 See especially Weth, Die Barmer Theologische Erklärung. 6 The objections, already starting immediately after the resolution was taken, are mainly addressed to the first truth. Barth collects some of them by showing that they all culminate more or less in the accusation of monism and intolerance – see CD IV/3, 89 – 90.We have to be aware that this truth is not about Christianity or theology but Christ in whose light Christianity and also theology consequently have to be put in perspective. Actually it is about theological distinctness and reasonability. In the 1970s and 1980s there was much discussion concerning the declaration’s lack of concreteness and deficit in political awareness, and often the defenders of the declaration were as inaccurate as the offenders – see e. g., Besier, “Barmen” und der Humanismus. There are many contributions on the historical background of the Barmen Declaration. From among them I would emphasize Greschat, Bekenntnis und Politik (this and the previously cited article reference much further material). Another point is the silence of the declaration regarding the Jews. On this theme, see Bethge, Christologisches Bekenntnis und Antijudaismus; Klappert, Barmen I und die Juden; Busch, Die Barmer Thesen 1934 – 2004, 34 ff.; Barnett, Barmen, the Ecumenical Movement, and the Jews; much more detailed is Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes. 7 Schmidt (ed.), Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933.
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people and its saviour; they related to the particular historical moment wherein God was seen especially acting with Germany. God was thanked for the authoritarian state tearing down the decadence of liberalism and modern Western thinking. And God also was thanked for the special gifts of the Aryan race. Matters of historical experience were interpreted as God’s present acting. God came into view only from the perspective of special historical incidents and was celebrated as the special patron of the German nation. Let me look at Barth’s reception of this situation for a moment before I come back to the Barmen confession itself. Barth noted a parallel to the emotional atmosphere around the outbreak of World War I in 1914.8 Already in 1931 Barth had spoken about an emerging threat even more dangerous than twenty years previously when the issue was ‘worldviews’ (Weltanschauungen), while in this case the issue was religion and so a matter of all-embracing confessions.9 His simple but far reaching question in 1914 had been, ‘But why don’t you leave God out of this entirely worldly sinful necessity?’.10 In his first publication in 1909, when Barth himself still was an exponent of so-called liberal theology, he exposed ‘religious individualism’ and ‘historical relativism’ as the two most characteristic consequences of ‘modern’ theology.11 What at first was considered to be a specific virtue of modern theology became, in connection with the crisis of the outbreak of the war, its disastrous weakness and the source of its unreliability. What changed was not the pointed analysis but its theological assessment. The decisive point was the question about God. Barth’s statement in 1914 is now: It is not up to us where God occurs and where he does not. In a letter he wrote: “I feel dreadful, when theologians come and try to transfigure all this religiously by their terribly skillful dialectics. Every protest rises within me […]”.12 It is impossible to speak about God departing from our historical experience in which the interpretation of the situation is already included. God is not just the heavenly end of the extended trajectories of our respective experiences. God is not a factor within our human history. On the contrary – as we could learn not least from David Friedrich Strauß – seen soberly, modern historicism (Historismus) eliminates God from our reality in a very particular way. From a theological point of view, what is needed is a thoroughly different 8 For the background see chapter 15 in this volume. 9 Barth, Fragen an das Christentum [1931]. 10 Karl Barth in a letter to Martin Rade on 31 August 1914 in: Barth/Rade, Ein Briefwechsel, 96: ,Aber warum lassen Sie bei dieser ganzen weltlichen, sündigen Notwendigkeit Gott nicht aus dem Spiele?‘ 11 See Barth, Moderne Theologie und Reichsgottesarbeit. Cf. Schellong, Es geht in der Theologie um unser Gottesverhältnis, 9 – 16. 12 To Helene Rade on 20 December 1914, in: Barth/Rade, Ein Briefwechsel, 127 f: “schrecklich wird mir zumute, wenn die Theologen kommen und das Alles nun religiös verklären wollen mit ihrer furchtbar gewandten Dialektik. Da regt sich aller Widerspruch in mir”. On the context see chapter 14 in this volume, 334 – 338.
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understanding of history in which God is not the conclusion of our thoughts but the starting point of our attention. God is only cognizable in his own history in which he acts towards us. Speaking about God has as its prerequisite perception of this history wherein he comes into view and enacts an entirely new image of our human history as well. The claim is that God’s history touches and changes all our experiences. God is nothing in general but he generally is in touch with everything in a particular way. We have to become aware that experience is not something self-evident but rather is a manner of interpretation. Different interpretations of the same event make for different experiences. By what criterion to interpret an event is the question. Whether what occurs is seen to be important or not, to be good or to be evil depends upon the criterion. The event itself is neutral. The manner in which I relate to the event makes the encounter into an experience. Everything depends upon whence a particular event comes into view. Barth brought the problem to a head in the question of God – if God is not the very first encouragement for the reception of reality, he will have no chance to come in later. Here is the point where the Barmen Declaration gets in with the question addressed to the church: What God are you serving – the Gods of the prevailing history or the God of the First Commandment? ‘No one can serve two masters’ (Mt. 6:24). Beside God there cannot be other gods but merely usurped idols strictly linked to worldly powers, ideas, wishes or illusions. If one conceives of God apart from his particular history, it will inevitably be another god. It is not history or human imagination that shapes God, but God in his history who shapes actual reality. And God is also the necessary criterion for our interpretation of history and so also for our experiences too. We are not able to claim God as long as we do not acknowledge how he claims us. The question of God depends entirely upon his own acting, because human cognition never attains to the reality of God, no matter how far it may ever reach. Where God is not in the beginning he also will not be in the end. If we may say something about the Barmen Declaration in general than we should emphasize, first, that it reminds the church of the particularity of God. God is never something or someone generic but always someone particular. In one of his commentaries upon the Barmen Declaration Barth stresses: “We really must be able to understand quite anew what the first commandment means: I am the Lord your God.”13 The church has to be reminded of the First Commandment, which explicitly emphasizes that alongside God nothing may be taken to be godly or even as another god. The church is the church by confessing God; if it confesses something else it stops being the church. The being of the church is strictly linked to the distinctiveness of its God. 13 Barth, Kurze Erläuterung der Barmer Theologischen Erklärung [1934], 18: “Wir müssen wirklich wieder ganz neu begreifen können, was das erste Gebot bedeutet: Ich bin der Herr dein Gott”. Cf. Busch, Die Barmer Thesen, 28.
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In this respect ecclesiology is not a kind of self-investigation of the church by the church; it is rather the church’s reassessment of its basis in God, something which always has to be done anew. At all times the church lives in the temptation of losing God as the only basis of its being. The First Commandment tethers the church to God and this means the dissolution of all other tethers. To bind itself to anything other than God inevitably means an annulment of God’s authority and forfeiture of its God-given freedom. Pointing to God within the perspective of the First Commandment represents the opportunity for the Christian community to become a church again. Seen from this point of view, it becomes apparent that the Barmen Declaration is in no sense an expression of the church’s strength; it is rather a confession of its weakness. In a situation wherein it acknowledged its weakness the church started to ask once again after the source of a really sustainable strength. Only when God is really God can the church really be the church – this is the gospel and the law of the First Commandment. This can only happen in virtue of God himself. That is why the declaration characterizes itself by saying that ‘in a time of common need and trial (Anfechtung) a common word has been placed in our mouth’.14 The Barmen Declaration was proclaimed in the assurance of the Holy Spirit’s presence. And to be clear : beyond this presence the church has nothing to proclaim.
6.2 The threefold form of the Word of God Who is the God of whom the church is reminded again? At the first glance it seems clear : this God is Jesus Christ. On closer inspection we realize that Jesus Christ is not directly named as God but as ‘the one Word of God, whom we are to hear’. In this usage, Jesus Christ as the one Word of God means that Christ definitely is what God wanted and wants to reveal to humankind. And in this revelation God himself acts, and what he reveals is himself. On such a view, God has to be identified with the Word as in John 1:1 – ‘In the beginning was the Word, and the Word was with God, and the Word was God.’ If the first truth only wanted to indicate this, it could have done so more readily by simply saying: Christ is God. But there is a characteristic mystery related to God that made the synod more cautious concerning direct identifications. We know God only in so far as he has revealed himself to us, but God always is more than his revelation. God’s self-disclosure always implies a self-concealment like the burning bush in the desert at the mount Horeb, where is said: ‘Come no closer!’ (Ex. 3:5). The phenomenon is not selfevident and it is also not a matter for our further investigation – ‘Come no closer!’ Instead it is self-announcing and self-explaining. It is not we who 14 Leith (ed.), Creeds of the Church, 519.
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interpret to what extent the phenomenon should be understood as God; the decisive point is that God himself speaks and we have to listen to what he says. His most comprehensive way of speaking to us is Jesus Christ – ‘the Word became flesh and lived among us’ (Jn. 1:14); ‘This is my Son, the Beloved, with him I am well pleased; listen to him!’ (Mt. 17:5). The two biblical citations in the first truth of Barmen further and especially underline the exclusiveness of this access to God. And even Christ is not self-evident. Even this self-disclosure of God remains hidden – hidden in an ordinary human, a Jew in Palestine at a certain point of history. It is not at all obvious that he is the Son of God. And again it is not we who interpret this man as God’s Son – every such attempt could not be anything other than a pagan divinization of a human. What is at stake is not the divinization of a human being but the humanization of God, and this is not something of which we could or can really conceive. We only can acknowledge Christ as the Word of God if and when he himself speaks to us. We depend totally upon his self-presentation as the Word of God. This strict binding of God’s Word to God himself is one of the key issues of the Barmen Declaration. There are three aspects of the first truth of Barmen which offer at least some clarification of our question concerning an appropriate recognition of God: (1) ‘Christ […] is the one Word of God’, (2) ‘as he is testified to us in the Holy Scripture’ and (3) ‘as a source of her [sc. the church’s] preaching’. These aspects are the reason why Karl Barth emphasizes that the first truth of Barmen is a proper summary of his doctrine of the threefold form (Gestalt) of God’s Word, which is the basis for his trinitarian hermeneutics in the first volumes of his Church Dogmatics.15 At issue is the distinction and interrelatedness of the preached Word of God, Scripture as the decisive testimony of God’s Word, and Christ as the Word of God himself. The interplay of these three dimensions – God’s presence, God’s history and God’s eternity (in that order) – gives a special complexion to the mystery of God signalled when Jesus Christ is named ‘the one Word of God’.16 If we hear the Barmen Declaration as a word of penance – as it originally was – we also may realize the comfort ‘in life and death’ derived from this specific use of the sovereign Word of God. This comfort relates to God’s free grace as a promise strong enough to lead the church back from its ideological entanglements and estrangements. The church is not based on human history and its capricious powers, laws and forces or just its changing fashions. It lives within human history as the free preacher of God’s solidarity with all humankind and not as a more or less important cog in history’s big machine.
15 Cf. especially Barth, CD II/1, pp. 172 – 178. Regarding Barth’s hermeneutics, cf. chapter 2 in this volume. 16 Pointing to the doctrine of Trinity, Barth also speaks (in a different order) of the “Revealer, Revelation, and Revealedness” (Barth, CD I/1, 295).
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This is its calling, and on the basis of this calling the church is free. Without this calling it inevitably falls into bondage of this or that law of the world.
6.3 The rejection of natural theology All commentaries agree in advertising the fact that the Barmen Declaration entails a strict rejection of so called ‘natural theology’. This is still a hot issue, because it is broadly unclear what the distinct meaning and scope of this statement is. Interpreters normally look in the direction of Karl Barth in the conviction – or should I say in the hope – that this hint might clarify the quandary. But looking at Barth we face the same unsteadiness regarding proper interpretation. Let me briefly offer my own proposal for an appropriate clarification of Barth’s rejection of natural theology as the basis for a proper understanding of the Barmen confession. It seems to me that the decisive point lies in the problem of how to deal with experience. We already touched this point above. Barth was often confronted with the accusation that he neglected human experience; even more frankly it was charged that Barth neglected the concrete reality of humankind. His theology was sometimes taken to be an abstract enterprise entirely dependent upon thoughts and ideas coming from heaven or, more seriously, from Barth’s imagination of revelation. Bonhoeffer’s reproach of a positivism of revelation (Offenbarungspositivismus) goes in this same direction.17 Barth himself (already in CD I/1) was plainly tired of these complaints that he hung believers’ faith in the air without taking account of any human experience including religion, culture and human history.18 In such reproaches he saw an illegitimate reversal of his claim that religion, culture or human history of themselves imply no reference to the reality of God. But the emphasis of this statement is that the meaning of God can never be the result of what we project from earth onto heaven (Ludwig Feuerbach). How should human beings ever be in a position to create sustainable meaning suitable for God? But this statement may not be turned around to assert that God’s emergence is irrelevant to our human reality and experience. If God is not an element of our natural experience, this does not in any way exclude that God should come onto the scene and thereby become an element of our experience. We cannot illuminate heaven with our earthly light, but God’s light can and does illuminate our earthly reality in a new way that touches both our conceptions 17 Cf. Bonhoeffer, Letter and Papers from Prison, 280, 286, 329. 18 See Barth, CD I/1, 209: “I must emphasize this because to my regret I am continually hearing it said that I am putting revelation and faith up in the clouds so far as the believer is concerned and teaching a fides quae creditur ‘without regard for the fides qua creditur, the intimate personal conviction and experience of faith’.”
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as well as experience of our reality.19 The question is: Who is generating meaning for what? Theology is the attempt to see our reality in the light of God. But note well – it is the attempt. How could it be otherwise? If the light of God is invading our reality, we cannot but conceive of this reality in all respects in this light. And this includes our experiences. And so Barth answers the stated charge: it is not God’s revelation but natural theology that is abstract, because the latter circumvents the divine light and pretends to have a light of its own at its disposal. Now the pivotal point is that natural theology is seen as an expression of human self-confidence, in which human beings oppose God by neglecting their dependency on God. Explained theologically, it is an expression of human sin wherein we persistently try to keep at bay our own need for God’s grace. Things become clearer when we put it in ecclesiological terms: as long as the church appeals to human readiness to recognize God instead of relying solely upon God’s readiness for his self-attestation, natural theology will have a stable place in its territory.20 Here God becomes a human possibility, a kind of special offer to increase a person’s self-confidence – this is precisely what Barth calls the “process of making the gospel respectable’ and ‘the Christian as respectable”.21 At no time did Barth think that the church or theology could overcome natural theology, just as he never thought to eliminate religion by his criticism of religion.22 But Barth wanted to make theology self-critical because it always will entail natural theology (just as it will always entail religion, including moments of self-justification).23 In the church, human desires will always be mixed up with God’s will. This is a quandary and should not be dressed up as a theological virtue as we see done on all sides today. Rather, it should be acknowledged as a weakness that should always be a cause for special awareness and attention.24 In Barth’s eyes, the assumption that natural theology could be overcome by us is nothing more than another example of human conceitedness. Natural theology is not something to defeat, but is rather something to avoid as far as possible. “The illusion that we can disillusion ourselves is the greatest of all illusions. And a theology which thinks it can persuade man against natural theology and forbid it to him is still itself definitely natural theology.”25 19 Theology “will not try to illuminate the heavens with a searchlight mounted on earth, but will try to see and understand earth in the light of heaven” (Barth, The First Commandment as a Theological Axiom, 74). 20 Cf. Barth, CD I/1, 137. 21 Barth, CD II/1, 141 – 142, “der Prozeß der Verbürgerlichung des Evangeliums” and “der Christ als Bourgeois”. For more on this theme see Schellong, Bürgertum und christliche Religion. 22 See chapter 11 and 12 in this volume. 23 Cf. Barth, CD I/2, 281 ff. 24 Cf. Schellong, Barth lesen, 39. 25 Barth, CD II/1, 169.
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Against this background we can summarize: The Barmen Declaration is obviously closely related to contemporary debates about natural theology and takes a clear position in this debate. If taken as an instrument or even a weapon in a proclaimed struggle (even holy war) against natural theology it is clearly misused. In fact, the declaration tries to direct attention towards where both the church and theology have the chance not only to avoid being captured by their own imaginations and expectations, but to be liberated by listening to the Word of God. This challenge also remains to all of us. It is not a matter of confronting enemies but of looking in a fruitful direction; of not being stuck on our own but of asking for the Word of God.
6.4 The freedom of the church As already indicated, the Barmen Declaration is a document of penance and metanoia. In view of the threat that “the Church [… sc. might] cease to be the Church”, the church had to be called back to its own being as “the community of brethren, in which Jesus Christ presently works in the word and sacraments through the Holy Spirit” (third truth). The metanoia of the church has to be a return to its christological basis, that is, to the living Christ himself. The church is not reminded of its doctrine or its historical roots (though these ought not to be forgotten!). It is decisive to see that what is at issue is not restoration but reformation. Restoration would mean rebuilding a former church or perhaps recovering the imagined shape of some original church. Restoration strictly sticks to historical motifs and consequently remains within the church’s own possibilities. Neither is innovation what is being sought after, because innovation in this respect cannot be anything more than restoration in the opposite direction measured against an envisaged historical future. Reformation, however, fixes attention upon qualitative aspects of the church, especially its substance and purpose. What is (present tense) the appropriate basis and mission of the church? What makes a church a church as regards the character of its being? These are the serious questions of all reformations, and the answer given by all reformations is that it is the body of its living head Jesus Christ. If it is the body of Christ it is the church and if it is not it is not. The being of the church totally depends upon its relation to the risen Christ – not the doctrine of his resurrection, but the presence of the Resurrected One. And this is also something that all reformers know: reformation is not something easily achievable;26 it is rather the return to the hope in the promise which lies upon the human and historical church with all 26 John Calvin compares a true reformation to the wonder of the resurrection of the death – Calvini Opera, vol. 6, ed. G. Baum et al. (Brunswig 1885 – 1887), 510 f; Cf. Oberman, Zwei Reformationen, 164.
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its deficits, imperfections, weaknesses and even oddity, especially in terms of religious practices. Reformation is a call back to the real origin of the church that lies in God himself and not in any human capacities. In this understanding reformation is always needed – the famous semper reformanda. Returning to God is intrinsically hopeful and puts all other hopes into perspective. Understood in this way, reformation is always an act of liberation, and so it was in Barmen. To recall that Christ is the living head of his body liberates the church from all historical authorities which would demand its submission. This can also be seen to be a pragmatic dimension of the confessed truths of Barmen. Theology does not have its end in itself but in living faith. The question is not the distinct ‘realism’ of theology but the reality of faith – Barmen looks in this direction, as indeed does Barth.27 The church was called back to its real being, and this means to its particular freedom within the world. Due to the fact that the understanding of ‘freedom’ is very ambiguous – especially since the Enlightenment and its celebration of free human subjectivity – some further explanation of the theological understanding of freedom should be added.28 The basis of this explanation is the inseparably close connection between justification and sanctification as clearly expressed in the second truth of the Barmen Declaration. Here we find the distinction and the connection between the foundation of freedom and its realization – between the source of freedom and its destination. The distinction between source and realization or destination provides some support for a deeper understanding. Freedom is never unconditioned. It needs a framework, in which it can develop its possibilities. This was Kant’s problem in looking for a sustainable understanding of freedom. A rational evaluation of reality does not discern any space for freedom, as Kant states in his antinomies.29 On the other hand, freedom is essential for anthropology. Human beings without freedom are not human, because they are not able to come to responsible decisions. Responsibility depends upon freedom. The essence of humanity is grounded in the possibility of taking ethically responsible decisions. In this perspective one can say that ethics makes people human. And the prerequisite of ethics is freedom. As freedom cannot be proved by reason it must be postulated on ethical – and that means anthropological – grounds. The postulate of practical reason makes anthropology the source of freedom. And we should immediately add: the realization or destination of freedom is duty, the duty to maintain humanity by continuously exercising selfless responsibility. In fact, this is more a matter of self-restriction than of self-development. In Kant’s perspective, freedom raises the question of the social acceptability of our decisions. The humanity of 27 Cf. Johnson, The “Reality of Faith”, 214 f. 28 Cf. also Weinrich, Zur Freiheit befreit. 29 Cf. Kant, Critique of Pure Reason, trans. a. ed. Paul Guyer and Allen W. Wood, Cambridge 1997, B 472 – 479, B 480 – 489, B 560 – 595.
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human beings is at stake in asking whether one should simply pursue one’s own happiness or should contemplate the possibility of making one’s own decisions universal rules. In this concept freedom is strictly connected to a binding as the only chance for its realization. The particular nobility of human beings grows up out of the possibility of grasping the freedom of the categorical imperative. Coming back to the theological perspective on freedom, we can identify convergences in structure and divergences in content with the Kantian model. The decisive difference lies in the particular perspective upon humankind. In theological perception, the humanity of humanity does not depend upon the development of a special ability latent within people’s nature, and so does not depend upon what individuals make of themselves. They are not bound by law or duty to prove themselves as human beings. Freedom can never be one’s own obligation because all struggle for self-justification – of whatever sort – will inevitably hit an insurmountable limit before achieving real success. Freedom understood as a result of one’s own achievements is always the result of a particular bondage: namely, a bondage to the particular way in which such a freedom is supposed to be achieved. This sounds paradoxical and it is. This is the paradoxical situation which attends the question of the source of freedom. Does the source of freedom expect or even demand something before providing freedom or is freedom really a free – and that means unconditioned – gift? Merely a freely given freedom implies no prerequisites for the one who is freed. Real freedom cannot imply other conditions than freedom itself. In this sense in the Barmen Declaration Jesus Christ as ‘the one Word of God’ is seen as the freely given and at the same time costly source of freedom. By him all other lords or authorities are disparaged. This also includes the authority of a well-reasoned anthropology. Human beings are not the source of their own freedom but freedom is given to them by God; and the cross shows that this gift was quite a special achievement that tells us a lot about the reality of the relationship between the free loving God and the human rejection of divinely bestowed freedom in favour of the impossible possibility of producing its own freedom. This is the one side: theologically understood, the source of freedom is itself freedom, not as a possibility within human nature to be activated by us but as a present reality bestowed by God himself. The other side of freedom is its realization in concrete life. In the words of the Barmen Declaration this question has to be raised ‘with the same earnestness’. At first glance the answer is quite simple: the maintenance of freedom is given in faithfulness to its source. As freedom is not just a subject of cognition but always at the same time a matter of life in all its variety, the declaration states that the source of freedom is also its realization. The giver is also the preserver – ‘in him we encounter a joyous liberation from the godless claims of this world to free and thankful service to his creatures’.30 John Calvin 30 Barmen Declaration, second thruth.
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had already emphasized this in his Catechism of 1537: “Just as Christ by means of his righteousness intercedes for us with the Father in order that (he being our guarantor) we may be considered as righteous, so by making us participants in his spirit, he sanctifies us unto all purity and innocence.”31 The source and the realization are to be distinguished, but they belong indissolubly close together. We cannot receive our freedom from Christ without also receiving its telos in our world at the same time, and the telos is that the whole of our life should remain with the Liberator. At every point where we leave him, we also leave our freedom and fall back into the paradoxical bondage of trying to produce our freedom ourselves. As it is for the individual believer, so it is for the church. So long as the church tries to act in ways that keep faith with Christ it is under the promise of his Spirit; God will sanctify its practice, which remains for all imperfect. Christ is the binding of the church’s freedom, and bound to him the church really is free, because the subject of this specific binding is freedom in itself. The Barmen Declaration is essentially to be understood as a call back to this source and sustenance of the church’s freedom over against all values, virtues and authorities of the world.
6.5 The ecumenical dimension of Barmen In his introduction to the assembled Barmen Synod, which is also a part of the resolution of the synod,32 Hans Asmussen emphasized that the question at stake ‘lies completely outside the relation of the Confessions to one another’ – Lutheran and Reformed.33 On the one hand, this means that the different confessional identities are in no way called into question by the common confession stated in the declaration. On the other hand, the claim is advanced that there is something more to be said than is even at stake in interconfessional negotiations, something the importance of which puts the churches’ confessional differences into perspective. Although right up till today some Lutheran churches downplay the significance of the Barmen Declaration, it is clearly seen by the majority as a special ecumenical event. Lutheran, Reformed and United Churches were ready to confess together six fundamental truths regarding the church by simultaneously proclaiming that they were the true church in Germany.34 In my understanding this is ecumenism par excellence – a clear confession to the one Church in Christ. 31 Calvin, Instruction in Faith [1537], 42 f. 32 See the ‘Resolution of the Confessional Synod of the German Evangelical Church’, in: Cochrane, The Church’s Confession under Hitler, 242. 33 Asmussen, An Address on the Theological Declaration Concerning the Present Situation in the German Evangelical Church, in: Cochrane, The Church’s Confession under Hitler, 252. 34 There is no reason not to speak of a ‘confession’ here. It is appropriate when Manfred Schulze
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Already beforehand and even more so afterwards, the resolutions of the Barmen Declaration had an enormous impact on the ecumenical movement, which was steadily preparing its institutionalization at that time.35 The churches in Europe and also in the USA began to become aware of the complicated situation of the churches in Germany. Karl Barth made every effort to find explicit support for the Barmen Declaration from the churches abroad and especially from Geneva. Yet, here we find an ecumenical vision different to the model favoured by the provisional ‘world council of churches’ in Geneva. The starting point is not any theological idea of the unity of the church but rather the growing awareness of a common distress threatening the different churches in their substance. The realization of this common threat was challenging the churches to convene and to say something together by claiming the authority of speaking as one church. What was on the agenda was no abstract question of unity as such; neither did it involve a low-committal gathering of churches in long-term conversations about ways of mutual rapprochement. Instead, the different churches felt urged to say something together, and in the moment of doing so a unity in substance emerged which was audible and visible and of public relevance. It was the current urgency which brought about and formed the unity. They did not try to clarify unity beforehand in order to find a common word afterwards. They perhaps would never have come to terms if they had adopted such a procedure. The urgency of the situation did not allow for preliminary discussions of all possible conditions and foreseeable consequences but demanded clear and convincing distinctions and decisions. And nothing less than this is what happened at Barmen – perhaps a miracle, as indicated above, but something that did happen. This is precisely the model of Karl Barth’s ecumenical vision, to which he stuck throughout his whole life, including the period of his close association with the World Council of Churches.36 To be clear, the model is not simply to wait for a miracle, but seriously reacting to respective present challenges to the church by asking what has to be said here and today. Looking for what the church has to say under pressure from a concrete situation can be understood as a way of trying to make such a miracle happen. What is at issue is not the possibility of a confession – it is always possible – but the necessity and the urgency with which a clear confession is needed.37 is emphasizing that it is overdue to accept the Barmen Declaration as a confession; Schulze, Sternstunden und Abgründe der Christenheit, 254. 35 See Clements, Barmen and the Ecumenical Movement, 16; Dilschneider, Zwischenruf, 29. 36 See Herwig, Karl Barth und die ökumenische Bewegung; Barth/Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930 – 1968; Weinrich, Calvins Ökumeneverständnis und die ökumenische Bewegung, 91 – 99. 37 For Barth’s understanding of confession see his contribution to the 12th General Council of the Alliance of Reformed Churches in Cardiff 1925: Barth, The Desirability and Possibility of a Universal Reformed Creed. Cf. on this Weinrich, Confessio and Traditio.
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In Barth’s understanding, a proper understanding of ecumenism involves a reformation of the substance of the church, just as happened in Barmen. It may also be put the other way round: reformation in a proper sense is always ecumenical because it draws the church back to its origin and to its specific mission. ‘The way to the church’s unity can only be way of its renewal. But renewal means penance. And penance means turning back: not the turning back of others but one’s own turning back.’38 This kind of reformation is needed in every time – again the famous semper reformanda. The further ecumenical reception of the Barmen Declaration shows that this confession is of particular help in situations of distress. One may look to South Africa, to Indonesia or to Cuba, where the churches had or have to withstand particular internal and/or external threats. Also, in the situation of the former GDR, the Barmen Declaration was more valued than in the EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), where it more or less lost its serious importance in the latter years.39 Let me finish with a short word on the ecumenical situation within European Protestantism assembled in the Communion of Protestant Churches in Europe (CPCE) on the basis of the Leuenberg Agreement from 1973. The Leuenberg Agreement declares full church-communion between Lutheran, Reformed and United Churches. It is a late fruit of the ecumenical impact of Barmen. The Leuenberg Agreement is a so-called ‘differentiated consensus’, a product of a special ecumenical hermeneutics which is predominant in current ecumenical debates. In the centre stands a consensus on fundamental theological questions, and differences beyond this consensus which remain are accepted and received as not church-dividing. Applications of this ecumenical method turn out very differently, so it is worth having a closer look. Regarding the Leuenberg Agreement, one may observe that the emphasis in its reception moved from the basic consensus more and more to the accepted differences – especially in Germany, where we note a tendency to turn back towards traditional confessional profiles. The original impetus coming from Barmen was the exposition of the wide-ranging and fundamental community (Gemeinsamkeit), but in times of lower ecumenical commitment the churches take the opportunity to shift the emphasis off the consensus and to place it 38 Barth, Überlegungen zum Zweiten Vatikanischen Konzil, 18: “Der Weg zur Einheit der Kirche kann […] nur der ihrer Erneuerung sein. Erneuerung heißt aber Buße. Und Buße heißt Umkehr: nicht die Umkehr der anderen, sondern eigene Umkehr.” Cf. also Barth’s last fragmentary word on ecumenism: Barth, Starting Out, Turning Around, Confessing. 39 See the essays by Koopman, Sihombing, Ham and Falcke collected in the special issue of the ER 61/1 (2009) for reflections on these various receptions. In Germany, things have been quiet regarding the 75th anniversary compared to the 50th anniversary when many conferences took place accompanied by engaged publications such as Hìffmeier/Stçhr (eds.), Barmer Theologische Erklärung 1934 – 1984 and Moltmann (ed.), Bekennende Kirche wagen: Barmen 1934 – 1984, as well as Schulze (ed.), Barmen 1934 – 1984; Hauschild/Kretschmar/Nicolaisen (eds.), Die lutherischen Kirchen und die Bekenntnissynode von Barmen; Stephan (ed.), Das eine Wort für alle. Barmen 1934 – 1984.
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upon the differences, and this can go so far that the basis of the consensus itself recedes into the background. The concern is not the threat of a new fallingapart of the churches, because they still stay in the framework of the differentiated consensus; rather, the concern is for the unexploited power of the declared common insights and achieved church-communion. The relevance of this point is obvious, because it points to a temptation that attends any and all ecumenical ‘differentiated consensuses’. If the agreements only affect acceptance of the remaining divergences while the achieved consensus itself is of no practical use, then the agreements themselves become more or less worthless – this is a widespread impression regarding many ecumenical documents. This prospect does not align with the original intent of the method of differentiated consensus but has seemingly become one of its most realized possibilities. In my estimation the current ecumenical paralysis is due to this misuse. Coming back to the CPCE – if the spirit of Barmen, which was the main impulse for the development of the Leuenberg process, were to evaporate in the reception of the Leuenberg Agreement, then the particular ecumenical achievement of the document would be weakened or even devalued. What is decisive is what can be said together, and this puts the remaining differences into perspective. It does not work the other way round. It is encouraging that the council of the CPCE made a clear statement in favour of the reception of the Barmen Theological Declaration at its meeting in Oslo in January 2009.40 The relation between Barmen and the Leuenberg Agreement is clearly underlined. This provides the opportunity for a new development of the ecumenical power of the Barmen Theological Declaration. Let me close: The anniversary of this confession will be worth celebrating again if we realize anew its relevance for a proper understanding of the First Commandment, for honouring the distinctive mystery of the Trinitarian God as the particular basis of faith and theology, for receiving the gospel and the law of the church, for grasping the specific freedom of the church, and, in this way, for enlivening the ecumenical perspective integral to the very being of the church itself.
40 Die Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung. Erklärung des Rates der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) zum 75. Jahrestag, ÖR 58, 2009, 232 – 234; cf. also Bìnker, A Message “To All People”: The Missionary Task of Protestant Churches in Europe in Light of Barmen’s Sixth Thesis.
7. Karl Barth – ein reformierter Reformierter Theologie für eine durch Gottes Wort zu reformierende Kirche1 Vor allem in Deutschland wurde Barth von seinen Kritikern immer wieder mit dem Stigma seines Reformiertentums etikettiert – besonders intensiv zur Zeit des Kirchenkampfes. Häufig wurde damit zumindest indirekt eine fundamentale Disqualifikation annonciert, die Grund genug war, Barth gegenüber einen prinzipiellen Abstand zu wahren. Gleichzeitig befand sich Barth in einer durchaus bemerkenswerten Konstanz auch gerade mit den Reformierten in einer keineswegs nur randständigen kritischen Auseinandersetzung. Von beiden Seiten schlug ihm Skepsis entgegen, die zwar sehr unterschiedlich begründet war, aber in jedem Fall mit dem reformierten Profil seiner Theologie zu tun hatte; was den einen (in der Regel ohne nähere Benennung der problematischen Aspekte) zu reformiert war, erschien den anderen zu wenig reformiert, weil die spezifische Prägekraft der reformierten Tradition zu wenig herausgestellt werde (Barth ließ jeden reformierten Stallgeruch vermissen). Bei aller Unterschiedenheit waren beides mehr gefühlte als tatsächlich ausgewiesene Vorbehalte. Tatsächlich aber war Barth verglichen mit den geltenden konfessionellen Verlässlichkeiten ein programmatisch agierendes unregelmäßiges Verb, indem er nicht nachließ, ausdrücklich die überkommene Regelmäßigkeit in den theologischen Deklinationen anzugreifen. Barth attackiert die Harmlosigkeit gewohnheitsmäßigen Theologietreibens, das mit den üblichen Regelmäßigkeiten verbunden ist und eben dann in der Regel auch nur zu mäßigen Einsichten führt. Die angedeutete diffuse Gemengelage legt die Frage nahe, wie es sich nun tatsächlich mit Barths Beziehung zur reformierten Tradition verhält. Ist Barth im konfessionellen Verständnis ein reformierter Theologe und wenn ja, in welchem Sinne ist er es? Der erste Teil der Frage wird sich relativ einfach beantworten lassen, während eine Antwort auf den zweiten Teil der Frage durchaus mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. Immerhin wurde Barth 1921 ausdrücklich für die reformierte Theologie von seiner Schweizer Pfarrstelle an die Theologische Fakultät in Göttingen berufen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des profunden Kenners der reformierten Bekenntnisschriften in Erlangen, Ernst Friedrich Karl Müller (1863 – 1 Überarbeiteter Vortag an der Theologischen Fakultät der Universität Bern am 28. 02. 2011; zuerst in: Marco Hofheinz/Matthias Zeindler (Hg.), Reformierte Theologie weltweit. Zwölf Profile aus dem 20. Jahrhundert, Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2013, 23 – 46; für den Wiederabdruck geringfügig überarbeitet.
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Karl Barth – ein reformierter Reformierter
1935). Es wurde von Barth erwartet, dass er insbesondere den reformierten Studierenden das spezifische Profil der reformierten Theologie lehren solle, wozu er als Mitglied einer reformierten Kirche in der Schweiz als besonders prädestiniert angesehen wurde. Barth hingegen war zwar Mitglied einer reformierten Kirche, weil in der Schweiz die protestantische Kirche eben vorzüglich reformiert ist, aber er sah sich nun durch den Ruf nach Göttingen seinerseits das erste Mal dazu herausgefordert, sich in substanziell vertiefter Weise mit der reformierten Tradition auseinanderzusetzen, um schließlich auch für sich selbst eine Antwort auf sein Verhältnis zur reformierten Tradition zu finden. In der volkskirchlichen Mehrheitssituation der Schweiz war offenkundig auch für Barth die reformierte Tradition die selbstverständlich hingenommene geschichtliche Prägung seiner Kirche, die er in ihrem Alltag von anderen Fragen in Atem gehalten sah als von ihrem konfessionellen Profil.2 Das änderte sich grundlegend mit dem Wechsel nach Göttingen. Barth war nun zu differenzierter akademischer Auskunft über die reformierte Theologie herausgefordert und hat diese Herausforderung auch entschlossen und intensiv angenommen. Barth hat dabei einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, auf dem er sich zwar auf verschiedene Leitmotive der reformierten Tradition beruft, die er aber ausdrücklich einem reformierten Traditionalismus mit seinen konfessionalistischen Neigungen entgegenstellt.3 Wenn Barth sich auf die reformierte Tradition bezieht, will er konsequent als ein Theologe evangelischer Freiheit verstanden werden, der sich um eine unter den gegenwärtig gegebenen Umständen einzunehmende Position bemüht. Das möchte ich an drei ausgewählten Beispielen ein wenig illustrieren. Zunächst möchte ich mich mit Barths Verhältnis zum Bekenntnis beschäftigen (7.1). Sodann soll mit einigen Andeutungen Barths besonderes Verständnis des Wortes Gottes angesprochen werden, das die Theologie einerseits zu einer prinzipiellen Vorbehaltlichkeit nötigt – dafür steht der bleibend dialektische Charakter seiner Theologie – und andererseits ihr eine Freiheit eröffnet, hinter der sie in ihren geschichtlichen Koalitionen und mit ihren ängstlichen Zögerlichkeiten faktisch in beschämender Permanenz zurückbleibt (7.2). Schließlich möchte ich mich einer unbeachteten Platzanweisung zuwenden, die Barth für die Reformierten in der Ökumene gleichsam als eine konkrete Konsequenz der Freiheit im Auge hatte (7.3). Zum Schluss wird dann eine vorläufige Bilanz gezogen (7.4).
2 Als es um die Berufung Barths nach Göttingen ging, rät der Baseler Sprachwissenschaftler Jakob Wackernagel dringend davon ab: „Ich kann mir nicht denken, daß er zu der reformierten Tradition […] irgend ein Verhältnis hat.“ (Zit. n. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 19) Diese Einschätzung war wohl nicht nur falsch. 3 Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit äußert er die Befürchtung, in den kirchlichen Konfessionalismus vereinnahmt zu werden. Wenig später wehrt er sich gegen die Auflage der Fakultät, den Titel seiner Dogmatikvorlesung durch die Kennzeichnung als reformierte Dogmatik zu präzisieren; vgl. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 39, 61 ff.
Theologie für eine durch Gottes Wort zu reformierende Kirche
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7.1 Von der Besonderheit des Bekenntnisses Ausweislich des Protokolls der Sitzung der Göttinger Theologischen Fakultät am 12. Mai 1921 wird Barths Lehrtätigkeit ausdrücklich auf die „Einführung in das reformierte Bekenntnis, reformierte Glaubenslehre und reformiertes Gemeindeleben“ beschränkt.4 Barth musste sich also unweigerlich intensiv mit dem reformierten Bekenntnis und seiner Tradition beschäftigen. Gleich in seinem ersten Semester hält Barth eine Vorlesung über den Heidelberger Katechismus. Es folgen Vorlesungen über Calvin5 und Zwingli6 und im Sommer 1923 eine Vorlesung über die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften7. In dieser Zeit erwirbt Barth nicht nur umfängliche Kenntnisse über das reformierte Bekenntnis und die reformierten Bekenntnisse, sondern er bestimmt zugleich auch sein eigenes Verhältnis zur reformierten Tradition und erarbeitet sich ein eigenes Verständnis von der Bedeutung und Reichweites eines Bekenntnisses einschließlich der damit verbundenen Konsequenzen. Das bedeutet weniger, dass er nach seinem persönlichen Zugang zu den Bekenntnissen fragt, wohl aber, dass er konsequent die Forderung erhebt, dass es nicht allein darum gehen könne, die reformierten Bekenntnisse zu pflegen, sondern auch die Art und Weise dieser Pflege habe eine reformierte zu sein. Es reicht nicht aus, die reformierten Bekenntnisse in Ehren zu halten und sich an ihnen zu orientieren, sondern es komme auf einen ausdrücklich seinerseits reformierten Umgang mit ihnen an, der sich durchaus von dem lutherischen Umgang mit den Bekenntnissen unterscheidet. Ich möchte dies an einem konkreten Beispiel veranschaulichen. Gerade weil es in diesem Beispiel um die Frage eines erst zu formulierenden Bekenntnisses geht, wird an ihm besonders deutlich, was für Barth mit einem Bekenntnis auf dem Spiele steht. Am 30. Juni 1924 erhielt Barth vom Generalsekretär des Reformiertes Weltbundes, John Robert Fleming, die offizielle Anfrage, ob er bereit wäre, in einem Vortrag auf der zwölften Generalversammlung 1925 in Cardiff auf die Frage zu antworten, ob eine gemeinsame Glaubenserklärung bzw. Bekenntnis für die reformierten Kirchen der Welt wünschenswert und möglich sei.8 Das ist eine Frage, die den Reformierten Weltbund schon länger 4 Goeters, Reformierter Lehrstuhl in Göttingen, 272. Die gleiche Formulierung wird schließlich auch im Begleitschreiben zur Ernennung Barths durch den Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung verwendet; vgl. Barth/Bultmann, Briefwechsel 1911 – 1966, 209 Anm. 2. 5 Barth, Die Theologie Calvins (1922). 6 Barth, Die Theologie Zwinglis (1922/1923). 7 Barth, Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften (1923). 8 Vgl. dazu die editorischen Erläuterungen zur Dokumentation des Vortrags von Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit eines allgemeinen reformierten Glaubensbekenntnisses, 604. – Dass es sich in Barths Erörterung der Frage nicht nur um situativ bedingte und somit wenig verallgemeinerungsfähige Überlegungen handelt, zeigt ein Vortrag, den Barth etwa zehn Jahre
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Karl Barth – ein reformierter Reformierter
bewegt hat und offenkundig bis heute immer wieder aufbricht, wenn erneut nach der reformierten Identität gefragt wird.9 In der veröffentlichten Langfassung des Vortrags formuliert Barth folgende konzise Definition für ein Bekenntnis im reformierten Verständnis: „Ein reformiertes Glaubensbekenntnis ist die von einer örtlich umschriebenen christlichen Gemeinschaft spontan und öffentlich formulierte, für ihren Charakter nach außen bis auf weiteres maßgebende und für ihr eigenes Lehren und Leben bis auf weiteres richtunggebende Darstellung der der allgemeinen christlichen Kirche vorläufig geschenkten Einsicht von der allein in der Heiligen Schrift bezeugten Offenbarung Gottes in Jesus Christus.“10
Beim einmaligen Hören lassen sich die vielen Aspekte kaum fassen, die in dieser kompakten Definition stecken. Da stehen relativierende Aspekte (örtlich, bis auf weiteres, vorläufig geschenkte Einsicht) neben anderen, in denen die Verbindlichkeit annonciert wird (maßgebend, richtunggebend, allgemeine christliche Kirche). Das entscheidende Kriterium wird am Schluss genannt: die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, wie sie in der Heiligen Schrift bezeugt wird – eine Assoziation zu der ersten These der einige Jahre später verabschiedeten Barmer Theologischen Erklärung drängt sich geradezu auf. Doch bevor wir auf die theologische Kriteriologie zu sprechen kommen, wollen wir uns zunächst mit den äußeren Anforderungen beschäftigen, unter denen sich für Barth die Formulierung eines Bekenntnisses als sinnvoll und dann eben auch als notwendig darstellt. Die entscheidende Anforderung ist die, dass ein Bekenntnis konkret sein muss. Aus dieser Anforderung leiten sich im Grunde alle weiteren Anforderungen ab. Was aber meint hier ,konkret‘? Um dies näher erfassen zu können, müssen wir uns den spezifischen Akzent ansehen, den Barth für das reformierte Kirchenverständnis reklamiert. Gewiss gilt für die Kirche entschieden, dass sie eine über die ganze Erde verstreute und somit im substanziellen Sinne eine katholische, d. h. universale Kirche ist. In ihr wird auf das Wort Gottes gehört, geglaubt, geliebt und gehofft, ohne dass es eine Rolle spielt, wie weit die Glieder dieser Kirche voneinander entfernt sind. Für das tatsächliche Leben der Kirche kommt es aber entscheidend darauf an, dass die Kirche nicht nur hört, sondern die im Hören sich ihr erschließende Freiheit ergreift und auf das Gehörte antwortet. Sie bekennt nun ihrerseits, was sie gehört hat und was es deshalb unter ihren konkreten Bedingungen zu bezeugen gilt. Eine recht hörende Kirche wird notwendig zu einer bekennenden Kirche. Das Bekenntnis ist dabei wohlgemerkt nicht das Sammelgefäß der Wahrheit später in der Schweiz hält und in dem sich viele sachliche Parallelen zu den hier gemachten Zuspitzungen finden; vgl. Barth, Das Bekenntnis der Reformation und unser Bekennen (1935). 9 Vgl. Weinrich, Confessio and Traditio; Ders., Reformed Identity ; vgl. auch die Beiträge in: RW 58, 2008, Heft 4, 187 – 283. 10 Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit, 610.
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Gottes, in dem die Kirche nun diese Wahrheit aufbewahrt, sondern die jeweils von der Kirche und somit von auch fehlbaren Menschen zu gebende Antwort – Barth nennt es auch eine „Empfangsbestätigung“.11 Zwar bezieht sich das Bekennen auf das, was Gott gesagt hat, es formuliert aber das, was der Mensch gehört hat und ist insofern konsequent vom Wort Gottes zu unterscheiden. Es steht nicht für die Aktion Gottes, sondern ist die Reaktion des Menschen, mit der er kundgibt, dass er etwas vernommen hat, was sein Leben in einen neuen Horizont versetzt und somit Folgen für seine Wahrnehmungen der Wirklichkeit hat. Solches Antworten vollzieht sich jedoch nicht in einer die ganze Welt umspannenden Allgemeinheit – es ergeht sich nicht in einer immer auch problematischen Zusammenstellung von Richtigkeiten –, sondern immer nur in einer konkreten geschichtlichen Situation, in einem benennbaren Lebenszusammenhang, unter einigermaßen überschaubaren Umständen. Gott steht kein abstrakter Mensch gegenüber, sondern immer nur konkrete und somit durchaus unterschiedliche Menschen, die von Gott in ihren unterschiedlichen Situationen angesprochen werden und nun ihrerseits darauf reagieren. So wie die Rede von ,dem Menschen‘ eine Abstraktion darstellt,12 so kann auch die Rede von der Kirche zu einer Abstraktion werden, wenn dabei nicht die konkrete Kirche im Blick ist, in der man sich jeweils befindet.13 Darin sieht Barth ein zentrales Element der reformierten Ekklesiologie.14 In dem hier gemeinten Antworten geht es im umfassenden Sinn um das Handeln der Kirche, welches eben immer auch Entscheidung voraussetzt – nicht Entscheidung zum Glauben, sondern Entschiedenheit und Entscheidung im Glauben.15 Wenn das Handeln der Kirche tatsächlich die Lebensumstände der Menschen tangieren soll, wird es das Handeln einer benennbaren Gemeinde bzw. lokalen Kirche sein müssen. Die Verabschiedung des corpus christianum durch die reformierten Reformatoren brachte nicht nur beiläufig, sondern durchaus entschlossen ein gewisses kongregationalistisches Ferment mit sich, das sich in Barths Kirchenverständnis deutlich zurückmeldet, nicht als Zurückweisung des Motivs der Universalität der Kirche, wohl aber als Schutzwall gegen die Versuchung, sich mit mehr oder weniger verbindlichen Allgemeinheiten zufrieden zu geben. In dem lutherischen Festhalten am mittelalterlichen corpus christianum diagnostiziert Barth einen vor allem politisch motivierten „rückwärts orientierten Sinn“.16 11 Barth, Reformierte Lehre, 218; Ders., Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften, 65; vgl. auch KD III/4, 79 u. 95. 12 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 91 f. 13 Das ist der entscheidende Grund dafür, warum Barth seine Dogmatik später nicht weiter mit „Christliche“, sondern entschlossen mit „Kirchliche Dogmatik“ betitelt; vgl. dazu das Vorwort in KD I/1. 14 Vgl. Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit, 628. 15 Vgl. dazu Barth, Reformation als Entscheidung. 16 Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit, 625.
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Die deutliche Relativierung von ökumenischen Bekenntnissen für die Gesamtkirche zielte nicht auf eine Schwächung der Katholizität der Kirche, sondern stand im Gegenteil gerade im Zeichen ihrer Konkretisierung. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn es an anderer Stelle bei Barth heißt: „Der legitime Weg zur Universalität ist hier also gerade die Partikularität.“17 Auch die Katholizität bedarf der Konkretisierung und ist eben nicht ein Rückzugsraum für vom Leben der Ortskirche unberührbare Wahrheiten. Das Bekennen der Kirche bliebe weit unter dem zu erwartenden Niveau, wenn es die Kirche dabei belassen wollte, der Welt ein paar immer richtige Einsichten oder Forderungen zuzurufen, die im besten Fall damit rechnen können, freundlich zur Kenntnis genommen zu werden. Wenn Barth von der „unerbittlichen Konkretheit des reformierten Kirchenbegriffs“ spricht,18 tritt er der gerade von den Kirchen so gern ergriffenen Flucht in die Unverbindlichkeit entgegen. Das Bekenntnis im Sinne des angesprochenen Antwortens ist weniger öffentliche Verlautbarung oder Deklaration, als vielmehr „Akt, Ereignis, Handlung“.19 Die Universalität der Kirche gibt es grundsätzlich nicht anders als örtlich, und da ist sie eben auch zur Geltung zu bringen, nicht als eigenwillige Individualpräsentation, sondern in einer vor der ganzen Kirche zu verantwortenden konkreten Gestalt. Deshalb betont Barth auf der einen Seite die Partikularität: „Wir, hier, jetzt – bekennen dies!“ und hält diese aber stets auf der anderen Seite mit dem Anspruch verbunden, eben dies im Namen der einen Kirche zu tun.20 Für Barth ist das Bekenntnis in reformierter Perspektive: „Universal-christliche Wahrheit, aber jetzt und hier in bestimmter Weise erkannt und ausgesprochen von einer christlichen Gemeinde.“21 Eine letzte Anforderung, die Barth für ein Bekenntnis der Kirche erhebt, besteht in seiner Dringlichkeit, die keineswegs immer gegeben ist, der aber da, wo sie gegeben ist, nicht ausgewichen werden darf. Vielmehr hat sich die Kirche in diesem Fall entschieden und öffentlich zu positionieren. „Jedes andere Credo ist ein fauler Zauber und vom Teufel, und wenn es wörtlich das Apostolikum wäre“, heißt es provokant.22 Ein solches in der Bedrängnis gesprochenes Bekenntnis fällt nicht einfach vom Himmel, sondern ihm geht ein ernsthaftes Ringen um seine Angemessenheit und Deutlichkeit voraus. „Vor einem Bekenntnis ohne charakteristische biblische Einsichten, ohne Narben vorangegangenen Kampfes, ohne notwendiges Anliegen, vor einem dogmatisch be-
17 Barth, Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften, 19; vgl. dazu Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 132 – 142. 18 Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit, 631. 19 Ebd., 630. 20 Ebd., 616. 21 Ebd., 621. 22 Ebd., 634.
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deutungslosen, wohl gar bedeutungslos sein wollenden Bekenntnis, davor behüte uns, lieber Herre Gott!“23
Deshalb ist es auch mit der Rezitation der alten Bekenntnisse nicht getan, wenn nicht zumindest ein authentischer Kommentar dazu gegeben wird. Die ungeprüfte Wiederholung bereits von der Kirche formulierter Einsichten, also eine rein traditionsgebundene Orthodoxie stellt Barth später sogar unter den Verdacht der Häresie.24 Es kann nicht darum gehen, dass die Kirche zu jeder Gelegenheit und zu Allem das Wort erhebt, sondern dass sie da, wo sie auf Grund ihrer Bindung an das Wort Gottes das Wort erheben muss, dies auch in der ihr gegebenen Freiheit und Deutlichkeit tut. Dieser Dringlichkeit, ja Unausweichlichkeit entspricht dann auf der anderen Seite auch die Verbindlichkeit. Gewiss auch nur ,vorläufig‘, d. h. ,bis auf weiteres‘ – wie es in der zitierten Definition geheißen hat –, jetzt aber gilt es, d. h. es ist für die Kirche ,richtunggebend‘.25 In diesem Sinne formuliert das Bekenntnis eine Wahrheit, von der man sich nicht einfach abkehren kann, ohne sich nicht zugleich von der Kirche insgesamt abzuwenden. Es geht um Dogmatik im Vollzug: Dogmatik, indem die Angemessenheit des Gotteszeugnisses der Kirche zur Debatte steht, aber eben im Vollzug, weil das Gotteszeugnis von einer konkreten Situation herausgefordert wird, auf die es auch bezogen ist.26 Das, was Barth hier mit seinen Ausführungen für den Reformierten Weltbund zu bedenken gibt, findet dann acht Jahre später in der Barmer Theologischen Erklärung, an der Barth bekanntlich maßgebend beteiligt war, seinen exemplarischen Ausdruck.27 Alle Anforderungen, die Barth an ein Bekenntnis im reformierten Sinne stellt, lassen sich hier in pointierter Weise demonstrieren, was jetzt nicht weiter vertieft werden soll. Barth kann sich auch eine Beschäftigung der Kirche mit ihren Bekenntnissen vorstellen, über die sie das eigene Bekennen versäumt. Angesichts seiner Bewertung der Verabschiedung des Barmer Bekenntnisses als ein Wunder,28 wird man davon ausgehen können, dass dies in seinen Augen wohl eher die Regel als die Ausnahme ist. Deshalb ist hervorzuheben, dass es bei der Frage nach dem 23 Ebd., 636 f. 24 Barth, Einführung in die evangelische Theologie, 54. Für Barth ist überall dort Häresie im Verzug, wo der Mensch das Geheimnis Gottes in seine Verfügung zu bringen versucht; vgl. dazu Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 241ff; Elmer, Das Wesen der Häresie. 25 Barth setzt ,richtunggebend‘ ausdrücklich ab von ,Norm‘ oder ,Gesetz‘, als welche in der Kirche allein das biblische Zeugnis gelten kann. Das Bekenntnis ist ,richtunggebender Kommentar zum Gesetz‘ und als solcher in dem höchsten Maße maßgeblich, in dem etwas Maßgebliches von der Kirche formuliert werden kann; vgl. Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit, 619 f. 26 „Nicht Glaubensgedanken, sondern Dogma, aber nun wieder: nicht starres, sondern grundsätzlich bewegliches, fließendes Dogma.“ (Ebd., 621) 27 Vgl. dazu o. Kap. 6. 28 Vgl. KD II/1, 198. Mit dieser Beurteilung stand Barth übrigens nicht allein; vgl. Heimbucher/ Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung, 30.
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rechten Bekenntnis entschieden nicht um die Verwaltung und Vergegenwärtigung eines bereits erworbenen Lehrbestandes gehen kann. Nicht die konfessionell reformierten Bekenntnisse haben Barth geprägt, so sehr er sie im Einzelnen durchaus geschätzt hat, sondern die reformierte Affinität zum Bekennen als einer Fundamentalbestimmung der Kirche. An die Stelle des Konfessionellen rückt das Konfessorische. Wenn es darauf ankommt, Barth mit der reformierten Tradition in Beziehung zu setzen, wird wohl dieses von ihm herausgestellte dynamische Prinzip in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden müssen. Jede andere Bindung an das Reformiertentum würde Barth wohl als im eigentlichen Sinne unreformiert bezeichnen.
7.2 Wort Gottes und Freiheit Als inhaltliches Kriterium für ein Bekenntnis nennt Barth in der zitierten Definition die „allein in der Heiligen Schrift bezeugte[n] Offenbarung Gottes in Jesus Christus“. Die erste Wahrheit des Barmer Bekenntnisses29 nennt als einzigen Bezugspunkt für theologische Einsichten „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird“ als „das eine Wort Gottes“, das „Quelle ihrer [sc. der Kirche] Verkündigung“ ist. In formaler Hinsicht ist das gemeint, was Barth in den 1920er Jahren noch das Schriftprinzip nennt. Inhaltlich geht es um sein differenziertes Verständnis des Wortes Gottes. Damit kommt ein Grundzug der Theologie Barths in den Blick, der seiner Theologie ihr charakteristisch dialektisches Gepräge gegeben hat, nicht nur in den 1920er Jahren, sondern mit einigen Akzentverschiebungen bis hinein in die letzten vorliegenden Fragmente seiner unvollendeten Kirchlichen Dogmatik.30 Lieber als von der reformierten Kirche sprach er von der durch Gottes Wort reformierten Kirche.31 Auch wenn es offenkundig zu sein scheint, was Barth damit meint, kommen wir mit der Frage nach dem Verständnis des Wortes Gottes zu dem sensiblen Kern seiner Theologie, der in diesem Rahmen nur angedeutet werden kann. Das eben zitierte Barmer Bekenntnis weist auf drei Dimensionen des Wortes Gottes: Jesus Christus, das biblische Zeugnis 29 Diesen Sprachgebrauch wähle ich, weil es bemerkenswerter Weise am Schluss der Präambel der Barmer Theologischen Erklärung heißt: „Wir bekennen uns […] zu folgenden evangelischen Wahrheiten“ (Hervorhebungen M.W.); Heimbucher/Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung, 36. 30 Ohne auf die Diskussion über den dialektischen Charakter der Theologie weiter einzugehen, geht es mir hier um die Grundbestimmung, die m. E. mit dem spezifischen Charakter seiner Inanspruchnahme der Dialektik verbunden ist. Zur Diskussion über Barths Dialektik vgl. u. a. Hrle, Dialektische Theologie (weitere Literatur); Beintker, Die Dialektik in der ,dialektischen Theologie‘ Karl Barths; McCormack, Theologische Dialektik und kritischer Realismus; Korsch, Ein großes Mißverständnis. 31 Vgl. Barth, Reformierte Lehre, 227 f; vgl. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 238 ff.
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und die Verkündigung der Kirche. In den Prolegomena seiner Kirchlichen Dogmatik entwickelt Barth im Horizont der Lehre von der dreifachen Gestalt des einen Wortes Gottes seine für alle theologische Erkenntnis grundlegende trinitarische Hermeneutik – beginnend mit dem verkündigten Wort über das geschriebene Wort und das offenbarte Wort schließlich zur Hervorhebung der Einheit des Wortes Gottes.32 Er übernimmt damit die in umgekehrter Reihenfolge gemachte Distinktion Offenbarung – Schrift – Lehre (Predigt), wie sie für diverse reformierte Bekenntnisse charakteristisch ist.33 Die entscheidende Pointe besteht nun darin, dass in allen drei Gestalten des Wortes Gottes dieses nicht einfach greifbar zur Verfügung steht. So sehr sich Gott in seinem Wort offenbart, so sehr hält er sich in ihm zugleich verborgen.34 So sehr sich auf sein Wort verweisen lässt, so wenig ist es einfach offenkundig. Wo sein Wort in Erscheinung tritt, ist es nicht in dem Sinne offensichtlich, dass sich jeder gleichsam unwidersprechbar darauf berufen könnte. Dass es sich um sein Wort und eben nicht um eines unserer Worte handelt, kann er nur selbst zeigen. Auch im Blick auf das inkarnierte Wort, auf das es Barth entscheidend ankommt, ist das nicht anders: Der Blick auf Jesus gibt nicht von sich aus den Christus zu erkennen. Das Wort Gottes erschließt sich konsequent nur dann, wenn Gott selbst das Subjekt der Erkenntnis ist. Offenbarung wird also nicht als eine in der Vergangenheit anzusiedelnde Selbstvergegenständlichung Gottes verstanden. Barth verweist ausdrücklich auf die reformierte Lehre vom Heiligen Geist,35 um zu unterstreichen, dass Offenbarung die conditio sine qua non für alle theologisch orientierende Erkenntnis bleibt. Sie ist keine feststehende Tatsache, der sich nicht mehr widersprechen lässt, sondern ein Geschehen, ein Ereignis, das von den Spuren, die hinterlassen wurden, niemals auch nur annähernd festgehalten werden kann. Das Wort Gottes ist keine handhabbare Größe. Ihm eignet eine in der Lebendigkeit Gottes gründende eigene Dynamik, in der es immer wieder neu gehört werden will. Hier kommt Barths kritische Auseinandersetzung mit der so genannten natürlichen Theologie in den Blick. Sie ist nicht nur – wie jetzt Gerhard Sauter annonciert hat36 – eine den besonderen historischen Herausforderungen ge32 Vgl. KD I/1 § 4; vgl. dazu o. Kap 2. 33 Vgl. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 238 f. Die Reihenfolge wird bei Barth umgedreht, weil er die Unterscheidung in noetischer und nicht in ontischer Perspektive in Anspruch nimmt. 34 Offenbarung ist nicht die (Auf)Lösung des Geheimnisses Gottes, sondern seine Vergegenwärtigung. Sie verweist konsequent darauf, dass Gott außerhalb seiner Selbstoffenbarung nicht erkennbar ist und d. h. zugleich, sie zeigt an, dass der Mensch von sich aus grundsätzlich nicht zur Gotteserkenntnis in der Lage ist. Offenbarung ist keine Methode für die Übergabe dann vom Menschen zu verwaltender göttlicher Mitteilungen, sondern sie ist der auf ihr Geschehen beschränkte Modus der Selbstvergegenwärtigung Gottes. Es ist dieses Offenbarungsverständnis, das für Barths ganze Theologie fundamental bleibt. 35 Barth, Reformierte Lehre, 246. 36 Vgl. Sauter, Theologisch miteinander streiten.
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schuldete Überpointierung, sondern hat prinzipiellen Charakter.37 Die konsequente Offenbarungstheologie Barths ist m. E. als ein stringentes Zuendedenken des bereits von den Reformatoren für die Theologie als grundlegend hervorgehobenen hermeneutischen Zirkels anzusehen, auf den man im Laufe der theologischen Erkenntnisarbeit unweigerlich an irgendeiner einer Stelle stößt. Indem Barth herausstreicht, dass dies nicht an irgendeiner Stelle geschieht, sondern bereits grundsätzliche Voraussetzung jeder theologischen Erkenntnis überhaupt ist, wird die Theologie in eine unabschüttelbare Verlegenheit versetzt, die sie dazu nötigt, sich in all der geforderten Entschlossenheit doch zugleich eine prinzipielle Vorbehaltlichkeit aufzuerlegen, in der sie sich ganz und gar auf den Selbsterweis des von ihr bezeugten lebendigen Gottes verwiesen weiß. Diese Vorbehaltlichkeit wird bereits in den immer wieder zitierten Leitsätzen von Barths unter anderem auch vor reformiertem Publikum gehaltenen Vortrag „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ (1922) unterstrichen: „Wir sollen von Gott reden“ – „Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden“ – „Wir sollen beides, daß wir von Gott reden sollen und nicht können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“38 Wie Barth später verdeutlicht, liegt es allerdings nicht allein an unserer Menschlichkeit, dass wir nicht von Gott reden können, sondern vor allem an der Dynamik des lebendigen Gottes, der zwar nicht immer ein anderes Wort, wohl aber sein Wort immer wieder neu sagt, so dass nur da angemessen von Gott geredet wird, wo auf das aktuell ergehende Wort Gottes geantwortet wird. Gewiss können wir es lernen, uns in unseren Traditionen zu bewegen und diese dann auch in theologischen Disputen zu verteidigen oder zu relativieren, aber es gibt in keiner Tradition ein Wahrheitsprivileg, weil wir von uns aus weder einen Zugang zur Wahrheit noch eine Verwaltungshoheit über die Wahrheit haben.39 Das hat durchaus weitreichende Konsequenzen etwa für die Ökumene bis hinein in den heute so wichtig gewordenen interreligiösen Dialog, wenn Barth so konsequent die Wahrheit auf der Seite Gottes belässt und sie davor schützt, zu einer Disponiblen des Menschen zu werden. Sie bleibt im Horizont der Erwählung Gottes und verschafft sich darin Geltung, dass Gott eben auch heute erwählt, beruft und sendet40 – nicht zur Traditionsweitergabe, sondern zum Zeugnis von der befreienden Versöhnung, durch welche der Mensch aus den Bindungen der alten Welt entnommen ist, so dass 37 Vgl. o. Kap. 2.4.1; den Hertog, Barths „Nein“ zur „natürlichen Theologie“. 38 Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 151, 160, 172. 39 „Die reformierten Bekenntnisse unterscheiden sich von der Augustana u. a. auch dadurch, daß sie […] sich begnügen, daß sie es Gott, nicht ihren Gottesgedanken, sondern Gott selbst, Gott allein in seinem durch Schrift und Geist verkündigten Worte überlassen, die Wahrheit zu sein.“ (Barth, Reformierte Lehre, 217) 40 Es ist der Prädestinationsgedanke, den Barth „als Kern und als das Ganze der reformierten Theologie“ (auch im Blick auf die Schrifthermeneutik) bezeichnen kann (Barth, Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften, 128).
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er den von diesen Bindungen nach wie vor ausgehenden Ansprüchen im aufrechten Gang entgegentreten kann. Wenn Barth 1923 in seinem Vortrag auf der 19. Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Emden die Reformierten daran erinnert, das Zeugnis der Schrift doch erkennbarer in die Mitte ihres Selbstverständnisses zu rücken, möchte er davor warnen, „die Frage der Lehre […] als ,irgendwie‘ schon gelöst […] vorauszusetzen“.41 Traditionalismus ist – pointiert gesprochen – mangelnde Ernsthaftigkeit, weil der in ihm liegende Narzissmus der theologischen Aufmerksamkeit und Erwartung im Extremfall so enge Grenzen setzt, dass es nur noch zur Selbstbestätigung kommt. „Mit der Liebe des Antiquars, […], des religiösen Heimatschützlers, des Freundes reformierter Art, weil sie reformiert ist, kann gerade der reformierten Kirche auf keinen Fall gedient sein.“42 Vielmehr konzentriert Barth die ganze reformierte Tradition auf die anhaltende konstitutive lebendige Beziehung zum seinerseits lebendigen biblischen Zeugnis: Es „gibt […] streng genommen keine reformierte Tradition außer der einen zeitlosen: dem Appell an die offene Bibel und an den Geist, der aus ihr zum Geiste redet.“43 Nur wenn der prinzipiell sekundäre Charakter der theologischen Lehre konsequent im Bewusstsein steht, hat dieser Appell eine Chance, ernst genommen zu werden. „Ein Dogma im strengen hierarchischen Sinn kennt die reformierte Kirche also gerade nicht.“44 Und so verwundert es auch nicht, wenn Barth später in den Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik die Methode der Dogmatik vor allem in diesem grundsätzlichen Sich-Offenhalten gegenüber dem theologischen Altbesitz sieht.45 Damit wird wohlgemerkt nicht die theologische Lehre diskreditiert,46 wohl aber ihre Dogmatisierung im Sinne einer Festschreibung. Sie bekommt im Gegenteil eine ungleich anspruchsvollere Aufgabe, weil sie sich nicht auf den bereits erworbenen Errungenschaften ausruhen kann, sondern erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie sich als je neu zu formulierende Antwort auf das heute gehörte Wort Gottes artikuliert. Indem wir damit aber nicht bei null anfangen, sondern auch die Bibel immer schon mit den Augen unserer Konfession lesen, weist Barth im Zeichen des fünften Gebots auf die Ehre, die wir unseren Müttern und Vätern – also der theologischen Tradition – zu erweisen haben, denn ohne sie wären wir nicht, was wir sind. Ohne Schaden kann niemand einfach an der theologischen Tradition vorbeigehen.47 Wolfgang 41 42 43 44 45
Barth, Reformierte Lehre, 206 f. Ebd., 212. Ebd. Ebd., 213. Vgl. KD I/2, 970. Nur so kann die niemals ganz abzustellende natürliche Theologie eingedämmt werden. 46 Barth spricht von einem respektvollen Achten der Tradition, deren Stärken im Blick auf die reformierte Tradition er besonders in ihren Anfängen sieht; vgl. Barth, Reformierte Lehre, 214. 47 Vgl. dazu Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 211ff; ders., „Du sollst Vater und Mutter ehren!“.
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Lienemann weist zu Recht darauf hin, dass kaum ein Theologe so häufig wie Barth „immer wieder aufs Neue die Bekenntnisse der Kirche ausgelegt hat“.48 Anstelle eines Bedingungsrahmens für die Theologie sind sie für Barth vor allem der die Theologie sprachfähig machende Orientierungshorizont für eine möglichst genaue Benennung von Entscheidungen, welche die Kirche in ihrer Geschichte bereits zu bestehen hatte. Inwieweit sie allerdings tatsächlich Autorität beanspruchen können, kann nicht kirchenrechtlich geregelt werden, sondern wird sich in ihrer für heute zu erprobenden Erschließungskraft beim Verstehen des biblischen Zeugnisses erweisen. Wenn Barth vor dem theologischen Zitat warnt, dann nicht weil er annimmt, dass wir heute alles besser sagen können. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir es uns von niemandem abnehmen lassen können, die Antwort selber zu sagen. Gerade weil es nicht einfach zur allgemeinen Verfügung steht, was Gott gesagt hat und sagt, sondern jeweils neu gehört werden muss, gilt es auch menschlich und d. h. im Horizont all der Unzulänglichkeiten, mit denen das Menschliche nun einmal behaftet ist, jeweils neu zu sagen,49 was es als das Wort Gottes zu hören gibt und dies dann auch ggf. zu bekennen: Wir, hier, jetzt – dies. Von den reformierten Aufbrüchen im 16. Jahrhundert ist von ihren Vertretern zu lernen, nun auch selber wieder zum Anfänger zu werden.50 Alles, was durch etwas anderes als das Wort Gottes bewahrheitet wird, wird schwerlich den Anspruch erheben können, das Wort Gottes zu sein – nicht die Lehrautorität der Kirche steht zur Debatte, sondern die Anerkennung der Autorität Gottes, die sich eben auch heute in seinem lebendigen Wort Geltung verschafft.51 In dem für die reformierte Tradition charakteristischen Schriftprinzip geht es schlicht und folgenreich darum, „sich eine so zufällige, kontingente, menschliche Größe wie die Bibel allen Ernstes zum Zeugnis von Gottes Offenbarung, diese an sich profane zur Heiligen Schrift werden zu lassen.“52 In einer neuen Erfassung des recht verstandenen „Schriftprinzips“ sieht Barth ausdrücklich „den einzigen ernsthaften Programmpunkt einer reformierten Theologie für die nächste Zeit. Es wird, soweit es sich hier um ein menschliches Tun überhaupt handeln kann, darum gehen, die Kategorie der Offenbarung wieder denken und unter diesem Gesichtspunkt die Bibel Alten und Neuen Testaments wieder lesen zu lernen.“53 In der Konzentration auf das Wort Gottes steht auch die Freiheit der Theologie zur Debatte und das schließt für Barth die Befreiung des inzwischen 48 49 50 51 52 53
Lienemann, Hören, Bekennen, Kämpfen, 539. Vgl. Barth, Reformierte Lehre, 218. Vgl. ebd., 222. Vgl. ebd., 225. Ebd., 226. Ebd., 229. Barth benutzt den Begriff „Schriftprinzip“ als Hervorhebung des reformierten Formalprinzips in Abgrenzung zum dem für die lutherischen Theologie zentralen Materialprinzip in der Rechtfertigungslehre; vgl. Barth, Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften, 64. Vgl. dazu Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 36 ff.
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von der eigenen Tradition domestizierten Reformiertentums mit ein – er nennt die Orthodoxie, den Pietismus, die Aufklärung und Schleiermacher als die vier Ecksteine seines Gefängnisses54 (das kann hier nicht weiter ausgeführt werden). Die Befreiung zielt auf die anspruchsvolle Freiheit des ersten Gebots. Christliche Freiheit und auch die Freiheit der Kirche gehen unmittelbar mit dem Gebotsgehorsam gegenüber diesem Gebot zusammen, wobei es bedeutungsvoll bleibt, dass der Gott, der von dem Gebot als der Befreier Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten gepriesen wird, der heute lebendige Gott ist, der sich durch den Heiligen Geist in der biblischen Bezeugung immer wieder neu vernehmbar zu machen verheißen hat. Es gilt, all die inzwischen zur Selbstverständlichkeit verkommenen Versuche der Gefangennahme Gottes zu beenden, durch welche sich der Mensch als Regisseur und Dramaturg seiner Religiosität zu behaupten versucht, ohne sich dabei von dem circulus vitiosus, in dem er sich dabei faktisch bewegt, irritieren zu lassen. Der sich selbst ausgelieferte Mensch bleibt auch in seinen Befreiungsversuchen ein Gefangener seiner selbst – wirkliche Befreiung, eben auch von seinen Anstrengungen zur Selbstbefreiung, kann ihm nur von außen eröffnet werden. Hier behält das erste Gebot seine fundamentale Bedeutung.55
7.3 Von der Mitte aus offen in alle Richtungen Eine dritte Facette von Barths spezifischem reformierten Profil, die bisher kaum Beachtung gefunden hat, lässt sich in einer bemerkenswerten Pointierung der ökumenischen Sendung der reformierten Kirchen entdecken und zwar in einem durchaus pragmatischen Horizont – Barth spricht hier von einer „strategischen“ Tatsache.56 Im Rahmen der Gründungsvollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam gab es ein Treffen, in dem sich die reformierten Kirchen unter sich trafen, um sich über ihre Wahrnehmungen und Hoffnungen auszutauschen. In dieser Versammlung hält Barth eine relativ kurze Ansprache, in welcher er seine Optionen für das Verhältnis der Reformierten zum Weltrat der Kirchen zur Diskussion stellt. Nachdem Barth u. a. auf das besondere ökumenische Potenzial des calvinischen Denkens hingewiesen hat, versucht er den versammelten Reformierten die ökumenische Gesamtlage des Weltrates vor Augen zu rücken und zwar in der Absicht, die Aufmerksamkeit einmal von den gewiss sehr unterschiedlichen Motivationslagen, mit denen die Kirchen auf Grund ihrer jeweiligen lokalen Erfahrungen nach Amsterdam gereist sind, auf die Gesamtsituation 54 Vgl. Barth, Reformierte Lehre, 227. 55 Vgl. auch als erste Kommentierung zu den Versuchungen des Protestantismus zur Zeit des Nationalsozialismus: Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom. 56 Barth, Unsere reformierten Kirchen und der Weltrat der Kirchen, 12.
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der zersplitterten „Kirchen“ – Barth notiert den Begriff in Anführungszeichen – zu lenken, um dann den reformierten Kirchen eine Rolle ans Herz zu legen, welche nicht an Partikularinteressen, sondern an einer möglichst realistischen Wahrnehmung der Gesamtlage orientiert ist. „Wenn ich die ganze Fülle der hier vertretenen ,Kirchen‘ überblicke, dann sehe ich einen rechten und einen linken Flügel: am äußersten rechten Flügel unsere Freunde aus den orthodoxen Kirchen, für uns recht schwer zu verstehen, als ob sie in einem gewissen Nebel zu verschwinden drohten. Links von ihnen, mehr zur Mitte hin, die Anglikaner mit einer Fülle von verschiedenen Möglichkeiten, nach ihnen die Altkatholiken und dann als unsere nächsten Nachbarn zur Rechten die Lutheraner. Und wir sehen links von uns in großer Mannigfaltigkeit: die Kongregationalisten, die Methodisten, Baptisten, die Disciples of Christ. Jenseits von ihnen beginnt für uns auch auf dieser Seite die Nebelregion, wo die Mennoniten, die Quäker, die Heilsarmee zu Hause sind, die mit Taufe und Abendmahl nichts anzufangen wissen und bei denen es dunkel erscheint, ob sie noch Kirchen sind oder nicht, ob sie es auch nur sein wollen. Dieses Ganze ist der ,Weltrat der Kirchen‘: diese lange Front von rechts nach links mit all ihren Verschiedenheiten, heimlichen und offenen Widersprüchen. Das Besondere unseres reformierten Ortes ist dies, daß wir uns ziemlich in der Mitte befinden: in nächster Nachbarschaft rechts mit den Lutheranern, links mit den Congregationalisten.“57
Man mag die Schematisierung und die impliziten Bestimmungen der dargestellten Szenerie beklagen. Dennoch wird sich schwerlich bestreiten lassen, das Barth hier im Blick auf die unterschiedlichen Ekklesiologien, um die es ihm geht, etwas benennt, was durchaus eine Evidenz hat, die sich ohne weiteres fundierter untermauern ließe. Während auf der rechten Seite der Ton auf der geschichtlichen Kontinuität liegt, steht auf der linken Seite die Betonung der durch Wort und Geist bewegten Freiheit im Vordergrund. Wenn Barth nun die Reformierten als „katholische Protestanten“ und als „protestantische Katholiken“ bezeichnet, dann sieht er bei den Reformierten sowohl Elemente, die den rechten Flügel charakterisieren, als auch solche, die dem linken Spektrum näher stehen. Nun ließe sich schnell einwenden, dass immer da, wo jemand für sich die Mitte beansprucht, Skepsis angebracht ist und sehr genau hinzusehen ist. Doch Barth geht es weniger um die Beanspruchung der Mitte als vielmehr um die Warnung, nicht nur in die eine Richtung zu blicken, und das wäre eben die rechte Richtung, von der sich die Reformierten von Anfang an in besonderer Weise beeindrucken ließen, während sie zugleich der anderen Seite gegenüber gern die kalte Schulter zeigten – um nur die harmloseste Variante zu nennen. Indem Barth auf beiden Seiten bestimmte Wahrheitsmomente anerkennt, kommt den Reformierten die Aufgabe zu, sich auch tatsächlich in beide 57 Ebd., 12.
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Richtungen zu öffnen und sich eben nicht nur von der manifesten Kirchlichkeit auf der Rechten beeindrucken zu lassen. Damit wird ein Aspekt angesprochen, der im Blick auf den Protestantismus inzwischen insgesamt eher an Problematik zugenommen als abgenommen hat. Wenn man etwa die Amtsdiskussion betrachtet, die weite Teile des ökumenischen Engagements in Atem hält, zeigen die protestantischen Kirchen eine signifikant größere Beeindruckbarkeit vonseiten der hochkirchlichen Traditionen als dass sie sich dafür einsetzen, den Wahrheitsmomenten der anderen Seite, die ja immerhin ihre Wurzeln vor allem in der Reformation hat, auch nur ausreichend Gehör, geschweige denn auch Geltung zu verschaffen.58 Wenn Barth in Amsterdam die Reformierten dazu ermahnt, ihre Mittelposition ökumenisch zu nutzen, ging es ihm nicht um Ausgewogenheit, wohl aber um das Eintreten für Wahrheitsmomente, die eben auch von dem linken Flügel zu vernehmen sind, der sich nicht so machtvoll in Szene setzen kann und will, wie es aufgrund des offenkundig unbefangenen und teilweise scheinbar hemmungslos manifesten ekklesiologischen Selbstbewusstseins dem rechten Flügel möglich und sinnvoll erscheint. Die problematischen Seiten der selbstdarstellerischen Hochkirchlichkeit halten sich ja keineswegs verborgen, aber sie werden mit einer gewissen Indolenz und einer frappanten Selbstverständlichkeit mehr oder weniger konsequent außerhalb der Diskussion gehalten.59 So vorsichtig und gerade nicht einseitig Barth seine Hoffnung für die Reformierten im Blick auf die Ökumene formuliert, so aktuell bleibt ihre implizite Kritik an der auch den reformierten Kirchen nicht fremden Neigungen zur Selbstdarstellung. Dass Barth selbst eher in die Richtung des linken als die des rechten Flügels tendierte, verschweigt er dabei keineswegs.60 Zugleich ist erkennbar, dass sich Barth überaus wohl fühlt, in der Ökumene als ein Reformierter auftreten zu können.61
58 Zwar wird gern und durchaus begründbar von einer Protestantisierung der Ökumene gesprochen, aber man könnte gleichzeitig ebenso begründet auch von einer Rekatholisierung des Protestantismus im problematischen Sinne sprechen, je nach dem worauf die Aufmerksamkeit in besonderer Weise fokussiert ist. In jedem Fall aber kann gesagt werden, dass in der theologischen Arbeit der Ökumene – und auf die kommt es Barth an dieser Stelle wohl an – der linke Flügel relativ konsequent marginalisiert wird, wohl nicht zuletzt, weil die Reformierten und mehr noch die Lutheraner vor allem am Konsens mit dem rechten Flügel interessiert sind. 59 Das im Sept. 2012 in Florenz auf der 7. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) verabschiedete Dokument „Amt, Ordination und Episkop¦“ ist in seiner durchaus protestantischen Prägung ebenfalls eindeutig mehr in die Richtung der konstitutiv vom Amt geprägten Kirchen geöffnet als in die andere Richtung, die im Grunde nach wie vor verschwiegen wird. 60 Vgl. ebd., 12. 61 Zu Barths unterschiedlichen Berührungen mit der Ökumene vgl. Herwig, Karl Barth und die ökumenische Bewegung; Weinrich, Calvins Ökumeneverständnis und die ökumenische Bewegung, 91 – 99.
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Karl Barth – ein reformierter Reformierter
7.4 Ein reformierter Reformierter Wenn von Karl Barth als einem reformierten Theologen die Rede sein soll, bleibt zu beachten, dass sich Barth in einer ganz spezifischen Weise auf reformierte Wurzeln beruft. Er sah es als notwendig an, die Tradition zu kennen und mit ihr in ein Gespräch zu treten.62 Wie ernst er es damit hielt, zeigt sich in aller Deutlichkeit in der Kirchlichen Dogmatik. Aber es ist nicht die Tradition, die ihn bei aller Orientierung, die sie zu geben vermag, bewegt, sondern die treibende Kraft sieht er in der Haltung und Perspektive, wie sie ihm vor allem aus der Zeit des reformierten Aufbruchs zur energischen Rückbesinnung der Kirche auf ihren tragenden Grund und ihre konkrete Bestimmung vor Augen steht.63 Es ist dieses dynamische und in gewisser Hinsicht rückhaltlose reformatorische Drängen auf das rechte Hören des Wortes Gottes und die sich daraus ergebende Gestaltung der Kirche und des ganzen Lebens, in denen sich Barth an die reformierte Tradition gebunden weiß. Aus dieser spezifischen Bindung bezieht er dann eine weithin beispiellose Freiheit für respektvolle und durchaus würdigende und zugleich überaus weitreichende Umstellungen und Neuakzentuierungen, die ihn einerseits als Kenner der Tradition ausweisen und zugleich als einen ebenso konsequenten wie auch überraschenden Neugestalter der Theologie in Erscheinung treten lassen. Für Barths spezifische reformierte Haltung scheinen mir folgende fünf Akzente im Vordergrund zu stehen: 1. Im Zentrum steht das Vertrauen in die Bibel als das orientierende und als solches durch nichts zu ersetzende oder zu überbietende menschliche Zeugnis von Gottes Geschichte mit dem Menschen. Auf ihm liegt die besondere Verheißung, zum jeweils lebendigen Wort Gottes zu werden, indem es durch eben den Geist zu uns spricht, der die Verfasser, Sammler und Redaktoren dazu gebracht hat, diese Texte zusammenzuhalten, so dass sie von Gott immer wieder dazu geheiligt werden, sein lebendiges Wort vernehmbar werden zu lassen. Es ist diese unverfügbare Dynamik, durch welche das biblische Zeugnis immer wieder zu der Offenbarung werden kann, auf welche die Kirche schlechterdings angewiesen ist, wenn es darum geht, nicht nur die menschlichen Gedanken über Gott zur Sprache zu bringen, sondern Gottes Handeln an den Menschen, seinen Willen und seine Absichten, die nur dann zu vernehmen sind, wenn sie von ihm selbst erschlossen werden. Von Gott gibt es nur etwas zu hören, wenn er selbst spricht. Und das, was er spricht, ist seinem Wesen nach etwas grundsätzlich anderes, als was wir uns auch selber sagen 62 Georg Plasger diagnostiziert bei Barth ein eigenes Verständnis von Tradition als Hilfestellung zum Verständnis der Schrift; vgl. Plasger, „Du sollst Vater und Mutter ehren!“. 63 Vergleichbar mit dem rechten Umgang mit der Bibel geht es auch im Blick auf die reformierte Tradition darum, durch das Historische hindurch bis auf den Geist der Bemühungen vorzustoßen; vgl. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 104 f.
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könnten. Es ist diese vor allem auf dem biblischen Zeugnis liegende Offenbarungsverheißung, die ihm seine Unvergleichlichkeit verleiht und es je und je zur Heiligen Schrift macht. 2. Für Barth ist es entscheidend, dass das Wort Gottes das Wort Gottes bleibt und eben nicht zu einem mehr oder weniger mirakulösen Ereignis der Vergangenheit verkommt, dass nun von der Erinnerungsgemeinschaft der Kirche lebendig gehalten wird. Käme es dabei auf die Kirche an, gäbe es wenig Anlass, die Hoffnung auf das Wort Gottes zu setzen. Barth sieht sie weithin mehr mit der Behinderung des Wortes Gottes beschäftigt als mit seiner lebendigen Verbreitung. Dass aber dennoch das Wort Gottes heute vernehmbar ist, bleibt der Lebendigkeit Gottes selbst zuzuschreiben, in der er sich auch der Kirche bedient, so sehr diese auch versucht, den Sturzbach des lebendigen Wassers in ruhige und gemächliche Kanäle zu leiten. Barth macht dies zum zentralen Thema im dritten Band seiner Versöhnungslehre (KD IV/3).64 3. Indem das Bekenntnis auf der Seite des Menschen angesiedelt ist, kann es grundsätzlich nur relative Autorität beanspruchen. Die teilweise in der lutherischen Kirche gepflegte Kühnheit, von der Inspiriertheit der Bekenntnisschriften zu sprechen, registriert Barth immer mit erkennbarem Befremden.65 Ganz abwegig ist die Vorstellung, dass in dem Bekenntnis die Wahrheit zusammengefasst sei, denn diese gerät ihrem Wesen nach nicht in die Hände und die Regie des Menschen, sondern bleibt in der Macht des Geistes Gottes, in welcher sie sich hier und da klaren Ausdruck verschafft. In diesem Sinne bleibt das Bekennen wichtiger als das rezitierbare Bekenntnis. Das Engagement soll der jeweils konkreten Antwort auf Gottes Anrede in den jeweiligen geschichtlichen Umständen gelten. Barth hat die permanente Gefahr vor Augen, dass die Energie, welche die Kirche für die Bewahrung ihres Bekenntnisses und die vor allem museale Pflege ihres Bekenntnisstandes aufbringt, ihr dann in der Bewährung des konkreten Bekennens fehlen könnte. 4. Mit der Relativierung des Wortlauts verbindlicher Lehre verbindet sich eine besondere ökumenische Offenheit, die Barth essenziell der recht verstandenen reformierten Tradition zurechnet. Sobald eine Kirche für sich außer dem biblischen Zeugnis auch noch anderes für verbindlich erklärt, etabliert sie exklusive Elemente in ihrem Selbstverständnis, die sich dann zwangsläufig als Hürde im Umgang mit anderen Kirchen erweisen. Je mehr solcher Hürden eine Kirche im Laufe ihrer Geschichte aufgerichtet hat, umso unbeweglicher erweist sie sich in der ökumenischen Kommunikation mit anderen Kirchen, umso unfähiger wird sie für wirkliche ökumenische Beziehungen. Der Verzicht auf die Etablierung solcher Hürden bedeutet ja keineswegs den Verzicht auf prägnante theologische Lehre, aber diese Lehre wird weniger als Grenzziehung als vielmehr als ein zu weiterer Klärung einladender vorläufiger Erkenntnisstand verstanden. Es kommt nicht auf gemeinsam zu 64 Vgl. Siller, Kirche für die Welt. 65 Vgl. z. B. Barth, Reformierte Lehre, 213.
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Karl Barth – ein reformierter Reformierter
formulierende Dogmen an, wohl aber auf die gemeinsame Blickrichtung, von der sich die Kirche die entscheidende Orientierung in ihren jeweils neu zu formulierenden Erkenntnissen erhofft. Ohne ein ausgewiesenes Maß an Selbstrelativierung kann die Kirche die zu ihrem Wesen gehörende Ökumenizität nicht tatsächlich wahrnehmen. 5. Es geht Barth bleibend um das Anliegen, das er im Blick auf Calvin in der besonderen Aufgabe der zweiten Generation der Reformation herausgestellt hat.66 Ich möchte es einmal die Erdung der reformatorischen Theologie nennen.67 Die erste Generation hat die Kirche, die sich im ausgehenden Mittelalter ganz und gar an die horizontale Dimension ihrer irdischen Gestaltung verloren hatte, wieder an die sie konstituierende vertikale Dimension erinnert und diese eben dadurch ausgezeichnet, dass alles andere radikal relativiert wurde. Ohne den Paukenschlag, der hier insbesondere von Luther in unüberhörbarer Deutlichkeit zu vernehmen war, wäre wohl kaum Bewegung in die erstarrte Situation gekommen. Auf der anderen Seite hat die emphatische Konzentration auf den Glauben die dann auch eintretende Gefährdung mit sich gebracht, ihn zu einer leiblosen Angelegenheit werden zu lassen. Es war die keineswegs einfache und wohl auch unabschließbare Aufgabe der zweiten Generation – und dies heißt für Barth reformiert sein –, das Charisma der von der ersten Generation wieder in den Blick gerückten vertikalen Dimension nun auch wieder mit der horizontalen Dimension zu verbinden, um den Glauben so ins Leben zu ziehen, dass er nicht nur rechtfertigt, sondern eben auch heiligt.68 Erst in der Heiligung des Menschen kommt die Versöhnung an ihr Ziel und deshalb bleibt auch der Zusammenhang von der Rechtfertigung mit diesem Ziel eigens zu bedenken und kann nicht einfach dem Zufall und den faktisch meist sparsamen Kontingenzen der Liebe überlassen werden, wenn nicht am Ende ein sehr beschnittenes ästhetisierendes Verständnis des Glaubens herauskommen soll. Das Bekennen schließt das konkrete Lebenszeugnis mit ein – indem Barth dies betont, ist er bewusst reformiert. Generell bleibt zu betonen, dass nur das in den Augen Barths tatsächlich als reformiert gelten kann, was sich tatsächlich ständig reformiert. Barth ist darin ein reformierter Reformierter, dass er sich in Wahrnehmung seiner gegenwärtigen theologischen Verantwortung dazu gedrängt sah, auch selbst vorgetragene Einsichten erneut zu reformulieren, um der menschlich erreichbaren Prägnanz eine größtmögliche Klarheit zu verleihen. Das Wissen um unsere Angewiesenheit auf den Heiligen Geist erlaubt einerseits keine Nachlässigkeit in der Genauigkeit unseres Denkens wie es andererseits von einer grundsätzlichen Vorbehaltlichkeit geprägt sein sollte. Es gibt keinen theologischen Satz, der nicht auch in missbräuchlicher Weise benutzt werden kann – 66 Vgl. dazu o. Kap. 4.2. 67 Vgl. dazu Barth, Reformierte Lehre, 238. 68 Vgl. Barth, Die Theologie Calvins, 64 ff; Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 111, 140 – 145.
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auch das „Soli Deo gloria“69 – und so gilt es, immer auf den Zusammenhang und das Gefälle zu achten, damit am Ende nicht ein vielleicht systematisch stimmiges, tatsächlich aber lebloses und darin gottloses theologisches Konstrukt an die Stelle eines pünktlichen Denkens im Dienst eines lebendigen Zeugnisses tritt. Es geht um die theologische Entsprechung zu der die Welt verändernden Dynamik des Wortes Gottes. In diesem Sinne bestand Barths freies Reformiertsein in dieser Gleichzeitigkeit von klarer Entschiedenheit und prinzipieller Vorläufigkeit, die ihn immer wieder vor allem auf die Bitte um den Heiligen Geist geführt hat.
69 Vgl. Barth, Reformierte Lehre, 217.
Teil 2 Die Kirche im Horizont einer entmythologisierten Welt
8. Die Weltlichkeit der Kirche Systematische Zugänge zu einem Grundproblem der Ekklesiologie1 Zweifellos besteht heute Konsens darüber, dass die Kirche für die Welt da zu sein habe. Aber über die Begründung, die Reichweite und die Gestalt dieser Proexistenz der Kirche gehen die Ansichten weit auseinander. Für Dietrich Bonhoeffer beispielsweise war allerdings klar, dass es nicht allein um das Verhältnis gehen kann, das die Kirche zu der sie umgebenden Welt unterhält; vielmehr ist zugleich die Frage nach der eigenen Weltlichkeit der Kirche aufgeworfen. Die Kirche lebt nicht allein in der Welt, sondern sie ist selbst Teil der Welt, so dass die Bedeutung ihrer Weltlichkeit für ihr Selbstverständnis auszumitteln bleibt. Damit wird aus der ethischen Frage nach dem Weltverhältnis eine dogmatische Frage: Inwiefern ist es für die Wesensbestimmung der Kirche konstitutiv, dass sie ihre eigene Weltlichkeit wahrnimmt und realisiert? Ich will versuchen, mich mit zugespitzten Hinweisen auf drei Wegen einer Antwort auf diese Frage zu nähern.
8.1 Die Verweltlichung der Kirche Blicken wir nur in die jüngste Theologiegeschichte, so lässt sich feststellen, dass es einen Weg gibt, der hier bevorzugt betreten wurde. Auf diesem Weg findet sich gleichsam als Leitlinie immer wieder der Begriff der Säkularisierung. Als Richtungsanzeige soll mit diesem Begriff angezeigt werden, es gehe substanziell um eine historisch plausibel zu machende Entwicklung und zugleich auch um eine systematisch-theologisch aufzunehmende Bewegung weg von der traditionell dogmatisch verstandenen Kirche hin zur Welt und einer sich weltlich begreifenden Kirche. Das dabei unterstellte Veränderungsgefälle ist nicht neu, sondern es begleitet spätestens seit der Aufklärung kontinuierlich die Theologiegeschichte. Neu ist lediglich die Konsequenz, mit der nun versucht wird, auch die sich weltlich verstehende Welt wieder theologisch einzuholen. Bei genauerem Hinsehen kommen allerdings Zweifel auf, ob die mit dem Begriff Säkularisierung etikettierte Richtungsanzeige zutreffend ist. Lässt sich nicht mit ebenso gewichtigen Argumenten behaupten, dass das Gefälle der Bewegung genau umgekehrt verläuft: von der inzwischen selbstbewusst gewordenen Welt hin zur Kirche? Hat sich nicht die Kirche – nicht zuletzt um der 1 Zuerst in: Evangelische Theologie 50, 1990, 206 – 222.
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gefährdeten allgemeinen Anerkennung willen – weithin so weit dem Selbstbewusstsein der Welt überlassen, dass es nun längst die Welt ist, die auch den Verständigungshorizont dafür festlegt, was in der Kirche noch Geltung beanspruchen kann? Es war doch – denken wir an Thomas Hobbes und den Deismus – das Tribunal der zu Selbstbewusstsein gekommenen menschlichen Vernunft, das hier Zulassungsbeschränkungen ausgesprochen hat, und es war eben nicht der Triumph eines durch die Tradition vermittelten Freiheitsgewinns. Die vor allem aufgrund von politischen Veränderungen im Gefolge der nachreformatorischen Konfessionalismen in Legitimationsnot geratene dogmatische Tradition findet sich konfrontiert mit einem wirtschaftlichen und politischen Selbstbestimmungswillen, der sich schwerlich als ihr Säkularisat verstehen lässt. Jedenfalls vermag es die Säkularisierungsthese nicht hinreichend plausibel zu machen, weshalb sich der zu Freiheit gekommene Mensch so ausdrücklich gegen die unterstellten Quellen seiner Freiheit stellt. Diese Konfrontation gibt eher zu der Vermutung Anlass, dass hier zwei sich gegenseitig ausschließende oder zumindest bedrängende Vorstellungen von Freiheit aufeinander stoßen, bzw. gegeneinander in Konkurrenz geraten sind. Der Ausgang dieses Konfliktes macht deutlich, dass es in der Tat redlicher wäre, von Verweltlichung anstatt von Säkularisierung zu reden. Ein apologetisches Grundmuster der Neuzeit wird in verschiedenen Varianten wiederholt, das vor der Welt auf den Nützlichkeitsnachweis des Christentums setzt. Es ist zunächst eine möglichst allgemein evidente Ethik, die der Welt den Beweis erbringen soll. Am Ende aber bleibt im Grunde nur eine weltanschauliche Einrede, die darauf setzt, dass die Welt doch nach wie vor auf eine Gesamtwahrnehmung hin, auf ihre Universalität bzw. Ganzheit hin ansprechbar sein sollte – eine zweifellos nicht unbegründete Unterstellung, was sie allerdings noch nicht weniger diffus macht. Schließlich müsste gefragt werden, ob es sich hier nicht um eine genuine Fragestellung der Welt und weniger um einen theologischen Traditionsrest des christlichen Glaubens handelt. Es käme jetzt darauf an, den Status der Frage nach der Welt als Ganzheit genauer zu bestimmen. Doch noch mehr Aufmerksamkeit verdient das am Nützlichkeitsnachweis orientierte Eigeninteresse, in dem Theologie und Kirche ihr ethisches oder weltanschauliches Angebot zur eigenen Bestandssicherung durch die Gesellschaft unterbreiten. Dieser meist unter Berufung auf das von Bonhoeffer wohl eher experimentell ins Auge gefasste religionslose Christentum betretene Weg wurde in der Nachkriegstheologie systematisch von Friedrich Gogarten begangen, gefolgt von einer Reihe viel beachteter konkreter Revolutionierungsvorschläge für die Kirche. John A.T. Robinson stellte eher harmlos, aber doch konsequenzenreich fest, dass Gott anders sei – gemeint ist: anders als er in der dogmatischen Tradition gesehen wurde2 –; dann starb Gott – zunächst in den 2 Vgl. Robinson, Gott ist anders.
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USA3 dann aber auch bei uns – verschiedene Tode, um Platz zu schaffen für ein nachtheistisches Christentum.4 Damit ist systematisch-theologisch die Säkularisierung gleichsam ausgereizt, so dass im weiteren Verlauf dieses Weges weniger prinzipiell als eher pragmatisch-institutionell argumentiert wird, wie es besonders deutlich an Trutz Rendtorff zu beobachten ist. Freilich umgibt sich sein Entwurf mit Theorie, sogar mit Metatheorie, aber unverkennbar zielt er vor allem auf eine theologisch weithin unanfechtbare konsequente Verweltlichung der Kirche als einem institutionell gesicherten gesellschaftlichen Funktionsträger. Um diesen unter dem Begriff der Säkularisierung firmierenden Weg der Verweltlichung der Kirche ein wenig konkreter werden zu lassen, möchte ich nun eine Position exemplarisch hervorheben, und zwar Friedrich Gogarten, der als Hauptprotagonist für die erste Phase der wirkungsgeschichtlich durchaus bedeutenden Debatte nach dem zweiten Weltkrieg angesehen werden kann. Während sein Buch „Die Kirche in der Welt“ aus dem Jahre 1948 noch ganz und gar von dem Dienst geprägt war, mit dem die Kirche der zunehmenden Säkularisierung des modernen Menschen begegnen kann, trägt 1953 in „Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit“5 die Säkularisierung nicht nur einen weniger bedrohlichen Akzent, sondern sie ist zwischenzeitlich zum notwendigen Ausdruck des durch Freiheit charakterisierten Weltverhältnisses auch der Christen avanciert. Säkularisierung habe nicht allein „ihren Ansatz im Glauben selbst“, vielmehr müsse sie um des Glaubens willen geschehen, so dass Gogarten ihre Behinderung oder gar Umkehrung als Angriff auf den Glauben verstanden wissen will (vgl. 102). Das klingt höchst verwirrend, so lange man Säkularisierung gerade als die Verweltlichung des Glaubens ansieht. Doch ein solches Verständnis nennt Gogarten das geistesgeschichtliche Verständnis, in dessen Konsequenz das geschichtliche Ende des christlichen Glaubens liegt. Gegen dieses geistesgeschichtliche Verständnis möchte Gogarten das Phänomen der Säkularisierung vom Glauben aus in den Blick nehmen. In dieser Perspektive kann sie als die längst überfällige Verweltlichung der Welt bewertet werden, die als solche gerade nicht die Verweltlichung des Glaubens bedeutet (vgl. 12). Diese Zuspitzung gelingt auf dem Hintergrund der inzwischen zum Gegensatz ausgewachsenen Differenz von Christentum und christlichem Glauben (vgl. 148ff, 194ff). Der Glaube wird als die stets neu zu rechtfertigende Selbstvergewisserung der unbedingten Freiheit des Menschen verstanden. Er wurzelt im Evangelium, in dem über das Heil des Menschen entschieden ist. Das Verhältnis zur Welt wird dagegen durch das Gesetz beschrieben, das sich der Mensch in 3 Zur Gott-ist-tot-Theologie vgl. Daecke, Der Mythos vom Tode Gottes. 4 Vgl. Sçlle, Atheistisch an Gott glauben. 5 Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit; die Seitenangaben im Text beziehen sich auf diesen Titel.
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seiner Freiheit zunutze macht, das sich aber jenseits dieser Freiheit den Menschen dienstbar hält, indem es ihn mit der uneinlösbaren Forderung der ständigen Selbstrechtfertigung konfrontiert. Mit der Unterordnung des Gesetzes unter die Freiheit des Menschen sei den Mächten der Welt in Erinnerung an Paulus und zusammen mit der neuzeitlichen Säkularisierung zuzurufen: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich“ (1Kor 10,23). Der vom Gesetz befreite bzw. über das Gesetz erhobene Mensch rückt in den engsten Verwandtschaftsgrad mit Gott, in dem er zu seinem Sohn wird, zwar Geschöpf, aber als solches eben genuin mit Gott verwandt. Die Sohnschaft des Menschen wird durch seine Mündigkeit gekennzeichnet, wodurch sie sich ausdrücklich von einer unmündigen Kindschaft unterscheidet (vgl. 75). Sie ist gleichsam der fundamentale Ermächtigungshorizont für sein freies Tun und zugleich der Verpflichtungshorizont für seine Selbstverantwortung. In der Anerkennung dieses besonderen Verwandtschaftsverhältnisses hütet der Mensch die ihm zugemessene Freiheit. Damit ist angezeigt, dass über die Sünde des Menschen nicht am Maßstab des Gesetzes befunden werden kann, sondern das Maß der Sünde muss das Maß der aufgegebenen bzw. der realisierten Freiheit sein, in der es dem Sohn bewusst bleibt, dass er seine Verantwortlichkeit vor dem Vater nicht in seinem Tun zu dokumentieren vermag. Diese Freiheit schließt in ihrer Mündigkeit auch eine Selbständigkeit Gott gegenüber mit ein: „der Mensch, der als der Sohn der freie und verantwortliche Herr seiner Welt ist, ist eben damit auch Gott gegenüber selbständig. Nur in dieser Selbständigkeit vermag er seine Sohnschaft zu erfüllen.“ (75) Neben dem ,Aus-dem-Vater-Sein‘ steht als eigener Bereich das ,Für-sich-Sein‘ des Sohnes. Hier „gilt ihm das ,Gesetz der Werke‘. Denn als diesem, der einer für sich ist, gehört ihm die Welt“ (81). Der Glaube hat nichts mit dem Inhalt unseres Handelns zu tun; er muss vielmehr darin als reiner Glaube bewahrt werden, dass er von jeglicher ethischen Applikation freigehalten wird (vgl. 218ff). Unser Tun muss nur so gestaltet sein, dass es nicht den Glauben an Gottes rechtfertigendes Handeln an uns verdrängt, bzw. umgekehrt formuliert, dass es nicht selbst zum Inhalt unseres Glaubens wird. Es darf konsequent nicht mehr sein als ein Prädikat von uns. In der Freiheit des Sohnes erweist sich der Mensch als geschichtsfähig und geschichtsmächtig, d. h. er macht Geschichte und vergeschichtlicht damit die Welt (vgl. 103ff). Mit dieser Zuspitzung kommt Gogarten dort an, worauf das ganze Unternehmen hinzielt, nämlich beim Selbstbewusstsein des neuzeitlichen Menschen als dem Subjekt von Geschichte. Auf dem theologischen Nachweis der ,Legitimität der Neuzeit‘ liegt von vornherein der Akzent seines Argumentationsgefälles, wobei das Interesse um den besonderen Dienst kreist, den der Glaube der nun zu Selbstbewusstsein gelangten Welt anbieten kann. Der Dienst liegt in dem Hinweis auf die Selbstgefährdung der Geschichtlichkeit des Menschen durch Ideologien oder Nihilismus (vgl. 143). Geschichte bleibt unterbestimmt und damit diffus, solange sie nur pragmatisch orientiert ist. Sie bedarf vielmehr, um nicht aus den Fugen zu geraten,
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eines Sinnes, bzw. einer Mitte. Hier taucht nun in eigentümlicher Veränderung die im Grunde schon bei Troeltsch anachronistische Verteidigung der Notwendigkeit des Idealismus für unser neuzeitliches Geschichtsverständnis wieder auf, wobei auch Troeltsch das idealistische Argument für das entscheidende theologische Argument hielt. Der christliche Glaube überlebt gleichsam mit seiner an der Freiheit orientierten Sinnbestimmung der irdischen Geschichte das Christentum. Es ist ausreichend dafür gesorgt, dass die Grenzen zwischen dem Glauben und der Selbstverantwortung des Menschen ungenau genug bleiben, um nicht in einen grundsätzlichen Konflikt mit dem neuzeitlichen Fortschrittspathos zu geraten. Besonders bei der Bestimmung des so verheißungsvoll angekündigten Sinns der Geschichte – also beim Glauben – geht es wohl nicht zufällig höchst abstrakt und inhaltlich verschwommen zu. Denn der Glaube wird schließlich nicht als Antwort auf das fragende Nichtwissen des Menschen um Sinn und Ganzheit verstanden, sondern er bleibt insofern streng eschatologisch zu verstehen (vgl. bes. 180 f), als er uns in das erwartungsvolle Gegenüber zu dem auf uns zukommenden Gott stellen soll (vgl. 129), ohne die Gestalt dieses Zukommens bereits vorwegnehmen zu können. Gerade an dieser Vorstellungslosigkeit ist Gogarten so sehr gelegen, dass er in ihr das Spezifikum des Glaubens festmacht. Die den Menschen bestimmende Zukunft sei nicht die der Welt und damit die der Forderung, sondern die des Zukommens Gottes, das ihn bereits jetzt aus der Umschlossenheit von der Welt befreie (vgl. 183). Darauf zielt die Botschaft des rechtfertigenden Gottes: Der Mensch soll gerade in seiner Selbständigkeit und seinem Herr-Sein über die ihm zu Besitz gegebene Welt seine geschöpfliche Bestimmung erkennen (vgl. 202). Mit der Bewahrung dieser geschöpflichen und zugleich souveränen Freiheit ereignet sich das Heil des Menschen: „In dieser Selbständigkeit der Entscheidung also, die dem Menschen je und je in seiner geschichtlich-konkreten Existenz aufgegeben ist, ereignet sich das von Gott und nur von ihm verwirklichte Heil.“ (204) Sieht man von dem apologetischen Charakter dieses Entwurfes ab, so bleiben m. E. vor allem drei gravierende theologische Problembereiche unbefriedigend gelöst, auf die ich nur in Form von Fragen hinweisen will: 1. Setzt nicht Gogartens distinkte Unterscheidung von Glauben und Vernunft eine an der Lehre von Natur und Gnade orientierte Anthropologie voraus, deren Pointe darin besteht, dass der Gnade vor allem die Rolle zukomme, den Herrschaftsanspruch des Menschen mit dem Hinweis auf seine Vernunftbegabung nun auch über das Gesetz der Natur zu erheben? Von Gogarten wird bestätigt, dass der Mensch zwar mit dem Gesetz der Welt umzugehen habe, dass er aber sein Wesen daraus beziehe, diesem Gesetz gegenüber souverän zu sein. Die durch die Gnade nun geadelte Vernunft des Menschen unterwirft sich die weniger geadelte übrige Natur, ohne von ihrem Adel in aufzeigbarer Weise verpflichtet zu sein. Ist dieser Adel nicht frappant dem Adel des idealistisch konstituierten neuzeitlichen Subjektes ähnlich? Die Tatsache, dass das neuzeitliche Subjekt längst konstituiert war und zwischenzeitlich nur noch mit einer Anzahl
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von Brüchen und Widersprüchen existiert, bevor die Theologie nun einen scheinbar noch ungebrochenen Verwandten dazu aus der Taufe gehoben hat, legt doch zumindest den Verdacht nahe, dass es sich hier um das Verhältnis von Original und Kopie handelt. 2. Ist nicht Gogartens Verständnis von Geschichte dem biblischen Zeugnis von der konkreten Geschichte Gottes mit dem Menschen im alten und neuen Bund ganz und gar zuwiderlaufend? Wird nicht gerade an der doch weithin inhaltslosen Eschatologisierung des Glaubens deutlich, dass Gogarten nicht auf den kritischen Einspruch des von uns gekreuzigten Gottes setzt, sondern zwischenzeitlich doch mehr auf seine irdischen Stellvertreter? Ist das geheimnisumwobene eschatologische Zukommen Gottes tatsächlich mehr als die allen Anfechtungen trotzende Schule des irdisch-geschichtlich so begehrten Optimismus? Aus der Hoffnung des Glaubens ist damit im Grunde ein Vertrauen in den Fortschritt geworden, dem mehr defätistisch als tatsächlich weltbezogen eine das Jenseits befriedende Eschatologie zur Seite steht. Ist dieser Optimismus die säkularisierte Hoffnung des christlichen Glaubens oder ist er nicht vielmehr ein Triumph der Welt des alten Adam über die neue Welt des Reiches Gottes? Und wie verhält sich schließlich diese vom Glauben genährte Hoffnung zur soeben geadelten Vernunft, – bedeutet sie eine Schärfung ihres Wirklichkeitssinnes oder nicht vielmehr eine Verklärung und Trübung und somit Verführung? 3. Der von Gogarten in den Blick genommene Vorgang der Verweltlichung der Welt ist substanziell ein Selbstüberlassungsvorgang, in dem unabgeleiteten Vertrauen, dass sich die Welt, wenn man sie nur lässt, aus sich selbst heraus zu ihrem eigenen Vorteil orientieren werde. Der konsequente Verzicht auf jede theologische Ethik bedeutet ja nicht nur den vielleicht zu verschmerzenden Verzicht auf materiale ethische Entscheidungshilfen, sondern er bedeutet vielmehr die umfassende Verabschiedung des christlichen Glaubens und somit auch der Theologie von unserer konkreten irdisch-geschichtlichen Existenz. Hier wird ganz deutlich, dass die Pointe dieses Vorschlags nicht auf eine Bewegung des Glaubens in die Welt zielt, sondern es geht schlicht um die Rettung eines minimierten bzw. angepassten Glaubens gegenüber einer ihn bedrängenden und verdrängenden Welt. Bedeutet nicht die bedingungslose Konstatierung einer mündigen Welt die konsequente Selbstentmündigung des Glaubens, der schließlich zu einer leicht verschiebbaren Größe mit Überbaufunktion depraviert ? Dem selbstentmündigten Mündel bleibt schließlich nur der weltanschauliche Zeigefinger, und selbst dieser ist nicht unabhängig vom Erwartungshorizont der Welt. Bleibt nicht im Rahmen der Bestimmungen, die Gogarten dem Glauben gibt, tatsächlich nur eine konsequente Verweltlichung der Kirche in den Blick zu nehmen ? Doch diese Verweltlichung der Kirche ist weniger das Ergebnis einer bereits zu sich gekommenen Welt, als vielmehr eines außer sich geratenen Glaubens. Und so bleibt hier schließlich festzustellen : je näher man an die Fleischtöpfe Ägyptens rückt,
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umso mehr verstellt sich der Blick sowohl für das Elend der Welt, die dort zu Tische bittet, als auch das eigene Elend, denn kostenlos ist von den Ägyptern nichts zu haben.
8.2 Die Verkirchlichung der Welt Der Anschein trügt durchaus, ginge man nun einfach davon aus, dass der zweite Weg genau in die entgegengesetzte Richtung führe. Vielmehr handelt es sich hier vor allem um eine konservative Variante des eben beschriebenen Weges. Auch hier geht es auf der ganzen Linie um ein Ergänzungsangebot an die nachvollzogene Neuzeit, das allerdings nicht nur weltanschaulicher, sondern darüber hinaus institutioneller Art ist. Das zur Bestätigung der Neuzeit formulierte Credo ist auch hier der nach individueller Identität Ausschau haltende Mensch, der es sich selbst vorbehalten hat, die für sich gültige Antwort auf das Ganze zu geben, wozu er sich des Angebots der Religion bedient. Die auch hier allein durch Glaubensentscheidung formulierbare Antwort drängt allerdings in sichtbare, erfahrbare und so auch institutionelle Darstellungsformen, die zweifellos vorläufig, aber als solche unerlässlich bleiben, solange der Welt tatsächlich noch der Schutz des Individuums gegen ein am Gattungsbegriff orientiertes Verständnis vom Menschen am Herzen liegen sollte. Deshalb reicht hier nicht – wie bei Gogarten – der unanschauliche Hinweis auf den unsere Fragen und Selbstzweifel umfassenden Glauben, sondern es geht um die in aller Welt zu pflegende Religion als die den Menschen haltende Ausübung seiner selbst, die aber zugleich auch den Institutionen des Menschen, wie etwa dem Staat zu Halt verhelfen soll. Am konsequentesten wird dieser Weg m. E. von Wolfhart Pannenberg begangen mit der impliziten Vision einer verkirchlichten Welt, die, da sie nicht offen als solche zu erkennen ist, nun im Folgenden rekonstruiert werden soll. Noch extensiver als Gogarten trägt Pannenberg gleichsam als ein intellektueller Alchimist, dem kaum eine Wissenschaftsdisziplin fremd zu sein scheint, seine Theologie als einen Teilaspekt einer wissenschaftlichen Gesamterfassung der Wirklichkeit vor, der in der zugestandenen Partikularität allerdings von unüberspringbarer Bedeutung sei. Das funktioniert in einer variabel gehaltenen Mischkalkulation von einer ontologisch orientierten Anthropologie einerseits und einer durchgehend geschichtlich bewegten Wirklichkeitsbeschreibung andererseits. Diese beiden Grundsubstanzen seiner Theorie sind höchst geschickt auch in sich jeweils mit einer weltzugewandten bzw. weltverwandten und einer die vor der Hand liegenden Bedingungen der Welt transzendierenden Seite versehen. Im Blick auf die Anthropologie heißt das, dass Pannenberg einerseits mit der Anthropologie bewusst eine für die Neuzeit spezifische Verständigungsebene aufsucht, die nun zum fundamentaltheologischen Horizont werden
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soll,6 in dem die Theologie ihr Wahrheitsrecht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit gegenüber der atheistischen Kritik verteidigen soll (vgl. 15 f). Andererseits ist die Anthropologie ganz und gar auf die Theologie angewiesen, denn nur sie – und ausdrücklich nicht die Philosophie – vermag ihr die Verwiesenheit auf die Religion angemessen zu erschließen. Hier verlässt sich Pannenberg fest auf eine Natur des Menschen, in der auch die Religion verwurzelt sei.7 Dabei läuft die meist recht aufwendige Argumentation zielstrebig auf den freilich niemals unanfechtbaren Nachweis zu, dass der seine individuelle Identität suchende Mensch prinzipiell nicht ohne Glaubensentscheidung auskomme, zumal Pannenberg offenkundig dem Anschein traut, „daß der Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft nicht politisch oder ökonomisch, sondern eben nur religiös überwindbar ist.“8 Ebenso finden sich in der Geschichtsbetrachtung sowohl die Betonung, dass mit ihr ein unverzichtbares Herzstück des neuzeitlichen Selbstbewusstseins aufgenommen werde, als auch die Auskunft, dass die Geschichte nur unter Berücksichtigung der Religion ihre volle Reichweite entfalten könne. Das Zusammenspiel aller vier Faktoren verleiht dem Entwurf eine erstaunliche intellektuelle Wendigkeit, der allerdings bei aller weitreichenden Umsicht vor allem einen ganz bestimmten Konzentrationspunkt im Auge hält. Das Ziel liegt in der von den Kirchen noch aufzugreifenden Unterbreitung eines religiösen Legitimationsangebotes an unsere Gesellschaft, gemeint ist vor allem das christliche – zumindest ehemals christliche – Abendland, denn hier habe sich eine „Zentralidee des Christentums“ vergeschichtlicht, nämlich die „Behauptung des unendlichen Wertes des Individuums“ (161). Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisen wurzeln „im Verlust des religiösen Fundamentes sittlicher Verpflichtung und der Autorität des Rechts“ (459). „Weil es in den Religionen um die Einheit der Wirklichkeit überhaupt geht, darum kann und muß auch die gesellschaftliche Ordnung des Lebens ihren letzten Bezugsrahmen in der Religion suchen und finden. Denn nur die Religionen […] erfassen das Universum als eine sinnhafte Ordnung, so daß sich auch die Ordnung des gesellschaftlichen Lebens durch ihre Einbettung in den damit gegebenen Zusammenhang als sinnvoll verstehen läßt“ (461). Pannenberg hält die „moderne säkulare Gesellschaft ohne religiös begründete Legitimität“ für gefährdet (462). Der aktuelle Verfallsprozess werde so lange anhalten, „wie die Besinnung auf die religiösen Grundlagen der abendländischen Normvorstellungen für das politische Leben und seine Ordnung vermieden oder vertagt wird.“ (465) Und Pannenberg wagt sich mit seiner Vision noch weiter vor, indem er andeutet, dass im Zeitalter der Ökumene die hoffentlich bald wiedervereinte Kirche als Weltkirche der Welt den Dienst er6 Vgl. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, 424 f; ders., Anthropologie in theologischer Perspektive, 21. – Die Belege aus der Anthropologie finden sich im Folgenden im Text. 7 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie I, 159, 171 f; Ders., Anthropologie, 25ff u. ö. 8 Pannenberg, Einheit der Kirche und Einheit der Menschheit, 16.
