Creator Spiritus: Das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema [1 ed.] 9783788734336, 9783788734312


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Creator Spiritus: Das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema [1 ed.]
 9783788734336, 9783788734312

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EVANGELISCHE IMPULSE BAND 8

Creator Spiritus Das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema

ALBRECHT PHILIPPS (HG.)

Evangelische Impulse Band 8 Herausgegeben im Auftrag der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK)

Creator Spiritus Das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema

Herausgegeben von Albrecht Philipps

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.  2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Niederkrüchten Satz: Dorothee Schönau, Wülfrath

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-92 01 ISBN 978-3-7887-3433-6

Inhalt

Vorwort ............................................................................ 5 Andacht zur Eröffnung der Konsultation Volker Jung ....................................................................... 9 Geist als Medium in den Medien des Geistes Zur pneumatologia crucis Philipp Stoellger ............................................................... 15 Entdeckungen und Interpretationen des Geistes Gottes in der Bibel Konrad Schmid ................................................................ 41 Der Geist und die Geister in der Hebräischen Bibel und in den Texten vom Toten Meer Reinhard G. Kratz ........................................................... 53 Fremde Sprachen, Ekstase, Feuerzungen?! Pfingstliche Spiritualität in Gottesdienst und »praxis pietatis« Corinna Dahlgrün ........................................................... 71 »Der Geist, der lebendig macht ...« Pneumatologie und Empirie Dirk Evers ....................................................................... 89

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Inhalt

Repleti sunt omnes Spiritu Sancto Der Geist in der pfingstlich/charismatischen Theologie Jörg Haustein .................................................................109 Pfingstlich-charismatisches Christentum Eine Herausforderung für das etablierte Christentum Peter Zimmerling ........................................................... 127 Heiliger Geist, Geistausgießung und Geist-Christologie Michael Welker ..............................................................145 Resümee aus kirchenleitender Sicht Christian Schad ............................................................. 167 Resümee der Fakultäten Uta Heil ........................................................................169 XVIII. Konsultation Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie Creator Spiritus – das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema .......................................175 Teilnehmende an der Konsultation ...............................179 Autorinnen und Autoren .............................................. 183

Vorwort

Es ist eine lange und gute Tradition, dass sich Fakultäten und Hochschulen mit den Kirchenleitungen zusammenfinden, um sich auszutauschen und gemeinsam an einem theologischen und kirchenrelevanten Thema zu arbeiten. Die alle drei Jahre stattfindenden Konsultationen zwischen theologischer Wissenschaft und kirchlichem Leitungsamt werden im Wechsel von UEK und VELKD vorbereitet. Ohne die Rückbindung an die wissenschaftliche Theologie kann Leitung in der Kirche nicht sachgemäß ausgeführt werden und ohne die Blickrichtung auf das Handeln der Kirche verliert die wissenschaftliche Theologie ihre Funktion. Dieses Motto liegt den »Konsultationen Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie« zugrunde. Die Vorbereitungsgruppe der XVIII. Konsultation traf sich erstmalig am Rand der EKD-Synode im November 2016 in Magdeburg. Dabei wurde deutlich, dass das Thema der Konsultation ein grundständiges, theologisches Thema sein sollte. Eines aber, das durchaus kirchliche Relevanz hat. Die Konsultation fand im September 2018 in Arnoldshain statt. »Creator Spiritus – das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema«, so wurde diese Tagung überschrieben. Geleitet von der christlichen Grundüberzeugung, dass der Heilige Geist als ein Zeichen der Gegenwart Christi und als ein Zeichen der Endzeit in den Kirchen und unter den Menschen präsent ist, sollte das Thema entfaltet werden. »Veni Creator Spiritus – komm, Schöpfer Geist« ist eine der wenigen Gebetssequenzen aus der römi-

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Vorwort

schen Liturgie, in der die dritte Person der Trinität angesprochen wird. Sie geht wahrscheinlich auf Rabanus Maurus zurück und stammt aus dem 9. Jahrhundert. Altkirchliches, Urchristliches und Vorchristliches spiegelt sich in den Vorträgen, die hier vorgelegt werden, genauso wie charismatische Anfragen an die Pneumatologie und an die gelebte Frömmigkeit. Sie sind verbunden mit den aktuellen Fragen an die Kirchen und ihre missionarische Existenz, die sich von Pfingsten her ergibt. Alle Christusgläubigen, die als das wahre Gottesvolk gelten, haben den Gottesgeist als eine ihre missionarische Existenz prägende Gabe erhalten. Wie wirkt sich das heute in den Kirchen der Reformation aus? Dazu haben die Vorträge und Beratungen der Konsultation nach einer Antwort gesucht. Hannover, im August 2019

Albrecht Philipps

Andacht zur Eröffnung der Konsultation Volker Jung

Liebe Schwestern und Brüder! Wir werden uns in dieser Tagung mit dem »Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema« beschäftigen. In dieser Andacht zu Beginn unserer Konsultation lade ich Sie ein, mit mir auf Worte aus dem Galaterbrief zu hören. Es ist der Abschnitt der lectio continua für den heutigen Tag. Denn ich tue euch kund, Brüder und Schwestern, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht von menschlicher Art ist. Denn ich habe es nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi. Denn ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum: wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu zerstören suchte und übertraf im Judentum viele meiner Altersgenossen in meinem Volk weit und eiferte über die Maßen für die Überlieferungen meiner Väter. Als es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat, dass er seinen Sohn offenbarte in mir, damit ich ihn durchs Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden, da besprach ich mich nicht erst mit Fleisch und Blut, ging auch nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte wieder zurück nach Damaskus. Danach, drei Jahre später, kam ich hinauf nach Jerusalem, um Kephas kennenzulernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Von den

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anderen Aposteln aber sah ich keinen außer Jakobus, des Herrn Bruder. Was ich euch aber schreibe – siehe, Gott weiß, ich lüge nicht! Danach kam ich in die Länder Syrien und Kilikien. Ich war aber unbekannt von Angesicht den Gemeinden Christi in Judäa. Sie hatten nur gehört: Der uns einst verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, den er einst zu zerstören suchte. Und sie priesen Gott um meinetwillen. (Gal 1,11–24) Das ist ein höchstpersönlicher Einblick in das Selbstverständnis eines Menschen. Paulus hat in seinem Leben eine entscheidende Wende erfahren. Er war einer, der die Gemeinde verfolgte und der sie zu zerstören versuchte. Und er wurde zu einem, der die Gemeinde aufbaut und sie zusammenhalten will. Was mit ihm geschehen ist, ordnet Paulus ein in einen größeren Plan Gottes. Seine Mission ist Gottes Mission. Wie es von Propheten bekannt ist, beschreibt er, dass Gott ihn für diesen Dienst von Mutterleib an ausersehen hat und dann zu seinem Dienst berufen hat. Sein Dienst – geringer ist sein Selbstbewusstsein nicht – ist etwas Neues im Heilsplan Gottes. Seine Aufgabe ist es, das Evangelium unter den Heiden zu verkündigen. Warum schreibt er das hier so – in dem Brief an die Gemeinden in Galatien? Weil er darum fürchtet, dass Freiheit verspielt wird, indem die Observanz des Gesetzes und insbesondere die Beschneidung falsch gewichtet werden. In diesem Abschnitt taucht das Wort »Geist« nicht auf. Aber selbstverständlich ist das, was Paulus hier für sich beschreibt, zutiefst durchdrungen von der Überzeugung: Hier wirkt Gottes Geist – an mir und durch mich und über mich hinaus. Ein paar Gesichtspunkte möchte ich herausgreifen. Das ist auch eine kleine Hinführung und Einführung in unser Thema. Aber es soll hier vor allem Anstoß sein, die geistli-

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che Dimension der Fragen nach dem Wirken des Geistes auch persönlich zu bedenken. Geist und Lebenswende Paulus redet zurückhaltend über das Damaskus-Erlebnis. Uns steht die Erzählung des Lukas vor Augen. Für Lukas gehört es in den großen Zusammenhang der Geschichte nach der Himmelfahrt Christi. Sie steht ganz im Zeichen des Heiligen Geistes. Der Geist ergreift die Männer und Frauen, die bei Jesus waren. Der Geist bringt Menschen zum Glauben. Vor Damaskus erscheint der himmlische Christus dem Saulus. Saulus erblindet. Er isst nichts, er trinkt nichts, er betet. Hananias wird von Gott zu ihm geführt. Er legt ihm die Hände auf: »Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest.« (Apg 9,17) Saulus kann wieder sehen, steht auf, lässt sich taufen. Das ist Lebenswende, Ordination und Taufe – in dieser Reihenfolge – in einem. Es gibt christliche Traditionen, die danach fragen: Wann hast Du so etwas erlebt? Gab es für Dich den Moment, in dem Du erfahren hast: Hier wirkt Gottes Geist an mir? Hier hatte ich meine Lebenswende, meine Wiedergeburt, hier bin ich zum Glauben gekommen. Ich für mich kann das so nicht sagen, obwohl es sicher auch Momente gab, von denen ich sagen würde: Das waren geisterfüllte Momente. Aber Lebenswende? Oder der Moment, mit dem verbunden ist: Da bin ich zum Glauben gekommen? Da gab es die Augenblicke im Gottesdienst, die verbunden waren mit der Bitte um Gottes Geist und dem Zuspruch des Segens: Taufe – vor meiner Erinnerung, die Konfirmation, die Trauung, die Ordination, die Amtseinführung.

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Geist und Institution Ein zweiter Gedanke: Ordination und Amtseinführungen sind verbunden mit dem Auftrag in einer Institution. Dafür gibt es gute Gründe. Es muss ja »ordentlich« zugehen. In den Anfängen können wir nicht von Institution reden. Eher Organisation, wenn wir auf die Urgemeinde in Jerusalem schauen. Von Anfang an aber war die Frage da: Wie verhält es sich mit dem Wirken des Geistes außerhalb dieser Organisation? Paulus gehört in diese Kategorie. Er ist sicher nicht der einzige. Drei Jahre lässt er sich Zeit. Erst dann stimmt er sich mit Kephas und den andern ab. Das hat er sich offenbar getraut, weil er mittlerweile einen guten Ruf hatte. Ihm war offenbar bekannt geworden, dass man in Jerusalem Gott für seine Arbeit lobte. Ich frage mich: Wie ist mein Blick auf diejenigen, die außerhalb unserer Kirche das Evangelium verkündigen? Oder: Wie ist mein Blick auf diejenigen, die das Verhältnis Geist und Institution deutlich hierarchischer strukturieren, als wir Protestantinnen und Protestanten dies tun? Geist und Gemeinde Ein dritter Punkt: Paulus ist überzeugt. Der Glaube kommt aus dem Wort. Wenn Menschen das Wort hören, wenn es sie ergreift, mehr noch, wenn es befreit, dann wirkt Gottes Geist. Im Blick auf die Gemeinden in Galatien mahnt er: Ihr habt geistlich begonnen, werdet nicht wieder fleischlich! (s. Gal 3,2) Was heißt es, Gemeinde, Kirche in der Kraft des Geistes zu sein? Wir diskutieren heute nicht darüber, ob die Beschneidung nötig ist, um den christlichen Glauben zu leben. Und wir haben sicher zu Recht gelernt, den Gegensatz, den Paulus hier markiert, kritisch zu befragen.

Andacht zur Eröffnung der Konsultation

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Ich sehe das bleibende Recht der Frage des Paulus so: Wo sind wir in unseren institutionellen und organisatorischen Belangen so gefangen, dass es im wahrsten Sinne des Wortes auf den Geist geht? Und wir sollten dabei nicht nur an unsere Sitzungskultur denken. Wir könnten vermutlich alle von Konflikten in der Gemeinde berichten, in denen nichts, aber auch wirklich nichts von einem Heiligen Geist zu spüren ist. Das führt mich direkt zu einem vierten Punkt. Geist und Auseinandersetzung Auseinandersetzungen müssen sein. Das gehört dazu. Die Briefe des Paulus zeigen das mehr als deutlich. Paulus verteidigt seine Sicht auch, indem er seine Autorität betont. Das macht er deshalb, weil sie so in Frage gestellt wurde. Für Luther ist übrigens klar, was hier geschieht: »Da arbeitet man zehn Jahre, ehe ein Gemeindlein mit einer einigermaßen guten Gestalt herauswächst, und wenn sie da ist, schleicht sich irgendein Schwärmer ein, der nichts versteht als Schmähworte gegen die gediegenen Lehrer zu schwätzen; in einem Augenblick reißt ein solcher alles ein. Wen sollte solche Niedertracht nicht empören?« (Epistelauslegung 4, S. 45) Da mag man ihm sofort zustimmen. Trotzdem will ich kritisch nachfragen: Können Auseinandersetzungen so geführt werden, indem die einen sagen: Ich habe die Autorität, ich habe das Amt, ich habe den Geist. Das ist schwierig. Wir denken im Moment sehr über die Frage des Populismus nach. Letzte Woche war ich bei einer Veranstaltung der Schader-Stiftung in Darmstadt. Der in Princeton lehrende Politologe Jan-Werner Müller definiert: Mit Populismus haben wir zu tun, wenn Kritik an vermeintlich kor-

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Volker Jung

rupten Eliten im Namen eines angeblich homogenen Volkswillens vertreten wird. Der Populismus erhebt einen Alleinvertretungsanspruch auf das, was wahr ist. Es ging bei dieser Tagung um die Frage nach Kirche und Populismus. An die Definition schloss sich für mich die Beobachtung an: Es gibt eine christlich-fundamentalistische Anfälligkeit für den Populismus, weil der Wahrheitsanspruch ähnlich ist. Wir wissen es, wir haben den Geist, die anderen nicht. Ist es das, was Paulus hier auch vertritt? Ansätze dazu gibt es vielleicht. Er öffnet aber auch eine andere Perspektive, wenn er den Gemeinden in Galatien nahelegt: »Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit …« (Gal 5,22). Das allerdings fällt vor allem im Umgang mit Fundamentalisten und Populisten nicht leicht. Trotzdem: Was heißt Auseinandersetzung im Vertrauen auf die Kraft des Geistes? Geist und Geschichte Ein letzter Punkt – und der nur ganz kurz. Im Erlebnis des Paulus ist ein weiter Bogen gespannt: vom individuellen Erleben hin zu einem Plan Gottes mit dieser Welt. Für ihn ist klar: Ich muss das Evangelium den Heiden verkünden. Die frohe Botschaft gilt eben allen Menschen. Er hat sicher anders gedacht, als wir dies heute tun: räumlich und zeitlich. Aber nicht mehr und nicht weniger ist uns das auch anvertraut: Zu sagen, welche Hoffnung wir haben – für uns und für diese Welt – in der Kraft des Heiligen Geistes. Dazu leite uns Gottes Geist. Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Geist als Medium in den Medien des Geistes Zur pneumatologia crucis Philipp Stoellger

1. Einleitung 1. Bei einem solennen Kongress der wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie erklärte ein prominenter Wortführer der Systematik vor einigen Jahren, es sei Konsens der Zunft, dass in der Theologie ›seit Ostern nichts Neues‹ geschehen und zu behaupten sei. Stimmt das? Es würde jedenfalls Pfingsten vergessen (machen), und auch alles Weitere, die Kulturgeschichten der Christentümer ›seit Ostern‹. Eschatologisch gefragt: Sollte denn nichts mehr zu wünschen übrig und zu hoffen sein? Für die Theologie hieße das: Innovation, Invention, Investigation und Imagination wären unnötig und unmöglich. Eine im Ernst investigative, innovative, inventive oder imaginative Theologie könnte und dürfte es dann nicht geben. Wirklich? Darf sich die Theologie nichts Neues einfallen lassen? 2. Was hier folgt, ist eine kleine Übung in kreativer Theologie, mit dem Vorschlag, den Geist als Medium zu verstehen und daher die Pneumatologie als Medientheorie des Christentums. Theologie und Kirche leben und denken meist in den Formaten ihrer Zeit. Beizeiten war das die Substanzontologie, der Neuplatonismus oder der Idealismus, für manche bis heute das moderne Subjekt oder das spätmoderne Individuum. So kann man denken – es geht aber auch anders. Der Medienbegriff und manche Medientheorien könnten hier weiterhelfen, gerade für die Pneumatologie. Bedarf es heute in der Praxis der Medienkompetenz, so in den Dis-

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Philipp Stoellger

kursen auch der Medientheoriekompetenz. Dazu hat die Theologie manches beizutragen, war sie doch stets auch Medientheorie (›media salutis‹). Und sie kann einiges lernen und gewinnen am Gespräch mit heutigen Medienwissenschaften. Alte Dualisierungen wie ›Offenbarung oder Erfahrung‹ werden in medientheoretischer Perspektive womöglich überschreitbar. Manchen quält noch immer der alte Dual von Offenbarung versus Erfahrung. Davon könnte man lassen, wenn zwischen Gotteswerk und Menschenwerk das Wortwerk spielt oder das Medienwerk, die Mediendynamik. Mediale Figuren des Dritten sind Zwischenbestimmungen – mit einer bemerkenswerten Eigendynamik. Die kann übel ausgehen bei Äpfeln und Schlangen, aber auch heilvoll bei Brot und Wein, bei einem guten Gleichnis, einer Ostergeschichte wie Emmaus, oder aufgrund eines theologisch ungemein innovativen Entwurfs wie dem Johannesevangelium. Pfingsten ist die imaginative Urgeschichte solcher Mediendynamik: wie der Geist Leib wird und überraschend kreative Wirkung entfaltet. 3. Geist als Medium: Das klingt trivial, was soll er sonst sein?1 Nur – was heißt Medium? Erstens ist ein Medium meist nicht nur ein Instrument, auch wenn jeder Musiker weiß, dass ein Instrument nie bloß Instrument ist, sondern seine Eigenheiten, Eigendynamik und Wirkmacht hat. Das Cello macht einen zum Cellisten, so wie das Buch einen zum Leser werden lässt. Und zweitens ist ein Medium nicht gleich Technik, Elektronik, Digitalisierung oder ›Neue Medien‹. Auch das ist möglich, aber in aller Weite doch eine Engführung.

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Person, ist der nächstliegende Einwand, Tröster, der an Christus erinnert und im Glauben vergewissert. So trivial ist die These vom Geist als Medium offenbar nicht. Aber auch als Person verstanden, fungiert der Geist als Medium – als was sonst?

Geist als Medium in den Medien des Geistes

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Medien sind vor allem all das, worin und wodurch wir wahrnehmen und kommunizieren. Medien sind Wahrnehmungsformen.2 Dann dürfte umgehend klar sein, dass Schrift und Bild tragende Medien sind (des Sagens und Zeigens), Wort und Sakrament als Medien des Geistes, wohl auch Bild, Leib und Geste, Verkörperung und Lebensform. Theologisch verdichtet formuliert: Worin nehmen Christen Gott wahr? Im Glauben als Medium der Wahrnehmung. Wodurch wird der Glaube formatiert? Durch Christus als dem maßgebenden Medium der Gotteswahrnehmung. Christen nehmen Gott in und durch Christus wahr. Was aber, wenn der ›weg‹ ist? Auferweckt und erhöht? Dann nehmen Christen Gott und den Nächsten wahr durch die nachösterlichen Medien Christi, genauer: die Medien des Geistes Christi und zwar im Geist Christi als Medium. Pfingsten erzählt daher vom Christus praesens: von der Gegenwart des Geistes Christi. Und wie wird der gegenwärtig? Im Gleichnis als Gleichnis, in der Erzählung als Erzählung – im Medium als Medium. Der Geist als Medium ist nur wirksam und präsent, wenn er als Medium in Medien wirkt, konkret und lebendig in seiner medialen Diversität und phänomenalen Konkretion. Der Geist ist Medium, der in leibhaftigen Medien präsent wird. Medium in Medien – klingt seltsam, ist es aber nicht. ›Das Wort‹ ist das Leitmedium des Christentums, seit dem Wort vom Kreuz. Aber auch das Wort als Medium bedarf der Medien, in denen es wahrnehmbar wird: Gotteswort in Menschenwort, Wort in Sprache, Stimme, Text, Buch, Erzählung, Anspruch und Anrede etc.

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Im Hintergrund sollte bedacht sein, dass die neuere Medienwissenschaft zu dem Exportschlager deutscher Kulturwissenschaft geworden ist. Die ›German Mediatheory‹ ist bemerkenswert weit rezipiert und anerkannt, vor allem Friedrich Kittler und seine Schüler. Das kann man nicht ignorieren, wenn man von Geist als Medium spricht.

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Der Geist ist also nicht leiblos – sonst wäre er ein Gespenst. Selbst eine ›Atmosphäre‹ (wie bei einer Beerdigung) ist durch und durch leiblich gestimmt (anders als das ›Feld‹3). Vermutlich liegt darin der lebensweltliche Grund für die Lehre von der Personalität des Geistes: dass die Kommunikation des Geistes Christi vor allem in leiblicher Präsenz passiert, meist im gemeinschaftlichen Mit-einander: in Personalpräsenz.4 Klassisch gilt, der Geist sei in den Medien von Wort und Sakrament wirksam, daher der Primat des Gottesdienstes. Diese ›media salutis‹ sind wahrhaft, würdig und recht – aber auch etwas eng. Sind die ›guten Werke‹, die ›Diakonie‹, keine Medien der Kommunikation des Evangeliums? Wort, Sakrament, Diakonie – und alles Mögliche, was im Geiste Christi eben diesen Geist zu kommunizieren vermag? Womöglich sogar ›Kirchenleitung‹, Amtsführung, ›geistliches Leiten‹5, oder besser noch ›geistreiches‹? Was dürfen wir hoffen? Jedenfalls dass die ›Religion des Wortes‹ nicht im Wort allein lebt. Das wäre eine mediale Monokultur, die weder nötig noch wünschenswert ist. Leben doch die Kirchen längst in den visuellen Kulturen der Gegenwart. Selbst Bilder, Szenen und Figuren könnten Geistmedien werden: visuelle Kommunikation des Geistes Christi, leibhaftig verkörpert. Oder worauf hoffen Kirchen(leitungen) und Gemeinden, wenn sie Sichtbarkeit begehren im öffentlichen Raum? Auf 3

Das ›Feld‹ als Geistmetapher bleibt seltsam anonym und strukturalistisch. Vgl. INGOLF U. DALFERTH, Kombinatorische Theologie. Probleme theologischer Rationalität (Freiburg i.Br.: Herder 1991), 132ff; WOLFHART PANNENBERG, Systematische Theologie. Band 2 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht o. J.), 99–105. 4 Erst das ist der Grund für die Gegner der ›Pneumatomachen‹, die Doxologie als Argument aufzurufen: Nur zu einer Person lasse sich beten. 5 Vgl. PHILIPP STOELLGER, »Geistlich Leiten. Erste Thesen zur Orientierung«, epd-Dokumentation, Juni 2012.

Geist als Medium in den Medien des Geistes

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Selbstdarstellung – oder auf sichtbare Kommunikation des Evangeliums? Letztes scheint nicht ohne ersteres möglich. Das ist das ›Täuferparadox‹: Wenn in Grünewalds Isenheimer Altar der Täufer demütig von sich weg auf Christus zeigt – aber dazu vor allem und auf ewig sich selber zeigen muss, um auf Christus zu zeigen. Als spräche er: Jener muss wachsen – ich aber stehe hier und kann nicht anders, um auf ihn zu zeigen. Trust in me, just in me … WENN man sich auf Medien einlässt, hat das medienspezifische Risiken und Nebenwirkungen. Weder ist das Wort risikolos, noch sind visuelle Medien vermeidbar. Öffentliche Sichtbarkeit braucht daher nicht nur Medienkompetenz, sondern auch Medientheorie-Kompetenz. 2. Zum theologischen Medienbegriff Der Begriff des Mediums ist eine theologische Erfindung des Thomas‹ von Aquin.6 Er hat den Medienbegriff ›erfunden‹, als er ihn in seine Übersetzung von Aristoteles’ Περὶ ψυχῆς einfügte. In Aristoteles’ Seelentraktat geht es im zweiten Buch um die Wahrnehmung wie die Farbwahrnehmung. »Sichtbar ist die Farbe und das, was […] keine Benennung hat.«7 Farbe ist nur an, in oder durch etwas sichtbar, wofür Aristoteles keinen Namen hat, weswegen er hier vom ἀνώνυµον (einem Unbenennbaren) spricht – das er aber kurz darauf ›das Durchsichtige‹ nennt (τι διαφανές). Das hat Wirkungsgeschichte gemacht: Denn daraus wurde das Medium des Lichts, in dem wir sehen und später der Äther, die Quintessenz, oder ›ἄνω σωµάτι‹, der Stoff, der die Götter umgibt.8 6 Vgl. zum Folgenden W. HAGEN, Metaxy. Eine historiosemantische Fußnote zu einem Medienbegriff (in: S. MÜNKER / A. ROESLER [Hg.], Was ist ein Medium, Frankfurt am Main 2008, 13–29). 7 Aristoteles, De anima II, 7, 418a 26. 8 Vgl. HAGEN (s. Anm. 6), 20f.

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Aristoteles zitiere ein Gedankenexperiment Demokrits: Man könne selbst eine Ameise im Himmel noch sehen, wenn und nur wenn ›das Dazwischen leer wäre‹ (τὸ µεταξύ). Das ›Dazwischen‹ trübt die Wahrnehmung, aber nur dadurch können wir überhaupt wahrnehmen. Ohne Abstand, ohne dieses sonderbare ›Dazwischen‹ sieht man überhaupt nichts: wie die Tomaten auf den Augen. Erst mit einer gewissen Distanz wird Wahrnehmung möglich. So wirken Medien: Sie lassen etwas erst zugänglich werden, trüben oder färben aber den Zugang. Nötig ist also für die Wahrnehmung etwas »Diaphantisches, ein gleichermaßen Durchsichtiges wie Undurchsichtiges«.9 Diese Erfindung des Thomas (ein Beispiel kreativer Theologie) lässt sich systematisch weiterführen: Medium ›ist‹ ein Dazwischenliegendes (-stehendes, -tretendes, -kommendes), worin und wodurch wir wahrnehmen und das daher unsere Wahrnehmung formt: die Form der Wahrnehmung im Doppelsinn – wodurch sie formiert wird und wie sie ihrerseits formiert, also die Art und Weise wahrzunehmen. Als Medium operiert all das, was uns auf bestimmte Weise sehen lässt und so sehen macht, wie wir sehen (bzw. wahrnehmen, sprechen, glauben, fühlen, wissen, wollen und leben). Die theologische Konsequenz ist absehbar: Der Geist als Medium ist der, in, mit und durch den wir auf andere Weise wahrnehmen, sofern er uns anders sehen lässt – wobei die Frage entsteht, wie das näher zu verstehen ist. Als Wahrnehmungsform sind Medien bemerkenswert deutungsmächtig.10 ›Sehen lassen und machen‹, das können Sprache, Schrift und Buch, aber auch Bild, Szene und Verkörperung, Medien des Sagens wie des Zeigens. 9 10

A.a.O., 22. Vgl. PHILIPP STOELLGER, »Deutungsmachtanalyse. Zur Einleitung in ein Konzept zwischen Hermeneutik und Diskursanalyse«, in Deutungsmacht. Religion und belief systems in Deutungsmachtkonflikten, hg. von PHILIPP STOELLGER, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 63 (Tübingen: Mohr Siebeck 2014), 1–85.

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Denn Gott spricht nicht nur, er zeigt sich auch, wenn er denn revelatus ist und zugänglich, namhaft und ansprechbar. Die damit markierte ›zweite Hälfte‹ der Theologie sollte nicht übersehen werden: all die Medien des Zeigens im Unterschied zu und in Verschränkung mit denen des Sagens. Metaphern und Metonymien oder Erzählungen können uns sehen lassen und machen, wie auch Bilder, Szenen und Verkörperung, indem sie zu Wahrnehmungs- und Deutungsmustern werden: Etwa das ›lebendige Bild‹ kommender Gemeinschaft, wie es in der Szene der Abendmahlsfeier aufgeführt wird – zur Transfiguration der Feiernden in den Leib Christi: eine figura vera, ein wahres Bild. Gerade der Geist spricht nicht nur, sondern zeigt sich auch. Das Sichzeigen in Figuren, Szenen und Gesten sind die visuellen Medien des Geistes. Nur – die können in recht verschiedenem Geist inszeniert werden: zur Selbsterhaltung und -steigerung – oder zur Fremderhaltung in diskreter Selbstzurücknahme. 3. Wie vom Geist sprechen? Nichts liegt näher, als allein den Geist selber als Medium des Geistes zu verstehen: Nur der Geist vermag den Geist zu erkennen und zu fassen, gemäß der alten Regel, Gleiches werde nur durch Gleiches erkannt. Dann ist es so alternativlos wie selbstverständlich, dass allein der Nous, der Geist, die Vernunft, der Logos, den Geist Gottes erkennen könne und umgekehrt. Wenn die Regel zutrifft, dass das Denken sich selbst denkt in den Leitmedien seiner Zeit, ist der Geist das Metamedium quer durch die Zeiten. Denn was könnte Denken anderes sein als Geist? Damit wird – dem Mythos gleich – von Geistmetaphysik Fraglosigkeit erzeugt, eine Selbstverständlichkeit etabliert (mit entsprechender Exklusion: alles andere gilt als unmöglich, un-

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denkbar, unsäglich): es kann gar nicht mehr die Frage sein und nicht anders gefragt werden als nach Geist durch Geist. Man könnte das die Deutungsmacht der Geistphilosophie nennen: nichts anderes zu kennen und erkennen zu lassen als das, was in diesem Modell (und seinen Variationen) sehen und denken gemacht wird. Ob platonisch, neuplatonisch, aristotelisch, idealistisch oder subjektivitätstheoretisch ist diese Selbstverständlichkeit so gewichtig wie auch heute noch für viele gültig – wenn man einige Voraussetzungen teilt: – dass Gottesgeist und Menschengeist im Grunde eines Wesens seien, wenn auch unvermischt, so doch ungeteilt und ungetrennt, als wären beide letztlich eins, in unio vereint und über alle Störungen durch Sinnlichkeit und Pluralität hinweg wieder vereinbar, – dass zwischen beiden die theologische Differenz von Schöpfer und Geschöpf indifferent wird: Geist von Geist sei und daher (univok oder analog?) vom einen die Eigenschaften des anderen ausgesagt werden könnten, – dass beide einander immediat seien oder werden können (Begehren nach Gottunmittelbarkeit), – dass beide reiner Sinn ohne Sinnlichkeit seien, ungetrübt durch das Viele; notwendig, nicht kontingent, und ewig. Die Theorie des Absoluten ist dann das Leitmodell, um im Geist den Geist zu denken nach Maßgabe der spekulativen Vernunft. Wenn man diese Voraussetzungen des Neuplatonismus oder der alten Theorien des Absoluten nicht teilt, zerfällt einem diese Tradition wie modrige Pilze. Nur steht man dann ohne diese stabilen Geländer des Denkens da. Wie vom Geist denken, wenn man nicht alles schon sola traditione, sola ratione geklärt findet? Der neuplatonisch-idealistische Geist erscheint im Rückblick als eine theologische ›Fernleihe‹, deren Rückgabe

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längst überfällig ist. Aber er bestimmt nach wie vor die theologischen Denkgewohnheiten, sei es beim Kollegen Ratzinger oder bei Pannenberg und seinen Schülern wie Jörg Lauster. Der neuplatonische Geist ist letztlich kein Medium, sondern das Versprechen von Unmittelbarkeit: ursprünglicher wie finaler Immediatheit. Der Geist als Medium verstanden ist dagegen kein leibloses ›Gespenst‹, kein absoluter Allmachtsgeist, sondern Medium in materialen, sinnlichen, leiblichen Medien. Kein Geist ohne Leib, sonst wäre er Gespenst. Als Medium – ist der Geist nie leiblos, nie immediat oder immateriell, sondern konstitutiv sinnlicher Sinn. Der Geist als Medium ist wesentlich sinnlicher Sinn. – Das klingt noch etwas apollinisch moderat. Wenn es um den Geist Christi geht, wird es härter und schwieriger. Alt oder neu vom Geist zu denken, macht eine eschatologische Differenz: Der Gegensatz zum alten Neuplatonismus ist bekanntlich die reine Torheit, kalkuliert absurd: vom Kreuz aus, von der Maximalpassion des Todes Christi her zu denken: nicht nur von demütiger Niedrigkeit, sondern vom unfassbaren Widerfahrnis der Gottverlassenheit namens ›Tod‹ aus zu denken. Die maximale Härte für die Pneumatologie ist, das Ereignis des Todes Jesu als den Riss von Sinnlichkeit und Sinn zu verstehen, der nicht vom allmächtigen Metamedium immer schon geheilt und umfangen ist, sondern der eine eschatologisch neue Medialität entfaltet. Der Tod Jesu provoziert Medieninnovationen: neues Sagen und Zeigen, neue Deutung, neue Sozialität (Gemeinschaft), um ex post (im Rückblick) zu erschließen und zu kommunizieren, was und wer sich im Kreuz zeigt. Das kann man eine mediale Wende der Pneumatologie und Theologie nennen: nicht vom Immediaten, Innen, Körperlosen etc. auszugehen, sondern phänomenal von den Medienpraktiken – und vor allem der Passivität der Passion.

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Das helle und lichte Immediate wäre gut platonisch, Geist durch Geist zu erkennen. Das dunkle Immediate aber ist der Tod Jesu als Riss der Medialität – von dem her der Geist anders und neu zu denken ist, wenn er denn der Geist Christi sein soll. ›Stark wie der Tod ist der Geist‹, lautet die eschatologische Hoffnung. Diese Kompetition von Geist und Tod mit der Wette, der Geist sei letztlich stärker, ist ein Zeugnis im Rückblick und Ausblick. Dann muss der Geist als vom Tod tangiert, berührt, versehrt, verletzt gedacht werden. Ein Geist mit ›Narben‹. Das hieße kreuzestheologisch vom Geist sprechen. Die Scheidung der Geister scheint einfach: geht es doch um den kritischen Geist Christi. Die Scheidung der Pneumatologien ist schon schwerer: Wie hält es der Geist mit dem Kreuz? Ist er der mächtige Überwinder – oder als Geist verletzlich, mehr noch: verletzt? Den Geist als Medium neu zu denken heißt dann: – als Geist des Gekreuzigten, – nicht von der beliebten Omnipräsenz des Sinns, sondern einer verstörenden Sinnwidrigkeit des Todes her, – nicht von unsinnlicher Präexistenz, sondern von Sinnlichkeit und Materialität seines Lebens und Sterbens her, – nicht von absoluter Individualität (oder der Individualität als Absolutum), sondern von verletzlicher Verkörperung her. Das wäre Pneumatologie ›von ganz unten‹, vom Gekreuzigten aus: παρέδωκεν τὸ πνεῦµα. Die Medien dieses singulären Geistes, sind dementsprechend keine Wohlfühlmedien (warm und harmonisch), auch nicht große Machtmedien (allem Deutungsmachtbegehren zum Trotz). Der Geist Christi ist auch kein Absolutum zur Selbstermächtigung der Theologie (sei sie spekulativ oder dialektisch). Die passenden Denk- und Sprachformen sind dann nicht zwingende, generell zustimmungspflichtige Wahrheiten oder moralische Generalisierungen, sondern riskante Zeug-

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nisse, pointierte Deutungen, fragile Anzeichen und angreifbare Erzählungen. Wer mehr will – das große System, die bezwingende Behauptung, den großen öffentlichen Auftritt –, läuft Gefahr, einem Machtbegehren zu erliegen. Nur – das Täuferparadox holt jeden ein, der sich äußert. 4. Ekklesiologische Applikation: Institution als Geist? Dass ›der Geist‹ medial verfasst ist, versteht sich keineswegs von selbst. Denn sowohl der Geist Gottes wie der des Menschen gilt (in platonischer, aristotelischer wie idealistischer Tradition) als immediat: als ›unmittelbares Selbstbewusstsein‹ oder differenzloses Eines oder sich selbst denkendes Denken. Von der Intuition unmittelbarer Selbstgegenwart humanen Selbstbewusstseins wird auf Gottes Geist geschlossen und womöglich auch auf deren unmittelbaren ›Kontakt‹. Wenn Geist als Inbegriff der Unmittelbarkeit gilt – ist die Medialität des Geistes kontraintuitiv, wenn nicht absurd. Aber selbst, wenn es einst einen unmittelbaren Geist gegeben hätte, könnte er nicht unmittelbar geblieben sein, weil er sonst nicht wirken und interagieren könnte. Das Leben oder die Vollzüge des Geistes sind an Trägermedien gebunden – sonst wären sie nicht ›wirklich‹ und ›wirksam‹: Gottes Geist bedarf des Wortes, um vernehmbar zu werden wie im Prophetenwort; oder der Phänomenalität von Wetter, Glanz, um wahrnehmbar zu werden. Er bedarf sozialer Trägermedien und kultischer Medienpraxis, um wirksam zu werden. Und er bedarf auch der Organisation und Institution, um kulturelle Form zu werden: in Gesetz und Tempel, letztlich in Lebensform und deren Tradition als continuity over time. Inwiefern Gottes Geist Institution werden kann, ist allerdings ein eigenes Problem, das immer wieder für Unruhe sorgt und ggf. für innovative Institutionalität. Geist als

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Gesetz (Tora) oder als Kult (Tempel) oder als Kirche (Rom) bleibt ein Problem. Droht doch die Bindung an, wenn nicht die Fesselung durch die Institution (wogegen sich die reformatorische Institutionskritik geltend machte). Die sogenannte ›Zweite Reformation‹ bearbeitete genau dieses Problem: eine neue Ordnung zu entwerfen, die diesen Geist Institution werden lassen sollte. Das paradoxe Problem dieser Aufgabe ist: – negativ: das Außerordentliche in Ordnung zu bringen, oder – positiv: vom Außerordentlichen her eine neue, andere Ordnung zu entwerfen in Recht, Ethos, Lebensform und Kultform. Gastlichkeit und Fremdenrecht – können Recht werden. ›Ordnung im Licht des Außerordentlichen‹ ist ein Paradox, und zwar nicht nur ein scheinbares. Man kann das auflösen, indem man es ›in Ordnung‹ bringt. So ist der Gang der Welt. Denn die übliche Regel lautet ›Ordnung muss sein‹, dem allzumenschlichen Ordnungsbegehren entsprechend (was kein Argument für Schöpfungsordnungen sein sollte). Oder man kann es gegenläufig auflösen, indem man alle Ordnung abweist. Auch das ist machbar, wenn auch nicht auf Dauer (vgl. die Franziskaner, die frühe Reformation oder die sog. Schwärmer). Man kann das Paradox auch produktiv ermäßigen, indem man versucht, eine andere Form von Ordnung zu suchen und zu entwickeln, etwa eine Ordnung, die sich anderen Ordnungen gegenüber außerordentlich verhält: eine Ordnung, die offen für Außerordentliches bleiben will (›offene Gemeinschaft‹).11 In diese Richtung versuchen sich Landeskirchen zu entwerfen – wenn ich recht sehe. 11

Vgl. PH. STOELLGER, Kirche am Ende oder am Ende der Kirche? Auf welche Gemeinschaft dürfen wir hoffen?, in: ELISABETH GRÄBSCHMIDT / FERDINAND MENGA (Hg.), Grenzgänge der Gemeinschaft, Tübingen: Mohr Siebeck 2016, 149–186.

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Aber letztlich gilt auch in denen: ›Ordnung muss sein‹, sei es im Pfarrerdienstrecht oder im Mitarbeiterrecht. Es ist daher nicht trivial, daran zu erinnern, dass ›Ordnung im Licht des Außerordentlichen‹ eine Unmöglichkeit bleibt – mit der konstruktiv zu leben, durchaus möglich ist, aber nicht, ohne immer wieder die Pointe zu verfehlen. Wie Freiheit Form gewinnt oder Geist zur kulturellen Form wird, war Cassirers Frage, mit der These, dass es keine Formlosigkeit geben kann, wenn denn Freiheit und Geist als kulturelle Praktiken wirksam werden sollen. Aber – es droht sofort der Fehlschluss, die Form selber wäre der Geist (oder die forma corporis sei die Seele). Form kann den Geist ›vermitteln, ›kommunizieren‹, in diesem Geist praktiziert werden, von diesem Geist her sich verstehen. Aber immer wird eine liminale Differenz geltend gemacht werden, um ein ›non capax infiniti‹ zu wahren: eine Nichtidentität, um das Aufgehen des Geistes in Form oder Medium zu bestreiten. Die eigentlich innovative These Luthers war doch dagegen ein capax infiniti zu vertreten, christologisch begründet, nicht eine Kapazität der Institution, sondern eines außerordentlichen Ereignisses, letztlich des Kreuzes. Damit wird jeder Institutionalität von Religion, also jeder Ordnung, ein Außerordentliches vorausgesetzt, von dem her sich die Ordnung zu entwerfen hat, das aber nicht in der Ordnung aufgeht: ein formkritisches und formproduktives Außerordentliches. Form-, Kultur-, Institutions- und Medienkritik sind daher nur die negativen Indikatoren für diese relative Nichtidentität. Darauf weist das (von Barth erfundene) ›semper reformanda‹ hin als Prinzip der Formkritik mit dem Druck zur Formvarianz. Das konstruktive und innovative Moment ist die Formfindung und Formvarianz, oder Medienfindung und Medienvarianz.

