Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als philosophisches und theologisches Problem 9783666562280, 9783525562284


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German Pages [172] Year 1970

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Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als philosophisches und theologisches Problem
 9783666562280, 9783525562284

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Klaus Rosenthal Die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als philosophisches und theologisches Problem

KLAUS ROSENTHAL

Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als philosophisches und theologisches Problem

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 24

© Vandenhoeck & Rupredit, Göttingen 1970. Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanisdiem Wege zu vervielfältigen. — Druck: Guide-Druck Tübingen. — Bindearbeit: Hubert &Co, Güttingen

INHALT Einleitung 1. Kapitel: Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als Problem der gegenwärtigen Philosophie

9 13

I. Die Behandlung des Problems in der Existenzphilosophie und Existenzialontologie A) Martin Heideggers Verwindung des Subjekt-Objekt-Sdiemas durch den Verzicht auf Begründung B) Karl Jaspers' Tendenz zur Transzendierung des Subjekt-Objekt-Schemas durch Erhellung der Existenz und des Umgreifenden . . . . . C) Die Position von Gabriel Marcel: Überwindung der Tendenz zur Objektivierung durch Engagement

30

II. Der Beitrag der Philosophie der Ich-Du-Begegnung Martin Bubers zur Problemlösung

37

III. Das Problem des Subjekt-Objekt-Denkens in der Sidit einiger materialistischer Denker A) Die Behandlung des Subjekt-Objekt-Problems in Ernst Blochs Philosophie der Hoffnung B) Das Subjekt-Objekt-Problem unter dem Aspekt der „negativen Dialektik" Theodor Adornos IV. Das Subjekt-Objekt-Verhältnis als Problem der hermeneutisdi-wirkungsgeschichtlichen Betrachtungsweise Hans-Georg Gadamers A) Die Problematik des Objektivismus und des Subjektivismus B) Die Grundzüge einer wirkungsgeschichtlichen Hermeneutik C) Folgerungen für das Subjekt-Objekt-Problem V. Die Behandlung des Subjekt-Objekt-Problems durch Ludwig Wittgenstein A) Die Destruktion des Problems in Ludwig Wittgensteins Tractatus B) Die Bedeutung der sprachphilosophischen Analyse in Wittgensteins Spätphilosophie für die Problemlösung

13 13 27

42 42 52

57 57 58 59

59 59 64 5

VI. Die Stellung der Sprachphilosophie und der analytischen Philosophie zum Subjekt-Objekt-Problem A) Der Beitrag der generativen Grammatik-Theorie von N o a m Chomsky und Jerrold Katz . . . B) Urban Forells logische Konstruktion des Subjekt-Objekt-Verhältnisses

VII. Versuch einer systematischen Zusammenfassung des Problems A) Die Hauptvorwürfe gegen das metaphysisch und idealistisch geprägte Subjekt-Objekt-Denken (unter besonderer Berücksichtigung von Heidegger und Adorno) . 1. Die Tendenz der Sicherung und des Sich-Gründen-Wollens im metaphysischen und idealistischen Denken . 2. Die Tendenz der Auflösung der Nicht-Identität von Ich und Nicht-Ich, Subjekt und Objekt, im idealistischen Denken 3. Die idealistische Tendenz zur Aufrichtung der Herrschaft des begrifflichen Denkens . . . . B) Strukturen der philosophischen Denkrichtungen, die das metaphysische Subjekt-Objekt-Denken überwinden wollen C) Das Problem des metaphysischen Denkens und des Bezuges zur Transzendenz D) Das Problem der Wahrheit 1. Das Wahrheitsproblem unter hermeneutischen Aspekten 2. Das Wahrheitsproblem unter logisch-semantisdien Aspekten

2. Kapitel: Die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als Problem der gegenwärtigen Theologie I. Der theologische Beitrag Karl Barths zur Problemlösung

69 69 72

80

80 80 81 82 83 85 87 88 89

93 93

II. Die personalistische Uberwindung des Subjekt-Objekt-Schemas bei Emil Brunner

96

III. Die Einbeziehung des existential-ontologischen Denkens in die theologische Lösung bei Rudolf Bultmann

102

IV. Die philosophische und theologische Lösung Paul Tillidis

112

V. Die kritische Reflexion über die Problematik der Anwendung der Denkform des Subjekt-Objekt-Schemas wie der Versuche seiner Uberwindung auf die Theologie bei H . Gollwitzer 119 VI. Die Bedeutung des Denkens des späteren Heidegger für die Problemlösung in der Sicht Heinrich Otts 125 VII. Die Unterscheidung von Subjekt-Objekt-Denken und subjekt-objekt-Verhältnis bei Poul Henning Jorgensen . . . . 132 6

3. Kapitel: Berechtigung und Probleme der theologischen Verwendung des Subjekt-Objekt-Denkens. Versuch einer Problemlösung ·

137

I. Theologische Beurteilung der philosophischen Kritik am idealistischen Subjekt-Objekt-Denken 137 A) Das theologische Problem der Überwindung des Strebens nach Sicherung B) Die Überwindung des Strebens nach Auflösung der Nicht-Identität von Gott und Mensch in theologischer Sicht C) Die theologische Aufgabe der Überwindung der Tendenz zur Herrschaft des Denkens

137 141 144

II. Das Problem objektivierender Tendenzen im Bereich theologischer Aussagen 146 III. Die theologische Relevanz der Wahrheitsfrage für eine Lösung des Problems des Subjekt-Objekt-Denkens 148 Anhang 1: Einige Bemerkungen zur Frage des Verhältnisses von Theologie und Philosophie

157

Anhang 2: Die Bedeutung des naturwissenschaftlichen Begriffes der Komplementarität für die Problemlösung .

160

A) Der naturwissenschaftliche Begriff der Komplementarität B) Die Frage des Beitrages des naturwissenschaftlichen Denkens zur theologischen Lösung des Subjekt-Objekt-Problems C) Das Verhältnis des logisch-analytischen und des naturwissenschaftlichen Verständnisses des Begriffes der Komplementarität

Literaturverzeichnis....

160 163 163

165

7

EINLEITUNG Die folgende Abhandlung bezweckt nicht eine mehr oder weniger lückenlose philosophiegeschichtliche und theologiegeschichtliche Darstellung des Problems des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und seiner Uberwindung. Sie will vielmehr auf einige — gewiß nicht alle — der mit diesem Themenkreis zusammenhängenden Probleme hinweisen. Vor allem möchte sie deutlich machen, daß es sich bei diesem Themenkreis überhaupt um ein schwieriges, kompliziertes Problem handelt. Wer die theologische Diskussion dieses Themas verfolgt hat, kann den Eindruck gewinnen, daß die Problematik dieses Themas sowohl bei den Befürwortern der Übernahme einer philosophischen Form der Uberwindung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses als auch bei den Gegnern dieser Übernahme oft nicht in genügendem Umfang empfunden wird. Mit Recht weist P. H . Jorgensen in seiner Arbeit über die Bedeutung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses für die Theologie darauf hin, daß die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens bereits zu einem Schlagwort geworden ist1. Daß im folgenden die Problematik des Themenkreises stärker ins Bewußtsein gestellt werden soll, bedeutet nicht, daß der Verfasser ein Verfechter der Auffassung von Nicolai Hartmann sei, daß das Entscheidende in der Geschichte der Philosophie, weil Bleibende im Wechsel der Situationen, die Probleme seien. Aber sicher ist, daß die Lösungen nur dann nicht zu kurz greifen, wenn die Probleme in genügender Tiefe erkannt sind. Im Blick auf unser Thema gilt dies im besonderen für die theologischen Implikationen der philosophischen Bemühungen um die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens. Die Freilegung dieser theologischen Implikationen stellt eine der Hauptaufgaben der folgenden Abhandlungen dar, weil gerade dieses Problem der theologischen Implikationen in der bisherigen theologischen Diskussion, jedenfalls teilweise, nicht in seiner Schärfe und Differenziertheit empfunden worden ist. Man würde die Kompliziertheit und Vielschichtigkeit des Problemkreises verkennen, wenn man meinen würde, ihn durch allgemeine Erwägungen über das Verhältnis von Theologie und Philosophie beantworten zu können. Natürlich sind auch diese notwendig und werden auch im Verlauf der Darstellung zur Sprache kommen. Um die Darstellung der philosophischen Problemsituation nicht unangemessen zu vergröbern, ist es jedodi nötig, die Frage der theologischen Implikationen an jeden einzelnen Philosophen neu zu stellen. Es zeigt sich dann, daß diese theologischen Impli1

Die Bedeutung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses für die Theologie, S. 12.

9

kationen, im weitesten Sinn verstanden, eine sehr viel größere Mannigfaltigkeit und auch Widersprüchlichkeit erkennen lassen, als es auf den ersten Blick zu vermuten ist. So wie es die eine maßgebende theologische Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens nicht gibt, gibt es auch nicht die eine maßgebliche philosophische Bemühung um diese Uberwindung. Und so wie der Grad der philosophischen Implikationen bei den einzelnen Theologen, die an der Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens beteiligt sind, verschieden ist, so ist auch der Grad der theologischen Implikationen bei den Philosophen sehr unterschiedlich, die an diesem Thema gearbeitet haben. Es wird sich zeigen, daß diese theologischen Implikationen auf ganz verschiedenen, ja häufig diametral entgegengesetzten Tendenzen beruhen: Weder die Bemühung um eine Anknüpfung an das christliche Zeugnis noch die atheistische Ablehnung dieses Zeugnisses, weder die Bemühung um eine religiöse Interpretation in Distanz zum Christentum noch die positivistische Tendenz der Ausschaltung sinnloser Fragen werden bei der folgenden Darstellung zu übersehen sein. Diese Vielzahl, ja sogar Widersprüchlichkeit der einzelnen Tendenzen und theologischen Implikationen scheint eines der entscheidenden Kennzeichen für die Gesamtheit der Bemühungen um die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens zu sein. Der pluralistische Charakter dieser Gesamtheit von Denkansätzen zur Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens hebt sich seinerseits ab von dem Gesamtcharakter der Beiträge, die in den Denksystemen von Descartes bis Hegel zur Frage des Subjekt-ObjektProblems geleistet wurden. Eine philosophiegeschichtliche Darstellung dieser Systeme würde natürlich die Differenziertheit und reiche Variationsbreite in der Ausarbeitung des Problems bei Descartes, Kant, Hegel und Schelling aufweisen. Für die folgende Darstellung, die in erster Linie auf die Problembehandlung in der gegenwärtigen Theologie und Philosophie konzentriert ist, dürfte es genügen, auf einige Charakterzüge dieser Bemühungen hinzuweisen, um so auf diesem Hintergrund die Grundzüge der gegenwärtigen Bemühungen deutlicher werden zu lassen. Bevor dies geschieht, soll in Einzeldarstellungen eine Reihe von Denkern zu Wort kommen, die in je verschiedenen und doch repräsentativen Weisen sich bemüht haben, das Subjekt-Objekt-Problem zu lösen. Zur Wahl der Philosophen und Theologen, deren Beitrag zum Problem des Subjekt-Objekt-Denkens zur Darstellung gelangt, bedarf es noch einiger kurzer Hinweise. Unter Umständen wird der Leser sowohl auf philosophischer wie auf theologischer Seite eine Reihe von Problembeiträgen vermissen, deren Berücksichtigung wünschenswert wäre. Das Prinzip der Auswahl ist verständlicherweise immer subjektiv bedingt, d. h. mitbestimmt einerseits durch den Umfang des Materials, das zur Kenntnis des Bearbeiters gelangt ist, 10