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weisen möge, wieder eine „theonome Kultur“ hervorzubringen (vgl. 470). Damit spricht sich Pannenberg gegen den gegenwärtig herrschenden „gleichgültigen Pluralismus“ aus, der in seinem Ergebnis zu „Abstumpfung und Barbarisierung“ führe (vgl. 471). Das Christentum, das sich historisch bereits als überlegen erwiesen habe, soll in der Gestalt einer wiedervereinten Weltkirche der Welt Zukunft geben durch individuelle, gesellschaftliche und schließlich auch geschichtliche Legitimation. Die theologische Antizipation der Zukunft muss dabei so gestaltet sein, „daß der bisher zurückgelegte Weg als Weg zu diesem Ziel gedeutet werden kann“ (512). Pannenberg schlägt vor, das Verständnis der apostolischen Sukzession „auf die Kirche im ganzen zu beziehen“,9 und erhofft sich zugleich von der „Repräsentation der gesamten Christenheit durch ein höchstes Amt“ eine Förderung des Bewusstseins der Einheit der Kirche (These 121).10 Freilich konzediert Pannenberg, dass der autoritäre Charakter des Amtes heute nicht mehr angemessen sei (These 114), zumal die Einheit auf der „gegenseitigen Anerkennung verschiedener Ausprägungen christlichen Lebens und Denkens aus dem Geist der Liebe“ (These 119)11 gegründet sei. Aber gleichzeitig liebäugelt er mit einer Resakramentalisierung des Ordinationsverständnisses, indem er einem durch die Ordination mitgeteilten character indelebilis etwas abzugewinnen vermag. Nur eine ihre Spaltungen überwindende Kirche vermag, glaubwürdig ihrer Bestimmung als „gegenwärtiges Symbol der kommenden Gottesherrschaft“ (These 147) gerecht zu werden. Pannenberg versteht auch die Kirche als Sakrament (= wirksames Zeichen) „der künftigen Einheit der Menschlichkeit.“12 Eben so wird dann die Kirche „unmittelbar relevant als Beispiel für die Lösung des Menschheitsproblems einer übergreifenden Verbindung von Einheit und Vielfalt innerhalb der einzelnen Gesellschaft wie im Verhältnis der Nationen.“ (These 148) Pannenberg denkt also im Weltmaßstab und erwartet sich eben von der Kirche die Lösung des von ihm als entscheidend eingestuften Menschheitsproblems. Das meint die Überschrift zu diesem Kapitel, wenn sie von der Verkirchlichung der Welt spricht; nicht gemeint ist eine kirchliche Weltherrschaft, wohl aber erhofft sich Pannenberg eine christlich motivierte und orientierte Weltpolitik.13 Der systematische Nerv dieses Argumentationsbogens von Pannenberg liegt in der mit der Neuzeit zu vollziehenden Ablösung der reformatorischen Rechtfertigungslehre, von der nur noch die Gottunmittelbarkeit des Glaubens zu bewahren sei. Die „Äußerlichkeit des Rechtsverhältnisses“ (These 67), die allein aus dem reformatorischen „Gegensatz gegen die mittelalterliche 9 Pannenberg, Thesen zur Theologie der Kirche, These 111; im Folgenden wird die jeweilige These im Text angegeben. 10 Vgl. dazu auch Pannenberg, Das Papsttum und die Zukunft der Ökumene. 11 Vgl. Pannenberg, Einheit der Kirche und Einheit der Menschheit, 9, 13. 12 Ebd., 9. 13 Vgl. dazu jetzt auch die nach diesem Aufsatz publizierte Untersuchung von Lange, Religion als Weltbemächtigung.
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Bußlehre“ (These 66) erklärt werden könne, ist ersetzt worden „durch den Gedanken einer sittlichen Beziehung des Menschen zu Gott“ (These 67). Pannenberg will offenkundig ein positiv orientiertes Christentum anbieten und fordert deshalb: „Die Theologie muß heute ein christliches Heilsverständnis entwickeln, das nicht primär an der Schuldfrage, sondern an der Sinnfrage orientiert ist“ (These 67). Von hier aus gerät allerdings die auf den Sockel gehobene Liebe in ein durchaus zweifelhaftes Licht, denn sie wird faktisch – zugespitzt formuliert – die Nachfolgerin der Gerechtigkeit, die dann die Harmonie in der Vielfalt empfiehlt, wobei diese Vielfalt auch die Vielfalt von arm und reich mit einschließt. Auch die Skizze dieses zweiten Weges soll mit drei Fragen abgeschlossen werden: 1. Ist nicht Pannenbergs Überbietungsversuch der Neuzeit insofern eine krasse Unterbietung ihrer Grundsubstanz, als er sowohl das Selbstverständnis des Menschen als auch der gesellschaftlichen Institutionen in eine Begründungsabhängigkeit von kirchlich zu verwaltenden und darzustellenden Grundorientierungen stellt? Dieser Verdacht drängt sich umso mehr auf, als Pannenberg durch eine Resakramentalisierung des kirchlichen Amtes zwar einer Tendenz der ökumenischen Diskussion entspricht,14 damit aber eine ohnehin in Gang befindliche Klerikalisierung der Kirche befördert, die auf nichts anderes zuläuft als ein ebenfalls sakramentalisiertes Wahrheitsbewusstsein, das den ordinierten Religionsagenten – also den Priestern – zumindest ein Darstellungsvorrecht bzw. eine privilegierte Veranschaulichungskompetenz von Religion zumisst, die das Amt dann auch zum besonderen Auftrag der Menschenbildung prädestinieren.15 2. Trotz des pastoralen Belehrungsinteresses, das Pannenberg gerne hinter dem Begriff der Information versteckt, fällt es auf, dass es inhaltlich recht wenig mitzuteilen gibt und davon kaum etwas, was sich nicht die Welt im Horizont ihrer Bedingungen entweder längst selbst mitgeteilt hat oder aber mitzuteilen in der Lage wäre. Die deutliche Anpassungsbereitschaft der theologischen Inhalte an den vor allem geistesgeschichtlich verwalteten Status quo kann m. E. als Hinweis auf eine theologisch unausgewiesene Konkurrenzabhängigkeit der Theologie von einem unterstellten historischen Konsens der neuzeitlichen Humanwissenschaft gewertet werden. Nimmt man diese inhaltliche Unterordnung der Theologie unter außertheologische Denkformen zusammen mit der soeben angezeigten Klerikalisierungstendenz, so ergibt sich die Frage, ob nicht der ganze Vorrang der Theologie im Grunde ein institutioneller Vorrang ist, indem sie der Kirche als legitimer Religionsinstitution zu argumentativer Re14 Pannenberg nimmt seit langer Zeit am ökumenischen Prozess teil, besonders durch seine Mitarbeit in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung; vgl. Pannenberg, Die Arbeit von Faith and Order im Kontext der ökumenischen Bewegung; ders., Die Bedeutung des Bekenntnisses von Nicaea-Konstantinopel; ders., Lima – pro und contra; ders., Herausforderung der Amtstheologie. 15 Die Thesen 133 – 149 sind überschrieben: „Der Beitrag der Kirche zur Bildung der Menschen.“
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ferenz verhilft? Ist nicht bei aller Insistenz auf dem Individuum gerade die institutionelle Begleitung der Exzentrizität des Menschen das entscheidende Movens seiner Theologie? Allein so bekäme auch der kosmopolitische Aspekt seiner Ekklesiologie eine begrenzte Plausibilität. 3. So redlich das Eingeständnis sein mag, dass die Religion nur einen Teilaspekt – wenn auch einen höchst bedeutungsvollen Teilaspekt – unserer Wirklichkeit erfasst, so problematisch bleibt der damit zugleich angezeigte partielle Rückzug aus den anderen Bereichen der Weltlichkeit des Menschen. Freilich ist dieser Rückzug begleitet von der Forderung nach institutioneller Allpräsenz, aber gleichzeitig signalisiert die Konzentration auf die Sinnfrage, dass auch die verkirchlichte Welt von der Kirche nur einen spezifischen Dienst zu erwarten hat, der ihr im Übrigen nicht zu nahe treten wird. Kommt hier nicht die verkirchlichte Welt im Grunde auch bei der von Gogarten verweltlichten Kirche heraus? Ist der institutionelle Vorstoß nicht substanziell mit dem Versprechen gepaart, dass kaum Grund zur Beunruhigung bestehe, denn der Dienst der Kirche bleibt abstrakt genug, um die Alltagsgeschäfte der Menschen und der Gesellschaft nicht direkt zu erreichen? Als Symbol der Heiligkeit soll sie sich ja nicht in die Antagonismen unserer Wirklichkeit einlassen, sondern die Vielfalt liebevoll integrieren. Kann es denn für eine antagonistische Gesellschaft überhaupt ein besseres Angebot geben als dieses? Auch die zum Teil deutlichen gesellschaftskritischen Bemerkungen Pannenbergs erübrigen diese Frage nicht.
8.3 Die Weltlichkeit der Kirche Auch der dritte Weg kann nur mit einigen Zuspitzungen charakterisiert werden. Im Unterschied zu den beiden oben angedeuteten Wegen ist er weniger an einer in diese oder jene Richtung zu intensivierenden Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Welt interessiert, sondern zunächst an einer Radikalisierung des Verständnisses des die Kirche begründenden und einenden Christusbekenntnisses. Christus ist nicht nur das Haupt der Kirche, sondern zugleich der Herr der Welt – „er sitzt zur Rechten Gottes“. Der Blick schweift nicht zuerst in die Umgebung, sondern konzentriert sich zunächst auf die Mitte, um der Gefahr der willkürlichen Abstraktion zu entgehen. Alles entscheidet sich bereits in den Prolegomena, nämlich in der Frage nach der Reichweite der im Glauben wahrgenommenen Wirklichkeit. Bekommt der Glaube darin seine wirklichkeitserschließende Kraft, dass wir ihn auf die Beobachtungen und Konflikte unserer Weltwahrnehmungen beziehen, oder – und das hat am konsequentesten Karl Barth herausgestellt – werden wir in ihm nicht nur mit dem tragenden Grund, sondern mit dem realen Geschehen unserer Wirklichkeit selbst konfrontiert, in dem dann auch unsere Beobachtungen und Konflikte ihren Platz finden? Oder noch zugespitzter gefragt: Geht es dem Glauben um die Bedeut-
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samkeit Christi, um seine Lehre und seinen Lebenswandel, die uns nach wie vor zu denken geben, d. h. geht es um eine möglichst umsichtige und konsequenzenreiche Christologie als Hermeneutik unserer Wirklichkeit, oder geht es dem Glauben um den auferstandenen und heute lebendigen Christus als die das Geschehen der Gegenwart bestimmende Wirklichkeit? Nach Barth stellt sich hier für die Gemeinde die entscheidende „Probe der Echtheit ihrer Existenz“.16 Nicht ein Prinzip zur Wirklichkeitsbestimmung wird uns in Christus an die Hand gegeben, sondern uns werden in ihm die Augen für das Wirken Gottes an und in unserer Welt geöffnet. Die Konzentration auf die Mitte bedeutet nicht mehr und nicht weniger als den je neu zu vollziehenden Versuch, möglichst konsequent nachzuvollziehen, dass Christus das Licht der Welt ist,17 und zwar mit der wohl existenziell immer wieder angefochtenen, dem Glauben aber substanziell nicht freigestellten Gewissheit, damit die wirkliche Welt und nicht nur eine gedachte zur Sprache zu bringen.18 Das klingt sehr steil, ist aber nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, den zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses konsequent zu Ende zu denken. So wie die Hoffnung auf Christus von kosmopolitischer Weite gekennzeichnet ist und nicht nur Erlösung für die Kirche erwartet, so bleibt auch Christi Gegenwart nicht auf die Kirche beschränkt. Das Bekenntnis zu Christus hat also von vornherein einen Weltbezug, der nicht erst durch eine Überbietung der der Kirche zugewandten Fürsorge Gottes hergestellt werden muss, sondern der umgekehrt der Kirche erst ihre besondere Bestimmung in der Welt gibt. Die Kirche ist ein Teil der Welt, die Gott mit sich versöhnt hat (2Kor 5,19). Sie hat ihre besondere Auszeichnung lediglich darin, dass sie bereits die Weltherrschaft Jesu Christi anerkennt und sich in ihrem Leben von ihr orientieren lässt und somit nicht mehr teilnimmt an dem gegen die Gerechtigkeit Gottes geführten Kampf des sich selbst wollenden Menschen. Schon die Annahme, dass Christus in der Kirche bevorzugt wirke, verzerrt die Perspektive und entstellt damit den tatsächlichen Vorzug der Kirche. Auch die in der Kirche geglaubte Einheit mit Christus bedeutet gerade nicht die Aufhebung des Gegenübers zu ihm.19 Das Gegenüber ist aber sein Gegenüber zur Welt, in dem es keine absoluten Unterschiede zwischen Kirche und Welt gibt. Die Differenz zwischen Kirche und Welt kann nur eine höchst relative Differenz sein im vereinenden Horizont einer gemeinsamen Weltlichkeit.20 Zumindest gibt es keinerlei Anlass für die Kirche, sich einer besonderen Gottesverwandtschaft zu rühmen, in der sie über die sie umgebende Welt irgendwie erhoben würde. Die zu beachtende prinzipielle Differenz bleibt die zwischen Schöpfer und Geschöpf und wird niemals die zwischen Kirche und 16 17 18 19 20
KD IV/3, 815. Vgl. dazu o. Kap. 5. Das ist das zentrale Thema von KD IV/3. Vgl. Weber, Kirche und Welt nach Karl Barth. Vgl. KD IV/1, 794. Vgl. dazu u. Kap. 11.5.
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Welt, denn beide stehen als Geschöpfe Gott gegenüber und sind damit gegenseitig genuin verwandt. Der Gewinn dieses theologischen Ansatzes ist vor allem darin zu finden, dass er das Selbstbewusstsein der Kirche konstitutiv an die sie umgebende Welt bindet, ohne es dem gerade aktuellen Selbstbewusstsein der Welt auszuliefern. Er erweist sich gerade in der Betonung der von uns irdisch-geschichtlich nicht abzubildenden, wohl aber tätig zu bezeugenden Universalität Gottes – die im Übrigen nicht einfach die Universalität des allmächtigen, sondern die des gekreuzigten Gottes ist – sowohl dem Ansatz, der so sehr von der zutiefst undialektischen Mündigkeitserklärung der Welt beeindruckt ist, als auch seiner klerikal-konservativen Variante als überlegen. Die Weltzugewandtheit Gottes konstituiert eine Weltlichkeit der Kirche, die sich weder in einer Bekräftigungsfunktion noch einer Bevormundungsintention gegenüber der selbstbewussten Welt ergeht. Ihre Weltlichkeit stellt sich vielmehr in eine prinzipiell nicht suspendierbare essenzielle und existenzielle Solidarität mit der Welt und ihrem Leiden an der Verborgenheit Gottes. Diese Solidarität hat darin ihre besondere Bestimmung, dass sie die Welt davor warnt, diese Verborgenheit leichtfertig durch Gottessubstitute vergessen zu machen oder sie gar geringschätzig – diese Geringschätzigkeit ist häufig auch Ausdruck der Geringschätzigkeit des Menschen – zu überspielen. Der Platz Gottes wird nach wie vor irdisch-geschichtlich von Usurpatoren besetzt, denen gegenüber sich die Welt bisher als ,zuwenig Welt‘ und eben nicht als ,zu weltlich‘ erwiesen hat. Es ist die Nichtweltlichkeit der Welt, in der die Kirche als Zeuge der Weltlichkeit gefordert ist. Als solche erweist sie ihre Solidarität mit der Welt darin, dass sie bekennt, dass sie ebenso wenig wie die sie umgebende Welt aus eigener Veranlassung von der Weltlichkeit der Welt zu sprechen vermag. Indem sie der Welt bekennt, dass das, was die Weltlichkeit der Welt tatsächlich ausmacht, die Welt sich ebenso wenig selbst sagen kann wie die Kirche, bleibt sie neben dem Weltmenschen stehen, ohne sich über ihn zu erheben, und weist von sich weg auf das die Weltlichkeit der Welt erleuchtende Licht der Gnade Gottes. Die Kirche bekennt gegen den Augenschein Gottes spezifische Parteinahme für die Welt, in der die Welt den beliebig austauschbaren Selbstbewertungen entnommen wird. Der Modus des Bekennens verbietet nicht nur jede Selbstzurechnung, sondern bestätigt auch das weltliche Leiden an der Verborgenheit Gottes und ist somit auch stets Ausdruck der Weltlichkeit der Kirche, die sich in ihrem Reden eben nicht auf eine ihr zur Verfügung stehende Möglichkeit beruft. Die Kirche demonstriert in ihrer eigenen Begrenztheit, deren Überspielungsversuche offenkundig regelmäßig als ihre Bestätigung ausfallen, ihr eigenes Gegenübersein zu der von ihr verkündeten Botschaft und gibt damit nicht nur die Verwiesenheit der Welt auf die Selbstoffenbarung Gottes, sondern zugleich auch ihre eigene Verwiesenheit zu erkennen. Ihr Vorzug, um dessen willen sie schließlich in die Welt gesandt ist, besteht lediglich im Glauben an die Anrufbarkeit
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Gottes in Jesus Christus als demjenigen, in dem sich seine Parteinahme für die Welt tatsächlich vollzieht. In der Wahrnehmung der Weltlichkeit des Evangeliums, d. h. der realen Parteinahme Gottes für die Welt, entdeckt die Kirche ihre eigene weltliche Bestimmung. Weder ihre eigene Weltlichkeit noch die der sie umgebenden Welt kann ihr gleichgültig sein. Vielmehr lernt sie ihr Bekenntnis zu Jesus Christus substanziell als Einweisung in die wirkliche Welt und ihre Geschichte zu verstehen. Als diese in ihre Weltlichkeit eingewiesene Kirche ist sie auch an die Welt gewiesen, d. h. in die Welt gesandt. Wird im Horizont der Ekklesiologie von der Welt gesprochen, so kommen stets beide Dimensionen in den Blick. Die Selbstvergewisserung der Kirche ist essenziell an ihre Sendung gebunden. Von hier aus lässt sich die gebräuchliche Unterscheidung von innerer und äußerer Mission in ihrem unauflöslichen Zusammenhang aufgreifen und die apostolische Existenz der Kirche auf beide Dimensionen beziehen. Die Bezeugung Jesu Christi bedeutet eine konsequente Verweltlichung der Welt. Hier liegt schließlich der entscheidende Grund dafür, dass die Sendung der Kirche in die Welt niemals aus einem besonderen Exklusivbewusstsein der Kirche ableitbar ist. Die Kirche „ist profaner als die übrige sie umgebende Welt, weil gerade der auf Gott hörende Mensch – und in Wahrheit nur er! – um seine Profanität weiß. […] In der Kirche werden die Grenzen des Menschlichen gewahrt und bewacht, in der Kirche werden keine Götter angebetet, in der Kirche werden keine Ideologien gepflegt, in der Kirche muß der Mensch sich selbst nüchtern sehen und verstehen […] Das Geheimnis der Welt ist doch die Nicht-Existenz ihrer Götter. Und es kostet der Welt Tränen und Blut genug, daß sie dieses Geheimnis immer wieder leugnen und die Natur und die Geschichte mit Göttern bevölkern möchte; der Grund ihrer Unruhe ist ihre Weigerung, sich zu ihrer Profanität zu bekennen. Die Kirche weiß um dieses Geheimnis der Welt. Sie darf sich durch keine Vorwürfe und Anklagen darin irremachen lassen. Gerade damit hält sie der Welt Treue.“21
Die Kirche hat also der Welt nicht ihrerseits einen Sakramentalisierungsversuch vorzuführen und ihr damit in ihrem unablässigen Aufrichten von mehr oder weniger haltbaren Tempeln und Altären in Wirtschaft, Politik und Kultur Recht zu geben. Die Welt bedarf vielmehr der Entzauberung und damit der Ernüchterung, – wenn irgendwo, dann ist hier mit aller Konsequenz Entmythologisierung angesagt. So darf die Kirche auch in ihrer geschichtlichen Existenz nicht den Eindruck erwecken, sie sei „ein supranaturales Institut kultischer Distribution und Konsumtion göttlicher Heilmittel oder Gnadengaben“;22 vielmehr sollte sie ein Vorbild an Weltlichkeit sein.23 Für die Grundbestimmung der weltlichen Existenz des Christen bedeutet dies, dass er 21 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 169 f. 22 Geyer, Wahre Kirche?, 472. 23 Vgl. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 80.
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„sich den anderen Weltmenschen darin am auffallendsten als Nonkonformist, als Eiferer um die Ehre Gottes, darin am bemerkenswertesten als Zeuge dessen darstellen [wird], was er (selber ein Weltmensch unter den Anderen seiner Art) zu vertreten hat, daß er ihnen das Bild eines seltsam menschlichen Menschen bietet.“24 Die Sendung des Christen und der Kirche ist Ausdruck ihrer besonderen Teilnahme an der Welt und ihrem geschichtlichen Leben. Es liegt genau in dieser Linie des Bekenntnisses zur Weltherrschaft Jesu Christi, wenn HansGeorg Geyer die Kirche unter den Anspruch stellt, dass sie im Grunde der Welt die umwälzende Bewegung von ihrer selbstzerstörerischen Gottesfeindschaft in die lebendige Weltlichkeit der Gotteskindschaft zu präludieren habe.25 Ein solches Präludium lebt aus einer stets verbesserungsbedürftigen und -fähigen Stimmigkeit von Inhalt und Form, so dass das Tatzeugnis mit dem Wortzeugnis zumindest auf eine Stufe rückt, wenn es dieses nicht sogar – besonders im Blick auf die nicht-christliche Welt – in dem Maße überragen müsste, wie auch sonst in unserem Leben das Tun weit mehr über unsere tatsächliche ,Sendung‘ aussagt als unser Reden. „Das Erste und Eigentliche, was ihm als Weltmenschen unter Weltmenschen obliegt, kann aber – […] – nur der 1Petr 3,1 der christlichen Frau (!) empfohlene ,Wandel ohne Worte‘ sein: kann nur darin bestehen, daß er sich als Hörer des Wortes und daß er damit dessen Präsenz damit dokumentiert, bemerkbar und beachtlich macht, daß er ihm faktisch nach dem Maß seines Glaubens und seiner Erkenntnis Folge gibt und also in ihrer Mitte sein Täter wird und ist.“26 Der Glaube an Gottes Gerechtigkeit ist keineswegs empfindlich gegen ein „bißchen Werkgerechtigkeit und Werkheiligkeit – es wird ja sicher nie sehr weit her sein damit! […] Gefährlich ist hier nur die Versuchung, aus lauter Angst, man könnte ein allzu gerechter und allzu heiliger Werkmensch werden – wie ist diese Angst doch so unbegründet! –, gerade da passiv zu bleiben, wo es nun wirklich gilt, im vollen Wissen um seine Grenzen aktiv zu werden.“27 Je mehr die Kirche ihre eigene Weltlichkeit und die gerade mit ihr gegebene Sendung in die Welt wahrnimmt, umso weniger wird sie in die Versuchung der Selbstüberschätzung geraten oder gar eine Verkirchlichung der Welt erstreben, sondern ihre Zuversicht ganz und gar auf den Auferstandenen und das von ihm heraufgeführte Reich setzen.28 Sie erkennt gerade im Spiegel der Weltlichkeit, wie sehr sie als Kirche faktisch sich selbst diskreditiert.29 Indem sie von sich aus ihre Rede von ,Gott und der Welt‘ niemals über die irdischgeschichtliche Ambivalenz der Religion hinauszuheben vermag, steht sie in 24 25 26 27 28 29
Barth, Das christliche Leben, 346. Vgl. ebd., 494. Ebd., 342 f. Ebd., 459. Vgl. Barth, KD IV/2, 764 f. Vgl. Geyer, Wahre Kirche?, 478 f.
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der Versuchung, aus einer unausweichlichen Verlegenheit30 eine Position zu machen und sich als ein verlässlicher Religionsverwalter anzubieten.31 Alle Formen des Klerikalismus vergessen allzu schnell, „daß religiöse Herrschaft, eine im großen oder kleinen Maßstab durch äußere oder geistige Mittel im Namen Gottes über die Gewissen ausgeübte Herrschaft, die furchtbarste, die schlechthin fluchwürdige Form menschlicher Herrschaft wäre.“32 Eine auf diese oder jede andere Weise das Gegenüber zur Welt suchende Kirche kann nur eine Kirche sein, die auf beiden Seiten hinkt, denn einerseits erweist ihre Selbstpartikularisierung gerade die Aussichtslosigkeit des Versuches, ihr eigenes Verfallensein an die Welt zu vertuschen, und andererseits offenbart ihr Versuch der Inanspruchnahme Gottes nur das Elend des in die Hände des Menschen geratenen Gottes. Orientiert sich die Kirche hingegen tatsächlich an ihrer Weltlichkeit, so werden ihr weder die Wahnvorstellungen von einer mündigen Sohnschaft noch irgendein aus den gegenwärtigen Verhältnissen abzuleitender Optimismus in den Sinn kommen. Vielmehr wird sie in der nüchternen Erkenntnis ihrer „gründlichsten Unvollkommenheit“33 froh bleiben, dass wir durch unsere Unmündigkeit nicht von der Gotteskindschaft ausgeschlossen bleiben. Bevor sich die Christen im Rahmen der Gottesherrschaft selbst zu viel zutrauen, steht es ihnen besser an, nicht mehr sein zu wollen als „unentbehrliche kleine Laufburschen und Laufmädchen“,34 die als solche durchaus einen distinkten Auftrag haben. Die ganze Existenz ist von dem lebendigen Gegenüber von Gott und Welt bestimmt, so dass der Kirche für sich selbst kaum Zeit bleiben wird, nun mehr als ein ,provisorisches Haus‘35 zu bauen, wenn sie nicht sogar grundsätzlich besser beraten ist, es bei einem ,Wanderzelt‘36 zu belassen, um sich die Beweglichkeit zu bewahren, die eben nötig wird, wenn es nicht vor allem um Traditionsverwaltung, sondern um die heute lebendige Beziehung zwischen Gott und Mensch gehen soll.37 Verheißung liegt allein darauf, dass sie sich ganz und gar in die Welt hineinstellen lässt, um von dort aus Gott anzurufen und um die Kraft des Heiligen Geistes zu bitten, dass sie sich nicht an den unablässigen Selbstheiligungs-, d. h. Entweltlichungsversuchen beteiligt, mit denen sich die Welt über ihre kreatürliche Endlichkeit hinwegzutäuschen bemüht. Sodann und in konsequenter Fortsetzung des Gebets gibt es ausreichend zu tun, sowohl im Aufbau der Gemeinde als auch im Gottesdienst im Alltag der Welt. Hier wie dort geht 30 31 32 33 34 35 36 37
Vgl. o. Anm. 19. Vgl. dazu ausführlicher Weinrich, Das Priestertum ohne Priesteramt. Barth, Offenbarung Kirche, Theologie,173. Barth, KD IV/2, 742. Barth, Das christliche Leben, 159. Barth, KD IV/2, 710. Barth, KD IV/1, 738. Von hier aus wäre auch das Problem der Ökumene neu zu beleuchten; vgl. dazu meine Beiträge im Literaturverzeichnis.
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es um unsere lebendige weltliche Antwort, die allein aus dem Hören, dem Verstehen und dem Nachsprechen der Geschichte kommen kann, die Gott mit seinem Volk gegangen ist und heute geht. So erschließt sich die kosmopolitische Bestimmung der christlichen Existenz durch das Evangelium: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf dem Berge liegt, kann nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an, und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter ; dann leuchtet es allen, die im Hause sind. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen.“ (Mt 5,14 – 16)
9. Missio Dei und die Sendung der Kirche Systematisch-theologische Anregungen in der Perspektive von Karl Barth1 Im November hatten wir im Ökumenischen Institut an unserer Fakultät in Bochum Bischof Kameeta von der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Republik Namibia zu Gast. Er kam zu uns als ein Missionar aus dem Süden, der dem Norden helfen will, sich von seiner andauernden Distanzierung gegenüber der Mission aufgrund der belasteten Vergangenheit zu befreien. Ich muss gestehen, dass ich mich unmittelbar angesprochen fühlte als jemand, für den das Wort Mission so belastet ist, dass es im Grunde in meinem konstruktiven theologischen Vokabular gar nicht vorkommt. Es ist ja nicht nur die Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart tritt Mission insbesondere im evangelikalen Spektrum in höchst problematischer Weise in Erscheinung: In theatralisch inszenierten Großveranstaltungen oder sich jugendlich-jovial gebenden Zeltmissionen, die auf die persönliche voluntaristische Bekehrung angelegt sind, wird ein auf das eigene individuelle Heil bezogener Frömmigkeitsstil propagiert, der mehr zur religiösen Selbstbestätigung als zu tatsächlicher Ehrfurcht vor Gott geeignet erscheint. Wenn das Mission ist, möchte ich dazu weiterhin meine Distanz wahren. Auch die erstaunliche Konjunktur, die heute das Wort Spiritualität genießt, lässt mich in der Regel etwas ratlos am Rande stehen, weil mich die verbreitete Zustimmung zu etwas so Nebulösem und beinahe beliebig Adaptierbarem bisher mehr befremdet als überzeugt. Nun war Bischof Kameeta nicht aus Namibia zu uns gekommen, um uns einfach ein gutes Gewissen zu machen oder uns gar reinzuwaschen von den Hypotheken der Missionsgeschichte. Aber er wollte uns daran erinnern, dass Kirche und Mission in gewisser Hinsicht Synonyme seien: Nicht für sich kann Kirche rechte Kirche sein, sondern sie ist es erst in ihrer Sendung (ich vermeide schon wieder das Wort Mission). Ohne die Sendung bleibt jedes Ver1 Vortrag auf der von der Church of England und der EKD im Rahmen der Meißenvereinbarung durchgeführten theologischen Konferenz „Ekklesiologie in missionarischer Perspektive“ vom 11. – 14.01.2011 in Salisbury. Infolge einer Erkrankung konnte der Vortrag nur schriftlich vorgelegt werden; erschienen in: Christoph Ernst / Christopher Hill / Leslie Nathaniel / Friederike Nìssel (Hg.), Ekklesiologie in missionarischer Perspektive – Ecclesiology in Mission Perspective. Beiträge zur siebenten Theologischen Konferenz im Rahmen des MeissenProzesses der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland, Salisbury/ England 2011, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012, 91 – 103 (engl. Fassung ebd., 104 – 115); Abdruck hier in leicht überarbeiteter Fassung. Der Beitrag ist Juhsz Tams zu seinem 65. Geb. gewidmet.
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ständnis der Kirche ein Widerspruch in sich selbst. Das kann auch nicht durch die überaus problematische Missionsgeschichte in Frage gestellt werden, es sei denn man stellt die Berechtigung der Kirche als solche in Frage. Wenn das aber so ist, dann muss sich umgekehrt begründet benennen lassen, wie die missionarische Dimension der Ekklesiologie zu verstehen ist. In der Literatur wird immer wieder die Weltmissionskonferenz 1952 in Willingen genannt als der Wendepunkt zu einem grundlegend neuen Missionsverständnis, das nicht in erster Linie auf die Aktivitäten der Kirche fokussiert ist, sondern seinen Ausgang in der Missio Dei findet, ohne die alle menschlichen Anstrengungen ins Leere gehen. Und dann wird gern darauf verwiesen, dass es Karl Barth gewesen sei, der dieses Konzept der Missio Dei bereits in den 1930er Jahren bedacht habe.2 Darrell Guder sieht in Barth einen Pionier für eine grundlegende Neuorientierung in der Ekklesiologie und im Missionsverständnis.3 Der lutherische dänische Missionstheologe Johannes Aargard nennt Barth den entscheidenden protestantischen Missionstheologen seiner Zeit.4 Der südafrikanische Missionstheologe David Jacobus Bosch, der sowohl vom Ökumenischen Rat der Kirchen (World Council of Churches) als auch von der Weltweiten Evangelischen Allianz (World Evangelical Alliance) geachtet wird, attestiert Barth in seinem grundlegenden Werk zum Wandel in der Missionstheologie eine überzeugende und konsistente missionarische Ekklesiologie.5 Der methodistische Ethiker Wessel Bentley – ebenfalls Südafrika – stellt Barths Ekklesiologie ganz und gar in den Horizont der Mission.6 All dies war für mich Grund genug, bei Barth einmal genauer nachzusehen und zu fragen, ob uns von hier aus für unsere gegenwärtige Situation hilfreiche Anregungen erreichen können. Es können nur erste Früchte des Fragens sein, die sich in diesem Rahmen präsentieren lassen. Wenn ich durchaus hoffnungsvoll so weit zurückblicke, gehe ich davon aus, dass Barth zu den wenigen Theologen des 20. Jahrhunderts gehört, die nüchtern und ohne einen fehlgeleiteten Eifer von einer weitreichenden, auch
2 Zuletzt Avis, Reshaping Ecumenical Theology, 35. Als ich meinen Vortrag vorbereitete war es mir nicht möglich, das kürzlich erschienene ausgezeichnete Buch von Flett, The Witness of God, einzusehen. Flett zeigt auf, dass es zwischen Barth 1932 und Willingen 1952 keine wirklich aufzeigbare Verbindung gibt. Er bietet einerseits ein sehr differenziertes Bild der Entstehung des Missio Dei Konzepts und entfaltet andererseits die substanziell missionarisch geprägte Gestalt der Ekklesiologie Barths. Selbst wenn es zwischen den beiden Themen keine unmittelbare Verbindung gibt, fühle ich mich doch entschieden bestätigt im Blick auf den herausgehobenen Akzent, den Barth auf die Mission als der entscheidenden Bestimmung der Kirche legt und dabei durchaus sachliche Berührungspunkte zu dem später diskutierten Missio Dei Konzept aufweist. In dieser Hinsicht werden meine Überlegungen zu Barth in ihrem Hauptanliegen ganz und gar unterstrichen und zugleich durch weitere Aspekte bereichert. 3 Guder, From Mission and Theology to Missional Theology (Internetquelle). 4 Aargard, Some Main Trends in Modern Protestant Missiology, 238. 5 Bosch, Transforming Mission, 373, 390. 6 Bentley, Karl Barth’s understanding of Mission.
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Missio Dei und die Sendung der Kirche
in die Kirche hineinreichenden Säkularisierung der Gesellschaft ausgehen.7 Und zugleich hebt er gegenüber den anhaltenden religiösen Neigungen gerade auch der säkularisierten Welt die radikale Weltlichkeit der Kirche hervor, in der er die Kirche in konsequenter Solidarität an die Seite der „Welt“ gestellt sieht.8 Seine breite Erörterung des prophetischen Amtes Jesu Christi in seiner Versöhnungslehre (KD IV/3) weist ihn als einen modernen Theologen aus, der unter Verzicht auf alle Apologetik, die zwangsläufig auf eine Selbstüberforderung zuläuft, die Ekklesiologie ganz und gar in den Horizont der Sendung der Kirche gestellt hat.9 Folgende Fragen werden im Folgenden bedacht: 1. Wie ist das Verhältnis der Kirche zur Welt zu denken? 2. Warum kommt es auf die Missio Dei an? 3. Was heißt missionarische Ekklesiologie in der Perspektive von Karl Barth?
9.1 Das erste Gebot als Einweisung in die Welt Die einen sehen die Kirchen von der nicht nachlassenden Brandung der um sich greifenden Säkularisierung bedroht. Heute kommt ein neuer missionarisch und teilweise aggressiv auftretender Atheismus dazu.10 Andere wittern einen religiösen Frühling und schwärmen bereits bei vereinzelten Knospen von der zu erwartenden Blütenpracht, während wiederum andere genau diese Blütenpracht eher fürchten als begrüßen, weil es von der Religion, die da mit ihren Reizen zu wuchern beginnt, mehr zu befürchten als zu erhoffen gibt.11 Die einen fordern von der Kirche eine konsequente Unterstützung der religiösen Selbstinterpretation des Sinn suchenden säkularen Individuums, andere trommeln für eine entschlossene Förderung der Spiritualität, um die vermeintlich bereits hereinstürzende Flut der Religion auf die Mühlen der Kirchen zu lenken, während wiederum andere auf eine marktorientierte und offensive Traditionsfortschreibung setzen, in der die vermuteten eigenen Stärken in besonderer Weise ins Fenster gestellt werden sollen. In jedem Fall beruft sich die Diagnose auf gesellschaftliche Entwicklungen und darin identifizierbare Veränderungen, die spezifische Reaktionen und neue Optionen erforderlich machen. Die in der veränderten Situation ins Auge zu fassenden Perspektiven setzen auf zu mobilisierende Potenziale der verfassten 7 Vgl. beispielsweise Barth, Das Evangelium in der Gegenwart, 30ff; vgl. dazu Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit; Busch, Die Kirche am Ende ihrer Weltgeltung; vgl. u. Kap. 15. 8 Vgl. o. Kap. 8. 9 Vgl. dazu Siller, Kirche für die Welt. 10 Neben den auflagenstarken Publikationen von Einzelfiguren wie Pascal Boyer, Richard Dawkins, Daniel C. Dennet, Sam Harris, Norbert Hoerster, Michel Onfray u. a. ist in Deutschland auch auf die Aktivitäten der Humanistischen Union und anderer Weltanschauungsgemeinschaften zu verweisen. 11 Vgl. dazu Weinrich, Religion und Religionskritik, 310 ff.
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Kirchen, die um ihrer Erhaltung und eben auch – was besonders kühn ist – ihres Wachstums willen nun eine bisher vernachlässigte besondere Aufmerksamkeit verdienen. In Deutschland spiegelt sich das in zwei durchaus zusammengehörigen Parolen: „Wachsen gegen den Trend“ und „Evangelisch aus gutem Grund“, die wie zwei Blankoschecks herumgereicht werden, auf denen dann jeder einen Betrag eintragen mag, der allgemein als verheißungsvoll gefeiert wird, ohne zu wissen, ob die Schecks überhaupt über die nötige Deckung verfügen. Niemand wird bestreiten wollen, dass es Reformbedarf gibt; für eine Kirche, die so gern vom „semper reformanda“ spricht, sollte dies auch keine Überraschung sein. Es ist evident, dass es immensen Bedarf gibt, neu und auch selbstkritisch über die Sendung der Kirche nachzudenken. Es ist allerdings die Frage, wie grundsätzlich dieses Nachdenken vorgenommen wird und auf welche Weise es sich zu orientieren versucht. Einer der Grundimpulse der Reformation war die feste Verankerung der Kirche in der Welt. Die Ernüchterung gegenüber der Autorität des Papstes ging mit einer konsequenten Ernüchterung gegenüber dem Repräsentanzmotiv der Kirche bzw. des kirchlichen Amtes einher. Die Vorstellung, dass die Kirche oder auch nur ihr Amt in irgendeiner Hinsicht als eine Repräsentation Christi in dieser Welt anzusehen sei, wird abgewiesen. Die Kirche ist in keiner Weise der irdische Spiegel einer himmlischen Wirklichkeit, als welcher sie sich der Welt präsentieren und empfehlen könnte, sondern sie bleibt auch in ihrem Erwähltsein von Gott ganz und gar ein Teil dieser Welt, der grundsätzlich den gleichen Bedingungen unterworfen ist wie die sie umgebende Welt. Weder sie noch auch nur das geweihte Amt sind in irgendeiner Weise über die Welt erhoben oder könnten gar dieser gegenüber auf bei ihr zu findende oder gar zu erlebende Privilegien verweisen. Die Kirche zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie einen besonderen Blick in den Himmel vermitteln könnte, um infolge ihrer besonderen Nähe zu Gott einen Teil seines Geheimnisses erhellen zu können. Sie hat keinen Schatz, den sie nun mit mehr oder weniger vollen Händen in der Welt austeilen könnte, um damit die Welt zu beglücken und sich auf diese Weise in der Welt attraktiv zu machen. Vielmehr unterscheidet sie sich von der sie umgebenden Welt vor allem dadurch, dass sie die Welt nicht nur in dem Licht sieht, mit dem sich die Welt selbst zu beleuchten versucht, sondern sie sieht die Welt und somit auch sich selbst im Lichte Gottes, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat und von dem es bei Johannes heißt, dass er das Licht der Welt sei (Joh 8,12). Es kann also – mit Karl Barth gesprochen – weder die Aufgabe der Theologie noch der Kirche sein, „mit einem auf der Erde aufgestellten Scheinwerfer den Himmel abzuleuchten […], sondern sie wird versuchen, die Erde im Lichte des Himmel zu sehen und zu verstehen.“12 Es geht nicht um religiöse Erhebung über diese Welt, ebenso wenig wie um eine religiöse Verklärung. Religion und Spiritualität können entschieden nicht das Primäre sein; sie 12 Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, 139.
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stehen nur dann unter einem guten Stern, wenn sie etwas Sekundäres sind – eben die menschliche und somit weltliche Reaktion auf etwas Primäres, was nicht wir Menschen inszenieren, sondern was vom Handeln Gottes ausgeht und zwar von dem Handeln Gottes, in der er uns die Augen über uns und den Zustand der Welt öffnet. Glaubenserkenntnis ist fundamental und nachhaltig Welterkenntnis, d. h. die Erkenntnis der im Lichte des lebendigen Gottes wahrgenommenen Welt. Der Glaube entnimmt uns nicht der Welt – er ist ganz und gar nicht das Angebot, der Welt den Rücken zukehren zu dürfen13 –, sondern er steht für eine besondere Art der Einweisung in diese Welt, die dadurch ermöglicht wird, dass ihre wahre Wirklichkeit erst im Lichte Gottes erkennbar wird. Die Welt erklärt sich nicht selbst. Gewiss gibt sie viel zu sehen, und manche Zusammenhänge lassen sich erkennen und beschreiben. Aber ihre Bestimmung liegt nicht offen zutage, so dass auch immer wieder und teilweise sogar mit missionarischem Eifer die nicht einfach von der Hand zu weisende Vermutung geäußert wird, dass sie keine habe. Doch damit hat sich die Menschheit in der Regel nicht zufrieden gegeben. Vielmehr hat sie entweder eigene – meist flackernde – Lichtlein angezündet oder ist den Lichtern gefolgt, die von den Göttern in ihr angezündet wurden, wobei die Menschen immer wieder der Neigung nachgegeben haben, diesen Göttern ihre eigenen Fackeln in die Hand zu geben. Ohne uns von diesem Selbstbetrug irritieren zu lassen, folgen wir gern vor allem den Erhellungen, die wir selbst veranlassen, auch wenn die Erfahrung zeigt, dass sie allzu schnell vom Zweifel verdunkelt werden können, um dann neuen Ideen Platz zu machen, die ebenso wenig dauerhaft haltbar sind. Die Wirklichkeit der Welt zeigt sich im Schein höchst unterschiedlicher Lichter, so dass im Grunde von unterschiedlichen Wirklichkeiten zu sprechen ist. Die zahlreichen Erhellungsversuche werfen je andere Schatten und lassen uns jeweils eine andere Welt entdecken, je nachdem, was das Licht gerade ins Helle rückt bzw. im Dunkel verschwinden lässt. Unsere Weltanschauungen sind solche Beleuchtungen unserer Wirklichkeit, die dann zu Ideologien werden, wenn sie sich jeweils als die einzig wahre Wirklichkeitsbeleuchtung aufspielen. Wenn die Kirche von Gott redet, spricht sie auch von einem Licht, das uns die Wirklichkeit erhellt. Sie ist davon überzeugt, dass das von ihr wahrgenommene Licht das alles erhellende Licht ist, das alle anderen Lichter überstrahlt bzw. sich in ihnen widerspiegelt. Wenn die Kirche sich selber treu ist, folgt sie dem trinitarisch verstandenen ersten Gebot, dass zwar keine anderen Lichter ausschließt, diese aber konsequent diesem einen Licht unterordnet. Im 13 Die Kirche ist keine Rettungsinsel, auf der wir der von Sünde und Tod gezeichneten Welt entkommen könnten, d. h. sie kann „keineswegs als göttliche Veranstaltung zur Befriedigung der hinsichtlich dieser Erfüllung vorliegenden Bedürfnisse“ angesehen werden (KD II/2, 474). Die Kirche existiert nicht als Selbstzweck, sondern sie ist das Organ, durch das die mannigfaltige Weisheit Gottes bekannt gemacht werden soll (475); sie ist im doppelten Sinne apostolisch: sie bezieht sich auf die Apostel und ist zugleich, wie diese, eine gesendete Kirche (477).
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Lichte dieses Himmelslichtes verblassen unsere irdischen Laternen der Selbsterhellung, so dass sie eingereiht werden in die irdische Wirklichkeit, ohne dass ihnen noch letztinstanzliche Bedeutung zugemessen werden kann. Barth spricht pointiert von einer Entgötterung der Welt, die sich durch das InErscheinung-Treten des lebendigen Gottes vollziehe, denn das Offenbarwerden Gottes komme einer Entmythologisierung der Welt gleich. Das Licht Gottes entlarvt nicht nur die kurze Reichweite unserer selbst aufgestellten Lichter, sondern auch die zu besonderer Verehrung gepflegten Lichter all der Götter, denen sich auch der moderne Mensch nach wie vor zu verschreiben gewohnt ist. Auch die säkulare Welt ist nicht frei von Göttern, die möglicherweise gerade darin ihre ganz besondere Macht entfalten, dass sie nicht ausdrücklich als Götter auftreten, ohne aber auf die von den Menschen zu erbringende Verehrung und auch Opferbereitschaft zu verzichten. Barth spricht von so genannten „herrenlosen Gewalten“, wie sie beispielsweise in so harmlos daher kommenden, aber prägenden Phänomenen wie Mode, Sport und Verkehr auftreten, die einen nur selten kritisch befragten weitreichenden Einfluss auf weite Bereiche unseres alltäglichen Lebens haben.14 Wir könnten, ohne damit Vollständigkeit herstellen zu wollen, die internationalen Finanzmärkte, den sogenannten globalen Markt, die Medien oder auch das Wachstum als wirtschaftspolitische Maxime ergänzen. Im Blick auf die Wirklichkeit der Welt tritt also die Kirche in gewisser Weise in eine Konkurrenz mit den Selbstinterpretationen der Welt. Pointiert hebt Barth hervor, dass die Kirche „weltlicher als die Welt“ sei, weil sie um die Nichtexistenz der von der Welt gehuldigten Götter weiß, mit denen der Mensch die Natur und die Geschichte nach wie vor zu ihrer keineswegs ungefährlichen Selbstverklärung immer wieder bevölkert.15 Es sind diese teilweise opferhungrigen Götter dieser Welt, von denen in durchaus erstaunlicher Vitalität ein Großteil des Elends und Leidens in der Welt ausgeht, indem sie die Menschen mit ihrem vordergründigen Glanz betören und ihre Vernunft korrumpieren. Es war beispielsweise der Psychologe Erich Fromm, der den von der Reklame ausgehenden Schaden für die Menschheit als unermesslich größer ansieht als alle lebensfeindlichen Wirkungen, die weltweit durch den Genuss harter Drogen bewirkt werden.16 Weil der Welt wohl von sich aus ihre Götter nicht ersterben werden, liegt auf der Sendung der Kirche an die Welt und somit der Mission in jedem Falle eine bleibende Aufgabe. Allerdings bleibt diese Aufgabe mit einer spezifischen Schwierigkeit behaftet, weil nämlich die Kirche selbst auch nur als ein Teil dieser Welt agieren kann, denn sie ist ja nicht selbst das Licht der Welt, in dem sich ihre Wirklichkeit erschließt. Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt.
14 Vgl. Barth, Das christliche Leben, 363 – 399. 15 Vgl. Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 169 f. 16 Vgl. Fromm, Haben oder Sein, Stuttgart, 185.
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9.2 Das Zeugnis der Kirche und die Missio Dei Wenn die wohl von allen Kirchen geteilte Einsicht, dass sich die Kirche nicht selbst konstituieren kann, tatsächlich ernst genommen wird, dann wird sie konsequenter Weise auch einräumen müssen, dass nicht sie es sein kann, die nun dafür sorgen könnte, der bisher abgeneigten Welt das Licht des Glaubens zu vermitteln. Pointiert mit Barth gesagt: „Die Gemeinde kann niemanden zum Christen machen.“17 Gewiss kann dieses Argument als Entschuldigung für die eigene Trägheit missbraucht werden, aber noch problematischer als ein solcher missionarischer Quietismus wäre doch wohl die Ansicht, dass der Erfolg und der Misserfolg der Geschichte Gottes mit den Menschen von unserer Phantasie und unseren möglichst kreativen missionarischen Anstrengungen abhängen würde. Das wäre nicht nur eine kaum zu tragende Bürde, mit deren Anspruch wir uns prinzipiell überheben würden, sondern auch die Dokumentation des Erliegens vor der immer wieder auftretenden Versuchung, dass wir und die von uns verantwortete Kirche die Menschen vor allem durch die eigene Attraktivität überzeugen und zum Glauben bringen könnten. Wenn es in unserer Hand läge, können wir auch nur mit dem beeindrucken, was durch uns oder eben auch die geschichtliche Gegebenheit der Kirche überzeugt. Und so präsentiert sich die Kirche als eine besondere Wohltäterin in der Gesellschaft, die gewiss nicht frei von Fehlern ist, aber ohne die es in unseren schwierigen Zeiten noch deutlich frostiger und unmenschlicher in unserer Gesellschaft zuginge – und darin liegt ja auch ein kleines Körnchen Wahrheit, auch wenn man umgekehrt schlecht beraten wäre, wollte man nun all seine Hoffnung auf eine Umkehr der Gesellschaft vor allem auf die Kirche setzen. In dem Maße, in dem die Kirche als einladende Kirche vor allem zu sich selbst einlädt, in dem Maße wird sie im Blick auf den Inhalt ihrer Verkündigung unweigerlich zu anthropologischen Reduktionen und damit zu religiösen Selbstverklärungen greifen, wie sie auch von den nichtkirchlichen Apologeten der Religion vorgetragen werden.18 Da wird dann mit der Lebensdienlichkeit des Glaubens und der heilsamen Wirkung der Frömmigkeit geworben; die befreiende Wirkung der Selbstrelativierung und die gemeinschaftsfördernde Kraft unterschiedlicher Formen der Traditionspflege werden annonciert; Beheimatungsszenarien werden Isolations- und Verlorenheitsdramen gegenübergestellt, so dass der kaum zu vermeidende Eindruck entsteht, dass die Attraktivität des Glaubens die Attraktivität der Kirche sei.19 17 KD III/4, 577; vgl. KD IV/3, 1003. 18 Beispielhaft seien genannt für die Philosophie Hermann Lübbe, für die Soziologie Niklas Luhmann und für die Psychologie Erich Fromm oder Viktor Frankl. 19 Das Kommuniqu¦ des Schweizer Evangelischen Kirchenbundes (SEK) über die Rede seines Präsidenten Gottfried Locher vor der Abgeordnetenversammlung am 07. 11. 2011 in Bern ist ebenso provokant wie eben auch bezeichnend betitelt: Kirche macht glücklich (s. Internetquellen im Anhang).
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Weil sich mit der Attraktivität des Glaubens nicht unmittelbar werben lässt – weil wir ihn eben nicht in unserer Hand haben –, wird der Weg über die Glaubenden und die ihnen dienlich erscheinenden Instrumentarien gewählt. Aus der missionarischen Kirche wird unweigerlich die sich vor allem selbst wollende Kirche, und das ist zwangsläufig eine Kirche, die mehr von ihrem Vermögen als von ihrer Bedürftigkeit überzeugt ist; das ist zwangsläufig die Kirche, die mehr von dem lebt, was sie glaubt, an die bedürftige Welt austeilen zu können, als eben davon, sich in ihrer Anrufung Gottes mit der Not und der Verlegenheit der Welt zu solidarisieren, die eben auch ihren Göttern gegenüber immer wieder in Anfechtung und Zweifel verfällt. Nur eine Kirche, die um ihre eigene Verlegenheit Gott gegenüber weiß, die weiß, dass sie Gott nicht prinzipiell näher steht als die sie umgebende Welt, dass sie vielmehr umgekehrt stets mit der sie umgebenden Welt deutlich leichter verwechselbar ist als mit dem Reich Gottes, die also um ihr eigenes Heidentum und deshalb auch um ihre eigene Missionsbedürftigkeit weiß, kann zu einer Kirche werden, die sich angesichts der missionarischen Herausforderung nicht hoffnungslos übernimmt. Mission impliziert immer die Gefahr einer usurpatorischen Überhebung; alle denkbaren Missionsmotive enthalten die Möglichkeit, sich selbst etwas zuzuschreiben, was uns recht verstanden nicht zukommt.20 In seinem Vortrag auf der Brandenburgischen Missionskonferenz am 11. April 1932 in Berlin betont Karl Barth, dass als Mission im Sinne eines kirchlichen Handelns nach außen grundsätzlich nichts anderes in Frage kommt als etwas, was sich die Kirche auch nach innen immer wieder neu zu bekennen hat. Recht verstanden „ist alles Handeln der Kirche Mission, auch wo es nicht ausdrücklich so heißt“.21 Es geht um die spezifische und als solche immer wieder neu zu vollziehende Ausrichtung auf das Gottsein Gottes, wie es sich in Jesus Christus als seinem einen Wort, das wir zu hören haben (Barmen I), gezeigt hat und eben auch heute noch zeigt. Barth hebt dabei konsequent auf den auferstandenen Christus ab, der als solcher der lebendige und sich im Heiligen Geist selbst vergegenwärtigende Christus ist, der sich mit der Himmelfahrt also nicht zurückgezogen hat, um sich nun durch die Kirche vertreten zu lassen. Die Parusie Christi wird nicht erst am Ende der Zeit erwartet, sondern sie hat begonnen mit der Auferweckung Christi und charakterisiert somit auch unsere Gegenwart als die Zeit der Geistesgegenwart Christi.22 Unserer Angewiesenheit auf die Rechtfertigung durch Gott entspricht hermeneutisch unsere bleibende Angewiesenheit auf seine Offenbarung, dass er eben selbst zu uns sprechen muss, wenn es wirklich etwas zu hören geben soll, was wir uns nicht auch selber sagen können.23 Hier ent-
20 21 22 23
Vgl. Barth, Die Theologie und die Mission in der Gegenwart, 115. Ebd., 101. Zu Barths Verständnis von Auferstehung und Parusie Christi vgl. o. Kap. 5. Vgl. o. Kap. 2.
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scheidet sich, ob die Kirche die Kirche des lebendigen Christus ist oder eben die Kirche, die sich selbst der Welt eindrücklich zu machen versucht. Ein Handeln der Kirche und somit auch eine Mission, die in ihrer Substanz etwas anderes sein wollte als „eine bestimmte Gestalt des Bekenntnisses zu Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus“,24 müsste sich die Frage gefallen lassen, auf wessen Rechnung da eigentlich agiert wird. Und sollte sich bei der Antwort dann herausstellen, dass es nur unsere eigenen Rechnungen sind, die da bedient werden, so wird sich doch jede und jeder fragen müssen, weshalb sich jemand nun ausgerechnet auf diese menschlichen Rechnungen in so besonderer Weise einlassen soll. Niemand wird in diesem Horizont den Menschen die Orientierung an dem verbieten können, von dem sie sich selbst den meisten Nutzen versprechen, um dann eben entsprechend auszuwählen. Was dagegen die Kirchen in ihrer Mission zu bringen haben, ist bei genauerer Betrachtung nichts anderes, als was sie auch für sich selbst – und dann stets auch stellvertretend für die ganze Welt (KD I/2, 468) – immer nur erwarten und erbitten können. So verstanden kann die Kirche nicht mit der Ehre und Eitelkeit der Welt in Konkurrenz treten, sondern stellt sich – als ein Teil dieser Welt, d. h. in ihrer ganzen Weltlichkeit – im Verweis auf die allein Gott gebührende Ehre an die Seite der sie umgebenden Welt und bittet um den erhellenden Geist Gottes. Sie teilt selbst in ihrem Wissen um Gott und sein Eintreten für den Menschen die Verlegenheit mit der Welt, dass auch sie ihren Gott ebenso wenig beweisen kann wie es der Welt misslingt, diesen Gott mit dem Aufgebot der von ihr verehrten Götter zu annullieren. Auch als Handeln der Kirche bleibt Mission – so hebt Barth hervor – eine „Sache göttlicher Absicht und Bestätigung“,25 was nichts anderes besagt, als dass sie allein in der freien Selbstzeugung Gottes zu ihrem Ziel kommen kann. Im Entscheidenden treten nicht wir für Gott ein, sondern Gott tritt für uns ein – das gilt auch für die Mission und beschreibt im Sinne Barths das, was wir heute gewohnt sind mit Missio Dei zu bezeichnen. Ausdrücklich erinnert Barth daran, dass in der alten Kirche der Begriff der missio für die göttliche Selbstsendung in Sohn und Geist steht, was „auch dem treuesten Missionar, auch dem überzeugtesten Missionsfreund zu denken geben“ sollte.26 Wenn Barth im dritten Teil seiner Versöhnungslehre (KD IV/3) so pointiert die Berufung des Menschen und die Sendung der Kirche hervorhebt, so geschieht dies konsequent im Horizont der Selbstbezeugung Gottes in der Herrlichkeit des Mittlers, der von der Kirche in der Regel eher verdunkelt als tatsächlich bezeugt wird, weil sie immer wieder der Neigung erliegt, sich selbst und nicht ihren Herrn zu verkündigen und somit mehr ihrer eigenen als der Ehre Gottes verpflichtet lebt – eben darin gleicht sie ganz und gar der sie umgebenden Welt. Die Kirche steht allemal der sich selbst rechtfertigenden Welt näher als 24 Barth, Die Theologie und die Mission in der Gegenwart, 100. 25 Barth, Die Theologie und die Mission in der Gegenwart, 105. 26 Ebd., 115.
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der Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen, was sich ihrem eigenen Reden entgegen ja auch deutlich bis hinein in ihre geschichtliche Strukturen zeigen ließe. Die Erosionen des Konkurrenzindividualismus mit seinen Karriereangeboten haben die Kirche ebenso befallen wie die Welt, wo es vor allem darum geht, das eigene Schäfchen ins Trockene zu bringen, was nicht zuletzt auch einen massiven Grund für die Stagnation in der Ökumene darstellt. Selbstzurücknahme aus tatsächlich freier Entscheidung prägt nicht gerade das Leben unserer verfassten Kirchen. Ohne die lebendige Kraft der Selbstbezeugung Jesu Christi wird auch heute die Wirkkraft der Mission vor allem desaströs sein, übrigens auch dann, wenn sie vor der Hand tatsächlich zu einem Wachstum gegen den Trend führen würde. Wir mögen wohl Leuchttürme aufstellen, Best-practise-Konzepte preisen und Kompetenzzentren errichten, sie entnehmen uns nicht der Verlegenheit, dass das, worauf es schließlich ankommt, niemals von uns kommen kann, so missionarisch und einladend wir uns auch in Szene setzen. Es wird erst dann wirklich etwas zu hören und erst dann auch wirklich etwas zu sehen geben, wenn Gott selbst zu uns spricht und uns die Augen öffnet, d. h. wenn sich unser Zeugnis und Tun der Missio Dei zur Verfügung stellt und alles Gelingen in ihre Verheißung stellt. Eine Kirche die vital um ihre eigene Missionsbedürftigkeit weiß und wissen sollte, wird nicht auf die Idee verfallen, dass sie es sein könnte, in der die Welt auf das Heilige stoßen könnte und sollte.27 In ihrem Zeugnis und Tun setzt sie ganz und gar auf den Anfang, den sie nicht setzen kann und den sie schon gar nicht in der sie umgebenden Welt bereits als gegeben vorfindet, sondern den sie im Entscheidenden dem verheißenen Geist überlassen muss. Sie kann möglicherweise hier und da ein wenig Genesung bewirken, aber niemals wird sie in unmittelbar evidenter Weise von Auferstehung sprechen können, und auf eben nichts Geringeres käme es an, wenn es um den Glauben geht.28 Wir können zwar davon sprechen, was es heißt, die Welt und ihre Wirklichkeit im Lichte Gottes zu sehen. Es ist uns aber nicht gegeben, unser Reden von dem Reden der Baalspriester, die immer gleich nebenan stehen, zu unterscheiden. Sie stehen uns so sehr zur Seite, dass es uns längst nicht immer auffällt, dass wir auch gelegentlich in ihr allseits zu vernehmendes Horn blasen, um uns Gehör zu verschaffen. Dabei ist schnell vergessen, dass es Gottes Angelegenheit bleibt, Elia Recht zu geben und die Baalspriester ins Unrecht zu versetzen; es bleibt Gottes Angelegenheit, sich selbst zu erweisen, d. h. unser Zeugnis in seiner ganzen Unzulänglichkeit zu rechtfertigen. Eben dazu hat er seinen Geist verheißen. Rechtes Zeugnis der Kirche setzt auf diese Verheißung, d. h. sie setzt auf die Lebendigkeit der Missio Dei. Mehr als eine
27 Vgl. ebd., 107. 28 Vgl. ebd., 108.
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kleine Prophetin vermag die Kirche niemals zu sein und auch das hat sie gelegentlich immer erst zu werden.29
9.3 Missio Dei und das Zeugnis der Kirche Nur wenn wieder an erster Stelle steht, was in theologischer Perspektive an erster Stelle stehen muss, die Missio Dei, kann sinnvoll über das Zeugnis der Kirche und eben auch über die missionarische Sendung der Kirche nachgedacht werden. Man sollte nicht – wie es verbreitet üblich ist – zu schnell von diesem Ersten zu dem dann zweifellos auch zu sagenden Zweiten übergehen. Natürlich haben wir auch eine selbst zu verantwortende missionarische Aufgabe als Kirche, aber diese kann nur in achtsamer Wahrung der Missio Dei angemessen wahrgenommen werden. Es muss gewährleistet bleiben, dass dieses Erste nicht nur pflichtgemäß in Erinnerung gerufen wird, um dann im Zweiten doch der kirchlichen Selbstverantwortlichkeit und ihren Ambitionen freien Lauf zu lassen. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, dass all das, was in der Tat zu unserer Verantwortung zu sagen ist, auch tatsächlich mit den grundlegenden Einsichten in substanziellem Kontakt bleibt, die wir aus theologischer Überzeugung im Blick auf den prinzipiellen Vorrang der Missio Dei gerade noch einmal in Erinnerung gerufen haben. Pointiert stellt Barth fest, dass die Kirche gerade als missionarische Kirche und somit als Zeugin der Missio Dei „gewissermaßen nur liturgischer Assistent des allein effektiv handelnden Gottes“ (III/3, 75) ist. Lassen Sie mich fünf Konsequenzen für eine missionarische Ekklesiologie im Sinne Barths zur Diskussion stellen: 1. Es bleibt im Bewusstsein zu halten, dass die Verkündigung nicht etwas zur Geltung bringt oder gar erst in Kraft setzt, sondern sie verkündigt etwas, das bereits in Geltung und somit in Kraft steht. Sie unterscheidet sich fundamental von jeder Propaganda dadurch, dass sie etwas zur Sprache bringt, was auch unabhängig von ihrem aktuellen Zur-Sprache-Bringen gilt. Die Verkündigung deutet nicht Möglichkeiten an, sondern spricht Wirklichkeiten aus (vgl. IV/2, 305). Recht verstanden wendet sich Mission grundsätzlich an Menschen, die bereits von der Wirklichkeit Gottes betroffen sind.30 Es liegt weder an der Kirche noch an den angesprochenen Menschen, durch ihre Entscheidung nun Gottes Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Mission würde einem grundsätzlichen Missverständnis erlegen sein, wenn sie sich als eine 29 Das ist eine Anspielung auf einen Bestimmungsversuch für die Kirche von dem ehemaligen lippischen Landessuperintendenten Gerrit Noltensmeier, der sich auch im Titel der ihm gewidmeten Festschrift wiederfindet: Die kleine Prophetin Kirche leiten. Gerrit Noltensmeier gewidmet, hg. v. M. Böttcher u. a., Wuppertal 2005. 30 Christus ist nicht nur das Haupt der Kirche, sondern auch der Welt, so dass auch die Menschen außerhalb der Kirche auch als die Seinigen und „eben darauf de iure anzusprechen“ sind (IV/2, 305).
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kirchliche Rettungsaktion verstehen würde, in der dann womöglich die menschliche Bekehrung Gott die Möglichkeit dazu einräumen würde, an diesen Menschen zu handeln. Was wäre das für eine Wirklichkeit, wenn diese erst durch unseren Glauben ins Dasein träte (vgl. I/1, 159). In der Mission geht es nicht „um den ,Ruhm‘ dieses oder jenes Christentums in seinem Verhältnis zu den Bedürfnissen und Postulaten des Menschen“ (I/2, 368), sondern um die Bezeugung der in Christus vollzogenen Versöhnung der Welt mit Gott (2Kor 5,19). Wenn Barth davon von spricht, dass Gott bereits gesprochen hat (Deus dixit), dann hat er den Satz Christi am Kreuz im Blick: „Es ist vollbracht!“ (I/1, 119). Das ist auch der ontische und noetische Ausgangspunkt für die Mission. 2. In der Mission geht es um den Kontrast zwischen dem Wissen der Gemeinde und dem Nichtwissen der Welt. Es ist der Inhalt des Wissens der Gemeinde – nämlich die alle Menschen angehende Wahrheit hinsichtlich des Handelns Gottes an dieser Welt –, der sie wesenhaft zu einer missionierenden Kirche macht. Solange die Kirche die Mission nur als eine ihr nahe gelegte Möglichkeit betrachtet und eben nicht als ihre eigentliche Bestimmung, hat sie die von ihr zu verkündigende Wahrheit in ihrer Reichweite noch nicht tatsächlich erkannt (vgl. III/2, 738). Von hier aus ist Kirche missionarische Kirche, oder sie ist eben keine Kirche.31 Mission ist „geradezu die Wurzel der Existenz und damit auch des ganzen Dienstes des Christenvolkes“ (IV/3, 1002). Die Kirche ist niemals Selbstzweck (vgl. IV/1, 168 u. ö.), sondern existiert wie die Apostel „gewissermaßen exzentrisch“, was voraussetzt, dass sie zu sich selbst eine gewisse Distanz wahrt, indem sie ihren weltlichen Charakter anerkennt und deshalb auch „mit offenen Türen und großen Fenstern, hinter denen sie sich besser nicht durch die Anbringung von frommen Glasmalereien nun doch wieder in sich selbst“ (IV/1, 809) verschließt, der Welt zugewandt bleibt. „Sie ist heilig […] in ihrer Zuwendung zur Profanität des allgemeinen menschlichen Lebens. […] Ihre Sendung ist kein Zweites neben ihrem Sein, sondern sie ist, indem sie gesendet und kraft ihrer Sendung tätig ist.“ (Ebd.) 3. In ihrer Mission sagt die Kirche in der Sache grundsätzlich nichts anderes, als was sie sich selbst immer wieder zu sagen hat bzw. was sie sich auch selbst immer wieder neu sagen lassen muss. Sie hat im Entscheidenden nichts von sich aus zu sagen, sondern gibt nur weiter, was auch ihr gesagt werden musste und immer wieder neu gesagt werden muss. Sie verkündigt nicht sich selbst, so sehr sich auch bemühen sollte, als die Gemeinschaft derer in Erscheinung zu treten, für die das, wovon sie in der Welt Zeugnis abzulegen versucht, auch tatsächlich gilt. Wir alle wissen, wie weit wir unablässig davon entfernt bleiben. So sehr dies die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses trüben mag, so wenig ist dieses im Entscheidenden von unserem Demonstrationsgeschick abhängig, sondern kann allein durch das Wirken des Geistes Gottes selbst bewahrheitet werden. Die Kirche wird dann in dem Maße ihrer mis31 Vgl. III/3, 74; III/4, 578; IV/3, 1003.
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sionarischen Sendung gerecht, in dem sie der Botschaft treu bleibt, der sie ihre eigene Existenz verdankt, weil diese Botschaft nicht nur ihr gilt – und insofern eben nicht kirchlich privatisiert werden kann –, sondern der ganzen Welt. Im Vordergrund steht also die Bekanntmachung des Evangeliums und nicht die Erweiterung des kirchlichen Einflusses auf die Gesellschaft oder auch nur die Verteidigung kirchlicher Bestände (IV/3, 1004). 4. Wenn Barth mit der kirchlichen Tradition betont, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, so bleibt zweierlei zu beachten: a) Barth stellt diese Aussage in den Horizont der Erwählungslehre (vgl. II/2, 217), in der die Kirche und das mit ihr verbundene Heil ganz und gar in die Hände Gottes gelegt wird. Und b) betont Barth zugleich, dass es der Kirche gegenüber kein absolutes Draußenstehen gibt, vielmehr kann der Draußenstehende unversehens zu meinem Nächsten werden „wie der Samariter für den Schwerverwundeten“ und deshalb ist er durchaus hoffnungsvoll in den Blick zu nehmen (vgl. I/2, 466). Diese durchaus überraschende Umdrehung ist auch im Blick, wenn Barth von den Lichtern spricht, die der Kirche aus der Welt als Zeichen der Universalität des Lichtes Christi entgegenstrahlen können,32 um sie in ihrer selbstgefälligen Lethargie bzw. in ihrer schweren Verwundung, die sie sich dann in der Regel wohl nicht eingestehen wird, zu beschämen. Es ist auch für die Kirche schlechterdings hoffnungsvoll zu wissen, dass Gottes Zuwendung nicht auf das beschränkt bleibt, was geschichtlich als Kirche in Erscheinung tritt. 5. Mission ist mehr als Verkündigung. Barth hebt hervor, dass es sich in der Mission „um die Verrichtung des ganzen kirchlichen Dienstes“ (IV/3, 1004) an der Welt handelt, in der sich die Kirche nun einmal befindet und mit der sie in fundamentaler Solidarität verbunden ist. Die Kirche ist darin allen Menschen, welcher Religion oder Ideologie sie auch angehören mögen, solidarisch, dass sie sich der durchaus auch ganz praktischen Nöte verbunden weiß, gegen die sie mit ihrer Religion bzw. ihrer Ideologie anzugehen sich aufmachen. Es kann nicht darum gehen, den verschiedenen Religionen nun die eigene Religion entgegenzustellen. Die Kirche wird nicht gegen die Religionen „streiten, wie die Religionen für sich selbst streiten“.33 Wohl aber wird sie für die Freiheit der Gewissen und gegen alle Formen der Knechtung des Menschen, wie sie sich auch unter dem Etikett von Weltanschauungen und Religionen (auch dem Etikett der christlichen Religion) allseits ereignen. Barths Missionstheologie verfolgt eine konsequent befreiungstheologische Perspektive, weil das, worum es im Evangelium geht, nichts anderes als die Freiheit des Menschen ist – und zwar konsequent.
32 Zu Barths Lichterlehre vgl. IV/3, 153 ff. 33 Barth, Fragen an das Christentum, 99.
10. Gottes Einstehen für seine Schöpfung Aspekte der Vorsehungslehre von Karl Barth1 Weil die Vorsehung 1972, als Carl Amery ihr Ende plakatierte,2 bereits längst verdunstet war, wurde nur noch ein Missverständnis debattiert, auf das Amery freilich nicht erst selber kommen musste. Längst vorher war die Lehre von der Vorsehung auch der theologischen Aufmerksamkeit weithin verloren gegangen, nicht zuletzt dadurch, dass sie zu fromm verkleideten geschichtsphilosophischen Weltanschauungskonzepten transformiert wurde, wie in Ansätzen bei Albrecht Ritschl und dann vollends bei Ernst Troeltsch.3 Insgesamt fristete das Thema der Vorsehung Gottes in der protestantischen Theologie seither weithin eine randständige Verlegenheitsexistenz, durchaus vergleichbar mit der gegenwärtigen theologischen Situation.4 Carl Heinz Ratschow spricht hinsichtlich der Reichweite des Themas und seiner tatsächlichen Aussagekraft von „einer merkwürdig verworrenen Lage“,5 die ihn dazu bewegt, ihr ganz den Rücken zuzukehren, weil sie im Grunde „den Glauben in die Zumutung stellt, vor verschlossenen Türen zu verharren“ – wie er im Blick auf Calvins Vorsehungslehre feststellt.6 Die Vorsehungslehre gehört – wie Wilhelm Dantine feststellt – „zu den gemiedenen und offenkundig uninteressant gewordenen Provinzen der christlichen Lehre“.7 Das sind die Umstände, unter denen auch Karl Barth seine Vorsehungslehre konzipierte, in denen zudem noch die 1 Erweiterte Fassung eines unveröffentlichten Vortrags im Deutschen Ökumenischen Studienausschuss (DÖStA) der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) am 07.05.2011 in Hannover. 2 Amery, Das Ende der Vorsehung. 3 Im 19. Jh. war es vor allem Friedrich Schleiermacher, der keinen probaten Zugang zur traditionellen Vorsehungslehre mehr sah; vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche, § 46 – 49. Albrecht Ritschl und Ernst Troeltsch stellten zwar die ganze Theologie in den Horizont der Vorsehung Gottes, aber diese stand ganz und gar in dem Bestimmungshorizont eines idealistischen Geschichtsoptimismus, in dem sich vor allem der Mensch als Motor der ins Auge gefassten Geschichte erweisen sollte; vgl. Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 3, 580ff u. Troeltsch, Glaubenslehre, 252 ff. Spätestens mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs ist eine solche Wahrnehmung der Geschichte zu einem Anachronismus geworden. 4 Zur jüngeren theologischen Debatte um die Vorsehungslehre vgl. Hìffmeier, Deus providebit? und Link, Die Krise des Vorsehungsglaubens. 5 Ratschow, Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, 25. 6 Ebd., 39. „Das Welthandeln Gottes kann nicht als ,sinnvoll‘ erkennbar gemacht werden.“ (Ebd., 80) 7 Dantine, Regnum Christi – Gubernatio Dei, 202. Zur Skepsis gegenüber diesem Lehraspekt vgl. auch Davies, The Vigilant God, 2 – 5.
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Schatten einer Zeit nachwirkten, deren doch zumindest zeitweilig umjubelte Protagonisten sich unverblümt im Licht der Vorsehung präsentiert hatten.8 Dennoch präsentiert Barth offensiv seine Vorsehungslehre als ein unverzichtbares Theologumenon.9 Müsste die Theologie im Blick auf Gottes Verhältnis zu dem geschichtlichen Weltgeschehen schweigen, dann sollte sie nicht meinen, noch an anderen Stellen etwas Bedeutsames zu sagen zu haben. Würde sich die Theologie allein auf die eschatologische Heilszusage und die auf sie ausgerichtete Hoffnung verstehen und hätte sie nicht auch etwas zur Gegenwart Gottes zu sagen, müsste sie, wenn sie nicht nur eine religiöse Partydroge anbieten will, angesichts des himmelschreienden Elends und der verbreiteten Sinnlosigkeit des Lebens unausweichlich in den schwerlich zu tröstenden Klagegesang einstimmen, der sich nur noch nach dem Ende dieses Jammertales sehnt. Wenn dem Glauben zugunsten der Zukunft die Gegenwart entschwindet, dann gibt er alle auf dieser Schöpfung liegenden Verheißungen auf und gibt sie und die sich in ihr ereignende Geschichte den Kontingenzen der wetterwendischen Gestaltungsphantasien des Menschen und seinen ebenso andauernden wie fassadenhaften Krisenmanagement preis. Gegen ein solches sich einstellendes Vakuum soll nun aber keine theologische Geschichtsdeutung aufgeboten werden, sondern die Theologie wird auf die Reichweite des von ihr zu bedenkenden Bekenntnisses zu dem dreieinigen Gott im Blick auf das Weltgeschehen befragt, das sie nicht einfach den mehr oder weniger zufälligen Selbstinterpretationen mit ihren Beschönigungs- und Verdunkelungsneigungen überlassen kann. Von Gott zu reden heißt, von seinem Handeln zu reden, in dem er sich gezeigt hat und an dem er nicht nur für den Augenblick, sondern in seiner verheißungsvollen Treue erkannt werden will. Vom Handeln Gottes zu sprechen, heißt aber unausweichlich auch, von seinem Verhältnis zu den Abläufen, Abgründen und Perspektiven des konkreten Weltgeschehens zu sprechen. Gäbe es hier nichts Bedeutsames und in bestimmter Weise auch Tragfähiges zu sagen, dann verschwendete die Kirche und die Theologie all ihr Bemühen und ihren Eifer für imaginäre religiöse Schimären, die im besten Fall nicht mehr als eine gewiss immer auch zweifelhafte psychologische Relevanz beanspruchen können. Alle systematischen Probleme, ob nun die Vorsehungslehre, wie in der alten Tradition, in die Gotteslehre gehört oder mit Albrecht Ritschl als die „praktische Zweckbeziehung der Rechtfertigung“10 in die Konsequenz des Versöhnungsglaubens 8 Zum Missbrauch des Vorsehungsbegriffs während der Weltkriege und im Nationalsozialismus vgl. Kocher, Herausgeforderter Vorsehungsglaube, 47 – 68. 9 Ernst Saxer unterscheidet bei Barth vier Phasen mit Recht unterschiedlichen Wahrnehmungen der Vorsehungslehre, von denen sich die vierte allerdings zugleich „durch alle Phasen der Barthschen Theologie“ hindurchzieht (Saxer, Vorsehung und Verheißung Gottes, 83). Damit begrenzt Saxer selbst die von ihm vorgenommenen Unterteilungen, so dass wohl weniger von verschiedenen Phasen als vielmehr von unterschiedlichen Akzentsetzungen zu reden wäre. Dieser Fragestellung soll hier nicht weiter nachgegangen werden. 10 A. Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 1, 348.
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gestellt wird, oder, wie nicht erst bei Barth, in die Schöpfungslehre bzw. schließlich doch besser der Lehre vom Heiligen Geist zugeordnet werde soll, wie heute Dietrich Ritschl vorschlägt,11 verblassen hinter der Grundsätzlichkeit der Notwendigkeit, unsere tatsächliche Wirklichkeit von dem sich in ihr vollziehenden Handeln Gottes aus zu verstehen. Will sich die Theologie nicht ganz und gar zum Schweigen gedrängt sehen, dann wird sie auch etwas zum gegenwärtigen Handeln Gottes zu sagen haben. Möglicherweise stehen hier keine plakativen und flächendeckende Lösungen zur Verfügung, aber vor denen sollte sie auch sonst auf der Hut bleiben. Es geht um das Ernstnehmen der Gottesfrage und der Reichweite ihrer Wirklichkeitsrelevanz. Hier meldet sich die Barth nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges grundsätzlich alarmierende Frage zurück, ob wir tatsächlich von Gott reden oder nur von einem „als ob“, das im Grunde die Reflexionsfläche unserer Transzendenzspekulationen oder immanenten Sinnbedürfnisse ist.12 Die spezifischen Bedingungen angemessener christlicher Gottesrede gilt es zu vergegenwärtigen und im Bewusstsein zu halten, wenn Gott nicht zu einem fremdbestimmten und dann in der Regel wunschgesteuerten Verschiebeelement des menschlichen Weltanschauungsbedürfnisses verblassen soll. Wie ein Blick in die Theologiegeschichte erhellt, ist gerade in der Vorsehungslehre die Versuchung groß, weltanschaulich spekulative Fragestellungen aufzugreifen und dabei die Gotteserkenntnis aus der Welterkenntnis oder der Welterfahrung gewinnen zu wollen.13 Hier erhebt sich das spezifische Engagement Barths, indem er konsequent die christologisch perspektivierte Bundesgeschichte in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückt. Alle zu machenden Einsichten werden an genau die Kriterien gebunden, die im christlichen Sinne für eine Glaubenserkenntnis und somit für eine Aussage über das Handeln Gottes in begründbarer Weise einstehen können.14 Es gehört ja zu den Eigentümlichkeiten der Theologie Barths, insbesondere seiner Kirchlichen Dogmatik, dass die einzelnen Themen und Fragestellungen ihre Brisanz aus der jeweiligen Notwendigkeit für das Ganze gewinnen. Eben deshalb geht es auch in jedem der Bände immer wieder um das Ganze, eben aus der dann jeweils zu verhandelnden besonderen Perspektive. Wir werden Barth also auch an dieser Stelle nur gerecht, wenn wir wahrnehmen, dass er sich hier mit einer Frage herumschlägt, zu der die Theologie eine Antwort bieten muss. Die Antwort kann durchaus anders lauten als die Barths, aber es
11 Vgl. D. Ritschl, Sinn und Grenzen der theologischen Kategorie der Vorsehung. 12 Vgl. Barth, Die Gerechtigkeit Gottes. 13 Barth beklagt die Christusvergessenheit der Vorsehungslehre der altprotestantischen Theologie „fast auf der ganzen Linie“ (Barth, KD III/3, 34), aber auch darüber hinaus: „Ganzen Generationen von protestantischen Theologen scheint die Frage überhaupt nicht in den Sinn gekommen zu sein: Was diese Herrschaft […] mit dem Glauben an das Evangelium von Jesus Christus zu tun haben möchte.“ (Ebd., 35) 14 Vgl. auch Geiger, Providentia Dei, 674.
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kann nach seinem Verständnis nicht sein, dass die Theologie zu dieser Frage es vorziehen sollte zu schweigen. In vier Schritten, die weithin der Systematik von Barths Überlegungen folgen, möchte ich die von mir wahrgenommenen Hauptakzente annoncieren. Ich beginne mit der für Barth auch in diesem Lehrstück eigentümlichen Dynamik, die darauf ausgerichtet ist, die Aufmerksamkeit von allen dogmatischen Besitzansprüchen positivistisch drapierter Inhalte auf die lebendige Beziehung zwischen Gott und Mensch zu lenken. Die Theologie bedenkt kein Weltbild noch gar entwirft sie ein solches, sondern sie folgt einem Geschehen, einem perfektischen, präsentischen und adventlichen Geschehen, in dem sie sich auch selbst unmittelbar befindet, was einen nicht geringen Teil ihrer spezifischen Schwierigkeit bzw. Verlegenheit ausmacht, worauf ich ganz am Schluss in meinem vierten Schritt noch einmal zurückkommen werde. Mit dem zweiten Schritt wird die von Barth übernommene, dann aber grundlegend neu gestaltete traditionelle Struktur der Vorsehungslehre skizziert in der Unterscheidung von Erhalten (conservatio), Begleiten (concursus) und Regieren (gubernatio). Und der dritte Schritt lenkt die Aufmerksamkeit besonders auf das Leben des Menschen angesichts der Fürsorge Gottes.15
10.1 Von der Dynamik der Fürsorge Gottes Gleich auf der ersten Seite seiner Vorsehungslehre macht Barth auf das besondere biblische Verständnis des Vorsehens Gottes aufmerksam. Er verweist auf die klassische biblische Stelle, die der Theologie den Begriff der Vorsehung zugespielt hat: Gen 22,14. In der Erzählung von der Bindung Isaaks antwortet Abraham auf die Frage, dass es doch kein Opfertier gebe, dass Gott sich ein solches ausersehen werde (Elohim jiräh), und er nennt dann später den Ort des Geschehens „Der-Herr-sieht“. Es ist dieser hier verwendete Gottesname, welcher der Vorsehungslehre ihren Namen gegeben hat, und Barth legt nun großen Wert darauf, dass es hier nicht darum geht, dass Gott etwas bereits gewusst habe, was der Mensch noch nicht wissen konnte, es geht also nicht um praescientia, um Vorherwissen, sondern um Gottes tätiges Vorsehen, seine eingreifende Vorsorge, in der er den Abraham mit dem versieht, was er benötigt, um seinen Willen erfüllen zu können. Barth bedenkt das Geschehen der Fürsorge, in welcher für die Welt, den Menschen und die Kirche je etwas vorgesehen wird.16 15 Für die begrifflich unbefriedigende Situation sehe ich keine tatsächlich weiterführende Lösung, auch wenn Einiges für den Vorschlag von Wolf Krötke spricht, konsequent von Gottes Fürsorge zu sprechen; vgl. Krçtke, Gottes Fürsorge für die Welt. Barth selbst zieht auch seinerseits den Begriff der procuratio dem der providentia vor ; vgl. III/3, 2. Deshalb werden im Folgenden die verschiedenen eingeführten Begriffe synonym verwendet. 16 Vgl. III/3, 1 f. Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf diesen Band.
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Im Unterschied zur Erwählung geht es hier ausdrücklich nicht um eine Bestimmung, sondern in anerkennender Wahrung des Abstandes zwischen Geschöpf und Schöpfer um ein Sehen und Vorsehen bzw. ein Sorgen und Versorgen in einem „aktiv, dynamisch gefüllten Sinn“ (2) als Beschreibung des aktiven Verhältnisses Gottes zu der von ihm verschiedenen Wirklichkeit.17 Die Fürsorge für diese Welt steht für Gottes tätige Zuwendung zu dieser Welt, in der er sie mit etwas versieht bzw. versorgt, mit dem sie in die Lage versetzt wird, ihre eigene Wirklichkeit zu meistern. Steht die Schöpfung für die Begründung, die Ermöglichung, den Anfang der geschöpflichen Existenz, so steht die Providenz für ihre Dauer und ihren geschichtlichen Vollzug. Gilt für die Schöpfung die Betonung der grundsätzlichen Verschiedenheit von Schöpfer und Geschöpf, von Gottes aktiver Bestimmung und dem passiven Werden des Geschöpfes, so geht es in der Vorsehung um die gegenseitige Beziehung, „um die Zuwendung des Schöpfers zur Existenz seines Geschöpfes auf der einen, um die Teilnahme des Geschöpfes an der Existenz seines Schöpfers auf der anderen Seite“ (7). Dabei entspricht es zutiefst der Absicht dieses Schöpfers, dass er weder sein Geschöpf einfach sich selbst überlässt noch ihm seine Selbstständigkeit abspricht. Kurz gesagt: Der Schöpfer koexistiert mit seinem Geschöpf, d. h. das Geschöpf existiert in der von ihm zu gestaltenden Wirklichkeit niemals ohne das lebendige und somit eben auch handelnde Gegenüber seines Schöpfers (12 f). Wir müssten von einem anderen als dem von der biblischen Tradition bezeugten Gott sprechen, wenn wir dieses in seinem Bund besonders besiegelte Verhältnis an irgendeiner Stelle sistieren würden (41 f). Das ist keine statuierbare Tatsache, sondern ein wesentliches Element, das den Glauben zum Glauben macht.18 Es ist keine allgemein in Anspruch nehmbare Messlatte zur Verifikation der empirischen Wirklichkeit und wird sich deshalb auch nicht einfach zur unmittelbaren Geschichtsdeutung eignen, wohl aber ist es eine im besten Sinne aufrichtende Belehrung eines Glaubens, der es stets mit dem ganzen Leben und nicht nur mit einer bestimmten Partikularerkenntnis zu tun hat und der als solcher auch unablässig der Anfechtung von anderen Lebenswahrnehmungen ausgesetzt bleibt. Hier kann stets nur gelten, was durch den Glauben dem Einzelnen vergewissert wird.19 Es ist nicht die Welt, die den Einzelnen in seiner Stellung zu ihr vergewissert, sondern das im Glauben vergewisserte Individuum sieht sich auch hinsichtlich der Welt vergewissert. Die Theologie bewegt sich auch in der Vorsehungslehre nicht im Horizont 17 Während die Erwählung Gottes ewigen Ratschluss und damit die Voraussetzung des Geschöpfes und der Schöpfung bezeichnet, gehört die Vorsehung zur Ausführung dieser Bestimmung. Sie hat ihren Grund in der Erwählung, ist aber von dieser zu unterscheiden, nicht zuletzt weil die Erwählungslehre auf das Verständnis des Seins Gottes blickt, was so von der Vorsehungslehre nicht gesagt werden kann; vgl. III/3, 3. 18 Von der Vorsehung Gottes kann „nur als Glaubensbekenntnis oder gar nicht“ gesprochen werden; III/3, 15. 19 Vgl. Geiger, Providentia Dei, 677.
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einer Weltanschauung, sondern in dem des vom Glauben angeregten Verstehens der Wirklichkeit. Die Aufmerksamkeit auf die im Weltgeschehen verborgene Geschichte wird nicht durch die allgemein wahrnehmbaren Abläufe orientiert, sondern allein durch das Wort Gottes (21). Die verborgene Geschichte erreicht die Erfahrung vor allem im Widerspruch gegen die vermeintliche Eigenevidenz der Ereigniszusammenhänge. Nicht die vorgängige Weltgeschichte vermag über Gott aufzuklären, sondern Gott klärt umgekehrt über die Perspektive dieser bei allem Getöse im Grunde stummen Geschichte auf,20 und zwar gerade angesichts ihrer allzu offenkundigen Irrungen und Wirrungen: das Weltgeschehen hat Gott gegenüber keine Eigenmacht, so sehr auch immer wieder der Anschein entstehen mag. Das Bekenntnis zu Gottes Fürsorge für seine Welt verweist in all dem unbestreitbaren Dunkel des Weltgeschehens auf ein orientierendes Licht. Dem Vorsehungsglauben entspricht ein prophetisches und als solches ganz und gar situatives und eben nicht spekulatives Verhältnis zur Geschichte: Er ist eine Art Manna, nicht zum dauerhaften Besitz, sondern jeweils für den sofortigen Verzehr, um dann erneut auf seine Gabe zu warten (27) – kein kalkulierbares Prinzip, sondern lebendige Interaktion. Wo nicht danach gegriffen wird, hält es keinen anderweitigen Nutzen bereit. Gottes Vorsehung ermächtigt den Glauben zu keinerlei Triumphalismus, sich nun stets unmittelbar auf die Herrschaft Gottes berufen zu können, so als sei sie im Glauben jeweils evident. Ganz im Gegenteil spricht Barth von dem Vorsehungsglauben als dem „Dennoch“, das angesichts all der in andere Richtungen drängenden Erfahrungen dem Glauben nur dadurch möglich wird, dass er von Gott bereits von dem Geschehen seiner besonderen Offenbarung weiß – in diesem Sinn ein erleuchtendes und kein fatalistisches Dennoch (51). Keines der Geschöpfe in der ganzen Unüberschaubarkeit des Kosmos und in dem Drama der je eigenen Existenz befindet sich in einem leeren Raum oder einer prinzipiell fremden und undurchschaubaren Wirklichkeit, nicht aber weil der Kosmos von sich aus mit einem besonderen Versprechen verbunden ist, auf dessen Evidenz wir uns berufen könnten, sondern allein, weil uns die Selbstverheißung Gottes zu diesem kontrafaktischen Vertrauen ermutigt (56). Barth liegt nicht an einer Verklärung der Weltwirklichkeit, vielmehr bleibt bei der Betrachtung der Welt jeder nüchterne Realismus angebracht. Auch kann es nicht darum gehen, den naturwissenschaftlichen Einsichten in die Geschehenszusammenhänge zu widersprechen. Wenn der in der Tat weithin fehlende Dialog mit den Naturwissenschaften bei Barth registriert wird, bleibt festzuhalten, dass er schlicht deswegen nicht geführt wird, weil er von ihnen 20 Fände sich Gott im Buch unserer Geschichte, so glaubten wir unweigerlich eben dieser Geschichte und nicht an ihn. Es geht nicht um das, was uns die Geschichte im Blick auf Gott zu sehen lehrt, sondern was Gott uns in der Geschichte zu sehen und dann eben auch zu entscheiden lehrt; vgl. III/3, 24 ff.
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keine die Theologie oder den Glauben treffende Gefahr ausgehen sieht. Gottes „Wohnungsnot“ (David Friedrich Strauß) ist nur dann zu befürchten, wenn Gott als ein Gegenstand der Weltbetrachtung verstanden wird. Aber es geht nicht um die Identifikation von Gottes Wirken in den zu registrierenden Bewegungen des Weltgeschehens, sondern um den Glauben an sein Wirken über allen Vorgängigkeiten. Max Geiger spricht von einer nachkritischen Providenzlehre,21 welche die naturwissenschaftlichen Einsichten voraussetzt, ohne diese als absolute Auskünfte über unsere Wirklichkeit zu bewerten. Solange die Naturwissenschaften tatsächlich Naturwissenschaften bleiben und sich nicht zu Weltanschauungskonzeptionen aufschwingen, sieht hier Barth keine Reibflächen, so dass ein Dialog im Grunde keinen Gegenstand hätte. Gerieren sich dagegen die Naturwissenschaften weltanschaulich, so sind sie nicht mehr naturwissenschaftlich, so dass der dann zu führende Dialog wiederum nicht mit der Naturwissenschaft sondern mit den weltanschaulichen Extrapolationen von Naturwissenschaftlern zu führen wäre. In diesem Sinn kann gesagt werden, „daß Barth seine Vorsehungslehre in Vergegenwärtigung der neuzeitlichen Naturerklärung entworfen hat.“22 So viel die Naturwissenschaften auch erklären können, so wenig ist von ihnen zu erwarten, dass sie das Weltgeschehen in das Licht seiner tatsächlichen Wirklichkeit zu rücken vermögen. Das Licht, welches ihre Wahrheit erhellt, ist – wie es Kornelis Heiko Miskotte in engem Bezug zu Barth ausdrückt – „gesprochenes Licht“: „Die ,Natur‘ ist nicht ,größer‘ als die ,Geschichte‘; wer sich vor dieser ,Größe‘ niederwirft, hat vergessen, daß das Licht im Leben der Menschen primär, qualitativ und manifest durch das Wort mächtig ist. Wir müssen von dieser Neigung, vor dem ,Maßlosen‘ und ,Grenzenlosen‘ auf die Knie zu fallen, tief in unserem Herzen geheilt werden.“23 Barth stellt sich in seiner Konzentration auf das zu hörende und dann Augen öffnende Wort einerseits gegen den Zynismus der Beliebigkeit und andererseits gegen alle immanenten Ermächtigungen und ideologischen Knechtungen, die ja bereits einen großen Teil des tatsächlichen geschichtlichen Elends ausmachen. Weil sich das Weltgeschehen nicht von sich aus erschließt, tun wir gut daran, die durchaus eng gesetzten Grenzen unserer Erkenntnis im Blick auf das Ganze nicht allzu kühn zu überschreiten (64). Auch und gerade unter Berufung auf das Wort Gottes steht ausdrücklich kein christliches Weltbild zur Debatte (65), in dem nun alles einen Platz zugewiesen bekommt, sondern es handelt sich um eine „bescheidene Einsicht“ (66), die nur zu sehr zurückhaltenden Hochrechnungen Anlass geben sollte. Es bleibt bei dem für die je eigene Gegenwart verheißenen Manna zur je konkreten Stärkung in einer Welt, in der sich die Menschen jenseits von Eden ihren Weg
21 Geiger, Providentia Dei, 704. 22 Ebd., 705. 23 Miskotte, Wenn die Götter schweigen, 472.
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weithin durch die Wüste zu bahnen haben. Das gilt es auch bei den nun folgenden Überlegungen im Bewusstsein zu halten.
10.2 Die drei Gestalten der Fürsorge Gottes Nur sehr kurz spreche ich die über die Tradition hinausgehenden besonderen inhaltlichen Pointen der drei Gestalten der Fürsorge Gottes an, wie sie Barth von der altprotestantischen Orthodoxie übernommen hat: 10.2.1 Gottes Erhalten Zwei Dimensionen möchte ich für Barths Verständnis des göttlichen Erhaltens besonders hervorheben: zum einen das für seine Vorsehungslehre charakteristische Zusammentreffen von Ewigkeit und Endlichkeit, die Umfassung des Zeitlichen von dem Ewigen, und zum anderen die Bewahrung des Menschen vor seiner Nichtung. Gottes Erhalten steht im Zeichen seiner Treue. Er erhält das Geschöpf im Rahmen der Begrenzungen, die zu seiner Geschöpflichkeit gehören. Das von der Ewigkeit des Schöpfers bestimmte Erhalten bezieht sich auf das seinem Wesen nach zeitliche, d. h. endliche Geschöpf. Die Zeit gehört mit zur Schöpfung und ist somit eine Signatur aller Geschöpfe. Indem Gott das Geschöpf in seinem Sein bestätigt, wird eine nicht suspendierbare Relation zwischen der Ewigkeit Gottes und der Begrenztheit des Geschöpfes hergestellt. Und so heißt es: „Gott erhält es ewig. Er macht die Erschaffung nicht rückgängig. Er hält seinem Geschöpf die Treue. Er erhält es aber nicht unbegrenzt, sondern in den seinem geschöpflichen Wesen entsprechenden Grenzen.“ (70) So sehr also das Sein des Geschöpfes ein begrenztes ist und deshalb nur in seiner Begrenztheit erhalten werden kann, so sehr ist es entschieden nicht weniger als die Ewigkeit Gottes, in der es erhalten wird. Vollkommener kann in diesem Horizont Erhaltung nicht gedacht werden (71). Die Zeit ist kein Gott Chronos und hat deshalb auch nicht das Recht, den Menschen mit der Bedrohung seines Endes zu beherrschen, sondern lediglich die Ordnung der geschöpflichen Befristung, die als solche von der Ewigkeit Gottes ihre Bestimmung erhält.24 Es ist die Fürsorge Gottes, die dem Geschöpf auch eine Bejahung seiner Endlichkeit ermöglicht.25 Die Unauslöschbarkeit des Geschöpfes bei seinem Schöpfer, die bewahrende Umfassung des Zeitlichen vom Ewigen ist die fundamentale Dimension des Erhaltens Gottes ebenso wie seines Begleitens und seines Regierens, wovon noch zu reden sein wird. Sie 24 Vgl. dazu ausführlich: Zeit und Ewigkeit, III/2, § 47. 25 Vgl. Krçtke, Gottes Fürsorge für die Welt, 92.
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bezeichnet nichts anderes als das lebendig zu verstehende Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf und ist damit immer auf dem Plan, wo die Beziehung Gottes zu seinem Geschöpf in den Blick genommen wird. Die Beziehung bestreitet die Indolenz eines in seiner Ewigkeit unerreichbaren Gottes, bei dem alles Zeitliche auf seine prinzipielle Relativierung stößt und gibt der an sich richtungslosen und somit ihrerseits indolenten Zeit eine vitale Ausrichtung. Die Gemeinschaft des Geschöpfes mit dem ganzen und ewigen Wesen Gottes wird gerade nicht von der Zeit bemessen. Gott erhält die Gemeinschaft darüber hinaus, d. h. er gibt ihr eine Qualität, die nicht den Begrenzungen der Zeit unterworfen ist (71 f) und somit auch nicht einfach aus der Zeitlichkeit abgelesen werden kann. Damit ist eine Perspektive aufgetan, die das Geschöpf in einen seine Möglichkeiten grundsätzlich transzendierenden Horizont hineinstellt. Nach Ablauf der begrenzten Zeit für das Geschöpf verflüchtigt sich dieses angesichts der weiterlaufenden Zeit nicht zu einem Schein, der unweigerlich dem Vergessen und somit der Nichtigkeit anheimfiele (100 f). Vielmehr kann es sich mit seiner ganzen Wirklichkeit in der Ewigkeit Gottes erhalten wissen, denn „seine Güte währet ewiglich!“ (102) Die zweite Dimension geht nun auf eine besondere Bedürftigkeit des Geschöpfes im Blick auf das Erhalten Gottes ein. Indem Barth die creatio ex nihilo als das Hervorrufen des Seins aus dem Nichtsein versteht, ist Schöpfung in ihrer Substanz Unterscheidung, und zwar die Unterscheidung dessen, was sein soll und dafür eine Bestimmung bekommt, von dem, was nicht sein soll und deshalb nur als Nichtsein bzw. als das Nichtige anzusehen ist.26 In diesem Sinn bedeutet Schöpfung, dass tatsächlich etwas ist und nicht nur nichts ist. Das Sein ist aus dem Nichtsein gleichsam ausgesondert und bleibt eben auch in gewissem Sinne von ihm umgeben, ja in spezifischer Weise von ihm bedrängt und somit gefährdet, indem es ihm nämlich immer wieder anheimfallen kann. In der Erzählung vom so genannten Sündenfall steht die Schlange für die Annoncierung der Versuchung, dass sich der Mensch nicht mit seiner Rolle als Geschöpf zufrieden geben, sondern sich im eigenständigen Umgang mit dem Nichtseienden nun selbst als Schöpfer erweisen solle, indem er sich die Freiheit nimmt, etwas in sein Sein zu holen, was nach der Bestimmung des Schöpfers nicht sein soll. Damit begibt sich der Mensch in die paradoxale Situation, dass er sich über das erhebt, was er ist (Geschöpf), ohne das zu werden, was er sein will (Schöpfer). Es bürgt übrigens für die Güte und Vollkommenheit der Schöpfung, dass der Mensch zum Nichtigen greifen muss, um sich in der Rolle des Schöpfers zu erproben. Wenn dem Geschöpf von der Schlange ein Sein wie Gott – und d. h. in diesem Fall das Sein des Schöpfers – in Aussicht gestellt wird, besteht ja nicht nur das Risiko, eine ontologische Grenze zu unterschätzen, sondern vor allem die Gefahr, dem 26 „Was Gott von Ewigkeit her verneint hat, das von ihm nicht Gewollte – das ist das, was nicht ist, was nur nichtig sein, was nur das Nichts sein kann.“ (III/3, 86) Vgl. § 41.1, III/1, 103 ff. Zum Nichtigen vgl. § 50, III/3, 327 ff.
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tatsächlichen Sein als Geschöpf den Rücken zuzukehren und somit sich selber zu verlieren. Der vorgegaukelte Rollentausch wird ja nicht nur mit seiner Unmöglichkeit konfrontiert, sondern das kühne Heraustreten des Menschen ins vermeintlich Freie, dieser usurpatorische Versuch der Annullation und Beerbung Gottes geht in der Perspektive dieser Erzählung grundsätzlich auf volles Risiko, das von vornherein alle Rückzugsmöglichkeiten preisgibt und den von Gott angekündigten Tod riskiert. Es ist der Griff weit über das Mögliche hinaus ohne Risikofolgenabschätzung – eine aussichtlose Selbstnichtung des Geschöpfes, d. h. die Preisgabe des Seins zugunsten des Chaos des Nichtseins, in dem nur gilt, dass nichts gilt, und auch die selbstzugemessene Geltung immer nur eine nicht nur bestreitbare, sondern immer auch eine bereits bestrittene Behauptung ist. Es ist nun das Kennzeichen der göttlichen Erhaltung, dass Gott sein Geschöpf nicht der Nichtung überlässt, die er mit seiner eigenwilligen Selbstusurpation vollzieht, sondern an seiner Bestimmung festhält. Auch im Horizont seiner ebenso grundlosen wie flagranten Selbstauslieferung an das gnadenlose Nichts, dem Gott in seiner Schöpfung kein „Wesen und Existenz“ (84) gegeben hat und somit „nur in seinem Ausschluß vom Erschaffenwerden […] wirklich ist“ (84), ist die Kreatur nicht einfach an sich selbst und das Chaos preisgegeben. „Sie könnte und müßte als solche, würde Gott sie nicht erretten und bewahren, vom Chaos überwältigt werden, der absoluten Nichtigkeit anheimfallen.“ (84) Der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf ist eben der, dass das „Chaos […] ein in seinem Verhältnis zu Gott […] schlechterdings unterlegener, […] aber in seinem Verhältnis zum Geschöpf schlechterdings überlegener Faktor“ (87) ist. Insofern ist der Mensch hier vollkommen auf das erhaltende Wirken Gottes angewiesen. Die Unheimlichkeit, in der das Nichts den Menschen bedrängt, nimmt allzu schnell selbst göttliche Züge an und droht ihn vollkommen in Beschlag zu nehmen. Und es ist in der Tat nicht ohne Gott auf dem Plan, aber eben als das Nicht-gewollte, das als solches nicht als der Zufall oder das Schicksal aufgewertet und mit einer eigenen Autorität versehen werden darf. Die Schöpfung präsentiert sich nicht als etwas, was von vornherein auch mit den Zorn Gottes durchmischt ist, so als gehöre dieser mit zu dem Willen Gottes, sondern sie exponiert das Gewollte, das den durchaus akuten Gefährdungen durch das Nicht-Gewollte vor allem dadurch trotzt, dass Gott es nun auch erhält (88). Der nicht nur von Otto Weber erhobene Vorwurf, dass in Barths Vorsehungslehre der Gesichtspunkt des Bösen zu kurz komme,27 mag die allerdings von Barth gut begründete Reihenfolge der Darstellung betreffen, wohl aber kaum das hier zur Geltung gebrachte sachliche Gewicht.28 Der entscheidende 27 Vgl. O. Weber, Grundlagen der Dogmatik, Bd. I, 557 f; vgl. auch Ratschow, Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, 54 – 58, 61 u. Plathow, Das Problem des concursus divinus, 170 – 173. 28 Vgl. auch Geiger, Providentia Dei, 680 f.
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Punkt bleibt doch der, dass weder im Blick auf das Böse noch auf die Sünde im Horizont der Fürsorge Gottes zu befürchten ist, dass sie schließlich die Oberhand gewinnen könnten und sich damit als letztgültige Macht und somit als die tatsächliche Gottheit des Weltgeschehens erweisen würden. Die Destruktionskräfte dürfen in keiner Weise beschönigt werden, aber sie können ihr Werk nicht vollenden, weil der Schöpfer die Schöpfung nicht sich selbst überlässt und der Auferstandene zur Rechten Gottes sitzt. Deshalb gibt es auch für die Glaubenden jeden Grund, sich selbst am Widerstand gegen die offenkundigen Destruktionskräfte in dieser Welt zu beteiligen.29 Der entscheidende Punkt ist, dass es nicht eine Gegebenheit bzw. ein Umstand der Welt ist, der diese erhält;30 sie ist also an sich durchaus gefährdet. Es ist das Festhalten an seinen durch die Schöpfung vollzogenen Scheidungen zwischen Licht und Finsternis, der Feste und dem bedrohenden Meer, durch welche Gott sein Geschöpf erhält. Die Pointe selbst der Sintflut oder auch der ägyptischen Plagen ist auch in der Bewahrung und Erhaltung zu sehen, die hier von Gott in durchaus eigentümlicher Weise vor Augen gestellt werden (85). Es ist nicht das Sein, das den Menschen vor dem ebenfalls seienden Nichtsein bewahrt, so als setze sich die Evidenz des wahren Seins gegen die des Scheins durch, sondern Gottes Erhalten des Seins und die darin liegende Verheißung. Konsequent zu Ende gesprochen hat Gott sowohl sein Ja zur Schöpfung als auch sein Nein zu dem Nichtgewollten in Jesus Christus, wo Gott sich selbst dem Nein aussetzt, um für den Menschen das Ja definitiv zu bestätigen. Hier tritt Gott entschlossen allem vor der Hand wohl kaum ausräumbaren Zweifel entgegen (90). Dieses Erhalten Gottes – um hier noch einmal an die Voraussetzungen der Vorsehungslehre zu erinnern – ist keine Angelegenheit unserer allgemeinen Welterfahrung und schon gar nicht einer empirischen Gegebenheit, sondern des Glaubens – wenn man so will: der Glaubenserfahrung. Barth hebt dabei vor allem die Lebensermutigung hervor, die sowohl in der Ernüchterung gegenüber den Grenzen als auch in deren gelassener Anerkennung besteht, innerhalb derer der Mensch in der Freiheit des Geschöpfes im Vertrauen auf Gottes Erhalten leben darf (96ff). Diese Erlaubnis zu freiem eigenen Wirken in einer dafür eingerichteten eigenen Wirklichkeit, die er ebenso wenig erst zu schaffen hat wie sich selbst, gründet in dem Glauben an Gott als den Erhalter seiner Schöpfung (99).
29 Vgl. auch Krçtke, Gottes Fürsorge für die Welt, 93. 30 Vgl. Geiger, Providentia Dei, 684.
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10.2.2 Gottes Begleiten Weil das Leben Leben und nicht einfach ein unveränderlicher Zustand ist, kann sich das Erhalten nicht anders als in einem Begleiten vollziehen.31 Wenn Barth hier den Begriff der Koexistenz aufgreift, möchte er nicht auf das Gegenübersein von Gott und Mensch aufmerksam machen, sondern er verweist auf den Geschehenscharakter, in dem allein angemessen sowohl von der Wirklichkeit des Menschen als auch der Gottes und eben auch der Bezogenheit beider aufeinander gesprochen werden kann. Leben ist gekennzeichnet von Bewegungen, ihm eignet eine nicht sistierbare Dynamik. Auch für das Gottesverständnis gilt, dass es nicht auf sein Sein reflektiert, sondern von seiner Lebendigkeit ausgeht, die sich grundsätzlich in Bewegung Ausdruck verschafft, insbesondere in seiner Beziehung zu seinem Geschöpf. Was von Gott zu verstehen ist, zeigt sich in der spezifischen Dynamik seiner Koexistenz mit der von ihm gewollten Kreatur. Begleitung unterscheidet sich auf der einen Seite von determinierender Manipulation, indem sie in Wahrung der Freiheit auf beiden Seiten vollzogen wird, und auf der anderen Seite von distanzierter Beobachtung, indem sie sich in achtsamer Zugewandtheit und konkreter Beziehung ereignet. So wie Gott sich in seiner Freiheit zum Mitsein mit seinem Geschöpf entschieden hat, so erhält auch der Mensch seine Freiheit im Horizont der Ermöglichungen, die gerade von dieser Koexistenz eröffnet werden (104 f).32 „Das vorherbestimmende Wirken dieses Gottes ist per se keine Vergewaltigung, keine Entwürdigung, keine Entmächtigung seines Geschöpfes.“ (147) Vielmehr ist es die Basis und der Horizont seiner Freiheit, in welcher es ausdrücklich zu eigenem Handeln ermutigt wird. Das ist ein zentrales Motiv für Barths Verständnis der annoncierten Koexistenz. Offen gehalten wird dieser Freiheitsraum durch den Heiligen Geist, der die mit der Koexistenz bezeichnete Beziehungswirklichkeit lebendig hält (106). Barth distanziert sich von den in der Tradition zu findenden komplizierten Verhältnisbestimmungen unterschiedlicher causae,33 die im Blick auf den concursus in ein philosophisch plausibles Verhältnis gesetzt werden müssen (111ff), und annonciert an ihrer Stelle die Liebe Gottes, die uns auch – wie bereits angezeigt – in diesem zweiten Aspekt der Fürsorge Gottes in einer 31 „Weil er es [sc. das Geschöpf] in seiner Wirklichkeit erhalten will und weil seine Wirklichkeit Veränderung ist, darum begleitet er es in seiner Veränderung.“ (III/3, 123) 32 „Es darf, gerade indem er, dieser Gott, als Schöpfer herrscht, alles gerade nach seiner Weise, an seinem Ort und zu seiner Zeit sein, leben, wirken, seines Daseins Kreise vollenden. Daß er in allem Meister ist, ändert nichts daran, daß ein jedes nun eben gerade in seiner eigenen Wirklichkeit sich entfalten darf. Im Gegenteil: eben darin besteht Gottes Regierung und Fürsorge: daß ein Jedes das darf und kann. Und immer und überall, wo es das faktisch tut, hat es gerade das der göttlichen Regierung und Fürsorge zu verdanken.“ (III/3, 168) 33 Vgl. dazu differenziert Plathow, Das Problem des concursus divinus, 116 f.
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besonderen Weise mit der Ewigkeit Gottes in Berührung bringt: „Gott liebt ewig; er liebt als der Schöpfer auch der Zeit.“ (121) Diese die Zeit umfassende Treue Gottes gibt seinem Begleiten sowohl eine spezifische Unausweichlichkeit als auch eine die Freiheit des Menschen immer wieder neu stimulierende Perspektive. Gottes Begleiten lässt sich aber wiederum entschieden nicht von der Natur oder in der Geschichte ablesen, vielmehr bleibt auch in der gegenseitigen Bezogenheit die grundsätzliche Unterscheidung der beiden Wirklichkeitsbereiche bestehen. In seiner Koexistenz wird Gott nicht zu einer Bestimmung der Natur oder der Geschichte (124). Barth stellt sich konsequent gegen jede Form einer magischen Weltanschauung, in der sich der Glaube schließlich substanziell an dem geschöpflichen Geschehen orientiere und unweigerlich aus Gott eine Art Oberdämon mache (125). Ebenso weist er die Vorstellung einer kosmischen Vernunft oder einer Weltseele ab (138) und betont, dass zwischen Gott und dem Geschöpf nicht noch irgendwelchen Prinzipien und Gesetzen eine eigene Autorität zukommt, der sich der Mensch eigens zu beugen habe. Durch kein Naturgesetz und keine Weltformel wird noch ein „selbständig herrschendes Subjekt zwischen Gott und das einzelne geschöpfliche Geschehen hineingeschoben“ (145). Damit wird die von den biblischen Schöpfungserzählungen propagierte Entgötterung der Welt, ihre konsequente Entmythologisierung im Horizont des ersten Gebots noch einmal in Erinnerung gerufen: die Befreiung der Welt zu ihrer Weltlichkeit. Wenn Barth hier erneut die Ewigkeit Gottes hervorhebt, ist es wiederum gerade die Unterschiedenheit des Schöpfers von seinem Geschöpf die seinem Begleiten eine eigene Qualität zumisst. Die Bezogenheit der Ewigkeit Gottes auf die mit einer eigenen Wirklichkeit versehenene Kreatur einschließlich ihrer Zeitlichkeit stellt das Geschöpf in seiner ganzen Begrenztheit in die Unverbrüchlichkeit der Liebe seines Schöpfers. Wenn man so will, ist das die einzige Prämisse, unter der es eine theologisch angemessene Welterkenntnis und dann auch Lebenspraxis geben kann. Und auch hier liegt der Ton wieder auf dem Schutz, der insbesondere der Freiheit des Geschöpfes zukommt. In der Liebe Gottes liegt auch das principium individuationis seiner Fürsorge. Keine flächendeckenden Regeln, sondern ein „höchst persönliches Regiment“ (156). „Gott wirkt also nicht wie ein Schulmeister, der einer ganzen Klasse gemeinsam dieselbe Lehre mitteilt, nicht wie ein Offizier, der eine ganze Truppe gemeinsam in derselben Richtung in Bewegung setzt, und nicht wie ein ,Bureaukrat‘, der ein ganzes Departement nach ein und demselben, in seinem Köpflein nun einmal hoffnungslos befestigten Gesichtspunkt und Prinzip verwaltet.“ (156) Und so steht auf die Frage nach Gottes konkretem Handeln in der Welt keine prinzipielle Antwort zu erwarten. Die konkrete Antwort erschließt sich im je konkreten Glaubensvollzug – hier kann im spezifischen Sinne von einer Glaubenserfahrung gesprochen werden. Das Prinzipielle des Weltgeschehens findet sich nicht in der Kausalität welcher Art auch immer und ihrer zu zweifelhaften Hochrechnungen ver-
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führende Erfahrbarkeit,34 sondern in Gottes Erwählung und dem im Zuge der Verwirklichung dieser Erwählung geschlossenen und in Christus an sein Ziel geführten Bund. Es kann im Blick auf das Begleiten Gottes nicht plötzlich von einer anderen Geschichte die Rede sein als von der Bundesgeschichte. Barth greift hier wieder den von ihm gern benutzten Gottesnamen „Immanuel“ auf (149): „Gott mit uns“ – das Begleiten ist Gott so wesentlich, dass es bereits zu seinem Namen gehört (vgl. auch Ex 3,14).35 Gott definiert sich nicht erst in irgendwelchen Überraschungen der jeweiligen Vorgängigkeiten, er ist kein leerer Begriff, den wir unsererseits durch unsere mehr oder weniger zufällige Weltbetrachtung irgendwie aufzufüllen hätten. Vielmehr können wir nur dann einigermaßen gewiss sein, tatsächlich von Gott zu reden, wenn wir uns an das halten, was er von sich selbst dem Menschen durch sein Wort erschlossen und immer wieder zu erschließen verheißen hat. Gotteserkenntnis im Weltgeschehen kann grundsätzlich immer nur ein Wiedererkennen eines mir in bestimmter Weise bereits bekannten Gottes sein.36 Es ist durchaus erstaunlich, was Barth aller Betonung des bleibenden Geheimnisses (158) zum Trotz dann doch alles sagen kann über Gottes Vorausgehen, sein aktuelles Begleiten und schließlich auch seine Nachsorge und wie weit er dabei immer wieder in die Nähe ganz naiver Frömmigkeitsvorstellungen kommt, wenn er beispielsweise „in jeder Bewegung jedes Blattes im Winde“ (150) ein seinem Schöpferwillen entsprechendes Handeln Gottes annonciert.37 Dabei bleibt allerdings das spezifische Gefälle vom Besonderen zum Allgemeinen zu beachten, das zwar für Barth nicht überraschend ist, das aber nach wie vor in unserem Umgang mit der Gottesfrage und den Mutmaßungen über sein Handeln, insbesondere dann auch im Horizont der Theodizeeproblematik, frappierend schnell in Vergessenheit gerät und dann ebenso schnell eine erdrückende Fülle von Aporien auf die theologische Tagesordnung setzt.