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5. Gegen den ›pneumatologischen Absolutismus‹ Der Kritik der institutionellen Bindung des Geistes sollte eine Kritik der Willkürfreiheit entsprechen.12 Wenn ›der Geist weht, wo er will‹, wäre er ein Willkürgeist, ähnlich dem nominalistischen Willkürgott, der sich jeder Erkennbarkeit entzöge. Das könnte man ›pneumatologischen Absolutismus‹ nennen, da der Geist dann komplett ›absolut‹ wäre, wie ›legibus solutus‹, ohne Bindung oder Ordnung. Der gegenläufige Grenzwert wäre, ihn in nur einem Medium oder exklusiv als eine Medienpraxis eindeutig präsent zu behaupten, z.B. in einem ›heiligen Buch‹ oder ›Stein‹ oder ›Statue‹ oder Tempel. Dann wäre der Geist dergestalt gebunden, dass Manipulation möglich sein müsste. Beides ist in christologischer Perspektive auszuschließen: ›Er weht, wo er will‹ ist ›lediglich‹ ein kritischer Kontingenzmarker, der die Freiheit des Geistes gegenüber Manipulation geltend macht. Er weht nur, wo die Kirche will – ist ebenso irrig wie die gängige Auffassung, er wehe, wo ich will (in meiner individuellen Lebensdeutung …). Christologisch muss bestimmter formuliert werden: Er weht, wo Er, wo Christus will. Erst dann ist der Geist als Geist Christi identifizierbar. Andernfalls drohte der genannte pneumatologische Absolutismus. Um so seltsamer, dass die Auffassung so deutungsmächtig geworden ist, er wehe halt, wo er wolle. Ist das doch nicht ohne prekäre Paradoxie: Die These der Unverfügbarkeit des Geistes ist als These bereits eine (negative) Verfügung über den Unverfügbaren. Die übliche Antwort ist, die Verfügbarkeit als souveräne Selbstverfügbarmachung des Geistes zu verstehen. Nur ist damit das Problem nicht gelöst, sondern bloß verschoben. Denn die These der souveränen Selbstbestimmung als Selbstvergegenwärtigung invisibili12

Parallel: der individuellen Bindung durch willkürliche Selbstdeutung.

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siert die Medialität, derer der Geist bedarf. Auch in Barths Figur der Selbstbestimmung Gottes ist das nicht ohne die Medien von ›Schrift, Offenbarung und Verkündigung‹ möglich. Der Geist Christi ist heilsam fremdbestimmt: – durch sein Woher (Christus), – sein Wie (des Gekreuzigten: mit Narben), – und sein Worin (in Medien: media salutis). Ein Geist ohne Wort wäre sprachlos, er bedarf daher schlechthin der Medien, um als Medium wirksam zu werden. So verstanden sind die Medien des Geistes die nachösterlichen Medienkörper Christi: die ›Leibkörper‹ des Gekreuzigten seit der Auferweckung. Die Medienkultur des Christentums erschließt sich von daher nach der Regel: Das Wort ward Fleisch – und wieder Wort und Sakrament und auch Bild, Ritual und Lebensform. Man könnte das die lange Kette der medialen Supplemente nennen, die Ausdifferenzierung supplementärer Medien Christi. Dergleichen nur Selbsterhaltung der Religion qua Organisation und Institution zu nennen, wäre zu leicht und einseitig. Es ist vielmehr eine (als Selbstübertragung ausgegebene) Übertragung der leibhaftigen Figur des Gekreuzigten in seine medialen Figurationen: in kulturelle Formen und Medienpraktiken, also auch der visuellen Kultur dieser Religion (so wie die Hostie als zentrales Kultbild des Christentums fungiert: sie zeigt, was sie ist, und ist, was sie zeigt). 6. Medienwerk – zwischen Gottes- und Menschenwerk Wenn Geist Medium ist, Medium der Gegenwart des Gekreuzigten, ist Theologie Medientheorie, oder genauer, Pneumatologie ist die Medientheorie der Theologie: Reflexion auf die Medialität (Medienpraktiken und -pathiken) von Religion, von Christentümern, Kirchen, Gemeinschaften etc.

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Das versteht sich nicht von selbst. Denn Medienpraxis funktioniert am besten, wenn man nicht auf ihre Medialität reflektiert. Wer beim Sprechen auf die Sprache reflektiert – wird gestört und gehemmt. Wer bei der Liturgie ständig die Liturgie kommentiert, stört. Was im Vollzug religiöser Praxis unangebracht ist, ist für deren Verstehen und Entwicklung notwendig: auf ihre Medialität zu reflektieren – die sich so gerne unsichtbar macht. ›Der Geist macht lebendig‹ heißt es. Die Buchstaben als seine Medien vielleicht auch? Jedenfalls ist die Medialität des Geistes die Bedingung seiner Wirksamkeit und Kreativität: stark wie der Tod ist der Geist, so dürfen wir hoffen. Dann ist der Tod, der Tod Christi das Woher und Worin und Wogegen des Geistes – unvergesslich verletzt (sonst wäre das pneumatologischer Doketismus). Das ist pneumatologisch wie medientheoretisch ungewöhnlich. Üblicherweise versprechen Medien Präsenz, Dauer, Leben – wenn nicht sogar ewiges Leben. Medien treten an als Abwesenheitsüberwinder und daher als Sieger über den Tod. So ja auch der Geist, wenn er stark sein will, wie der Tod – und damit schon stärker. Der Geist Christi ist darin etwas anders als andere Geister – und anders als andere Medien. Er erinnert an die Passion – vor allem. Er folgt nicht dem medialen Mainstream von Todesüberwindung zwecks Todesvergessen. Er präsentiert sich nicht triumphal, sondern er erschließt die Bedeutung des Gekreuzigten. Was andere Medien latent halten, wird in den Medien dieses Geistes manifest und markiert: der Geist des Gekreuzigten zu sein. Ohne diese Markierung (Verletzung!) könnte man ihn getrost vergessen. Das heißt auch, dass (alle möglichen) Medien in diesem Geist zu gebrauchen sind. Dann ist alles möglich, was nützt – und passt. Massenmediale Machtdemonstrationen von Megaveranstaltungen dürften dann unpassend erscheinen. Zuviel Machtdemonstration zur Selbstermächtigung. Und – wenn

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Theologie so ›public‹ sein will, dass sie sich im Glanz der Mächtigen sonnt – könnte das auch unpassend scheinen. Pneumatologia gloriae ist von einer pneumatologia crucis meistens leicht unterscheidbar – auch wenn die sich riskant vermengen können, wie in der Selbstdarstellung zur Bezeugung des Gekreuzigten. Das Täuferparadox bleibt anscheinend unvermeidbar. Mit diesem Paradox kann man auf zweierlei Weise umgehen: Man kann es verkennen und verdrängen – und sich in besten Absicht mit dem Täufer etwas naiv identifizieren: Theologie (Barth!) und Kirche sollen und wollen doch nichts anderes, als mit ihren Medien Christus bezeugen und Evangelium kommunizieren … Dann wird verkannt, dass das nur in und mit Medien geht, die immer auch Selbstdarstellung sind. Fromme Naivität und Eitelkeit aus Versehen können dann eng beieinander liegen. Oder man kann auf dieses Paradox selbstkritisch reflektieren und zurückhaltend bleiben, um die Selbstdarstellung zu bändigen. Wer immer noch das eigene Label in den Vordergrund stellt, nutzt das Zeugnis immer auch zur Selbstdarstellung. Hier scheint mir möglichste Diskretion passend – und nicht das neue Deutungsmachtbegehren in Zeiten der Berliner Republik. Das ist das alte Dilemma der ›Stifter‹, die sich mit ins Bild setzen und im Gestifteten präsent bleiben wollen. Das ist nicht ohne Machtbegehren im Willen zur Sichtbarkeit und Dauer.13 Dieses Täuferparadox (kein Zeugnis ohne Selbstdarstellung) – ist ein Medienparadox. Für eine Religion des Wortes ist das vertraut. Wer die Kirche im Wort gegründet sieht – wie die Präambeln der Landeskirchen-Verfassungen bezeugen – verlässt sich ganz auf dieses Medium des Wortes. Im Glauben an Gottes Wort lebt ein tiefer Glaube an das Wort als Heilsmedium – ein gewisser Wortglaube, ein 13

Am Rande gesagt: Deshalb ist unser Kirchensteuersystem höchst vorzüglich gegenüber Stiftung und fundraising. Die Gabe muss vom Geber getrennt werden, um nicht Machtmittel zu sein.

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Medienglaube. Wir vertrauen zutiefst dem Wort als Wort (Gott übrigens auch). Bei Bildern glauben wir, viel ungläubiger zu sein. Wer würde schon ›dem Bild‹ glauben? Das sei doch nur der Glaube der Anderen, der Altgläubigen. Das könnte eine Selbsttäuschung sein. Denn in Zeiten, da Sichtbarkeit zum höchsten Wert avanciert, ist der Bildglaube allgegenwärtig und sehr mächtig. So mächtig, dass kaum einer dem öffentlichen Auftritt oder gar den Kameras zu widerstehen geneigt ist. Wer sich den Massenmedien willig hingibt – hat ein Problem. Denn in welchem Geist die bespielt werden und wie sie einem mitspielen, ist fraglich. Die Medialität als Figur des Dritten ist durch eine Eigendynamik der Medien(-praxis und -pathik) gekennzeichnet, die mehrdeutig ist. Sie hat Risiken und Nebenwirkungen, wie Medieneffekte stets zeigen. Aber eins wird dabei ebenso klar: Medien haben oder entfalten stets solch eine unverfügbare Eigendynamik, die auch kreativ sein kann. In der Sprachpraxis hoffen und wetten wir darauf. Das kann man auch im Blick auf andere Medien hoffen und fordern – wie visuelle. Denn die Kreativität des Geistes lebt auch von der kreativen, emergenten Eigendynamik der Medien der Kommunikation: erhellende Metaphern, überraschende Erzählungen, fragile Zeugnisse, immersive Rituale – lebendige Bilder der kommenden Gemeinschaft, Szenen, Gesten, Unterbrechungen und gelegentlich auch riskante Störungen, Risse im Gefüge des Gängigen. Das muss keineswegs ›hinreißend‹ werden, also nicht unbedingt spektakulär. Denn die Pointe der Medien des Geistes Christi – der Medienpraxis in seinem Geiste – ist, feine Formvarianzen zu erfinden. Nicht das spektakulär Neue (das war längst), sondern die merkliche, erhellende Abweichung zum Alten. Und auch das Neue will immer wieder neu zur Darstellung gebracht werden – aber bitte nicht mit der Qual ungeheurer Innovation. Das ist in Predigt wie

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Liturgie für alle quälend. Eine feine kleine Variante kann alles merklich werden lassen, was nötig ist. Zwischen Gotteswerk und Menschenwerk vermittelt das Wortwerk in seiner Eigendynamik. Hermeneutisch vertraut formuliert: Gott wirkt durch das Wort (per verbum) und muss sich darin auf das Wortwerk verlassen. Gottes Werk wird also performiert, maßgebend von Christus als Verkörperung Gottes, abgeleitet in allen Folgemedien und Medienkaskaden der christlichen Religionspraxis. Dass das Wortwerk keineswegs aus leblosen Instrumenten besteht, ist hermeneutisch geklärt: Schrift, Wort, Sprache sind von erheblicher Eigendynamik. In dem Sinne lässt sich wagen zu sagen, ›Auch der Buchstabe macht lebendig‹. Wortwerk allein wäre allerdings eine Prägnanz mit hohem Preis, um nicht zu sagen eine mediale Monokultur, als wäre ›allein das Wort‹ das gotteswürdige Medium. Dann hätte es der Verkörperung im lebenden Bild Gottes nicht bedurft? Kein ›Sehen seiner Herrlichkeit‹, wie Johannes meinte? Im Sinne einer Horizonterweiterung sei daran erinnert: Der Mensch lebt nicht vom Wort allein, so wie Gott nicht allein im Wort wirkt. Im Glauben an das Wort steckt ein gehöriges Maß an Wortglaube.14 Gott spricht nicht nur, er zeigt sich auch – zum Glück nie nackt, sondern durch Medien: der brennende Dornbusch oder die Rauch- und Feuersäule; Steintafeln oder Schriftrollen – oder in lebenden Bildern einer Lebensform. Lautet die hermeneutische Regel, das Wort wirkt zwischen Gott und Mensch, Wortwerk als Medium von Gottes- und Menschenwerk, so wäre erweitert zu formulieren: Zwischen Gotteswerk und Menschenwerk wirkt das Medienwerk, oder im Sinne Luthers formuliert: Christus als Medium und daher der Geist Christi in aller Medienvielfalt. Die unfruchtba14

Analog erweitert: Wer ohne Medien das Schauen sucht – wird nur einen nackten Gott finden, was bestenfalls schrecklich wäre.

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re Dualisierung von Gotteswort und Menschenwort, von Gottes Werk und Menschenwerk, wird durch die Figur des Dritten, das Medienwerk entspannt und entdualisiert. An der Sprache zwischen Gott und Mensch ist das längst durchgearbeitet (von G. Bader, E. Jüngel, H.-Ch. Askani, J. Ringleben u.v.a.). Mit der Medialität wird der Wahrnehmungshorizont etwas geweitet. ›Nicht das Wort allein …‹ Nur müsste dann zugestanden werden, dass die Medien eine legitime (wenn auch riskante) Eigendynamik haben. Nicht nur das Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken – der Wein auch. Solch eine Eigendynamik wird im Blick auf Christus schnell anerkannt. Aber es gilt nicht weniger für seine supplementären Medien wie Wort, Werk, Bild, Körper oder Musik. Eigendynamik von Medien – klingt schnell magisch (das Bild als ›verführerisch‹ und manipulativ); oder gar sündig (der Eigenwille statt Gottes Wille); oder unheimlich, als wären die Medien Dämonen (oder Engel). Etwas nüchterner formuliert wird man sich auf die Eigendynamik analoger Medien verlassen müssen, wenn tatsächlich Verkündigung zur Gegenwart des Verkündigten soll werden können; oder Abendmahl oder gute Werke und Lebensform.15 Abendmahl als Geistmedium heißt Figuralpräsenz: in der figura vera des Abendmahls geht es um die Transfiguration der Feiernden. Dabei ist Figur eine Figur des Dritten zwischen ›est‹ und ›significat‹. Diese ›Figura‹ ist die Grundfigur, um Medialität nicht nur als Repräsentation zu begreifen, sondern als Präsenz im Vorübergehen. Dabei treten zum Wort auch andere Medien mit ihrer Deutungsmacht hinzu: Bild, Ton, Körper, Raum und Atmosphäre.

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Wer hier stets die Person und ihr Wissen und Wollen allein am Werk sieht – verkennt, worin und wodurch wir leben, sprechen, wirken.

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7. Geistgegenwart als Immersionsphänomen Den Geist als Medium zu verstehen, führt dazu, dass medienwissenschaftliche Modelle pneumatologisch relevant werden können. Immersion ist ein Beispiel dafür, bei dem man sich wundern kann, warum er nicht längst zum Grundbegriff der Pneumatologie geworden ist: Ist doch Geistesgegenwart das Paradigma für Immersion. Sicher ist nicht alle Immersion Geistesgegenwart, aber Geistesgegenwart ist ein exemplarisches Immersionsphänomen. In den ›game studies‹ wie in der Filmwissenschaft ist dieser Ausdruck gebräuchlich für die ›immersive Erfahrung‹ (genauer: Widerfahrung) des Hineingezogenwerdens und Involviertseins. Seit den 60er Jahren wurde Immersion medienwissenschaftlicher ›Grundbegriff‹ für Telepräsenz und virtuelle Realität. Was in Computerspielen und Filmerfahrung ›passiert‹, wird auf eine Weise benannt, deren theologische Hintergründe dabei schlicht vergessen wurden. Lateinisch immersio meint das Eintauchen, mit der physischen Konnotation, in ein anderes Medium, das Wasser einzutauchen. Die Konnotation zur Taufe ist nicht zufällig: ein Medienwechsel als Welten- und Identitätswechsel. Das Konzept geht auf Béla Balázs zurück, den ungarischen Regisseur, Schriftsteller und Filmtheoretiker (Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films von 1924). Der Film sei wie eine Tür, ein Eingang in einen anderen Raum zu verstehen – im Unterschied zu unbewegten Bildern, die wie ein Fenster fungierten, durch das man schaut. Die Fenstermetapher galt klassisch für die Perspektivenkunst seit der Renaissancemalerei. Mit der Türmetapher wird eine grundsätzlich andere Form der Bildwahrnehmung bezeichnet, die im Film erfahrbar wird. Béla Balázs beschrieb das 1930 in Der Geist des Films metaphorisch mit dem Ausruf: »Wir sind mitten drin!«16 Ausgeführt heißt das: »Der Film […] 16

BÉLA BALÁZS, Der Geist des Films (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001), 14.

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hat die Distanz des Zuschauers aufgehoben; jene Distanz, die bisher zum Wesen der sichtbaren Künste gehört hat. Der Zuschauer steht nicht mehr außerhalb einer in sich geschlossenen Welt der Kunst, die im Bild oder auf der Bühne umrahmt ist. Das Kunstwerk ist hier keine abgesonderte Welt, die als Mikrokosmos und Gleichnis erscheint, in einem anderen Raum ohne Zugang. Die Kamera nimmt mein Auge mit. Mitten ins Bild hinein.«17 Damit wird zugleich eine Deutungsmachterfahrung thematisch. Was poetologisch wie theologisch als raptus, freundlicher formuliert als ›hinreißend‹, benannt wird, ist die Macht eines Mediums, ›mich‹ in einen anderen Horizont zu versetzen, mitzureißen und gravierend zu alterieren. Laura Bieger meinte: »Die Ästhetik der Immersion ist eine Ästhetik des Eintauchens, ein kalkuliertes Spiel mit der Auflösung von Distanz. Sie ist eine Ästhetik des empathischen körperlichen Erlebens und keine der kühlen Interpretation. Und: sie ist eine Ästhetik des Raumes, da sich das Eintaucherleben in einer Verwischung der Grenze zwischen Bildraum und Realraum vollzieht.«18 Immersion bezeichnet eine bestimmte Wahrnehmungsund Erfahrungsform, genauer eine pathische Widerfahrung. Damit kann man Predigt, Liturgie, Kirchenraum, Bilder, Fest und Feier, Theater wie performing arts, Mythen, Erzählungen, (biblische) Texte, Wortverkündigung verstehen: Sie setzen auf ihre energeia und enargeia, um nicht nur etwas zu repräsentieren, sondern um Präsenz zu erzeugen, präsent werden zu lassen, wovon die Rede ist. Was die alte Hermeneutik am Spiel erörtert und Johannes Fischer an der praktischen Erkenntnis vom Mythos her, ist fast unheimlich allgegenwärtig in den Formen und Figuren der Immersion. Das Unheimliche daran ist, dass nicht nur 17 18

BALÁZS, Der Geist des Films, 15. LAURA BIEGER, Ästhetik der Immersion (Bielefeld: transcript 2007), 9.

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das Wahre, Schöne und Gute oder allein Gott derart immersiv präsent werden können, sondern alles Mögliche. Jede Phantasie kann film- oder computertechnisch zur Immersionserfahrung werden, auch ›Faust und Mephisto‹. Daher ist wenig überraschend, dass daraus Technik und Ökonomie gemacht werden. Das Immersionsbegehren wird bewirtschaftet, am erfolgreichsten von den ›Neuen Medien‹. Daher ist die Medienwissenschaft als deren Reflexion auch Immersionsforschung in einer Ausdifferenzierung – dergegenüber die Hermeneutik manchmal etwas ›alt‹ aussieht, obwohl sie doch die praktische Erkenntnis des ›Neuen‹ klären wollte. Immersion ist ein Konzept mit einem metaphorischen Hin und Her zwischen Religion und Medien, Theologie und Medienwissenschaft: Das Eintauchen in eine Flüssigkeit, in den Jordan etwa, wurde zur Medienpraxis der Taufe, von dort übertragen auf Medienerfahrung in Film und Spiel – und von dort kann sie angereichert zurückkehren, um Geistesgegenwart und Glauben zu deuten. Aber, was in Computerspielen (hoffentlich) ›Spiel‹ bleibt, und im Film ein ästhetisches Ereignis im Vorübergehen, soll in der pathischen Wahrnehmung des Reiches Gottes – Lebensform werden, hoffentlich auf ewig, eine eschatologische Immersion. Das ist eine gravierende Differenz von spielerischer und religiöser Immersion. Spiel und Film bleiben eine ›Als-ob-Welt‹, unterschieden von der Lebenswelt. Anders steht es um das Verhältnis von Lebenswelt und Gleichniswelt. Das ›Als-ob‹ des herbeierzählten Reiches Gottes soll gerade überschritten werden. ›Nicht nur ›als-ob‹ ist die Pointe des Gleichnisses gegenüber dem Spiel. Soll doch Gottes Gegenwart kraft des Geistes durch das Gleichnis in der Lebenswelt wirklich werden. Mehr noch: Die im Gleichnis präsent werdende Welt des Reiches Gottes soll wirklicher sein als die ›alte‹ Wirklichkeit. Die pathische Wahrnehmungsform des Glaubens ist im Unterschied zu TV, Film, games und VR eine definitive,

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eschatologische Immersion: Sie durchschreitet eine Tür – ohne Rückweg? Vom Alten ins Neue geht es um eine eschatologische Differenz, um den Eintritt in einen ›neuen Himmel‹ und eine ›neue Erde‹. Der Anspruch dabei ist, dass sich damit ein Welten- und Existenzwechsel ereignet. Medial gesagt geht es um eine neue Wahrnehmungsform, aus der es (möglichst?) keinen Weg zurück gibt – keinen Rückweg ins Alte, der ein Rückfall wäre. Und das nicht nur seitens des Menschen, sondern auch für Gott: Ist Christus einmal in der Welt, gibt es kein Zurück, auch für Gott nicht. Was einmal zur Sprache und zur Welt gekommen ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden. Es wird immer gesprochen worden sein. Was im Blick auf das Spiel pathologisch genannt werden würde, lebenslang ganz in diesem Spiel aufzugehen, ohne Rückweg, wird für die pathische Wahrnehmungsform des Glaubens als wünschenswert vorausgesetzt: Wer durch diese Tür tritt, ist und bleibt in einem neuen Leben. Das kann man mit Recht ›unheimlich‹ finden. Geht es doch anders als bei Odysseus nicht um einen Umweg mit Rückweg, sondern Abraham gleich um einen Weg ohne Rückkehr. Daher kann man auch das nur zu leicht Unpassende der Spielmetapher benennen: Glaube kann man nicht ausprobieren und einen Abend lang spielen. Daher ist auch das Modell der Immersion genauer und besser geeignet, die Pointe namhaft zu machen: mit der Zuspitzung, es gehe um definitive, eschatologische Immersion. Spielrealitäten in der virtual reality sind in der Regel dezidiert ungefährlich konzipiert und folgenlos. Die vorübergehende Neuverortung des ›users‹ im Kontext des Erkannten, seine ›Translokation‹ wird nicht zu einer ›Transsubstantiation‹ oder besser ›Transfiguration‹. Er wird kein anderer, sondern kann ›gut unterhalten‹ wieder zurückkehren in sein altes Leben. Alles andere wäre gefährlich und vermutlich pathologisch.

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Im Glauben hingegen wird es sowohl gefährlich als auch folgenreich. In Christus hat sich das gezeigt. Und im Geiste Christi geht es ums Ganze. Um so erstaunlicher, dass die Immersionstechniken des Christentums meist auffällig unauffällig bleiben, arg zurückhaltend. Während bei der Immersionsforschung die empirischen Faktoren und die technischen Apparaturen im Vordergrund stehen (was im Übrigen durchaus auch bei religiösen Immersionen erforscht werden könnte), sind demgegenüber die Immersionsmedien der Religion nicht atechnisch, aber doch technisch erstaunlich elementar und für zeitgenössische Erregungstechniken vielleicht schlicht ›langweilig‹ oder zu zurückhaltend: Wort, Schrift, Bild etc. Es sind körpernahe, lebensweltnahe Medienpraktiken, die in der Regel ohne so genannte Neue Medien auskommen. Der Mainstream der Immersionsökonomie ist dagegen: immer mehr, immer intensiver, eindrucksvoller: möglichst wirklicher als die Wirklichkeit (in eigentümlicher Nähe zur religiösen Imagination einer kommenden Welt, die wirklicher als diese Wirklichkeit sei). Gegen die ebenso spannenden wie gelegentlich auch unheimlichen Medientechniken der Immersionsintensivierung sieht die Religion meist ›alt‹ aus. Dann ergibt sich ein Unterscheidungsbedarf: Soll die Religion sich auf kompetitive Immersionssteigerung einlassen oder Diskretion in Sachen Immersionstechnik? Der eine, recht breite Weg wäre die machtvolle Kathedrale bis zur Crystal Cathedral. Was eine ordentliche Megachurch sein will, muss medial mithalten können, besser noch mehr als das: möglichst immersiv, unwiderstehlich bewegend, mitreißend. Der deutsche Protestantismus wirkt dann abgehängt, um nicht zu sagen abgehangen. Was soll man dazu sagen? Das kann natürlich daran liegen, dass manches etwas schlicht gemacht ist. Aber man kann manche Diskretion auch anders sehen. Könnte die mediale Zurückhaltung nicht einen religiösen Sinn haben? ›Solo verbo‹ ist gnädigerweise nicht besonders ›Mega‹. So zu kommunizieren,

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dass es möglichst nicht überwältigend wird, sondern Spielräume der Freiheit eröffnet, Räume der Nachdenklichkeit und einer eigenen Verantwortung von Nähe und Distanz? Der Leib des Geistes ist nicht Macht und Herrlichkeit, das wäre eine pneumatologia gloria, sondern überraschend unspektakulär: diskreter als gedacht, pneumatologia crucis.19 PS: Um die pneumatologia crucis nicht allein stehen zu lassen, sei an eine nahe Verwandte erinnert. Eine sehr bemerkenswerte Innovation ist und bleibt, dass Israel seine Geschichte quer durch die hebräische Bibel als extensives Sündenbekenntnis erzählt: als Geschichte immer neuer Bundesbrüche. Welche Religion, welche Nation oder Kirche hätte das je gewagt: die eigene Geschichte als Geschichte permanenter Verfehlung und des Abfalls zu schreiben? Auch das Christentum hat das nie gewagt. Die narrativen Zeugnisse sind tragende Medien des Geistes. Die Geschichten, die eine Religion von sich erzählt, zeigen den Geist, in dem sie lebt. 19

Vgl. zum Hintergrund des Vorangehenden: PH. STOELLGER, Gott als Medium und der Traum der Gottunmittelbarkeit, in: HANS-PETER GROßHANS / MICHAEL MOXTER / PHILIPP STOELLGER, Das Letzte – der Erste. Gott denken. Festschrift für Ingolf U. Dalferth zum 70. Geburtstag, Tübingen: Mohr Siebeck 2018, 351–393; Die Medialität des Geistes oder: Pneumatologie als Medientheorie des Christentums. Zum Medium zwischen Gottes- und Menschenwerk, in: HEIKE SPRINGHART / GÜNTER THOMAS (Hg.), Risiko und Vertrauen. Risk and Trust, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017, 139–174; Seele als Medium. Von der Leiblichkeit der Seele als sozialer Wahrnehmungsform, in: ULRICH BEUTTLER / MARKUS MÜHLING / MARTIN ROTHGANGEL (Hg.), Seelenphänomene. Ein interdisziplinärer Dialog, Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft 29, 2016, Frankfurt am Main: Peter Lang 2016, 137–170; Reformation als Reformatierung der Medialität im Namen der Gottunmittelbarkeit, in: JOHANN ANSELM STEIGER, Reformation heute, Band IV: Reformation und Medien. Zu den intermedialen Wirkungen der Reformation, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018, 35–62.

Entdeckungen und Interpretationen des Geistes Gottes in der Bibel Konrad Schmid

Welchen Gewinn verspricht die Konsultation der Bibel, wenn man im 21. Jahrhundert nach dem Geist Gottes fragt? Seit dem Aufkommen des historisch-kritischen Bewusstseins vor 250 Jahren ist sich die akademisch verantwortete Theologie jedenfalls bewusst, dass sie Theologumena aus der Bibel nicht einfach ungebrochen als normative theologische Statements reproduzieren kann, sondern dass sie diese kritisch zu interpretieren hat. Was immer die Bibel zum Geist zu sagen hat,1 wir werden es nicht sogleich in unsere Liturgien, Dogmatiken und theologische Urteilsbildung aufnehmen können, wollen oder müssen – und zwar ganz zu Recht. Die Bibel ist 2000 Jahre alt und ihre Aussagen haben eine Auslegungsgeschichte von der Antike bis in die Moderne durchlaufen, die wir zu berücksichtigen haben. Das historische Bewusstsein hat allerdings nicht nur die Bibel erfasst, sondern auch die kirchliche Traditionsbildung. So ist heute anerkannt, dass auch zentrale Theologumena wie die Trinitätslehre ihre geschichtlichen Prägungen haben und dass diese keine überzeitlichen Wahrheiten bezeichnen, sondern ebenso der kritischen Interpretation bedürfen. Dieses geschichtliche Bewusstsein wird in Theologie und Kirche nicht selten als Bedrohung wahrgenommen: Damit relativiere sich doch alles. Nun, das ist zwar nicht falsch, 1

Vgl. für das Alte Testament M. BLISCHKE, Gottes Geist im Alten Testament, FAT II, Tübingen 2019.

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aber erstens sind geschichtliche Wahrheiten billiger nicht zu haben. Zweitens, und das ist der wichtigere Punkt, verhilft die geschichtliche Perspektive, die kontingente Logik bestimmter theologischer Aussagen aufzuschlüsseln. Niemand hat den altkirchlichen Theologen vorgeschrieben, vom Binitarismus zum Trinitarismus voranzuschreiten, und niemand hat ihnen vorgeschrieben, den Geist zur dritten Person der Trinität zu erklären. Doch die altkirchlichen Theologen haben genau diese beiden Optionen gewählt, und zwar nicht, weil sie besonders erfindungsreich waren, sondern weil es sich für sie offenbar so am einleuchtendsten ergeben hat. Die historische Nachfrage zurück in die Bibel kann also eine hermeneutische Erschließungsfunktion haben. Man versteht, weshalb der Geist ist, was er ist, aufgrund dessen, wie er dazu geworden ist. Zum dritten schließlich lässt der historisch-kritische Blick in die Bibel auch Potentiale der Rede vom Geist aufscheinen, die der Tradition gegenläufig sind und in der Rezeptionsgeschichte vielleicht vergessen gegangen sind, aber gleichwohl wirklichkeitserschließende Funktion haben. Unter neuzeitlichen Bedingungen muss man sich jedenfalls klar darüber sein, dass die Bibel mit »Geist« oder »Geist Gottes« nicht die dritte Person der Trinität meint, denn diese Vorstellung kannte sie noch gar nicht. Das schließt natürlich auf der anderen Seite nicht aus, dass sich diese »Geist«-Stellen in der Bibel dann als teilkompatibel mit späteren Vorstellungen erweisen konnten. Jedenfalls wird der nachfolgende Beitrag nicht von der kirchlichen Lehre her, etwa von CA 5 (BSLK 58,2–7) oder der Auslegung des dritten Artikels im Kleinen Katechismus (BSLK 511,46–512,5), zurückfragen, wo (und ob) sich die geläufigen Vorstellungen zum Geist bereits in der Bibel finden lassen. Vielmehr stehen im Folgenden zwei prominente Beispiele aus dem Alten Testament im Vordergrund, die nicht in den Mainstream dessen fallen, was üblicherweise mit dem Thema creator spiritus assoziiert wird. Damit

Entdeckungen und Interpretationen des Geistes Gottes in der Bibel

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sind keine bilderstürmerischen Ambitionen verbunden, sondern es soll darum gehen, das pluralistische und auch kritische Potential des biblischen Zeugnisses in die theologische und kirchliche Urteilsbildung zum Thema »Geist« miteinzubeziehen. Das erste Beispiel stammt ganz vom Anfang der Bibel, aus Gen 1,1–3: ‫אָרץ‬ ֶ ‫אשׁית ָבּ ָרא ֱא ִהים ֵאת ַה ָשּׁ ַמיִם וְ ֵאת ָה‬ ִ ‫ְבּ ֵר‬ ‫ל־פּנֵ י ְתהוֹם‬ ְ ַ

‫יְתה תֹהוּ וָ בֹהוּ וְ ח ֶֹשׁ‬ ָ ‫אָרץ ָה‬ ֶ ‫וְ ָה‬

‫ל־פּנֵ י ַה ָמּיִם‬ ְ ַ ‫ ֱא ִהים ְמ ַר ֶח ֶפת‬$‫רוּ‬ ַ ְ‫ו‬ ‫אמר ֱא ִהים יְ ִהי אוֹר וַ ְי ִהי־אוֹר‬ ֶ ֹ ‫וַ יּ‬

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und öde, und Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser. Da sprach Gott: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Gezählt nach dem hebräischen Text, dauert es nur 16 Wörter, bis der Geist Gottes in der Bibel auftaucht, wobei sogleich darauf hinzuweisen ist, dass $‫רוּ‬ ַ im Hebräischen von Atem über Windhauch und Wind bis hin zu Geist so ziemlich alles lufthaft Bewegte bezeichnen kann. Zu $‫רוּ‬ ַ in Gen 1,2 sind zunächst zwei grammatikalische Besonderheiten zu notieren. Erstens: ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫ רוּ‬ist hier determiniert, man muss also – wie dies auch die meisten Bibelübersetzungen richtig tun – übersetzen: »der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser«. Die Determination ergibt sich daraus, dass ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫רוּ‬ eine Konstruktusverbindung ist, in der das zweite Element, ‫א ִהים‬, ֱ der Sache nach grammatikalisch bestimmt ist, weil ‫ ֱא ִהים‬in Gen 1 wie ein Eigenname gebraucht wird,2 der 2

Vgl. A. DE PURY, Gottesname, Gottesbezeichnung und Gottesbegriff. Elohim als Indiz zur Entstehungsgeschichte des Pentateuch, in:

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per definitionem determiniert ist, so dass auch die gesamte Konstruktusverbindung determiniert ist. ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫ רוּ‬heißt in Gen 1 also sicher »der Geist Gottes« und nicht »ein Geist Gottes« oder »ein Geist von Gottheiten«. Falsch ist in jedem Fall auch die Übersetzung der New Revised Standard Version: »while a wind from God swept over the face of the waters.« Hier hat die religionsgeschichtliche Schule den Übersetzern einen Streich gespielt, die gerne die mythische Vorstellung eines Urwindes hinter Gen 1,2 erkannte, doch die grammatikalischen Verhältnisse sind vollkommen klar: ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫ רוּ‬kann nicht »ein Wind von Gott« heißen, ebenso wenig, wie es später in Gen 1,27 nicht heißen kann, dass der Mensch nach »einem Bild Gottes« geschaffen worden sei. Nein, es ist »der Geist Gottes«, der sich über dem Wasser bewegt, und es ist »das Bild Gottes«, nach dem der Mensch erschaffen wird. – Die Determination des »Geistes Gottes« zeigt eine erste wichtige theologische Entscheidung auf: Gott hat einen Geist, nicht viele Geister. Gott ist nicht das numen tremendum et fascinosum, das wild und beliebig emaniert, sondern er ist Gott, der aber in Form von Geist präsent sein kann. Zweitens: ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫ רוּ‬ist hier klar feminin, denn das zugehörige Partizip ‫ ְמ ַר ֶח ֶפת‬ist morphologisch feminin. Ob das heißt, dass der Geist Gottes in der Bibel eigentlich die Geistkraft Gottes ist, muss man allerdings aus drei Gründen bezweifeln. Zum einen spricht Gen 1,2 nicht von der Trinität, sondern von der Präsenzform Gottes vor der Schöpfung. Zum andern ist $ַ ‫ רוּ‬in der Bibel häufig femiJ.C. GERTZ u.a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin / New York 2002: 25–47 = DERS., Die Patriarchen und die Priesterschrift. Les Patriarches et le document sacerdotal. Gesammelte Studien zu seinem 70. Geburtstag, AThANT 99, Zürich 2010, 173–194; kritisch zu ihm E. BLUM, Der vermeintliche Gottesname »Elohim«, in: INGOLF U. DALFERTH / PHILIPP STOELLGER (Hg.), Gott Nennen. Gottes Namen und Gott als Name, RPT 35, Tübingen 2008, 97–119.

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nin, manchmal aber auch maskulin konstruiert. Schließlich ist Hebräisch eine Sprache, die anders als Englisch, aber ähnlich wie Deutsch grammatikalisches und natürliches Geschlecht (engl. sex und gender) nicht deutlich voneinander unterscheidet. Im Englischen sind alle männlichen Wesen männlich, alle weiblichen weiblich und alle sächlichen sächlich – »he« bezieht sich immer auf Männer, »she« immer auf Frauen und »it« immer auf Sachen. Im Deutschen ist »der Tisch« grammatikalisch so männlich wie »der Hengst«, »die Gabel« grammatikalisch so weiblich wie »die Katze«, und daneben gibt es aber auch Sachen wie »das Geschirr« oder »das Tafelsalz«, die tatsächlich neutrisch konstruiert werden. Im Hebräischen ist es ähnlich wie im Deutschen, nur mit dem Unterschied, dass es kein sächliches Genus gibt. Doch Sex und Gender müssen sich nicht notwendigerweise entsprechen: Ob die grammatikalisch feminine ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫ רוּ‬in Gen 1,2 deswegen tatsächlich feminine Qualitäten hat, bleibt sprachlich also unklar. Diese Überlegungen zum Ausdruck ‫ ֱא ִהים‬$ַ ‫ רוּ‬müssen hier genügen. Wie aber funktioniert dieser Begriff in Gen 1,2 in seinem narrativen Kontext? Das ist eine entscheidende Frage, denn Begriffe beziehen ihre Bedeutung nicht aus sich selbst, sondern vor allem über ihren Gebrauch im sprachlichen Kontext. Gen 1,1 ist, wie allgemein anerkannt ist, Überschrift über den ersten Schöpfungsbericht, nicht aber bereits Darstellung der Erschaffung von Himmel und Erde, denn der Himmel wird erst in Gen 1,7 erschaffen, die Erde kommt erst in Gen 1,9 zum Vorschein. Gen 1,2 dagegen bietet einen Blick in das Vorher der Schöpfung an: Was hier beschrieben wird, ist die Welt vor der Schöpfung. Mit Gen 1,3 setzt dann die Schöpfung ein. Erst von hier an finden sich auch narrative Verbformen. Was aber macht der Geist Gottes in Gen 1,2 im Rahmen der Beschreibung der Welt vor der Schöpfung? Die Frage

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stellt sich umso drängender, als er nachher in Gen 1 und auch sonst in der Priesterschrift gar nicht mehr vorkommt. Weshalb wird er hier eingeführt? In der Auslegung hat man oft an einen mythischen Urwind oder Gotteswind gedacht, der hier aufgenommen worden sei. Doch diese Auslegung muss hier ausscheiden, da in Gen 1 nichts überflüssig ist und mythisches Material nicht einfach um seiner selbst willen berücksichtigt wird. Richtig ist wohl die Interpretation, dass Gen 1,2 den zum Sprechen bereiten Geist Gottes bezeichnen will,3 und tatsächlich ist dann das Sprechen die einzige Aktivität Gottes nach Gen 1,3. Doch weshalb wird der zum Sprechen bereite Gott in Gen 1,2 über seinen »Geist« konzeptualisiert? Nun, wenn es zutrifft, dass in Gen 1 der zum Sprechen bereite Geist Gottes im Zustand vor der Erschaffung der Welt dem sprechenden Gott während des Schöpfungsprozesses entspricht, so kommt man m.E. nicht umhin, in der Terminologie »Geist Gottes« ein kritisches Element zu erkennen: Auch Gott entwickelt sich in der Priesterschrift, und offenbar entwickelt er sich bereits von seiner Form vor der Schöpfung als »Geist« zum klar sprechenden und durch sein Wort schaffenden Gott während der Schöpfung. Gleichzeitig werden so alle aktuellen Geistvorstellungen in der Umwelt negiert bzw. dem Zustand Gottes vor der Weltschöpfung zugeschrieben. Die Priesterschrift in Gen 1 hat vielleicht durchaus auch die ihr vorliegenden Geisttraditionen der Bibel im Blick, wie sie etwa in den Richteroder Samuelüberlieferungen bezeugt sind. Gegen diese Vorstellungen hält sie fest: Gott wirkt in seiner Welt nicht 3

Vgl. O.H. STECK, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a, FRLANT 115, Göttingen 21981, 223–239. S. auch J.C. GERTZ, Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11, ATD 1, Göttingen 2018, 39–44.

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über gelegentlich erfolgende Geistemanationen, sondern er hat der Welt durch sein Schöpferwort eine uranfängliche Ordnung eingestiftet, die allein den Schöpferwillen bezeugt. Wenn man etwas zugespitzt formulieren will, lässt sich so in Gen 1,2 ein fast frühprotestantischer Blick auf den Geist erkennen: Seit Anbeginn der Zeit, also seit der Erschaffung des Lichts und des Einsetzens des Tag-und-Nacht-Rhythmus in Gen 1,3–4 spricht Gott klar und deutlich – und sein Wort ist schöpfungsmächtig. Seine Präsenzgestalt vor der Schöpfung ist dagegen vergleichsweise diffus, sie beschränkt sich auf das zitternde Dasein seines Geistes über der Wasseroberfläche, dessen einzige Aufgabe es ist, mit Anbruch der Zeit dann zu sprechen. Der »Geist Gottes« ist hier also streng genommen gerade nicht der creator spiritus, sondern eher der zur creatio bereite spiritus. Er bezeichnet die volle Potentialität des Schöpfergottes, aber er steht nicht für die Aktualität des Schöpfungsgeschehens. Dieses leistet nicht mehr der Geist, sondern der klar und konzis sprechende Gott. Das zweite, kürzere Beispiel ist kaum weniger prominent als Gen 1. Es stammt aus dem Prolog der sogenannten Deuterojesajaschrift (Jes 40–66). Dort steht zu lesen (Jes 40,6–8): ‫קוֹל א ֵֹמר ְק ָרא וְ אָ ַמר ָמה ֶא ְק ָרא‬ ‫ל־ח ְסדּוֹ ְכּ ִציץ ַה ָשּׂ ֶדה‬ ַ ‫ל־ה ָבּ ָשׂר ָח ִציר וְ ָכ‬ ַ ‫ָכּ‬ ‫ יְ הוָ ה נָ ְשׁ ָבה בּוֹ‬$ַ ‫ֵיָבשׁ ָח ִציר נָ ֵבל ִציץ ִכּי רוּ‬ ‫אָ ֵכן ָח ִציר ָה ָ ם‬ ‫עוֹלם‬ ָ ‫ר־א ֵהינוּ יָ קוּם ְל‬ ֱ ‫ֵיָבשׁ ָח ִציר נָ ֵבל ִציץ וּ ְד ַב‬

Horch, einer spricht: Rufe! Und er sagt: Was soll ich rufen? Alles Fleisch ist Gras, und alles, was gut ist daran, ist wie die Blume auf dem Feld.