andererseits durch die persönlichen (Vor-)Urteile über den Grad der Wichtigkeit und Fruchtbarkeit bestimmter Problembeiträge. Andererseits will die folgende Übersicht nicht völlig willkürlich einige Lösungen herausgreifen, die dem Verfasser interessant oder probabel erscheinen. Es wird vielmehr — jedenfalls in bescheidenen Grenzen — versucht werden, einen Uberblick zu vermitteln, der die entscheidenden philosophischen und theologischen Richtungen des gegenwärtigen Denkens berücksichtigt. Im philosophischen Bereich gelangen die Existenzphilosophie, die IdiDu-Philosophie, der philosophische Materialismus, die wirkungsgeschichtlich-hermeneutische Philosophie, die analytische Philosophie und die (amerikanische) Sprachphilosophie zur Darstellung. Um ihrer besonderen Bedeutung und Stellung willen wird außerdem der Philosophie Wittgensteins ein eigener Abschnitt gewidmet werden. Die Zusammenfügung von Existenzphilosophie und Existenzialontologie wirft sicher eigene Probleme auf. Gewisse Gemeinsamkeiten, — die etwa Bollnow veranlassen, Heidegger zu dieser Richtung hinzuzuzählen — lassen die Zuordnung Heideggers zur Existenzphilosophie immerhin als möglich erscheinen. Die deutliche Verbindung zwischen Heidegger und Gadamer hätte eine Zusammenfassung dieser beiden Denker nahelegen können. Aber die Forderung und Entfaltung einer wirkungsgeschichtlichen Hermeneutik ist doch gegenüber der Existenzphilosophie eine in sich selbständige Form der Darstellung philosophisch-hermeneutischer Fragen. Wittgenstein wird zweimal zur Darstellung gelangen, weil in seinem Denken zwei Phasen zu unterscheiden sind, in denen er beidemal Schule gemacht hat: Durch den „Tractatus logico-philosophicus" hat er den logischen Positivismus befruchtet, durch die „Philosophischen Untersuchungen" ist er einer der Wegbereiter der „Philosophie der normalen Sprache" geworden. Der jüngste Zweig sprachwissenschaftlicher Philosophie, die „generative Grammatiktheorie" wird durch das Werk ihres Begründers, Noam Chomsky, zu Wort kommen. Der Lösungsversuch von Urban Forell, der stark auf Carnapschen Begriffen basiert, wird im philosophischen Bereich aufgeführt, weil dieser Teil der Arbeit speziell logisch philosophische Überlegungen enthält. Damit soll nicht bestritten werden, daß Forells Arbeit im ganzen ebenso der Theologie wie der Religionsphilosophie zugehört. Im theologischen Bereich wurde auf eine Zusammenfassung nach Gruppen verzichtet, da die Grenzen hier fließender sind, und die Charakterisierung der einzelnen Gruppen in sich schon nicht unerhebliche theologische Probleme aufwirft. Immerhin geht aus der Auswahl hervor, daß die sog. dialektische Theologie — vertreten durch Barth — ebenso wie die Kerygma-Theologie — vertreten durch R. Bultmann — zur Sprache kommen. Die Theologie E. Brunners wie die P. Tillichs haben dies gemeinsam, daß sie sich einer Einordnung in eine übergeordnete Gruppe widersetzen. Beide 11

können aufgrund der Bedeutung ihrer Theologie im allgemeinen und auch ihres Problembeitrages nicht übergangen werden. H. Gollwitzer wird als Vertreter derjenigen Theologen angeführt, die — von Barth herkommend — versuchen, gewisse Tendenzen des Barthschen Denkens audi in der gegenwärtigen theologischen und philosophischen Diskussion weiter zum Tragen zu bringen. H . Ott wurde nicht nur deswegen berücksichtigt, weil er Anstöße von Barth und von Bultmann in einer durchaus selbständigen Form aufnimmt und vereinigt, sondern vor allem, weil er über Bultmann und die meisten seiner Schüler hinausgehend, die Auseinandersetzung mit dem Denken des späteren Heidegger in seine Erwägungen auch zu unserem Thema miteinbezieht. Die Arbeit von H . j0rgensen wurde schließlich deswegen berücksichtigt, weil sie die einzige umfassende Monographie zu dem Subjekt-ObjektThema darstellt und weil die eigene Auseinandersetzung mit diesem Gesamtthema ohne die ständige Berücksichtigung der Ergebnisse dieser Arbeit nicht möglich war.

12

1. K A P I T E L : D I E Ü B E R W I N D U N G D E S O B J E K T - D E N K E N S ALS P R O B L E M GEGENWÄRTIGEN

SUBJEKTDER

PHILOSOPHIE

I. Die Behandlung des Problems in der Existenzphilosophie und Exis tenzialontologie A) Martin Heideggers Verwendung des Subjekt-Objekt-Schemas durch den Verzicht auf Begründung Martin Heidegger ist wohl kaum ohne Bezug auf die Probleme zu verstehen, die mit dem Denken F. Nietzsches aufgeworfen sind. Zu dieser Frage stellt H . G. Gadamer in seinem Buch „Wahrheit und Methode" fest: „Der wahre Vorbereiter der Heideggerschen Stellung der Seinsfrage und des Gegenzuges zu der Fragerichtung der abendländischen Metaphysik, den sie bedeutete, konnte daher weder Dilthey noch Husserl sein, sondern am ehesten nodi Nietzsche. Das mag Heidegger erst später bewußt geworden sein. Aber in der Rückschau läßt sich sagen: Nietzsches radikale Kritik am ,Piatonismus' auf die Höhe der von ihm kritisierten Tradition zu heben, der abendländischen Metaphysik auf ihrem eigenen Niveau zu begegnen, die transzendentale Fragestellung als eine Konsequenz des neuzeitlichen Subjektivismus zu erkennen und zu überwinden — das waren die Aufgaben, die dem Ansatz nach schon in ,Sein und Zeit' lagen. Was Heidegger schließlich ,die Kehre' nannte, war nicht eine neue Drehung in der Bewegung der transzendentalen Reflexion, sondern die Freisetzung und Durchführung eben dieser Aufgabe." 1 Das unbewältigte Grundproblem der Metaphysik ist aufs engste mit der Verhältnisbestimmung von Sein und Nichts verbunden. „Heidegger hat bekanntlich die wesenhafte Seinsvergessenheit, die das abendländische Denken seit der griechischen Metaphysik beherrscht, an der ontologischen Verlegenheit aufgedeckt, die das Problem des Nichts diesem Denken bereitet. Indem er die Frage nach dem Sein zugleich als die Frage nach dem Nichts aufwies, hat er Anfang und Ende der Metaphysik miteinander verknüpft. Daß sich die Frage nach dem Sein von der Frage nach dem Nichts her stellen konnte, setzte das Denken des Nichts, an dem die Metaphysik versagt, voraus." 2 1

H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 243 f.

2

Ebd. S. 243.

13

In diesem hier nur kurz skizzierten Gesamtzusammenhang sind auch die Äußerungen über das Subjekt-Objekt-Problem zu sehen. In „Sein und Zeit" fragt Heidegger selber: „Denn was ist selbstverständlicher, als daß sich ein ,Subjekt' auf ein ,Objekt' bezieht und umgekehrt? Diese ,Subjekt-Objekt-Beziehung' muß vorausgesetzt werden. Das bleibt aber eine — obzwar in ihrer Faktizität unantastbare — doch gerade deshalb recht verhängnisvolle Voraussetzung, wenn ihre ontologische Notwendigkeit und vor allem ihr ontologischer Sinn im Dunkel gelassen werden." 3 Heidegger sucht in „Sein und Zeit" dieses Dunkel zu lichten, indem er auf die konstitutive Bedeutung der Modi des In-der-Welt-Seins für das Welterkennen hinweist: „Das Erkennen schafft aber weder allererst ein ,commercium' des Subjekts mit einer Welt, noch entsteht dieses aus einer Einwirkung der Welt auf ein Subjekt. Erkennen ist ein im In-der-WeltSein fundierter Modus des Daseins. Daher verlangt das In-der-Welt-Sein als Grundverfassung eine vorgängige Interpretation." 4 Diese Interpretation geschieht so, daß das In-der-Welt-Sein seinerseits auf die Zeitlichkeit zurückgeführt wird: „Das ,Transzendenzproblem' kann nicht auf die Frage gebracht werden: Wie kommt ein Subjekt hinaus zu einem Objekt, wobei die Gesamtheit der Objekte mit der Idee der Welt identifiziert wird. Zu fragen ist: was ermöglicht es ontologisch, daß Seiendes innerweltlidi begegnen und als begegnendes objektiviert werden kann? Der Rückgang auf die ekstatisdihorizontal fundierte Transzendenz der Welt gibt die A n t w o r t . . . Durch die Rückführung des In-der-Welt-seins auf die ekstatisch horizontale Einheit der Zeitlichkeit ist die existenzial-ontologische Möglichkeit dieser Grundverfassung des Daseins verständlich gemacht." 5 Heidegger unterscheidet in „Sein und Zeit" die Ekstasen der Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart 6 . Hier aber gilt: „Die Zeitigung bedeutet kein ,Nacheinander' der Ekstasen. Die Zukunft ist nicht später als die Gewesenheit und diese nicht früher als die Gegenwart. Zeitlichkeit zeitigt sich als gewesende gegenwärtigende Zukunft." 7 Das Schema der Zukünftigkeit ist nach Heidegger das Um-willen seiner, das Schema der Gewesenheit das Wovor (der Geworfenheit), „das Schema der Gegenwart wird bestimmt durch das Umzu" 8 . Die Einheit der drei Ekstasen und der drei damit verbundenen Schemata, d. h. die Einheit dieser Bedeutsamkeiten als ontologische Verfassung der Welt gründet demnach „in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit... Mit dem faktischen Da-sein ist je im Horizont der Zukunft je ein Seinkönnen entworfen, im Horizont der Gewesenheit das ,Schon sein' erschlossen und im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt. Die horizontale Einheit der Schemata der Ekstasen ermöglicht den ursprünglichen Sein und Zeit, S. 59. » Vgl. ebd. S. 350.

3

14

4 7

Ebd. S. 62. Ebd. S. 350.

5 8

Ebd. S. 366. Ebd. S. 365.