34 Barths Kritik an den wissenschaftlichen Dogmatisierungen erkannter Naturgesetze bestreitet nicht die Verlässlichkeit des geschöpflichen Gefüges, mahnt aber die Wissenschaft, ihren Anspruch auf die Unerschütterlichkeit ihrer Erfassung der Wirklichkeit sowohl angesichts immer wieder zu vollziehender Perspektivenwechsel als auch im Blick auf die Reichweite ihrer Erkenntnis nicht zu überschätzen; vgl. III/3, 114ff, 145 f. 35 Geiger hebt den Namen ,Immanuel‘ als das „Grundwort des christlichen Vorsehungsglaubens“ hervor ; Geiger, Providentia Dei, 685. 36 Das gilt übrigens auch für die gern missverstandene Lichterlehre Barths, nach der die auch außerhalb der Kirche auszumachenden Lichter nicht einfach aus sich selbst heraus leuchten, sondern eben das Licht Christi reflektieren; vgl. IV/3, 153ff, vgl. dazu Berkhof/Kraus, Karl Barths Lichterlehre. 37 Einerseits bleiben die angeführten biblischen Referenzen hier zu beachten (vgl. III/3, 197), und andererseits fällt hier auch ein charakteristisches Licht auf Barths eigene Frömmigkeit, der es offenkundig geschenkt zu sein scheint, diese unmittelbare Nähe zum biblischen Zeugnis zu wahren.
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10.2.3 Gottes Regieren Wenn Barth betont, dass Gott allein regiere, hat er die überlegene Schöpfermacht Gottes gegenüber dem Geschöpf im Blick. Dabei schwingt keineswegs nur beiläufig ein herrschaftskritischer Ton mit: „Die Regierung jedes Anderen wäre hier Fremdherrschaft, anmaßend, inkompetent, ohnmächtig, Pfuschwerk.“ (178) Darauf liegt der Ton. Das Geschaffene kann sich nicht selbst regieren, es bedarf einer Lenkung, wenn nicht die Kräfte des Chaos die Oberhand gewinnen sollen, wo dann verschiedene mehr oder weniger willkürlich erstellte Zieloptionen miteinander in Konkurrenz treten und sich gegenseitig zerreiben. Gerade in der Überschätzung seiner Macht bedroht sich das Geschöpf selbst. Seine usurpierten Herrschaftsansprüche und Gestaltungsillusionen führen faktisch ins Chaos, weil es sich selbst die Macht des Schöpfers anmaßt, ohne aber über diese zu verfügen, so dass es spätestens auf halben Wege stecken bleibt, um sich aber dann unverdrossen in das nächste Abenteuer zu stürzen. Wenn das Ziel der Geschichte nicht auf ihren Ursprung bezogen bleibt, wendet sie sich unweigerlich heillos gegen die Perspektive der Schöpfung und missbraucht ihre Gegebenheit für die willkürliche Errichtung entfremdeter Wirklichkeiten, wie es ja faktisch unablässig geschieht und die Welt mit einem Netz selbst geschaffener Notwendigkeiten und auch Nöte überzieht, eben weil die jeweiligen Herrschaftsansprüche „anmaßend, inkompetent, ohnmächtig“ sind. Im Unterschied zu Gott kann der Mensch längst nicht alles, was er will, und indem er mit seinem Willen sein Können überfordert, überschreitet er zum Schaden des Ganzen seine Grenze. Fukushima ist da nur ein aktuelles Beispiel der höchst gefährlichen Selbstüberschätzung der Reichweite menschlicher Wirklichkeitsbeherrschung, deren breite Elendsspur sich durch die ganze menschliche Geschichte zieht. Wenn diesen Usurpationen des Geschöpfes das Regieren des Schöpfers gegenüber gestellt wird, ist es wiederum die Ewigkeit des Schöpfers, die seinem Regieren ein unsere unmittelbaren Erfahrungen relativierendes Gewicht zumisst (186). Sein Regieren steht gegen Schicksal und Zufall (183ff), die immer sofort das Spiel beherrschen, wenn sich der Mensch zu dem Eingeständnis der Grenzen seiner Macht gedrängt sieht. Es ist – wie bereits angedeutet – kein verborgen in der Welt wirkendes Prinzip, das allem Geschehen eine Richtung gibt (217). Vielmehr weist Gott in seinem Regieren dem Geschöpf einen Raum zum eigenen Wirken zu (187) und gibt in seinem Bund dem Geschehen eine verlässliche und schlechterdings hoffnungsvolle Perspektive. Wiederum betont Barth die Freiheit des Geschöpfes und weist darauf hin, dass der Mensch gewiss auch zu ernten haben wird, was er gesät hat, aber er hat es nicht in der Hand, damit den Verlauf der ganzen Geschichte zu beherrschen (189). Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass es gerade nicht die Zeiten des Wohlergehens sind, in denen die göttliche Fürsorge besonders betont wird,
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sondern die Zeiten der Not, der Bedrängnis oder gar Ausweglosigkeit. Die Rede von Gottes Fürsorge ist eben keine Bestätigungs- oder Affirmationslehre, sondern eher eine die Welterfahrung transzendierende Trostlehre, wie wir sie etwa auch bei Paul Gerhardt finden, der angesichts auch seines persönlichen Elends während des 30-jährigen Krieges Lieder aufschreiben konnte wie „Befiehl du deine Wege“ oder „Du meine Seele singe“.38 Barth sieht dabei durchaus die Versuchung, dass aus der Not eine Tugend gemacht werden kann,39 aber diese betrifft die Willkürlichkeiten im Blick auf die konkrete Gestalt der Vorsehungslehre, nicht aber ihre sachliche Notwendigkeit. Gerade dort, wo das menschliche Regieren – mild gesprochen – seine Verlegenheiten oder – deutlicher gesprochen – seine wetterwendische Fahrigkeit und besinnungslose Eigenwilligkeit bedrängend erfahrbar macht, ist an das verborgene Regieren Gottes zu erinnern, das dem Glauben überhaupt erst sein weltbejahendes Stehvermögen zu geben vermag. Wenn Barth angesichts des noch nicht vergessenen Elends des Zweiten Weltkrieges auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam die Aufmerksamkeit betont auf das Regieren Gottes lenkt, so deshalb, weil er auch die Kirchen immer wieder mit der Neigung beschäftigt findet, sich selbst der Welt als das Handeln Gottes zu präsentieren, ohne sich dabei auch ihrer eigenen Abhängigkeit von dem lebendigen Handeln Gottes tatsächlich bewusst zu sein.40 Die tatsächliche Teleologie des Weltgeschehens liegt im Urteil und im Willen Gottes, auch wenn dies im Einzelfall keineswegs immer zu plausiblen Einsichten führt. Auch hier geht es nicht um Verifikation und Affirmation, sondern um das Bekenntnis des Glaubens. Barth spricht von einer „vertikalen Relativierung des Kreaturgeschehens“, aus welcher dann auch eine „horizontale Relativierung“ resultiert (193). Die „das Ganze organisierende und für das Ganze charakteristische Mitte“ besteht in dem von Gott „aufgerichteten und durchgeführten, verheißenen und erfüllten Bund der freien Gnade“ (207), in dem sich Gott als der fürsorgliche und verlässliche König Israels erweist (200ff), der als solcher immer auch als der wahre König der Völker bekannt wird. Das Regieren Gottes vollzieht sich im Wirksamwerden der Übermacht seiner freien Gnade, wie sie vom Alten und Neuen Testament ins Zentrum gerückt wird (210). Damit sind sowohl das Ziel als auch Richtung und Linie des von Gott bewirkten Geschehens benannt (221). Die Ökonomie seines Regierungshandelns wird nirgends deutlicher als in dem Christusgeschehen, von dem aus auch das Weltgeschehen in den Blick zu nehmen ist (223). In seiner Auslegung des Heidelberger Katechismus hebt Barth hervor, dass in der Vorsehung kein abstrakter Gott agiert, vielmehr handelt Gott als der Vater seines Sohnes, indem er die Menschen als die Geschwister seines Sohnes betrachtet.41 Die Unbegreiflichkeit des Regierens 38 39 40 41
EG 361 und 302. Vgl. Barth, Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur, 236. Barth, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan. Vgl. Barth, Die christliche Lehre nach dem Heidelberger Katechismus, 55.
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Gottes entspricht genau der Unbegreiflichkeit seiner Gnade,42 und das eine ist ebenso wirklich – und d. h. in diesem Zusammenhang auch: wirkend – wie die andere. Das, was hier im Besonderen des Christusgeschehens deutlich wird, mag im Allgemeinen noch verborgen sein, aber der Glaube wird es auch hier immer wieder bestätigt finden, während der Unglaube nur den Widerspruch zu registrieren vermag (224 f). Als zweifellos auch immer bestreitbare Signaturen des Regierens Gottes führt Barth mit allen Vorbehalten, die hier zu machen sind, die „Geschichte der heiligen Schrift“ (227ff), die „Geschichte der Kirche“ (231ff), die „Geschichte der Juden“ (die in besonders merkwürdiger Weise die Treue Gottes widerspiegelt; 238ff) und die „Begrenzung des menschlichen Lebens“ mit seinem unverfügbaren Anfang und Ende (256ff) an. Sie alle lassen sich nicht allein im Rekurs auf die Selbsttätigkeit des Menschen angemessen verstehen, sondern zeigen auch die Spuren des immer wieder neuen Lenkens Gottes. In dem, worin sich Gott dem Menschen erkennbar gemacht hat und macht, wird die kontinuierliche fürsorgliche Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung durchgängig unterstrichen.
10.3 Als Geschöpf leben Wenn es Sinn macht vom Menschen als Geschöpf zu sprechen und von Gott als seinem Schöpfer, dann kann menschliches Leben angesichts des weiter für seine Schöpfung sorgenden Gottes schlicht und einfach nichts anderes heißen als eben als Geschöpf zu leben. Die ebenso unmittelbare wie faktisch anhaltend ignorierte Stringenz dieser Aussage gilt es ein wenig zu entfalten. Im Unterschied zu dem aus sich selbst, tatsächlich wohl aber aus den jeweils gegebenen Umständen lebenden Menschen verdankt sich das Geschöpf seinem Schöpfer, der nicht aufgehört hat, sein Schöpfer zu sein, sondern er bleibt seinem Geschöpf ein fürsorgliches Gegenüber. Die Bejahung der Geschöpflichkeit und somit der bleibenden Beziehung zu seinem Schöpfer prägt nicht nur die Selbstwahrnehmung des Menschen, sondern auch die des Weltgeschehens, dass allem Anschein entgegen nicht sich selbst überlassen ist, sondern der tätigen Fürsorge Gottes unterstellt bleibt. Als Geschöpf ist der Mensch also das Wesen, das um die Fürsorge Gottes weiß und sich auch ganz und gar von ihr getragen weiß. Der Glaube ist dabei ein durchaus intellektuales und mit Begriffen umschreibbares Wissen um Gott,43 das sich folgenreich auf unsere Wahrnehmungen auswirkt. Gerade deshalb wird der Mensch im Weltgeschehen gewiss nicht an dem bedrückenden Elend vorbei sehen und auch das Mitleiden Gottes an diesem Elend, seinen rettenden Einspruch und 42 Vgl. Geiger, Providentia Dei, 688. 43 Vgl. Geiger, Providentia Dei, 680.
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sein tatsächlich heilsames Eingreifen nicht aus dem Blick verlieren. „Er sieht etwas, was die Anderen nicht sehen. […] Er sieht die konstituierende und organisierende Mitte des Weltlaufes […], in dieser Mitte als Träger aller Gewalt im Himmel und auf Erden den Sohn Gottes“ (273). Was könnte die Berufung auf das Christsein noch besagen, wollte sie diesen besonderen Erkenntnisgrund nicht fest im Blick halten. Vorsehungsglaube gestaltet sich in diesem Sinne als Erkenntnisglaube, nicht im theoretischen, sondern im praktischen Sinn, d. h. im existenziellen Vollzug.44 Ohne Illusionen, aber auch ohne Resignation betrachtet der Mensch im Glauben das Weltgeschehen, nicht als „der Schlaumeier“, der nun einen Generalschlüssel in der Hand hätte, sondern als jemand, „der weiß, daß es mit allen Generalschlüsseln, die der Mensch erfunden zu haben und in seinen Händen zu haben meint, nichts ist“ (275). Barth nennt es die „christliche Sachkunde“ (276), die in dem spezifischen Blick des Glaubens auf die Welt liegt. Sie besteht in dem von der Seite des Menschen nicht zu kalkulierenden „Abenteuer“ (275), die Hand Gottes im Weltgeschehen immer auch im Spiel zu sehen. Diese Sachkunde nimmt die ganze Gotteserkenntnis und die ganze Welterkenntnis und somit den ganzen Menschen in Anspruch (277). Es ist genau das, was mit Glauben gemeint ist, den der Mensch nicht selbst produziert, der ihn aber ganz und gar in Beschlag nimmt, so dass nirgends von den Erkenntnissen abgesehen werden kann, die sich durch ihn erschlossen haben. „Christliche Sachkunde“ entsteht da, wo auf das Wort Gottes gehört wird (279). Sie bedeutet keine Aufgabe des Intellekts, sondern fordert ihn mit ihren Orientierungen in besonderer Weise heraus (280 f), allerdings – wie gesagt – ohne ihm eine für jede Gelegenheit passende Theorie zu liefern. Barth weiß um die Ungeheuerlichkeit des hier zu vertretenden Anspruchs und versucht ihn in jeder Hinsicht mit der nötigen Demut zu versehen, ohne von seiner Stringenz irgendwelche Abstriche zu machen. Wie sollten wir davon auch Abstriche machen können, geht es doch um einen Anspruch Gottes. Der Mensch und in diesem Fall der Christ, die Christin, muss sich allerdings vor der Hybris hüten, ihn als ihren eigenen auszugeben. Es stehen eben nicht die ganze Helligkeit und Klarheit vor Augen, wohl aber und immerhin doch ein Licht im Dunkeln, eine Orientierungsquelle, mit der es sich lohnt auf Entdeckungsreise zu gehen. Barth kommt hier auf das „Dennoch“ zurück, das im Blick auf das Weltgeschehen zu sagen bleibt und das im Christusgeschehen sein „Darum“ hat (282).45 In diesem Dennoch artikuliert sich die Widerstandskraft des Glaubens
44 Vgl. auch Plathow, Das Problem des concursus divinus, 130. 45 Dieser Zusammenhang wird dadurch greifbar, dass Barth die drei Aspekte der Vorsehungslehre von den drei Aspekten der Versöhnungslehre gleichsam gehalten sieht. Das Erhalten hat seinen Bezugspunkt in der Rechtfertigungslehre (KD IV/1), das Begleiten steht in Korrespondenz zur Heiligung (KD IV/2), und das Regieren findet seinen versöhnungstheologischen Grund in der Lehre von der Berufung (KD IV/3); vgl. auch Plathow, Das Problem des concursus divinus, 102 – 110. Barth verweist in seiner Vorsehungslehre darauf, dass im Bekenntnis ihres Glaubens
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(284), den das Bekenntnis der Christen ausmachen soll, nicht als eine manifeste christliche Position, sondern als ein je und je zu verdeutlichendes Zeugnis, für dessen Gewissheit und Klarheit sie stets erneut um die erschließende Kraft des Heiligen Geistes zu bitten haben.
10.4 Vom Ernstnehmen des ersten Gebots Was hier zur Debatte steht, ist die Frage, von wo aus sich der Mensch tatsächlich leiten lässt – von seinen wechselhaften und kurzlebigen Eindrücken und Befindlichkeiten in den erlebten Vorfindlichkeiten, die ihm auch immer einen gewissen Raum lassen, so oder so von Gott zu sprechen, oder gestaltet er sein Leben von den Erhellungen, die sich ihm im Glauben erschließen, d. h. die ihm im Vertrauen auf das Wort Gottes zuwachsen. Die Theologie ist noch nicht bei ihrem Thema, wenn sie von Gott spricht, denn von Gott zu reden lassen die Menschen auch da nicht ab, wo dieser ihnen unbekannt ist. Im Horizont ihrer Welterklärung nimmt er in der Regel den Platz ein, den auf dem Areopag der unbekannte Gott eingenommen hat (Apg 17) – er steht ebenso für das Geheimnis der Welt wie für die Unnahbarkeit und prinzipielle Unbegreiflichkeit Gottes. Er bezeichnet die Grenzen unseres Wissens und Erklärens. Damit an der Stelle, wo wir nicht weiterkommen, nicht einfach nichts ist, wird sie mit Gott bezeichnet, obwohl dadurch bei genauem Hinsehen dieser Stelle nicht wirklich etwas hinzugefügt wird, nur dass dieses Nichts jetzt von Gott besetzt wird, der ihm einen klangvolleren Namen gibt, allerdings ohne eine die Gesamtsituation verändernde Aussage zu ermöglichen. Nicht einmal die Bedrohlichkeit vermag dieser Gott dem Nichts zu nehmen, und wenn, dann eben nur illusionär. Im Horizont allgemeiner Weltanschauung ist neben all dem Wissen, das sich nur selten seine faktische Ungewissheit eingesteht, Gott als „gerade der Faktor, auf den hier Alles ankommt, ein unbekannter Faktor“ (158). Dass im Horizont einer solchen weltanschaulichen Thematisierung Gottes dann keine Gelegenheit ausgelassen wird, diesem chiffrenhaften und zugleich nicht dechiffrierbaren Gott alle in der Weltbetrachtung unlösbaren Fragen aufzulasten und ihn damit unablässig so in Bedrängnis bringen, dass nur noch wenig Sinnvolles bleibt, was von ihm gesagt werden könnte, liegt in der Natur der eingenommenen von vornherein hoffnungslosen Perspektive, die im Allgemeinen fischt und darauf setzt, dass sich das Besondere Gottes irgendwie im Netz verfangen werde. Jede sinnvolle Rede von einer Vorsehung oder Fürsorge Gottes dient in diesem weltanschaulichen Horizont von vornherein mehr ihrer Widerlegung als die Glaubenden am dreifachen Amt Jesu Christi als Knecht (Priester), König und Prophet teilnehmen; vgl. III/3, 309, 316, 325.
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einer möglichen Begründung. Über die Ernährung eines zweifellos gestaltbaren Fatalismus hinaus macht es wenig Sinn, mit dem Wirken eines unbekannten Gottes zu hantieren. Die in diesem Zusammenhang demonstrierte undialektische Referenz zur Erde lässt früher oder später die Frage nach dem Sinn der Rede von Gott aufkommen, so dass man sich willig zeigt, diesen Gott zu opfern, was außer einem gewissen Lamento rein gar nichts verändert. Allzu transparent ist inzwischen dieses Spiel mit diesem unbekannten und flexiblen Gott, so dass ihm immer mehr Mitspieler abhandenkommen, die dieser heiligen Verbrämung ihrer Verlegenheit überdrüssig geworden sind. Sie verabschieden sich ja nur von ihrer Täuschung, die sie zunächst für eine gewisse Zeit aus eher unbestimmten Gründen einmal gewollt haben. Wenn sich etwas Begründbares und dann auch Tragfähiges über Gott aussagen lassen soll – wenn Gottesrede nicht nur Ausdruck einer Verlegenheit und das Kompensat eines Desiderates sein soll –, muss es um einen Gott gehen, der sich in bestimmter Weise bekannt gemacht hat. Er kann nur dann und wird dann auch ganz gewiss ein Faktor unserer Weltbetrachtung werden, wenn er uns nicht darüber im Unklaren lässt, wie er sich zur Welt und ihrem Geschehen verhält. Und von dem aus, was er uns von sich und seinem Verhältnis zur Welt bekannt gemacht hat, wird die Welt in einen bestimmten Blickwinkel gebracht, dem sich auch all unsere Erfahrungen aussetzen müssen, wenn der Rede von diesem Gott ein tatsächlicher Ernst zukommt. Hier liegt der Grund dafür, dass Barth, wenn er in seiner Vorsehungslehre von Gott spricht, nicht nachlässt, immer wieder betont hinzuzufügen, dass es nicht allgemein um Gott, sondern eben um diesen, d. h. um den in seinem Mensch gewordenen Wort sich offenbarenden Gott geht. Allein vom Christusglauben her kann sich zeigen, dass es um den christlichen Vorsehungsglauben geht (335). Überall wo sich das Besondere, was es aufgrund seiner Offenbarung von diesem Gott zu sagen gibt, verflüchtigt oder gar verloren geht, ist auch für die Theologie – und auch hier betont Barth ausdrücklich: die christliche Theologie (160) – die Möglichkeit verspielt, überhaupt etwas Begründetes von Gott sagen zu können. Ihr Wissen um Gottes Wirken resultiert nicht aus einer Vermutung aufgrund derer es dann behauptet wird, sondern aus einer spezifischen Erkenntnis, aus der heraus es dann bezeugt wird (160), wobei dies Zeugnis ganz und gar eben auf die Lebendigkeit Gottes selbst setzt, d. h. auf den Heiligen Geist, durch den allein das Wirken Gottes erkennbar wird (161). Doch mit der theologisch korrekten Benennung ist es nicht getan. Es besteht immer wieder die Versuchung, sich mit einer richtigen Theologie zufrieden zu geben. Und so bleiben im Blick auf unser Thema folgende Fragen zu stellen: Wird nicht alles, was das christliche Bekenntnis sagt, zu einem wertlosen Lippenbekenntnis (167), wenn sich auch die Christen in ihrem Weltverhältnis mit dem Bann der Angst der Welt arrangieren? Und auch in die umgekehrte Richtung wäre zu fragen, ob die christliche Berufung auf Gott nicht obsolet wird, wenn sich auch unter den Christen immer wieder die
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Unterstellung hält, dass es dann um die Freiheit des Menschen schlecht bestellt sei, wenn dem Vertrauen in das Handeln Gottes zu viel Raum gelassen werde? „Was hilft uns nun eigentlich alles unser Denken und Reden über Christus und seine Auferstehung, über die Gnade und über die Herrlichkeit unserer Wiedergeburt zu einer neuen Kreatur, über die Majestät des Wortes Gottes, über die Kirche als göttliche Stiftung und über die causative oder kognitive Kraft der Sakramente – wenn uns angesichts der schlichten Zumutung, Gott als den anzuerkennen, der Alles in Allem wirkt, nun dennoch der Kummer erfaßt, als ob damit vielleicht doch von Gott zu viel und vom Geschöpf zu wenig gesagt sein, als ob damit dem Eigenen, der Selbständigkeit des geschöpflichen Wirkens, als ob damit insbesondere der menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit zu nahe getreten sein könnte!“ (166) – „Läßt man sich durch das, was wir als Christen erkennen und bekennen durften, nicht dazu freisprechen, Gott mehr zu lieben als zu fürchten, dann ist es klar, daß man ihn mehr fürchten als lieben muß.“ (167)
Die immer wieder annoncierte Gefahr, dass wir das Böse nicht ernst genug nehmen könnten, rangiert bei Barth eindeutig hinter der als größer bewerteten Gefahr, dass wir in unserem uneingestandenen Respekt vor dem Bösen die Auferstehung Christi nicht tatsächlich ernst nehmen und damit überbeindruckt von dem Bösen ihm kleinmütig das Feld überlassen. Indem „das Wirken Gottes das Wirken seiner Gnade ist“ (169), zielt es nicht auf die Annullierung, sondern auf die bejahende Aufrichtung des Geschöpfes und das Freihalten des ihm zugedachten Wirkungskreises, der ohne dieses Freihalten unversehens von usurpierten Ansprüchen, interessegelenkten Grenzziehungen und vermeintlichen Sachzwängen genau so besetzt wäre, wie wir es faktisch immer wieder erleben, in der Regel ohne allerdings dabei an dieser Stelle unsere Unfreiheit zu beklagen. Die Gnade nimmt dem Menschen nicht nur nicht seine Freiheit, auch geht es nicht um irgendetwas, was dem Menschen noch zu tun gelassen bliebe, sondern sie konstituiert diese überhaupt erst, eröffnet und erhält einen vorher verschlossenen Raum und gibt ihr die spezifische Dynamik, in der sie zu agieren ermächtigt wird (169). Barth äußert einen gewissen Überdruss, dies immer wieder unterstreichen zu müssen. Darin steht er ganz und gar in der protestantischen Tradition – ganz an der Seite von Luther und Calvin, die sich dabei vor allem auf Paulus berufen –, dass die Botschaft des Evangeliums eine Befreiungsbotschaft ist und deshalb das theologische Bedenken des christlichen Lebens das Bedenken der den Menschen von Gott eröffneten Freiheit darstellt. Angesichts der unablässigen Verunklarung dieser Freiheit, die meist mit einem widersinnigen Angriff vor allem auf die Wirklichkeit Gottes einhergeht, empfindet Barth eine gewisse „Langweiligkeit“ (213), gegen die offenkundig kaum anzukommen ist. Die Allmacht Gottes besagt ja nie, dass Gott alles macht, was im Übrigen auch unsinnig wäre, sondern dass er alles machen kann, was er will, dass sein Wollen immer auch mit einem Können verbunden ist und häufig bereits
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Gottes Einstehen für seine Schöpfung
Ausdruck seines Handelns ist.46 Pointiert spricht Barth von der Allmacht der Barmherzigkeit Gottes (212); sie ist es, in der er alles vollbringt, was er will. Die theologische Argumentation eröffnet eine klare Perspektive, aber Barth weiß auch, dass mit der Stringenz der Argumentation unserem Kleinglauben nicht auf die Sprünge geholfen werden kann: Wir „stehen hier vor einem Punkt, wo alle theologischen Argumente erst da kräftig werden, wo die Art, die große christliche Unart des Angstkomplexes Gott gegenüber im Ausfahren ist.“ (170) Theologische Richtigkeiten greifen zu kurz; erst wo wir tatsächlich von der Gnade des Geistes bewegt werden, kann auch in der Rede von der Vorsehung bzw. der Fürsorge Gottes die befreiende Botschaft realisiert werden. Dabei kommt der Rede von der tätigen Fürsorge Gottes der gleiche Wirklichkeitsrang zu wie der Rede von der Auferstehung Christi, ja sie hängen auf fundamentale Weise miteinander zusammen, und Barth hat sich beispielsweise in seinem Engagement für einen Widerstand gegen den Nationalsozialismus mehrfach ausdrücklich auf diesen Zusammenhang berufen.47 Aber wenn dem lebendigen Christus, der zur Rechten Gottes des Vater sitzt (wie wir es solenn in unserem Glaubensbekenntnis betonen), keine unsere Wirklichkeit betreffende Bedeutung zugemessen wird, kann es kaum verwundern, wenn damit auch die Rede von Gottes besonderem Handeln im Weltgeschehen verblasst. Wenn die Wiederkunft Christi nicht schon mit seiner Auferstehung begonnen und in der Himmelfahrt eine bestimmte Intensivierung erfahren hätte, sondern erst für das Ende der Zeit erwartet würde, dann säßen wir da mit unseren Kirchen, die nichts weiter wären als doch eher bescheidene als wirklich tröstende Notgemeinschaften, die auf die Befreiung aus dem Elend dieser Welt zu hoffen. Dass aber genau dies nicht der Fall ist, bekennen wir infolge der Auferstehung, und dass die wahre und darum auch wirkliche Herrschaft über das Weltgeschehen in der Hand des Auferstanden liegt, haben wir aus der Himmelfahrt gelernt. Wie wollten wir an die Auferstehung Christi angemessen glauben, ohne gleichzeitig an Gottes Fürsorge für diese Welt zu glauben. Wenn es um Gott geht, geht es nicht um etwas, sondern um alles oder nichts. Das ist doch das befreiende Evangelium des ersten Gebots.
46 Zum Verständnis der Allmacht vgl. II/1, 587 ff. 47 Vgl. dazu o. Kap. 5.
Teil 3 Religion und Religionskritik
11. Die religiöse Verlegenheit der Kirche Religion und christliches Leben als Problem der Dogmatik1 11.1 Karl Barths Frage an uns Trotz aller äußerer Monumentalität ist Karl Barths Theologie stets mehr Frage als Antwort geblieben. Auch wenn Barth der Theologie wieder entschieden Dogmatik zumutet – im Widerspruch zur an der menschlichen Subjektivität orientierten neuzeitlichen Theologie –, so versteht er unter Dogmatik ja nicht die Fixierung unumstößlicher Lehre, sondern er weiß, wie vorläufig und unbeholfen all unser Reden bleibt. Vielmehr stellt Barth gerade wegen dieser Vorläufigkeit und Unbeholfenheit aller menschlichen Rede von Gott der Kirche die Frage, ob sie nicht längst ihre Zeitlichkeit und Relativität aus den Augen verloren hat und nun sich selbst als die besondere Verheißung an die Welt ansieht. Setzt die Kirche nicht vor allem auf ihre Möglichkeiten und ihre so menschlich und allzu menschlich verwaltete Stärke anstatt auf die Wirklichkeit Gottes und sein verheißenes Reich? Barths Theologie will die Kirche in all ihren zweifellos begründbaren Geschäftigkeiten an den Grund und die Quelle ihrer ,theologischen Existenz heute‘ erinnern. Da gehören stets alle drei Stichworte unauflöslich zusammen: Theologie, Existenz und Heute. Es ist zweifellos problematisch, wenn die Kirche die tatsächliche Existenz und das Heute ausklammerte. Doch das ist heute und war für Barth seinerzeit weniger die Gefahr, vor der es zu warnen galt, denn die neuzeitlichen Theologen und Kirchen haben auf den Druck hin zu einer zeitgemäßen und kooperativen Theologie ohnehin weithin mit entgegenkommender Beeindruckbarkeit reagiert. Vielmehr sah Barth – und das bleibt auch seine Frage an uns –, dass bei aller tätiger Solidarität mit den jeweils bestimmenden historischen Umständen und bei aller flexibler Aktualität sehr schnell die Kriterien ins Wanken geraten, mit denen sich zeigen lässt, inwiefern das alles etwas zu tun hat mit Gott und seinem Willen, mit und für uns Menschen zu sein, wie er ihn in der dramatischen Geschichte Jesu Christi angezeigt hat und anzeigt. Das ist doch die entscheidende Frage, die niemals ungestellt bleiben darf. Mit dieser eher unbequemen Frage nach dem 1 Diesem Kapitel liegt ein Vortrag zugrunde, den ich auf Einladung des Fachbereichs Theologie am 08. 11. 1984 in Göttingen gehalten habe; in deutlich erweiterter Fassung zuerst in: Michael Weinrich/Peter Eicher, Der gute Widerspruch. Das unbegriffene Zeugnis von Karl Barth, Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn: Patmos Verlag / Neukirchener Verlag 1986, 76 – 160; jetzt für den Wiederabdruck stellenweise gekürzt.
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Leiden Gottes an unserer Existenz heute erinnert uns Barth an das biblische Zeugnis von der lebendigen Geschichte Gottes mit dem Menschen als dem Grund und der Quelle auch schon unseres Fragens und Suchens, ohne je ,Existenz‘ und ,Heute‘ hintanstellen zu wollen. Barths Theologie ist kirchliche Theologie, aber keine Kirchentheologie. Sie dient der Kirche, gerade indem sie diese immer wieder zu kritischer Rechenschaft über ihr Reden und Tun nötigt. Dabei verfügt sie über keine besseren Einsichten oder gar über ein wissenschaftliches Instrumentarium, mit dessen Hilfe sie nun objektive Gültigkeiten aus dem Dunkel ans Licht befördern könnte, sondern sie bleibt stets der verlegene Versuch, die jeweilige historische Wirklichkeit im Lichte der biblisch bezeugten Wahrheit zu betrachten. Sie hat niemals die Wahrheit, aber sie gibt sich auch niemals mit der flügellahmen Unterstandsweisheit zufrieden, dass doch alles relativ sei. Insofern vermag sie zwar niemals objektive Feststellungen zu treffen, aber noch energischer tritt sie gegen die verbreitete Lebensanschauung auf, die allein der Subjektivität das Wort redet. Wenn es ernsthaft um die Wahrheit geht, dann können nicht unsere Eindrücke, unsere noch so sensiblen Impressionen oder die stets nur historischkontextuell interpretierten subjektiven Erfahrungen das Siegel sein. Es kann nicht darum gehen, all das, was ohnehin da ist, unsere Freuden und Ängste, die Nöte und das Leiden der Welt nun zu theologisieren, um sie auf ein höheres Niveau zu bringen. Vielmehr geht es darum, dass wir nicht bei uns selbst bleiben, d. h. nicht allein auf unsere Worte, sondern – natürlich mit all unseren Erfahrungen usw. – auf das Wort Gottes hören. Der Glaube hat seine Kraft nicht aufgrund unserer Erfahrungen, sondern trotz all unserer Erfahrungen und eben darin erweist er seine Stärke (im Übrigen brauchte man sonst nicht mehr zwischen Glaube und Erfahrung unterscheiden)! Das ist ein Grundimpuls der theologischen Arbeit Barths, dass er der neuzeitlichen Theologie vorwirft, dass sie mit der Subjektivierung ihres Redens und der Subjektivität des Glaubens zu früh kommt, ohne überhaupt erst recht angefragt und ausgehalten zu haben, dass sich der Inhalt und die Wirklichkeit des Glaubens nicht in erster Linie auf die individuelle Lebensbegleitung beziehen, sondern auf Gottes Eintreten für uns und die Verheißung seines Reiches, um dessen Kommen wir in jedem Gottesdienst im Vaterunser beten. Wenn Barth hervorhebt, dass die subjektive Komponente nicht zu früh bestimmend werden soll, so ist damit ja nicht einer steilen Orthodoxie das Wort geredet, so als dürfe da nie und nirgends von unserer Subjektivität und unseren individuellen Erfahrungen die Rede sein. Allerdings sind die Erfahrungen nicht die Bedingung des Redens und Denkens und stehen daher nicht am Anfang des theologischen Gedankens, sondern sie finden ihren Platz in seinem Vollzug, d. h. im Nachdenken der Bestimmungen, die Gottes eigenes Handeln unserer Wirklichkeit und unserem Leben gibt. Damit sind wir mitten im Thema, denn es sollen im Folgenden einige Grundbestimmungen der Kirche bedacht werden. So sehr die Kirche auf der
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einen Seite die Gemeinschaft der Glaubenden ist, die sich als solche nicht vor Augen führen lässt, so sehr ist sie auf der anderen Seite gleichzeitig eine irdisch-geschichtliche Gemeinschaft von Menschen, die in durchaus eigenartiger Weise äußerlich in Erscheinung tritt. Die Kirche hat stets auch menschliche Gestalt. Das ist nicht etwa eine geringschätzige Außensicht von Unbeteiligten, die sich auf diese Weise die Bahn freiräumen wollen für ihre unablässigen Nörgeleien, sondern dies gehört mit zum Wesen der Kirche als der zusammengerufenen Gemeinde, dass sie eine Gemeinde von konkreten Menschen einer konkreten Zeit ist, die sich bemühen, dem Grund ihres Zusammenseins eine angemessene Form zu geben. Damit stellt sich das Problem der Weltlichkeit der Kirche, das zunächst schlicht darin besteht, dass die Kirche ein Stück dieser zeitlichen und endlichen Welt ist. Sie ist nicht der Himmel auf Erden oder ein Stück Ewigkeit in der Zeit, ebenso wenig wie sie der Hort der Gerechten im Kontrast zur wilden Herde der Ungerechten ist. Auch tut sie nicht Wunder oder könnte sich zu Recht in der Rolle des Weltreformers präsentieren, sondern sie selbst bleibt vierfacher Acker (Lk 8,4 – 15), auf dem die Saat ebenso unterschiedlich gedeiht wie auch sonst, denn auch die übrige Welt ist nicht einfach unfruchtbarer Fels. Christus ist nicht für die Kirche gestorben, sondern um die Welt mit Gott zu versöhnen. Folgen wir dieser angedeuteten Linie der Weltlichkeit der Kirche, so steht hier die Weltlichkeit synonym für die konkrete menschliche Zuständigkeit für die Kirche und ihre Gestalt. Es geht um die Menschlichkeit der Kirche; nicht in dem Sinne, dass ihre äußere Gestalt ja nur menschlich und deshalb unvollkommen, gleichsam prinzipiell zu vernachlässigen sei, sondern genau umgekehrt in dem Sinne, dass hier im Unterschied zum Evangelium und zum Glauben die Gemeinde als die Gemeinschaft lebendiger Menschen auf ihre Zuständigkeit hin angesprochen wird. Nicht für unseren Glauben und den der anderen sind wir zuständig, wohl aber für die Sorge um die möglichst angemessene Form der Verkündigung, um die möglichst angemessene Form des gemeindlichen Miteinanders und auch um die organisatorische und institutionelle Gestalt der Kirche. Wie leicht neigen wir dazu, umgekehrt zu verfahren, indem wir das für gleichgültig erklären, was in unsere tatsächliche Zuständigkeit fällt, und uns zu Regisseuren, Dramaturgen und Choreographen des Glaubens machen, den wir dann allzumeist gegen den Unglauben ins Feld zu schicken geneigt sind, ohne noch recht zu erkennen, dass der strenge und harte Gegensatz von Glaube und Unglaube quer durch uns selbst verläuft. Und so wird deutlich, dass hier nicht Belangloses verhandelt wird, sondern dass es um das Ganze geht: sowohl ob wir etwas verstanden haben von dem Geschenk der Gnade Gottes, das wir Glauben zu nennen gewohnt sind, als auch ob wir etwas verstanden haben davon, dass wir durch den Glauben der alten Adamswelt und ihrer Probleme weder entnommen noch ihr gegenübergestellt sind. Daraus folgen nun zwei Fragen, die für die folgenden Überlegungen zentral bleiben: 1. Welche Bedeutung hat die sichtbare Gestalt der Kirche einschließlich ihrer Theologie und der sogenannten Spiritualität
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für das Verständnis der Kirche? 2. Wie ist das Verhältnis der Kirche zur säkularen bzw. profanen Welt zu gestalten, d. h. zu dem Teil der Welt, der sich nicht zum Gott der jüdisch-christlichen Tradition – dem Schöpfer, Versöhner und Erlöser – bekennt? Beide Fragen zielen auf die Weltlichkeit der Kirche, einmal im Blick auf das unvermeidliche Faktum, dass die Kirche als eine Gestalt von Religion, d. h. als eine Religionsgemeinschaft in Erscheinung tritt, und zum anderen im Blick auf ihren Dienst in der Welt und für die Welt. Die Frage nach dem theologischen Ort der konkreten Kirche in der Welt weist uns einmal auf das Religionsproblem und zum anderen auf eine theologische Erfassung der Profanität.
11.2 Aspekte Eine reine Theologie gibt es nicht. Sie hat stets einen konkreten Kontext, auf den sie direkt, zumindest aber indirekt Bezug nimmt. Diese Kontextualität war für Barth stets eine Selbstverständlichkeit.2 Nun haben sich die geschichtlichen Umstände, in denen wir heute über Religion und Kirche nachdenken, gegenüber Barth deutlich verändert. Deshalb sollen zunächst einige durchaus verschiedenartige, aber dennoch zusammenhängende Aspekte aufgereiht werden, die den gegenwärtigen Kontext veranschaulichen sollen, in dem sich das Gewicht der Frage nach der Religion erahnen lässt.
11.2.1 Eine religionslose Welt war angesagt Es war nicht nur ein religionsloses Christentum, sondern überhaupt eine religionslose Welt angesagt.3 Ebenso stand das Stichwort der Säkularisierung hoch im Kurs,4 wohl um anzuzeigen, dass auch diese religionslose Welt nicht einfach ohne Zuhilfenahme der christlichen Tradition interpretiert werden könne. Das Christentum sei in die Latenz – Karl Rahner spricht von einem ,anonymen Christentum‘5 – getreten, und lasse sich immer weniger von der modernen emanzipierten Gesellschaft unterscheiden. Dies war weithin die Prognose der 60er Jahre für uns heute. Freilich sind ,Religionslosigkeit‘ und ,Säkularisierung‘ höchst unscharfe Begriffe geblieben, die die unterschiedlichsten Assoziationen wecken. Sieht man einmal von der apologetischen Tendenz dieser neuen Vari2 Vgl. dazu u. Kap. 14. 3 Meist im freien Anschluss an Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 402ff, 477ff, 529 ff. 4 Vgl. u. a. Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit; Ders., Der Mensch zwischen Gott und Welt, Stuttgart 1956; v. Buren, Reden von Gott – in der Sprache der Welt; Rendtorff, Säkularisierung als theologisches Problem; Ders., Theorie des Christentums; Cox, Stirb nicht im Warteraum der Zukunft; Ders., Stadt ohne Gott; Metz, Zur Theologie der Welt. 5 Vgl. dazu die Diskussion mit ausführlichen Literaturhinweisen: Klinger (Hg.), Christentum innerhalb und außerhalb der Kirche.
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ante einer Kulturtheologie ab,6 so lag ihr unausgesprochenes Interesse wohl zunächst darin, dass sie einen weiteren Fortschritt in der Aufklärung der Menschheit anzeigen wollte, hinter den man heute nicht mehr zurück dürfe; vielmehr sei es dringend geboten, sich möglichst weitgehend mit ihm zu arrangieren. Der aufgeklärte, das meint der allseits aufgeschlossene moderne Mensch, der sich zu eigener Mündigkeit emanzipiert hat, sei nicht mehr religiös. Und einige der Theologen, die bei solchen Trendwenden leicht dazu neigen, in ihrem Eifer um unanfechtbare Aktualität noch übers Ziel hinaus zu schießen und sich wie der Igel im Wettlauf mit dem Hasen gebärden, erklärten gleich Gott für tot, ohne nun aber von der Theologie lassen zu wollen.7 Vielmehr propagierten sie ein atheistisches Christentum, dem es nun von der Geschichte auferlegt sei, auch atheistisch an Gott zu glauben,8 was eben nur gelingen kann, wenn wir in uns selbst den Stellvertreter Gottes entdecken und die in uns liegenden Fähigkeiten und Kräfte zur Herstellung von Gerechtigkeit und Frieden sichtbar ins Werk setzen. Das moderne, d. h. das zeitgemäße Christentum sollte sich über die praktische Beteiligung des Menschen in der ihm auferlegten Reich-Gottes-Arbeit definieren. Orthopraxie war das Stichwort, das die der Orthodoxie verdächtigte dogmatische Tradition und die theistische Theologie beerben sollte. Die Beteiligung am Kampf um menschenwürdige Verhältnisse wurde für viele keineswegs nur kirchenferne Christen – jenseits vom Streit um die Wahrheit des Bekenntnisses – zum entscheidenden Kriterium für ein zeitgemäßes christliches Gegenwartsbewusstsein. Der Glaube wurde so eng mit der eigenen Praxis verknüpft, dass beide nicht mehr voneinander unterschieden werden konnten. Das ganze Geschick der Welt glaubte man in seinen Händen, von denen man im Übrigen zu denken geneigt war, dass sie die einzigen Hände Gottes seien. Die Vorrangstellung der Praxis negierte nicht nur alle traditionellen Orientierungen, sondern verdrängte vor allem jede Hemmung durch eine bereits von Gott vollzogene Praxis und hob damit zugleich alle eschatologischen Vorbehalte auf, in denen das entscheidende Erlösungshandeln nicht vom Menschen, sondern von Gott erwartet wird. 11.2.2 Es ist ganz anders gekommen Die Prognose einer religionslosen Welt hat sich nicht erfüllt. Der Trend vermochte sich nicht durchzusetzen. Vielmehr hat seit Anfang der 70er Jahre eine breitflächige Rehabilitierung der Religion stattgefunden und findet wohl immer 6 Vgl. Metz, Umwege zu einer praktischen Fundamentaltheologie, bes. 22 – 25. 7 Vgl. zur allgemeinen Orientierung mit Literaturhinweisen Daecke, Welcher Gott ist tot? 8 Vgl. Sçlle, Atheistisch an Gott glauben. Viel beachtet wurde in diesem Zusammenhang das emphatisch geschriebene Buch von Bloch, Atheismus im Christentum, mit seinem dialektischen Programmwort: „Nur ein Atheist kann ein guter Christ sein, nur ein Christ kann ein guter Atheist sein.“
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noch statt, selbst wenn man sich gewarnt sein lässt, nun in jeder bewusst gepflegten oder gesellschaftlich propagierten Emotionalität eine religiöse Bewegung erkennen zu wollen.9 Es sind keineswegs an erster Stelle die Theologie und die Kirche, die die Religiosität wieder für sich entdeckt haben, vielmehr folgen diese wieder nur dem Trend und lassen sich vom neuen Klima der Religiosität mittragen. Es fällt auch in diese Zeit, dass von Seiten des Marxismus neue Erwartungen an die Religion laut werden.10 Die Zeit der radikalen Religionskritik ist endgültig und allseitig vorbei – auch im Blick auf die Psychologie und die Soziologie.11 Religion wird weit über die Grenzen von Theologie und Kirche hinaus wieder öffentlich inszeniert im Schutz von den unterschiedlichsten Koalitionspartnern. Auch die Avantgarde des kritisch-politischen Christentums, die explizit oder implizit einer Form der Gott-ist-tot-Theologie zuneigt, ist in ihrem außerparlamentarischen und institutionenkritischen Kampf für Gerechtigkeit und Frieden längst wieder von der religiösen Feier eingeholt worden.12 Sieht man sich etwa die Friedensbewegung an, so lässt sich unschwer zeigen, dass der von der unbestreitbaren Explosivität der gegenwärtigen Situation bewegte Phantasiereichtum in den zahlreichen – gerade in ihrer faktischen Hilflosigkeit meist sehr beeindruckenden – Aktionen häufig eine religiöse, ja bisweilen rituelle Komponente trägt. Das ,politische Nachtgebet‘ hat seine Versammlungsräume verlassen und feiert nun seine (ökumenischen) Gottesdienste auf den Zufahrtswegen von Mutlangen, auf der Startbahn West, in der Republik ,Freies Wendland‘, der ,freien Republik Wackerland‘ oder auf der Hofgartenwiese in Bonn, in singenden Menschenketten, im Selbsterfahrungstraining zum gewaltfreien Widerstand, in der öffentlichen Meditation oder auch nur im Tragen christlicher Farben und Symbole.13 Zunächst interessiert nur das Phänomen. Eine kritische Einschätzung soll damit nicht abgegeben werden, zumal der Protest wahrlich nicht grundlos und im Blick auf die demonstrative Wirkung gar nicht expressiv genug sein kann. Wohl aber mögen einige Fragen gestellt werden, die auch in den weiteren Überlegungen eine Rolle spielen werden. Welche Rolle kommt hier im Zusammenhang mit dem zweifellos notwendigen Engagement der Religion zu? Ist es hier das Übermaß an Bedrohung und die geringe Chance auf grundlegende Änderung, die hier die Religion auf den Plan ruft? Ist sie hier die Antwort oder stellt sie von sich aus die widerständigen Fragen? Anders formuliert: Ist die Religion hier eine Reaktion, oder ist sie die kritische Initiative? Was ist das eigentlich für ein Phänomen, dass man gerade in ausweglos er9 10 11 12 13
Vgl. Prçpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte,19 f. Vgl. u. a. Milan Machovec, Vteˇzslav Gardavsky´, Leszek Kołakowski. Vgl. u. 11.2.4. Vgl. beispielhaft Sçlle, Die Hinreise. Außer in zahlreichen kleinen Artikeln etwa in der Jungen Kirche hat sich dies bisher literarisch nur wenig niedergeschlagen. Aus dem Umfeld wären zu nennen: Bahr, Versöhnung und Widerstand; Ders./Sçlle, Wie den Menschen Flügel wachsen, und das weltanschaulich-religiös eingebundene Buch des Journalisten Alt, Frieden ist möglich.
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scheinenden Situationen die Religion wiederentdeckt, ja, je gigantomachischer die Bedrohung, umso rasanter die religiöse Konjunktur? Ist das nicht eher eine klassische Situation, die nach allseitiger Religionskritik schreit, damit man sich nur nichts selbst vormacht? Diese religionskritischen Rückfragen werden nicht von der Theologie gestellt. Vielmehr gehören sie heute stets zum Phänomen der Religion dazu. Die Religionskritik hat uns einen naiven Umgang mit der Religion verstellt und nötigt uns stets erneut zur Rechenschaftsablage darüber, welche Kräfte in der jeweils aktuellen Gestalt der Religion zum Zuge kommen. Davon sind auch Theologie und Kirche nicht enthoben, auch wenn damit ihre spezifischen Aufgaben noch nicht eingelöst sind. 11.2.3 Zielsicher an Barth vorbei „Religion ist Unglaube“ (KD I/2, 327). Dieser kurze, aus dem Zusammenhang gerissene Satz von Barth gehört in der nach wie vor unabgeschlossenen Auseinandersetzung um die Religion zu den am häufigsten zitierten Sätzen Barths. Das Christentum sei nach Barth keine Religion,14 und so habe er überhaupt jede Form der Religion verdammt.15 Sowohl von denjenigen, die unter Berufung auf Dietrich Bonhoeffer die Zeiten der Religion als vergangene betrachten wollen, als auch von denjenigen, die umgekehrt die aktuelle Relevanz der Religion für fundamentaltheologische Überlegungen herausstellen wollen, wird Barth als radikaler, d. h. als konsequent vernichtender Religionskritiker aufgeführt. Die einen stimmen Barth zu und sehen in ihm den Wegbereiter für ein heute angesagtes religionsloses Zeitalter. Und die anderen gebrauchen ihn als Kontrastfigur für ihre Apologie der Religion, an der sich gleichsam negativ die Bedeutung der Religionsproblematik veranschaulichen lasse, denn an Barths Theologie – darauf läuft dann in der Regel der Vorwurf hinaus – fehle die menschliche Seite und ihre theologische Aufarbeitung. Beide gehen damit gründlich an Barths Überlegungen zur Religion vorbei, was wohl vor allem den vorläufigen Vorteil hat, dass man Barth mit seiner dezidiert theologischen Thematisierung der Religion erst einmal losgeworden ist. Er erscheint entweder als zwar hilfreicher, nun aber längst überholter Vorläufer oder eben als theologiegeschichtliche Kuriosität, deren schroffe und unmenschliche Antithethik den gegenwärtigen Theologen die gern genutzte Gelegenheit bietet, die eigenen Vorstellungen nun als differenziertere, menschlichere und damit sachlich angemessenere Lösung zu präsentieren. Beide führen Barth ausdrücklich an. Auf diese Weise wird er besonders wirkungsvoll stumm gemacht, denn es wird der 14 Vgl. u. a. Meinhold, Ökumenische Kirchenkunde, 303; Zahrnt, Die Sache mit Gott, 144 f; Rçdding, Dogmatik im Grundriß, 51; Pçhlmann, Abriss der Dogmatik, 36ff; Halbfas, Religion, 174 f; Cobb, Ist das Christentum eine Religion?; Joest, Fundamentaltheologie, 83; Zirker, Religionskritik, 47 ff. 15 Vgl. u. a. Thielicke, Der evangelische Glaube, Bd. I, 432ff; Althaus, Die Christliche Wahrheit, Bd. I, 164 f.
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Anschein erweckt, als habe man sich mit ihm auseinandergesetzt. Doch bei genauerem Hinsehen wird schnell deutlich, dass weithin weder die theologische Grundsätzlichkeit des Religionsproblems – deshalb wird es auch bei Barth in den Prolegomena, d. h. in den Grundlagenüberlegungen zur Dogmatik bedacht – noch seine sachliche Reichweite auch nur geahnt werden. Und so bleibt nach wie vor gültig, was Barth 1923 an Adolf von Harnack schrieb, dass man ihn nicht wirkungsvoll wird widerlegen können, ohne ihn ernstlich gelesen zu haben.16
11.2.4 Außertheologische Apologien Der Versuch, Barth heute zur Religionsproblematik zu befragen, muss sich von vornherein klarmachen, dass sich in den letzten zwanzig Jahren das Problem noch erheblich verschärft hat. Die von Barth ins Auge gefasste Religion hat noch einen recht unschuldigen Charakter im Vergleich zu dem, was uns heute mit dem Religionsproblem gegenübertritt. Längst sind den Theologen und vor allem den Kirchen die Anthropologen und Soziologen zu Hilfe gekommen, um nun der Religion einen konstitutiven Platz im Menschen oder in der Gesellschaft zu sichern. Von ihnen wird die Hilfe lieber in Anspruch genommen als von der Seite des religiös aufgeschlossenen Marxismus, wie er beispielsweise von Vteˇzslav Gardavsky´ vertreten wird,17 da hier die Selbstbedienung weiterhin kostenlos erscheint, während man dem Marxismus gegenüber mit inzwischen tief ins Unterbewusstsein eingegrabenen Vorurteilen zu kämpfen hat.18 Da wird auf der einen Seite die Religion von den existenziellen psychischen Bedürfnissen des Menschen eingefordert: „Es gibt keinen Menschen, der nicht ein religiöses Bedürfnis hätte“.19 Wenn hier alle Menschen in den Blick genommen werden, so zielt dies nicht auf eine besondere historische Situation, sondern auf die Natur des Menschen, auf die ,Spezies Mensch‘, die eben von besonderen psychischen Charakteristika geprägt sei, zu denen auch das religiöse Bedürfnis zähle. Dieses Bedürfnis bedarf der Befriedigung, andernfalls erkranke der Mensch, denn er vergreift sich ja an seiner eigenen Natur.20 Auf der anderen Seite zählt etwa Niklas Luhmann die Religion zu den unverzichtbaren Bestandteilen des gesellschaftlichen Lebens. „Es gibt […], und dieser Befund berechtigt uns zu einer funktionalen Definition des Religionsbegriffs, keine spezifisch funktionalen Äquivalente für religiöse Formen 16 Vgl. Barth an Adolf von Harnack, in: Barth, Offene Briefe 1909 – 1935, 73. 17 Vgl. Gardavsky´, Gott ist nicht ganz tot. 18 Deshalb wird häufig die marxistische Öffnung zur Religion oder auch ausdrücklich zum Christentum nur dazu benutzt, um – in Verdrehung all ihrer Absichten – mit ihr nun noch einmal gegen Marx zu Felde zu ziehen. 19 Fromm, Psychoanalyse und Religion, 243. 20 Zu Fromms Religionspsychologie vgl. Weinrich, Priester der Liebe.
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oder Verhaltensweisen, die nicht als Religion erscheinen. Diese Bedingung konstituiert […] Funktionssysteme in der gesellschaftlichen Realität als selbstsubstitutive Ordnungen. Eine Ordnung ist selbstsubstitutiv, wenn sie nicht durch eine andere ersetzt, wohl aber unter geeigneten Bedingungen in jeder Hinsicht geändert, also weiterentwickelt werden kann. Eine solche Ordnung setzt sich selbst unter konditionierten Substitutionszwang und sie erzwingt zugleich, dass jede Ersatzleistung innerhalb ihrer selbst erscheint.“21
Die Religion ist damit zu einem konstitutiven gesellschaftlichen Element avanciert, dessen Funktionen durch nichts anderes ausgeübt werden können; Religion kann nur durch Religion, d. h. durch eine andere Form der Religion ersetzt werden. Dabei gilt ebenso wie für die psychologische Unverzichtbarkeitsbehauptung, dass die Religion funktional in den Blick kommt. Sie deckt – je nach spezieller Fragehinsicht – einen bestimmten Bereich ab und übernimmt damit eine partielle Rolle in einem übergeordneten Zusammenhang. Einerseits wird auf diese Weise der Religion ein unbestreitbarer Platz gesichert, während sie zugleich andererseits in die Beschränkung der jeweiligen Funktion genötigt wird, gleichsam als Preis für die Bestandsgarantie. Eine besonders entwaffnende Zielbestimmung der Religion bietet Peter L. Berger, der zwar historisch nicht unrecht hat, wenn er feststellt, dass Barth „den Zug zur Säkularisierung nur unterbrochen, nicht umgewendet hat“,22 daraus aber den Schluss zieht, dass der säkularen Welt nun auch durch die Wiederentdeckung der Transzendenz ihre religiöse Weihe gegeben werden müsse. Die Religion soll zum Ausgleich der Härte des Alltags im modernen gesellschaftlichen Leben gleichsam eine ornamentale Funktion übernehmen, deren Bedeutung vor allem in dem Effekt liegt, sich sagen zu können: take it easy! Dazu sucht sich Berger nun aus den verschiedenen Religionen eigenwillig einzelne Traditionselemente heraus, die ihm für diesen Dienst an der Menschheit geeignet erscheinen. Und am Ende befindet sich die Menschheit ,auf den Spuren der Engel‘, die gegenüber der Einzigkeit Gottes die vielen Möglichkeiten der Heiligkeit anzeigen, und damit unserem pluralistischen Lebensbewusstsein näher stehen als der eine über allem stehende Gott. Und das ist die Perspektive, in die das Unternehmen zielt: „Eine Wiederentdeckung der Transzendenz bedeutet vor allem, daß wir gegenüber der Wirklichkeit Offenheit der Wahrnehmung zurückgewinnen müssen. Dabei werden wir nicht etwa nur, was die vom Existentialismus beeinflussten Theologen bei weitem überschätzen, der Tragödie begegnen. Vielleicht ist es viel wichtiger, daß wir uns der Banalität, dem Trivialen stellen. Offen zu sein für die Zeichen der Transzendenz bedeutet nämlich auch, die Erfahrung wieder in angemessenen Verhältnissen wahrzunehmen. Erlösung ist auch Entlastung – bis zur Komik. Wir lachen wieder und spielen aus neugewonnener Fülle. […] Offenheit für die Zeichen der 21 Luhmann, Funktion der Religion, 48. 22 Berger, Auf den Spuren der Engel,19.
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Transzendenz, das neue Sehen in angemessenen Verhältnissen, hat, meiner Ansicht nach, moralische, um nicht zu sagen, politische Bedeutung. Der größte moralische Segen der Religion ist, daß man, auf sie gestützt, die Zeit, in der man lebt, aus einer Perspektive sehen kann, die den Tag und die Stunde transzendiert und ihnen die richtige Größenordnung zumisst. Das gibt Mut und ist zugleich auch ein Schutz gegen Fanatismus. Aber der Mut zu tun, was jeweils getan werden muß, ist nicht der einzige moralische Gewinn. […] Um die humanisierende Kraft der religiösen Perspektive würdigen zu können, muß man einmal die revolutionären Ideologien unserer Zeit in ihrer grimmigen Humorlosigkeit kennengelernt haben. Andererseits ist es kaum notwendig, auf den moralischen Nachholbedarf unserer derzeitigen Zustände, speziell der amerikanischen hinzuweisen. Ohnehin spotten sie jeder Beschreibung. Ob man sie als das Herannahen des Jüngsten Gerichts ansieht oder neue Hoffnung auf neue Aktionsprogramme setzt, hängt meistens nur davon ab, ob man gerade die Morgen- oder die Abendzeitung gelesen hat. Das Beste ist, man vergegenwärtigt sich die Einsicht, daß, um Dietrich Bonhoeffers suggestiven Ausdruck zu zitieren, alle historischen Begebenheiten ,vorletzte‘ sind. Denn ihre letzte Bedeutung liegt in einer Wirklichkeit, die sie und alle anderen Koordinaten des menschlichen Daseins transzendiert.“23
11.2.5 Die Kirche im Aufwind der Religion Brisant wird die außertheologische Aufmerksamkeit auf die Religion vor allem in ihrem faktischen Einfluss auf das Selbstverständnis von Theologie und Kirche.24 So wenig sich die Kirchen weithin von der Religionskritik beeindrucken ließen, so sehr sind besonders die Kirchen, die sich auf die protestantische Tradition berufen, nun bereit, jede außertheologische Hilfestellung in Anspruch zu nehmen, wenn sie geeignet erscheint, ihren gefährdeten institutionellen Bestand zu sichern. Eine passende theologische Rechtfertigung wird sich dann auch finden oder erfinden lassen. So spricht etwa Karl-Wilhelm Dahm davon, dass das soziologische Interesse an der Religion „von entwicklungsleitender Bedeutung“ sein könne, da es „in der Tendenz sowohl der inhaltlichen wie der strukturellen Veränderungen eine neue Profilierung der kirchlichen Aufgaben im Funktionszusammenhang gesellschaftlicher Sinnsysteme herauszubilden scheint“.25 Am deutlichsten lässt sich diese Entwicklung an der Theologie von 23 Ebd.,109 f. 24 Dabei ist es im Effekt relativ gleichgültig, ob man sich in sachlich angemessener oder in eigenwilliger Rezeption auf die Soziologen oder Psychologen beruft, denn zumindest werden ja die je eigenen Optionen und Hoffnungen für die Stellung der Kirche in der Gesellschaft kenntlich. Zur Diskussion um Niklas Luhmann, der in der deutschen Auseinandersetzung besonderes Gewicht hat, vgl. Scholz, Freiheit als Indifferenz; Schçfthaler, Religion paradox; Welker (Hg.), Theologie und funktionale Systemtheorie (hier bes. der Beitrag von Michael Welker). 25 Dahm, Religiöse Kommunikation und kirchliche Institution, 182.
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Trutz Rendtorff aufzeigen, die in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) besonders einflussreich ist. Ausgehend von der empirischen Gegebenheit der Kirche ist nach Rendtorff die Theologie dazu aufgefordert, sich positiv auf die wohl unausschöpflichen vielseitigen Möglichkeiten der Realisierung des christlichen Glaubens zu beziehen, um nun nicht noch die dem Protestantismus eignende Neigung zur Desintegration zu fördern. Eine sachlich ausweisbare Unterscheidung zwischen Kirche und säkularisierter Gesellschaft sei dabei im Grunde kaum noch möglich, da auch die säkularisierte Gesellschaft nicht angemessen ohne ihre christliche Wurzel interpretiert werden könne. In diesem Sinne gehöre es heute zur vordringlichen Aufgabe der Theologie, dem historisch gewachsenen Entwicklungsstand der Kirche gerecht zu werden, um nun die Kirche als pluralistische Volkskirche auch theologisch zu legitimieren und zu begründen: „Die Liberalität und bekenntnisbezogene Offenheit der Kirche verlangt nach einer höheren Eindeutigkeit, als sie auf der Ebene unmittelbarer Positionalität theologischen Denkens und kirchlichen Handelns erreicht werden kann. Insofern verlangt die Volkskirche auch nach einer neuen Art des theologischen Umgangs mit der Kirche. Ob die Kirche sich als Volkskirche weiß und hält, kann darum letztlich schlüssig nicht von ihrer empirischen Integrationskraft her legitimiert und begründet werden, sondern allein von ihrem Auftrag her, den sie vom Evangelium empfangen hat, und auf den sie mit ihrem Bekenntnis antwortet. Auf dieser Linie mag dann allerdings schlüssig gelten: die Volkskirche ist die Kirche der Zukunft.“26
Die Religion des Menschen ist bei Rendtorff der für das Kirchenverständnis grundlegende Faktor, denn die von der Kirche geforderte Offenheit und Liberalität soll das seine Freiheit realisierende religiöse Subjekt schützen. Die kirchlich-dogmatischen Fixierungen sind aufzulösen zugunsten eines undogmatischen Christentums, das sich in freier Kommunikation über die jeweils praktische Orientierung der Kirche befindet, wobei die Schwerpunkte von den gesellschaftlichen Funktionen der Kirche festgelegt sind. Dabei beruft sich Rendtorff weder auf einen ontologisch oder anthropologisch gesicherten noch auf einen der aufklärerischen Kritik entzogenen Religionsbegriff, sondern zielt auf eine tatsächlich vorfindliche Religion, deren konkrete Artikulation von kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungsfaktoren getragen wird. Die Frage nach der Religion ist dabei nicht von einem Begriff, sondern vor allem – und damit trägt er einem Konsens moderner Religionswissenschaft Rechnung – von ihrem Faktum aus motiviert. Doch in der Beschränkung auf die Faktizität, die übrigens für Barths Thematisierung der Religion ebenso grundlegend ist, liegt nicht das Problem. Vielmehr liegt die Problematik darin, dass Rendtorff dem Faktum gleich einen ganz bestimmten Interpretationsrahmen gibt, in dem es nun ,historisch-kritisch‘ auf seine Geltungsberechtigung hin untersucht wird: Nur die Religion darf noch Geltung beanspruchen, die nicht nur den Anfragen 26 Rendtorff, Volkskirche in Deutschland, 317.
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der Aufklärung standhält, sondern ihrerseits noch zur Fortentwicklung der Aufklärung beiträgt, bzw. „aus Gründen der Aufklärung rekonstruiert werden kann“,27 zumal nach Rendtorff die „Aufklärung selbst als ein Ereignis innerhalb der Religionsgeschichte des Christentums zu begreifen“28 ist. Die Religion wird zu einem Funktionsträger im neuzeitlichen Aufklärungsprozess. Als solche markiert sie gleichsam die Grenze des Menschen, d. h. neuzeitlich „das Eingeständnis von Grenzen des Handelns […], ohne daß dieses Eingeständnis dem jeweiligen Handlungssubjekt unmittelbar als eine Schwäche zugerechnet wird mit der möglichen Folge seiner Liquidation.“29 Die Religion stärkt den Menschen gegenüber der Schwächung, die von der Erkenntnis seiner Begrenztheit ausgehen kann, und bezieht sich dabei stets auf die konkrete historische Situation des Menschen, die sich – und da liegt die Grundannahme Rendtorffs – nur verändern, d. h. zum Besseren entwickeln lässt, wenn man zunächst in sie einwilligen kann. Hier übernimmt die Religion erst ihre wesentliche Funktion. Sie hilft die Einwilligung in die gegenwärtigen Verhältnisse stärken und wirkt dabei als eine Art antirevolutionäres Bollwerk, denn in der Negation vermag Rendtorff nur die Destruktion zu sehen; die Negation folge nicht aufgeklärter Einsicht, sondern entspringe im Grunde der „Logik des Terrors“.30 Diese allgemeinen Funktionsbestimmungen lassen sich nicht abstrakt verifizieren, sondern nur im Spiegel einer bestimmten, d. h. historisch konkreten Religion bestätigen. Dabei sieht Rendtorff in der funktionalen Betrachtung der empirischen Religion keine Beschneidung ihres inhaltlichen Selbstverständnisses, sondern umgekehrt „gerade einen Weg […], um diese inhaltliche Bestimmtheit genauer zu erfassen.“31 Die Zulassung, ja die dezidierte Installation dieses soziologischen Aufklärungsangebots, durch das die theologischen Inhalte erst recht zu sich selbst finden, um so auch als kirchenrelevante Aussagezusammenhänge evident und plausibel zu sein, zielt offen und ohne Umwege auf eine breit angelegte und prinzipielle Apologie der volkskirchlichen Institutionalisierung der Kirche und ihrer gesellschaftsbezogenen pluralistischen Differenzierungen in die unterschiedlichen sich historisch wandelnden Aufgabenbereiche. Die Kirche wird zu einer Institution, in der sich Religion einen konkreten Präsentationsrahmen verschafft, dessen konfessionelle Kontur weit hinter der gesellschaftlichen Funktion rangiert.
27 28 29 30 31
Rendtorff, Religion ,nach‘ der Aufklärung, 185. Ebd., 201; vgl. ebd.,191. Ebd., 190. Ebd., 189. Ebd., 200.
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11.2.6 Religion als Dispositive der Macht Eine sehr empfindliche und zugleich höchst folgenreiche Verschärfung im zeitgenössischen Umgang mit der Religion wird darin erkennbar, dass sie wieder national wie global zunehmend offensiv zu einer Dispositive einflussreicher Interessen wird. Hatte doch erst die Aufklärung die Religion zu einer Privatangelegenheit erklärt, jedenfalls im Blick auf das, was der einzelne Mensch glauben mag, so ist die Religion auch in diesem Sinne längst wieder zu einer öffentlichen und politischen Angelegenheit geworden. Nicht nur auf der Seite der Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch in den Chefetagen des internationalen Wirtschaftsmanagements und in den Besprechungen der politischen Machthaber wird die Religion heute aufmerksam ins ökonomische und machtpolitische Kalkül gehoben. Nicht nur, wenn im politischen Bereich mit dem Gottvertrauen geworben wird – was ja nur allzu deutlich anzeigt, wo wir tatsächlich stehen –, sondern vor allem dann, wenn die Welt in ,gut‘ und ,böse‘ eingeteilt wird, bietet sich die Religion zur Immunisierung der eigenen guten Position an. Der Kampf gegen das Böse überragt schließlich in der Werthierarchie das eigene Überleben, zumal dieses nicht als der oberste ,Wert‘ im christlichen Glauben anzusehen sei. Hier wird der christliche Glaube zur Förderung der Kampfbereitschaft gegen das von Politikern als ,böse‘ Qualifizierte in Anspruch genommen. Gott wird so weit mit der Sache der ,Guten‘ identifiziert, dass auch er vom Bösen bedroht wird. Eben deshalb ist schließlich die Schlacht zwischen ihm und dem ,Bösen‘ unausweichlich. Gott wird hineingezogen in politische Machtkonflikte zur Sanierung des eigenen aggressiven Selbstdarstellungsgebarens, und so werden heute fast alle kalten und heißen Kriege als Heilige Kriege geführt. Gott wird missbraucht als unverdächtigter Eckstein für eine sonst einsturzgefährdete Ideologie. Dass sich hinter dem ideologischen Kampf vor allem wirtschaftliche Interessen verbergen, lässt sich etwa daran ablesen, dass die amerikanische Industrie theologische Abteilungen zur ideologischen Präparation beispielsweise des politisch-ökonomischen Kampfes in Lateinamerika unterhält.32 Aber auch direkt befasst sich die Politik mit der Religion, ja die Religion wird zu einem außenpolitischen Orientierungskriterium. So heißt es beispielsweise im Dokument von Santa F¦ vom Mai 1980 – einer Art Regierungsplattform der Reagan-Regierung: „Die Außenpolitik der USA muß beginnen, sich der Theologie der Befreiung entgegenzustellen (und nicht im Nachhinein zu reagieren), so wie sie in Lateinamerika durch den Klerus der ,Theologie der Befreiung‘ benutzt wird. Leider haben die Marxisten-Leninisten die Kirche als politische Waffe gegen das Privateigentum und 32 Zur allgemeinen Orientierung vgl. H. Assmann u. a., Die Götzen der Unterdrückung und der befreiende Gott; Hinkelammert, Die ideologischen Waffen des Todes.
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das kapitalistische Produktionssystem benutzt, indem sie die Religionsgemeinschaften durch Ideen infiltrierten, die weniger christlich als kommunistisch sind.“
Hier wird mit einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig lässt, gesagt, worum es geht und wer der entscheidende Gegenspieler ist. Franz Hinkelammert, Wirtschaftswissenschaftler an der Nationalen Universität von Honduras, kommentiert: „Religion hört auf Privatsache zu sein. Und dies geschieht gerade innerhalb der liberalen Demokratien oder unter ihrem Einfluss. Der Staat erklärt sich zur Instanz für die religiöse Rechtgläubigkeit. Die politische Macht nimmt Partei in theologischen Fragen. Privatsache ist, ob man katholisch oder protestantisch ist. Aber es ist nicht Privatsache, welcher theologischen Richtung man angehört, und die theologische Polarisierung durchzieht alle Konfessionen und Religionen.“33
Damit ist das Spannungsfeld skizziert, das heute den theologischen Umgang mit dem Religionsproblem gegenüber Barth erheblich verschärft, d. h. in seiner Dringlichkeit aufgewertet hat. Dabei bleiben nach wie vor die Merkmale des Religionsverständnisses, wie es Barth in seiner Auseinandersetzung vor Augen hatte, in den unterschiedlichsten kulturprotestantischen, liberalen und religionspsychologischen Varianten auch in der Gegenwart bestimmend. Um Barths Auseinandersetzung mit dem Religionsproblem aufzuschließen, müssen wir zwei Wege voneinander unterscheiden: 1. den theologie- und geistesgeschichtlichen Weg, der uns auf Barths kritische Wahrnehmung der Neuzeit und den von ihr hervorgebrachten allgemeinen Religionsbegriff führt (11.3), und 2. den systematisch-theologischen Weg, auf dem die tatsächlich praktizierte Religion zu einem unausweichlichen Problem der Dogmatik wird (11.4).
11.3 Religion als Neuzeitproblem 11.3.1 Der allgemeine Religionsbegriff34 Seine nervöse Brisanz hat das Religionsproblem erst in der Neuzeit bekommen. Noch für die Reformatoren war die Religion selbstverständlich identisch mit dem christlichen Glauben und seiner Lehre. Wenn etwa Johannes Calvin seinem dogmatischen Hauptwerk den Titel „Institutio christianae religionis“ gibt, so verbirgt sich darin weder eine religionsgeschichtliche noch eine religionswissenschaftliche Anspielung, sondern es geht ausschließlich um die Darlegung der rechten christlichen Lehre in Abgrenzung zur Irrlehre. In diesem Sinne wurde die vera religio von der falsa religio unterschieden. 33 Hinkelammert, Die Politik des ,totalen‘ Marktes, 68. 34 Vgl. dazu Birkner, Beobachtungen und Erwägungen zum Religionsbegriff; Weinrich, Religion und Religionskritik.
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a) Der neuzeitliche Religionsbegriff tritt dagegen von vornherein mit einem ausdrücklichen Angriff auf die Theologie in ihrer konfessionellen und dogmatischen Gestalt auf. Die Religion als Anleitung zum rechten Leben wird der rechten Lehre der Dogmatik entgegengestellt. Sie befreit sich von allen konfessionellen Fixierungen, denn diese führen vor allem in den erbitterten Kampf unversöhnlicher unterschiedlicher Wahrheitsbehauptungen, wie er in den Konfessionskriegen des 16. Jahrhunderts drastisch vor Augen stand. Nun soll vor allem sichergestellt werden, dass es wegen theologischer Uneinigkeit zu keinen gesellschaftlichen oder gar kriegerischen Auseinandersetzungen mehr kommt. Deshalb muss jedem theologisch motivierten Einspruch gegen öffentliche Angelegenheiten der Boden entzogen werden. In diesem Sinne formuliert Thomas Hobbes: „Denn der innere Glaube ist seiner Natur nach unsichtbar und folglich aller menschlichen Rechtsprechung entzogen, während die ihm entspringenden Worte und Handlungen als Bruch unseres bürgerlichen Gehorsams vor Gott und den Menschen unrecht sind.“35
Da sich keine die Gegensätze überbrückende Antwort auf die Frage nach der Wahrheit finden lässt, wird das Wahrheitsproblem, also die Dogmatik, zur Privatangelegenheit erklärt, während die öffentliche Religion von der Friedenspflicht gegenüber der Öffentlichkeit, und d. h. jetzt gegenüber dem Nationalstaat, geprägt ist. Nicht die Kirche, sondern der Staat verurteilt die Ketzer, denn: „Ketzer sind nichts anderes als Privatleute, die eigensinnig eine von ihren gesetzlichen Souveränen verbotene Lehre verteidigen.“36
Hier ist nun allein die Übereinstimmung mit der öffentlichen, vom Staat beaufsichtigten und erlassenen Religion vom Häresieverdacht enthoben. Doch schon vor Hobbes stellt Herbert von Cherbury die dann in der Aufklärung wirksam werdenden entscheidenden Kriterien für das neuzeitliche Religionsverständnis heraus: Vernunftgemäßheit und Sittlichkeit. Über die Vernunftgemäßheit entscheidet bei Herbert noch kein abstrakter Vernunftbegriff, sondern – und darin ist er dann viel moderner als der spätere Idealismus – der Konsens vernünftiger Subjekte. Auch die Sittlichkeit muss den jeweils aktuellen Verhältnissen angepasst werden, d. h. sie folgt dem historischen Bewusstsein über die rechte ,tugendhafte Lebensführung‘.37 An die Stelle der Wahrheit ist der Frieden gerückt. Er ist in der irdischen Geschichte greifbar und erfahrbar im Gegensatz zur Wahrheit, die sich im Grunde auch dem noch entzieht, der sie behauptet. Die Bestimmungsmomente der Religion sind von allgemeinem Interesse und dienen dem ,Ge35 Hobbes, Leviathan, 399. 36 Ebd., 442. 37 Herbert v. Cherbury, De veritate (1624).
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meinwohl‘.38 Dieses Gemeinwohl wird vom Staat verwaltet. Er ist auch die oberste Aufsichtsbehörde der Religion, jedenfalls im Blick auf ihre öffentliche Pflege und Gestaltung. Entscheidend bleibt der Glaube an ein höheres Wesen – was immer der Einzelne sich darunter vorstellen mag –, denn dieses hilft die Loyalität dem Staat gegenüber sichern. Ebenso bleibt die Religion eng mit der Sittlichkeit verknüpft, zu der auch das vom Staat erhoffte Arbeitsethos des Einzelnen zählt, denn dieses ist bei zunehmender Arbeitsteilung die Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren der Wirtschaft. Es waren besonders die bürgerlichen Staatsphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts – Hobbes, Spinoza, Locke, Voltaire, Rousseau –, die dem modernen Religionsbegriff sein Profil gegeben haben, bevor er dann von den Theologen im 18. Jh. auch für die Kirche entdeckt und bald als eine Art fundamentaltheologische Grundkategorie rezipiert worden ist. Dabei werden die mit der Religion verknüpften gesellschaftlichen Interessen von den Philosophen ungeschminkt ausgesprochen. So hat bekanntlich Voltaire, der den Kirchen ganz und gar verachtend begegnete, sogar Gott erfinden wollen, um sowohl mit der Ansage von Lohn und Strafe die Disziplin der Bürger zu festigen als auch dem menschlichen Trostbedürfnis entgegenzukommen, denn eine Welt ohne Gott ist wie ein offenes „Meer, dessen Gestade wir nie gesehen haben“.39 Aus praktischen Gründen muss die Religion erhalten bleiben, auch wenn sie vom verheerenden Aberglauben der dogmatisch verirrten Kirchen erst befreit werden muss. Die Religion wird in einem ausdrücklichen Gegensatz zur Konfession der Kirche thematisiert. Die Kirche hat längst über ihre dogmatischen Spitzfindigkeiten die rechte Religion verloren und verpflichtet nun ihre Gläubigen auf den von ihr dogmatisierten Aberglauben. Dieser Aberglaube ist der „schlimmste Feind der reinen Verehrung“, denn er erstickt wie „eine Schlange […] die Religion mit seinen Windungen. Man muss ihr den Kopf zertreten, ohne die Religion, die von ihr vergiftet und zerfleischt wird, zu verletzen.“40 Hier ist nun ganz deutlich, dass die Religion nicht nur ein die Konfessionen übergreifender Oberbegriff sein wollte, sondern dass sie ihre spezifische Kontur vor allem als Gegenbegriff gegen die dogmatische Tradition der Theologie entfaltet. Die Thematisierung der Religion ist von vornherein implizite Religionskritik. Die spätere explizite Religionskritik ist nichts weiter als eine konsequente Fortführung der mit dem allgemeinen Religionsbegriff thematisierten impliziten Religionskritik. Der entscheidende Bruch wird nicht vom Atheismus, sondern durch die Einführung des konfessionslosen Religionsbegriffs vollzogen. Der Atheismus entsteht vielmehr in sachlich folgerichtiger Konsequenz aus den deistischen (John Toland, Anthony Collins, Matthew Tindal u. a.), den empirisch-rationalistischen (David Hume u. a.) bzw. den intuitiv-natürlichen 38 Vgl. ebd.,309. 39 Voltaire, Von der Notwendigkeit, an ein höchstes Wesen zu glauben, 95. 40 Ebd., 96.
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(Jean-Jacques Rousseau) Vorstellungen über die Religion, mit denen man die traditionelle kirchliche Dogmatik zu beerben versuchte. Für die Aufklärung ist zunächst kennzeichnend, dass die Vernunft zum kritischen Maßstab erhoben wird, vor dem sich alle theologischen Überlegungen auszuweisen haben, wenn sie den Anspruch auf überindividuelle Gültigkeit erheben (Rousseau weist mit seiner Betonung der Intuition schon über die Aufklärung hinaus in das 19. Jahrhundert). Um dabei den Glauben nicht dem Verstand unterwerfen zu müssen, kommt es zu der charakteristischen bürgerlichen ,Zwei-Reiche-Lehre‘, die in ihrer Substanz in der Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatheit bzw. von äußerlich und innerlich besteht. Diese eigens entwickelte ,Zwei-Reiche-Lehre‘ stellt den Versuch dar, einerseits die uneingeschränkte Zuständigkeit des Menschen für alle irdischen Belange zu sichern und andererseits der Kontingenz des Glaubens nicht auf der ganzen Linie entgegentreten zu müssen. So wird der Glaube zum unantastbaren und zugleich beliebigen Besitz des Individuums, ebenso unantastbar und beliebig erwirtschaftet wie das im Geschäftsleben zusammengetragene Privateigentum, aber auch von gleicher Irrelevanz für das Gemeinwesen. b) Diese bereits vom englischen Deismus bekannte Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion wird in Deutschland von Johann Salomo Semler in die Theologie eingeführt: „In jedem Staat war eine öffentliche Religionsform zunächst zu festerem Bande der bürgerlichen Gesellschaft durch Gesetze eingeführt, ohne die freistehende moralische Privat-Religion den einzelnen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft hiermit zu untersagen; sie müßte sie nur der öffentlichen Religion nicht entgegenstellen und einen neuen Staat anfangen wollen.“41 Für diese öffentliche Religion bleibt die Kirche im Einvernehmen mit dem Staat maßgeblich. Die Tatsache, dass die Kirche Bekenntnisse formuliert, ist nach Semler lediglich auf das Interesse zurückzuführen, für den Staat, auf dessen Schutz man setzt, gleichsam übersichtlich und berechenbar zu bleiben. Die Treuepflicht den Bekenntnissen gegenüber zielt ebenfalls vornehmlich auf den Staat, denn die Bekenntnisse sind gleichsam die Geschäftsgrundlage, auf der der Staat einer Religion freie Entfaltung gewährt. „Es haben also alle […] Bekenntnisschriften zunächst eine bürgerliche äußerliche Absicht, damit der Staat darin gewiß ist, dass dieses auch gute, ruhige, nützliche Bürger sind und bleiben wollen.“42
Die persönliche Religiosität wird in besonderer Weise dem Wesen des Menschen zugeschrieben. Das war bereits eine Annahme bzw. Behauptung der Neologen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Religiosität erhebt den Menschen durch die Erkenntnis und Verehrung Gottes, d. h. eines höchsten Wesens in 41 Semler, Letztes Glaubensbekenntnis, 5 (orthographisch modernisiert). 42 Ebd., 140.
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besonderer Weise über das Tier.43 In „Bewunderung seiner herrlichen Größe“ und durch das „lebhafte Gefühl unserer Abhängigkeit von ihm“ ist die Frömmigkeit des Menschen bestimmt, der in rechter „Ehrfurcht und Liebe“ das höchste Wesen verehrt.44 Mit dieser allgemeinen, zunächst nur formal bestimmten Religion wird dann insbesondere die christliche Religion zusammengebracht, die dem allgemeinen Wesen der Religion vorzüglich entspreche. Allerdings gelingt dieser Reim nur – und das hat u. a. bereits Wilhelm Abraham Teller längst vor Schleiermacher herausgestellt –, wenn eine markante Trennungslinie zwischen der ,israelitischen‘ Religion, „aus der nachher die gegenwärtige Jüdische hervorgegangen ist“, und der christlichen Religion gezogen wird.45 Diese Trennungslinie scheidet das Alte vom Neuen Testament.46 Wenn der Rationalismus um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert die vollkommene Versöhnung der Religion mit der Vernunft sucht,47 so wird im Sinne der Aufklärung eine bereits von den Neologen gezeichnete Linie lediglich konsequent bis an ihr Ende ausgezogen, so dass schließlich auch die unbefriedigende Spannung zwischen vernünftig beherrschter Öffentlichkeit und tolerierter kontingent bestimmter Privatheit überwunden wird. Alles hängt nun an der Allgemeingültigkeit, mit der sich auch die Theologen in Szene zu setzen versuchen.48 Damit ist die Aufklärung an ihre äußerste Grenze gekommen, die nun nicht mehr mit der aufklärerischen Berufung auf die menschliche Vernunft überschreitbar ist. Auch wenn die letzte Verwirklichung noch aussteht, so ist das Ziel ihrer Vollkommenheit doch schon bekannt und damit zugleich die Geschichte konsequent der Verantwortung des Menschen anvertraut. Wenn Barth die Aufklärung dadurch kennzeichnet, dass sie von einem ,anthropozentrischen Weltbild‘ geprägt sei,49 dann will er den mit der Aufklärung verknüpften Absolutismus herausstreichen, durch den der Mensch – positiv wie negativ – alle Wirklichkeitsbereiche seines Lebens in seine Gewalt zu bekommen versucht. Wissenschaft, Technik, Politik, Philosophie, Architektur, Kunst, Pädagogik und die Moral werden ebenso dem ,Streben nach absoluter Formung‘50 unterworfen, wie das Verhältnis des Menschen zur Natur oder die Gestaltung seiner Mode. Im formenden Zugriff versucht sich der Mensch gleichsam den ganzen Kosmos zu gestalten, in dessen durch das kopernikanische Weltbild zweifelhaft gewordene Mitte sich nun der Mensch selbst hineingestellt hat. Der allgemeine, den Konfessionen übergeordnete Religionsbegriff entspricht dem unbegrenzbaren Gestaltungswillen des auf43 Vgl. Teller, Anleitung zur Religion überhaupt und zum Allgemeinen des Christentums besonders, 15. 44 Vgl. ebd., 19. 45 Vgl. ebd., 27. 46 Vgl. ebd., 28 f. 47 Vgl. u. a. Paulus, Der Denkgläubige; Wegscheider, Lehrbuch der christlichen Dogmatik. 48 Vgl. Tieftrunk, Einzig möglicher Zweck Jesu,19 f. 49 Vgl. Barth, Die protestantische Theologie im 19, Jahrhundert,21 u. ö. 50 Vgl. ebd., 37
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geklärten neuzeitlichen Menschen, der nun auch die christliche Tradition einer ihm gemäßen Form unterwerfen will. Knapp und treffend benennt Barth vier Entwicklungen bei der Bestimmung des Problems der Theologie, durch die sich die Aufklärung charakterisieren lasse; es handelt sich „1. um seine Verstaatlichung, 2. um seine Verbürgerlichung oder Moralisierung, 3. um seine Verwissenschaftlichung oder Philosophierung und 4. um seine Individualisierung oder Verinnerlichung“.51 c) Um die spezifischen neuzeitlichen Bestimmungsmomente des Religionsbegriffs einigermaßen vollständig zu versammeln, muss im Grunde nur noch das für die Theologie des 19. Jahrhunderts sehr wirkungsvolle Votum von Jean-Jacques Rousseau zur Sprache kommen, das zugleich die Überschreitung des absolutistischen aufklärerischen Selbstbewusstseins anzeigt. Rousseau unterscheidet ebenso wie die Aufklärung die Sozialformen der Religion von ihrer persönlich innerlichen Gestalt. Auch er anerkennt die Zuständigkeit des Staates für die öffentliche Religionsausübung einschließlich des dem Staat zugestandenen Sanktionsrechtes.52 Grundlegend neu ist dagegen bei Rousseau die Wesensbestimmung der Religion, denn sie wurzelt hier wie da in dem Gefühl. Gegen den intoleranten Offenbarungsglauben stellt Rousseau die intuitive Religion des freien Individuums, die sich begrifflich nicht erfassen lässt. Die Religion wird auf die natürliche Stimme des Herzens, auf das Gewissen des Einzelnen verwiesen: „Gewissen! Gewissen! Göttlicher Instinkt! Unsterbliche und himmlische Stimme! Sicherer Führer eines unwissenden und beschränkten, aber verständigen und freien Wesens! Untrüglicher Richter über Gut und Böse, der den Menschen gottähnlich macht! Du gibst seiner Natur die Vollkommenheit und seinen Handlungen die Sittlichkeit! Ohne dich fühle ich nichts in mir, das mich über die Tiere erhebt, als das traurige Vorrecht, mich mit Hilfe eines ungeregelten Verstandes und einer grundsatzlosen Vernunft von Irrtum zu Irrtum zu verlieren.“53
Die Stimme der unbestechlichen Natur ist die Offenbarungsquelle der natürlichen Religion; sie wird zwar aktualiter nur individuell und subjektiv angezeigt, entspringt aber der den Individuen und der menschlichen Vernunft überlegenen göttlichen Wirklichkeit, an der sich eine instinktlose, d. h. intuitionslose Vernunft zum Schaden der Menschheit allzu schnell vergreift. „Betrachte das Schauspiel der Natur, hör auf die innere Stimme. Hat Gott nicht alles vor unseren Augen, vor unserem Gewissen und unserem Urteil ausgebreitet? Was können uns die Menschen mehr sagen? Ihre Offenbarungen erniedrigen Gott nur, da sie ihm menschliche Leidenschaften beilegen, statt unsere Begriffe über das große Wesen aufzuklären.“54 51 52 53 54
Ebd., 65. Vgl. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 201 ff. Rousseau, Emile oder über die Erziehung, 306. Ebd., 312.
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Rousseau bricht mit dem absolutistischen Formwillen der Aufklärung und spricht dem von ihm geprägten Leben ab, schon das wirkliche, d. h. das der Natur des Menschen entsprechende Leben zu sein. Die Aufmerksamkeit wird von außen nach innen gelenkt; in sich selbst vermag der Mensch die rechte Ordnung der Welt zu erkennen; er muss sie nicht erst schaffen, indem er der äußeren Welt die ihm vernünftig erscheinende Form einprägt; vielmehr soll sich die Vernunft des Menschen von der nicht deformierbaren Intuition anstecken lassen. Das Gefühl wird bei Rousseau – mit Barth gesprochen – zum „eigentliche[n] Zentralorgan des menschlichen Geistes“.55 Es ist diese Erweiterung des Vernunftbegriffs, durch den der Mensch mit seiner Natur und zugleich mit Gott in Einklang gebracht wird, die dann die Voraussetzungen für die Philosophie und Theologie des 19. Jahrhunderts geschaffen hat. d) Im Grunde ist mit dieser kritischen Ausweitung des aufklärerischen Selbstbewusstseins die thematische Reichweite des neuzeitlichen Religionsproblems ausgeschöpft. Zweifellos gehen die philosophischen und theologischen Problemlösungen im 19. Jahrhundert vor allem in ihren systematischen Bestimmungen und Konsequenzen weit über die skizzierten Denkzusammenhänge hinaus, aber es kommen keine grundsätzlich neuen Themen mehr hinzu, so dass hier die Betrachtung der Entwicklung des allgemeinen neuzeitlichen Religionsbegriffs abgebrochen werden kann. Resümierend kann festgehalten werden: Die konsequente neuzeitliche Konzentration auf die Anthropologie, die den Menschen als vernünftiges, selbstbewusstes und autokratisches Wesen beschreibt, benennt im allgemeinen Religionsbegriff eine über den konfessionellen Fixierungen stehende menschliche Haltung. Ohne genau sagen zu können, was denn die meist nur formal bestimmte Religion nun tatsächlich sein könnte, wird sie – solange sie nicht der Religionskritik anheimfällt – zu einem spezifischen anthropologischen Wesensmerkmal erklärt. Sie erscheint als ein Teilaspekt einer Anthropologie, die im Übrigen im Zentrum des ganzen Wirklichkeitsbewusstseins steht. Wenn nun auch die Theologie der neu erfundenen menschlichen Religiosität zugeordnet wird, so geht dem die einladende Behauptung voraus, dass die dem menschlichen Wesen eignende Religiosität sich im christlichen Glauben besonders adäquat entfalten könne, d. h., der christliche Glaube wird als eine besonders geeignete konkrete Gestalt der Religion gewürdigt, in der die allgemeine menschliche Religiosität unverstellt zum Zuge kommen könne. Die Theologie wird konsequent zur Glaubenslehre umgeformt – zuerst von Sigmund Jakob Baumgarten (1706 – 1757)56 –, die nun nach der Möglichkeit und Gestalt des Glaubens angesichts des jeweils erreichten Bewusstseinsstandes des modernen Menschen fragt. Die Theologie wird ständig mit Anpassungsbzw. Einpassungsproblemen in Atem gehalten, indem sie stets neu das Wesen und die Reichweite des Glaubens im Horizont der historisch aktuellen Ein55 Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 203. 56 Baumgarten, Evangelische Glaubenslehre.
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wände oder allgemeinen Bewusstseinsgehalte abzustimmen hat. Das ist das zwangsläufige Denkgefälle, wenn die anthropologischen Gesichtspunkte den Bedingungsrahmen für die Fragestellungen der Theologie darstellen. Die Theologie wird eingezwängt in die religiöse Anthropologie, in der eben der Mensch und nicht Gott der größere Zusammenhang ist, dem man sich bemüht, gerecht zu werden. Auf die inhaltlichen Variationsmöglichkeiten kann hier nicht weiter eingegangen werden. Zwei Grundzüge bleiben aber noch herauszustreichen. Einmal werden die sich ständig wandelnden Vorstellungen des Glaubens durch den Glauben an die ständige Entwicklung der Menschheit miteinander verbunden. Eben deshalb muss die konkrete überlieferte Religion stets neu angepasst werden, wobei im qualitativen Aspekt dieser auf Vollkommenheit zulaufend vorgestellten Entwicklung auch die entscheidende Hilfestellung zur Befreiung von den traditionellen Inhalten liegt, die eben nur als historisch überholt erklärt zu werden brauchen, um dann der Vergangenheit überlassen werden zu können. Die Veränderbarkeit des einen Glaubens wird durch das beharrliche Argument eines anderen Glaubens – des Glaubens an die allmähliche Selbstvervollkommnung der Menschheitsgeschichte – legitimiert. Diesem Evolutionsglauben fällt dann nicht nur auf breiter Ebene das Alte Testament zum Opfer, sondern es verlieren auch alle dem moralisch-individuellen Selbstbewusstsein zuwiderlaufenden Theologumena ihre Bedeutung wie etwa die von dem Begriff der Sünde angezeigte tatsächliche Gottlosigkeit des Menschen, die dem biblischen Zeugnis im Grunde Seite für Seite seine spezifische Spannung verleiht. Auch von der Gerechtigkeit Gottes lässt sich nicht mehr substanziell biblisch reden; vielmehr tritt an ihre Stelle die Liebe Gottes, ja, Gott wird selbst zum Inbegriff einer nur sehr vage bestimmten, d. h. möglichst allgemein gehaltenen Liebe, was er so vorher nie gewesen ist. Zum anderen – und das hängt unmittelbar damit zusammen – besteht theologische Arbeit seit der Neologie weithin aus möglichst ausgefeilter Apologetik gegenüber der wissenschaftlichen Vernunft eines säkularisierten Bewusstseins. Die Apologetik wird zum Grundprinzip einer jeden Theologie, die sich zunächst vor dem historischen Selbstbewusstsein des Menschen verbeugt, die also die verschiedenen menschlichen Errungenschaften in Kultur oder Wissenschaft als Voraussetzung auch für ihr Nachdenken nicht nur akzeptiert, sondern immerhin so positiv würdigt, dass sie sich vor ihnen auszuweisen bemüht. Der Apologet verbeugt sich stets zuerst vor dem, dem er gefallen will; oder umgekehrt formuliert: an den Themen und Problemen der Theologie wird erkennbar, vor wem sie sich verbeugt. Für die neuzeitliche Theologie kann – besonders im protestantischen Bereich – gesagt werden: sie verbeugt sich vor dem selbstbewussten individuellen Subjekt, das die Religion als eines seiner Bedürfnisse thematisiert. „Die Versuche, eine Bezogenheit des Menschen im Allgemeinen zu Gott zu konstituieren, nehmen deshalb ebenso wenig ein Ende wie diejenigen, Religion im Allgemeinen als zum Menschen gehörig zu behaupten. Dazu muss einerseits die aufgeklärt angesehene
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Wirklichkeit religiös interpretiert, andererseits die Rede vom biblischen Gott in etwas Allgemeines eingepasst werden (womit allerdings das eine wie das andere desavouiert wird).“57 Das neuzeitliche Religionsverständnis ist fest verknüpft mit den tief greifenden neuzeitlichen Umwälzungen des gesamten Wirklichkeitsverhältnisses des Menschen. Die ,Religion‘ erweist sich dabei als alles andere als ein selbständiges Thema. Vielmehr tritt sie stets ,im Auftrag von‘ auf, d. h. sie wird funktional thematisiert, wobei die Auftraggeber wechseln. Sie ist nicht selbstzwecklich, sondern dient über sich selbst hinausgehenden Interessen. Zunächst war es das konkret begründete Interesse an der Befriedung der militant aufeinander losgehenden Konfessionen. Bald wird daraus ein prinzipiell harmonisierendes Ausgleichsinteresse, das die Verhinderung gesellschaftlicher Konflikte in und mit dem Staat im Auge hat. Man kann sagen, dass der neuzeitliche Religionsbegriff sehr bald durch eine Harmonisierungs-, wenn nicht gar Verharmlosungstendenz charakterisiert wird. Diese – jedenfalls im theologischen Sinne unbestreitbare – Verharmlosungstendenz ist kein zufälliges und deshalb austauschbares Attribut, sondern genuines Programm. An die Stelle der Frage nach der Wahrheit des Glaubens rückt konsequent die Herstellung und der Schutz des gesellschaftlichen Friedens. Längst vor Kant ist damit Gott zu einem Postulat der – freilich noch unspezifisch verstandenen – praktischen Vernunft geworden. Nicht um seiner selbst willen (und nur so auch um des Menschen willen) wird er zur Sprache gebracht, sondern um einer jeweils zu bestimmenden praktischen Not und ihren angenommenen Bedürfnissen willen wird er jeweils zweckdienlich postuliert. Nicht die Erkenntnis, sondern die Praxis wird zum entscheidenden Kriterium. Am praktischen Nutzen entscheidet sich die Überzeugungskraft der Religion. Damit wird deutlich, dass es eben nicht die Religion ist, die sich in der Neuzeit selbst zur Geltung bringt. Vielmehr entspringt der allgemeine Religionsbegriff seinerseits der Zweckrationalität des die Welt neu vermessenden selbstbewussten Menschen. Für die Theologie bedeutet das die Zumutung, den Menschen nun nicht mehr unter den Bedingungen Gottes, sondern umgekehrt Gott unter den Voraussetzungen des Menschen denken zu müssen.
11.3.2 Wilhelm Herrmann In der Theologie bilden der Kulturprotestantismus und die liberale Theologie des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts den vorläufigen Schlusspunkt der mit dem Humanismus und der Aufklärung einsetzenden neuzeitlichen Entwicklung der Religionsproblematik.58 Ohne nun auf die gemeinsamen Charakteristika der im einzelnen durchaus unterschiedlichen 57 Schellong, Neuzeitliche Theologien, 247. 58 Vgl. dazu Schellong, Bürgertum und christliche Religion.
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Richtungen eingehen zu wollen, soll – um diese Theologie in ihrem wohl reflektiertesten Vertreter zu Wort kommen zu lassen – ein kurzer Blick auf Wilhelm Herrmann geworfen werden. Barth sagte von Herrmann, dass er „der theologische Lehrer“ seiner Studienzeit gewesen sei.59 Zwar mag es auffallen, dass sich Barth selten ausdrücklich mit Herrmann auseinandergesetzt hat, aber es ist ebenso offenkundig, dass Barths dialektische Bestimmungen von Religion und menschlicher Subjektivität in einem kontroversen Gespräch mit Herrmann stehen.60 Herrmann bezeichnet die Religion – wobei er vornehmlich die christliche Religion, bzw. präziser: den christlichen Glauben meint – als „das wahrhaft Lebendige in der Geschichte“.61 Als solche ist sie allerdings weder allgemein aufweisbar noch jedermann begreiflich. Mit dieser Abwehr der allgemeinen Evidenz und Plausibilität trägt Herrmann dem Auftreten der unterschiedlichen Formen der Religionskritik Rechnung. Doch damit ist nur zugestanden, dass die Religion von außen betrachtet als eine Illusion erscheinen kann. Nur aus eigener Beteiligung – gleichsam von innen – kann sie recht verstanden werden. Sie entzieht sich der objektiven Erkenntnis; nur im persönlichen Glauben wird sie wahrnehmbar. „Die Religion vor allem ist eine Sache der eigenen Erfahrung.“62 Jede Ansicht über ihr tatsächliches Wesen kann nur „ein Ausdruck unserer eigenen Religion“63 sein. Hier ist nun gerade nicht mehr die allgemeine Plausibilität, sondern das Geheimnis der aktuellen Offenbarung bestimmend. Dies ist streng individuell zu verstehen. Es ist dieser individuelle Charakter religiöser Erfahrung, der allen Mitteilungen über die Religion ihre engen Grenzen setzt, denn das religiöse Erlebnis selbst lässt sich nicht durch Mitteilungen darüber weitergeben. Der individuelle Charakter verhindert zugleich jede auf Objektivität bedachte wissenschaftliche oder an Plausibilität orientierte philosophische Beschreibung. So bekommt die Theologie einen 59 Vgl. Barth, Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann, 551. 60 Dabei mag Dietrich Korsch Recht zu geben sein, wenn er herausstellt, dass Barth auf Fragen Herrmanns, die Herrmann selbst nur widersprüchlich zu lösen verstand, eine theologische Antwort zu geben versucht habe (vgl. Korsch, Fraglichkeit des Lebens und Evidenz des Glaubens.). Ob sich daraus allerdings gleich eine besondere – d. h. über die von Barth immer wieder betonte grundsätzliche Kontinuität hinausgehende – Kontinuität zwischen Barth und Herrmann ableiten lasse, erscheint mir zweifelhaft, besonders wenn dies – wie bei Ruddies, Karl Barth und Wilhelm Herrmann, geschieht – ohne die substanzielle Berücksichtigung der für Barth im deutlichen Gegensatz zu Herrmann schlechterdings entscheidenden Konzentration auf das biblische Zeugnis vorgetragen wird. Der hier von Hartmut Ruddies vorgeführte systematisch prinzipielle – dabei allerdings recht eklektische und zugleich eigenwillig akzentuierte – Umgang mit theologischen Fragen scheint mir Barth eher fremd und daher – auch gegen den verbreiteten kategorisierenden Trend – für die aktuelle Barth-Rezeption unproduktiv zu sein, zumal er den Anschein erweckt, als befänden wir uns heute bereits auf einer Problematisierungshöhe, von der sich auf Barth als einer Station in der vorausgehenden Problemgeschichte zurückblicken ließe. 61 Herrmann, Religion, 283. 62 Herrmann, Die religiöse Frage in der Gegenwart, 128. 63 Herrmann, Religion, 283.
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eigenständigen Aufgabenbereich zugewiesen, und alle Inhalte theologischer Lehre geraten in einen ganz spezifischen Blickwinkel, durch den sie perspektivisch verändert werden. Jeder theologische Inhalt hat nun daran seine Bedeutung auszuweisen, dass er auf das Erleben zielt, denn an ihm bewahrheitet sich die Tradition und nicht in irgendwelchen materialen Lehren, von denen der Mensch aufgefordert wird, etwas für wahr zu halten, was er selbst nicht als wahr erkennt. Damit wird bereits angedeutet, welchen Stellenwert Herrmann der Bibel und der Dogmengeschichte zumisst. Sie werden vor allem als Anschauungsmaterial mit Beispielen und Vorbildern für Menschen und Begebenheiten benutzt, in denen sich Gott als Wirklichkeit erwiesen hat; und wegen dieses Illustrationspotentials sind sie „für uns durchaus nicht wertlos“64 – man beachte die negative Formulierung –, weil wir hier erfahren, wie es anderen mit ihrem Glauben ergangen ist. „Die heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes vergegenwärtigt uns etwas, was für unsere Seele viel wichtiger ist als irgendwelche Lehren. Sie vergegenwärtigt uns Menschen, die sich dessen bewusst waren, dass Gott sich ihnen offenbart und sie dadurch gänzlich verwandelt hatte. Und wenn wir auf die Worte dieser geheiligten Menschen, die in der heiligen Schrift zu uns reden, achten wollen, so sollen wir nicht darauf aus sein, daraus Lehren zusammenzuleimen. Wir sollen die Worte so benutzen, wie sie auch ein rechter Historiker benutzt, daß wir uns ein Bild gewinnen von diesen Menschen und ihr Inneres kennenlernen. Wenn diese Worte uns dazu dienen, dann wird uns in der heiligen Schrift etwas deutlich werden, was uns den rechten Weg für uns selbst weisen kann. Es wird uns deutlich, was für eine Macht diese Frommen meinten, wenn sie sagten, Gott habe zu ihnen geredet.“65
Die Bibel ist „ein vielstimmiger Chor von Glaubenszeugen“, wobei jeder Zeuge nur für sich selbst sprechen kann; doch gerade so können die verschiedenen Glaubenszeugen uns Anleitung geben, „uns darauf zu besinnen, wie und wodurch Gott uns selbst seine Wunder sehen lassen will“.66 Gesucht wird die Begegnung mit dem inneren Leben, das der Wissenschaft prinzipiell verschlossen bleibt. „Alles, was die Wissenschaft anfassen kann, ist tot. Es kann Lebensmittel sein, aber nicht Leben.“67 Das Leben ist nicht einfach das Bewegtsein der menschlichen Natur, sondern es ist substanziell getragen von der geistigen Macht in den Bewegungen der Geschichte, denn erst hier findet der Mensch die Wirklichkeit, in der er auch Gott begegnet.68 Ein besonderer Akzent liegt nun darauf, dass der Mensch in der Erfahrung der Wirklichkeit Gottes die je besondere Wirklichkeit seines eigenen indivi64 65 66 67 68
Herrmann, Die religiöse Frage in der Gegenwart, 141. Herrmann, Gottes Offenbarung an uns, 164 f. Herrmann, Die Religion unserer Erzieher, 340. Herrmann, Religion, 287. Vgl. ebd., 297.
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duellen Lebens erfährt. Der Mensch erkennt sich selbst als ein vom Leben berufenes Individuum. „Etwas Größeres kann uns nicht zuteil werden, als das Bewusstsein eines eigenen Lebens.“69 Dieses Bewusstsein kann weder von der Wissenschaft noch von der Sittlichkeit erschlossen werden, denn beide sind auf allgemeine Gesetzlichkeiten verwiesen.70 Auf diesem Hintergrund kann dann ganz elementar gesagt werden, „dass die Religion Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes ist“.71 Angerührt von dieser Wirklichkeit nimmt der Mensch seine Wirklichkeit, die sonst eher zersplittert und unüberschaubar erscheint, mit völlig anderen Augen wahr ; in diesem Sinne spricht Herrmann unter Berufung auf die Reformatoren vom Glauben als einer Wiedergeburt des Menschen.72 Dabei hat die Sittlichkeit die Rolle eines Bindeglieds zwischen der Natur und dem Wollen des Menschen auf der einen Seite und der in Gott erfahrenen Macht sittlicher Güte auf der anderen Seite. „Das Vertrauen, das die von uns erfahrene Macht sittlicher Güte in uns schafft, ist der Glaube an Gott, die wirkliche Religion. Jede andere Vorstellung von Gott muß schließlich von dem Menschen verlassen werden, dessen sittliche Erkenntnis sich entwickelt, und wird ihm dann ein Götzenbild. Diese eine kann die Menschheit durch ihre Geschichte leiten, deren ewiges Ziel die Gemeinschaft freier Personen ist, die Verwirklichung alles dessen, worauf die Energie des guten Willens geht.“73
So sehr die Religion dabei die Sittlichkeit transzendiert, so sehr bleibt aber die Sittlichkeit der Ort, an dem die Religion geboren wird, denn da, „wo eine Liebe erfahren wird, die für andere arbeitet und sich opfert, erweckt sich Gott seine Kinder.“74 Alle Überlegungen zielen schließlich – und darin ist Herrmann ein typischer Vertreter seiner Zeit – auf die Selbsterfüllung des Menschen in der Geschichte. Hier liegt der zentrale Nerv der Apologetik: „Das, was die Geschichte und den Menschen als Träger der Geschichte erst möglich macht, ist die Religion.“75 Die Geschichte ist im Unterschied zur Natur die Ebene, auf der der Mensch seine Freiheit realisiert, indem er sich für das, was er tut, verantwortlich erklärt.76 Auch in dieser Hinsicht lässt sich die Religion nicht fixieren oder gar typisieren, vielmehr bringt sie stets Neues hervor, denn jeder, der glaubt, ist eine eigene neue Schöpfung. Und so wird unter Einbezug der ganzen Geschichte die Wolke der Zeugen groß und vielfältig, so vielfältig, dass sogar Bismarck in ihr erscheint, sogar an bevorzugter Stelle direkt neben 69 70 71 72 73 74 75 76
Herrmann, Der Widerspruch im religiösen Denken,245. Vgl. Herrmann, Die religiöse Frage in der Gegenwart, 136 f. Herrmann, Religion und Sittlichkeit, 274. Vgl. Herrmann, Religion, 296. Herrmann, Religion und Sittlichkeit, 279. Herrmann, Die religiöse Frage in der Gegenwart, 144. Ebd., 137. Vgl. Herrmann, Die Religion unserer Erzieher, 325.
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Luther ; zusammen sind sie „in unserem Volk die beiden Größten“.77 Und in diesem Zusammenhang kommt Herrmann dann 1918 auf den noch wütenden Ersten Weltkrieg zu sprechen, in dem er ebenfalls einen Erzieher der Religion erkennt. Auch wenn das Pathos der Kriegstheologie vom Beginn des Krieges verschwunden ist, so bleibt doch noch der Glaube an die gerechte Sache der Deutschen und die Hoffnung auf den „vollen Sieg“.78 Hier ist es nun das Volk, das als eigenständiges Individuum behandelt wird, dem Gott ebenfalls ein eigenes Selbst gegeben hat, das es nun gegen die Feinde zu verteidigen gilt. Damit sind die zentralen Bestimmungsmomente des Herrmann’schen Religionsverständnisses skizziert. Im Wissen um die Aporien sowohl des Deutschen Idealismus als auch des Historismus und im Respekt vor dem wissenschaftlichen Fortschritt besonders in den Naturwissenschaften gibt sich die geschickte Apologie der Religion sehr moderat. Dabei lässt sie aber – und darauf kommt es entscheidend an – den breiten Konsens mit dem geschichtsphilosophischen Selbstverständnis des Menschen unangetastet. Vielmehr wird dieser auf den neuesten Stand gebracht und vor allen vorstellbaren Einsprüchen gesichert. Die Religion wird zum principium individuationis, und eben darin liegt – jedenfalls in formaler Hinsicht – ihre Allgemeingültigkeit, auch wenn sie aktualiter nur individuell auftritt. Der sich in seinem individuellen Selbst erkennende Mensch wird gleich in die vom Menschen in Freiheit zu verantwortende Geschichte hineingestellt, denn er vermag nun in historischen Ereignissen das Handeln Gottes zu erkennen. Dabei betont Herrmann die Eigenständigkeit der Religion gegenüber der Ethik (in Abgrenzung zu Immanuel Kant, Hermann Cohen und Paul Natorp). Auch – und das geht gegen Schleiermacher – ist die Religion keine unausweichliche Gegebenheit, die dem Menschen seine Abhängigkeit vor Augen führt, sondern sie wurzelt im Erlebnis freier Hingabe und bezieht gerade aus der Betonung der Freiheit ihren apologetischen Charakter.
11.3.3 Karl Barth und die neuzeitliche Religion Schon in den knappen Zuspitzungen der systematischen Implikationen des neuzeitlichen Religionsverständnisses wird es plausibel, dass sich Barths theologische Neuzeitkritik vor allem als die Kritik der vom neuzeitlichen Menschen auf den Sockel gehobenen allgemeinen Religion darstellen lässt.79 Barth thematisiert mit dem Religionsproblem für die Theologie die ,Dialektik der Aufklärung‘, was in der Barth-Rezeption noch kaum recht nachvollzogen ist. Dabei bleibt zu beachten, dass Barth sich nicht in einen prinzipiellen Gegensatz zur Neuzeit gestellt hat, ebenso wenig wie er mit seiner Religi77 Ebd., 341. 78 Ebd., 343. 79 Vgl. auch Steck, Karl Barths Absage an die Neuzeit, 22.
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onskritik eine generelle Annullierung der Religion für Theologie und Kirche intendiert hat.80 a) Den verhängnisvollen und folgenreichen Bruch datiert Barth zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Hinweis auf Salomon van Til und Joh. Franz Buddeus.81 Hier wird der zunächst von der Philosophie entworfene allgemeine Religionsbegriff in die Theologie übernommen. Barth bringt allerdings nicht nur theologiegeschichtliche Gründe in Anschlag, sondern er sieht die Wurzeln in den grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen, die einen prägenden Einfluss auf die ganze Geistesgeschichte gehabt haben. So weist uns Barth auf das in der Neuzeit aufblühende Bürgertum, das bald mit den Bedürfnissen und Regeln seiner vom konkurrenzwirtschaftlichen Leben geprägten Weltanschauung in allen Fragen von Theologie und Kirche bestimmend wird. „Seine Besitzes- und Standesinteressen, seine durch den Rahmen der Nöte und Aufgaben, der Gesichtspunkte und Ideale des Handwerker- und Kaufmannslebens bedingte Lebensauffassung und Moral, seine aufstrebende Bildung, werden nun mit immer größerer Selbstverständlichkeit die formenden Kräfte, die bei den mehr und mehr in seine Hände geratenden religiös-kirchlichen Fragen in Aktion treten. Es ist typische Mittelstandsideologie mit ihrem gediegenen, aber etwas beschränkten Horizont, mit ihrer bescheidenen, aber in sich gegründeten Selbstzuversicht, mit ihrer klugen Fügsamkeit nach oben und mit ihrer Behäbigkeit nach unten, mit ihrer Richtung auf das Praktische und Greifbare und mit ihrem berechtigten Wunsch nach äußerem Frieden und innerer Ruhe, mit ihrem Bedürfnis nach Erhebung über die Sorgen des Alltags und mit ihrer soliden Abneigung gegen unverständliche Paradoxien, was, wenn wir von dem christlichen Inhalt einmal absehen wollen, etwa den Liturgien und Gesangbüchern, aber auch den Predigtinhalten dieser Zeit das Gesicht gegeben hat.“82
Hier schafft man sich zur Selbststabilisierung das bis heute so lebendige „erschreckende Gespenst der sogenannten ,toten Orthodoxie‘“, das man in der Vergangenheit auftanzen lässt, um sich rasch abkehren zu können vom „Hochmut und Streitgeist der orthodoxen Zionswächter und Foliantenschreiber“, deren theorieeifrige Lehren nicht das Leben erreichten; dagegen soll nun der Glaube zur Lebensgestaltung werden, in der er sich recht bewahrheite.83 Auf diese Weise wird nun das, was man in dieser Zeit für das Leben hält, zum kritischen Maßstab für die Theologie; Bibel und Dogmatik bekommen eine prinzipiell nachgeordnete Bedeutung. 80 Gerade aus der neuzeitlichen Verharmlosung der Theologie schließt Barth, „dass das Problem der Theologie als solches in der Neuzeit besonders lebhaft zum Bewusstsein gekommen ist“ (Barth, Die Theologie und der heutige Mensch, 391), so dass sie den Kampf gegen die tatsächlichen Unverrechenbarkeiten in nur zu verständlicher Weise aufgenommen hat. 81 Vgl. Barth, KD I/2, 313 f, 318; Belege aus der Kirchlichen Dogmatik im Folgenden mit Bd. und Seitenangabe im Text. 82 Vgl. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 71. 83 Vgl. ebd., 73.
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„Gebunden war man an sein systematisches Prinzip, seinen eigenen Willen zur Lebenserneuerung und Lebensgestaltung, an seinen Moralismus, an seine Bürgerlichkeit. Dieses Prinzip einerseits, Bibel und Dogma andererseits, verhielten sich wie ein Axiom zu dem auf ihn gegründeten Lehrsatz. Beide gelten, aber jenes gilt mit absoluter, dieser gilt mit relativer Gewißheit.“84
Im Grunde fühlte man sich frei von allen Bindungen, für die man nicht selbst einzustehen vermochte. Die Bejahung des ,Christentums‘ wird allein von selbst gestellten Bedingungen abhängig gemacht. Und so gerät nach Barth beinahe alles in das Fahrwasser des Bürgertums, das auch den zu dieser Transformation hilfreichen Wissenschaftsrahmen bereitgestellt hat. In diesem Umbruch zur modernen bürgerlichen Weltanschauung fand der neuzeitliche Religionsbegriff aus dem Renaissance-Humanismus und der Aufklärung substanziell Eingang in Theologie und Kirche. Die Theologie liebäugelte mit einer „religiös bestimmten Philosophie“, während die Kirche oberhalb aller konfessionellen Fixierungen in eine „Religionsgesellschaft“ überführt werden sollte.85 Zwar hat die Neuzeit die Bedeutung des Religionsbegriffs durch konsequente Verallgemeinerung – Überwindung aller konfessionellen Grenzen – ausgeweitet, aber im gleichen Zuge wird sie radikal partikularisiert. Zwar hat man sich bemüht, die Geltung der Religion zu universalisieren, zugleich wurde aber der Geltungsbereich begrenzt, denn ihre Wahrheitsfähigkeit und Erklärungskraft bleibt auf die Innerlichkeit des Individuums beschränkt. Eben deshalb wirft Barth der Religion vor, sie habe sich vom Leben entfernt, denn ,Leben‘ vollzieht sich in der konkreten Auseinandersetzung auch um materielle Belange, im Machtkampf des Daseins in den geschichtlichen Realitäten und bleibt nicht auf die privat ausgemachten Gesinnungsoptionen beschränkt. Es zielt auf „Allgemeinheit und Körperlichkeit und Kräftigkeit“,86 von denen eine individuelle religiöse Existenzsemantik weit entfernt bleibt. Die Religion des neuzeitlichen Bürgertums bleibt daher in den Augen Barths bei aller Universalitätsattitüde nur eine harmlose, weil auf Harmlosigkeiten beschränkte, und also partikularisierte Religion, die nicht mehr die wirklichen Nöte des Menschen aufzunehmen in der Lage ist. „Zunächst hat sich auch der Protestantismus, als der mittelalterliche Traum ausgeträumt war, in die Existenzweise einer dem modernen Menschen letztlich unnötigen und ungefährlichen Religionsgesellschaft fügen müssen und zu fügen gewußt […] Sie hat den so energisch auf sich selbst sich stellenden modernen Menschen grundsätzlich anerkannt, um sich dann zu fragen, wie sich das Christentum nun wohl diesem Menschen am besten empfehlen möchte. Sie nahm die ihr zugewiesene Hilfestellung an und bemühte sich, sich in ihr unentbehrlich zu machen, d. h. zu zeigen und sichtbar zu machen: die Wahrheit der christlichen Religion, die auch und gerade in der neuen Zeit 84 Ebd., 84. 85 Vgl. ebd., 90 f. 86 Barth, Religion und Leben, 450.