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Das Gras vertrocknet, die Blume verwelkt, wenn der Geist Jhwhs darüberweht. Wahrlich, das Volk ist Gras! Das Gras vertrocknet, die Blume verwelkt, das Wort unseres Gottes aber besteht für immer. Was hier gesagt wird, ist vor allem im Blick auf den Geist Gottes höchst erstaunlich: Wenn der Geist Gottes über das Gras und die Blume weht, dann leben diese nicht auf, sondern das Gras vertrocknet und die Blume verwelkt. Creator spiritus – oder eher destructor spiritus? Was haben sich die Theologen, die Jes 40 geschrieben haben, gedacht, als sie das Wirken des Geistes Gottes nicht mit dem Wachsen und Blühen des Grases in Verbindung gebracht haben, sondern mit dem Vertrocknen und Verwelken? Nun, man kann von der ausgeprägten und stark durchreflektierten Schöpfungstheologie des Deuterojesajabuchs insgesamt getrost davon ausgehen, dass dieses sicher auch annimmt, dass Gott für das Wachsen und Blühen der Pflanzen zuständig ist, so etwa explizit Jes 41,19: ‫ֶא ֵ ֤תּן ַבּ ִמּ ְד ָבּ ֙ר ֶ ֣א ֶרז ִשׁ ָ֔טּה וַ ֲה ַ ֖דס וְ ֵ ֣ץ ָ ֑שׁ ֶמן‬ ְ ‫ָא ִ ֣שׂים ָבּ ֲ ָר ָ֗בה ְבּ ֛רוֹשׁ ִתּ ְד ָ ֥הר‬ ‫וּת ַא ֖שּׁוּר יַ ְח ָ ֽדּו׃‬

In die Wüste gebe ich Zedern, Akazien, Myrten und Ölbäume, in der Steppe setze ich Wacholder, Ulmen und Zypressen dazu. Doch ganz offenkundig greift Jes 40 hier zu einem rhetorisch sehr starken Mittel, um seine monotheistische Option jenseits jeglichen Zweifels zu begründen: Ja, auch wenn Lebewesen dahinschwinden, dann steht der Geist Gottes dahinter. Gerade auch im Vergehen des Lebens zeigt sich die Schöpfermacht Gottes – diese umfassenden Vorstellungen dürfen von ihm nicht ferngehalten werden.

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Dieses theologische Argument der Betonung der umfassenden Schöpfermacht, die auch die negativen Seiten nicht nur nicht ausklammert, sondern betont mit Gott selber in Verbindung bringt, ist in der Deuterojesajaüberlieferung auch anderwärts belegbar, so besonders in der berühmten Passage Jes 45,6–7: ‫ֲאנִ י יְ הוָ ה וְ ֵאין עוֹד‬ ‫בוֹרא ָרע‬ ֵ ‫בוֹרא חֹ ֶשׁ עֹ ֶשׂה ָשׁלוֹם וּ‬ ֵ ‫יוֹצר אוֹר וּ‬ ֵ ‫ל־א ֶלּה‬ ֵ ‫ֲאנִ י יְ הוָ ה עֹ ֶשׂה ָכ‬

Ich bin Jhwh und keiner sonst, der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft, ich, Jhwh, bin es, der all dies vollbringt. Das »Bilden« des Lichts wird mittels der hebräischen Wurzel ‫» יצר‬formen« und das »Vollbringen« des Heils mittels ‫ עשׂה‬ausgedrückt, für das »Schaffen« des Unheils aber wird der spezifische Schöpfungsterminus ‫ ברא‬verwendet, der exklusiv für das Gotteshandeln reserviert ist. In Jes 45 lässt sich also ganz analog zu Jes 40 beobachten, wie die theologische Dimension eines Textes vor allem dann expliziert wird, wenn mögliche Missverständnisse aufkommen könnten: Mit der Destruktion hat Gott nichts zu tun. Dagegen bietet die Deuterojesajaüberlieferung die theologische Explikation und betont ebenso kühn wie gewagt: Gott steht hinter allem. Nun kann man allerdings fragen, weshalb in Jes 40 besonders der »Geist« Gottes aktiviert wird. Nun, wie bereits erwähnt, kann $‫רוּ‬ ַ alles lufthaft Bewegte von Atem über Windhauch und Wind bis hin zu Geist bedeuten. Dass in Jes 40 ‫ יְ הוָ ה‬$‫רוּ‬ ַ und nicht nur ‫ יְ הוָ ה‬genannt ist, dürfte wohl einerseits mit der Bildwelt der Aussage zusammenhängen – das Vertrocknen des Grases und das Verwelken der Blume

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unter dem warmen Wind lässt sich empirisch beobachten –, andererseits aber auch der Gegenüberstellung mit dem Wort Gottes geschuldet sein – der Geist Gottes und das Wort Gottes gehören in einen Vorstellungszusammenhang (vgl. etwa Jes 34,16–17). Die Vorstellung einer nicht nur kreativen, sondern allumfassenden Tätigkeit des Geistes in Jes 40 hat auch der späteren Überlieferung Probleme bereitet. Jes 40 ist auch bekannt aus dem deutschen Requiem von Johannes Brahms. Dort erscheint der Text aber in der kürzeren Fassung von 1. Petrus 1,24–25, in der aus Jes 40 zitiert wird: διότι πᾶσα σὰρξ ὡς χόρτος καὶ πᾶσα δόξα αὐτῆς ὡς ἄνθος χόρτου· ἐξηράνθη ὁ χόρτος καὶ τὸ ἄνθος ἐξέπεσεν τὸ δὲ ῥῆµα κυρίου µένει εἰς τὸν αἰῶνα. Denn alles Fleisch ist wie das Gras, und all seine Pracht wie die Blume des Feldes. Das Gras verdorrt und die Blüte fällt ab, das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit. Nach dieser Textfassung verdorrt das Gras von selbst, ebenso fällt die Blüte nicht infolge des Wirkens des Geistes ab, sondern dies geschieht sua sponte. Diese kürzere Version von Jes 40 im Zitat des 1. Petrusbriefes ist aber schon älter als das Neue Testament, sie wird auch durch die Septuaginta von Jes 40,6–8 bezeugt: φωνὴ λέγοντος βόησον καὶ εἶπα τί βοήσω πᾶσα σὰρξ χόρτος καὶ πᾶσα δόξα ἀνθρώπου ὡς ἄνθος χόρτου ἐξηράνθη ὁ χόρτος καὶ τὸ ἄνθος ἐξέπεσεν τὸ δὲ ῥῆµα τοῦ θεοῦ ἡµῶν µένει εἰς τὸν αἰῶνα

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Eine Stimme spricht: Rufe! Und ich sprach: Was soll ich rufen? Alles Fleisch ist ja Gras und all die Pracht des Menschen wie die Blume des Grases. Das Gras verdorrt und die Blume fällt ab, aber das Wort unsres Gottes bleibt in Ewigkeit. Wiederum fehlt die Passage vom Wehen des Geistes Gottes, der das Verdorren erst auslöst. Eben diese Kurzfassung ist schließlich auch aus Qumran aus der großen Jesajarolle bekannt: Die Aussage in 40,7, die das Verdorren des Grases und das Verwelken der Blume auf den Geist Gottes zurückführt, ist erst durch einen zweiten Schreiber zwischen den Zeilen und dann am rechten Rand nachgetragen worden.

Abb. 1 Jesajarolle aus Qumran (ca. 125 v.Chr.) mit dem nachgetragenen Text von Jes 40,7

Der Nachtragscharakter von Jes 40,7 lässt sich auch durch inhaltliche Überlegungen stützen: Die Bildwelt von Jes 40,6–8 ist durch die Gegenüberstellung der Vergänglichkeit der Kreatur und des ewigen Bestandes des Wortes Got-

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tes geprägt. Das theologische Anliegen von Jes 40,7 ist aber offenbar genau aus dieser Gegenüberstellung generiert: Wenn das Wort Gottes ewig ist, so muss auch das Schöpferhandeln Gottes ewig sein. Und um dies zu behaupten, schließt nun Jes 40,7 auch das Absterben der Kreatur explizit in das Schöpferhandeln Gottes mit ein und schreibt auch dieses dem Geist Gottes zu. Nun, das ist zugegebenermaßen ein sehr schwieriger Gedanke, aber noch viel schwieriger ist der Gedanke, Gott und seinem Geist das Absterben der Kreatur nicht zuzuschreiben. Denn dann wäre Gott nicht Gott, sondern allenfalls ein gut informierter Zuschauer seiner Schöpfung. Gottes Geist in Jes 40,7 macht also mehr und anderes, als wir von ihm erwarten – er lässt sich nicht in das Prokrustesbett des creator spiritus zwängen. Dieses Aussagemoment dürfte von entscheidender Aktualität für das heutige Reden vom Geist Gottes sein, wenn man den Geist Gottes ebenso komplex wie Gott zu denken hat, wogegen es eigentlich keine guten Gründe gibt.

Der Geist und die Geister in der Hebräischen Bibel und in den Texten vom Toten Meer Reinhard G. Kratz

Nachdem Konrad Schmid über den Geist Gottes in der Bibel referiert hat, möchte ich mich dem »Geist« im antiken Judentum, und hier insbesondere in den Schriften vom Toten Meer (Qumran) als dem Umfeld des Alten und Neuen Testaments zuwenden. Ich werde mich auf zwei Aspekte konzentrieren, einen theologischen (Der Geist Gottes und die Geister) und einen anthropologischen Aspekt (Der Geist Gottes und der Geist des Menschen). Anschließend werde ich kurz auf das Verhältnis dieser beiden Aspekte zum biblischen Befund eingehen. 1. Der Geist Gottes und die Geister Es ist eine der Besonderheiten des antiken Judentums, dass in den Texten der sogenannten Spätzeit des Alten Testaments, d.h. der hellenistischen Zeit, der Himmel auf einmal wieder bevölkert ist. Über Jahrhunderte hat sich das biblische Judentum, also diejenige Ausprägung des Judentums, die uns in der Hebräischen Bibel und in den parabiblischen Texten begegnet, mit der polytheistischen Welt der altorientalischen Kulturen (Hethiter, Ägypter, Assyrer, Babylonier, Perser und Griechen) sowie der kanaanäischen Religionen auseinandergesetzt, zu denen ursprünglich auch die Jhwh-Religion selbst in Israel und Juda gehörte. Schritt e für Schritt hat sich hier zunächst (im Sh ma‘ Israel Dtn 6,4) die Auffassung herausgebildet, dass der Gott Jhwh nur ei-

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ner ist und nicht, wie bei den Göttern im Alten Orient allgemein üblich und ursprünglich auch bei Jhwh selbst der Fall, in verschiedenen lokalen Manifestationen als Jhwh von Samaria, Jahwh von Teman oder Jhwh von Jerusalem in Erscheinung tritt. Als nächstes wurde (im Dekalog Ex 20 und Dtn 5) die Forderung aufgestellt, dass Israel nur den einen Jhwh und keine »anderen Götter« verehren und sich auch kein Bild von Jhwh anfertigen soll. Schließlich ging man im sogenannten Deuterojesaja (hier Jes 40–48 sowie Dtn 4) so weit zu behaupten, dass es überhaupt nur einen einzigen Gott, nämlich Jhwh, gibt und keinen sonst. Letzteres ist das, was man gemeinhin als Monotheismus bezeichnet.1 Die Entwicklung wurde durch Krisen der Jhwh-Religion ausgelöst und richtete sich in erster Linie nicht gegen die Götter der fremden Kulturen, sondern gegen das eigene israelitisch-judäische Religionssystem in vor- und nachexilischer Zeit, das grundsätzlich »polytheistisch« strukturiert war: Auch in Israel und Juda der monarschischen und nach-monarchischen Zeit verehrte man mehrere Gottheiten und erkannte die Götter der anderen Völker an. Reste dieser alten Religionspraxis sind auch in die Hebräische Bibel eingegangen, hier aber überschrieben und grundlegend transformiert worden.2 Doch in einigen späten Partien der Hebräischen Bibel und in den Texten der Gemeinschaft von Qumran am Toten 1

Vgl. hierzu R.G. KRATZ, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000, 149; DERS., »Höre Israel« und Dekalog, in: C. FREVEL u.a. (Hg.), Die Zehn Worte: Der Dekalog als Testfall der Pentateuchkritik, QD 212, Freiburg 2005, 77–84; E. AURELIUS, Der Ursprung des Ersten Gebots, ZThK 100, 2003, 1–21; R. MÜLLER, Treue zum rettenden Gott: Erwägungen zu Ursprung und Sinn des Ersten Gebots, ZThK 112, 2015, 403–428. 2 Vgl. dazu R.G. KRATZ, Reste hebräischen Heidentums am Beispiel der Psalmen, in: DERS., Mythos und Geschichte: Kleine Schriften III, FAT 102, Tübingen 2015, 156–189.

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Meer beginnt sich der Himmel plötzlich wieder mit himmlischen Wesen zu füllen.3 Neben Gott taucht in Hiob, in der Chronik und im Jubiläenbuch (einer Neufassung der Bücher Genesis und Exodus) der Satan oder Mastema als Gegenspieler Gottes auf. Im Danielbuch sowie in vielen andern jüdischen und frühchristlichen Apokalypsen ist die himmlische Welt mit Engeln bevölkert, die wie in der alten kanaanäischen Religion den Thronrat Gottes bilden. In allen diesen Schriften erhalten wir Einblick in die theologische Seite unseres Themas. Unter Bewohnern der himmlischen Welt gibt es gute und böse Wesen: sie begegnen etwa in einer Reformulierung der Genesis (4Q225 = 4QPsJuba), in der sich anlässlich der Szene von Isaaks Opferung in Gen 22 (Aqeda) Gott und Satan und jeweils eine Schar guter und böser Engel gegenüberstehen und das Geschehen beobachten;4 oder im Buch der Wächter im 1. Henochbuch, in dem die Geschichte des Engelfalls von Gen 6,1–4 in aller Breite erzählt wird, wie die bösen Engel – in Gen 6 »Göttersöhne«, im 1. Henoch »Wächter« genannt – auf die Erde kommen und nicht nur die Töchter der Menschen zur Unzucht verführen, sondern ihnen auch alles schlechte Wissen mitbringen: Zauber und Magie, aber eben auch so hübsche Sachen wie Schmuck und Augenschminke.5 Über die guten göttlichen Wesen im Himmel erfahren wir etwas mehr in einem überaus interessanten, schwierigen Text von Qumran, den sogenannten Sabbatopferliedern (Shirot ‘Olat ha-Shabbat).6 Bei dieser Komposition handelt 3 Vgl. zum Folgenden R.G. KRATZ, Gott und die Göttlichen in der Hebräischen Bibel und in den Texten vom Toten Meer, in: DERS., Mythos und Geschichte, 218–234. 4 Deutsche Übersetzung in J. MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. II, München 1995, 180–181. 5 Deutsche Übersetzung in S. UHLIG, Das Äthiopische Henochbuch, JSHRZ V/6, Gütersloh 1984, 506–572, bes. 516–532. 6 Deutsche Übersetzung in MAIER, a.a.O., 377–417.

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es sich um eine Sammlung von Hymnen zum wöchentlichen Sabbatopfer. Es sind Texte, die für den Kult bestimmt sind, aber dieser Kult findet nicht auf Erden im Tempel, sondern im Himmel statt, und an diesem Kult partizipieren die Mitglieder der Gemeinschaft von Qumran, die sich in anderen Texten selbst als Tempel Gottes bezeichnen (1QS), so wie Paulus die christliche Gemeinde als Tempel Gottes bezeichnet. In dieser Komposition haben die himmlischen Wesen verschiedene Funktionen: Sie bilden zum einen den Hofstaat des himmlischen Königs; zum anderen bilden sie die Mauern des himmlischen Tempels und werden »die Grundfesten des Allerheiligsten, die Stützpfeiler der allerhöchsten Wohnung (oder der Wohnung des Allerhöchsten) und alle Ecken seines Gebäudes« genannt – getreu der Zeile in Ps 22,4, die im Licht der Shirot verständlich und anschaulich wird: »Du aber bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels«. In beiderlei Funktion, als himmlischer Thronrat und Mauern des himmlischen Heiligtums, sind die himmlischen Wesen Kultteilnehmer und Akteure des Kultes in einem, die zum Lobpreis Gottes aufgefordert werden. Hier ein Auszug aus dieser Komposition (Shirot ‘Olat ha-Shabbat Fr. 1 i 30ff par. in 4Q404–405 and Mas):7 30Für

den Maskil: Lied des Brandopfers des siebten Sabbats am sechzehnten des Monats. Lobt, Gottheiten der Höhen (den Gott der Höhen), ihr Hohen unter allen 31Göttlichen der Erkenntnis! Die göttli7

Deutsche Übersetzung in Anlehnung an MAIER, a.a.O., 391–393. Durchgestrichene Textpassagen sind Verschreibungen, die im Manuskript durch den antiken Schreiber selbst getilgt und korrigiert wurden; Text in eckigen Klammern [...] ist nicht erhalten, sondern eine mögliche oder wahrscheinliche Ergänzung; Text in runden Klammern (...) ist eine alternative Lesung oder Übersetzung oder sinngemäße Ergänzung zur Verdeutschung des hebräischen Texts.

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chen Heiligen sollen groß machen (heiligen) den König der Herrlichkeit, der alle seine Heiligen mit Heiligkeit heiligt. Häupter der Lobpreisungen 32aller Gottheiten, preist den Gott der Lobpreisungen mit Hoheit. Denn in der Pracht der Lobpreisungen besteht die Herrlichkeit seines Königtums. In ihm sind die Lobpreisungen 33aller Gottheiten samt der Pracht seines ganzen König[tums]. Und erhebt seine Erhebung zur Höhe, ihr Gottheiten der Göttlichen der Höhe, seine herrliche Gottheit hoch über 34die hohen Höhen. Denn er [ist der Gott der Göttlichen] für alle Häupter der Höhen und König der Köni[ge] für alle ewigen Ratsversammlungen nach dem Willen 35seiner Erkenntnis. Gemäß den Worten seines Mundes entstehen [alle Göttlichen], gemäß den Aussprüchen seiner Lippen alle ewigen Geister, gemäß dem Willen seiner Erkenntnis alle seine Werke 36in dem, wozu sie geschickt sind. Jubelt, die ihr bejubelt [seine Erkenntnis] mit Jubel unter den wunderbaren Gottheiten. Und sprecht seine Herrlichkeit aus mit der Zunge aller, die die Erkenntnis seines wunderbaren Jubels aussprechen, 37mit dem Mund aller, die aussprechen [... er ist] Gott für alle, die Erkenntnis auf ewig bejubeln und Richter in seiner Macht über alle Geister der Einsicht. 38Lobt, alle Göttlichen von Hoheit, den König der Hoheit, denn alle Göttlichen der Erkenntnis loben seine Herrlichkeit und alle Geister der Gerechtigkeit loben seine Wahrheit. 39Und es möge Gefallen finden ihre Erkenntnis in die Bestimmungen seines Mundes und ihre Loblieder, wenn seine mächtige Hand zurückkehrt von Vergeltungs-Gerichten. Spielt dem Gott der Stärke 40mit dem Anteil des Geistes vom obersten Rang [zu einem Psalm] mit göttlicher Freude, und es sei ein Jauchzen unter allen Heiligen zu wunderbaren Gesängen in ewiger Freude. 41In alledem sollen loben die Grundfesten des Allerheiligsten, die Stützpfeiler der allerhöchsten Wohnung (der Wohnung des Allerhöchsten) und alle Ecken seines Gebäudes.

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Spielt, 42Gott[heiten, furchtbar an] Kraft, alle Geister der Erkenntnis und des Lichts, um gemeinsam das Firmament des Allerreinsten für sein heiliges Heiligtum zu tragen. 43Und [preist] ihn, göttliche Geister, um [in alle Ewig]keiten zu loben das Firmament, die oberste Höhe, alle Bal[ken] und seine Mauern, seinen ganzen 44Bau, die Werke des Bau[planes – Gei]ster des Allerheiligsten, lebendige Gottheiten, heilige [Gei]ster der Ewigkeit droben 45von allen Heili[gen, Allerwunderbarstes, Hoheit und Pracht. Wunderbar ist der Gott der] Herrlichkeit in hellstem Licht der Erkennt[nis. ... 46in allen wunderbaren Heiligtümern sind göttliche Geister rings um die Wohnung des Königs (von) Wahrheit und Gerechtigkeit (sind) alle seine Mauern ...] Die Bezeichnungen der zum Lobpreis Gottes aufgerufenen himmlischen Wesen sind überaus vielfältig: Sie heißen Göttliche oder Götter, »Hauptfürsten«, »Häupter der Lobpreisungen«, »Häupter der Höhen«, »Heilige«, »Göttliche der Erkenntnis« oder besser »kenntnisreiche Göttliche«, »Wunder-Gottheiten«, »Göttliche von Hoheit«, und eben auch »Geister« (ruchim und ruchot): Z. 35 »ewige Geister«, Z. 37 »Geister der Einsicht«, Z. 38 »Geister der Gerechtigkeit«, Z. 42 »Geister der Erkenntnis und des Lichts«, Z. 43 und 46 »göttliche Geister« und Z. 44 »heilige Geister«. Die Bezeichnungen stehen häufig in Genetivverbindungen (sog. Constructus-Verbindungen) und haben diverse Attribute bei sich, etwa »die Hohen aller Göttlichen der Erkenntnis« oder »die Gottheiten der Göttlichen der Höhe«. Daraus geht hervor, dass es eine Rangordnung unter den himmlischen Wesen gibt, die allerdings schwer zu durchschauen ist. Besonders merkwürdig aber ist, dass sie alle mit demselben Wort ’elim oder ’elohim bezeichnet werden, wie Gott selbst, dem die Lobpreisungen gelten. Gelegentlich ist es sogar schwer zu sagen, wer überhaupt gemeint ist, Gott oder die

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Göttlichen, meistens geht die Relation jedoch aus der Syntax hervor. In gewisser Weise lobt sich hier also Gott selbst. Dennoch werden die himmlischen Wesen von Gott unterschieden. Von den »Geistern« heißt es, dass Gott sie erschaffen habe (Z. 35–36): »Durch die Worte seines Mundes entstehen alle [Göttlichen der Höhe]; durch die Äußerungen seiner Lippen alle ewigen Geister; nach dem Willen seiner Erkenntnis alle seine Werke in ihrer Mission.« Die göttlichen Wesen gelten somit als Emanationen und zugleich als Wirkweisen Gottes. Aus dem »Gott der Götter« sind Gott und die Göttlichen geworden. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als spiele sich das Geschehen allein im Himmel ab und seien sich Gott und die Göttlichen im himmlischen Gottesdienst selbst genug. Doch die Attribute, die ihnen zugeschrieben werden, weisen in eine andere Richtung. Die himmlischen Wesen repräsentieren Eigenschaften und Wirkweisen Gottes: Einsicht und Erkenntnis, Hoheit und Licht, Gerechtigkeit und Wahrheit. Einschlägig hierfür ist der Mittelteil unseres Textbeispiels in Z. 36–39, der besagt, dass Gott »Richter« und im Besitz von »Wahrheit« ist und dass sich die Erkenntnis der Göttlichen auf die »Bestimmungen seines Mundes« und die Loblieder auf seine »Vergeltungs-Gerichte« beziehen. In Z. 35–36 sind die himmlischen Wesen gleichgesetzt mit »allen seinen Werken in dem, wozu sie geschickt sind«. Mit diesen Attributen wird die Verbindung zu den irdischen Teilnehmern am himmlischen Kult hergestellt. Wer an dem Kult partizipiert, partizipiert auch an all diesen Eigenschaften Gottes, die die himmlischen Wesen als Emanationen Gottes repräsentieren. Was man diesem Textbeispiel für das Thema der Konsultation entnehmen kann, ist dreierlei: 1) In der Vorstellung des antiken Judentums gibt es nicht nur einen Geist Gottes oder heiligen Geist, sondern viele, ja ungezählte heilige Geister.

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2) Die heiligen Geister sind Gott gleichgestellt und heißen auch Gott, gelten jedoch als seine Geschöpfe, ebenso wie seine Werke, sind also als Emanationen und Wirkweisen Gottes vorgestellt. 3) Es besteht ein Kontakt der Geister zu den Menschen, die am himmlischen Kult teilhaben. Die heiligen Geister fungieren in gewisser Weise als Mittler zwischen Gott und Menschen, und zwar durch die Eigenschaften und Wirkweisen Gottes, die sie repräsentieren. Dasselbe gilt übrigens auch für Satan und seine bösen Geister, die wir Dämonen nennen. 2. Der Geist Gottes und der Geist des Menschen Damit komme ich zu dem zweiten Aspekt, der anthropologischen Seite der Vorstellung von den »Geistern« in den Texten vom Toten Meer. Die Ordnungen der Gemeinschaft von Qumran sehen vor, dass der »Geist« eines jeden Mitgliedes bei Eintritt und auch weiterhin regelmäßig darauf hin überprüft wird, ob er den Maßstäben der Gemeinschaft genügt. Der Geist, richtiger: die Geister im Menschen können gut oder böse sein und werden in verschiedene Stufen der Erkenntnis eingeteilt. Hier eine kurze Kostprobe aus der Gemeinderegel Serekh ha-Yachad (1QS V 20–25):8 Und wenn einer in den Bund eintritt, um nach allen diesen Geboten zu handeln, sich dem Rat der Heiligkeit anzuschließen, so sollen sie ihren Geist in der Gemeinschaft 8 Text und Übersetzung in E. LOHSE, Die Texte aus Qumran, Darmstadt 1981, 20f. Vgl. zum Folgenden A. KLEIN, From the ›Right Sprit‹ to the ›Spirit of Truth‹: Observations on Psalm 51 and 1QS, in: D. DIMANT / R.G. KRATZ (Hg.), The Dynamicas of Exegesis and Language at Qumran, FAT II/35, Tübingen 2009, 171–191.

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untereinander erforschen, hinsichtlich des Verständnisses und seiner Taten im Gesetz ... Und man soll sie eintragen in die Ordnung, einen vor dem anderen, entsprechend seinem Verständnis und seinen Taten, damit sie gehorsam sind, einer dem anderen, der Geringere dem Höheren. Und man soll ihren Geist prüfen und ihre Taten Jahr um Jahr, um einen jeden entsprechend seinem Verständnis und der Vollkommenheit seines Wandels aufrücken zu lassen oder ihn entsprechend seiner Verkehrtheit zurückzusetzen. Doch der Geist des Menschen ist nicht vollkommen unabhängig, sondern wird in den Texten von Qumran mehr und mehr zum Geist Gottes in Beziehung gesetzt. In den sogenannten Hodayot, einer Sammlung von Lob- und Dankliedern aus Qumran, ist an vielen Stellen – im Rückgriff auf Psalm 51 – davon die Rede, dass der Beter den (heiligen) Geist Gottes empfangen habe und nur dadurch zu den Gerechten gehöre und zur Erkenntnis gelangt sei. In dem folgenden Textbeispiel lesen wir, dass Gott handelt »im Geist seines Erbarmens«, den »Geist des Gerechten« bestimmt, seinen »heiligen Geist« dem Beter eingibt und ihn dadurch reinigt und fähig macht, die Gebote Gottes zu halten. Ziel ist die »Verbindung mit dem Geist des Knechts«, durch die dieser die Gnade und die Vergebung Gottes erfährt; an anderen Stellen ist auch von der Erkenntnis der Wahrheit die Rede, die der Beter durch den heiligen Geist Gottes erhält. Hier der Text 1QHa VIII 26– 37 (Sukenik XVI 8–19):9 8Gepriesen

seist du, Herr, der du groß von [R]at und rei[ch] an Tat bist, dessen Werk alles ist. Siehe du hast es unternommen, zu t[un an mir] 9Barmherzigkeit, und hast dich mir gnädig erwiesen im Geist dei9

Text und Übersetzung in LOHSE, a.a.O., 168f (Zählung nach Sukenik).

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nes Erbarmens [...| deiner Herrlichkeit. Dir, ja dir gehört die Gerechtigkeit, denn du hast [dies] al[les] getan. 10Und dadurch, daß ich erkenne, daß du den Geist des Gerechten bestimmt hast, habe ich erwählt, meine Hände zu reinigen nach [deinem] Willen. Und die Seele deines Knechtes ver[absch]eut jedes 11Werk des Frevels. Und ich weiß, daß ein Mann nicht gerecht wird ohne dich. Und ich will dein Angesicht besänftigen durch den Geist, den du [in mich] gegeben hast, um vollständig zu machen 12deine [Gnaden]erweise an [deinem] Knecht auf [ewig], um mich zu reinigen durch deinen heiligen Geist und mich deinem Wohlgefallen nahebringen nach deiner großen Gnade [...] 13mit [mir ...] Standort [deines] Wohlgefal[lens], den [du] erw[ählt hast] für die, die dich lieben und [deine] Gebote halten. 14Vor dir [...] sich zu verbinden mit dem Geist deines Knechts und in allen [...] 15[...] vor ihm irgendeine Plage, eine Ursache zum Abfall von den Satzungen deines Bundes; denn [...] 16He[rr]lichkeit [...] und barmherzig, la[ng]mütig [...] Gnade und Treue und Sünde vergebend [...] 17mitleidig mit [...] und die, die [deine] Gebote] halten, die umkehren zu dir in Treue und mit ganzem Herzen [...] 18dir zu dienen [und zu tun, was] gut in deinen Augen ist. Weise nicht zurück das Antlitz deines Knechtes [...] den Sohn [deiner] Wahrheit [...] 19[...] und ich auf deine Worte [...] Wenn man etwas in den Hodayot querliest, entdeckt man überall radikale Selbsterniedrigungen des Beters vor Gott, der sich als Staub, Fleisch, Wurm und sündiger Mensch bezeichnet und dankbar bekennt, dass er durch die Gabe des (heiligen) Geistes wieder aufgerichtet und angenommen wird. Interessanterweise kann in diesem Zusammenhang einmal sogar von »Geistern« im Plural gesprochen werden (1QHa IV 29ff / Sukenik XVII 17ff): »[Ich preise dich, Herr] wegen der Geister, die du in mich gegeben hast ...

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Denn in Unreinheit habe ich mich gewälzt. ... Ich habe aber eingesehen, daß du demjenigen, den du erwählst, seinen Weg [bereitest] ... und du hältst ihn zurück, daß er nicht an dir sündige. ... Er ist fest [...] über die Geister [...] zu wandeln in allem, was du liebst, und zu verwerfen alles, was [du] hassest, [und zu tun], was gut ist in deinen Augen. ... denn einen fleisch[lichen] Geist hat dein Knecht.« Und auch das gleich anschließende Lied beginnt wieder mit: »[Ich preise dich, Herr! Denn] du hast deinen heiligen Geist auf deinen Knecht gesprengt ...« (1QHa IV 38 / Sukenik XVII 26).10 Die Geistbegabung des Menschen durch den heiligen Geist Gottes wird in unserem Textbeispiel und anderen Texten als Barmherzigkeit und Gnade bezeichnet. Diese Barmherzigkeit oder Gnade kommt allem anderen zuvor. Nur so kann der Mensch Gott erkennen, seine Sünden bereuen, umkehren oder sich von Sünden reinigen. Und erst danach ist die Rede davon, dass der so begnadete Mensch die Gebote Gottes halten kann, worauf die Gemeinschaft von Qumran aller größten Wert legt, denn es handelt sich um eine Vereinigung, die sich zusammenschließt »in der Tora« und »im Besitz« (1QS V 2). Um die theologischen Schlagworte zu gebrauchen: Auch in Qumran geht der Indikativ dem Imperativ voraus. In unserem Textbeispiel Z. 11 lesen wir den Satz: »Und ich weiß, dass ein Mann (ein Mensch) nicht gerecht wird ohne dich (Gott)«. Auch wenn das Ziel das Halten der Tora ist, von sogenannter jüdischer (pharisäischer) »Werkgerechtigkeit« kann nicht die Rede sein. In einem weiteren Schritt wurde die Beziehung zwischen dem Geist Gottes und dem Geist des Menschen von den Gelehrten in der Gemeinschaft von Qumran theologisch weiter vertieft und in einen kosmologischen Zusammenhang gestellt. Dies erfolgte in der sogenannten »Zwei10

Text und Übersetzung in LOHSE, a.a.O., 170–173 (Zählung nach Sukenik).

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Geister-Lehre« 1QS III–IV, einer Fortschreibung der Gemeinderegel 1QS, die sekundär in die Komposition eingeschoben wurde.11 Für den Unterweiser, um zu unterweisen und zu belehren alle Söhne des Lichts über den Ursprung der Menschenkinder nach allen Arten ihrer Geister, in ihren Kennzeichen gemäß ihren Taten in ihren Generationen und hinsichtlich ihrer Heimsuchung durch Plagen samt den Zeiten ihres Heils. So beginnt das seltsame Stück (1QS III 13–15). Der Text liefert die ontologische Grundlage für die Untersuchung und Scheidung der Geister innerhalb der Gemeinschaft von Qumran nach. Demzufolge hat Gott bei Erschaffung der Welt und des Menschen die guten und die bösen Geister erschaffen: »Und er schuf den Menschen zur Herrschaft über den Erdkreis und bestimmte ihm zwei Geister, um darin zu wandeln bis zur vorherbestimmten Zeit seiner Heimsuchung. Das sind die Geister der Wahrheit und des Frevels.« (1QS III 17–19). Die beiden Geister sind als zwei Prinzipien gedacht, von denen die Menschen gesteuert werden. Gleichzeitig sind die beiden Geister ihrerseits von zwei kosmischen Größen gesteuert: »An der Quelle des Lichts ist der Ursprung der Wahrheit, aber aus der Quelle der Finsternis kommt der Ursprung des Frevels.« (1QS III 19). Licht und Finsternis wiederum werden durch himmlische Mächte, gute und böse Engel, repräsentiert: »In der Hand des Fürsten des Lichts liegt die Herrschaft über die Söhne der Gerechtigkeit, auf den Wegen des Lichts wan11

Text und Übersetzung in LOHSE, a.a.O., 10–17; Vgl. dazu R.G. KRATZ, Gottes Geheimnisse: Vorherbestimmung und Heimsuchung in den Texten vom Toten Meer, in: R.G. KRATZ / H. SPIECKERMANN (Hg.), Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht: Antike Stimmen zu einem aktuellen Thema, Tübingen 2008, 125–146.

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deln sie. Aber in der Hand des Engels der Finsternis liegt alle Herrschaft über die Söhne des Frevels, auf den Wegen des Frevels wandeln sie.« (1QS III 20–21). Der gute und der böse Geist sind hier also zu kosmologischen und anthropologischen Größen geworden, die den Menschen bestimmen, je nachdem, was Gott für sie vorgesehen hat oder wie sie sich entscheiden, ob sie zu den »Söhnen des Lichts« oder zu den »Söhnen der Finsternis« gehören. Nicht wirklich ausgeglichen sind die beiden Vorstellungen von der schöpfungstheologischen Vorherbestimmung des Menschen einerseits und dem freien Willen andererseits, die darüber entscheiden, zu welcher Gruppe er gehört. Jedenfalls wird damit die Unterscheidung zwischen der Gruppe der Gerechten, zu der sich die Gemeinschaft von Qumran zählt, und der Gruppe der Frevler, die als Feinde Gottes und der Gerechten gilt, in der Schöpfung Gottes verankert und auch in die himmlische Welt hinein verlegt. Das entspricht durchaus der Vorstellung in den oben zitierten Shirot, nur dass in der »Zwei-Geister-Lehre« (wie auch sonst in der jüdischen Apokalyptik) die guten und bösen Geister, in den Shirot hingegen nur die guten Geister als Repräsentanten der Eigenschaften und Wirkweisen Gottes den Himmel bevölkern und als Schöpfungswerke Gottes gelten. Aber der Unterschied wird – vermutlich in einem Zusatz zur »Zwei-Geister-Lehre« – auch in den Menschen selbst hinein verlegt, indem, wie es in 1QS IV 15–16 heißt, Gott die beiden Geister »Seite an Seite« gesetzt habe. Die Vorstellung ist hier offenbar die, dass die beiden Prinzipien oder Geister auch in jedem Individuum nebeneinander bestehen und im Streit miteinander liegen bis zum Ende der Zeit. Dementsprechend wird eine neue Schöpfung in Aussicht gestellt, bei der sich Gott einige aussuchen wird, die durch den heiligen Geist gereinigt und so gerettet werden (1QS IV 15–26).

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Für das Thema der Konsultation scheinen mir bei dieser kurz skizzierten Entwicklung die folgenden drei Punkte relevant zu sein: 1) Gottes heiliger Geist wirkt sich auch auf den Geist des Menschen aus, wobei es in der Vorstellung der Gemeinschaft von Qumran wiederum nicht nur den einen heiligen Geist, sondern Geister im Plural gibt, die Gott dem Menschen eingeben kann. 2) Der Geist bzw. die Geister bewirken – sei es in der Jetztzeit oder am Ende der Zeiten – eine Änderung im Menschen, eine Art Neuschöpfung, die ihn von seiner Sündhaftigkeit befreit und zur Erkenntnis Gottes und zu einem neuen Lebenswandel mit Gott, sprich dem Halten der Tora, befähigt. 3) Der Geist Gottes und die von Gott geschaffenen Geister sind als Medium gesehen, wie Gott und Mensch in Beziehung miteinander treten oder sich entfremden. 3. Anknüpfungspunkte und Reflexe in der biblischen Überlieferung In aller Kürze möchte ich abschließend auf die Frage eingehen, wie sich die sehr eigentümliche Vorstellung von Gottes heiligem Geist und den Geistern in den Texten vom Toten Meer zu der biblischen Überlieferung im Alten und Neuen Testament verhält. Es sollen nur ein paar Hinweise gegeben werden, die zeigen, dass der dargestellte Befund nicht völlig isoliert dasteht, sondern enge Verbindungen zur biblischen Überlieferung hat. Gemeinsam ist hier wie dort die Vorstellung von dem einen Gott und vom heiligen Geist als der – in Wetterphänomenen oder in der Ekstase – sichtbaren und unsichtbaren Wirkweise Gottes. Auch die Funktion des Geistes als Medium zur Kommunikation zwischen Gott und Mensch wie auch als Antrieb zur Gotteserkenntnis, Umkehr und

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Abkehr von Sünden ist ein gemeinsames Motiv der biblischen Überlieferung und der Texte vom Toten Meer. Für Letzteres ist vor allem an Psalm 51 zu erinnern – die eine der beiden einzigen Stellen in der Hebräischen Bibel, an denen der Ausdruck »heiliger Geist« begegnet (vgl. noch Jes 63,10f). In Ps 51 finden wir die Bitte des »zerbrochenen Geistes« und des »zerbrochenen Herzens« um ein »neues Herz« sowie einen »beständigen, neuen Geist« und einen »willigen Geist«, der an dem »heiligen Geist« Gottes partizipiert, verbunden mit dem Sündenbekenntnis und der Bitte um Reinigung und Sündenvergebung.12 Nach Joh 20,22f befähigt der Empfang des heiligen Geistes die Jünger Jesu zur Sündenvergebung. Der Hauptunterschied besteht vielleicht in der Pluralität der Geister neben dem einen heiligen Geist, dem Geist Gottes, denen ebenfalls göttliches Wesen zugeschrieben wird. Hierfür gibt es nur recht wenige Anknüpfungspunkte im Alten Testament, dafür aber eine Reihe von Parallelen im Neuen Testament. Immerhin ist in Dan 5,11 vom »Geist der heiligen Götter« die Rede, der in Daniel anwesend sei. Ansonsten werden für Engel und andere himmlische Wesen, die im Alten Testament durchaus begegnen, andere Bezeichnungen gebraucht (Göttersöhne, Göttliche, Boten/Engel, Heilige, Wächter). Nur in Ps 104,4 finden wir einmal eine Stelle, in der es heißt, dass Gott »die Winde« (oder »die Geister«, auf Hebräisch ruchot) zu seinen Boten gemacht habe, wobei man durchaus an himmlische Wesen denken kann. Im Neuen Testament sind es vor allem die bösen Geister, die Dämonen, mit denen es der Jesus der Evangelien zu tun hat, für die auch das Wort »Geist/Geister« verwendet wird (Mk 1,23.26, im Pl. Mt 8,16). Doch es gibt auch gute Geister wie die »dienstbaren Geister« in Hebräer 1,13f oder die »sieben Geister« Gottes in der Apokalypse des Johannes 12

Vgl. dazu KLEIN, From the ›Right Sprit‹ to the ›Spirit of Truth‹.