Zusammenhang der Um-zu-Bezüge mit dem Um-willen. Darin liegt: auf dem Grunde der horizontalen Verfassung der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit gehört zum Seienden, das je sein D a ist, so etwas wie erschlossene Welt. . . . Sofern Dasein sich zeitigt, ist auch eine W e l t . . . Die Welt ist weder vorhanden noch zuhanden, sondern zeitigt sich in der Zeitlichkeit. Sie ,ist' mit dem Außer-sich der Exstasen ,da'. Wenn kein Dasein existiert, ist audi keine Welt ,da' " 9 . Mit Recht bemerkt Noller daher: „Die Zeit ist der innerste Grund des endlichen Seinsverständnisses. Sie ist die Wurzel der Fundamentalontologie und die Urstruktur für die Ontologie. Sein und Zeit gehören zusammen. So wird in ,Sein und Zeit' die Ontologie der Vorhandenheit und mit ihr das Subjekt-Objektschema erst durch die Zeitlichkeit, in der auch das Inder-Welt-sein gründet, ganz überwunden. In der Fundamentalontologie ist die Zeitlichkeit der tiefste Grund für die Uberwindung des Subjekt-Objektschemas, in der Ontologie überhaupt das Sein." 1 0 Von hier aus wird die für unser Thema wichtige Feststellung einsichtig: „Wenn das ,Subjekt' ontologisch als existierendes Dasein begriffen wird, dessen Sein in der Zeitlichkeit gründet, dann muß gesagt werden: Welt ist ,subjektiv'. Diese ,subjektive' Welt aber ist dann als zeitlich-transzendente ,objektiver' als jedes mögliche O b j e k t ' . " 1 1 D a s bisher Gesagte und Zitierte zusammenfassend kann wohl festgestellt werden: Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens geschieht in „Sein und Zeit" so, daß Heidegger zurückgeht auf das Dasein als In-derWelt-Sein und schließlich auf die Zeitlichkeit des Daseins, um von hier aus die Möglichkeit der Bildung des Subjekt-Objekt-Denkens verständlich zu machen. Damit ist die Frage nach der Grundintention Heideggers im Blick auf die Einordnung von „Sein und Zeit" in den Gesamt-Denkweg Heideggers noch nicht voll beantwortet. Bemerkenswert und hilfreidi zur Lösung dieser Frage ist der Vergleich, den H . G. Gadamer in dieser Hinsicht zwischen Heidegger und Husserl anstellt und in dem er zu dem Ergebnis kommt, daß hier das Eigene Heideggers als Abhebung auch von Husserl nicht voll faßbar ist. „ D a ß sich aller Sinn von Sein und Objektivität allein von der Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit des Daseins aus verständlich machen und ausweisen läßt — eine immerhin mögliche Formel für die Tendenz von ,Sein und Zeit' — hätte Husserl auch in seinem Sinne, d. h. vom Boden seiner absoluten Historizität des Ur-Ich aus, in Anspruch genommen." 1 2 D a s Neue der Fragestellung Heideggers audi gegenüber Husserl sieht G a damer darin, daß nicht „eine letztradikale Selbstbegründung der Philoso10 G. Noller, Sein und Existenz, S. 67 f. Ebd. S. 365. Heidegger, Sein und Zeit, S. 366. 12 H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 242.

9

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15

phie den Sinn dieser Fundamentalontologie ausmachte, sondern daß der Begründungsgedanke selbst eine völlige Umkehrung erfuhr . . . Was Sein heißt, sollte sich aus dem Horizont der Zeit bestimmen. Die Struktur der Zeitlichkeit erschien so als die ontologische Bestimmung der Subjektivität. Aber sie war mehr. Heideggers These war: Das Sein selber ist Zeit. Damit wurde der gesamte Subjektivismus der neueren Philosophie — ja, wie sich bald zeigen sollte, der gesamte Fragehorizont der Metaphysik, die von dem Sein als dem Anwesenden eingenommen ist, gesprengt. Daß es dem Dasein um sein Sein geht, daß es vor allem anderen Seienden durch Seinsverständnis ausgezeichnet ist, stellt nicht, wie es in ,Sein und Zeit' scheint, die letzte Basis dar, von der eine transzendentale Fragestellung auszugehen hat. Vielmehr ist von einem ganz anderen Grunde die Rede, der alles Seinsverständnis erst möglich macht, und das ist, daß es überhaupt ein ,da', eine Lichtung im Sein, d. h. die Differenz von Seiendem und Sein gibt" 13 . Immer deutlicher tritt diese Fragestellung im Verlauf des Denkweges M. Heideggers heraus. Besonders deutlich arbeitet Heidegger sie in der Schrift „Identität und Differenz" heraus. Das Wesen des metaphysischen Denkens erscheint hier als verknüpft mit einer spezifischen Art des Verständnisses des Grundes. „Die Sache des Denkens ist das Seiende als solches, d. h. das Sein. Dieses zeigt sich in der Wesensart des Grundes. Demgemäß wird die Sache des Denkens, das Sein als der Grund nur dann gründlich gedacht, wenn der Grund als der erste Grund πρώτη αρχή vorgestellt wird. Die ursprüngliche Sache des Denkens stellt sich als die Ur-Sache dar, als die Causa prima, die dem begründenden Rückgang auf die ultima ratio, die letzte Rechenschaft, entspricht. Das Sein des Seienden wird im Sinne des Grundes gründlich nur als causa sui vorgestellt." 14 Der Schritt, den Heidegger zurückgehen will, der die Überwindung des metaphysischen Denkens und auch die Uberwindung der Subjekt-ObjektSpaltung intendiert, ist aber als Weitergehen in dieser Richtung nicht möglich. Er wird erst möglich, wenn das Begründungsverfahren selbst als das entscheidende Hindernis erkannt und überwunden wird und statt dessen der Blick auf das Wesen der Differenz als Austrag freigelegt wird. „Sein heißt stets und überall: Sein des Seienden, bei welcher Wendung der Genitiv als genitivus objectivus zu denken ist. Seiendes heißt stets und überall: Seiendes des Seins, bei welcher Wendung der Genitiv als genitivus subjectivus zu denken ist. Wir sprechen allerdings mit Vorbehalten von einem Genitiv in der Richtung auf Objekt und Subjekt, denn diese Titel Subjekt und Objekt sind ihrerseits schon einer Prägung des Seins entsprungen. Klar ist nur, daß es sich beim Sein des Seienden und beim Seienden des Seins jedesmal um eine Differenz handelt." 15 „Durch den Schritt zurück lassen wir die Sache des Denkens, Sein als Differenz, in ein Gegenüber 13

16

Ebd. S. 243.

14

Identität und Differenz, S. 57.

15

Ebd. S. 59.

frei, welches Gegenüber durchaus gegenstandslos bleiben kann." 16 „Sein zeigt sich als die entbergende Oberkommnis. Seiendes als solches erscheint in der Weise der in der Unverborgenheit sich bergenden Ankunft. Sein im Sinne der entbergenden Überkommnis und Seiendes als solches im Sinne der sich bergenden Ankunft wesen als die so Unterschiedenen aus dem Selben, dem Unter-Schied." 17 Bei Heidegger kann das Sein nicht Objekt, Gegenstand werden, weil es sich immer als Sein des Seienden zeigt, weil die Differenz von beidem das letzte und erste ist, was sich unserer Besinnung zeigt. Wird das Sein objektiviert, so bedeutet das ein Verkennen der eigentlichen Struktur des Seins, es wird unangemessen dargestellt und verdeckt in diesen Objektivationen sein Wesen. Die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung geschieht bei Heidegger als Besinnung auf das Wesen des Seins als Austrag und Differenz. Daß diese Art der Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung auch theologische Folgen hat, wird zwar noch nicht in „Sein und Zeit", wohl aber in zunehmendem Maße in den späteren Werken deutlich18. Aus „Sein und Zeit" läßt sich direkt keine Antwort auf die Frage der Zuordnung Gottes zum Sein und damit zur Frage der Uberwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung geben, wohl aber aus einer Mitteilung Heideggers über den geplanten Aufbau des (dann aber nicht erschienenen) 3. Teils von „Sein und Zeit". Heidegger wollte hier folgendermaßen unterscheiden: a) Die „transzendentale" oder ontologische Differenz im engeren Sinne: Den Unterschied des Seienden von seiner Seiendheit. b) Die „transzendenzhafte" oder ontologische Differenz im weiteren Sinne: Den Unterschied des Seienden und seiner Seiendheit vom Sein selbst. c) Die „transzendente" oder theologische Differenz im strengen Sinn: Den Unterschied des Gottes vom Seienden, von der Seiendheit und vom Sein19. Wie Heidegger diesen Unterschied „des Gottes vom Seienden, von der Seiendheit und vom Sein" zu denken versucht hat, ist nicht bekannt. Wohl aber ist das Urteil zugänglich, das Heidegger später über diesen Gedankengang abgegeben hat. O. Pöggeler bemerkt zu diesem ganzen Vorgang: „Jedenfalls verfängt sich das Denken, das die Zeithafligkeit des Sinnes von Sein aufweisen will, in Begriffen wie Idee und αγαθόν, die einem Denken 16

Ebd. S. 61 f. " Ebd. S. 62. Im folgenden wird ein Abschnitt meines Aufsatzes: Martin Heideggers Auffassung von Gott, in: Kerygma und Dogma 1967, H. 3, S. 221 ff., aufgenommen. 19 Mitteilung Heideggers an Max Müller, wiedergegeben in dessen Arbeit: Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart, 2. Aufl. Heidelberg 1958, S. 73, zitiert nach: O. Pöggeler, der Denkweg Martin Heideggers, S. 159. 18

17 2

Rosenthal, Überwindung

entstammen, das die Zeithaftigkeit des Sinnes von Sein vergessen hat zugunsten der Voraussetzung, Sein sei stetes Anwesen und in diesem Sinne Grund. Das Denken von ,Sein und Zeit' kann sich in diesen Begriffen verfangen, weil auch es noch — als Fundamentalontologie — auf ein Gründen-Wollen aus ist. Weil dieses Gründen-Wollen die Zeithaftigkeit und Abgründigkeit der Wahrheit des Seins verstellt, hat Heidegger die Aufgliederung der Differenz und die Gründung der einen in der anderen, wie er sie im dritten Abschnitt von ,Sein und Zeit' durchführen wollte, als ,nicht erfahren, sondern nur spekulativ aufgestellt', als ,selbst noch ontotheologisch' wieder aufgegeben. Diese Aussage wagt nicht nur eine Aussage über Gott, ,die so eben in der Erfahrung des ,wesentlichen Denkens' nicht unmittelbar gemacht ist', sondern ,ihr ganzer Frageansatz ist schon verfehlt'." 2 0 Denn auch das Gründen-Wollen ist eine Art metaphysischen Denkens. Diese Einsicht ist sicher als einer der Faktoren zu beurteilen, die das NichtErscheinen der Fortsetzung von „Sein und Zeit" bewirkten. In der Folge hat Heidegger dann audi das Gottesverständnis im Zusammenhang der endgültigen Abwendung von einem metaphysischen und d. h. hier gründen-wollenden Denken neu durchdacht. Werfen die genannten Überlegungen ein gewisses Licht auf die Frage, ob und inwiefern die Ausführungen in „Sein und Zeit" theologisch übernommen werden können, indem sie die Begrifflichkeit für eine genaue Analyse der menschlichen Existenz liefern können? Worauf liegt der Schwerpunkt der Ausführungen in „Sein und Zeit" ? Folgen wir der Selbstinterpretation Heideggers, ist die Antwort eindeutig: Er weist in der Schrift „Vom Wesen des Grundes" darauf hin, „daß das bisher Veröffentlichte aus den Untersuchungen über ,Sein und Zeit' nichts anderes zur Aufgabe hat als einen konkret-enthüllenden Entwurf der Transzendenz" (vgl. §§ 12—83; bes. § 69). Dies wiederum geschieht zur Ermöglichung der einzig leitenden Absicht, die in der Überschrift des ganzen ersten Teils klar angezeigt ist, den „transzendentalen Horizont der Frage nach dem Sein" zu gewinnen. Alle konkreten Interpretationen, vor allem die der Zeit, sind allein in der Richtung auf die Ermöglichung der Seinsfrage auszuwerten. „Sie haben mit der modernen, dialektischen Theologie' so wenig zu tun wie mit der Scholastik des Mittelalters." 2 1 Der Schwerpunkt liegt also nach Heideggers Selbstinterpretation nicht auf der Ausarbeitung der Struktur des Daseins als solcher, sondern auf der Ermöglichung der Frage nach Transzendens und Sein. Gerade diese leitende Frage muß aber nach Heideggers neuer Erkenntnis umgedacht werden. Die Preisgabe des noch metaphysischen ursprünglichen Gesamtentwurfes dürfte nicht als Zeichen 20 21