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gut und nützlich zu hören und zu glauben sei, bestehe darin, daß eben die recht verstandene Lehre von Jesus Christus und die ihr entsprechende Lebensordnung die geheime Kraft habe, den Menschen zum Anstreben und Erreichen seiner im übrigen selbständig gewählten Ziele zum Zwecke innerlich fähig zu machen. […] Es kam nun alles darauf an, innerhalb dieses auch von der nichtchristlichen Welt anerkannten anthropologischen Allgemeinbegriffs [der Religion] in zuverlässiger Weise das besondere ,Wesen des Christentums‘ ans Licht zu stellen und darzustellen: auf derselben menschlichen Ebene und unter denselben Gesichtspunkten auf dem Niveau derselben Argumente, die auch die derer waren, die seiner entraten zu können meinten, nämlich auf dem Feld menschlicher und menschlich einsichtiger Vorzüge und Nachteile, Stärken und Schwächen, Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, Hoffnungen und Befürchtungen. Nicht ohne Ähnlichkeit mit der Situation der römischen Kaiserzeit – nur eben ohne das Korrektiv der äußeren Unterdrückung – wurde nun das Christentum als die bessere Begründung von Weltanschauung und Sittlichkeit, als die bessere Befriedigung der letzten Bedürfnisse, als die bessere Aktualisierung der höchsten Ideale des modernen Menschen seinen verschiedenen Konkurrenten gegenübergestellt“ (I/2, 367 f).
b) Zunehmend geraten die inhaltlichen Fragen und Probleme der Religion aus dem Blick, und sie erscheint schließlich ohne jede inhaltliche Anbindung als reine Form. Auf dieser Formalisierung liegt aber ein entscheidender Akzent, denn die Religion verliert auf diese Weise nicht nur jede intellektuelle Anstößigkeit, sondern sie gewinnt durch die Formalisierung zugleich eine beinah unbegrenzte Flexibilität. Diese Flexibilität garantiert der Religion die Möglichkeit, sich an alle von der jeweiligen Gesellschaft erhofften Funktionszuweisungen anpassen zu können, zumindest aber wird sie von allen Bindungen und Sperrigkeiten entlastet, um – mit einer von Barth zitierten Formulierung Schleiermachers gesprochen – nun frei zu sein wie die Bienen, „die den Honig aus allem ziehen, worin sich etwas findet von einer geistigen Lebenskraft“.87 Diese inhaltliche Entleerung schließt die Ablösung der Religion von dem christlichen Bekenntnis mit ein. An die Stelle der Suche nach der durch Gott in Christus bekanntgemachten Wahrheit ist die menschenmögliche Wahrhaftigkeit getreten. „Als man nicht mehr wußte oder wissen wollte, was Glauben und Gehorsam ist, da fing man an, von Religion zu reden. ,Religion‘, das ist, geistesgeschichtlich betrachtet, die Flagge, die den Winkel bezeichnet, in den sich die neuere Theologie fluchtartig zurückzuziehen begann, als sie den Mut verlor, vom Worte Gottes aus zu denken, und froh war, in der dieser Größe scheinbar entsprechenden menschlichen Gemütsaffektion ein Flecklein Humanität zu finden, auf dem sie sich, im Frieden mit dem modernen Wissenschaftsbegriff, als rechte Als-Ob-Theologie ansiedeln und niederlassen konnte.“88 87 Zitiert bei Barth, Schleiermacher, 429. 88 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 594 f.
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In diesem Sinne gipfelt etwa Barths Kritik an Schleiermacher darin, dass Schleiermacher den Frieden zur Wahrheit des christlichen Glaubens gemacht hat und damit dem neuzeitlichen Selbstbewusstsein eine christliche Begründung nachgeliefert habe.89 Der neuzeitliche ,Religionismus‘ – wie Barth bisweilen zu sagen pflegte90 – ist im Grunde der Versuch einer mehr oder weniger konsequenten Enttheologisierung der Theologie. „Das Christliche ist jetzt […] tatsächlich zu einem Prädikat des neutral und allgemein Menschlichen, die Offenbarung ist nun zu einer geschichtlichen Bestätigung dessen geworden, was der Mensch auch ohne Offenbarung von sich selbst und damit von Gott wissen kann“ (I/2, 315).
Alle Inhalte des theologischen Denkens – auch wenn schließlich „die Sache so heiß nicht gegessen, wie sie gekocht wurde“91 – geraten in die Abhängigkeit von Formen menschlicher Möglichkeiten. Bestimmend wird ein Menschenbild, das im Grunde keine absolute Differenz zu sich selbst mehr aushält. Das Individuum verneint zwar nicht jede Autorität, stellt sich aber gegen jede „fremde(n) äußere(n) Autorität zugunsten der inneren, eigenen, mit der Autorität Gottes in einer eventuell besonders zu klärenden Nähe und Verwandtschaft stehenden Autorität des als Individuum letztlich in sich selbst gründenden Menschen“.92 Intuition, Erlebnis und Erfahrung beerben das Bekenntnis und legitimieren den Glauben, im Respekt auf die Autorität der inneren Stimme aus einem „Es ist mir so“ heraus zu sprechen.93 Der Mensch erhebt sich selbst zum Maß aller Wahrheit, und die Religion hat nun alle Hindernisse in der Tradition auszuräumen, die diesem Anspruch im Wege stehen. Das entscheidende Hindernis war dabei das dem modernen Menschen anstößige Theologumenon von der Sündenverstricktheit des Menschen und seine ausweglose Abhängigkeit von der Gnade Gottes (vgl. dazu IV/1, 406 – 427). Jedes Gegenüber von Gott und Mensch, das nicht irgendwelchen evidenten oder als evident ausgegebenen menschlichen Bedürfnissen dient, hat das neuzeitliche Religionsverständnis annulliert. So verliert auch Gott seine freie Souveränität zugunsten der menschlichen Selbstentfaltung, zu deren religiösem Schutz er freilich noch dienen mag. Es wird – wenn er überhaupt noch zur Sprache gebracht wird – nach seinem Dienst für uns, nach seinem Nutzen für das Individuum oder die Menschheit, aber nicht nach dem rechten Gottesdienst des Menschen gefragt. „Hinter dem Fremdwort ,Religion‘ (und allem, was mit Religions- anfängt!), aber auch hinter dem deutschen Wort ,Frömmigkeit‘, das manche lieber brauchen, aber natürlich auch hinter dem nachträglich doch wieder herangezogenen und in das Prokrustusbett 89 90 91 92 93
Vgl. Barth, Schleiermacher, 433,463; Ders., Die christliche Dogmatik im Entwurf, 410 f. Vgl. u. a. KD I/2, 316, 319, 321. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 105. Ebd., 97. Vgl. ebd., 101.
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jenes modernen Begriffs gezwängten Wort ,Glauben‘ steckt schlechterdings nichts anderes als das mehr oder weniger verschämte oder unverschämte Bekenntnis, daß man es als moderner Mensch, was man vor Allem sein wollte, nicht mehr wagte, prinzipiell und primär und mit erhobener Stimme von Gott zu reden.“94
c) Klarsichtiger und konsequenter als die Theologie hakt hier die neuzeitliche Religionskritik ein, indem sie darauf aufmerksam macht, dass die Theologie und ebenso der Glaube, wenn sie Gott im Munde führen, nicht von einer tatsächlich dem Menschen gegenüberstehenden Wirklichkeit, sondern im erhobenen Ton von sich selber sprechen. Barth bescheinigt Ludwig Feuerbach, dass sich seine Religionskritik in der zwingenden Konsequenz der neuzeitlichen Anthropologisierung der Theologie befinde, die nicht zufällig, sondern notwendig zur Vergottung des Menschen und damit in den Selbstwiderspruch der Religion führt. Feuerbach knüpft selbst ausdrücklich an die verbreitete Anthropologisierung der Theologie, in der jeder Inhalt zu einer Dispositive des Gefühls geworden ist, an und will aus dieser Entwicklung lediglich die redliche Konsequenz ziehen, indem er vorschlägt, dass man besser gar nicht mehr von Gott, sondern lieber nur noch vom Menschen reden möge. „Die Theologie ist längst zur Anthropologie geworden […] Obgleich aber ,die unendliche Freiheit und Persönlichkeit‘ der modernen Welt sich also der christlichen Religion und Theologie bemeistert hat, daß der Unterschied zwischen dem produzierenden Heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem konsumierenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphisiert ist, so spukt doch immer noch in unserer Zeit und Theologie, infolge ihrer unentschiedenen Halbheit und Charakterlosigkeit, das übermenschliche und übernatürliche Wesen des alten Christentums wenigstens als ein Gespenst im Kopf.“95
Barth stellt heraus, dass Feuerbach als getreues Kind des 19. Jahrhunderts das auf den Begriff bringe, was mehr oder weniger latent auch in seiner ganzen Plattheit die theologisch ausgegebenen Religionsbegriffe seiner Zeit charakterisiert habe. Dabei setzt auch Feuerbach sein ganzes Vertrauen auf den Menschen. Der Mensch sei nicht ausweglos verkehrt, sondern vertrauens- und liebenswürdig. Und die Theologie stimmt weithin zu, wenn das Verhältnis Gottes zum Menschen auf das Bewusstsein reduziert wird, dass der Mensch uneingeschränkt geliebt sei. Im Grunde werden von Feuerbach alle theologischen Inhalte auf Bewusstseinsmomente reduziert. So wird etwa aus der theologischen Rede von der Sünde die Einräumung einer im Grunde überwindbaren moralischen Unvollkommenheit. Der Mensch, der die Stunde der Geschichte recht erkennt, werde diese Unvollkommenheit von sich aus überwinden. Das ist für Barth eine unvermeidliche Konsequenz davon, dass 94 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 595. 95 Feuerbach, Das Wesen des Christentums, 13 f.
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man „ein natürliches Selbstverständnis des Menschen zur Norm christlichen Denkens erhoben hatte“ (IV/1, 533). d) Barth greift – wie oben bereits angedeutet – vor allem die enge Verbindung von Religion und Leben an, d. h. die Behauptung, dass in der Religion das menschliche Leben erst zu seiner eigenen persönlichen Wahrheit finde. Er geht dabei die unterschiedlichen Bestimmungsmöglichkeiten der Religion durch. Gemessen am tatsächlichen Leben – wie immer dieses zu bestimmen sein mag – ist die Religion als Privatsache das widersinnige Vorhaben, „im künstlich verdunkelten Raum mit Taschenlaternen [zu] hantieren“.96 Hat man das Leben erst künstlich auf die Privatheit ,verdunkelt‘, so bleibt zu seiner Orientierung nichts anderes mehr, als eine ebenso künstliche Taschenlampe. Genauso verhält es sich mit der Religion als Innerlichkeit. Sie widerspricht der Äußerlichkeit, in die alles innere Leben drängt, der Körperlichkeit und dem konkreten Ereignischarakter des Lebens. Auch die Beschreibung der Religion als Gesinnung geht am Leben vorbei, denn es spielen weniger Gesinnungen und Stimmungen, als vielmehr ,Kräfte, Mächte und Gewalten‘ im ,Kampf ums Dasein‘ eine Rolle, sowohl in der Natur als auch im gesellschaftlich-politischen Leben.97 „Wir predigen Gesinnung, wir machen Stimmung. Vielleicht gelingt es uns, aber was soll das eigentlich? […] Es ist eben auch nichts Ernstes. Ernst sind nur Kräfte. Darum hat doch z. B. der Kapitalismus die Religion nie ernst genommen, sondern ganz ruhig Kirchen und Schulen gebaut ohne die geringste Furcht, daß von daher jemals eine ihm gefährliche Gegenkraft sich erheben könnte. Darum nimmt der Militarismus die Religion so wenig ernst, daß er ganz ruhig Feldprediger anstellt, die auf Feldkanzeln zwischen zwei Geschützen ihre Gesinnungssprüchlein sagen dürfen, wie die Spatzen, die zwischen den Zähnen eines Krokodils herumhüpfen. Das militärische Ungeheuer weiß eben ganz genau, daß es von den wackeren Feldpredigern nichts Böses zu befürchten hat. Es wird keine Kraft von ihnen ausgehen. Darum sagt der Sozialismus ganz freundlich: Religion ist Privatsache!, nimmt auch ganz duldsam Notiz von uns paar sozialdemokratischen Pfarrern ohne eine Spur von Furcht vor den Kräften, die von daher ins Spiel kommen und die seinen Kräften eines Tages ernstliche Konkurrenz machen könnten. Religion nimmt man doch nicht ernst! Die Vorstellung, daß sie etwas Reales sei, etwas mit wirklichen Kräften zu tun haben könnte – diese Vorstellung gibt es einfach nicht in der Welt und wenn wir uns auf den Kopf stellten.“98
Barth deckt in allen verschiedenen Aspekten des allgemeinen Religionsbegriffs die faktische Harmlosigkeit der Religion auf, in der sie rührend naiv, aber auch mit höchst getrübter Realitätswahrnehmung den realen Kräften unserer geschichtlichen Weltwirklichkeit weniger gegenüber als vielmehr zur Seite tritt. So fragt Barth auch in die Richtung von Herrmanns Betonung der individuellen Offenbarung Gottes als Macht der Güte: Ist 96 Barth, Religion und Leben, 444 97 Vgl. ebd., 446. 98 Ebd., 448.
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„etwa seine Schilderung des ,Wegs zur Religion‘ anschaulich! Ist sie wirklich die Schilderung eines Weges, auf dem wirklich der Mensch wandelt? Ich meine: viel zu scharf ist dazu die Kante, über die er führt. Dieser Weg ist kein Weg. Das ,erlebt‘, das ,erfährt‘ man doch nicht; was man erlebt und erfährt, ist doch immer gerade nicht das. Der akute, der tödliche Konflikt zwischen Wahrheit und Wirklichkeit z. B.! Wann und inwiefern passiert uns denn so etwas? Wirklich in anschaulichen Momenten unsrer innern Entwicklung, als namhaft zu machende Station unsres Weges? […] Weiter: die merkwürdige, von Herrmann immer wieder hervorgehobene Dialektik von Abhängigkeit und Freiheit, Widerfahrnis und Hingabe. Anschaulich geredet ist das wahrlich nicht und erbaulich auch nicht […] Sollte die Herrmannsche Formel ein Hinweis sein auf eine Höhe jenseits von objektiv und subjektiv, auf das ,Reich Gottes‘ im neutestamentlichen Sinn auf ,Gerechtigkeit, Friede und Freude‘, nicht in der Fragwürdigkeit unsres ,innern Lebens‘, sondern ,im Heiligen Geiste‘ [Röm. 14,17], durch den Gott unser Gott wird, dann wäre alles klar und sachgemäß. So meint es leider Herrmann nicht, sondern er triumphiert damit, im Gegensatz zur Orthodoxie ein wirkliches Erlebnis des Menschen zu beschreiben. Ohne es doch zu können, ohne in der großen Offenheit, die ihm eigen war, hindern zu können, daß die unanschauliche Wirklichkeit Gottes die Schale des psychologischen Pragmatismus, in die er sie, gelegentlicher besserer Einsicht zum Trotz, einschließt, an allen Ecken und Enden sprengt.“99
e) Barths kritische Erörterung der Religionsproblematik darf nicht – das ist deutlich geworden – isoliert werden von der Geschichte der Thematisierung der Religion in der Neuzeit als der Geschichte einer konsequenten Verharmlosung des ,Christentums‘. Die Anpassungsbereitschaft von Theologie und Kirche an das anthropozentrische Weltbild der Neuzeit hat mehr oder weniger alle Inhalte der jüdisch-christlichen Tradition suspendiert, um nun den Glauben mit dem prometheischen Lebensgefühl und dem bürgerlichen Besitzindividualismus in Einklang zu bringen. Zudem verfehlt diese Anpassungsbereitschaft stets das erstrebte Ziel der Harmonie mit dem allgemeinen Lebensbewusstsein, denn Anpassung bedeutet – selbst wenn es dabei um die Öffnung zum Fortschrittsbewusstsein des modernen Menschen geht – prinzipiell Nachziehen. Und so bewegt sich trotz aller betonter Fortschrittlichkeit und trotz allem Traditionsverzicht die Theologie „eben immer etwas hinter ihrer Zeit her, so daß sie, obwohl sie sich wahrhaftig absolut genommen sehr lebhaft bewegte, relativ betrachtet doch immer etwas überholt altmodisch dastand, für das allgemeine Bewußtsein immer den Anschein einer Hüterin von wer weiß was für einer altertümlichen Tradition hatte, während ihr jeweiliger Stand doch nur anzeigte, dass sie jetzt, getreulich folgend, bei einem früheren Stadium der allgemeinen Entwicklung angekommen war.“100
Die sich auf den sogenannten Fortschritt einlassende Theologie vermochte „die Früchte ihrer Modernität nie ruhig zu genießen“, da sie von ihrer 99 Barth, Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann, 591 f. 100 Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 115.
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Grundorientierung darauf angelegt ist, dass ihre Fortschrittlichkeit dem allgemeinen Fortschritt jeweils „nachklappt“, nachdem sie zunächst auf Grund ihrer dennoch relativen Beharrlichkeit dem jeweils gerade „abfahrenden Zug noch ein paar wehmütige oder auch zornige Worte“ nachgerufen hat.101 Je mehr sich dieser Mechanismus des theologischen und kirchlichen Nachzüglertums einspielte, umso mehr – und das gehört mit zur Ironie dieser Geschichte – verloren Theologie und Kirche an tatsächlicher Bedeutung. Die Kritik dieses apologetisch in Bewegung gehaltenen Nachzüglertums zielt auf die protestantische Theologie und Kirche seit dem 18. Jahrhundert. Sie wäre missverstanden, wollte man in ihr nun das Ventil sehen, durch welches Barth auch gleichzeitig seine Vorbehalte oder gar sein Ressentiment gegenüber der Neuzeit insgesamt ablade. Barth ist vielmehr durch und durch Theologe der Neuzeit, der allerdings auch von der kritischen Dimension einer recht verstandenen Zeitgenossenschaft weiß. Wenn Barth beispielsweise das anthropozentrische für ,viel naiver‘ als das geozentrische Weltbild hält,102 so bedeutet dies keine Sehnsucht nach dem ja immerhin als ,naiv‘ eingeschätzten Weltbild des Mittelalters, sondern weist in eine grundsätzlich andere Richtung.103 Was Kopernikus als Wegbereiter der Neuzeit für das naturwissenschaftliche Weltbild geleistet hat, indem er über den Irrtum einer geozentrischen Weltwahrnehmung aufklärte, ist für die Anthropologie in der Neuzeit noch nicht nachvollzogen worden; im Gegenteil rückt in der Anthropologie in mehr oder weniger ungeschütztem Vertrauen der Mensch erst einmal in den Mittelpunkt der Weltwirklichkeit, den die Erde bei Kopernikus soeben erst räumen musste. Indem Barth auf dieses Auseinanderbrechen von Naturerkenntnis und Anthropologie aufmerksam macht, verlässt er ja nicht den Boden der Neuzeit, sondern er will zunächst nur auf eine bisher zu wenig beachtete Schräglage hinweisen. Barths Theologie ist keine zeitlose Theologie, sondern sie spricht entschieden zu ihrer konkreten Zeit, so dass sie auch von ihrer konkreten Zeit geprägt ist. Insofern gehört die Neuzeit als historischer Kontext konstitutiv zu seiner theologischen Arbeit, die nun allerdings ihr entscheidendes Kriterium nicht aus dem historischen Selbstbewusstsein des Menschen, sondern aus der ebenso erwartungsvollen wie kritischen Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis über Gottes Praxis am Menschen bezieht. Barths Kritik geht nicht gegen die Neuzeit, sondern verweist auf das Versagen der Neuzeit, dessen Gründe und Gesetzmäßigkeiten er aufklären helfen will, gerade um die Neuzeit auf die Höhe ihrer Zeit als der Zeit des aufgeklärten Bewusstseins zu bringen. Barth nimmt der Neuzeit die von ihr beanspruchte Aufgeklärtheit nicht ab und sieht gerade in der faktischen Vergottung des Menschen eine 101 Vgl. ebd.,117 f. 102 Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 54; Ders., Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 20 f. 103 Vgl. Berkhof, Die Bedeutung Karl Barths für Theologie, Kirche und Welt.
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Mythisierungstendenz, die immer wieder die unterschiedlichsten Koalitionen in den konkreten geschichtlichen Zusammenhängen eingeht, um Harmonie dort vorzutäuschen, wo keine Harmonie ist. (An dieser Stelle hat übrigens auch Barths Kampf gegen die ,natürliche Theologie‘ ihren sachlichen Ort.)104 Das, was für Barths Wahrnehmung der Neuzeit allgemein gilt, gilt für die Religion insbesondere. Die Religion hat längst ihre Unschuld verloren, nachdem die Religionskritik den fiktiven, den kompensatorischen und den illusionistischen Gebrauch der Religion aufgezeigt hat. Gegenüber diesen Vorwürfen der Religionskritik muss sich jeder moderne Religionsbegriff ausweisen können. Ein Weg ist dabei für Barth endgültig verstellt – und das unterstreicht seinen neuzeitlichen Umgang mit dem Religionsproblem –, nämlich der Weg, mit Hilfe der Religion einen Zustand oder auch nur eine Perspektive ins Augen fassen zu wollen, in dem die faktische Entfremdung des Menschen überwunden ist oder in deren Richtung der Mensch auf ein nichtentfremdetes Leben blicken kann. Alle vom Menschen gehandhabte Religion überschreitet grundsätzlich nicht die Bedingungen seiner Historizität, so dass sie im Horizont dieser Bedingungen in ihrer prinzipiell relativen Bedeutung zu würdigen bleibt. Damit hat Barth keineswegs die Religion abgetan – auch wenn er jedem positiven Gebrauch mit Skepsis begegnet –, sondern sie verdient eben die Aufmerksamkeit, die auch unserer jeweiligen historischen Situation gilt, von der ja niemand auf die Idee käme zu sagen, dass sie bereits jetzt oder auch nur in bereits absehbarer Ferne die Schatten der Entfremdung abgelegt habe bzw. ablegen werde. Doch mit dieser Fragestellung verlassen wir nun die historische Dimension des Religionsproblems und wenden uns der systematischen Frage nach der Religion zu.
11.4 Religion als Thema der Dogmatik bei Karl Barth Schon in unserer historischen Skizze wurde erkennbar, dass es Religion nicht an und für sich gibt, sondern dass sie schon auf der begrifflichen Ebene stets in der Verquickung mit anthropologischen, kulturellen, gesellschaftlichen oder politischen Interessen auftritt, denen sie ihre Dienste zur Verfügung stellt. Diese Unselbständigkeit der Religion bleibt auch im Horizont der Theologie erhalten, und zwar nicht nur unter theologiegeschichtlichem Aspekt, sondern auch in systematisch-theologischer Hinsicht. Allerdings kommt bei Barth ein anderes Religionsverständnis als das oben im historischen Zusammenhang thematisierte aufklärerisch-romantische in den Blick. Es geht ihm nicht vornehmlich um einen theologisch oder philosophisch geprägten Begriff der Religion, sondern um das jeweils konkrete Phänomen der Religion und seine theologische Wahrnehmung. Das Interesse konzentriert sich auf die prakti104 Vgl. Schellong, Bürgertum und christliche Religion, 103 f; vgl. dazu o. Kap. 2.4.1.
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zierte Religion und ihre Bedeutung für das theologische Denken, d. h. konkret, Barth wendet sich der Kirche in ihrer irdisch-geschichtlichen Wirklichkeit zu. In dieser kritischen Konzentration auf die tatsächliche Wirklichkeit der Kirche vollzieht Barth die essenzielle Aufgabenbestimmung der Theologie, die als systematische Theologie vor allem Dogmatik ist, d. h. sie erinnert die konkrete historische Kirche daran, dass sie nicht aus sich selbst und ihren menschlichen Möglichkeiten heraus Pracht und Stärke beanspruchen kann, sondern all ihr Gebaren einschließlich ihrer Religiosität hat sich immer wieder neu in Frage ziehen zu lassen von der lebendigen Wirklichkeit des Handelns Gottes, auf das uns das biblische Zeugnis weist. Die entscheidende Frage lautet: Welche theologisch ausweisbare Bedeutung hat das Faktum der Religion und der Religiosität für die Kirche? Es wird eine Frage nach der Realitätsverarbeitung der Theologie gestellt, indem der innere, d. h. theologisch begründbare Zusammenhang des Bekenntnisses der Kirche mit der historisch gelebten Gestalt der Kirche als einer Religionsgemeinschaft mit kollektiver und individueller religiöser Praxis in den Blick genommen wird. In diesem Gefälle wird einerseits deutlich, in welchem Spannungsfeld – und das gilt für Barth grundsätzlich – die theologische Arbeit lokalisiert wird, und zum anderen wird angezeigt, dass es sich bei der Theologie weder im Blick auf das Evangelium noch auf die konkrete Kirche um die Sache selber handelt; vielmehr bleibt die Theologie eine Hilfswissenschaft, mit der sich die Kirche ihre eigene Realität im Lichte des Evangeliums kritisch vor Augen zu führen versucht. Als solche bleibt sie insofern hilflos, als sie weder für die Wirklichkeit des Evangeliums noch für die konkrete Gestalt der Kirche einzustehen vermag. Und so sagt sie alles, was sie zu sagen hat, in einer ungleichen doppelten Hoffnung, dass sie vor allem in möglichst treuer Entsprechung zum Inhalt des Evangeliums reden möge und dann auch von der Kirche, in deren Dienst sie steht, recht gehört werde, so dass sich nicht die jeweilige historische Gestalt der Kirche zum Bedingungsrahmen der Theologie macht, sondern dass sich die Kirche bis hinein in ihre äußere Gestalt und Organisation in ihre je konkrete ,Theologische Existenz heute‘ rufen lässt. Barth entspricht exakt diesem Gefälle, wenn er nach dem spezifisch theologischen Umgang mit der Religion fragt. Auch wenn die Kirche gewiss einiges lernen kann von den unterschiedlichen Wahrnehmungen der Religion, so bleibt es ihre spezifische Aufgabe, die Religion in aller Unbefangenheit aus der von ihr zu pflegenden theologischen Perspektive wahrzunehmen. 11.4.1 Religion als uneigentliches Thema der Theologie a) Es erübrigt sich fast schon festzustellen, dass bei Barth die Religion nicht „das Problem der Theologie“ ist, immerhin aber ist sie „ein Problem in der Theologie“ (I/2, 309). Von sich aus fragen weder die Kirche noch die Theologie nach Religion, denn ihre Sorge und Arbeit gelten vor allem dem angemessenen
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Zeugnis des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus durch die Gemeinde. Jedenfalls sollten nach Barth die Kirche und Theologie zuerst und zuletzt kritisch – und kritisch heißt vornehmlich selbstkritisch – nach dem Inhalt der ihnen eigentümlichen Rede von Gott fragen (I/1, § 1), damit sie nicht der Versuchung erliegen, es entweder für selbstverständlich oder gar für unmittelbar vernünftig oder zuverlässig zu halten, wenn Menschen von Gott reden. Dabei steht die Kirchlichkeit der Kirche und nicht die Religiosität des Christentums zur Verhandlung. Ihre Sorge gilt nicht Religionsparteien und ist daher nicht konfessionalistisch, eben weil Barth die konfessorische Existenz der Kirche im Auge hat, d. h. das aktuelle lebendige Bekennen der Kirche. Ihre Weisheit findet die Theologie allein in der ,Furcht des Herrn‘ und nicht im Beeindrucktsein vom Christentum – weder in seiner Erfolgs- noch seiner Unheilsgeschichte. Das ist das Erste: Hinsichtlich ihres Inhalts sind Theologie und Kirche vor die Wahrheitsfrage gestellt, die den Glauben zunächst und unausweichlich mit sich selbst in Konflikt bringt (vgl. I/1, 28ff). Die Wahrheitsfrage stellen sie sich nicht selbst, vielmehr wird sie ihnen sowohl vom biblischen Zeugnis als auch von den jeweiligen konkreten Zeitumständen gestellt. Der Wahrheitsfrage gegenüber ist die Theologie unselbständig. Sie darf ihr weder ausweichen, noch kann sie sich aussuchen, wo die Wahrheit aufgesucht werden muss. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, nach dem besonderen Erkenntnisweg der Theologie zu fragen. Das ist bei Barth die besondere Aufgabe der Prolegomena der Dogmatik, wobei er keinen fundamentaltheologischen Weg für möglich hält, auf dem allgemein evidente Erkenntniskategorien auf ihre theologische Brauchbarkeit hin betrachtet werden, sondern er unterstreicht, dass von vornherein die theologische Aufgabe ins Auge zu fassen ist, so dass der Erkenntnisweg den Bestimmungen des besonderen Erkenntnisgegenstandes folgt: „Prolegomena zur Dogmatik sind nur möglich als ein Teilstück der Dogmatik selber“ (I/1, 41). Jeder andere Weg läuft Gefahr, dass er den besonderen Gegenstand der Theologie verfehlt. Dem reformatorischen Schriftprinzip entsprechend bleibt auch methodisch streng daran festzuhalten, dass sich der Gegenstand der Theologie allein durch sich selbst erkennen lässt. b) Auf ihrem Erkenntnisweg stößt die Dogmatik zwar nicht am Anfang, so aber doch im konsequenten Verlauf des von ihrem Gegenstand gebotenen Weges unweigerlich – indem sie auf das äußere Erscheinungsbild der Kirche trifft – auf die Religion. Die Religion als das äußerliche Hörbar- und Sichtbarsein des Glaubens stellt sich der Theologie gleichsam von selbst in ihren Weg, der ja nicht durch den Himmel oder gar das Reich Gottes führt, sondern in der vorfindlichen Welt mit ihren Gegenständlichkeiten und Abstraktionen riskiert wird. Es gehört zu den irdisch-geschichtlichen Bedingungen des Glaubens als der ,profane Außenaspekt‘105 der christlichen Gemeinde, dass er sich prinzipiell nicht anders als religiös und somit als Gestaltung von Religion 105 Vgl. Barth, Die Kirche und die Kultur, 34.
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darzustellen vermag. Es wird entschlossen festzuhalten sein: Die Religion ist unausweichlich die Form, in der christlicher Glaube sichtbar wird. Indem die Kirche es wagt, von Gott zu reden – und das ist der Haftpunkt von Dogmatik überhaupt (I/2,42) –, hat sich die Theologie auch diesem Phänomen ihrer eigenen Religiosität zu stellen, selbst wenn es zunächst so scheinen mag, dass ihr hier von fremden Bedingungen ein Thema aufgenötigt werde, bzw. dass es sich da um ein uneigentliches Thema der Theologie handele. Ob es der Theologie gefällt oder nicht: sie kommt nicht um die Religion herum, weder im Höhenflug des vermeintlich reinen Glaubens noch im freundlich lächelnden Flanierschritt aufgeklärter Mündigkeit, ohne nicht gleich und dann vornehmlich über sich selbst zu stolpern, um sich dann genau an der Stelle wiederzufinden, die man gerade so geisteifrig oder so aufgeklärt zu umgehen sich anschickte. Das ist das Zweite: Hinsichtlich ihrer Form sind Theologie und Kirche als hör- und sichtbare menschliche Anstrengungen, wenn auch entschieden nicht prinzipiell, so doch in ihrer faktischen Vorfindlichkeit vor das Religionsproblem gestellt, durch das die Artikulationen und Gestaltungen des Glaubens in das Missverständnis des Vergleichs und die Vieldeutigkeit der Erscheinung hineingezogen werden. c) Es bleibt ein kurzer Blick auf das zu werfen, was die Theologie zur Theologie macht, d. h. auf die besondere sachliche Bindung der Theologie. Ebenso wie alle anderen Wissenschaften wird die Theologie, die nicht einfach zu allem und jedem etwas zu sagen hat, von einer ganz bestimmten Fragehinsicht geprägt, die der einzelne Theologe nicht einfach austauschen kann. In diesem Sinne gibt es in der Theologie keine selbständigen Themen, vielmehr wird jedes Thema erst in seinem Bezug zu der in der Bibel bezeugten Geschichte Gottes mit dem Menschen, die zusammengefasst wird im Namen Jesu Christi, zu einem theologischen Thema. Barth weiß auch, dass es andere Fragen gibt, die man an die Religion stellen kann. Es geht gar nicht darum, das Recht dieser anderen Fragen zu bestreiten, sondern es geht allein um die Ablehnung der leichtsinnigen Ansicht, dass jede Frage, die sich mit der Religion beschäftigt, automatisch eine theologische Frage ist. Barth bestreitet also nicht die Frage der Religionssoziologie oder -psychologie, wohl aber, dass von dort aus theologische Antworten zu erwarten stehen. Theologische Antworten können nur da gefunden werden, wo auch theologisch gefragt wird. Ein großer Teil der Verwirrungen um Barth geht darauf zurück, dass die unterschiedlichen Fragehinsichten nicht präzise voneinander unterschieden werden, so dass unerkannt bleibt, dass Barth mit einer ganz bestimmten, allerdings für die Kirche auch unüberspringbaren Frage das Religionsproblem in Angriff nimmt. Die Theologie hat nicht die Aufgabe, „mit einem auf der Erde aufgestellten Scheinwerfer den Himmel abzuleuchten […], sondern sie wird versuchen, die Erde im Lichte des Himmels zu sehen und zu verstehen.“106 Damit ist die ganz 106 Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, 139. „Statt in seinem Lichte – dem ewigen, da
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besondere Problematik der Theologie angesprochen, dass sie nämlich etwas tun soll, was kein Mensch von sich aus tun kann, es sei denn, er hat bereits etwas von diesem Licht des Himmels gesehen. Die Bedingungen für die Theologie unterscheiden sich insofern grundsätzlich von den Bedingungen anderer Wissenschaften, als sie von der Souveränität nicht des Wissenschaftlers über den Gegenstand, sondern der Souveränität ihres Gegenstandes über den Wissenschaftler auszugehen hat. Theologie ist von der Lebendigkeit ihres Gegenstandes bewegtes Denken und nicht eine die in Augenschein zu nehmenden Gegenstände erst ihrerseits bewegende Anstrengung. Und so wird es nicht reichen zu betonen, dass Theologie im Hören betrieben werde, sondern man muss eben doch sagen, dass sie allein im Gehorsam (erste Barmer These: hören, vertrauen, gehorchen) zu ihrer Aufgabe findet. Bevor sie der Welt ihre Möglichkeiten und Dienste empfiehlt, muss sie sich selbst immer wieder neu in diesen Gehorsam rufen lassen. In diesem Gehorsam liegt nun aber auch die ganze Freiheit der Theologie.107 Gerade durch ihre Bindung, die sie selbst weder zu rechtfertigen braucht noch rechtfertigen kann oder wollen darf, ist sie „die freieste […] unter allen Wissenschaften“.108 Nicht nur als Bestimmung für die Theologie, auch in der Theologie nimmt bei Barth der Freiheitsbegriff eine selten zentrale Stellung ein – ein weiterer deutlicher Hinweis auf die bewusste Neuzeitlichkeit seiner Theologie. Freiheit ist für Barth allerdings kein formales Abstraktum, sondern entfaltet sich stets von einer bestimmten Bindung aus, so dass es entscheidend bleibt, in welcher Angel sie sich bewegt. In der Wahl ihres Dreh- und Angelpunktes ist die Theologie nicht frei, sondern er ist ihr im Zeugnis von Jesus Christus vorgegeben. Indem diese Bindung den ganzen Menschen betrifft (zweite Barmer These), ist er von allen anderen Bindungen befreit, d. h. alle anderen Bindungen unterstehen den Bestimmungen der in dieser Bindung begründeten Freiheit. Theologie und Kirche sind dazu befreit, alle Fragen und Nöte der Menschen in das Licht des Evangeliums zu rücken. Die Religion ist eine solche Frage und Not des Menschen, auf die die Theologie gestoßen wird. Indem sich die Theologie der Frage der Religion annimmt, thematisiert sie die Religion im Lichte des Evangeliums. Nur wenn die Religion hineingenommen wird in den besonderen Gehorsam und die allein aus ihm folgende Freiheit der Theologie, kann sie zu einem sachlich ausweisbaren Thema der Theologie werden. Das ist das Dritte: Indem die Theologie auf ihrem Erkenntnisweg unausweichlich auch auf das Problem der Religion stößt, wird sie in der Ausein,niemand zukann‘[vgl. 1. Tim. 6,16] – das Licht zu sehen [vgl. Ps. 36,10], lassen wir ihn ein Licht unter andern sein, wenn auch das größte, das unsinnliche und übernatürliche, zünden folgerichtig eigene Lichter an und suchen ebenso folgerichtig auch in den Dingen ihr eigenes Licht.“ (Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 74) 107 Vgl. Barth, Die Theologie und der heutige Mensch, 382. 108 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 175
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andersetzung mit ihr (wie in der Auseinandersetzung mit jeder anderen Frage, die sich ihr in den Weg stellt) gerade um ihrer eigenen Religiosität willen an ihren besonderen Gehorsam und ihre Freiheit erinnert. Als ein Teil dieser Welt präsentiert sich auch die Kirche selbst als eine Religion, als Christentum, so dass sich gerade an dieser Stelle zeigen wird, wie konsequent und konkret sie sich in ihren Gehorsam gestellt weiß. Religion wird nicht als eine Grundlage der Theologie thematisiert, wohl aber als ein höchst ernstzunehmender ständiger Begleitumstand, ja als ein unüberhör- und unübersehbares Wesensmerkmal von Theologie und Kirche. Der Religion kommt zwar keine grundlegende, wohl aber eine grundsätzliche Bedeutung zu, so dass sie bei Barth zu Recht in den Prolegomena der Dogmatik thematisiert wird, deren Bedeutung bei allen materialen Loci der Dogmatik vorausgesetzt bleibt. Theologische Erkenntnis zielt nicht auf weltverschlossene Wahrheiten, sondern auf die je konkrete Kirche, die in ihrer geschichtlichen Gestalt eben eine Religionsgemeinschaft ist. Im Bedenken des besonderen theologischen Erkenntnisweges thematisieren die Prolegomena den „Konflikt des Glaubens mit sich selber“ (I/1, 30), und dieser Konflikt wird durch die von der Religion aus gestellten Fragen besonders anschaulich. 11.4.2 Die Unausweichlichkeit der Religion 11.4.2.1 Religion als Angelegenheit des Menschen Nachdem sich Barth im zweiten Abschnitt seiner Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik mit Jesus Christus als der objektiven Wirklichkeit und Möglichkeit der Offenbarung beschäftigt hat, wendet sich der dritte Abschnitt unter der Überschrift ,Die Ausgießung des Heiligen Geistes‘ der Frage nach der subjektiven Wirklichkeit und Möglichkeit der Offenbarung zu. Subjektivität bezieht sich hier auf die Wirklichkeit und Möglichkeit, dass kraft des Heiligen Geistes Menschen von der Offenbarung Gottes getroffen und in die Freiheit des Glaubens gestellt werden. Die sachliche Konzentration bleibt zunächst streng bei der Subjektivität Gottes, d. h. bei seiner Initiative und seiner realen Zuwendung zum Menschen; es wird also nicht die Blickrichtung gewechselt, indem nun von der Subjektivität des Menschen, von dem Menschen als dem freien Subjekt die Rede ist, sondern der Mensch kommt im Blick auf die Offenbarung Gottes zunächst ganz und gar passiv in den Blick. Aber er muss in den Blick kommen, denn ihm gilt ja das Offenbarungshandeln Gottes. Gottes Offenbarung bleibt nicht irgendwo in den ,Wolken‘ – unerreichbar oberhalb des Menschen – stecken, sondern erreicht auch tatsächlich den vorfindlichen, d. h. den konkreten Menschen. Darauf kommt es für Barth an: Gott macht sich von sich aus zu einer Angelegenheit des Menschen. Das ist der dezidierte Sinn seiner Selbstmitteilung. Er überlässt es nicht dem Menschen, sich seine Vorstellungen und Reime über Gott zu machen und von sich aus
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über seine Bedeutung nachzudenken, sondern überrascht und überführt die menschlichen Spekulationen, Phantasien und Intuitionen (die man heute bisweilen Erfahrung zu nennen pflegt) darin, dass er selbst von sich sagt, wer er ist und was ihm der Mensch ist. Das ist die eine – grundlegende – Seite. Sie trägt der Einsicht Rechnung, dass der Glaube das Werk Gottes ist; wir kommen nicht aus „eigener Vernunft noch Kraft“ (Luther) zum Glauben, sondern nur durch den Heiligen Geist. In seinem Ursprung gehört der Glaube auf die Seite Gottes; er untersteht weder in seinem Inhalt noch in seinem Ereignis unserem Willen oder gar unserer Freiheit. Er folgt ganz und gar nicht den Bedürfnissen unserer Subjektivität. Andererseits ist der Glaube auch ein den Menschen real betreffendes Ereignis und hat deshalb auch eine menschliche, phänomenologische, psychologische und als solche subjektive Seite. Es muss im Grunde von einer doppelten Subjektivität gesprochen werden, denn zum einen ist das Wirken des Geistes, das den Glauben weckt, gleichsam die objektive Subjektivität der Offenbarung, die ganz auf die Seite Gottes gehört, während davon unterschieden die subjektive Subjektivität des vom Glauben getroffenen Menschen zu bedenken bleibt. Es geht Barth hier um das Ernstnehmen des Ereignisses der Offenbarung im Horizont der konkreten Wirklichkeit – d. h. der profanen Geschichtlichkeit – des Menschen. Die Offenbarung ist nicht nur zielgerichtet, sondern erreicht ihr Ziel auch tatsächlich. „Offenbarung bedeutet: Jemand, der verborgen ist, hat sich gezeigt – jemand, der geschwiegen hat, hat geredet – und: jemand, der bis jetzt nicht gehört hat, hat etwas davon vernommen.“109 Ohne diese Gewissheit wäre die Theologie wohl die phantastischste Spekulationsanstrengung, die sich vorstellen lässt. Sie entkommt dem Verdikt einer spekulativen Subjektivität allein im Ernstnehmen und Zur-Geltung-Bringen, dass Gott eben nicht nur eine Mitteilungsabsicht zu erkennen gibt, auf dessen Spur sich dann der Mensch selbst zu setzen hat, sondern dass er sein Mitteilungswerk selbst vollendet bis in die tatsächliche historische Wirklichkeit des Menschen hinein. „Die Offenbarung durch den Heiligen Geist ist wirklich und möglich als eine Bestimmung der menschlichen Existenz. Wollten wir das leugnen, wie würden wir sie dann als Offenbarung verstehen? Leugnen wir es aber nicht, so müssen wir anerkennen, daß sie jedenfalls auch den Charakter und das Gesicht eines menschlichen, historisch und psychologisch fassbaren Phänomens hat, nach dessen Wesen, Struktur und Wert man fragen kann wie nach denen anderer menschlicher Phänomene, das mit anderen menschlichen Phänomenen mehr oder weniger ähnlicher Art in einer Reihe gesehen und entsprechend verstanden und beurteilt werden kann“ (I/2, 305).
Hier zeigt sich, wie abwegig der oben (11.2.3.) erwähnte Vorwurf ist, dass Barth das Menschliche nicht in den Blick bekomme, geht es ihm doch bei der Thematisierung der Religion ausdrücklich um nichts anderes als um den konkreten Menschen, um den homo religiosus als den von der Offenbarung 109 Barth, Interview von Alfred Blatter, 37.
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getroffenen geschichtlichen Menschen. Freilich wird hier nicht unter den Bedingungen des Menschlichen vom Menschlichen gesprochen – das ist auch nicht die Aufgabe der Theologie! –, sondern es wird unter der Bedingung der Zuwendung Gottes vom Menschlichen gesprochen. Der Mensch ist hier nicht Voraussetzung, Bedingung, Weg und Ziel zugleich, sondern er kommt als das Ziel der Zuwendung Gottes in den Blick. Doch man meine nur nicht, dass sich darin nun das steile ,Senkrecht von oben‘ oder ein autoritativer ,Offenbarungspositivismus‘ zeige, in dem der Mensch allein das Objekt eines unbeeinflussbaren Himmelsplanes werde. Solche Charakterisierungen Barths funktionieren nur, wenn man sehr großzügig darüber hinweggeht, dass auch nach Barth der Glaube den Menschen nicht zur Marionette Gottes macht, sondern ihn eben in die Freiheit hineinstellt, nun auch seinen behaupteten Subjektanspruch oder seine Gott angebotene Religion in die Bewegung dieser Befreiung einzubeziehen. Nie und nirgends ist bei Barth der Mensch ein willenloser Hohlraum, der allein von Gott auszufüllen sei, sondern er ist das herausgehobene und allerdings eigenwillige Geschöpf Gottes, dem in vorzüglicher Weise Gottes Sorgen und Leiden gelten. An eben diese Sorge Gottes und an das besondere Engagement seines Eintretens für uns will uns Barth unablässig erinnern, nicht um abstrakte intellektuelle Spielereien mit spekulativen rechtwinkeligen Koordinatensystemen zu veranstalten, sondern um auf die reale Beziehung zweier Wirklichkeiten hinzuweisen, nämlich die Wirklichkeit der Fürsorge Gottes mit der Wirklichkeit der Selbstsorge des natürlichen Menschen. Die Gnade Gottes ist auch für Barth „nicht ohne Gnadenerlebnis“.110 Ohne dieses Ernstnehmen tatsächlich menschlichen Bewegtseins könnte Theologie nur ein mehr oder weniger raffiniertes Täuschungsmanöver sein, denn sie gründete zwangsläufig in dem Eingeständnis, dass wir hinsichtlich des Wollens und Wirkens Gottes mit und in dieser Welt prinzipiell im Dunkeln tappen. Es ist deutlich, dass sich Barths Protest gegen den Neuprotestantismus nicht gegen die Wirklichkeit und Möglichkeit eines Verhältnisses des Menschen zu Gott überhaupt richtet, sondern lediglich ein falsches Verhältnis des Menschen zu Gott angreift.111 Nehmen wir ernst, dass Gott sich wirklich mitgeteilt hat und sich durch seinen Geist auch heute mitteilt in einem „dem Menschen widerfahrenden Ereignis […], das jedenfalls auch die Gestalt menschlicher Zuständigkeit, Erfahrung und Tätigkeit hat, [dann] stoßen wir an dieser Stelle auf das Problem der menschlichen Religion“ (I/2, 305). Oder in einer Formulierung aus dem zweiten Römerbriefkommentar : „Religion ist unvermeidlicher seelischer
110 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 317. 111 Gegen Ulrich Manns Vorwurf, Barth vertrete „einen sehr formal-objektiven Offenbarungsund damit auch einen durchaus abstrakt-statischen Gottesbegriff“ (Mann, Gottes Nein und Ja, 90)
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Reflex (Erlebnis) des an der Seele sich ereignenden Wunders des Glaubens.“112 Dabei sind – wie oben angezeigt – Barths Überlegungen nun nicht an einem bestimmten Begriff der Religion interessiert, sondern an der faktischen Wirklichkeit des religiösen Menschen.113 Wenn man so will, ist das seine höchst weitgefasste Begriffsbestimmung: Religion ist die Angelegenheit des reagierenden Menschen, der seinem Glauben eine ihm entsprechende Gestalt der Frömmigkeit zu geben versucht, die allerdings nicht sichtbar machen kann, ob sie im Gehorsam auf den Willen Gottes oder im menschlichen Eigenwillen steht. Menschliche Frömmigkeit hat weltweit die unterschiedlichsten Formen in den verschiedenen Religionen mit oder ohne Gott. Dieser Hinweis auf die bloße Menschlichkeit der Religion trennt sie nicht prinzipiell von der Offenbarung Gottes, wohl aber nimmt die Offenbarung, die es mit dem Menschen zu tun haben will, den vorläufigen Schaden in Kauf, dass sie nun ihrerseits in den (religiösen) Widersprüchlichkeiten des menschlichen Lebens ,in Erscheinung‘ tritt. Der Vorwurf Gogartens, Barth intendiere eine „innere Unabhängigkeit und Abgelöstheit der christlichen Verkündigung von allem Menschlich-Geschichtlichen“,114 geht völlig am Problem vorbei. Die Offenbarung Gottes taucht gleichsam in die Welt des Vergleichs ein, in der sich christlicher Glaube als christliche Religion (Christentum) neben vielen anderen Religionen darstellt. Von außen betrachtet tut Elia nichts prinzipiell anderes als die Baalspropheten (1Kön 18,21ff) – die klärende Unterscheidung kann allein von Gott kommen. Christlicher Glaube wird in der Welt und von der Welt nicht anders vernehmbar als „eine Spezies in einem Genus, zu dem auch andere Spezies gehören“ (I/2, 306). „Gott ist in seiner Offenbarung tatsächlich eingegangen in eine Sphäre, in der seine Wirklichkeit und Möglichkeit umgeben ist von einem Meer von mehr oder weniger genauen, aber jedenfalls grundsätzlich nicht zu verkennenden Parallelen und Analogien in menschlichen Wirklichkeiten und Möglichkeiten“(I/2, 307).
Und im Pantheon der Religion ist es keiner Religion – eben auch nicht dem Christentum und seiner Theologie – möglich nachzuweisen, dass sie nicht Grillen fängt.115 In ihrer Tatsächlichkeit, die ja eine Tatsächlichkeit des Glaubens und nicht des Schauens ist, bleibt die Offenbarung, jedenfalls von außen betrachtet, höchst missverständlich umgeben von der Feier anderer Offenbarungen in der Welt menschlicher Religion. „Indem Gott sich offenbart, verbirgt sich das göttlich Besondere in einem menschlich Allgemeinen, der wirkliche Inhalt in einer menschlichen Form und also das göttlich Einzigartige in einem menschlich bloß Eigenartigen“ (I/2, 307). 112 Barth, Der Römerbrief (zweite Fassung), 178 (Hervorhebung M.W.). Hans-Joachim Kraus spricht von „Erfahrung göttlicher Macht“ (Kraus, Systematische Theologie, 80). 113 Vgl. Krçtke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth, 15, 29. 114 Gogarten, Gericht oder Skepsis, 15. 115 Auf die Theologie insgesamt bezogen vgl. Barth, Die Theologie und der heutige Mensch, 383.
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Eben deshalb kann die Kirche nicht den Religionen „gegenüber eindeutig […] sagen, was sie ist und will und daß und inwiefern sie sich von ihnen unterscheidet.“116 Diese Verborgenheit des Besonderen im Allgemeinen bringt eine unvermeidliche Ambivalenz mit sich, als bestünde da zwischen beiden eine sich wechselseitig begründende Kommunikation. Für Theologie und Kirche ergibt sich aus dieser unausräumbaren phänomenologischen Zwielichtigkeit die gefährliche Versuchung, aus Gründen der allgemeinen Selbstempfehlung das Begründungsgefälle von Inhalt (der Offenbarung bzw. des Glaubens) und Form (der Religiosität bzw. der Frömmigkeit) in einem von außen kaum wahrnehmbaren Wechsel, in einem flinken Rollentausch von Lehrling und Meister117 einfach umzudrehen, so dass nicht mehr der Inhalt als das Gewisse und Unverwechselbare, sondern die Form als das Allgemeine und damit Allmenschliche zur maßgebenden Erkenntnisquelle und Begründungsebene erklärt wird. Aus dem ,So spricht der Herr‘ wird dann ein ,So hört der Mensch‘.118 Eben diese Umkehrung beschreibt Barth als die rätselhafte neuzeitliche theologiegeschichtliche Wende, in der die Theologie „dem Absolutismus, mit dem der Mensch dieser Zeit sich selbst zum Mittelpunkt, Maß und Ziel aller Dinge machte“ (I/2, 319) anheimfiel.119 Wenn Barth hier energisch widerspricht, so geschieht das nicht aus einer „konservativen Stimmung und Haltung“ heraus (I/ 2, 317), sondern um der Freiheit der Theologie willen (I/2, 318), wie sie von den Reformatoren so entschieden als Freiheit der unbedingt theologischen Sachlichkeit herausgestellt wurde (I/2, 319).120 Den von Feuerbach gezogenen Konsequenzen ist nur zu entkommen, wenn sich die Theologie jeder Möglichkeit entgegenstellt, aus dem Gottesverhältnis ein Prädikat des Menschen zu machen.121 Bei der Suche nach dem systematisch-theologischen Ort des Religionsproblems bedeutet schon die Behauptung einer systematischen Vergleichbarkeit von Offenbarung und Religion ein entscheidendes Missverständnis (I/2, 320), in dem die verheerende Umkehrung des Begründungsgefälles bereits als vollzogen gelten muss. Gegen diese Versuchung bleibt zur Geltung zu bringen, dass sich das in 116 117 118 119
Barth, Die Kirche und die Kirchen, 214. Vgl. Barth, Die Theologie und der heutige Mensch, 391; Ders., Der Christ als Zeuge, 194. Barth an Adolf von Harnack, in: Barth, Offene Briefe 1909 – 1935, 76. Diesen von Barth immer wieder hervorgehobenen Aspekt der Selbstsicherung des Menschen betonen auch Pannenberg, Was ist der Mensch?; Ders., Anthropologie, Einleitung; Baur, Die Unausweichlichkeit des Religiösen; Sauter, Über die Brauchbarkeit des Religionsbegriffes u. a. Andererseits mache es sich Barth dann mit schroffen Behauptungen zu einfach; vgl. Pannenberg, Gottesgedanke und menschliche Freiheit, 31; vgl. kritisch dazu Gruhn, Religionskritik als Aufgabe der Theologie, 236 f und Jìngel, Gott als Geheimnis der Welt, 56 f Anm. 3. 120 Vgl. dazu Kraus, Theologische Religionskritik, 22 f. 121 Vgl. Gruhn, Religionskritik als Aufgabe der Theologie, 247. Zu Barth und Feuerbach vgl. auch Krmer, Die Religionskritik Ludwig Feuerbachs und ihre Rezeption in der Theologie Karl Barths; Herlyn, Religion oder Gebet, 56ff; Lochman, Von der Religion zum Menschen.
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keinem Genus zu verrechnende Besondere eben um des Allgemeinen willen, d. h. mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit im Allgemeinen verbirgt. Damit wird eine für Barth grundlegende Richtung angezeigt, in der die Kirche zur Welt drängt und nicht umgekehrt die Welt an sich zu binden trachtet. „Es gibt der Kirche gegenüber […] kein absolutes Draußenstehen“ (I/2, 466), denn das Besondere der Kirche ist „abgesehen von aller Religiosität heimlich, aber in radikaler Wahrheit das allgemein Menschliche“.122 Die umgekehrte Richtung ist durch dieses Gefälle grundsätzlich blockiert, d. h. jeder plausible Reim einer „vorher und im allgemeinen also untheologisch bestimmte[n] Wirklichkeit Religion mit den theologischen Begriffen der Offenbarung, des Glaubens usw.“ (I/2, 323) misslingt. Es ist unbestritten, dass der Religionsbegriff bei Barth damit eine eigentümlich weitgreifende d. h. zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen hin und her oszillierende Zwielichtigkeit erhält, doch diese äußere Simultanität ist eine sachlich notwendige, und der etwa von Theodor Siegfried123 und anderen124 erhobene Vorwurf, dass Barth einen beliebig bestimmbaren Allgemeinbegriff vor Augen habe, greift ins Leere. Die Theologie kann nicht erst von diesem und jenem reden, sondern muss sich gleich zu Beginn ihrem Inhalt zuwenden, selbst wenn, ja gerade weil dieser in seiner Direktheit nur ,indirekt‘, eben vom Glauben zur Sprache gebracht wird – und Sprache ist in diesem Sinn etwas Allgemeines. Im Blick auf den von Barth im § 17 seiner Kirchlichen Dogmatik entfalteten Leitsatz kann inhaltlich formuliert werden: „Es ist etwas anderes, ob sich der Glaube als eine Gestalt menschlicher Frömmigkeit versteht oder als eine Gestalt des Gerichtes und der Gnade Gottes, die sich allerdings und sehr konkret auch auf die menschliche Frömmigkeit in all ihren Formen bezieht.“ (KD I/2, 309). Die theologische Freiheit bleibt nur gewahrt, wenn der Mensch in das besondere Licht des Evangeliums gerückt wird, und sie ist verspielt, wenn der im Grunde widersinnige Versuch angestellt wird, das Evangelium in das Licht des allgemein Menschlichen zu stellen, wie auch immer das versucht werden möge. Den Menschen in das Licht des Evangeliums zu rücken, heißt aber, ihn in den Horizont von Gericht und Gnade zu stellen. Und eben so verfährt Barth nun mit der Frage nach der Religiosität des Menschen, indem er zunächst von der gerichteten und dann von der gerechtfertigten Religion handelt. Gericht und Gnade bleiben dabei eine lediglich sprachlich notwendige Differenzierung des einen in Jesus Christus ergangenen Wortes Gottes.125
122 Barth, Christus und Adam nach Römer 5, 52. Zur Unterscheidung des Besonderen vom Allgemeinen bei Barth vgl. Herlyn, Religion oder Gebet, 51 – 54. 123 Siegfried, Das Wort und die Existenz, 81. 124 Vgl. Marsch, Die theologisch und kirchlich verdrängte Religion, 31; Trillhaas, Dogmatik, 227. 125 Vgl. auch Herlyn, Religion oder Gebet, 60.
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11.4.2.2 Die gerichtete Religion Religion in das Licht der Offenbarung zu rücken heißt, sie aus dem Wissen darum betrachten, „dass Gott den gottlosen Menschen samt seiner Religion aus Gnade versöhnt hat mit sich selber“ (I/2, 326). Wenn Barth also von der Religion als Unglaube und dann von der wahren Religion spricht, so geht es um nichts anderes, als um die konsequente Zuspitzung der Rede von der Versöhnung auf die konkrete menschliche Frömmigkeit, d. h. die Frömmigkeit wird auf dem Hintergrund zur Sprache gebracht, dass Gott in Jesus Christus den Menschen aus seiner Verkehrtheit, aus seiner Gottlosigkeit, aus seinem Unglauben in die vom Menschen nicht erwirkbare Lage versetzt hat, Gott mit seinem geheiligten Leben die geschuldete Ehre zu erweisen. Im Zentrum des Gedankens steht das Bekenntnis zu Jesus Christus, das eben als solches – um mit Kornelis Heiko Miskotte zu sprechen –„das Bekenntnis der Herkunft aus dem Unglauben“ einschließt.126 Der Satz ,Religion ist Unglaube‘ kann nur verstanden werden, wenn er als ein Satz des Glaubens gehört wird.127 Es handelt sich weder um eine Feststellung über das Erscheinungsbild noch um eine Diskreditierung religiöser Praxis, sondern um die Bewegung der Selbstkritik des Glaubens. Es geht um den Einspruch gegen die auf dem Weg der Abstraktion eingerissene Verwechselbarkeit zwischen Gott und Mensch. Für Barth steht nicht dieses oder jenes vorsichtige oder gar radikale Werturteil zur Debatte, sondern der Versuch, konsequent dem Urteil Gottes über die menschliche Frömmigkeit nachzudenken.128 Gegen das verbreitet lautgewordene Missverständnis, Barths Einlassung auf die Religion sei „lieblose Intoleranz und theologischer Dünkel“129 muss nachdrücklich die sachlich höchst folgenreiche Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Urteil in Anschlag gebracht werden. Indem es hier um das Urteil Gottes geht, steht die christliche Gemeinde in der alle Religionen umfassenden Solidarität der Sünder.130 Barth blickt dabei nicht zuerst auf die anderen oder auf die Religion im allgemeinen und besonderen, sondern auf die Kirche und 126 Miskotte, Natürliche Theologie, 1324. 127 „Immer nur die Nichtglaubenden bilden sich ein, dass der Glaube eine menschliche Möglichkeit sei, von der sie dann wohl sagen, dass sie ihnen persönlich zufällig versagt sei.“ (Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 123) 128 Solange man allerdings jedes Nachdenken über Gottes Urteil über den Menschen und seine Religion einer in ihrer Massivität inhumanen Theologie verdächtigt, die sich in unevangelischer Weise auf „in sich selbst abgeschlossene(n) Entitäten“ zurückziehe und sich dadurch abschirme, dass sie nach außen nur in einem „immer wiederholte[n] Draufloshämmern“ spreche, um ihre „theozentrische Position unüberwindlich zu machen“, kann es nicht verwundern, wenn nun Barth die eigenen Simplifizierungen unterstellt werden (vgl. Kraemer, Religion und christlicher Glaube, 189 f); doch in diesem Horizont werden die besonderen theologischen Fragen Barths nicht einmal geahnt. 129 Schilling, Glaube und Illusion, 96. 130 Vgl. Herlyn, Religion oder Gebet, 58 f.
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unser Christentum (vgl. I/2, 358). Das entspricht dem biblischen Zeugnis: „Die ganze Bibel redet gerade kritisch nur mittelbar zum Fenster hinaus, unmittelbar immer nach innen: zu denen, die im Hause, dem besonderen Hause Gottes sind.“131 Damit ist zugleich eine Bestimmung für die Theologie insgesamt gegeben: Ihre Aufgabe ist nicht einfach die Widerlegung des Unglaubens, sondern das Zur-Sprache-Bringen ihres eigenen Glaubens, der um das ständige Bedrohtsein und die unablässige Verführbarkeit seiner Einsichten (vgl. I/1, 29 f) und somit um seine fließenden Grenzen hin zum Unglauben weiß. Indem die Gnade Gottes nicht billige Gnade, nicht kostenloser und flächendeckender Zuspruch ist, sondern richtende Gnade, enthüllt sie wie nichts anderes die Selbstgerechtigkeit des gottlosen Menschen. Diesem Urteil ist er nicht durch seine religiöse Betätigung entnommen. Der Angriff gegen die eigenwillige Religion des Menschen hat deshalb aber keine misanthropischen Züge, im Gegenteil: er versucht ja gerade auf den unter der Gnade Gottes stehenden Menschen hinzuweisen, d. h. dem im Ursprung und Ziel positiven Urteil Gottes über den Menschen zu folgen. Die Gnade Gottes trifft aber nicht auf einen ihr würdigen, sondern einen gegen sie verkehrten Menschen, der von sich aus ins Argument drängt und sich mit Gott ins Benehmen setzt. Die damit angesprochene Sünde bleibt streng eine theologische Kategorie und darf nicht als ein empirisches Phänomen betrachtet werden. Sie bezeichnet die im Urteil Gottes sichtbar werdende Vergangenheit des Menschen, in der auch die eigenwillige Religion ihren Ort hat. Das in der Gnade aufleuchtende Urteil Gottes macht einen Menschen erkennbar, der gerade in seiner Religion gleichsam nach Gott greift und ihm zuvorkommen will (vgl. I/2, 330 f), d. h. es wird der Mensch sichtbar, der Gott nicht in seiner Offenbarung zu sich sprechen lässt, sondern der sich selbst ein Bild von Gott macht, dem er dann dient und damit dem lebendigen Gott entschieden den Rücken kehrt. „Im Ereignis der Religion als solchem ist der Mensch der Schöpfer Gottes, ist Gott in bedenklichster Weise des Menschen Gott, Prädikat seines, des Menschen Wesens und Lebens. Die Unerhörtheit dieses Sachverhalts kann auch durch die aufrichtigste Ehrfurcht und Dankbarkeit, in der er sich diesem Geschöpf nun seinerseits hingibt, nicht aufgehoben und nicht ganz verhüllt werden: in der Religion als solcher macht sich der Mensch selber einen Gott, verehrt und verherrlicht er also auf einem kleinen Umweg sich selber. Beruht die Religion auf der letzten, tiefsten Möglichkeit der menschlichen Seele, so ist sie als dieses Ereignis, in sich betrachtet, gewiss auch der letzte Akt des Widerspruchs gegen Gott, in dem der Mensch existiert, die offen ausbrechende Empörung, die Sünde, die Sünde gegen das erste Gebot, neben der alle anderen nur abgeleitete Bedeutung haben können.“132
131 Barth, Das christliche Lehen, 223. 132 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 414 – 416.
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Der sich auf Religion berufende Mensch setzt eben nicht vor allem in Gott, sondern ebenso in sich selbst sein Vertrauen und ist eben bereits „mindestens potentiell, mindestens im Hinblick auf sein religiöses Können, in dem er Befriedigung sucht, schon befriedigt […] Er ist einem reichen Mann zu vergleichen, der, im Bedürfnis, noch reicher zu werden (das doch kein absolutes Bedürfnis sein kann!), einen Teil seines Vermögens in ein Nutzen versprechendes Unternehmen steckt.“ (I/2, 344) Und so stellt Barth an diese vom Menschen selbst angestrebte Religion die Frage: „Ist die Notwendigkeit des ausgedrückten, des dargestellten religiösen Lebens eine andere als die limitierte, uneigentliche, gelegentliche, bloß ornamentale Notwendigkeit des kindlichen Spiels, der ernsten und der heiteren Kunst? Könnten die Gottesgedanken der Religion nicht zur Not auch ungedacht, ihre Lehren nicht auch unausgesprochen, ihre Riten und Gebete nicht auch unvollzogen, ihre asketischen und moralischen Vorschriften nicht auch in Freiheit unbeachtet bleiben?“ (I/2, 345).
Neben dieser angenommenen Nicht-Notwendigkeit der Religion bleibt, unmittelbar mit ihr verbunden, die tatsächliche Schwäche der vom Menschen veranstalteten Religion zu bedenken, denn sie kann nicht mehr sein als ein Spiegelbild seiner selbst und ändert sich jeweils in die Richtung, in die sich auch der Mensch verändert. Von hier aus erklärt Barth, dass die Religion stets mit der Geschichte des Menschen konform ist, ganz gleich ob sie in einer affirmativen oder in einer (freilich begrenzt) kritischen Rolle auftritt. Und Barth benutzt wiederum ein Bild aus dem bürgerlichen Wirtschaftsleben, wenn er den Wandel der Religion des Menschen beschreibt, zu dem er auch den modernen Rückzug des Menschen aus der Religion zählt, denn der Mensch zieht sich lediglich auf den inneren Besitz zurück, von dem er bei der äußeren Gestaltung seiner Religion ursprünglich ausgegangen ist: „Er verliert nichts bei diesem Rückzug; er zieht ja bloß sein Kapital zurück aus einer Unternehmung, die ihm nicht mehr rentabel erscheint: die Vitalität und Intensität, die er bis jetzt an die Gestalt des Gottesbildes und die Erfüllung des Gesetzes seiner Religion verwendete, schlagen nun nach innen, werden nun fruchtbar gemacht zugunsten und in der Richtung der gestaltlosen und werklosen, der gedankenlosen und willenlosen Wirklichkeit, aus deren Reichtum die Religion einst hervorging, um nun in sie zurückgenommen zu werden. […] Dasselbe so gar nicht bedürftige religiöse Bedürfnis sucht seine Befriedigung nun in einer solennen Nicht-Befriedigung, in einem pathetischen Verzicht auf die Darstellung, in einem pathetischen Schweigen, in einem pathetischen Zur-Ruhe-Kommen der Seele in sich selbst, in der feierlichen Leere, die es der ebenso feierlichen Fülle von vorher nun auf einmal vorziehen zu wollen glaubt.“ (I/2, 347)
Gegen diese vom Menschen inszenierte Religion und Nicht-Religion bleibt zur Geltung zu bringen: Es gibt nichts Vorhandenes, mit dem sich Gott entgegeneilen ließe, alles Bemühen in diese Richtung wird von der Offenbarung Gottes als Unglaube aufgehoben (vgl. I/2, 331). Frömmigkeit, die sich selbst als
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Religion zum Thema macht, wird als ,perpetua idolorum fabrica‘ (Calvin) zum Gegenstand der Religionskritik, die auch deshalb eine unverzichtbare theologische Aufgabe bleibt. Gerade das Fromme ist an dieser eigenwilligen Thematisierung das im Grunde unüberbietbar Anstößige (vgl. I/2, 338). Barth kann in der Religion gleichsam die raffinierteste und gefährlichste Tätigkeit des Versuchers erkennen, denn sie verführt dazu, „sich Gottes zu seinen eigenen Gunsten zu bemächtigen“, um dann „triumphierend mit Gott recht behalten [zu] wollen, statt in der Buße zu verharren, statt Gott gegen sich selbst recht zu geben“ (IV/1, 290 im Zusammenhang der Auslegung der Versuchungsgeschichte nach Lukas 4,1 – 13). Der Gott des frommen Menschen, auf den der Versucher Jesus in seiner dritten Versuchung (nach Matthäus die zweite Versuchung) anspricht, ist „der falscheste aller Götter“: „Wenn es der Mensch auf der Linie Adams aufs höchste bringt, dann eben zu solcher ,religiöser‘ Selbsthingabe als der vollkommensten Form der Selbstverherrlichung, bei der Gott in Wirklichkeit aufs Vollkommenste in den Dienst des Menschen gestellt und eben damit unter dem Schein des vollkommensten Bekenntnisses zu ihm samt dem Mitmenschen aufs Vollkommenste verleugnet wird“ (Ebd.).
Bereits 1916 fragt Barth, ob die Religion nicht vornehmlich im Dienst der menschlichen Selbstgerechtigkeit stehe und damit der Gerechtigkeit Gottes energischer entgegentrete als Moral und Recht bzw. weltliche Macht; und er hat dabei die konkrete Kirche vor Augen: „Was soll all das Predigen, Taufen, Konfirmieren, Läuten und Orgeln? all die religiösen Stimmungen und Erbauungen, all die ,sittlich-religiösen‘ Ratschläge ,den Eheleuten zum Geleite‘, die Gemeindehäuser mit und ohne Projektionsapparat, die Anstrengungen zur Belebung des Kirchengesanges, unsere unsäglich zahmen und nichtssagenden kirchlichen Monatsblättlein und was sonst noch zu dem Apparat moderner Kirchlichkeit gehören mag! […] Wollen wir, dass damit etwas geschehe oder wollen wir nicht vielmehr gerade aufs Raffinierteste verhüllen, dass das Entscheidende, das geschehen müsste, noch nicht geschehen ist und wahrscheinlich nie geschehen wird? Tun wir nicht auch mit unserer religiösen Gerechtigkeit, ,als ob‘ – um das Reale nicht tun zu müssen? Ist nicht auch unsere religiöse Gerechtigkeit ein Produkt unseres Hochmuts und unserer Verzagtheit, ein Turm von Babel, über den der Teufel lauter lacht als über alles Andere?!“133
Wenn Barth in diesem Zusammenhang von der Aufhebung der Religion spricht, so meint er damit „gewiss nicht Beseitigung“, sondern die „Einordnung der menschlichen Selbstbestimmung in die Ordnung der wirklichen Vorherbestimmung“ (I/2, 342). Die menschliche Subjektivität wird nicht negiert, sondern zu einem Prädikat an dem Subjekt Jesus Christus (vgl. ebd.). Diese Zuspitzung macht nun die Radikalität der theologischen Religionskritik ganz deutlich, die nicht einmal vom noch so radikalen Atheismus überboten 133 Barth, Die Gerechtigkeit Gottes, 238 f.
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werden kann, denn gerade dieser setzt – wie eben bereits angedeutet – auf die Selbstmächtigkeit der menschlichen Subjektivität in einem durch das Nein zum Gottesdienst keineswegs prinzipiell anderen Genus als die Religion (vgl. I/2, 350ff);134 er gehört wie die Ebbe zur Flut, beide gehören in ihrer äußeren Gegensätzlichkeit zum Leben desselben Ozeans (vgl. I/2, 355).
11.4.2.3 Religion als Verheißung Doch wie auch sonst in der Theologie nicht vornehmlich von des Menschen Sünde zu reden ist – Barth unterstreicht immer wieder, dass die Theologie nicht die Sünde ernster nehmen soll als die Gnade135 –, so ist eben auch im Blick auf die Religion nicht nur von ihrer Verkehrtheit, sondern ebenso von ihrer Rechtfertigung in dem Sinne zu sprechen, dass die Religion eben in der Versöhnungstat Gottes „wohl aufgehoben […] gehalten und in ihr geborgen sein kann“ (I/2, 357). Auch hier gilt der Grundsatz Barths, dass eine Kritik niemals um der Kritik willen ergeht, vielmehr darf sie aus keinen „andern Gründen als um des ungebrochenen Ja willen Nein sagen“.136 In diesem Sinne bleibt freilich das Stichwort der Kritik auch zentral für die ganze Kirchliche Dogmatik (vgl. I/1, 298 f); nicht aber in dem Sinne, „als ob Gott alles und der Mensch gar nichts wäre“.137 Es gibt auch die Ehre des Menschen und der Welt und damit auch ein Ja zur Religion.138 Dieses Ja kann die Religion jedoch nicht zu sich selber sprechen. Sie ist niemals durch sich selbst wahre Religion – vera religio, im Anschluss an den reformatorischen Sprachgebrauch139 –, sondern wahr „kann eine Religion nur werden, und zwar genauso, wie der Mensch gerechtfertigt wird, nur von außen“ (I/2, 356). Der Akzent bei der Thematisierung der Religion liegt in Entsprechung zum Gefälle der ganzen Kirchlichen Dogmatik auf der theologischen Bestimmung der ,vera religio‘ und eben nicht auf der Wendung ,Religion ist Unglaube‘. Das Urteil, dass Religion Unglaube ist, wird überhaupt erst im Horizont der 134 Vgl. kritisch dazu Krçtke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth, 35ff; Kraus, Theologische Religionskritik, 27. 135 Vgl. beispielsweise: Barth, Die Not der evangelischen Kirche, 112; Ders., Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 27. 136 Barth, Die Grundformen theologischen Denkens, 288; Ders., Die Menschlichkeit Gottes, 22 f. Das gilt ebenso für den Begriff der Krisis: „Krisis heißt ja nicht Negation, sondern eben Brechung und gerade so Erstarkung der Erkenntnis des Gegebenen: Brechung durch Infragestellung ihrer realistischen Selbstverständlichkeit, Erstarkung durch Herstellung ihrer echten Beziehung.“ (Barth, Schicksal und Idee in der Theologie, 76; vgl. Barth, Evangelium und Bildung,12 f) 137 Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 67. 138 Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass Barth auch hier nicht einen allgemeinen Religionsbegriff im Nachhinein zu retten versucht. 139 „Vera religio est, quae verbo divino est conformis“ (zit. nach Kraus, Systematische Theologie, 86).
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Rechtfertigung erkennbar. Dabei ist die Aufdeckung der Sündhaftigkeit kein finsteres Vernichtungsurteil gegen den gottlosen Menschen, denn sie geschieht im Lichte der Rechtfertigung des Menschen einschließlich seiner Religion.140 Doch bleibt hier Vorsicht geboten, denn es kann nicht darum gehen, nun noch eine theologische Begründung für den homo religiosus im Nachhinein zu liefern, der sich mit seinem Religionsbesitz ebenso in Szene setzt wie mit den anderen Gütern, die er hat oder zu haben glaubt. „Das ewige vermeintliche Besitzen, Schmausen und Austeilen, diese verblendete Unart der Religion, muss einmal aufhören, um einem ehrlichen grimmigen Suchen, Bitten und Anklopfen Platz zu machen.“141 Es bleibt streng darauf zu achten, dass es die wahre Religion allein in dem Sinne gibt, wie es gerechtfertigte Sünder gibt (vgl. I/2, 357). „Gibt es eine Rechtfertigung und Heiligung des Sünders, dann auch eine Rechtfertigung und Heiligung der Religion, kraft deren sie, die abstrakt, in sich selbst betrachtet die Vollendung seiner Empörung gegen Gott ist, Gemeinschaft mit Gott heißen und sein darf.“142
Wahre Religion ist also nicht als etwas Vorfindliches und der analytischen Betrachtung Ausharrendes aufzeigbar, wohl aber wird der Glaube es in seinem Gehorsam wagen, von der christlichen Religion als der wahren Religion zu sprechen. Die Anstößigkeit einer solchen Aussage ist dann aber nicht die Anstößigkeit einer behaupteten Absolutheit des Christentums, wie sie immer wieder im ,Religionismus‘ aufgestellt wurde, sondern die Anstößigkeit dieser Aussage ist keine andere Anstößigkeit als die Anstößigkeit des Glaubens bzw. der Offenbarung des Evangeliums selbst. Den Inhalt der Aussagen kann und darf sich der Mensch nicht selbst zurechnen, ebenso wie er sich auch seinen Glauben nicht selbst zurechnet. Am angemessensten ist wohl von der gerechtfertigten Religion als von einer Verheißung zu sprechen (vgl. auch I/2, 358), deren Erfüllung sich ebenso wenig in einem sichtbaren Unterschied zur eigensinnigen Religion des Menschen demonstrieren lässt, wie sich auch der Glaube nicht distinkt vom Unglauben auseinanderdividieren lässt. Die wahre Religion wird „genaugenommen nirgends direkt sichtbar“ (I/2, 369). Sie ist dem Menschen im Glauben verheißen. An die wahre Religion sollen wir ja nicht glauben, ebenso wenig wie wir sie an uns registrieren oder gar demonstrieren sollen, sondern sie zeigt an, dass im Glauben nun auch unser Leben und unsere Frömmigkeit nicht mehr dem vernichtenden Urteil der prinzipiellen Gottesfeindschaft ausgeliefert sind. Vom Christen wird nichts Übermenschliches verlangt, vielmehr dürfen die begrenzten menschlichen Fähigkeiten einschließlich der religiösen Aus140 Vgl. auch Krçtke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth, 30. 141 Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke, 694. 142 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 416.
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drucksmöglichkeiten dem Glauben zur Darstellung dienen.143 Die Rede von der wahren Religion erinnert daran, dass der Glaube konkret das Leben gestaltet und dabei auch eine irdisch unvermeidliche Gestalt der Frömmigkeit in der ganzen unabwendbaren Zwielichtigkeit annimmt, in der die Frömmigkeit nun eben einmal steht. Was in der eigenwilligen Initiative des Menschen eine Sünde bleibt, kann unter der Gnade Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes zur erlaubten Möglichkeit des freien Menschen werden.144 Eben das meint Barth, wenn er immer wieder hervorhebt, dass es keine rechte Gotteserkenntnis gibt, die nicht zugleich Gottesdienst ist.145 Wenn ich hier den Akzent auf die Verheißung lege, so soll damit jedem kirchlichen oder persönlichen Selbstrechtfertigungsversuch gelebter Religiosität ein Riegel vorgeschoben werden. Das meint Barth, wenn er immer wieder betont, dass die Kraft der Kirche nur in ihrer Schwachheit wohne. Die ,wahre Religion‘ ist eben keine Position, sondern sie verbirgt sich unaufweisbar im Wagnis christlicher Existenz. In diesem Sinne kann Barth die Kirche auch als „verkörperte Bitte“ bezeichnen.146 Jedes Festhaltenwollen an eigener Kraft und Frömmigkeit stellt die Kirche nicht nur auf den grundsätzlich gleichen Boden mit den anderen Religionen, sondern bedeutet vor allem einen Angriff auf die Ehre Gottes (vgl. I/2, 364). Das Zeugnis von der Gnade Gottes geht einfach nicht zusammen mit einer kraft- und machtvollen Selbstdarstellung der Kirche. Auch ist der Kirche nicht nachweislicher Erfolg und große Zahl, wohl aber die Gewissheit des Glaubens verheißen.147 Gerade die Wendung von der ,wahren Religion‘ vollzieht eine deutliche Kritik an der ,Habenmentalität‘ der Kirche, die sich anmaßt, das Göttliche irdisch verwalten zu können, und trifft damit auf einen Hauptnerv der gesamten Theologie Karl Barths.148 Indem die Kirche von der Gnade Gottes lebt, ist sie nicht jenseits aller religiösen Versuchlichkeiten, sondern sie lebt eben gerade innerhalb ihrer eigenen Verkehrtheit und Lüge „durch die Gnade Gottes von seiner Gnade“ (I/2, 378), oder sie lebt gar nicht. In diesem durch deutet sich an, dass es stets ein Akt göttlicher Schöpfung, Erwählung und Versöhnung bleibt, wenn der Name Jesu Christi christliche Religion schafft. Gerade das „gewichtige Adjektiv,christlich‘“ kann sich die Kirche nicht selbst geben und ist daher auch nicht ihr Besitz (I/2, 384). Sie darf sich nicht in eine Konkurrenz mit der Welt begeben und so tun, „als ob sie im Besitz überweltlicher […] Goldbarren wäre“, die sie dann als „klingende Münze, sogenannte ,religiöse
143 144 145 146 147
Vgl. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 125. Vgl. Krçtke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth, 23. Vgl. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 120,126, 128. Vgl. Barth, Die Not der evangelischen Kirche, 102. Vgl. ebd., 99; Ders., Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 170; Ders., Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 11 u. ö. 148 Vgl. auch Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 71.
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Werte‘“149 ausgeben könne. Allein im Bewusstsein ihrer eigenen Würdelosigkeit kann sie ihre Würde empfangen (I/2, 387). Bei aller Überlegenheit der Gnade bleibt es bei der irdisch-geschichtlichen Gebrochenheit in Gericht und Gnade des auf der Seite Gottes einen ungebrochenen Wortes. Sie wird allein mit dem logisch anstößigen ,simul‘ zusammengebunden. Die Zumutung dieses ,simul‘ weist zeichenhaft auf die in Jesus Christus liegende Einheit und erinnert die christliche Gemeinde daran, dass nicht sie sich Christus zu ihrem Haupt macht, sondern Christus selbst schafft, beruft, rechtfertigt und heiligt die christliche Gemeinde und ist nur als solcher auch ihr König und Haupt (vgl. dazu I/2, 384).
11.4.2.4 Die Kritik der Religion Wenn nun am Ende der Darstellung des dogmatischen Problems der Religion besonders der Aspekt der Kritik hervorgehoben werden soll, so soll der eben skizzierte Weg der Prolegomena noch einmal rückwärtsgegangen werden, um herauszustellen: 1. Barth hält die Religion als irdisch-geschichtliche Existenzform der Kirche nicht nur für unumgehbar, sondern zugleich auch für ein recht ernstzunehmendes Faktum. 2. In ihrer bleibenden Bedeutung und ihrer gleichzeitigen bleibenden Gefährdung ist sie – wie übrigens jeder andere ernstzunehmende theologische Lehrsatz auch – einer ständigen theologischen Kritik zu unterziehen. Und 3. bleibt daran zu erinnern, dass Religion nicht nur nicht das erste, sondern ebenso wenig das letzte Wort in der Theologie ist, denn das letzte Wort bleibt dem mit der Wiederkunft Christi verbundenen Reich Gottes vorbehalten. 1. Die dem Glauben verheißene ,wahre Religion‘ ist – wie oben unterstrichen wurde – nirgends direkt sichtbar. Sie kann unter den Bedingungen dieser Welt ebenso wenig dieser Missverstehbarkeit enthoben werden, „wie wir über unseren eigenen Schatten springen können“ (I/2, 370). Sie trägt immer Züge, die sie mit der Religion im Allgemeinen in den Vergleich stellt (vgl. I/2, 371), denn das sichtbare Tun der Menschen erhebt die Kirche nicht „über das Niveau der allgemeinen Religionsgeschichte“ (I/2, 378). Doch das ist – wie Barth bereits in der zweiten Auflage seines Römerbriefkommentars betont – noch kein Grund zu „antireligiöser Polemik mit dem Zweck, eine andere, bessere menschliche Möglichkeit irgendwo oberhalb […] aufzuzeigen“.150 Barth sieht vielmehr in dem Versuch, die Welt von der Religion zu befreien, die „Aufrichtung des schlimmsten aller Götzen, nämlich einer angeblichen ,Wahrheit‘, von deren Thron aus ich alle Götter als Götzen meine durchschauen und entlarven zu können. Die dann von mir entgötterte Welt ist wahrscheinlich weder das Reich des lebendigen Gottes, noch auch nur eine Vorbereitung dazu, 149 Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke, 678. 150 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 331.
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sondern unter allen Teufeleien, mit denen ich mich diesem Reich widersetzen kann, wahrscheinlich die übelste.“151 Auch wenn die Kirche dem Einspruch nicht wehren kann, dass ihr Gottesdienst vielleicht doch nur „ein feierliches halb übermütiges, halb überflüssiges Spiel ist“ (I/2, 381), darf und kann sie gerade im Wissen um die Unmöglichkeit, ,wahre Religion‘ inszenieren zu können, der Religion nicht den Rücken kehren, sondern hat als Kirche der gerechtfertigten Sünder auch ihre Gestalt als Religion ernst zu nehmen, d. h. „die Frage nach dem Kanon und dem Dogma, die Frage nach dem Bekenntnis, nach dem Kultus und nach dem Kirchenregiment, die Frage nach der rechten Theologie, nach der rechten Frömmigkeit und nach der rechten Ethik“ (I/2, 396).152 Unter dem Aspekt der Religion werden die äußere Gestalt der Kirche und auch die Theologie(!) – die Theologie ist „selbst ein Element der Liturgie der Kirche“153 – als menschliche Anstrengungen ganz und gar auf den Erdboden gestellt. Die Gestaltung der Kirche kommt weder senkrecht vom Himmel noch vollzieht sie sich im luftleeren Raum, sondern im konkreten historischen Zusammenhang.154 Daran werden wir erinnert, wenn wir die Kirche als eine Religion betrachten. Ja, die Religion ist der Ort, an dem sich noch einmal ganz energisch die Frage nach dem Erkenntnisweg und der Zuverlässigkeit der Theologie stellt. Sie hält Theologie und Kirche kritisierbar und kritikwürdig. Sie ist hier nicht in erster Linie Gegenstand der Kritik, sondern zunächst der Raum der Kritik, der auch mit Hilfe der Kritik nicht verlassen werden kann. In diesem Sinne ist auch die ,wahre Religion‘ niemals als ein positiver Begriff misszuverstehen, sondern er bleibt insofern ein kritischer Begriff, als er die Krisis wach hält. Barth trägt dem Anliegen der neuzeitlichen Religionskritik insofern Rechnung, als die von ihm ins Auge gefasste Religion in ihrer unauflöslichen Zwielichtigkeit das Faktum der menschlichen Entfremdung im Bewusstsein festhält, wobei der Mensch bei Barth allerdings darin von sich selbst entfremdet ist, dass er von Gott und seinem Willen entfremdet ist. In der Religion scheint also nicht – und das macht Barths Theologie der Religion so unbequem – zeichenhaft ein Zustand bereits überwundener Entfremdung bzw. erreichter Ganzheit (wie man heute eher zu sagen pflegt) auf, sondern überall dort, wo uns praktizierte Religion begegnet, werden wir an unsere in den irdischgeschichtlichen Bedingungen immer noch andauernde und den Glauben angreifende (anfechtende) faktische Entfremdung erinnert. In diesem Sinne geht es nicht allein um unsere Kritik an der Religion, sondern ebenso um die Kritik der Religion an uns, d. h. an unserem entfremdeten Leben. Die Kritik der Religion muss in diesem Horizont auch als genetivus subiectivus verstanden werden, indem die Religion eine unstillbare Beunruhigung von Theologie und 151 152 153 154
Barth, Nein!, 55. Vgl. dazu Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde; KD IV/2, § 67,4. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 203. Vgl. Barth, Die theologische Voraussetzung kirchlicher Gestaltung, bes. 239 ff.
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Kirche hinsichtlich ihrer Gestalt darstellt, die auch in ihren vermeintlich reinsten Formen niemals endgültig und unwidersprechbar die Frage beantworten können, „ob sie für den Herrn, der sie längst gerechtfertigt hat, auch jetzt und hier bereit, ob sie die schon gerechtfertigte und also wahre Religion tatsächlich ist, ob sie an der längst ausgesprochenen und ohne ihr Verdienst und Zutun gültigen Verheißung immer noch und immer aufs neue Anteil hat“ (I/2, 396).
2. Nur indem Kirche und Theologie ihre eigene Religiosität und die von ihr ausgehende kritische Anfrage ernst zu nehmen bereit sind, kann und muss der genetivus subiectivus zu einem genetivus obiectivus werden, d. h. die Religionskritik wird zu einer substanziellen und unüberspringbaren ständigen Aufgabe der Theologie. Kritik des Unglaubens ist nur anständig in der Wahrnehmung des eigenen Kleinglaubens, so dass diese theologische Aufgabe sich auch nicht an erster Stelle an die Adresse der jeweils anderen richtet, sondern als das konsequente Ernstnehmen des in der Rechtfertigung ergangenen Gerichts nur darin die anderen in den Blick bekommt, dass der Grund und die Reichweite der Religionskritik an sich selbst ihre Berechtigung, Notwendigkeit und Radikalität demonstriert. Hier vollzieht sich heute die reformatorische Einsicht, dass die Kirche stets reformiert werden müsse. Sie hat ihre äußere Gestalt nicht nur ernst zu nehmen, sondern sie hat sich – einschließlich ihrer Theologie – immer wieder neu der Kritik zu unterziehen und auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen, damit sie weder in überzeitlicher Abstraktheit erstarrt noch in unkritischer Zeitgemäßheit zerfließt. Der Gradmesser, an dem sich ablesen lässt, inwieweit Kirche und Theologie tatsächlich das ihnen aufgetragene Zeugnis und nicht nur sich selbst und ihre irdische Beachtung ernst nehmen, ist für Barth in der Bereitschaft und Konsequenz zu sehen, mit denen sie sich immer wieder neu und nicht nur zum Schein der Aufgabe der Selbstkritik stellen. 3. Die Religion hat ihre Zeit, sie ist weder zeitlos noch unbegrenzt. In jeder Hinsicht bleibt sie endlich, so dauerhaft sie auch erscheint. Sie entspricht der menschlichen Unbeholfenheit, sein Leben in den Dienst Gottes zu stellen. Sie gilt für die Zeit des Glaubens, dessen hör- und sichtbare menschliche Artikulationen stets im mehr oder weniger krassen Widerspruch zum Schauen, d. h. zu den allgemeinen Erfahrungen des Menschen stehen. Nicht zuletzt von daher steht der Religion jede Selbstgewissheit schlecht zu Gesicht. Die Religion ist für die Kirche die ständig gegenwärtige Erinnerung daran, dass sie bei allem ,schon jetzt‘ doch nur Kirche ist.155 In diesem Nur steckt ihr bleibendes Armutsbekenntnis, das stets auf das „Problem des Menschen überhaupt“ (I/2, 319) hinweist, dem die Theologie nicht ausweichen darf, dem sie sich vielmehr um ihrer Wahrheit und Freiheit, aber vor allem auch ihrer Hoffnung willen zu stellen hat. Sie ist eine provisorische Zwischenlösung und nur als solche in 155 Vgl. Barth, Credo, 129.
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ihrer prinzipiellen Ambivalenz hinzunehmen, denn wir können „vor dem Ende aller Dinge nicht erwarten, dass der christliche Mensch trotz aller eingeschalteten Hemmungen sich nicht immer wieder als ein Feind der Gnade erweisen wird“ (I/2, 370). Aber die Verheißung, die auch in der Religion verborgen liegt, wird durch die Selbstverheißung Gottes überboten und von ihr aufgehoben. Das verheißene Reich Gottes, auf das die Kirche wartet und um das sie bittet, um dessentwillen sie schließlich derzeitig in Kauf nehmen muss, religiös zu sein, ist gründlich missverstanden, wollte man in ihm die Realisierung der wahren Religion erhoffen. Im Reich Gottes ist die irdischgeschichtliche Spannung zwischen göttlich Einzigartigem und menschlich Eigenartigem aufgehoben, auf dass Gott sei alles in allem (1Kor 15,28). Wenn es also einen grundsätzlichen Vorbehalt gegenüber der Religion gibt, dann ist es allein der eschatologische Vorbehalt. Dieser bleibt allerdings anzumelden, nicht als ein diesseitig anzuzapfendes Kapital des Jenseits, sondern als die entscheidende Hemmung für die alltägliche Anfechtung, nicht in Verzweiflung umzuschlagen. Die Kirche bedarf in der sonst zermürbend werdenden Suche nach diesem oder jenem Weg der mobilisierenden Erinnerung an Richtung und Ziel des Weges Gottes mit den Menschen. Wir haben uns den Grund, die Gestalt und die Grenze der Religion als eines theologischen Problems hinsichtlich des Erkenntnisweges der Theologie vor Augen gerückt. Dabei wurde überraschend deutlich – was sich bei Barth übrigens bei allen Fragestellungen der Theologie beobachten lässt –, dass die Religion einen Gang durch die Dogmatik im Kleinen provoziert hat. Sie hat gleichsam die ganze Theologie aufmarschieren lassen, um zu Gehör zu bringen, was es von ihr aus auf ihre Frage zu sagen gibt. Die Theologie hat sich der heute weithin eher zu unbescheiden aufgeworfenen Frage gestellt und zunächst ohne Seitenblick auf das geantwortet, was unbestreitbar von Psychologie, Soziologie und den Religionswissenschaften zu sagen bleibt, indem sie sich von der Frage auf ihre Mitte ansprechen lässt und gleichzeitig umgekehrt erprobt, inwiefern sie von ihrer Mitte aus auch ihrerseits die Frage nach der Religion aufzuwerfen und ernst zu nehmen hat. Sie hat dabei in allen Aspekten unterstrichen: Die Religion ist und bleibt eine Angelegenheit des Menschen. Sie mag eigenwillig oder gerechtfertigt Gott im Munde führen oder durch ihre Praxis anzuzeigen versuchen, so ist sie doch niemals eine göttliche und somit ,übermenschliche‘ Angelegenheit. Der Mensch stellt nicht durch die Religion einen Kontakt zu Gott her, sondern es kann nur umgekehrt sein, dass Gott den religiösen Menschen – in Gericht und Gnade – aufsucht. Der sich in der Religion Ausdruck verschaffende Glaube des Menschen kann es von sich aus weder hör- noch sichtbar machen, ob der Mensch nur seinen eigenen Glauben pflegt, mit dem er im Grunde an sich selber glaubt, oder ob er den von Gott durch seinen Geist gewirkten Glauben an Jesus Christus lebt. Die Religion bleibt der Außenaspekt des einen wie des anderen Glaubens, denn sie macht niemals Gottes Praxis unmittelbar sichtbar, sondern stets allein das vom Menschen gestaltete irdisch-geschichtliche Leben, das entweder in der an-
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maßlichen Einbildung Gottes oder unter dem lebendigen Einwirken Gottes geführt wird. In das Herz des Menschen lässt sich nicht sehen, auch nicht mit einem von der Religion geschärften Blick. Insofern ist die Religion ein untaugliches Mittel für substanzielle theologische Unterscheidungen, zumal diese ohnehin nicht durch die Inspektion menschlicher Herzen zustande kommen. Und so bleiben Theologie und Kirche auch in der Überprüfung ihrer eigenen Gestalt und Praxis auf den Inhalt und nicht auf die historische Darstellung und die menschliche Praxis des Glaubens als dem entscheidenden Kriterium verwiesen. Von der Religion aus lassen sich nicht die für Kirche und Theologie wichtigen Fragen stellen, sondern von dem Bekenntnis ihres Glaubens aus wird sich umgekehrt die Religion, an der die Kirche zwangsläufig partizipiert, immer neu in Frage stellen lassen, da sie als Angelegenheit des Menschen in durchaus bevorzugter Weise gefährdet ist, auch der eigenen Selbstdarstellung des Menschen zu dienen.
11.5 Die Kirche in der Welt Um auf dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen das Problem der Kirche in der Welt recht zur Sprache bringen zu können, muss schließlich nach dem Verhältnis der Religion zur Profanität gefragt werden. In der Kirche treffen Religion und profane Welt zusammen; sie hat nicht nur Berührung mit beiden, sondern sie lässt sich selbst als ein Teil beider betrachten. Dabei kann nicht die Weltlichkeit das Unterscheidungsmerkmal sein, denn die Religion ist ebenso eine irdische Selbstdarstellungsform wie die Profanität, vielmehr muss theologisch nach der spezifischen Kontur des Weltbezugs, den die Kirche über ihre eigenen Mauern hinaus pflegt, gefragt werden. Mit drei – freilich nur umrisshaften – Gedankengängen, die weniger auf eine Ekklesiologie als vielmehr deren systematischen Ort zielen, soll in diese Richtung gefragt werden: 1. Inwiefern wird die Kirche über die eigene Religion hinaus an die profane Welt gewiesen? 2. Welche Konsequenz hat die kritische Wahrnehmung der eigenen Religion für das Verhältnis der Kirche zu der sie umgebenden Welt? 3. In welchem Verhältnis steht die Sendung der Kirche in die profane Welt zu ihrer eigenen Religion? 11.5.1 Religion und Welt Zu den zu bedenkenden Konsequenzen aus den theologischen Einsichten über die Religion gehört die Problematisierung der Religion für das Verhältnis der Kirche zur profanen Welt, da sich die Religion nicht über die ihr anhaftende Zwielichtigkeit zwischen gottloser und im Glauben gerechtfertigter Religion
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erheben kann. Von der Religion sind hier keine Hinweise zu erwarten, zumal sie in der theologischen Perspektive nur als eine Station auf einem nicht von ihr festgelegten Weg betrachtet wurde. Dieser theologisch gebotene Weg folgte dem Zeugnis von der Rechtfertigung des Gottlosen in seiner Bedeutung für unsere faktische Frömmigkeit. Um auf diesem Weg zur Frage nach der Bedeutung des Glaubens für unsere konkrete Weltlichkeit kommen zu können, gilt es den Schritt von der Rechtfertigung zur Heiligung zu machen. Durch die damit in den Blick genommene Ethik wird dem Weg im Sinne Barths nun keine andere Richtung gegeben oder gar ein völlig neuer Weg avisiert, sondern es geht unter Beibehaltung des Themas und d. h. unter Anerkennung des Vorrangs der Praxis Gottes vor der Praxis des Menschen um „die menschliche Existenzfrage“: Der „Gegenstand der Dogmatik ist und bleibt das Wort Gottes und nichts sonst. Der Gegenstand des Wortes Gottes aber ist die menschliche Existenz, das menschliche Leben, Wollen, Handeln. Durch das Wort Gottes wird dieses in Frage gestellt, d. h. nach seiner Richtigkeit gefragt, aber auch in Richtigkeit gebracht. […] Die Wirklichkeit, die sie etwa als den Menschen nicht angehende, ihn nicht in Anspruch nehmende, ihn nicht zur Verantwortung ziehende, ihn nicht zurecht bringende und insofern: als theoretische Wirklichkeit anschauen und darstellen wollte, würde bei allem möglichen Reichtum ihres Wesens und bei aller möglicher Tiefe ihrer Betrachtung auf keinen Fall die Wirklichkeit des Wortes Gottes sein. Die Dogmatik kann gar nicht anders: sie muß auch Ethik sein. Ihre Dialektik und ihre ganze Haltung muß eine ,existentielle‘, d. h. sie muß, weil auf das Wort Gottes, darum auch auf die menschliche Existenz bezogen sein“ (I/2, 887 f).
Der hier angezeigte unauflösliche Zusammenhang zwischen Dogmatik und Ethik bleibt für Barths gesamte theologische Arbeit bestimmend. Es geht wohlgemerkt nicht um eine Gebotsauslegung oder den ethischen Reflex oder die vom Menschen nun zu ziehenden ethischen Konsequenzen aus der Dogmatik, sondern streng um die existenzielle Dimension der Dogmatik selbst, und zwar aller ihrer Themen. Das Religionsproblem hat sich uns theologisch mit der Frage nach der Rechtfertigung des Gottlosen im Zusammenhang mit der Versöhnungslehre aufgeschlüsselt. Indem wir nach der weltlichen, der menschlichen Seite des Glaubens gefragt haben, wurden die beiden Seiten der Religion für uns erkennbar. Der existenzielle Gehalt dieser Erkenntnis tritt noch deutlicher hervor, wenn nun noch ein Schritt auf diesem Weg weiter gegangen wird, wobei dann schnell erkennbar wird, dass sich in der Religion nicht die Weltlichkeit und die Menschlichkeit der Kirche erschöpft bzw. erschöpfen dürfen. Gerade im Horizont der theologischen Bestimmungen der Religion stellt sich die Frage nach der rechten Gestalt des christlichen Lebens, die uns nun auf die Versöhnungsethik lenkt. Die Versöhnungsethik erörtert das Tun des geheiligten Menschen und setzt damit konsequent den mit der Rede von der ,wahren Religion‘ aufgenommenen Gedanken fort. Barth stellt das christliche Leben unter den Leitbegriff der An-
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rufung Gottes. Wird da um die Heiligung des Namen Gottes gebetet, so geschieht das im Wissen „um das geschehene Anheben und um die noch ausstehende Vollendung der Selbstbekundung Gottes“.156 Wenn Barth das ,geschehene Anheben‘ von der ,noch ausstehenden Vollendung‘ unterscheidet, so ist damit nicht etwa die Unterscheidung von Kirche und Welt angezeigt, so als sei Gott der Kirche bereits bekannt, während er der Welt noch unbekannt sei. Vielmehr unterstreicht Barth in beide Richtungen: Das Bekanntsein Gottes ist in der Kirche keineswegs ungebrochen, und das Unbekanntsein Gottes ist in der Welt keineswegs prinzipiell. Für Barth ist kein Mensch „ontologisch gottlos“ (IV/1, 534). Auch der verkehrte Mensch steht noch in einem Verhältnis zu Gott – ein christologisch unausweichlicher Gedanke.157 Diese Offenheit ist gerade nicht die religiöse Disposition des Menschen, vielmehr steht diese ihr – wenn man überhaupt eine solche annimmt – vor allem entgegen. Wir werden hier auf die keineswegs trennscharfe Unterscheidungslinie zwischen Welt und Kirche gewiesen, die gerade darin nicht getrennt sind, dass sie beide das Unbekanntsein Gottes religiös überspielen, d. h. „einen positiven Ersatz für das ihr Fehlende“158 installieren. Dabei zählt Barth die „gar noch unter antireligiösen Protesten unternommene religiöse Auszeichnung, Verehrung und Pflege bestimmter säkularer Werte (wie Macht, Besitz, Bildung, Fortschritt und der gleichen)“159 mit zu den Religionen. Damit sind die beiden noch zu gehenden Schritte der Untersuchung angezeigt: Zum einen gilt es, die Welt im Lichte ihrer faktischen Religiosität zu betrachten, d. h. religionskritisch unter Einschluss der Kirche; zum anderen annonciert die Kirche auch jenseits ihrer unausräumbaren Religiosität der Welt ihre Profanität, die sie der anhaltenden verheerenden Götzenproduktion der Welt entgegenstellt.
11.5.2 Die Religionen der Welt – die Welt der Religion Die Versuchung der Religionen – und wir beziehen die Kirche ausdrücklich mit ein – besteht nicht etwa in dieser oder jener Geschäftigkeit, sondern in der Domestizierung Gottes, d. h. in dem Versuch, Gott „in ihren natürlichen und geistigen Gesichtskreis und Machtkreis unterzubringen“.160 Das Anstößige der Religion ist ihre Positivität, ihr mehr oder weniger esoterisch behaupteter Gottesbesitz, denn sie leugnet das bleibende Unbekanntsein Gottes und bezeugt daher nicht den gebotenen Gehorsam zu dem der Vaterunserbitte „Geheiligt werde dein Name!“ entsprechenden Imperativ, den ganzen Eifer in die Bezeugung des Wortes Gottes zu stellen. Die Versuchung der selbstge156 157 158 159 160
Barth, Das christliche Leben, 180. Vgl. auch Krçtke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth, 27 f. Barth, Das christliche Leben, 212. Ebd. Ebd., 213.
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nügsamen autonomen Welt geht noch darüber hinaus, indem sie gleich nach Gott greift in dem Versuch der Nostrifikation Gottes, d. h. „der Versuch der Welt, ihre Sache zur Sache Gottes zu erheben und umgekehrt: die Sache Gottes ihrer eigenen Sache zu unterwerfen und dienlich zu machen“.161 Dabei werden sogar die Grenzen der Religion noch überschritten: „Sie [die Welt] integriert jetzt sich selbst Gott, oder sie integriert Gott sich selbst. […] Sie will es also nicht wie im Atheismus gegen ihn und auch nicht wie in der Religion nur beiläufig, sondern in letzter Konsequenz und mit geradezu fanatischem Ernst und Eifer mit Gott machen. Sie meint nämlich, gerade mit ihm unendlich viel besser, wirksamer und triumphaler Welt sein zu können als gegen ihn oder nur beiläufig und teilweise mit ihm. Sie meint sogar, ihres Wollens und Wirkens in Politik, Wirtschaft, Rechtsgestaltung und Sozialordnung, in Arbeit und Genuss, im Frieden und im Krieg, in Bildung und Erziehung, in Wissenschaft und Kunst erst dann wirklich froh und gewiß sein zu können, wenn sie das Alles in der Verklärung und Würde des Vorzeichens: Gott will es! Gott wirkt es! begreifen und ins Werk setzen kann. Sie hält ihre Verfügungsfreiheit erst damit für gesichert, daß Gott ihr zum Weltgott, sie selbst sich zur Gotteswelt wird, wenn sie gerade darin, daß sie fromm ist, weltlich und gerade darin, daß sie weltlich ist, fromm sein darf.“162
Die in der Religion immerhin noch gespürte Ahnung einer Spannung zwischen Gott und Welt ist völlig aufgehoben; Gott wird zu einer Angelegenheit der menschlichen Geschichte, in der er sich freilich nicht überall, sondern an jeweils herauszuhebenden Ereignissen oder Konstellationen zeige.163 Gott wird damit zu einem Instrument sowohl der Apologetik als auch der Aggression, und unsere irdisch-geschichtliche Praxis wird zum Vollzug des göttlichen Willens hochstilisiert.164 Die hier gesehene Gefahr schätzt Barth höher ein als die von Seiten der Wahlverwandten Religion und Atheismus (wobei Barth keineswegs ausschließt, dass die Welt in der Nostrifikation Gottes von der Kirche auch überboten werden kann!). Beispiele dazu durchziehen die ganze Geschichte, und unsere Gegenwart bietet ebenfalls ausreichend drastisches Anschauungsmaterial. Die Nostrifikation Gottes in der Welt hat mit der Domestizierung Gottes in der Religion gemeinsam, dass beide mit scheinbar aufzeigbaren Positivitäten von der Wahrheitsfrage ablenken, an der die Lebendigkeit der Kirche hängt, und sich damit auf Partikularisierungen einlassen, indem sie innerweltlichen relativen Unterschieden den Namen Gottes beilegen und damit den Anschein von absoluten und heilsrelevanten Unterscheidungen erwecken. Sie legen von sich aus fest, worin Gott seinen Namen heiligen möge, und stehen damit im krassen Gegensatz zu der bezeichneten Vaterunserbitte. Jede positivistische 161 162 163 164
Ebd., 214. Ebd., 215. Vgl. dazu u. Kap. 14.1. Vgl. etwa Reagan, Ich vertraue auf Gott.
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Feststellung von ,gut‘ und ,eigentlich‘ oder ,echt‘ schließt ein Urteil über ,böse‘, ,uneigentlich‘ oder ,unecht‘ mit ein und ordnet von einem vermeintlich überlegenen Wissen aus eigenwillig und anmaßlich die Welt. Eine solchermaßen partikularisierende Weltsicht ist das Fundament für geistig-seelische Apartheid und apokalyptischen Manichäismus jeder Art und damit der Nährboden für die sich häufig gern in religiöser Berufung auf Gott verhüllenden Destruktionskräfte der Welt. Doch ihren Gipfel erreicht die Unmöglichkeit der Religion noch nicht in der Anstößigkeit ihrer unangefochtenen Gottesbekanntschaft. Er liegt – und da wird dann auch die ethische Dimension besonders deutlich – in der mit der Verkennung Gottes zusammengehenden Verkennung des Mitmenschen, der eben nicht als das dem Menschen von Gott zur Seite gestellte unentbehrliche Mitsubjekt gekannt wird, sondern als der, zu dem man eine so oder so bestimmte Beziehung haben kann oder auch nicht, ja der sogar als ein Feind vor Augen gestellt werden kann, der schließlich zum beliebigen Objekt willkürlicher Bestimmungen wird. Das Verhältnis zum Mitmenschen bleibt eben ein mögliches und kein wesentliches, nötiges, unentbehrliches. „Daß sie es so zwiespältig miteinander halten können und tatsächlich dauernd halten, daß der Mensch dem Menschen zwar wichtig, daß er ihm Nächster, Freund, Helfer, aber jeden Augenblick auch gleichgültig, Fernster, Feind, Verderber, daß er ihm ebenso gut Wolf wie Mensch sein kann und tatsächlich wird, darin offenbart sich die Ambivalenz seines Verhältnisses zu Gott. Und darin ereignet sich die Lästerung seines Namens gräulicher, handgreiflicher, unzweideutiger als in Allem, was sich die Welt an wildem Atheismus, an vermaledeiter Abgötterei oder an toller Selbstvergottung leisten mag. Darin potenziert und konzentriert, darin charakterisiert sich das Alles, indem es darin praktisch, alltägliches Ereignis der Weltgeschichte im Großen, Kleinen und Kleinsten wird. […] Will man wissen, was es mit der Bitte: ,Geheiligt werde dein Name‘ und mit dem uns gebotenen Eifer um die Ehre Gottes zunächst im Blick auf die Welt eigentlich und letztlich auf sich habe, dann sammelt man seine Aufmerksamkeit am besten auf diesen einen Punkt: auf die böse Tatsache, daß wir Menschen, deren Gott sich doch in Jesus Christus in höchstem Erbarmen samt und sonders angenommen hat, einander ebenso wohl Alles wie Nichts, ebenso wohl Mitmenschen wie Wölfe sein können und wirklich sind. Da, in diesem wüsten Widerspruch wird der heilige Name Gottes in der Welt entscheidend und aufs höchste entheiligt.“165
Wir kommen hier nun deutlich an den Rand der Brauchbarkeit des Religionsbegriffs, den Barth ja niemals ohne ein gewisses Zögern benutzt hat – in einem Brief an Herbert Kubly (16. 7. 1963) schreibt Barth „,religion‘ (I hate the word!)“.166 Es ist aber nicht allein die unausräumbare Missverstehbarkeit, die hier zögern lässt, sondern mehr die großmütige Bereitschaft, sich mit dieser Missverstehbarkeit nicht nur abzufinden, sondern sie gar tragen und schützen 165 Barth, Das christliche Leben, 218 f, 152. 166 Barth, Briefe 1961 – 1968, 161.
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zu wollen. Das Spektrum der Koalitionsmöglichkeiten von Religion – und sie tritt in ihrer Unselbständigkeit eben niemals ohne eine eingegangene Koalition auf – kann man sich gar nicht breit genug vorstellen. Religion an sich gibt es nicht. Der Begriff suggeriert eine brauchbare Verständigungsmöglichkeit, die aber faktisch so lange eine Illusion bleibt, wie man glaubt, sich über die Religion allein ins Benehmen setzen zu können. Wenn Barth sich nun gerade in seinem Zögern auch entschieden dem Religionsbegriff zuwendet, so liegt ihm einerseits daran, die Kirche an ihre eigenen Fluchtversuchungen zu erinnern, und andererseits daran, der Kirche eben ihren Platz in der Welt zuzuweisen. Religion ist die unmittelbar weltperspektivische Erschließung des christlichen Lebens, einschließlich seiner faktischen Religiosität, an dem es sich unmissverständlich sowohl als ein Stück Welt präsentiert, an dem aber zugleich zur Bewährung steht, dass es zwar in der Welt, aber nicht aus der Welt und ihren zweifellos gesetzlichen Bedingungen lebt. Es geht nicht um die Spannung von sichtbar und unsichtbar – diese wird im Blick auf die Kirche eher leichtfertig zu hoch eingeschätzt167 –, sondern um die Spannung von Glauben und Leben, bzw. Glauben und Existenz. Die Grenze, auf die wir hier stoßen, wird als eine Grenze in der Welt sichtbar. Und es bleibt zu fragen, ob die Religion mit ihren durchaus problematischen Unterscheidungen von Kirche und Welt nicht gleichzeitig der geschickte Versuch einer Unterscheidung von Glauben und Leben ist. Es wird deutlich, dass Theologie und Kirche die Welt nicht nur als den eher bedeutungslosen, jedenfalls nur im Blick auf die eigenen Möglichkeiten wahrzunehmenden Ort der Religion zu bedenken haben, sondern sie müssen die Welt vor allem als den konkreten Bestimmungsort des christlichen Lebens in den Blick bekommen. Damit wird die Welt zum exponierten Orientierungshorizont für die Kirche, nicht allein aus diakonischer oder missionarischer Sorge um die Welt, sondern vor allem um ihrer selbst willen. 11.5.3 Kirche: Christliches Leben als weltliches Leben in der Anrufung Christliches Leben geht nicht in Religion auf, ebenso wie in der Kirche, die als solche niemals unsichtbar ist, nicht alles sichtbar wird, was sie als Kirche bestimmt. Auch die wahre Religion im oben skizzierten Sinne bleibt offenkundig eine unzureichende Beschreibung des christlichen Lebens. Zwar hat Barths Begriff der ,wahren Religion‘ bei aller Ungelenkigkeit, die ihm zweifellos eignet,168 seine bleibende Bedeutung, indem er einerseits den Menschen 167 Es ist eher die religiös konstruierte Kirche, die eine unsichtbare Kirche ohne „konkrete Zumutungen“ sein will; vgl. Barth, Die Not der evangelischen Kirche, 103. Immer wieder betont Barth, dass die Kirche stets auch sichtbare Kirche ist; vgl. u. a. Barth, Die Kirche und die Kirchen, 218 f; Ders., Dogmatik im Grundriss, 166 f;; Ders., Credo, 127. 168 Hans-Joachim Kraus fragt, ob die ,wahre Religion‘ noch zu Recht als Religion bezeichnet wird; vgl. Kraus, Systematische Theologie, 87.
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mit seinen Möglichkeiten auch im Glauben nicht vom Erdboden abhebt und vorschnell aus der ihn umgebenden Welt der Religionen als gleichsam unberührbar entlässt und andererseits daran erinnert, dass die menschliche Subjektivität darin ernst genommen wird, dass ihr verheißen bleibt, Reflex des Offenbarungshandelns Gottes zu sein. Doch das christliche Leben konzentriert sich nicht allein auf die menschliche Entsprechung, auf die Antwort, auf die Gestalt. Zwar kann dieses Plus gegenüber der Religion, auf das ich nun noch hinweisen will, nur in möglichst pünktlicher menschlicher Entsprechung, nur als umweglose Antwort und nur in irdisch-geschichtlicher Gestalt zur Darstellung kommen, aber es geht insofern nicht darin auf, als christliches Leben nicht nur im Hinweis, sondern vor allem von der Gegenwart des lebendigen Gottes, nicht nur im Zeugnis, sondern auch von der Selbstbezeugung Gottes, nicht nur in der Antwort, sondern eben auch von der Anrede Gottes lebt, ja nicht nur in der Verkündigung, sondern von dem Verkündeten selbst. Die Subjektivität des Prädikats hat ihr Lebensmoment selbst in der Unterstellung reinster Wahrhaftigkeit nicht in sich, sondern bleibt angewiesen auf die lebendige Wahrheit des Subjekts Gott. In diesem Sinne bleibt für Barth jedes christliche Zeugnis, jede Verkündigung und jedes Bekenntnis ein eher forsches Wagnis, auf das sich die christliche Gemeinde nur in dem Vertrauen einlassen kann, dass es im Grunde nicht auf sie, sondern auf Gottes gegenwärtiges Wirken ankommt, das im Übrigen auch nicht auf die Vermittlung durch die Gemeinde angewiesen ist. In diesem Vertrauen, das wir Glauben zu nennen gewohnt sind, wird christliches Leben zum Leben in der Anrufung, das sich so, wie sich die Dogmatik im ersten Gebot als ihrem lebendigen Axiom entzündet, in der immer wieder zu sprechenden und zu lebenden Bitte des Vaterunser vollzieht: „Geheiligt werde Dein Name!“ Mit dieser Bitte betet die christliche Gemeinde eben darin für sich selbst, dass sie nicht um ihrer selbst willen bittet. Und so lebt die Kirche auch nur so sich selbst, wenn sie nicht um ihrer selbst willen lebt und deshalb das Problem der Religion auch wieder nicht zu ernst nehmen sollte, so unausräumbar und verhängnisvoll es sich auch gezeigt hat. Zwar ist gerade das Gebet an und für sich ein besonders exponiertes Phänomen von Religion,169 aber gerade deshalb kann es als zentrales Bestimmungsmoment des christlichen Lebens zum qualifizierten Paradigma für den hier zu bedenkenden Problemzusammenhang werden, weil es nicht von sich aus den Bereich der Religion hinter sich lässt. Indem das Gebet Gott um die Heiligung seines Namens anruft, vollzieht es in dem begrenzt möglichen Rahmen praktische Religionskritik. Diese Form der Religionskritik bewahrt den Kritiker vor der Hybris der Selbstzurechnung seines Einspruchs und richtet damit eine Warnung gegenüber der eigenwilligen Möglichkeit religiöser Selbstkritik auf.170 Wirklich „betend hat noch nie ein Mensch sich selbst 169 Vgl. Barth, Der heilige Geist und das christliche Leben, 519 f. 170 Vgl. dazu Herlyn, Religion oder Gebet, 123 ff.