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(1,4; 3,1; 4,5; 5,6), und in Hebr 12,9 wird Gott selbst »Vater der Geister« genannt (üblicherweise als »geistlicher Vater« im Unterschied zum leiblichen Vater übersetzt). Apg 23,8–9 verwendet die Bezeichnungen »Geist« und »Engel« parallel für die Erläuterung des Lehrunterschieds zwischen Sadduzäern, die Auferstehung und Engelehre ablehnen, und Pharisäern, die beides glauben und darum an Jesus zunächst einmal nichts auszusetzen haben. Für die Kommunikation und Wechselwirkung zwischen Gottes Geist und dem Geist des Menschen, insbesondere im Blick auf die Sündenvergebung und das neue Leben, verweise ich auf die Abhandlung in Röm 8, die sich wie ein Midrasch auf die jüdische, in den Texten von Qumran und besonders den Hodayot belegte Auffassung liest und zum Ziel hat, das neue Leben im Glauben an Jesus Christus zu begründen und von dem Toragehorsam zu lösen. Der Zusammenhang wird pointiert in V. 16 auf den Begriff gebracht: »Der Geist selbst (gemeint ist der Geist Gottes von V. 14) gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind.« Das alles ist zwar nicht wirklich dominant, zeigt jedoch, dass die Vorstellung einer von himmlischen Wesen, darunter auch »Geistern«, bewohnten himmlischen und irdischen Welt sowohl im alttestamentlichen wie im neutestamentlich-frühchristlichen Kontext durchaus präsent war. Es ist ein und dieselbe Vorstellungswelt, und daher sollten neben der biblischen Überlieferung die Texte vom Toten Meer und andere parabiblische jüdische Texte bei weiteren Überlegungen zum »heiligen Geist« in der christlichen Bekenntnisbildung mit einbezogen und bedacht werden. Eine ganz andere Frage ist jedoch, wie wir heute – unter den Voraussetzungen der Neuzeit – mit diesen Vorstellungen des antiken Judentums und frühen Christentums um die Zeitenwende umgehen sollen. Für manche mag die himmlische Welt mit allen ihren Wesen auch heute noch Realität sein wie in der Antike, was schlagartig klar wird,

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wenn man den mitteleuropäischen Blickwinkel weitet und die religiösen (christlichen wie nicht-christlichen) Bewegungen weltweit in Betracht zieht. Doch sind solche Vorstellungen auch in unserer mitteleuropäischen, aufgeklärten Kultur durchaus präsent. Gleichwohl dürfte es der Evangelischen Kirche Deutschlands schwer fallen, diese Vorstellungen unter den Bedingungen der Neuzeit in der Gegenwart einfach so formelhaft zu repetieren. Wir müssen sie aufgeben oder reformulieren. Ein Ansatzpunkt ist vielleicht die Frage, welcher Erfahrungshintergrund zu der Redeweise von dem Geist Gottes, dem heiligen Geist und den (von Gott geschaffenen) vielen Geistern führt und was damit in der Sprache und Vorstellungswelt der Antike ausgesagt werden sollte und wie wir dies heute vielleicht auf unsere Weise aussagen können. Nicht zuletzt dazu dient das Gespräch zwischen Kirchenleitung und wissenschaftlicher Theologie bei dieser Konsultation.

Fremde Sprachen, Ekstase, Feuerzungen?! Pfingstliche Spiritualität in Gottesdienst und »praxis pietatis« Corinna Dahlgrün Der Heilige Geist ist, so berichten es die biblischen Zeugnisse, vielgestaltig, seine Wirkungen sind vielfältig und äußern sich im ganzen Menschen, in Leib und Seele. Wir erfahren von seiner unwiderstehlichen Macht in den Taten der Richter1 wie von seiner Sanftheit im stillen Sausen, das Elia am Horeb hört.2 Die Vielfalt der Geistesgaben wird entsprechend altkirchlichem Verständnis bei Jesaja3 und in etlichen Briefen des Neuen Testaments aufgezählt.4 Zu diesen Gaben gehört, dass der Geist den Menschen neu macht, ihn mit Christus erfüllt und in dessen Leben hineinzieht und ihm in unterschiedlichen Funktionen zugute kommt (wie sie der johanneische Jesus nennt5). Dieser vielgestaltige Geist ist uns in der Taufe geschenkt.6 Er tröstet, schenkt Frieden und Hoffnung7 und tritt vor Gott für uns ein, für uns und für die ganze Schöpfung.8 Er ist ein Zeichen der Gnade Gottes.9 Er schenkt im Atem Gottes10 das Leben selbst, er schenkt die Gotteskindschaft und – als

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Z.B. Ri 2,18. I Kön 19,11b–13. Jes 11,1f. Z.B. I Kor 12. Joh 15f. Apg 2,38. Röm 14,1. Röm 8,18–27. Hebr 10,29. Ps 104,29b.30.

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ein Angeld, ein Unterpfand11 – die Zukunft bei Gott, das Leben auf einer neuen Erde unter einem neuen Himmel. Welche Antwort ruft er in den Menschen hervor, die ihn erleben – außer dass wir ihn allsonntäglich im Credo bekennen –, und welche Rolle spielt er, abgesehen vom Bekenntnis, in den Gottesdiensten und in der praxis pietatis? In sieben Szenen will ich knappe phänomenologische Beschreibungen versuchen und einige Folgerungen daraus ziehen. 1. Szene: Verklärung »Verklärung« ist die Überschrift über das Geschehen auf dem Berg Tabor, eine Epiphanie mit Vision (Licht) und Audition (Stimme).12 Die Jünger erkennen in allen Synoptikern das Besondere des Geschehens und reagieren mit Erschrecken, »Furcht« nennen es die Evangelisten, sei es auf den ihnen gewährten, vorwegnehmenden Blick auf die Auferstehungsherrlichkeit (so bei Markus), sei es auf die in der Lichtwolke und in der Gottesstimme erkennbare Gegenwart Gottes (so bei Lukas und Matthäus). Bei Matthäus wirft es sie um, das himmlische Geschehen mit dem Ausblick in die österliche, eschatologische Herrlichkeit ruft eine auch körperliche Reaktion der Überwältigung hervor. In jedem Fall übersteigt das Erlebte das menschliche Fassungsvermögen, wie der unverständige Vorschlag des Petrus, die Himmlischen im Irdischen dauerhaft ansiedeln zu wollen, deutlich macht, der jedoch zugleich anzeigt, dass die Jünger eine Dauer des »peak experience« wünschen. 11 12

II Kor 1,22; 5,5. Mk 9,2–13; Lk 9,28–36; Mt 17,1–13. Ulrich Luz hat in seinem Kommentar die Perikope – wegen der Abnutzung und des Bedeutungswandels des Wortes »Verklärung« – mit »Verwandlung« überschrieben (ULRICH LUZ, Das Evangelium nach Matthäus [Mt 8–17], EKK I/2, Zürich / Braunschweig / Neukirchen-Vluyn 1990, 503–518).

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Überforderung, Überwältigung der Sinne und des Verstandes, Furcht, das Erkennen des österlichen Christus im irdischen Jesus, das Gewinnen einer eschatologischen Perspektive und der Wunsch, den Himmel auf Erden festzuhalten, die Sehnsucht nach einem Andauern des Erlebens sind die menschlichen Antworten auf das übermenschliche Geschehen der Verklärung. 2. Szene: Begeisterung Nach Ostern ist davon zunächst nicht viel zu erkennen. Nach den Begegnungen mit dem Auferstandenen und dessen Himmelfahrt erfolgt ein Rückzug nach Jerusalem, hinter die verschlossenen Türen des Obergemachs. Doch dort bricht dann, wie von Jesus angekündigt, der Geist ein – mit sichtbaren und eindrücklichen Folgen, mit Begeisterung, mit Feuer und Horizonterweiterung, mit neuer Freiheit zum Reden und Beredsamkeit, mit Heilungsgaben und dem Ausbreiten in alle Welt, mit auch quantitativen Erfolgen, auf die Lukas immer wieder hinweist. Der Geist bewirkt eine Hoch-Zeit, die den Alltag unterbricht, wie Manfred Josuttis betont, der im Pfingstfest das grundlegende Lebensgeheimnis der »heiligen Hochzeit« aufgenommen sieht, wie die Erzählung »von der Aufhebung der Sprachgrenzen, von ekstatischem Taumel, der zu Missdeutungen Anlass gibt, vom Anwachsen der Gemeinde und von der sich ausbreitenden Gütergemeinschaft« deutlich mache.13 Petrus zeigt dann in seiner Predigt, dass der Geist Unterschiede relativiert und traditionelle Rollen und 13 MANFRED JOSUTTIS, Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, München 1991, 59f. Weiter heißt es dort: »Aus welcher Kraft diese Vereinigung wächst, sagen mit wünschenswerter Deutlichkeit die Pfingsthymnen, wenn sie in vielen Variationen ›der Liebe Brunst‹ beschwören.«

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Rechte überwindet: Es sind nicht mehr die Jungen, die Träume haben, sondern die Alten. Und die Weissagung, das Metier der Alten und Erfahrenen, geht auf die Söhne und Töchter über. Das Volk reagiert zunächst verunsichert und abwehrend, doch der Geist überwindet die Abwehr und schenkt Begegnung, zwischen den Menschen und mit Gott. Die Menschen, die ihre Grenzen überschritten haben, begegnen einander und werden darin dauerhaft zu einem »Wir«, zu einer Gemeinschaft. Der Geist setzt alle und alles in Bewegung, Seele und Leib, Denken, Fühlen und Tun der einzelnen wie dann der neu entstandenen Gemeinschaft, die nicht unter sich bleibt, sondern »in alle Welt« geht und anderen an ihrem Erleben Anteil geben möchte. 3. Szene: Bewegung Dieses Moment der Bewegung wird sehr anschaulich in der gottesdienstlichen Praxis einer religiösen Gemeinschaft, die im 18. Jahrhundert von der englischen Fabrikarbeiterin Ann Lee gegründet wurde.14 Sie hatte sich nach dem Tod ihrer vier Kinder einer Quäkergemeinschaft angeschlossen, was ihr immer wieder Haftstrafen eintrug. Im Gefängnis erlebte sie eine Vision des Einsseins mit Christus und ihre Berufung zu prophetischer Rede, die von Heilungsgaben begleitet war. Daraufhin begann sie, eine neue Lebensweise zu verkünden: Männer und Frauen sollten gleich sein, frei von Habgier und Gewalt, und sie sollten gemeinschaftlich, doch zölibatär, und sehr einfach leben. In den Gottesdiensten der neuen Gemeinde wurde regelmäßig ein Wirken des 14 S. zum folgenden ausführlich: CORINNA DAHLGRÜN, Christliche Spiritualität. Formen und Traditionen der Suche nach Gott. Mit einem Nachwort von LUDWIG MÖDL, Berlin / New York 2009, 2. neu bearbeitete und ergänzte Auflage 2018, Abschnitt 1.3.1.

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Heiligen Geistes erfahren, das sich in Bewegung äußerte. Außenstehende bezeichneten die Gemeinschaft daraufhin als »shaking Quakers« bzw. als »Shakers«. Nach der Übersiedlung in die Vereinigten Staaten 1770 wuchs die Gemeinschaft stark an; 1826 gab es 18 Gemeinden, vor allem in Neuengland, mit insgesamt etwa 6000 Mitgliedern. Veränderte Lebensumstände nach dem Ende des Bürgerkrieges und die zölibatäre Lebensform ließen die Gemeinden dann immer kleiner werden; 1992 schloss die vorletzte Gemeinschaft. Doch leben noch immer zwei Shaker in Sabbathday Lake, Maine, die überzeugt sind, dass das Shakertum weiterhin die Botschaft, dass Gott Liebe sei, in der Welt zu bezeugen habe. Die pazifistischen Shaker-Gemeinschaften lebten weitestgehend autark in Distanz zu den Zeitgenossen, die sie mit ihrer äußerst fortschrittlichen Lebensform häufig schockierten, doch sie pflegten geschäftliche Beziehungen zur »Welt«, um ihre innovativen und hochwertigen Produkte zu vermarkten. Die Mitglieder lebten in Gütergemeinschaft; der Wohlstand, der sich ansammelte, wurde zur Weiterentwicklung der expandierenden Unternehmungen und zur Fürsorge für die Armen genutzt. In den Gemeinschaften wurde die Gleichberechtigung von Schwestern und Brüdern – der gesellschaftlichen Entwicklung weit voraus – verwirklicht, männliche und weibliche Älteste teilten sich die Leitung der in »Familien« organisierten Gemeinschaft und die Verantwortung zu gleichen Teilen. Da die Gottesdienste – wie bei den Quäkern – keine Predigt und keine Sakramente enthielten, gab es auch kein geistliches Amt und keine gottesdienstliche Funktion, die nur einem Geschlecht vorbehalten gewesen wären. Von großer Bedeutung im Leben der Gemeinschaften war die Freude als ein Vorschein des Gottesreiches, die in vielem gefunden wurde, vor allem im gemeinsamen Musizieren. Tausende von Liedern, Tänzen, Märschen entstanden im Laufe der Jahre und wurden unter den Gemeinden aus-

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getauscht; die Melodien sind zumeist sehr geeignet, die Gottesdienstgemeinde in einheitlicher Anbetung zusammenzuführen. Denn zu dieser Musik wurde vor Gott getanzt, zunächst spontan und unorganisiert, dann in Tanzfiguren geordnet, Männer und Frauen je für sich. Diese Tänze brachten in den Augen der Shaker ihre gemeinschaftliche, ihre eben nicht individualisierte Beziehung zu Gott zu angemessenem Ausdruck. Sie verteidigten diesen Brauch unter Hinweis auf David15 und Miriam16, die im Angesicht des Herrn getanzt hatten. In vielen Liedern begegnet das zentrale Motiv einer Gemeinschaft, die auf ihrem Weg in das Gottesreich ist: »Wir vereinen unsere Herzen in einem fröhlichen Lied und ziehen gemeinsam weiter.«17 Das von den Gemeinschaften erfahrene Wirken des Heiligen Geistes äußerte sich bei den Shakern in Pazifismus, in Unabhängigkeit gegenüber gesellschaftlichen Normen, in Gleichberechtigung von Mann und Frau, in praktizierter Nächstenliebe und in einem gottesdienstlichen Leben, an dem Leib und Seele gleichermaßen beteiligt waren und in dem die Freude eine besondere Rolle spielte. 4. Szene: Überraschung Nachdem in den USA im ausgehenden 19. Jahrhundert intensiv um ein neues Pfingsten gebetet worden war, waren weltweit eine Reihe sehr erfolgreicher Erweckungsbewegungen zu verzeichnen. In Wales wurden während der Erweckung 1904/05 »in Dörfern Kneipen geschlossen, die Gefängnisse waren fast leer und die Esel der Bergleute mussten, so wird berichtet, umtrainiert werden. Da die

15 16 17

II Sam 6,5. Ex 15,20. Shaker-Hymnus »My dear companions, let’s move on« von 1914.

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Bergleute nach ihrer Bekehrung nicht mehr fluchten, erkannten die Tiere ihre Befehle nicht mehr.«18 Besonders bekannt wurden die Ereignisse in der Azusa Street 1906 in Los Angeles. Vorausgegangen waren tägliche Versammlungen in Privathäusern um den afro-amerikanischen Pastor William Seymour, der die Notwendigkeit der Geisttaufe und der Zungenrede sowie die baldige Wiederkunft Christi vertrat. Als es zu ersten Erfahrungen dieser Phänomene kam, musste wegen des wachsenden Zulaufs die Gemeinde innerhalb einer Woche in die verlassene Methodistenkirche in der Azusa Street umziehen. Dort kam es bei den täglichen Zusammenkünften häufig vor, dass die Menschen in Zungen sangen oder ›vom Geist‹ überwältigt auf den Boden fielen. Besucher aus der ganzen Welt erlebten Phänomene, die den Berichten in der Apostelgeschichte entsprachen, innerhalb einer Gemeinde, in der weiße und schwarze Amerikaner, vor allem aus den ärmeren Bevölkerungsschichten, weitgehend gleichberechtigt waren. Sie verbreiteten die Berichte über das »zweite Pfingsten« in den USA, in Europa, Südamerika, Afrika und Asien. Doch bald zeigten sich Probleme: »Es fehlte an Leitung, an Ordnung, an Struktur. Da jeder ausleben durfte, was er als richtigen Ausdruck empfand oder meinte ›im Geist empfangen zu haben‹, war bald von Zauberei, Hypnose und Spiritismus die Rede. Es fehlte, und dieses Problem sollte sich ganz besonders in Deutschland als gewichtig erweisen, an der Ausübung der Gabe der Geisterunterscheidung.« Die Teilnehmer einer Erweckungsversammlung 1907 in Kassel »radikalisierten sich in den folgenden Tagen derartig, dass schließlich die Polizei die Veranstaltung auflösen 18

MIRIAM SCHADE, »Ich will meinen Geist ausgießen …«. Vom geistlichen Aufbruch zur Kirche – Die Pfingstbewegung in der Gegenwart, in: CORINNA DAHLGRÜN (Hg.), Die Spiritualität der Pfingstlichen und charismatischen Bewegungen. Dokumentation der Jahrestagung der AGTS vom 15.–17. September 2016 in Würzburg (Studien zur Theologie der Spiritualität 1), Online-Publikation, 7–29, hier: 8.

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musste«.19 Dies führte zu Warnungen seitens der Kirchen vor dem keineswegs als heilig wahrgenommenen Geist, dem hier Raum gegeben worden war. 1909 formulierte der Gnadauer Gemeinschaftsverband in der Berliner Erklärung die grundlegenden Zweifel: »Der Geist in dieser Bewegung bringt geistige und körperliche Machtwirkungen hervor; dennoch ist es ein falscher Geist. Er hat sich als ein solcher entlarvt. Die häßlichen Erscheinungen, wie Hinstürzen, Gesichtszuckungen, Zittern, Schreien, widerliches lautes Lachen usw. treten auch diesmal in Versammlungen auf. Wir lassen dahingestellt, wie viel davon dämonisch, wie viel hysterisch oder seelisch ist – gottgewirkt sind solche Erscheinungen nicht.«20 Festzuhalten ist, dass die im Pfingstbericht beschriebenen Phänomene zu beobachten waren: Gemeindebildung, das Fallen von Grenzen, weitgehende Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Armen und Reichen, Zungenrede, Prophetie, Heilungen, dazu leiblich-seelische Erscheinungen, die freilich unterschiedlichen Deutungen hervorriefen. Eine Unterscheidung der Geister wäre erforderlich gewesen, blieb jedoch oft aus. Dafür ist ein weiteres Phänomen zu nennen, die Ausbreitung. 4. Szene (Fortsetzung): Ausbreitung In der Antwort auf die Berliner Erklärung formulierte, ebenfalls 1909, die deutsche Pfingstbewegung: »Wir danken dem Herrn für die jetzige Geistesbewegung. Wir sehen sie an als den Anfang der göttlichen Antwort auf die jahrelangen Glaubensgebete um eine weltumfassende Erweckung.«21 19 20 21

SCHADE, »Ich will meinen Geist ausgießen …«, 8f. Zitiert nach: SCHADE, »Ich will meinen Geist ausgießen …«, 19. Zitiert nach: SCHADE, »Ich will meinen Geist ausgießen …«, 22.

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Das ist nicht übertrieben. Heute gehören, nach vorsichtigen Schätzungen, weltweit ca. 600 Millionen Menschen zur Pfingstbewegung.22 In Deutschland wird von insgesamt etwa 300.000 Mitgliedern gesprochen, wobei hier nur die traditionellen, zum Bund der Pfingstkirchen gehörenden Gemeinden, Schätzwerte der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung und einige Freie Gemeinden aufgenommen sind. Die Zahlen dürften insgesamt größer sein, da viele der Gemeinschaften nicht erfasst sind, die zur größten, sogenannten Dritten (neocharismatischen) Welle gehören.23 Die persönliche Frömmigkeit der pfingstlich orientierten Christen weist oft ein intensives Gebetsleben, regelmäßige Bibellektüre und hohe Verbundenheit zu ihrer Gottesdienstgemeinde auf. In den Gottesdiensten der aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammengesetzten Gemeinden, in denen die von den Pietisten übernommene, traditionelle Unterordnung der Frauen langsam überwunden zu werden scheint, finden sich: Glaubenszeugnisse; Lobpreislieder, von Band und Gemeinde gesungen; Hören auf das Wort Gottes, oft frei und in einfacher Sprache nacherzählt; lange Predigten, nicht selten frei gehalten; Beten unter leiblicher Beteiligung mit erhobenen Händen und Bewegung; Zungenreden oder -singen (und in einer Entwicklung, die denen der Shaker ähnelt, mancherorts nicht mehr in einem großen Durcheinander, sondern im Rahmen von Dur-Akkorden, die von der Band leise unter22

Eine Umfrage ergab 2006, dass sich in Guatemala 20 %, in Kenia 33 % und in Brasilien 15 % der Bevölkerung zur Pfingstbewegung zählen. 23 Zu den drei Wellen der Pfingstbewegung s. ANDREAS HAHN, Sichtbare Manifestationen des Heiligen Geistes oder erlebnisorientierter Szenen-Trend? Evangelische Perspektiven auf das charismatische Christentum, in: CORINNA DAHLGRÜN (Hg.), Die Spiritualität der Pfingstlichen und charismatischen Bewegungen. Dokumentation der Jahrestagung der AGTS vom 15.–17. September 2016 in Würzburg (Studien zur Theologie der Spiritualität 1), Online-Publikation, 30–48.

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legt werden); Prophezeiungen; im Gebet empfangende Worte für bestimmte Gemeindeglieder, Handauflegungen und – so nach Selbstaussage – Heilungen; Befreiungsgebete und Exorzismen. Wenn dies ausbleibt, wird in der Regel der kurzschlüssige Rückschluss gezogen, dass infolge eines defizienten Glaubens der Heilige Geist eben nicht zur Wirkung komme. Dies kann – wir erinnern uns an die biblischen Belege, insbesondere an die Geisterfahrung des Elia – ein Fehlschluss sein. Erneut ist also an das Erfordernis der discretio zu erinnern. 5. Szene: Übersetzung Der Geist wirkt entsprechend den biblischen Berichten in unterschiedlich geprägten Kulturen, als ein Beispiel stelle ich Korea vor. Von der großen Erweckung in Pyongyang (Südkorea), die 1907 in einem kleinen Kreis von Missionaren begann und ihren besonderen Akzent auf den Sündenbekenntnissen der Teilnehmer hatte, berichtete ein Augenzeuge: »Just as on the day of Pentecost, they were altogether in one place, on one accord praying, and suddenly there came from heaven the sound as of rushing of a mighty wind, and it filled all the house where they were sitting.«24 Einer nach dem anderen erhob sich jeder der 1500 Männer nach einer kurzen Predigt, »he would […] confess his sin, break down and weep, and then throw himself on the floor and beat the floor with his fists in a perfect agony of conviction ... Sometimes, after a confession, the whole audience would break out into audible prayer, and the effect of that audience of hundreds of men praying

24

William Blair, wiedergegeben nach YOUNG-HOON LEE, Korean Pentecost: The great revival of 1907, in: Asian Journal of Pentecostal Studies 4/1 (2001), 73–83, hier: 78.

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together in audible prayer was something indescribable.«25 Doch auch im weiteren Leben dieser Männer zeigten sich dramatische Veränderungen, das Ablegen schlechter Gewohnheiten, Vergebungsbereitschaft, Friedfertigkeit. Damit ist eines der Kriterien der discretio, die Ablesbarkeit des Geistwirkens im Leben, die »Frucht«, benannt.26 Nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einer neuen Welle der Erweckung, die mit der Yoido-Full-Gospel-Church zusammenhängt: »Sie wurde 1958 [nach der Erfahrung der Geisttaufe mit etlichen begleitenden Phänomenen durch David Yonggi Cho] gegründet und hatte drei Jahre später, im Jahre 1961«, 400 Mitglieder. 1984 war sie mit 400.000 Mitgliedern die weltgrößte christliche Gemeinde.27 Doch Zahlen sind nicht alles, und in inhaltlicher Hinsicht können Bedenken formuliert werden. Die koreanischen Pfingstkirchen vertreten heute eine Pneumatologie, die, wie Man Yoon Kim betont, auf das Individuum beschränkt bleibt: »Der Fokus liegt dabei auf dem eigenen Wohlergehen und dem eigenen segensreichen Dasein, und nicht auf dem diakonischen Bereich, der sich für die Mitmenschen und die Gesellschaft engagiert. Das Desinteresse zeigt sich ebenso bei der Armut, bei seelischen Nöten, bei Fragen der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt.«28 Diese Be25 26

LEE, Korean Pentecost, 77. Zur Unterscheidung der Geister vgl. ausführlich DAHLGRÜN, Christliche Spiritualität, Abschnitt 4.1.2.1. 27 MAN YOON KIM, Pneumatologie aus koreanischer Perspektive, www.uni-bielefeld.de/theologie/forschung/religionsforschung/forschung/ schaefer/pfingstbewegung/korea.html, eingesehen am 5.5.2018, 17.30 Uhr. – Zehn der elf größten Megakirchen der Welt befinden sich in Seoul, und Südkorea ist nach den Vereinigten Staaten das Land mit den meisten Missionaren (10.000) im Auslandseinsatz. 28 Demgegenüber hält er fest: »Ganzheitlich bedeutet, dass die Seele nicht vom Körper getrennt betrachtet wird. Dasselbe gilt für das Individuum, die Gesellschaft, den Menschen und die Welt. Das Wirken des Heiligen Geistes beschränkt sich nicht nur auf die Errettung des einzelnen Menschen, sondern umfasst auch die Rettung der Mensch-

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schränkung gilt nicht allein für Korea und nicht allein für Pfingstkirchen, doch entspricht sie nicht dem biblischen Befund zum Wirken des Heiligen Geistes – allein von daher ist, gemessen an den Kriterien der discretio, eine kritische Rückfrage angebracht. 6. Szene: Inszenierung Eindrucksvolle Großgottesdienste sind die Spezialität auch des Hillsong. Ich gebe den Bericht von Studierenden nach einer ökumenisch-liturgiewissenschaftlichen London-Exkursion wieder: ›Hillsong London ist eine Tochtergemeinde von Hillsong Australia, die zu den Assembly of God-Gemeinden zählt. Weltweit hat Hillsong, neben weiteren Tochtergemeinden u.a. in Moskau, Kiew, Paris, Kapstadt, New York City, Konstanz, Amsterdam, nach eigenen Angaben ca. 21.000 Mitglieder. Bekannt wurden die Hillsong-Gemeinden hauptsächlich durch ihre Musikproduktionen, die ihnen in Australien Gold und Platin einbrachten. Sie waren aus diesem Grund über viele Jahre hinweg wegweisend für die internationale Worship-Szene und fanden auch in den vorwiegend charismatisch geprägten Gemeinden Deutschlands Anklang. Hillsong London hat ca. 7.000 Gemeindebesucher, verteilt auf vier sonntägliche Gottesdienste.

heit, der Gesellschaft und der Schöpfung.« (KIM, Pneumatologie aus koreanischer Perspektive) Ein von koreanischen Theologen besonders häufig rezipierter deutscher Theologe ist dementsprechend JÜRGEN MOLTMANN, vor allem sein Buch »Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie« (München 1991), der die deutschen Kirchen an viele Elemente der biblischen Rede vom Geist Gottes zu erinnern unternimmt, die mit der Verbindung von Leib und Seele, vom einzelnen und der Gemeinschaft und vom Menschen und der übrigen Schöpfung zu tun haben.

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Die Gottesdienste finden im Dominion Theatre statt, in dem unter der Woche das Queen-Musical »We will rock you« aufgeführt wird. Neben ihren Gottesdiensten, die hauptsächlich evangelistischen Charakter haben sollen, organisieren sich die Mitglieder in kleinen »Connect groups«, einer Form von Hauskreisen, in denen gemeinsam gebetet, Gemeinschaft gelebt und über biblische Themen nachgedacht wird. Hillsong beschreibt diese Kleingruppen als den eigentlichen Ort, wo Gemeindeleben stattfindet. Des Weiteren gibt es unter der Woche verschiedene Angebote für alle Altersklassen, Männer- und Frauenarbeit, WorshipDienste, Teaching Nights, Buissness-Life, soziale Projekte und Hillsong-Konferenzen. Die Theologie ist freikirchlich geprägt, d.h. Christ ist man erst, wenn man seine Sünden bekannt, um Vergebung gebeten und damit sein Leben Jesus übergeben hat. Auch die Geisttaufe, als extra zu erwartendes und das persönliche, geistliche Leben bereicherndes Ereignis, bekommt hier eine zentrale Bedeutung. Auf der Bühne stand kein Altar, sie war ins Dunkel getaucht, das nur von einzelnen farbigen Scheinwerferlichtern durchbrochen wurde. Der Gottesdienst, der gut zwei Stunden dauerte, war ein Wechsel von Worship-Musik (Popmusik) und Redebeiträgen, die – dramaturgisch geschickt – musikalisch untermalt und von schnell wechselnden Bildern auf der Leinwand im Bühnenhintergrund akzentuiert wurden. Die Redeteile waren eine frei gehaltene Predigt mit leicht fasslicher Botschaft, ein Aufruf zur Lebensübergabe an Jesus und ein Spendenaufruf. Insgesamt war die Veranstaltung sehr laut und lebendig, zudem durchorganisiert und bewusst gestaltet, z.T. mit manipulativen Elementen. Die Atmosphäre war feierlich und bei einem nicht kleinen Teil der Gemeinde war ein Gruppengefühl spürbar. Besonders aufgefallen ist eine rückwärts laufende Stoppuhr im hinteren Teil des Saales, die für die Agierenden signalisierte, wie viel Zeit noch für die Beiträge übrig blieb. Theologisch (und dramaturgisch)

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ließ sich im Gottesdienst eine Entwicklung erkennen, die in dem Bekenntnis zu Christus und der Lebensübergabe ihren Höhepunkt fand.‹ 6. Szene (Fortsetzung): Globalisierung Zahlen spielen eine Rolle, eine möglichst weltweite Wirksamkeit ebenso, das ist in den pfingstlich geprägten Gemeinschaften und Kirchen nicht anders als in den älteren Kirchen. Von den Verantwortlichen der Hillsong-Church wird darum folgende Vision formuliert: »The church that I see is a global church. […] I see a church that loves God, loves people and loves life. Youthful in spirit; generous at heart; faith-filled in confession; loving in nature and inclusive in expression.«29 Die Tendenz zu einer Normierung der vom Geist erwarteten Äußerungsformen ist nicht ganz von der Hand zu weisen, und wer bestimmte Phänomene nicht aufzuweisen hat, gilt schnell als vom Geist nicht getauft. Gruppengefühl und individuelle Geistwirkung sind wiederum wichtiger als die Überwindung von sozialen, Generationen- oder gar ästhetischen Grenzen. Eine politische Dimension begegnet meist nicht. Der Stil normiert die Gemeinde und exkludiert viele Menschen (wie es natürlich auf seine Weise etwa ein klassischer Kantatengottesdienst auch tut). 7. Szene: Beruhigung? Werfen wir einen kurzen Blick in unsere landeskirchlichen Zustände, kurz, weil wir das Geschehen alle aus eigener Anschauung kennen. Die in den Kirchenbänken mit Si29

https://hillsong.com/vision/ eingesehen am 9.4.2018, 14 Uhr.

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cherheitsabständen versammelte Gemeinde30 singt gerade »Komm, Heiliger Geist«31. Keine Bewegung ist erkennbar, keine Begeisterung, keine Verklärung. Aus dem Dabeisein darf ich Ihnen versichern: Es gab auch keine Prophetie, keine Zungenrede, keine Heilungen, keine Hoch-Zeit, nicht einmal Zwischenrufe oder auch nur ein vernehmliches »Amen« an passender Stelle. Es herrschte Ruhe. Positiv könnte man es als Sammlung beschreiben, als Konzentration auf das Wort, und ob darin der Geist mit »leisem Sausen« wirkte, ist bei einer alleinigen Betrachtung der Szene nicht zu entscheiden – dazu wären die Folgen im Leben der Gemeindeglieder heranzuziehen. Auch dieser Gottesdienst kam ohne eine politische Dimension aus, die Überwindung sozialer oder anderer Schranken war ebenso wenig zu konstatieren. Affirmation fand statt, theologische Information, Zuspruch, Kommunikation des Evangeliums. Dennoch: Wir sollten nicht damit zufrieden sein, das sichtbare und in Begegnung führende, das überwältigende Wirken des Heiligen Geistes den Pfingstkirchen und den charismatischen Bewegungen zu überlassen, selbst auf die Gefahr hin, dass dieses Wirken unsere Gemeinden vielleicht beunruhigen könnte. Und wir sollten die grenzüberwindende und befreiende Kraft des Geistes auch dann herbeiwünschen, wenn sie unsere Tradition an manchen Stellen aufstört.

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Das in der Präsentation gezeigte Bild zeigt den Innenraum der Stadtkirche St. Michael / Jena während eines Gottesdienstes. 31 Komm, Heiliger Geist, Herre Gott, / erfüll mit deiner Gnaden Gut / deiner Gläub’gen Herz, Mut und Sinn, / dein brennend Lieb entzünd in ihn’. / O Herr, durch deines Lichtes Glanz / zum Glauben du versammelt hast / das Volk aus aller Welt Zungen. / Das sei dir, Herr, zu Lob gesungen. / Halleluja, Halleluja. (Martin Luther nach der PfingstAntiphon Veni Sancte Spiritus, EG 125,1)

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Fazit Der Heilige Geist bewirkt eine Reihe von durchaus wünschenswerten Phänomenen, wenn er nicht behindert oder verfälscht wird durch menschliche Eigeninteressen (wie in den Pfingstkirchen Koreas), durch die Vernachlässigung der Unterscheidung der Geister (wie in den ersten pfingstlichen Aufbrüchen in Deutschland) oder durch Versuche einer Normierung der erlaubten Äußerungsformen aus Machtinteressen (wie in etlichen Gruppierungen der neocharismatischen dritten Welle). Zu seinen Auswirkungen zählen: Einheit; Begeisterung; Bewegung von Leib und Seele in leib-seelischer Einheit; Friedensbereitschaft, Versöhnung und die Bereitschaft zu teilen, was man hat; Freude; Überwindung von Grenzen zwischen Menschen, zwischen Generationen, zwischen den Geschlechtern, zwischen sozialen und ethnischen Gruppen; Ausbreitung des Glaubens. Der Geist schenkt verschiedene Gaben – von Zungenrede über Heilung bis zur Prophetie. Er hilft, mit dem lebendigen Gott und seinem Wirken auch heute zu rechnen. Freilich ist er und sind seine Gaben ebenso vielsprachig und vielgestaltig wie unverfügbar, er kann laut und offenkundig ebenso wie leise und eher verborgen wirken (daran sind die pfingstlichen Kirchen und Gemeinschaften gelegentlich zu erinnern), und es werden – wie es das Pfingstbild der Tiroler Künstlerin Hilde Chistè32 sehr gelungen zeigt (einige Gesichter sind dunkel, andere erleuchtet) – nicht alle von ihm in erkennbarer Weise erreicht. Aber wenn das alles ganz fehlt, und das ist eine Erinnerung an die Adresse der evangelischen Kirchen, fehlt etwas Entscheidendes, in unseren Gottesdiensten und in unserer praxis pietatis. 32

HILDE CHISTÈ, Pfingsten / Komm herab, du Heiliger Geist, Bild 1, 1992, www.hilde-chiste.com/index.php?option=com_content&task= view&id=59&Itemid=105, eingesehen am 5.5.2018, 11 Uhr.

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Was das Wirken des Geistes im Gemeindealltag angeht, zitiere ich einige Sätze von Katharina Wiefel-Jenner zu I Petr 4: »Manchmal kennen diejenigen, die nicht zur Gemeinde gehören, den Auftrag der Gemeinde Jesu Christi besser als wir selbst. Sie gehen davon aus, dass wir beten. Sie rechnen damit, dass man sich in der Gemeinde gegenseitig hilft. Sie halten es für selbstverständlich, dass man für die sorgt, die in Not geraten sind. Sie erwarten von uns, dass wir gastfreundlich sind. Außerdem äußern sie Befremden, wenn wir die von uns erwartete Einfachheit und Besonnenheit vermissen lassen. Die anderen haben ein untrügliches Gespür dafür, wie sich der Glaube an Jesus Christus im alltäglichen Leben auswirkt. Was von außen so klar ist, scheint im Innern der Gemeinde nicht selbstverständlich zu sein. Das gemeinsame Gebet, die bedingungslose Gastfreundschaft und die Bescheidenheit haben nicht in jedem Fall Priorität im Gemeindeleben. […] Auch wir sind mit den Mahnungen des Apostels gemeint.«33 Ebenso ist an den Auftrag zur Verbreitung des Evangeliums zu erinnern. Nun sind quantitative Argumente nicht ungefährlich, doch sollten wir neben der Hoffnung auf ein Leben in lebendigem Glauben und praktizierter Liebe, auf Frieden, Gerechtigkeit und Einheit auch die Hoffnung auf Ausstrahlung und weite Verbreitung nicht völlig aus dem Blick verlieren. Am Ende gilt, was Leonhard Meisser 1847 dichtete: Dass es auf der armen Erde unter deiner Christenschar wieder einmal Pfingsten werde Herr, das mache gnädig wahr. Fache neu der Liebe Flammen in den kalten Herzen an. 33

Impuls zur ersten Lesung (1. Juni), Te Deum. Das Stundengebet im Alltag, hg. von der Benediktinerabtei Maria Laach und Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart Juni 2018, 10.

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Füge, was entzweit, zusammen, dass man Eintracht sehen kann. Mache alle kranken Glieder rüstig, kräftig und gesund. Lass die erste Liebe wieder einen unsern Christenbund, dass bald wieder nur der Eine, große, heilge Gottesgeist sichtbar sei in der Gemeinde, welche Christi Kirche heißt. Also lass des Geistes Wehen in der ganzen Christenheit, Jesus, heute neu erstehen. Gib uns Glaubensfreudigkeit, dass in jeder Christgemeinde nah und fern, zu Berg und Tal Deines Geistes Macht erscheine. Pfingsten werde überall!

»Der Geist, der lebendig macht …« Pneumatologie und Empirie Dirk Evers 1. Vorbemerkungen zur hermeneutischen Struktur der Pneumatologie Ich nähere mich dem Thema aus der Perspektive der Systematischen Theologie und Religionsphilosophie und dabei besonders aus einem Verständnis von Theologie, das theologische Perspektiven auf die Erkenntnisse der verschiedenen Formen empirischer Wissenschaften zu beziehen und damit so etwas wie einen realistischeren Zugang der Theologie zu der durch natürliche, öffentlich zugängliche Zusammenhänge verfassten Seite der Wirklichkeit gewinnen möchte. Dabei verstehe ich Theologie nicht als eine religionsgeschichtliche Theorie des Christentums, sondern als die Summe der Formen, in denen das Christentum kritisch-reflexiv über sich selbst nachdenkt und ein Verstehen seiner selbst inmitten dieser Wirklichkeit sucht. Theologie ist die reflexive Gestalt des christlichen Glaubens. Unter Aufnahme einer Formulierung Dalferths könnte man dieses Verständnis von protestantischer Theologie als so etwas wie die Resonanzanalyse der Offenbarung verstehen mit dem Ziel, die christliche Kommunikation des Evangeliums zu befördern.1 Das hat Konsequenzen für eine Beschäftigung mit dem, was die biblischen Schriften als den Geist Gottes bzw. den Geist Jesu bezeichnen und was die Tradition als Heiligen Geist zusammengefasst hat. Pneumatologie kann dann keine desengagierte Theorie über den göttlichen Geist oder Geist überhaupt sein, sondern ist von vorn 1

I.U. DALFERTH, Radikale Theologie (ThLZ.F 23), 2010, 219.

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herein ausgerichtet auf die Erkenntnis eines bestimmten Geistes, der auch zur Unterscheidung der Geister, zur Identifizierung von Gottes Geist in Differenz zu heillosen Geistern und zur Betätigung der Gaben des Geistes Gottes anleitet. Schon biblisch ist Gottes Geist immer ein besonderer Geist (der Geist Jahves, der Geist Jesu Christi etc.) inmitten einer geistoffenen Wirklichkeit. Geisterkenntnis stellt damit in theologischer Perspektive einen Zirkel dar, der zu einem kreativen hermeneutischen Zirkel entschränkt werden muss. In den theologischen Erkenntnisvorgang ist der Geist selbst als einbezogen zu denken, so dass nicht über den heiligen Geist kommuniziert werden kann, ohne zu unterstellen, dass diese Kommunikation auch wesentlich davon lebt, dass sie in eben diesem Geist schon geschieht. Das impliziert nicht, dass theologische Geistreflexion selbst ein enthusiastischer Vorgang ist. Weder muss man an bestimmten Praktiken partizipieren noch kann man den Geist methodisch gesichert in den Erkenntnisvorgang einspielen, etwa durch Gebet, Kontemplation oder das Erzeugenwollen von unmittelbarer Spontaneität. Ich plädiere daher für eine »coole« Theologie in dem Sinne, wie D.Z. Phillips das für die Philosophie beschrieben hat, die also weder »warm«, d.h. selbst enthusiastisch, noch »cold«, also gänzlich leidenschaftslos und desengagiert, sein soll. Um es mit Wittgenstein zu sagen: »Mein Ideal ist eine gewisse Kühle. Ein Tempel, der den Leidenschaften als Umgebung dient, ohne in sie hineinzureden.«2 Dieses Ideal teile ich. Ich möchte als systematischer Theologe in charismatische Leidenschaften nicht zensierend hineinreden, aber sie reflektierend in eine Umgebung setzen, so dass man sich zu ihnen empathisch, kritisch und kreativ ins Verhältnis setzen kann. 2

L. WITTGENSTEIN, Vermischte Bemerkungen (in: DERS., Werkausgabe Bd. 8: Über Gewißheit [u.a.], 92002, 445–573), 453 Vgl. dazu D.Z. PHILLIPS, Philosophy's Cool Place, 1999.