18

O. Pöggeler S. 160, unter Verweis auf M a x Müller S. 74. Vom Wesen des Grundes, S. 39, Anm. 59.

der Freigabe eines „anthropologischen" Verständnisses zu werten sein 22 . Die Frage nach dem Sein und dem Wesen des Seins bleibt die leitende. Sie ist es, die ein Umdenken erfordert: Heidegger stellt dazu fest: „Die Krisis ließ sich nicht meistern durch ein bloßes Weiterdenken in der angesetzten Fragerichtung — sondern der vielfache Sprung in das Wesen des Seyns selbst mußte gewagt werden . . ," 2 3 Dieser „Sprung in das Wesen des Seyns" führt aber bei Heidegger auch zu einer neuen Durchdenkung der Gottesfrage. Sie wird befruchtet und beeinflußt durch die Begegnung mit der Dichtung Hölderlins. Wir beschränken uns auf die Gedanken der Schrift „Identität und Differenz", da hier in besonderer Klarheit die auch für Heidegger bestehende Notwendigkeit der Beziehung zwischen beiden Themen sichtbar wird. Hier gibt Heidegger auf die Frage: Wie kommt der Gott in die Philosophie? die Antwort: „Der Gott kommt in die Philosophie durch den Austrag." 2 4 Begründet wird diese Feststellung in den folgenden Sätzen: „Der Austrag ergibt und vergibt das Sein als her-vorbringenden Grund, welcher Grund selbst aus dem von ihm Begründeten her der ihm gemäßen Begründung, d. h. der Verursachung durch die ursprüngliche Sache bedarf. Dies ist die Ursache als die Causa sui. So lautet der sachgerechte Name für den Gott in der Philosophie." 25 Die Metaphysik ist eben weil und indem sie das „Seiende als solches im Ganzen, d. h. im Hinblick auf das Höchste, alles begründende Seiende" 26 denkt, Theo-Logik. Sie ist Theo-Logik genau so gleichrangig und notwendig, wie sie Onto-Logik ist, weil und indem sie „das Seiende im Hinblick auf seinen jedem Seienden als solchem gemeinsamen Grund" 2 7 denkt. Gott — so können wir den eingangs zitierten Satz Heideggers jetzt interpretieren — kommt durch den Austrag in die Philosophie, allerdings nur im Bereich eines Denkens, das wie das abendländisch metaphysische Denken 1. diesen Austrag ungedacht läßt und 2. selber das Gründen als Seiendes und als einer Begründung durch die höchste Ursache bedürftig versteht. Was aber geschieht mit dem Denken Gottes, wo diese beiden Grundvoraussetzungen abendländischen Denkens wie bei Heidegger selbst erkannt und überwunden werden? Heidegger gibt selber in aller Deutlichkeit die Antwort: „Wer die Theologie, sowohl diejenige des christlichen Glaubens als auch diejenige der Philosophie, aus gewachsener Herkunft erfahren hat, zieht es heute vor, im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen." 28 Aus der Verbindung des Denkens Gottes mit dem Wesen des metaphy2 2 O. Pöggeler (S. 179) spridit mit Recht von einem subjektivistisch-anthropologisdien Mißverständnis. 2 3 Beiträge zur Philosophie (unveröffentlicht), zitiert nach O. Pöggeler S. 180. 2 4 Identität und Differenz, S. 70. 2 5 Ebd. S. 70. 2 8 Ebd. S. 69. 2 7 Ebd. S. 69. 2 » Ebd. S. 51.

2*

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sisdien Denkens ergibt sich für Heidegger aber auch die Antwort auf die Frage, wie es im Verlauf der neuzeitlichen Geistesgeschichte möglich und wirklich wurde, daß aus dem zuhöchst Göttlichen das zuhöchst Menschliche wurde. W. Schulz faßt in seinem Buch: „Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik" die Antwort Heideggers sinngemäß so zusammen: Das zuhöchst Seiende wird in der gesamten Geschichte sowohl des metaphysischen Denkens (wie des christlichen Glaubens) zu einem Objekt und zwar gerade durch den Willen des Menschen, sich in diesem zuhöchst Seienden zu begründen. „Dieser Wille zum Sich-gründen ist nun nach Heidegger durchaus zweideutig. Einerseits ist er ein Sich-erheben über das vorliegend Gegebene, aber — und das ist das Zweite — in diesem Sich-erheben ist immer schon eingeschlossen ein In-den-Griff-bringen-wollen dessen, worin man sich gründet. Der Erweis für die innere Einheit beider Tendenzen ist die Geschichte der Metaphysik selbst. Diese Geschichte zeigt, daß der Mensch, indem er jeweilig ein zuhöchst Seiendes deklariert, an das er sich bindet, zugleich von dem Willen durchherrscht ist, diese Bindung und ihr Woran denkend zu begreifen. Und durch dieses Begreifenwollen wird diese Bindung als tragender Grund fraglich gemacht. . . . indem der Mensch die Bindung und ihr Woran begreiflich zu machen sucht, entwertet er beides und begreift sich selbst als der Täter in diesem seinem Tun. Und das heißt: dieser die Bindung begreifende Mensch etabliert sich am Ende selbst als derjenige, der Bindung stiftend und begründend das zuhöchst Seiende ist." 2 9 Die Uberwindung dieser Tendenz zum Sich-Gründen-Wollen und damit zur Objektivierung geschieht weder in der neuzeitlichen Metaphysik seit Descartes noch im Nihilismus — obwohl beide — nicht nur der Nihilismus! — Gott im Sinn des christlichen Glaubens letztlich negieren. In beiden Denkrichtungen wird vielmehr in fortschreitendem Maße deutlich, daß die gesamte neuzeitliche Philosophie durchwaltet ist „von dem unheimlichen Willen des Denkens, der vor nichts von allem Seienden haltmacht, und der nicht eher zur Ruhe kommt, als bis er nichts mehr hat, was er befreiend sich aneignen, in sich einbeziehen und auf sich selbst begründen kann" 3 0 . Die Subjekt-Objekt-Spaltung wird nach Heidegger erst dort überwunden, wo der Mensch die Tendenz des Sich-Begründen-Wollens angesichts der Erfahrung des Nichts, vor das ihn dieses Wollen notwendig führt, als sinnlos aufgibt. „Das Nichts ist das Sein selbst, dessen Wahrheit der Mensch dann übereignet wird, wenn er sich selbst als Subjekt überwunden hat und das heißt, wenn er das Seiende nicht mehr als Objekt vorstellt." 3 1 Die Uberwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung geschieht in der Begegnung 28 30 81

20

Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, S. 50 f. Ebd. S. 51. Holzwege, S. 104 (Hinweis v. W. Schulz ebd. S. 51).

mit dem Nichts, aber nur dann, wenn der Mensch das Griinden-Wollen überwindet und dann das Nichts als das ihn unbegreifliche tragende Sein selbst erfährt. Diese Art der Begegnung mit dem Nichts als Sein erfordert aber in der Sicht Heideggers notwendig und nicht nur nebenbei das »Freiwerden von den Götzen, die jeder hat und zu denen er sich wegzuschleichen pflegt" 32 — notwendig deshalb, weil das Dasein sich in der Erfahrung des Nichts „weder an einen Gott, noch an sich selbst halten" kann 33 . Was ist die angemessene Haltung des Menschen nach Heidegger? Man wird zunächst sagen dürfen, daß er den direkten Bezug aufgibt zum Sein. Positiv: daß der Mensch das Schweigen und das Fragen als die angemessene Haltung für uns Menschen ansieht, die wir „für die Götter zu spät und zu früh für das Seyn" kommen 34 . Denn „die Sage des Denkens wäre erst dadurch in ihr Wesen beruhigt, daß sie unvermögend würde, jenes zu sagen, was ungesprochen bleiben muß" 35 . Und zum anderen: „Zu bedenken bleibt, ob der Gott göttlicher ist in der Frage nach ihm oder dann, wenn er gewiß ist und als gewisser je nach Bedarf gleichsam auf die Seite gestellt werden kann, um nach Bedarf herbeigeholt zu werden. Der Gott ,nur' eine Frage — wie steht es mit diesem ,nur'? 36 Gerade der letzte Satz kann vielleicht zur Klärung der Frage beitragen, wie jener bekannte Satz aus dem Buch „Identität und Differenz" zu verstehen ist: „Demgemäß ist das gott-lose Denken, das den Gott der Philosophie, den Gott als Causa sui preisgeben muß, dem göttlichen Gott vielleicht näher. Dies sagt hier nur: Es ist freier für ihn, als es die Onto-Theo-Logik wahrhaben möchte."37 Geht es Heidegger darum, den Menschen wieder vor einen Gott zu führen, vor dem man vor Scheu in die Kniee fallen oder auch musizieren und tanzen kann? Aus den Ausführungen über das rechte Verhalten der Menschen (in den „Reden und Aufsätzen") kann man doch wohl dies nicht als die entscheidenden Verhaltensweisen des Menschen entnehmen. Nach Heidegger können die Menschen, die für die Götter zu spät und das Sein zu früh sind, dieses tun: sie können fragen und schweigen, sie können als „Sterbliche wohnen"; „Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen erwarten. Hoffend halten sie ihnen das Unverhoffte entgegen. Sie warten der Winke ihrer Ankunft und verkennen nicht die Zeichen ihres Fehls. Sie machen sich nicht ihre Götter und betreiben nicht den Dienst an Götzen. Im Unheil noch warten sie des entzogenen Heils" 38 . Das erwartete Heil ist nicht das christlich verstandene Heil, sondern das Ereignis, daß das Geviert von Erde und Himmel, Göttlichen und Sterblichen sich ereignet. 32 33 34 35 37

Was ist Metaphysik, S. 38. W. Schulz, Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, S. 47. Aus der Erfahrung des Denkens, Pfullingen 1954, S. 7. 56 Ebd. S. 21. Nietzsche I, S. 324. 38 Identität und Differenz, S. 71. Vorträge und Aufsätze, S. 151.