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zu rechtfertigen versucht“ (II/2, 840). Das Gebet ist insofern der besondere Ausdruck des christlichen Lebens, als es in vorzüglicher Weise anzeigt, dass weder der einzelne noch die Gemeinde oder die Kirche sich des Glaubens sicher sein können, denn sie leben nicht vom Geistbesitz, sondern von dem immer neuen Kommen des Geistes, über den die Kirche eben keine Verfügung hat. Und so besteht die Existenz der Kirche wesentlich in der Bitte um den heiligen Geist; allein diese Bitte ist es, die die Kirche vor der Welt auszeichnet. Darin liegt die besondere Bestimmung der Kirche, dass sie nicht nachlässt, um den Geist zu bitten „in dem Ernst, mit dem unwürdige Menschen bitten um Gottes unaussprechliche Gabe, also wie um etwas, das man, indem man es empfängt, immer wieder erbitten muss, wie man, indem man atmend lebt, immer neu atmen muss: ,Veni creator Spiritus‘.“171 So sehr Barth immer wieder daran erinnert, dass christliche Existenz im Gebet wurzelt, so unnachgiebig hebt er hervor, dass christliche Existenz nicht im Gebet aufgeht.172 Gerade in der Bitte um die Heiligung des Namens Gottes als dem Bestimmungshorizont des christlichen Lebens steckt wie nirgends sonst die Frage nach dem rechten Tun, denn die Heiligung besteht in der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. In der Bitte um Heiligung verbirgt sich die Frage nach dem Willen Gottes und somit auch die Frage nach dem rechten Tun in einer Welt, in der sich niemand durch die Berufung auf einen besonderen Vorzug Gott gegenüber bereits ins Recht und die anderen ins Unrecht gestellt wissen darf. Christliches Leben vollzieht sich wenn auch nicht religionslos,173 so aber doch im Wettstreit mit der Welt um Menschlichkeit, Weltlichkeit und Profanität, denn gerade im Hören auf das Wort Gottes sind der christlichen Gemeinde der Mensch und die Welt nicht fremd. Vielmehr weiß sie besonders um ihre Gefährdungen und Versuchungen, so dass sie sogar „profaner als die übrige sie umgebende Welt [sein kann …] Die Kirche würde vielleicht wieder verfolgt werden, wenn sie es der Welt wieder klarer machen könnte, dass sie sich darin von ihr unterscheidet, dass sie ihre Götter ignorieren muß.“174 Hier rückt nun der Begriff der Profanität mit einem deutlichen Akzent in das Zentrum christlicher Existenz und damit auch der Existenz der Kirche. Ebenso wie die Religion betrachtet Barth auch die Profanität nicht an sich, sondern im spezifischen Fragehorizont der Theologie. So wie sich die Religion nicht einfach durch den Hinweis auf einen allgemeinen Religionsbegriff bestimmen ließ, so kann es hinsichtlich der Profanität auch nicht genügen, einfach auf das allgemeine säkulare Selbstbewusstsein der Welt zu verweisen, d. h. die Kirche kann 171 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 459. 172 Vgl. dazu die Kritik von Hans-Joachim Kraus an Okko Herlyn in: Kraus, Theologische Religionskritik, 48 f. 173 Den Schlussfolgerungen, die Lochman, Von der Religion zum Menschen, 608 f, mit Bonhoeffer aus Barth ziehen will, kann ich nicht folgen; vgl. Weinrich, Christliche Religion in einer ,mündig gewordenen Welt‘. 174 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 169.
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sich ihre Weltlichkeit nicht einfach von der Welt abgucken, wenn sie nicht der bürgerlichen Zwei-Reiche-Lehre von Religion und Welt verfallen will. War im Blick auf die Religion herauszustellen, dass sie in theologischer Perspektive nicht ihrem Anschein gemäß Gott, sondern den Menschen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt, so gilt für die Profanität umgekehrt – und das ist ebenso überraschend –, dass sie ihren entscheidenden Halt in Gott findet: Bei der Bestimmung der Profanität geht es um Gott! Die Erkenntnis der Weltlichkeit der Welt liegt in der Erkenntnis der Gottheit Gottes beschlossen. ,Der Mensch in der Profanität‘175 ist der Mensch, der die Welt Welt sein lässt, der in Wahrnehmung ihrer Geschöpflichkeit allen Sakralisierungen und Sakramentalisierungen widerspricht und damit allem Pathos entgegentritt, mit dem der Mensch sich selbst oder irgendwelche Kräfte und Mächte dieser Welt zu göttlichen oder auch nur halbgöttlichen Wesen verklärt. Der Mensch schafft sich mythische Reservate bzw. Aggregate in den unterschiedlichsten Bereichen, so auch in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und sogenannter nationaler Identität. Und so zählt Barth bereits 1931 neben dem Kommunismus und dem Faschismus auch den Amerikanismus mit seinen „Göttern Gesundheit und Behaglichkeit“ zu den götzendienerischen Weltanschauungen, der „in helläugigem Egoismus, verbunden mit einer brillanten Technik und gesalbt mit einer primitiven, aber unverwüstlich optimistischen Moralität“ seine Gläubigen „jenseits aller Reflexion“176 an sich bindet. Barth hebt nicht allgemein abstrakt auf eine von anonymen Göttern beherrschte Welt ab, sondern nennt auch Götter, die „Fragen an das Christentum“ stellen und denen die Gemeinde zu antworten hat.177 Der Begriff der Profanität steht bei Barth gegen die sich selbst missverstehende Welt. Er verweist auf einen ganz und gar nicht selbstverständlichen Zustand und ist in diesem Sinne ein höchst kritischer Begriff. Als solcher zielt er auf eine konsequente Entmythologisierung und Entsakralisierung der Welt, aber auch auf eine Entsakramentalisierung der Kirche, die in ihrer irdisch-geschichtlichen Gestalt eben auch keine göttlich installierte Heilsvermittlerin ist, sondern die menschliche Darstellung unserer unüberwindbaren Verlegenheit angesichts der freien Gnade Gottes. Gerade in ihrer Verlegenheit ist die Kirche in die Welt hineingestellt, um auch sie an ihre Vorläufigkeit und Verlegenheit zu erinnern; nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern in solidarischer Wahrnehmung ihrer eigenen Weltlichkeit, in der sie sich nicht vor den Göttern bzw. Götzen dieser Welt verbeugt. „Aber man übersehe nicht: gerade in dieser Unterscheidung ist sie weltlicher als die Welt, humanistischer als die Humanisten, näher als sie bei dem eigentlichen Sinn der menschlichen Tragödie-Komödie, die als Versuch des Menschen, sich selber zu helfen, nur dann echt sein könnte, wenn sie sich unter Verzicht auf allen religiösen 175 So lautet der Titel eines Buches von Wilhelm Kamlah (Stuttgart 1949), das allerdings in eine völlig andere Richtung weist. 176 Barth, Fragen an das Christentum, 94. 177 Vgl. Barth, Die theologische Voraussetzung kirchlicher Gestaltung, 242.
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Pomp und Anspruch innerhalb ihrer natürlichen Grenzen halten würde. Das Geheimnis der Welt ist doch die Nicht-Existenz ihrer Götter. Und es kostet der Welt Tränen und Blut genug, daß sie dieses Geheimnis immer wieder leugnen und die Natur und die Geschichte mit Göttern bevölkern möchte; der Grund ihrer Unruhe ist ihre Weigerung, sich zu ihrer Profanität zu bekennen. Die Kirche weiß um dieses Geheimnis der Welt. Sie darf sich durch keine Vorwürfe und Anklagen darin irre machen lassen. Gerade damit hält sie der Welt Treue.“178
Es bleibt zur Geltung zu bringen, dass Gott es in der Kirche auf die Welt abgesehen hat.179 Von ihr sind keine religiösen Leistungen zu erbringen, vielmehr bezeugt das christliche Leben, dass Jesus Christus – wie es die zweite Barmer These formuliert – „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“ ist. Sowohl in der vertikalen (Anrufung Gottes) als auch in der horizontalen (Solidarität mit der Welt) Sicht ist „die Bestimmung des christlichen Lebens durch Christus[…] eine totale Bestimmung“.180 Deshalb ist die Kirche kein Ausweg aus der Welt, sondern Einweisung in die Welt. Auch hier werden keine Partikularisierungen und Privatisierungen zugelassen, – dort, wo sie dennoch stattfinden, stehen sie im Widerspruch zur Menschwerdung Gottes in Jesus Christus.181 In diesem allen Partikularisierungen absagenden Sinne kann es dann bei Barth auch heißen, dass sich die „Kirche […] nicht im geringsten für Religion“ interessiere, sondern allein für die Stimme Gottes.182 Die wahrzunehmende Spannung ist nicht zwischen Kirche und Welt, sondern zwischen Evangelium und Kirche zu suchen, während Kirche und Welt untrennbar, bisweilen sogar ununterscheidbar nebeneinander stehen. Eben in der Welt geht es der Kirche – in einer Formulierung Otto Webers – um „das Nachsprechen und Kundmachen der freien Gnade“.183 Es liegt in der Perspektive des Gedankens der ,wahren Religion‘, dass sie über das hinausgeht, was gemeinhin als religiös gilt. Das christliche Leben entdeckt für seine Gestaltung um der Welt willen auch den Gottesdienst säkularer Praxis. Die Gemeinde ist sich gerade „als wahrhaft Heilige […] nicht zu gut und zu vornehm […], in großer Profanität ,in die Hölle‘ zu gehen“ (IV/3, 886). Es ist nicht möglich, im Rahmen der Theologie Barths nun einen gangbaren Weg zu konturieren, auf dem dann die Kirche durch die Welt eilen könnte; so viel steht allerdings fest, dass jeder Weg durch die Welt und d. h. auch durch die Kultur 178 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 169 f. 179 In diesem Sinn schlägt Okko Herlyn vor, die Linie einer religionskritischen Theologie mit dem Barthschen Begriff der ,qualifizierten Weltlichkeit‘ auszuziehen, durch den angezeigt bleibe, dass sie „gerade nicht einem Ausweichen vor, sondern einem sachlich zutiefst legitimen Anspruch auf das Säkulare entspränge, wenn es stimmt, daß Gott es wirklich ,auf die Welt abgesehen‘ hat.“ (Herlyn, Religion oder Gebet, 125) 180 Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 154. 181 Vgl. ebd., 144, 151 ff. 182 Vgl. ebd., 175. 183 Weber, Kirche und Welt, 236.
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usw. führt,184 um dort den möglichst unkenntlich gehaltenen Göttern die Störung des Gottes vom ersten Gebot anzusagen. Eine Richtung lässt sich zudem anzeigen; sie zielt auf die der Menschlichkeit Gottes entsprechende Menschlichkeit des Menschen. Der Christ „wird […] sich den anderen Weltmenschen darin am auffallendsten als Nonkonformist, als Eiferer um die Ehre Gottes, darin am bemerkenswertesten als Zeuge dessen darstellen, was er (selber ein Weltmensch, unter den Anderen seiner Art) zu vertreten hat, daß er ihnen das Bild eines seltsam menschlichen Menschen bietet.“185 Das weltliche Leben der Christen kann sie schnell zu !heo_ machen – jedenfalls stehen die Christen den Atheisten näher als den Frommen, die sich an ihre Religion klammern186–, denn sie haben keinen Gott, wie die Welt Götter zu haben pflegt, sondern erwarten ihn ständig und bitten niemals ganz unangefochten vom Pantheon der Welt: „Geheiligt werde dein Name!“
184 Vgl. Barth, Die Kirche und die Kultur, 20, 28 f, 34 f. 185 Barth, Das christliche Leben, 346. 186 Vgl. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 55, 123.
12. Von der Humanität der Religion Karl Barths Religionsverständnis und der interreligiöse Dialog1 Die Wellen schlagen nicht mehr so hoch, und es scheint so, als könne nun endlich in dem ruhiger gewordenen Fahrwasser eine sachlich produktive Auseinandersetzung mit Karl Barths Religionsverständnis begonnen werden. Die Zeit der schroffen Abweisungen2 ist vorüber und hat einer verständnisvolleren und differenzierteren Diskussion Platz gemacht. Das Verständnis wird allerdings in der Regel von dem Motiv gesteuert, möglichst genau die Grenze der Barth’schen Überlegungen zu bestimmen, die wir dann entschlossen zu überschreiten haben, um den weiter gehenden Einsichten oder auch nur der inzwischen veränderten Situation gerecht werden zu können. Diese Grenze wird unterschiedlich eng gezogen. Ich nenne nur drei Beispiele: Reinhart Hummel anerkennt die bleibende Bedeutung der theologischen Religionskritik Barths als eine weiterhin gebotene Vorsicht, fordert aber gleichzeitig – vor allem wegen der vermeintlich grundsätzlich veränderten Situation – eine Rehabilitierung der Religion, um den Engführungen des Barth’schen Entwurfs nicht zu erliegen3. Deutlich weiter gezogen wird die Grenze bei Christian Link, der im Blick auf Barth, Tillich und Bonhoeffer die Begrenztheit des von der Religionskritik übernommenen Religionsverständnisses beklagt und nun die Überschreitung der Grenze fordert, die dadurch gezogen sei, dass bei Barth die Religion ausschließlich eine „Produktion des Bewußtseins“ sei. In der genannten Konstellation gehe Barth noch am weitesten, weil er immerhin andeutet, dass die Religion in der „guten Schöpfung“ Gottes verankert sei und somit zu den unverzichtbaren Konstanten des zeitlichen Daseins gehöre4. Auch für Link kommt der kritische Impuls weniger aus neuen theologischen Einsichten als aus dem angenommenen Fortschreiten des allgemeinen Religionsdiskurses. Am weitesten wird die Grenze des Barth’schen Religionsverständ1 Vortrag auf der Karl Barth-Tagung in Driebergen vom 19.–21. März 2003 unter dem Gesamtthema: Lob der Religion? Religiosität der Gegenwart und Karl Barths Religionsbegriff; zuerst in: ZDT 19, 2003 Heft 38, 25 – 44. Es gibt Übereinstimmungen mit zwei Vorstudien: Christlicher Glaube und Religion. Karl Barths Eintreten für die Religion, in: CV 44, 2002, 235 – 249, u. Von der Menschlichkeit der Religion. Systematische Zugänge in religionspädagogischer Perspektive, in: Gott wahr nehmen. FS f. Christian Link z. 65. Geb., hg. v. Magdalene L. Frettlöh und Hans P. Lichtenberger, Neukirchen-Vluyn 2003, 541 – 563. 2 Für den sachlichen und rhetorischen Höhepunkt steht Wagner, Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus. 3 Vgl. Hummel, Christliche Orientierung im religiösen Pluralismus. 4 Vgl. Link, Motive theologischer Religionskritik, 212.
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nisses überraschenderweise von Gunter Wenz gezogen, wohl weil er sich vergleichsweise am konsequentesten auf die innere theologische Architektur der Kirchlichen Dogmatik und somit die christologische Fundierung von § 17 eingelassen hat. Die sachliche Spannung von Schöpfung und Fall bezeichnet die Dialektik der Religion und provoziert ihre rechtfertigungstheologische Thematisierung. Die schließlich auch hier gesehene Grenze verläuft im Unterschied zu den zuvor benannten Disputanten innerhalb des dogmatischen Diskurses und bezieht sich auf die Radikalität der harmatiologischen Interpretation der Religion, die bei Barth auf den usus elenchticus fixiert werde, ohne noch tatsächlich einen usus civilis oder gar einen usus in renatis für die Religion ins Auge zu fassen.5 Gleichwohl gelingt es dem streng systematischen Zugriff von Wenz, die Reichweite des theologisch konzipierten Religionsverständnisses von Barth weiter in den Bereich des interreligiösen Dialogs auszuziehen, als es sonst in der Barthinterpretation geschieht. Allen drei Interpretationen ist gemeinsam, dass sie bei Barth einen positiven Umgang mit der Religion vermissen, so wie auch in der Einladung zu dieser Tagung nach „einem positiven Umgang mit dem Phänomen des Religiösen“ gefragt wird (– die bestimmten Artikel überraschen schon ein wenig). Gewiss gilt inzwischen als allgemein anerkannt, dass Barth zu keiner Zeit mit seiner Kritik auf eine Elimination der Religion zielte und dass von der Heiligung des Menschen nicht einfach die Religion ausgeschlossen werden kann, aber es wird offenkundig als unbefriedigend empfunden, dass sich aus dem Religionsverständnis Barths keine unmittelbar positiven Gestaltungsmotive für die eigene Religion und keine greifbaren Konvergenzpositionen im Verhältnis zu anderen Religionen ableiten lassen. Um es platt zu sagen: Wenn man sich auf Barths Religionsverständnis beruft, hat man nichts in der Hand, was auch anderen unmittelbar interessant erscheinen könnte und womit sich im Gespräch mit anderen Religionen eine klar profilierte Position angeben ließe. Das, worauf es Barth ankommt, lässt sich empirisch immer gerade nicht aufzeigen. Wir stehen so merkwürdig entkleidet da, so dass wir von den anderen am liebsten gar nicht gesehen würden, weil deren Blicke zwangsläufig vor allem auf unsere Blöße fallen würden. Und so ist die Neigung nur zu verständlich, auf die Religionsmäntel aus der allgemeinen Konfektion zuzugreifen in der Hoffnung, dass sich diese nicht als taufresistent erweisen, um in einem Einkleidungsstandard auftreten zu können, in dem sich auch sonst die Unterhändler der Religionen präsentieren. Was jedoch an diesem allgemeinen Religionsstandard ,Sein‘ oder ,Schein‘ oder gar ,Haben‘ ist, soll hier nicht weiter untersucht werden – meine Skepsis wird sich allerdings gelegentlich zu Worte melden. Man wird nach wie vor gut daran tun, keine der sich so rasch ändernden allgemeinen Kleiderordnungen einfach für sakrosankt zu halten. Barth jedenfalls hat bekanntlich die Mode zu den herrenlosen Gewalten gezählt.6 5 Vgl. Wenz, Graf Feuerbach und der Tod, 187; vgl. auch ders., Barths Sonnengleichnis. 6 Vgl. Barth, Das christliche Leben, 391 – 396. Als „pseudo-objektive Realitäten“ sind die her-
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Mit den folgenden Überlegungen will ich zeigen, dass sich aus Barths Religionsverständnis durchaus ein eigenes Konzept für ein interreligiöses Gespräch ableiten lässt, das weder von einer christlichen Prädominanz ausgeht noch auf eine solche zuläuft. Es entwickelt vielmehr seinen Gemeinsinn darin, dass wir auch als Glaubende Menschen bleiben bzw. erst recht zu Menschen werden, die als solche prinzipiell getrennt bleiben vom Geheimnis Gottes. Das Allerheiligste hat sich Gott selbst vorbehalten, ohne uns mit dessen Verwaltung zu belasten. Es ist vor allem diese theologisch zu betrachtende Ebene des Menschlichen, die alle Religionen auf gleicher Augenhöhe hält. Damit möchte ich keine eigene Definition des Religionsbegriffs andeuten – der Dschungel der Religionsbestimmungen kann m. E. wohl kaum noch in der Hoffnung betreten werden, am Ende einen geordneten Garten hinterlassen zu können. Vielmehr wird sich im Vollzug meiner Überlegungen verdeutlichen, welche Bestimmungsmomente im Spiel sind, wenn ich von Religion rede. Dass es sich dabei um perspektivische Momente handelt, schwächt diese nicht, sondern entspricht dem nüchternen Eingeständnis, dass interreligiöse Dialoge nicht von Religionsphilosophen oder Religionswissenschaftlern, sondern von Vertretern unterschiedlicher Religionen geführt werden, die alle ein von ihrer eigenen Tradition geprägtes perspektivisches Religionsverständnis mitbringen. Das ist m. E. eine fundamentale Lektion, die wir aus unseren ökumenischen Erfahrungen gelernt haben sollten, wo es eben auch nicht möglich ist, von einem gemeinsamen oder gar einem allgemeinen Ökumeneverständnis auszugehen.7 Es sollte nur dafür gesorgt sein, dass die eigene Perspektive für die Wahrnehmung anderer Glaubensbekenntnisse und deren religiöse Lebenspraxis tatsächlich offen ist. Meine Überlegungen vollziehen vier Schritte: Im ersten Schritt benenne ich stichwortartig drei Voraussetzungen, unter denen Barths Religionsverständnis zu verstehen ist. Anschließend beschreibe ich die Schwäche der Religion, um dann im dritten Schritt die Stärke eben dieser Schwäche im Blick auf den interreligiösen Dialog zu beschreiben. In meinem letzten Schritt möchte ich als theologischen Schlusspunkt auf dem Hintergrund von Barths Rede über die wahre Religion ein paar Gedanken über das Verhältnis von Religion und Wahrheit skizzieren.
renlosen Gewalten als vielgestaltige gesellschaftlich wirkende Absolutismen „mächtige, ihre lügenhafte Objektivität jedenfalls stattlich zur Schau tragende Realitäten“ (ebd., 368). 7 Es gibt kaum weniger unterschiedliche Verständnisse von Ökumene als es an der Ökumene beteiligte Konfessionen gibt. Wenn es gelingen würde, sich auf ein gemeinsames Verständnis von Ökumene zu einigen, so wäre wohl auch bereits das Ziel der ökumenischen Anstrengungen erreicht.
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12.1 Voraussetzungen zum Verständnis Barths 12.1.1 Die Religionskritik Die neuzeitliche Religion ist Produkt einer Kritik, die sich schließlich gegen sie selbst wendet. Sie tritt im 17. Jh. entschieden auf, um von einer übergeordneten Warte aus die antagonistischen Wahrheitsansprüche, die in den Konfessionskriegen aufeinander einschlugen, zu disziplinieren. Es ging aus staatsphilosophischer Sicht um die Sozialverträglichkeit und Friedensfähigkeit unterschiedlicher Glaubenswahrheiten. Öffentlich vorgetragene Wahrheitsansprüche des Glaubens werden im Verweis auf ihren religiösen Charakter von vornherein dadurch relativiert, dass sie auf einen bestimmten – eben nicht die ganze Öffentlichkeit umfassenden – Geltungsbereich einer Bezugsgruppe, nämlich den für privat erklärten Bereich einer Religion begrenzt werden. Der Glaube artikuliert sich gesellschaftlich als Religion, die per definitionem immer nur als eine unter anderen vorgestellt werden kann; auch dann, wenn es etwa in einem Staat nur eine einzige geben sollte. Diese vom Religionsbegriff vorgenommene kritische Relativierung aller Glaubensansprüche wird durch die Religionskritik radikalisiert und schließlich gegen die Religion selbst gewandt. Die Leistungen der Religion für das menschliche Zusammenleben hatten einerseits an Integrationskraft verloren und schienen zum anderen durch andere – und d. h. vor allem vernünftigere und nützlichere – Anstrengungen ersetzbar zu sein. Die Religion sei ein unlauteres und als solches ein das menschliche Elend verlängerndes Kompensationsmittel für tatsächliche Defizite des Einzelnen und auch der Gesellschaft, das eine tatsächlich wirksame Bekämpfung dieser Defizite verhindere. An die Stelle Gottes soll nun der Mitmensch treten, das Du des Anderen, um die Schwäche des Ichs auszugleichen, so dass schließlich die Gattung die in ihr liegende Vollkommenheit zu feiern in der Lage ist. Barth war deshalb immer wieder auf diesen Vorschlag Feuerbachs zurückgekommen, weil er wie kein anderer die anthropologischen Motive für die Abschaffung der überkommenen Religion vor Augen stellt.8 Die Selbstfeier des von dem Kopf auf die Füße gestellten Menschen mündet offenkundig wiederum in eine Religion ein, die sich allerdings selbst ihr Urteil spricht, so dass es von Barth darüber auch keine weiteren Worte zu verlieren gibt. Wenn Marx sodann die ausgebeuteten und unterdrückten Massen von der Religion sediert sieht, greift er die gesellschaftlichen Verhältnisse an, unter denen ein Teil der Gesellschaft nur im halluzinatorischen Rausch verabreichter Religion zu leben vermag. Und es war 8 Barth liest Feuerbach vor allem auf dem Hintergrund der bereits vollzogenen Anthropologisierung der Religion, deren Konsequenz von Feuerbach lediglich angemahnt wird, wenn er sich gegen das Festhalten an einem transzendenten Gott wendet; vgl. Barth, Ludwig Feuerbach; Ders., Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 484 – 489.
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schließlich Freud, der in der Religion ein infantilisierendes Verweigerungsmittel für die vom Menschen im Leben zu bestehenden Konflikte sah. Die Religion verhindert das Erwachsenwerden des Menschen, indem sie ihn in den Illusionen der Kindheit festhält. Gemeinsam ist allen Zugängen zur Religionskritik, dass die Religion den Menschen daran hindere, ein realistisches Verhältnis zu sich selbst und d. h. ein realistisches Verhältnis zu den in den verschiedenen angedeuteten Dimensionen annoncierten Defiziten zu entwickeln. Die Religion ist in dieser Perspektive ein verlässlicher Hinweis auf ein vom Menschen noch nicht eingestandenes individuelles oder gesellschaftliches Lebensproblem.
12.1.2 Die Substanzlosigkeit der Apologetik der Religion Es war Schleiermacher, der die Aufmerksamkeit genau in die entgegengesetzte Richtung lenkte und aus der Religion ein von der Theologie zu pflegendes Humanitätskapital machte, das den im Grunde bereits selbstzufriedenen modernen Menschen ein spezifisches zusätzliches Selbststeigerungsangebot unterbreitet. Die modernen Menschen werden genau da angesprochen, wo die unversiegbare Quelle ihrer Bedürfnisse liegt, nämlich in der Pflege des immer weiter über sich selbst hinauswachsenden Selbstbewusstseins. Exakt das, was sie bisher nur in der Abkehr von der Kirche erlangen konnten, soll nun auch in der Kirche zu finden sein mit dem verlockenden Reiz, in den heiligen Hallen der für sie umgestalteten Religion auch noch die Grenze der Endlichkeit wenigstens partiell überschreiten zu können. Die Religion wird präsentiert als ein spezifisches Steigerungs-, um nicht zu sagen Ermächtigungspotential, dessen sich der Mensch zum eigenen Nutzen bedienen möge. In dieser anthropologischen Perspektivierung hat die Religion dann im 19. Jh. ihren Siegeszug durch die Theologie angetreten und ist zu der entscheidenden fundamentaltheologischen Kategorie geworden. Die hohe Bedeutung mag daran ermessen werden, wie allergisch und aggressiv auf jede Bestreitung der fundamentalen Bedeutung der Religion reagiert wurde. Es musste unter allen Umständen sichergestellt bleiben, dass die als entscheidend eingeschätzte Legitimationsquelle für Theologie und Kirche nicht in Gefahr geriet. Nur so erklärt sich die schroffe und jeden Respekt hinter sich lassende Abweisung jeder Religionskritik, wie sie beispielhaft mit Friedrich Nitzsch zu Worte kommen soll: Es ist „scheinbar unmöglich, die Existenz des Atheismus in Abrede zu stellen. Denn nicht wenige Individuen behaupten wenigstens selbst entschieden, sie seien ohne Religion. Zugegeben ist nun, dass es hinsichtlich aller Bestandtheile des geistigen und sinnlichen Menschenwesens Krüppel gibt, d. h. es gibt Einzelne, denen ein Glied, welches zum menschlichen Organismus gehört, oder eine der psychischen und geistigen Funktionen des Menschenwesens wirklich fehlt. Denn es gibt Blindgebo-
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rene, die auch immer blind bleiben, es gibt Menschen ohne Arme. Ebenso gibt es Menschen, denen jegliche Befähigung zu wirklichem Denken abgeht, nicht minder solche, die in ihrer Stumpfheit jeglicher geistigen Empfindungskraft entbehren, und demgemäß mag es auch religionslose Individuen geben.“9
Freilich kommen Hermann Lübbe, Niklas Luhmann und Erich Fromm mit ihrer Verteidigung der Religion entschieden seriöser daher, aber was sie verteidigen, sind menschliche und gesellschaftliche Bedarfe bzw. Bedürfnisse, deren Befriedigung sich nicht einfach rational bewerkstelligen lässt. Deshalb müssen diese Bedürfnisse dem allgemeinen Rationalitätspostulat zum Trotz mit anderen – wenn man so will unkonventionellen – Mitteln bearbeitet werden. Dazu bietet sich ihnen die Religion an, jedenfalls wenn sie bestimmten humanitären Ansprüchen genügt. Es ist eine Debatte um Formen und nicht um Inhalte. Es geht um Komparative: besser und schlechter, und entschieden wird nach dem Nutzen. Die Austauschbarkeit verweist auf ihre Beliebigkeit. Die Verteidigung der Religion vermag keine Substanz aufzubieten, die tatsächlich ihre Notwendigkeit und Kraft plausibel machen könnte. Wenn Barth von der „Nichtnotwendigkeit“ (KD I/2, 344) und „Schwäche“ (I/2, 345) der Religion spricht, hat er diese Substanzlosigkeit der Apologetik vor Augen, von der nichts tatsächlich Relevantes zu erwarten steht.10 In den Augen Barths hat allerdings auch die Religionskritik unvermeidlich Anteil an der Substanzlosigkeit der Religion,11 auch wenn er ihr faktisch ein ungleich größeres Recht einräumt. Die Religionskritik gehört im Grunde zur Religion wie die Ebbe zur Flut (vgl. I/2, 355). Dabei bleibt zu beachten, dass Barth hier auf die theologische Verwendung des allgemeinen Religionsbegriffs zielt und die beliebige Austauschbarkeit des Religionsverständnisses attackiert, und nicht etwa die Möglichkeit der Vermeidbarkeit der Religion für den christlichen Glauben ventiliert. Wenn man hier eine Unterscheidung anbringen will, so ließe sich die auf den ersten Blick paradoxal erscheinende These aufstellen, dass die Apologetik das relative Unrecht der Religion demonstriere, während die Religionskritik die Chance haben kann, das relative Recht der Religion erkennbar werden zu lassen. Damit kommen wir zur dritten Voraussetzung.
9 Nitzsch, Lehrbuch der evangelischen Dogmatik, 83. 10 Vgl. dazu den bereits 1917 verfassten Text von Barth, Religion und Leben. 11 Sie ist ja nicht mehr als der „Rückzug […] aus einer Unternehmung, die […] nicht mehr rentabel erscheint“ (KD I/2, 347). Barth unterscheidet die Mystik als „die konservative Gestalt jener kritischen Wendung“ gegen die Religion, die er auch als ,esoterischen Atheismus‘ bezeichnen kann (vgl. I/2, 352), vom Atheismus als die „kräftige Form der uns hier beschäftigenden kritischen Wendung“ (I/2, 351), der auch in seiner radikalsten Form genau auf dasselbe Positive ausgerichtet ist wie die Mystik, die eben auch um dieses Positiven willen dazu genötigt ist, ein Nein zu sprechen wie der Atheismus (vgl. I/2, 350).
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12.1.3 Religion als Thema der Theologie Der Hinweis sollte überflüssig sein, aber die Diskussion hat immer wieder gezeigt, dass er doch notwendig ist: Barth thematisiert die Religionsproblematik innerhalb einer Kirchlichen Dogmatik und nicht auf der Ebene des allgemeinen Religionsdiskurses – so sehr dieser dabei auch in den Blick kommt. In § 17 der KD benennt er die theologische Aufgabe schlicht damit, dass es darum gehe, „die Religion von der Offenbarung“ (I/2, 309) aus zu betrachten. Damit ist von vornherein klar, dass es vorrangig um das Phänomen der christlichen Religion geht, wobei wir damit zwangsläufig den Bereich des „menschlich […] Eigenartigen“ (I/2, 307) betreten, so dass es gar nicht ausbleiben kann, mit jeder Aussage über die christliche Religion auch einen Vergleich mit den Phänomenen anderer Religionen zu provozieren. Besonderes und Allgemeines lassen sich auf der Phänomenebene nicht präzise unterscheiden. Aber die Perspektive, mit der die christliche Religion in den Blick genommen wird, muss – wenn sie eine theologische sein soll – von eben der Besonderheit geprägt sein, von der die Theologie ihre spezifische Sachlichkeit und Gegenständlichkeit bzw. – um im Gefälle der bisherigen Argumentation zu bleiben – ihre kennzeichnende Substanz bekommt. Es handelt sich um die Substanz, die im Wahrnehmen einer bestimmten Perspektive in den Blick kommt, nämlich die Perspektive der Offenbarung. Was dies näherhin bedeutet, kann Barth mit einem prägnanten Bild sagen: Die Theologie „wird nicht mit einem auf der Erde aufgestellten Scheinwerfer den Himmel abzuleuchten suchen, sondern sie wird versuchen, die Erde im Lichte des Himmels zu sehen und zu verstehen.“12 Von hier aus ergibt sich nicht nur die theologische Notwendigkeit, von der Religion zu sprechen, wenn man das Christentum nicht in einen hoffnungslosen Gegensatz zum Offenbarungshandeln Gottes versetzen will (vgl. I/2, 306). Vielmehr besteht nach Barth für „Theologie, Kirche und Glaube“ gerade im Blick auf die Religion auch die „Gelegenheit, bei der Sache zu bleiben […] und sich so als das, was sie heißen, zu bewähren und zu befestigen.“ (I/2, 309) Indem das Licht der Offenbarung – jedenfalls in der Kirche – immer schon auf einen religiösen Menschen trifft, gerät es diesem zum Gericht und zu seiner Rechtfertigung. Das ist im Grunde kaum mehr als schlichtes theologisches ABC und enthält nichts Überraschendes. Religion ist zunächst nichts anderes als das vor Augen stehende christliche Leben, und so wundert es auch nicht, dass Barth in seiner Versöhnungsethik, die das christliche Leben thematisiert, erneut und durchaus vergleichbar pointiert auf die Religionskritik zurückkommt13. Brisant wird es erst in dem Moment, in dem die besondere Wahrnehmung von etwas Allgemeinem ins Gespräch gebracht werden soll mit der allgemei12 Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, 139. 13 Vgl. Barth, Das christliche Leben, 212 – 219.
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nen Wahrnehmung dessen, was in der besonderen Perspektive zur Sprache gebracht wurde. Da es sich bei der Religion auch nach Barth ausdrücklich um etwas handelt, das „immer und überall […] die menschliche Kultur im ganzen und menschliches Dasein im einzelnen […] bestimmt oder doch mitbestimmt“ (I/2, 306), kommt es zwangsläufig zu einer Konkurrenz der Perspektiven auf dieses Phänomen, besonders dann, wenn dieses eben auch unterschiedlichen Interessen unterworfen ist, wie das bei der Religion zweifelsohne der Fall ist. Die Frage kann jetzt nicht die sein, ob sich diese Konkurrenz auf irgendeiner Ebene zur Ruhe bringen lässt. Vielmehr scheint es mir allein sinnvoll zu sein, die Reichweite der besonderen theologischen Thematisierung der Religion bei Barth im Blick auf den interreligiösen Dialog – und ausdrücklich nicht im Blick auf den allgemeinen Religionsdiskurs – zu ermessen. Der interreligiöse Dialog ist geprägt von der Notwendigkeit der wechselseitigen Rücksichtnahme des Besonderen auf das Allgemeine und des Allgemeinen auf das Besondere. Er wird nicht wie der allgemeine Religionsdiskurs allein von dem Rigorismus der Allgemeinheit regiert, sondern hier stoßen im Horizont eines die Religionen zusammenbringenden gemeinsamen Interesses unterschiedliche besondere Perspektiven von einem religiös gestalteten Leben aufeinander. Damit ist die Richtung angezeigt, in die sich nun meine Überlegungen aufmachen wollen. Ich will keine weitere Vertiefung der Barthexegese vortragen,14 sondern möchte versuchen, auf dem Hintergrund der bei Barth gewonnenen Einsichten die Linien zur gegenwärtigen Diskussion auszuziehen.
12.2 Die Schwäche der Religion 1. Auszugehen bleibt von der bereits erwähnten Unterscheidung von Offenbarung und Religion, die für die Theologie fundamental ist. Die Religion ist das irdene Gefäß, in dem wir den Schatz (das Evangelium als den Inhalt des Glaubens) aufbewahren (2Kor 4,7). Bei allem möglicherweise aufgefahrenen Prunk bleibt die Religion ein ebenso zerbrechliches wie endliches Unterfangen. Immerhin liegt auf diesem Gefäß, das durchaus verschiedene Inhalte zu fassen in der Lage ist (vgl. I/2, 308), die Verheißung, dass es den Schatz zu fassen vermag, obwohl es nicht weniger als himmelweit von diesem Schatz unterschieden ist.15 Form und Inhalt stehen in einem so starken Spannungsverhältnis, dass sie ständig von der Versuchung umschlichen werden, das eine mit dem anderen zu verwechseln. Um dieser Versuchung möglichst gründlich zu entkommen, spricht Paulus im Zusammenhang mit dem irdenen Gefäß von 14 Vgl. dazu o. Kap. 11. 15 Religion und Offenbarung liegen für Barth auf grundsätzlich unterschiedlichen Ebenen, die sich nicht miteinander vergleichen lassen – wo ein Vergleich für möglich gehalten wird, ist gewiss die Offenbarung missverstanden (vgl. I/2, 320 f).
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Trübsal, Bangigkeit, Verfolgung, Unterdrückung und eben dem Sterben Jesu, das wir am Leibe tragen (2Kor 4,8 – 10). Es kann niemals die Aufgabe der Religion, des irdenen Gefäßes, sein, diese Armutssituation vergessen zu machen oder gar den Anschein zu erwecken, sie könne die Trübsal und das Elend überwinden. Es gibt prinzipiell keinen Grund, dieser Form selbst eine besondere Dignität zuzuschreiben. Vielmehr bleibt sie stets darauf angewiesen, dass sie sich tatsächlich als Gefäß des verheißenen Inhalts erweist. Doch wann und wo das geschieht, entzieht sich unseren Inszenierungen. Die Gestaltungen der Religion sagen nichts darüber aus, ob sie tatsächlich etwas beinhalten oder nur reine Fassaden sind. Die Religion kann sich nicht verifizieren, sie hat nicht die Kraft, sich über ihre phänomenale Ambivalenz zu erheben. Sie hat nicht die Macht, den Eindruck zu zerstreuen, dass sie möglicher- oder gar nahe liegender Weise nur Scharlatanerie ist. Auch die Baalspropheten tun nichts prinzipiell anderes als Elia – allein Gott selbst kann die klärende Unterscheidung in dem durchaus vergleichbaren religiösen Treiben bringen, indem er das Tun der einen als eitles und überhebliches Priestergebaren bloßlegt und das Tun des Anderen rechtfertigt (1Kön 18). Auch die lauterste oder – wie wir heute sagen würden – die authentischste Gestalt der Frömmigkeit vermag der phänomenologischen Zwielichtigkeit nicht zu entkommen. Die Schwäche der Religion liegt in ihrer Ohnmacht, sich tatsächlich als das zu erweisen, was sie zu sein vorgibt. 2. Auch wenn noch zu zeigen sein wird, dass die Religion in einer gewiss begrenzten, aber von uns nicht in den Griff zu bekommenden Weise nicht in ihrer Menschlichkeit aufgeht – daran hängt jedenfalls die mit ihr zu verbindende Hoffnung –, so ist doch im Rahmen der Beschreibung ihrer Schwäche auf ihren unbestreitbar menschlichen Charakter einzugehen. Sie gehört in den „Bereich menschlicher Zuständigkeit, Erfahrung und Tätigkeit“ (I/2, 306). So sehr es Offenbarungsreligionen geben mag, so wenig ist in ihnen die Religion geoffenbart. Für die Offenbarung bleibt Gott, aber für die Religion sind wir Menschen zuständig. Die Religion ist die menschliche Seite des Glaubens mit all den Anstrengungen, die auf dieser Seite vorstellbar sind – übrigens einschließlich der Theologie. Die Religion lässt sich als Artikulationsform und Lebensgestalt des Glaubens verstehen. Die in Erscheinung getretene Wirklichkeit Gottes greift nach dem Leben des Menschen, das sich nun in die Sorge gestellt weiß, dieser Wirklichkeit in irgendeiner Weise gerecht werden zu können. Daraus folgt die ebenso nüchterne wie folgenreiche Feststellung: Es ist der Mensch – nicht irgendetwas Heiliges oder gar Gott selbst –, der sich in der Religion Ausdruck verschafft. Jeder Gottesdienst ist Menschendienst (genitivus subiectivus), der unseren Gestaltungen und Prägungen folgt, so sehr sich diese auch auf eine geoffenbarte Wirklichkeit berufen mögen. Die Religion gehört auf die Seite des Menschen und präsentiert die humane Dimension des Glaubens. 3. Die Religion kann als menschliche Angelegenheit grundsätzlich nur ein vorläufiges und kritisierbares Arrangement sein, das prinzipiell hinter dem
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zurückbleibt, was sie auszudrücken versucht. Die Ausdrucksmittel, die uns als Menschen zur Verfügung stehen, bleiben irdisch, eben irdische Gefäße (und ich möchte sagen: allzu irdisch, doch dazu später mehr). Gewiss mag es um den letzten Grund, die Universalität und das Ganze, die Ewigkeit, das Jenseits oder das Ziel alles Seins gehen oder – mit Barth gesprochen – um „Weltanfang und Weltende, Entstehung und Wesen des Menschen, sittliches Gesetz, Sünde und Erlösung“ (I/2, 307), aber die Formen, in denen das geschieht, sind ebenso endlich, zeitlich und diesseitig wie die genannten Begriffe selbst. Unbestritten ist die Religion der Ort, an dem der Mensch signalisiert, dass er nicht selbst schon die ganze Wirklichkeit ist, sondern in ihr einen bestimmten Platz einnimmt, aber diese ihn selbst transzendierende Wirklichkeit kann er nur mit Mitteln darstellen und ins Leben ziehen, über die er selbst verfügt. Auch im Umgang mit dem Unendlichen kommt der Mensch nicht über seine Endlichkeit hinaus. Die damit bezeichnete Schwäche gibt einen ersten – ebenso ernüchternden wie befreienden Hinweis auf die Humanität der Religion: Die Religion wird aus der sie umgebenden Aura der Unnahbarkeit herausgenommen, in der sie immer ein wenig über den irdischen Dingen zu schweben scheint, und fest mit beiden Beinen auf den Boden dieser Erde gestellt. Das ist ernüchternd. Und befreiend ist die benannte Schwäche, weil sie der Religion die Strenge der allein auf Gefolgschaft ausgerichteten festen Prägung nimmt, indem sie nicht nur auf ihre Gestaltbarkeit, sondern auf den permanenten Bedarf an neuer Gestaltung hinweist. Hier kommt die Menschlichkeit der Religion insofern in den Blick, als deutlich wird, dass es weniger der Mensch ist, der auf die Teilnahme an der Religion angewiesen ist, sondern umgekehrt die Religion darauf angewiesen bleibt, dass Menschen dadurch an ihr teilhaben, dass sie diese gestalten und zu einer ihnen angemessenen Ausdrucksform des Glaubens machen. 4. Niemand wird ernsthaft in Frage stellen – und das kann wohl im Blick auf alle Religionen gesagt werden –, dass die Religion längst – wohl bereits im Zusammenhang mit ihrem jeweiligen Entstehen – ihre Unschuld verloren hat. Es hat sich gezeigt, dass sie für jede Form der Usurpation offen steht. Es gehört aller Erfahrung nach zum Menschen, dass mit der wohl unabstellbaren Neigung zu rechnen bleibt, dass er sich die Wirklichkeit zur eigenen Verfügung gefügig macht. Die Religion bietet sich dazu insofern in vorzüglicher Weise an, als sie von nicht unmittelbar kontrollierbaren Quellen lebt, denen sich unschwer dieses oder eben auch jenes in den Mund legen lässt. Schnell maßen sich Religionsvertreter an, ihre Meinung als den Willen Gottes auszugeben. Gott wird zum Anwalt beinahe aller Interessen prostituiert. Dem Wort Gottes werden gern menschliche Wunschzettel unterlegt, um bestimmten Wünschen eine besondere Nachdrücklichkeit zu verleihen und sie gleichzeitig jeder Kritik zu entziehen. Indem es in den Religionen nicht zuletzt auch um Machtfragen geht, eignen sie sich in besonderer Weise zum Machtmissbrauch. Religiöse Machtausübung und Herrschaft stellen besonders infame Gestalten
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menschlicher Unterdrückung dar, weil sie den Menschen in seinem Innersten gefangen nehmen. Hier ist die Lektion der Religionskritik einzubringen, die in ihrer aufklärerischen Funktion auf die Abgründe der Religion aufmerksam macht. Die Religionskritik tritt insofern für die Religion ein, als sie den Blick auf die Religion ernüchtert und sie dazu nötigt, über sich selbst Rechenschaft abzulegen. An der Fähigkeit einer Religion, mit der sie treffenden Kritik konstruktiv umzugehen, bemisst sich in hohem Maße ihr um die Schwäche ihrer eigenen Versuchlichkeit wissender Realitätssinn. 5. Nirgends wird die Schwäche der Religion so deutlich wie an dem Faktum, dass sie immer auch peinlich ist. Religion ist in ihrem Vollzug peinlich. Es mag sein, dass uns die säkularisierte Welt dafür in besonderer Weise die Augen geöffnet hat, aber die Peinlichkeit, von der hier die Rede sein soll, hat immer bestanden, gehört gleichsam mit zum Wesen der Religion, auch wenn sie nicht als solche erkannt wird. So verwundert es auch nicht, dass uns die Peinlichkeit im Betrachten anderer Religionen eher ins Auge springt als bei der Betrachtung der eigenen, in die man unter dem unbefragten Anschein selbstverständlicher Normalität mehr oder weniger widerstandslos hineinsozialisiert wurde. Je mehr es um das innere Zentrum einer Religion geht, umso mehr sind ihre Protagonisten offenkundig in einer unausweichlichen Verlegenheit ihrer Ausdruckformen, so dass sie nicht nur die Sprache Kanaans sprechen, sondern sich auch in ihrem Gehabe nicht selten überaus merkwürdiger Ausdrucksweisen bedienen, die in der Regel ihre Selbstdemütigung vor ihrem Allerheiligsten in Szene setzen. Rein phänomenologisch betrachtet – also unter Absehung von allen zweifellos vorhandenen theologischen Begründungen –, machen da sonst ganz vernünftige und selbstbewusste Menschen plötzlich Verbeugungen, gehen in die Knie oder werfen sich gar zu Boden, küssen ganz bestimmte Gegenstände, zünden Kerzen an oder räuchern mit erhabenen Gesten einen Gottesdienstraum ein. Sie murmeln unverständliche Formeln und veranstalten mit wohl abgemessenen Schritten ein festgelegtes Schauspiel. Von außen betrachtet ist jede Taufe und jedes Abendmahl eine äußerst merkwürdige Inszenierung, die deutlich macht, dass sich die Religion nicht durch ihren schlichten Vollzug erklärt. Da verkleiden sich erwachsene Menschen mit den prächtigsten Gewändern, die den Charakter von Uniformen tragen (Uniformen scheinen die traditionelle Gestalt von Männermode zu sein), die mit besonderen Rangabzeichen den jeweiligen Status des Akteurs zu erkennen geben. Wenn man sich allein diese von Männern für Männer gemachte heilige Kleidermode mit all ihren Accessoires etwa auf dem Kopf, an den Fingern und um den Hals ansieht, verblasst nicht nur jeder für die weibliche Mode getriebene Aufwand, sondern gewinnt auch der Karneval durchaus an Plausibilität als eine harmlose und vergleichsweise nachlässige Variante, bei der allerdings wenigstens gelacht werden darf. Die Schwäche all dieser Phänomene – Barth spricht von ,Gebräuchen, Spielen und Mysterien‘ (I/2, 307) – liegt schlicht darin, dass sie nicht für sich
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selbst zu sprechen vermögen. Trotz all der in die Erscheinungsweise investierten expressiven Stärke bedürfen gerade der Kult und die um ihn herum gruppierten Inszenierungen der Erläuterung ebenso wie auch die Kleiderordnung, wenn sich nicht abgründige Missverständnisse einschleichen sollen – erst dann sagen sie, was sie sagen sollen. Die Religionen bewegen sich häufig, um nicht zu sagen bevorzugt, an der Grenze der Blasphemie, von der sie sich dann mit meist aufwendigen Erklärungen ihrer Theologie freisprechen lassen. Gewiss finden sich ganz ähnliche Phänomene im zivilreligiösen Bereich: Die garnierten Ordensbrüste verdienter breitschultriger Offiziere mit ihren überproportional hochgestellten Schmuckmützen, die aufwendigen Vereidigungskulte insbesondere von Soldaten, das pathetische Aufziehen und Herablassen von Fahnen, das feierliche Absingen von Nationalhymnen im Stehen, aber auch der ebenso würdig inszenierte wie tatsächlich lächerliche Aufmarsch eines Schützenvereins mit seinen Holzgewehren auf dem Marktplatz mit Bürgermeister und Pastor an seiner Spitze. Da zeigt sich eine eher humorlose Komik von Religion, die immer an solchen Stellen hervorquillt, wo die Darstellungsmittel an die Grenzen des Darzustellenden stoßen bzw. eben deutlich hinter dem Darzustellenden zurückbleiben. Die vom Mangel verursachte Verlegenheit bleibt in der Regel in der Überinszenierung präsent. Offensichtlich kapituliert die Phantasie nicht einfach an diesen Grenzen, sondern sie scheint sich gerade von ihnen in besonderer Weise herausgefordert zu fühlen, ohne von ihren bisweilen zweifelhaften Erfolgen entmutigt zu werden. Bei freundlicher Betrachtung dieser als skurril zu bezeichnenden Situation wird man zumindest feststellen müssen, dass sich hier in besonderer Weise die Inadäquanz der Religion als Form in ihrem Verhältnis zu ihrem Inhalt zeigt. Die Erklärungsbedürftigkeit ihrer Gestalt ist Ausdruck ihrer Schwäche, so eindrucksvoll sie auch daherkommen mag. Ich komme zu einem letzten Aspekt. 6. Wie bereits angedeutet wurde, liegt eine Schwäche der Religion in Ihrer Unselbstständigkeit. Es ist nichts Neues, wenn ich unterstreiche, dass es Religion als solche gar nicht gibt. Es gibt im Grunde keine Religion, die sich selbst als Religion will, es sei denn die modernen synthetischen Religionen, die um dieser oder jener Bedürfnisbefriedigung willen erfunden und dann marktgerecht angeboten werden,16 damit sie dann käuflich erworben und privat genossen werden können.17 Es ist nicht schwer, sich klar zu machen, dass in 16 Vgl. dazu Zinser, Der Markt der Religionen, München 1997; Hempelmann u. a., Panorama der neuen Religiosität. 17 Phantasien in diese Richtung finden sich allerdings auch in den abstrakten allgemeinen religionsphilosophischen, religionssoziologischen oder religionspsychologischen Diskursen, denen deshalb auch die nötige Skepsis entgegengebracht werden sollte, damit ihre Protagonisten nicht unversehens die Gelehrtenrobe mit dem Priesterrock vertauschen. Die hier produzierten Angebote können vor allem auf eine merkwürdig große Aufmerksamkeit bei den Kirchenvertretern und Theologen rechnen, die sich mit ihrer voranschreitenden gesellschaftlichen Marginalisierung nicht abfinden wollen. Die Anfälligkeit auf der Seite von Theologie und Kirche, sich auf jede apologetisch nutzbare Offerte zu stürzen, zeigte sich in der erstaunlichen
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dem Moment, in dem die Funktionalität zum alleinigen Regieprinzip einer Religion wird, diese unwillkürlich in die Fänge der Religionskritik getrieben wird, denen sie dann zwangsläufig erliegt. Gegenüber dieser modernen Variante der synthetischen Religion bleibt festzuhalten, dass die Religion eine Form für einen ganz bestimmten Inhalt ist. Deshalb gibt es Religion nicht als allgemeines Phänomen, sondern stets nur als Ausdruck eines konkreten ,Bekenntnisses‘. Ich will die Religion als das zwischenzeitliche Verlegenheitsprodukt eines nicht aus den diesseitigen Verhältnissen abgeleiteten und in die zwischenmenschliche Kommunikation gezogenen Glaubens bezeichnen, in dem Menschen einem stets auch über die Religion hinausweisenden ,Bekenntnis‘ Ausdruck zu verleihen versuchen. Die Brücke der Religion führt grundsätzlich nur in die Luft, in der sich dann das jeweilige ,Credo‘ vernehmbar machen will, das als Begründung für den ganzen religiösen Aufwand anzusehen ist. Das ,Bekenntnis‘ weist über die greifbaren Zusammenhänge hinaus, was der Religion ihrem Wesen nach nicht tatsächlich gelingen kann. Das Komische der Religion ist ja nicht ihre Jenseitigkeit, sondern eben die Diesseitigkeit, mit der sie zwar noch und noch auf die jenseitigen Quellen der Wirklichkeit hinweisen mag, dabei aber unweigerlich im Diesseits stecken bleibt – was ihr dann all den Zweifel und die öffentliche Skepsis einbringt.
12.3 Die Stärke der Schwäche der Religion 1. Indem die Religion in ihrer Schwäche dem Menschen den Grund seiner Bestimmung nicht in die Hände spielt, sondern ihn auf das ,Bekenntnis‘ dieses Grundes und die Antwort auf das Angeredetsein durch diesen Grund beschränkt, tritt sie für den Menschen ein, denn sie erinnert ihn gerade im Spiegel ihrer Schwächen an seine eigene Begrenztheit und an die Unverfügbarkeit seiner Wirklichkeit. Das scheint mir eine gemeinsame Stärke zu sein, die in der Gemeinsamkeit der Schwäche aller Religionen liegt. Weder der tatsächliche Grund noch das tatsächliche Ziel des menschlichen Lebens lässt sich einfach aus den immanenten Bedingungen seiner Existenz ablesen. Der Mensch ist nicht einfach, was er ist. Da, wo Religion nicht zur Ermächtigung, sondern zur Ernüchterung des Menschen auf den Plan tritt, wird über den status quo hinausgeblickt. Religion nimmt stets etwas in den Blick, was entweder noch nicht ist oder was erst hinreichend gewürdigt wird, indem es ausdrücklich wahrgenommen wird. In jedem Fall geht es um eine im Vollzug Rezeption einer mehr beiläufigen Bemerkung von Jürgen Habermas, der 2001 angesichts der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels über eine mögliche Lektüre unserer „postsäkularen Gesellschaft“ sinnierte und dabei der Religion eine Art ,Come-back‘ prognostizierte.
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der Religion symbolisierte Distanzierung vom Diktat des Faktischen und die Inblicknahme eines die unmittelbaren Gegebenheiten überschreitenden Zusammenhangs, in dem sich der Mensch zu seiner Bestimmung bekennt. Den historisch mehr oder weniger zufälligen Gegebenheiten wird ihre Letztgültigkeit bestritten. Der Herrschaftsanspruch der Lebensumstände wird relativiert und somit ihr Wirklichkeitsgewicht erleichtert. Zweifellos lassen sich hier Momente der Entfremdungsthese wieder erkennen, aber es wäre eine sachlich unangemessene Verkürzung, die komplexe Spannung auf die Zweidimensionalität der Entfremdungsthese zu reduzieren. Unterschiedliche Ebenen mit vielen Faktoren sind hier so miteinander verzahnt, dass mit negativen und positiven Identifikationen nicht auszukommen ist. Die Stärke einer ihrer Schwäche bewussten Religion liegt in ihrem wirklichkeitsgerechten Umgang mit dem Versagen, der Unvollkommenheit und der Schuld des Menschen, die sich immer nur für eine befristete Zeit der Illusion und in der Regel nur zum Schaden des Menschen abstellen oder überspielen lassen. Die Stärke der Schwäche der Religion besteht darin, dass sie dazu beiträgt, den Menschen aus den vielseitigen gesellschaftlichen Nötigungen zur Selbstverklärung aussteigen zu lassen und ihm ein realitätsgerechteres Bild seiner selbst ermöglicht, indem sie ihm einen Blick auf seine Begrenztheiten und Schwächen gestattet, ohne ihn sogleich mit seiner Vernichtung zu bedrohen. Wenn es ein humanes Kapital der Religion gibt, dann ist es m. E. hier zu suchen. Die Stärke der Religion liegt in ihrer sozialverträglichen Wahrnehmungsfähigkeit der Schwäche des Menschen. Es geht nicht um eine Verherrlichung dieser Schwächen, wohl aber um ihre realitätsgerechte Integration in die an den Menschen zu stellenden Erwartungen. In diesem Sinne kann gesagt werden, dass es der Religion um einen über sich selbst ernüchterten Humanismus geht, auch wenn sie darin nicht aufgeht. 2. In der angesprochenen Schwäche der Peinlichkeit der Religion verbirgt sich die Stärke, die es dem Menschen ermöglicht, sich gemeinschaftlich und öffentlich zu seiner Begrenztheit zu bekennen. Der Ton liegt hier auf der demonstrativ vollzogenen Selbstbegrenzung. In der Religion feiert und publiziert der Mensch nicht in erster Linie seine eigenen Fähigkeiten, sondern er bekennt sich zu seinem Unvermögen, was in einer Welt, in der sonst nur das Vermögen – im doppelten Sinn des Wortes – zählt, immer mit einer Selbstdemütigung verbunden bleibt. Sie ist wohl unabhängig von der Gestalt der jeweils geschichtlich gewachsenen Rituale und Gewohnheiten die eigentliche Wurzel der phänomenalen Peinlichkeit der Religion. In der Religion greift der Mensch nicht über seine Endlichkeit hinaus ins Jenseits, um über sich hinauszuwachsen, sondern er verhält sich zum Eingriff des Jenseits ins Diesseits, um zu seiner wahren Wirklichkeit zu finden. Nicht die Ausweitung seiner ohnehin hoch eingeschätzten Möglichkeiten steht zur Debatte, sondern ein lebbares Verhältnis zu den nicht einfach aus der Welt zu schaffenden Unmöglichkeiten, auf die er unwillkürlich immer wieder stößt und sich an ihnen wund reibt.
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Die Kirche als der Raum christlicher Religion ist nicht das Reich Gottes, aber der Raum, in dem die Hoffnung auf das Reich Gottes ebenso laut wird wie die Klage über sein vorläufiges Ausbleiben. Sie beruft sich auf die in der Auferweckung Jesu liegende Verheißung für den Menschen, die sie der Welt um der Menschlichkeit Gottes und somit auch der Menschlichkeit des Menschen willen bezeugt. 3. Als irdenes Gefäß – womöglich reichlich verziert – mag die Religion in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen und sogar unseren Alltag durchdringen, aber sie ist nicht bereits selbst die Lösung – um von Erlösung ganz zu schweigen. Sie führt die Menschen nicht über die Bedingungen dieser Welt hinaus in eine andere glanzvollere Welt, so sehr in ihr auf eine solche andere Welt gewartet werden mag. Auch darin sehe ich eine große Gemeinsamkeit der Religionen, dass sie alle auf etwas noch Ausständiges verweisen. Sie beklagen alle ein unbewältigtes (und teilweise von den Menschen auch nicht (allein) zu bewältigendes) Defizit und damit eine signifikante Schwäche der Gegenwart. Sie greifen zugleich aber auch über diese Schwäche hinaus, indem ihr eine Hoffnung entgegengestellt und eben auch entgegengelebt wird. Die Religion selbst ist nicht die Erfüllung, aber sie ist der Ort einer Hoffnung.18 Gewiss mag sich die Hoffnung auf eine bereits geschehene Erfüllung berufen – ,Gott hat Israel aus Ägypten geführt‘ oder ,Gott hat Jesus von den Toten auferweckt‘ –, aber die Erinnerung an diese Erfüllung bleibt Nahrung der Hoffnung und ist nicht bereits unmittelbarer ,Heilgenuss‘. Die Erfüllungen, auf die sich Religion beruft, begründen den Glauben, bleiben aber damit durchaus himmelweit vom Schauen entfernt. Auch diese Schwäche der Religion lässt sich unschwer als eine spezifische Stärke verstehen, denn die eingestandene Schwäche bewahrt die Kraft der Hoffnung, die nicht zuletzt dem Schutz der Menschlichkeit des Menschen dient. An dieser Stelle sehe ich einen besonders geeigneten Einstieg in das interreligiöse Gespräch. Dieses Gespräch führt zwangsläufig in eine Sackgasse und läuft auf die alles blockierende und sachlich deplatzierte Frage nach dem Wahrheitsanspruch zu, solange es in dem Gespräch um die sachliche Tiefe und Reichweite der die unterschiedlichen Religionen tragenden Botschaft geht. Barth gibt ausdrücklich Lessings „Nathan dem Weisen“ recht, wenn er betont, dass ein Wettstreit unter den Religionen müßig sei (I/2, 325). In dem Gespräch kann sinnvollerweise nicht über die Inhalte der Zeugnisse verschiedener Religionen zu Gericht gesessen werden. Es hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn es 18 Das ist der entscheidende Punkt, auf den die Religionskritik Barths zuläuft, auch bereits in der Phase der sogenannten ,dialektischen Theologie‘, wo es ebenfalls nicht um eine Eliminierung der Religion, sondern um ihre Selbstrelativierung ging. Das ist das Problem der Religion: „Sie erträgt ihre eigene Relativität nicht. Sie hält das Warten, die Pilgrimschaft, das Fremdlingsein, das allein ihr Auftreten in der Welt rechtfertigt, nicht aus. Sie begnügt sich nicht damit, hinzuweisen auf das X, das über Welt und Kirche steht. Sie tut, als ob sie im Besitz überweltlicher und überkirchlicher Goldbarren wäre, und sie fängt in der Tat an, klingende Münze, sog. ,religiöse Werte‘ auszugeben.“ (Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke, 678)
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die Verlegenheit der Zeuginnen und Zeugen gegenüber ihrem Zeugnis thematisiert. In dem Gespräch muss tatsächlich die Religion und nicht das ›Credo‹ thematisiert werden, denn für ihre Gestaltung ist der Mensch weithin mitverantwortlich. Das Allerheiligste der verschiedenen Religionen ist für den Dialog nicht tatsächlich zugänglich. Für dieses zeichnet keine Religion selbst verantwortlich, sondern von ihm weiß sie sich zu ihren Gestaltungen veranlasst, so dass es selbst kein Gegenstand von Verhandlungen sein kann. Während die Bekenntnisse der unterschiedlichen Religionen überaus verschieden sind bzw. sein können, so besteht doch die Aussicht, dass es in dem religiösen Verhältnis der Menschen zu diesem Bekenntnis gemeinsame Verlegenheiten oder auch gemeinsame Herausforderungen gibt. Das ist der Ort, an dem das interreligiöse Gespräch einen verhandelbaren Gegenstand hat. Nicht der bravouröse Schulterschluss der Religionen – womöglich gegen die Gottlosigkeit der säkularen Welt oder des Atheismus – ist anzustreben, wie es gelegentlich zu vernehmen ist. Die Religionen können die von ihnen angerufenen Götter nicht ins Feld führen – wo sie das getan haben, ist es immer verheerend ausgegangen. Sie sind Lebensorte einer Hoffnung, die sich erst noch erfüllen muss. Jeder Attitüde der Überlegenheit, in der sich eine Religion auf irgendwelche ihr besonders zugemessenen Kräfte beruft, weist grundsätzlich in eine aussichtslose Richtung. Die Unterscheidung von Offenbarung und Religion bleibt fundamental für das interreligiöse Gespräch. Ohne diese Unterscheidung kommt entweder die Religion nicht darum herum, für sich selbst einen Absolutheitsanspruch zu stellen, oder sie muss grundsätzlich der Wahrheitsfrage den Rücken kehren. Die eine Möglichkeit ist die der religiösen Hybris, die sich zwar gesprächsbereit geben mag, faktisch aber dialogunfähig ist, weil sie immer schon mit sich selbst zufrieden ist, und die andere Möglichkeit bedeutet Selbstpreisgabe, weil hier schließlich nichts mehr tatsächlich gilt. Nicht die Rüstung des heiligen Glanzes des Glaubensgeheimnisses einer Religion ermächtigt zum Gespräch, sondern die Schwäche seiner irdisch-geschichtlichen Zeuginnen und Zeugen19. Bei nüchterner Betrachtung sind es 19 Auf der Barth-Tagung in Driebergen wies mich Mirco Striewski nach meinem Vortrag darauf hin, dass Hans Jochen Margull die „Verwundbarkeit“ zu einer Vorbedingung eines tatsächlich aufeinander zugehenden – und eben nicht nur bei sich selbst bleibenden – Dialogs mache; vgl. Margull, Verwundbarkeit. Hier kann insofern in der Tat eine sachliche Konvergenz zu dem hier unterbreiteten Vorschlag gesehen werden, als Margull auch nach einem Weg für einen Dialog sucht, der nicht die Selbstrelativierung des eigenen Bekenntnisses zur Voraussetzung macht. Der von Margull gefundene Weg geht allerdings in eine ganz und gar andere Richtung. Er teilt mit mir lediglich die Voraussetzung, dass die von den Religionen unvermeidlich repräsentierten ,Absolutheitsansprüche‘ nicht als solche zum Gegenstand des Dialogs gemacht werden können (vgl. dazu auch Margull, Der ,Absolutheitsanspruch‘ des Christentums; Ders., Der interreligiöse Dialog). Margull geht von den Verwundungen aus, welche die im Dialog aufeinander stoßenden unterschiedlichen Universalitäts- und Absolutheitsansprüche für die beteiligten Gesprächspartner bedeuten, und fordert ein Denken, das sich von den Verwundungen aus versteht, die sich diese Ansprüche (ideologisch und eben auch körperlich)
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doch die Relativität und die Begrenztheit aller Religionen, die ein solches Gespräch überhaupt erst ermöglichen und herausfordern. Es sind die geteilten Verlegenheiten, die für das Gespräch einen fruchtbaren Boden bereithalten. Die Reife einer Religion zum interreligiösen Gespräch bemisst sich an dem Maß der Fähigkeit zur Selbstrelativierung – wohlgemerkt nicht der Relativierung ihres Grundes, wohl aber ihrer geschichtlichen Treue zu diesem Grund. Ohne das nicht zuletzt in der Schule der Religionskritik gelernte Bewusstsein um die gebotene Bescheidenheit der Religion, d. h. um ihre Schwäche und dann eben auch um die allein in dieser Schwäche liegende Stärke wird es zu keinem verheißungsvollen Gespräch der Religionen kommen. In der Barth’schen Fassung des Religionsverständnis scheint mir ein bisher ungenutzter Realismus zu liegen, der den meisten Konzeptionen der gegenwärtigen Debatte immer noch voraus ist: Kein Religionstriumphalismus – ein solcher kann schlechterdings nur zu fürchten sein –, sondern Religionsrealismus ist die Richtung, in der ein Dialog gesucht werden sollte.
12.4 Religion und Wahrheit Es wird niemandem entgangen sein, dass es in meiner Argumentation einen ungedeckten Sprung gibt, nämlich an der Stelle, wo ich von der Beschreibung der Schwäche der Religion zu der Beschreibung der Stärke ihrer Schwäche übergehe. Da findet ein Perspektivenwechsel statt, den ich einfach vollzogen habe, ohne ihn auch nur mit einem Satz zu begründen. Es wird plötzlich ein versöhnlicher Ton angeschlagen, welcher der so sehr ins Menschliche hineingezogenen Religion nun doch noch einen theologisch positiven Sinn abzugewinnen versucht. Da wird mit einem Mal die Schwäche als Stärke interpretiert, ohne dass erkennbar wird, woher diese Umwertung der Werte ihr Recht bezieht. Ich will meinen Vortrag nun nicht damit beenden, dass ich auch diese Schwäche nun einfach zu einer Stärke erkläre, sondern mit einigen abschließenden Überlegungen versuchen, diesen Perspektivenwechsel in einen theologischen Rahmen zu bringen, ohne dass ich dabei die Ebene des anvisierten interreligiösen Gesprächs verlasse, die sich zweifellos nur sehr vorsichtig bestimmen lässt, was sich in meiner grenzgängerischen Argumentation zeigt.20 gegenseitig zugefügt haben und immer noch zufügen. An die Stelle der Verteidigung der eigenen Position soll ein „Denken füreinander“ treten. Die forensische Attitüde der Beurteilung anderer soll ersetzt werden mit einer „advokativen Rolle des Verstehens“, in der es schließlich gelingen sollte, so von dem anderen in einer Weise zu sprechen, dass er sich in dem wieder erkennt, was von ihm gesagt wird; vgl. ders., Zu einem christlichen Verständnis des Dialogs. 20 Meine Überlegungen stellen den Versuch dar, den eigenen besonderen Zugang zum Thema – eben aus der Perspektive christlicher Theologie – stets so weit wie möglich auf einer Ebene zu positionieren, von der ich annehme und hoffe, dass sie auch von anderen Religionen aus zugänglich ist. Die damit angedeutete Hermeneutik für einen interreligiösen Dialog fußt auf der
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Der Wechsel der Blickrichtung liegt in dem Umstand, dass die Schwäche der Religion zunächst nur unter dem Aspekt ihres phänomenalen Inerscheinungtretens als eine Form menschlicher Gestaltung betrachtet wurde, während die Stärke eben dieser Schwäche dadurch sichtbar wurde, dass sich die Form der Religion auf einen bestimmten Inhalt – ein Bekenntnis bzw. ,Credo‘ im weitesten Sinn des Wortes – bezieht. Damit wurde zunächst schlicht dem Faktum Rechnung getragen, dass Religionen erklärtermaßen nicht als Ausdruck menschlicher Selbstverantwortlichkeit verstanden werden wollen, sondern erst in der Wahrnehmung ihrer Verantwortlichkeit gegenüber dem Inhalt ihres Glaubens in eine ihnen entsprechende Perspektive geraten. Es wurde davon ausgegangen, dass es zum Wesen einer durch Glauben bekannten Wahrheit gehört, niemals vollkommen vom Menschen zur Darstellung gebracht werden zu können, so sehr sich auch sein Handeln immer wieder auf diese Wahrheit beziehen mag. Die Argumentation bemüht sich, die allgemeine Ebene der Betrachtung der Religionen mit den aus christlicher Sicht unterstellten theologischen Bedürfnissen der Religionen in einen konstruktiven Kontakt zu bringen, um solche Rahmenbedingungen für ein sinnvolles interreligiöses Gespräch in den Blick bekommen zu können, die einerseits ohne jede Gleichmacherei oder gar Vereinnahmung den Wahrheitsanspruch unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse respektieren können, ohne gleichzeitig mit behaupteten Machtansprüchen von Religionen konfrontiert zu werden. Die schlichte Identifikation von Religion und Wahrheit führt unweigerlich zur Hybris des Absolutheitsanspruchs einer Religion. Der Umgang mit der Wahrheit ist zu sensibler Bescheidenheit angehalten, denn sie lässt sich weder besitzen noch lässt sich über sie verfügen, weil Wahrheit nichts ist, was es gibt und sich aufzeigen ließe. Sie gehört grundsätzlich nicht zu den zwischenmenschlich in Anschlag zu bringenden Möglichkeiten. Das gilt ausdrücklich auch für die Theologie, die ich eingangs bereits in den Horizont der Religion gestellt hatte; – sie ist eben ausdrücklich nicht als Wahrheitswissenschaft anzusehen.21 Wahrheit kann sich dem Menschen nur erschließen, sie kann ihm nur geoffenbart werden, was aber gerade nicht heißt, dass sie ihm damit gleichsam in die Hand gegeben wird. Offenbarung lüftet ja nicht irgendein Geheimnis, das dann als gelöst gelten kann, sondern etabliert ein Geheimnis, das zwar eine große Erklärungskraft entwickeln mag, aber in seinem eigenen Wesen so unnahbar bleibt wie der brennende Dornbusch. Es gehört zum Wesen der Religionen, dass sie die Wahrheit ausdrücklich dem Menschen entziehen und in die Transzendenz verlegen. Sie ist gerade nicht der Ermächtigungshorizont, in dem der Mensch die von der Vernunft gesetzten Grenzen freimütig überschreiten könnte, um sich nun auch noch überUnterstellung, dass es für die jeweiligen Besonderheiten der verschiedenen Religionen Anschlussstellen im Allgemeinen gibt, die zumindest dafür tauglich sind, sich gegenseitig die spezifischen Grenzen plausibel machen zu können. 21 Vgl. u. a. Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 179.
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menschliche Taten auf irgendeine Weise gutschreiben lassen zu können. Religiöser Wahrheitsbesitz kann nur durch Respektlosigkeit gegenüber dem die Religion begründenden ›Credo‹ in Anspruch genommen werden. Die Kraft der Religion wohnt nach Barth ausdrücklich „nur in der Schwachheit“ (I/2, 364). Menschliche Ermächtigungen im Namen von Religion gehören wohl in beinahe allen Religionen auf die Seite ihres Missbrauchs. Vielmehr unterstelle ich allen Religionen, dass sie nicht zuletzt eine zentrale Bestimmung darin haben, den Menschen vor dem Menschen zu schützen. Diese gut begründete Scheu vor dem Griff in den brennenden Dornbusch steht durchaus nicht im Widerspruch zu einer oder der Gewissheit des Glaubens. Aber die Gewissheit des Glaubens wird entschieden daran erinnert, dass sie eben eine Gewissheit des Glaubens und keine Ermächtigung zu religiöser Herrschaft ist. Der Kontakt zur Wahrheit bleibt durch eine das Leben der Religion charakterisierende Spannung geprägt: Auf der einen Seite steht die Anerkennung des Glaubens und auf der anderen Seite das Wissen um die Unvollkommenheit der Entsprechung des Lebens zu eben diesem Glauben. Das ist die Spannung, in der sich Religion gestaltet, wenn sie tatsächlich etwas zu bekennen hat und nicht nur sich selbst bekennt. Die Anerkennung Gottes impliziert die Selbstunterscheidung von Gott und damit die Anerkennung der eigenen Begrenztheit. Pointiert ließe sich sagen, dass die Wahrheitsfähigkeit des Glaubens sich in der Anerkennung der Unvollkommenheit der Religion und somit in einer Selbstrelativierung im Gegenüber zum Gegenstand des Glaubens zeigt. In diesem Sinne gehört die Relativität der Religion unmittelbar zur Wahrheit des Glaubens dazu. „Keine Religion ist wahr“, betont Barth (I/2, 356) und unterstreicht damit, dass es wahre Religion nicht geben kann. Genau darum geht es, wenn er hervorhebt, dass die wahre Religion ebenso wenig sichtbar und greifbar wird, wie der gerechtfertigte Sünder (I/2, 357). Der sündige Mensch ist darin gerechtfertigt, dass er ganz von der Gnade Gottes und eben ganz und gar nicht aus dem Vertrauen auf die eigene Stärke lebt. Das gilt auch von der Religion. Wer Barths Rede von der wahren Religion mit der Diskussion um die Absolutheit des Christentums in Zusammenhang bringt, verkennt ihr rechtfertigungstheologisches Motiv. Wenn im theologischen Sinne etwas gerechtfertigt wird, bekommt es gerade nicht Recht, sondern ihm wird Recht zugesprochen, es wird gerecht gemacht. Das ist eine fundamentale Einsicht, ohne die alles auf eine schiefe Ebene gerät. So wie der Sünder in seiner Rechtfertigung nicht Recht bekommt, so auch nicht die Religion. Es ist vielmehr Gott, der hier Recht bekommt – das ist es, was der Glaube anerkennt und woraus die Religion ihre Wahrhaftigkeit zu ziehen vermag. „Nicht Menschen bekommen da recht gegen andere Menschen, nicht ein Teil der Menschheit gegen andere Teile derselben Menschheit, sondern Gott gegen und für alle Menschen, die ganze Menschheit.“ (I/2, 392) Da kann es nichts geben, womit man sich selbst empfehlen könnte, und so verbietet sich auch jede Selbstempfehlung des Christentums etwa im Vergleich mit anderen Religionen. Nach dem Urteil Barths steht das
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Christentum mit der Radikalität seines Rechtfertigungsglaubens wehrloser da „als irgendeine andere Religion“ (I/2, 391). Umgekehrt erübrigte sich jede Frage nach der Angemessenheit christlichen Lebens, wenn sich zwischen seiner Gestalt und dem Bekenntnis des Glaubens nur ein negatives Verhältnis beschreiben ließe. Alles semper reformanda wäre nur der unermüdliche Fatalismus eines Sisyphos, den Albert Camus nur deshalb für einen glücklichen Menschen hält, weil er das Absurde als Wirklichkeit begreift. Keine Religion kann ohne die Hoffnung leben, dass Gott sie schließlich gnädig ansehen und somit rechtfertigen wird. Sie wäre kaum in der Lage, sich langfristig zu behaupten, wenn sie nicht davon überzeugt sein dürfte, dass sie mit dazu beiträgt, die Erkenntnis der von ihr bekannten Wahrheit zu befördern, indem sie diese bezeugt und durch ihr Leben so gut wie irgend möglich zu bestätigen versucht oder – mit Barths Akzent formuliert – der Wahrheit so wenig wie möglich im Wege steht. Von dieser Weisheit entfernt sie sich jedoch sofort, wenn sie den Anschein erweckt, sie selbst sei bereits die Wahrheit. Wenn Barth das Motiv der die Religion betreffenden Gnade im rechtfertigungstheologischen Sinne ganz auf die Seite Gottes stellt, so bedeutet das für das Christentum, dass es sich in all seinen redlichen Anstrengungen und Selbstgestaltungen ganz und gar in die Solidarität mit dem sündigen Menschen zu begeben hat. Nirgends anders als hier kann es sich so entschieden auf die Verheißung Gottes verlassen, wie es das Bekenntnis zum Versöhnungshandeln Gottes ausspricht. Nur in dem Eingeständnis der eigenen Schwäche kann die christliche Religion auf die Verheißung setzen, eine gerechtfertigte Religion zu sein bzw. als Religion gerechtfertigt zu werden. Wenn Barth unterstreicht, dass die Rede von der wahren Religion ein Glaubenssatz sei (vgl. I/2, 357), so wäre auch dies noch missverstanden, wenn dieser Glaubenssatz die christliche Religion zum Gegenstand hätte. Vielmehr reflektiert Barth die Reichweite der Offenbarung, die – so wie sie den Sünder von außen rechtfertigt – eben auch die Religion von außen rechtfertigt; in diesem Sinne kann „Offenbarung […] Religion annehmen und auszeichnen als wahre Religion“ (I/2, 357). Höher können die Bedingungen zur Bewahrheitung einer Religion nicht gesetzt werden. Stellt man also in Rechnung, dass keine Religion einfach auf eine Verhältnisbestimmung zur Wahrheit wird verzichten können, wenn sie sich nicht schon selbst gleichgültig geworden ist, so wird man zumindest im Blick auf Barth sagen müssen, dass die christliche Religion sich keineswegs dazu aufgefordert fühlen soll, hier in besonderer Weise auf die ersten Plätze zu drängen – ganz im Gegenteil (vgl. I/2, 369 f). Die Stärke dieser Schwäche liegt darin, dass sie die Religion ganz in den Dienst der Humanität des seine Begrenztheit anerkennenden Menschen stellt und um dieses Dienstes willen auch das Gespräch mit anderen Religionen sucht. Die Schwäche dieser Stärke besteht darin, dass sie nur hoffen kann, dass auch für die anderen Religionen eben dieser Dienst Grund genug ist, um sich auf einen Dialog mit dem Christentum einzulassen.
Teil 4 Kritische Zeitgenossenschaft
13. Karl Barths politische und ökumenische Zeitgenossenschaft Ausgewählte Aspekte der Barthrezeption1 Bevor in den Kapiteln 14 und 15 die konkrete Zeitgenossenschaft Barths inhaltlich thematisiert wird, soll zur Hinführung ein kurzer Blick auf die diesbezügliche Barthrezeption und Barthforschung geworfen werden. Barths theologische Existenz war gekennzeichnet von einer prinzipiellen Distanz gegenüber der jeweiligen öffentlichen Meinung und einer Freiheit auch zu entschiedenen und nicht selten provozierenden Positionierungen, zu denen er sich immer wieder stellvertretend für die zeitgenössische Kirche gedrängt sah und von denen er hoffte, dass die von Gott in Freiheit gestellte Kirche die jeweilige Herausforderung an dem Gefälle seiner Theologie messen möge, um sie dann auch ebenso wie diese ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die viel zitierte Zusammengehörigkeit von Bibel und Zeitung signalisiert Barths stets teilnehmendes Gegenwartsbewusstsein, das ihn einen engagierten Begleiter nicht nur der kirchlichen Wirklichkeit einschließlich der Ökumene, sondern auch der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bleiben ließ. Seine klaren und häufig auch herausfordernden Positionierungen sind höchst unterschiedlich aufgenommen und bewertet worden. Ohne eine angemessene Berücksichtigung der kontextuellen Dimensionen seiner Theologie bleibt die Wahrnehmung des Wirkens und der Wirkungsgeschichte Barths defizitär. Wenn im Blick auf die Theologie die Kontextualität zur Debatte gestellt wird, lassen sich grundsätzlich drei Perspektiven voneinander unterscheiden. Die erste Perspektive bringt schlicht zu Bewusstsein, dass jede Theologie unter konkreten geschichtlichen Umständen betrieben wird und somit darauf verwiesen ist, sich in der Sprache und im Verständigungshorizont ihrer Zeit zu bewegen. In dieser Perspektive bezeichnet die Kontextualität der Theologie kein ausdrückliches Motiv der Theologie, sondern einen gegebenen Umstand, der für ihre rechte Wahrnehmung zu beachten bleibt. In diesem Sinne ist jede Theologie kontextuell, was von ihrer Wahrnehmung auch im Bewusstsein gehalten werden sollte. In der zweiten Perspektive erscheint der Kontext als ausdrücklicher Ge1 Dieser bisher unveröffentlichte Beitrag wurde verfasst im Zusammenhang mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Symposion „Die internationale KarlBarth-Forschung. Schwerpunkte und systematische Perspektiven“, das unter der Regie von Günter Thomas und Michael Welker vom 27. bis 30. Okt. 2005 im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg stattgefunden hat.
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sprächspartner der Theologie, im Blick auf den die Theologie ihre spezifische Verantwortung in ihrer jeweiligen kritischen Rechenschaftsablage wahrnimmt. So grundlegend sich die Theologie auch an ihre spezifische Aufgabe und das ihrer Zeit immer schon voraus laufende Fundament in Schrift und Bekenntnis gewiesen weiß, so entschieden ist sie auf begründete und mobilisierende Positionierungen ausgerichtet, mit denen sie versucht, ihren Kontext auch konkret zu erreichen, so wie sie auch umgekehrt nicht von diesem Kontext absehen kann, wenn sie auf das biblische Zeugnis zu hören und sich mit der theologischen Tradition auseinanderzusetzen versucht. In diesem Sinne ist Barth entschieden Kontexttheologe, wobei sein Kontext vornehmlich in der verfassten Kirche und der zeitgenössischen Theologie bestand, die er allerdings unablässig über sich selbst hinaus auch mit ihrer gesellschaftlichen und ökumenischen Verantwortung konfrontierte. In der dritten Perspektive der Wahrnehmung der Kontextualität generiert die Theologie nun ausdrücklich ihre theologische Agenda aus den spezifischen Bedrängnissen eines konkreten Kontextes mit der Maßgabe der Initiierung einer theologisch orientierten Praxis, die auf die Überwindung der ausgemachten gesellschaftlichen Not ausgerichtet ist. Dieser Perspektive sind die sich ausdrücklich als Kontexttheologien verstehenden Konzepte verpflichtet, die unter dem Begriff der Befreiungstheologie zusammengefasst werden können. Ihr gegenüber erweist sich die Theologie Barths weniger aus ethischen oder politischen als vielmehr aus theologischen Gründen als skeptisch, weil sie beinahe zwangsläufig dahin tendiert, den Kontext zu dem eigentlichen Interesse und Regisseur der Theologie zu erheben, und sich damit unweigerlich früher oder später in irgendeiner Weise für die eigene Effektivität funktionalisiert. Der Kontext kommt für Barth nicht als Grundlage und Ausgangspunkt, sondern als Wahrnehmungshorizont, Adressat und Bewährungsraum in den Blick, ohne dabei auf eine ganz bestimmte Fragestellung oder Handlungsrichtung fixiert zu sein. So ist es nicht überraschend, wenn es in der Rezeption auch unterschiedliche Felder gibt, auf denen die konkrete Zeitgenossenschaft Barths in besonderer Weise registriert wird. Zunächst soll der Bereich der politischen, gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Zeitgenossenschaft mit seinen verschiedenen Aspekten in den Blick kommen. Der zweite Abschnitt über die ökumenische Zeitgenossenschaft geht dann von Barths Impulsen zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Israel aus. Infolge eines überlieferten Diktums Barths während seines späten Besuches im Vatikan (1966), nach dem die „Beziehungen zum Judentum“ die „eine tatsächlich große ökumenische Frage“ sei,2 soll diese Dimension der Theologie Barths in den Horizont seiner ökumenischen Zeitgenossenschaft gestellt werden, wodurch die Möglichkeit eröffnet wird, auch ein paar Bemerkungen zu seiner Bedeutung für die übrige Ökumene und schließlich auch für die von 2 Freiburger Rundbrief, Folge XXVIII (1976), 27.
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ihr heute aufgenommene Debatte um eine Theologie der Religionen anzuhängen. Die folgende Vergegenwärtigung erstrebt keine Vollständigkeit, sondern skizziert einen überblickshaften Prospekt.
13.1 Barth als Zeitgenosse Eine klare Grenze lässt sich nicht ziehen, aber die Unterschiede sind leicht nachvollziehbar. Es ging um keine Wertung, wenn Karl Barth zwischen regulärer und irregulärer Dogmatik unterschied (vgl. KD I/1, 292 – 295), sondern um die Unterscheidung von impliziter und expliziter Kontextualität der Theologie. In keinem Fall sollte die Theologie versuchen, sich über ihren Kontext zu erheben, zumal solchen Versuchen nur höchst begrenzte Aussicht auf Erfolg eingeräumt werden kann. Weder darf der Kontext zum bestimmenden Text der Theologie werden, noch wird sie ihrer Aufgabe tatsächlich gerecht werden können, wenn sie in der Explikation ihrer Fragen und Lehren nicht auch auf die Resonanzen achtet, die von ihr unter den jeweiligen Bedingungen aktiviert werden. Sie sollte gar nicht erst versuchen, den zum Scheitern verurteilten Weg zu betreten, auf dem sie meint, als ein neutraler Akteur durch die Geschichte gehen zu können. Doch dies bedeutet nicht, dass es darum geht, den Kontext zu theologisieren. Hier unterscheidet sich Barth entschieden von manchen befreiungstheologischen Konzepten, die auf eine ganz bestimmte gesellschaftliche Herausforderung reagieren wie etwa die Schwarze Theologie, die Gott-ist-totTheologie oder die Feministische Theologie. Ihm lag vielmehr essenziell daran, das Hören auf das Wort Gottes sowie die aus diesem Hören zu bedenkende Antwort nicht in eine religiöse Parallelwelt zu verweisen, sondern in dem Horizont der jeweils konkreten Bedingungen zu vollziehen, denen unser Leben in existenzieller Weise ausgesetzt ist. Das Licht des Evangeliums erleuchtet nicht den Himmel, sondern versetzt unsere jeweils vorfindlichen Lebensumstände in ein besonderes Licht – indem es uns selbst und unsere Existenz coram deo erschließt, erhellt es auch unseren Kontext und ermutigt dann auch dazu, eben in ihm entsprechend zu agieren. Die unterschiedliche Art und Weise, sich auf die konkreten Zeitumstände einzulassen – wirklich entziehen kann sich ihnen niemand –, kann als ein Hauptgrund für die auseinander laufende Vielfalt theologischer Ansätze und Perspektiven angesehen werden. Aber auch innerhalb einer theologischen Perspektive kann es eine unterschiedliche Kommunikation mit dem Kontext geben, wie durch die erwähnte Unterscheidung Barths von regulärer und irregulärer Theologie angezeigt werden soll. Für Barth selbst hat das geheißen, dass die Theologie auf der einen Seite in wacher Zeitgenossenschaft ihre Auseinandersetzung mit ihrem Kontext vor allem im biblisch fundierten Gespräch mit der überkommenen und der auf die Gegenwart einwirkenden theologischen Lehrtradition vollzieht, während sie
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sich auf der anderen Seite auch ausdrücklich auf konkrete gesellschaftliche und politische Herausforderungen beziehen kann, um sich direkt und öffentlich zu positionieren. Bekanntlich hat Barth stets beide Varianten einschlägig wahrgenommen. Dabei gibt es auch Zeiten, in denen die durchgängige Bevorzugung regulärer Theologie so sehr in die Nähe der irregulären Theologie gerät, dass die Grenzen zwischen beiden Formen zu verschwimmen drohen. Barth verstand 1933 seinen leidenschaftlichen Appell „zur Sache“ der Theologie ausdrücklich als sein Wort „zur Lage“3 und legitimiert damit eine Verstehensweise auch seiner regulären Theologie als zumindest indirekten Beitrag zur jeweiligen zeitgeschichtlichen Lage.4 Zudem bleibt im Blick zu halten, dass es unstrittig eine politische und ethische Empörung über den geflissentlichen Beifall von Theologie und Kirche zur Politik Kaiser Wilhelm II beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs war, die Barths fundamentalen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Theologie seiner Zeit insgesamt nährte und dann zu einer Neuentdeckung der biblisch bezeugten Wirklichkeit Gottes führte.5 Allein auf dem Hintergrund dieser beiden die Theologie substanziell affizierenden Konflikte, die sich durch weitere unschwer ergänzen ließen, wird es plausibel, dass sowohl in der Barthrezeption als auch in der Barthforschung die Theologie Barths immer auch in einer – im weiteren Sinne – politischen Perspektive verstanden wurde. Dabei lassen sich drei Fokussierungen voneinander unterscheiden. 1.1 Zunächst wurden Barths pragmatischer Sympathie zum Sozialismus und seiner gleichzeitigen fundamentalen Skepsis gegenüber dem religiösen Sozialismus am meisten Aufmerksamkeit geschenkt. Das, was nach dem Zweiten Weltkrieg in Teilen der kirchlichen Bruderschaften und in der öffentlichen Positionierung von Theologen wie Hans Joachim Iwand, Helmut Gollwitzer und Walter Kreck als Barthrezeption wirksam wurde,6 bekam spätestens zu Beginn der 70er Jahre mit der seinerzeit umstrittenen Habilitationsschrift von Friedrich-Wilhelm Marquardt „Theologie und Sozialismus“7 Barth als politischer Theologe auch einen festen Platz unter den Themen der Barthforschung, wie es durch eine Reihe teilweise auch bereits vorher publizierter Arbeiten8 und Editionen9 belegt wird. Charakteristisch ist die 3 Theologische Existenz heute! (Beiheft Nr. 2 v. ZZ), München 1933, 3; vgl. dazu u. Kap. 15. 4 Dies behält eine unübersehbare Gültigkeit quer durch alle Bände der Kirchlichen Dogmatik einschließlich des Nachlasses, was bisher nur wenig erforscht worden ist. In vielen seiner zahlreichen Arbeiten zu Barth hat Eberhard Busch auf diesen Zusammenhang hingewiesen. 5 Vgl. dazu Schellong, Theologie nach 1914. 6 Aufs Ganze gesehen sollte allerdings der Einfluss der Theologie Barths in der Nachkriegszeit nicht überschätzt werden, wie es immer wieder geschieht. 7 3. Aufl. 1985 mit einem ausführlichen Rückblick auf die Auseinandersetzungen. 8 Schellong, Zur politischen Predigt; Casalis, Karl Barth; Dantine/Lìthi (Hg.), Theologie zwischen gestern und morgen; Cornu, Karl Barth und die Politik; Gegenheimer, (Hg.), Portrait eines Theologen; Kupisch, Karl Barth in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten; Prolingheuer, Der Fall Karl Barth; Winzeler, Widerstehende Theologie; Jehle, Lieber unangenehm laut als angenehm leise.
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herausfordernde Betonung eines unauflöslichen Zusammenhangs von Barths theologischen Einsichten zu seinen gesellschaftspolitischen Optionen und Stellungnahmen und damit verbunden die These, dass Barth solange missverstanden werde, wie nicht auch seine ethischen Konkretionen mit in den Blick genommen werden. Die Akzeptanz dieses Zusammenhangs war bereits im Blick auf die Radikalität, in der Barth eine prinzipielle Ablehnung des Nationalsozialismus forderte und unter Berufung auf die Auferstehung Jesu Christi auch zum bewaffneten Widerstand aufrief,10 keineswegs einhellig. Ganz im Gegenteil kam es zu einer verbreiteten Distanzierung gegenüber Barth. Es war vor allem Barths Einspruch gegen die so genannte natürliche Theologie, der weithin unverstanden verhallte. Vergleichbar umstritten waren dann in der Nachkriegszeit Barths entschiedene Positionierungen gegen das eilfertige Anfachen des kalten Krieges als dem ideologischen Kampfmittel zu einer polarisierenden Westintegration. Der politische Barth wurde von seiner Theologie unterschieden; die Konsequenzen, die Barth selbst zog, galten bei seinen Kritikern als kontingent und unzuständig, so dass es weiterhin gesichert war, sich theologisch auf Barth berufen zu können, ohne den ethischen Implikaten seiner Dogmatik besondere Aufmerksamkeit schenken zu müssen. Gegen diese sich durchsetzende Konvention im Umgang mit Barth wandten sich die Arbeiten, die nun aufzuzeigen versuchten, dass sich die politischen und ethischen Positionierungen Barths nicht einfach als übergehbare Privatmeinungen oder kontingente Konklusionen relativieren lassen, sondern zumindest in dem Sinne als essenzieller Bestandteil seiner dogmatischen Zuspitzungen zu verstehen seien, dass sie unter Berücksichtigung der von Barth jeweils benannten Gründe auf die bis in die Konkretion gehende ethische Reichweite dogmatischer Einsichten aufmerksam machen.11 Auch in der englischsprachigen Forschung kommt dieser Aspekt in den Blick.12 Das ist eine vergleichsweise schmale aber durchaus verstetigte Interpretationslinie, die nach wie vor – auch gegen den allgemeinen Trend – etwa in der Zeitschrift für Dialektische Theologie gelegentlich ihre Spuren hinterlässt. Was die Barthrezeption anlangt, so kann weder einfach eine Wiederholung der Positionen Barths in Frage kommen, noch kann auch nur erwartet werden, ihm in all seinen Zuspitzungen Recht zu geben. Allerdings signalisiert der heute weithin zu beobachtende Verlust der unmittelbar mit der Dogmatik verbundenen ethischen Dimension gewiss auch ein ernsthaftes Problem.13 1.2 Es hängt insbesondere mit dieser Interpretationsperspektive zusam9 Barth, „Der Götze wackelt“; Ders., Gottes Freiheit für den Menschen; Barth, Klärung – Wirkung – Aufbruch. 10 Vgl. o. die Belege in Kap. 5. 11 Vgl. dazu auch Klappert, Versöhnung und Befreiung. 12 Vgl. u. a. die Gorringe, Karl Barth; Green, Freedom for Humanity ; Hunsinger, Disruptive Grace; Ders. (Hg.), Karl Barth and Radical Politics. 13 Ganz anders dagegen die gewiss eigenwillige und eklektische Barthrezeption bei Stanley Hauerwas.
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men, dass Barth zu den wenigen europäischen Theologen zählt, die auch einen begrenzten Einfluss auf verschiedene Zweige der Befreiungstheologie gehabt haben, insbesondere die südamerikanische Theologie der Befreiung, aber auch auf die so genannte Schwarze Theologie. Das gilt sowohl in die Richtung befreiungstheologischer Ansätze14 als auch umgekehrt im Blick auf eine Relektüre Barths aus der Perspektive der Befreiungstheologie15, auch wenn das Ausmaß nur als bescheiden anzusehen ist. Es ist die Theologie, die den Blick auf die konkreten Lebensumstände ernüchtert und damit gleichsam das Wirklichkeitsbewusstsein entmythologisiert und entideologisiert. Nach Barth ist es gerade die Theologie, die im Raum der Kirche der ,Welt‘ gegen ihre Selbstverklärungsneigungen zu einer recht verstandenen Weltlichkeit verhelfen sollte.16 Auf diese Weise wird eine rationale Analyse der Lebensverhältnisse ermöglicht, deren Sachlichkeit sich an der Menschlichkeit Gottes bemisst und eben nicht an den unterstellten wirtschaftlichen Sachzwängen oder ideologisch verklärten Machtinteressen. Es scheint mir insbesondere der den Konflikt nicht scheuende bekennende Charakter der Theologie Karl Barths zu sein, der seine Theologie gerade dort interessant macht, wo sich die Theologie dazu herausgefordert sieht, sich öffentlich auch politisch zu positionieren. Die Bedeutung Barths für die theologische Auseinandersetzung mit dem seinerseits theologisch unterlegten Apartheitsregime in Südafrika wurzelt nicht zuletzt in dem Wissen um Barths Rolle insbesondere im Kirchenkampf.17 In diesem Bereich ist die Barthrezeption noch nicht in entsprechender Weise von der Barthforschung eingeholt worden. 1.3 Weithin still geworden ist es um eine dritte Dimension kontextueller Wahrnehmung Barths, diesmal weniger in der Rezeption als vielmehr in der Forschung. Man könnte es als eine den Befreiungstheologien vorausgehende europäische Variante der Befreiungstheologie ansehen, aber die Tatsache, dass es sich mehr um eine analytische als um eine programmatische Wahrnehmungsweise handelt, steht einer solchen Etikettierung entgegen. Es geht um die Erfassung Barths als Denker und Theologen der Neuzeit und zwar einerseits schlicht um die Vergegenwärtigung der zutiefst neuzeitlichen Prägung Barths und der durch sie orientierten Entscheidungen18 und zum anderen um das kritische Potential das Barth aus seiner (theologischen) Selbstverortung in der Neuzeit bezieht. Heute gehört die Rede von der Dialektik der Aufklärung zu den Argumenten, mit denen die Theologie ihre Verankerung an der Uni-
14 Vgl. u. a. Eicher, Gottes Wahl: Unsere Freiheit; de Gruchy/Villa-Vivencio (Hg.), Wenn wir wie Brüder beieinander wohnten …; Villa-Vivencio (Hg.), On Reading Karl Barth in South Africa. 15 Vgl. Plonz, Die herrenlosen Gewalten. 16 Vgl. o. Kap. 8. 17 Sowohl das Kairos-Dokument (1985) als auch das Belhar Bekenntnis (1986) sind erkennbar von der Theologie des Barmer Bekenntnisses beeinflusst. 18 Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie.
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versität verteidigt19 – und es ist gewiss nicht das schlechteste. Wenn Barth sich insbesondere seit 1914 kritisch mit dem Liberalismus des Kulturprotestantismus auseinandersetzte, standen für ihn die fundamentalen Dogmen des neuzeitlichen Selbstbewusstseins zur Debatte. Nicht die Aufklärung der Aufklärung ist sein Thema, sondern die ideologische Gefangenschaft der Neuzeit und der von ihr durchdrungenen Theologie in einer vor allem sich selbst pflegenden und somit zwangsläufig nach außen aggressiven Bürgerlichkeit.20 Es war vor allem Dieter Schellong, der aufzuzeigen versucht hat, dass es Barth um die folgenreiche grundlegende Aufkündigung der als beinahe vollständig eingeschätzten Absorption der Theologie von einer neuzeitlichen Bürgerlichkeit ging, die ihrem Biss auch die letzten Zähne noch gezogen hat.21 Die Theologie wird in ihrem sozialgeschichtlichen Zusammenhang aufgespürt, um die Koalitionen und Abgrenzungen sichtbar werden zu lassen, mit denen sie sich in der Neuzeit dem sich gegen sie erhebenden Überdruss gestellt bzw. – genauer genommen – entzogen hat. In diesem Zusammenhang spielt die mit dem ins Zentrum gestellten Religionsbegriff verbundene Verharmlosungstendenz eine bedeutende Rolle.22 In dem Moment, in dem die Theologie versucht, aus dieser geflissentlichen Assimilation an den ideologischen Mainstream heraus zu treten, sieht sie sich schnell in eine Einsamkeit versetzt, von der Schellong Barths Theologie vor allem geprägt sieht.23 Es ist die Radikalität, in der Barth konsequent von dem allein im biblischen Zeugnis auffindbaren besonderen Gegenstand – „der Sache“ – der Theologie auszugehen bemüht bleibt, die ihn in eine grundsätzliche Bedürftigkeit versetzt, der weder die Theologie24 noch die Kirche25 jemals entkommen können, wenn sie der von ihnen niemals verfügbaren Wahrheit und Wirklichkeit auf der Spur bleiben wollen. Gegen die Barth immer wieder unterstellte Vollmundigkeit, in der er seinen objektivistischen theologischen Positivismus vortrage, wird entschieden die Verwiesenheit des Zeugen auf die Selbstbewahrheitung Gottes in der Theologie Barths in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.26 Auf diese Weise wird ihr zwar nicht die Möglichkeit entzogen, von dem spezifischen Charakter des Triumphes Gottes zu sprechen, aber ohne je dabei selbst triumphalistische Attitüde annehmen zu können und zu dürfen, weil sie sich als menschliche Anstrengung prinzipiell übernehmen würde, wollte sie sich anmaßen, die Wirklichkeit Gottes in diese Welt vermitteln oder gar in ihr re19 Vgl. Markschies, Evangelische Theologie an der Universität, 104. 20 So ausdrücklich Schellong, Von der bürgerlichen Gefangenschaft des kirchlichen Bewußtseins. 21 Vgl. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit; Ders., Bürgertum und christliche Religion. 22 Vgl. o. Kap. 11.3.3. 23 Vgl. Schellong, Barth lesen. 24 Vgl. Barth, Das Wort als Aufgabe der Theologie. 25 Vgl. Barth, Die Not der evangelischen Kirche. 26 Vgl. dazu jetzt auch Siller, Kirche für die Welt.
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präsentieren zu wollen. Es ist diese theologische Besitzlosigkeit, die Barth dem unablässig auf die eigene Selbststeigerung ausgerichteten Besitzbürgertum und seinem Religionsbesitz gegenüberstellt. Dem in dieser Perspektive ausgemachten kontextuellen Stachel der Theologie Barths scheint heute sowohl in der Rezeption als auch in der Forschung die Spitze weithin abgeknickt zu sein.
13.2 Ökumenische Zeitgenossenschaft Als ebenso konstruktiver wie auch kritischer Beobachter hat Barth den ökumenischen Aufbruch im 20. Jahrhundert auf seinen unterschiedlichen Ebenen nicht nur aus der Ferne kommentiert, sondern ihn auch aktiv begleitet, auch wenn ihm nicht erst heute in dieser Hinsicht vor allem Skepsis entgegenschlägt. Weitaus markanter bleibt seine Einbeziehung des Verhältnisses zum Judentum in den Horizont der Ökumene, womit in der Darstellung begonnen werden soll. 2.1 Das jüdisch-christliche Gespräch nach dem Zweiten Weltkrieg kam gerade erst in Gang als Friedrich-Wilhelm Marquardt seine Dissertation über Barths Israeltheologie vorlegte.27 Später folgten die aus einem Vortrag auf dem Leuenberg28 hervorgegangene Studie von Bertold Klappert29 und wieder mit etwa gleichem zeitlichen Abstand die eingehende zeitgeschichtlich-theologische Rekonstruktion von Eberhard Busch,30 um nur die wichtigsten Arbeiten aufzuführen. Es sind vor allem zwei Punkte, die dann auch besonders für das jüdisch-christliche Gespräch bedeutungsvoll geworden sind, durch die sich die Theologie Barths fundamental von vielen anderen Konzeptionen unterscheidet. Zum einen hebt Barth die essenzielle theologische Verwiesenheit der Kirche auf den Gott Israels und somit auch auf die Geschichte dieses Gottes mit seinem Volk hervor. Dieser Akzent spiegelt sich dann auch in dem besonderen Umgang Barths mit dem Alten Testament wider.31 In aller Deutlichkeit stellt er die Kirche in den fortbestehenden Bund Gottes mit Israel hinein: „Nur um ihre Einbeziehung in den einen Bund kann es sich handeln“ (KD I/2, 115). Daraus resultiert der zweite Aspekt: Auch das Christus verneinende Israel bleibt in spezifischer Weise Zeuge des lebendigen Gottes. Diese folgenreiche Aussage gehört heute in den Grundbestand der Israeltheologie aller deutschen Landeskirchen.32 Dass Barth diese Zeugenschaft auf das Kreuz Jesu und somit das Gericht kon27 Marquardt, Die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie. Als Weiterführung versteht sich die in gleicher Zeit entstandene, aber erst 1983 erschienene Studie von Marquardt, Die Gegenwart des Auferstandenen bei seinem Volk Israel. 28 7. Karl Barth Tagung 1976: Israel und die Kirche: Erwählung und Sendung. 29 Klappert, Israel und die Kirche. 30 Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes. 31 Vgl. dazu Bchli,Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth. 32 Vgl dazu Weinrich, Jüdisch-christlicher Dialog.
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zentriert, kann nur so lange als eine Trübung dieser Anerkennung angesehen werden so lange nicht auch die schlechterdings hoffnungsvolle Dimension des Gerichtes ausreichend in den Blick gekommen ist. Es ist ja ausdrücklich nicht die Verworfenheit, die durch Israel weltgeschichtlich repräsentiert wird. Aber es ist dieser Aspekt, der neben der Würdigung Barths auch bald die Kritik hervorrief, dass er nicht konsequent genug zu einer theologischen Bestimmung der positiven Rolle des nachchristlichen Judentums durchgedrungen sei. Einerseits hat Busch versucht, in einer eigenen Rekonstruktion der Erwählungslehre Barths zu zeigen, dass sein Ansatz durchaus Raum für eine weitergehende positive Würdigung Israels biete,33 zum anderen hat Marquardt es unternommen, das von ihm bei Barth ausgemachte Defizit in einem eigenen dogmatischen Entwurf zu überwinden, in dem er auch immer wieder das Gespräch mit Barth aufnimmt und fortsetzt.34 Was Barths eigene Israellehre anlangt, steht noch eine letzte Klärung aus. Immerhin liegt mit der Monographie von Manuel Goldmann eine gründliche Untersuchung vor.35 Ebenso wäre m. E. die bundestheologische Konzeption der Dogmatik von Barth noch genauer zu untersuchen, weil sie noch manche Verlegenheit im jüdisch-christlichen Gespräch überwinden helfen könnte.36 2.2 Neben Iwand37 war es Barth, der auf die ökumenische Dimension des Verhältnisses Kirche und Israel hingewiesen und damit der Verbundenheit mit Israel eine ekklesiologische Bedeutung zugemessen hat. Dass Barth ausgerechnet in Rom kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das weithin als eine Ermutigung zu einem Neuaufbruch in der Ökumene gefeiert wurde, auf diese ökumenische Bedeutung Israels hinweist, verleiht ihr ein ganz besonderes Gewicht. Barth machte die Kirche auf die Kurzatmigkeit eines Ökumenebewusstseins aufmerksam, das vor allem von dem faktischen Verhältnis der Kirchen zueinander ausgeht und sich an diesem abzuarbeiten versucht, und lenkt die Aufmerksamkeit auf die einzig tragfähige Veranlassung zu einer grundlegenden Veränderung der gegenseitigen Wahrnehmung, nämlich auf die Selbigkeit des in unterschiedlicher Weise angerufenen Gottes. Nur solange diese Unterstellung gilt und im Bekenntnis der Kirchen im Zentrum steht, bleiben die ökumenischen Anstrengungen sinnvoll. Wird diese Bestimmung aber ernst genommen, so rückt auch Israel in den Wahrnehmungshorizont der Ökumene, 33 Vgl. bes. Busch, Die große Leidenschaft, 90 – 114. 34 Marquardt, Von Elend und Heimsuchung der Theologie; Ders., Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie; Ders., Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Eine Eschatologie; Ders., Eia, wärn wir da – eine theologische Utopie. 35 Goldmann, „Die große ökumenische Frage …“; vgl. auch Brandau, Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission. 36 Erste Sichtungen dieser Fragestellung finden sich bei Bertold Klappert – vgl. z. B. den ausdrücklich auf Barth hin konzipierten Beitrag: Klappert, Die Öffnung des Israelbundes für die Völker. Karl Barths Israeltheologie. 37 „Wir haben nicht gesehen, daß wir mit der Entwurzelung aus Israel unsere Ökumenizität als Kirche verlieren sollten und verloren hätten.“ In einem Brief vom 8. 6. 1959 an Josef L. Hromdka: Iwand, Theologie in der Zeit, 179.
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was weitreichende Konsequenzen mit sich bringt. Die Vision einer sichtbaren Einheit, die sich ohnehin bereits als Illusion erwiesen hat, verliert in diesem Horizont zwangsläufig ihren orientierenden Charakter und schafft Platz für Perspektiven, die nicht so leicht in die Versuchung geraten, durch ihr Zusammenrücken der Welt die Einheit Gottes demonstrieren zu wollen. Barth kehrt das Gefälle um und setzt auf die Evidenz der Erkenntnis, dass ein tatsächliches Ernstnehmen der Einzigkeit Gottes zwangsläufig nicht nur zu einem besseren Verhältnis unter den Kirchen, sondern eben auch zu Israel führen muss.38 Dass Barth genau diese Option auch vorher in seiner Begleitung der ökumenischen Aufbrüche im 20. Jahrhundert im Auge hatte, zeigen auch die Untersuchungen, die sich mit Barth ökumenischem Engagement befassen.39 2.3 Wenn am Schluss dieser Skizze der Blick noch auf Barths Umgang mit der Religion gelenkt werden soll, so steht dahinter die Einschätzung, dass sein Religionsverständnis entgegen den ständig wiederholten Abweisungen40 in besonderer Weise dazu in der Lage ist, die Herausforderungen produktiv aufzugreifen, denen sich die Ökumene mit den Stichworten „Dialog der Religionen“ oder noch dezidierter „Theologie der Religionen“ schon seit einiger Zeit zu stellen versucht.41 Die Fundamentalunterscheidung von Offenbarung und Religion, in der die Offenbarung in ihrem Ursprung auf die Seite Gottes gehört und die Religion in ihrem Ursprung auf die Seite des Menschen gehört, ermöglicht einen Umgang mit der Religion, in dem es weder immer gleich um Letztbegründungsfragen noch um Wahrheitsansprüche geht. Vielmehr eröffnet die Religionsproblematik die Möglichkeit, sich mit den menschlichen Vertretern eines bestimmten Glaubensbekenntnisses und den von ihnen veranstalteten Darstellungsformen ihres Glaubens in Ritus und Alltagsleben auseinanderzusetzen, ohne dabei die Substanz des jeweiligen Glaubens in Frage zu stellen. Die Offenbarung entzieht sich dabei der Kritik, aber ebenso auch ihrer Inbesitznahme und der Usurpation irgendwelcher geschichtlicher Absolutheitsansprüche, weil der Mensch grundsätzlich nicht über ihr steht, sondern eben unter der in ihr erkennbar werdenden Wahrheit und Wirklichkeit. Im Unterschied zur Offenbarung bleibt die Religion kritisierbar, zumal sie ihre Ambivalenz geschichtlich permanent unter Beweis stellt.42 Die Beschwernisse und Blockaden, welche die Reibungen unter den verschiedenen Religionen und eben auch zwischen den verschiedenen Konfessionen hervorrufen, sind vor allem auf ihre religiöse Natur hin zu betrachten. Zumindest lassen sich auf der 38 Vgl. dazu Weinrich, Ökumene am Ende, 149 ff. 39 Vgl. u. a. Baier, Unitas ex auditu; Visser’t Hooft, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung; Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung; Welker, Karl Barth; zu Barth Ökumeneoption vgl. auch Weinrich, Calvins Ökumeneverständnis, 91 – 99. 40 Diese Abweisungen war häufig verbunden mit der abstrusen Unterstellung, dass nach Barth das Christentum keine Religion sei; vgl. dazu o. die Belege, Kap. 11.2.3. 41 Vgl. dazu Dahling.Sander/Plasger, Hören und Bezeugen; Krçtke, Impulse für eine Theologie der Religionen. 42 Vgl. dazu o. Kap. 12.
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Ebene der ernüchterten Religion wohl alle Konflikte mit der nötigen Gelassenheit bearbeiten und auch lösen. Es kann nur fehlende Selbstdistanz und die folgenreiche Verwechslung von Glauben und Wahrheitsbesitz sein, durch welche die Gespräche eine Aufladung erfahren, die ihnen weder zukommt noch von ihnen tatsächlich kanalisiert werden kann. In diesem Licht können auch die älteren Untersuchungen, die zu Barths Religionsverständnis vorliegen,43 dazu beitragen, einen Verwendungszusammenhang von Barths Religionsverständnis erschließen zu helfen, für den es zunächst – zumindest nicht in erster Linie – konzipiert worden ist. Hier gibt es noch eine ökumenische Relevanz Barth zu entdecken, die auch für die gegenwärtigen Debatten in Kirche und Theologie von großer Bedeutung sein kann.
43 Nur beispielhaft seien genannt Lochman, Von der Religion zum Menschen; Krmer, Die Religionskritik Ludwig Feuerbachs und ihre Rezeption in der Theologie Karl Barths; Herlyn, Religion oder Gebet; Gruhn, Religionskritik als Aufgabe der Theologie; Krçtke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth; Kraus, Theologische Religionskritik; Themenschwerpunkt in: ZDT 11, 1995 Heft 22 mit Beiträgen von Dierken, Hummel u. Wenz u. ZDT 19, 2003 Heft 38 mit Beiträgen von Link, Weinrich (s. o. Kap 12), Hennecke u. Hailer.
14. Der Katze die Schelle umhängen Konflikte theologischer Zeitgenossenschaft: Anregungen aus der theologischen Biographie Karl Barths1 Theologie wird auf der Erde und für das irdische Leben betrieben. Sie ist eine durch und durch menschliche Wissenschaft und hat Anteil an den Höhen und Tiefen, Stärken und Schwächen des menschlichen Denkens und Trachtens. Sie nimmt Anteil an der jeweiligen Gegenwart und richtet sich auf die konkrete geschichtliche Situation aus. Insofern steht die Theologie mitten in den Auseinandersetzungen und Konflikten des Lebens und unterliegt auch allen Gefährdungen und Versuchungen, denen der sein Leben gestaltende Mensch ausgesetzt ist. Sie sucht nicht erst einen Brückenschlag zwischen einer an sich zeitlosen Wahrheit und den Besonderheiten der jeweiligen historischen Situation, sondern sie befindet sich immer schon – ob eingestanden oder uneingestanden – in ,Zeitgenossenschaft‘. Man kann auf dieser Erde nur leben, indem man sich zu ihr verhält, so unterschiedlich da auch die Möglichkeiten sein mögen. Es mag jetzt so klingen, als sei die Zeitgenossenschaft ein schicksalhaft hinzunehmendes Übel, mit dem man nur notgedrungen umzugehen habe, während es daneben noch einen reinen, gleichsam unberührbaren Ort zeitüberlegener Theologie gebe. Gegen dieses Missverständnis bleibt herauszustellen, dass es sich vielmehr umgekehrt verhält: Theologie gibt es nur im Horizont der Herausforderungen der Zeit. Theologie bleibt „Theologie für die Zeit“.2 Sie ist überhaupt nur bedeutungsvoll, weil das Evangelium unter den sich stets verändernden Zeitumständen angemessen bezeugt werden muss. Gott selbst ist „erschienen in der Zeit“3 und sucht den Menschen dort auf, wo er lebt. Diese ,Zeitgenossenschaft‘ des Evangeliums hält auch die Theologie durch die Zeiten hindurch in Bewegung. Zeitgenossenschaft gehört im ganz und gar bejahenden Sinne zu den Voraussetzungen der Theologie, was ja nicht ausschließt, dass es sich da um eine sehr kritische Begleitung der jeweiligen Zeit handelt; im Gegenteil: Erst in der Kritik erhält die Zeitgenossenschaft ihre besondere Kontur. Das Problem kann also nicht die Zulassung der Zeitgenossenschaft sein, 1 Zuerst erschienen in: Friedrich-Wilhelm Marquardt/Dieter Schellong/Michael Weinrich (Hg.), Karl Barth: Der Störenfried? (Einwürfe 3), München: Chr. Kaiser 1986, 140 – 214. 2 Mildenberger, Theologie für die Zeit. 3 Steiger, Erschienen in der Zeit.