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2. Der abendländische Geistbegriff und seine Engführung Der Bezug von Geist und Empirie ist im Grunde seit den Anfängen der großen abendländischen Geisttraditionen einerseits die treibende Kraft in der Konzeptionalisierung von Geist, andererseits prekär, weil Geist vor allem im Gegensatz zu Kategorien wie Materie, Leib, Natur etc. bestimmt wird. Ausgehend von Beobachtungen in anthropologisch-medizinischen Kontexten, in denen mit Geist (hebr. $‫רוּ‬, ַ griech. πνεῦµα) als Lebensatem, Atemluft, belebender göttlicher Hauch derjenige besondere Stoff bezeichnet wird, der das Lebendige charakterisiert, wird er dann entschränkt und sublimiert und sowohl zur Bezeichnung eines allgemeinen weltimmanenten göttlichen Prinzips als auch der individuellen Seele gebraucht. Der Ausgang ist ein doppelter: Zum einen steht der Geist kosmologisch für die Gesamtordnung des Kosmos, und zum anderen wird er epistemologisch für die oberen Erkenntnisleistungen des Menschen verwendet und mit den Begriffen νοῦς (Verstand) und λόγος (Denken) verbunden. Seitdem kann man am abendländischen Geistbegriff eine ontologisch-kosmologische und eine epistemologische Komponente unterscheiden.3 Vor allem die attische Philosophie arbeitet sich an der Verbindung beider Aspekte ab. Bei Platon wendet sich der höchste, denkende Teil der Seele, vermittelt über das Sinnliche und seine Gleichnisse, dem Reich der nicht-sinnlichen, unwandelbaren Ideen zu, die auch dem Kosmos zugrunde liegen. Gerade darin erkennt der Geist sich selbst und das Göttliche in sich. Vorausgesetzt ist eine unaufhebbare Fundamentaldifferenz zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen, wobei alles Körperliche einzig als Bild des Geistigen Bedeutung hat. Eher naturphilosophisch 3

J. STOLZENBERG, Art. Geist III. Philosophisch und religionsphilosophisch (RGG4 Bd. 3, 2000, 559–561), 559.

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orientiert setzt Aristoteles bei der Phänomenologie des Lebens an und bestimmt πνεῦµα (Geist) als Substrat der Lebenswärme. Davon ist der νοῦς (Verstand) als Denkvermögen und damit eigentlicher Geistbegriff noch einmal kategorial abgesetzt und kommt letztlich nur dem Menschen zu. Der Geist ist das Prinzip der intuitiven Prinzipienerkenntnis und gerade darin gleichursprünglich bezogen auf das Sinnliche und die Selbsterkenntnis, wodurch sich der Mensch in jedem Erkennen als Erkennender weiß, sowie auf das Göttliche, dem als Denken des Denkens4 allein reine Geistigkeit eignet und an dem der Mensch in denkerischer Schau (θεωρία) Anteil erlangen kann. Für die Neuzeit wird der Cartesische Geistbegriff grundlegend, der im Zusammenspiel mit den sich entwickelnden neuzeitlichen Wissenschaften die Matrix von innen – außen, kosmisch – seelisch, natürlich – göttlich, materiell – geistig noch einmal verschiebt. Auch für ihn ist die Selbstbezüglichkeit des Geistes entscheidend. Da jede Erkenntnis mit umfasst, dass sie als Erkenntnis erkannt wird, stellt die Selbstbezüglichkeit des Geistes den Grund jeder Erkenntnis dar. Nichts kann leichter erkannt werden als der Geist, der vorrational und vorbegrifflich mit sich selbst vertraut ist: cogito, ergo sum (Ich denke, also bin ich).5 Davon ist die materielle Welt klar und deutlich unterschieden. In ihr wird immer etwas als etwas in Raum und Zeit erkannt, und alle diese Erkenntnis ist kontingent und begründungsbedürftig. Die Bedingungen der Möglichkeit von Selbstgewissheit als dem unerschütterlichen Fundament der Philosophie liegen für Descartes in der dem menschlichen Geist

4 5

Aristoteles, Met XII, 9, 1074b 34: νοήσεως νόησις. R. DESCARTES, Die Prinzipien der Philosophie, hg. von A. BUCHENAU (PhB 28), 81992, 2f: »Demnach ist der Satz: Ich denke, also bin ich (cogito ergo sum) die allererste und gewisseste aller Erkenntnisse, die sich jedem ordnungsgemäß Philosophierenden darbietet.«

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impliziten Idee des Göttlichen, doch exekutiert werden sie in der Selbstbezüglichkeit des menschlichen Geistes. Aus dem Wegdenken-Können des Körpers und der körperlichen Situiertheit schließt Descartes dann auf die Körperlosigkeit des Denkens. Während wir alles Körperliche wegdenken können, kann das Denken von sich selbst nicht absehen, und gerade darin zeigt sich seine Geiststruktur, die es von allem Körperlichen in Raum und Zeit, das auf Mechanik und Druck und Stoß reduziert wird, ontologisch unterscheidet. Wenn aber zwischen dem Ausgedehnten und dem Denkenden eine ontologische Kluft etabliert wird, so kann die Außenwelt die Seele nur dann affizieren, wenn die Seele dafür prädisponiert ist. Descartes unterstellt dafür noch eingeborene Ideen, die das ermöglichen. Der englische Empirismus lässt auch diese Ideen irgendwie durch Wiederholung und Gewohnheit aus der Erfahrung entstehen, doch Kant betont umgekehrt die konstitutive Funktion von Vernunft und Verstand für Erfahrung überhaupt. Wenn dann im deutschen Idealismus der Geistbegriff zum Zentralbegriff der Philosophie avanciert, wird er zwar als das intuitive, selbst-bezügliche und konstitutive Vermögen der Vernunft so gefasst, dass diese immer über das andere ihrer selbst zu sich selbst kommt. Doch werden damit zugleich Natur und Geschichte als evolutionäre Entfaltung eben des Geistes aufgefasst, so dass der Geist in der Erfahrungswelt mit sich allein bleibt: »Der Geist selbst ist nur dies Vernehmen seiner selbst.«6 Als Resultat der europäischen Geschichte des Geistbegriffs hat sich ein Dualismus zwischen dem Geist und dem jeweils anderen (Materie, Leib, Natur) manifestiert, der sich in seinen unterschiedlichen Wendungen als erstaunlich resilient erwiesen hat, auch wenn die Begründungsfiguren wechseln. Das 18. und 19. Jahrhundert können dann als 6

G.W.F. HEGEL, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (in: DERS., Werke in zwanzig Bänden Bd. 18, 1970), 93.

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die Jahrhunderte gelten, in denen die Figur von einer Hochbewertung des Geistes gegenüber dem Materiellen kippt bis hin zur Marginalisierung des Geistes als letztlich wirkungslosem Epiphänomen des Körperlichen. Diese Möglichkeit dokumentiert die polemische Äußerung von Carl Vogt im Materialismus-Streit, »daß die Gedanken in demselben Verhältniß etwa zu dem Gehirne stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren«7. Entsprechende materialistisch-mentalistische Engführungen lassen sich bis in heutige Debatten um die Willensfreiheit verfolgen, und es wechseln sich im Grunde verschiedene Kippfiguren zwischen Geist und Empirie ab, ohne dass zwischen den verschiedenen philosophischen Schulen deutlich würde, wie der neuzeitliche Dualismus sich nachhaltig überwinden ließe. Zur Konsolidierung eines ontologischen Dualismus zwischen Natur und Geist haben die Naturwissenschaften nicht nur inhaltlich, sondern auch durch ihre Methodik einen erheblichen Beitrag geleistet. War die vorneuzeitliche aristotelische Erkenntnistheorie nach dem Partizipationsmodell entworfen, bei dem der erkennende menschliche Geist an der Geiststruktur der Gegenstandswelt durch Angleichung des Intellekts an den Gegenstand Anteil hatte, so radikalisiert die Moderne die Trennung zwischen Epistemologie und Kosmologie durch Repräsentationsmodelle von Erkenntnis, oder, um es mit Cassirer zu sagen: Relationale Funktionsbegriffe treten an die Stelle von Substanzbegriffen.8 Wie Charles Taylor schön gezeigt hat, ist dieser methodische und ideengeschichtliche Umbruch begleitet von Transformationen des individuellen Erlebens der eige7

C. VOGT, Physiologische Briefe für Gebildete aller Stände, 21854, 323 [im Original gesperrt]. Vgl. zum Materialismus-Streit den Quellenband: K. BAYERTZ / M. GERHARD / W. JAESCHKE (Hg.), Der Materialismus-Streit (PhB 618), 2012. 8 Vgl. E. CASSIRER, Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, 71994.

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nen Existenz und des Sozialen, die unsere moderne Kultur nachhaltig prägen. An zentraler Stelle identifiziert Taylor ein neues Verständnis des Menschen als eines autonomen Subjekts mit seinen je eigenen Handlungsmöglichkeiten.9 Taylor spricht in diesem Zusammenhang unter anderem vom »abgepufferten«10 Selbst im Unterschied zum porösen Selbst der vorwissenschaftlichen, »verzauberten« Welt. Während »das poröse Selbst durch Geister, Dämonen und kosmische Kräfte verwundet werden« kann und damit bestimmte Ängste vor dem Nicht-Beherrschbaren einhergehen, ist das »abgepufferte Selbst […] der Welt solcher Ängste entzogen«, weil es sich eines »Puffers« zwischen sich und der es umgebenden Welt sicher sein kann, in der es nach Weber »prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte« gibt, »man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen« kann.11 Durch Selbstkontrolle und die Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel, so der Anspruch, kann das Subjekt Vereinnahmungen von außen selbstbestimmt abwehren und durch Achtsamkeit auf die eigenen inneren Überzeugungen, Gefühle, Wünsche und Wertungen zum Souverän der je eigenen Sicht auf sich selbst und die Wirklichkeit werden, um so »seinem Leben eine eigene, autonome Ordnung zu verleihen«12. Krankheit z.B. hat in der Moderne nichts mehr mit Sünde zu tun, sondern wird zur Beschreibung derjenigen Ausfälle, an denen die Medizin ansetzen kann. Dem korrespondiert eine als gottlos nicht bloß verstandene, sondern in dem von Evolutionstheorie, Kosmologie und technischem Zugriff geformten Rahmen als gottlos erlebte Welt, in der unabweisbar scheint, dass aller Sinn vom Menschen ausgehen 9 10 11

Vgl. C. TAYLOR, Ein säkulares Zeitalter, 2009, 957. A.a.O., 72 u.ö. M. WEBER, Wissenschaft als Beruf (in: DERS., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von J. WINCKELMANN, 61985, 582–613), 594. 12 TAYLOR (s. Anm. 8), 73.

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muss.13 Das wird begleitet von Transformationen des Sozialen. Dem von allgemeinen Kausalgesetzen regierten Universum, in dem sich das selbst bestimmte Subjekt vorfindet, entspricht eine prozedurale, unpersönliche Auffassung von öffentlicher Ordnung, die durch reine Verfahrensregeln einen Interessensausgleich der atomistisch verstandenen Individuen vollzieht. Weder inhaltliche Normen noch Bedeutungen gehen von der sozialen Ordnung aus, die nicht einmal ihre eigene Verbindlichkeit selbst begründen kann, wenn nach der bekannten Böckenförde-Formel der »freiheitliche, säkularisierte Staat […] von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann«.14 Kosmische, soziale und moralische Ordnungen resonieren nicht mit den menschlichen Lebensfragen, währen die aus dem Inneren des Subjekts selbst geschöpfte Authentizität ethisches Prestige erhält. Damit ist die kosmologische Komponente von Geist von der anthropologischen auf ganz neue und fundamentale Weise abgekoppelt. Den unleugbaren und die Moderne befeuernden Freiheitsgewinnen stehen allerdings Irritationen, Risiken und Verluste entgegen, deren Kompensationsversuche wir heute auf vielen Ebenen wahrnehmen. Denn das sich als Sinnzentrum erfahrende Individuum erkennt sich zunehmend als Spielball unbeherrschbarer globaler Dynamiken und als ein nicht unbedingt frei entscheidendes, sondern vielfach mit13

Nach Hans Blumenberg ist schon die Genesis der Kopernikanischen Welt weniger »ein wissenschaftliches als ein anthropologisches Ereignis. Sie muß davon sprechen, wie ein peripheres Bewußtsein sich selbst auf die Spur dessen kommt, dies zu sein. Das ist die Zweideutigkeit des Himmels: er vernichtet unsere Wichtigkeit durch seine Größe, aber er zwingt uns auch durch seine Leere, nichts anderes wichtiger zu nehmen als uns selbst.« (H. BLUMENBERG, Die Genesis der kopernikanischen Welt Bd. 1–3, 21989, 2). 14 E.-W. BÖCKENFÖRDE, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (in: Säkularisation und Utopie. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag [Ebracher Studien], 1967, 75–95), 93.

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gerissenes, getäuschtes, virtuelles, seine inneren und ökonomischen Freiräume bedrängt verteidigendes und um sie verhandelndes Subjekt. Die Dialektik von Fremd- und Selbstzuschreibungen, das unentwirrbare Dickicht von antizipiertem, imaginiertem und tatsächlichem Erwartungsdruck, von Selbstbestimmung durch Abgrenzung, Angst vor Verwechslung und Protest, von Moden und Anti-Moden, von Inszenierung, Täuschung und Tarnung – das und mehr macht die moderne Suche nach geistiger und geistlicher Orientierung so schwierig. Verbindliche soziale Einheiten wie Volk oder Nation werden deshalb mit neuer Bedeutung aufgeladen. Narrative von Kulturen und Gegenkulturen sollen äußere Stützen für Identität liefern, Religion wird zunehmend als Identitätsmarker verstanden, aber auch Versuche der Wiederverzauberung der Wirklichkeit durch esoterische, oft kosmisch fundierte bedeutungsgeladene Ordnungen und charismatisch-enthusiastische Erfahrungen von leiblich-geistiger Identität dürften hierher gehören. Die Trennung von Natur und Geist, so hat Bruno Latour diesen Vorgang gedeutet, bringt zwischen den getrennten Bereichen hybride, geistförmige Quasiobjekte hervor, die die Moderne beständig zu verdrängen sucht.15 3. Beschreibung einer geistoffenen Wirklichkeit Damit komme ich zurück zur Frage nach dem Heiligen Geist. Soll die Rede vom Heiligen Geist neu verständlich werden, so kann sie nicht einfach an die Geisttraditionen des Abendlandes anknüpfen, sondern muss sich auf die beschriebenen Transformationsprozesse einlassen mit ihrem Ineinander von empirischer, wissenschaftlicher Weltbeschreibung, neuen Formen eines abgepufferten und darin zugleich irritierten Selbst und dem ambivalenten Ver15

B. LATOUR, Wir sind nie modern gewesen, 2008.

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hältnis zu den Bindungs- und Prägekräften des Sozialen. Und es wäre geltend zu machen, dass das Lehrstück vom heiligen Geist nur aus dem Gesamtwirken Gottes heraus verstanden werden kann. Gott wird Geist genannt, weil damit eine unsichtbare Wirklichkeit bezeichnet wird, die nicht in der Art und Weise manifest ist, wie es die materiellen Dinge in Raum und Zeit sind, zugleich aber nicht an der empirisch feststellbaren Wirklichkeit vorbei oder gar gegen sie wirkt. Ingolf Dalferth hat den Geist als die »Vollzugsform des Lebens Gottes«16 bezeichnet und damit zum Ausdruck bringen wollen, dass der Geist Gottes weder als abgesonderte Entität extra nos noch als bloße Kraft in nobis, also weder rein ontologisch als kosmischer Zusammenhang noch epistemologisch als rein subjektivitäts- oder deutungstheoretischer »geistiger« Vorgang richtig erfasst ist. Als die Vergegenwärtigung Gottes selbst, als Geist Jesu Christi und zugleich als die Kraft der Gaben des Geistes an Menschen und Gemeinschaften steht das christliche Verständnis des Geistes quer zu epistemologischen und ontologischen Dualismen. Will man den Geist also als die umfassende, aber verborgene »Vollzugsform des Lebens Gottes« beschreiben, dann müssen die drei Dimensionen, in denen wir inmitten der Wirklichkeit auf uns selbst und anderes bezogen sind, miteinander verschränkt werden: die leiblich-ontologische, die geistig-personale und die soziale Dimension. Es wird darum gehen, die kosmisch-materielle Welt, der wir in der Perspektive der 3. Person begegnen und zu der wir als körperliche Wesen gehören, als geistoffen zu verstehen (Geist der Schöpfung). Zugleich wird die innere, geistige Welt, die wir in der Perspektive der 1. Person wahrnehmen, in der wir uns auf uns selbst beziehen und in der wir unser Leben als eigenes führen, als verbunden mit Gottes Geist 16

I.U. DALFERTH, Kombinatorische Theologie. Probleme theologischer Rationalität (QD 130), 1991, 131.

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zu verstehen sein, der uns unser Leben als getragen vom Leben Gottes selbst verstehen lehrt. Hinzu kommt die Wirklichkeit als Zusammensein in Relationen der 2. Person, durch die sich unsere Selbstwahrnehmung und unser Wirklichkeitsverständnis allererst bilden, in denen aber auch geistlose Verhältnisse sich besonders problematisch auswirken. In allen drei Hinsichten trifft der Geist Gottes immer auch auf Gegenkräfte, etwa durch das, was Leibniz als natürliche Übel wie Krankheit, Vergehen, Tod etc. bezeichnete in der Perspektive der objektivierbaren Wirklichkeit, durch einen Geist der Traurigkeit und Verzagtheit sowie durch eine faktische, von Luther als Kern der menschlichen Sünde verstandene, in sich verkrümmte Selbstbezogenheit in der Perspektive der 1. Person, durch den Ungeist von Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen im Zusammensein menschlicher Gemeinschaften. Schauen wir uns nun die drei Dimensionen unserer Erfahrungswelt in ihrem Zusammenspiel etwas genauer an und fragen wir nach ihrer Geistoffenheit. Das Bild, das wir dadurch zeichnen, soll zumindest die Richtung andeuten, in der dualisierende Figuren von Geist und Natur überwunden werden könnten. 3.1 Die Geistoffenheit der materiellen Schöpfung In Bezug auf den Geist der Schöpfung kann sich christliche Schöpfungstheologie inzwischen auf reichhaltige Theorien und Konzepte zur Selbstüberschreitung der materiellen Schöpfung beziehen. Das in der Perspektive der 3. Person objektivierbare Moment der Wirklichkeit zeigt einerseits eine streng gesetzförmige, unnachgiebige und unhintergehbare Seite, die z.B. in der klassischen und relativistisch erweiterten Gravitationstheorie und ihren Bewegungsgesetzen, aber auch in den deterministischen Aspekten naturwissenschaftlicher Theorien überhaupt zum Ausdruck kommt. Die physische Wirklichkeit umfasst Momente strenger

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Faktizität und Notwendigkeit. Doch zugleich ist zunehmend deutlich geworden, dass Stabilität als Sonderform einer allgemein instabilitätsfähigen Natur anzusehen ist. Instabilität gehört ebenso zum Wesenskern der Natur und »gilt inzwischen als Bedingung der Möglichkeit von Selbstorganisation und Komplexität, von Zeitlichkeit und Dynamik«17. So hat der Darmstädter Technik- und Wissenschaftsphilosoph Jan Schmidt vor kurzem die von ihm so genannte »nachmoderne Physik« beschrieben unter dem etwas missverständlichen Titel »Das Andere der Natur. Neue Wege zur Naturphilosophie«. Missverständlich ist der Titel, weil das »Andere« der Natur sich auf keinen Natur-Geist-Dualismus bezieht. Das Andere der Natur ist ein Aspekt von Natur, den die Naturwissenschaften der Neuzeit zunächst als das angesehen hatten, das es zu beherrschen und zu überwinden gilt, nämlich Zufall, Unbestimmtheit und Instabilität. Doch, so Schmidts These, gerade dies ist der für unsere Lebenswellt entscheidende Normalfall, und in ihm steckt die Quelle des Neuen und Kreativen in der Natur. Er beschreibt damit eine Welt des Werdens, der Zeitlichkeit und der Selbstüberschreitung, in der Ordnung in einem systemischen Sinn durch Energieverbrauch und immer nur auf Zeit entstehen kann, so dass alle ihre Gestalten vergänglich und endlich sind. Komplexe, selbst-organisierte, sich bildende und erhaltende Wesen entstehen in immer neuer Variation und sind untereinander systemisch vernetzt, und zwar so, dass auf allen Ebenen der materiellen Wirklichkeit das Ganze mehr und anderes ist als die Teile und durch Strukturprinzipien auf die unteren Ebenen zurückwirkt. Als »Geist der Schöpfung« lässt sich diese kreative Selbstbewegung der materiellen Schöpfung theologisch deuten, durch die die bunte18, vielfältige Fülle der Lebens17 J.C. SCHMIDT, Das Andere der Natur. Neue Wege zur Naturphilosophie, 2015, 8. 18 Vgl. 1 Petr 4,10, wo die Adressaten aufgerufen werden, gute Haushalter der ›bunten‹ Gnadengaben Gottes (ποικίλης χάριτος θεοῦ) zu sein.

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formen auf diesem Planeten nicht nach Plan hergestellt, sondern von innen heraus gebildet wird. 3.2 Der Geist des Lebens Im Prozess der Evolution auf diesem Planeten wird deutlich, wie aus ganz verhaltenen Anfängen heraus in dieser besonderen Nische des Kosmos Gestalten entstehen, die emphatisch ungleichgültig ihrer eigenen Existenz gegenüber sind. Oder wie Hans Jonas formulierte: »Leben ist Selbstzweck, d. h. aktiv sich wollender und verfolgender Zweck«,19 und eben darin manifestiert sich der Geist Gottes als lebendiger Geist und Geist des Lebens. Lebewesen sind nicht einfach nur vorhanden, sondern wollen leben, und wenn sie in ihren höheren Formen zusätzliche Freiheitsgrade des eigenen Handelns gewonnen haben, bejahen sie sich in ihrem Leben selbst und realisieren den Geist der Lebensfreude. Sie leben nicht, weil sie leben müssen oder weil sie zu einem ihnen übergeordneten Plan oder Projekt gehören, sondern weil es gut ist zu leben. Theologisch gedeutet steht der Geist Gottes für die Selbstüberschreitung der Schöpfung hin zur Ungleichgültigkeit des Lebens gegenüber der eigenen Existenz, für die Buntheit und Fülle der Lebensphänomene und ihrer Zusammenhänge, für das Leben inmitten von Leben, das leben will und den eigentümlichen Zusammenhang von Selbstbezüglichkeit und Gemeinschaft. Damit ist kein romantisches Naturparadies beschrieben. Gerade weil diese Fähigkeit zur Selbstüberschreitung aus den Instabilitäten, den kontingenten Dynamiken und Rückkoppelungseffekten natürlicher Systeme hervorgeht, sind damit auch Risiko, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit unausweichlich verbunden, sind Phänomene der Auflö19

H. JONAS, Materie, Geist und Schöpfung. Kosmologischer Befund und kosmogonische Vermutung, 1988, 22f.

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sung, von Krankheit und Schmerz, die Unvermeidlichkeit des Sterbens und des Lebens auf Kosten von anderem Leben und überhaupt der beständige Wandel allgegenwärtig. Arten kooperieren und konkurrieren, sind einander Jäger und Beute und etablieren netzwerkartige Ökosysteme, so dass Leben auch nur in und mit seinen sozialen Formen verstanden werden kann. Früh haben sich Geschlechter ausdifferenziert, und durch die geschlechtliche Fortpflanzung, die durch die Rekombination der elterlichen Gene den Prozess der Variation der Erbanlagen kreativer und zugleich risikoärmer werden lässt, entstehen neue Formen von Gemeinschaft. Individuen schließen sich zusammen zu Paaren, Rudeln, Herden und Schwärmen, entwickeln komplexe gemeinschaftliche Verhaltensformen. Und im Falle des Menschen bilden sich über sein soziales Verhalten neue Kommunikationsformen, allen voran Sprache, in denen sich neue Formationen von Gemeinschaftsgeist in der Verschränkung von Selbstverhältnis und Fremdverhältnis ausbilden und daraus Städtebau und Landwirtschaft, Kunst und Musik, Religion und Wissenschaft entstehen. 3.3 Das Wirken des Geistes im Beziehungsgeflecht menschlicher Gemeinschaft Hier kommt nun die geschichtlich-soziale Dimension menschlicher Existenz ins Spiel und damit auch das, was wir in der Theologie als Soteriologie, als Lehre von der Erlösung bezeichnen. Der Geist menschlicher Gemeinschaft ist eng verschränkt mit der Ausbildung individueller Geistigkeit. Dies wird etwa an der frühkindlichen Entwicklung deutlich, die als eine über Kooperation und Kommunikation sich vollziehende Einweisung und Einübung in die menschliche Lebensform verstanden werden kann. Während 6 Monate alte Säuglinge ihre Aufmerksamkeit entweder Gegenständen oder Personen zuwenden und also dyadisch agieren, beginnen sie mit etwa 9 Monaten in triadisch

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strukturierte Situationen einzutreten, die der Leipziger Anthropologe Michael Tomasello Situationen gemeinsamer Aufmerksamkeit (joint attention) genannt hat.20 Kleinkinder beginnen die Aufmerksamkeit Erwachsener zu prüfen, ihren Blicken zu folgen, sich mit ihnen gemeinsam mit einem Gegenstand zu beschäftigen und umgekehrt die Aufmerksamkeit der Bezugsperson mit Hilfe deklarativer Gesten zu lenken. Aus Situationen gemeinsamer Aufmerksamkeit entwickelt sich, was Tomasello geteilte Intentionalität (shared intentionality) nennt. Es wird ein gemeinsamer Hintergrund geschaffen, vor dem die sozialen Zusammenhänge eine neue Qualität annehmen, die Qualität wechselseitiger Verpflichtung. Das umfasst u.a. Erwartungen an die Bereitschaft zur Kooperation und Kommunikation21, ein Wir-Bewusstsein (»so machen wir dieses oder jenes«), ein sich dazu in Beziehung setzendes Ich-Bewusstsein, geteilte Hintergrundannahmen über die Bedeutung von Situationen bis hin zu komplexen Narrativen und Diskursen usf. »Personen«, so hat Robert Spaemann diesen Vorgang beschrieben, »sind uns nur gegeben zusammen mit einer gemeinsamen Welt und so, dass wir sie verstehen, indem wir mit ihnen ›in die gleiche Richtung blicken‹, das heißt ihre Intentionen mitvollziehen«.22 Durch all das verständigen sich Menschen über sich selbst, bilden sie eigene Überzeugungen aus, teilen sie diese mit und betten alltägliche Erfahrungen ein in komplexe Zusammenhänge von möglicher und unmöglicher Kontrafaktizität. So stellt sich Selbstbezug durch Fremdbezug her. Menschen sind dadurch Menschen, dass sie inmitten dieser Prozesse der Ausbildung 20

Vgl. M. TOMASELLO, Joint attention as social cognition (in: C. MOORE / P.J. DUNHAM [Hg.], Joint attention. Its origins and role in development, 1995, 103–130). 21 Zum Zusammenhang von Kooperation und Kommunikation vgl. auch DERS., Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, 2011. 22 R. SPAEMANN, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ›etwas‹ und ›jemand‹, Stuttgart 32006, 67.

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eigener Lebensorientierung angenommen und anerkannt und also geliebt werden und selbst lieben können. Dazu gehört allerdings auch gleich die Kehrseite, dass sie gerade in dieser ihrer fundamentalen Externität auch irritierbar und korrumpierbar sind. Wie es zur körperlichen Seite des Lebens gehört, dass es gefährdet, verletzlich und sterblich ist, so gehört zur sozialen Dimension, in der Menschen Zuwendung brauchen und zur Zuwendung fähig sind, auch das andere: Menschen können hassen, können Zuwendung verweigern und totalitäre Formen von Selbstbezug ausbilden. Die Geschichte Jesu Christi nun bringt inmitten konkreter geschichtlicher Vollzüge den Geist Gottes in dieser Hinsicht noch einmal neu zur Darstellung und Geltung. In seiner Verkündigung, seinem Leben, Leiden, Sterben und in seiner Auferstehung geschieht die Neuformation des Geistes Gottes in Bezug auf die Verschränktheit von personalen und gemeinschaftlichen Dimensionen menschlicher Existenz. In Jesus Christus vollzieht sich, traditionell gesprochen, die Menschwerdung Gottes, so dass der von Ewigkeit her in Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen begründete »ontologische Zusammenhang«23 zwischen Gott und Menschen zeitlich und geschichtlich realisiert wird. Johanneisch und mit einigen Traditionen der frühen Kirche gesprochen vollzieht sich mit der Inkarnation des Logos, mit dem definitiven Eingang Gottes in den Zusammenhang von Körperlichkeit und personaler Existenz, eine so intime Verbindung zwischen Gott und Mensch, dass mit der Macht der Sünde (totalitäre Formen von Selbstbezug) auch die Macht des Todes endgültig gebrochen wird. Das hat sich in einer narrativen Verdichtung des Geschicks des Menschen Jesus von Nazareth niedergeschlagen, so dass davon neue Identitäts- und Gemeinschaftsbildung ausgeht. 23

K. BARTH, Die kirchliche Dogmatik IV/2. Die Lehre von der Versöhnung: Jesus Christus der Knecht als Herr, 1955, 305.

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Das Kreuz Jesu Christi provoziert dazu, die Verkündigung Jesu von der Nähe des Gottesreiches und der Zuwendung Gottes zum verlorenen Menschen auf Jesus selbst anzuwenden, so dass Gott auch und gerade in dem Leiden und Sterben dieses Menschen seine Nähe und Zuwendung zur Geltung bringt. Vor allem aber ist die Auferstehung als Bestätigung der Pointe des Lebens Jesu Christi zu verstehen, das die Nähe des Gottesreiches durch Bewegungen des Zusammenkommens von Gott und Mensch und darin auch von Menschen untereinander zu realisieren suchte. Das Leben Jesu Christi war in besonderer Weise auf Gott bezogen, auf den es wie ein einziger Hinweis ausgerichtet war, indem es penetrant, konsequent und bis in die Abgründe dessen, was Menschen Menschen antun, auf seiner Gnade und Zuwendung beharrte. Und es war darin zugleich in besonderer Weise auf Menschen bezogen, weil es dies in jeweils konkreter Gestalt für bestimmte Menschen (Jünger, Zöllner, Juden und Heiden, Zufallsbegegnungen, Pharisäer, Römer etc.) zur Geltung brachte. Die Auferstehung ist die Bestätigung, dass diesem Leben eben diese Zusammenführung von Gott und Menschen bleibend gelungen ist. Denn in der Auferstehung identifizierte sich Gott selbst definitiv mit dem Leben, der Botschaft und dem Geschick dieses Menschen, so dass er in dessen Tod die Sünde und die Gottverlassenheit des Menschen zu seiner eigenen Angelegenheit machte und den Gekreuzigten als Gekreuzigten in das göttliche Leben aufnahm. Eben dadurch wurde aus dem Verkündiger der Verkündigte, der seinen Jüngerinnen und Jüngern im Geist auf neue Weise nahe zu sein vermag. Aus dem Geschick des Menschen Jesus und der Fortsetzung seiner Verkündigung als Evangelium geht so eine neue Formierung des Geistes von Menschen hervor, indem diese in gemeinsamer Aufmerksamkeit und geteilter Intentionalität sich in eine von der Zuwendung Gottes geprägte Lebensform einweisen lassen, in der sie sich und andere als

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von Gott angenommene Sünder neu verstehen und den Geist von Gemeinschaften neu auszurichten beginnen. Denn nicht nur das Gottesverhältnis erscheint nun mit dem Selbstverhältnis von Menschen verschränkt, auch das Verhältnis von Menschen untereinander beginnt sich zu verändern. Eben darin besteht der Geist Jesu, dass er Menschen in neuer, Sünde und Tod überwindender Gewissheit mit Gott und untereinander verbindet und zu gegenseitiger Zuwendung inspiriert, bis dahin, dass auch die kondensierten Produkte des geschichtlich wirksamen menschlichen Geistes, also Lebensformen, Kultur, Wissenschaft, Ökonomie neu formiert werden können. Damit komme ich zum Schluss. Wie können sich Menschen auf dieses Wirken des Geistes einstellen? Es ist geradezu eine christliche Binsenweisheit, dass der Geist weht, wo er will und nicht methodisch erzwingbar ist. Dennoch kennt auch das Neue Testament die Aufforderung: »Den Geist dämpft nicht« (1 Thess 5,19), lasst ihn nicht verkümmern. Zu einer solchen Empfindsamkeit für Gottes Geistesgegenwart gehört heute auch die Aufmerksamkeit auf das Ineinander von Verlässlichkeit und Kreativität, von Leiblichkeit und Geistigkeit im Zusammenspiel unserer Erfahrungswelt, zu der nicht nur die biblischen Texte Anregung geben, sondern auch der gründliche Blick in und ein entsprechendes Sich-Verstehen auf die empirisch zugängliche Wirklichkeit wichtig sind. Nach Karl Barth ist der heilige Geist auch »der ausgesprochene Freund des gesunden Menschenverstandes«24, und es dürfte zu einem Leben im Geist Gottes und im Geist Jesu Christi gehören, sich realistisch auf das Leben in seinen Möglichkeiten und Grenzen, in seiner Vielfalt und Komplexität zu verstehen und ein realistisches und bewegliches Orientierungswissens zu entwickeln, das zwischen Erneuerung und Bewahrung, 24

DERS., Christus und wir Christen (TEH 11), 1948, 10.

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dem Außergewöhnlichen und dem Alltäglichen, Konzentration und Entfaltung, dem bleibend Wichtigen und dem jetzt Dringlichen,25 zwischen assertorischem Bekenntnis und skeptischer Ambiguitätstoleranz zu vermitteln weiß. Von daher sind die leib-geistigen Phänomene des Charismatischen ernst und wichtig zu nehmen als eine Erinnerung daran, von Natur und Geist nicht dualistisch zu denken, sondern ihre vielen Vermittlungsfiguren wahrzunehmen. Es muss aber gerade mit Bezug auf den Geist, der sich in dem Ineinander von Endlichkeit und Selbstüberschreitung inmitten der dadurch nicht überspielten Gefährdungen endlichen Lebens als Geist Gottes erweist, und der gerade das Kreuz Jesu Christi als das konkrete Zusammenkommen von Gott und Mensch bezeugt, auch möglich sein, Gestalt und Gehalt enthusiastischer Erfahrungen sowie ihre theologische Deutung kritisch zu reflektieren und nüchtern auf ihre empirischen Gehalte und Bezüge zu befragen, ohne als geistloser Rationalist zu gelten.

25

Vgl. D. RITSCHL, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, 21988, 120.

Repleti sunt omnes Spiritu Sancto Der Geist in der pfingstlich/charismatischen Theologie Jörg Haustein

In der jüngeren Geschichte des Christentums hat sich wohl kaum eine Bewegung derart intensiv mit dem Geist Gottes und seinem Wirken befasst wie die Pfingstbewegung. Geisttaufe, Zungenrede, Prophetie, Heilungsgebete und Exorzismen sind die markantesten Bestandteile pfingstlicher und charismatischer Frömmigkeitspraxis, die vom Versuch einer möglichst direkten Aneignung der in den biblischen Erzählungen dargestellten Phänomene geistgewirkter Spiritualität getragen ist. Aufgrund des starken Wachstums der pfingstlichen und charismatischen Bewegungen weltweit1 stellen diese Praktiken auch eine Herausforderung in der ökumenischen Begegnung dar, etwa in Ländern wie Äthiopien, wo die etablierten Kirchen stark charismatisiert sind.2 In Deutschland findet diese Aus1

Das starke Wachstum der Pfingstbewegung ist kaum zu bestreiten, aber die oft genannten Statistiken von Barrett und Johnson tendieren dazu, das Phänomen überzeichnen, gerade auch für Deutschland, s. JÖRG HAUSTEIN, Die Pfingstbewegung als Alternative zur Säkularisierung? Zur Wahrnehmung einer globalen religiösen Bewegung des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte 51 (2011), 533–552. 2 JÖRG HAUSTEIN, Die Pfingstlich Charismatischen Bewegungen als aktuelle Herausforderung der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, in: PINGGÉRA, KARL (Hg.), Äthiopien. Christliches Afrika. Hofgeismar: Evangelische Akademie, 2011; JÖRG HAUSTEIN, Charismatic Renewal, Denominational Tradition and the Transformation of Ethiopian Society, in: Deutschland, Evangelisches Missionswerk (Hg.), Encounter Beyond Routine. Cultural Roots, Cultural Transition, Understanding of Faith and Cooperation in Development. International Consulta-

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einandersetzung vor allem in Fragen der Zusammenarbeit mit Migrationskirchen statt und im Bereich der praktischen Theologie.3 In diesem Beitrag wird es dagegen um die systematischtheologisch Reflexion des Geistes in der akademischen Theologie der Pfingstbewegung gehen. Der Begriff »akademische Theologie der Pfingstbewegung« ist dabei bereits eine Problemanzeige. Denn die hier behandelten Einsichten lassen sich eher selten in pfingstlichen Gottesdiensten oder Alltagsfrömmigkeit ablesen, sondern entstammen der universitären Theologie der Pfingstbewegung, die sich in einem mittlerweile sehr breiten Feld zumeist englischsprachiger Veröffentlichungen etabliert hat. Wie in anderen Konfessionen auch, besteht allerdings ein erheblicher Hiatus zwischen dieser akademischen theologischen Reflexion und der pfingstlichen Praxis, hier noch einmal verstärkt durch die experimentelle Neigung pfingstlicher und charismatischer Kirchen, die tragende Rolle der Laientheologie und die wechselhaften Modewellen theologischer Sonderlehren. In Deutschland führt dieser Hiatus dazu, dass die akademische Theologie der Pfingstbewegung an den Universitäten kaum zur Kenntnis genommen wird, zumal engtion, Academy of Mission, Hamburg, 17th–23rd January 2011, Hamburg: EMW 2011 (EMW Dokumentation; 5), 45–52. 3 MICHAEL BERGUNDER / JÖRG HAUSTEIN (Hg.), Migration und Identität. Pfingstlich-charismatische Migrationsgemeinden in Deutschland, Frankfurt am Main: Lembeck 2006 (Beihefte der Zeitschrift für Mission; 8); CLAUDIA WÄHRISCH-OBLAU, The Missionary Self-Perception of Pentecostal / Charismatic Leaders from the Global South in Europe. Bringing Back the Gospel, Leiden: Brill 2009 (Global Pentecostal and Charismatic Studies; 2); PETER ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009 (UTB; 3199); CORINNA DAHLGRÜN (Hg.), Die Spiritualität der pfingstlichen und charismatischen Bewegungen. Dokumentation der Jahrestagung der AGTS vom 15.–17. September 2016 in Würzburg, Linz: Arbeitsgemeinschaft der Theologie der Spiritualität 2016 (Studien zur Theologie der Spiritualität; 1).

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lischsprachige Veröffentlichungen ohnehin in einem geringeren Ausmaß diskutiert werden als in benachbarten Geisteswissenschaften. Auf pfingstlicher Seite sieht es hierzulande kaum anders aus. Die praxisnahe Ausbildungspraxis der Pastorenseminare verhindert im Allgemeinen ein solche Begegnung mit der akademischen Pfingsttheologie, zumal hier die Schwierigkeit einer Auseinandersetzung mit englischsprachigen Veröffentlichungen noch verstärkt zu Tage tritt. So finden sich etwa in den Literaturangaben des Modulhandbuch des theologischen Seminars des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden so gut wie keine pfingstliche Veröffentlichungen, von den wenigen Übersetzungen der Werke Fees und Menzies’ einmal abgesehen.4 Der Rest besteht aus evangelikalen Schriften sowie Literatur der etablierten akademischen Theologie. Beiträge deutschsprachiger Pfingsttheologen zur akademischen Pfingsttheologie werden aufgrund dieses Umfelds vermutlich noch auf längere Sicht die Ausnahme bleiben. Doch der Blick in die englischsprachige akademische Pfingsttheologie lohnt sich für das Thema dieser Tagung aus mehreren Gründen. Erstens haben Pfingsttheologen sehr anregende Beiträge zu klassischen Topoi geliefert, die durchaus eine breitere Diskussion in der deutschsprachigen Theologie des Geistes verdienen, wie in wenigen Umrissen gezeigt werden soll. Zweitens muss es in der ökumenischen Theologie darum gehen, den Dialog auf Augenhöhe zu initiieren: die akademische Theologie der etablierten Kirchen sollte die wissenschaftlichen Beiträge pfingstlicher Theologinnen in den Blick nehmen, statt pfingstliche Basistheologie und -praxis kritisch zu vermessen. Drittens 4

THEOLOGISCHES SEMINAR DES BUNDES FREIKIRCHLICHER PFINGSTGEMEINDEN KDÖR, Modulhandbuch für den Studiengang PastorIn / MissionarIn. Studienjahr 2018–2019 – Stand: 13.08.2018, www.dropbox.com/s/dymkq8wva1jm71c/Modulhandbuch%2020182019.pdf?dl=0, Abruf am 15. September 2018.

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ermöglicht eine Beschäftigung mit den Debatten der akademischen Pfingsttheologie ein besseres Verständnis der zentralen Ankerpunkte und Spannungsfelder, die die pfingstliche Praxis bestimmen. Schließlich kann die genaue Kenntnis pfingstlicher akademischer Theologie auch den Basisdialog mit Pfingstlern verbessern, indem die Pluralität und Kreativität pfingstlicher Theologie an pfingstliche Vertreter zurückgespiegelt werden, was möglicherweise helfen kann, verhärtete Fronten aufzubrechen. Dieser Beitrag beschränkt sich auf Erörterungen zu ausgewählten Themen der pfingstlichen akademischen Theologie, die einer breiteren Veröffentlichung zum Thema entnommen sind.5 Die Darstellung beginnt in Bereich der Gotteslehre, wobei vor allem gezeigt werden soll, wie Pfingstler ihre Pneumatologie vor allem von der Soteriologie heraus entwickelt haben und darum eine trinitarische Orientierung der Geistlehre beibehalten haben. In einem zweiten Schritt wird darzulegen sein, wie sich diese soteriologische Verankerung des Geistes auf die theologische Behandlung von Heilung, Eschatologie und Glossalie auswirken, bevor der Ertrag dieser Durchgänge für das Tagungsthema in drei zusammenfassenden Beobachtungen gebündelt wird. 1. Gotteslehre, Pneumatologie und Soteriologie Im Bereich der Gotteslehre und Pneumatologie fällt zunächst auf, dass der Geist auch in der pfingstlichen systematisch-theologischen Reflexion lange eine untergeordnete Rolle spielte. Das lässt sich schon am Ort ablesen, der der Pneumatologie in den entsprechenden Dogmatiken zugewiesen wurde. So findet sich zum Beispiel in French Ar5

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ringtons Dogmatik gar kein Kapitel, das eigens dem Heiligen Geist gewidmet ist.6 Andere Dogmatiken, die dem Geist immerhin ein oder mehrere Kapitel einräumen, beschränken ihn vor allem auf die Authentifizierung des Heils.7 Doch nicht nur strukturell, sondern auch sachlich blieb der Geist lange nachgeordnet. Denn auch pfingstliche Dogmatiken operierten mit den soteriologischen Paradigmen der protestantischen Scholastik, welche die Rolle des Geistes auf ihre subjektive Komponente reduziert, verstanden als Aktualisierung der Erlösung beziehungsweise fortwährende Erneuerung des Gläubigen. Die elaborierte Ausformulierung der pfingstlichen Lehre von der Geisttaufe hat diese strukturelle Subordination keineswegs behoben. Das Gegenteil war der Fall: Solange Pfingstler Erlösung innerhalb der Parameter der traditionellen protestantischen Theologie konzipierten, konnten sie die ihnen zentrale Erfahrung der Geisttaufe nur als zusätzliches Heilsereignis im ordo salutis fassen, in Nachzeitigkeit zum eigentlichen soteriologischen Geschehen der Wiedergeburt. In diesem Verständnis, das Geisttaufe nur als donum superadditum betrachtet, driften Geisttaufe und Erlösung auseinander und der Geist wird zunehmend an die Peripherie der Soteriologie gedrängt. Dieses Problem wurde bereits sehr früh sichtbar, allerdings zunächst in den exegetischen Auseinandersetzungen um das lukanische Doppelwerk und seine Rolle in einer gesamtneutestamentlichen Lehre vom Geist. Angeregt durch kritische Anfragen der Neutestamentler Frederick Dale Bruner und James Dunn an die pfingsttheologische Betonung der Geisttaufe als zusätzlichem Heilsereignis, begannen pfingst6 FRENCH L. ARRINGTON, Christian Doctrine: A Pentecostal Perspective, Bd. 1–3, Cleveland, TN: Pathway Press 1992–1994. 7 JÖRG HAUSTEIN / GIOVANNI MALTESE, Pfingstliche Theologien – eine Einführung, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 65, Nr. 3 (2014), 59–62, hier 29, Fn 49.