21

Wie aber soll die Grundtendenz und Richtung eines Denkens charakterisiert werden, das sich in solchen Begriffen nicht vorübergehend, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg ausspricht? Auf die Frage Heinrich Otts, ob Heidegger eine Bewegung seines Denkens in Richtung auf die eigentliche, die echte Theologie vollziehe39, wird man dodh wohl im Gegensatz zu Ott mit Nein antworten müssen. W. Bröcker dürfte hier im Blick auf das Gottesverständnis Heideggers in die richtige Richtung weisen, wenn er feststellt: „Auf die Frage, was die Welt ist, antwortet Heidegger: ,Die Welt ist das Geviert von Himmel und Erde, Göttlichen und Sterblichen'. Diese Antwort, die Heidegger inzwischen keineswegs hinter sich gelassen hat, sondern noch in seiner neuesten Veröffentlichung 40 als die fortgeschrittenste seines Denkens in Anspruch nimmt, ist nun aber ganz offenkundig eine Antwort in mythischer Rede. Nicht nur die Göttlichen, welche er die ,winkenden Boten der Gottheit* nennt, sind mythische Wesen, nämlich άγγελοι, Engel, sondern auch Himmel und Erde sind hier mythische Götter, was dadurch bewiesen wird, daß er ζ. B. von ihnen sagt: ,1m Wesen der Quelle weilt die Hochzeit von Himmel und Erde/ " 4 1 „Nur in dieser mythischen Welt gibt es Dinge im eigentlichen Sinne, nur hier ist das wahre In-der-Welt-sein, nämlich das das Geviert schonende Wohnen, und hier ist der Mensch nicht das psychologische, transzendentale oder absolute Subjekt, sondern der Sterbliche, und verdient den Namen, mit dem der griechische Mythos den Menschen in der Entgegensetzung gegen die unsterblichen Götter bezeichnet."42 „Der mythische Dichter, dem er hier nachspricht, ist Hölderlin, und es ist gerade Hölderlin, weil für ihn, und nur für ihn, die längst versunkene mythische Welt zugleich eine solche ist, die wiederkommen soll, ja deren Wiederkunft schon begonnen hat." 43 Der Unterschied zu Hölderlin besteht nicht nur darin, daß Heidegger letztlich kein Dichter, sondern ein Denker ist und darum hier Anleihen machen muß bei der mythischen Rede, sondern audi in der tieferen Fragwürdigkeit und der tieferen Empfindung des Noch-Nicht-Erschienen-Seins dieser mythischen Welt inmitten einer von der Seins-Vergessenheit gezeichneten Welt. „Wenn der Dichter Hölderlin das Wiederkommen der untergegangenen mythischen Welt verkündet, so wagt er solche Wahrsagung darum, weil diese Wiederkunft für ihn selbst schon begonnen hat. Heidegger aber hat bisher nicht vermocht, die Notwendigkeit einsichtig zu machen, die für das Sein besteht, die aus ihm selbst kommende Vergessenheit eines Tages umzukehren." 44 Fragen wir zusammenfassend nach der theologischen Relevanz dieses Denkens, so können wir sagen: 39 40 41 42

22

Heinrich Ott, Denken und Sein, Zürich 1959, S. 149. Identität und Differenz. W. Bröcker, Dialektik, Positivismus, Mythologie, S. 87 f. 43 Ebd. S. 106 f. Ebd. S. 107.

44

Ebd. S. 112 f.

1. Gott soll bei Heidegger nicht Gegenstand des Erkennens werden. Aber bei Heidegger wird das Ganze des Gottesbegriffes des metaphysischen Denkens wie auch, worauf hier nicht eingegangen werden kann, unter anderen Aspekten der Gottesbegriff des christlichen Glaubens, insofern in neuer und radikaler Weise problematisiert, als dieser Gottesbegriff mit der Tendenz des Sich-Gründen-Wollens, die sich in der Objektivierung ausspricht, zusammengehört. 2. Gott schenkt sich nicht durch Chiffre und Symbol der Existenz zur Erhellung. Der Mensch tritt vielmehr, indem er von Gott schweigt und sich des Gründenwollens enthält vor das Nichts und erfährt dieses dann — vielleicht — als das Sein. 3. Bei Heidegger gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen der Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung und der Auffassung von Gott. Die Beurteilung dieser philosophischen Uberwindung des Subjekt-ObjektSchemas als einer von der Theologie her gesehen neutralen Denkbewegung erscheint als äußerst problematisch.

Exkurs:

Die Darstellung Jorgensen

der Philosophie

Heideggers

bei Noller

und

Es soll hier kein ausführliches Referat der Darstellung der Philosophie Heideggers und seines Beitrages zum Problem der Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens durch G. Noller und P. H. Jorgensen gegeben werden. Vielmehr sollen nur einige Gesichtspunkte der beiden Interpretationen hervorgehoben werden. A. Die Darstellung Nollers in seinem Buch: „Sein und Existenz. Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Schemas in der Philosophie Heideggers und in der Theologie der Entmythologisierung." 1. Noller sieht im Bereich von „Sein und Zeit" (wie die vorangegangene eigene kurze Darstellung) den für die Überwindung des Subjekt-ObjektDenkens konstitutiven Begriff im Dasein. Die Überwindung des SubjektObjekt-Denkens geschieht durch das Dasein als In-der-Welt-Sein 45 und letztlich durch die Zeitlichkeit des Daseins 46 . „Die existenziale Grundstruktur ist die ursprüngliche Zeitlichkeit. In ihr gründen die übrigen Strukturen. Sie umfaßt jegliches, was ist. Nicht ein vorhandenes Subjekt und ein vorhandenes Objekt oder auch ein vorhandenes Subjekt und ein anderes Subjekt, zwischen denen Beziehungen hergestellt werden, sind Voraussetzung für das Denken, sondern die vor ihnen liegenden Seinsstrukturen, die das ,Ichsubjekt' und das ,Weltobjekt' umfassen. Nur wenn die Zeit45

Noller, Sein und Existenz, S. 47 ff.

« Ebd. S. 61 ff.

23

lichkeit in diesem Sinn gesehen wird, kann von einer Uberwindung des Subjekt-Objekt-Schemas gesprochen werden." 47 2. Noller untersucht die metaphysischen Grundstellungen, die nach Heidegger für die Antike, für das Mittelalter und die Neuzeit charakteristisch sind. Im Blick auf die antike Grundstellung hebt Noller mit Recht die Nähe zu Heideggers Denken hervor. „Die Nähe dieser metaphysischen Grundstellung der Antike zu Heideggers Seinsdenken ist offensichtlich. Heidegger legt den Welt- und Naturbegriff der vorsokratischen Denker auf das Sein hin aus." 48 „Trotz dieser Vorbehalte ist Heideggers Seinsdenken dem frühen griechischen Denken am nächsten v e r w a n d t . . . Mindestens ist diese Verwandtschaft mit dem frühen griechischen Denken größer als die von der Theologie immer wieder behauptete mit dem christlichen neutestamentlichen Denken." 4 9 Die metaphysische Grundstellung des neuzeitlichen Denkens ist durch das Vorstellen geprägt. Heideggers Gegenbegriff ist das Anwesen des Seins. „Nur aus dieser Gegensätzlichkeit kann verstanden werden, wie die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Schemas gemeint ist. Sie bedeutet nicht, daß das Gegenüber als Seiendes verloren geht oder in das Subjekt aufgelöst wird, sondern sie meint eine andere Art und Weise des Verstehens und Auffassens." 50 Kritisch sei zu Nollers Darstellung festgestellt: 1. Es könnte schärfer auch in der Darstellung zwischen „Sein und Zeit" und der späteren Entwicklung Heideggers unterschieden werden. 2. Die Distanz zwischen Heidegger und der christlichen Theologie wird mit Recht herausgestellt. Diese Distanz wird aber nicht im Blick auf das Thema des Subjekt-Objekt-Denkens an der Bedeutung aufgewiesen, die bei der Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens beim späteren Heidegger der Verzicht auf das Sich-Gründenwollen spielt. 3. Es könnte stärker die Frage berücksichtigt werden, welchen Gesamtcharakter das Denken des späteren Heideggers trägt, ob es etwa mythisch oder mystisch geprägt ist. B. Die Darstellung ]0rgensens in seinem Buch: Die Bedeutung des SubjektObjekt-Verhältnisses für die Theologie 1. Zu Martin Heideggers Objekt-Denkens

Darstellung

der Naturgeschichte des

Subjekt-

Jürgensen sieht es als Verdienst Heideggers an, den ontologischen Zusammenhang des Subjekt-Objekt-Denkens aufgedeckt zu haben. Die Entwicklung der Metaphysik ist nach Heidegger die Entwicklung und Natur47

24

Ebd. S. 76.

48

Ebd. S. 78.

49

Ebd. S. 79.

50

Ebd. S. 82.

geschichte des Subjekt-Objekt-Verhältnisses selbst51. Das Hauptmotiv Heideggers zum Verständnis des Subjekt-Objekt-Denkens ist nach Jorgensens im Begriff der Aktion und Aktivität beschlossen. „Das Subjekt-Objekt-Verhältnis steht immer für Aktion, Aktivität." 5 2 Jorgensen verweist in diesem Zusammenhang auf den Tatbestand, daß das Subjekt-ObjektVerhältnis bei Heidegger immer durch substantivierte Aktivverben wie Wirken, Setzen, Stellen verdeutlicht wird 53 . „Das Subjekt-Objekt-Verhältnis ist als Aktion Aktivität und in seiner äußersten und höchsten Potenz als extrem aggressive Aktivität bestimmt, Ν . B. vom Sein des Menschen. Alle Vorstellungserkenntnis ist ,Vermenschlichung' oder ,Vermenschung' wie audi Heidegger sagt." 54 „Hier wird wieder deutlich, daß bei Heidegger das Grundmotiv zu seinem Verständnis des Subjekt-Objekt-Verhältnisses die anthropozentrische aggressive Aktivität gegenüber dem Seienden ist. Als ein Heideggersches Synonym für Subjekt-Objekt: kann Aufstand-Gegenstand stehen. Der Mensch steht auf im Aufruhr, in Aggression gegen das Seiende, um es zu zwingen; was geschieht, wenn es dazu gebracht worden ist, im ,Vorstellen'" sicher als ,Gegenstand' zu stehen." 55 Im Gegensatz dazu will Heidegger den Menschen als Da-Sein verstehen, der leidend und passiv das Anwesen des Seins erfährt 56 . 2. Die Charakteristik Heideggers als Denker der Unmittelbarkeit, tätiker, Mystiker und Religionsstifter

Identi-

Jorgensen stellt an H a n d zahlreicher Zitate die Grundstimmung der Unmittelbarkeit, Einfachheit und Reinheit des Denkens bei Heidegger heraus 57 . Sein Denken geschieht nicht im Gegenüber von Subjekt und Objekt sondern in der Kategorie der Identität. „Heidegger ist Identitätiker." „Der Sprung in die Identität hinein geschieht dadurch, daß man von der allgemeinen Vorstellung vom Menschen als animal rationale, das sich als Subjekt gegenüber Objekten konstituiert, den Absprung nimmt." 5 8 Mit Recht betont Heidegger gerade hier den Abstand zum Idi-Du-Verhältnis der Existenzphilosophie, das nach Heidegger nur als Abart des Subjekt-Objekt-Verhältnisses verstanden werden kann 59 . Heideggers Denken wird zum Schweigen, die Logik zur Sigetik 60 . Sigetik ist aber nach Jorgensen ein wichtiges Kennzeichen der Mystik, genauer der Gedankenmystik 61 . Zur Charakteristik Heideggers als Mystiker paßt nach Jorgensen auch die Tatsache, daß Heidegger weder eine 51 52 ss 58

Die Bedeutung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses für die Theologie, S. 25. 5S 54 Ebd. S. 40. Ebd. S. 41. Ebd. S. 42. 58 57 Ebd. S. 44. Ebd. S. 41. Ebd. S. 201. 59 Ebd. Ebd. S. 202. «· Ebd. « Ebd.