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sondern ihre kritische Bestimmung. Eine ihre Zeitgenossenschaft ernst nehmende Theologie ist gerade nicht einfach die zeitgemäße Theologie, die sich am Maß des jeweiligen Zeitgeistes ausrichtet, um nun noch einmal das zu sagen, was ohnehin im Geist der Zeit liegt. Vielmehr fällt gerade dem Zeitgenossen die Rolle des ,Unzeitgemäßen‘ (Nietzsche) zu, mit der er sich nicht außerhalb seiner Zeit begibt, sondern sich zutiefst in die Zeit hineinstellt. Gerade in der Unzeitgemäßheit kann sich die besondere Verbindung des Zeitgenossen mit seiner Zeit zeigen. Für die theologische Zeitgenossenschaft ergeben sich nun die Fragen: Wo liegen die Grenzen nicht der Zeitgenossenschaft, sondern der Einwilligung in die jeweiligen Umstände und Tendenzen der aktuellen Geschichte? Welche Koalitionen darf die Theologie eingehen, wenn es denn stimmt, dass sie faktisch niemals ganz ohne Koalition mit realen historischen Strömungen oder Bewegungen existiert? Mit welchem Unterscheidungsvermögen bewegt sich die Theologie zwischen all den Dienstbarkeiten, mit denen die Zeit ihre Zeitgenossen zu belegen trachtet? Diese Fragen weisen auf Probleme, die im Blick auf die Zeitgenossenschaft der Theologie jeweils zu bedenken sind. Die Theologie kann keinen überlegenen Standpunkt beanspruchen, von dem aus ihren Urteilen ein besonderes Gewicht zugemessen werden könnte. Vielmehr wurzeln die aufgeworfenen Fragen gerade in der Erkenntnis, dass die Theologie als Angelegenheit des Menschen prinzipiell korrumpierbar bleibt, ganz gleich, ob und wie sie in ihre Zeitgenossenschaft einwilligt oder nicht. Deshalb ist es notwendig, sich die zahlreichen Koalitionsmöglichkeiten und Versuchungen für die Theologie vor Augen zu führen, um sie erst einmal unterscheidbar und dann auch kritisierbar zu machen. Absolute Lösungen stehen hier nicht zu erwarten, ist doch das Problem selbst ein prinzipiell relatives, so wie auch die Theologie eine relative Angelegenheit bleibt. Wenn nun im Zusammenhang mit der Frage nach einer kritischen theologischen Zeitgenossenschaft Karl Barth thematisiert wird, so tragen wir keine fremde Frage an ihn heran. Eher ist es umgekehrt, dass uns Karl Barth auf diese Frage gestoßen hat, so dass sich gerade an seiner Theologie aufzeigen lässt, wie weitreichend und im Grunde unabschließbar diese Frage als eine theologische Frage bedacht werden muss. Immer wieder hat er uns mit seiner Wendung „Bibel und Zeitung“4 auf den engen Zusammenhang von Theologie und Zeitgenossenschaft aufmerksam gemacht. Daher bietet Barth keine Patentlösung an, vielmehr dokumentiert seine Theologie, dass die Konflikte theologischer Zeitgenossenschaft immer wieder neu und anders aufbrechen. Es gibt keinen Generalschlüssel, der für alle Eventualitäten passt. Wohl aber gibt es Koalitionen, deren Wege bereits in Sackgassen führten, so dass wir uns 4 Bis in seine letzte Vorlesung hinein wird dieser Zusammenhang betont; vgl. Barth, Einführung in die evangelische Theologie, 88, 123, 154 f; vgl. dazu die Einleitungen von Eberhard Busch u. Eduard Thurneysen in: Barth/Thurneysen, Ein Briefwechsel aus der Frühzeit der dialektischen Theologie, 5 – 31.
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vor ihnen gewarnt sein lassen sollten. Ebenso zeigt Barth, dass man sich in der Suche nach einer angemessenen theologischen Zeitgenossenschaft auf einen Weg begeben muss, der nicht schnell und direkt auf einen gesicherten Standpunkt zielt. Immer neu bleibt danach zu fragen, was „heute, jetzt, hier erkannt und ausgesprochen sein will“, wie „heute zu den Menschen von heute geredet werden soll“, was „jetzt, jetzt auf allen Kanzeln gesagt werden sollte“.5 Theologie und Kirche reflektieren nicht auf ihre „Ewigkeitsgenossenschaft“, sondern bedenken ihre „Zeitgenossenschaft“.6 Die Frage nach einer bedachten Zeitgemäßheit der Theologie muss unsere Aufmerksamkeit auf den besonderen Gegenstand der Theologie lenken. Beide Fragen sind eng miteinander verwoben, ohne dass sich vorab eine eindeutige Rangordnung angeben ließe, zumal der Gegenstand der Theologie nicht zeitlos ist. Traditionell wurden die beiden Fragen entweder auf die beiden Disziplinen Dogmatik und Ethik verteilt oder in Gestalt einer natürlichen Theologie derartig miteinander vermischt, dass man Gott unmittelbar in den zeitgeschichtlichen Ereignissen am Werk glaubte. Barth problematisiert sowohl die abstandslose Vermischung von Gotteserkenntnis und menschlicher Geschichte als auch die abstandnehmende Trennung von Dogmatik und Ethik. Hier sind schon die Alternativen (Vernunft – Offenbarung, Offenbarung – Geschichte, Dogmatik – Ethik, Indikativ – Imperativ, Zuspruch – Anspruch, Glauben – Handeln, Theorie – Praxis) falsch, mit denen wir möglichst schnell klare Rangordnungen von wichtigen und unwichtigen, von unerlässlichen und weniger bedeutungsvollen Fragen festschreiben wollen. Jedenfalls lässt sich Barth mit solchen Zuordnungen nicht erfassen. Ich möchte nun an vier Stationen des Weges der Barthschen Theologie aufzeigen, in welcher Weise sich für Barth die Frage nach der konkreten Zeitgenossenschaft immer wieder neu gestellt hat und wie vielschichtig der theologische Umgang mit diesem Problem ist. Dazu soll Barth als Kontroverstheologe zur Sprache kommen, nicht im traditionellen Sinne – d. h. in der Auseinandersetzung zwischen protestantischer und römischkatholischer Theologie –, sondern im Sinne der zeitgeschichtlichen Streitbarkeit seiner Theologie. Zwar wäre es ein fundamentaler Fehler, Barth vor allem als einen Kontroverstheologen zu stilisieren, aber es gibt eine deutliche, seine dogmatische Arbeit gleichsam flankierende Linie, in der die sonst impliziten Auseinandersetzungen explizit geführt werden. In diesen Auseinandersetzungen tritt besonders hervor, wie sehr und wie selbstverständlich Barth ein ,Kontexttheologe‘ gewesen ist, der stets aufmerksam die historischen und gesellschaftlichen Bewegungen und Entwicklungen in seiner Theologie berücksichtigt hat. Der Konfliktbereich in dieser konkreten Kontextualität seiner Theologie, in dem sich immer wieder neu die Frage nach der Grenze der Solidarität mit dem jeweiligen Zeitgeist für die Theologie stellt, soll hier be5 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 499, 565 f (Hervorhebungen M.W.). 6 Vgl. Barth, Weihnacht, 37.
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sonders betrachtet werden. Dabei beziehe ich mich jeweils auf literarisch belegte Auseinandersetzungen, um von den jeweiligen Quellen aus auch den Situationsbezug in die Überlegungen einzubeziehen. In diesem Sinne sollen die Anregungen aus der theologischen Biographie Karl Barths für unsere ,theologische Existenz heute‘ bedacht werden. Diese Studie ist nicht die erste, die Barths Zeitgenossenschaft untersucht. Es gibt sehr unterschiedliche Zugangsweisen zu dieser Fragestellung. Bei den bereits vorliegenden Untersuchungen liegt der Akzent meist darauf, den engen Zusammenhang vor allem zwischen Theologie und Politik nachzuweisen. Dieser Nachweis wurde dadurch herausgefordert, dass unter anderem von Friedrich Gogarten, Klaus Scholder und Wolf-Dieter Marsch ein solcher Zusammenhang bei Barth bestritten wurde.7 Dagegen wird das politische Gefälle von Barths Theologie herausgestellt, so dass seine politischen Stellungnahmen in der Konsequenz seiner Theologie zur Darstellung kommen.8 Die vorliegende Studie betritt einen anderen Weg, ohne damit die Berechtigung anderer Zugangsweisen bestreiten zu wollen.9 Sie sucht zunächst die konkreten Konflikte auf, in die Barth durch die Zeitumstände geraten ist, um dann über seine Stellungnahmen die stringente theologische Verarbeitung seiner konkreten Zeitgenossenschaft anzuzeigen.10 Die Begrenztheit dieses Zugangs liegt ebenso auf der Hand wie seine systematische Berechtigung. Die aufgeführten Konflikte, in die sich der ,zeitgenössische‘ Theologe Barth gestellt fand, haben jeweils eine historisch vergangene Seite, gewinnen aber schnell – wenn man sie mit vergleichbaren Ereignissen zusammensieht – eine grundsätzliche Bedeutung. Die Themen, die in den vier Abschnitten dieses Beitrags angesprochen werden, lassen sich mit den Stichworten Geschichtsverständnis (14.1), Bedeutung der menschlichen Praxis (14.2), Wissenschaftsbegriff der Theologie (14.3) und Kirche und Staat (14.4) andeuten. Barth wendet sich jeweils gegen die Vereinnahmung der Theologie für Interessen, die nicht dem Wesen ihrer besonderen ,Sache‘ folgen, um Theologie und Kirche freizuhalten für ihr Zeugnis, das sie in kritischer Zeitgenossenschaft zu den jeweiligen Problemen sagen sollen. Barth hängt insofern in den je verschiedenen Situationen der Katze die Schelle um, als er auf eingeschlichene 7 Vgl. Gogarten, Gericht oder Skepsis, 9 f; Scholder, Neuere deutsche Geschichte und protestantische Theologie; Ders., Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, 56 f; Marsch, „Gerechtigkeit im Tal des Todes“. 8 Vgl. u. a. Casalis, Karl Barth; Clausert, Theologischer Zeitbegriff und politisches Zeitbewusstsein in Karl Barths Dogmatik; Cornu, Karl Barth und die Politik; Dannemann, Theologie und Politik; Kupisch, Karl Barth. 9 Problematisch erscheinen mir allerdings Untersuchungen zur Theologie Barths, die bei einer systematischen Diskussion der Theologie Barths ohne zeitgeschichtliche Verknüpfungen auskommen und damit den Anschein erwecken, als ließe sich Barths Dogmatik gleichsam als ein theologisch-begriffliches Kunstwerk lesen; vgl. z. B. Hafstad, Wort und Geschichte. 10 Auch dieser Weg wird nicht von mir zum ersten Mal betreten, sondern wurde und wird mit je eigenem Akzent außer von Friedrich-Wilhelm Marquardt und Dieter Schellong auch gegangen von Winzeler, Widerstehende Theologie.
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oder sich einschleichende Gefahren aufmerksam macht, die Theologie und Kirche zugunsten von irgendwelchen vordergründigen Opportunitäten um ihre freie ,theologische Existenz‘ bringen können. Dabei sind es keine Gefahren, die die Kirche von außen bedrohen, vielmehr ist die ,Katze‘ bereits in die Kirche eingedrungen, und es ist die Kirche selbst, die im Zuge ihrer immer neuen Selbstbestimmungsversuche das je sanft erscheinende ,Raubtier‘ beherbergt und unbehelligt großzieht. Um nicht zusehen zu müssen, dass die im Blick auf das eigene ,Vermögen‘ tatsächlich eher ,arme Kirchenmaus‘ – in der Gestalt von Theologie und Kirche – schließlich der von ihr genährten ,Katze‘ zum Opfer fällt, schien es Barth geboten, ihr in den je verschiedenen Situationen eine möglichst deutlich zu vernehmende Schelle umzuhängen.
14.1 Hominum confusione et Dei providentia – Die menschliche Geschichte und die Theologie 14.1.1 Das Erleben der Geschichte und Gott „Aber warum lassen Sie bei dieser ganzen weltlichen, sündigen Notwendigkeit Gott nicht aus dem Spiele?“11 Das ist die entscheidende Frage, mit der sich Barth dem Gleichschritt der deutschen Kriegstheologie, der ,frommen Kriegsfertigkeit‘ zu Beginn des Ersten Weltkrieges entgegenstellt. Jenseits aller historischen und politischen Einschätzungen wird es Barth „schrecklich […] zu Mute, wenn die Theologen kommen und das Alles nun religiös verklären wollen mit ihrer furchtbar gewandten Dialektik. Da regt sich aller Widerspruch in mir […]“ (127 f). „Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glaube“ sind „in ein hoffnungsloses Durcheinander geraten“ (96). Und in diesem Durcheinander stellt Barth in seinem Briefwechsel mit Martin Rade die im Grunde schlichte Frage, ob Gott nach den Bedürfnissen von Zeit, Situation und vor allem der Nation pariert. Mit seiner Frage fasst er nicht den – sicherlich auch bestehenden – politischen Gegensatz ins Auge; der wäre auf der Ebene politischer Meinungsbildung auszudiskutieren. Dass es Barth um anderes ging, zeigt seine Bemerkung: „Ich habe nun nur die eine Angst, […] daß Sie diesen Gegensatz wieder auf einen politischen, schweizerisch-reichs-deutschen reduzieren.“ (98; vgl. 95). Und in der Tat suchte man immer wieder außertheologische Unterscheidungen und Trennungslinien, um auf diese Weise den theologischen Anfragen Barths auszuweichen. Wenn Barth hier auf dem Unterschied zur politischen Ebene besteht, so liegt darin keine Abwertung der politischen Fragen; ihm geht es zunächst darum, die Politik aus ihren religiösen Verklä11 Barth/Rade, Ein Briefwechsel, 96 (im Folgenden die Seitenangaben im Text).
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rungen herauszuholen. Rade versucht dagegen, die Differenz in die politische Psychologie zu verschieben: „Nicht, daß Sie Schweizer sind, erschwert Ihnen das Verständnis. Aber, daß Sie neutral sind, dass Sie mit Ihrem Volk und Staat an diesem Kriege keinen Anteil haben. […] Eines entgeht Ihnen: das Erlebnis. […] Eins habe ich doch voraus vor Ihnen: die Erfahrung, wie dieser Krieg über die Seele meines Volkes kam. […] Wie das Bewusstsein alle bewegt: wir wollen keinen Krieg, aber wenn es sein muß, wollen wir ihn auf uns nehmen. […] Das einhellige Laufen zu den Waffen. Die ruhige, klare, von keinem moralischen Misston getrübte Mobilisierung. Die Ordnung, die Alkoholfreiheit, die Sicherheit des Betriebes und der Leitung. (Freuen sich die Engel im Himmel denn nicht über alles, was gut ist in der Welt?) […] Und Sie verlangen, wir sollten bei dem Erleben dieses Krieges Gott aus dem Spiele lassen. Das ist unmöglich. Für eine so überwältigende Sache gibt es nur Einen möglichen Grund und Urheber : Gott. […] Wer wagt da Vorschriften zu machen und nur zu kritisieren, wenn eine Volksseele erzittert, weil sie Gottes Walten spürt! […] Aber dafür, dass der Krieg bloß Menschenwerk sein soll, während Gott der Herr eigentlich etwas ganz anderes möchte: eine solche Gottesvorstellung mache ich nicht mit. Übernimmt also mein Gott die Verantwortung für das Kriegsgeschick, so ist es dann auch fromm, aus dem Kriege herauszuholen an Gutem, was man nur kann. […] Dass Sie nun diesen Krieg nicht so miterleben wie wir Reichsdeutschen, dafür können Sie nichts. Es ist ganz recht, dass Sie ihn auf Ihre Weise erleben. […] Die Neutralen müssen eben diesen Krieg anders verarbeiten wie wir. Und mit unseren verschiedenen Erfahrungen sollen wir uns dann dienen. Wir leiden alle stellvertretend. Sie für uns, wir für Sie. Und die ratio vicaria [stellvertretende Einsicht] ist und bleibt doch schließlich Kern und Stern der christlichen Ethik. So meine ich, daß wir uns auf gemeinsamem Boden immer wieder zusammenfinden werden.“ (109 – 112)
Die Argumentation zielt auf den Vorrang des Erlebens, und es scheint die Tiefe des jeweiligen Erlebens zu sein, die über die Beteiligung Gottes an der erlebten Geschichte entscheidet. Je tiefer man von einem Ereignis bewegt wird, umso unausweichlicher der Hinweis auf das Handeln Gottes. Überall dort, wo ,man‘ oder gar die ,Volksseele‘ besonders bewegt wird, ereignet sich mehr als menschliche Geschichte, und zwar nicht gegen den Augenschein, sondern augenscheinlich. Die Unterscheidungskompetenz darüber, was Wirken Gottes ist und was nicht, bleibt dem Empfindungsvermögen des Menschen überlassen. Und es muss unterschieden werden, denn damit, dass er überall am Werke ist, wird offensichtlich nicht gerechnet; sonst würde das religiöse Erlebnis um seinen besonderen Wert gebracht. Und so wird Gott mit einem Teil des Erlebens verbunden und mit einem anderen Teil des Erlebens eben nicht. Das mag plausibel sein, solange man vom Erleben ausgeht, das stets nur partikular und ausschnitthaft ist; weniger plausibel ist es allerdings der theologischen Wahrheit nach, Gott auf die Partikularität unseres Erlebens zu verpflichten. Doch was kann man überhaupt von Gott Gewisses sagen? Dass Rade kriterienlos argumentiert, zeigt sich an seiner Bereitschaft, um des Erlebnisses
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willen den Deus absconditus (den verborgenen Gott) einzuführen: „Ich könnte den Deus absconditus nicht vertragen, wenn ich den Deus revelatus, wenn ich Jesus nicht hätte. Aber wenn nun in der Erschütterung eines solchen Kriegserlebnisses, das ein ganzes Volk auf die Knie wirft, Gott noch andere Züge trägt als Jesus, wenn er über uns kommt als die reine Macht, von der wir zunächst nichts spüren als unsere absolute Abhängigkeit – weshalb wollen Sie diese Frömmigkeit schelten?“ (111) Vor dem „reflektierende[n] Wesen, das sich […] unter uns Theologen so breit macht“ (108), erfasst Rade Abscheu, und er glaubt ihm mit Hilfe des Erlebens entkommen zu können. Lassen wir dabei einmal Volksseele und Weltkrieg weg, so treffen wir hier auf ein Verständnis von Theologie, das gerade in jüngster Zeit wieder modern zu werden scheint, zumal sich das Erlebnis in seiner ,Authentizität‘ als besonders emanzipiert zu präsentieren versteht. Der Vorrang des Erlebnisses ist die Absicherung des Vorrangs der menschlichen Subjektivität, von der man im Grunde alles erwartet, was substanziell von Gott zu sagen ist. Gott taucht in den unterschiedlichsten Arrangements auf und wird durch die ,Betroffenheit‘ der ihn zur Sprache bringenden Menschen ausgewiesen. Die Konzentration auf die Erfahrung stellt aber keine Erweiterung dar, sondern bedeutet nur, dass uns der Glaube bei uns selbst bleiben lässt. In diesem Sinne stellt Erfahrungsorientierung eher eine Engführung dar, zumal sie ja meist mit einem geballten Ressentiment gegenüber der dogmatischen Tradition und dem theologischen Denken vorgetragen wird. Und im Grunde ist es immer eine Art Deus absconditus, der so flexibel ist, wie ihn unsere Erlebnisse benötigen. Barth sieht treffend, dass die Vorordnung des Erlebnisses im Grunde einen Diskussionsabbruch bedeutet (vgl. 117 f). Auch darin ist sie eine Einengung, denn die Betonung der persönlichen Erfahrung eröffnet das Gespräch gerade nicht, sondern macht es praktisch bedeutungslos. Es funktioniert nur noch auf der Ebene der Gemeinsamkeit von Erfahrungen. Wer jedoch der Überzeugungskraft bestimmter Erlebnisse gegenüber verschlossen ist, bleibt als bloßer ,Theoretiker‘ ausgeschlossen und gilt als einer, der nur „Studierstubensprüche tut“, während man für sich selbst in Anspruch nimmt, in der Wirklichkeit zu stehen (vgl. 121). Indem Barth die Evidenz des Erlebens theologisch nicht gelten lässt, bringt er ans Licht, dass auf diese Weise eine gemeinsame Ebene nicht gefunden wird. Barth sieht in Rades Argumentation Tor und Tür für alle Partikularisierungen geöffnet, die sich auf nichts anderes als auf die Tiefe des jeweiligen Erlebens zu berufen brauchen. Und daher wird der mit der Einschätzung des Krieges aufgebrochene Gegensatz von Barth als ein unversöhnlicher, grundsätzlicher Gegensatz empfunden. „Das Wasser ist gar zu tief.“ (120) Indem er die theologische Frage nach dem „klaren Inhalt des Wortes ,Gott‘“ (127) aufwirft, verdeutlicht er, dass es keine die beiden Standpunkte relativierende Ebene mehr gibt. Es ist „der ganz ernste religiöse Gegensatz“ (97), den Barth ausspricht, der nicht mehr auf einer gemeinsamen Ebene zusammenprallt. Vielmehr – und darin besteht die empfundene Unversöhnlichkeit – folgen die
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gegensätzlichen Standpunkte jeweils einem ,anderen Geist‘ wie Barth es in Anspielung auf Luthers Wort zu Zwingli ausdrückt. „Aber nicht Gott in der Weise in die Sache hineinziehen, als ob die Deutschen mit samt ihren großen Kanonen sich jetzt als seine Mandatare fühlen dürften, als ob sie in diesem Augenblick mit gutem Gewissen schießen und brennen dürften. Das nicht! Und gerade das, das gute Gewissen predigen Sie jetzt, jetzt wo das schlechte Gewissen das christlich allein Mögliche wäre gegenüber der nun einmal vorhandenen weltlichen, sündigen Notwendigkeit. Wie soll es mit den Menschen vorwärts gehen, wenn man ihnen jetzt – in diesem furchtbaren Ausbruch menschlicher Schuld – für ihr Tun noch den Trost des guten Gewissens spendet? […] Wir sagen: Hominum confusione et Dei providentia mundus regitur, wehren uns gegen die confusio, so lange es geht, fügen uns ihr in bitterer Beschämung, wenn es nicht mehr geht, und glauben dann, daß Gottes providentia trotz uns zustande bringt, was er haben will. Sie gehen religiös von dem neuesten Testament aus, dass der Christ heute unter ganz anderen Bedingungen lebe als zur Zeit der Apostel, folgern daraus, ohne Zaudern die Pflicht, sich als Deutsche mit Ehren zu behaupten, und gehen dann ohne weitere Umstände dazu über, ,ein festes Herz‘ zu bekommen.“ (97)
Barth sieht in der Vermischung von Gott und menschlicher Geschichte das ,hoffnungslose Durcheinander‘ das nur noch relative Unterscheidungen, aber keine prinzipiellen Unterschiede mehr kennt. Er setzt dagegen die fundamentale Unterscheidung zwischen dem Menschen als einem begrenzten und unzuverlässigen Wesen und der überlegenen Treue Gottes, die sich nicht von der confusio des Menschen von ihrem Ziel abbringen lässt. Barth will damit ausschließen, dass wir von unserer menschlichen Geschichte auf Gottes Geschichte mit dem Menschen schließen. Denn durch einen solchen Rückschluss wird das Wesen Gottes angegriffen. Es müssten notwendigerweise Abstriche von seiner Überlegenheit über die menschlichen Irrtümer gemacht werden, da nun auch die Geschichte der menschlichen Entfremdung zu einem Bestimmungsmoment seines Wesens erhoben würde. Gott wird durch den Menschen an das gebunden, was ohnehin und zwar unter menschlicher Regie stattfindet. Damit ist die Souveränität Gottes derartig eingeschränkt, dass man im Grunde von einer Entmachtung Gottes sprechen muss. Es gibt kein Gegenüber mehr zum Menschen und seiner Geschichte, an dem sie ihre Grenzen finden. Der Mensch macht sich seinen Richter zum Kollaborateur mit mehr oder weniger hochrangiger Etikette. Damit verliert zugleich die Theologie ihr kritisches ,Prinzip‘, das sie in Bewegung hält; sie wird nicht mehr von den realen Widersprüchen zwischen menschlicher Geschichte und Gottes Souveränität in Atem gehalten; sie vernimmt nicht mehr die auch gegen sie ergehenden Einsprüche Gottes und verstrickt sich kriterienlos in die confusio menschlicher Geschichtsgestaltung. Es ist die mit dem Erlebnis signalisierte Unmittelbarkeit Gottes, die Barth angesichts des Ausbruchs des Weltkrieges nicht nur fraglich, sondern anstößig geworden ist. Mit der Kritik an diesem nationalen Geschichtsgott, der den
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Menschen – genau genommen, jeweils nur einem Teil der Menschen – ein gutes Gewissen bei ihrem verheerenden Treiben gibt, fragt Barth nach den Grenzen der Solidarität mit der Geschichte für die Theologie. Diese Frage richtet sich weder auf einen abstrakten Geschichtsbegriff noch auf eine bestimmte Vorstellung von Theologie als Wissenschaft, sondern zur Debatte steht das kritische Verhältnis der jeweiligen historischen Realität zu der Realität Gottes. In diesem Sinne stehen hier zwei Wirklichkeiten gegeneinander, von denen für die Theologie nur eine die übergeordnete und die andere die untergeordnete sein kann. Die Frage würde nicht ernst genommen, wenn man sie als eine rhetorische Frage hören würde. Die Schwierigkeiten der Zeitgenossenschaft der Theologie lassen sich nicht mit einer glatten Lösung aus der Welt schaffen. Wenn Barth in seinem Brief an Rade den Theologen das Schweigen als eine Form des Protestes empfiehlt, so ist das mehr als eine Geste höflicher Bescheidenheit. Mit dem Hinweis auf das Schweigen wird die Ernsthaftigkeit der Frage unterstrichen. Dem sich willfährig in der menschlichen Geschichte ergehenden Gott stellt Barth nicht einfach einen die Geschichte in Pflicht nehmenden Gott gegenüber. Außer der Gewissheit, dass, wenn es ernsthaft um Gott gehen soll, er nicht in den positionellen und notwendig partikularen Interessen der geschichtsmächtigen Menschen aufgefunden werden kann, bleibt gegenüber allen Selbstverständlichkeiten Gottes zunächst nur die Frage nach Gott stehen. Nun „ist uns Gott ein Fremder geworden. Das ist unser Zustand.“12 Damit ist aber der für Barth entscheidende Bruch vollzogen. Es wird ein Gegensatz aufgetan zwischen dem, was der Mensch von sich aus über Gott wissen kann, und dem, was der Mensch allein von Gott aus über ihn und sich wissen kann. Die Aufmerksamkeit der Theologen wird weggelenkt von Gottes Diensten an der menschlichen Geschichte und hingelenkt auf den Gottesdienst des Menschen im Horizont der Geschichte Gottes mit dem Menschen. Damit sind die prinzipiellen Schwierigkeiten des Zeit- und Weltverhältnisses der Theologie zunächst nur lokalisiert. ,Prinzipiell‘ heißt, dass sie nicht aus der Welt zu schaffen sind, sondern je und je erörtert werden wollen. Insofern liegt hier der theologische Akzent darauf, die Wahrnehmung dieser Schwierigkeit für die Theologie zurückzugewinnen. In dieser Problematik sind bereits alle Vorbehalte enthalten, die Barth in seinem Leben dann immer wieder in den jeweiligen Konfliktsituationen konkret angemeldet hat. Sie lassen sich insgesamt als Variationen und Konkretionen seines hier ausgesprochenen generellen Widerspruchs gegen jede Form der Geschichtstheologie als der modernen Form der natürlichen Theologie verstehen.
12 Barth, Predigten 1914, 616.
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14.1.2 Geschichtliche Aufbrüche und die Kirche Zur Veranschaulichung der Grundsätzlichkeit dieses Bruches soll nun stichwortartig auch Material aus späteren Konflikten herangezogen werden, wobei ich bei den Beispielen jeweils nur einige Linien skizzieren will: In durchaus vergleichbarer Massivität wie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird die Machtübernahme der Nationalsozialisten von der Kirche weithin als Heilsund Offenbarungsereignis interpretiert. Barth betrachtet dies Ereignis nicht isoliert, sondern stellt es in den Zusammenhang einer Reihe anderer Weltanschauungstheologien: „Hatte man früher den bürgerlichen Moralismus der Aufklärung, dann die idealistische Philosophie oder die Weltanschauung Goethes, hatte man später den monarchischen Nationalismus der Bismarckzeit und noch später doch auch den marxistischen Sozialismus in eine derartige ,positive‘ Beziehung zum Christentum gebracht, warum sollte dasselbe nun nicht auch mit dem hitlerischen System, von dem die Nation ihre Errettung erhoffen zu dürfen glaubte, versucht werden?“13
Wieder wird eine besondere geschichtliche Stunde als Gottesbegegnung und Ruf zur Entscheidung proklamiert. Auch die Parteinahme für diesen geschichtlichen Aufbruch wird zu einem göttlichen Gebot erklärt, und Verweigerung gilt als Ungehorsam gegen Gott. Dieser von Emanuel Hirsch besonders profiliert vorgetragenen Position der Deutschen Christen tritt Barth mit dem Vorwurf der Schwärmerei entgegen. Es handelt sich um eine Geschichtstheologie, die sich als „Themapredigt ohne Text“ darstellt. Ihr fehlt „jede ,Sicherung und Bürgschaft‘“ durch das biblische Zeugnis und ist daher „freie Spekulation oder Grübelei“.14 Wenn Barth hier wiederum scharfen Protest einlegt, so hat sich insofern der Akzent verschoben, als er nicht allein die Theologie und ihre ideologische Kollaboration angreift, sondern nun die Kirche und ihre reale Koalition mit dem Nationalsozialismus kritisiert. Daraus ergibt sich zwar kein anderer Begründungszusammenhang für seine Argumentation, wohl aber eine für das Werk Barths charakteristisch bleibende Präzisierung des Ortes und zugleich des Adressaten der Theologie: Theologie ist und bleibt kirchliche Theologie, und als solche bedenkt sie auch die Probleme der jeweiligen Zeitgenossenschaft der Kirche.15 Barth bestreitet der Kirche die Freiheit, „unsere Tage zu deuten, wie es uns gefällt, um dann dem Geschöpf unserer Deutung zuversichtlich seinen heiligen Namen beizulegen. […] Kirche ist da und nur da, wo Gott so und dort gesucht wird, wie und wo er gesucht sein will, das heißt aber in der Bindung an seine Zeugnisse, in der Erinne13 Barth, Eine Schweizer Stimme, 259. 14 Barth, Vorwort in der Erstausgabe von: Offenbarung, Kirche, Theologie, (TEH 9), München 1934, 6. 15 Vgl. dazu u. 14.3.
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rung, Erforschung, Auslegung und Anwendung jener Botschaft des Alten und Neuen Testamentes, die die Kirche ganz allein begründet hat und die sie auch ganz allein erhalten kann und je und je ganz allein erneuern will und wird.“16
Damit ist der Text angegeben, dem die Kirche ihre Themen entnimmt, auch wenn sie sich zu der Geschichte äußert, in der sie steht und an der sie Anteil hat. Die Gefahr, dass die Kirche völlig beteiligungslos an der Geschichte vorbeigehen könnte, sieht Barth als bloß rhetorische Frage an: „Es ist gesorgt dafür und es wird immer dafür gesorgt sein, daß auch dieses Suchen Gottes immer ein menschlich-allzumenschliches sein, daß es ganz und gar im Raum der Welt und unter den Eindrücken von allerlei geschichtlichen Stunden vor sich gehen und deren Art an sich tragen wird. Es kann und soll darum doch dieses ganz bestimmte, die Kirche als Kirche konstituierende und auszeichnende, dieses an die Schrift gebundene Suchen sein und bleiben. Es darf darum doch nicht zu einem eigenmächtigen Suchen in jenem Raum und in diesen Stunden werden. Die Kirche müßte nicht nur sich selbst aufgeben, sondern ihren Auftrag und Dienst verleugnen, ja ihren Herrn verraten, wenn sie dazu übergehen wollte, ein solches eigenmächtig Gesuchtes und Gefundenes als den ,Gott‘ auszugeben, zu dem sie aufzurufen, dessen Güte und Strenge sie zu verkündigen, dessen Namen sie zu lieben und zu loben habe.“17
Doch Barth wendet sich nicht allein gegen die Verbeugungen der Kirche vor den national gefeierten Aufbruchsstunden der Geschichte, sondern gegen alle irdisch-geschichtlichen Bewegungen, die vom Menschen als besondere Geschichtsmächte ausgewiesen werden. Die Kritik folgt nicht einer politischen Einstellung, sondern entspringt einem theologischen Denkzusammenhang. Deutlich wird das unter anderem daran, dass Barth später immer wieder seine konsequente Ablehnung aller geschichtsphilosophischen Begründungen für die Theologie am Beispiel seiner Kritik am Religiösen Sozialismus erläutert hat. Der Religiöse Sozialismus – auf den wir im folgenden Kapitel in anderem Zusammenhang noch eingehender zu sprechen kommen wollen – ist insofern als Beispiel weniger missverständlich, als Barth als Mitglied der sozialdemokratischen Partei nun nicht mit dem Vorwurf politischer Befangenheit zu rechnen brauchte, so dass die Aufmerksamkeit nicht so leicht von der theologischen Problematik abgelenkt werden konnte. In einem Brief vom 10. Juli 1963 an seinen ihm politisch nahestehenden tschechoslowakischen Freund Josef L. Hromdka wehrt sich Barth grundsätzlich dagegen, die geschichtliche Lage theologisch zu deuten. Barth fasst seine Bedenken zusammen: „daß ich nun einmal, seit ich hier in der Schweiz meine Erfahrungen mit dem ,Religiösen Sozialismus‘ von Kutter und Ragaz machte, seit ich dann 1921 nach Deutschland kam und dort die Jahre 1933 f. miterlebte, höchst allergisch reagiere 16 Barth (s. Anm. 14), 7 f. 17 Ebd., 8.
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gegen alle Identifikationen, aber auch gegen alle solche Parallelisierungen und Analogisierungen des theologischen und des sozial-politischen Denkens, in welchen die Superiorität des analogans (des Evangeliums) gegenüber dem analogatum (den politischen Einsichten und Ansichten der betreffenden Theologen) nicht eindeutig, sauber und unumkehrbar festgehalten und sichtbar bleibt. Wo deren Verhältnis umkehrbar wird, da rede ich […] von einer die Theologie und christliche Verkündigung beeinträchtigenden ,Geschichtsphilosophie‘. […] Mein Punkt ihnen […] gegenüber ist das Bedenken dagegen, daß da die geschichtliche Lage überhaupt […] gedeutet wird, wo es darauf ankäme, in der geschichtlichen Lage (im Blick auf deren jeweils tatsächliche Gestalt, nicht von ihrer ,Analyse‘ her) das christliche Zeugnis von dem Reich laut werden zu lassen, das, indem es weder von der östlichen noch von der westlichen Welt herkommt, in beiden laut und gehört werden will.“18
Die politische Analyse steht hier nicht zur Debatte, und man würde Barth missverstehen, wollte man aus dieser Zurückhaltung in der Parteinahme nun wieder nur eine politische Stellungnahme heraushören. Es geht nicht um ein Bekenntnis zur Blockfreiheit – auch wenn er dieser politischen Linie zuneigte –, sondern um das unvermischbare Gegenüber der Realität des Reiches Gottes zu der Realität unserer irdischen Reiche. Wenn Barth hier in betonter Unterscheidung zu unseren politischen Interpretationen auf die „tatsächliche Gestalt“ zielt, soll damit die Relativität aller unserer Einschätzungen angezeigt werden, nicht um uns damit überhaupt Einschätzungen abzusprechen, wohl aber um uns auf die ideologischen Anteile unserer Interpretationen aufmerksam zu machen. Es bleibt Nüchternheit und Bescheidenheit angesagt, da unsere Deutungen den tatsächlichen Ereignissen niemals völlig entsprechen. Es ist im Grunde die gleiche Zurückhaltung, wie sie Barth auch in die Richtung der Theologie und ihrer Rede von der Wirklichkeit Gottes und seines Reiches gefordert hat. In beiden Richtungen bleibt der Vorrang der Wirklichkeit zu respektieren. Die gebotene Bescheidenheit soll nicht lähmen oder gar zum Schweigen verpflichten, sondern den Blick für die Wirklichkeit schärfen helfen, der gerade durch die meist streng fixierten Interpretationsraster bzw. weitgespannten Geschichtsperspektiven beengt und getrübt wird. Die theologisch zwingende Relativierung unserer Einsichten vom Reich Gottes befreit und schärft auch die Weltwahrnehmung.
14.1.3 Politische Theologie und der biblische Gott In einem weiteren Gedankenkreis soll nun versucht werden, dem in den Konflikten verborgenem, allgemeinem Problem ein wenig näher zu treten. Dabei rückt nun das bisher aufgezeigte historische Material etwas mehr in den Hintergrund zugunsten einer aktuellen systematischen Betrachtung. Barth 18 Barth, Briefe 1961 – 1968, 152 f.
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will mit seinen Rückfragen und Widersprüchen jedem selbstlegitimatorischen Gebrauch Gottes für weltliche Partikularinteressen entgegentreten. So wie er es als unanständig und respektlos empfindet, wenn Gott in den Wirrnissen des vom Menschen vom Zaun gebrochenen Krieges unter nationalen Gesichtspunkten die Schlachtfelder segnen soll, so widersetzt er sich allen Platzanweisungen und Festlegungen, in denen der Mensch von sich aus zu wissen vorgibt, wo sich denn heute Gott erfahren lasse. Barth erteilt dem politischen Gott eine Absage, der auf der Bühne des vom Menschen zu verantwortenden politischen Geschehens auftritt, bzw. vom Menschen zur überirdischen Unterstützung seines irdisch-politischen Willens vorgeführt wird.19 In dieser Perspektive werden die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges als Boden für Gottesmitteilungen dann aber auch prinzipiell vergleichbar mit allen philosophischen, psychologischen, religiösen oder wissenschaftlichen, ja mit allen weltanschaulichen Festlegungen, mit denen die Theologie ihren besonderen Gottesbesitz auszuweisen sich bemüht. Mit dem Glauben lässt sich nicht arbeiten „wie mit einem […] zur Disposition stehenden Kapital“ (KD I/1, 236). Er lässt sich nicht einfach propagandistisch in Betrieb nehmen, ohne gleichzeitig das Evangelium zu verraten.20 Die haltlosen Verhältnisse dieser Wirklichkeit enthalten weder direkte noch indirekte Hinweise auf den Gott, der sich in Jesus Christus den Menschen vor Augen geführt hat, wie es im Alten und Neuen Testament bezeugt wird.21 Zwischen dem biblischen Gott und der gegenwärtigen Wirklichkeit ist eine radikale gegenseitige Fremdheit getreten, die nicht mehr mit relativen Unterschieden zu beschreiben ist, sondern nur als grundsätzliche Infragestellung der einen Seite durch die andere erfasst werden kann. Der Mensch, der mit Gott zu tun bekommt, bekommt es an erster Stelle mit seiner eigenen Entfremdung zu tun. Dabei bleibt hervorzuheben, dass Barth Entfremdung nicht individualistisch in den Blick nimmt, sondern die Entfremdung der gegenwärtigen Wirklichkeit meint, d. h. die gesellschaftliche Entfremdung, an der natürlich auch das Individuum teilhat. Eben das läuft dem in diese Wirklichkeit so aktiv verstrickten Menschen entgegen, zumal er von Gott vor allem Hilfestellung und Ermutigung erwartet. Doch Hilfestellung und Ermutigung müssen hindurch durch die Erkenntnis der Entfremdung, d. h. durch das Erkennen der tatsächlichen menschlichen Konfusion, die ihm nirgends deutlicher als in der Fremdheit Gottes und seiner providentia vor Augen geführt wird. Da wird nun ganz deutlich, dass sich Barth mit der Problematisierung Gottes im Horizont unserer jeweiligen Geschichtsoptionen nicht aus der erfahrbaren Wirklichkeit dieser Welt auf einen höheren oder gar jenseitigen Standpunkt zurückzieht, vielmehr konfrontiert er mit seiner Frage nach Gott 19 Vgl. dazu Schellong, Jenseits von politischer und unpolitischer Theologie. 20 Vgl. dazu Clausert, Theologischer Zeitbegriff, 99ff; Clausert setzt zu Recht hier einen ganz besonderen Akzent. 21 Vgl. Schellong, Theologie nach 1914.
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den Menschen mit einer ungeschminkten, d. h. konsequent ernüchterten Wahrnehmung der tatsächlichen Verhältnisse seines Lebens. Von hier aus wird der Widerspruch, den Barths Theologie nach wie vor auf breiter Front erfährt, verständlich. Dieser Widerspruch hat wohl weniger diese oder jene Aussage über Gott im Auge als vielmehr die in diesen Aussagen implizierte Kritik. Barths konsequente Zuspitzungen verunsichern den durch die Wirren der Verhältnisse ohnehin schon haltlos gewordenen Zeitgenossen und Theologen noch einmal mehr, denn ihnen wird damit auch noch jede Aussicht genommen auf einen gesicherten irdischen Boden, auf den man sich niederlassen kann. Jede erwartete oder gar geforderte Koalition mit den gegebenen Verhältnissen könnte ja nichts anderes sein als eine Einverständniserklärung mit den Bedingungen der menschlichen Entfremdung, d. h. des Widerspruchs gegen Gott. Es bleibt allein die Aussicht auf die „Neue Welt in der Bibel“.22 Damit ist das entscheidende Kriterium benannt, dem Barths Aufmerksamkeit in allen Angelegenheiten und Fragen der Kirche gilt. Die Bibel ist die einzige Quelle für unsere Rede von Gott und uns selbst. Sie ist der einzige verlässliche Hinweis auf Gottes Wirklichkeit, in deren Licht auch die Wirklichkeit des Menschen recht erkannt werden kann. Allein im „anspruchslosen Achten auf das Zeichen der Heiligen Schrift […] wird der Theologe zum Theologen, in nichts sonst“ (KD I/1, 300 f). Von hier aus wird deutlich, dass es mehr als zufällig war, wenn die ersten großen theologischen Arbeiten Barths nicht die Schriftauslegung von einer geschichtlichen Position aus problematisieren, sondern Bibelauslegung unter lebendiger kirchlicher und politischer Zeitgenossenschaft vollziehen. Die biblische Konzentration bleibt für sein ganzes theologisches Werk kennzeichnend in dem Sinne, dass auch dogmatische Arbeit nichts anderes ist als biblische Theologie in einer je konkreten historischen Situation der Kirche. Von hier aus wollen alle Einwände gegen die Theologie und die Kirche bewertet werden. Die kritische Auseinandersetzung mit Barth müsste auf dieser Ebene geführt werden, auch um dem Eindruck entgegenzutreten, als habe Barth vor allem herumgenörgelt und der Theologie und der Kirche jeden Boden unter den Füßen unsicher machen wollen. Kehren wir zu Barths Widerspruch gegen jede geschichtsphilosophische Begründung der Theologie zurück. Zwei grundsätzliche Aspekte sollen noch gesondert angesprochen werden: 1. die Rückgewinnung der kritischen Kraft des dogmatischen Denkens und 2. die theologische Kritik des menschlichen Geschichtsoptimismus. Der erste Aspekt liegt mehr in der Konsequenz des theologischen Neins zu den großen Stunden nationalen Erwachens, die als Offenbarungen Gottes gefeiert wurden, während der zweite Aspekt mehr in die andere Richtung auf den Religiösen Sozialismus und Barths Rückfrage an Hromdka weist. 1. Den ethischen Herausforderungen der Geschichte, wie etwa dem Aus22 Barth, Die neue Welt in der Bibel.
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bruch des Ersten Weltkriegs oder der Machtergreifung des Nationalsozialismus, ist keine ethische Replik gewachsen. Der ethische Einspruch bleibt in seiner Kritik relativ, er artikuliert sich auf der gleichen Ebene wie die jeweilige Geschichtsbewegung, denn er würde ebenso wie diese – freilich mit entgegengesetzter Intention – an die menschliche Verantwortung appellieren. Da bewegt man sich auf dem Boden von politischen und historischen Bewertungen, von zwangsläufig subjektiven Einschätzungen der Vorgänge, und als Berufungsinstanz bleibt wenn nicht die Geschichte, so doch der geschichtliche Mensch und sein Begriff von sich selbst. Die Berufung auf Gott dient nur der eigenen Bestätigung bzw. Stärkung. Der Wille Gottes soll bei den vielen Möglichkeiten den einen Recht und den anderen Unrecht geben. Mit im Grunde notwendiger Selbstverständlichkeit findet sich dann Gott immer auf der eigenen Seite und bestreitet mit uns eben das, was wir uns zu bestreiten vorgenommen haben. Es wird gar nicht damit gerechnet, dass er auch uns in den Weg treten könnte, dass er uns auch nicht helfen möchte bei unserem Vorhaben, von dessen Güte wir so überzeugt sind. Der von der Ethik aus in den Blick genommene Gott wird beschränkt von den Alternativen unserer Geschichtsoptionen. Er muss sich an dem orientieren, was wir können. Sein Wille ist von vornherein relativer Wille, der sich immer schon auf die realen Verhältnisse eingelassen hat und nun hilft, aus ihnen das jeweils Beste zu machen. Der Mensch ist stets schon kompetent, zumal er sich letztlich für verantwortlich hält und nur um der eigenen Verantwortlichkeit willen den Willen Gottes konsultiert. In jeder Hinsicht bleibt der Mensch sowohl am Anfang als auch am Ende des Gedankens die entscheidende Instanz. Er bleibt – und darauf kommt es ihm an – bei aller Berufung auf den so geschichtsunmittelbar proklamierten Willen Gottes das sogenannte ethische Subjekt, das sich aus eigener Freiheit heraus am Willen Gottes orientiert, um mit dieser Rückversicherung dann die Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen. Dieser zu ethischer Selbstsicherung verharmloste Gott wird schließlich zu einer weltanschaulichen Größe, die – wie beim Ersten Weltkrieg und auch im Nationalsozialismus – vor allem zur Unterstützung der jeweils angemeldeten Machtansprüche des Menschen dient. Dem zu wehren, rückt Barth konsequent die Dogmatik vor die Ethik. Denn allein die Dogmatik kann dem Machtanspruch des Menschen im Hinweis auf die Macht Gottes seine prinzipiellen Grenzen zeigen. Die Dogmatik macht die Anstößigkeit der Theologie aus, während sich die Ethik stets mit den Denk- und Handlungsspielräumen der jeweiligen historischen Situation vermitteln muss. Die Dogmatik ist nicht in erster Linie von den historischen Herausforderungen des Humanums bewegt, sondern sie folgt den Selbstmitteilungen Gottes, die nicht aus den jeweiligen geschichtlichen Stunden vernommen, sondern allein im biblisch bezeugten Wort Gottes gehört werden können. Die Vorordnung der Dogmatik unterstreicht vor allem die unantastbare Selbständigkeit Gottes, die dem ständig selbstmachenden Menschen fremd und anstößig in den meist ethisch geebneten Weg tritt. Sie trägt konsequent der Einsicht Rechnung, dass
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Gott allein durch sich selbst und nicht in irgendeiner irdisch-geschichtlichen Nützlichkeit erkannt werden kann. Nur wenn er für sich erkannt wird, zeigt er sich auch für uns; der umgekehrte Weg führt nicht zu ihm, sondern zu irgendwelchen religiösen Geschichtsphilosophien, in denen Gott als Mitarbeiter des Menschen agiert, auch wenn vom Menschen noch so oft beteuert sein mag, dass er sich als Mitarbeiter Gottes verstehen möchte. In diesem Mit steckt die ganze Problematik. Sowohl instrumental im Sinne von ,durch uns‘ als auch additiv im Sinne von ,und auch unser Tun‘ bleibt das Mit eine Nivellierung des kritischen und unüberbrückbaren Unterschieds zwischen Gott und Mensch. Jeder Abstrich an der Unvergleichlichkeit von Gott und Mensch bedeutet einen Angriff auf die Gottheit Gottes. Der Mensch stellt seine Praxis und sein Vermögen in den prinzipiell unmöglichen Komparativ mit dem Handeln Gottes. Dies ist nicht nur eine Überschätzung seiner eigenen Möglichkeiten, sondern vor allem eine Unterschätzung von Gottes tatsächlicher Praxis für den Menschen. Allein durch die Rückgewinnung der dogmatischen Aufgabe der Theologie können die von Barth ins Auge gefassten Unterscheidungen getroffen werden. Nur auf diese Weise vermag die Theologie ihre spezifische kritische Bedeutung zur Geltung bringen, selbst wenn sich die von ihr ausgesprochene Kritik auch immer wieder gegen sie selbst wendet. Kritik und Widerspruch ergehen ja nicht aus grundsätzlicher Opposition, sondern wollen insofern für Theologie und Kirche eintreten, als sie diese an ihre ursprüngliche und wesenseigene Aufgabe erinnern. 2. Die theologische Kritik der Geschichtsphilosophie erfährt noch eine besondere Zuspitzung, wenn Barth den mit der Geschichte verknüpften Glauben an den menschlichen Fortschritt angreift. Auf dieser Linie kommt der Religiöse Sozialismus in den Blick und später auch Hromdka in seiner Parteinahme für die östlich-kommunistische Interpretation der Weltlage. Die Perspektive des Fortschritts unterstreicht zwar versteckter, aber im Grunde viel konsequenter als der religiös garnierte politische Machtwille den Anspruch des Menschen auf die uneingeschränkte Zuständigkeit für die gesamte irdische Geschichte. Barth gibt zu bedenken: „Mag man […] daran festhalten, daß im Bild der Geschichte […] eine Schatten- und eine Lichtseite immer wieder zu unterscheiden sein werden, so bleibt es doch bei der furchtbaren Tatsache, daß zwar die Leugnung von allerlei Fortschritten im Einzelnen nicht möglich ist, daß aber die Feststellung einer Teleologie, einer Progression im Ganzen der Weltgeschichte zwar immer wieder versucht worden ist, sich aber auch immer wieder als noch viel unmöglicher erwiesen hat. Es braucht Narren dazu – irgendwo und irgendwie sind wir aber alle immer wieder diese Narren – um das Einzelne mit dem Ganzen zu verwechseln und also etwa im Blick auf die Entwicklung der Technik (im weitesten Sinn dieses Begriffs) von einem in der Weltgeschichte stattfindenden Fortschritt des Menschen, der Menschheit im Ganzen, zu träumen. Der Mensch selbst ist, alles Wandels seiner geschichtlichen Gestalten und Betäti-
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gungen ungeachtet, gerade nicht ,progressiv‘. Hinsichtlich seiner Fähigkeit bzw. Unfähigkeit als homo sapiens zu leben, sein Sein und Zusammensein auch nur im Blick auf eine gewisse Erträglichkeit, auch nur auf eine gewisse Dauer in Griff zu bekommen, ist er vielmehr wunderbar stationär, in seinem Agieren und Reagieren einem am Göpel im Kreis herum laufenden, höchst unvernünftigen Rindvieh leider gar sehr vergleichbar.“ (KD IV/1, 565)
Man kann die grundsätzliche Bedeutung dieser Betrachtung daran ermessen, dass Barth bereits 1919 in seinem Römerbriefkommentar davon sprechen kann, dass die Geschichte den Menschen „in den öden Kreislauf des ,Fortschritts‘“23 banne. Mit diesem Fortschrittsbewusstsein wird dem neuzeitlichen Geschichtsbewusstsein das Fundament entzogen. Der Mensch wächst nun nicht mehr an seiner Geschichte, und sie nicht mehr durch ihn, sondern sie wird zum Spiegel seines Eigensinns, der dann im Kreis läuft, indem er sich selbst hinterherläuft. Diese Sichtweise der Geschichte schärft sich an dem theologisch gewonnenen Verständnis von Geschichte, das Barth der Geschichtsphilosophie gegenüberstellt. Will man theologisch angemessen von Geschichte reden, dann muss unsere Aufmerksamkeit dem Handeln Gottes und seinem Willen gelten. Vom irdischen Geschehen aus lässt sich nicht auf Gott schließen; vielmehr muss der Anfang unserer Überlegungen von Gott ausgehen. Seine Zuwendung zum Menschen und sein Wille einschließlich seiner Verheißungen sind die entscheidenden Bestimmungen aller Geschichte, die vorläufig im irdischen Geschehen noch nicht unzweideutig zutage treten, so dass die Erkenntnis dieser wesentlichen Geschichte auf den Glauben des Menschen verwiesen ist. Doch hinsichtlich des Glaubensbezugs unterscheidet sich das theologische Geschichtsverständnis in formaler Hinsicht weniger von den philosophisch geprägten Geschichtsbegriffen, als man bei oberflächlicher Betrachtung annehmen könnte, denn auch die Geschichtsphilosophie kommt im Entscheidenden – nämlich bei der Benennung der das irdische Geschehen zusammenhaltenden Prinzipien – auch nicht ohne Glaubenssätze aus, – und sei es nur der Glaube daran, dass der Mensch seine Geschichte tatsächlich zu bestimmen vermag. Die Zuwendung Gottes zu dem Menschen wird von Barth als die Geschichte Gottes mit dem Menschen verstanden. Damit werden wir auf die biblische ,Geschichte‘ verwiesen, durch die wir „weit über das hinausgeführt werden, was wir sonst ,Geschichte‘ heißen“.24 Dabei gilt Barths Aufmerksamkeit schon im Römerbriefkommentar von 1919 der Christologie: „Denn im Christus wird uns der im Längsschnitt der vergangenen und zukünftigen Geschichte verborgene Sinn der Zeiten offenbar.“ (144) Im Licht der Geschichte Gottes mit dem Menschen verliert die eigenwillige Geschichte des Menschen ihren Anspruch. „Im Strom der sogenannten Geschichte wird das neue, entgegengesetzt strö23 Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 95. 24 Barth, Die neue Welt in der Bibel, 328.
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mende Element der eigentlichen Geschichte sichtbar.“ (85) Dies ist der verborgene Sinn aller Geschichte, der vom Unsinn der vom Menschen inszenierten ,Geschichte‘ immer wieder verdeckt wird (vgl. 88). Und so kann Barth auch sagen: „Indem das Werk Gottes im Christus in die Erscheinung tritt, offenbart es sich auch als die verborgene Einheit der ganzen Geschichte.“ (106) Von dieser theologischen Zuspitzung aus leuchtet es ein, dass Barth Vorbehalte andeutet, den Begriff Geschichte für die profane Betrachtung des Weltgeschehens zu verwenden; er zieht hier den Begriff der ,Historie‘ vor. In theologischer Perspektive ist jede von Gott absehende Geschichte eine Erfindung des menschlichen Hochmuts (vgl. KD IV/1, 563). In der Geschichte werden wir aufmerksam auf die Konfusion – Barth übersetzt mit Verlegenheit25 – aller menschlichen Geschichte, was dann auch die Gestalt unserer Zeitgenossenschaft nicht unberührt lässt. Die Kirche lebt zwar in den Reichen dieser Welt, aber sie lebt nicht aus ihnen oder für sie, sondern sie bezeugt das Reich Gottes, das nicht ein Reich wie die Reiche dieser Welt ist. Die damit angezeigte kritische Distanz und Freiheit folgt gerade nicht aus ihrem Tun oder ihrer ethischen Einsicht, sondern allein aus ihrer Erwählung und Bestimmung (providentia Dei), d. h. sie folgt dem Glauben, in dem sie ganz und gar von Gott und seinem Handeln abhängig ist. Der Glaube lebt aus und in der Geschichte Gottes mit dem Menschen, die ihm vor allem die Hoffnung auf das Reich Gottes stärkt. Von dieser Geschichte her erwarten wir tatsächlich Veränderung, nicht von irgendwelchen Fortschritten unserer Weltgeschichte, die sich bei nüchterner Betrachtung allzumeist in Nichts auflösen. Von hier aus bleibt Barths strenge Kritik an den religiösen Sozialisten verständlich: „Und weil ihnen der Fortgang der eigentlichen Geschichte keine Sorge macht, fühlen sie sich um so sicherer in ihrem religiös-sittlichen Ausnahmezustand innerhalb der sogenannten Geschichte. Sie vergessen, wie relativ dieser Zustand ist. […] Sie vergessen, dass der menschliche Weltrichter auf seiner Stufe mitmacht, was jedermann macht: Feiner vielleicht, geistiger, moralischer, aber innerhalb desselben wohlbekannten Schemas. Das Ansichhalten und die Geduld Gottes, die sie in ihre besondere Stellung versetzt hat für seine Zwecke, mißdeuten sie, als ob Gott nun gerade mit ihnen besonders einig und zufrieden sei. Die große, gerade ihnen offenbarte Gottesgüte, wird ihnen zum Beweis, daß gerade sie keine Buße nötig haben. […] Sie widersetzen sich der göttlichen Absicht, und während sie theoretisch auf Gottes Seite stehen, sind sie praktisch Gottes schwerstes Hindernis […].“26
Der theologisch-dogmatische Widerspruch gegen die Geschichtsphilosophie wurde in diesem Kapitel ohne die Berücksichtigung der ethischen Implikationen erörtert. Im nächsten Kapitel soll nun das Augenmerk besonders auf 25 Vgl. Barth, Eine Schweizer Stimme, 233. 26 Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 46 f (zu Röm 2,3 – 5).
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die Frage nach dem Stellenwert des menschlichen Handelns gelegt werden, um die Fragestellung in diese Richtung abzurunden.
14.2 „Sozialdemokratisch, aber nicht religiös-sozial“27 14.2.1 Der Christ in der Gesellschaft Die ganze Tragweite der Auseinandersetzung Barths mit dem Religiösen Sozialismus kann hier nicht bedacht werden28, aber der in ihr thematisierte Konflikt bedarf einer Benennung, zumal er für Barth auch später in verschiedenen Zusammenhängen virulent geblieben ist. Auch hierbei geht es weniger um eine Mahnung zu mehr Zurückhaltung als vielmehr um eine Bestimmung theologischer Radikalität. Es sind keine Berührungsängste, die hier die Skepsis bestimmen, sondern Barth sieht – ebenso wie beim Konflikt mit der Kriegstheologie – in der theologischen Interpretation des Sozialismus ein grundsätzliches Problem, aus dem nicht einfach eine positionelle Entscheidung herausführt. Das Problem besteht in der Frage nach der Verhältnisbestimmung von christlichem Glauben und konkreter politischer Verantwortung. Im Januar 1915 war Barth in die Sozialdemokratische Partei eingetreten. Gerade damals fühlte er sich frei zu diesem Schritt, weil er vorher dem Totalitätsanspruch der Politik auf unser ganzes Leben kritisch und distanziert gegenüberzustehen gelernt hatte. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat die Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens und der Theologie zur politischen Ethik neu und grundsätzlich aufgeworfen. Das Versagen der deutschen Sozialdemokratie sowie des europäischen Sozialismus insgesamt, „den wir dann doch überall in die nationalen Kriegsfronten einschwenken sahen“,29 ernüchterten die in den Sozialismus gesetzten Hoffnungen. Doch diese Enttäuschung führt nicht zur Abkehr vom Sozialismus, sondern zur Versachlichung des politischen Engagements; in diesem Sinne kann durchaus im wörtlichen Sinne von einer Ent-Täuschung gesprochen werden. Erst in kritischer Distanz zum Banne des Politischen sind für Barth die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Politik gegeben. Er fühlte sich nun „so liberal“, dass er „ – im Gegensatz zu den dortigen Liberalen – Sozialdemokrat werden konnte“.30 In der zweiten Bearbeitung seines Römerbriefkommentars sagt Barth 1922, und das trifft seine Entscheidung zur Sozialdemokratie im Jahre 1915: 27 Ebd., 521. 28 Vgl. Marquardt, Theologie und Sozialismus; Gollwitzer, Reich Gottes und Sozialismus bei Karl Barth; es gibt nach wie vor eine kontroverse Diskussion um die hier vorgetragenen Thesen, auf die Marquardt in der 3. Aufl. in einem ausführlichen Nachwort eingeht. 29 Barth, Rückblick, 4. 30 Barth, Interview von Alfred Blatter [1968], 548.
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„Politik […] wird möglich von dem Augenblick an, […] wo es klar ist, daß vom objektiven Recht dabei nicht die Rede sein kann, von dem Augenblick an, wo der absolute Ton aus den Thesen wie aus den Gegenthesen verschwindet, um einem vielleicht relativ gemäßigten, vielleicht relativ radikalen Absehen auf menschliche Möglichkeiten Platz zu machen.“ (652; zu Röm 13,2 – 4)
Erst aus dem deutlichen Bewusstsein der Relativität bekam Barth sein durchaus radikales Bewusstsein für die unausweichliche Notwendigkeit der Einmischung in die Politik, das ihn zeitlebens bestimmte. Zugleich wächst seine Skepsis gegenüber allen politischen Bewegungen, die sich ausdrücklich als christlich ausgeben. Diese Skepsis gilt auch den Religiösen Sozialisten gegenüber, denen sich Barth politisch noch am ehesten verbunden wusste. Die Problematik lässt sich verdeutlichen an der gegen den christlich-sozialen Friedrich Naumann gewendeten Parole der Schweizer Religiös-Sozialen: „Christus gegen Cäsar“. Naumann hatte mit deutlichem deutschnationalen Akzent seine Überlegungen zur Doppelrolle der Christen, die einerseits in der Nachfolge Jesu (Bergpredigt) stehen und andererseits der „gepanzerten Faust“ der Nation zu folgen haben, in der Formel zusammengefasst: „Jesus und Cäsar“31. Die religiösen Sozialisten interpretieren nun ihren politischen Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse als den Zusammenstoß zwischen Gottesreich und Weltreich32, und es sind nach Leonhard Ragaz dann ganz folgerichtig die religiösen Sozialisten, die „nun das Gottesreich in seinem Gegensatz zum Weltreich vertreten“33 müssen. Hier wird im Rahmen der politischen Urteilsbildung sehr hoch gegriffen. Barth fragt in einem Brief an Eduard Thurneysen: „Versteht es sich denn von selbst, dass ,wir‘ das Gottesreich ,vertreten‘ (ein ganz toller Ausdruck!)? Beachte auch das getroste ,nun‘! Haben wir denn das Gottesreich in seinem radikalen Ernst überhaupt erfasst, erlebt? Ist der Glaube nur auch für Ragaz persönlich, geschweige denn für die übrige Menschheit eine selbstverständliche Voraussetzung, über die man einfach hinweghüpft, um nun das Gottesreich eins zu vertreten? Kein Wort von der ,Erkenntnis Gottes‘, von der ,Umkehr‘, dem ,Warten‘ auf das Gottesreich, […] das doch das Apriori alles ,Vertretens‘ ist!“34
Barth sieht in der Parole ,Christus gegen Cäsar‘ einen ,eigenmächtigen Kurzschluss‘, in dem verschiedene Ebenen unangemessen miteinander vermischt werden. „Daß ihr als Christen mit Monarchie, Kapitalismus, Militarismus, Patriotismus und Freisinn nichts zu tun habt, ist so selbstverständlich, daß ich es gar nicht zu sagen 31 Naumann, Werke, Bd. 1, 876. 32 Vgl. Ragaz, Christentum und Vaterland, 322; weitere Belege in der von Hermann Schmidt besorgten Ausgabe: Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 465, Anm. 4. 33 Ragaz, Vom Gottesreich und Weltreich, 276. 34 Barth/Thurneysen, Briefwechsel 1913 – 1921, 69 f; zum Stichwort ,Warten‘ vgl. Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 125 f und die Hinweise des Hg. in Anm. 20.
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brauche. ,Die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir in ihr weiterleben können?‘ ([Röm] 6,2). Viel näher liegt euch natürlich die andere Möglichkeit, die im Christus kommende Revolution willkürlich vorauszunehmen und dadurch hintanzuhalten. Und davor warne ich Euch! Die Sache der göttlichen Erneuerung darf nicht vermengt werden mit der Sache des menschlichen Fortschritts. Das Göttliche darf nicht politisiert und das Menschliche nicht theologisiert werden, auch nicht zugunsten der Demokratie und Sozialdemokratie. Ihr müßt euch, mag eure Stellung in den vorletzten Dingen sein, welche sie wolle, freihalten für das Letzte. Ihr dürft in keinem Fall in dem, was ihr gegen den jetzigen Staat tun könnt, die Entscheidung, den Sieg des Gottesreiches suchen.“35
Bei allem Widerspruch bleibt deutlich, dass Barth keine politische Abstinenz vor Augen hat. Eine für sich bleibende, gleichsam privatisierte christliche Existenz ist ausgeschlossen. „Vom Leben, von der Gesellschaft kann man sich nicht abwenden. Das Leben umgibt uns von allen Seiten [vgl. Ps. 139,5]; es gibt uns Fragen auf; es stellt uns vor Entscheidungen“.36 Barth konfrontiert den von der Gesellschaft so unausweichlich umstellten Menschen nun aber nicht an erster Stelle mit den möglichen Alternativen der Politik, um diese dann von einem theologisch-ethischen Standpunkt aus zu werten, sondern er fragt zunächst nach Gottes Verhältnis zur Gesellschaft als der wirklichen Alternative, die sich in Gottes Nein und Gottes Ja zur Welt verbirgt. Vom Christen in der Gesellschaft lenkt er zunächst zum Christus, der von den Kirchen und Theologen nicht für die Christen vereinnahmt werden darf. Vielmehr ist Christus „immer auch für die andern, für die, die draußen sind, gestorben [vgl. Hebr. 13,12 f.].“37 Das ist kein ethischer, sondern ein fundamental dogmatischer Satz! Das Kreuz ist keine partikulare Angelegenheit, aus der sich für eine besondere Gruppe von Menschen eine besondere Position ableiten ließe, die dann als christlich ausgegeben werden kann. Die Verheißung ist „universalistisch, nicht sektenhaft“.38 Nur weil Christus da ist, ergibt es einen Sinn, ihn zu suchen; nur in der Gewissheit, dass er sich finden lässt, hat die Frage nach ihm einen Halt. Aber er lässt sich nicht zur Stützung einer besonderen Position finden. Christus tritt nicht ein in die Konkurrenz zwischen den verschiedenen irdisch-geschichtlichen Positionen, in der wir es ja sein müssten, die ihn recht in Szene zu setzen hätten. Gott ist auch in seiner Gegenwart nichts einfach Vorkommendes, kein bereitstehender Verrechnungsfaktor, der sich in unsere irdischen Rechnungen – und das sind sie ja alle – einführen ließe. „Es gibt dem Glaubensgebot gegenüber keine Berufung auf etwas schon Vorhandenes. – Gott […] gibt
35 36 37 38
Barth, Römerbrief (Erste Fassung), 509 (zu Röm 12,21 – 13,8a). Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 556. Ebd., 557. Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 134.
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keinem das Recht, sich mit überlegenem ,Ich weiß schon‘ aus der Reihe der andern heraus und auf seine Seite zu stellen.“39 Barth wittert hinter allen Bindestrichen und Genitiven, mit denen die Theologen ihre besonderen geschichtlichen Koalitionen signalisieren, ,gefährliche Kurzschlüsse‘. Die Gefahr ist nicht nur graduell einzuschätzen, so als sei das Übergewicht des Koalitionspartners zu befürchten. Solche Proporzüberlegungen sind nicht bestimmend, sondern es geht Barth um die Wahrung der qualitativen Differenz, um mit der Fremdheit Gottes auch das Ausmaß der menschlichen Entfremdung und damit der Entfremdung der Gesellschaft, an der wir alle Anteil haben, überhaupt erst recht ahnen zu können. Gegenüber dem Zorn Gottes über das reale Weltgeschehen „gibt es kein Mitzürnen, sondern nur ein Mittragen der Schuld und Mitleiden der Strafe und Mitseufzen nach Erlösung.“40 Erst wenn Gott von den weltanschaulichen Alternativen befreit ist, ist er auch zu seinem Wort befreit, das er in die Welt hineinspricht und mit dem er in der Welt wirkt. Stellen sich die Menschen – etwa als religiöse Sozialisten – von sich aus auf die Seite Gottes, so wird „aus Gottes Sache alsbald eine Menschensache […]. Statt nach Anleitung der Gottesgüte, die über ihnen ist, aller Menschen mitklagende und mitseufzende Freunde zu werden, stellen sie sich den meisten Menschen parteiisch gegenüber, hochmütiger als die Gottlosen. Sie genießen sich selbst in ihrer Sonderstellung und Kampfespose.“41
Gerade der Eifer für Gott bringt den Menschen in den schärfsten Widerspruch zu ihm. Er verstellt den tatsächlichen Willen Gottes für diese Welt, der allein in der Verheißung seines Reiches erkennbar wird. Gemessen an diesem Reich führen die menschlichen Anstrengungen „im besten Fall zu einer Reform oder auch bloß Neudrapierung der alten Weltverhältnisse, die vom Standpunkt Gottes aus betrachtet mehr schadet als hilft, weil es über die Notwendigkeit des Kommens seines Reiches wieder auf eine weitere Weile hinwegtäuscht.“42 Der anmaßliche Zugriff auf Gott folgt aus der leichtfertigen Vermischung von Gottespraxis und unserer Praxis. Wenn da ,alles ineinander schwimmt‘43, dann werden schließlich Gott und Mensch ununterscheidbar.
14.2.2 Das menschliche Subjekt und das Reich Gottes Barth geht hier einen entscheidenden Schritt voran, mit dem er die bereits gegen die Kriegstheologie vorgetragene Kritik konkretisiert: gegen die undialektische neuzeitliche Selbsterhebung des Menschen zum Subjekt. Für den 39 40 41 42 43
Ebd., 42 (zu Röm 2,1 – 2). Ebd., 43. Ebd., 46 (zu Röm 2,4 – 5). Ebd., 401 (zu Röm 10,3). Barth/Thurneysen, Briefwechsel 1913 – 1921, 69.
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als Subjekt bestimmten Menschen wird die eigene Praxis konstitutiv. Er ist es, der handelt, tut und macht und auf diese Weise Geschichte gestaltet und beherrscht. Und alles, was für die Geschichte zu erwarten ist, aller Fortschritt oder gar die Revolutionierung der Verhältnisse, fällt in seine Zuständigkeit, in der er sich zu bewähren hat. Das (lediglich von der Grenze des Machbaren gehemmte) Handeln bestimmt die ganze menschliche Existenz, wobei es durchaus nicht zufällig ist, dass sich damit ein Grundgesetz des modernen kapitalistischen Handels in seiner rastlosen Geschäftigkeit allgemein durchgesetzt hat. Aber auch eine Gegenrevolution gegen diese kapitalistische Revolution führt nicht prinzipiell heraus aus der Identität von menschlicher Praxis und Geschichte. Den Wandel zum neuzeitlichen Verständnis des Menschen als Subjekt datiert Barth spätestens ins 18. Jahrhundert. Er stellt dabei neben der Aufklärung das besondere Gewicht des Absolutismus heraus, wobei er das Verständnis von Absolutismus sehr weit fasst und damit seiner Beschreibung der Neuzeit ihre besondere kritische Spitze verleiht.44 „,Absolutismus‘ kann […] allgemein bedeuten: ein Lebenssystem, das gegründet ist auf die gläubige Voraussetzung der Allmacht des menschlichen Vermögens. Der Mensch, der seine eigene Kraft, sein Können, die in seiner Humanität, d. h. in seinem Menschsein als solchem schlummernde Potentialität entdeckt, der sie als Letztes, Eigentliches, Absolutes, will sagen: als ein Gelöstes, in sich selbst Berechtigtes und Bevollmächtigtes und Mächtiges versteht, der sie darum hemmungslos nach allen Seiten in Gang setzt, dieser Mensch ist der absolutistische Mensch.“45
Barth sieht das Verhängnis darin, dass die Frage des Handelns in der Neuzeit zu einer (pseudo)dogmatischen Frage geworden ist, an der für den neuzeitlichen Menschen die ganze Anthropologie hängt. Im neuzeitlichen Primat der Ethik verbirgt sich eine rigide ,Dogmatik‘, die den Menschen am Gesetz des Handelns (des Handels) bemisst. Wenn Barth hier ein großes Fragezeichen setzt, so soll nicht die Ethik und damit das politische Engagement angegriffen werden, sondern er richtet sich gegen jene ,Dogmatik‘, die den Menschen als Handlungssubjekt festlegen will. Barth greift nicht das menschliche Tun an, sondern die Prinzipien, auf denen das menschliche Tun gründet, d. h. das Tun an sich, die Verselbständigung des Tuns und damit die Vergegenständlichung des Menschen unter den Bestimmungen der von ihm selbst inszenierten Geschichte. Der Selbstdogmatisierung der menschlichen Praxis stellt Barth nun die Dogmatik gegenüber, in der von Gottes Handeln und seiner Revolution die Rede ist. Gottes Geschichte begrenzt die menschliche Geschichte, d. h. aber vor allem, dass das Tun des Menschen deutlich begrenzt wird. Nur wenn wir
44 Vgl. dazu Steck/Schellong, Karl Barth und die Neuzeit. 45 Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 19.
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uns in unserem Tun das Tun Gottes verboten sein lassen, handeln wir nach dem Willen Gottes.46 Der Mensch, der sich in seinem Bekenntnis zur Selbstkonstitution im Handeln an die Vorherrschaft des historisch Machbaren in seiner ganzen Relativität verschrieben hat, um in selbstzugemessener Freiheit im Range des Absoluten erscheinen zu können, erfährt nun in der Begegnung mit der Praxis Gottes seinerseits eine höchst folgenreiche Relativierung darin, dass ihm die Hybris seines Subjektanspruchs vor Augen geführt wird. Nun wird er damit konfrontiert, dass bereits etwas getan ist und dass das Entscheidende, was noch zu tun bleibt, nicht von ihm, sondern von Gott zu erwarten steht. An die Stelle des Vorrangs der menschlichen Praxis tritt der Vorrang der Wirklichkeit Gottes, zu der sich der Mensch nicht in seinem Wollen verhalten kann, sondern allein im Eingeständnis der eigenen Schuld und der Bitte um ihre Vergebung. Wenn zur Vermeidung aller Vermischungen Barth nun auf die konsequente Unterscheidung von Gott und Mensch drängt, dann geht es aber nicht um die Isolierung des Menschen von Gott, denn damit erübrigte sich jede weitere Mühe um theologische Erkenntnis. Eine – sowieso nicht vollziehbare – Suspendierung der menschlichen Praxis steht ebenfalls nicht zur Debatte. Vielmehr geht es um eine theologisch ausgewiesene Bestimmung des menschlichen Lebens. Sie wird von dem biblischen Gegensatz zwischen dem von Gott getrennten, entfremdeten (d. h. sündigen) zu dem mit Gott versöhnten (d. h. gerechtfertigten) Menschen angezeigt. Es handelt sich dabei nicht um eine graduelle Differenz, sondern um Tod und Leben, wie es bei Paulus durch die Rede vom ,alten‘ und ,neuen Menschen‘ (Röm 6) beschrieben wird. Doch auf diesen Gegensatz stoßen wir nicht von uns aus, sondern werden allein durch das Tun Gottes auf ihn gestoßen. Die Praxis Gottes öffnet uns die Augen für die tatsächliche Entfremdung des Menschen und seiner eigensinnigen Praxis in seiner Welt, die vom Tod beherrscht und in Atem gehalten wird. Allein die Gotteserkenntnis führt zu rechter Selbsterkenntnis. Damit wird deutlich, dass die Unterscheidung – nicht Trennung! – zwischen Gottes Praxis und unserem Tun vorausgesetzt werden muss, um den Zusammenhang von Welterkenntnis und Gotteserkenntnis überhaupt beschreiben zu können. Zugleich wird das Gefälle angezeigt: Nicht die irdische Not findet zu ihrem ,Heiland‘, sondern der ,Heiland‘ offenbart die tatsächliche irdische Not. Der Tod hat nicht die Phantasie zum Leben, wohl aber offenbart das Leben die angemaßte Vorherrschaft des Todes. Vom Leben kann nicht an und für sich gesprochen werden, sondern nur in seinem Protest gegen den Tod, von dem der Mensch in seiner entfremdeten Existenz umgeben ist. Ebenso kann es keine rechte Weltwahrnehmung ohne die Begegnung mit dem wahren Leben geben:
46 Vgl. Marquardt, Theologie und Sozialismus, 158 f.
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„Es gibt kein Erwachen der Seele, das etwas anderes sein könnte als ein ,mitleidend Tragen der Beschwerden der ganzen Zeitgenossenschaft‘. Dieses Erwachen der Seele ist die Bewegung, in der wir stehen, die Bewegung der Gottesgeschichte oder der Gotteserkenntnis, die Bewegung im Leben aufs Leben hin. Wir können es, indem wir in diesem Erwachen begriffen sind, nicht mehr unterlassen, alle Gültigkeiten des Lebens zunächst einer prinzipiellen Verneinung zu unterwerfen, sie zu prüfen auf ihren Zusammenhang mit dem, was allein gültig sein kann. Alles Leben muss es sich gefallen lassen, sich am Leben selbst messen zu lassen. Ein selbständiges Leben neben dem Leben ist nicht Leben, sondern Tod.“47
Menschliches Leben thematisiert sich nicht selbst, sondern erhält seine Bestimmung von Gott, und zwar ganz und gar. In diesem Sinne geht es um das Ganze und d. h. um die Prüfung der Ausrichtung aller ,Teile‘. Barth stellt sich damit gegen alle Partikularisierungen und gegen jede Behauptung von besonderen Eigengesetzlichkeiten und geschichtlichen Unabänderlichkeiten. Wenn er hier dem universalen Aspekt einen besonderen Akzent verleiht, dann geht es nicht um die Abwertung oder Nivellierung des jeweils aktuellen Geschehens, sondern um die Perspektive unserer Wahrnehmungen. Es wird Protest erhoben gegenüber unserer – inzwischen schon selbstverständlichen – Duldung der verbreiteten Zersplitterung der Welt und des Lebens in die vielen kaum noch miteinander in Beziehung zu bringenden Einzelwelten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Privatheit. Auch die Theologie hat sich weithin mit den partikularen Rollen zufrieden gegeben, die ihr von der Neuzeit noch zugestanden werden. Doch sie wird ihrer Aufgabe nicht gerecht, wenn sie sich auf die ,religiösen Teile‘ des Lebens beschränkt, sondern muss sich auch den ,profanen‘ Fragen und Nöten dieser Welt zuwenden. Dazu ist es nötig, dass sie erst einmal neu nach den biblischen Bestimmungen des menschlichen Lebens zu fragen lernt. Dabei bleibt sie allerdings recht unbehaust zwischen all den Verheißungen und Ansprüchen, mit denen die Welt um die Gefolgschaft und Opferbereitschaft der Menschen wirbt. Und so weiß sich Barth, nachdem alle historischen Dienstverhältnisse von Theologie und Kirche in ihrer Relativität erkennbar geworden sind, ganz auf die Anfänge der Theologie zurückgeworfen, nicht etwa, weil es von dort her positionelle Stärkung zu erwarten gibt, sondern weil sich allein hier ein angemessenes Kriterium für die Zeitgenossenschaft von Theologie und Kirche ergeben kann. „Sich auf den Anfang zurückwerfen lassen ist keine öde Verneinung, wenn wir wirklich auf den Anfang, auf Gott geworfen werden; denn nur mit Gott können wir positiv sein. Positiv ist die Negation, die von Gott ausgeht und Gott meint, während alle Positionen, die nicht auf Gott gebaut sind, negativ sind. Den Sinn unserer Zeit in
47 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 570 f.
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Gott begreifen, also hineintreten in die Beunruhigung durch Gott und den kritischen Gegensatz zum Leben, heißt zugleich unserer Zeit ihren Sinn in Gott geben.“48
Barth erinnert den Theologen daran, dass er in der je konkreten Situation „in seinem Denken allezeit mit dem Anfang anzufangen“49 hat. Damit ist zunächst nur der „archimedische Punkt“ bezeichnet, „von dem aus die Seele und mit der Seele die Gesellschaft bewegt ist“.50 Nicht ein Zustand wird beschrieben, sondern die den Menschen bewegende Wirklichkeit Gottes, wie der Glaube sie erkennt, wenn er die Welt im Licht dieses Lebens zu sehen vermag. „Das Reich Gottes fängt nicht erst mit unsern Protestbewegungen an.“51 Vielmehr ist es mitten unter uns, auch wenn alles, was wir sehen und erfahren, gründlich dagegen spricht. Und so kann es sich bei unserer Opposition zu den vorfindlichen Verhältnissen stets nur um einen historisch bedingten und damit vorletzten – d. h. im Letzten aufgehobenen – Widerspruch handeln. Die Welt entscheidet nicht über das Schicksal Gottes, sondern Gott hat sich bereits des Schicksals der Welt angenommen, nicht etwa nur in der Kirche. Wir werden uns allerdings eingestehen müssen, „dass uns die Tragik unserer Lage stärker bewusst ist als die Souveränität, mit der wir uns allenfalls mit dieser Lage abzufinden wissen. Die Tränen sind uns näher als das Lächeln. Wir stehen tiefer im Nein als im Ja, tiefer in der Kritik und im Protest als in der Naivität, tiefer in der Sehnsucht nach dem Zukünftigen als in der Beteiligung an der Gegenwart.“52 Das Ja und Nein wurzeln in dem von Gott gesetzten Anfang unserer Erkenntnis und sind daher keine Programme für menschliche Lebensgestaltungen. Es sind zunächst Erkenntniskategorien in strenger Entsprechung zu Leben und Tod als der tatsächlichen Spannung, in der sich unser irdisches Leben vollzieht. Erst von hier aus werden wir gleichsam entlassen in die historischen Möglichkeiten der Welt, nicht um nun den Weg zu beschreiben, sondern um teilzunehmen an den vorletzten Möglichkeiten, mit denen der Mensch die vorfindlichen Verhältnisse umgestalten kann, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die nach wie vor bestehende Entfremdung von Gott aufheben zu können. Dies wird zum entscheidenden Kriterium für jede kritische Zeitgenossenschaft von Kirche und Theologie: Die konsequente und radikale Aufkündigung des Friedens mit dem Status quo. Diese Kündigung beruft sich vor allem auf zwei Motive: a) auf das verheißene Reich Gottes als dem einzig verlässlichen Grund unserer Hoffnung, die uns die Augen öffnet für die Entfremdung und die Vorläufigkeit der menschlichen Geschichte, so dass wir uns prinzipiell nicht auf irgendeinen vorletzten Zustand verlassen können, und b) auf das in Christus bereits angebrochene Reich Gottes als der einzig tragenden Bestimmung des irdischen Lebens in seiner unteilbaren 48 49 50 51 52
Ebd., 573 f. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 21 f. Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 575. Ebd., 577. Ebd., 587.
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Ganzheit, die uns die faktische und praktische Anstößigkeit unseres Entfremdungszustandes vor Augen führt, so dass wir unsere Kräfte für jede Stabilisierung des Status quo verweigern müssen. Wie kann man aber diesem strengen Kriterium gerecht werden, ohne für sich die Rolle eines Werkzeug Gottes in Anspruch zu nehmen? Barths Antwort lautete seinerzeit: kritische Mitarbeit „als mithoffende und mitschuldige Genossen innerhalb der Sozialdemokratie, in der unserer Zeit nun einmal das Problem der Opposition gegen das Bestehende gestellt, das Gleichnis des Gottesreiches gegeben ist und an der es sich erweisen muß, ob wir dieses Problem in seiner absoluten und relativen Bedeutung verstanden haben.“53 Allein in der Beteiligung an profanen Aktivitäten bleiben wir im Bereich der Politik vor eigenmächtigen Synthesen bewahrt. Wir bleiben streng im Gleichnis und stehen mit beiden Beinen in der Welt als dem Ort, dem die bereits wirksame Verheißung Gottes gilt. So wie es sich bei den biblischen Reich-Gottes-Gleichnissen stets um ganz profane Angelegenheiten handelt, so muss auch in unserem Engagement erkennbar bleiben, dass es nicht selbst das Reich Gottes in Szene setzen will. Der ,Himmel‘ soll nicht auf die Erde herabgeholt werden, sondern es kann nur darum gehen, dass die Erde mit ihren irdischen Möglichkeiten möglichst deutlich sichtbar zu machen versucht, dass sie bereits jetzt von der Verheißung des himmlischen Reiches weiß. Das Bekenntnis zur Sozialdemokratie ist ein pragmatisch-politisches, das keinem unabsehbaren, kategorischen Treueschwur untersteht, sondern der historisch-politischen Einschätzung der jungen Weimarer Republik folgt. Im Parteienstreit und in der politischen Auseinandersetzung folgt der Christ keinen weitgespannten Geschichtsentwürfen, sondern in größtmöglicher Nüchternheit dem Willen Gottes für die jeweilige historische Stunde.
14.2.3 Der politische Gottesdienst Wie aber lässt sich der Wille ermitteln, und wer bestimmt dann, dass nicht auch die entgegen gesetzte Entscheidung mit dem Willen Gottes in Einklang gebracht werden kann? Warum durften sich die kriegsführenden Parteien im Ersten Weltkrieg nicht auf den Willen Gottes berufen, was nun ausgerechnet der Sozialdemokratie gestattet sein soll? Warum kann Barth dann später im Zweiten Weltkrieg den Briten bestätigen, dass sie „einen rechten, von Gott nicht nur zugelassenen, sondern gebotenen Krieg“54 führen, während er nicht lange nach dem Ende dieses zweiten großen Krieges besonders in die westliche Richtung den kalten Krieg attackierte, da dieser bestimmt nicht dem Willen Gottes entspräche? In seiner Ethik von 1928 ist Barth sehr zurückhaltend in 53 Ebd., 592. 54 Barth, Eine Schweizer Stimme, 181.
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seiner Bewertung der ,Militärdienstverweigerung‘55, nach dem Zweiten Weltkrieg stellt er sich dann entschieden auf die Seite der Gegner der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik.56 Ist da nicht alles beliebig und höchst subjektiv von persönlicher politischer Neigung gefärbt? Barth mutmaßt selbst, dass „man dereinst zusammenfassend von mir sagen wird, daß ich mir zwar in der Erneuerung der Theologie und allenfalls im deutschen Kirchenkampf gewisse Verdienste erworben habe, in politischer Hinsicht aber ein bedenkliches Irrlicht gewesen sei!“57 Auch wenn es aus der Ferne betrachtet so aussehen mag, so haben bei näherem Hinsehen all diese unterschiedlich erscheinenden Ratschläge einen vergleichbaren Entscheidungszusammenhang. Barth thematisiert diesen Entscheidungszusammenhang seit 1938 unter dem Stichwort des „politischen Gottesdienstes“58. Schon das Stichwort zeigt an, dass Barth nicht die Theologie verlässt, um sich nun auch politisch zu betätigen, sondern er fragt nach dem Gottesdienst, der außerhalb der Kirche in der Welt geschieht. Der Begriff des Gottesdienstes macht deutlich, dass nicht allein die Kirche, sondern auch die profane Welt Gott dient, auch wenn dies von der Welt nicht ausdrücklich angezeigt wird. Es geht nicht um eine politische Theologie, sondern um eine theologische Betrachtung der Politik, die hier stellvertretend für das profane menschliche Handeln überhaupt thematisiert werden soll. Dabei wollen wir uns zunächst an einem konkreten historischen Problemzusammenhang orientieren, um dann auch einige allgemeingültige systematische Überlegungen anzuschließen. 1. Barth hatte sich seit Antritt seiner Lehrtätigkeit in Göttingen während seiner ganzen Zeit in Deutschland bis 1935, als er in die Schweiz zurückkehrte, weithin politische Zurückhaltung auferlegt. Auch nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus stellt er noch die ,Theologische Existenz heute‘ vor den politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Dabei ging es ihm jedoch um mehr als um politische Neutralität, zu der er sich als Schweizer in Deutschland verpflichtet fühlte. Einerseits liegt hier ein Beispiel für den notwendigen Realitätssinn theologischer Zeitgenossenschaft vor, wenn sich Barth ganz nüchtern die tatsächliche Widerstandskraft der deutschen Kirche vergegenwärtigt, denn die deutsche Kirche war weithin deutsch-national, wenn nicht ohnehin nationalsozialistisch politisiert. Aber nicht allein das praktisch-taktische Kalkül in Abschätzung der Erfolgsaussichten eines Aufrufs zum Widerstand war entscheidend, sondern die politische Neutralität hatte andererseits auch einen theologischen Grund, der darin besteht, dass die Kirche ihr Verhältnis zum Staat nicht von ihren tagespolitischen Meinungen oder gar Neigungen zu einer bestimmten Staatsform und Gesellschaftsordnung abhängig machen darf. 55 56 57 58
Barth, Ethik I, 264 f. Barth, Der Götze wackelt, 150 – 157. Ebd., 204. Zuerst in: Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 203 – 216.
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Alle Staatsformen und Gesellschaftsordnungen sind vorläufig und unvollkommen und können daher – ungeachtet aller politischen Wünsche – in durchaus vergleichbarer Weise Raum für die Kirche sein. Der Widerspruch der Kirche gegen den Staat kann nicht allein aus formalen, sondern muss aus inhaltlich aufweisbaren Gründen erfolgen. Um aber solche Gründe überhaupt sachlich recht ausmachen zu können, muss die Kirche vor allem Kirche sein. Die Kirche in Deutschland musste überhaupt erst Kirche werden, d. h. sie musste sich erst einmal aus ihrer inneren Verstrickung mit dem nationalsozialistischen Staat herauslösen. Es bedurfte zunächst einer Entpolitisierung hin zur Neutralität, und darin lag bereits ein brisantes Politikum, das Barth in der Betonung der ,Theologischen Existenz heute‘ vor Augen hatte. Nur eine Kirche, die tatsächlich bei ihrer ,Sache‘ ist, d. h. die in ihrem Reden und Tun Zeugnis vom Reden und Tun Gottes ablegt, vermag ein eigenes bedenkenswertes Wort zu sprechen. Die Kirche musste, um überhaupt die Freiheit für ein eigenes Wort zu erhalten, zunächst aus ihren längst eingegangenen politischen Bindungen befreit werden, denn von „Disteln kann man keine Trauben lesen“.59 Die Neutralität dem Staat gegenüber kann jedoch nur solange bewahrt werden, als sich der Staat seinerseits auf die ihm gegenüber der Kirche gezogenen Grenzen beschränkt. Schränkt er jedoch die Freiheit des Bekenntnisses ein, so ist Widerstand geboten. Der Widerstand beginnt für Barth damit, dass er den Treueid auf den Führer verweigert.60 Doch auch die Verweigerung reicht nicht mehr aus, wenn erkannt ist, dass der Staat in dem Sinne ein totaler sein will, dass er sich selbst an die Stelle Gottes setzt, indem er als „religiöse Heilsanstalt“61 auftritt. Es geht Barth beim Widerstand gegen den Nationalsozialismus um die Gottesfrage und damit um den Glauben der Kirche ebenso wie den der Welt überhaupt. „Der Nationalsozialismus ist eine regelrechte, sehr säkulare, aber in ihrem ganzen Inventar deutlich als solche zu erkennende Kirche, deren eigentliche, ernstliche Bejahung […] nur in Form des Glaubens, der Mystik, des Fanatismus möglich ist. Sicher sieht man das auch heute [Dez. 1938] nicht immer auf den ersten Blick. Aber eben so sicher versteht man ihn in der Tiefe überhaupt nicht, wenn man ihn nicht so versteht, täuscht man sich, wenn man meint, anders zu ihm Stellung nehmen zu können als so, wie man eben zu einer Kirche, zu einer religiösen Heilsanstalt und Heilsbotschaft Stellung nimmt.“62
Die Entscheidung, die hier von der Kirche zu fällen ist, kann nur Ja oder Nein sein. Es geht dabei um das Ja und das Nein der Kirche zur Herrschaft Gottes. 59 Barth, Eine Schweizer Stimme, 281; vgl. zum ganzen Zusammenhang Schellong, Alles hat seine Zeit. 60 Vgl. dazu ausführlicher u. 14.4. 61 Barth, Eine Schweizer Stimme, 85. 62 Ebd., 86 f.
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Kompromisse kann es hier nicht geben. Der von Barth in diesem Zusammenhang geforderte Widerstand ist zwar nicht politisch motiviert, denn er führt keine politischen Gründe auf, aber er hat weitreichende politische Wirkungen. Dass es sich beim Nationalsozialismus um einen Angriff auf Gott handelt, lässt sich besonders drastisch an den Judenverfolgungen aufzeigen. „Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher, und wenn er im Übrigen ein Engel des Lichtes wäre, als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen. Antisemitismus ist Sünde gegen den Heiligen Geist. Denn Antisemitismus heißt Verwerfung der Gnade Gottes.“63 Ja, Barth kann sogar sagen: „Die Judenfrage ist die Christusfrage.“64 Der Angriff auf die Juden wird damit zum direkten Angriff auf „das, was den Menschen mit Gott verbindet“65. Dann zeigt sich besonders unverstellt das Widergöttliche des Nationalsozialismus in seinem ganzen Übermenschenwahn. Allein indem sich die Kirche konsequent an das erste Gebot hält, gerät sie in der „totalen und prinzipiellen Diktatur“66 in eine zwangsläufig politische Auflehnung.67 Es stehen hier zwei Götter gegeneinander, und damit steht die Kirche in der selbstzerstörerischen Versuchung, sich in den Dienst von zwei Herren begeben zu wollen. Die Kirche wird auf die Konkretheit und Ernsthaftigkeit ihres Bekenntnisses hin geprüft. Sie wird daran erinnert, dass ihre „Bezeugung Jesu Christi, nie raum- und zeitlos, nie leiblos und also nie ohne die Gestalt, den Ton und die Farbe bestimmter Entscheidungen in den die Kirche und die Welt heute, jetzt und hier bewegenden Fragen sein“68 kann. Barths Fragen zielen nicht von einem theologischen Fundus in eine politische Verantwortung hinein, sondern auf die zeitgeschichtliche Realitätsverarbeitung der Theologie und damit auf die theologische Verarbeitung der jeweils konkreten Zeitgenossenschaft der Kirche. Hier haben sich Theologie und Kirche zu bewähren. Und Barth fragt im Blick auf den Nationalsozialismus: „Was hat sie [die Kirche] überhaupt zu sagen in Bezeugung Jesu Christi, wenn sie etwa dazu nichts zu sagen hat?“69 „Eine Kirche, die aus lauter Angst, nur ja von keinem ,Kotflügel‘ gestreift zu werden, nur ja nicht in den Schein zu kommen, Partei zu ergreifen, nie und nimmer Partei zu sein sich getraut, sehe wohl zu, ob sie sich nicht notwendig nun wirklich kompromittiere: mit dem Teufel nämlich, der keinen lieberen Bundesgenossen kennt als eine in der Sorge um ihren guten Ruf und sauberen Mantel ewig schweigende, ewig meditierende und diskutierende, ewig neutrale Kirche: eine Kirche, die, allzu be63 64 65 66 67 68 69
Ebd., 90. Ebd., 318. Ebd., 320. Ebd., 84. Vgl. ebd., 61. Ebd., 74. Ebd., 87; vgl. 246.
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kümmert um die doch wirklich nicht so leicht zu bedrohende Transzendenz des Reiches Gottes – zum stummen Hunde geworden ist.“70
Es liegt in der Konsequenz seiner theologischen Zuspitzung, wenn Barth dann den Krieg gegen den deutschen Faschismus als „eine Sache des christlichen Gehorsams“ gegenüber dem „klare[n] Willen Gottes“ bezeichnet71. Doch wichtig ist nun, wie Barth diesen Krieg charakterisiert: Es handelt sich um einen Notwehrkrieg,72 der mit dem Einsatz der Feuerwehr,73 mit der Hilfe eines Arztes bei einem Todkranken74 oder mit einer Polizeimaßnahme75 zu vergleichen ist. Diese anschaulichen Vergleiche wollen anzeigen, dass man in dem Krieg „weder einen Kreuzzug, noch einen Religionskrieg“76 sehen darf, in dem die Sache Gottes gegen den Teufel verteidigt wird, sondern er ist in seiner ganzen – auch theologisch aufgezeigten – Notwendigkeit nicht mehr als eine menschliche Antwort „auf eine menschlich gestellte Frage“77 (und dies nicht etwa, weil man 1940 noch nicht den Ausgang des Krieges voraussagen konnte). Deshalb ist der Krieg in größter Nüchternheit, d. h. ohne jedes heroische Pathos zu führen. Mit der Berufung auf den Willen Gottes verbindet sich für Barth keineswegs eine besondere religiöse Praxis des Menschen und schon gar nicht ein heiliger Krieg der Guten gegen die Bösen. Es geht lediglich darum, der Herausforderung standzuhalten und dem Nationalsozialismus einen möglichst wirksamen Widerstand entgegenzustellen, damit er möglichst bald abgestellt ist. Barth warnt schon vor dem Nachsinnen über irgendwelche Friedensziele, die über den konkreten Kampf gegen den Nationalsozialismus hinausgehen.78 Ebenso wehrt er sich gegen alle ideologischen Verklärungen des Krieges, so als ginge es da um die Sache Frankreichs oder Englands,79 sondern er ist für die Kirche allein als diese aktuell erforderliche Polizeimaßnahme gegen diese „politische Räuberhöhle“80 zu rechtfertigen und zu unterstützen. Die Begründung für diese Bescheidenheit, die vielleicht überrascht, nachdem nicht allein der Wille Gottes, sondern auch die Existenz der Kirche und damit die Freiheit des Evangeliums auf dem Spiel zu stehen schienen, lenkt mit der Frage nach dem Weltverständnis der Kirche unsere Aufmerksamkeit – ebenso wie in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus – auf die ,Anfänge‘ der Theologie. Barth weist schlicht und entschieden auf die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Der Glaube an die 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Ebd., 76. Ebd., 185. Nur so ist Krieg überhaupt zu rechtfertigen; vgl. Barth, Ethik I, 264. Vgl. Barth, Eine Schweizer Stimme, 135. Vgl. ebd., 142. Vgl. ebd., 194. Ebd., 193. Ebd., 140 (Hervorhebung M.W.). Vgl. ebd., 194 f, 290 f. Vgl. ebd., 100, 111 u. ö. Ebd., 216.
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Auferstehung verbietet ein Weltverständnis, in dem die Welt blinden und teuflischen Schicksalsmächten ausgeliefert ist.81 Das ist eine konsequente Argumentation, auch wenn sie sich so steil, wenn nicht gar anmaßend anhört. Dahinter steht die bedenkenswerte Frage: Sieht die Kirche in der Welt nur ein gottloses Gegenüber oder rechnet sie ernsthaft damit, dass sich Gott in Jesus Christus tatsächlich der Welt zugewandt hat, so dass sich auch der Wille Gottes für diese Welt bereits real in dieser Welt auffinden lässt. Nur wenn sie ernsthaft damit rechnet, kann sie überhaupt zu ethischen Entscheidungen kommen. Der Gehorsam des Glaubens orientiert sich nicht an gesetzlichen Forderungen, sondern an der Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Welt. Allein von hier aus ist der Wille Gottes das entscheidende Kriterium für das Tun der christlichen Gemeinde. Er weist uns nicht auf ethische Imperative, sondern auf die Wirklichkeit Gottes wie sie sich in Jesus Christus in der Welt gezeigt hat; sein Tod und seine Auferstehung, in denen der Wille Gottes für diese Welt offenbar wird, sind eine der Welt bereits bereitete Wirklichkeit, von der nun alles menschliche Handeln bestimmt werden muss. Der Weltbezug Gottes verbietet nun auch der Kirche, sich in ihren Aktivitäten auf sich selbst zu beschränken. „Jesus Christus wohnt nicht in einem mystischen, kultischen, pietistischen, individual-moralischen oder theologischen Hinterland jenseits der politischen Sphäre, so daß das eigentliche Leben mit ihm dort anfangen würde, wo diese aufhört. Wir freuen uns, daß wir ihn in der Kirche erkennen, anbeten und verkündigen, daß wir wiedergeboren durch die Taufe auf seinen Namen, und genährt und gestärkt durch seinen Leib und sein Blut im Abendmahl, als Glieder an seinem Leibe leben und wachsen dürfen. Wir sind aber, weil sein Leib nicht auf die Mauern der Kirche beschränkt ist, weil auch die politische Sphäre ihm und weder zum Menschen, noch dem Teufel gehört, eben als Glieder seiner Kirche zum Gottesdienst auch in dieser Sphäre unweigerlich verbunden.“82
2. Mit diesen Überlegungen gibt Barth im Grunde eine Interpretation der Formulierung in der zweiten These der Barmer theologischen Erklärung von 1934, dass Christus „auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“ ist, so dass es keine Bereiche gibt, „in denen wir nicht Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären.“83 Christus selbst wird damit zu der ethischen Wirklichkeit, auf die sich die Kirche zu besinnen hat. Nun steht bei der Frage nach dem Handeln des Menschen nicht mehr der Mensch mit seinen Möglichkeiten im Mittelpunkt des Interesses, sondern Gott in seinem Handeln an der Welt. Es geht nun nicht darum, was von uns erwartet wird, womit wir nun gleichsam für Gott einzutreten hätten, weil es in der Geschichte ja vor allem auf 81 Vgl. dazu o. Kap. 5. 82 Ebd., 193. 83 Heimbucher/Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung, 36.
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uns ankomme, sondern es geht allein darum, ob wir tatsächlich Gott und sein Handeln recht erkannt haben. Um dieses Denkgefälle theologisch festhalten zu können, wird von Barth auch innerhalb der ethischen Fragestellung konsequent die Dogmatik der Ethik vorgeordnet. Die Ethik bedenkt die konkrete Konformität des Glaubens mit der von Gott ins Werk gesetzten und verheißenen Wirklichkeit. Der Wirklichkeit Gottes wird nicht eine eigene Wirklichkeit des Menschen gegenübergestellt. Es findet im Rahmen der Ethik keine „bedenkliche Vertauschung des Subjekts mit einem anderen Subjekt, nämlich Gottes mit dem Menschen“84 statt. In der Ethik wird gegenüber der Dogmatik weder die „Blickrichtung“ noch das „Thema“ gewechselt, sondern es kann lediglich um den „ethischen Gehalt“ der Dogmatik gehen (vgl. KD II/2, 599). Es geht um den von der Wirklichkeit Gottes beanspruchten tatsächlichen Menschen (das meint die Rede von der Heiligung). Doch erst in diesem Gefälle bekommt die ethische Frage ihr theologisches Gewicht. Nur wenn Dogmatik und Ethik streng zusammengenommen werden, wird sichtbar, dass der Glaube die ganze Existenz des Menschen betrifft. Man hat nicht die ganze Existenz des Menschen im Blick, wenn man nicht auch und gerade die Praxis des Menschen bedenkt. „Denn der Mensch existiert als Person, indem er handelt. Und so ist die Frage nach der Güte, der Würde, der Richtigkeit, der echten Kontinuität seines Handelns, so ist die ethische Frage nicht mehr und nicht weniger als die Frage nach der Güte, Würde, Richtigkeit und echten Kontinuität seiner Existenz, seiner selbst. Sie ist eine Lebensfrage, die Frage, mit deren Beantwortung er steht und fällt.“ (KD II/2, 572) Die theologische Ethik erhält erst ihre besondere Kraft, wenn sie ihre sachliche Einheit mit der Dogmatik wiederfindet. Wenn Barth diese inhaltliche Konzentration so unterstreicht, will er einen verbreiteten neuzeitlichen Schaden beheben: „Es steckte auch in jener ganzen neuzeitlichen Emanzipation der Ethik gegenüber der Dogmatik nicht nur ein berechtigtes Anliegen […] und geschichtlich wohl verständliche Reaktion gegenüber dem Sündenfall, vor dem keine Dogmatik sicher ist, dem Sündenfall in eine Zuschauermetaphysik, in den Luxus einer müßigen Weltanschauung. Es ist aber an der Zeit, daß man aus diesem geschichtlich berechtigten, aber sachlich hochgefährlichen Reagieren gegen eine unethische Dogmatik herauskomme, Zeit, jenem Anliegen so gerecht zu werden zu suchen […], daß jene letztlich heidnische Einführung eines zweiten heterogenen Gesichtspunktes, bei dem dann wohl der erste und eigentliche unvermeidlich verlorenzugehen pflegt, rückgängig gemacht und auch in der Ethik ausschließlich, wenn auch in der besonderen Zuspitzung ihrer Frage nicht nach einem Zweiten, sondern nach dem Einen und Einzigen, was not tut, gefragt wird.“85
84 Barth, Ethik I, 17 f. 85 Ebd., 29.
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Diese Reparatur ist sehr folgenreich. Es bleibt nämlich zu fragen, ob der Verlust der Selbstkonstituierung des Menschen durch sein Handeln nicht eine Annullierung der Grundlagen der gesamten am individuellen Subjekt orientierten Anthropologie der Neuzeit bedeutet. Und damit geht die Frage weiter an unser Freiheitsverständnis, das insofern als Schrittmacher des Fortschritts angesehen wird, als es die Voraussetzungen für die leistungs- und gewinnorientierte Konkurrenzwirklichkeit schafft. Und von hier aus ist man sofort bei ökonomischen Fragen, die dann auf die ideologischen Grundlagen unserer marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft zielen. Barth stellt nun heraus, dass die Alternative zum Status quo bereits im Status quo mit enthalten ist, dass die vorfindliche Wirklichkeit schon die Wirklichkeit ihrer Aufhebung real verbirgt. Damit ist einerseits dem rastlosen ethischen Subjekt Einhalt geboten. Ihm werden die Gesinnungen, Geschichtsutopien und ethischen Ideale versagt, denn sie greifen über die tatsächliche Wirklichkeit hinaus und erwarten alles belangvolle Geschehen von der verändernden Praxis des menschlichen Subjekts. Andererseits ist damit die Bestimmung und der Ort für die menschliche Praxis, d. h. das Engagement der Gemeinde angezeigt. In ihrer Praxis ist die Kirche Welt, d. h. sie hat weltlich zu handeln und sich dort zu engagieren – und in diesem Zusammenhang fiel auch Barths Entscheidung für die Sozialdemokratie –, wo am deutlichsten die Zeichen dafür erkennbar sind, dass die Welt nicht sich selbst überlassen ist, sondern dass es, wenn auch vorläufig und unvollkommen, Bewegungen in den vielen irdischen Bewegungen gibt, die den Willen Gottes für diese Welt deutlicher erkennen lassen als die anderen. Wenn Barth also auf die Welt als dem Ort des menschlichen Handelns weist, so ist damit kein fester Standpunkt gemeint; vielmehr bleibt stets nach dem Engagement zu suchen, das am meisten gleichnisfähig ist zum verheißenen Reich Gottes. In diesem Sinne kann Barth formulieren: „Die freie Predigt von der Rechtfertigung wird dafür sorgen, daß die Dinge an ihren Ort zu stehen kommen.“86 In ihrem Handeln muss sich die Kirche auf den Komparativ bescheiden, der weder in einen Indikativ noch in einen Superlativ gewendet werden darf. Es ist der Komparativ zwischen prinzipiell relativen, weltlichen Möglichkeiten und nicht der unmögliche Komparativ, in den sich der Mensch mit Gott stellt. Wenn Barth vom politischen Gottesdienst spricht, hat er die profane Welt vor Augen. Obwohl diese Welt die Verheißungen Gottes nicht kennt, untersteht sie doch seinem Anspruch. Die politische Ordnung ist nicht einfach gottlos, sondern hat die Aufgabe, eine für das menschliche Leben heilsame „Ordnung des äußerlichen Rechtes, des äußerlichen Friedens, der äußerlichen Freiheit […] mitten im Chaos des Weltreiches“87 zu errichten. Indem die Politik und die irdischen Machthaber dies tun, vollziehen sie den poli86 Barth, Rechtfertigung und Recht, 47. 87 Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 206.
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tischen Gottesdienst, d. h. sie übernehmen einen dem Willen Gottes entsprechenden Dienst in dieser Welt. Insofern auch die Kirche zur noch nicht erlösten Welt gehört, hat sie auch teilzunehmen am politischen Gottesdienst, d. h. sich politisch (profan) zu engagieren. Dieses Engagement besteht vor allem darin, darüber zu wachen, ob die Ausübung politischer Macht des Menschen über den Menschen auch tatsächlich einer heilsamen Ordnung des Lebens dient, so dass sich ihr Dienst als ein von Gott gewollter beschreiben lässt. Die Kirche wird widersprechen oder gar Widerstand leisten müssen, wo sich die Machthaber gegen Recht, Frieden und Freiheit kehren, um sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen.88 Der Begriff des politischen Gottesdienstes stellt einerseits die Profanität des Politischen heraus und unterstreicht andererseits die theologische Relevanz der profanen Welt. Er verbietet damit die Theologisierung der Profanität im Sinne einer politischen Theologie, denn dies läuft auf eine Profanisierung Gottes hinaus. Ebenso verbietet er eine Entpolitisierung der Theologie, denn dies läuft auf eine willkürliche Partikularisierung und Privatisierung Gottes hinaus. Im Blick auf die Kirche spricht Barth später in dem einen Fall von der extravertierten und im anderen Fall von der introvertierten Kirche.89 Beide Gestalten bezeichnen einen Irrweg der Kirche, auf dem sie anderen Herren als ihrem lebendigen Herrn dient. Die Unmöglichkeit einer unpolitischen Kirche stellt Barth besonders deutlich in seinen Fragen an die Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium‘ heraus, die sich schon in den 1960er Jahren mit aufwendigen Großveranstaltungen in Szene zu setzen versuchte: „Seid ihr willig und bereit, eine ähnliche ,Bewegung‘ und ,Großkundgebung‘ zu starten und zu besuchen: Gegen das Begehren nach Ausrüstung der westdeutschen Armee mit Atomwaffen? Gegen den Krieg und die Kriegsführung der mit Westdeutschland verbündeten Amerikaner in Vietnam? Gegen die immer wieder sich ereignenden Ausbrüche eines wüsten Antisemitismus (Gräberschändungen) in Westdeutschland? Für einen Friedensschluss Westdeutschlands mit den osteuropäischen Staaten unter Anerkennung der seit 1945 bestehenden Grenzen? Wenn euer richtiges Bekenntnis zu dem nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift für uns gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus das in sich schließt und ausspricht, dann ist es ein rechtes, kostbares und fruchtbares Bekenntnis. Wenn es das nicht in sich schließt und ausspricht, dann ist es in seiner ganzen Richtigkeit kein rechtes, sondern ein totes, billiges, Mücken-seigendes und Kamele-verschluckendes […] Bekenntnis.“90
Barths Frage konzentriert hier alles auf das Bekenntnis, das selbst kein politisches Bekenntnis ist, aber in seiner Ernsthaftigkeit daran zu bemessen ist, von welchem irdischen Ort aus es gesprochen wird und in welche irdische 88 Vgl. ebd., 212 – 216. 89 Barth, Das christliche Leben, 225 ff. 90 Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 520 f.
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Bewegung es hineindrängt. „Im Leben der Kirche […] fällt die Entscheidung über die Reinheit oder die Unreinheit ihrer Lehre“ (KD I/2, 861). Und nachdem Barth alle traditionellen Bereiche des kirchlichen Lebens aufgezählt hat, fügt er ausdrücklich hinzu: „in ihrer Botschaft an die Welt und nicht zuletzt in ihrer konkreten Haltung gegenüber den Mächten von Staat und Gesellschaft“ (ebd.). Barth hat dabei keine besondere Kontur einer christlichen Ethik im Blick, durch die sie mit besonderen christlichen Lösungen aufwarten könne, sondern es geht darum, dass sich die Kirche in ihrem Tun von den Nöten und Problemen der Welt bewegen lässt. In der Verheißung des Reiches Gottes, die ja nicht der Gegenstand von Theologie und Kirche ist, sondern die sie bestimmende Wirklichkeit, wird der Kirche der Blick für die Welt geweitet. Indifferenz wird nun zum Unglauben an die Verheißung, denn sie steht im Widerspruch zum realen Handeln Gottes. In der Verheißung des Reiches Gottes, die unseren Blick in dieser Welt auf Kreuz und Auferstehung Jesu Christi lenkt, werden der Kirche die Augen geöffnet für den jeweils größeren Zusammenhang und die jeweils übergeordneten Gesichtspunkte. Damit wird ja nicht festgestellt, dass die Kirche nun die Probleme der Welt von einer höheren Warte aus betrachtet, sondern es wird der ethische Anspruch des Bekenntnisses unterstrichen, denn sie darf nun die Augen nicht vor dem ,geknickten Halm‘ verschließen und die Grenzen ihrer Zuständigkeit eng um das eigene Haus ziehen. Der jeweils größere Zusammenhang soll zu nichts anderem dienen als zu mehr Konkretheit, denn das Einzelereignis und das Partikularinteresse bleiben so lange abstrakt, als sie ,an sich‘ gesehen werden. Erst im realen Zusammenhang werden sie konkret. In diesem Denkgefälle – und damit schließen wir nun wieder an den Anfang dieses Kapitels an – wird Barths Solidarität mit der sozialistischen Bewegung sowohl in ihrer entschiedenen Begrenzung als auch in ihrer Radikalität plausibel. Es ist zwar keine prinzipielle, wohl aber eine zwingende Entscheidung theologischer Zeitgenossenschaft gewesen. Insofern war sie nicht beliebig, sondern sie folgte aus der konsequenten Unterscheidung von Gottes Praxis und unserer Praxis : Gott führt sein Reich selbst herauf, das gilt es in profaner und tätiger Solidarität mit der noch nicht erlösten Welt zu bezeugen in und gegenüber den Reichen dieser Welt. Ob die sozialistische Bewegung für uns heute noch eine verheißungsvolle Orientierung und konkrete Herausforderung darstellt, müsste genau geprüft werden. Doch wird man sich ihr wohl kaum verschließen dürfen, solange keine andere Bewegung sachlich an ihre Stelle getreten ist. (Friedrich-Wilhelm Marquardt sieht heute in der ökumenischen Bewegung einen Solidaritätspartner für die christliche Gemeinde, ohne damit die Aufmerksamkeit auf den Sozialismus vernachlässigen zu wollen. Eine grundlegende Veränderung sieht Marquardt darin, dass heute die Kirche weniger auf eine politische Partei zu ihrer Blickerweiterung achten müsste, als vielmehr den verkarsteten politischen Parteien in Gestalt der ökumenischen Bewegung eine Alternative vor
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Augen führen könnte; denn die Kirche sei darin faktisch mehr am Ganzen orientiert als die in Blöcken fixierte Politik.91)
14.3 Die ,Sachlichkeit‘ der Theologie Wenn es um das Ganze geht, was könnte da geeigneter zur Verständigung erscheinen als die Wissenschaft? Auch wenn man sich scheut, so pauschal von der Wissenschaft zu sprechen, traut man ihr doch einen gleichsam über den Ideologien stehenden Blickwinkel zu. Ihre Wahrnehmungen bleiben nachvollziehbar und kontrollierbar. Die Wissenschaft legt sich Rechenschaft über ihren Gültigkeitsbereich ab und meidet soweit es irgend geht alle Mutmaßungen. In diesem Sinne bemüht sie sich um größtmögliche Objektivität und setzt ihre Erkenntnisse, indem sie die Gesetzlichkeiten zu ihrer Wahrnehmung beschreibt, der Kritik auch der Unbeteiligten aus. Damit leistet sie Gewähr, dass ihre Aussagen plausibel und begründet sind und von daher – freilich unter dem Vorbehalt auf bessere Belehrung – als verlässlich gelten können. Um die Glaubwürdigkeit einer vorgetragenen Position zu desavouieren, genügt es meist, ihren Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen aufzuzeigen oder auch nur die unwissenschaftliche Präsentation zu monieren. So lässt sich die Position skizzieren, von der aus Adolf von Harnack „Fünfzehn Fragen an die Verächter der wissenschaftlichen Theologie unter den Theologen“92 stellt, die sich auch an Barth richten. Sie wenden sich energisch gegen einen vermuteten Subjektivismus, durch den alles in die Beliebigkeit des persönlichen Eindrucks gestellt wird. Harnack vermutet eine unzulässige Vermischung bei Barth, nämlich die Vermischung von persönlichem Glauben und wissenschaftlicher Theologie. In dieser Vermischung sieht Harnack die Theologie subjektiver Willkür ausgeliefert, die damit auf die Ebene „unkontrollierbarer Schwärmerei“ (60) gerät und sich vor allen kritischen Einwänden verschließt, so dass am Ende die Wissenschaft ganz ausgetrieben ist und das Evangelium „ausschließlich in die Hand der Erweckungsprediger gegeben“ (72) wird. Harnack erwartet dagegen vor allem von der historischen Wissenschaft einen festen Grund für alles Verstehen in der Theologie. Neben der Kritik dieser Vermischung von Glauben und kritischer Erkenntnis steht die Klage über den von Barth vollzogenen Bruch mit dem Kulturprotestantismus: „Wenn Gott alles das schlechthin nicht ist, was aus der Entwicklung der Kultur und ihrer Erkenntnis und Moral von ihm ausgesagt wird, wie kann man diese Kultur und wie kann man auf die Dauer sich selbst vor dem Atheismus schützen?“ (60) Das ohnehin durch Atheismus und 91 Vgl. Marquardt, Der Christ in der Gesellschaft, 95 ff. 92 Barth, Offene Briefe 1909 – 1935, 59 – 62. (der ganze Briefwechsel ebd., 55 – 88; die Seitenangaben im folgenden Text beziehen sich auf diese Dokumentation).