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liche Theologen die lukanische Pneumatologie im Unterschied zu Paulus zu profilieren. Bei Lukas erkannten sie eine prophetisch-eschatologische Dimension des Geistes, die sie als zusätzliche Geistbegabung fassten und gegen die von Dunn behauptete Identität der Geisttaufe mit Bekehrung und Wassertaufe ins Feld führten. Im Verlauf der Debatte räumte Dunn die prophetisch-missionarische Bedeutung des Geistes ein und hob die Bedeutung des Geistes in der Soteriologie deutlicher hervor, aber hielt zugleich an seiner Hauptthese von der Identifikation der Geisttaufe mit der christlichen Bekehrung bzw. Initiation fest, während die pfingstliche Seite ihre Lesart der lukanischen Pneumatologie erhärtete.8 Der charismatische Theologe Max Turner versuchte schließlich einen Brückenschlag zwischen beiden Positionen zur Geisttaufe als Teil der Wiedergeburt bzw. als zusätzlichem Heilsereignis. In seiner Exposition zur Samaritaner-Perikope in Acta 8 zeigte er, dass bei Lukas ein ganzheitliches Verständnis von Heil vorliegt, das sich nicht nur auf Rechtfertigung und Eingliederung die christliche Kirche beschränkt, sondern in einem »Hinaufgezogenwerden in die lodernde, freudvolle und transformierende trinitarische Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn durch den Geist«

8 JAMES D.G. DUNN, Baptism in the Spirit: A Response to Pentecostal Scholarship on Luke-Acts, in: Journal of Pentecostal Theology 3 (1993), 3–27; ROBERT P. MENZIES, Luke and the Spirit: A Reply to James Dunn, in: Journal of Pentecostal Theology 4 (1994), 115–138; JAMES B. SHELTON, A Reply to James D.G. Dunn’s »Baptism in the Spirit: A Response to Pentecostal Scholarship on Luke-Acts«, in: Journal of Pentecostal Theology 4 (1994), 139–143; WILLIAM ATKINSON, Pentecostal Responses to Dunn’s Baptism in the Holy Spirit: Pauline Literature, in: Journal of Pentecostal Theology 7 (1995), 49–72; WILLIAM ATKINSON, Pentecostal Responses to Dunn’s Baptism in the Holy Spirit: Luke–Acts, in: Journal of Pentecostal Theology 6 (1995), 87–131.

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besteht.9 Geisttaufe und Bekehrung bleiben so nahe beieinander, aber die pfingstliche Betonung einer wachsenden Geistbegabung wird beibehalten. Die Aktualisierung der Erlösung wird also gewissermaßen durch die pneumatologische Komponente zeitlich gestreckt. Ähnlich wie hier in der exegetischen Diskussion des ordo salutis, kamen auch in der pfingstlichen Dogmatik neue Anstöße zur Pneumatologie vor allem aus der Soteriologie. Ein Meilenstein hierzu war die Arbeit des MoltmannSchülers Lyle Dabney zur Kenosis des Geistes.10 Darunter verstand er die grundlegende, alle Diskontinuität zwischen Schöpfung und Erlösung umfassende Kontinuität, die der Geist in seinem Werk der Selbstzurücknahme und Entäußerung darstellt. Die Abwesenheit Gott-Vaters am Kreuz und die Verlassenheit Jesu in der Kenosis ist die Anwesenheit des Geistes beim Sohn, der als dritte trinitarische Person eine begleitende, aber nicht identische Kenosis erfährt. Von dieser Denkfigur aus konnte Dabney eine Kontinuität zwischen creatio und salvatio im Werk des Geistes feststellen und die Rechtfertigungslehre von der in der Auferste9 MAX TURNER, Eine Interpretation der Samaritaner in Apostelgeschichte 8. Das Waterloo pfingstlicher Soteriologie und Pneumatologie?, in: JÖRG HAUSTEIN / MALTESE, GIOVANNI (Hg.), Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 69–92, hier 81. 10 D. LYLE DABNEY, Die Kenosis des Geistes: Kontinuität zwischen Schöpfung und Erlösung im Werk des Heiligen Geistes, Bd. 18, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997; s. auch D. LYLE DABNEY, Pneumatologia Crucis: Reclaiming Theologia Crucis for a Theology of the Spirit Today, in: Scottish Journal of Theology 4, Nr. 53 (2000), 511–524; D. LYLE DABNEY, »Justified by the Spirit«: Soteriological Reflections on the Resurrection, in: International Journal of Systematic Theology 1, Nr. 3 (2001), 46–68; D. LYLE DABNEY, He Will Baptize You with the Holy Spirit: Retrieving a Metaphor for a Pneumatological Soteriology. Vortrag: 30th Annual Meeting of the Society for Pentecostal Studies: Teaching to Make Disciples: Education for PentecostalCharismatic Spirituality and Life, Tulsa, OK, März 2001.

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hung stattfindenden Neuschöpfung aus neu formulieren. Dem Geist kommt dabei eine vermittelnde Rolle zwischen Gott und Welt zu, denn er steht zugleich für die Differenz zwischen Gott und Schöpfung als auch für die fortwährende Bezogenheit der Schöpfung auf Gott. Die primordiale Welt ist keine einfache Emanation Gottes oder sein natürlicher Wirkungsort, sondern sie wird im Zusammenwirken vom Geist, der über dem Wasser schwebt, und dem gesprochenen Wort in den Möglichkeitsraum Gottes aufgenommen, in sein schöpferisches Handeln einbezogen. So auch im Mysterium der Wiedergeburt: der Geist »bezieht auch alles Lebendige in der konkretest möglichen Weise auf die Andersartigkeit einer Realität außerhalb des Lebendigen selbst, auf das, was von diesem selbst noch unterschieden ist«.11 Als solchermaßen zwischen Gott und allen seinen Geschöpfen vermittelnd, ist der Geist nicht im Gegensatz von objektiver und subjektiver Soteriologie zu fassen, sondern als transjektive Kraft der Erlösung, die das Individuum über sich hinaus auf Gott orientiert. Das Interesse an einer in Wort und Geist gleichermaßen orientierten Rechtfertigungslehre nahm Frank Macchia in das Erlösungshandeln Christi selbst auf. Es ist der Geist, der Jesus selbst in der Gethsemane-Krise noch zur Selbstopferung drängt, der ihn auferweckt und erhöht – und der erhöhte Christus wiederum gießt den Geist als soteriologische und eschatologische Kraft der Kirche aus.12 Mit dieser Zusammengehörigkeit von Wort und Geist plädiert Macchia für eine pneumatologische Erweiterung der Rechtfertigungslehre, um sie von der forensischen Engführung auf 11

D. LYLE DABNEY, Die Natur des Geistes. Schöpfung als Vorahnung Gottes, in: JÖRG HAUSTEIN / GIOVANNI MALTESE (Hg.), Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 232–245, hier 241. 12 FRANK D. MACCHIA, Justified in the Spirit: Creation, Redemption and the Triune God, Grand Rapids, MI: Eerdmans 2010, 168–183.

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das Stellvertreterhandeln Christi zu entbinden.13 Dies geschieht durch eine doppelte Betonung des Geistes: erstens wird das objektive Heilsgeschehen durch die enge Verbindung von Kreuz und Auferstehung als Einheit von Rechtfertigung durch Christus und geistgewirkter Neuschöpfung gefasst. Und zweitens bewirkt der Geist, in Anlehnung an Röm 4,25 und 8,11 eine Kontinuität zwischen diesem objektiven Heilsgeschehen und seiner subjektiven Aneignung im Leben des Gläubigen. Heil und Heiligung gehören so zusammen, und das erneuernde Wirken des Geistes im Gläubigen ist ein ebenso soteriologisches Geschehen wie die Rechtfertigung durch das Kreuz. In diesen und ähnlichen Entwürfen14 zeigt sich, dass sich die pfingstliche Pneumatologie nicht primär »von oben«, also aus der Gotteslehre und Trinitätstheologie speist, sondern quasi »von unten«, vom subjektiven und objektiven Heilsgeschehen über die Soteriologie, Schöpfungslehre und Eschatologie in die Gotteslehre führt. Dadurch ist die pfingstliche Pneumatologie, mit der Erwartung eines fortwährenden Handelns des Geistes in einer Art dynamischer Soteriologie verbunden. Der Geist ist also nicht nur creator spiritus sondern auch spiritus renovatio, sowohl im Erlösungshandeln Christi als auch auf dem Weg des Gläubigen in das Reich Gottes. Während die fundamentaltheologischen Schlussfolgerungen dieser Pneumatologie eher kaum kontrovers sein dürften, verrät die pneumatologische Soteriologie das pietistische Erbe der Pfingstbewegung und 13 FRANK D. MACCHIA, Justification and the Spirit: A Pentecostal Reflection on the Doctrine by which the Church Stands or Falls, in: Pneuma 1, Nr. 22 (2000), 3–21; FRANK D. MACCHIA, Justified in the Spirit: Creation, Redemption, and the Triune God, Grand Rapids, MI: Eerdmans 2010. 14 STEVEN M. STUDEBAKER, Pfingstliche Soteriologie und Pneumatologie, in: JÖRG HAUSTEIN / GIOVANNI MALTESE (Hg.), Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 211–231.

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stellt womöglich eine Herausforderung für das eher statische Equilibrium des simul iustus et peccator dar. 2. Heilung, Eschatologie und Glossolalie Aus dieser pneumatologischen Soteriologie ergibt sich ein ganzheitlicher Heilsbegriff, der alle Facetten menschlicher und irdischer Existenz umfasst. Dies schließt eine gewisse Materialität oder Diesseitigkeit des Heils mit ein, die sie sich in theologischen Aussagen zu Heilung, der eschatologischen Naherwartung und der Behauptung einer besonderen Gegenwart des Geistes in der Glossolalie niederschlägt. Zur Frage der persönlichen Heilung bzw. Unversehrtheit haben sich pfingstliche Theologen (Akademiker wie Laien) immer wieder kritisch zu den Exzessen der Bewegung verhalten, etwa in Hinblick auf Heilungsversprechen oder Wohlstandstheologie. Doch sie lehnen das Streben nach Heilung oder persönlichem Wohlergehen nicht prinzipiell ab, sondern verankern es in einem ganzheitlichen und dynamischen Heilsbegriff, der dann auch über die Exzesse richten hilft. So kontrastiert etwa Kimberley Alexander in ihrer Analyse von pfingstlichen Heilungsberichten ein »finished work«-Modell von Heilung mit einem wesleyanischpfingstlichen.15 Während ersteres Erlösung in gut reformatorischer Tradition als bereits am Kreuz vollendet ansieht und darum Heilung nur als Aktualisierung dieses Ereignisses fassen kann, konzipiert das wesleyanisch-pfingstliche Modell Heilung als Vorwegnahme der noch ausstehenden soteriologischen Vollendung im Eschaton. Im Gegensatz zu ersteren führt dies nicht dazu, dass Krankheit und ihre Symptome geleugnet oder kontrafaktisch als überwunden deklariert werden, sondern Heil und Erlösung werden als 15

KIMBERLY E. ALEXANDER, Pentecostal Healing: Models in Theology and Practice, Blandford Forum: Deo Publishing 2006.

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ein ständiger Prozess verstanden, der zwar durch Christus begründet wurde, aber vom Heiligen Geist vollendet wird. Ausbleibende Heilung wird so als Prüfung der eigenen Standhaftigkeit im Glauben verstanden und der Krankheitstod des Gläubigen als das Bestehen jener Prüfung gedeutet.16 An diesem und anderen Beispielen lässt sich zeigen, dass bei allem Bewusstsein um die Vorläufigkeit der menschlichen Begegnung mit dem Gottesreich pfingstliche Theologie geneigt ist, Fragen um die Materialität des Heils nicht nur pastoralem Handeln zu überlassen, sondern systematisch-theologisch zu reflektieren. Diese Frage nach der Materialität bzw. Diesseitigkeit des Heils hat auch Auswirkungen auf die pfingstliche Eschatologie, die nicht als Welt flüchtend missverstanden werden 16

Eine eingehende Behandlung der Frage nach der Theodizee scheint von pfingstlicher Seite noch nicht vorgelegt worden zu sein, vereinzelt finden sich aber Hinweise in Yongs ausführliche Untersuchung zum Verhältnis von Pfingstbewegung und Menschen mit körperlichen oder mentalen Beeinträchtigungen, besonders im Zusammenhang mit einer Auferstehungstheologie s. AMOS YONG, Disability and the Love of Wisdom: De-Forming, Re-Forming, and Per-Forming Philosophy of Religion, in: Ars disputandi 9 (2009). Eine Fundamentalkritik an Yongs Ansatz findet sich bei R.T. MULLINS, Some Difficulties for Amos Yong’s Disability Theology of the Resurrection, in: Ars disputandi 11 (2011), die entsprechende Replik auf diese Anfragen hat Yong nachgeliefert in AMOS YONG, Disability Theology of the Resurrection: Persisting Questions and Additional Considerations – a Response to Ryan Mullins, in: Ars disputandi 12 (2012). Vgl. auch AMOS YONG, Theology and Down Syndrome: Reimagining Disability in Late Modernity, Waco, TX: Baylor University Press, 2007; AMOS YONG, Many Tongues, Many Senses: Pentecost, the Body Politic, and the Redemption of Dis/Ability, in: Pneuma 31, Nr. 2 (2009), 167–188; AMOS YONG, Disability and the Gifts of the Spirit: Pentecost and the Renewal of the Church, in: Journal of Pentecostal Theology 19, Nr. 1 (2010), 76–93; AMOS YONG, The Bible, Disability, and the Church: A New Vision of the People of God, Grand Rapids, MI: Eerdmans 2011 und CHRISTOPHER D. ROUSE, Scripture and the Disabled: Redeeming Mephibosheth’s Identity, in: Journal of Pentecostal Theology 17 (2008), 183–199.

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sollte. Es ist zwar richtig, dass pfingstliche Eschatologie anfangs grundsätzlich prämilleniaristisch ausgerichtet war – also mit einem unmittelbaren Hereinbrechen des Gottesreiches rechnete. Aber zugleich war die pfingstliche Behauptung der erneuten Ausgießung des Geistes immer eine starke Herausforderung für den säuberlichen Dispensationalismus der Evangelikalen. In der Frühphase der Pfingstbewegung wurde diese theologische Spannung durch eine starke Naherwartung überdeckt. Pfingstler glaubten, dass die Ausgießung des Geistes im Zusammenhang mit dem Empfang tatsächlicher Sprachen in der Zungenrede nun das letzte Siegel der Braut Christi seien: dies sei ein finaler Missionsimpuls vor der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi. Die nun allerdings abermals eingetretene Parusieverzögerung führte nicht nur zu einem deutlichen Rückgang prämilleniaristischer Naherwartung und einem bequemeren Einrichten der Pfingstler in der Welt, sondern auch zum Entstehen einer pfingstlichen Eschatologie in Abgrenzung zum Evangelikalismus. Pfingstliche Theologen begannen gegen die Übernahme der dispensationalistischen Reduktion des Eschatons auf die Wiederkunft Christi zu protestieren und wiesen darauf hin, dass die frühe Pfingstbewegung die Geistausgießung als einen proleptischen Einbruch des kommenden Gottesreichs in die Gegenwart verstanden hatte.17 Dieses geistgewirkte »schon jetzt und noch nicht« unterbricht die Gegenwart und ermöglicht eschatologische Praxis des Gottesreichs.18 Diese Ansätze wurden in der Folge systematisch-theologisch profiliert19 und in Ver17 DAVID W. FAUPEL, The Everlasting Gospel: The Significance of Eschatology in the Development of Pentecostal Thought, Sheffield: Sheffield Academic Press, 1996 (Journal of Pentecostal Studies Supplement Series 10). 18 LAND, Pentecostal Spirituality. 19 PETER ALTHOUSE, Spirit of the Last Days: Pentecostal Eschatology in Conversation with Jürgen Moltmann, Sheffield: Sheffield Academic Press 2003 (Journal of Pentecostal Theology Supplement Series 25).

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bindung mit dem pfingstlichen ordo salutis gebracht.20 So findet man es etwa bei Frank Macchia, der die letzte Vollendung in Analogie zur Geisttaufe konzipiert: Die basileia tou theou, die Macchia als hingebungsvolle Selbstzurücknahme des Sohnes im Heiligen Geist und dessen Erhöhung durch den Vater im Geist definiert, werde am Ende der Zeit alles umfassen, in einer Art Geisttaufe der gesamten Schöpfung. Ein kürzlich in PentecoStudies veröffentlichter Aufsatz entwickelte aus diesem Gedanken eine pfingstliche Ökologie, die auf der Annahme einer geistgewirkten Kontinuität zwischen alter Schöpfung und eschatologischer Neuschöpfung beruht.21 Die aus diesen Eschatologien folgenden ethischen Konsequenzen sind keineswegs der Welt abgewandt und gleichen eher denen einer postmilleniaristischen Eschatologie, während die bleibende Betonung auf das proleptische Handeln des Geistes auf der Erde und im Leben des Gläubigen ein prämilleniaristisches Echo bewahrt. In diesem Sinne einer proleptischen Gegenwart des Gottesreiches wurde auch der klassischste Topos der Pfingstbewegung neu gefasst: die Glossolalie. Die eher technische Lehre von der Zungenrede als Anfangserweis der Geisttaufe, die ohnehin nie von der gesamten Bewegung getragen wurde, ließ sich in der akademischen Pfingsttheologie kaum fruchtbar machen. Sie blieb allenfalls in abgeschwächter Form erhalten, wie etwa bei dem asiatischen Theologen Simon Chan, der für die Aufrechterhaltung der Lehre plädierte um das pneumatische Moment der pfingstlichen Heilslehre besser gegen den Evangelikalismus zu profilie20

PETER ALTHOUSE / ROBBY WADDELL (Hg.), Perspectives in Pentecostal Eschatologies: World Without End. Eugene, OR: Pickwick Publications 2010. 21 ANDREW R. WILLIAMS, Greening the Apocalypse: A Pentecostal Eco-eschatological Exploration, in: PentecoStudies: An Interdisciplinary Journal for Research on the Pentecostal and Charismatic Movements 17, Nr. 2 (2018), 205–229.

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ren.22 Die meisten pfingstlichen Theologen hoben jedoch dagegen die ekklesiologischen und ethischen Aspekte der Zungenrede hervor. So bog Frank Macchia den Erweischarakter der Glossolalie vom Einzelereignis auf kirchlichen Ritus um und entwickelte im Rückgriff auf Karl Rahner und Paul Tillich eine Theologie des sakramentalen Zeichens.23 Die Zungenrede offenbare des Menschen Begrenztheit in einer gefallenen Welt sowie die gnädige, jedoch immer nur als Vorletztlichkeit erfahrbare Gegenwart Gottes im Heiligen Geist, die gemeinschaftlich, körperlich und materialiter spürbar ist. Mark Cartledge wiederum untersuchte die Natur und Funktion der zeitgenössischen Glossolalie in einer Kombination aus Sozialwissenschaft und praktischer Theologie und erarbeitete deren konstruktives Potential als Symbol göttlich-menschlicher Begegnung bzw. der menschlichen Suche nach Transzendenz.24 Andere Theologen fassten die Zungenrede eher als Metapher für eine Verständigung über sämtliche Grenzen hinweg(disziplinäre, Gender-, ethnische, religiöse Grenzen),25 oder aber als Ort des Widerstands gegen Konventionen aus einer sprachphilosophischen und ethischen Sicht.26

22 SIMON CHAN, Evidential Glossolalia and the Doctrine of Subsequence, in: Asian Journal of Pentecostal Studies 2 (1999), 195–211. 23 FRANK D. MACCHIA, Sighs too Deep for Words: Towards a Theology of Glossolalia, in: Journal of Pentecostal Theology 1 (1992), 47– 73; MACCHIA, Tongues as a Sign. 24 MARK J. CARTLEDGE, Charismatic Glossolalia: An Empirical-Theological Study, Aldershot: Ashgate 2002. 25 YONG, Spirit Poured Out. 26 JAMES K.A. SMITH, Tongues as ›Resistance Discourse‹: A Philosophical Perspective, in: MARK J. CARTLEDGE (Hg.), Speaking in Tongues: Multi-Disciplinary Perspectives, Bletchley: Paternoster Press 2006 (Studies in Pentecostal and Charismatic Issues), 81–110.

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Fazit Wenn nun selbst die sperrigste aller pfingstlichen Lehren in der akademischen Reflexion eine deutliche Abschwächung oder symbolische Überformung erhielt, liegt die Frage nahe, inwiefern wir überhaupt noch von einer klar zu profilierenden Pfingsttheologie sprechen können. Dies ist auch Thema etlicher Pfingsttheologen und Teil ihres ökumenischen Angebots. In der kritischen Zurückweisung einer eigenen pfingstlichen Theologiemethode suchen sie die Entgrenzung pfingstlicher Theologie und einen intensiveren Dialog mit historisch-kritischer Theologie, anderen Konfessionen und auch anderen Religionen.27 In der pfingstlichen akademischen Theologie liegt somit ein ökumenisches Gesprächsangebot der Pfingstbewegung vor, das in Bezug auf das Tagungsthema »Creator spiritus – Das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema« drei wesentliche Einsichten ermöglicht. Erstens ist wohl zu konstatieren, dass der bisweilen vorgetragene Einwand, dass pfingstliche Theologie durch die Betonung des Geistes regelmäßig in eine »trinitätstheologische Schieflage« gerate,28 wohl ebenso wenig zutrifft wie der von pfingstlicher Seite gelegentlich aufgebrachte Vorwurf einer generellen Subordination des Geistes in der etablierten Theologie. Die in solchen Einwänden enthalte27 JÖRG HAUSTEIN / GIOVANNI MALTESE, Pfingstliche und charismatische Theologie. Eine Einführung, in: JÖRG HAUSTEIN / GIOVANNI MALTESE (Hg.), Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 15–65, hier 53–58, 63– 64. 28 ANDREAS HAHN, Sichtbare Manifestation des Heiligen Geistes oder erlebnisorientierter Szenen-Trend? Evangelische Perspektiven auf das charismatische Christentum, in: CORINNA DAHLGRÜN (Hg.), Die Spiritualität der pfingstlichen und charismatischen Bewegungen. Dokumentation der Jahrestagung der AGTS vom 15.–17. September 2016 in Würzburg, Linz: Arbeitsgemeinschaft der Theologie der Spiritualität 2016 (Studien zur Theologie der Spiritualität; 1), 30–48, hier 44.

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ne, tendenziell quantifizierende Frage nach der richtigen »Gewichtung« des Geistes ist ohnehin theologisch kaum fruchtbar und führt zu tritheistischen Engführungen in der Trinitätstheologie. Vielmehr sollte es im ökumenischen Gespräch zur Pneumatologie um eine genaue Qualifizierung der Theologie des Heiligen Geistes gehen, wie sie an akademischen Veröffentlichungen ablesbar ist. Pfingstliche Beiträge stehen dabei erkennbar in der Tradition einer perichoretischen Fassung der Trinität und können als solche in ihren pneumatologischen Überlegungen interessante Anregungen für die allgemeine Gotteslehre liefern. Zugleich kann die pfingstliche Betonung des Geisteswirken im Jetzt helfen, die Gotteslehre selbst wieder stärker in die Immanenz zu rücken, mit klaren Folgen für Soteriologie, Theodizee, Hermeneutik, Ekklesiologie und interreligiösem Dialog. Zweitens kann man wohl festhalten, dass in der schöpfungstheologischen und soteriologischen Bestimmung des Geistes viele Konvergenzen zwischen pfingstlicher und etablierter akademischer Theologie bestehen. Aber Pfingstler verstehen den Geist viel stärker als disruptive Kraft: er stört die wüste Leerheit der Ursuppe und bewegte sie zur Schöpfung, er erweckt Propheten gegen Gottlosigkeit und soziale Ungerechtigkeit, er zerreißt das Netz des Todes in der Auferweckung Christi, er macht den starren Text der Schrift zum lebendigen Wort Gottes, er bringt Menschen zu einer radikalen Umkehr und er nimmt vorweg den eschatologischen Jubel im Gottesdienst. Diese Betonung der disruptiven Wirkung des Geistes gab der Pfingstbewegung ihre progressive Kraft, die bei allen problematischen Auswüchsen durchweg in ihrer Geschichte zu finden ist. Vielleicht kann diese Betonung der disruptiven Kraft des Geistes gelegentlich hilfreich sein, um festgefahrene Equilibrien liberaler Theologie aufzustören, etwa wenn die Wirkkraft des Geistes in beinahe deistischer Weise auf die Schöpfung und deren Entfaltung beschränkt wird.

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Drittens lässt sich kritisch gegen pfingstliche Theologie einwenden, dass der Gestus einer grundlegenden pneumatologische Neufassung oder Dynamisierung theologischer Topoi oft überzeichnet ist und die mit ihm einhergehende theologische Identitätsbestimmung der Pfingstheologie künstlich bleibt. Dies haben etliche Pfingsttheologen mittlerweile erkannt und fordern darum die Entgrenzung pfingstlicher Theologie beziehungsweise ihre Integration in die diversen Traditionen des Christentums. Die praktische und theologische Verwischung der Grenzen zwischen Pfingstbewegung und anderen Kirchen lässt sich religionswissenschaftlich schon längst dort feststellen, wo die Pfingstbewegung stark ist, etwa in vielen Ländern Afrikas. Die theologische Einholung dieser Entgrenzung steht aber überwiegend noch aus, und es bleibt zu hoffen, dass akademische Theologen und Theologinnen pfingstlicher und nicht-pfingstlicher Provenienz weiter daran arbeiten werden. Gerade in Deutschland gibt es hier noch viel zu tun.

Pfingstlich-charismatisches Christentum Eine Herausforderung für das etablierte Christentum Peter Zimmerling

Im Folgenden möchte ich zeigen, dass pfingstlich-charismatische Theologie und Spiritualität in einer Reihe von Themenfeldern eine Herausforderung und Bereicherung gegenwärtiger theologischer und kirchlicher Diskurse darstellt.1 Nach einer kurzen geschichtlichen Einordnung des Phänomens ist seine regionale Verbreitung zu skizzieren. Im dritten Punkt geht es um die Rolle der Theologie im pfingstlich-charismatischen Christentum. Im vierten Abschnitt ist die Bedeutung der Erfahrung in den Bewegungen zu bewerten. Im fünften Punkt soll die charismatische Dimension untersucht werden. 1. Ein Phänomen mit verschiedenen Strömungen Beim Blick über das weite Feld pfingstlich-charismatischen Christentums lassen sich in theologischer Hinsicht im Wesentlichen zwei Hauptströmungen ausmachen:2 1. Die 1

Ich habe mich in der Vergangenheit an unterschiedlichen Stellen immer wieder zur Theologie und Spiritualität pfingstlich-charismatischer Bewegungen geäußert, zuletzt ausführlich in: PETER ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen, UTB 3199, Göttingen 22018; vgl. zu den folgenden Überlegungen auch: DERS., Die Theologie pfingstlich-charismatischer Bewegungen. Annäherungen, in: Theologische Literaturzeitschrift 140, 2015, 1190–1207. 2 Vgl. im Einzelnen ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen, 21– 28; WALTER J. HOLLENWEGER, Handbuch der Pfingstbewegung, 10 Bde, Genf 1965/67 (vervielf.); STANLEY M. BURGESS / EDUARD M.

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traditionellen selbstständigen Pfingstkirchen, hervorgegangen aus dem Aufbruch der modernen Pfingstbewegung 1906 in Los Angeles.3 Ihnen verwandt ist ein schnell wachsendes Neupfingstlertum, das sich vor allem in unabhängigen Gruppen und Gemeinden organisiert. Auch wenn es Vorläufer und parallel ähnliche Aufbrüche gab, bildete der farbige Prediger W.J. Seymour (1870–1922) in der AzusaStreet-Mission von Los Angeles den Auslöser der Erweckung. Seine Botschaft gipfelte darin, dass die Zungenrede das äußere Kennzeichen für die Taufe mit dem Heiligen Geist sei (im Sinne von Apg 2, 4: »und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen«). Die Zeit war vom Imperialismus geprägt und man erwartete in der politisch, geistig und geistlich hochgespannten Situation um die Jahrhundertwende diesseits und jenseits des Atlantiks in den von der Heiligungsbewegung geprägten christlichen Kreisen die »Geistestaufe« als eine von Bekehrung und Wiedergeburt unterschiedene Erfahrung des Geistes. Man ersehnte ein neues Pfingsten. Die Pfingsterweckung von Los Angeles hielt mehrere Jahre an. Sie wurde von Predigern aus allen Teilen der Vereinigten Staaten und darüber hinaus aus der ganzen Welt besucht. Viele von ihnen erlebten in Los Angeles eine von der Zungenrede begleitete Geistestaufe und wurden dadurch in ihren Heimatländern zu Inspiratoren pfingstlich geprägter Gruppen. Aus diesem Grund kann die Azusa-Street-Mission als AusVAN DER MAAS (Hg.), The New International Dictionary of Pentecostal and Charismatic Movements, Grand Rapids / Michigan 2002. 3 Dazu immer noch grundlegend WALTER J. HOLLENWEGER, Enthusiastisches Christentum. Die Pfingstbewegung in Geschichte und Gegenwart, Wuppertal/Zürich 1969 (Engl.: The Pentecostals, London 1972), bes. 20ff; zur neueren Diskussion des Ursprungs der traditionellen Pfingstbewegung vgl. MICHAEL BERGUNDER, Der »Cultural Turn« und die Erforschung der weltweiten Pfingstbewegung, in: EvTh 69, 2009, 252–263.

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gangspunkt der weltweiten traditionellen Pfingstbewegung betrachtet werden. Diese Pfingstkirchen können als vierte Denomination neben Orthodoxie, Katholizismus und den reformatorischen Kirchen betrachtet werden. 2. Die neuere, am Beginn der 1960er Jahre in den USA entstandene charismatische Bewegung, die im Rahmen der traditionellen Kirchen und Freikirchen verblieb.4 Die Initiatoren und viele führende Mitglieder erlebten ihre charismatische Grunderfahrung im Zusammenhang mit den traditionellen Pfingstkirchen. Das gilt sowohl für den episkopalen Pfarrer Dennis Bennett, durch den die innerkirchliche charismatische Bewegung in den USA 1959/60 ausgelöst wurde, als auch für Pastor Larry Christenson, lange Zeit der leitende Theologe der charismatischen Bewegung innerhalb der lutherischen Kirchen. Vorbereitet wurde dieser zweite charismatische Aufbruch, der schließlich auch die katholische Kirche in den USA erreichte, durch Heilungsevangelisten wie William Branham, Oral Roberts, Gordon Lindsay und T.L. Osborn und durch die pfingstliche Laienorganisation »Geschäftsleute des vollen Evangeliums«, deren Aktivitäten weit über die traditionellen Pfingstkirchen hinausreichte. Bis heute liegen die Charakteristika pfingstlich-charismatischen Christentums vor allem im Bereich der Spiritualität, auch wenn sich inzwischen, wie ich gleich zeigen werde, eine eigenständige Theologie entwickelt hat: Man erwartet eine persönliche Erfahrung mit dem Heiligen Geist, betont die neutestamentlichen Charismen und pflegt Anbetung und Lobpreis als wesentliche Bestandteile des Gottesdienstes. Damit einher gehen gemeinsame theoretische Überzeugungen: die Entdeckung eines besonderen Wirkens des Heiligen Geistes neben Jesus Christus, die Kritik an einem geschlossenen rationalistischen Wirklichkeitsverständnis und 4

Vgl. HANS-DIETHER REIMER, Wenn der Geist in der Kirche wirken will. Ein Vierteljahrhundert charismatische Bewegungen, Stuttgart 1987.

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das Selbstverständnis, Teil eines geistlichen Aufbruchs zu sein, der weltweit und ökumenisch ist und dem eine heilsgeschichtliche Bedeutung zugesprochen wird. 2. Unterschiedliche regionale Verbreitung Pfingstlich-charismatische Bewegungen bilden nach dem übereinstimmenden Urteil von Beobachtern den gegenwärtig am schnellsten wachsenden Zweig der Weltchristenheit, wobei sich dieses Wachstum regional sehr unterschiedlich darstellt: Gegenwärtig stellen Lateinamerika, Afrika und bestimmte Regionen Asiens (wie etwa Südkorea) ihre Zentren dar.5 Im deutschsprachigen Raum sind die Bewegungen immer klein geblieben.6 Verantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel von theologischen, soziologischen und politischen Ursachen, die im Folgenden nur angedeutet werden können. Die Geistorientierung der pfingstlich-charismatischen Bewegungen unterscheidet sich signifikant von der christologischen Prägung des Mainstreams der abendländischen Kirchen- und Theologiegeschichte. Durch die Berliner Erklärung von 1909, in der sich die deutsche Gemeinschaftsbewegung von der jungen Pfingstbewegung trennte, verschloss sich dieser in Deutschland das natürliche Mit-

5

Vgl. dazu DAVID B. BARRETT, World Christian Encyclopedia. A Comparative Survey of Churches and Religions in the Modern World. A.D. 1900–2000, Oxford 22001; ALLAN ANDERSON u.a. (Hg.), Studying Global Pentecostalism. Theories and Methods, University of California Press 2010, 1f. 6 WILLIAM K. KAY / ANNE E. DYER (Hg.), European Pentecostalism, Global Pentecostal and Charismatic Studies, 7, Leiden/Boston 2011 nennen im Anhang speziell für Deutschland 1 660 000, für Österreich 240 000 und für die gesamte Schweiz 290 000 Mitglieder. Die Auflistung insgesamt zeigt, dass die pfingstlich-charismatischen Bewegungen in ganz Europa ein marginales Phänomen darstellen.

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gliederreservoir.7 Die pfingstlich-charismatische Erfahrungsorientierung stand seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in einem markanten Gegensatz zur dialektischen Theologie Karl Barths, die bis Ende der 1960er Jahre die deutsche Theologie maßgeblich prägte. Dadurch dass nach dem Ende des Dritten Reichs vor allem in der Bundesrepublik die staatliche Privilegierung der Großkirchen noch einmal verstärkt wurde, hatten es alle anderen christlichen Bewegungen schwer, sich durchzusetzen. In der DDR wurden die pfingstkirchlichen Bewegungen 1951 verboten.8 Auch der Verlust des religiösen Monopols der Großkirchen in den vergangenen Jahrzehnten brachte den anderen christlichen Kirchen keinen wirklichen Gewinn: Die zunehmende Säkularisierung betrifft sämtliche christlichen Gruppierungen in Deutschland. Eine Ausnahme bilden Migrationsgemeinden. Entsprechend stellen pfingstlich-charismatische Migrationsgemeinden die einzigen Gemeinden dar, die im deutschsprachigen Raum signifikant wachsen.9 3. Die Rolle der Theologie in pfingstlich-charismatischen Bewegungen Kann es eine eigenständige Theologie der pfingstlich-charismatischen Bewegungen überhaupt geben? Muss eine Bewegung, die so stark auf das unmittelbare Wirken des Geistes Gottes setzt, nicht naturgemäß eine Aversion, zu7 Vgl. dazu im Einzelnen ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen, 16f. 8 CARL SIMPSON, The Development of the Pentecostal and Charismatic Movements in the Germanic Countries, in: KAY / DYER, European Pentecostalism, 74. 9 Zum Phänomen pfingstlich-charismatischer Migrationsgemeinden vgl. MORITZ FISCHER, Pfingstbewegung zwischen Fragilität und Empowerment. Beobachtungen zur Pfingstkirche »Nzambe Malamu« mit ihren transnationalen Verflechtungen, Göttingen 2011.

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mindest jedoch eine Distanz gegenüber wissenschaftlichtheologischer Reflexion kultivieren? Tatsächlich distanzierte sich die klassische Pfingstbewegung zunächst von der traditionellen Schultheologie und bezog einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Identität aus eben dieser Abgrenzung.10 Seitdem sind über 100 Jahre vergangen. Inzwischen hat sich eine pfingstlich-charismatische Theologie entwickelt, die allerdings in den unterschiedlichen Strömungen verschieden stark ausgeprägt ist. Dazu kommen geographische Unterschiede. »Wie die protestantische wird auch die pfingstliche Theologie stark von Vertretern aus Nordamerika und Europa dominiert. Für die Pfingstbewegung ist dies besonders bedauerlich, weil ihre gegenwärtigen Zentren eindeutig in Afrika, Asien und Lateinamerika liegen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass theologische Stimmen aus diesen Regionen sich zunehmend Gehör verschaffen und vielleicht die Diskussion noch einmal in herausfordernder Weise verschieben werden.«11 Eine wesentliche Ursache für die Formierung einer eigenständigen pfingstlich-charismatischen Theologie war die Entstehung innerkirchlich-charismatischer Bewegungen in den 1960er Jahren. Diese Bewegungen waren gezwungen, die besonderen Geisterfahrungen mit der traditionellen theologischen Lehre ihrer jeweiligen Herkunftskirchen in Einklang zu bringen, wenn sie auf Dauer in ihren Deno10

»Während die ›stummen Besessenen‹ der Universitäten auf ihren Marmorkathedern um jedes Wort ringen müssen, fließen von den gesalbten Lippen des Bus-Schaffners die leichtfaßlichen, göttlich beglaubigten Trostworte zum Heil und zur Befreiung« (H. HORTON, Gifts, 61960, 209, zit. nach HOLLENWEGER, Enthusiastisches Christentum, 538). Zum antiintellektuellen Einfluss auf die Bewegung, dargestellt am Beispiel Myanmars vgl. auch Asian Journal of Pentecostal Studies 17, 2014, 188. 11 MICHAEL BERGUNDER, in seinem Vorwort zu: JÖRG HAUSTEIN / GIOVANNI MALTESE (Hg.), Handbuch pfingstlicher und charismatischer Theologie, Göttingen 2014, 13.

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minationen verbleiben wollten. Umgekehrt war die traditionelle Pfingstbewegung gezwungen, sich zu diesem zweiten charismatischen Aufbruch und vor allem zu dessen theologischen Überlegungen zu positionieren. Die akademische Theologie schließlich konnte ihrerseits angesichts größer werdender charismatischer Gruppen in den traditionellen Kirchen nicht umhin, deren Spezifika theologisch zu reflektieren. Folgende Themen erscheinen mir im Hinblick auf die wissenschaftlich-theologische Auseinandersetzung besonders lohnend: Lässt sich von der theologischen Bedeutung lernen, die die Kategorie der Erfahrung in pfingstlich-charismatischen Bewegungen besitzt? Wie verhält sich die pneumatische Orientierung von Theologie und Spiritualität zur traditionellen christologischen Ausrichtung im Abendland? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Wiederentdeckung der charismatischen Dimension für das individuelle Christsein und für die Ekklesiologie? Letztlich geht es um die Aufgabe, die in den pfingstlich-charismatischen Bewegungen bezeugten Geisterfahrungen systematisch-theologisch zu reflektieren und ekklesiologisch zu verorten und auf diese Weise mit der traditionellen Theologie und Kirche zu vermitteln. 4. Die Bedeutung der Erfahrung Im Zentrum pfingstlich-charismatischen Christseins steht die Erfahrung.12 Das gilt gleichermaßen im Hinblick auf die Theologie und die Spiritualität. Die herausragende Bedeutung der Erfahrung führt in pfingstlich-charismatischen Bewegungen zu einer Betonung der fides qua creditur gegenüber der fides quae creditur. Den Bewegungen 12

Vgl. z.B. KEITH WARRINGTON, Pentecostal Theology. A Theology of Encounter, London / New York 2008, 15f.

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geht es nicht primär um die Inhalte des Glaubens wie Dogmen und Bekenntnisse, sondern um den gelebten Glauben mit dem Ziel, die Wirkungen des Geistes Gottes zu erfahren. Wie ist die Fokussierung der Bewegungen auf die Glaubenserfahrung zu bewerten? Der Erfahrungsbegriff gehört zu den umstrittensten und unklarsten Begriffen überhaupt. Gleichwohl ist der Erfahrungsbegriff unersetzbar. In den meisten theologischen, philosophischen und lebensweltlichen Diskursen der Gegenwart lässt sich ein Doppeltes beobachten: Der Begriff ist meist positiv konnotiert; gleichzeitig wird er vom bloßen »Erlebnis« im Sinn eines reflektierten und fruchtbar gemachten Erlebens unterschieden. Die pfingstlich-charismatische Betonung der Erfahrung sollte nicht grundsätzlich abgelehnt werden – allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich deren rechtfertigungstheologischer Deutung nicht verschließt. Geisterfahrungen verbürgen weder Freude noch Gesundheit oder Erfolg. Emotional geprägte Geisterfahrungen sind im Glaubensalltag vielmehr in das Nichtfühlen hinein zu überschreiten. Zum Glauben gehören Nachterfahrungen konstitutiv dazu.13 Analoges gilt im Hinblick auf den pfingstlich-charismatischen Spiritualitätsbegriff: Er ist nur dann theologisch angemessen, wenn er die Reflexion einschließt.14 Die Betonung der spirituellen Erfahrung darf nicht zur Vermeidung oder gar Verhinderung theologischer Reflexion führen. Beides bedingt und befruchtet sich gegenseitig. Anselm von 13 HERIBERT MÜHLEN, Von der Anfangserfahrung zum Alltag des Glaubens. Wege der Vertiefung, in: Erneuerung in Kirche und Gesellschaft, Heft 8, 1980, 38–43; vgl. auch DERS., Art. Charismatische Gemeinde-Erneuerung, in: ÖL, Frankfurt a.M. 21987, 216. 14 Vgl. dazu etwa SIMON PENG-KELLER, der Spiritualität als existenzielle religiöse Grundhaltung versteht, die im Sein wie im Bewusstsein nach der Nachfolge Jesu Christi strebt (DERS., Einführung in die Theologie der Spiritualität, Darmstadt 2010, 12f).