25

Philosophie der Geschichte noch der Ethik entwickelt hat 62 . Heideggers Mystik ist allerdings nicht christlicher sondern heidnischer Art 63 . Darüber hinaus spricht Jorgensen von Heidegger als neuem philosophischen Religionsstifter64. Sein religiöses Denken ist durch eine besondere Art des Pantheismus gekennzeichnet, die Jorgensen als Panenontismus („alles Seiende ist im Sein, aber Sein ist auch etwas darüber hinaus") 65 und als Theoenpanismus („Gott ist in allem, aber das All ist mehr als Gott") 66 bezeichnet. Dieser Pantheismus ist durch ein Emanationsschema besonderer Prägung bestimmt, „Die Welt wird nicht aus Gott, sondern Gott aus der Welt e m a n i e r t . . . Welt emaniert sich selbst als Gott-Welt" 67 . Jorgensen nimmt hier bei Heidegger gewisse gnostische Züge wahr, da der Weltgott völlig gnostisch aus der Gotteswelt abgeleitet wird 68 . Charakteristisch für die Deutung Jorgensens ist die Betonung des Unterschieds zwischen Heidegger und der Theologie und die Bestimmung dieses Unterschiedes als Konflikt. Heidegger erscheint als der konsequenteste Uberwinder des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und gerade als solcher als Mystiker und Pantheist 69 . Zu dieser Deutung Heideggers sei hier nur folgendes bemerkt: 1. Der Schwerpunkt dieser Deutung liegt auf dem späteren Heidegger. Das komplizierte Verhältnis von frühem und spätem Denken Heideggers wird in dieser Deutung nicht in aller Deutlichkeit sichtbar. 2. Die Deutung Heideggers als Identitätiker, Mystiker und pantheistisdier Religionsstifter ist unterschiedlich zu bewerten: Die erste und die zweite Deutung dürften diskutabel sein, die dritte Deutung dagegen schießt weit über das Ziel hinaus. Heidegger selber weist — etwa in dem Buch: „Identität und Differenz" — auf den Unterschied als auf das Erste hin. Schon dieser Hinweis zeigt, daß es schwierig ist, vorgeprägte Begriffe zur Charakterisierung Heideggers anzuwenden. Die eigene, unabhängig von Jorgensen entwickelte Deutung neigt nicht so sehr dazu, den späteren Heidegger als Mystiker, sondern im Anschluß an W. Brocker eher dazu, ihn als mythischen Denker zu verstehen. Vielleicht ist hier aber eine Entscheidung auch kaum möglich, weil Heideggers späteres Denken sich seinem Wesen nach gegen jede herkömmliche Klassifizierung sträubt und auch nicht einer beträchtlichen Ambinvalenz entbehrt. Der Unterschied von mythischer oder mystischer Prädikatisierung des Denkens Heideggers braucht aber nicht als sehr gravierend empfunden werden, wenn man etwa daran denkt, daß Jonas in seinem Gnosis-Werk die Mystik als Transformation mythischen Denkens versteht. Entscheidend ist vielmehr, — und darin stimmt die eigene Darstellung mit derjenigen von Jorgensen überein — daß die Distanz Heideggers zu «2 Ebd. S. 204. ββ Ebd.

26

«3 Ebd. Ebd. S. 207.

e7

64 68

Ebd. Ebd. S. 208.

65 ββ

Ebd. S. 206. Ebd.

der sich auf Heidegger berufenden gegenwärtigen Theologie deutlich gesehen und in ihrem Konfliktcharakter angesprochen wird. Die Kennzeichnung Heideggers als Religionsstifter dürfte sicher weit über das Ziel hinausgehen. Daß bei Heidegger in zunehmendem Maße religiöse Tendenzen sichtbar werden, ist unbezweifelbar. Man kann vielleicht sagen, daß Heidegger der Haltung von modernen Menschen Ausdruck verleiht, die nicht mehr christlich, wohl aber noch allgemein religiös empfinden70. 3. Die Anziehungskraft, die Heidegger auf die moderne Theologie ausübt, dürfte aber nicht aus diesem religiösen Charakter des Denkens des späteren Heidegger zu erklären sein, da (mit Ausnahme von Ott) der spätere Heidegger von der modernen Theologie ja gerade kritisiert und abgelehnt wird. Daß die Distanz zu Heidegger in diesem Bereich der evangelischen Theologie nur so merkwürdig zögernd erkannt wird, mag vielleicht im Sinne Löwiths mit dem Fortleben abgeschwächter christlicher Tradition auch bei Heidegger, besonders etwa im Blick auf das Weltverständnis zusammenhängen. Aber auch diese Erklärung befriedigt nicht recht, da es nach Bultmanns Zeugnis ja gerade die theologische Neutralität der Aussagen von „Sein und Zeit" ist, die diese Philosophie für die theologische Inanspruchnahme als geeignet erscheinen läßt. Man wird diese verwickelte Frage vielleicht am ehesten einer Lösung näher bringen, wenn es erlaubt ist, von einer tiefen Mehrdeutigkeit des Denkens Heideggers zu sprechen. Ohne die Annahme einer tiefen Mehrdeutigkeit läßt sich weder das so unterschiedliche Urteil über „Sein und Zeit" (Bultmann meint, es sei theologisch neutral, Schulz, es sei gott-los 71 ) nodi die verschiedene Beurteilung des späteren Heidegger (nach Ott ist Heidegger auf dem Weg zu einem tieferen Erfassen des Christentums, nach Jergensen offenbart er sich hier als phantheistischer Mystiker und Religionsstifter, nach Bröcker kehrt Heidegger zur vorsokratischen Mythologie zurück) noch audi das unterschiedliche Urteil über die Kehre im Denken Heideggers (Löwith weist stärker auf die innere Distanz und Diskontinuität72 Schulz auf die innere Folgerichtigkeit dieser Wendung hin) befriedigend erklären. B) Karl Jaspers' Tendenz zur Transzendierung des Schemas durch Erhellung der Existenz und des

Subjekt-ObjektUmgreifenden

Im Anschluß an H. Knittermeyer stellt H.-R. Müller-Schwefe in seinem Buch „Existenzphilosophie" die Frage, „warum Jaspers so stark im Sub70 71 72

Vgl. dazu K . Löwith, Heidegger. Denker in dürftiger Zeit, S. 111. W . Schulz, Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, S. 44. Löwith, Heidegger, passim.

27

jekt-Objekt-Denken befangen bleibt" 1 . Ist diese Feststellung, gemessen an der Intention des Denkens von K. Jaspers, berechtigt? In dem Buch „Der philosophische Glaube" spricht Jaspers ganz klar davon, daß dies der Inhalt der philosophischen Grundoperation, nämlich der Vergewisserung des Umgreifenden, sei, „in dem Gefängnis unseres in Subjekt-Objekt-Spaltung erscheinenden Seins dies Gefängnis zu durchbrechen, ohne wirklich in den Raum außerhalb eintreten zu können" 2 . Der philosophische Glaube, oder genauer die philosophische Grundoperation dieses Glaubens besteht also darin, das Umgreifende zu erhellen. Dies aber ist weder „nur Objekt noch nur Subjekt" 3 . „Das Umgreifende, das ich bin, ist in jeder Gestalt eine Polarität von Subjekt und Objekt: Ich bin als Dasein: Inweit und Umwelt, als Bewußtsein überhaupt: Bewußtsein und Gegenstand, als Geist: Die Idee in mir und die aus den Dingen entgegenkommende objektive Idee, als Existenz: Existenz und Transzendenz." 4 Das Umgreifende ist in sich differenziert, es ist das Sein an sich und das Sein, das wir sind. Beide Arten des Seins umgreifen einander gegenseitig: „Das Umgreifende, das ich bin, umgreift gleichsam das Umgreifende, das das Sein selber ist, und wird zugleich von diesem umgriffen." 5 Das Ziel der philosophischen Grundoperation kann also wohl die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung, nicht aber die Aufhebung der Differenzierung des Umgreifenden sein. Oder anders ausgedrückt: Als Ziel im Sinne Jaspers kann angegeben werden das Gegenwärtigwerden in den Polaritäten Subjekt-Objekt, nicht aber die Aufhebung dieser Polaritäten zugunsten einer Erfassung des Seins jenseits der Weisen des Umgreifenden. Die Kritik von Müller-Schwefe an Jaspers ist also selber nur dialektisch zu beurteilen: Einerseits entspricht sie nicht der Grundtendenz des Denkens von K. Jaspers, die die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung impliziert, andererseits ist sie insofern berechtigt, als die Uberwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung uns auch in der Berührung mit dem Umgreifenden nicht über die Differenziertheit dieses Umgreifenden hinausführt und uns damit — nach dem eigenen Urteil von K. Jaspers — nicht in den Raum außerhalb dieser Spaltung führt. Die Tendenz und das innere Pathos des Denkens von K. Jaspers ist auf die Bewegung der transzendierenden Überwindung der Subjekt-ObjektSpaltung ausgerichtet. Aber jede transzendierende Bewegung ist auf den zugrundeliegenden Horizont, d. h. auf das hin zu befragen, was in der Bewegung transzendiert werden soll. Das jeweilige Verständnis der transzendierenden Bewegung und der intendierten Transzendenz ist nicht einfach vorauszusetzen, sondern in Relation zu dem Horizont zu setzen und zu bestimmen, der transzendiert werden soll. 1

Existenzphilosophie, S. 48. * Ebd. S. 17.

28

2 4

Ebd. S. 20.

Der philosophische Glaube, S. 22. 5 Ebd. S. 20.