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,Barbarei‘ gefährdete christliche Abendland erfahre nach Meinung Harnacks durch Barth eine weitere Schwächung. Die bedrohliche Destabilisierung sieht Harnack darin, dass Barths Theologie unentschlossen gleichsam „zwischen Tür und Angel hängen“ bleibe, so dass sich „Durchgangspunkte christlicher Erfahrung verselbständigen und die Dauer ihrer Schrecknisse verewigen“ (61). Dagegen gelte es, gerade die Verbindung zwischen Kultur, Moral und Gotteserlebnis hervorzuheben, die in der Vernunft als kritischer Instanz gegeben sei. Ohne sie bleibe der Mensch ,untermenschlich‘ und verfalle wahnhafter Sektiererei. Eben deshalb steht für Harnack die Theologie „in fester Verbindung und Blutsverwandtschaft mit der Wissenschaft überhaupt“ (62), die einen von der Geschichte überkommenen Kulturauftrag zu erfüllen hat.93 Harnack reagiert damit auf eine Grundentscheidung der Theologie Barths, die heute in eben dieser Mischung von Abendlandsapologetik und Vertrauen in die allgemeine Wissenschaftskommunikation etwa noch von Wolfhart Pannenberg energisch angegriffen wird. Wenn sich die Akzente zwischen Harnack und Pannenberg auch verschoben haben, so ist diese Verschiebung im Grunde nur die selbstverständliche Folge der historischen Entwicklung der im Prinzip gleichgebliebenen Konfliktbeschreibung. Auch Pannenberg wirft Barth vor, er habe „den theologischen Subjektivismus wider Willen auf die äußerste Spitze getrieben.“94 Die „irrationale Subjektivität“ und die durch sie eröffnete unüberschaubare „rational nicht mehr ausgleichbare(n) Pluralität von Positionen“95 führe zwangsläufig zu einem folgenschweren Traditionsbruch mit der Geschichte und der von ihr herausgebildeten Wissenschaftlichkeit. Die „rationale Rechtfertigung der Theologie im allgemeinen“ ist vor allem nötig, um der „atheistischen Religionskritik gegenüber“ argumentationsfähig zu bleiben96 und so der sich ausbreitenden Entwurzelung unserer Gesellschaft und Kultur entgegenzuwirken. Wissenschaft meint sowohl bei Harnack als auch bei Pannenberg ,Wissenschaft überhaupt‘, den jeweils gültigen Konsens für rationale Verständigung. Sie sei die entscheidende Kommunikationsebene, auf der sich das Selbstbewusstsein des Menschen herausbildet, bewährt und auch korrigieren kann. Sie stifte den Zusammenhang und bewahre damit vor der Gefahr der Sektiererei, durch die die moralischen und kulturellen Grundlagen der Gesellschaft angegriffen und ausgehöhlt würden. Die Übereinstimmung von Harnack und Pannenberg erreicht ihre systematische Spitze darin, dass beide in der geschichtlichen Konstruktion ihres Wissenschaftsverständnisses ausschließlich die Geistesgeschichte in den Blick nehmen. Und auf dieser Ebene wollen sie dem allgemeinen Kulturzerfall Einhalt bieten. Dies sei aber nicht 93 Vgl. zur Auseinandersetzung zwischen Harnack und Barth: Braun, Der Ort der Theologie; Hunsinger, The Harnack/Barth Correspondence; Rumscheidt, Revelation and Theology. 94 Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, 16. 95 Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, 274 f. 96 Vgl. Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, 16.
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möglich, wenn man Gott aus ihr herausnimmt, um ihn der Kultur gegenüberzustellen, sondern dazu müsse in ihr das Wirken Gottes erkannt und gegen seine Verleugnungen verteidigt werden. In dieser Apologetik liegt wohl das eigentliche Interesse der wissenschaftlichen Verpflichtungen auf die Geschichte. So lässt sich am einfachsten ein schützenswertes Erbe gegen die gewitterten Gefährdungen des gegenwärtigen Lebenszusammenhangs herausstreichen, ohne dabei unkritisch zu wirken – ganz im Gegenteil, man wird gerade zum kritischen Hüter der Kultur. Die unausgesprochene Grundlage dieser Geschichts- und Wissenschaftsansicht bildet ein christlich interpretierter idealistischer Geistbegriff, auf dem alle moderne Kultur substanziell gegründet sei. Von hier aus kommt der Theologie die Aufgabe zu (um es mit einer auf Harnack gemünzten Formulierung von Dietrich Braun zu sagen), „Religion als Religion zu erhalten, d. h. ihr Besitztum zu pflegen und sich ihres Ansehens um ihres Reichtums und ihres Reichtums um ihres Ansehens willen zu freuen.“97 Von dieser Auffassung aus werden in mehr oder weniger versteckten Variationen bis heute die gleichen Einwände der Theologie Barths entgegengestellt. Es handelt sich also bei dem 1923 in der Auseinandersetzung mit Harnack aufgebrochenen Konflikt um eine das Zentrum berührende Kontroverse um die Theologie Karl Barths. Der Schlüssel zu Barths Abweisung liegt darin, dass er in der von Harnack apostrophierten ,Wissenschaft überhaupt‘ im besten Fall eine Möglichkeit von Wissenschaft zu sehen vermag, die allerdings gerade den Anforderungen nicht genügt, die an eine wissenschaftliche und damit kritische Theologie zu stellen sind. Eine wissenschaftliche Form, die den zu möglichst großer Klarheit zu bringenden Inhalt auf eine ganz bestimmte Funktion hin befragt und damit vorbestimmt, kann nicht angemessen sein. Barth besteht zunächst allein auf dem sachlichen Entsprechungsverhältnis von Inhalt und Form, das höher zu bewerten ist als die Übereinstimmung mit dem historischen Konsens über das, was gemeinhin als Wissenschaft gilt. Sollte „die heutige zufällige opinio communis der Anderen wirklich die Instanz sein, von der wir unserem Tun ,Überzeugungskraft‘ und ,Wert‘ zusprechen lassen müßten?“ (67) Es gibt keine ,Wissenschaft überhaupt‘ keine Wissenschaft an sich; sie ist kein allgemeingültiges Formalprinzip, das für alle Eventualitäten passt. Der Widerspruch Barths gegen Harnack ist nun von drei zusammenhängenden Fragen geprägt: 1. nach dem besonderen Gegenstand der Theologie, 2. nach dem besonderen Ort der Theologie und 3. nach den besonderen Aufgaben der Theologie. Erst wenn man sich über diese drei Fragen Rechenschaft abgelegt hat, kann über die Wissenschaftlichkeit der Theologie befunden werden.
97 Braun, Der Ort der Theologie, 27.
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14.3.1 Der Gegenstand der Theologie Bei der Bestimmung ihrer Wissenschaftlichkeit darf die Theologie nicht von ihrem besonderen Inhalt absehen. Für Barth kommt hier wieder alles auf das Denkgefälle an. Die Theologie kann nur wissenschaftliche Theologie werden auf dem Boden ihrer „Gebundenheit an die Erinnerung, dass ihr Objekt zuvor Subjekt gewesen ist und immer wieder werden muß“ (62). Jede Form der Wissenschaft, die Gott einfach zum Objekt erklärt, befasst sich mit etwas Totem, das dann durch die Auslegungen des Theologen erst mühsam zum Leben erweckt werden muss. Es ist ein unumgehbares Dilemma der Theologie, dass sie nicht einfach einen solchen ausharrenden Gegenstand hat, sondern schon bevor sie überhaupt ihre Arbeit aufnimmt auf die prinzipiellen Grenzen ihres Unternehmens gestoßen wird. Barth erinnert die Theologen daran, dass in jedem Kapitel der Theologie erkennbar bleiben muss, dass es mit Gott als dem bestimmenden Subjekt rechnet. Es kann als entmündigend, aber auch als befreiend empfunden werden, dass die Theologie im Unterschied zu den anderen Wissenschaften nicht für ihren Gegenstand einstehen kann. Vielmehr wird sie gerade im Vertrauen betrieben, dass schließlich der ,Gegenstand‘ für die Theologen – und nicht nur für sie – einstehen wird. Die von Harnack für die Theologie ins Auge gefasste Zielbestimmung, „sich des Gegenstandes erkenntnismäßig zu bemächtigen“ (68), bleibt völlig ausgeschlossen. Von der Theologie als Wissenschaft erwartet Barth, dass sie sich in diesem Sinne um ,Sachlichkeit‘ bemüht (vgl. 74). Sie strebt in ihrem Erkenntnisweg die höchstmögliche Entsprechung zu ihrem besonderen ,Gegenstand‘ an. Alle Methodenfragen müssen im Dienst dieser Entsprechung beantwortet werden. Eine theologische Methode, die die vom Bilderverbot geschützte Lebendigkeit Gottes nicht achtet, kann nicht sachlich sein, denn sie wird der Besonderheit ihres Gegenstandes nicht gerecht. Sie bemächtigt sich zwangsläufig der Wirklichkeit, in der sich Gott selbst mitteilt, und unterstellt sie ihren menschlichen Möglichkeiten. Zwar erlangt das Gottesverständnis auf diesem Weg ein hohes Maß an Plausibilität, so dass man womöglich von einem Gottesbegriff oder gar einem Gottesbild sprechen mag, aber seine Gültigkeit entspricht der lediglich historisch auszumachenden Gültigkeit der jeweils zum Zuge gekommenen menschlichen Vernunft, die heute diesen und morgen jenen Prämissen folgt. In diesem Sinne bleibt die von der Vernunft hergestellte Gewissheit eine grundsätzlich relative Gewissheit, auch – oder gerade (?) – wenn sie durch historische Kritik gewonnen wurde.98 Dass aber die Relativität der menschlichen Vernunft von dem Gegenstand der Theologie überboten wird, zeigt Barth damit an, dass er von Offenbarung spricht. Sie steht für den Vollzug der Selbsterschließung Gottes. Nur wenn sich Gott von sich aus zu erkennen gibt, bekommen wir es wirklich mit ihm und 98 Vgl. dazu Weinrich, Grenzen der Erinnerung, 327 – 338
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nicht nur mit mehr oder weniger ,vernünftigen‘ Phantasieprodukten zu tun. Und die Theologie nimmt eben in der Behauptung ihren Ausgang, dass sich Gott tatsächlich dem Menschen mitgeteilt hat. Noch genauer muss man wohl sagen: die Theologie bewegt sich „immer auf dem schmalen Weg von der geschehenen Offenbarung her zu der verheißenen Offenbarung hin“ (KD I/1, 13). Würde sie nicht in dieser Tatsächlichkeit mit Gottes Offenbarung rechnen, so kann sie nicht von Gott, sondern nur von sich selbst und ihrer Beeindruckbarkeit durch bestimmte Ereignisse, d. h. zu religiösen Erfahrungen stilisierte Erlebnisse oder Erkenntnisse reden. Doch damit verlässt sie ihr besonderes Thema, denn als Theologen ,sollen wir von Gott reden‘.99 Das ist das Problem: als Mensch von Gott zu reden. Barth erinnert daran, dass die Theologie ganz und gar eine menschliche Anstrengung ist, wenn er gegenüber Harnack unterstreicht, „wie erschütternd relativ Alles ist, was man über den großen Gegenstand, der Sie und mich beschäftigt, sagen kann.“ (87) Die Theologie kann sich auf keine besonderen und unmittelbaren Einsichten in die Wirklichkeit Gottes berufen, so dass von ihr keine ,direkten Mitteilungen‘ zu erwarten sind. In allen Mitteilungen muss zu erkennen bleiben, dass sie nicht selbst die ,Sache‘ sind, sondern nur möglichst deutliche Hinweise auf den lebendigen Gott. Theologische Erkenntnis und Wissenschaft müssen sich auf das Gleichnis beschränken. Sie fallen in die Zuständigkeit menschlicher Praxis und bleiben als solche konsequent vom Handeln Gottes zu unterscheiden, so wie es im vorigen Kapitel bereits unterstrichen wurde. Die Theologie hat für Barth in diesem Sinne stets nur relative Bedeutung, in der sie auf Gott und den von ihm gewirkten Glauben weist. Wenn so von Relativität gesprochen wird, empfindet man schnell eine Abwertung, wenn nicht gar – wie Harnack – eine restlose Eliminierung alles Menschlichen aus der Theologie (vgl. 68ff). Um dem entgegenzuwirken, verwendet Barth häufig den Begriff der ,Krisis‘, in die der Mensch durch Gottes Offenbarung gerate. Häufig wird dieser Begriff falsch verstanden: im Sinne eines Vernichtungsurteils, weil er dem neuzeitlichen Erfolgs- und Fortschrittszwang kritisch gegenübertritt. Für Barth steht er dagegen im Dienst der Wiedergewinnung theologischer Sachlichkeit, indem er die Wirklichkeit Gottes und seiner Praxis den Wirklichkeitsvorstellungen gegenüberstellt, die sich der Mensch zum Schutz seiner Praxis zurechtgelegt hat. In der Krisis werden dem Menschen die Augen für seine wahre Situation geöffnet. Das Menschliche wird nicht eliminiert, sondern – wenn auch zunächst in der Form der Frage – ernst genommen: „Sollte es nicht gerade dadurch bedeutungs- und verheißungsvoll, erst wichtig und möglich werden, daß es aus dem Zwielicht vermeintlicher Erfüllung in das Licht wirklicher Hoffnung gerückt wird?“ (85) Diese Hoffnung ist nun der Inhalt des Glaubens, auf den die theologische Rechenschaft ausgerichtet ist. Es ist für Barth im Blick auf das Selbstver99 Vgl. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 151.
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ständnis der Theologie das gleiche, ob von einem uneinholbaren Vorrang der Offenbarung für die Theologie oder vom Vorrang des Glaubens gesprochen wird. Beide sind unabhängig von der Theologie und gehören insofern zu ihren Voraussetzungen, als sich die Theologie vornehmlich auf sie bezieht. Beide bleiben Gottes Sache und unterstehen nicht der Theologie. Damit ist eine folgenreiche Einsicht gewonnen: Der Glaube gehört nicht auf die Seite des Menschen, so sehr er auch den Menschen real betrifft. Als solcher steht er in der Theologie ebenso wenig zur Disposition wie er der Theologie einen festen und kontinuierlich begehbaren Boden zu liefern vermag. Auch den Glauben kann der Mensch nur bezeugen, und dieses Zeugnis ist identisch mit dem Zeugnis von Gottes Offenbarung. Auch der Glaube vermag sich nur indirekt – im mehr oder weniger adäquaten Gleichnis – mitzuteilen. Die kritische Trennungslinie zwischen Gott und Mensch geht gleichsam durch den glaubenden Menschen hindurch. Eben deshalb ist es so naheliegend, dass sich der Mensch immer wieder an ihr vergreift, um sich wenigstens ein wenig von Gott begabt zu fühlen und wenigstens durch sein Tun ein wenig Einfluss auf das Handeln Gottes nehmen zu können. Dass Barth diese Trennungslinie stets bewusst im Auge behält, lässt sich an der fundamentalen Bedeutung des Begriffes ,Zeugnis‘ für seine Theologie aufzeigen. Alles, worauf sich die Theologie bestenfalls berufen kann, ist Zeugnis. Alles, was bei der Theologie im besten Fall herauskommen kann, ist Zeugnis aus zweiter Hand, d. h. ein Zeugnis, das sich selbst auch nur an einem Zeugnis – dem biblischen Zeugnis – ausweisen kann. Das ist durchaus eine Entlastung für die Theologie, denn zum einen hat die Theologie so etwas wie eine materiale Basis, zum anderen steht sie nicht unter dem hohen Anspruch, mit ihrem Zeugnis allein für die Offenbarung einstehen zu müssen. Andererseits wird sie in Pflicht genommen, so dass sie weder einfach zu einer Funktion der abendländischen Kultur noch zu einem unkritischen Parteigänger eines allgemeinen Wissenschaftsverständnisses gemacht werden kann. Daher rückt Barth die Bibel als das primäre Zeugnis in den Mittelpunkt des Interesses der Theologie. Um nun aber keinem Missverständnis zu verfallen, betont Barth die historische Bedingtheit der Bibel. In dieser Betonung liegt auch die Zulassung historischer Kritik. Doch woran soll sich die Kritik schärfen? Sie lässt sich nicht einfach in einer Methode ankündigen und dann unbeirrt durchführen, sondern sie bedarf ihrerseits der kritischen Überprüfung ihrer sachlichen Angemessenheit. Harnack hatte in seinen Fragen an Barth immer wieder die historische Kritik herausgestellt, ohne aber ein anderes Kriterium als die ,Wissenschaft überhaupt‘ anzugeben. Folgender Absatz aus dem Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefkommentars von Barth (1922) liest sich wie eine vorweggenommene Auseinandersetzung mit Harnack: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein! Denn wie ,das was da steht‘ zu verstehen ist, das ist nicht durch eine gelegentlich eingestreute, von irgendeinem
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zufälligen Standpunkt des Exegeten bestimmte Wertung der Wörter und Wortgruppen des Textes auszumachen, sondern allein durch ein tunlichst lockeres und williges Eingehen auf die innere Spannung der vom Text mit mehr oder weniger Deutlichkeit dargebotenen Begriffe, wqimeim heißt für mich einer historischen Urkunde gegenüber : das Messen aller in ihr enthaltenen Wörter und Wörtergruppen an der Sache, von der sie, wenn nicht alles täuscht, offenbar reden, das Zurückbeziehen aller in ihr gegebenen Antworten auf die ihnen unverkennbar gegenüberstehenden Fragen und dieser wieder auf die eine alle Fragen in sich enthaltende Kardinalfrage, das Deuten alles dessen, was sie sagt, im Lichte dessen, was allein gesagt werden kann und darum auch tatsächlich allein gesagt wird. Tunlichst wenig darf übrigbleiben von jenen Blöcken bloß historischer, bloß gegebener, bloß zufälliger Begrifflichkeiten, tunlichst weitgehend muss die Beziehung der Wörter auf das Wort in den Wörtern aufgedeckt werden. Bis zu dem Punkt muss ich als Verstehender vorstoßen, wo ich nahezu nur noch vor dem Rätsel der Sache, nahezu nicht mehr vor dem Rätsel der Urkunde als solcher stehe, wo ich es also nahezu vergesse, dass ich nicht der Autor bin, wo ich ihn nahezu so gut verstanden habe, dass ich ihn in meinem Namen reden lassen und selber in seinem Namen reden kann.“100
Das ist für Barth die zwingende Konsequenz daraus, dass wir es in der Bibel nicht mit irgendwelchen Berichten oder theologisch-philosophischen Überlegungen, sondern „mit Zeugnissen und immer wieder nur mit Zeugnissen zu tun haben“(80). Eine historische Kritik, die diesen Sachverhalt nicht konsequent zur Geltung bringt, mag an allem möglichen herumkritisieren, aber an das zentrale Interesse der Texte vermag sie nicht heranzuführen. Sie ist sachlich unangemessen und daher wissenschaftlich unbrauchbar. Allein um ihres Charakters als Zeugnis willen betont Barth „die restlos anzuerkennende historische Bedingtheit“101. Mit dem Begriff des Zeugnisses hält Barth der Vernunft und dem Wissen der historischen Kritik den besonderen Geist der Bibel entgegen. Nur wenn die Kritik zu mehr Klarheit über diesen im Zeugnis angezeigten Geist führt, kann sie theologisch Bedeutung haben. Es soll unterstrichen werden, dass jedes menschliche Zeugnis ebenso wie das Zeugnis der Bibel, das ja auch ein menschliches Zeugnis ist, „in einer bestimmten Richtung über sich selbst hinaus auf ein Anderes hinweist“ (KD I/1, 114). Die Kritik dient dem Verstehen und bekundet damit gerade unser Verwiesensein auf das biblische Zeugnis. Sie dient damit ausdrücklich nicht – wie Barth es bei Harnack vermutete – der Bestätigung unseres vermeintlich überlegenen Standpunktes. Eine solche im Grunde besserwisserische historische Kritik, die in den Rang eines Dogmas erhoben ist, zählt Barth zu dem „Protest des Geistes der Neuzeit“ (74), in den wir so distanzlos verstrickt sind, dass wir gar nicht in der Lage sind, ihn in seiner tatsächlichen Bedeutung und Reichweite recht zu verstehen. Deshalb fügt Barth zum „Protest des Geistes der Neuzeit“ gleich in Klammern hinzu: „der sich selbst vielleicht erst verstehen lernen muß!“ 100 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 14. 101 Barth, Das Schriftprinzip der reformierten Kirche, 517.
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Andererseits tritt Barth mit dem Begriff des Zeugnisses dem Fundamentalismus entgegen, der das Wort Gottes in der Bibel direkt zu finden meint. Zwar auf entgegen gesetztem Weg, aber in durchaus vergleichbarer Weise wie bei der historischen Kritik mit ihrem ,Gott in der Geschichte‘ werde hier der lebendige Geist geleugnet, der sich nicht an den Buchstaben heftet. Beide Male wird der Bibel Gewalt angetan: durch den Historismus, der das biblische Zeugnis mit unserer natürlichen Vernunft in Einklang bringt, und den Fundamentalismus, der es durch „mechanische Stabilisierung“ des existenziellen Hinweises auf die Lebendigkeit Gottes beraubt. Barth sieht deshalb beide einem ,Historischen Relativismus‘ verfallen:102 einmal durch die Verflüchtigung in die Geschichte, das andere Mal durch die Fixierung an dogmatisierte geschichtliche Ereignisse. Beide Male ist es nicht die im Zeugnis verborgene Sache, auf dessen Spur sich die Vernunft gesetzt weiß, sondern es wird bereits vor der Auseinandersetzung mit dem Text eine Bindung eingegangen, die nun ihre Wahrnehmungsfähigkeit gefesselt hält. Damit wird nicht nur die Theologie, sondern auch ihr Gegenstand in den Bereich hineingestellt, für den sich der Mensch zuständig fühlt, d. h. der Gegenstand wird zu einer religiösen Angelegenheit, bei der schließlich die jeweils ins Auge zu fassende Form zu ihrem Inhalt werden muss. Gegen beide Wege des Umgangs mit der Bibel stellt Barth im Grunde sehr einfach und im Blick auf die Gegenständlichkeit der Theologie auch sachlich zwingend heraus: „Theologische Exegese ist eine historisch-grammatikalische Aufgabe wie eine andere, nur daß der theologische Exeget sich grundsätzlich nicht mit seiner philosophischen Weltanschauung über den Text, sondern in der Erwartung, dass dieser Text ein Offenbarungszeugnis sei, unter ihn zu stellen hat.“103
14.3.2 Der Ort der Theologie Alle Überlegungen über den Gegenstand und das Wesen theologischer Aussagen geraten unweigerlich von einem bestimmten Punkt an auf eine abstrakte Ebene nichtssagender Allgemeingültigkeiten, wenn sie nicht auch den besonderen Ort bedenken, an dem die Theologie betrieben wird. Darum geht es, wenn Barth Harnack gegenüber das dichte Beieinanderstehen von Katheder und Kanzel betont. Wissenschaft und Predigt dürfen nicht gegenseitig außer Sichtweite geraten, sie gehören vielmehr zusammen, denn beide haben die gleiche Aufgabe. Sie können nicht – wie Harnack es tut – prinzipiell voneinander unterschieden werden, sondern nur taktisch-praktisch. Der Professor ist von der gleichen Wahrheit bewegt wie der Prediger. Es geht Barth um mehr als nur um die Verweigerung des ,Kaisergrußes‘ an eine allgemeine Wissenschaftsidee. Der innere Konflikt der Auseinandersetzung mit Harnack wird 102 Vgl. ebd., 517 – 520. 103 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 181.
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durch die Fragen nach der Angemessenheit dieser oder jener Methoden noch gar nicht erreicht. Vielmehr muss besonders die räumliche Dimension des Konfliktes herausgestellt werden. Wenn Barth die Theologie an den Ort der Kanzel erinnert, dann wehrt er sich dagegen, dass sich die Theologie überall bereitzuhalten und anzubieten habe. Sie ist von ihrer ,Sache‘ her weniger dem – häufig eitlen – Jahrmarkt der Wissenschaft verpflichtet als vielmehr der Kirche als dem Ort, wo das Evangelium verkündigt und gehört wird. Nicht dass Barth mit der Kirche nun einen festen Standpunkt verbindet, wohl aber stellt er sich gegen die Allpräsenz und Allzuständigkeit der Theologen, die überall dabei sein wollen und sich deshalb dem jeweiligen wissenschaftlichen Trend unterwerfen. Um die Theologie nicht orientierungslos zwischen allem umherirren zu lassen, stellt Barth sie ganz dicht an die Kanzel und verpflichtet die Theologen darauf, die Kanzel bei allem, was sie zu tun haben, nicht aus den Augen zu verlieren. Nur wenn man die Kanzel noch im Auge hat – so könnte man die Ortsbestimmung umschreiben –, wird sich die Theologie auf all ihren je verschiedenen Wegen nicht verirren. Damit wird noch keine Stellungnahme zur Theologie als Wissenschaft abgegeben. Vielmehr wird zunächst nur eine Platzanweisung ausgesprochen, um die Theologen von ihren allseitigen Geschäftigkeiten zunächst einmal zurückzurufen in die Kirche. Sie sollen nun nicht gleich wieder aus der Tür oder dem Fenster hinaus sprechen, sondern sich drinnen umsehen in der Gemeinde und nach den Nöten der Verkündigung des Evangeliums und den Konflikten des Glaubens fragen. Die Kirche ist der Ort, an dem theologische Fragen gestellt werden; sie sorgt sich um das rechte Zeugnis des Evangeliums in der Welt, an das die Theologie als ihren Gegenstand gebunden ist. Die Kirche stellt nicht von außen Anfragen an die Theologie, sondern sie fragt selbst theologisch. Die Kirche ist der einzige Ort, wo der Theologie über die Bindung an ihren Gegenstand hinaus keine weiteren Bedingungen gestellt werden, sofern sie selbst allein diesem Zeugnis lebt. Allein die Kirche garantiert die Freiheit der Theologie, die dann verlorengeht, wenn sie sich marktgerecht am allgemeinen Angebot und der jeweiligen Nachfrage orientieren würde. Nur dort, wo das Evangelium gehört wird, stellen sich überhaupt die Fragen nach der Angemessenheit unseres Redens und Denkens über Gott. Die Theologie hat nur da Relevanz, wo dem Wort Gottes geantwortet wird, – das meint nämlich Zeugnis. Sie ist – ebenso wie sich „die Jurisprudenz zum Staat und seinem Recht verhält“104 – „eine Funktion der Kirche“ (KD I/1,1). Dabei dient die Theologie nicht der Kirche, weil es in erster Linie um die Kirche ginge, sondern weil sie immer neu um die Klarheit dessen ringt, was sie als Wahrheit glaubt und verkündigt: Die alles verändernde Verheißung für die Welt und die darin aufgehobene Bestimmung des Menschen. Freiheit und Bindung sind unauflöslich miteinander verknüpft: 104 Barth, Einführung in die evangelische Theologie, 50.
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„Sie [die Theologie] ist die freieste, sie ist aber auch die gebundenste unter allen Wissenschaften. Sie darf allen Fragen nach ihrem Recht gegenüber schlicht auf die Kirche und auf die die Kirche begründende göttliche Offenbarung verweisen. Das ist aber auch die einzige Antwort, die sie zu geben vermag und gerade mit dieser einzigen Antwort entkleidet sie sich alles selbständigen Rechtes.“105
Niemals steht für Barth die Wichtigkeit der Theologie als solche zur Debatte. Er erinnert die Theologen immer wieder daran, dass die Theologie sich nicht selbst empfehlen kann, da sie für das, wovon sie Rechenschaft ablegt, nicht selbst einstehen kann. Und so vermag sie auch nicht ihren Gegenstand besonders wichtig zu machen, um damit der Welt einen allgemeinen Respekt abbitten zu können. Sie ist nicht die Instanz, die die Welt von ihrem Zweifel befreit, indem sie etwa in der Gestalt einer positiven Theologie den einen Recht gibt und die anderen ins Unrecht versetzt. Vielleicht liegt gerade in dieser prinzipiellen Unzulänglichkeit der Theologie ihre bleibende Anstößigkeit, die zugleich auch die Anstößigkeit der Kirche sein sollte. Denn sie bescheidet sich nicht aus der Einsicht, dass eben ,alles relativ sei‘, zu ihrer Relativität, sondern erkennt sie in der absoluten Überlegenheit Gottes. Relativität bedeutet in diesem Sinne keine Abkehr von der Wahrheitsfrage, sondern nur ein Zurücktreten von dem Anspruch des Wahrheitsbesitzes. Die Theologie ist der Wahrheit gegenüber relativ. ,Relativ‘ heißt aber ebenso ,bezogen auf‘: in diesem Sinne muss sie relativ zur Wahrheit, aber auch zur Kirche und zu ihrer Zeit und Geschichte bleiben. In dieser Bezogenheit auf die von ihr angezeigte Wahrheit verbirgt sich ein Angriff auf alle anderen Wahrheitsansprüche, ja auf jeden vom Menschen erhobenen Wahrheitsanspruch. Das bringt der Theologie den Verdacht ein, dass sie ein unzuverlässiger Parteigänger sei. Womöglich ist eine Theologie nur dann rechte Theologie und eine Kirche nur dann rechte Kirche, wenn dieser Verdacht geäußert wird, wenn man ihnen diese tatsächliche Freiheit zum Vorwurf macht.
14.3.3 Die Aufgabe der Theologie Doch diese Freiheit ist alles andere als willkürlicher ,Subjektivismus‘, als ein Freibrief zu irrationaler Subjektivität oder ein Einfallstor für ,gnostischen Okkultismus‘ (61). Die kritische Vernunft darf nicht entlassen werden. Wenn nun nach den Aufgaben der Theologie gefragt werden soll, kommt es vielmehr darauf an, der Vernunft eine möglichst klare Bestimmung zu geben. Wir müssen uns zunächst Rechenschaft über den Begriff der Vernunft ablegen. Es gibt keine Vernunft an und für sich, ebenso wenig wie sich abstrakt sagen lässt, was denn vernünftig ist. Sie partizipiert nicht am absoluten Geist, sondern an unseren Wünschen und Interessen, denen wir mit Hilfe der Vernunft zur 105 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 175.
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Argumentation verhelfen. Sie ist ein Rationalisierungsinstrument, das nicht sich selbst gehorcht, als sei Rationalität schon in sich etwas Richtungweisendes. So wie jedes Instrument hat sie dienende Funktion mit gewissen Möglichkeiten und ebenso gewissen Grenzen, wie jedes andere Werkzeug auch. Es waren vor allem Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die uns später die Unausweichlichkeit der „Kritik der instrumentellen Vernunft“ vor Augen geführt haben.106 Die Vernunft kann sich – wie bei Harnack – einem idealistischen Geschichtsverständnis dienstbar machen, um sich auf den Flügeln der Geistesgeschichte über die Gräben und Abgründe der sozialen Konflikte hinweghelfen zu lassen. Ebenso bereitwillig kann sie – entweder mit Hilfe einer allgemeinen Religionsvorstellung oder über die Psychologie bzw. einer bestimmten Emanzipationsidee – den unbegrenzbaren Bedürfnissen des Individuums dienen. Schließlich hält sie sich keineswegs weniger geschmeidig für politische und ökonomische Ideologien bereit, für Wachstum und Fortschritt gleichermaßen wie für besondere historische Stunden oder gar den Glauben an die Evolution der Menschheitsgeschichte. In dieser nicht erst in der Neuzeit aufgebrochenen allseitigen Bereitwilligkeit hat Luthers Formulierung von der ,Hure Vernunft‘ ihren begründeten Halt. Die Kontrollinstanzen der Vernunft müssen stets neu kontrolliert und abgewogen werden. Nur ein solcher Vernunftgebrauch ist ,vernünftig‘, der zugleich auch Vernunftskritik ist, und das meint: ideologiekritische Aufklärung der jeweiligen Indienstnahme der Vernunft. Das gilt auch für den theologischen Vernunftgebrauch. Dabei bleibt für die Theologie zu beachten, dass es nicht um die Evolution durch neue Ideen oder Zeitumstände geht, sondern um die ständige Reorganisation der Vernunft im Zusammenhang mit den je neuen Zeitumständen. In jeder Zeit muss die Theologie neu zu ihrer ,Sache‘ finden. In der Theologie wird die Vernunft in den Dienst des Glaubens gestellt. Der Glaube ist dabei aber keine subjektive, persönliche Angelegenheit, die nun erst mit Hilfe der Vernunft kommunikabel gemacht werden muss. Dann würde die Individualität der Ausgangspunkt des Fragens sein und die Vernunft hätte dazu die größeren Zusammenhänge herzustellen. Die Vernunft hätte gleichsam die subjektive Erregung des Glaubens auf ihren ,objektiven‘ Gehalt hin zu befragen, um diesen dann – möglichst attraktiv – als bedeutungsvoll herauszustreichen. Ihre Aufgabe wäre es, eine Art Abstraktionsvorgang zu vollziehen mit der Maßgabe, ein subjektives Geschehen so zu präsentieren, dass es allgemein nachvollziehbar wird. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich hier allerdings nicht um den Weg vom Besonderen zum Allgemeinen, sondern um den umgekehrten Weg. Das lässt sich daran zeigen, dass eine Interpretation des individuellen Glaubenserlebnisses überhaupt nur möglich ist, wenn bereits von der Annahme der allgemeinen Relevanz des sich je persönlich an106 Vgl. Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft; Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung.
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zeigenden Glaubens ausgegangen wird. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn man die entscheidenden Aufschlüsse von der Erklärungskraft der Vernunft erwartet, denn diese arbeitet grundsätzlich mit allgemeingültigen oder zumindest für allgemeingültig gehaltenen bzw. dazu erklärten Orientierungen, ohne die sie sich nicht als vernünftig darstellen kann. Der Vorrang des Glaubens verkümmert dann zu dem schlichten Vorgang des Glaubens, wobei alles von dem Vorrang der Vernunft und ihren historischen Plausibilitätskategorien abhängig wird. Gegen diesen Weg hat sich Barth zeitlebens gestellt. Wenn Barth die Theologie und somit die Vernunft in den Dienst des Glaubens stellt, dann bleibt der Vorrang des Glaubens bzw. der Offenbarung unangetastet. Ja man kann sogar sagen, dass Barths ganzes Engagement der Unterordnung unserer Erkenntnis unter den prinzipiellen ,Vorsprung der Bibel‘107 gilt, der seinerseits auf Gottes reales Handeln am Menschen in Wort und Tat verweist. Die Vernunft wird hier nicht als übergeordnete Interpretationsinstanz, sondern als ein nüchternes Rezeptionsorgan angesprochen, d. h. sie hat nicht zu kategorisieren oder gar zu beurteilen, sondern wiederzugeben. In diesem Zusammenhang heißt Denken konsequent Nachdenken. Die von sich aus nicht zur Objektivität fähige Vernunft wird in ihren theologischen Diensten zu größtmöglicher Objektivität genötigt. Zwar vermag sie der aktuellen Tatsächlichkeit der Wirklichkeit Gottes – und das meint hier Objektivität – niemals gerecht zu werden – und deshalb bleibt die Theologie eine unabschließbare Aufgabe –, denn sie kann sich als intelligenter Verwalter der subjektiven Interessen des Menschen niemals ganz zurücknehmen, aber dennoch fällt es vornehmlich ihr zu, den Menschen vor dem Okkultismus seiner wirren Gefühlsbewegungen ein wenig in Schutz zu nehmen. Hier bekommt die auf das biblische Zeugnis aufmerksame Vernunft nun auch eine durchaus kritische Aufgabe. Da sie die Wahrheit immer nur in Annäherungen und diese Annäherungen auch nur in je konkreten historischen Situationen aussprechen kann, gibt es prinzipiell keine gesicherte menschliche Rede von Gott. Die Theologie kann sich deshalb „auch nicht als Wahrheitsforschung […] gebärden“.108 Jede in der Not des Zeugendienstes riskierte Aussage über Gott und d. h. auch jede für den Dienst der Kirche riskierte ,kirchliche Dogmatik‘ bleibt subjektiv, d. h. getrübt von der menschlichen Eigenwilligkeit und der zwangsläufig partikularen Historizität. „Dogmatik muß sein, weil Verkündigung fehlbares Menschenwerk ist.“ (KD I/1, 84). Das Reden der Kirche bleibt stets vorläufig und damit kritisierbar, d. h. am Zeugnis der Bibel immer wieder neu zu bewährende Rede. Hier hat die Theologie und in ihrem Dienst die Vernunft ihre kritische Aufgabe, die Barth auch als die Demut der Theologie beschreiben kann:
107 So lautet der Titel eines Aufsatzes von Ingo Baldermann. 108 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 179.
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„Die Theologie ist wie alle anderen Funktionen der Kirche ausgerichtet auf das Faktum, daß Gott gesprochen hat und daß der Mensch hören darf. Die Theologie ist ein besonderer Akt der Demut, die dem Menschen durch dieses Faktum geboten ist. Darin besteht dieser besondere Akt der Demut: in der Theologie versucht die Kirche, sich immer wieder kritisch darüber Rechenschaft zu geben, was das heißt und heißen muß vor Gott und vor den Menschen: Kirche zu sein. Existiert doch die Kirche als eine Versammlung von Menschen, und zwar von fehlbaren, irrenden, sündigen Menschen. Nichts ist weniger selbstverständlich als dies, dass sie immer aufs Neue Kirche wird und ist. Sie existiert unter dem Gericht Gottes. Eben darum kann es nicht anders sein, als daß sie sich auch selbst richten muß, nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nach dem Maßstab, der identisch ist mit ihrem Existenzgrund, also nach Gottes Offenbarung und also konkret nach der heiligen Schrift. Und eben dies: Die immer wieder notwendige und gebotene Selbstprüfung der Kirche am Maßstab des göttlichen Wortes ist die besondere Funktion der Theologie in der Kirche.“109
Barth kann auch vom Wächteramt der Theologie sprechen. Nicht weil er nun ihr die Rolle des Lehramtes zumisst, sondern weil sie gerade umgekehrt ständig vor allen Versuchungen theologischer, kirchlicher und praktischer Lehramtlichkeit zu warnen hat. Sie wacht über die ständig zu beachtende Unterscheidung zwischen Gottes eigenem Wort und unserem menschlichen Zeugnis. „Der theologische Irrtum ist diejenige relative Wahrheit, die sich als solche absolut und an die Stelle der Wahrheit Gottes setzen will. Die Theologie hat ihm gegenüber zur Einkehr und Umkehr aufzurufen.“110 Kehren wir nun zum Ausgangspunkt dieses Kapitels zurück, zur Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie: Für Barth ist die „Frage ob die Theologie überhaupt eine ,Wissenschaft‘ sei […] auf keinen Fall eine Lebensfrage für die Theologie“ (KD I/1, 5). Vielmehr stellt sich die Frage für Barth stets umgekehrt. Nicht die Übereinstimmung mit aktuellen Wissenschaftsvorstellungen, sondern die Bindung an Gegenstand, Ort und Aufgabe der Theologie ist entscheidend. Wird allerdings die von der Theologie geforderte Disziplin in ihrem präzisen und kritischen Sinn tatsächlich aufgebracht, dann kann sie mit Fug und Recht als Wissenschaft betrachtet werden, denn sie ist nicht subjektiven Einstellungen verpflichtet, sondern einem besonderen Gegenstand. Ihre Erkenntnis ist auch im Blick auf die zu wählenden Erkenntniswege an diesen Gegenstand insofern gebunden, als nicht jeder Weg sachgemäß ist. Und schließlich setzt sich die Theologie der Kritik aus, indem sie nicht einfach einen Erkenntnisweg behauptet, sondern diesen beschreibt und nachvollziehbar macht. Alles entscheidet sich hier an der Ausrichtung an dem besonderen Gegenstand, der weder in seiner Tatsächlichkeit noch in seiner spezifischen Inhaltlichkeit von den Beschreibungen der Theologie abhängig ist. Diese Unverfügbarkeit ihres Gegenstandes gibt dem Prinzip der Sachgemäßheit in 109 Ebd., 177. 110 Ebd., 180.
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der Theologie seinen „ärgerlich unbestimmbaren Sinn“ (KD I/1, 7), der es der Theologie auch unmöglich macht, ihre spezifische Andersartigkeit gegenüber dem allgemeinen Wissenschaftsverständnis plausibel zu rechtfertigen. „An der Gegensätzlichkeit des Willens, das theologische Thema aufzunehmen oder nicht aufzunehmen, muß jeder Versuch dieser Art schon im Keime zuschanden werden.“ (KD I/1, 8). Es wäre ja in jedem Falle eine apologetische Bezugnahme auf den allgemeinen Wissenschaftsbegriff. Umgekehrt gibt Barth nicht einfach den Wissenschaftsbegriff für die Theologie auf, zumal es generell keine Instanz gibt, die über Wissenschaftlichkeit oder Unwissenschaftlichkeit verbindlich verfügen könnte. Vielmehr unterstreicht die Bezeichnung ,Wissenschaft‘ in besonderer Weise den menschlichen Charakter der Bemühungen und der Theologie und „erinnert sie […] daran, daß sie eben nur ,Wissenschaft‘ ist und also an die ,Profanität‘, in der sie auch in ihrem relativ besonderen Weg auch in den höchsten Regionen ihr Werk tut“ (KD I/1, 9). Der Akzent ist hier gegenüber Harnack deutlich anders gesetzt. Während Harnack in der Übereinstimmung mit der ,Wissenschaft überhaupt‘ den besonderen Adel der Theologie sieht, liegt für Barth in der Wissenschaftlichkeit der Theologie gerade das Signum ihrer prinzipiellen Bescheidenheit, sowohl von ihrer ,Sache‘ als auch von dem der Wissenschaft zu zollenden Respekt her. Mit dieser merkwürdigen Schwebe zwischen Nein und Ja zur Wissenschaft in je seinem spezifischen Recht wird sich die Theologie abzufinden haben: „Die populäre Scheu vor der Theologie (und in der Theologie vor der Dogmatik insbesondere) ist nur zu wohl begründet. Immer scheint sich hier der Mensch zu viel anzumaßen und immer scheint er hier nach aller gehabten Mühe doch mit leeren Händen dazustehen. Immer scheint hier ein Versuch am untauglichen Objekt und mit ungenügenden Mitteln vorzuliegen. Und viel zu sehr ist es im Wesen der Sache begründet, daß dieser Schein möglich ist, als daß er etwa durch einen Wechsel der Methode auf die Dauer abzuwehren wäre.“ (KD I/1, 22)
14.4 Die Grenze der Staatsbürgerpflicht Besonders empfindlich erweist sich die Frage nach der Zeitgenossenschaft von Theologie und Kirche, wenn sie im Blick auf die Loyalität gegenüber dem Staat gestellt wird. Es gehört zu den prägenden Hervorbringungen der Neuzeit, dass der Staat in der Gestalt des Nationalstaates in allen öffentlichen Belangen zur obersten und damit maßgebenden Instanz aufgerückt ist. Selbst wenn man heute Einschränkungen machen muss, so hat der Staat auch in seiner modernen demokratischen Gestalt seinen Absolutheitsanspruch keineswegs zurückgenommen. Als Einschränkung ist einmal in Anschlag zu bringen, dass inzwischen die internationale Wirtschaft mit ihren transnationalen Konzer-
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nen ihre Bedingungen weitgehend den Regierungen der Nationalstaaten diktieren kann. Zum anderen ist die Souveränität der Nationalstaaten dadurch eingeschränkt, dass beinahe alles Geschehen auf der politischen Weltkarte von zwei sich gegenseitig misstrauisch bedrohenden Militärblöcken bestimmt wird.111 Beide Einschränkungen beschneiden zwar die nationale Souveränität der Staaten, erweitern auf der anderen Seite aber die staatlichen Befugnisse gegenüber der eigenen Bevölkerung. Nicht zuletzt fördert heute vor allem der Sicherheitsaufwand, der in militärischer Hinsicht oder zum Schutz gefährlicher oder brisanter Hochtechnologien betrieben wird, die auf eine Totalisierung des Staates zielenden Entwicklungen. Eben deshalb gehört zu den aktuell-nervösen Problemen unserer Zeit die Frage nach der Treuepflicht gegenüber dem Staat, und zwar durchaus unabhängig von der jeweiligen Staatsform, womit die Differenzen ja nicht in Abrede gestellt werden sollen. Barth wird mehrfach in seinem Leben direkt mit der Frage nach der Loyalität gegenüber dem Staat konfrontiert. Ich wähle zwei Beispiele aus: einmal das Abverlangen des Treueids auf den Führer von Seiten des totalen Staates im nationalsozialistischen Dritten Reich, zum anderen die Auseinandersetzung um den Vorwurf, Barths Theologie sei staatsfeindlich, wie er im Zuge des kalten Krieges am Anfang der 50er Jahre auf dem Boden der demokratischen Schweiz erhoben wurde. Beide Male geht es um die vorbehaltlose Anerkennung staatstragender ,Prinzipien‘: einmal um die vorbehaltlose Unterwerfung unter den Führer Adolf Hitler, und das andere Mal um den prinzipiellen Antikommunismus des am Westblock orientierten Freiheitsverständnisses. Beide Male geht es um den staatlich erhobenen Anspruch auf die Unterordnung der Theologie unter die Machtinteressen des Staates und damit um die der Theologie abverlangte Anerkennung des so oder so gearteten uneingeschränkten Souveränitätsanspruchs des Staates gegenüber seinen Bürgern. 14.4.1 Der Eid auf den Führer Am 5. November 1934 meldet der Rektor der Universität Bonn, Hans Naumann, dem Reichskultusminister Bernhard Rust: „Leider habe ich einen peinlichen Vorfall zu melden, der zu schweren Folgen führen kann. Es erschien bei mir anlässlich der bevorstehenden Vereidigung des noch un111 Kommentar im Rückblick: In dieser Hinsicht hat sich zwar die Situation durch die sogenannte Wende von 1989/90 deutlich verändert, aber in vieler Hinsicht ringen wir nach wie vor zu einem großen Teil mit den gleichen Problemen, auch wenn sich die Akteure und Reizthemen verändert haben. Die Befreiung aus der Erstarrung hat längst zu neuen Antagonismen geführt, die in durchaus vergleichbarer Weise für enge Handlungsspielräume sorgen. Entscheidendes hängt an der Frage des Verhältnisses der faktischen Macht der Finanzmärkte zu der nach wie vor vom Staat zu beanspruchenden Souveränität. Vgl. dazu auch Weinrich, Halb voll oder halb leer?
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vereidigten Teils der hiesigen Dozentenschaft der Professor der protestantischen Theologie Dr. Karl Barth und erklärte, er könne den Eid nur leisten mit dem Zusatz: „soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann“. Ich habe den Eindruck, daß Barth nach einen Martyrium sucht, und daß seine Absetzung ein vielleicht erwünschtes Signal für neuen, großen Aufruhr in der protestantischen Kirche wäre. Es handelt sich ja um einen weltbekannten Theologen, das Haupt einer ungeheuren Anhängerschaft in aller Welt. Barth ist geborener Schweizer. Meine Vorstellungen, daß die Freiheit des Christenmenschen von dem Eide gar nicht berührt werde, fruchteten nichts. Ich übersehe natürlich nicht, ob der Fall vereinzelt dasteht, und bitte um Anweisung, was ich zu tun habe. Ließe sich ein Skandal vermeiden, so wäre das sehr gut. Heil Hitler! [gez.] Naumann“112
Barth ist also durchaus bereit, den Beamteneid abzulegen, aber nur mit dem genannten Vorbehalt. Bereitschaft und Vorbehalt zeigen den Loyalitätskonflikt an, in den sich Barth versetzt sah. Barth bestreitet dem Staat nicht das Recht, seine Beamten in besonderer Weise zur Loyalität dem Staat gegenüber zu verpflichten – ob das in der Form eines Eides zu geschehen hat, mag dahingestellt bleiben –, aber er widersetzt sich der Verpflichtung auf eine Person. Die Eidesformel lautete: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflicht erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Barth war von vornherein deutlich, dass es der Sinn dieses Eides war, jeden Vorbehalt gegenüber Adolf Hitler auszuschalten. Damit war der ,status confessionis‘ gegeben. Es ist der Treueschwur auf den Führer und nicht die Verpflichtung auf Gesetz und Amtspflicht, dem Barth mit seinem Vorbehalt eine Grenze setzen will, denn: „Die Verpflichtung auf den Führer Adolf Hitler ist nach der für die Interpretation maßgebenden nationalsozialistischen Auffassung eine Verpflichtung von unendlichem, also unübersichtlichem Inhalt. Soll die Verpflichtung auf den Führer Adolf Hitler durch einen Eid bekräftigt werden, so kann dies nur mit einem Zusatz geschehen, der ihren Inhalt begrenzt, das heißt zu einem endlichen und also übersichtlichen macht.“ (54)
Das folgende Dienststrafverfahren gegen Karl Barth stellt dann am 20. 12. 1934 auch ganz ohne Umschweife die vom Rektor Naumann in dem oben zitierten Brief an den Reichskultusminister erwähnte Interpretation ins Unrecht, dass die Freiheit des Christenmenschen durch den Eid nicht berührt werde. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmt, wenn auch nicht in der Formulierung so aber doch sachlich mit Barths Interpretation der Eidesformel überein und 112 Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 26 (im Folgenden Seitenangaben im Text).
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bestätigt, dass Barth den Sinn jenes Eides vom Eidnehmer aus richtig begriffen hat: „Die in der Eidesformel enthaltene Anrufung Gottes soll lediglich besagen: Der Schwörende ruft Gott zum Zeugen dafür an, daß er das in dem Eid enthaltene Versprechen der Treue und des Gehorsams gegenüber dem Führer abgegeben habe. Ob nun das, was auf Grund dieser Treue- und Gehorsamspflicht von dem Beamten verlangt wird, im Einklang mit dem Gebote Gottes steht – die Entscheidung darüber liegt nicht bei dem einzelnen Beamten, sondern allein und ausschließlich beim Führer selbst, den Gott auf seinen Platz gestellt hat, und dem man daher auch das blinde Vertrauen schenken kann und muß, daß er auf Grund seines besonderen Verhältnisses zu Gott nichts von seinen Untergebenen verlangen wird, was Gott verbietet. Daß der Beamte dieses bedingungslose und rückhaltlose Vertrauen zum Führer haben und ihm allein deshalb ein für alle Male die Entscheidung überlassen soll, ob zwischen seinen Befehlen und Anordnungen und dem Willen Gottes kein Widerspruch besteht, darin liegt gerade der Sinn des auf die Person des Führers geleisteten Treueides. Treue kann immer nur bedingungslos versprochen werden. Eine Treue unter Vorbehalt gibt es nicht.“ (96)
Barth hatte am 5. 12. 1934 an Hans v. Soden in Marburg geschrieben: „Der Sinn und Wille des Nationalsozialismus ist aber der, daß wir es in Adolf Hitler mit einem Zaren und Papst in einer Person, theologisch genaugenommen würde man zweifellos sagen müssen: mit einem inkarnierten Gott zu tun haben. Ein Eid auf Hitler nach nationalsozialistischer und also maßgeblicher Interpretation bedeutet, daß sich der Schwörende mit Haut und Haar, mit Leib und Seele diesem einen Manne verschreibt, über dem es keine Verfassung, kein Recht und Gesetz gibt, dem ich zum vornherein und unbedingt zutraue, daß er ganz Deutschlands und so auch mein Bestes unter allen Umständen weiß, will und vollbringt, von dem auch nur anzunehmen, daß er mich in einen Konflikt führen könnte, in dem er Unrecht und ich Recht hätte, schon Verrat wäre, dem ich mich also, wenn ich ihm Treue und Gehorsam schwöre, entweder den Einsatz meiner ganzen Person bis auf meine verborgensten Nachtgedanken oder eben gar nichts zuschwöre. Ein Vorbehalt bei diesem Eid ist nicht nur nicht selbstverständlich sondern unmöglich. Es ist ihm wesentlich, daß er mich auf eine schlechthin unendliche, schlechthin unübersichtliche Weise verpflichten will.“ (271)
Dem aufgebrochenen Gegensatz misst Barth theologisch prinzipielle Bedeutung zu. Es geht um die Unantastbarkeit Gottes. Barth stellt nicht etwa dem totalen Staat eine andere Staatsform gegenüber. Er diskutiert nicht über politische Alternativen bzw. Wunschvorstellungen, sondern stellt sich nüchtern auf den Boden der historisch gegebenen Umstände. Denn prinzipiell lässt sich die eine Staatsform nicht von der anderen abheben. Es sind alles relative Lösungen, unter denen weder die eine von Gott noch die andere vom ,Teufel‘ ist. Deshalb soll uns die Form der staatlichen Ordnung zwar nicht gleichgültig sein – Barth spricht sich verschiedentlich deutlich für die Demokratie aus –, aber in dem konkreten Konflikt stand nicht die Staatsform zur Debatte, sondern die unüberschreitbare Grenze, die einem jeden Staat gesetzt ist. Diese
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Grenze ist für die christliche Gemeinde mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem lebendigen Gott gegeben. Es geht um die Frage, wem wir uns mit unserem ,Leben und Sterben‘ anvertrauen wollen. Damit ist deutlich, dass es sich bei der Verpflichtung auf Adolf Hitler nicht um eine politische, sondern um eine theologische Frage handelte. Deshalb konnte dieser Frage auch keine politische Antwort gerecht werden. Die Reaktionen seiner ebenfalls betroffenen Kollegen bleiben sehr zurückhaltend bis hin zur gehässigen Ablehnung. Barth hat sich mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, er handle lediglich auf Grund übertriebener Gewissensskrupel. Wenn Barth sich dagegen in den status confessionis versetzt sieht, in dem er stellvertretend für die schweigende Kirche das ausspricht, „was normalerweise die Kirche für mich tun müßte“ (273), dann erwartet er nicht erst in der Zukunft irgendwelche Konflikte, sondern er alarmiert die Kirche damit, dass dieser Konfliktfall bereits eingetreten ist. Dabei beruft sich Barth gerade nicht auf das Gewissen, dem auch subjektive Beweggründe zugestanden werden. Der status confessionis folgt vielmehr einer konkret beschreibbaren Situation, deren Anstößigkeit jedem in die Augen springt, der sie bewusst betrachtet. In diesem Sinne entspricht der status confessionis der Wahrnehmung „der nationalsozialistischen Wirklichkeit, in die dieser Eid hineingehört“ (ebd.), nämlich der Einsicht, dass sich dieser Staat „eben nicht damit begnügte, ,Obrigkeit‘ zu sein, sondern [dass er] wie jenes Fischers Frau durchaus der liebe Gott sein wollte. So kann ich nicht zugeben, daß mein Einspruch auch nur formal d. h. wegen seiner Subjektivität absurd sei: Er wäre es, wenn der Staat, der diesen Eid fordert, gewisse Einsprüche selbst als notwendig und selbstverständlich voraussetzte. Das tut dieser Staat nicht. Wie soll es da anders sein, als daß nun doch die Subjektivität gegen – nein für ihn in die Schranken tritt? Für ihn, sofern sie ihn mit ihrem Einspruch bittet, wieder Obrigkeit und damit wieder wirklicher Staat zu werden.“ (272)
Barth interpretiert seine eigene Rolle in diesem notwendigen Widerspruch der Kirche in der Weise, dass er feststellt, „daß nun eben irgend jemand der Katze die Schelle angehängt hat“ (274). Doch hat es erst einmal geläutet, dann ist die ganze Kirche aufgerufen, aus der Verantwortung vor dem Evangelium zu prüfen, ob es sich da um eine Anzeige einer bisher unerkannten Gefahr für die Kirche oder nur um einen etwas voreiligen Alarm auf Grund einer irrigen Einschätzung der tatsächlichen Situation handelt. Eben diese Frage mutete Barth mit seinem Vorbehalt gegenüber dem „Totalitätseid“113 der Beamten auf den Führer der Kirche zu, was von der Kirche dann weithin eher als Zumutung empfunden wurde.114 113 Barth, Rechtfertigung und Recht, 42 (ebenfalls in: Eine Schweizer Stimme, 51). 114 Immer wieder gibt Barth zu bedenken, dass er als einzelner zunächst nur in Stellvertretung für die Kirche gehandelt habe – das sei in den meisten Situationen auch gar nicht anders möglich. Die Kirche müsse sich von dem Einzelbekenntnis zu einem Bekenntnis der Kirche heraus-
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Als beispielhaft für die taktierende Haltung der Kirche, die Barth mit keiner offiziellen und verbindlichen Stellungnahme zur Eidesfrage unterstützte, kann etwa die Haltung von Rudolf Bultmann und von Hans v. Soden angesehen werden, die insofern besonders zu einem Vergleich mit Barth einlädt, da beide in der gleichen Beamtensituation wie Barth standen, aber keinen Grund sahen, den Treueid in der vorgegebenen Formulierung zu verweigern. Auf der einen Seite erkennen beide, dass der Eid jeden Vorbehalt gegenüber dem Staat ausschalten soll, auf der anderen Seite sehen sie in dem Eid noch keinen Konfliktfall. Die Argumentation zielt darauf, dass es im Grunde erst noch viel schlimmer und konkreter kommen müsse, bis es sich lohne, mit dem Staat in einen Streit zu treten und seine eigene berufliche Existenz aufs Spiel zu setzen. Deshalb spielen beide die Bedeutung des Eides herunter, indem sie dem Staat das Recht zubilligen, einen solchen Eid zu fordern, wobei sie nun den Vorbehalt des Glaubens einreihen in eine ganze Palette möglicher Vorbehalte, auf die sich der Staat ja unmöglich einlassen könne. Soden schreibt am 02. 12. 1934 an Barth: „Der Staat kann eine derartige Klausel niemandem zugestehen; vom Staate her gesprochen wäre sie eine staatlich unmögliche Privilegierung. Was Sie für das christliche Gewissen fordern, könnte – vom Staat aus gesehen – ein anderer für sein deutsches Gewissen fordern und ein dritter für sein menschliches und ein vierter für sein wissenschaftliches und ein fünfter für sein Gewissen als Familienvater usw. In Wahrheit fordert der Eid von Ihnen gar nichts, was nicht schon bisher von Ihnen gefordert worden und die Voraussetzung Ihres Beamtenverhältnisses gewesen ist. Dieses Verhältnis als für Sie nicht haltbar aufzugeben, muß Ihnen jederzeit unbenommen bleiben; es von jetzt an für Sie unter von Ihnen zu setzende Bedingungen zu stellen, ist dagegen ausgeschlossen.“ (265 f)
Hier wird ein Staatsverständnis sichtbar, in dem der Staat in unproblematisierter Selbstverständlichkeit totaler Staat sein kann. Doch das taktische Kalkül all dieser Einwände tritt erst dann deutlich hervor, wenn gegen Barth der Vorwurf erhoben wird, er gefährde durch seine Einzelaktion die Bekenntnisfront der Kirche, denn Barth leiste „unvermeidlich dem Verdacht Vorschub […], daß die Bekenntnisfront gegen den legitimen Anspruch des Staates stehe und eine unevangelische Autonomie der Kirche im Staat verfechte“ (266). Dass es hier weniger um begründete Positionen als um zurechtgelegte Rechtfertigungsargumentationen für ihre eigene Gefügigkeit ging, wird darin deutlich, dass Bultmann und v. Soden in dem Moment, wo sie für Barths Anliegen eine politische Chance erblicken – nachdem sie zunächst Barth zur Zurücknahme seiner Bedenken aufgefordert hatten – nun Barth fordern lassen, oder sie habe begründete Einwände namhaft zu machen; sie kann sich nicht auf eine scheinbar neutrale Position zurückziehen. Vgl. Barth, Eine Schweizer Stimme, 6 f, 104ff, 249 f, 299; Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens; KD I/2, 659 f, 961 f; KD III/4, 588ff; KD IV/3, 888ff, 980ff, 1017 ff.
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ermuntern, die nächste Instanz anzurufen, nachdem der Prozess in erster Instanz verloren war.115 Barth soll nun gleichsam in einem Musterprozess allein und ohne jede Hilfe der Kirche durchprobieren, welchen Bekenntnisspielraum der Staat seinen Bürgern einzuräumen bereit ist. Und je nachdem, wie das Urteil ausfallen wird, ließen sich dann nachher auch Empfehlungen für das Verhalten der Kirche aussprechen. Auch die Bekennende Kirche verstrickt sich in kirchenpolitisch motivierte Zurückhaltung, um mit dem Staat nicht in Konflikt zu geraten, anstatt ein eindeutiges Wort in der Eidesfrage zu sagen, das der von Barth angezeigten theologischen Herausforderung gerecht zu werden versucht. Und so wird Barth in die Rolle des Störenfriedes gedrängt, dass Marahrens sogar zu behaupten wagt, dass „Karl Barth die größte Gefahr für die Deutsche Evangelische Kirche“ sei (39). Man geht Barth aus dem Weg, indem man seine unbequemen theologischen Vorbehalte, die die Kirche an ihre ,Sache‘ erinnern wollten, einfach auf die politische Ebene verschiebt, so dass man als Kirche – abgesehen von persönlichen „Sympathiekundgebungen und Postulaten“ (347) – weithin Stillschweigen bewahren konnte. Als politische Angelegenheit wird der Konflikt zu Barths persönlicher Angelegenheit erklärt (vgl. 153). Auf diese Weise verschafft sich die Kirche einen im Grunde beliebig ausdehnbaren Spielraum. Dieser bis heute immer wieder genutzte Spielraum wird mit Hilfe zweier Variablen offengehalten, deren Zusammenspiel die gewünschte Beliebigkeit garantiert. Auf der einen Seite steht die neuzeitliche Trennung von Theologie und Politik. Auf der anderen Seite steht die auch die Kirche betreffende Unterstellung, dass alles Erkennen, Denken und Handeln heute vor allem politischen Charakter habe. Auf den ersten Blick scheinen sich die beiden Grundsätze auszuschließen. Sie fügen sich aber kooperativ zusammen, entweder wenn man theologischen Einspruch aus politischen Gründen abwehren will oder aber sich eine Legitimation sucht, um konkrete politische Verhältnisse theologisch interpretieren zu dürfen. Da beide Interessen – Isolierung und Identifikation – meist zusammengehen, bedarf es nur einer jeweiligen Umakzentuierung im Zusammenspiel beider Variablen, so dass sich unschwer jede politische Konstellation als unantastbar sowohl von Seiten der Theologie als auch von der politischen Seite aus darstellen lässt. Das Interesse an Entpolitisierung geht meist Hand in Hand mit einem ebenso konsequenten Interesse an einer Politisierung.
14.4.2 Der Berner Kirchenstreit Dass es sich bei Barths Vorbehalt nicht um eine politisch-taktierende, sondern um eine grundsätzliche Entscheidung gehandelt hat, belegt die ,Affäre‘, in die 115 Vgl. Brief vom 26. 12. 1934 von R. Bultmann an Barth, in: Barth/Bultmann, Briefwechsel 1922 – 1966, 158 f.
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Barth 1950/51 durch Regierungsrat Dr. jur. Markus Feldmann, Kirchen- und Erziehungsdirektor der Regierung im Kanton Bern, gerät.116 Die Angriffe zielen darauf, dass Barth einerseits „eine betont wohlwollende Neutralität gegenüber dem Kommunismus an den Tag“ lege, während er und seine Anhänger „gegenüber den freiheitlich-demokratischen Grundlagen“ der Schweiz „ein ebenso betontes Desinteresse“ bezeugten.117 Bei genauerem Hinsehen geht es auch hier nicht um die Bekämpfung einer von Barth vertretenen politischen Position, sondern um die Bestreitung einer von Barth für die Kirche ausgesprochenen Verweigerung, nämlich seine Verweigerung gegenüber dem öffentlich gepflegten prinzipiellen Antikommunismus. In dem Vortrag „Die Kirche zwischen Ost und West“ vom Februar 1949 spricht Barth „ein entschlossenes Nein“ zum Konflikt zwischen Ost und West aus, denn in diesem Konflikt stehe nicht Recht und Unrecht gegeneinander, sondern es handle sich um einen ,Gigantenstreit‘ zweier um die Vorherrschaft ringender Riesen, die sich gegenseitig ängstlich in Angst versetzten. Für die Kirche könne es da nur heißen: „Nicht mittun bei diesem Gegensatz! Er geht uns als Christen gar nichts an. Er ist kein echter, kein notwendiger, kein interessanter Gegensatz. Er ist ein bloßer Machtkonflikt. Wir können nur warnen vor dem noch größeren Frevel, diesen Konflikt in einem dritten Weltkrieg austragen zu wollen. Wir können nur jede Lockerung dieser Spannung, wir können gerade in dem Zwischenbereich, in welchem wir uns auch geographisch befinden, nur dem Rest von Vernunft das Wort reden, der der notorisch so unvernünftigen Menschheit noch geblieben sein möchte.“118 – „Messer weg! Kein weiteres Öl in dieses Feuer! Denn so, indem hier fernerhin herüber und hinüber geflucht wird, bis schließlich nur noch ein drittes Mal geschossen werden kann, – so wird nichts besser, so wird keinem Menschen geholfen, und keine Frage gelöst.“119
Verbietet für Barth schon die nüchterne Betrachtung dieses Konfliktes eine undifferenzierte Parteinahme für die eine oder andere Seite, umso mehr widerspricht eine solche Parteinahme der besonderen Verpflichtung und Freiheit der Kirche. Sie ließe sich auf einen Glaubenskrieg ein, in dem beide Seiten mit ihren Ideologien zum Kreuzzug rüsten, entweder um das ,christliche Abendland‘ zu retten oder um die Segnungen des machtpolitisch durchgesetzten Kommunismus der ganzen Welt aufzudrängen. Immerhin: das kommunistische Heilsangebot ummantelt sich nicht mit einem christlichen Gewand; vielmehr zeigt sich der ,Osten‘ ,achristlich‘ und erweist sich faktisch als „brutales, aber wenigstens ehrliches Gottlosentum“120. Die Gottlosigkeit des 116 Vgl. dazu jetzt auch die später erschienene Monographie von Ficker Sthelin, Karl Barth und Markus Feldmann im Berner Kirchenstreit. 117 Aus der Rede von Markus Feldmann vor dem Großen Rat in Bern am 13. 09. 1950, in: Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 220. 118 Barth, Der Götze wackelt, 129. 119 Ebd., 134. 120 Ebd., 138 (Hervorhebung M.W.).
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westlichen Machtwahns verhüllt sich dagegen allzumeist in einer als christlich ausgegebenen Selbstrechtfertigungsmoral, mit der sich der hemmungslose Durchsetzungswille noch das gute Gewissen verschafft. Dieser entscheidende Unterschied verbietet nun die Gleichsetzung des kommunistischen Totalitarismus des Ostens mit dem nationalsozialistischen Totalitarismus, ganz davon abgesehen, dass sich der Marxismus im Gegensatz zur menschenverachtenden Hybris des Nationalsozialismus einer tatsächlich brennenden Frage, nämlich der sozialen Frage, angenommen hat. Jenseits der unbestreitbaren Greuel findet sich hier eben nicht nur ,Unvernunft, Wahnsinn und Verbrechen‘121 wie im Nationalsozialismus. So vermutet Barth, dass die Gleichmacherei von Rot und Braun anderen Zielen dient als einer sachgemäßen Wahrnehmung der politischen Gegebenheiten. Sie lenkt ab vom Totalitarismus der westlichen Freiheitsideologie mit seiner gnadenlosen Konkurrenzwirklichkeit und den damit verbundenen Unmenschlichkeiten. Solange „es im Westen noch eine ,Freiheit‘ gibt, Wirtschaftskrisen zu veranstalten, eine ,Freiheit‘, hier Getreide ins Meer zu schütten, während dort gehungert wird, so lange ist es uns jedenfalls als Christen verwehrt, dem Osten ein unbedingtes Nein entgegenzuschleudern.“122 Die ideologische Dehnbarkeit des westlichen Freiheitsverständnisses ließe sich ohne Schwierigkeiten noch drastischer vor Augen führen, zumal nach den politischen Entwicklungen der letzten Jahre. Die Situation hat sich im Kern keineswegs verändert, sondern nach wie vor bestimmt ein prinzipieller, fast bekenntnisartiger Antikommunismus den politischen Handlungsspielraum, wobei die Explosivität der gegenseitigen militärischen Bedrohungspotentiale Jahr für Jahr ebenso unermesslich gesteigert wurde, wie gleichzeitig von den Militärs die Hemmschwelle zu einer offensiven Militärstrategie jedenfalls im Westen vor aller Öffentlichkeit herabgesetzt wird (Stichworte: Flexible Response, Ersteinsatzoption, begrenzt fühlbarer Nuklearkrieg). Der kalte Krieg ist destruktiv und bereitet nichts anderes vor als das Inferno. Eben deshalb darf sich die christliche Gemeinde in keiner Form daran beteiligen. Es geht also um keine nur falsch zu verstehende politische Neutralität, die beteiligungslos zusieht, sondern um das aufbauende Zeugnis für die christlich gebotene und zugleich politisch vernünftige Abkehr von der Konfrontationspolitik zu einer Freiheit und Gerechtigkeit verbindenden und damit friedensfördernden menschlichen Politik. „Die christliche Kirche kann von daher nicht gegen den Westen, nicht gegen den Osten sein. Sie kann von daher nur zwischen beide hineintreten. Wobei es freilich nicht anders sein kann, als daß sie hier im Westen – mögen unsere Brüder im Osten das Ihrige tun! – nachdrücklicher für das eintreten muß, was nun eben hier im Westen übersehen und vergessen sein dürfte, was darum hier im Westen zu sagen und zu hören 121 Vgl. ebd., 137. 122 Ebd., 137.
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ist. […] Die Kirche kann gerade heute nur dann Kirche sein, wenn sie dazu frei bleibt.“123
Diese Freiheit auch gegenüber dem demokratischen Staat kann sich die Kirche nicht selbst geben, sondern sie gründet im Wort Gottes, an dem sie sich auch vergewissert. Die Einsprüche von Seiten des Regierungsrates Feldmann geben ungewollt der Diagnose Barths recht. Feldmann sieht in Barths Ortsbestimmung für die Kirche die Loyalität gegenüber dem Staat gefährdet. Der Staat sei aufgerufen, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Feldmanns Vorstellung von der Kirche orientiert sich spiegelbildlich an der politischen Figur der Mehrparteiendemokratie. In der Kirche müsse der gleiche politische Pluralismus bestimmend sein wie im Staate. In dieser von der Kirche zu schützenden Spiegelbildlichkeit erweise sich gleichsam ihre Loyalität dem Staat gegenüber. Doch es kommt nun für Feldmann darauf an, dass sich die politische Phantasie der Kirche auch auf diese Spiegelbildlichkeit beschränkt. Im Grunde steht gar nicht die politische Phantasie der Kirche zur Debatte, sondern die Frage, wie dezidiert von der Kirche eine politische Position vorgetragen werden darf. Die Auseinandersetzung konzentriert sich auf den Zusammenhang des Bekenntnisses der Kirche mit ihrer Stellung zu den jeweiligen politischen Verhältnissen. Und Barth fragt nun: „Sie sagen […], dass die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christ-katholische Kirche dem Staat Bern im Prinzip gleich nahe stehen. Obwohl es Ihnen bekannt sein wird, daß die römisch-katholische Kirche sich selbst für die ,allein seligmachende‘ und also allein wirklich christliche Kirche hält und immer wieder in aller Form erklärt! Könnten Sie von da aus nicht Verständnis dafür haben, daß es auch innerhalb der evangelisch-reformierten Kirche eine ,Richtung‘ geben kann und von der Bibel her vielleicht geben muß, die hinsichtlich der ,reformierten Grundlage‘ etwas Bestimmtes glaubt (und nicht nur ,meint‘!), das sie durch andere ,Richtungen‘ implizit und explizit geleugnet hört, so daß sie mit diesen wohl im Verhältnis zum bernischen Staat, nicht aber als eine christliche Kirche Gemeinschaft haben kann? Hat die ,Toleranz‘ nicht sogar im demokratischen Staat ihre ganz bestimmten Grenzen? Können Sie sich als dessen Vertreter dagegen verwahren, daß (eventuell mit noch viel höherem Recht) eine bestimmte geistliche, theologische Intoleranz in der Kirche vertretbar ist, daß irgendwo auch in der Staatskirche (eben im Blick auf deren ,reformierte Grundlage‘) ein deutliches Ja und ein deutliches Nein gesagt und – immer im Rahmen der Staatskirche – selbstverständlich auch betätigt werden darf ?“124
123 Ebd., 141 f. 124 Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 230 f.
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14.4.3 Die Profanisierung des Staates und der Politik Mit dieser Frage umreißt Barth den Konflikt, in dem die Kirche immer schon steht, wenn sie ihre Zeitgenossenschaft ernst nimmt. Denn eben darin unterscheidet sich der Staat grundsätzlich von der Kirche, dass er kein Bekenntnis und keine Botschaft hat.125 So ist es nicht seine Aufgabe, an einen bestimmten Glauben zu appellieren oder eine bestimmte Wahrheit zu verkündigen. Und da, wo der Staat ein Bekenntnis ablegt oder gar einklagt, überschreitet er seine Grenzen, die ihm als Hüter von ,Recht und Ordnung‘ gesetzt sind. Umgekehrt ist die Kirche aber von allen Problemen des Staates zumindest mitbetroffen, so dass sie sich nicht neutral halten kann, sondern von Fall zu Fall Stellung beziehen muss. Dabei erinnert Barth immer wieder daran, dass Gott sich nicht vorzüglich der Kirche, sondern der Welt insgesamt zugewandt hat. Und deshalb sollte es in der Kirche nicht strittig sein, dass der Herr der Kirche auch der Herr der Welt ist, als welcher er auch den Staat heiligt: Er hat „nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens“ (Barmen V) für die „äußerliche relative, vorläufige Begrenzung und Bewahrung“ der menschlichen Existenz zu sorgen.126 Die Beschreibung der Aufgabe des Staates ist zugleich die Beschreibung der Begrenzung des Staates. Daran orientiert sich die Solidarität der Kirche zum Staat. Wenn wir auch hier von einem ,Wächteramt‘ der Theologie bzw. der Kirche sprechen würden, so liegt der Akzent bei Barth deutlich auf der Begrenzung des Staates. In diesem Sinne beteiligt sich die Kirche „an dem menschlichen Fragen nach der besten Gestalt, nach dem sachgemäßesten System des politischen Wesens, ist […] sich aber auch der Grenzen aller vom Menschen auffindbaren (auch der unter ihrer eigenen Mitwirkung aufzufindenden) politischen Gestalten und Systeme bewußt, wird sie sich also wohl hüten, ein politisches Konzept – und wenn es das ,demokratische‘ wäre als das christliche gegen alle anderen auszuspielen. Sie hat, indem sie das Reich Gottes verkündigt, allen politischen Konzepten gegenüber ihre Hoffnungen, aber auch ihre Fragen geltend zu machen.“127
Barth erinnert uns auch daran, dass der Staat von seinem Wesen her keineswegs „ein nationaler, d. h. ein auf ein bestimmtes Land und Volk begrenzter und also nur nationalen Interessen dienender Staat sein muß“128. Ohne jede Überlegenheitsattitüde, aber auch ohne jegliche unkritische Untertanengesinnung wägt die Kirche „von Fall zu Fall, von Situation zu Situation“129 zwischen ,besser‘ und ,schlechter‘ ab. Diese Aufgabe des Unterscheidens spielt 125 126 127 128 129
Vgl. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 50. Vgl. ebd., 56. Ebd., 58 f. Barth, Eine Schweizer Stimme, 275. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 60.
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sich grundsätzlich auf der von der Vernunft überschaubaren Ebene des Komparativs ab, d. h. die Kirche findet sich weder mit dem Status quo des Indikativs ab, noch zielt sie auf den Superlativ einer nicht mehr hinterfragbaren Lösung. Wenn nach der ,besten Gestalt‘ oder dem ,sachgemäßesten System‘ gefragt wird, so bleibt auch dieser Superlativ insofern ein Komparativ, als der jeweils avisierte Vorzug allein im Vergleich beschrieben und vertreten werden kann. Solange die Überlegungen und Entscheidungen an der konkreten Historie orientiert bleiben, solange bleibt auch die notwendige Relativität gewahrt. „Wer beim Staat zu viel sucht, verfehlt das Wenige, das er da tatsächlich finden könnte.“130 Schließlich gibt Barth auch noch Hinweise zu den Maßstäben des politischen Engagements der christlichen Gemeinde. Unbedingt vorrangig sollte für sie sein, dass sie sich „im politischen Raum immer und unter allen Umständen in erster Linie des Menschen und nicht irgendeiner Sache annehmen wird, gleichviel ob diese Sache das anonyme Kapital sei oder der Staat als solcher (das Funktionieren seiner Bureaux!) oder die Ehre der Nation oder der zivilisatorische oder auch kulturelle Fortschritt oder auch die so oder so konzipierte Idee einer historischen Entwicklung der Menschheit. Die letztere auch dann nicht, wenn es die Erhebung und das Wohl künftiger Menschengenerationen ist, die als Ziel dieser Entwicklung verstanden wird, zu dessen Erreichung dann der Mensch, die Menschenwürde, das Menschenleben in der Gegenwart zunächst einmal mit Füßen getreten werden dürften. Sogar das Recht wird da zum Unrecht […], wo es als abstrakte Form herrschen, statt als Menschenrecht der Begrenzung und Bewahrung eben des Menschen dienen will.“131
Damit zeigt Barth eine grundsätzliche Bestimmung des politischen Engagements der Kirche an, die darin besteht, den jeweils lebenden Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, d. h. auf der Seite der von der tatsächlichen gesellschaftlichen Praxis um ihr Recht betrogenen Menschen zu stehen. Wir brauchen uns nur an das zu erinnern, was oben in 14.2 bedacht wurde, um den Zusammenhang zu verstehen, wenn Barth das politische Handeln in der Weltzugewandtheit Gottes begründet. Ihr entspricht weder eine provinzielle Kirchturmspolitik noch eine an nationalen oder an sonst wie beschränkten Interessen orientierte ,Weltpolitik‘. Es gibt hier so etwas wie eine praktische ,Ökumenizität‘, die im profanen Zeugnis (Gleichnis) auf die tatsächliche Ökumenizität Gottes hinweist. Deshalb warnt Barth immer wieder vor allen Fixierungen an Partikularinteressen. Die Kirche sollte vielmehr stets über die eigenen Mauern – und das sind eben auch die Mauern von Nation, Volk und Staat – hinaussehen und die „Verständigung und Zusammenarbeit im größeren Kreis“132 suchen. Wiederum nicht von einer überlegenen Position aus, 130 Barth, Eine Schweizer Stimme, 187. 131 Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 67 f. 132 Ebd., 73.
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in der sie einen besonderen christlichen Standpunkt in Anschlag bringen könnte, sondern in Bezug auf die Christlichkeit durchaus anonym133, in Bezug auf die Parteinahme für den Menschen aber durchaus offensiv und dezidiert. So stimmig und doch eher selbstverständlich diese Zuspitzungen zum politischen Engagement der Kirche erscheinen mögen, so folgenreich nervös und als staatsgefährdend wurden sie von Feldmann aufgenommen. Auch Feldmann nimmt nicht den theologischen Begründungszusammenhang bei Barth wahr, sondern sieht ausschließlich die politischen Implikationen, die dann – abgespalten von ihren theologischen Wurzeln – zum Gegenstand der Auseinandersetzung genommen werden. Man wird nicht sagen können, dass Feldmann Barth so ganz falsch verstanden hat, denn Barths Argumentation greift tatsächlich die Ideologie der Freiheitssicherung durch Antikommunismus an, als deren Vertreter sich Feldmann zu erkennen gibt. Feldmanns Wahrnehmungshorizont ist ebenso wie seine Urteilsbildung derartig an die aktuellen politischen Verhältnisse gebunden, dass jeder andere Begründungszusammenhang oder auch nur eine angedeutete Distanzierung bereits als ein Sakrileg gegen die Souveränität des Staates notiert wird. Die darin erkennbare totale Politisierung alles Erkennens und Wollens weist auf den entscheidenden Defekt: Die distanzlose Selbstauslieferung des Menschen und auch der Kirche an den irdisch-geschichtlichen Bedingungshorizont ihrer Existenz. Das Vorfindliche und die von ihm gestellten Bedingungen, die meist mit der unumstößlich erscheinenden Autorität von Sachzwängen ausstaffiert sind, bestimmen hier das Selbstbewusstsein, das in seiner Distanzlosigkeit auf jede Durchbrechung dieses politischen Totalitarismus mit Angst und Abwehr reagiert. Jeder Angriff – und selbst wenn er nur in der Gestalt der Frage ergeht – auf die ideologischen Grundlagen der jeweiligen politischen Ordnung wird fast zwangsläufig als eine Unterminierung der ,Existenzgrundlagen‘134 angesehen. Allenfalls lassen sich bei ausdrücklicher Anerkennung der ideologischen Grundlagen subjektive Meinungsverschiedenheiten austragen, denn damit wird nicht der Absolutheitsanspruch der politischen Macht bestritten. Kritisch wird es aber dort, wo auch diese Grundlagen relativiert werden und zwar nicht nur mit dem Anspruch einer subjektiven Meinung, sondern mit dem Hinweis auf das von Gott erwartete Zeugnis seiner Gemeinde in ihren konkreten historisch-politischen Verwicklungen. Der Konfliktfall tritt sofort ein – und das liegt auch ganz und gar in der Natur der Sache –, wenn die Kirche nur andeutet, dass sie in bestimmten Punkten dem Staat gegenüber die Loyalität verweigert, d. h. wenn die Kirche sich darauf besinnt, dass sie mehr ist als der verlässliche Diener bei der Verbreitung und Festigung der gerade politisch wirksamen Staatsideologie. 133 Barth bekräftigt hier seine Kritik an jedem als christlich ausgegebenen politischen Engagement: „im politischen Raum können nun einmal die Christen gerade mit ihrem Christentum nur anonym auftreten“ (Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 78). 134 Vgl. Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 226 f., u. ö.
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Ebenso wie schon im Kirchenkampf135 findet sich Barth, diesmal von der Seite der freiheitlich-demokratischen Schweiz dem Vorwurf ausgesetzt, dass er mit seiner Theologie lediglich einer vorgefassten Meinung – und da ist eben die politische Meinung im Visier – zu einer nachträglichen und daher unwissenschaftlichen Beweisführung verhelfe.136 Barths Intervention mit der Gott geschuldeten Loyalität, die in ein kritisches Verhältnis zu der dem Staat gegenüber zu erweisenden Loyalität tritt, muss so lange als bedrohlich empfunden werden, wie man seine ganze Lebenserwartungen und Hoffnungen auf den Staat und die Politik konzentriert. Sobald man die ganze diesseitige Wirklichkeit dem Staat und der Politik unterstellt – so wie es in der Staatsphilosophie von Thomas Hobbes für die Neuzeit vorgedacht worden ist –, wird jede öffentliche Intervention aus einem anderen Bereich – ganz gleich welchen Inhalt sie vorträgt – als lebensbedrohlich empfunden. Wahrheit und Wirklichkeit beschränken sich auf den Rahmen politischer Alternativen. Hier hat die theologische Kritik und der Protest der Kirche einzusetzen, denn in diesem Horizont wird die eigene Weltanschauung zum Gott und die machtpolitische Selbstsicherung zur Liturgie des menschlichen Lebens erhoben. In dieser uneingeschränkten Bereitschaft, die Omnipotenz des politischen Lebens zu akzeptieren, wird der Staat als Nationalstaat – unterstützt durch den distanzlosen Dienst der Kirche – seinerseits zu einer religiösen Institution, ja zur im Grunde übergeordneten Religion des modernen Menschen, der Gott nur noch im Horizont der von ihm selbst zu verantwortenden Bedingungen zu akzeptieren bereit ist. Der Staat ist nicht mehr der profane Staat mit seinen limitierten Funktionen, sondern entwickelt sich zunehmend zum totalen Staat – auch im demokratischen Gewand –, wenn und indem er auch den Glauben und die Hoffnung der ihm unterstellten Menschen binden und gestalten will. Selbst wenn er freistellt, dass der einzelne Bürger dieser oder jener Konfession angehört, bindet er alle seine Bürger an den Glauben, an die Fürsorge und Vorsorge seiner Zuständigkeit. Er behält sich jenseits der konfessionellen Unterschiede – und das belegen die Vorwürfe von Feldmann gegen Barth – höchstrichterliche Urteilskompetenz auch in ,religiösen‘ Angelegenheiten vor. Und da ist es mehr als ein Ausrutscher, wenn Feldmann Barth in die Nähe ,ausgekochter Landesfeinde‘ rückt, mit ,landesverräterischen Gesinnungen und Ansichten‘, die ,in der widerlichsten Weise vor einem fremden Machthaber Kotau machen‘.137 Es besteht Barth gegenüber wohl weniger die Gefahr des politischen als vielmehr des theologischen Missverständnisses. In den politischen Stellungnahmen ist Barth recht genau verstanden worden, was sich weniger daran ablesen lässt, dass man sich auf seine Stellungnahmen berufen hätte als vielmehr daran, dass man ihn als Störenfried empfand. Barths Verweigerungen 135 Vgl. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 119, 143, 151, 180ff, 214 f. 136 Vgl. Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 257. 137 Vgl. ebd., 126 f.
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sind fast übergenau registriert worden, was auch ein Hinweis auf die allseitigen besonderen Empfindlichkeiten ist. Immer wieder wird – und damit trifft man ja durchaus etwas Richtiges – auf eine Stelle aus dem zweiten Römerbriefkommentar zu Röm 13,1 angespielt: „Es gibt keine energischere Unterhöhlung des Bestehenden als das hier empfohlene sang- und klang- und illusionslose Geltenlassen des Bestehenden. Staat, Kirche, Gesellschaft, positives Recht, Familie, zünftige Wissenschaft usf. leben ja von der durch Feldpredigerelan und feierlichen Humbug aller Art immer wieder zu nährenden Gläubigkeit der Menschen. Nehmt ihnen das Pathos, so hungert ihr sie am gewissesten aus!“138
Der subversive Aspekt seiner Stellungnahmen findet hier scheinbar eine klare Begründung. Indem Barth sich immer wieder weigert, sich auf bestimmte politische Positionen festzulegen, wird der politische Streit, in den man hier und da vielleicht gern eingetreten wäre, unfruchtbar. Er führt nicht auf die für Barth entscheidende Problematik, denn die Beweggründe seiner Verweigerungen liegen nicht im politischen Kalkül. Es ist daher eine sehr verengte Sichtweise, wenn die zitierte Textstelle aus dem Römerbriefkommentar als Begründung für Barths politische Stellungnahmen herhalten muss. Barth erscheint dann als der unsolidarische und zugleich unberechenbare Verweigerer, dem ausschließlich an der ,Unterhöhlung‘ gelegen sei. Auf der anderen Seite zielen Barths Angriffe in der Tat auf alle Formen einer selbstgewissen Weltanschauung und jeden Friedensschluss mit dem jeweiligen Status quo. Es gerät aber alles in ein schiefes Licht, wenn nun Verweigerung und ,Unterhöhlung‘ für sich genommen werden. Sie sind für Barth weder praktisch noch im Blick auf eine gesellschaftliche Theorie kennzeichnend, sondern zielen ganz dezidiert auf die verschiedenen Formen der Selbstüberhebung des Menschen, die sich in der Politik besonders zahlreich und augenfällig finden. Sie sind aber keineswegs auf die Politik beschränkt, sondern können sich – wie wir oben gezeigt haben – auch in der Wissenschaft Ausdruck verschaffen. Nehmen wir die hier betrachteten Konflikte Barths zusammen, so wird allerdings deutlich, dass für ihn die Politik als das in der Neuzeit bevorzugte Terrain menschlicher Selbstüberhebung galt. Wenn Barth hier Verweigerung empfiehlt, hat er die Versuchungen des Politischen vor Augen, mit denen es sich des ganzen Menschen zu bemächtigen versucht, um sich schließlich die ganze menschliche Wirklichkeit untertan zu machen. Die Verweigerung gilt der Hybris des modernen politischen Lebens, nicht einer nüchternen Tagespolitik. „Wenn der Staat anfängt, Liebe zu fordern, dann ist er immer schon im Begriff, zur Kirche eines falschen Gottes und damit zum Unrechtsstaat zu werden. Der Rechts-
138 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 647.
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staat braucht keine Liebe, sondern nüchterne Taten einer entschlossenen Verantwortlichkeit.“139
Das Verhältnis zum Staat wird nicht durch Vertrauen getragen, sondern durch das Recht und die Gerechtigkeit. Barths Verweigerung gilt den allseitigen Werbungen um das Vertrauen der Menschen. Solange man etwa in einem Wahlkampf um das Vertrauen der Wähler ringt, und umgekehrt die Wähler ihr Vertrauen umwerben lassen, solange ist es nicht verwunderlich, wenn bei Wahlentscheidungen keine politischen Sachfragen, sondern die Sympathie von Personen und persönlichen Versprechungen im Vordergrund stehen. Dieser Unsachlichkeit der Politik erteilt Barth eine Absage, zumal sich im Schatten der harmoniebedürftigen Sympathieentscheidungen meist durchaus weitreichende und brisante Sachentscheidungen verbergen. Es geht auch um den politisch-sachlichen Widerstand gegen die psychologischen Vernebelungen der oft harten Realitäten der Politik. Die Perspektive der Verweigerung aber bleibt die Menschlichkeit und die Weltlichkeit, um deren Willen allein auch die Verweigerung im Recht ist, denn es geht ja nicht um Destruktion. Die Bestimmung von Menschlichkeit und Weltlichkeit sucht Barth allerdings nicht beim Menschen oder der Welt, sondern in der Bibel, d. h. dem Zeugnis vom Wort Gottes. Nicht Selbstbestimmung ist dabei der Leitbegriff, sondern die Freiheit zum Gehorsam. Das ist die Freiheit, in der die christliche Gemeinde lebt und die sie ganz und gar in die Welt hineinstellt. Es ist gerade nicht die Freiheit von der Welt, sondern – und das ergibt sich aus der Geschichte Jesu Christi – vor allem Freiheit für die Welt, d. h. die Freiheit, den Willen Gottes in der Welt anzuzeigen. Der Wille Gottes ist aber nicht in erster Linie politischer Wille, sondern zielt auf die Menschlichkeit des Menschen. Diese ist nun nicht vom Menschen erst herzustellen, da sie in Christus bereits hergestellt ist; wohl aber gilt es, allem Widerspruch gegen diese Menschlichkeit entgegenzutreten. Insofern die Politik ein praktisches Instrument zur Humanisierung des Lebens sein kann, bleibt sie für Barth höchst relevant. Und wer will schon bestreiten, dass sie in vielen Fällen ein geeignetes Instrument sein könnte, auch wenn sie faktisch meist im Dienst ganz anderer Interessen betrieben wird? Bei all ihrem Versagen hat die Politik ihr gutes Gewissen behalten. Und dieses gute Gewissen wird nun von Barth empfindlich gestört – nicht mit einem neuen politischen Programm oder mit hochgesteckten moralischen Idealen oder christlichen Werten, sondern mit im Grunde ganz schlichten Rückfragen. Die Reaktionen auf diese Rückfragen sind dann entlarvend für den Zustand unserer Politik und die faktische Unfähigkeit der Politiker, die Verhältnisse noch anders als durch parteipolitisch bzw. bündnisopportunistisch gefärbte Brillen zu betrachten. Um ihrer politischen Karriere willen passen sich die Politiker den machtpolitisch abgezweckten Weltanschauungen 139 Barth, Rechtfertigung und Recht, 43 f (ebenfalls in: Barth, Eine Schweizer Stimme, 52).
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wie dem Antikommunismus an. Es geht stets mehr um die Politiker als um die Politik. Nicht Barths Rückfragen sind radikal, sondern sie werden erst durch die apologetischen Antworten radikalisiert. Barth erinnert die Politiker an die Politik und an die Menschen, denen sie mit ihrer Politik dienen sollten. Die Politiker suchen nun aber nicht die Auseinandersetzung mit Barth, sondern weichen mit Exekution des unbequemen Fragers den aufgeworfenen Sachfragen aus; ein Mechanismus, der bis heute fast die Regelreaktion darstellt. Wenn Barth von seiner Theologie aus zu seinen Rückfragen kommt, so praktiziert er das, was er das Wächteramt der Kirche nennt. Er spricht nicht allein aus persönlicher Betroffenheit, sondern als Glied der Gemeinde, die in besonderer Weise zu Menschlichkeit und Weltlichkeit befreit und berufen ist, d. h. zum Widerstand gegen die Unmenschlichkeit und alle Machtphantasien, mit denen die Welt ihre Bestimmung an sich zu reißen versucht und sich damit um ihre eigene Wirklichkeit bringt. Damit öffnet sich unsere Untersuchung zum Schluss zur dogmatischen Arbeit Barths. Die Dogmatik hat in ihrer Orientierung am biblischen Zeugnis neben der Aufgabe der Selbstkritik der Kirche stets auch den Ort der Kirche in der Welt im Blick zu behalten. Es könnte überlegt werden, ob nicht die ganze dogmatische Rechenschaft der Kirche vor allem der ständigen Erinnerung an die tatsächliche Welt dient. Die Dogmatik hat die Aufgabe der kritischen Realitätsverarbeitung im Lichte des biblischen Zeugnisses. Wenn man einmal unter dieser Perspektive Barth zu lesen gelernt hat, wird sich zeigen, wie politisch Barths Theologie ist, gerade darin, dass sie keine politische Theologie ist. Nur wenn man bereit ist, stets Kirche und Welt zusammenzusehen, ist man einigermaßen vor dem Missverständnis gefeit, Barth zwar theologisch, nicht aber politisch folgen zu wollen, denn es geht gerade nicht um eine Synthese von Theologie und Politik, sondern um konsequente Theologie in der Welt. Indem Barth dabei die Theologie in den Dienst des Zeugnisses der Kirche stellt, das seinerseits auf das biblische Zeugnis und dieses auf Gottes Handeln am Menschen zeigt, bleibt schließlich unterstrichen, dass es am Ende weder auf Barth, noch auf die Theologie oder die Kirche, sondern – wenn es noch etwas zu hoffen gibt – auf Gott selbst ankommt.
15. Karl Barths theologischer Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus Von der bescheidenen Kompromisslosigkeit der Theologie1 Der Protestantismus zeichnet sich durch eine spezifische Stärke aus, die zugleich seine ihn immer wieder substanziell gefährdende Schwäche ist. Er ist geprägt von einer besonderen Freiheit, sich unbefangen auf die Umstände der jeweiligen geschichtlichen Situation einlassen zu können. Diese protestantische „Freiheit eines Christenmenschen“ zu einer bewussten und aufgeschlossenen Zeitgenossenschaft steht allerdings stets in Gefahr, in schlichte Zeitgemäßheit umzuschlagen. Die protestantische Neigung, stets auf der sogenannten Höhe der jeweiligen Zeit sein zu wollen, setzt die protestantische Freiheit permanent der Gefahr aus, lediglich zum Zwecke ihrer Selbstabschaffung in Anspruch genommen zu werden. Ein Blick auf die jeweiligen Kontexte der Geschichte des Protestantismus vermag schnell zu zeigen, dass er sich weithin in zuverlässiger Konstanz dem jeweils bestimmenden ,Mainstream‘ angeschlossen hat und zwar bis in die Gegenwart hinein, die durch eine ebenso flächendeckende wie besinnungslose Anpassung aller Institutionen an die nun zur Wirklichkeit erklärten Gesetze des Marktes bestimmt ist. Beispielhaft soll es im Folgenden um die Auseinandersetzungen gehen, zu denen sich Karl Barth in der Übergangszeit von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus gedrängt sah. Wir beschränken uns insbesondere auf die Jahre von 1930 bis 1933. Dabei werden meine Überlegungen weniger von dem naheliegenden historischen Blick orientiert, sondern ich will auf die systematischen Konflikte aufmerksam machen, wie sie sich für Karl Barth dargestellt haben. Essenziell ging es auch hier um die Freiheit von Theologie und Kirche.
15.1 Die Aufkündigung des Friedens Mit wachsender Skepsis beobachtete Karl Barth, auf welche Weise Theologie und Kirche im Laufe der 1920er Jahre ihr Selbstbewusstsein stärkten. 1930 lief das Fass ein erstes Mal über, und Barth wandte sich – nach langem selbst auferlegtem Schweigen – mit schroffen Worten gegen die wachsende kirchli1 Zuerst in: Richard Faber/Gesine Palmer (Hg.), Der Protestantismus – Ideologie, Konfession oder Kultur?, Würzburg: Königshausen & Neumann 2003, 123 – 145. Dieser Beitrag ist Dietrich Braun zum 75. Geburtstag gewidmet.
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che Selbstgefälligkeit, mit der sie ihrer Freude Ausdruck verlieh, nach der Krise im Gefolge der Kriegskatastrophe von 1918 wieder zu Kräften gekommen zu sein. Der kurmärkische Generalsuperintendent Otto Dibelius hatte 1926 das „Jahrhundert der Kirche“ ausgerufen2, in dem sich die Kirche als Bollwerk gegen den alle sittlichen Ordnungen auflösenden russischen Bolschewismus erweisen werde: „daß eine Mauer steht, die die christliche Kultur des Abendlandes schirme, nachdem kein Staat sie mehr schirmen will – dafür brauchen wir eine Kirche!“3 An die Stelle der Formel von „Thron und Altar“ im Kaiserreich trat verbreitet die aus der romantischen Tradition des 19. Jahrhunderts stammende Formel von „Gott und Volk“.4 Der kirchliche Blätterwald verbreitete die Einschätzung eines Prof. Johannes Schneiders, nach der sich gezeigt habe, „daß der religiöse Gedanke doch tiefer in der deutschen Volksseele verwurzelt war, als nach außen hin in Erscheinung trat. Das heilige ,Dennoch‘ hat sich durchgesetzt. Bewährt hat sich das, was wir empirische Kirche nennen, sowohl in seiner Dauerkraft als auch in seiner Elastizität. Die Kirchenführung des letzten Jahrzehnts war ein Meisterstück“.5 Mit diesem ,heiligen Dennoch‘ war für Barth der „Augenblick, grob zu werden, gekommen“6, um vor allem anzuprangern, dass eine sich derartig selbst entleerende Kirche, die sich mit so ,elenden Phrasen‘ wie der von ,der deutschen Volksseele‘ vor allem an ihrem eigenen Bestand ergötze, sich freiwillig ihrer Bedeutungslosigkeit überlasse. Es bleibe nüchtern wahrzunehmen, dass es sich bei dem Vertrauen, das der Kirche von „diesem guten kleinbürgerlichen ,Kirchenvolk‘“ entgegengebracht wird, nur „um einen Rest von Vertrauen handelt, der auch schwinden kann und schwinden wird, wenn die Unerheblichkeit der ganzen kirchlichen Angelegenheit einmal erwiesen sein wird. Sie ist aber erwiesen, wenn die Kirche noch eine Weile ungestraft und ungestört so weiterredet. Für dieses Opium werden sich auch die Kleinbürger, die heute noch den Trost der Pastoren bilden, eines Tages bedanken.“7 Im Sommer 1933 wandte sich Barth eher zögerlich als fest entschlossen ein zweites Mal mit einem Wort zur gegenwärtigen Lage an die Kirche, dem er die Überschrift „Theologische Existenz heute!“ gegeben hat. Die Zögerlichkeit hatte ihren Grund darin, dass Barth sich nicht einreihen wollte in all die Erklärungen und Beschwörungen, die nun schon eine ganze Weile noch und noch zur Lage ergangen waren. Die Theologie war in der Tat – wie es der Tübinger Kirchenhistoriker Hanns Rückert forderte – allseits vor allem damit beschäftigt, die „große Wende des deutschen Schicksals von Gott her zu deuten und gestaltend an ihr Anteil zu nehmen“, und wer sich hier verweigerte, gebe damit 2 3 4 5
Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche. Dibelius, Nachspiel, 25. Vgl. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, 125. Barth, Quousque tandem …?, 527; vgl. dazu Bormuth, Die Deutschen Evangelischen Kirchentage in der Weimarer Republik, 247. 6 Ebd., 528. 7 Ebd., 530 f.
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eine sektiererische Position zu erkennen, die „zur geschichtlichen Ohnmacht verurteilt“ sei.8 Emanuel Hirsch postulierte pathetisch: „Es gibt keinen Mittelweg, es gibt nur das Entweder/Oder.“9 Barth, der sich jeder öffentlichen Kommentierung enthalten hatte, was angesichts der allgemeinen Begeisterung ja bereits eine überaus deutliche und als solche eben auch politische Kommentierung darstellte, betonte nun, dass sein Wort „zur Lage“ insofern vor allem ein Wort „zur Sache“ sein wolle, als es Theologie und Kirche zu ihrer spezifischen Sachlichkeit zurückrufen will, weil sie im Begriffe seien, sich mehr oder weniger besinnungslos zu einem religiösen Anwalt der Lage zu machen. Es ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, wenn Barth in die Richtung der von dem vermeintlichen Aufbruch so beeindruckten Theologenschaft entgegenhielt, dass sie einer Sache erlegen seien, „die den Stempel der Verkehrtheit so deutlich auf der Stirn trägt, daß in einer gesunden Kirche schon ein Konfirmand hätte merken müssen, daß er da weder mit dem lutherischen noch mit dem Heidelberger Katechismus in der Hand nur eine Stunde dabei sein und unter irgend einem Vorwand mittun könne.“10 Barths Plädoyer für eine entschiedene ,theologische Existenz heute‘ galt der Gewinnung bzw. Rückgewinnung eines ,geistlichen Widerstandszentrums‘11, das sich an der theologisch gebotenen Wahrheitsfrage und nicht an den gerade in der Luft liegenden Entscheidungsalternativen orientiert. Das ganze Plädoyer lässt sich in dem auf die Kirche gemünzten Satz zusammenfassen: „Sie muß ihrer eigentümlichen Sachlichkeit treu bleiben dürfen und treu bleiben wollen.“12 Und schließlich kam es am Ende des Jahres 1933 ein drittes Mal dazu, dass Barth – diesmal ganz entschieden – um der von ihm als notwendig erachteten Scheidungen willen das Wort erhob: Er kündigte seine Mitarbeit in der von ihm zusammen mit Friedrich Gogarten, Eduard Thurneysen und Georg Merz 1922 gegründeten Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ – dem wichtigsten Publikationsorgan der sogenannten dialektischen Theologie.13 Hier ging es ihm vor allem darum, sich deutlich von der von Friedrich Gogarten repräsentierten Theologie abzusetzen, weil dieser in seinen Augen die gemeinsame Basis verlassen habe, auf der allein eine theologische Auseinandersetzung fruchtbar und sinnvoll sein könne. Die Gemütlichkeit, in der die unterschiedlichen Optionen mehr oder weniger geduldig in endloser Konversation nebeneinander stehen können, sei an ihr Ende gekommen. Es könnte „die theologische und kirchliche Öffentlichkeit nur noch irreführen und verwirren“,14 wenn in der jetzigen Situation der offenkundigen Herausforderung und
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Rìckert, Das Wiedererwachen reformatorischer Frömmigkeit, 1. Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage, 133. Barth, Theologische Existenz heute!, 27. Ebd., 36. Ebd., 40. Barth, Abschied. Ebd., 540.
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Bewährung auch nur der Anschein entstehen könnte, dass er eine Position wie die von Gogarten auch nur für theologisch diskutabel halten würde. Dreimal zog Barth ausdrücklich eine Grenzlinie,15 und in all seinen theologischen Arbeiten dieser Zeit findet sich die Sorge, Theologie und Kirche könnten vergessen haben, was ihre besondere Aufgabe sei.16 Um ihres Renommees oder Einflusses willen sah Barth sie wieder ihrer Neigung nachgeben, theologisch unsittliche Angebote anzunehmen, indem sie sich besinnungslos um eines vermeintlichen Vorteils willen in die Rolle eines religiösen Verklärers oder eines religiösen Überhöhers der gerade herrschenden gesellschaftlichen Umstände verdingen lassen. Darin zeige sich nach Barth in besonderer Weise der menschliche Übermut, „der nie größer ist als wenn er auch noch religiös wird“,17 – ein Vorwurf, der in gleicher Weise auch für den Nationalsozialismus gilt. Bevor wir uns eingehender mit der unduldsamen Position Barths beschäftigen, müssen wir uns näher ansehen, welche Position Barth da so kompromisslos angriff.
15.2 Die völkische Theologie 15.2.1 Friedrich Gogarten Bleiben wir zunächst bei Friedrich Gogarten und steuern nicht gleich auf Emanuel Hirsch, Paul Althaus oder gar die Deutschen Christen zu.18 Die größte Gefahr sah Barth aus der „schlimmen Mitte“ erwachsen; damit meint er die „vermeintlich Besseren unter den Deutschen Christen und alle diejenigen Kreise der Opposition, die bisher wohl gekämpft, aber nicht recht d. h. nicht grundsätzlich gekämpft haben“ – die von dieser „unentschiedenen neuprotestantischen Mittelmäßigkeit“ ausgehende Gefahr ist nach Barth „wirklich schlimmer als alle die Gefahren, die uns von dem früher oder später sicher zum Abwirtschaften verurteilten besonderen System der Deutschen Christen her bedrohen 15 Eine vierte, ähnlich entschiedene klare Grenzziehung findet sich in Barths Gegenthesen zu den Rengsdorfer Thesen, in denen Barth die Punkte heraushebt, die mit einer Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche unvereinbar sind; da heißt es u. a.: „Wer heute ,ein im deutschen Volkstum verwurzeltes Christentum‘ predigt, bindet das Wort Gottes an eine eigenmächtig gebildete Weltanschauung, hebt es damit auf und stellt sich außerhalb der Kirche.“ (Barth, Lutherfeier 1933, 17) In seinen Thesen zur Abgrenzung von den Deutschen Christen könnte schließlich eine fünfte ausdrückliche Grenzziehung gesehen werden; ebd., 20 f. Darüber hinaus lassen sich freilich alle Vorträge und Aufsätze Barths aus dieser Zeit als Grenzmarkierungen verstehen. 16 Vgl. u. a. Barth, Die Theologie und der heutige Mensch. 17 Barth, Reformation als Entscheidung, 22. 18 Zu den unterschiedlichen Gestalten der völkischen Theologie vgl. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube.
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mögen.“19 Barths Empörung gipfelte im „Bekenntnis Gogartens zu dem Stapelschen Theologumenon, dass das Gesetz Gottes für uns identisch sei mit dem Nomos des deutschen Volkes“.20 Es war nicht zufällig, dass Barth hier von einem Bekenntnis sprach, denn es ging ihm um die Frage des christlichen Bekenntnisses, das er auf dem Spiel stehen sah. Nicht die Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen und die Sympathie zu deren Kirchenpolitik war der eigentliche Skandal, sondern Barth sah Gogarten einem anderen als dem christlichen Bekenntnis anhängen, und hier ist sowohl die Wurzel des Übels als auch der Grund für die prinzipielle Unvereinbarkeit zu suchen. In eben dieser zusammen mit Barth herausgegebenen Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ hatte Gogarten 1932 einen Aufsatz mit dem Titel „Schöpfung und Volkstum“ veröffentlicht.21 Es könne nicht darum gehen, „dass wir unserem Leben eine Gestalt geben“,22 vielmehr gelte es, sich in die gebotene „Hörigkeit“ zu schicken, durch welche das Leben seine Bestimmung durch den Schöpfer erhalte. Im Hintergrund stand die spezifische Auffassung Gogartens vom Volkstum nicht als einer „naturhaft-organischen Gegebenheit“,23 sondern aus der Sitte, d. h. den spezifischen lebendigen Lebensgesetzen des Volkes, dem der Mensch angehöre. Die Sitte wurde dabei ausdrücklich der am Individuum orientierten Sittlichkeit gegenübergestellt.24 Gogarten scheute sich nicht, von einem „Gelebt-werden“ zu sprechen, denn der Mensch gehöre nicht sich selbst, sondern seinem Volk.25 Der Dreh- und Angelpunkt dieser Lebensanschauung findet sich im Gesetz, das zugleich als der entscheidende Punkt hervorgehoben wurde, an dem es mit Gott zum Treffen komme, denn: „Alles Gesetz, das es auf Erden gibt, weist hin auf Gott und ist in Gottes allmächtigen Willen gegründet“.26 Und so ergab sich der nächste Schritt zwingend: Das „völkische Gesetz kann von keinem anderen gegeben sein als von Gott, dem Herrn […] Er, der ewige Schöpfer, ist das Subjekt des Willens, der in dem Gesetz des Volkstums, der in der lebendigen Sitte eines Volkes über die Menschen herrscht.“27 Und so wurde für Gogarten „der Nomos des Volkes“28 zu der vorzüglichsten Gabe des Schöpfers.29 Der besondere Dienst, den Gogarten nun der Theologie zuwies, bestand nun darin, die Menschen, die „aus ihrem Hunger nach Volksverbundenheit 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Barth, Lutherfeier 1933, 6. Barth, Abschied, 539. Gogarten, Schöpfung und Volkstum. Ebd., 492. Ebd., 494. Hier unterscheidet sich Gogarten von Wilhelm Stapel, dem er im Übrigen weithin zustimmt. Vgl. ebd., 497. Vgl. ebd., 494. Ebd., 502. Ebd., 503. Gogarten, Einheit von Evangelium und Volkstum?, 23. Vgl. Gogarten, Schöpfung und Volkstum, 504.
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alles aufgreifen, was ihnen Sättigung verspricht“,30 ihr Volk aus den Händen Gottes und der von ihm bestimmten Sitte empfangen zu lassen, damit sie sich nicht auf eine vermeintliche Einheit des Blutes bzw. der Rasse stürzen – ein Irrtum, der nach seiner Ansicht nur deshalb aufgekommen sei, weil dem erwähnten Hunger keine entsprechende Nahrung zur Verfügung gestanden habe. Solange nicht Gott hinter dem Gesetz des Volkes erkannt werde, solange bestehe die Gefahr, aus Volk und Volkstum einen Götzen zu machen, die Gogarten aber sofort gebannt sah, wenn es der Glaube an Jesus Christus sei, durch den sich Volk und Volkstum als Wille Gottes verstehen ließen. Die Theologie kommt hier geradezu als Ideologiekritik daher, um dann ihrerseits genau den Platz zu besetzen, von dem aus das Thema des Volkstums zu einer Ideologie gemacht wird. Damit ist eine verbreitete charakteristische Doppelstrategie angesprochen, die einerseits in die Richtung des Staates die weitreichende grundlegende Zustimmung als Legitimation auch für kritische Rückfragen im Detail meinte nutzen zu können, sowie sie andererseits in die Richtung der Kirche darauf setzte, dass eben diese kritischen Rückfragen als Integritätsnachweis für den unideologischen Charakter ihrer Zustimmung zum Nationalsozialismus verstanden werden mögen. Man war davon überzeugt, dass sich auch die letzten Zweifel noch zerstreuen ließen, dass sich Adolf Hitler als der dem Deutschen Volk zu seiner Rettung aus der Not von Gott geschickte Führer erweisen werde, so dass der Gehorsam ihm gegenüber als Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes anzusehen sei. Die in diesem Beitrag entfaltete Sichtweise findet sich auch in anderen Beiträgen Gogartens aus dieser Zeit, wo er ausdrücklich der Lehre vom Volksnomos von Wilhelm Stapel Recht gab.31 Da sich Barths Intervention auch ausdrücklich gegen Gogartens Rezeption von Stapel wendet, ist es sinnvoll, wenn wir uns kurz dieser Position von Stapel zuwenden.
15.2.2 Wilhelm Stapels Verständnis von Volksnomos und totalem Staat Selbst wenn man der pointierten Formulierung von Klaus Scholder nicht zustimmen kann, dass „die NSDAP nichts anderes als die parteigewordene völkische Bewegung“ gewesen sei,32 wird es kaum einen Streit darüber geben, dass die Volkstumsideologie die entscheidende Wurzel für den Nationalsozialismus gerade auch hinsichtlich seines totalitären Charakters gewesen ist. Sie war die Basis für alle Agitation gegen den am „westlichen“ bzw. „französischen“ Vertragsdenken orientierten säkularen „Liberalismus“, der mit sei30 Ebd., 501. 31 Vgl. Gogarten, Einheit von Evangelium und Volkstum?, 17 f. Vgl. auch Gogarten, Ist Volksgesetz Gottesgesetz?; Ders., Die Selbstverständlichkeiten unserer Zeit. 32 Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, 93.
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nem Individualismus nicht zuletzt auch der Nährboden für den nun die ganze Welt bedrohenden Bolschewismus gewesen sei.33 Wilhelm Stapels zweifelhafte Bedeutung lag darin, dass ihm – nicht zuletzt in seiner Funktion als verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ von 1919 bis 1938 – ein ganz besonderer Einfluss bei der Ausbreitung der Volkstumsideologie im Protestantismus zuzumessen ist. Wir beschränken uns auf eine stichwortartige Benennung der zentralen Aspekte: 1. Die Völker seien keine Produkte der Geschichte, sondern mit je eigener Bestimmung göttlichen Ursprungs. Jedes Volk sei – wie Stapel bereits 1917 formulierte – „ein von Gott gesetzter Wert“,34 bzw. „ein unmittelbares Gebilde aus Schöpferhand“.35 Und so sei das deutsche Volk „nicht eine Idee von Menschen, sondern eine Idee Gottes“.36 Die Völker seien nicht nur eine Notmaßnahme infolge der Unvollkommenheit des Menschen und seiner Selbstbedrohung durch die Sünde, sondern wurden als Gnadenakt der Güte des Schöpfers angesehen.37 Schicksalhaft sei der Mensch in sein jeweiliges Volk hineinverwoben; so wie er ihm alles verdanke, so schulde er ihm auch alles. 2. Jedes Volk sei von einer ihm eingepflanzten Ordnung geprägt: „ein Gesetz des Lebens, das, entsprechend seiner Natur, seine innere und äußere Form, seinen Kult, sein Ethos, seine Verfassung und sein Recht bestimmt“,38 d. h. es gab für Stapel keine allgemeine Ethik – kein „,über‘ den Menschen schwebendes ,allgemeines‘ Gesetz“39 –, sondern nur den je verschiedenen Volksnomos.40 Er sei die Seele des Volksorganismus, ohne den kein Volk leben könne. So wie die Juden in den 10 Geboten und im ganzen Alten Testament ihren Volksnomos hätten, so sei das deutsche Volk auf sein besonderes Gesetz verpflichtet, den ,Nomos Germanikos‘, der im Begriff des Reiches seine Erfüllung finde und der als solcher als Gottesgesetz zu verstehen sei, wenn anders entweder das Christentum das Deutschtum oder eben das Deutschtum das Christentum aufheben müsste.41 Den zu Beginn der 30-er Jahre bewusst 33 34 35 36 37 38 39 40
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Vgl. dazu Kossellek, Volk, Nation, Nationalismus, Masse, 407. Stapel, Volksbürgerliche Erziehung, 37. Ebd., 9. Stapel, Volk und Volkstum, 81. Gottes Reaktion auf den Turmbau zu Babel war keine Strafaktion, sondern Rettungsaktion; bereits Ernst Moritz Arndt deutete diesen Text als ,Segen‘ für die Völker; vgl. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 116. Stapel, Der christliche Staatsmann, 174. Ebd., 214. In diesem Sinne fasst Stapel seine Überlegungen zusammen, „daß jedes Volk im Kern eine ethische Wertgemeinschaft ist, zweitens, daß es so wenig ein ,bestes‘ Ethos und eine beste Ethik gibt, wie es einen ,besten Staat‘ oder eine ,beste Wirtschaft‘ oder eine ,beste‘ oder ,vollkommene Wissenschaft‘ gibt, sondern daß jedem Volk sein Ethos angemessen ist und daß ein jedes seine ,Ethik‘ hat, drittens, daß dieses Ethos von der Religion neu befruchtet werden kann, viertens, daß das natürliche Ethos, das dem Volke geschöpflich bestimmt ist, durch eine allgemeine Ethik, die aus rationalen Erwägungen geschaffen wird und die abstrakter Art ist, verdorben und endlich zersetzt wird.“ (Stapel, Der christliche Staatsmann, 215 f) Vgl. ebd., 174 – 185.