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Canterburys Diktum von der »fides quaerens intellectum« sollte in pfingstlich-charismatischen Bewegungen in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Genauso ist Philipp Melanchthons reformatorische Zuordnung von Frömmigkeit und Bildung deutlicher zur Geltung zu bringen: »Zwei Begriffe sind es, auf die gleichsam als auf das Ziel das ganze Leben ausgerichtet ist: Frömmigkeit und Bildung.«15 Pfingstlich-charismatische Spiritualität bleibt unbegriffen, dunkel und vage, wenn sie nicht reflektiert und artikuliert wird. Die Bewegungen brauchen die Theologie als kritische Instanz, um nicht dem Sog des Faktischen zu erliegen.16 Es gibt eine Übermacht der Erfahrung, die jede kritische Distanz zu sich selbst auflöst und eine Selbstkorrektur unmöglich macht. Analog zu ähnlichen Entwicklungen im postmodernen säkularen Lebensraum17 lässt sich in den Bewegungen eine Überschätzung von Erfahrungen beobachten. Das gilt etwa im Hinblick auf Gewichtung und Deutung der spektakulären Charismen Zungenrede, Prophetie und Heilung. Gesamtgesellschaftlich fällt eine Sehnsucht nach dem Außerordentlichen auf. Entsprechend besteht beim pfingstlichcharismatisch geprägten Christsein die Gefahr, dass das Interesse an spektakulären Erfahrungen in das Zentrum tritt. Häufig werden Geisterlebnisse im Schnellverfahren 15 PHILIPP MELANCHTHON, Supplementa Melanchthoniana VI/1, Leipzig 1910, 373. 16 Das versucht in vorbildlicher Weise der folgende Sammelband, in dem pfingstliche und nicht-pfingstliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen: MICHAEL WELKER (Hg.), The Work of the Spirit. Pneumatology and Pentecostalism, Grand Rapids / Cambridge 2006. 17 Schulze scheint eine Krise der Erlebnisgesellschaft anzudeuten, wenn er schreibt: »Die gegenwärtige Krise des Subjekts ist durch fürsorgliche Entmündigung jedoch nicht zu entschärfen. Wir, das Publikum, müssen erkennen, daß wir die Situation, in der wir uns befinden, nicht anders verdienen« (GERHARD SCHULZE, Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M. / New York 21992, 549).

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gesucht. Der christliche Glaube erfordert jedoch ein wirkliches Sich-Einlassen, wozu Langfristigkeit bzw. Kontinuität und die Offenheit für Fremdheitserfahrungen gehören. Der Glaube ist ein das ganze Leben umfassender Prozess. Unter den eben genannten Voraussetzungen besitzt die pfingstlich-charismatische Orientierung an der Erfahrung durchaus Vorteile. Die fides quae creditur drängt zur fides qua creditur, ja, sie erreicht ihr Ziel erst in der fides qua creditur.18 Erst wenn die Glaubensinhalte zur Sache der eigenen Erfahrung werden, beginnen sie lebendig zu werden und die ganze Existenz zu durchdringen. Die Betonung der Erfahrungsseite des Glaubens ist überdies als Gegengewicht zur spätmodernen Verlockung zum Fundamentalismus wichtig:19 Die Erfahrung des Geistes kann vor fundamentalistischen Verhärtungen bewahren bzw. helfen, diese zu überwinden. Die Betonung der Erfahrungsseite des Glaubens durch die pfingstlich-charismatischen Bewegungen öffnet den Glauben für nicht-intellektuelle Dimensionen. Die Bewegungen beziehen neben Intellekt und Willen auch Emotion und Körper in Spiritualität und Theologie mit ein. Pfingstlichcharismatisches Christsein plädiert für ein Christentum mit Leib und Seele.20 Es stellt eine Antwort auf die spirituelle Sehnsucht vieler Menschen dar, die den Glauben nicht 18

Vgl. dazu etwa Martin Luthers Auslegung der drei Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus. 19 S. im Einzelnen PETER ZIMMERLING, Evangelische Spiritualität. Wurzeln und Zugänge, Göttingen 22010, 182–191. 20 Die pfingstlich-charismatische Stellung zur Welt unterscheidet sich von der Weltdistanz der Heiligungsbewegungen: »[…] pentecostals endorse a world-embracing attitude that complicates the possibility to maintain the classical Protestant distinction between being in the world, yet not of the world« (BIRGIT MEYER, Pentecostalism and Globalization, in: ALLAN HEATON ANDERSON / MICHAEL BERGUNDER (Hg.), Studying Global Pentecostalism. Theories and Methods, Berkeley/California u.a. 2010, 119).

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bloß denken, sondern mit allen Sinnen spüren wollen.21 Damit entspricht sie der neuen Suche nach Ganzheitlichkeit, die in den 1960er Jahren begann, als man in den westlichen Industrienationen wieder legitim von Gefühlen reden durfte.22 Sie korrespondiert außerdem mit der Einsicht in die Relativität und Fehlbarkeit wissenschaftlich-technisch bestimmter Wirklichkeitsaneignung.23 Ein auf die rationale Dimension des Menschseins beschränkter Glaubensbegriff muss notwendig weniger stark intellektuell geprägte Menschen ausschließen. Zudem suchen heute gerade auch geistig beanspruchte Menschen in der Religion mehr als eine weitere intellektuelle Anstrengung.24 Die Betonung der Erfahrungsseite des Glaubens korrespondiert mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Gemütslage. Pfingstlich-charismatisches Christsein besitzt eine innere Nähe zu der von Sehnsucht nach Erlebnissen geprägten Spätmoderne.25 Dass Grundeinstellungen des in den Bewegungen gelebten Christseins heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechen, ist ein wesentlicher Grund für ihre Attraktivität und das wissenschaftliche Interesse an ihnen etwa vonseiten der Sozial- und Religionswis21 Vgl. die historische Analyse dieser Sehnsucht bei EUGEN BISER, Die glaubensgeschichtliche Wende. Eine theologische Positionsbestimmung, Graz/Wien/Köln 21987, 177ff. 22 Vgl. im Einzelnen VOLKHARD SPITZER u.a., Jesus People – nur eine Episode?, EZW-Information Nr. 50, III/1972. 23 Vgl. HANS BLUMENBERG, Arbeit am Mythos, Frankfurt a.M. 1990; KURT HÜBNER, Die Wahrheit des Mythos, München 1985. 24 So auch MICHAEL MEYER-BLANCK, Inszenierung des Evangeliums. Ein kurzer Gang durch den Sonntagsgottesdienst nach der Erneuerten Agende, Göttingen 1997, 133. 25 Der Soziologe Gerhard Schulze hat die These aufgestellt, dass die gegenwärtige Gesellschaft eine durchgängige Erlebnisorientierung auszeichnet: Nicht mehr die Außenorientierung auf eine zu vollbringende Leistung bestimmt den Lebensentwurf, sondern die Innenorientierung auf das »Projekt des schönen Lebens« (SCHULZE, Erlebnis-Gesellschaft, 38).

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senschaften. Diese Korrespondenz sollte nicht misstrauisch beäugt werden – im Gegenteil. Neben dem Aspekt der Kontrakulturation gehört auch der der Inkulturation wesensmäßig zum christlichen Glauben. Erfahrungen des Geistes bilden ein Gegengewicht zur Erlebnisarmut des Alltags vieler Zeitgenossen. Gerade spektakuläre Geisterfahrungen haben einen hohen Erlebniswert. Sie bieten den »Kick«, den viele Zeitgenossen ersehnen. Die Möglichkeit, Nicht-Alltägliches zu erfahren, fasziniert viele Zeitgenossen. Hier findet die Suche nach »dem Transzendenten« eine Antwort. 5. Wiederentdeckung der charismatischen Dimension des Christseins Pfingstlich-charismatische Bewegungen haben die Charismen, einschließlich der spektakulären Gnadengaben wie Zungenrede, Heilung und Prophetie, wiederentdeckt.26 Für sämtliche Strömungen ist eine grundsätzliche Offenheit für die Praktizierung aller im Neuen Testament genannten Charismen charakteristisch. Unterschiede werden in der Bedeutung der einzelnen Gaben für den Frömmigkeitsvollzug und in ihrer theologischen Bewertung sichtbar. Die traditionelle Pfingstbewegung hat mit den transrationalen Geistphänomenen Zungenrede, Heilung und Prophetie in Vergessenheit geratene biblische Erfahrungsbereiche in Theologie und Spiritualität zurückgeholt. Vor allem am Beginn ihres Auftretens am Anfang des 20. Jahrhunderts unterschied sie sich damit vom Mainstream der Weltchristenheit. Mit der Erwartung des »Übernatürlichen in der Gegenwart« stand sie im Gegensatz sowohl zum vom Glauben an das »Übernatürliche in der Vergangenheit« 26

Vgl. im Folgenden ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen, Kap. 4 Geistesgaben (mit Belegen).

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geprägten christlichen amerikanischen Fundamentalismus als auch zur stark intellektuell bzw. ethisch geprägten volkskirchlichen Religiosität in Europa.27 Traditionelle Pfingstler verstehen den Geist nach dem Pfingstbericht in Apg 2 – dem Basistext der Bewegung – als »Kraft aus der Höhe«.28 Die Charismen werden als Ausweis der Geisterfülltheit von ihrer Bedeutung für die Steigerung der Frömmigkeit des Einzelnen her interpretiert. Die nichtspektakulären Charismen treten zurück, ebenso ihre ekklesiologische und gesellschaftliche Dimension. Ein anders akzentuiertes Charismenverständnis als die traditionellen Pfingstkirchen lassen die innerkirchlichen charismatischen Bewegungen erkennen. Zwar stand auch hier am Anfang die Erfahrung spektakulärer Charismen. In deren Gefolge haben die Bewegungen jedoch die ekklesiologische Ausrichtung der Charismen bei Paulus entdeckt.29 Zum Basistext wurde 1. Kor 12–14, zum Ziel des Charismengebrauchs die Verwirklichung der charismatischen Gemeinde.30 Die Bemühungen der innerkirchlichen Charismatiker um eine charismatische Erneuerung der Kirchen und Gemeinden seit Anfang der 1970er Jahre entsprachen etwa zeitgleichen Entwicklungen in Theologie, Kirche und 27

KURT HUTTEN, Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 121982, 354. 28 So HANS-DIETHER REIMER in einem Brief an Lorenz Hein vom 14.12.89 (Kopie in meinem Privatarchiv). 29 Welche Rolle ERNST KÄSEMANN mit seiner Neuinterpretation des Amtes vom Charisma her dabei gespielt hat, vermag ich nicht zu sagen: vgl. dazu DERS., Amt und Gemeinde im Neuen Testament, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1, Göttingen 31964, 109– 134. 30 Vgl. dazu die »Theologischen Leitlinien der Charismatischen Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche« von 1976, Würzburger Leitlinien genannt (abgedruckt, in: WOLFRAM KOPFERMANN, Charismatische Gemeindeerneuerung. Eine Zwischenbilanz [Charisma und Kirche, Heft 7/8], Hochheim 21983, 21).

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Gesellschaft, die in Richtung von mehr Partizipation führten.31 Mit der Wiederentdeckung der Charismen haben pfingstlich-charismatische Bewegungen einen Beitrag zur praktischen Umsetzung der reformatorischen Erkenntnis vom »allgemeinen Priestertum«32 geleistet. Damit dieser Prozess mit Hilfe der Charismen in der Gesamtkirche vorankommen kann, ist eine Reihe von Erkenntnissen zur Geltung zu bringen, die in den Bewegungen nur teilweise berücksichtigt werden: dass Charismen einen ekklesiologischen Zielhorizont haben, dass spektakuläre Charismen entzaubert werden müssen, dass die Charismen ein identitätsstiftendes Potential besitzen, dazu aber ihre Integration in die Gesamtpersönlichkeit notwendig ist, dass eine Theorie und Praxis der Erweckung von Charismen zu entwickeln ist und dass Charismen eine gesellschaftliche Dimension haben können. Eine trinitätstheologische Begründung der Charismenlehre bietet die Möglichkeit, Einseitigkeiten des in pfingstlichcharismatischen Bewegungen anzutreffenden Charismenverständnisses im Ansatz theologisch zu überwinden. Sie nötigt dazu, die Charismen in Beziehung zu Schöpfung, Erlösung und Heiligung zu denken. Nach dem Grundsatz der altkirchlichen Trinitätslehre »opera trinitatis ad extra sunt indivisa« wirken Vater, Sohn und Heiliger Geist nach außen immer gemeinsam. Der Geist handelt in den Charismen nicht ohne den Vater und den Sohn.33 Indem das 31

Vgl. den Slogan der damaligen sozial-liberalen Koalition: »Mehr Demokratie wagen«. 32 Zum Begriff vgl. WILFRIED HÄRLE, Allgemeines Priestertum und Kirchenleitung nach evangelischem Verständnis, in: MJTh VIII (MThSt, 44), Marburg 1996, 66f. 33 Der gleiche Sachverhalt ließe sich auch durch eine pneumatologische Argumentation zum Ausdruck bringen: Gerade der Geist ist es, in dem Gott die Schöpfung gemacht hat (creator spiritus) und durch den der erhöhte Christus nach Pfingsten handelt.

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Wirken des Geistes auch in den Charismen auf die Schöpfung bezogen bleibt, dienen diese der Erneuerung, nicht der Überwindung des geschöpflichen Lebens. Der Geist wirkt in den Charismen nicht unabhängig von den schöpfungsmäßigen Voraussetzungen des Charismenträgers. Er steht nicht im Gegensatz zu den menschlichen Fähigkeiten, sondern nimmt sie im Charisma in Dienst.34 Auch die spektakulären Gnadengaben sind kein »schöpfungsfreier« Ort, an dem der Geist unmittelbar erfahren werden könnte. Es gibt kein »pneumatisch reines« Charisma. Es gibt nur »vermittelte Unmittelbarkeiten«, wie Karl Rahner betont.35 Die »persönliche Note« eines Charismas ist gerade das Kennzeichen seiner Echtheit. Jedes Charisma stellt den Gabenträger vor die Aufgabe, es in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Das gilt besonders für die spektakulären Charismen, die den Charismatiker über seine natürlichen Fähigkeiten hinausführen. Neben dem Schöpfungsbezug ist für die Charismen ihr Bezug zu der in Jesus Christus vollbrachten Versöhnung konstitutiv. Zum einen sind die Charismen Konsequenz der Versöhnung. Charismen konstituieren das Christsein nicht. Sie sind Folge des Glaubens, ihm also nachgeordnet (1. Kor 12,3.13). Vor allem Gruppen mit traditionell pfingstlicher oder neopentekostaler Theologie stehen demgegenüber in Gefahr, die Charismen als Beweis für das Versöhntsein zu interpretieren. Ein Rückschluss von den Charismen auf den Glauben zerstört jedoch die Gewissheit des Glaubens. Der Glaube setzt Charismen frei, aber die Charismen sind

34

RICHARD GIESRIEGL, Die Sprengkraft des Geistes. Charismen und Apostolischer Dienst des Paulus im 1. Korintherbrief (Hochschulschriften Forschungen, Bd. 2), Thaur 1989, 100. 35 KARL RAHNER, Visionen und Prophezeiungen, unter Mitarbeit von P.TH. BAUMANN ergänzt (Quaestiones disputatae, 4), Basel/Freiburg/ Wien 31960, 55f.

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kein Beweis für den Glauben.36 Zum anderen hält der Bezug zur Erlösung die Tatsache im Bewusstsein, dass auch die Charismen der Irrtumsfähigkeit und der Missbrauchsmöglichkeit unterworfen bleiben. Schließlich sollten die Charismen nicht unabhängig von ihrem Bezug zur Heiligung durch den Geist gedacht werden. Paulus hat in 1. Kor 12,7 und 1. Kor 14,26 (aber auch insgesamt in 1. Kor 12–14 und in Röm 12) für die weitere Geschichte der Christenheit deutlich gemacht, dass die Charismen dem Aufbau der Gemeinde dienen sollen: Die Charismen sind »zum Nutzen aller« gegeben. Die christliche Gemeinde ist der Raum, in dem sich die Charismen entfalten sollen und auf den sie bezogen bleiben. Es gehört zum Wesen der Charismen, dass keiner über alle verfügen muss. Durch die Charismen führt der Geist den Einzelnen aus der Fixierung auf sich selbst heraus und befreit ihn zu einem Leben in Beziehungen mit anderen Menschen und darüber hinaus mit der übrigen geschaffenen Welt.37 Die pfingstlich-charismatischen Bewegungen der Gegenwart stellen vor allem in pneumatologischer und ekklesiologischer Hinsicht eine Herausforderung für Theologie und Kirche dar. Das gilt gerade angesichts der früheren Geistvergessenheit weiter Teile der westlichen Christenheit und zahlreicher Krisenerscheinungen der traditionellen Großkirchen in West- und Mittel- und Nordeuropa. Umgekehrt bedürfen die Bewegungen der kritischen Hinterfragung von Seiten der christologischen Grundorientierung reformatorischer Theologie, die ihrerseits in Zukunft kon36 CHRISTIAN MÖLLER, Gottesdienst als Gemeindeaufbau. Ein Werkstattbericht, Göttingen 21990, 11f. 37 Vgl. ERNST KÄSEMANN, Der gottesdienstliche Schrei nach der Freiheit, in: DERS., Paulinische Perspektiven, 2., durchgesehene Auflage, Tübingen 1972, 213f.

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sequent trinitarisch weiterentwickelt werden muss, um der pneumatischen Dimension des christlichen Glaubens theologisch angemessen Rechnung zu tragen. Die kritische Auseinandersetzung mit den charismatischen Bewegungen der Gegenwart zeigt, dass sich eine Reihe von Impulsen in die kirchliche Theologie und Frömmigkeit integrieren lassen. Dabei erweisen sich die Überlegungen von Mitgliedern der innerkirchlichen Bewegungen am fruchtbarsten.

Heiliger Geist, Geistausgießung und GeistChristologie Michael Welker

Meiner langjährigen Arbeit mit Biblischer Theologie im Allgemeinen und mit einer biblisch orientierten Theologie des Heiligen Geistes im Besonderen lag keine ausgeprägte Bibelfrömmigkeit meinerseits oder gar eine Neigung zu enthusiastischer religiöser Begeisterung zugrunde. Die biblische Orientierung meiner Arbeit war vielmehr Frucht der Beschäftigung mit einem Typ systematischen Denkens, der mir neue Erkenntnismöglichkeiten erschloss. Dieser neue Typ des Denkens begegnete mir bei der Arbeit an meiner Habilitationsschrift über den Mathematiker und Philosophen Alfred North Whitehead und die von ihm inspirierte angloamerikanische Prozesstheologie beziehungsweise Prozessphilosophie.1 Um Ihnen den dadurch eröffneten Erkenntnisweg nahezubringen, der für meine Arbeit und für den Zugang zu unserem Thema unerlässlich ist, setze ich im ersten Teil mit einem theoretischen Vorspann an: »Von bipolaren zu multipolaren Phänomenen und Denkformen«. Im zweiten Teil frage ich: »Was nützt uns eine konsequent an den biblischen Überlieferungen orientierte Theologie des Heiligen Geistes?« Im dritten Teil werden uns beschäftigen die »Revolutionäre(n) Potenziale der Geistausgießung«. Der vierte und letzte Teil befasst sich mit Gedanken »Zur Zukunft der Geist-Christologie«. 1

MICHAEL WELKER, Universalität Gottes und Relativität der Welt. Theologische Kosmologie im Dialog mit dem amerikanischen Prozeßdenken nach Whitehead, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 1981; zweite, um ein Sachregister erweiterte Auflage 1988.

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1. Von bipolaren zu multipolaren Phänomenen und Denkformen Im Sommer 1977 ging ich, von der DFG gefördert, für drei Monate an verschiedene Hochschulen in den USA, um das Werk des Mathematikers und Philosophen Alfred North Whitehead und die Strömungen der von seinem Denken geprägten anglo-amerikanischen Prozesstheologie und Prozessphilosophie zu studieren. Etwa zehn Jahre vor Beginn der Digitalisierung besaß die Tübinger Universitätsbibliothek gerade ein Buch von Whitehead, und zwar eine österreichische Übersetzung von »Wissenschaft und moderne Welt«2 aus der Nachkriegszeit. Als ich zurückkehrte, übergab ich der UB eine Liste mit 250 Titeln, die sie, wie mir versichert wurde, alle anschaffte. Durch meine theologische und meine philosophische Dissertation über den deutschen Idealismus und die dialektische Theologie hatte ich mich mehrere Jahre lang mit komplizierten Theoriesprachen (besonders mit Kant, Hegel und Fichte) herumgeschlagen, sodass mich Whiteheads dunkle Übersetzungen mathematischer Theoriebildung in eine philosophische Kunstsprache nicht ohne weiteres faszinierten. Ich ging vielmehr mit der Frage an sein Denken heran: Was will er mit dieser Theoriesprache erschließen und bewirken? Seine Erkenntnisinteressen, die ich mir in historisch-genetischer Erforschung seiner Denkentwicklung erschloss, begeisterten mich. Whitehead beobachtet: Wir gehen auf die Welt zu mit mathematischen Denkformen, mit historischen und kulturwissenschaftlichen Denkformen, mit religiösen Denkformen und nicht zuletzt mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand. Auf allen Wegen vermeinen wir, Wirklichkeiten und Wahrheiten zu erschließen. 2

A.N. WHITEHEAD, Wissenschaft und moderne Welt (1925), stw 753, Frankfurt: Suhrkamp 1988.

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Aber die verschiedenen Zugangsweisen zur Welt haben untereinander viele Verständigungsprobleme. Doch wenn wir versuchen, diese Zugänge in eine allgemeine Theorie zu integrieren, so dürfen wir nicht ihre inneren Rationalitäten und ihre spezifischen Erkenntnisinteressen preisgeben. Wir müssen also allgemeine mehrsystemische und multi-kontextuelle Denkformen und Theorien entwickeln. Das war eine neue intellektuelle Herausforderung, der ich mich stellte. Whitehead interessiert sich brennend für die kulturelle Koevolution von mathematisierten Naturwissenschaften, ästhetischen, ethischen und religiösen Denkformen, und zwar über die Jahrhunderte seit der Reformation hinweg. Obwohl er ein leidenschaftlicher Mathematiker und ein an der modernen physikalischen Entwicklung des frühen 20. Jahrhunderts höchst interessierter Denker ist, sieht er auch den Preis, der mit einer Privilegierung der mathematischnaturwissenschaftlichen Denkformen in den Auswirkungen auf andere Wissens- und Erfahrungsgebiete bezahlt wird. Zum Beispiel verdrängt szientistisches Denken religiöses Denken: »Die moderne Welt hat Gott verloren und sucht ihn.«3 Ich habe dann gesehen, dass auch andere Denker von Rang, mit Schwerpunkt an der Universität Harvard, zu Whiteheads Zeit und danach das mehrsystemische Denken kultiviert haben, zum Beispiel der große Soziologe Talcott Parsons, der den brillanten und einflussreichen deutschen Soziologen Niklas Luhmann stark geprägt hat.4 Das mehr3

ALFRED NORTH WHITEHEAD, Wie entsteht Religion?, Frankfurt: Suhrkamp 1985, 58. 4 SIGRID BRANDT, Religiöses Handeln in moderner Welt. Talcott Parsons’ Religionssoziologie im Rahmen seiner allgemeinen Handlungs- und Systemtheorie, Frankfurt: Suhrkamp 1993; M. WELKER (Hg.), Theologie und funktionale Systemtheorie. Luhmanns Religionssoziologie in theologischer Diskussion, stw 495, Frankfurt: Suhrkamp

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systemische Denken nötigt dazu, monistische, bipolare und sogar triadische Denkformen auf die Probe zu stellen. Wohl müssen wir für unsere alltägliche Kommunikation beständig auf diese Denkformen zurückgreifen, wenn wir uns schnell verständigen wollen und nicht den Kontakt zum sogenannten gesunden Menschenverstand verlieren wollen. Aber wir müssen sehen, dass diese einfachen Denkformen für die Untersuchung komplexer sozialer, kultureller, historischer und auch religiöser Sachverhalte oft unzureichend sind. Wir sollten nach Whitehead auch in unserer allgemeinen Bildung Anstrengungen unternehmen, den gesunden Menschenverstand mit anspruchsvolleren Wahrnehmungs- und Denkformen vertraut zu machen, ihn auf höhere Niveaus der Erkenntnis und Einsicht zu bringen. Die Methode, die Whitehead dafür vorschlägt, nennt er »critique of abstractions« (»Kritik der Abstraktionen«). Dabei geht es nicht um den naiven Vorschlag, wir sollten tunlichst auf alle Abstraktionen in unserem Denken verzichten. Das ist völlig unmöglich. Auch der am einfachsten ausgebildete gesunde Menschenverstand ist in hohem Maße von Abstraktionen bestimmt, vor allem von bipolarem Denken.5 In der Methode der Kritik der Abstraktionen geht es nun darum, an uns beherrschende, in der Regel latente und oft extrem weit verbreitete Leitabstraktionen heranzukommen, sie gegebenenfalls zu verändern oder sogar zu ersetzen. Dies kann gelingen, wenn wir die Denkwelt des gesunden Menschenverstandes und eingespielter professioneller gedanklicher Routinen behutsam mit spezialisierten Symbolsystemen, z.B. naturwissenschaftlichen, religiösen oder ästhetischen Denkformen, in Berührung 1985; GÜNTER THOMAS u. ANDREAS SCHÜLE (Hg.), Luhmann und die Theologie, Darmstadt: WBG 2005. 5 Andere Denker sprechen nicht von Abstraktionen oder Leitabstraktionen, sondern von Denkfiguren, Paradigmen oder impliziten Axiomen.

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bringen oder sogar konfrontieren. Ein einfaches Beispiel bietet die Schöpfungstheologie. Metaphysisch überformt, operiert sie mit Gedanken der absoluten Verursachung der Welt durch Gott und ihrer absoluten Dependenz. Das bedingt viele Fragwürdigkeiten: eine nicht beantwortbare Theodizeefrage, Dauerkonflikte mit Evolutionstheorien etc. Genesis 1 hingegen beschreibt die Gabe ungeheurer Eigenkräfte an die differenzierte Schöpfung. Und trotz der damit verbundenen Potentiale der Selbstgefährdung ist die Schöpfung gut, TOB, lebensförderlich. Sie ist aber nicht paradiesisch.6 Aufgrund dieser Impulse wurde mir deutlich, dass die biblischen Überlieferungen eine wunderbare Herausforderung für einen sinnvollen Umgang mit multikontextuellem und mehrsystemischem Denken bieten, nicht zuletzt, weil die Texte des biblischen Kanons sich unter dem mehrfachen Druck der die damalige Welt beherrschenden Mächte entwickelt haben (Ägypten, Assur, Babylon, die Perser, die Griechen, die Römer). In der Prüfung systematisch-theologischer Grundfiguren und Denkformen anhand von für sie einschlägigen biblischen Texten und kreativen exegetischen Bearbeitungen sah ich ein vielversprechendes theologisches Arbeitsfeld. Zu dieser biblisch-theologischen Orientierung, die wir mit dem Jahrbuch Biblische Theologie institutionalisierten,7 bemerkte ein Münchener Systematiker, es sei ja geradezu suizidal, eine mögliche steile Karriere als Hegel-, Whitehead- und Luhmann-Spezialist dem Interesse am »wandernden Gottesvolk« zu opfern. Aber ich entschied mich mit großer Entdeckerfreude für diese Ent6

M. WELKER, »Was ist ›Schöpfung‹? – Genesis 1 und 2 neu gelesen«, in: Evangelische Theologie 51 (1991), 208–224; DERS., The Theology and Science Dialogue: What Can Theology Contribute?, Theologische Anstöße 3, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2012. 7 JBTh, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, seit 2017 Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986–2018.

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wicklungsrichtung und habe diese Entscheidung keinen Tag bereut. Die erste Denkfigur, die ich auf die Probe stellen wollte, war die von »Gesetz und Evangelium«, mit den beherrschenden Dualen »Indikativ und Imperativ«, »Forderung und Gabe«, mit den Lehrstücken vom duplex und triplex usus legis und den Debatten um »Gesetz und Evangelium« oder »Evangelium und Gesetz«. Als ich Jürgen Moltmann davon berichtete, dass ich über den Themenkomplex »Gesetz und Evangelium« eine Vorlesung anbieten wollte, meinte er skeptisch: »Was wollen Sie über dieses langweilige Zeug mehr als eine Stunde sagen?« Ich aber stieg ein in die Welt der biblischen Gesetzeskorpora und der auf sie bezogenen Prophetie und erschloss mir und zwei- bis dreihundert begeisterten Studierenden die Evolution religiöser, rechtlicher und moralischer Normativität unter oft schwierigsten Lebensbedingungen. Nach einem Semester konnte ich zu Moltmann sagen, ich muss sogar noch ein zweites Semester darüber lesen! Die Entdeckung von eingespielten, aber irreführenden Abstraktionen zum Thema Gottes Gesetz war spannend. Das Gesetz als Forderung und Imperativ zu sehen ist allenfalls eine schlechte Karikatur. Doch so deutlich uns die realistischen religiösen, ethischen, rechtlichen und politischen Orientierungskräfte in den biblischen Überlieferungen vor Augen traten, so sehr geriet ich doch in eine Engführung, was mein Gesamtprogramm »Gesetz und Evangelium« anging. »Michael, you think quite Jewish!« sagten meine amerikanischen jüdischen Kollegen. Und der Berliner Systematiker Christof Gestrich meinte: »Herr Welker, Ihre Theologie des Gesetzes ist beeindruckend, aber Ihre Theologie des Evangeliums ist relativ blass.« Und er hatte Recht. Ich suchte einen Weg, diesen Mangel zu beheben, sah aber in den mir vor Augen stehenden christologischen Beiträgen des 19. und 20. Jahrhunderts, selbst bei Barth und Bonhoeffer, keine Entwürfe, an die ich mit der Aussicht auf

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klare Erkenntnis strukturell anschließen könnte. Die christologischen Leitabstraktionen in den mir vertrauten Theologien, soweit ich sie damals erkennen konnte, erreichten nicht die Subtilität und Komplexität der gesetzestheologischen Überlieferungen. Deshalb begab mich auf der Suche nach einem anderen Forschungsansatz auf das Gebiet einer biblisch orientierten Pneumatologie. Auch diese Entscheidung habe ich nie bereut. Das Buch »Gottes Geist«, das ich schrieb, erzielte viele Auflagen.8 Die sechste Übersetzung erschien im Oktober 2018, zwei weitere sind in Vorbereitung. Die konsequent biblisch-theologische Orientierung, so bin ich überzeugt, und das Bemühen um einen theologischen Realismus halten das Buch jung. Was aber nützt uns eine konsequent an den biblischen Überlieferungen orientierte Theologie des Heiligen Geistes? 2. Was nützt uns eine konsequent an den biblischen Überlieferungen orientierte Theologie des Heiligen Geistes? Eine weit verbreitete Leitabstraktion im Blick auf den Heiligen Geist lautete: Der Heilige Geist ist ein Numinosum, eine unbegreifliche Macht. Ein schöner biblischer Beleg dafür war Joh. 3,8: »Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.« Einige wenige biblische Belege betonen ebenfalls diese Ungreifbarkeit und Unbegreiflichkeit des Geistes, aber etwa 300 biblische Zeugnisse sagen Bestimmtes und Aufschlussreiches über den Geist Gottes und sein Wirken. Statt sie alle in den Nebel des Numinosen zu rücken, sollte vielmehr deutlich werden, warum inmitten aller Klarheit 8

M. WELKER, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 62015, Neudruck 2018.

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und Bestimmtheit des Geistes und seines Wirkens auch immer zu berücksichtigen ist, dass er schwer greifbar bleibt. Ich studierte zunächst gründlich die biblischen Texte über das »Überkommenwerden durch Gottes Geist« bei den frühen Charismatikern. Eine Tübinger Patristikerin schrieb mir nach der Lektüre der ersten Seiten meines Buches etwas spitz: »Ich sehe mit Erstaunen, wie Sie sich mit den frühen Charismatikern herumschlagen.« Die frühen Charismatiker sind in der Tat befremdlich. Sie werden alle als zweideutig oder sogar abschreckend dargestellt, wie der Tochtermörder Jiftach oder der Raufbold Simson. Dennoch weisen diese Texte (Ri. 3,7–11; 6,34–51; 11,29; 13–16; 1Sam. 11,6–7) eine interessante Struktur auf: Der Geist, vermittelt durch einen durchaus ambivalenten Geistträger, bringt Rettung aus kollektiver Not und Sünde. In allen Kontexten heißt es: Israel hatte getan, was übel war in Gottes Augen. Es gerät in eine ausweglose Situation, die es in kollektive Mutlosigkeit und Verzweiflung stürzt. Der Geist Gottes überkommt dann einen Menschen, dem es gelingt, Solidarität und gemeinschaftliche Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. »Und das Land hatte vierzig Jahre Ruhe.«9 Man muss an den dritten Glaubensartikel über den Heiligen Geist denken: Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden. Zwar noch nicht Auferstehung, aber doch Aufrichtung des hinfälligen, dem Tode geweihten Lebens. Zwar noch nicht Auferstehung zum ewigen Leben, aber immerhin »Ruhe« – für symbolische vierzig Jahre. So undeutlich und im Kanon nicht fortgesetzt die Botschaften dieser frühen Zeugnisse bleiben, sie liegen dichter am dritten Glaubensartikel und bieten eine aufschlussreichere pneumatologische Botschaft als die ziemlich geistlose Rede vom Numinosum. Gottes Geist ist eine Macht der Rettung aus Sünde und Not. 9

Gottes Geist, a.a.O., 58–78.

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Erheblich spannender und systematisch folgenreicher noch sind dann alttestamentliche Zeugnisse vom »Ruhen des Geistes« auf einem von Gott Erwählten, die die neutestamentlichen Überlieferungen auf Jesus Christus beziehen. Besonders aufschlussreich sind die messianischen Verheißungen Jesaja 11, 42 und 61, die bei Matthäus und Lukas mit langen Zitaten aufgenommen werden (vgl. Mt. 11,5; 12,15–21; Lk. 1,79; 2,32; 4,18; auch Joh. 8,12). Der von Gott Erwählte, auf dem Gottes Geist ruht, bringt Gerechtigkeit, Schutz der Schwachen und Gotteserkenntnis. Recht, Erbarmen und Gotteserkenntnis aber sind, so Mt. 23,23, »das Wichtigste am Gesetz«. Schon im Bundesbuch Ex. 20ff. kann man diese ungemein fruchtbaren normativen Strukturzusammenhänge studieren. Sie prägen alle bedeutenden Dokumente der antiken mesopotamischen Rechtskultur seit 2500 vor Chr. Und sie werden noch höchst eindrücklich greifbar in dem Bemühen Deutschlands, nach der grausamen Barbarei der Nazidiktatur und zweier Weltkriege wieder Anerkennung in der Völkerwelt zu gewinnen, indem es sich als Rechtsstaat und Sozialstaat etabliert und den »Gottesbezug« in der Präambel des Grundgesetzes verankert. Doch nicht nur die Kontinuität mit den Thora-Traditionen ist an diesen messianischen Verheißungen aufschlussreich. Ganz entscheidend ist, dass die Macht des so wirkmächtigen Geistes Gottes auf einem Unscheinbaren, ja Schwachen und Elenden ruht. »Er schreit nicht auf der Straße«, sagt Jes. 42, und die verwendeten Ausdrücke für Schreien, Tönen und Rufen beziehen sich wohl nicht nur auf die laute Proklamation eines Herrschers, sondern auch auf den Klageschrei eines Opfers. Wie wirkt der Geistträger, wenn nicht durch politische Befehle und laute moralische Appelle? Die andere Besonderheit ist die Ausstrahlung des Geistträgers über das Volk Israel hinaus. »Auf seine Weisung warten die Inseln.« (Jes. 42) Nach Jes. 61 werden die Heiden-

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völker in Israels Gott, der für Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und wahre Gotteserkenntnis eintritt, auch ihren eigenen Gott erkennen. »Diener unseres (der Heiden) Gottes werdet ihr genannt werden.«10 Paulus wird sich Röm. 9–11 gerade auf die jesajanischen Texte berufen. Kritik der Abstraktion – die Rede vom Geist als Numinosum und alle abstrakten Entgegensetzungen von Gesetz und Geist müssen also problematisiert werden, wenn wir pneumatologische Schlüsseltexte der biblischen Überlieferungen ernst nehmen wollen. Die bei weitem eindrücklichste Kritik der Abstraktionen in pneumatologischen Vorstellungen und Aussagen aber geht von den alt- und neutestamentlichen Zeugnissen aus, die von der Geistausgießung sprechen. 3. Revolutionäre Potenziale der Geistausgießung Man muss in der Wissenschaft behutsam mit dem Ausdruck »revolutionär« umgehen, will man nicht riskieren, sich schnell zu blamieren. Aber die biblischen Botschaften von der Geistausgießung sind und bleiben in mehrfacher Hinsicht revolutionär – über Jahrhunderte hinweg. Die klassischen alt- und neutestamentlichen Verheißungen der Geistausgießung bzw. Zeugnisse davon (Joel 3 und Apostelgeschichte 2) bieten eine bis heute höchst brisante Botschaft: Der Geist Gottes wird ausgegossen auf Männer und Frauen – und das in patriarchalen Gesellschaften. Er wird ausgegossen auf alte und junge Menschen – und das in gerontokratischen Gesellschaften. Er wird ausgegossen auf Knechte und Mägde – und das in Sklavenhaltergesellschaften, die für alle antiken Gesellschaften selbstverständlich waren und ein in der Regel verdeckter Sachverhalt auch in vielen Ländern der modernen Welt sind. Welch eine Bot10

Vgl. Gottes Geist, a.a.O., 114–123.

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schaft der Befreiung und der Erhöhung! Allen Menschen soll die Offenbarung Gottes und die Offenbarung der Absichten Gottes mit seiner Schöpfung zuteilwerden! Gottes Wille zur Gerechtigkeit, zur Barmherzigkeit und zur Nächstenliebe, zur Freiheit und zum Frieden unter den Menschen soll allen Menschen erkennbar werden und ihre eigene Lebenspraxis prägen. Mit einem langen Zitat aus Joel 3 wird diese Verheißung in der Pfingstgeschichte aufgenommen. Dabei wird betont, dass diese Verheißung der Prophetie nun in Kraft gesetzt ist. Ausdrücklich hebt die Geschichte von der Geistausgießung zu Pfingsten hervor, dass Menschen aus vielen Ländern der Erde zu Zeugen dieses großen Ereignisses werden, dass sie in jeweils ihrer eigenen Sprache die Verkündigung von »Gottes großen Taten« vernehmen. Das ist eine klare Ansage gegenüber allen Fanatikern des Stammesdenkens und des Chauvinismus. Die Geistausgießung ist also in vielfacher Hinsicht religiös, sozial, kulturell und politisch subversiv und kreativ. Sie nötigt aber auch zu tiefem systematisch-theologischem Umdenken. Auch die Theologie war über Jahrhunderte hinweg beherrscht von bipolarem Denken. Die Trinität wurde in der Regel als Relation zwischen Vater und Sohn bipolar konzipiert, wenn auch immer wieder um zumindest triadische Aufbrüche bemüht. Die Verhältnisse zwischen Gott und den Menschen wurden im systematischen Denken auf »das Gott-Mensch-Verhältnis« reduziert und bipolar gefasst, von genialen Ausnahmeerscheinungen wie z.B. Schleiermacher und Bonhoeffer einmal abgesehen. Die Verhältnisse von Individuum und Gemeinschaft, die zwischenmenschlichen Verhältnisse wurden auf bipolare Strukturen reduziert. Der Personalismus hat dann aus der theologischen Denknot eine Tugend gemacht. Bis heute ist für viele das Ego-Alter-Denken der anthropologischen Weisheit letzter Schluss.

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Die ubiquitäre Ich-Du-Struktur hatte natürlich Anhalt im Nahbereichsethos. Dazu lag sie dem gesunden Menschenverstand so nahe wie die vorkopernikanische Kosmologie. Noch in meiner Studienzeit konnten Ebeling und Jüngel mit der Forderung, wir sollten tunlichst in Relationen denken, rhetorisch Eindruck machen. Als seien nicht selbst trivialste Äußerungen wie »Ich sehe den Ball!« oder »Der Baum steht vor dem Haus!« Früchte eines Denkens in Relationen. Bis hinein in das akademische Denken unserer Tage kann man häufig ein intellektuell-moralisches Triumphgefühl verspüren in den Versicherungen, man verstehe Sachverhalte »relational« oder denke »relational«, »in Relationen«. Dass dabei komplexe Sachverhalte meist in bipolare Fehlabstraktionen gepresst werden, wird leider nur selten offengelegt. Die Geistausgießung nötigt demgegenüber dazu, den Geist konsequent multipolar zu denken. Auch der in unsere Herzen ausgegossene Geist ist nicht ein auf einen »Referenzpunkt« ausgerichteter göttlicher Laserstrahl. Dem Herzen, einem Organ kognitiver, emotionaler und voluntativer Energien, wird nach biblischem Zeugnis durch Gottes Geist erheblich mehr zugewendet als ein punktueller Transzendenzkontakt oder eine abstrakte kompakte Gnadengabe. Mit einem breiten, aber nicht diffus-endlosen Spektrum von Gaben des Geistes und mit der Erbauung des differenzierten Leibes Christi mit vielen interaktiv-kreativen Gliedern erhält der Geist (über Kontinuität und Diskontinuität mit den Gesetzestraditionen hinaus) eine klare Bestimmtheit. Das multipolare Geistwirken nötigt allerdings dazu, eine Beziehungsfülle ins Auge zu fassen, und dies rechtfertigt oder entschuldigt jedenfalls dann auch die Impressionen, es handle sich um ein numinoses Geschehen. Schwer entschuldbar sind die reduktionistischen bipolaren und alle diffusen Geistvorstellungen, wenn wir theologisch ernst nehmen, dass Gottes Geist, der Heilige Geist, immer auch der Geist Jesu Christi ist.