In diesem Zusammenhang muß aber auch auf den Unterschied von transzendentem und transzendentalem Denken hingewiesen werden. Wir folgen hierbei zunächst der Definition, die K. Jaspers in seinem Werk: Die großen Philosophen I im Blick auf Immanuel Kant gibt: „Die alte dogmatische Metaphysik transzendierte denkend im Gegenständlichen zu einem übersinnlichen Gegenstand des Seins an sich oder Gottes. Kant transzendiert über das gegenständliche Denken gleichsam rückwärts zur Bedingung aller Gegenständlichkeit. An die Stelle der metaphysischen Erkenntnis einer anderen Welt tritt die Ursprungserkenntnis unseres Erkennens. Das eine Mal geht der Weg in den Ursprung aller Dinge, das andere Mal in den Ursrung der Subjekt-Objekt-Spaltung der Erscheinung. Der Abschluß ist nicht ein gewußter Gegenstand (wie in der alten Metaphysik), sondern ein Grenzbewußtsein unseres wissenden Daseins." 6 Es ist deutlich, daß Jaspers selber die Bewegung des Transzendierens nicht im Sinne der dogmatischen Metaphysik, sondern im Sinne Kants vollzieht. Er vollzieht diese Denkbewegung freilich in tieferer Erkenntnis der Problematik dieser Denkbewegung. „Die Grundschwierigkeit ist: Kant will die Bedingungen aller Gegenständlichkeit zeigen, kann es aber nur im gegenständlichen Denken selber, daher in Gegenständen, die selber nicht Gegenstände sein dürfen. Er will das Subjekt-Objekt-Verhältnis, in dem wir denkend stehen, begreifen, als ob wir außerhalb stehen könnten, während wir immer darin bleiben . . . Er will mit der transzendentalen Methode transzendieren in Formen des Darinbleibens. Er denkt über das Denken, aber kann es nicht von einem Außerhalb des Denkens her, sondern nur, indem er schon denkt." 7 Die Grundoperation der Vergewisserung des Umgreifenden kann als der aus vertieftem Verständnis der Existenz hervorgebrachte, reflektierte Neuvollzug der transzendierenden Denkbewegung der Vernunft verstanden werden — einer Denkbewegung, die sich im Horizont der durch I. Kant inaugurierten Fragestellung der Uberwindung der Subjekt-ObjektSpaltung vollzieht. Welche Relevanz hat diese so verstandene Denkbewegung für das Verständnis Gottes? 1. Gott kann im philosophischen Glauben nicht Gegenstand der Erkenntnis und der Anbetung werden, da er sich als das in sich dialektisch differenzierte Umgreifende jeder Objektivierung entzieht 8 . Es gibt hier nur die „Schwebe der philosophischen Kontemplation" 9 . 2. Gott als das Sein, die Transzendenz kann in indirekter Weise durch die Kunst des Chiffrelesens erhellt werden. Während er sich als Gegen7 Ebd. S. 439. 0 Die großen Philosophen I, S. 439. 8 Vgl. Der philosophische Glaube, S. 30, zur Frage der Erhellung der Transzendenz durch die Leiter aller Weisen des Umgreifenden. 9 Vgl. ebd. S. 72 f.

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stand entzieht, kann er durch Chiffre und Symbol der Existenz zur Erhellung geschenkt werden 10 . In einem solchen Akt der Erhellung des Umgreifenden geschieht dies, daß die unvermeidliche Objektivierung des Umgreifenden, die für einen Augenblick geschieht, wenn wir von ihm sprechen und es denken, rückgängig gemacht wird 11 . 3. Die biblische Gotteslehre wird von hier aus in verschiedener Hinsicht kritisiert. Bei der immanenten Kritik von der Bibel her legt Jaspers Wert auf den Kampf der Propheten gegen die Baale für den Monotheismus, auf den Kampf gegen die Bildhaftigkeit Gottes, wie er im 1. Gebot konzentriert sichtbar wird. An die Propheten und ihre Art der Gottesverkündigung aber wird vom philosophischen Glauben aus die Frage gerichtet, „ob den Propheten ihre für uns heute noch hinreißende, unvergleichliche Glaubensgewißheit in dieser Form nur möglich war, weil sie noch philosophisch unbefangen vor allem Philosophieren gedanklich naiv lebten und daher nicht merkten, daß in dem unmittelbar von Gott für alle gesprochenen ,Wort' noch ein Rest der Leibhaftigkeit der Realität — von jenem Bildnis und Gleichnis blieb, die sie noch im Grundsatz bekämpften" 12 . 4. In der Grundoperation der Vergewisserung des Umgreifenden gründet letztlich audi der Protest von K. Jaspers gegen jeden Absolutheitsanspruch — auch gegen denjenigen der biblisch-christlichen Offenbarung. Die Richtigkeit einer Aussage oder Lehre, die wie diejenige im Bereich der Wissenschaften Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, ist zwar „objektiv zwingend", dafür aber „existentiell gleichgültig"13. Das Unbedingte dagegen kann nicht in einer Weise vergewissert werden, die Anspruch auf Allgemeinheit erhebt. „Das Unbedingte ist nicht allgemein, sondern ist geschichtlich in der undurchdringlichen, sich hell werdenden Lebendigkeit gegenwärtigen Tuns." 14 „Was geschichtlich, was existentiell wahr ist, ist zwar unbedingt, aber in seinem Ausgesagtsein und seiner Erscheinung darum nicht Wahrheit für alle." 15 Zusammenfassend kann gesagt werden: Bei Jaspers wird der Zusammenhang zwischen der Denkbewegung der transzendierenden Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung und der Gestaltung der Gottesvorstellung im philosophischen Glauben einschließlich der damit gegebenen Kritik am biblisch-christlichen Gotteszeugnis deutlich sichtbar.

C) Die Position von Gabriel Marcel: Überwindung der Tendenz zur Objektivierung durch Engagement „Sein und Haben" ist der Titel eines Hauptwerkes von Marcel. Der Wesensbestimmung von Sein und Haben hat Marcel seine ganze denke10 11 15

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Vgl. dazu Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 4. und 5. Teil. 1 8 Der philosophische Glaube, S. 71. Vgl. ebd. S. 124. 14 Ebd. S. 78. 1 5 Ebd. S. 79. Ebd. S. 79.

rische Kraft zugewandt. Er lenkt damit den Blick auf die Bezüge und Relationen, in die der Mensch durch seine Existenz hineingestellt ist und von denen Marcel nicht gewillt ist, zu abstrahieren. Es liegt nahe, auch bei der Behandlung unseres Themas von dieser für Marcel grundlegenden Unterscheidung auszugehen. Überall, wo etwas gehabt wird, steht ein Habender einem Gehabten, ein Subjekt einem Objekt gegenüber. Für Marcel ist dieses Verhältnis allerdings kein statisches sondern ein dynamisches, keine unabwendbare Notwendigkeit, sondern eine Anfrage und ein Auftrag. Der Mensch ist vor die Frage gestellt, ob er durch verschiedene Stufen der Aneignung das Gehabte verinnerlichen und aus dem Bereich des bloßen Habens herausführen will oder ob er sich durch das Gehabte entfremden lassen will, das Gehabte zum festen äußeren Besitz erstarren lassen will und dabei Gefahr laufen will, von den Dingen unterdrückt zu werden. „Es scheint zum Wesen meines Körpers oder meiner Instrumente zu gehören, insoweit ich sie als besessen behandle, mich unterdrücken zu wollen, mich, der ich sie besitze." 1 Marcel will mit seinem Denken jene Tendenz im Menschen stärken, die dieses Unterdrücktwerden durch die Gegenstände verhindert, er will einen Prozeß der Intensivierung des Verhältnisses zum Gegenstand, der Verinnerlichung des Habens in Gang bringen, der sein Ziel darin hat, „daß die Zweiheit zwischen Besitz und Besitzendem, zwischen Mensch und Werkzeug verschwindet und beides zu einer lebendigen Einheit verschmilzt"2. Diese Tendenzen kann Marcel in besonderer Weise an seinem Verständnis des Körpers verdeutlichen. „Das primäre Objekt, das typische Objekt, mit dem ich mich identifiziere, und das sich mir dennoch entzieht, ist mein Körper. Es ist, als ob wir hier gleichsam im geheimsten und tiefsten Verlies des Habens ständen. Der Körper ist der typische Fall für das Haben." 3 Ich kann den Körper als Objekt betrachten, aber je mehr ich das tue, umso mehr erscheint er mir als Maschine, am deutlichsten im Tod, den ich nicht als meinen Tod denken kann, sondern nur als „Stillstand jener Maschine da" 4 . Ich kann den Körper aber auch auf geheimnisvolle Weise als mir zugehörig verstehen. Je mehr Marcel diese Zugehörigkeit bedenkt, desto mehr erkennt er ihren geheimnisvollen Charakter. „Wenn ich sage, daß ein Ding existiert, betrachte ich es immer als irgendwie mit meinem Körper verbunden, als sei es fähig, mit ihm in Kontakt zu stehen, so indirekt das auch immer sein mag. Nur muß man dabei gut beachten, daß die Priorität, die ich hiermit meinem Körper zuschreibe, darauf beruht, daß dieser mir nicht ausschließlich gegenständlich gegeben ist, daß er vielmehr mein Körper ist. Dieser manchmal geheimnisvolle und intime Charakter der Ver1 2 3

Sein und Haben, S. 177. O. F. Bollnow, Französischer Existentialismus, S. 83. 4 Sein und Haben, S. 175. Ebd. S. 13.

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bindung zwischen mir und meinem Körper (absichtlich gebrauche ich hier nicht das Wort Relation) färbt in Wirklichkeit jedes existentielle Urteil." 5 Diese geheimnisvolle Verbindung bezeichnet Marcel mit dem Begriff der Inkarnation — der hier also nicht theologisch-christologisch sondern anthropologisch gemeint ist. „Das Verhältnis des Menschen zu seinem Leib ist das der Inkarnation, der Verleiblichung, wie man es wohl am besten übersetzen könnte, oder das In-einen-Leib-gesteckt-sein, was zwar sprachlich ungeschickter wäre, aber das im französischen Wort ausgedrückte Insein besser wiedergäbe." „Inkarniert sein heißt sich als Leib erscheinen, als dieser Leib, ohne sich mit ihm gleichzusetzen, aber auch ohne sich von ihm unterscheiden zu können — da Gleichsetzung und Unterscheidung einander korrelative Operationen sind, die sich jedoch nur in der Sphäre der Objekte ausüben lassen." („De Refus ä Invocation", S. 31 = „Christlicher Existentialismus", S. 56) 6 . Die Uberwindung der Subjekt-ObjektSpaltung geschieht bei Marcel grundlegend nicht durch einen Sprung in die Existenz (Jaspers), nicht durch die Besinnung auf das Anwesen des Seins (Heidegger), nicht durch den durch das Hoffnungsdenken eröffneten Prozeß der Uberwindung des Nicht-Habens (Bloch), sondern durch jenes konkrete, allem menschlichen Bewußtsein immer schon vor- und mitgegebene Ereignis der Inkarnation. Subjekt und Objekt treten erst dort ausund gegeneinander, wo von diesem Ereignis abstrahiert wird. Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung geschieht für Marcel in der Transzendierung dieses abstrakten Gegensatzes durch die Besinnung auf das Wesen der Inkarnation. „Von diesem Körper kann ich weder sagen, ob er mein Ich ist noch ob er nicht mein Ich ist noch ob er für midi ist. (Objekt). Mit einem Schlage ist hier der Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt transzendiert." 7 Diese Besinnung auf das Wesen der Inkarnation bedeutet keine Vernachlässigung der Fülle der uns umgebenden Welt. Im Gegenteil hat diese Besinnung Folgen für den gesamten Bereich menschlichen Erkennens und Verhaltens, denn die Inkarnation ist die „zentrale Gegebenheit der Metaphysik," sie ist eine „Ursituation" 8 . Darum gilt für unser gesamtes Verhalten zum Bereich des Vorfindlichen, daß das Erkennen in der Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt nicht das primäre ist. Wo es auftritt, gilt es diese Spaltung zu transzendieren durch die Besinnung auf das Wesen der Inkarnation, durch die verinnerlichende Aneignung des Gehabten und die damit gegebene Annäherung an das Sein, zusammenfassend gesagt: durch die Haltung des Engagements. Der Tendenz der Objektivierung, Entfremdung, Unterdrückung durch das Objekt steht bei Marcel die Haltung des Engagements gegenüber, die der Verflechtung der Existenz in Situationen und Verhältnisse, wie sie in der Inkarnation ty5 7

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6 O. F. Bollnow, Französischer Existentialismus, S. 88. Ebd. S. 10. 8 Ebd. S. 12. Sein und Haben, S. 12.

pisch greifbar wird, in der ganzen Breite ihrer Bezüge und Aktionen eingedenk bleibt. O. F. Bollnow versucht diesen Begriff in seinem bereits mehrfach erwähnten Aufsatz über Marcel zu umschreiben: „Es ist schwer, diesen überaus bezeichnenden Begriff im Deutschen richtig wiederzugeben. Als Sich-Einsetzen, Sich-verpflichten, als Anteilnehmen und Beteiligtsein, so dürfte es in jedem einzelnen Satz möglich sein, das Wort einigermaßen sinnvoll zu übersetzen . . ." 9 Engagement bedeutet „das freie Übernehmen einer Situation im Sinne Kierkegaards" 10 . Engagement fällt zusammen mit der Überwindung des Hanges zur NichtVerfügbarkeit und der Bereitschaft, midi verfügbar zu machen. Das heißt aber, daß im Engagement nicht mehr jene Art sich selbst anzuhangen, „die etwas noch Primitiveres und Radikaleres als die Eigenliebe ist" und mit der Unverfügbarkeit zusammenhängt, regiert, sondern die „verfügbare Eigenliebe", d. h. die „Liebe zu dem, was Gott mit mir machen will" 1 1 . Wo jemand bereit ist, ein Engagement einzugehen, wo die Unverfügbarkeit überwunden wird, wird jenes Bewußtsein nicht mehr aufkommen, „mit jemandem zu sein, für den ich nicht bin" 1 2 . Hier geschieht in der liebenden Begegnung die Uberwindung des Nicht-für-den-anderenDaseins, die Verwandlung von einem Es in ein Du, die Uberwindung des Objekt-Seins des anderen. „Erst wenn ich den anderen als ein Er behandle, reduziere ich ihn auf die bloße Natur, auf ein belebtes Objekt, das auf eine bestimmte Weise funktioniert und nicht auf eine andere. Wenn ich den anderen im Gegensatz dazu als ein Du behandle, behandle und fasse ich ihn als Freiheit. Ich erfasse ihn als Freiheit, weil er auch Freiheit ist und nicht nur Natur. Noch mehr: irgendwie helfe ich ihm, befreit zu werden, arbeite ich an seiner Freiheit mit, — eine Formulierung, die außerordentlich paradox und widersprüchlich erscheint, welche aber von der Liebe ständig verifiziert wird." 1 3 Den bisher unter der Gegenüberstellung von Sein und Haben, von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit beleuchteten Grundgegensatz kann Marcel auch durch das Gegensatzpaar Mysterium und Problem charakterisieren. „Das Problem ist etwas, auf das man stößt, das einem den Weg versperrt. Es steht mir in seiner Ganzheit gegenüber. Im Gegensatz dazu ist das Mysterium etwas, bei dem ich mich selbst engagiert fühle; sein Wesen steht mir folglich nicht restlos gegenüber." 14 Im Bereich des Problematischen kommt es auf den Zugang zu einem Problem an, es gibt Fortschritte bei der Erfassung eines Problems, es kann detailliert werden, in der Welt des Problematischen ist Offenbarung überflüssig. Für den Bereich des Mysteriums ist das genaue Gegenteil kennzeichnend 15 . 9 10 13

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Französischer Existentialismus, S. 90. Ebd. S. 90. " Sein und Haben, S. 75. 1 4 Ebd. S. 108. Ebd. S. 115.

Rosenthal,

Uberwindung

12 15

Sein und Haben, S. 79. Ebd. S. 109.

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Wo der Mensch problematisiert, sichert er sich „durch die gedankliche Errichtung einer bestimmten Kontinuität der Erfahrung, die ihrerseits zur Systematisierung und Objektivierung führt" 1 6 . Im Bereich des Mysteriums als dem Bereich des Meta-Problematischen 17 wird die Tendenz des Objektivierens wie des Problematisierens durch das engagierte Hingegebensein überwunden. „In concreto bin ich in einer Ordnung engagiert, die definitionsmäßig niemals Objekt oder System für mich werden kann, sondern nur für ein Denken, das über mich hinausgeht und mich miteinschließt, und mit dem ich mich auch gedanklich nicht identifizieren kann. Hier erhält das Wort Jenseits seinen vollen Sinn." 1 8 Dieses dem Konkreten wie dem Jenseits verpflichtete Engagiert-Sein realisiert sich in der Haltung des Vertrauens, der Liebe, der Hoffnung und des Opfers. Es sei in unserem Zusammenhang nur noch kurz auf das Marcelsche Verständnis des Opfers hingewiesen. Angesichts des Todes drängt sich der Gedanke auf, „daß ,nichts mehr haben' heißt: nicht mehr sein. Und unter diesem Gesichtspunkt neigt man gewöhnlich dazu, sich mit dem zu identifizieren, was man hat. Hierbei löst sich die Kategorie des Seins auf" 1 9 . Für Marcel sind Sein und Haben jedoch Gegensätze, und ein Opfer kann den Sinn haben, die Flachheit der Gleichsetzung von Sein und Haben aufzuzeigen. „Aber die Realität des Opfers ist dazu da, um uns irgendwie tatsächlich die Fähigkeit eines Seienden vor Augen zu führen, sich als dem Haben transzendent zu behaupten. Das ist die tiefste Bedeutung des Martyriums als Zeugnis, es ist Zeugnis." 20 Das Opfer ist nur möglich im Bereich des Engagements. Es ist aufs engste mit der Hoffnung verbunden. „Es gibt kein und es kann kein Aufopfern ohne Hoffnung geben, und ein Aufopfern, das die Hoffnung ausschlösse, würde Selbstmord sein." 21 Der Gläubige, der sich opfert, „wird von einem Strom von Hoffnung und Liebe getragen. Aber das vermindert seinen Wert um nichts, — im Gegenteil" 2 2 . Das Streben der sich opfernden Seele ist es, „mit ihrem Gott in eine immer dichtere und vollkommenere Vereinigung zu treten" 23 . Entgegen allen Einwänden hält Marcel daran fest, daß der Gläubige dieses Streben nicht zu überwinden braucht, auch wenn es einer „primitiven und falschen Psychologie" so scheinen mag, daß der Opfertod „Konsequenz eines Kalküls" sei 24 . „Welcher Wert könnte für einen Sohn in der Weigerung liegen, sich von seinem Vater geliebt zu glauben?" 25 In dem Akt des Opfers als Martyrium gibt sich die Seele an Gott hin. Sie ist damit „ipso facto die Verfügbarste. Sie will sich als Mittel, und der Selbstmord ist gerade die Handlung, durch die man sich als Mittel ver18 17 18 21 24

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Sein und Haben, S. 137. Zu diesem Begriff vgl. ebd. S. 111 sowie: Das ontologisdie Geheimnis, S. 19 f. 19 Ebd. S. 91. 20 Ebd. S. 91. Sein und Haben, S. 137. 22 Ebd. S. 96 (Anmerkung). 28 Ebd. S. 97. Ebd. S. 95. 2 5 Ebd. S. 97. Ebd. S. 96 f.

neint" 26 . Als einer, der für Gott verfügbar wird, steht der sich Opfernde auf der Seite derer, die dem Mysterium im Engagement geöffnet sind. Im Opfer wird also die Subjekt-Objekt-Spaltung nicht dadurch überwunden, daß der Mensch sich wie im Selbstmord in seiner Existenz durchstreicht, sondern daß er sich aufgibt, indem er sich Gott zur Verfügung stellt und dabei auch über den leiblichen Tod hinaus, ja durch den Tod hindurch als Zeuge in Dienst genommen wird. Es gibt für Marcel — so dürfen wir zusammenfassen — verschiedene Stufen der Uberwindung des Subjekt-Objekt-Schemas. Die — infolge der zentralen Bedeutung des Körpers — elementarste Art der Überwindung geschieht durch die Inkarnation. Im Bereich des menschlichen Verhaltens zu den Gegenständen entspricht ihr die Tendenz zur intensivierten Aneignung in der zweckentsprechenden Arbeit. Im Bereich des Zwischenmenschlichen ist es die Haltung des sich in Treue, Liebe, Hoffnung und Geduld aussprechenden Engagements, durch die das Gegenüber aus einem Es zu einem Du wird. Im Verhältnis zu Gott ist es zuhöchst die Kategorie des Opfers, die die Tendenz zur Unverfügbarkeit des Menschen durchbricht und ihn dessen würdigt, ein Mittel Gottes zu werden. Marcel bekämpft aber auf diese Weise nicht nur die Herrschaft des Habens — und damit verbunden die Herrschaft des Subjekt-Objekt-Denkens im Bereich menschlichen Lebens, Denkens und Handelns, sondern er verwirft auch die Übertragung dieser Begriffe und der mit ihnen gemeinten Tendenzen und Haltungen auf Gott. Gott selber kann nur mit der Kategorie des Mysteriums des Seins27, des Opfers und der Anbetung in Verbindung gebracht werden. Die Religion in ihrer Reinheit „fundiert in der Tat eine Ordnung, in der das Subjekt sich einem Etwas gegenübergestellt weiß, das zu erfassen ihm verweigert ist. Wenn das Wort Transzendenz diese Bedeutung hat, ist es dieses Etwas. Es bezeichnet genau diese absolute und unüberschreitbare Kluft, die sich zwischen der Seele und dem Sein auftut, insofern sich jenes seinem Ergreifen entzieht. Es gibt nichts Charakteristischeres als die Geste des Gläubigen, der die Hände faltet und mit dieser Geste bezeugt, daß nichts mehr zu tun und nichts mehr zu ändern ist, sondern daß er sich einfadi hingeben will. Geste der Aufopferung oder der Anbetung" 28 . Mit dieser Zuordnung von Gott und Sein will Marcel die Einordnung Gottes in das Subjekt-Objekt-Schema überwinden, denn im Bereich des Seins ist ja jenes Schema nicht mehr anwendbar. Gott kann als das Mysterium des Seins nur im Engagement, in Liebe, Hoffnung und Opferbereitschaft vereint werden. Mit diesem Verständnis Gottes und des Verhältnisses der Menschen zu ihm hat Marcel eine Position aufgewiesen, die etwa derjenigen von Bloch «· Ebd. S. 137.



" Ebd. S. 203.

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