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aufgegriffenen griechischen Begriff des Nomos42 verstand Stapel als ein ,Siegelwort metaphorischer Geheimnisse‘, das als ein heiliges Wort aus der Ewigkeit eben das heilige, was es ausspreche.43 Daraus ergab sich zwangsläufig – und mit der Legitimierung dieser Konsequenz hatte Stapel ganz besondere Mühe44 –, dass jedes Volk zu einer eigenen Art des Christentums berufen sei. 3. Die Verbindung des Nationalsozialismus zum Volksnomos wurde durch den ,Instinkt‘ geschlagen, mit dem er den deutschen Volksinstinkt aufzugreifen verstehe.45 Dabei gehöre es zum Wesen dieses Instinktes, dass er achtlos an all den auf dem Boden des Liberalismus gediehenen intellektuellen Diskussionen vorübergehe und sich einer argumentativen Auseinandersetzung entziehe, ohne sich etwa an dem Vorwurf der Dummheit zu stören.46 In diesem Sinne sprach auch Emanuel Hirsch in einem offenen Brief an Karl Barth von der „Logik des Herzens“, die Barth als ein Schweizer, der in Deutschland ein Gast geblieben sei, nicht nachvollziehen könne, so dass er sich bitte auch mit seinen Beurteilungen zurückhalten möge.47 4. Im Unterschied zu einem moralistischen Typ eines Volksnomos repräsentiere das deutsche Volk den imperialistischen Typ, in dem die altgermanischen Tugenden Ruhm, Heldenmut und Treue, aber auch die Hingabe, Leidensbereitschaft und das Opfer von höchster Bedeutung sind: es beanspruche die Führerschaft in einem die Völker zusammenführenden Reich, in dem – wie im römischen Reich – jedes Volk seinem Nomos leben könne, in dem aber „die politischen Angelegenheiten […] vom Imperialvolk entschieden“ werden.48 Und unter den Deutschen seien insbesondere die Protestanten dafür prädestiniert, an der Verwirklichung dieses Auftrages mitzuwirken, da für sie einerseits die Kirche wesentlich eine unsichtbare metaphysische Gemeinschaft sei und andererseits der Staat als irdische Stütze zur Verkündigung des Evangeliums angesehen werde.49 Die Unterschiede zwischen den Völkern begründen Rangordnungen, in deren Spiegel das Unrecht der Fiktion eines gleichen Rechts für alle zutage trete. Die Besonderheit des deutschen Volkes steigerte Stapel bis zu einer messianischen Charakterisierung.50 42 Wolfgang Tilgner vermutet hinter dem Begriff des Volksnomos das 1930 erschienene Buch von H. Bogner, Die verwirklichte Demokratie, vgl. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 114; vgl. Hepp, Nomos; Gross, Carl Schmitt und die Juden, 99 f. 43 Vgl. Stapel, Sechs Kapitel über Christentum und Nationalsozialismus, 3. 44 Vgl. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 117 ff. 45 Vgl. Stapel, Sechs Kapitel über Christentum und Nationalsozialismus, 5. 46 Vgl. ebd., 6 f. 47 Barth, Offene Briefe 1909 – 1935, 188 ff. 48 Stapel, Der christliche Staatsmann, 227. 49 Vgl. ebd., 233. 50 „Dieses Volk hat alle Stationen der Passion durchwandert. Nicht Dornen und Geißel und Hohn sind ihm erspart worden. Der Haß des Pöbels aller Welt brüllte zu ihm empor, und Barrabas! schrie die falsche Gerechtigkeit. Sollten Schweiß und Blut eine so edle Stirn umsonst entstellt haben? So schwer und tränenvoll waren alle diese Dinge, daß wir nur mit geheiligten Worten davon zu reden wagen. Aber es muß doch davon geredet sein, wenn unsere zweifelnden Brüder
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5. Die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche löste Stapel durch eine Radikalisierung der sogenannten Zwei-Reiche-Lehre, indem er den Staat für alles Irdische, einschließlich des Rechtes und der Sittlichkeit, und die Kirche für das Himmelreich für zuständig erklärte.51 Indem die Sittlichkeit eben als der Volksnomos eine irdische Angelegenheit sei und somit in die Zuständigkeit des Staates falle, sei die Kirche aufgerufen, ihn in seiner Aufgabe zu unterstützen.52 Die Kirche habe sich auf den von Carl Schmitt seit 1930 propagierten totalen Staat53 einzustellen,54 d. h. dem Staat müsse prinzipiell das Recht eingeräumt werden, die Kirche so zu organisieren, wie er es für sinnvoll halte, was die Einsetzung und Absetzung von Bischöfen und Kirchenleitungen, aber auch einzelner Pfarrer einbeziehe. Die Verpflichtung der Volkskirche, sich dem totalen Staat vollkommen zur Verfügung zu stellen, trat am deutlichsten in zwei Punkten hervor, die unmittelbar ihre spezifische Substanz betreffen: Sie müsse erstens im Hören auf den Volksnomos auch „heidnischen Festen Raum geben“ und zweitens auf dem Dach der Kirchen die Fahnen des Staates aufziehen, dem das Kirchenvolk angehört,55 so dass die Kirchen auch sichtbar mit dem Symbol ausgestattet werden, das ihre völkische Verpflichtung signalisiere. 6. Den Führer verstand Stapel als den „Stellvertreter“ der Volksgemeinschaft.56 Er sei der authentische Repräsentant des göttlichen Volkswillens und insofern die historische Darstellung des Volksnomos. Er habe den besonderen göttlichen Auftrag, den in der spezifischen „Volkheit“ eines Volkes keimhaft angelegten Gotteswillen konkret zu verwirklichen. Seiner herausgehobenen
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ihr gutes Recht erkennen sollen. Entweder ist jenes Leiden die Weihe unserer Herrschaft oder es ist unser Untergang.“ (Ebd., 270) Stapel, Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, 65. „Die Macht des Staates ist, daß er über Leben und Tod der Menschen zu verfügen befugt ist. Die Macht der Kirche ist der Glaube an den ewigen Gott und die Darbietung des Himmelreiches.“ (Stapel, Sechs Kapitel, 28) Stapel, Volkskirche oder Sekte?, 57. Vgl. Gross, Carl Schmitt und die Juden, 96. Vgl. dazu auch Grundmann, Totale Kirche im totalen Staat. Der Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst Frosthoff gibt folgende Definition für den totalen Staat: „Der totale Staat muß ein Staat der totalen Verantwortung sein. Er stellt die totale Inpflichtnahme jedes einzelnen für die Nation dar. Diese Inpflichtnahme hebt den privaten Charakter der Einzelexistenz auf. In allem und jedem, in seinem öffentlichen Handeln und Auftreten ebenso wie innerhalb der Familie und häuslichen Gemeinschaft verantwortet jeder einzelne das Schicksal der Nation. Nicht dass der Staat bis in die kleinsten Zellen des Volkslebens hinein Gesetze und Befehle ergehen lässt, ist wesentlich, sondern, dass er auch hier eine Verantwortung geltend machen kann, dass er den einzelnen zur Rechenschaft ziehen kann, der sein persönliches Geschick nicht dem der Nation unterordnet. Dieser Anspruch des Staates, der ein totaler ist und an jeden Volksgenossen gestellt ist, macht das neue Wesen des Staates aus […]“ (Frosthoff, Der totale Staat, Hamburg 1933, 42 zit. n. Hofer (Hg.), Der Nationalsozialismus, 83 f). Vgl. Stapel, Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, 57. Vgl. Stapel, Der christliche Staatsmann, 208 f.
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Autorität gegenüber könne es nur vorbehaltlose Gefolgschaft und unbedingten Gehorsam geben.57 7. Ein essenzielles Implikat der Stapelschen Lehre vom Volkstum war der Antisemitismus, den ich in diesem Rahmen nur streifen kann. Es ging nicht mehr um die Missionierung der Juden, sondern um die möglichst konsequente Trennung des deutschen Volkes von den Juden, so dass Stapel 1933 auch den Arierparagraphen begrüßte.58 Jede Vermischung mit dem Judentum bleibe abzuweisen wie auch jede Vermischung mit einem anderen Volk, weil sie dem Willen Gottes widerspreche. Gegen die sogenannte ,Assimilationspropaganda‘ sah Stapel im Zionismus einen Bundesgenossen im volkhaften Denken.59 Zugleich legte sich gerade im Blick auf diese Sympathie zum Zionismus der Gedanke nahe, dass sich eine Vertreibung der Juden mit dem Motiv rechtfertigen lasse, dass auf diese Weise die Wiedererweckung der den Juden von Gott aus gegebenen eigenen ,Volkheit‘ gefördert werden könne. Mag der Antisemitismus von Stapel vergleichsweise moderat daherkommen, so bietet seine Lehre zugleich eine Menge Anschlussstellen für durchaus unterschiedliche Formen einer schärferen Gangart, wie sie sich im Dunstkreis der völkischen Bewegung reichlich belegen ließen. Stapels Lehre vom Volksnomos zählte zu den 1933 am meisten diskutierten theologischen Entwürfen, mit der sich nach Scholder fast alle Theologen dieser Zeit in irgendeiner Weise auseinandersetzen.60 15.2.3 Die Illusion des Kompromisses Gogartens Einschwenken auf Stapel und seine Theologisierung des Nationalsozialismus dokumentiert insbesondere eine Bestätigung der strategischen Klugheit Hitlers, der den verschiedenen Versuchen entgegentrat, die völkische Bewegung als eine wie auch immer geartete neue völkische Religion zu propagieren, weil er den Konflikt mit den Kirchen, der durch eine völkische Religion unvermeidlich heraufbeschworen worden wäre, ganz entschieden vermeiden wollte.61 Mit seinem weltanschaulichen Konzept verfolgte Hitler strikt und kompromisslos seine machtpolitischen Ziele. Genau genommen war bereits die Gründung der NSDAP ein Ausdruck der Entscheidung Hitlers gegen eine völkische Religion, die er von nun an unnachgiebig bekämpfte, um die NSDAP zu einer Massenpartei machen zu können. Hitler wollte nicht völkischer Prophet, sondern politischer Führer werden. Er formulierte unmissverständlich in ,Mein Kampf‘: Die Aufgabe der Vgl. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 104 f. Vgl. Gross, Carl Schmitt und die Juden, 92 f. Vgl. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 106. Vgl. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. l, 536; Gross, Carl Schmitt und die Juden, 93. 61 Vgl. dazu ausführlicher Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. l, 100 – 150.
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„Bewegung ist nicht die einer religiösen Reformation, sondern die einer politischen Reorganisation unseres Volkes.“62 Zur Vermeidung unnötiger Reibungsverluste musste sichergestellt werden, dass sich der Kampf nicht bereits auf einem Nebenschauplatz entscheidet und damit das eigentliche Ziel in Gefahr gerät. Pathetisch erklärte Hitler : „Wir sind verschieden gläubig im Volke, sind aber eins.“63 Die solidarisierende Kraft der Beschwörung dieser Einheit galt es, um jeden Preis zu steigern. Hitlers konsequentes Einschreiten bis zum Ausschluss seines Vertrauten und Mitbegründers der Partei Artur Dinter (Mitgliedsnummer 5) aus der NSDAP im Juli 1928 gegen alle Versuche, die völkische Idee mit einer neuheidnisch-antichristlichen Weltanschauung zu verbinden, die in die Richtung einer altgermanischen Religion weisen sollte, war vorzüglich dazu geeignet, gleichsam via negationis den Anschein seines Eintretens für das Christentum zu belegen. Das taktische Kalkül wäre aber vollkommen missverstanden, wollte man darin einen Ansatz dafür erkennen, als hätte sich Hitler in einem Arrangement mit den Kirchen tatsächlich zu irgendwelchen Kompromissen oder Zugeständnissen bewegen lassen können. Vielmehr verstand er seinen politischen Kampf als einen Kampf für eine Weltanschauung, die ihrem Wesen nach „gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen“64 fordert. Das Beispiel Gogarten zeigt nun, dass diese Strategie Hitlers mehr als aufgegangen ist, denn sie hat zunächst nicht nur die befürchteten Konflikte verhindert und zu einer verbreiteten, teilweise geradezu pathetisch vollzogenen Aufnahme der völkischen Ideologie geführt, sondern das Maß alles Erwartbaren dadurch in den Schatten gestellt, dass sich zumindest die protestantische Christenheit zu einem nicht unerheblichen Teil dazu hergab, in einem Akt apologetischer Überidentifikation diesem Gedankengut eine besondere geistliche Würde dadurch zuzumessen, dass sie nun ihrerseits eine wohl kaum erträumte Verbindung zu ihrem Gott herzustellen meinte. Gogarten steht hier für eine überaus starke Fraktion in der deutschen akademischen Theologenschaft. Der berühmt berüchtigte Vortrag „Kirche und Volkstum“ von Paul Althaus auf dem Königsberger Kirchentag von 192765 zeigt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt eine völkische Theologie für den deutschen Protestantismus nichts Anstößiges mehr war, lässt sich doch am Kirchentag immer in besonderer Weise ablesen, was man gerade für angesagt hält. Selbst der rassische Gedanke wird da dem gern begeisterten Kirchentagspublikum unterbreitet mit der Betonung, dass die Blutseinheit eine Voraussetzung des Volkstums sei, auch wenn schließlich der Geist und nicht das 62 63 64 65
Hitler, Mein Kampf, 397. Zit. n. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, 123. Hitler, Mein Kampf, 506. Althaus, Kirche und Volkstum.
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Blut das Herrschende sein solle. Die sich anschließende Verurteilung einer völkischen Religion bestätigt exemplarisch die Richtigkeit von Hitlers Einschätzung der Gefahr, die dem Nationalsozialismus aus der Propagierung einer germanisch-neuheidnischen völkischen Religion erwachsen wäre. Theologie und Kirche waren eifrig damit beschäftigt, dieser religiös defizitär erscheinenden Weltanschauung ihre freilich selbstüberschätzten Dienste angedeihen zu lassen. Diese geflissentliche Übererfüllung des Plans vonseiten von Theologie und Kirche ersparte den Nazis also nicht nur die zu befürchtende Feindschaft Gottes, sondern brachte nun sogar Unterstützung durch die kühne Behauptung ein, dass auch das deutsche Volkstum zu den besonderen Sorgen Gottes zähle. Der Aufschwung des Nationalsozialismus geriet unter seiner theologischen Kommentierung in den Anschein als erfülle sich in ihm der Wille Gottes. Ein weiteres Mal hat sich der Protestantismus als der Igel im Wettlauf mit dem Hasen bewährt, dessen Schläue ihm allerdings verborgen hielt, dass der Hase nur mit gebundenen Beinen ins Rennen geschickt war, um den Igel überhaupt erst einmal für ein Rennen zu interessieren. Doch dieser bringt sofort allen Eifer und Phantasie dafür auf, am Ziel dem Hasen zuvorzukommen, um schließlich von dem kleinen Siegertreppchen aus dem Hasen sogar noch eine kleine Lektion über eine möglichst wenig hakenschlagende Laufkunst zu erteilen. So gern sich in diesem Fall der Hase überholen ließ, so unbeeindruckt wird er sich auch die guten Ratschläge angehört haben, konnte er sich doch sicher sein, im Ernstfall nicht in die Verlegenheit gebracht zu werden, sich öffentlich mit irgendwelchen Igeln messen zu müssen.
15.3 Karl Barths bescheidene Kompromisslosigkeit Aus allen Stellungnahmen, Kommentierungen und Auseinandersetzungen Barths aus dieser Zeit geht in aller Deutlichkeit hervor, dass er sich ausdrücklich nicht an der unmittelbaren politischen Meinungsbildung beteiligen wollte, was ihm gewiss schwer genug gefallen sein wird. Vielmehr sah er eine sich selbst zur Religion erhebende Weltanschauung in Kirche und Theologie einsickern, von deren Verbreitung nur die vollkommene Erosion dessen zu erwarten stand, was Kirche zur Kirche und was Theologie zur Theologie macht. Hätten sich Kirche und Theologie gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie als resistent erwiesen, hätte es für Barth wohl keinen zwingenden Grund gegeben, sich von der politischen Debatte zurückzuhalten. Immerhin zeigt die entschiedene Abweisung der Empfehlung, unter den neuen politischen Umständen seine Mitgliedschaft in der SPD aufzugeben, dass er nicht prinzipiell den politischen Konflikt scheute, sondern sich deutlich positionierte, was er auch staatlichen Behörden gegenüber keineswegs verschwieg. Doch die politische Auseinan-
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dersetzung war nun einmal nicht die primäre Situation, in die sich Barth als theologischer Lehrer gestellt sah. Barth war sich klar darüber, dass es nicht möglich ist, die besonderen für die Theologie zu machenden Voraussetzungen einfach allgemein in Anspruch nehmen zu wollen. Auf diese theologischen Voraussetzungen, von denen Barth dem Nationalsozialismus einen grundsätzlichen Widerspruch entgegenstehen sah, ließ sich die weithin säkularisierte Gesellschaft nicht mehr anreden, und er erhob auch nicht den Anspruch, dass sie sich darauf anreden lassen sollte. Damit fiel die politische Öffentlichkeit von vornherein als Aktionsarena aus, und Barth wandte sich an den Teil dieser Öffentlichkeit, der für sich in Anspruch nahm, auf eben diese besonderen Voraussetzungen hin ansprechbar zu sein, nämlich die Kirche. Barth fragte die realexistierende Kirche nun nicht etwa danach, ob sie denn den Willen Gottes in den gegenwärtigen Umständen klar genug zu erfassen versuche oder ob sie ihrer Tradition ausreichend die Treue wahre oder ob sie ihr Verhältnis zum Staat auch kritisch genug im Blick habe, sondern er fragte direkt und unnachgiebig danach, ob sie nicht wieder einmal den sie anredenden Gott überhaupt aus den Augen verloren habe und an seine Stelle – weil man ohne Gott ja schlecht vorgeben kann, Kirche zu sein – längst einen anderen Gott – eben den Gott des Volksnomos – gesetzt habe als den Adressaten ihres Bekenntnisses. Barth erinnerte die Kirche an ihr erstes Gebot, nach dem sie neben Gott nicht zugleich auch anderen Göttern die Ehre erweisen dürfe, wenn sie nicht sofort mit ihrer ganzen Freiheit auch ihre ganze Zuversicht und Hoffnung einbüßen wolle.66 Mit der Hervorhebung der besonderen ,Sache‘ hatte Barth von vornherein den Punkt angesprochen, an dem sich Entscheidungsfragen stellen. Damit wollte er im Kreis derjenigen, die ebenfalls – aus unterschiedlichen Gründen – den Konflikt mit dem Nationalsozialismus für unvermeidlich ansahen oder anzusehen begannen, davor warnen, sich in einer das eigentliche Problem umgehenden Auseinandersetzung verschleißen zu lassen. Der Kampfruf etwa der ,Jungreformatorischen Bewegung‘ „Kirche muß Kirche bleiben“ mag beispielhaft für die Kreise stehen, in denen sich ein Widerstand zu formieren begann. Auch der bereits erwähnte kurmärkische Generalsuperintendent Otto Dibelius fand sich unter denen, welche die Kirche von einem Strudel ideologischer Vereinnahmung bedroht sahen und sich nun – nicht ohne zunächst, so wie es üblich war, seine herzliche Freude über den Ausgang der Wahl und den damit verbundenen nationalen Aufbruch zum Ausdruck zu bringen – mit einer Mahnung zur Selbstbesinnung an seine Pfarrerschaft wandte: „Jetzt muß sich zeigen, ob unsere Kirche in der bitteren Schule von anderthalb Jahrzehnten [gemeint sind die Jahre der Weimarer Republik] gelernt hat, Kirche zu
66 Vgl. Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom; ders., Für die Freiheit des Evangeliums, 5 f. Dies ist das zentrale Thema aller Vorträge und Publikationen Barths in dieser Zeit.
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sein!“67 Gewiss kann nicht bestritten werden, dass es auch um die Kirche ging, aber wenn man noch im Ohr hat, was eben dieser Otto Dibelius wenige Jahre zuvor über die Kirche als Bollwerk gegen den Bolschewismus und Schutzmauer des Abendlandes gesagt hatte, liegt es auf der Hand, dass sich Barth, der sich öffentlich gegen die apologetische Selbstbezogenheit der Kirche empört hatte, mit einem Rückzug auf die Kirche keinesfalls zufrieden geben konnte. Nicht, dass es ein Defizit an Theologie zu beklagen gegeben hätte. Wir haben es am Beispiel Gogartens bereits gezeigt, dass sich die Theologie durchaus markant zu Wort zu melden wusste und dass sie dabei keineswegs vermied, von Gott und seinem Willen zu reden. Es war aber eine Theologie, die sich ihr Thema von den aktuellen politischen Verhältnissen aufgeben ließ, die ihre Eingenommenheit für die ,Lage‘ bereits für ihre ,Sache‘ hielt. Sie war eben – das meinte Barth mit dem Hinweis auf das Stapelsche Bekenntnis – vor allem mit einer Theologisierung der Politik beschäftigt und damit zu einer politischen Theologie verkommen, deren Hauptfunktion darin bestand, Begründungsdefizite für politische Absolutheitsansprüche zu kompensieren. Da aber alle Absolutheitsansprüche im politischen Bereich solche Begründungsdefizite haben, ist bereits die Propagierung eines solchen ein usurpatorischer Akt, deren Begründung nicht ohne eine politische Theologie auskommt. Will also ein erhobener politischer Absolutheitsanspruch selbst auf seine religiöse Affirmation nicht verzichten, die er ja nur durch die Schaffung einer neuen politischen Religion bewerkstelligen könnte, so bleibt er auf die Unterstützung durch die bereits bestehenden Religionen angewiesen, die den ungeheuren Vorteil haben, nicht in dem Verdacht zu stehen, eigens dafür erfunden worden zu sein. Es war vor allem die überaus unheimliche Art, in der hier von Gott und seinem besonderen Willen im und mit dem deutschen Volk geredet wurde, die zwangsläufig die Frage wecken musste, woher man eigentlich das Recht nahm, in der Theologie auf eine solche Weise von Gott zu sprechen. Es muss auf eben diese Situation der faktisch längst politisierten Theologie hin verstanden werden, wenn Barth fast beiläufig, aber durchaus wirksam darauf hinwies, dass er sich bemühe, „hier in Bonn mit meinen Studenten in Vorlesungen und Übungen nach wie vor als wäre nichts geschehen – vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkte Bezugnahmen – Theologie und nur Theologie zu treiben“.68 Es sei die vorzügliche Aufgabe der Theologie, am Maßstab der biblischen Redeweise von Gott kritisch nach der Angemessenheit unserer jeweiligen Redeweise von Gott zu fragen – das sei die ,Sache‘, die sie nicht aus den Augen verlieren dürfe, auch wenn es darum gehe, die jeweilige Lage zu verstehen, denn die jeweilige Lage könne keineswegs einfach von sich aus Gott auf sich beziehen. Ein Gott, der sich wie eine Amöbe an die jeweils herrschenden Umstände anpasst, kann kaum mehr sein als eine religiöse Wachsnase, die sofort dahinschmilzt, wenn auch nur halbwegs ernsthaft auf die Anfragen Feuerbachs 67 Zit. n. Lindt, Das Zeitalter des Totalitarismus, 154. 68 Barth, Theologische Existenz heute!, 3.
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gehört wird. Wenn Barth so entschieden und kompromisslos zur Sache zurückrief, dann ging es für ihn nicht um eine subjektive Ermessensfrage, sondern um eine fundamentale Entscheidungsfrage zwischen dem Gott, über dessen Geschichte das biblische Zeugnis Auskunft gibt, und dem Gott des Volksnomos, den aus offenkundigen Gründen sich zu wünschen derzeitig ein Teil der Theologenschaft für opportun hielt. Der scharfe Ton erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass mit Gott nicht einfach herumgespielt werden kann, was ja nur verriete, dass er nicht tatsächlich ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Die offenkundige Distanz der Theologie Barths von der nationalen Erweckung hat ihm immer wieder den Vorwurf eingebracht, dass seine Theologie doketisch sei, was meinen sollte, sie schwebe über den konkreten geschichtlichen Ereignissen und habe keine unmittelbare Berührung mit dem, was die Menschen alltäglich bewege. Gogarten warf Barth eine ängstliche „Konventikelfrömmigkeit“ vor, welche „die Berührung mit der ,Welt‘ scheut“, bzw. eine „orthodoxe Ängstlichkeit eines dogmatischen Formalismus“, die auf die gleiche Scheu hinauslaufe.69 Er sei gegen Barth „der Meinung, dass wir unsere ,theologische Existenz‘ verlieren, […] wenn wir nicht mit allem Ernst darüber nachdenken, in welcher Weise uns Gottes Führung durch die politischen Ereignisse Anlaß gibt, seinem Wort neues Gehör zu schenken.“70 Barth gehe einfach an den Erfahrungen der Menschen in der Geschichte vorbei und trenne sich damit von der konkreten Gegenwart Gottes. In durchaus vergleichbarer Form hatte Barth die Theologie schon einmal der ebenso besinnungslosen wie verheerenden Beteiligung an diesem Weihespiel mit dem Gefühl und der Tiefe des Erlebens bezichtigt, nämlich als sie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihrerseits fröhlich zu den Fahnen lief, um auf all die massenhaften Verblendungen noch einen geistlichen Sahnetupfer zu setzen.71 Dass es sich hier keineswegs um eine willkürliche Analogie handelte, vermag beispielhaft die Predigt zu zeigen, die Otto Dibelius in einem Festgottesdienst in der Potsdamer Nikolaikirche vor der Eröffnung des neuen Reichstags nach der Wahl hielt, und zwar über den gleichen Text, über den der Oberhofprediger Dryander auch am 4. August 1914 (ebenfalls bei der Eröffnung des Reichstags) gepredigt hatte: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ Dibelius führte aus: „Es war ein Tag, an dem das deutsche Volk das Höchste erlebte, was eine Nation überhaupt erleben kann: einen Aufschwung des vaterländischen Gefühls, der alle mit sich fortriß, ein Aufflammen neuen Glaubens in Millionen Herzen; eine heiße Bereitschaft, das eigene Leben zu opfern, damit Deutschland lebe – ein Reich, ein Volk, ein Gott! An einem Tage solcher gemeinsamer Erhebung drängte dies Wort sich auf, 69 Gogarten, Die Bedeutung des ersten Gebotes für Kirche und Volk, in: Deutsche Theologie 1934, 290 zit. n. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 175. 70 Gogarten, Einheit von Evangelium und Volkstum?, 7. 71 Vgl. dazu o. Kap. 14.1.
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dies Wort voll Glaubenstrotz und Siegeszuversicht: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? – Der heutige Tag ist jenem Tag ähnlich […]“72
Wenn die sogenannte Volksseele erzittert, möchte die Kirche nicht abseits stehen, und auch die Zunft der akademischen Theologie hat sich selten als charaktervoller erwiesen,73 sondern bereitwillig die notwendigen Rationalisierungen dazu geliefert. Gern zeigen sie sich bereit, die Glocken zu läuten und irgendwelche Geister mit dem Geist Gottes zu identifizieren. Hält man sich dagegen auf Distanz und erinnert daran, dass wir auf dieser Erde sind und Gott im Himmel ist und dass man sich um Gottes und auch der Menschen willen hüten möge, beides in einem zwar gefühlsschwangeren, aber eben deshalb umso undefinierbareren Brei ideologischer Selbstbestätigung durcheinander zu mengen, muss man ausgerechnet mit dem Vorwurf der Abstraktheit rechnen als sei man selbst derjenige, welcher hier den Bedingungen dieser Welt nicht recht treu bleibe und sich in irgendwelche luftige Höhen theologischer Gedankenspiele geschwungen habe. Doch wer betreibt hier eigentlich die Abstraktion? Kann es nicht auch sein – wie Barth es in seiner 1927 erschienenen christlichen Dogmatik zu bedenken gegeben hat –, dass in Bezug auf Gott „der Deutsche“ ebenso wie auch „die Frau“ oder „der junge Mensch“ eine Abstraktion darstellen, die seiner konkreten Wirklichkeit gerade nicht entsprechen?74 Die erste und allein grundlegende Quelle der Theologie sei die von der Bibel bezeugte Selbstoffenbarung Gottes. Da, wo die Theologie von etwas anderem ausgehe und wo die Kirche glaube, aus einer anderen Quelle mehr Belehrung zu erhalten, gehe sie zwangsläufig in die Irre und könne schließlich nicht mehr beanspruchen, Theologie zu sein. Hier galt für Barth das von Emanuel Hirsch an anderer Stelle exponierte Entweder/Oder.75 Barth vernahm um sich herum die Theologie einerseits in einem plakativen Konservativismus die eigene Tradition betonen76 und andererseits „die ,geschichtliche Stunde‘, die gegenwärtige politische Lage, das Erlebnis der deutschen Revolution von 1933“77 als zweite Quelle postulieren, aus der sie heute zu schöpfen habe. Das Interesse entwickle nun alle Leidenschaft in dem Aufspüren von möglichst vielen Beziehungen zwischen diesen beiden Quellen, d. h. der Glaube komme nur noch in seiner vermuteten Bezogenheit auf das Gegenüber der vermeintlich zweiten Quelle zur Sprache, so dass er von 72 Zit. n. van Norden, Der deutsche Protestantismus, 52. 73 Andreas Lindt spricht davon, dass der Nationalsozialismus bei seinem Machtantritt ähnlich wie der Kriegsausbruch 1914 „Deutschland gerade auch in seiner Bildungsschicht in einen Zustand fiebrigen Rauschs versetzt“ habe; Lindt, Das Zeitalter des Totalitarismus, 136. 74 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 92. 75 Vgl. Barth, Für die Freiheit des Evangeliums, 8. 76 Vgl. Barth, Reformation als Entscheidung, 18: „Gerade in solchen Zeiten […] wird hinsichtlich der überkommenen Glaubenssätze geradezu ein konservativer um nicht zu sagen reaktionärer Zug durch die Kirche gehen.“ 77 Barth, Für die Freiheit des Evangeliums, 11.
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vornherein „ein domestizierter, ein gefangener und in fremden Dienst gestellter Glaube geworden“78 sei. Es handle sich von vornherein um den bekanntlich prinzipiell zum Scheitern verurteilten Versuch, neben Gott auch noch einem anderen Gott d. h. einem Götzen dienen zu wollen.79 Dahinter stehe das Grundproblem des Liberalismus, der den Glauben als eine Wahlmöglichkeit des Menschen erscheinen lasse80 und dabei verkenne, dass es im Glauben ja gerade um Gottes Wahl des Menschen gehe, der gegenüber sich das Problem einer Wahl des Menschen erübrige. Barth hatte den Konflikt mit Gogarten und der von ihm repräsentierten Theologie im Blick, wenn er in einem bereits vor dem öffentlichen Bruch gehaltenen Vortrag sagte: „Wenn die Theologie es, wissend um ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem ersten Gebot, in der Tat nicht unterlassen kann, indem sie von der Offenbarung redet, auch vom Menschen, von Vernunft und Erfahrung, von Geschichte und geschöpflicher Existenz und dann gewiß auch von Volkstum, Sitte und Staat zu reden, dann wird sich diese Verantwortlichkeit darin zeigen, daß jene anderen Instanzen nach Maßgabe der Offenbarung und nicht etwa die Offenbarung nach Maßgabe jener andern Instanzen interpretiert wird.“81
Und er fuhr fort mit einem m. E. einleuchtenden Bild, dass in knapper Form die Differenz benannte, die zwischen Theologie und dem, was sich zu Unrecht Theologie nennt, im Auge zu halten ist: „Sie [die Theologie] wird nicht mit einem auf der Erde aufgestellten Scheinwerfer den Himmel abzuleuchten suchen, sondern sie wird versuchen, die Erde im Lichte des Himmels zu sehen und zu verstehen.“
Wir können geradezu im Bild bleiben, wenn Barths Widerspruch gegen Feuerbach, wie hier deutlich wird, in einer entschiedenen Umkehrung der Perspektive erfolgt: Die Theologie bleibt mit allen Sinnen auf der Erde und in den Bedingungen dieser Welt, wie sie nun einmal ist, und geht dabei davon aus, dass Gott tatsächlich an und in dieser Welt handelt, aber eben nicht irgendwie – je nachdem, wie uns gerade zumute ist – und eben auch nicht überall – so als ließe sich Gott für alles in Anspruch nehmen –, sondern eben so, wie es von der Bibel erzählt und bezeugt wird in dieser besonderen Geschichte des Bundes mit Israel und Jesus Christus. Der Theologie ist ihrer Bindung an ihre nicht einfach zu verallgemeinernde Voraussetzung von der Neuzeit eine Bescheidenheit auferlegt worden, an die sie sich in ihrem offenkundig schwer zu unterdrückenden Drang nach Allgemeingültigkeit nicht recht gewöhnen will, die für Barth aber längst zu den 78 79 80 81
Barth, Reformation als Entscheidung (s. Anm. 16), 20 f. Vgl. u. a. Barth, Lutherfeier 1933, 18, 20; vgl. dazu Barth, Reformation als Entscheidung, 12 f. Vgl. Barth, Reformation als Entscheidung, 19. Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, 138 f.
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Selbstverständlichkeiten der Theologie zählte. Wenn Barth die Theologie als eine „Funktion der Kirche“ verstand,82 dann verwies er sie konsequent auf den Bereich, in dem die eben erwähnte Voraussetzung Geltung beanspruchen kann. Die Betonung, „Theologie und nur Theologie zu treiben“, bedeutete exakt die Beschränkung auf diesen Bereich. Innerhalb dieses Bereichs bleibt sie dann aber auch ernst zu nehmen, wenn anders es unsinnig wäre, überhaupt noch von einem eigenen Bereich der Kirche zu sprechen. Indem die Kirche die Mitte des Dorfes räumt und alle bis in die Zivilreligion hineinreichenden Ambitionen auf Allgemeinheit aufgibt, wird ihr die Chance und Freiheit zurückgegeben, ihrem spezifischen Blick auf die Wirklichkeit kompromisslos Raum zu geben. In diesem Sinne spreche ich von einer bescheidenen Kompromisslosigkeit der Theologie. Ihr galt Barths Engagement und zwar nicht aus irgendwelchen strategischen Gesichtspunkten, sondern schlicht um Gottes willen, d. h. um der Ernsthaftigkeit der kirchlichen Gottesrede willen, die sie nicht einfach nach eigenem Gutdünken in alle Himmelsrichtungen ausschweifen lassen darf, sondern die eine ganz eigene Konzentration hat, aus welcher allein der Kirche ihre besondere Freiheit zuwächst. Sie muss zwangsläufig in dem Moment zu einem charakterlosen Religionsverein verkümmern, sobald sie aus den Augen verliert, dass sie substanziell allein von hier aus zur Kirche gemacht wird. Um noch einmal auf die Frage nach dem politischen Charakter der Stellungnahme Barths zurückzukommen, so ist nun offenkundig, dass die politische Reichweite seiner Position einen grundsätzlichen Widerspruch gegen den Nationalsozialismus implizierte, der ihm gerade in seinem Zentrum jedes Recht bestritt. Wenn es etwa in der „Theologischen Existenz heute!“ heißt, das die Kirche „die naturgemäße Grenze jedes, auch des totalen Staates“ sei,83 dann bekräftigt Barth, was er bereits 1932 in einem offenen Brief unterstrichen hatte, dass nämlich die Kirche „per se politisch“ sei.84 Je mehr sie sich tatsächlich an die ihr aufgetragene Frage „nach der christlichen Wahrheit“85 erinnern lässt, umso deutlicher wird auch der spezifische und also eben ganz und gar nicht konformistische Charakter des politischen Faktums der Kirche erkennbar werden. Die Richtigkeit dieser Annahme bestätigt sich auch sofort an ihm selbst. Während Barth sich von seinen deutsch-christlichen Kollegen den Vorwurf anhören musste, eine irrelevante, weil wirklichkeitsferne Theologie zu treiben, wurde die Radikalität der Position Barths von nicht unmittelbar am Streit beteiligten Personen durchaus wahrgenommen. Franz Tügel, ein deutschchristlicher Lutheraner, machte gleich nach Erscheinen der Schrift „Theolo82 83 84 85
KD I/1, §1; vgl. auch Barth, Die Theologie und der heutige Mensch, 375 f. Barth, Theologische Existenz heute!, 40. Brief an Michael M. Hoffmann vom 21. Juni 1932, in: Barth, Offene Briefe 1909 – 1935, 233. Barth, Theologische Existenz heute!, 27; vgl. auch noch allgemeiner Ders., Offene Briefe 1909 – 1935, 232: „Rückkehr zu ihrem christlichen Thema und zu ihrer protestantischen Sprache“.
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gische Existenz heute!“ darauf aufmerksam, dass die Konsequenz der Barthschen Position „den geraden Weg ins Konzentrationslager bedeuten“ würde.86 Der bereits in die Schweiz emigrierte Thomas Mann hielt am 29. August 1933 seine ,außerordentliche Sympathie‘ für Barths kleine Schrift fest und vermerkte ausdrücklich, „wie nicht-nur-theologisch ist alles, was er sagt!“87 Wenig später (im Mai/Juni 1934) wurde die Theologie Barths im ,Lagebericht des Chefs des Sicherheitsamtes des Reichsführers SS‘ ganz offiziell „als wirkliche Gefahr“ bezeichnet: „Er schafft in seiner Theologie Inseln, auf denen Menschen sich isolieren, um so der Forderung des heutigen Staates unter religiöser Begründung ausweichen zu können.“88 Kein Geringerer als Carl Schmitt sah in aller Deutlichkeit, dass der im Verweis auf Gott von Barth ausgesprochene Vorbehalt vor dem Nationalsozialismus ein aufs Ganze gehender Widerspruch bedeutete, und so erklärte er in seiner Vormerkung zur zweiten Ausgabe seiner ,Politischen Theologie‘, dass es nicht die Sache eines Theologen sein könne, eine bestimmte Theologie für politisch bzw. für unpolitisch auszugeben. Wenn eine „angeblich unpolitische Lehre Gott […] als das ,Ganz Andere‘ hin[stelle]“, kann dies in einem Staat, der „das Politische als das Totale erkannt“ hat, nicht hingenommen werden.89 Er traf damit auf seine Weise exakt die Pointe von Barths Intention, d. h. es war durchaus verstehbar, was Barth hier gesagt und damit den Kirchen auch zugemutet hat. Dass es recht verstanden wurde, zeigt sich schließlich nicht zuletzt in der auch in den Kirchen allseits zunehmenden freundlichen Distanzierung von Barth. Zwar waren ihm viele dafür dankbar, dass er erst einmal den Stein ins Wasser geworfen hat und damit die Unvermeidlichkeit des Kirchenkampfes ins Bewusstsein eingeschärft hat, aber nur ganz wenige fanden sich bereit, sich tatsächlich den Konsequenzen zu stellen, auf die es Barth ja entscheidend angekommen ist, und so scheitert der Kirchenkampf nach einigen hoffnungsvollen Zeichen, auf die ich jetzt nicht weiter eingehen kann, im Grunde bereits in der Kirche. Zum Schluss sollen noch zwei erläuternde Aspekte angedeutet werden: 1. Bereits 1931 sah Barth für die Kirche und Theologie eine Herausforderung heraufziehen, die sie radikaler treffen werde als die ja keineswegs harmlosen Versuchungen etwa bei dem von mir bereits erwähnten Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die frappanten Parallelen auch in der Art und Weise der Auseinandersetzung zwischen 1914 und 1933 sollten aber den Blick nicht dafür trüben, dass der Konflikt zumindest in der Wahrnehmung Barths eine neue Qualität angenommen hatte. „Vor zwanzig Jahren“ – so erläutert Barth – „ging es um Weltanschauungen. Heute geht es um Religionen“,90 und zwar um 86 Tìgel, Unmögliche Existenz!, 17. Tügel spricht Barth schlicht das Recht ab, im gegenwärtigen Deutschland unbeeindruckt von den politischen Ereignissen Theologie treiben zu dürfen. 87 Mann, Tagebücher 1933 – 1934, 163. 88 Zit. n. Lindt, Das Zeitalter des Totalitarismus, 174. 89 Vgl. dazu Braun, Carl Schmitt und Friedrich Gogarten, 223 ff. 90 Barth, Fragen an das Christentum, 93.
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einen Typus „ganz neuer Religionen“,91 die dem Menschen jedes Opfer abverlangen. Neben dem ,genuin (russischen) Kommunismus‘ und – man höre und staune – dem Amerikanismus, der seine Uniform der ganzen Welt überzustülpen sucht,92 nannte Barth den Faschismus: „Der internationale Faschismus mit seinem ,Rasse, Volk, Nation!‘ ist, was er ist, genau in dem, was ihn von einer Weltanschauung unterscheidet und als Religion charakterisiert: in seinem dogmatisch fixierten Wissen um diese eine, die nationale Wirklichkeit, in seinem Appell an Gründe, die gar keine Gründe sind, in seinem Auftreten als unqualifizierte Macht, in seiner für uns alle, die wir vor 20 Jahren uns bildeten, so befremdlichen Unfreiheit und Ungeistigkeit. Wer nicht sieht, daß hier eine neue oder uralte Naturreligion am Werke ist, der wird mit seinem Zorn oder Gelächter über Gestalten wie Mussolini oder Hitler nur daneben greifen können.“93
Alle diese Religionen, auch der russische Kommunismus, ließen mit sich reden und fänden sich bereit, dem ,Christentum‘ einen Unterschlupf zu bieten, wenn es sich zumindest bereit erkläre, ihnen in den entscheidenden Punkten nicht zu widersprechen94 – hier wird deutlich, warum Barth das Wort Christentum konsequent in Anführungszeichen setzte. Es könne wohlgemerkt nicht darum gehen, mit diesen Religionen in irgendeiner Weise in Konkurrenz treten zu wollen, wohl aber darum, dass sie im ,Christentum‘ auf eine ihnen gesetzte Grenze stoßen. Dass es bei der Markierung dieser Grenze um Gott geht, drückte Barth überaus vorsichtig aus, damit gar nicht erst mit der Möglichkeit gespielt wird, diesen Religionen nun einfach Gott entgegenhalten zu wollen. Nicht die Offenbarung und somit Gott selbst wurde zu einer Streitpartei erklärt, sondern Barth beschied sich auf die Kenntlichkeit des Glaubens als etwas, was die Menschen betrifft, die hier in den Konflikt gezogen werden. Aber neben der Unterscheidung des Glaubens von der Offenbarung wurde auch gleich eine zweite Abgrenzung vorgenommen, die ebenso wichtig ist, nämlich die Abgrenzung des Glaubens von dem ,Es ist mir so‘, d. h. von einer mehr oder weniger eindrücklichen Stimmungs- oder Gefühlsregung, die ja nur einen grenzenlosen Subjektivismus zu erkennen geben würde. Das Gegenteil zu diesem grenzenlosen Subjektivismus ist eben weder einfach ein 91 Ebd., 94. 92 Gewiss wird man in Rechnung stellen müssen, dass es einen verbreiteten Argwohn gegen den liberalen ,westlichen‘ Liberalismus gab, doch Barth nimmt diesen keineswegs einfach auf, sondern gibt seiner kritischen Einschätzung etwa des ,Amerikanismus‘ ein eigenes Profil: er erweist sich als eine Religion, „dessen Uniform heute schon alle fünf Erdteile tragen müssen, ob sie es wollen oder nicht, der Amerikanismus mit seinen undiskutierbaren Göttern Gesundheit und Behaglichkeit, denen in helläugigem Egoismus, verbunden mit einer brillianten Technik und gesalbt mit einer primitiven, aber unverwüstlich optimistischen Moralität, zu dienen ihren Gläubigen längst jenseits aller Reflexion so selbstverständlich ist wie das Atmen.“ (Ebd.; vgl auch Ders., Die Theologie und der heutige Mensch, 387) 93 Barth, Fragen an das Christentum, 94. 94 Vgl. ebd., 96.
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plakativer Objektivismus noch gar ein usurpatorischer Positivismus. Damit bin ich bei meinem zweiten und letzten Aspekt. 2. Wenn diese totalitären Religionen – so führte Barth aus – auf das ,Christentum‘ stießen, stoßen sie – wenn es recht zugeht – auf einen Widerspruch, der sie in ihrem Zentrum angreife, denn die mit ihnen wesentlich verbundene Propagierung absoluter Bindungen könne im ,Christentum‘ nur ins Leere laufen. Für Barth steht der christliche Glaube für einen Kampf gegen jeden Totalitarismus. Dieser Kampf wird jedoch nicht geführt, weil der christliche Glaube seinerseits mit einem absoluten Anspruch verbunden ist und somit mit einem eigenen, nun als überlegen ausgegebenen Totalitätsanspruch daherkommt. Mit einer solchen Option befände sich Barth prinzipiell im gleichen Hospital wie die von ihm angegriffenen Religionen. Gewiss ist auch christlich von Gott nicht anders zu sprechen, als dass ihm Absolutheit zugemessen wird – was immer jetzt genauer darunter zu verstehen sein mag –, aber es ist eben eine Absolutheit, in der Gott souverän den Menschen gegenübersteht, die ihrerseits an dieser Absolutheit keinen Anteil haben. Hier bleibt Carl Schmitt Recht zu geben, dass es Barth um die Hervorhebung der Andersartigkeit Gottes ging, d. h. um die essenzielle Unterscheidung zwischen Gott und Mensch. Die Gott zuzumessende Absolutheit steht ausdrücklich für die konsequente Annullierung aller den Menschen zugemessenen oder von ihnen beanspruchten Absolutheiten. Insofern ist die Absolutheit Gottes im Grunde das stärkste Argument gegen die die von Hegel proklamierte ,Absolutheit des Christentums‘ – durchaus durchschlagender als die Argumente, die bereits Ernst Troeltsch dagegen aufgeführt hatte.95 Auch in ihrem Glauben haben die Menschen an der Absolutheit Gottes keinen Anteil, vielmehr werden sie durch ihn in ein durchaus ernüchtertes Verhältnis zu sich selbst versetzt. Wollte man näher beschreiben wollen, worin denn die christliche Freiheit besteht, dann wäre als ein wesentliches Element diese ernüchterte Wahrnehmung des Menschen und der Weltverhältnisse zu nennen, eine konsequente Entmythologisierung der menschlichen Geschichte und eine vorbehaltlose Säkularisierung aller ihrer Heiligtümer und Tempel. Die christliche Freiheit bestünde in einem möglichst unbestechlichen Unbeeindrucktsein von all den verbreiteten Selbst- und Weltverklärungsversuchen, deren Lächerlichkeit bei den hochdekorierten, mit Holzgewehren herumstolzierenden Schützenvereinen noch offenkundig sein mag, die sich aber auch hinter dem Pathos verbergen, mit dem ein Staat seine Flagge hisst und mit dem internationale Sportereignisse diese oder jene Nationalhymne abspielen, mit dem Soldaten und jetzt auch Soldatinnen vereidigt werden und auch sonst jeder Eid umgeben wird, mit dem auch die Kirchen ihre religiösen Handlungen vollziehen und das im Grunde jede Ehrung und jedes Jubiläum umwittert. Eine solche Nüchternheit beschränkt sich keineswegs auf die Christenmenschen, aber von ihnen kann sie aufgrund ihres spezifischen Bekenntnisses zur Heiligkeit Gottes in ganz be95 Vgl. Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte.
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sonderem Maß erwartet werden. Und so forderte Barth die Christen mit dem ebenso entschieden wie seinerseits nüchtern vorgetragenen Appell in seiner ,Theologischen Existenz heute!‘ zu einer ihres Glaubens würdigen Ernüchterung gegenüber dem Nationalsozialismus auf, wohl wissend, dass dieser durch nichts nachhaltiger bloßgestellt und seiner suggestiven Macht beraubt werden konnte als eben dadurch, dass man ihm schlicht und einfach – so wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern – das Pathos entzieht. Damit wird auch deutlich, dass es niemals um einen Rückzug aus der Welt gehen konnte. Vielmehr betonte Barth sogar die Solidarität mit den Kommunisten, den Faschisten und den Vertretern anderer Religionen, wenn es darum ginge, die von ihnen aufgegriffene Not und die sich in ihnen aussprechende Verlegenheit zu thematisieren. Gerade im Hören auf Gott sollten sich die Christen mit allen anderen in der von den Menschen niemals ganz abzustellenden Not verbunden wissen, dass sie sich von sich aus niemals absolute Antworten auf ihre Fragen zu geben vermögen.96 Es war Barths feste Überzeugung, dass diejenigen, die sich zu Recht auf die Tradition des Protestantismus und die von ihr intendierte christliche Freiheit berufen wollen, nicht grundsätzlich in eine andere Richtung als die von ihm angezeigte gehen könnten. – Ob die Berufung auf den Protestantismus heute sehr viel bequemer ausfallen kann als in dem zugespitzten Konflikt mit der religiösen Versuchung des Nationalsozialismus muss an dieser Stelle offen gelassen werden.
96 Vgl. Barth, Fragen an das Christentum, 98 f.
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Namensregister
Aargard, Johannes 193 Aberdeen 138 Abraham 208 Adam 87, 180, 231, 273, 277 Adorno, Theodor W. 30, 376 Albrecht, Folker 64 Alt, Franz 234 Althaus, Paul 235, 399, 406 Amery, Carl 205 Amsterdam 165, 167, 220 Anselm von Canterbury 38, 42, 74 Arndt, Ernst Moritz 402 Asmussen, Hans 149 Assmann, Hugo 241 Avis, Paul 193 Babel 277, 402 Bächli, Otto 64, 326 Bahr, Hans-Eckehard 234 Baier, Klaus Alois 328 Baldermann, Ingo 64, 377 Barmen 48, 96, 123, 138–152, 199, 389 Barnett, Victoria J. 139 Barrabas 403 Baumgarten, Sigmund Jakob 248 Beintker, Michael 36, 160 Bentley, Wessel 193 Berkhof, Hendrik 218, 262 Berkouwer, Gerrit Cornelis 111 Berlin 76, 199, 418 Bern 153, 198, 385f, 388 Besier, Gerhard 139 Bethge, Eberhard 139 Birkner, Hans-Joachim 242 Bismarck, Otto von 253 Blatter, Alfred
Bloch, Ernst 233 Blumhardt, Johann Christian d. Ä. 111 Bogner, Hans 403 Bonhoeffer, Dietrich 18, 27, 144, 175f, 232, 235, 238, 292, 296 Bosch, David Jacobus 193 Böttcher, Martin 202 Boyer, Pascal 194 Brandau, Robert 327 Braun, Dietrich 367f, 387, 396, 414 Buber, Martin 79 Buddeus, Joh. Franz 255 Bultmann, Rudolf 83f, 155, 384f Bünker, Michael 152 Buren, Paul M. van 232 Busch, Eberhard 88f, 139, 141, 194, 322, 326f, 331 Calvin, Johannes 29, 33, 86–99, 101, 146, 148–150, 155, 167, 170, 205, 225, 242, 277, 328 Camus, Albert 315 Caroli, Pierre 86 Casalis, George 322, 333 Church of England 192 Clausert, Dieter 333, 342 Clements, Keith 150 Cobb, John B. 235 Cochran, Arthur C. 149 Cohen, Hermann 254 Collins, Anthony 244 Cornu, Daniel 322, 333 Cox, Harvey 232 CPCE (Communion of Protestant Churches in Europe) 151f Cuba 151
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Namensregister
Daecke, Sigurd Martin 177, 233 Dahling-Sander, Christoph 34 Dahm, Karl-Wilhelm 238 Dannemann, Ulrich 333 Dantine, Wilhelm 205, 322 Davies, Horton 205 Dawkins, Richard 194 DDR (GDR) 151 Dennet, Daniel C. 194 Descartes, Ren¦ 56 Deutschland 13, 17, 20, 86, 135, 139f, 149–151, 153, 192, 194f, 239, 245, 340, 357f, 382, 403, 410f, 414 DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) 319 Dibelius Otto, 397, 408–410 Dierken, Jörg 329 Dilschneider, Gerhard 150 Dinter, Artur 406 Dowey, Edward A. Jr. 94 Drewermann, Eugen 68 Duhm, Bernhard 76 Dryander, Ernst 410 Eden 211 Eicher, Peter 37, 229, 324 Eichholz, Georg 83f EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) 96, 151, 192, 239 Elia 201, 271, 304 Elmer, Konrad 159 England 192, 360 Erasmus von Rotterdam 107 Ernst, Christoph 192 Europa 150–152, 167 Faber, Richard 396 Falcke, Heino 151 Feldmann, Markus 89, 386, 388, 391f Feuerbach, Ludwig 22, 38, 66, 109, 144, 259, 272, 297, 299, 329, 409, 412 Ficker Stähelin, Daniel 89, 386 Fleming, John Robert 155 Flett, John 193
Florenz 167 Frankl, Viktor 198 Frankreich 360 Frettlöh, Magdalene L. 296 Freud, Sigmund 300 Freudenberg, Matthias 91, 94, 99, 154, 160f, 168, 170 Fromm, Erich 197f, 236, 301 Frosthoff, Ernst 404 Fukushima 219 Gardavsky´, Vteˇzslav 234, 236 GDR (DDR) 151 Gegenheimer, Willi 322 Geiger, Max 207, 209, 211, 214f, 218, 221 Genf (Geneva) 33, 86f, 89–91, 99, 138, 150 Gerhardt, Paul 220 Gestrich, Christof 324 Geyer, Hans-Georg 188f Goeters, Johann Friedrich Gerhard 155 Goethe, Joh. Wolfgang von 339 Gogarten, Friedrich 176–181, 185, 232, 271, 333, 398–401, 405f, 409f, 412, 414 Goldmann, Manuel 327 Gollwitzer, Helmut 322, 348 Gorringe, Timothy J. 37, 40, 42f, 47f, 52, 57f, 89, 323 Göttingen 153–155, 229, 357 Gracia, Marc A. 98 Green, Clifford 323 Greschat, Martin 139 Greve, Astrid 64 Grisebach, Eberhard 116 Gross, Raphael 403–405 Gruchy, John de 234 Gruhn, Reinhart 272, 329 Grundmann, Walter 404 Guder, Darell 193 Habermas, Jürgen 308 Hafstad, Kjetil 333 Hailer, Martin 329
Namensregister Halbfas, Hubertus 235 Ham, Adolfo 151 Härle, Wilfried 160 Harnack, Adolf von 76, 78, 236, 272, 366–373, 376, 379 Harris, Sam 194 Hart, Trevor 37–39, 41, 43, 45, 52 Hauerwas, Stanley 323 Hauschild, Wolf-Dieter 151 Heidelberg 319 Heimbucher, Martin 48, 138, 159f, 361 Hempelmann, Reinhard 307 Hennecke, Susanne 329 Hepp, Robert 403 Herbert von Cherbury 243 Herlyn, Okko 272–274, 291f, 294, 329 Herrmann, Wilhelm 250–254, 260f Hertog, Gerard den 162 Herwig, Thomas 150, 167, 328 Hesselink, John 95 Hilarion 41 Hill, Christopher 192 Hinkelammert, Franz 241f Hirsch, Emanuel 77, 339, 398f, 403, 411 Hitler, Adolf 102, 139, 149, 380–383, 401, 404–407, 415 Hobbes, Thomas 135, 176, 243f, 392 Hoerster, Norbert 194 Hofer, Walther Hoffmann, Michael M. 88, 413 Hofheinz, Marco 153 Horkheimer, Max 30, 376 Hromdka, Josef L. 86, 327, 340f, 343, 345 Hüffmeier, Wilhelm 151, 205 Hume, David 244 Hummel, Reinhart 296, 329 Hunsinger, George 39, 46, 55, 59, 64, 323, 367 Immanuel 44, 113, 218 Immer, Karl 96 Indonesia 151 Isaak 208
445
Israel 34, 60, 128, 165, 220, 310, 320, 326–328, 412 Iwand, Hans Joachim 37, 40, 322, 327 Jehle, Fank 322 Jenson, Robert W. 40, 46, 49, 51f, 57f Johnson, William Stacy 147 Josuttis, Manfred 130 Jüngel, Eberhard 43, 73, 272 Kameeta, Zephania 192 Kamlah, Wilhelm 293 Klappert, Bertold 94, 139, 323, 326f Klinger, Elmar 232 Kocher, Richard 206 Kołakowski, Leszek 234 Königsberg 406 Koopman, Nico Norman 151 Kopernikus, Nikolaus 262 Korsch, Dietrich 160, 251 Körtner, Ulrich H.J. 47, 64 Kossellek, Reinhart 402 Krämer, Markus 272, 329 Kraus, Hans-Joachim 218, 271f, 278, 290, 292, 329 Kreck, Walter 322 Kretschmar, Georg 151 Krötke, Wolf 34, 208, 212, 215, 271, 278–280, 287, 328f Kubly, Herbert 289 Kupisch, Karl 322, 333 Kutter, Hermann 340 Lange, Armin 183 Lateinamerika 241 Leith, John H. 138, 142 Leuenberg 44, 102, 152 Lichtenberger, Hans P. 296 Lienemann, Wolfgang 164 Lindbeck, George A. 50 Lindt, Andreas 409, 411, 414 Link, Christian 36, 44, 95f, 166, 205, 296, 329 Lochman, Jan Milic 272, 292, 329
446
Namensregister
Locke, John 244 Lübbe, Hermann 198, 301 Luhmann, Niklas 198, 236–238, 301 Luther, Martin 17–19, 29, 80, 90–93, 96f, 99, 107, 170, 225, 254, 269, 337, 376 Lüthi, Kurt 322 Machovec, Milan 234 Mähringer, Ina 44, 50f Mann, Thomas 414 Mann, Ulrich 270 Marahrens, August 89, 385 Margull, Hans-Jochen 311 Markschies, Christoph 325 Marsch, Wolf-Dieter 273, 333 Marx, Karl 236, 299 Maurer, Ernstpeter 43, 50, 54 McCormack, Bruce Lindley 38, 160 McGrath, Alister 45f Meinhold, Peter 235 Mensching, Gustav 109 Merz, Georg 398 Meslier, Jean (Abb¦) 109 Metz, Johann Baptist 232f Mildenberger, Friedrich 330 Miskotte, Kornelis Heiko 71, 74, 79, 211, 274 Möller, Ulrich 86 Moltmann, Jürgen 151 Muis, Jan 36, 45, 47, 49, 54 Müller, Ernst Friedrich Karl 153 Namibia 192 Nathaniel, Leslie 192 Natorp, Paul 254 Naumann, Friedrich 349 Naumann, Hans 380 Neuser, Wilhelm H. 88 Nicolaisen, Carsten 151 Nielsen, Bent Flemming 42, 45, 49f, 56, 59, 61f Niesel, Wilhelm 95, 99 Nietzsche, Friedrich 331
Nitzsch, Friedrich A.B. 300f Noltensmeier, Gerrit 202 Norden, Günther van 411 Nüssel, Friederike 192 Oberman, Heiko A. 90–92, 98, 146 Obst, Gabriele 47 Onfray, Michael 194 Oslo 152 Overbeck, Franz 76 Palmer, Gesine 396 Pannenberg, Wolfhart 111, 181–185, 272, 367 Paulus 99, 178, 225, 303, 353 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob, 246 Plasger, Georg 34, 36, 158f, 163f, 168, 328 Plathow, Michael 214, 216, 222 Plonz, Sabine 324 Pöhlmann, Horst Georg 235 Postema, Gerald J. 96 Potsdam 410 Prolingheuer, Hans 136, 322, 381, 392 Pröpper, Thomas 234 Rade, Helene 140 Rade, Martin 36, 77, 140, 334–336, 338 Ragaz, Leonhard 340, 349 Rahner, Karl 232 Ratschow, Carl Heinz 205, 214 Rauschning, Herrmann 134 Reagan, Ronald 241, 288 Rendtorff, Trutz 177, 232, 239f Ritschl, Albrecht 205f Ritschl, Dietrich 50, 207 Robinson, John A.T. 176 Rom 91, 327 Rousseau, Jean-Jacques 244f, 247f Rückert, Hanns 397f Ruddies, Hartmut 251 Rumscheidt, H. Martin 367 Rust, Bernhard 380
Namensregister Sadolet, Jacobo Kardinal 95 Sauter, Gerhard 57, 138, 161, 272 Saxer, Ernst 206 Schellong, Dieter 37, 42, 48f, 57f, 61, 64, 98, 107, 123, 140, 145, 194, 250, 263, 280, 322, 325, 330, 333, 342, 352, 358 Schilling, Werner 14, 274 Schleiermacher, Friedrich 18f, 39, 165, 205, 246, 254, 257f, 300 Schlichting, Wolfhart 64 Schmidt, Kurt Dietrich 139, 349 Schmitt, Carl 403–405, 414, 416 Schneider, Johannes 397 Schöfthaler, Traugott 238 Scholder, Klaus 333, 397, 401, 405f Scholz, Frithard 238 Schweiz 77, 87, 90, 102, 115, 126, 129–131, 134, 137, 153f, 156, 198, 335, 339f, 347, 349, 356–358, 360, 380f, 383f, 386, 389f, 392, 394, 403, 414 Semler, Johann Salomo 245 Servet, Michael 86 Siegfried, Theodor 273, 418 Sihombing, Fridz Pardamean 151 Siller, Annelore 123, 169, 194, 325 Sisyphos 315 Smend, Rudolf 74, 76, 81, 83 Soden, Hans von 136, 382, 384 Sölle, Dorothee 177, 233f South Africa 151, 324 Spiekermann, Ingrid 38f Spinoza, Baruch de 244 Stadtland, Tjarko 94, 97–99 Staedtke, Joachim 90 Stapel, Wilhelm 400–405 Steck, Karl Gerhard 254, 352 Steiger, Lothar 330 Stephan, Hans Ulrich 151 Stoevesandt, Hinrich 93 Stöhr, Martin 151 Strauß, David Friedrich 140, 211 Striewski, Mirco 311 Strohm, Christoph 92 Südafrika 193, 324
447
Tams, Juhsz 192 Teller, Wilhelm Abraham 246 Thielicke, Helmut 235 Thomas, Günther 319 Thomas, H. 88 Thurneysen, Eduard 44, 81, 88f, 331, 349, 351, 398 Tieftrunk, Johann Heinrich 246 Til, Salomon van 255 Tilgner, Wolfgang 399, 402f, 405, 410 Tillich, Paul 296 Tindal, Matthew 244 Toland, John 244 Torrance, Alan 41f, 51, 53 Trillhaas, Wolfgang 273 Troeltsch, Ernst 18, 179, 205, 416 Trowitzsch, Michael 36 Tügel, Franz 413f USA 150, 177, 241 Vatikan 320 Venema, Cornelis P. 95, 98f Vietnam 364 Villa-Vivenco, Charles 324 Visser’t Hooft, Willem Adolf 150, 328 Voltaire 244 Vroom, Hendrik M. 34 Wackernagel, Jakob 154 Wagner, Falk 296 Weber, Otto 186, 214, 294 Wegscheider, Julius August Ludwig 246 Welker, Michael 86, 238, 319, 328 Wenz, Gunther 14, 297, 329 Westdeutschland 364 Weth, Rudolf 48, 138f, 159f, 361 Wharton, James A. 76 Wilhelm II 322 Willingen 193 Wingren, Gustav 45f Winzeler, Peter 322, 333 Wittenberg 90f Wittgenstein, Ludwig 95
448 Wolf, Hans Heinrich 99 Wurm, Theophil 84 Zahrnt, Heinz 235 Zeindler, Matthias 153
Namensregister Zinser, Hartmut 307 Zirker, Hans 235 Zwingli, Huldrych 29, 93, 155, 337
Sachregister
Abendland 37, 182, 367, 386, 397, 409 Aberglaube 244 Absolutheit 279, 314, 416 Absolutheitsanspruch 311, 313, 379, 391, 409 Absolutismus 29, 246, 272, 352 Adressat 132, 320, 339, 408 Advent 114, 118 adventlich 208 Aktualität 107f, 113, 229, 233 Allgemeines 141, 150, 250, 273, 302, 308, 402 Allmacht 225f, 352 als ob 130, 207, 225, 257, 277f, 280, 310, 347 Altkatholiken 166 Ambivalenz 26, 29, 34, 58, 189, 272, 284, 289, 304, 328 Amerikanismus 293, 415 Amt 98, 108, 112, 117, 122f, 167, 183f, 194f, 223 Amtsdiskussion 167 Amtstheologie 184 Analogie 26, 48f, 106f, 125, 271, 410 Anerkenntnis 42 Anfang 34, 61, 93f, 107f, 133f, 163f, 201, 209, 221, 230, 265, 344, 346, 354f, 360f Anfechtung 127, 133, 142, 180, 199, 209, 284 Anglikaner 166 Angst 189, 224, 334, 359, 386, 391 Anrede 23, 60, 84, 169, 291, 408 Anrufung 199, 287, 290f, 294, 382 Anthropologie 38, 106, 179, 181f, 248f, 259, 262, 272, 352, 363, 367
anthropologisch 22, 38, 40, 105–108, 198, 239, 248f, 257, 263, 299f Anthropologisierung 259, 299 anthropozentrisch 246, 261f Antikommunismus 380, 386f, 391, 395 Antinomer 97 Antisemitismus 359, 364, 405 Antitrinitarismus 54 Antwort 21, 25f, 52, 54, 60, 67–69, 84, 95, 99, 102, 119, 129, 153–158, 162–164, 169, 179, 181, 191, 200, 207, 217, 229, 234, 239, 243, 251, 266, 284, 291, 293, 308, 321, 356, 360, 372, 374f, 395, 417 Apologetik 27f, 80, 194, 235f, 240, 249, 253f, 288, 300f, 368 Apologetisch 176, 179, 232, 254, 262, 307, 379, 395, 406, 409 Apostel 71, 80, 196, 203, 337 Apostolikum 158 apostolisch 74, 188, 196 apostolische Sukzession 183 Arbeitsethos 244 Areopag 223 Arierparagraph 405 Assimilation 325 Atheismus 22, 194, 233, 244, 277, 288f, 300f, 311, 366 Atheisten 22, 295 atheistisch 177, 182, 233, 367 Auferstandener 28, 42, 70, 103f, 107–114, 119f, 125f, 135f, 146, 186, 189, 199, 215, 265, 326, 364 Auferstehung 27f, 41, 70, 92, 102, 111, 113f, 118, 121f, 124, 127, 134, 146, 199, 201, 225f, 323, 360f, 365
450
Sachregister
Autonomie 57, 384 Autorität 31, 71, 80, 82f, 158f, 163f, 169, 182, 195, 214, 217, 258, 391, 405 Axiom 27, 89, 109, 121, 145, 165, 195, 256, 266, 291, 302, 408, 412 Baalspriester 130, 201 Baalsprophet 271, 304 Baptisten 166 Barmen Declaration 138f, 141–144, 146–151 Barmer Theologische Erklärung 33, 48, 59, 138f, 141–144, 146–152, 156, 159f, 361 Barthrezeption 106, 319, 322–324 Bedrängnis 69, 126f, 133, 158, 220, 223, 320 Bedürfnis 90, 123, 129, 236, 255, 276 Befreiung 30, 34, 65, 89, 129, 147f, 164f, 217, 226, 241, 249, 270, 323f, 380 befreiungstheologisch 204, 321, 324 Begleiten (concursus) 119, 208, 212, 214, 216–218, 222 Begründung 18, 31, 43, 73, 82, 89f, 99, 135f, 175, 184, 209, 224, 257f, 279, 306, 308, 339f, 343, 360, 391, 393, 409, 414 Begründungsgefälle 55, 100, 105, 272 Bekehrung 192, 203 bekennen 80, 120, 131, 133f, 156–160, 164, 169f, 187f, 199, 225f, 265, 294, 309, 314 Bekenntnis 31f, 40, 43, 62, 74, 80, 82, 84, 123, 134f, 139f, 142, 144, 149–152, 154–156, 158–160, 169, 186, 188, 210, 220, 222–224, 239, 257–259, 274, 282, 285, 291, 308, 311, 313, 315, 320, 324, 327, 341, 353, 356, 364, 383, 389, 400, 409 Bekenntnisschriften 153, 155, 157f, 162, 164, 169, 245 Beliebigkeit 136, 187, 192, 211, 245, 273, 289, 301, 357, 365f, 385 Berufung 19, 21, 33, 37, 46, 62, 123,
125–127, 154, 176, 200, 211, 222, 224, 235, 246, 253, 289, 292, 323, 344, 350, 360, 417 Bescheidenheit 13, 59, 312f, 338, 341, 360, 379, 412 Besitzindividualismus 261 Besonderes 24, 39, 141, 302, 321, 370 Betroffenheit 336, 395 Beunruhigung 65, 185, 282, 355 Bewegung 33, 47, 51, 61, 78, 81, 93, 106, 109, 111f, 118f, 123, 125, 134, 150, 167, 170, 175, 180, 184, 189, 211, 216–218, 234, 252, 262, 270, 274, 328, 330–332, 337, 340, 344, 349, 354f, 363–365, 401, 405f, 408 Beweis 62, 88, 176, 200, 328, 347 bezeugen 13, 25, 34, 106, 125, 127, 135, 156, 187, 328, 365, 371 Beziehungsgeschehen 45, 51, 60 Beziehungswirklichkeit 53, 216 Bibel 23–25, 28, 43f, 47–50, 54, 64–76, 78–85, 112, 163f, 168, 252, 255f, 266, 275, 319, 331, 343, 346, 371–373, 377, 388, 394, 411f Bibelauslegung 80, 85, 343 Bild 17, 28, 41f, 66, 68, 88, 107, 125, 130, 189, 193, 250, 252, 274–276, 295, 302, 309, 345, 397, 412 Bilderverbot 125f, 369 billige Gnade 275 Bindestrich 351 Bitte (bitten) 29, 85, 111, 171, 190, 200, 223, 279f, 289, 291f, 295, 353, 381, 403 Blasphemie 307 Blickrichtung 13, 110, 170, 268, 313, 362 Böses 260 Botschaft 27f, 70, 76, 109, 111, 179, 187, 201, 204, 225f, 310, 340, 365, 389 brennender Dornbusch 43, 142, 313f Bund 25, 31, 53, 99f, 108, 110, 113, 119, 125, 139, 163, 180, 209, 218–220, 326, 412 Bundesformel 111 Bundesgeschichte 207, 218
Sachregister Bundeswille 30 Bürger 244f, 380, 385, 392 Bürgergemeinde 106, 188, 282, 389–391 bürgerlich 89f, 120, 243–245, 256, 261, 276, 293, 325, 339 Bürgerlichkeit 256, 325 Bürgertum 57, 145, 250, 255f, 263, 325 Buße 143, 146, 151, 277, 347 Cartesianismus 56, 58 Cäsar 349 character indelebilis 183 Christ 21, 95, 98f, 102f, 105, 112, 120–123, 125–127, 129–131, 134–136, 139, 142f, 145–149, 177, 188–190, 198, 222–225, 233, 272, 279, 295, 337, 348–350, 354–356, 366, 381, 386–388, 391, 417 Christentum 66, 70, 139f, 176f, 179, 182–184, 203f, 232–236, 239f, 246, 256f, 259, 261, 265, 268, 271, 275, 279, 293, 302, 311, 314f, 328, 339, 349, 391, 399, 402f, 406, 414–417 Christologie 28, 37, 43, 47, 51–53, 62, 105–108, 110, 117, 186, 327, 346 christologisch 44, 105–108, 110, 113, 125, 139, 146, 207, 287, 297 Confessio Augustana 162 conservatio 208 corpus christianum 40, 157 creatio ex nihilo 213 Credo 60, 75, 158, 181, 283, 290, 308, 311, 313f Dämonen 121 Dankbarkeit 99, 101, 275 danken 85 Deismus 176, 245 Demokratie 242, 350, 382, 403 Demut 59, 61f, 222, 377f Denkgefälle 249, 362, 365, 369 Dennoch 210, 222, 397 Deus absconditus 59, 336 Deus dixit 48, 50, 203
451
Deutsche Christen 18f, 339, 399f Diakonie 129 Dialektik 30, 34, 43, 93, 106, 140, 160, 254, 261, 286, 297, 324, 334, 376 dialektisch 34, 94, 116, 154, 160, 233, 251, 310, 323f, 331, 398 Dialog 162, 210f, 296–298, 303, 311f, 315, 326–328 Dienstbarkeit 331 Diesseitigkeit 308 differenzierter Konsens 151f Disciples of Christ 166 Dogma 37, 59, 159, 163, 256, 282, 372 Dogmatik 27, 36–39, 41, 43f, 46, 52, 59, 64, 69f, 73–76, 79, 81, 83, 89, 104, 106, 123f, 154, 157, 159–161, 163, 168, 207, 214, 229, 235f, 242f, 245f, 255, 257–259, 263–266, 268, 273, 275, 278f, 284, 286, 290–292, 297, 301f, 322f, 326f, 332f, 344, 352, 362, 377, 379, 395, 411 Dogmatik und Ethik 30, 93, 123, 286, 332, 362 Dogmatismus 87 Doketismus (doketisch) 110, 125, 127, 410 Drama 111, 118, 210 Ebenbild Gottes 31 Echo 66–70, 78 Ehre Gottes 62, 94, 97, 189, 200, 280, 289, 295 Ehrfurcht 31, 54, 192, 246, 275 Einheit 38, 50, 54, 93, 99, 108, 130f, 138, 150f, 161, 182f, 186, 281, 328, 347, 362, 384, 400f, 406, 410 einsam 86, 103, 119, 123 Einsamkeit 89, 325 Einzelner 131, 135, 383 Ekklesiologie 33f, 129, 131, 138, 142, 156f, 166, 175, 185, 188, 192–194, 202, 239, 285 ekklesiologisch 100, 108f, 122, 127, 138, 145, 167, 327
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Sachregister
Emmausjünger 28 Endlichkeit 190, 212, 300, 305, 309 Endzeit 114f, 119 Engel 47, 102, 109, 237, 335, 359 entfremdet 123, 219, 282, 353 Entfremdung 263, 282, 337, 342f, 351, 353, 355 Enthüllung 42f, 48, 52f entmythologisiert 324 Entmythologisierung 188, 197, 217, 293, 416 Entpolitisierung 358, 364, 385 Entsakralisierung 293 Entscheidung 22, 56, 61, 86, 91, 100, 119, 129, 131, 157, 164, 179, 201f, 324, 339, 348, 350, 356, 358f, 361, 363–365, 382, 384f, 390, 399, 405, 411f Erbe 20f, 368 Erde 22, 41, 111, 121, 134f, 137, 156, 195, 222, 224, 231, 262, 266, 302, 305, 330, 356, 400, 411f Ereignis 33, 39, 42, 45, 47f, 50, 86, 113, 125, 158, 161, 169, 240, 269f, 275, 289, 335, 339 Erfahrung 17, 26, 55f, 61, 69, 112f, 121, 140f, 144f, 165, 196, 210, 219, 224, 230, 237, 251f, 258, 269–271, 283, 298, 304f, 335f, 340, 367, 370, 410, 412 Erfüllung 30, 100, 121, 196, 276, 279, 310, 370, 402 Erhalten 59, 66f, 80, 208, 212f, 215f, 222, 244, 263, 340, 358, 368, 411 Erhöhung 28, 108 Erinnerung 22, 36, 88, 104, 110, 116, 129, 178, 202, 217, 283f, 310, 340, 369, 395 Erkenntnis 22f, 28, 37, 39f, 43–45, 49, 51f, 54f, 57, 59, 61, 69, 72–74, 82, 93f, 100, 105f, 112f, 117, 124f, 136, 138, 141, 148, 161f, 189f, 196, 211, 218, 224, 240, 245, 250f, 253, 268, 278, 286, 293, 315, 328, 331, 342, 346, 353, 355, 366, 369f, 377f Erkenntnisbedingung 23, 27
Erkenntnis Gottes 31, 56, 94, 349 Erkenntnislehre 23, 94f Erkenntnistheorie 34, 72 Erkenntnisweg 36, 38f, 45f, 48, 51, 53f, 62, 265, 267f, 282, 284, 369, 378 Erleben 65, 252, 334–336, 410 Erlebnis 251, 254, 258, 261, 271, 335–337, 411 Erleuchtung 125 Erlösung 84, 186, 237, 305, 310, 351 Erlösungslehre 62 Erniedrigung 108 Ernstfall 124, 407 Ernüchterung 84, 188, 195, 215, 308, 417 Erster Weltkrieg 69, 140, 205, 207, 254, 322, 334, 337, 339, 342, 344, 348, 356, 410, 414 Erstes Gebot 30f, 89, 118, 135, 139, 141f, 145, 152, 165, 194–196, 217, 223, 226, 266, 275, 291, 295, 302, 359, 408, 410, 412 Erwählung 127, 162, 204, 209, 218, 280, 326f, 347 Erwartung 20, 23f, 34, 47, 59, 67–70, 99f, 116, 132, 136, 163, 234, 309, 373 Erweckung 124f, 410 Ethik 30, 66, 103, 106, 108, 123, 136, 176, 180, 193, 254, 282, 286, 332, 335, 344, 348, 352, 356f, 360, 362, 365, 402 Evangelium 28, 30, 57, 65, 69, 73, 89f, 92, 100, 109f, 116, 118, 122, 127, 134, 145, 177, 188, 191, 194, 204, 207, 225f, 231, 239, 264f, 267, 273, 278f, 294, 303, 321, 330, 341f, 360, 364, 366, 374, 383, 400f, 403, 408, 410f Evolutionsglaube 249 Ewigkeit 27f, 123, 212f, 217, 219, 231, 305, 403 Exegese 43, 50, 69–71, 73f, 79, 83f, 373 Existenzfrage 122f, 125, 286 existenziell 40, 94, 106, 186f, 222, 236, 286, 321, 373 Exklusivität 48, 105, 128, 132, 143
Sachregister extra nos 105 falsa religio 242 Faschismus 102f, 293, 360, 415 Feministische Theologie 321 fides qua creditor – fides quae creditur 144 Finsternis 118, 133–135, 215 Fortschritt 64f, 133, 180, 233, 254, 261f, 287, 345–347, 350, 352, 363, 376, 390 Freiheit 13f, 19, 21, 29–31, 34, 53f, 61f, 65, 82–85, 87–90, 92, 94, 96f, 99–101, 119f, 131, 138, 142, 146–149, 152, 154, 156, 159f, 164–166, 168, 176–179, 204, 213, 215–217, 219, 225, 238f, 253f, 259, 261, 267–270, 272f, 276, 283, 319, 323f, 339, 344, 347, 353, 355, 358, 360, 363f, 374f, 381, 386–388, 394, 396, 408, 411, 413, 416f Freispruch 30 Freude 71, 99, 230, 261, 397, 408 Frieden 103, 120, 129f, 233f, 243, 250, 255, 257f, 288, 355, 363f, 396 Frömmigkeit 24, 66, 198, 218, 246, 258, 271–274, 276, 279f, 282, 286, 304, 336, 398 Führer 139, 247, 358, 380–383, 401, 404f Fundamentalismus 373 funktional 26, 236–238, 240, 250 Fürsorge 186, 208–210, 212, 215–217, 219–221, 223, 226, 270, 392 Futur 86, 114, 146 Gebet 72, 85, 121, 129, 190, 272–274, 276, 291f, 294, 329 Gefälle 47, 53f, 64, 104, 117, 171, 175, 218, 264, 273, 278, 302, 319, 328, 333, 353, 362 Gegenreformation 91 Gegenseitigkeit 53, 78 Gegenwart 18f, 34, 38, 46, 70, 73, 100, 102, 104, 108, 111, 113–122, 130, 133–136, 186, 192, 194, 199f, 206, 211,
453
242, 251–253, 288, 291, 296, 310, 321, 326, 330, 350, 355, 390, 396, 410, 418 Gegenwärtigkeit 116 Geheimnis 23, 28, 54, 128, 142f, 152, 159, 188, 223, 251, 272, 294, 298, 313 Gehorsam 102, 130f, 243, 257, 267f, 271, 279, 287, 360f, 381f, 394, 401, 405 Geistesgegenwart 199 Gekreuzigter 28, 180, 187, 165, 364 Gemeinde 25, 31, 87, 103f, 107, 109, 114, 122f, 126–133, 135f, 157f, 186, 190, 198, 203, 231, 265, 274, 281, 291–294, 361, 363, 365, 374, 383, 387, 390f, 394f Gemeinwohl 244 Gerechtigkeit 103, 184, 186, 189, 207, 233f, 249, 261, 277, 333, 387, 394, 403 Geschehen 27, 37, 41f, 46f, 49, 51f, 58–60, 75, 102, 104, 110–117, 122, 124f, 127, 134, 161, 177, 185f, 208, 210, 217, 219f, 224, 277, 287, 310, 342, 346, 354, 363, 370, 376, 380f, 409 Geschichte 14, 23, 25, 28, 40, 43f, 51, 53, 65f, 72, 74, 78, 84, 91, 93, 108–119, 121f, 126–128, 133, 138–141, 143f, 164, 168f, 178–180, 182, 188, 191, 197f, 205f, 210f, 217–219, 221, 229f, 233, 243, 246, 251–254, 259, 261f, 266, 276, 288, 294, 321, 326, 331–335, 337–340, 343–347, 352, 355, 361, 367f, 373, 375, 394, 396, 402, 410, 412, 416, 418 Geschichtsphilosophie 341, 345–347 geschichtsphilosophisch 205, 254, 340, 343 Geschöpf 23, 49, 52, 97, 178, 186f, 209f, 212–217, 219, 221, 225, 270, 275, 339 Gesellschaft 20, 32, 39, 64, 122, 129, 176, 182f, 185, 194, 198, 204, 232, 236, 238f, 245, 257, 299, 308, 348, 350f, 354f, 363, 365–367, 393, 408 gesellschaftlich 40, 87–89, 135f, 177, 182–184, 194, 234, 236–241, 243f, 250,
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Sachregister
255, 260, 263, 298–301, 307, 309, 319–322, 332, 342, 390, 393, 399 Gesetzlichkeit 93, 253, 366 Gesetz und Evangelium 27f, 40, 118, 142, 152 Gewissen 85, 99, 166f, 190, 192, 204, 223–225, 247, 337f, 376, 383f, 387, 394 Gewissheit 58, 111, 121, 186, 223, 269, 280, 314, 338, 350, 369 Glaube 17f, 31, 40, 43, 54f, 70, 73, 82f, 87, 93f, 97–99, 101f, 109, 114, 129, 133, 136, 157, 170, 177–181, 184–187, 189, 196, 198, 201, 203, 205–207, 209–211, 215, 217, 220–223, 226, 230f, 233, 235, 241–245, 248f, 251–255, 257–259, 261, 265f, 269–271, 273f, 279–282, 284f, 290f, 296, 299, 301f, 310, 313f, 329, 332, 334, 336f, 342, 345–349, 355, 358, 360, 362, 366, 370f, 376, 389, 392, 401, 404, 411f, 416 Glaubenserfahrung 55, 215, 217 Glaubenslehre 94, 155, 205, 248 Gleichnis 356, 370f, 390 gleichnisfähig 363 Gnade 37, 42, 55, 57, 98f, 111, 115, 117f, 127f, 138, 143, 145, 179, 187, 220f, 225f, 231, 258, 270, 273–275, 278, 280f, 284, 293f, 314f, 323, 359 Gottebenbildlichkeit 31, 97 Gottesbesitz 287, 342 Gottesbild 125, 276, 369 Gottesdienst 31f, 135, 190, 230, 234, 258, 262, 274, 278, 280, 282, 294f, 304, 338, 356f, 361, 363f Gotteserkenntnis 22, 27, 36–39, 41f, 46, 52, 57f, 63, 94–96, 161, 207, 218, 222, 262, 274, 278, 280, 282, 294f, 332, 353f, 357, 363 Gottesfrage 22f, 39, 69f, 207, 218, 358 Gottesidee 22 Gotteslehre 43, 49, 53, 62, 206 Gottesrede 28, 207, 224, 413 Gottesreich (siehe Reich Gottes) Gott-ist-tot-Theologie 177, 234, 321
Gottlosigkeit 93, 134, 249, 274, 311, 386 Götzenbild 141, 253 Götzendienst 131 Grammatik 43f, 50f, 54, 110 gubernatio 205, 208 Handeln 46, 52f, 62, 70, 91, 100, 115, 119, 125, 128, 134, 142, 146, 149, 157, 164, 168, 178, 199f, 203, 206, 216–218, 226, 230, 239f, 286, 313, 326, 332, 347f, 352f, 355, 357, 361–363, 377, 385, 390, 395, 404 Handeln Gottes 24f, 98, 113, 196, 203, 206f, 218, 220, 225, 254, 264, 335, 345f, 361, 365, 370f Häresie (Irrlehre) 40, 60, 159, 242 Harmlosigkeit 57, 153, 256, 260 Heidelberger Katechismus 155, 220, 398 Heidentum 128, 199 Heil 95, 110, 177, 179, 192, 204, 339, 381 Heiliger Geist 29, 39, 46, 52–54, 62, 68, 80, 85, 96, 113–115, 120–122, 125f, 146, 149, 152, 161, 163, 165f, 168–171, 190, 199–201, 203, 207, 216, 223f, 226, 259, 161, 268–270, 284, 291f, 359, 372, 411 Heiliger Krieg 360 Heiligkeit 43, 97, 185, 237, 416 Heilsarmee 166 Heilsbesitz 105 Hermeneutik 36, 38, 44, 46, 49–51, 54, 59, 83f, 96, 138, 161, 186, 312 herrenlose Gewalten 31, 197, 297f, 324 Herrschaftsanspruch 29, 117, 179, 309 Himmel 111, 121, 134f, 137, 158, 191, 195, 222, 231, 265–267, 282, 302, 321, 335, 356, 411f himmlisch 195, 247, 356 Historiker 78f, 83, 252 historische Kritik 75f, 78, 369, 371–373 Historisierung 18f, 77 Historismus 117, 140, 254, 373 Hochmut 62, 105, 255, 277, 347
Sachregister Hölle 294 homo religiosus 269, 279 homo sapiens 346 Hören 28, 34, 48, 55, 61, 66–68, 76, 78, 82, 92, 102, 118, 122, 150, 156, 164, 168, 191, 199, 201, 211, 230, 257, 267, 292, 320f, 328, 378, 387, 404, 417 horizontal 92, 143, 170, 220, 294 Humanisierung 31, 394 Humanismus 139, 250, 256, 309 Humanität 56, 257, 296, 305, 315, 352 Hybris 61, 222, 291, 311, 313, 353, 387, 393 Idealismus 179, 243, 254 idolorum fabrica 277 Illusion 26, 58, 84, 120, 141, 145, 222f, 251, 274, 290, 300, 309, 328, 405 Immanentismus 25 Imperativ 30f, 148, 287, 332, 361 Imperfekt 110 imperialistisch 403 Inbesitznahme 25, 328 Indifferenz 238, 365 Indikativ 111, 332, 363, 390 Individualisierung 37, 247 Individualismus 90, 140, 402 individuell 14, 181–183, 192, 230, 247, 249, 251, 253f, 256, 260, 264, 300, 363, 376 Indolenz 167, 213 Inhumanität 27, 120 Inkarnation 46 Innerlichkeit 256, 260 Instinkt 247, 403 Interaktion 210 Interesse 17f, 22, 68, 78, 91, 132, 178, 233, 238, 241, 243–245, 250, 263, 303, 305, 320, 333, 338, 361, 368, 371f, 375, 377, 385, 389f, 394, 411 Interpretation 20, 115, 138, 140f, 144, 297, 323, 341, 345, 348, 361, 376f, 381f interreligiöser Dialog 161, 296–298, 303, 311f, 315, 328
455
Intuition 245, 248, 258, 269 irdisches (irdenes) Gefäß 303f, 310 Irrationalismus 117 irreguläre Dogmatik 89, 321 Jammertal 134, 206 Jenseitigkeit 308 Judentum 34, 139, 221, 320, 326f, 359, 402–405 Jungfrauengeburt 46 Jurisprudenz 72, 374 Kanon 47, 69, 282, 337 Kanzel 123, 332, 373f Kapitalismus 260, 349 kapitalistisch 242, 352 Karfreitag 53 Karneval 306 Katheder 373 Katholiken 166 katholisch 33, 156, 166, 242, 388 Katholizität 33, 158 Katze 133f, 136, 330, 333f, 383 Kirche 13, 19–23, 25, 28, 31–33, 37, 39f, 44, 47f, 55f, 58–61, 67–70, 73f, 79f, 82–92, 96, 99f, 102f, 105–108, 111, 116, 123f, 126–131, 133, 135f, 151–161, 163–170, 175–177, 180, 182–190, 192–206, 208, 218, 220f, 225f, 229–232, 234–236, 238–241, 243–245, 255f, 260–262, 264–268, 272–274, 277f, 280–288, 290–295, 300, 302, 307, 310, 313, 319f, 322, 324–329, 332–334, 339f, 343, 345, 347, 350, 354f, 357–361, 363–366, 372–375, 377–379, 381, 383–393, 395–399, 401, 403–411, 413f, 416 Kirchenkampf 37, 57, 73, 87, 153, 324, 357, 392, 414 Kirchenkritik 123 Kirchenzucht 89f kirchlich 17, 20, 27, 32, 36–39, 44, 46, 48, 61, 64, 67, 74, 89, 96, 100, 104, 106, 110, 123, 127f, 154, 157, 160f, 163,
456
Sachregister
168, 183f, 195, 199, 202–204, 207, 230, 238f, 245, 255, 262, 268, 273, 277f, 280, 282, 293, 297, 302, 319, 322, 325f, 339, 343, 365, 377f, 397f, 413 Klage 72, 77, 310, 366 Klarheit 37, 39, 80, 97, 170, 222f, 242, 368, 372, 374 klerikal 32, 187 Klerikalismus 20, 32, 190 Koalition 59, 120, 154, 234, 263, 290, 325, 331, 339, 343, 351 Koexistenz 216f Komik 237, 307 Kommunikation 76–78, 81f, 84f, 169, 238f, 272, 308, 321 Kommunismus 293, 386, 415 kommunistisch 242, 345, 386f Komparativ 301, 345, 363, 390 Konfessionalisierung 32 Konfessionalismus 33, 37, 139, 154 Konfessionalität 32 konfessionell 33, 153f, 160, 240, 243, 248, 256, 392 Konfessionskriege 243, 299 konfessorisch 57, 160, 265 Kongregationalisten 166 kongregationalistisch 157 Konkretheit 107, 158, 359, 365 Konkurrenzprinzip 65 Konsens 151f Kontext 18, 37, 84, 184, 232, 262, 319–321, 396 Kontextualität 37, 84, 232, 319–321, 332 kontingent 164, 246, 323 Kontingenz 33, 46, 170, 206, 245 kopernikanisch 246 Kosmos 51, 210, 246 Kreatur 51, 82, 102, 119, 214, 216f, 225 Kreuz 44, 92, 114, 125, 148, 203, 326, 350, 365 Kreuzzug 360, 386 Kriegstheologie 37, 66, 254, 334, 348, 351
Krisis 81, 278, 282, 370 Kritik 20, 26f, 30, 55–57, 75–78, 129, 167, 182, 218, 239, 241, 254, 258, 262, 278, 280–283, 291f, 297, 299, 305f, 327f, 330, 337, 340, 343–345, 347, 351, 355, 366, 371f, 376, 378, 391f Kult 307, 402 Kultur 55f, 144, 183, 188, 249, 265, 294f, 303, 354, 366–368, 371, 396f Kulturprotestantismus 250, 325, 366 Landesfürst 91 Lebendigkeit 25, 28, 114, 161, 169, 201, 216, 224, 267, 288, 369, 373 Lebensproblem 300 Lehramt 378 Lehre 21, 36f, 40, 45–48, 50, 58, 73f, 82, 86, 91f, 94, 124f, 136, 154, 156f, 160–165, 169–171, 179, 184, 186, 205–207, 217, 220, 222, 229, 242f, 245, 251f, 255, 257, 262, 276, 293, 321, 365, 401, 404f, 408, 414 Lehrer 17 Leuenberg Agreement (Leuenberger Konkordie) 151f Letztbegründungsfrage 328 liberale Theologie 250 Liberalismus 29, 34, 140, 325, 401, 403, 412, 415 Licht 23–25, 27, 30, 41, 56, 71, 90, 95, 107, 113, 116–118, 134f, 139, 144f, 152, 184, 186f, 191, 195–198, 201, 204, 206, 210f, 215, 218, 222, 230, 257, 264, 266f, 273f, 279, 287, 302, 321, 329, 336, 343, 346, 355, 359, 370, 372, 393, 395, 412 Lichterlehre 204, 218 Liturgie 74, 131, 255, 282, 392 Loyalität 244, 379–381, 388, 391f Lüge 61, 103, 105, 112, 124, 131, 135, 280 Lutheraner, lutherisch 17, 44, 97, 139, 149, 151, 155, 157, 164, 166f, 169, 192f, 413
Sachregister Manichäismus 289 Manna 210f Marionette 270 Marxismus 234, 236, 387 Mennoniten 166 Menschensohn 108 Menschlichkeit 128, 133, 162, 183, 231, 271, 278, 286, 292, 295f, 304f, 310, 324, 394f Menschwerdung 294 Metanoia 112, 146 Methode 62, 83f, 161, 163, 369, 371, 374, 379 Methodisten 166 Militarismus 260, 349 Ministrant 130, 137 Missio Dei 192–194, 198, 200–202 Mission 138f, 146, 151, 188, 192f, 197, 199–204, 327 Missionar 192, 200 Mitmensch 31, 100, 107, 277, 289, 299 Mitsein 128, 216 Mittelalter 37, 92, 170, 262 Mittler 108, 200 Mode 132, 197, 246, 297, 306 modern 17, 37, 120, 139f, 177, 182, 193f, 197, 232f, 237, 239, 243f, 248, 256–259, 261, 263, 276f, 300, 307f, 336, 338, 352, 368, 379, 392f Möglichkeit 24, 37–40, 42, 48, 54f, 57f, 62, 65f, 69, 87, 92f, 96–100, 106f, 112f, 115, 119, 122, 124, 134, 155–159, 166, 187, 199, 202f, 213, 224, 229, 237, 239, 248, 257f, 264, 267f, 270–272, 274f, 280f, 290f, 301, 309, 311, 313, 320, 325, 328, 330, 344f, 349f, 355f, 361, 363, 368f, 376, 415 Monarchie 349 Moral 66, 71, 246, 255, 277, 366f Moralisierung 247 Moralismus 256, 339 Mündigkeit 178, 233, 266 Mut 32, 55, 69f, 95, 238, 257, 334 Mystik 301, 358
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nachtheistisch 177 Name 44, 50, 52, 74, 94, 117, 121f, 125, 158, 190, 208, 218, 223, 266, 280, 287–289, 291, 295, 314, 339f, 361, 372 Nation 128, 140, 183, 334, 339, 349, 390, 402, 404, 410, 415 Nationalsozialismus 17, 106, 135f, 165, 206, 226, 323, 339, 344, 357–360, 382, 387, 396, 399, 401, 403–405, 407f, 411, 413f, 417 Nationalstaat 243, 379f, 392 Natur 14, 34, 51, 55, 57, 67, 100, 128, 148, 179, 182, 188, 197, 211, 217, 223, 236, 243, 246–248, 252f, 260, 294, 328, 391, 402 natürliche Theologie 26, 55–59, 96, 144–146, 161–163, 263, 274, 323, 332, 338 Naturwissenschaft 71f, 210f, 254 naturwissenschaftlich 210f, 262 Negation 55, 58, 240, 278, 354 negative Theologie 27 Neologie 245f, 249 Neo-Orthodoxie 13, 45 Neuprotestantismus 270, 395 neutestamentlich 28, 111, 113f, 116, 125, 261 neutral 71, 81, 112, 120, 130, 134, 141, 258, 321, 335, 359, 384, 389 Neuzeit 21f, 29, 37f, 56, 61, 128, 176–178, 181, 183f, 194, 232, 242, 250, 254–256, 261–263, 280, 324f, 352, 354, 363, 372, 376, 379, 392f, 412 neuzeitlich 26, 29, 37, 40, 52, 57, 120, 178f, 182, 184, 211, 229f, 240, 243, 247–250, 254–256, 258f, 263, 272, 282, 299, 324f, 346, 351f, 362, 370, 385 Nichtnotwendigkeit 301 Nichts 94, 213f, 233, 289, 347 Nichtsein 37, 213–215 Nichtung 212, 214 Nihilismus 102, 134, 178 Norden 192 Normativität 80
458
Sachregister
Nostrifikation 61, 288 nota ecclesiae 127 Nutzen 167, 200, 210, 250, 258, 276, 300f, 401 Nützlichkeitsnachweis 176 Objekt 50, 70–72, 119, 270, 289, 369, 379 Offenbarung 22f, 25, 36f, 39–54, 56–59, 62, 70, 74f, 80, 128, 139, 142–145, 156, 160f, 164, 168, 188, 190, 197, 199, 210, 224, 247, 251f, 258–260, 267–276, 279, 292, 294, 302–304, 311, 313, 315, 328, 332, 339, 343, 367, 369–371, 373, 375, 377f, 412, 415 Offenbarungspositivismus 45, 144, 270 Offenbarungsreligion 304 Offenbarungszeugnis 50, 70, 80, 373 Ohnmacht 304, 398 Okkultismus 375, 377 Ökumene (ökumenisch) 14, 32–35, 86, 91, 139, 149–151, 154, 158, 162, 165, 167, 169, 182–184, 190, 201, 234, 298, 319f, 326–329, 364 Ökumenischer Rat der Kirchen 138, 150, 193 Ökumenizität 170, 327, 390 Ordination 167, 183 orthodox 33, 166, 255, 410 Orthopraxie 233 Osterbekenntnis 29 Ostergeschehen 30 Ostern 27f, 53, 121 Ostertheologie 27f Osterzeugnis 34 Ost-West Antagonismus 14 Pantheon 271, 295 Papst 195, 382 Papsttum 88, 93, 183 Paradox 30, 40, 90, 213, 238, 255, 301 Partikularisierung 32f, 288, 294, 336, 354, 364 Partikularität 65, 158, 181, 335 Parusie 102, 113–115, 119, 125, 199
Passivität 61 Patriotismus 349 peinlich 306, 380 Peinlichkeit 121, 306, 309 perfectum 98 Perfekt 110, 114 Perichorese 114 Person 44, 68, 77, 86, 93, 145, 253, 362, 381f, 394, 413 Personalisierung 77 Personalität 125 Pfingsten 53, 114 phänomenologisch 46, 120, 269, 272, 304, 306 Philosophie 73, 84, 182, 198, 246, 248, 255f, 339 Pietismus 60, 125f, 165 Pneumatologie 47 politisch 31, 88f, 103, 112, 126, 131, 135f, 139, 157, 176, 182, 234, 238, 241f, 260, 263, 319f, 322–324, 333–335, 340–345, 348–350, 352, 356–361, 363–365, 376, 380, 382–395, 398, 403, 405–411, 413f politischer Gottesdienst 356f, 363f politische Theologie 341, 357, 364, 395, 409, 414 Prädestination 97 Präsens 80, 110, 114–116, 135, 142f, 146 Praxis 33, 107, 123f, 129, 233, 250, 262, 264, 274, 284–286, 288, 294, 320, 332f, 345, 351–353, 360, 362f, 365, 370, 390 Predigt 64f, 135, 161, 322, 338, 363, 373, 399, 410 Priester 130, 184, 223, 236 priesterlich 32, 98, 123, 130 Privatangelegenheit 241, 243 Privateigentum 241, 245 Privatisierung 99, 294, 364 Privatsache 242, 260 Privatvergnügen 127 profan 164, 188, 232, 265, 269, 285, 292, 347, 354, 356f, 363–365, 390, 392 Profanisierung 31, 364, 389
Sachregister Profanität 31, 188, 203, 232, 285, 287, 292–294, 364, 379 Prolegomena 37f, 43f, 49, 52, 61, 161, 163, 185, 236, 265, 268, 281 pro nobis 105 Prophet 71, 80, 108, 112, 120, 125, 130, 223, 405 Prophetie 33, 117, 122f, 129f, 132 prophetisch 32, 108, 111f, 117f, 122f, 128–131, 194, 210 prophetisches Amt 126 Protestanten 166, 403 protestantisch 29, 32, 34, 56, 104, 154, 166f, 193, 205, 207, 225, 238, 242, 246, 248f, 255, 258, 261f, 299, 332f, 352, 381, 396, 406, 413 Protestantismus 13, 60, 165, 167, 239, 256, 296, 396, 402, 406f, 411, 417 providentia dei 127, 207, 209, 211, 214f, 218, 221, 347 Providenz 209 Psychologisierung 77 Pünktlichkeit 21, 116f, 131, 135 Quäker 166 Quietismus 123, 198 Rationalismus 246 Raum 26, 94, 100, 102, 112, 114, 119f, 124, 129, 136, 210, 219, 223, 225, 260, 282, 310, 324, 327, 340, 358f, 390f, 404, 413 Realismus 160, 210, 312 Realpräsenz 117 Recht 17, 27, 46, 61, 66, 72, 77, 84, 89, 104, 129, 182, 188, 201, 206, 212, 231, 266, 277, 292, 301, 312, 314, 344, 349, 351, 363f, 374f, 378f, 381–384, 386, 388–390, 393f, 402, 404, 409, 413f Rechtfertigung 37, 58, 94, 97–99, 170, 199, 201, 205f, 238, 278f, 283, 286, 302, 314, 363, 367, 383, 394 Reform 17, 351 Reformation 13, 37, 87f, 90–93, 96–99,
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139, 146f, 151, 156f, 167, 170, 195, 399, 406, 411f Reformationsjubiläum 20 Reformatoren 29, 37, 82, 92, 95f, 127, 157, 162, 242, 253, 272 reformiert 86, 91, 93f, 96, 138, 149–151, 153–171, 283, 372, 388 Reformprozess 20, 96 Regieren 83, 102, 110, 208, 212, 219–222 Reich Gottes 70, 97, 111, 121, 136, 180, 189, 199, 229, 233, 261, 265, 281, 284, 310, 341, 347–351, 355f, 360, 363, 365, 389 Relativität 30, 229, 310, 312, 314, 341, 349, 353f, 369f, 375, 390 Religion 25f, 34, 39, 52, 55–58, 60, 64, 75, 94, 128, 132, 140, 144f, 181–185, 189, 194f, 198, 204, 229, 232–261, 263–315, 325, 328f, 368, 392, 402, 405–407, 409, 414–418 Religionismus 258, 279 Religionsbesitz 279, 326 Religionsgeschichte 75, 240, 242, 281, 416 Religionskritik 25f, 34, 57f, 66, 132, 194, 234f, 238, 242, 244, 248, 251, 255, 259, 263, 272, 277f, 282f, 291f, 296, 299–302, 306, 308, 310, 312, 329, 367 religionsloses Christentum 176, 232 Religionsrealismus 312 Religiöser Sozialismus 322, 340, 343, 345, 348, 360 Rengsdorfer Thesen 399 Repräsentation 183, 195 Resignation 61f, 222 Reskramentalisierung 183f Restauration 19, 146 Reue 99 revelation 37, 39, 41–43, 45, 52, 139, 142–145, 367 Revolution 70, 102, 134, 238, 350, 352, 411 Richter 121, 247, 337 Richtungssinn 55
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Sachregister
Sachlichkeit 39, 59, 133, 272, 302, 324, 366, 369f, 398 Sakrament 42, 183, 225 Sakramentalisierung 31, 293 Säkularisierung 19, 40, 175–178, 194, 232, 237, 416 Säkularisierungsthese 31, 176 Samariter 204 Scharlatanerie 304 Schein 19, 94, 168, 196, 213, 215, 266, 277, 283, 297, 306, 359, 379, 385 Schicksal 88, 102, 120, 214, 219, 278, 355, 397, 404 schielen 131 Schlaf-Christlichkeit 133 Schöpfer 31, 52, 186, 209, 212–217, 219, 221, 232, 275, 400, 402 Schöpfung 30f, 75, 103, 134, 205f, 209, 212–215, 219, 221, 253, 280, 296f, 400 Schöpfungslehre 62, 207 Schriftprinzip 68, 82, 143, 160, 164, 265, 372 Schuld 29, 56, 309, 337, 351, 353, 402 Schüler 17, 67, 91 Schwäche 42, 60, 66, 127f, 140, 142, 145, 147, 240, 257, 276, 298f, 301, 303–313, 315, 330, 396 Schwärmerei 59, 93, 97, 132, 339, 366 Schwarze Theologie 321, 324 seelsorgerlich 89 Sein 37, 51, 65, 105, 113f, 126, 178f, 197, 203, 209, 212–216, 297, 305, 346 Seinsweise 50, 62 Sektiererei 128, 367 Selbstbestimmung 56, 61, 96, 119, 277, 394 Selbstbewusstsein 17, 32, 39, 91, 117, 122, 167, 176, 178, 182, 187, 247–249, 258, 262, 292, 300, 325, 367, 391, 396 Selbstbezeugung 28f, 55, 66, 81, 145, 200f, 291 Selbsterschließung 51, 53, 142f, 369 Selbstinterpretation 96, 115, 194, 197, 206
Selbstkritik 77, 128, 274, 283, 291, 395 Selbstmitteilung Gottes 23, 27, 48, 344 Selbstsorge 97, 270 Selbststeigerung 326 Selbstunterscheidung 50, 52, 314 Selbstverabsolutierung 29 Selbstvergegenwärtigung 51, 113, 117, 128, 143, 161 semper reformanda 82, 147, 151, 195, 315 Sendung 33, 94, 123, 125–127, 165, 188f, 192, 194f, 197, 200, 202–204, 285, 326 sichtbar 48, 64, 118, 127, 150, 181, 231, 233, 256, 266, 271, 275, 279, 281, 283f, 290, 313f, 325, 328, 341, 347, 356, 362, 384, 404 Sichtbarkeit 128 Sieger 111 simul 281 Sinnfrage 184f Sintflut 215 Sittlichkeit 66, 243f, 247, 253, 257, 400, 404 Sohn 52f, 62, 105, 107, 178, 200, 220, 222 sola fide 93f solidarisch 204, 293 Solidarität 100, 128, 187, 194, 204, 229, 274, 294, 315, 332, 338, 365, 389, 417 soli Deo gloria 171 soteriologisch 109 Sozialdemokratie 348, 350, 356, 363 sozialdemokratisch 260, 340, 348 sozialgeschichtlich 91, 325 Sozialismus 123, 260, 322, 339f, 343, 345, 348, 353, 360, 365 Sozialverträglichkeit 299, 309 Soziologie 198, 234, 284 soziologisch 238, 240 Spekulation 19, 72, 133, 269, 339 Spiritualität 31, 192, 194f, 231 Sprache 18, 21, 24, 28, 36, 38, 49, 59, 69, 71, 73, 75, 92, 95, 104, 168, 186, 202,
Sachregister 232, 247, 250, 258, 273–275, 285, 303, 319, 332, 336, 411, 413 Sprache Kanaans 306 Staat 90, 181, 242–245, 247, 250, 299, 333, 335, 350, 357f, 364f, 374, 379–385, 388–394, 397, 401–404, 408, 412–414, 416 Staatsphilosophie 299, 392 Stadtreformation 91 Stärke 32, 127, 142, 163, 194, 229f, 240, 257, 264, 298, 307–310, 312–315, 330, 355, 396 status confessionis 381, 383 Stellvertreter 22, 180, 233, 404 Streitbarkeit 332 Subjekt 23, 39–41, 43f, 50f, 56, 108, 119f, 129, 161, 178f, 217, 239, 243, 249, 268, 277, 291, 344, 351f, 362f, 369, 400 Subjektivismus 366f, 375, 415 Subjektivität 37f, 44, 76, 229f, 251, 268f, 277f, 291, 336, 367, 375, 383 Süden 192 Sünde 57, 61, 99, 105, 108, 131, 178, 196, 215, 249, 259, 274f, 278–280, 282, 305, 314f, 350, 359, 402 Sündenfall 213, 362 Superlativ 363, 390 Synthese 43, 356, 395 Systematik 62, 73, 208 Systematische Theologie 73, 104, 182, 264, 271, 278, 290 Taufe 166, 180, 277, 306, 361 Teleologie 220, 345 tertius usus legis 99 Teufel 112, 121, 158, 277, 359–361, 382 theologia crucis 92 Theologie der Religionen 34f, 321, 328 Theologiegeschichte 104, 108, 175, 207 theologische Existenz 13, 61, 88, 95, 134, 229, 264, 319, 322, 333f, 357f, 397f, 409f, 413f, 417
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theoretisieren 129 Theorie 18, 60, 68, 123f, 129, 177, 181, 222, 232, 332, 393 Tod 41, 56, 70, 114, 177, 196, 214, 241, 297, 333, 353–355, 361, 404 totaler Staat 384 Tradition 18, 20f, 54, 58, 69, 74, 96, 153–155, 160, 162–165, 167–169, 176, 204, 206, 209, 212, 216, 225, 232f, 238, 244, 247, 252, 258, 261, 298, 320, 336, 397, 408, 411, 417 Traditionalismus 154, 163 Trägheit 87, 105, 198 Tragik 93, 355 Tränen 188, 294, 355 Transzendenz 25, 237f, 313, 360 Treue Gottes 60, 114, 217, 221, 337 Treueid 358, 380, 382, 384 trinitarisch 23, 36, 44, 46, 49–52, 59, 62, 143, 152, 161, 196 Trinität 28, 41f, 48f, 51, 53f, 59, 86 Trinitätslehre 36f, 45, 48–50, 53f, 59 triumphalistisch 325 Trost 62, 72, 99, 102, 143, 337, 397 tröstlich 82
Überlieferung 24 Unglaube 136, 221, 231, 235, 274–276, 278f, 365 Unierte Kirche 149, 151 universal 32f, 113, 116, 148, 150, 156, 158, 354 Universalgeschichte 110–112 unsichtbar 127f, 243, 290, 403 Unsichtbarkeit 128 Unverbindlichkeit 158 Usurpation 31, 219, 305, 328 Vater 52f, 62, 99, 102f, 105, 132, 163, 168, 178, 191, 220, 226 Vaterunser 111, 230, 291 veni creator Spiritus 47, 292 verantworten 55, 74, 84, 92, 158, 198, 202, 254, 342, 381, 392, 404
462
Sachregister
verantwortlich 17, 89, 178, 253, 311, 344, 402 Verantwortung 13, 40, 84, 86f, 91, 128, 170, 178f, 202, 225, 246, 286, 313, 320, 335, 344, 348, 359, 383, 394, 404, 412 vera religio 242, 278 Verborgenheit 42f, 50, 143, 187, 272 Verbürgerlichung 57, 145, 247 Verdienstlichkeit 93 Verdinglichung 42 Vergangenheit 17, 19f, 23, 33, 69, 116, 118, 161, 169, 192, 249, 255, 275 Vergebung 353 Verharmlosungstendenz 250, 325 Verheißung 46, 94, 105, 115f, 124, 128, 143, 146, 149, 168, 190, 201, 206, 215, 229f, 278–280, 283f, 303, 310, 315, 346, 350f, 354, 356, 363, 365, 374 Verhüllung 42f, 48, 52f Verinnerlichung 247 Verkündigung 44, 46–48, 59, 80, 102, 124, 160f, 198, 202, 204, 231, 271, 291, 341, 374, 377, 403 Verlegenheit 21, 34, 54, 80–83, 144f, 162, 190, 199–201, 208, 220, 224, 229, 293, 306f, 311f, 327, 347, 407, 417 Verleugnung 103, 120, 131, 134f, 368 Vermischung 65, 332, 337, 351, 353, 366, 405 Vernunft 57, 93, 103, 176, 179f, 197, 217, 245–250, 269, 313, 332, 367, 369, 372f, 375–377, 386, 390, 412 Versöhnungslehre 62, 75, 98f, 104, 169, 194, 200, 222, 286 Verstand 18, 20f, 26, 28, 30f, 39, 50, 54, 56, 73, 75, 80, 82, 96, 100, 103, 116, 124, 129, 132, 154, 161, 169, 177, 179, 199f, 202, 211, 231, 245, 247, 251, 269, 274, 282, 313, 322, 346, 356, 370, 372, 390–392, 401, 403f, 406, 409, 413f Verstehen 13, 21, 24, 37, 40, 48, 50, 53f, 58, 65f, 68, 72, 74–76, 80f, 83, 85, 89, 97, 108, 116, 120, 122, 124f, 135, 158, 164, 166, 176, 179, 182, 188, 191, 193,
195, 203, 206f, 210, 216, 221, 251, 266, 269, 298, 302, 304, 310, 312, 323, 338, 345, 366, 371f, 390, 399, 401f, 409, 412, 416 Versuchung 19, 25f, 54f, 72, 89, 93, 130, 142, 152, 157, 165, 189f, 198, 207, 213, 220, 224, 265, 272, 277, 287, 292, 303, 328, 330f, 359, 378, 393, 396, 414, 417 vertikal 92, 170, 220, 294 Vertrauen 25, 79, 96, 168, 180, 210, 215, 223, 225, 253, 259, 262, 267, 276, 291, 314, 367, 369, 382, 394, 397 Verweltlichung 175–177, 180, 188 vivit 107 völkisch 399–401, 404–407 Volkskirche 239, 404 volkskirchlich 32, 154, 240 Volksnomos 401–405, 408, 410 Volksseele 335f, 397, 411 Volkstum 399–402, 405–407, 410, 412 Vorbehaltlichkeit 154, 162, 170 Vorbild 188 Vorläufigkeit 26, 55, 171, 229, 293, 355 Vorsehungslehre 205–209, 211f, 214f, 220, 222, 224, 226 Wächteramt 378, 389, 395 Wagnis 129, 131, 280, 291 Wahrhaftigkeit 257, 291, 314 Wahrheit 45, 54, 56, 60f, 70, 72f, 82, 89, 103, 117f, 120, 124, 126, 132, 135, 156–160, 162, 169, 188, 198, 203, 211, 230, 233, 235, 243, 250, 256–258, 260f, 265, 268, 273, 281, 283, 291, 298, 312–315, 325, 328, 330, 335, 373–375, 377f, 384, 389, 392, 413 Wahrheitsanspruch 310, 313, 375 Wahrheitsbesitz 314, 329, 375 Wahrheitsfrage 265, 288, 311, 375, 398 Wahrnehmungshorizont 320, 327, 391 weltanschaulich 24, 124, 176, 180f, 207, 211, 223, 234, 342, 344, 351, 405 Weltanschauung 124, 140, 196, 204,
Sachregister 210, 217, 223, 255–257, 293, 339, 362, 373, 392–394, 399, 406f, 414f Weltbild 24, 71, 208, 211, 246, 261f Weltformel 217 weltlich 54, 127, 136, 140, 175, 187f, 191, 196f, 203, 277, 286, 288, 290, 293, 295, 334, 337, 342, 363 Weltlichkeit 30, 34, 92, 127f, 130, 175, 185–190, 194, 200, 217, 231f, 285f, 292–294, 324, 394f Weltmissionskonferenz 193 Weltseele 217 Weltwahrnehmung 24, 56, 185, 262, 341, 353 Weltweite Evangelische Allianz 193 Werkgerechtigkeit 189 Werte 20, 108, 182, 281, 287, 310, 312, 350, 394 Westintegration 323 Widerstand 36, 102f, 106, 112, 134, 215, 226, 232, 234, 323, 357–360, 364, 394f, 408 Wiedererkennen 67, 107f, 128, 218 Wiedergeburt 225, 253 Wiederkunft 114f, 121, 129, 135, 226, 281 Wille Gottes 58, 102, 214, 220, 271, 292, 305, 344, 351, 353, 356, 360f, 363f, 382, 394, 401, 405, 407f Willkür 366 Wirklichkeit 13, 23–25, 28, 30, 37, 41–43, 45, 53, 55f, 62, 66, 69–71, 75, 79f, 82, 85, 94, 97, 99–101, 103f, 107, 113, 115, 117, 120f, 124–126, 132, 140f, 144f, 147f, 157, 181f, 185f, 195–197, 201–203, 207, 209–211, 213, 215–219, 225f, 229f, 237f, 247, 250, 252f, 259, 261, 264, 268–271, 273, 276f, 280, 286, 304f, 308f, 315, 319, 322, 325, 328, 336, 338, 341–343, 353, 355, 361–363, 365, 369f, 377, 383, 392f, 395f, 411, 413, 415 Wirtschaft 188, 244, 288, 293, 354, 379, 402
463
Wirtschaftsleben 276 Wissen 24, 26, 41, 43, 55–57, 60, 67, 76, 79f, 82, 84, 95, 105, 135, 162, 166, 170, 177, 189, 195, 200f, 203f, 208, 213, 221, 223f, 254, 257f, 274, 282, 287, 289, 292, 314, 324, 338, 342, 355, 372, 415, 417 Wissenschaft 72, 79f, 84, 123, 155, 218, 246, 249, 252f, 266f, 288, 293, 330, 338, 366–371, 373–375, 378f, 393, 402 Wissenschaftsbegriff 257, 333, 379 Wort Gottes 17, 33, 36f, 40f, 44–48, 56, 59f, 69, 74, 79, 82, 85, 122, 129, 142f, 146, 148, 154, 156f, 159–164, 168f, 171, 210f, 222f, 225, 230, 257, 273, 286f, 292, 305, 321, 344, 370, 373f, 388, 394, 399 Wunder 41, 59, 85, 92, 138, 150, 159, 231, 252, 271 Zeichen 42f, 98, 116, 158, 163, 183, 204, 212, 237, 343, 363, 414 Zeit 13f, 18–21, 23, 27, 29, 36, 38, 66, 68, 71f, 75, 78, 84, 110, 114–122, 125, 129f, 134–136, 153, 155, 164f, 168, 184, 190, 193, 198f, 206, 212f, 216f, 219f, 224, 226, 231, 234f, 238, 253, 255f, 259, 261f, 272, 283, 296f, 309, 319f, 322, 326–328, 330f, 334, 336–338, 346, 354–358, 362, 375f, 380, 396, 398–401, 405, 407f, 411 Zeitgenosse 102, 115, 121, 125, 321, 331, 343 Zeitgenossenschaft 115, 121, 262, 319–321, 326, 330–333, 338f, 343, 347, 354f, 357, 359, 365, 379, 389, 396 zeitgenössisch 18, 66, 84, 107, 241, 319f, 333 zeitgeschichtlich 103, 320, 322, 326, 332f, 359 Zeitung 319, 331 Zeuge 24, 66, 74, 76, 78f, 82, 84, 105, 108f, 121, 123, 127, 187, 189, 252f, 272, 295, 311, 325f, 382
464
Sachregister
Zeugnis 23f, 28, 34, 47–49, 60, 66, 70, 73, 75, 80–82, 85, 105, 112, 125f, 128, 132, 143, 159f, 162–164, 168f, 180, 198, 201–203, 218, 223f, 229f, 249, 251, 262, 264f, 267, 275, 280, 283, 286, 291, 311, 320, 325, 333, 339, 341, 358, 364, 371–374, 377f, 387, 390f, 394f, 410 Zionismus 405 Zirkel 23–25, 82, 162 Zitation 60
zivilreligiös 307 Zorn 20, 132, 214, 351, 415 Zufall 29, 93, 102, 170, 214, 219 Zuschauer 112, 119 Zuschauermetaphysik 362 Zuwendung Gottes 17, 23, 25f, 62, 221, 270, 346 Zweinaturenlehre 47 Zweiter Weltkrieg 5, 87, 102, 134, 177, 220, 322, 326, 356f Zynismus 211