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4. Zur Zukunft der Geist-Christologie Eine die frühe Kirche im wahrsten Sinne des Wortes begeisternde Erkenntnis lautete: Jesus Christus, der Messias, der »Gesalbte«, ist nicht – wie die Könige, Priester und Propheten des Alten Testaments – mit Öl gesalbt worden. Dieser wahre König, Priester und Prophet ist mit dem Geist Gottes gesalbt worden. Denn er will sein Amt und seine Würde nicht für sich selbst behalten. Er will seinen Zeuginnen und Zeugen an seinem Geist Anteil geben. Und das hieß: Er will seinen Geist auf sie ausgießen! Die Ausgießung des Geistes besagt also nicht mehr und nicht weniger als Anteilgabe an den Kräften Jesu Christi.11 Doch was sind das für Kräfte? Besonders eindrücklich werden diese Kräfte des Geistes und Jesu Christi von Calvin auf wenigen Seiten seines Hauptwerks Unterricht in der christlichen Religion12 erschlossen: Christus, der Messias, sei nicht mit Öl, sondern mit dem Heiligen Geist gesalbt worden, sagt Calvin, damit er »den Seinen« Anteil an seiner Macht gebe: »Deshalb ist seine Königssalbung nicht mit Öl oder köstlicher Würze geschehen, sondern er heißt der Gesalbte Gottes, weil auf ihm der ›Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn‹ ruht (Jes. 11,2) … Das ist ihm ja alles … nicht für sich allein (privatim) gegeben worden, sondern er soll eben seine Fülle den Hungernden und Durstigen über-

11

Vgl. M. WELKER (Hg.), The Work of the Spirit: Pneumatology and Pentecostalism, Grand Rapids: Eerdmans 2006; und viele Veröffentlichungen von James Dunn. 12 Institutio Christianae Religionis im 15. Kapitel des 2. Buches = Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, nach der letzten Ausgabe übersetzt und bearbeitet von OTTO WEBER, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 42008.

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fließend zuteil werden lassen.«13 Calvin betont damit die sogenannte »Geisttaufe« durch den »vom Geist Gesalbten«, die für die frühe Kirche zur bahnbrechenden geistlichen Erfahrung wurde und die die weltweite Bewegung der Pfingstkirchen und der charismatischen Erneuerungen im 20. Jahrhundert ins Zentrum ihrer Frömmigkeit stellt.14 Die größte Frömmigkeitsbewegung der Menschheitsgeschichte, mit etwa einer halben Milliarde Menschen, ist also auf die Geistausgießung, allerdings leider nicht durchgängig auf die Geist-Christologie, konzentriert. Calvin hingegen bietet eine zweite Schlüsselerkenntnis, die es uns ermöglicht, die Rückbindung der Geistausgießung und des Geistwirkens an den historischen Jesus und zugleich an weite Erinnerungsräume und Erwartungshorizonte der alttestamentlichen Überlieferungen festzuhalten: »Wollen wir wissen, wozu Christus vom Vater gesandt ward und was er uns gebracht hat, so müssen wir vornehmlich sein dreifaches Amt, das prophetische, königliche und priesterliche, betrachten.«15 Die Lehre vom »dreifachen Amt« (munus triplex Christi) erlaubt es, das öffentliche und eschatologische Wirken Jesu Christi in seinem differenzierten Reichtum zu erfassen. Edmund Schlink hatte in seiner Ökumenischen Dogmatik kommentiert: »Bei der Ausbreitung der Lehre vom munus triplex Christi handelt es sich um ein ökumenisch einmaliges Phänomen. Denn dieses Lehrstück hat nicht vor, sondern nach der Trennung der Kirchen seine dogmatische Gestalt gewonnen und hat sich mit seinen Aussagen über 13

II, 15,5 vgl. II 15,2; Calvin kommentiert: »Denn es kann von ihm gesagt werden, der Vater habe ihm den Geist nicht ›nach dem Maß‹ gegeben (Joh. 3,34), und der Grund ist der, dass wir aus seiner Fülle alle nehmen sollen Gnade um Gnade! (Joh. 1,16)« (Institutio, 310, vgl. 308). 14 S. FRANK MACCHIA, Baptized in the Spirit: A Global Pentecostal Theology, Grand Rapids: Zondervan 2006. 15 Institutio, a.a.O., 307.

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das Heilswerk Jesu Christi quer durch die Kirchentrennungen hindurch als gemeinsame Lehre durchgesetzt.«16 Fassen wir die Lehre vom dreifachen Amt Christi konsequent pneumatologisch, so müssen wir, wie ich in meiner Christologie vorgeschlagen habe, sie zu einer Lehre von der dreifachen Gestalt des Reiches Christi und des Reiches Gottes weiterentwickeln.17 Um das oft konstruiert und gebastelt Wirkende dieser Lehre zu vermeiden, ist es sinnvoll, die drei Ämter bzw. Gestalten des Reiches Gottes am vorösterlichen Leben, am Kreuz und an der Auferstehung Jesu Christi zu orientieren. Im Licht des vorösterlichen Lebens Jesu gewinnt die Königsherrschaft Christi und der Seinen klare Konturen und entfaltet eine deutliche Botschaft der Nächstenliebe und der Freiheit. Diese Königsherrschaft im Licht der Ausgießung des Geistes revolutioniert hierarchische und monarchische kirchliche und politische Ordnungsformen. Denn dieser König ist Bruder und Freund, ja ein Armer und Ausgestoßener. Mit ihrem radikaldemokratischen und postpatriarchalen Ordnungsdenken wird diese Königsherrschaft den einen tatsächlich ungemütlich-unübersichtlich erscheinen, den anderen aber exemplarisch für Freiheit bejahende Orientierungssuchen in Kirche und Gesellschaft. Die Geistausgießung und der Geist Jesu Christi wirken in vielen Taten diakonischer Nächstenliebe, praktizierter Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Versorgung mit Nahrungsmitteln bis hin zur Tischgemeinschaft, Beseitigung von Notlagen bis hin zur Krankenheilung, Überwindung von Fremdheitserfahrung bis hin zu befreiender Bildung. Die Geistausgießung und der Geist Jesu Christi wirken aber auch prophetisch in Gerechtigkeit und Wahrheit su16 EDMUND SCHLINK, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 21985, 414. 17 M. WELKER, Gottes Offenbarung. Christologie, NeukirchenVluyn: Neukirchener 32016, 195–202.

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chenden Gemeinschaften innerhalb und außerhalb der Kirchen, in der Aufdeckung von Ungerechtigkeiten und Unwahrhaftigkeit und in der nicht menschenverachtenden, sondern menschenfreundlichen Warnung vor den verheerenden Folgen von sich ausbreitendem Hass, Lüge und Gewaltanwendung, aber auch in der Warnung vor Trägheit und Gleichgültigkeit gegenüber Not und Gefahr. Im Blick auf das prophetische Amt Jesu Christi und der Seinen ist die Orientierung am Kreuzesgeschehen wichtig. Jesus Christus wird gekreuzigt im Namen der Weltmacht Rom, im Namen der herrschenden Religion, mit Unterstützung der korrumpierten öffentlichen Moral und Meinung, unter Berufung auf zweierlei Recht, das römische Recht und das mosaische, und selbst die Jünger verraten und verlassen ihn. Das Kreuz offenbart also nicht nur den mitleidenden und leidenden Gott, sondern auch die Welt unter der Macht der Sünde und nicht zuletzt das korrumpierte und ohnmächtige Gesetz in vielfacher Gestalt. Der Geist Jesu Christi und die Geistausgießung wollen schließlich auch die Menschen in der Nachfolge Jesu Christi zum »priesterlichen Dienst« befähigen. Dieser priesterliche Dienst sollte auf keinen Fall mit Versuchen, anderen Menschen den eigenen Glauben aufzuzwingen, verwechselt werden. Er sollte aber durchaus das klare Zeugnis – in Wort und Tat – von der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten einschließen und weitergeben. Dabei ist die Orientierung an den Auferstehungszeugnissen hilfreich. Der Auferstandene offenbart sich im Friedensgruß, im Brotbrechen und im Dank über dem Brot, in der Erschließung der Schrift, im Taufbefehl und in der Sendung der Jünger. 2000 Jahre schon stützt sich die Kirche Jesu Christi in ihren ganz zentralen gottesdienstlichen Vollzügen auf das Vorbild dieses priesterlichen Dienstes in der Kraft des Geistes. Mit Luthers schönen Worten gesagt: »Gar heimlich führt er sein Gewalt!«

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Warum ist die konsequente theologische Orientierung am auferstandenen Christus in der Kraft seines ausgegossenen Geistes besonders hilfreich, ja bahnbrechend am Beginn des 21. Jahrhunderts? Um 1800 herum geriet der christliche Glaube, vor allem in den großen Städten Deutschlands, in eine tiefe Krise. Die Säkularisierung, die Loslösung vieler Menschen von den Kirchen, vor allem in den Großstädten, schlug mit Macht durch. Eine Berliner Zeitung schrieb: »In 20 Jahren wird der Glaube in Deutschland völlig erloschen sein!« In dieser Situation veröffentlichte Friedrich Schleiermacher sein fesselndes kleines Buch: »Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern«.18 Er stellt programmatisch fest: »Es ist Euch gelungen, das irdische Leben so reich und vielseitig zu machen, dass Ihr der Ewigkeit nicht mehr bedürfet, und nachdem Ihr Euch selbst ein Universum geschaffen habt, seid Ihr überhoben, an dasjenige zu denken, welches Euch schuf.«19 Euer irdisches Leben ist so reich und vielseitig, eure eigenen Schöpfungen und Errungenschaften sind so beeindruckend, dass ihr an ein Leben jenseits der irdischen Wirklichkeit und an einen Schöpfer, an euren Schöpfer, gar nicht mehr denkt! Diese Auskunft Schleiermachers ist wohl auch heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, noch in vielen Kontexten unserer Welt höchst aktuell. Viele unserer Kulturen und Gesellschaften sind so reich und abwechslungsreich geworden, dass vielen Menschen die Kraft der Konzentration auf religiöse und geistliche Angelegenheiten einfach fehlt. Es bedarf gar nicht einer Kritik der Religion und der Propagierung atheistischer Weltbilder. Die bloße Umtriebigkeit und Faszinationskraft des säkularen Lebens 18

(1799), Berlin und New York: de Gruyter 1999; mit Ergänzungen der zweiten und dritten Auflage von 1806 und 1821, Zürich: TVZ 2012. 19 SCHLEIERMACHER, Über die Religion, 1.

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und seiner kulturellen Errungenschaften reicht aus, die Menschen beständig zu beschäftigen und von einem vertieften Nachdenken und von ernsten Fragen nach den tragenden Grundlagen und den wahren Zielen ihres Lebens abzulenken. Schleiermacher wirkt dem entgegen mit einer starken Konzentration auf einen theistischen Gott, einen persönlichen Schöpfergott, der im religiösen Gefühl begegnet. Er nennt ihn »das Woher des Gefühls der schlechthinnigen Abhängigkeit«.20 Der christliche Glaube ist nach seiner Überzeugung »das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit«. Viele Intellektuelle, auch viele Theologen, vor allem in Deutschland und in Nord- und Westeuropa, finden diesen Ansatz noch immer faszinierend. Andere sehen ihn als eine Banalisierung des Glaubens, als geistliche Entleerung an, als eine problematische Anpassung an den Geist der Aufklärung. Doch auch am Beginn des 21. Jahrhunderts erscheint Schleiermachers Bemühen um eine theologische und geistliche Konzentration inmitten einer aufgeregten, umtriebigen, beständig mit sich selbst beschäftigten Gesellschaft und Kultur weltweit von hoher Bedeutung. Mit einer allerdings wesentlich dramatischeren Situation haben dann die größten deutschen bzw. deutschsprachigen Theologen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu kämpfen. Für Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und ihre theologischen Freunde ist die starke Konzentration auf Gottes Offenbarung in Jesus Christus maßgeblich.21 Einem 20 Dazu ausführlich: FRIEDRICH SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, zweite Auflage Berlin 1830, Berlin: de Gruyter 1960, 23ff. 21 DIETRICH BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, Dietrich Bonhoeffer Werke 8, Gütersloh: Kaiser 1998; KARL BARTH, Kirchliche Dogmatik, III / 1–3, Zürich: TVZ; siehe dazu: MICHAEL WELKER, Theologische Profile.

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aggressiven Nationalismus, der politischen Ideologie und der Kriegsverherrlichung, der tyrannischen Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung ihrer Mitmenschen setzen sie eine konsequent christologische Orientierung des Glaubens entgegen, die ihre öffentlich wirksamste Verlautbarung in der berühmten Barmer Theologischen Erklärung gewinnt: »... Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.« Die konsequent christologische Orientierung der Barmer Erklärung und der Theologien Barths und Bonhoeffers und vieler, die sich in ähnliche Richtung bewegten, ist aufgrund ihrer biblischen und reformatorischen Grundlegung vorbildgebend auch in unserer Zeit und in den verschiedensten Kirchen und gesellschaftlichen Kontexten dieser Welt. Gibt es Aspekte und Perspektiven, die am Beginn des 21. Jahrhunderts dem hinzugefügt und besonders hervorgehoben werden müssen? Das 20. Jahrhundert hat in unseren Kirchen zu einem starken ökumenischen Bewusstsein, einem vielfältigen befreiungstheologischen Engagement und ausgeprägter ökologischer Besorgnis geführt. Es hat uns darüber hinaus ein stark vertieftes pneumatologisches Denken,22 d.h. ein auf den Heiligen Geist zentriertes Denken, und eine Sensibilität für globale Entwicklungsprozesse und globale Interdependenzen gebracht und damit auch eine Verantwortung für kreative interreligiöse Kommunikation. In den letzten Jahrzehnten hat es uns dann eine geradezu revolutionäre EntSchleiermacher – Barth – Bonhoeffer – Moltmann, Frankfurt: Hansisches Verlagshaus 2009. 22 Siehe aus dem deutschen Kontext JÜRGEN MOLTMANN, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, Gütersloh: Kaiser 1991, Neuauflage 2010; WELKER, Gottes Geist (1993, siehe Anm. 8); zur pfingsttheologischen Pneumatologie: FRANK D. MACCHIA, Baptized in the Spirit (siehe Anm. 14); WELKER, The Work of the Spirit (siehe Anm. 11).

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wicklung der Digitalisierung beschert. Alle diese Dynamiken wirken massiv auf unser Lebensgefühl und auch auf unsere Frömmigkeit zurück. Wir müssen heute nicht nur, wie Schleiermacher vor 200 Jahren, sehen, dass unsere Gesellschaften und unsere Kulturen von unendlich vielen Impulsen und Reizen überflutet werden. Wir müssen nicht nur sehen, dass sie beständig mit sich selbst beschäftigt sind und vielfach für die geistlichen Dimensionen des Lebens wenig Aufmerksamkeit aufbringen. Wir müssen nicht nur, wie Bonhoeffer und Barth, Wachsamkeit und Widerstandskraft wecken gegen Mächte der massiven politischen Gefährdung und Unterdrückung, der Verelendung, Verfolgung und Ermordung unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Wir müssen nicht nur mit Barth und Bonhoeffer nach tragfähigeren geistlichen und ethischen Orientierungsgrundlagen suchen, als sie ein »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit« bietet. Wir sind inzwischen von einem so dichten, medial vermittelten Netz von beständigen Signalen von Gewaltanwendung und Not, von beständigen Selbstalarmierungen der globalen Gemeinschaft umgeben, dass dies für viele Menschen den Glauben an einen mächtigen und gütigen Gott sehr ernsthaft infrage stellt und ins Wanken bringt. »Nur der leidende Gott kann helfen« – hatte Dietrich Bonhoeffer eindrücklich in seinen »Briefen aus der Haft« geschrieben. Vom »gekreuzigten Gott« hatte Jürgen Moltmann im Anschluss an den Philosophen Martin Heidegger gesprochen. Doch wie kann der leidende und gekreuzigte Gott helfen in einer Welt voller Gewalt und so ungleich verteiltem Leiden? Es gehört zu den großen Herausforderungen am Beginn des 21. Jahrhunderts, die rettende und erhebende Macht Gottes zu erkennen, die sich in Gottes Geist und im Geist Jesu Christi zeigt, und dabei zu einer schöpfungstheologischen Ehrlichkeit zu finden. Wir müssen denen widersprechen, die unqualifiziert von Gottes »alles bestimmender

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Macht« reden und die Natur und Leben unqualifiziert wie Heilsbegriffe behandeln. Gegenüber einem abstrakten Theismus der Metaphysik und einer romantischen Naturverklärung müssen wir das biblische Schöpfungsdenken ernst nehmen.23 Nach diesem Schöpfungsdenken, das schon das erste Kapitel der Bibel einem sorgfältigen Lesen und Denken offenbart, räumt Gott seiner Schöpfung große Eigenmacht ein: die Himmel scheiden, die Gestirne herrschen, die Erde bringt hervor, die Menschen erhalten den Herrschaftsauftrag. Obwohl die Schöpfung von Gott »gut« genannt wird, sogar »sehr gut«, ist sie jedoch radikal von Gott unterschieden. Sie ist endlich, und sie ist sterblich, und in ihr lebt Leben unabdingbar auf Kosten von anderem Leben. Auch Vegetarier und Vegetarierinnen müssen unendlich viel Leben zerstören, um sich zu erhalten. Der Mathematiker, Naturwissenschaftler und Philosoph Alfred North Whitehead hat dies auf die Formel gebracht: »Life is robbery« – Leben ist Raub.24 Auch die Natur ist trotz aller ihrer Wohlordnung und Schönheit voll von Kräften der Selbstgefährdung und Selbstzerstörung. Dazu kommt, dass die Menschen dank der ihnen verliehenen Freiheit und Macht diese Kräfte der Selbstgefährdung und Selbstzerstörung in unverantwortlicher Weise steigern können. Die biblischen Überlieferungen nennen solchen Missbrauch der menschlichen Freiheit »Sünde«. Wollen wir nicht leichtfertigen, illusorischen und zynischen Haltungen gegenüber dieser realen Verfasstheit von Natur und Welt das Wort reden, wollen wir uns um eine ehrliche Theologie und Frömmigkeit bemühen, so müssen wir diese Verfassung des wirklichen Lebens nüchtern ins Auge fassen. Wir müssen nach den Kräften Gottes fragen, 23 24

Siehe dazu Anm. 6. ALFRED NORTH WHITEHEAD, Process and Reality: An Essay in Cosmology, Gifford Lectures 1927–28, Corrected Edition, New York: Free Press 1978, 105.

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die uns nicht in eine Traumwelt versetzen, sondern die uns in dieser Welt, die gezeichnet ist von Endlichkeit, Vergänglichkeit, von Gefährdung und Selbstgefährdung unter der Macht der Sünde, Orientierung geben, die uns erhalten, retten und erheben wollen. Diese Kräfte Gottes sind uns nach den biblischen Zeugnissen durch den Heiligen Geist gegeben, der im Leben und Wirken Jesu Christi klare Gestalt gewinnt, genauer, der uns eine Vielzahl von gestaltenden Gaben und Kräften vermittelt, die uns auf die Wege der Wahrheitssuche, der Gerechtigkeitssuche, des Schutzes der Schwachen und der Nächstenliebe, des Strebens nach Freiheit und Frieden bringt. Dieser Geist Christi weckt und entfacht in uns Menschen viele gute geistliche, schöpferische und segensreiche Kräfte, auf denen die Verheißung ruht, dass sie Kräfte des Reiches Gottes sind. Durch die Verleihung dieser Kräfte werden wir gestärkt und erhoben. Vor allem aber dürfen wir diese Kräfte dankbar in unseren Umgebungen wahrnehmen, sie zu verstärken suchen und uns durch sie belebt und »wunderbar geborgen« fühlen. Eine Geist-Christologie, mit dem Blick auf Jesus Christus und auf den durch ihn auf die Seinen ausgegossenen Geist, und eine christologisch orientierte Pneumatologie, die zahlreiche populäre und religiöse Fehlabstraktionen erübrigt, können uns auf unseren theologischen und geistlichen Wegen auch im 21. Jahrhundert zuverlässig orientieren.

Resümee aus kirchenleitender Sicht Christian Schad

Weltweit wächst das Christentum, vor allem in pfingstlichcharismatischen Gemeinden quer zu den Konfessionen. Mehr als eine halbe Milliarde Menschen zählen sich zu dieser größten Frömmigkeitsbewegung in der Geschichte der Kirche, das haben die Missions- und Religionswissenschaftler, die an dieser Konsultation teilgenommen haben, betont. Die geistbewegte Frömmigkeit der Pfingstkirchen und charismatischer Gemeinden, sie irritiert viele Menschen in unseren aufgeklärten Umgebungen. Lernen können wir allerdings von ihnen, auch unter uns die verschiedenen Gaben und Begabungen der Gemeindeglieder stärker zu würdigen und in unseren Gottesdiensten der Freude an der Emotionalität des Glaubens mehr Raum zu geben. Dabei ist die Prüfung und Unterscheidung der Geister eine bleibende Aufgabe. Weder die Betonung der bloßen Vernunft noch die Betonung der bloßen Emotionalität als solche ist ein Zeichen, dass der Heilige Geist in uns wirkt. Auch der Zulauf und das Wachsen von Gemeinden sind nicht automatisch ein Gütesiegel. Auf die Inhalte der Gaben des Geistes und ihre Wirkungen kommt es an. Das Maß ist dabei, ob der Geist sich als Geist Jesu Christi zu erkennen gibt. Ob er seiner Nachfolge und damit der wirklichen Erbauung seiner Kirche in der Gottes- und in der Nächstenliebe dient. Gottes Geist, so das gesamtbiblische Zeugnis, richtet auf, bewirkt Erbarmen mit den Armen und Schwachen und führt uns, die wir so verschieden voneinander sind, zu einer

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lebendigen Einheit zusammen. In seiner Kraft können Konflikte in fruchtbare Kontraste umgestaltet werden. Die Beschäftigung mit dem Thema »Creator Spiritus – Das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema« zeigt, wie überlebenswichtig es ist, sich immer wieder theologischen Grundsatzfragen interdisziplinär neu zu stellen. Ich plädiere deshalb ausdrücklich dafür, dass wir als Kirche auch in Zukunft die Kontakte zu den theologischen Ausbildungsstätten pflegen – und gegenüber der wissenschaftlichen Theologie und ihren Vertreterinnen und Vertretern verstärkt das Vertrauen und die Erwartung artikulieren, die sich daraus ergeben, dass die Theologie eine unabdingbar Funktion des christlichen Glaubens und der Kirche ist.

Resümee der Fakultäten Uta Heil

Es war etwas überraschend für mich, dass ausgerechnet eine Vertreterin aus dem Fach Kirchengeschichte die Aufgabe übertragen bekommen hatte, das Resümee der Fakultäten zu formulieren ‒ vor allem angesichts des deutlichen Überhangs an systematischen Theologen bei der diesjährigen Konsultation zum Wirken des Heiligen Geistes. Aber eigentlich passt das auch wiederum sehr gut zum Fach Kirchengeschichte, denn alles, was Sie heute sagen und unternehmen, ist ab morgen, wenn es zum Gestern wird, Bestandteil der Kirchengeschichte. Da ich bei früheren Treffen nicht dabei war, kann ich keinen Vergleich ziehen, aber eines lässt sich sicher sagen: Es war sehr anregend, zu einem Thema gebündelt akademische Theologie mit Kirchenleitungen zusammenzubringen. So konnte überregional, also Landeskirchen und örtliche Fakultäten übergreifend, das praktiziert werden, was von den Theologischen Fakultäten immer gewünscht wird, nämlich die Relevanz akademischer Theologie für die Kirche zu zeigen – wobei sich wieder erwiesen hat, dass die wissenschaftliche Theologie immer im Plural als wissenschaftliche Theologien zu denken ist. An dieser Stelle möchte ich jetzt nicht die einzelnen Referate noch einmal zusammenfassen. Wir haben immer genügend Zeit gehabt, im Anschluss an die Vorträge darüber zu diskutieren. Vielleicht hätte noch ein Vortrag aus dem Fach »Neues Testament« das Bild abgerundet sowie auch ein Beitrag zur Entstehung der Trinitätslehre oder der Pneumatologie in der Zeit der Alten Kirche, die unter-

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schwellig oft präsent war. Dennoch war es offensichtlich, dass die Konsultationen ein gutes Medium sind, um einen Begriff von Philipp Stoellger aufzugreifen; aber ob hier auch der Heilige Geist fruchtbringend gewirkt hat? Meine Nachbemerkungen möchte ich unter folgende drei Überschriften stellen: 1. Zeitgeist oder: eine »apologetische« Theologie; 2. Geisterbahn oder: Geist und Vernunft und 3. Streitbare Geister oder: notwendige Streitgespräche. 1. Zeitgeist oder: eine »apologetische« Theologie Jede Theologie ist ein Kind ihrer Zeit – aber ein allzu deutliches Schielen auf den Zeitgeist ist auch problematisch. Denn ich habe den Eindruck, dass unsere Debatten von zwei apologetischen Zügen gekennzeichnet waren: Einerseits waren sie verteidigend, dass unsere Kirchen doch nicht so geistlos seien wie von charismatischen Gruppen beanstandet, andererseits verteidigend, dass aus dieser charismatischen Ecke doch auch Gutes kommen könne. Lassen wir uns da nicht zu sehr von einem bestimmten Zeitgeist treiben? Auf die Kirche bezogen meint das: Müssen wir den Gottesdienst, den Glauben als Event (um den Erfahrungsbegriff etwas zuspitzender zu problematisieren) präsentieren? Und auf die Theologie bezogen: Müssen wir schnell eine Theologie des Geistes aus dem Hut zaubern? Diese Anfrage ist nicht als Kritik an den Vorträgen zur Pneumatologie, welche die Tagung gerahmt haben, gemeint, die im Gegenteil aus dem Alarmismus herausgeführt und zum kritischen Nachdenken angeregt haben. Natürlich kann sich auch die wissenschaftliche Theologie nicht vom Zeitgeist lösen. Das zeigen z. B. gerade die am Abend angesprochenen vielen neuen interdisziplinären Forschungen, die meistens höchst aktuelle Themen des

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»Zeitgeistes« wie Migration, Bedrohung, Identitätskonstruktionen, Othering, Intersektionalität u.a. aufgreifen. Zu dem Geist der Zeit gehört auch das Schauen auf Zahlen, und zwar nicht nur bei der Kirche (Mitgliederzahlen, Wachstumsraten bei charismatischen, pfingstlerischen Bewegungen, Studierendenzahlen, …). Auch unsere Forschung wird zunehmend rein quantitativ vermessen und auf Wachstum gebürstet (Zitationsindices, Anzahl der englischen Publikationen, Summe Drittmittelgelder – wer hat mehr?, …). Das ist problematisch, denn weder wird nur dort gute Forschung betrieben, wo die meisten Gelder hinfließen, noch sitzt der Heilige Geist gerade auf dem dicksten Haufen. Dabei ist eigentlich das quantitative Argument nicht so neu – um auch ein kirchengeschichtliches Beispiel anzubringen: Im vierten Jahrhundert haben die Arianer, genauer gesagt die Homöer, damit argumentiert, dass auf ihrer Synode (Rimini im Jahr 359) mehr Bischöfe waren, nämlich 400, als in Nizäa im Jahr 325, da waren es nur 300. Nach dieser Logik hat dann eine Minderheit schließlich die Trinität durchgesetzt mit dem Heiligen Geist als dritte, wesenseine Person – offenbar sehr zum Bedauern von einigen Referenten der Konsultationen! Das Schwierige ist natürlich, dass wir in vielen Dingen nicht erkennen, wie wir vom Zeitgeist geprägt sind und schon gar nicht das Wirken des Heiligen Geistes mit dieser quantitativen Methode einfangen können, weder in der Kirche noch in der wissenschaftlichen Theologie. Überdies ist die Unterscheidung der Geister ein schwieriges Unterfangen – denn wir leben noch nicht im Schauen, sondern nur im Glauben. Aber das ist nicht billiger zu haben (um einen Satz aus dem Vortrag von Konrad Schmid aufzugreifen).

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2. Geisterbahn oder: Geist und Vernunft Geist (pneuma) muss mit Vernunft (nous) zusammenkommen, sonst geistern wir irrlichternd wie auf einer Geisterbahn durch die Gegend. Das ist ein weiterer Aspekt zum Weiterdenken des Themas der Konsultationen, so wie ja auch schon in der Diskussion die Erweiterung der Pneumatologie zur Angelogie zur Sprache kam. Und er knüpft an Ausführungen von Peter Zimmerling an, nachdem er bei einer Geisterfahrung die Reflexion darüber eingefordert hatte, um eine Distanz zur unmittelbaren Erfahrung zu erreichen: Geisterfahrungen seien in Bezug auf die Rechtfertigungstheologie zu reflektieren, auch in Bezug auf die Trinitätstheologie und Schöpfungstheologie und ihre soteriologischen Dimensionen. Auch Corinna Dahlgrün hatte auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine entsprechende Kriteriologie für charismatische Phänomene zu entwickeln (z.B.: Stehen sie unter dem Doppelgebot der Liebe? Welches sind ihre Früchte?). Nur so kann ferner mit einer problematischen heilsgeschichtlichen Deutung des Geistwirkens kritisch umgegangen werden. Wie in systematischtheologischer Hinsicht Geist und Vernunft zusammenkommen können, dürfen gerne die Systematiker beantworten; vielleicht ist die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ein sinnvoller Anknüpfungspunkt. 3. Streitbare Geister oder: notwendige Streitgespräche Aber woher wollen wir wissen, dass wir uns nicht doch in einer Geisterbahn befinden? Das führt zum letzten Punkt: Ein Streitgespräch muss sein, auch wenn wir uns dabei manchmal »auf den Geist gehen«. Das ist natürlich nicht so einfach. Und ein gutes Streitgespräch ist etwas Anderes als ein so oft gewünschter, aber wohl idealisierter »offener« Dialog, bei dem sich beide Seiten ohne Vormeinung auf

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eine gemeinsame Wahrheitssuche begeben. Nein, bei einem Streitgespräch haben beide (oder auch drei) Seiten einen Standpunkt, versuchen einander zu überzeugen, müssen Argumente entwickeln, sich auf Gegenargumente einlassen, darauf reagieren und diese erwidern können. Vielleicht lässt sich das Gegenüber überzeugen, wenigstens aber die Zuhörer oder ein Teil davon; vielleicht gibt es ein protokollierbares Ergebnis. Das erfordert Mut, Können, Bildung und rhetorisches Geschick – und eine Bereitschaft, Andersdenkende mit einzubeziehen. Vielleicht lassen sich so die »reduzierten Abstraktionen« (um einen Begriff von Michael Welker aufzugreifen) sowie die begrenzten Formen des eigenen Denkens aufbrechen. Denn die Frage lautet ja: Wie kommt man aus seinen eigenen »Abstraktionen« oder seiner eigenen »Denk-Blase« heraus? Doch nur durch eine unmittelbare konfrontative Auseinandersetzung. Um erneut ein Beispiel aus der Alten Kirche anzubringen: Für Augustinus (gest. 430) gehörte die Kunst, ein Streitgespräch zu führen, zum »Job-Profil« eines guten Bischofs und er hat sich ja bekanntlich mit vielen gestritten. Das waren durchaus bedeutende öffentliche Ereignisse, manchmal sogar in den großen Thermen mit vielen hundert Personen. Aber nicht nur im Umfeld von Augustinus, sondern in der Alten Kirche allgemein gab es viele Disputationen, auch später noch in der Scholastik sowie zur Zeit der Reformation, wenn Sie mir diesen sehr oberflächlichen Überblick gestatten. Heute allerdings sind wir meines Erachtens zu vorsichtig, rücksichtsvoll, konfliktscheu und harmoniesüchtig. Aber eine Disputation ist wohl der einzige Weg, um auch aus einer eventuellen Geisterbahn herauszukommen, um auf Punkt 2 zurückzukommen, denn: Disputationen setzten auf das Vertrauen, dass der Glaube vermittelbar, erklärbar und begründbar ist, mithin kommt die Vernunft zum Einsatz. Disputationen klären Standpunkte, können

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Differenzen überwinden, müssen aber auch nicht, fordern aber auf jeden Fall heraus. Natürlich ist das Ganze auch apologetisch, um damit noch einmal den ersten Punkt anzusprechen, aber durch das Dialogische ist das doch von einer anderen Qualität. Und vielleicht kommt man auch so dem Zeitgeist auf die Spur. Die Konsultationen waren ohne Zweifel ein guter Ort des Austausches und der gegenseitigen Information. Zur Sprache kamen die Sorge der Kirchenleitung um den eventuell abhandengekommenen Geist und auch die Sorge der wissenschaftlichen Theologie um die weniger werdenden Studierenden bei wachsender theologischer Unbildung. Vielleicht sollten wir mehr Streit wagen: Wer wagt, gewinnt. Denn die Theologie an den Fakultäten hat ja nicht nur eine dienende Funktion für die Kirchenleitung, nach dem Motto: Die Kirche fragt und die Theologie liefert. Eigentlich kann die Theologie der Kirchenleitung nur dienen, wenn sie ihr nicht dient – nur so bleibt sie ein anregendes, streitbares Gegenüber, auch gegenüber dem Zeitgeist in der Kirche.

XVIII. Konsultation Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie Creator Spiritus – das Wirken des Heiligen Geistes als theologisches Grundthema 26.–28. September 2018, Tagungshaus Martin-Niemöller in Arnoldshain Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) in Verbindung mit EKD und VELKD Programm der Konsultation: Mittwoch, 26. September 2018 Andacht Kirchenpräsident Dr. Dr. h. c. Volker Jung Begrüßung und Einführung in die Tagung OKR Dr. Albrecht Philipps, Hannover Arbeitseinheit I Eröffnungsvortrag »Geist als Medium und Medien des Geistes. Zur Pneumatologie als Medientheorie«, Professor Dr. Philipp Stoellger, Heidelberg Aussprache im Plenum, Moderation: Professorin Dr. Konstanze Kemnitzer, Wuppertal Empfang der EKD Präses Dr. h. c. Annette Kurschus, Bielefeld, stellv. Vorsitzende des Rates der EKD Donnerstag, 27. September 2018 Andacht KR Dr. Volker Haarmann, Düsseldorf

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XVIII. Konsultation Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie

Arbeitseinheit II Impulsreferate zum Wirken des Geistes in biblischer Perspektive 1. »Die Entdeckung des Geistes Gottes in der Bibel«, Professor Dr. Konrad Schmid, Zürich 2. »Geist und Geister in der Hebräischen Bibel und in den Texten vom Toten Meer«, Professor Dr. Reinhard Gregor Kratz, Göttingen Diskussion in Arbeitsgruppen Aussprache im Plenum zur Arbeitseinheit II, Moderation: OKRin Henrike Müller, Hannover Arbeitseinheit III Impulsreferate zu charismatischen Anfragen an die Pneumatologie 1. »Repleti sunt omnes Spiritu Sancto: Der Geist in der pfingstlich/charismatischen Theologie«, Dr. Jörg Haustein, Cambridge 2. »Pfingstlich-charismatische Theologie und Spiritualität – eine Herausforderung an das etablierte Christentum«, Professor Dr. Peter Zimmerling, Leipzig Aussprache im Plenum zur Arbeitseinheit III, Moderation: Professor Dr. Michael Roth, Mainz Arbeitseinheit IV Impulsreferate zu Pneumatologie und Frömmigkeit 1. »Fremde Sprachen, Ekstase, Feuerzungen?! Pfingstliche Spiritualität in Gottesdienst und ›praxis pietatis‹«, Professorin Dr. Corinna Dahlgrün, Jena 2. »Der Geist, der lebendig macht … Pneumatologie und Empirie«, Professor Dr. Dirk Evers, Halle (Saale) Diskussion in Arbeitsgruppen

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Aussprache im Plenum zur Arbeitseinheit IV, Moderation: Professorin Dr. Heike Walz, Neuendettelsau Berichte zur Lage der Theologischen Fakultäten und der Kirchenleitungen Freitag, 28. September 2018 Andacht OLKRin Margrit Klatte, Dresden Arbeitseinheit V Schlussvortrag »Heiliger Geist, Geist-Ausgießung und GeistChristologie«, Professor em. Dr. Dr. Dres. h. c. Michael Welker, Heidelberg Aussprache im Plenum zum Schlussvortrag, Moderation: OKRin Dr. Christiane de Vos, Hannover Resümee der Kirchenleitungen Kirchenpräsident Dr. h. c. Christian Schad, Speyer Resümee der Fakultäten Professorin Dr. Uta Heil, Wien Aussprache im Plenum Schlussworte, Moderation: Professor em. Dr. Dr. h. c. Michael Beintker, Münster Konzeption Vorbereitungsgruppe aus EKD, UEK und VELKD Michael Beintker, Claas Cordemann, Karl-Hinrich Manzke, Albrecht Philipps, Christian Schad, Christiane de Vos Geschäftsführung Amtsbereich der UEK im Kirchenamt der EKD, Hannover

Teilnehmende an der Konsultation

Professor Dr. Reiner Anselm Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Achim Behrens Lutherische Theologische Hochschule Oberursel Professor em. Dr. Dr. h. c. Michael Beintker Westfälische Wilhelms-Universität Münster Professorin Dr. Corinna Dahlgrün Friedrich-Schiller-Universität Jena Oberkirchenrat Dr. Matthias de Boor Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland Oberkirchenrätin Dr. Christiane de Vos Kirchenamt der EKD Professor Dr. Gregor Etzelmüller Universität Osnabrück Professor Dr. Dirk Evers Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Oberkirchenrat Christian Fuhrmann Ev. Kirche in Mitteldeutschland Vizepräsident Dr. Horst Gorski Amtsbereich der VELKD

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Teilnehmende an der Konsultation

Kirchenrat Dr. Volker Haarmann Ev. Kirche im Rheinland Oberkirchenrat Dr. Martin Hauger Kirchenamt der EKD Dr. Jörg Haustein University of Cambridge Oberkirchenrat Professor Dr. Ulrich Heckel Ev.-Luth. Landeskirche in Württemberg Professorin Dr. Uta Heil Universität Wien Professor Dr. Andreas Heuser Universität Basel Kirchenpräsident Dr. Dr. h. c. Volker Jung Ev. Kirche in Hessen und Nassau Professorin Dr. Konstanze Kemnitzer Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel Oberlandeskirchenrätin Margrit Klatte Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens Professorin Dr. Rebekka Klein Ruhr-Universität Bochum Professor Dr. Reinhard Gregor Kratz Georg-August-Universität Göttingen Professor Dr. Lukas Kundert Evangelisch Reformierte Kirche Basel-Stadt

Teilnehmende an der Konsultation

Präses Dr. h. c. Annette Kurschus Evangelische Kirche von Westfalen Pastor Dr. Bernd Kuschnerus Bremische Evangelische Kirche Professorin Dr. Ute Mennecke Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Landesbischof Dr. Dr. h. c. Christoph Meyns Ev.-Luth. Landeskirche in Braunschweig Oberkirchenrätin Henrike Müller Amtsbereich der VELKD Oberkirchenrat Dr. Andreas Ohlemacher Amtsbereich der VELKD Oberkirchenrat Dr. Albrecht Philipps Amtsbereich der UEK Kirchenrat Dr. Günter Riedner Ev.-Luth. Kirche in Bayern Professor Dr. Michael Roth Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Kirchenpräsident Dr. h. c. Christian Schad Ev. Kirche der Pfalz Professor Dr. Konrad Schmid Universität Zürich Professor Dr. Anselm Schubert Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

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Teilnehmende an der Konsultation

Professor Dr. Philipp Stoellger Universität Heidelberg Kirchenrat Tobias Treseler Lippische Landeskirche Dr. Hans-Georg Ulrichs Universität Osnabrück Professorin Dr. Heike Walz Augustana-Hochschule Neuendettelsau Professor em. Dr. Dr. Dres. h. c. Michael Welker Universität Heidelberg Professor Dr. Peter Zimmerling Universität Leipzig

Autorinnen und Autoren

Professor Dr. Dirk Evers (geb. 1962) Professor für Systematische Theologie an der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg Professorin Dr. Corinna Dahlgrün (geb. 1957) Professorin für Praktische Theologie an der FriedrichSchiller-Universität Jena Professorin Dr. Uta Heil (geb. 1966) Universitätsprofessorin für Kirchengeschichte an der Universität Wien Dr. Jörg Haustein (geb. 1975) University Lecturer in World Christianities an der University of Cambridge Dr. Dr. h. c. Volker Jung (geb. 1960) Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Professor Dr. Reinhard Gregor Kratz (geb. 1957) Professor für Altes Testament an der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Albrecht Philipps (geb. 1970) Oberkirchenrat, Theologischer Referent der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK) in Hannover

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Autorinnen und Autoren

Dr. h. c. Christian Schad (geb. 1958) Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) Professor Dr. Konrad Schmid (geb. 1965) Professor für alttestamentliche Wissenschaft und frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich Professor Dr. Philipp Stoellger (geb. 1967) Professor für Systematische Theologie: Dogmatik und Religionsphilosophie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Professor em. Dr. Dr. Dres. h. c. Michael Welker (geb. 1947) Seniorprofessor, Geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums Internationale und Interdisziplinäre Theologie (FIIT) an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Professor Dr. Peter Zimmerling (geb. 1958) Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig