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German Pages 320 Year 2020
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 292
Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht Zugleich eine konzeptionelle Betrachtung über die Berücksichtigung rechtlicher Rückwirkungsfiktionen im Strafrecht
Von
Maximilian Lenk
Duncker & Humblot · Berlin
MAXIMILIAN LENK
Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 292
Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht Zugleich eine konzeptionelle Betrachtung über die Berücksichtigung rechtlicher Rückwirkungsfiktionen im Strafrecht
Von
Maximilian Lenk
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Jörg Eisele, Tübingen Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten
© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-15923-9 (Print) ISBN 978-3-428-55923-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Arbeit lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen im Sommersemester 2019 als Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Anfang November 2019 berücksichtigt werden. Besonderer Dank gebührt zuvorderst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jörg Eisele, der der Betreuung meiner Doktorarbeit sogleich zustimmte und mich in meinem Forschungsvorhaben stets unterstützte. Zu danken habe ich Frau Prof. Dr. Barbara Remmert für die rasche Zweitbegutachtung einer Arbeit, die zwar zahlreiche Verschränkungen mit dem Öffentlichen Recht aufweist, schwerpunktmäßig aber im Strafrecht angesiedelt ist. Schließlich gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Bernd Hecker, als dessen Assistent ich tätig sein darf und der mir jeden erdenklichen Freiraum zur Erstellung dieser Arbeit einräumte. Für die sorgfältige Korrektur danke ich meinem Onkel Herrn Dr. Manfred Stütz. Gefördert wurde die Arbeit von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ohne den Rückhalt und die immerwährende Unterstützung meiner Eltern Ulrich und Ulrike Lenk wäre mir die Anfertigung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit in Dankbarkeit gewidmet. München, im November 2019
Maximilian Lenk
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einführung
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§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Verwaltungsakt im Strafrecht – Verwaltungsaktakzessorisches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der rechtsgestaltende Verwaltungsakt im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die statusbegründende Täterqualifikation durch Verwaltungsakt . . . 2. Der statusbegründende Verwaltungsakt im Strafanwendungsrecht . . 3. Die Entstehung strafrechtlich geschützter Tatobjekte durch Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der befehlende Verwaltungsakt im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung einer strafbewehrten Handlungspflicht durch Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung einer Handlungspflicht im Rahmen einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit (§ 54a Abs. 3 KWG) . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der feststellende Verwaltungsakt im Strafrecht (§§ 85, 86, 86a StGB, § 20 VereinsG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der begünstigende Verwaltungsakt im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die behördliche Genehmigung als unrechtsausschließendes Merkmal 2. Die Genehmigung als Strafaufhebungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 23 23 24 24 25 26 27 28 29 29 30 31
Zweiter Teil Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht § 4 Historische Entwicklung des Verwaltungsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verwaltungsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sonderrolle des Verwaltungsstrafrechts im Reichsstrafgesetzbuch . II. Verwaltungsstrafrecht im wissenschaftlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
§ 5 Verwaltungsrecht und Strafrecht als Teilgebiete des öffentlichen Rechts – Parallelen und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A. Ausgangpunkt – Strafrecht und Verwaltungsrecht als Teilgebiete des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Die Wahrnehmung der öffentlichen Interessen durch Verwaltungsrecht und Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Die zukunftsorientierte Ausrichtung des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . 44 II. Die vergangenheitsbewältigende Funktion des Strafrechts . . . . . . . . . . . . 45 III. Die Friktionen verwaltungsrechtlicher Prävention und strafrechtlicher Repression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Die unterschiedlichen Regelungskonzeptionen zur Wahrnehmung der öffentlichen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Das Verwaltungsrecht – Die bewahrende Ordnungsverwaltung . . . . . . . 49 1. Behördliche Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Behördliche Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Deliktstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Deliktstypen im verwaltungsaktakzessorischen Kontext . . . . . . . . . . . 57 a) Strafnormen im Kontext der behördlichen Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Strafnormen im Kontext der behördlichen Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 D. Verwaltungs- und strafrechtliche Konkordanz im Rahmen einer einheitlichen Rechtsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Bisherige Bemühungen um eine straf- und verwaltungsrechtliche Konkordanz im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Strafrecht im Zusammenhang mit der behördlichen Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und strafrechtlichem Deliktstyp? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und strafrechtlichem Unrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und deliktssystematischer Stellung der behördlichen Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Differenzierende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Andere Ansätze – Exklusiv tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Inhaltsverzeichnis d) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Eingriffsbefugnis und strafrechtlichem Unrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafrecht im Zusammenhang mit der behördlichen Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil Rechtliche Anforderungen an die unrechtsbegründende und unrechtsausschließende Wirkung des Verwaltungsakts § 6 Rechtliche Anforderungen an den Verwaltungsakt im Strafrecht . . . . . . . . A. Die Fehlerfolgenlehre des Verwaltungsakts und seine strafrechtlichen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Nichtigkeitsdogma bezüglich rechtsfehlerhaften Verwaltungshandelns und seine Durchbrechung im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . II. Die Bedeutung verwaltungsverfahrensrechtlicher Nichtigkeit (§§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG) im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit (§ 44 VwVfG) im Rahmen strafbewehrter Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte und ungenehmigter Handlungen . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit bei feststellenden Verwaltungsakten im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit bei statusbegründenden Verwaltungsakten im Strafrecht – am Beispiel des strafrechtlichen Beamtenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwaltungsaktakzessorietät oder strafrechtsautonome Fehlerfolgenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandsausschließende behördliche Genehmigungen . . . . . . . . . a) Streng verwaltungsaktakzessorisches Verständnis . . . . . . . . . . . . . b) Eingeschränkte Verwaltungsaktakzessorietät kraft Gesetz . . . . . . aa) Fälle gesetzlicher Anordnung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eingeschränktes verwaltungsaktakzessorisches Verständnis . . . . aa) Mittels verwaltungsverfahrensrechtlicher Instrumente . . . . . bb) Mittels des Rechtsmissbrauchsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verwaltungsrechtakzessorisches Verständnis – Strafrechtsautonome Wirksamkeitsbestimmung mittels Durchgriff auf das materielle Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Strafrechtsautonome Nichtigkeitsbestimmung vs. strenge Verwaltungsaktakzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 80 81 81 83
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Inhaltsverzeichnis (2) Die Ungeeignetheit des Rechtsmissbrauchsgedankens als strafrechtliches Korrektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Ungeeignetheit verwaltunsverfahrensrechtlicher Korrektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbewehrte Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streng verwaltungsaktakzessorisches Verständnis . . . . . . . . . . . . . b) Verwaltungsrechtakzessorisches Verständnis – Strafrechtsautonome Wirksamkeitsbestimmung mittels Durchgriff auf das materielle Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gewaltenteilungsprinzip und Richtermonopol . . . . . . . . . (4) Rechtsweggarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Feststellende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Spezialfall: Unionsrechtswidrige Verwaltungsakte und direkte Kollisionen des Verwaltungsakts mit Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsvorrang des Unionsrechts vs. Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Zeitpunkt der Verbindlichkeit des Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungsrechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verbindlichkeit als Primärwirkung des Verwaltungsakts . . . . . . . 2. Entfall der aufschiebenden Wirkung und die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO . . . . . . . . . . . . 3. Die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafrechtliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandsausschließende behördliche Genehmigung . . . . . . . . . . . . 2. Belastende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafrechtsspezifische Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Modifikationen der strafrechtlichen Verbindlichkeit aa) „Unanfechtbarer“ Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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bb) „Vollziehbarer“ Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 d) Folgen für die Aufhebung von Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . 153 § 7 Strafrechtliche Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . A. Die aufschiebende Wirkung als Wirksamkeits- oder Vollzugshemmung . . . B. Notwendigkeit eines Streitentscheids für die strafrechtliche Betrachtung . . C. Strafrechtliche Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . I. Strafrechtliche Auswirkungen bei Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafrechtliche Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung auf bereits genehmigte Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 8 Fehlvorstellungen des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A. Fehlvorstellungen des Täters bei genehmigungspflichtigen Tätigkeiten . . . 163 B. Fehlvorstellungen bei strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Vierter Teil Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe als strafrechtliches Nachtatgeschehen § 9 Konzeptionelle Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen beim belastenden Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtliche Rückwirkungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe und strafrechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rückwirkungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . 2. Rückwirkung der gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rückwirkung der behördlichen Aufhebung des Verwaltungsakts . . . a) Die Aufhebung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens . . . . . . b) Die Grundtatbestände zur behördlichen Aufhebung von Verwaltungsakten,§§ 48, 49 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, § 48 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, § 49 VwVfG II. Strafrechtliche Lösungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnung einer Berücksichtigung des Nachtatgeschehens . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Zustimmung zur Berücksichtigung des Nachtatgeschehens . . . . . . . . 3. Prohibitive Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verwandte Rückwirkungsproblematiken aus anderen Rechtsgebieten und strafrechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zivilrechtliche Rückwirkungen und strafrechtliche Lösungsansätze . . . 1. Eigentumsdelikte – Rückwirkende Änderung der Eigentumslage durch Anfechtung (vgl. § 142 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke bei nachträglicher Genehmigung durch den Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafprozessuale Rückwirkungen und (materiell-)strafrechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Immaterialgüterrechtliche Rückwirkungen am Beispiel des Markenund Patentrechts und strafrechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Würdigung der Lösungsansätze unter rechtskonstruktiver Betrachtung rechtlicher Rückwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtskonstruktive Erklärungsansätze für rechtliche Rückwirkungen . . 1. Die Fiktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Deklarationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beurteilung verwaltungsrechtlicher Rückwirkungen nach der Deklarations- oder Fiktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsfolgen der unterschiedlichen Erklärungsansätze und Kritik an der Deklarationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsrechtliche Rückwirkungen als rechtliche Fiktionen . . . . III. Kritische Würdigung der strafrechtlichen Lösungsansätze unter Zugrundelegung der Fiktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Berücksichtigung des Nachtatgeschehens nach der Tatbestandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die prohibitive Berücksichtigung des Nachtatgeschehens . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Berücksichtigung von Nachtatgeschehen im Strafrecht als Kompensation „unechter“ Rechtskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtskollision als Kompensationbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kollisionslage durch verwaltungsrechtlich bedingte Rückwirkungen 2. Kollisionslage durch zivilrechtlich bedingte Rückwirkungen . . . . . . 3. Kollisionslage durch strafprozessual bedingte Rückwirkungen . . . . . 4. Kollisionslage durch immaterialgüterrechtliche Rückwirkungen . . . II. Kompensationsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtsimmanente Begründungsansätze und Kritik . . . . . . . . . . . . a) Zur Grundlage des staatlichen Strafausspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur nachträglichen Korrektur des strafrechtlich geschützten Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 180 181 181 182 183 184 187 190 191 192 193 194 194 195 196 196 197 199 200 201 201 201 202 202 203 203 204 205 205
Inhaltsverzeichnis
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c) Zu Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Grundsätzliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Gesetzliche Anknüpfungspunkte zur Bedeutung von Nachtatgeschehen im Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Begründungsansätze im intertemporalen Kontext des Strafrechts . . 212 a) Kompensation nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB . 212 b) Kompensation nach dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 1 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Außerstrafrechtlicher Begründungsansatz – Kompensation der Rechtskollision unter Berücksichtigung des außerstrafrechtlichen „Rückgewährverhältnisses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Der verfassungsrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch als Strafaufhebungsgrund im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht . . 214 aa) Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Die Strafbarkeit als mittelbar adäquate Vollzugsfolge . . . . . . 217 cc) Strafrechtsspezifische Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Zusammenhang zwischen rechtswidrigem Verwaltungshandeln und verwirklichtem Strafunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Anspruchsausschluss – Der Folgenbeseitigungsanspruch als Kompensationsinstrument zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 III. Der Folgenbeseitigungsanspruch als Strafaufhebungsgrund bei den verwaltungsrechtlich bedingten Rückwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Strafaufhebungsgrund bei gerichtlicher Aufhebung des Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Strafaufhebungsgrund bei behördlicher Aufhebung des Verwaltungsakts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Kein Strafaufhebungsgrund bei behördlicher Aufhebung nach Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Strafaufhebungsgrund bei behördlicher Aufhebung vor Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Strafaufhebungsgrund bei aufschiebender Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1, Abs. 5 VwGO)? . . . . . . . . . . . . 227 IV. Berücksichtigung des außerstrafrechtlichen Rückgewährverhältnisses bei den verwandten Rechtskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Zivilrechtliche Rückwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Strafprozessuale Rückwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Immaterialgüterrechtliche Rückwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
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Inhaltsverzeichnis
§ 10 Übertragung der Ergebnisse auf andere Fallgruppen rechtlicher Rückwirkungen im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . 233 A. Verwaltungsrechtliche Rückwirkungen bei der behördlichen Genehmigung 234 I. Belastende Rückwirkung – Rückwirkende Aufhebung behördlicher Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Begünstigende Rückwirkung – Rückwirkende Genehmigung bislang ungenehmigter Verhaltensweisen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Die verwaltungsrechtliche Zulässigkeit rückwirkender Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Strafaufhebungsgrund bei rückwirkender Genehmigung ursprünglich ungenehmigten Verhaltens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 B. Rechtliche Rückwirkungen in weiteren Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Rechtliche Rückwirkung bei statusbegründender Täterqualifikation durch Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Rechtliche Rückwirkungen bei feststellenden Verwaltungsakten . . . . . . 242 III. Rechtliche Rückwirkungen bei pflichtenbegründenden Verwaltungsakten innerhalb objektiver Strafbarkeitsbedingungen (vgl. § 54a Abs. 3 KWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 IV. Rechtliche Rückwirkungen bei statusbegründenden Merkmalen durch Verwaltungsakt innerhalb des Strafanwendungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Aktives Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Passives Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 V. Rechtliche Rückwirkungen beim Strafaufhebungsgrund § 331 Abs. 3 2. Var. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 § 11 Strafprozessuale Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 A. Prozessuale Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 B. Prozessuale Realisierung des nachträglichen Strafaufhebungsgrunds im Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Würdigung einer Aussetzungspflicht unter Betrachtung der vom Folgenbeseitigungsanspruch und den Strafaufhebungsgründen ausgehenden Risikosphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 II. Würdigung einer Aussetzungspflicht unter dem verfassungsrechtlichen Belang eines effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) . . 250 III. Prozessuale Realisierung im Wege einer Aussetzungspflicht gemäß § 262 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Umfassende Geltung des Beschleunigungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . 252 C. Prozessuale Realisierung des nachträglichen Strafaufhebungsgrunds im Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis
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Fünfter Teil Verwaltungsentscheidungsakzessorietät im europäischen und internationalen Kontext
256
§ 12 Transnationale, europäische und sonstige ausländische Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 A. Transnationale Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Definition und Erscheinungsformen im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Wirkungsbezogene Transnationalität von Verwaltungsakten im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Adressatenbezogene Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Behördenbezogene Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Geltungsanspruch transnationaler Verwaltungsentscheidungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung und rechtlicher Bewertungsmaßstab 261 1. Geltungsanspruch transnationaler Verwaltungsentscheidungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Verfahrensrecht des Erlassstaates als grundsätzlicher Maßstab für transnationale Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Vereinheitlichung des Verfahrensrechts durch unions- beziehungsweise völkerrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 III. Transnationale Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht . . . . . . . . . . . 266 1. Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Geltungsanspruch ausländischer Fahrerlaubnisse innerhalb Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Verfahrensrechtliche Wirksamkeit ausländischer Fahrerlaubnisse 269 2. Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Geltungsanspruch der von anderen Mitgliedstaaten erteilten Visa in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Verfahrensrechtliche Wirksamkeit des von einem Mitgliedsstaat erteilten Visums und Durchbrechung der Verwaltungsakzessorietät gemäß § 95 Abs. 6 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 326 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 4. Exkurs: Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 284 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 B. Europäische Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 C. Sonstige ausländische Behördenentscheidungen im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
16
Inhaltsverzeichnis I. Regelungsfunktion des § 330d Abs. 2 StGB – Abgrenzung zu den transnationalen Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einschränkung durch das Strafanwendungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten bei ausländischen Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begünstigende Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belastende Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 280 284 286 287 288
§ 13 Ausblick: Rechtsbehelfe im Rahmen transnationaler, europäischer und sonstiger ausländischer Verwaltungsentscheidungen und strafrechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 A. Rechtsbehelfe gegen begünstigende Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . 290 B. Rechtsbehelfe gegen belastende Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . 291 Sechster Teil Schluss
293
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
Erster Teil
Einführung § 1 Einleitung Straftatbestände regeln bekanntlich nicht immer alle Voraussetzungen selbst. Entsprechend finden sich im Strafgesetzbuch, insbesondere aber auch im Nebenstrafrecht zahlreiche Verzahnungen mit verwaltungsrechtlichen Entscheidungen. Als Beleg hierfür genügt der Verweis auf § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB, der die Verwaltungsakzessorietät in ihren Ausprägungen der Verwaltungsrecht-, der Verwaltungsjudikat-, Verwaltungsvertrag- und Verwaltungsaktakzessorietät in einer Norm vereint.1 Allein letzterer widmet sich die vorliegende Arbeit. Dabei soll nicht verkannt werden, dass für Einzelprobleme bereits ein kaum mehr überschaubares Angebot von Lösungsvorschlägen existiert. Gesamtbetrachtend blieben die verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsprozessualen Grundlagen, und damit das Fundament dessen, auf das sich die verwaltungsaktakzessorischen Merkmale im Strafrecht beziehen, jedoch nur stiefmütterlich behandelt. Gerade die verwaltungsrechtlichen Grundlagen und die einhergehenden Unterschiede zum Strafrecht sind es aber in Wahrheit, die mitunter zu der Frage führten, ob das Strafrecht die Verzahnung mit dem Verwaltungsrecht beziehunsgsweise konkret dem Verwaltungsakt überhaupt ohne Wesensverlust übersteht.2 Diese Befürchtungen gründen auf einer gewissen Unfreiheit des Strafrechts. Insbesondere wegen der Abhängigkeit des Strafrechts von außerstrafrechtlichen Rechtssätzen und Behördenentscheidungen ist das Strafrecht von seiner Eigenständigkeit abgekommen. Auf der Grundlage dieser Modifizierung muss sich das Strafrecht mitsamt seinen Grundsätzen bewähren, ohne dabei die oftmals als Bürde empfundenen Implikationen anderer Rechtsgebiete unberücksichtigt zu lassen. Die Konfliktträchtigkeit von verwaltungs- und strafrechtlicher Beziehung zeigt sich im Besonderen bei den vom Verwaltungsrecht angeordneten Rückwirkungen und deren strafrechtlicher Bewältigung. Im subordinationsrechtlichen Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürger ordnet das Verwaltungsrecht oftmals die rückwirkende Vernichtung hoheitlicher Akte an, wenn sie sich nachträglich als rechtswidrig erweisen. Die zunächst scheinbar existenten Bescheide werden 1 Vgl. zu all diesen Erscheinungsformen die umfassende Darstellung bei Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, passim; auch Saurer, Verw 2017, 339 ff. 2 Konkret befürchtet einen solchen Wesensverlust Kühl, Lackner-FS, S. 815 (826).
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1. Teil: Einführung
sodann von der Rechtswirklichkeit behandelt, als habe es sie nie gegeben. In diesem juristischen Abenteuerland der Fiktionen steht die strafrechtliche Regie vor der Frage, wie sie mit diesen Akteuren umgeht. Bereits zuvor muss sie sich fragen: Was ist Fiktion und Wirklichkeit und welches ist die für das Strafrecht maßgebliche? Der vom Gesetzgeber der Verwaltung an die Hand gegebenen Macht, ihrem Handeln mit dem Hinweis auf die Strafbewehrung Nachdruck zu verleihen,3 steht sodann die Ohnmacht der Strafrechtswissenschaft im Umgang mit verwaltungsrechtlich bedingtem Nachtatgeschehen gegenüber. Bei der Vielzahl verwaltungsaktakzessorischer Merkmale in unterschiedlichsten Rechtsbereichen scheint in den Hintergrund zu treten, dass diese Komplikationen stets dieselben Ursachen in ebenjener Verzahnung von Strafrecht und Verwaltungsrecht haben. Es kann insoweit nicht verwundern, dass teils deliktspezifische Sonderwege beschritten werden, die etwa in Abhängigkeit der jeweiligen verfassungsrechtlichen Implikationen gleich ausgestaltete Straftatbestände differenziert betrachten und auslegen wollen.4 Gleichwohl erscheinen sie wenig gewinnbringend; im Gegenteil ist zu befürchten, dass das Strafrecht hierdurch an Kontur und Vorhersehbarkeit verliert. Erfolgsversprechender erscheint vor diesem Hintergrund, die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht gesamtbetrachtend zu untersuchen. Möglicherweise finden in einer solchen Betrachtung sowohl die strafrechtlichen Grundsätze wie auch die verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsprozessualen Grundlagen hinreichende Berücksichtigung, mithin das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht seine systemgerechte Lösung.
§ 2 Ziel und Gang der Untersuchung Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines Systems, mit dessen Hilfe sich verwaltungsrechtliche Entscheidungen und Rechtsbehelfe in Voraussetzungen und Rechtsfolgen gesamtbetrachtend und auf einer möglichst gleichmäßigen Grundlage in das Strafrecht einordnen lassen. Die unterschiedlichen Funktionen des Verwaltungsakts im Strafrecht sollen dabei beschrieben und die rechtlichen Anforderungen, die das Strafrecht an den Verwaltungsakt stellt, definiert werden. In Abhängigkeit davon werden die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe und deren strafrechtliche Implikationen aufgezeigt. Dies insbesondere unter Berücksichtigung des temporären Kontexts, weil der Zeitpunkt, zu dem der Betroffene von den Rechtsbehelfen Gebrauch macht, mit darüber entscheidet, ob die Rechtsfolge Auswirkungen auf die Voraussetzungen der Strafbarkeit zeitigt oder aber als strafrechtliches Nachtatgeschehen eine gänzlich eigenständige Be3 Vgl. Berg, WiVerw 1982, 169 (177), welcher der Verwaltung diesbezüglich Bequemlichkeit attestiert. 4 Vgl. etwa BVerfGE 87, 399 (407 ff.); hierzu eingehend unten § 6 A. III. 2. c) dd) (1).
§ 2 Ziel und Gang der Untersuchung
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deutung gewinnt. Zuletzt setzt sich die Arbeit zum Ziel, diesen Ansatz in groben Umrissen auch für die Wirkungen ausländischer Verwaltungsentscheidungen fruchtbar zu machen, die zunehmend auf das deutsche Strafrecht ausstrahlen. Vor dem Hintergrund, dass die verwaltungsakzessorischen Merkmale im Kernstrafgesetzbuch sowie im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht inzwischen ein kaum mehr überschaubares Ausmaß angenommen haben,5 beschränkt sich die Untersuchung dabei auf das behördliche Instrument des Verwaltungsakts, das für sich genommen auf ganz vielfältige Weise Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden hat.6 Die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Verwaltungsaktakzessorietät des Strafrechts und die dem Verwaltungsakt dabei zukommenden Funktionen werden zunächst dargestellt, bevor der Untersuchungsgegenstand insbesondere auf solche Strafnormen konzentriert wird, die ein ungenehmigtes Verhalten unter Strafe stellen oder die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt pönalisieren.7 Die Schwierigkeiten der Verwaltungsaktakzessorietät liegen darin begründet, dass sich mit dem Verwaltungsrecht und dem Strafrecht zwei unterschiedliche Teilrechtsordnungen des öffentlichen Rechts überschneiden. Unter dem Begriff des sogenannten Verwaltungsstrafrechts8 blickt die Symbiose von Verwaltungsrecht und Strafrecht auf eine längere Tradition zurück. Im Anschluss an die Einführung richtet sich der Blick zunächst auf die historischen Wurzeln und analysiert, wo die ersten Herausforderungen in der Bewältigung von Verwaltungsrecht und Strafrecht ausgemacht wurden.9 Danach sollen die jeweiligen Zwecke der Verwaltungsrechtsordnung und der Strafrechtsordnung nachvollzogen und bezüglich ihrer Aufgaben, Funktionen und Regelungskonzeptionen gegenübergestellt werden.10 Auf dieser Grundlage lassen sich zahlreiche rechtsübergreifende Konkordanzen analysieren, mit deren Hilfe Bindungen des Strafrechts an das Verwaltungsrecht zu begründen versucht wurden. Das setzt den äußeren Rahmen, innerhalb dessen sich konkrete Verwaltungsentscheidungen in Strafnormen wiederfinden. Dabei sind zunächst die rechtlichen Anforderungen an den Verwaltungsakt für seine unrechtsbegründende beziehungsweise unrechtsausschließende Wirkung in den Blick zu nehmen: Erst wenn feststeht, welche verwaltungsrechtlichen Vorga5 Exemplarisch dafür steht das Merkmal der Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht in seinen Ausprägungen der Verwaltungsrecht-, der Verwaltungsjudikat-, Verwaltungsvertrag- und Verwaltungsaktakzessorietät; vgl. dazu die umfassende Darstellung bei Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, passim; auch Saurer, Verw 2017, 339 ff. 6 Dazu ausführlich unten § 3 A. 7 Vgl. dazu sub § 3 B. 8 Vgl. zur Begrifflichkeit jüngst Heger, Rengier-FS, S. 618 f. 9 Dazu ausführlich sub § 4. 10 Hierzu sub § 5.
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1. Teil: Einführung
ben für das Strafrecht und insbesondere dessen Ebenen der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit entscheidend sind, können die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe überhaupt richtig eingeordnet werden. Wer etwa behauptet, ein rechtswidriger Verwaltungsakt sei für das Strafrecht von vornherein ohne Bedeutung, muss sich um die Bedeutung eines verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfs nur noch dann kümmern, wenn er dem Strafrichter nicht auch die Rechtmäßigkeitsprüfung und sodann -korrektur zugesteht. Insoweit muss bezüglich strafausschließender Genehmigungen und strafbewehrter Verwaltungsakte zu geläufigen Streitfragen Stellung bezogen werden. Im Besonderen dazu, inwieweit das Strafrecht hinsichtlich Wirksamkeit, Nichtigkeit und Verbindlichkeit von Verwaltungsentscheidungen an die Vorgaben des Verwaltungsverfahrensrechts gebunden ist oder diese Merkmale autonom definieren kann.11 Erst im Anschluss lassen sich die Folgen der aufschiebenden Wirkung für die Strafbarkeit12 und mögliche Fehlvorstellungen des Täters über die Voraussetzungen der Strafbarkeit13 richtig einordnen. Diese Untersuchungen dienen als Fundament, um darauf aufbauend die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe als strafrechtliches Nachtatgeschehen richtig einzuordnen. Dabei steht in Frage, ob rückwirkende behördliche oder gerichtliche Entscheidungen noch Auswirkungen auf die Strafbarkeit wegen einer bereits vollendeten Tatbestandsverwirklichung haben können.14 Die Untersuchung beschränkt sich zunächst auf strafbewehrte Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte und widmet sich dabei der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage sowie der gerichtlichen und behördlichen Aufhebung des Verwaltungsakts. Im Zentrum stehen dabei die durch sie ausgelösten Rückwirkungen und infolgedessen die Frage, ob sie auf das Strafrecht durchschlagen können. Dagegen erhebt sich das Dogma, wonach das Nachtatgeschehen für das Strafrecht ohne Bedeutung sei.15 Fraglich ist, ob dieses Dogma erschüttert werden kann. Hierzu sollen auch verwandte Problematiken beleuchtet werden, um der Aufgabe gerecht zu werden, das strafrechtliche Nachtatgeschehen auf eine konzeptionelle Grundlage zu stellen. Bestenfalls können konkrete Voraussetzungen formuliert werden, die Aufschluss darüber geben, ob und wie das Nachtatgeschehen (ausnahmsweise) Bedeutung für das Strafrecht erlangen kann. Im Anschluss wird diskutiert, inwieweit die gefundenen Ergebnisse auch auf andere verwaltungsaktakzessorische Strafbarkeitsvoraussetzungen übertragbar sind.16 Abschließend bedarf es der Begutachtung, wie die 11
Dazu ausführlich sub § 6. Vgl. sub § 7. 13 Vgl. sub § 8. 14 Dazu ausführlich sub § 9. 15 Vgl. zu diesem Befund Weber, Schlüchter-GS, S. 243, der das Dogma in der Folge zu erschüttern versucht; bereits zuvor ders., Baur-FS, S. 133. 16 Dazu sub § 10. 12
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Berücksichtigung des Nachtatgeschehens gegebenenfalls prozessual realisierbar ist.17 Weder das Strafrecht noch das Verwaltungsrecht sind frei von unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Einflüssen. Mit zunehmenden und unterschiedlich ausgestalteten Verwaltungskooperationen sieht sich das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht mehr und mehr in einen europäischen und internationalen Kontext eingebettet. Wenngleich bestimmte Anwendungsbeispiele auf eine lange Historie zurückschauen, scheint es zunächst angebracht, die ausländischen Verwaltungsentscheidungen für das Strafrecht in ihren Voraussetzungen und Rechtswirkungen zu ordnen,18 bevor ein Ausblick auf die Bedeutung entsprechender Rechtsbehelfe für das Strafrecht auch in diesem Kontext skizziert werden kann.19
§ 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands A. Der Verwaltungsakt im Strafrecht – Verwaltungsaktakzessorisches Strafrecht Im Strafrecht bildet die Verwaltungsakzessorietät den abstrakten Rahmen, innerhalb dessen in einem konkreteren Sinn auch der Verwaltungsakt bedeutsam ist. Die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung, verstanden als die Abhängigkeit oder Anlehnung des Strafrechts vom logisch vorrangigen Verwaltungsrecht,20 lässt sich unterteilen in die Verwaltungsrechtakzessorietät, die begriffliche Akzessorietät, die Verwaltungsjudikatakzessorietät und Verwaltungsvertragakzessorietät sowie die für hiesige Betrachtung bedeutsame Verwaltungsaktakzessorietät.21 Das herkömmliche Verständnis der Verwaltungsaktakzessorietät knüpft dabei an Einzelfallentscheidungen der Verwaltungsbehörden an und beschränkt den Begriff – (wohl) bedingt durch die Konzentration auf das Umweltstrafrecht – auf zweierlei Arten von Straftatbeständen. Zum einen Normen, welche den Verstoß gegen eine behördlich statuierte Verhaltenspflicht sanktionieren.22 Zum anderen solche Straftatbestände, bei denen die Strafbarkeit vom Fehlen einer erforder17
Dazu sub § 11. Vgl. dazu sub § 12. 19 Hierzu schließlich sub § 13. 20 Vgl. hierzu Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 36, wenngleich er im Ergebnis der Verwaltungsakzessorietät als „weitgehend zu Schlagworten verkommen[en] und als Grundlage einer inhaltlichen Diskussion jedenfalls kaum noch brauchbar[en]“ Begrifflichkeit ablehnend gegenübersteht. 21 Zu den vielfältigen Erscheinungsformen: Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 38 ff.; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 76 ff.; SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 51 ff. 22 So jedenfalls: Fortun, Genehmigung, S. 22 ff.; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 394; MüKo/StGB-Schmitz, Vor § 324 Rn. 46; SK-StGB/Schall, Vor § 324 Rn. 56; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 89. 18
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lichen Genehmigung abhängt,23 da letztlich auch bei ihnen die Existenz einer behördlichen Einzelfallentscheidung für die Strafbarkeit maßgeblich ist.24 Sie können als verwaltungsaktakzessorische Straftatbestände im engeren Sinn verstanden werden. Versteht man die Verwaltungsaktakzessorietät in der Kontinuität der Verwaltungsakzessorietät als Abhängigkeit oder Anlehnung des Strafrechts von der logisch vorrangigen behördlichen Einzelfallentscheidung durch das Handlungsinstrument des Verwaltungsakts,25 wird ihr sehr viel größerer Dunstkreis häufig übersehen. In einem weiteren Sinne gehören hierzu auch solche Straftatbestände, innerhalb derer rechtsgestaltende Verwaltungsakte geschützte Rechtsgüter, andere Tatbestandsmerkmale oder davon unabhängige Strafbarkeitsvoraussetzungen statuieren. Der Verwaltungsakt umfasst als Handlungsinstrument eine Vielzahl behördlicher Maßnahmen. Die unterschiedlichen Aufgabenstellungen spiegeln sich in der artenreichen Ausgestaltung des Verwaltungsakts wider, die eine Aufgliederung unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten möglich macht. Das Verwaltungsrecht unterscheidet nach herkömmlichen Verständnis – anknüpfend an den Regelungsgehalt – zwischen befehlenden, gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten und, unter Rekurs auf dessen Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger, zwischen belastenden und begünstigenden Verwaltungsakten.26 Neuere Erscheinungen wie der transnationale Verwaltungsakt, welcher nach nationalem Verfahrensrecht ergeht, sich in seinen Wirkungen aber nicht auf den Geltungsbereich der nationalen Verfahrensordnung beschränkt, europäische Verwaltungsentscheidungen und sonstige ausländische Verwaltungsentscheidungen ergänzen vor dem Hintergrund staatenübergreifender Herausforderungen dieses Bild.27 Die theoretische Systematisierung des Verwaltungsakts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verwaltungsakt häufig mehrere Eigenschaften gleichzeitig innehat. Beispielsweise erlaubt die Genehmigung dem Antragsteller nicht nur eine bestimmte Tätigkeit (verfügender beziehungsweise gestaltender Teil), sondern stellt darüber hinaus fest, dass die Tätigkeit mit öffentlich-rechtlichen Vorschrif23 So nach herkömmlichem Verständnis: Breuer, NJW 1988, 2072 (2078); Eisele, BT I, Rn. 1275 ff.; Fortun, Genehmigung, S. 24 f.; Heinrich, AT, Rn. 52a; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 41 Rn. 15; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 91; vgl. Sch/Sch/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 62a; Steinhorst, Bedeutung der Rechtswidrigkeit, S. 25 ff. 24 Einer Entscheidung des rein dogmatischen Streits darüber, ob diese Normen der Verwaltungsrechtsakzessorietät näherstehen, bedarf es nicht; so etwa Breuer, JZ 1994, 1077 (1083 f.); Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 12; wohl auch Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 84; für eine Zwitterstellung plädieren: Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 41; SK-StGB/Schall, Vor § 324 Rn. 57. 25 Vgl. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 36. 26 Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 44 ff.; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 51 ff. 27 Zur Bedeutung transnationaler, europäischer und sonstiger ausländischer Verwaltungsentscheidungen eingehend sub § 12 und § 13.
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ten im Einklang steht (feststellender Teil).28 Dem belastenden Verwaltungsakt kommt eine rechtsgestaltende Wirkung zu, weil er ein konkretes Rechtsverhältnis begründet, innerhalb dessen er ein Gebot oder Verbot ausspricht.29 Ein Strafrecht, welches Verwaltungsentscheidungen in seine Sphäre miteinbezieht, sieht sich dieser Vielgestaltigkeit des Verwaltungsakts ausgesetzt. I. Der rechtsgestaltende Verwaltungsakt im Strafrecht 1. Die statusbegründende Täterqualifikation durch Verwaltungsakt Den rechtsgestaltenden Verwaltungsakt charakterisiert seine rechtsbegründende, -verändernde oder -beseitigende Rechtsfolge.30 Mit der Rechtsbegründung geht gegebenenfalls die konstitutive Begründung von strafrechtlichen Tatbestandsmerkmalen einher. Exemplarisch für den rechtsgestaltenden Verwaltungsakt verweist die verwaltungsrechtliche Lehre auf die Beamtenernennung.31 Ebenso wie für das Verwaltungsrecht taugt das Beispiel für das Strafrecht, weil die strafbegründende Täterqualifikation (Tatsubjekt) als Amtsträger unter anderem demjenigen zukommt, der nach deutschem Recht Beamter ist (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2a) StGB).32 Folglich wohnt den Amtsträgerdelikten – abstellend auf den Beamtenstatus – ein verwaltungsaktakzessorischer Charakter inne. Hierzu gehören die §§ 120 Abs. 2, 133 Abs. 3, 174b, 201 Abs. 3, 203 Abs. 2 Nr. 1, 204 Abs. 1 i.V. m. § 203 Abs. 2 Nr. 1, 206 Abs. 4, 258a Abs. 1, 331 Abs. 1, 332 Abs. 1, 339, 340 Abs. 1, 343, 344, 345, 348, 352, 353, 353b Abs. 1 Nr. 1, 355 Abs. 1, 357 StGB.33 Gleiches gilt für Sonderdelikte, die nur von einem deutschen Täter erfüllt werden können (wie es die §§ 100 Abs. 1, 129b Abs. 1 S. 2 StGB 28
Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 52; vgl. auch zur möglichen Belastung durch feststellenden Verwaltungsakt BVerwGE 72, 265 (267). Zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung BVerwGE 132, 224 (228): „Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung [. . .] bewirkt zweierlei: Zum einen gestattet sie die Errichtung und den Betrieb der genehmigten Anlage. Zum anderen stellt sie fest, dass die Anlage mit den zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist.“ 29 Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 3 („gestaltender Verwaltungsakt im weiteren Sinne“); anders aber Haaf, Fernwirkungen, S. 61 f., mit der für seine Betrachtung weitreichenden Konsequenz, dass er verfügende Verwaltungsakte den (bloß) deklaratorischen und nicht konstitutiven Staatsakten zuordnet. 30 Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 46; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 51. 31 Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 46; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 51; Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 35 Rn. 50. 32 Heghmanns, Dogmatik, S. 30 f.; im Allgemeinen hierzu Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 319 ff.; zur verwaltungsakzessorischen Ausgestaltung auch MüKo-StGB/ Radtke, § 11 Rn. 20. 33 Vgl. die Auflistung und Strukturierung der Amtsträgerdelikte bei Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 174 f.
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fordern), soweit diese Eigenschaft auf einer Einbürgerung (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 5 i.V. m. § 8 StAG) beruht. Denn die Einbürgerung wird durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde, einem rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, vollzogen.34 Geradezu existenziell ist diese Erscheinungsform schließlich im Sonderstrafrecht für die Soldaten, dem Wehrstrafgesetz, welches einzig Soldaten der Bundeswehr zu seinem Adressatenkreis zählt, vgl. § 1 Abs. 1 WStG. Diese Eigenschaft vermittelt bei Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit die Berufung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 SoldatenG) in Form eines Verwaltungsakts.35 2. Der statusbegründende Verwaltungsakt im Strafanwendungsrecht Neben dem Tatsubjekt spielt die deutsche Staatsangehörigkeit im Rahmen des Strafanwendungsrechts eine bedeutende Rolle.36 Dabei dient die deutsche Staatsangehörigkeit als legitimierender Anknüpfungspunkt für die Anwendung deutschen Strafrechts, wenn die Tat außerhalb des deutschen Territoriums (vgl. § 3 StGB) begangen wurde.37 Mit dem eingeschränkten aktiven (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB) und passiven (§ 7 Abs. 1 StGB) Personalitätsprinzip trägt der deutsche Gesetzgeber dem völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzip Rechnung.38 Dem rechtsgestaltenden Verwaltungsakt kommt folglich auch im Strafanwendungsrecht eine Bedeutung zu, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit auf einer Einbürgerung (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 5 i.V. m. § 8 StAG) beruht, die durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde als rechtsgestaltendem Verwaltungsakt vollzogen wird.39 3. Die Entstehung strafrechtlich geschützter Tatobjekte durch Verwaltungsakt Die Verwaltungsaktakzessorietät innerhalb der Immaterialgüterrechte erfuhr in der strafrechtlichen Praxis nur wenig Aufmerksamkeit.40 Gleichwohl sind die 34 Vgl. Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, § 16 Rn. 3. 35 MüKo-NebenstrafR III/Dau, § 1 WStG Rn. 11. 36 Vgl. § 5 Nr. 3a), Nr. 5b), Nr. 6c), Nr. 8, Nr. 9a) u. b), Nr. 11a), Nr. 12, Nr. 15a) u. d), Nr. 16a) u. b), Nr. 17, § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB. 37 Vgl. hierzu Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 5 Rn. 43; Rengier, AT, § 6 Rn. 20 ff. 38 Vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 2 Rn. 9 ff. 39 Hierzu soeben § 3 A. I. 1. 40 Vgl. aber RGSt 3, 252; 7, 146; 48, 419. Vermutlich liegt ihr Schattendasein in der Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, entsprechende Delikte auf den Privatklageweg zu verweisen, und des aufgrund zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche oft nur geringen Strafverfolgungsinteresses begründet (zu diesem Befund auch Nentwig, in: Achenbach/ Ransiek/Rönnau, Wirtschaftsstrafrecht, 11. T. 2. Kap. Rn. 4, mit der erstaunlichen Feststellung, dass seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keine Gerichtsentscheidung wegen Patent- oder Gebrauchsmusterverletzung in der amtlichen Sammlung veröffentlicht wurde).
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verwaltungsaktakzessorischen Grundlagen der Immaterialgüterrechte nicht von der Hand zu weisen, weil es sich um Rechte handelt, die nach dem Eintragungsprinzip konstitutiv durch Eintragung entstehen.41 Der damit erforderliche Erteilungs- beziehungsweise Eintragungsbeschluss stellt einen gestaltenden, für den Erwerber begünstigenden Verwaltungsakt dar,42 der die Grundlage für die mit den Rechten verbundenen privatrechtlichen Befugnisse bildet.43 Ihrem Inhalt nach geht es beispielsweise um den Schutz der eingetragenen Marke (vgl. § 4 Nr. 1 MarkenG), des Patents (vgl. § 49 PatentG), des Designs (vgl. § 27 DesignG) und des Gebrauchsmusters (vgl. § 11 GebrMG). Neben den zivilrechtlichen Ausgleichsansprüchen wird der Schutz der Immaterialgüterrechte durch das Strafrecht flankiert. Dabei sehen die Strafvorschriften eine Bestrafung desjenigen vor, der ohne die erforderliche Zustimmung des Inhabers ein Erzeugnis, das Gegenstand des Immaterialgüterrechts ist, im geschäftlichen Verkehr in einer im Gesetz näher bezeichneten Weise benutzt.44 Der Vollständigkeit halber sei schließlich auf solche Delikte verwiesen, bei denen das Opfer der Straftat ein Amtsträger ist. Dies ist der Fall bei den Straftatbeständen § 113 Abs. 1 und § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Weiterhin erscheint der Amtsträger als sonstige Bezugsperson im Tatbestand (vgl. §§ 164 Abs. 1, 264 Abs. 2 Nr. 3, 333 Abs. 1, 334 Abs. 1 StGB).45 II. Der befehlende Verwaltungsakt im Strafrecht Weiterhin sind Verwaltungsakte von Bedeutung, die eine Verhaltenspflicht begründen. Sofern die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt das strafrechtliche Unrecht begründet, widmet sich ihnen das Hauptaugenmerk der wissenschaftlichen Betrachtung.46 Mitunter sind durch Verwaltungsakt begründete Handlungspflichten auch im Rahmen objektiver Bedingungen der Strafbarkeit 41 BGHZ 164, 139 (143); Beyerlein, WRP 2004, 676 (677 f.); Fezer, Markenrecht, § 1 Rn. 23; vgl. Götting, in: Götting/Meyer/Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz, § 2 Rn. 3 f.; Rohnke, GRUR 2001, 696 (701 f.); hiervon zu unterscheiden ist das Urheberrecht, welches allein durch die Schaffung eines Werks entsteht. 42 Zum MarkenG: BPatG GRUR Int 2009, 924 (926) – „Riechmarke“; OLG Hamburg GRUR-RR 2009, 365 (366); Fezer, § 41 Rn. 3; zum GebrMG: Pantze, in: Loth, GebrMG, § 8 Rn. 13; zum Patentgesetz: Rudloff-Schäffer, in: Schulte, PatentG, § 49 Rn. 27; zum DesignG: insoweit bezugnehmend auf die Löschung als actus contrarius zur Eintragung Günther, in: Günther/Beyerlein, DesignG, § 36 Rn. 15. 43 Götting, in: Götting/Meyer/Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz, § 2 Rn. 3; vgl. auch Pierson, in: Pierson/Ahrens/Fischer, Geistiges Eigentum, S. 87 f. 44 § 51 Abs. 1 DesignG, § 25 Abs. 1 GebrMG, §§ 143 ff. MarkenG, § 142 Abs. 1 PatG. 45 Auch hierzu Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 175 f. 46 Siehe nur: Arnhold, Strafbewehrung; Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen; Heghmanns, Dogmatik, S. 280 ff.; Murr, Versammlungsrecht; Schmitz, Verwaltungshandeln, S, 67 ff.; Steinhorst, Bedeutung der Rechtswidrigkeit.
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vorstellbar. Hier wie dort verwendet der Gesetzgeber eine besondere Regelungstechnik: Während beispielsweise § 242 StGB mit der unter Zueignungsabsicht stattfindenden Wegnahme einer fremden beweglichen Sache die Tathandlung umfassend selbst beschreibt, werden bei den hier in Rede stehenden verwaltungsaktakzessorischen Normen Strafmerkmale erst durch den Verwaltungsakt konkretisiert.47 Welche rechtlichen Anforderungen an das konkretisierte Ge- oder Verbot zu stellen sind, wenn im Einzelnen von „vollziehbarer“ 48, „unanfechtbarer“ 49 oder schlicht „erlassener“ 50 Verfügung die Rede ist, ist Gegenstand späterer Untersuchungen.51 1. Begründung einer strafbewehrten Handlungspflicht durch Verwaltungsakt Einen bedeutsamen Platz innerhalb der verwaltungsaktakzessorisch ausgestalteten Straftatbestände nehmen die strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen befehlende Verwaltungsakte ein.52 Ihre Bedeutung verdanken sie schon allein ihrer schieren Menge,53 die ein gesetzgeberisches Phänomen erkennen lassen, jegliche 47 Das Bundesverfassungsgericht hält diese Regelungstechnik im Strafrecht für grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Zum Bestimmtheitsgrundsatz: Nach BVerfG NVwZ 2012, 504 (505), sind Blanketttatbestände, die erst durch Verwaltungsakt ausgefüllt werden, mit dem Grundgesetz vereinbar, sofern sich die „Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Sanktion bereits aus dem Blankettgesetz selbst mit hinreichender Deutlichkeit ablesen lassen. Knüpft ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand an den Erlass eines Verwaltungsakts an, so hat das Gesetz Typus und Regelungsumfang der betreffenden Verwaltungsakte jedenfalls so weit festzulegen, wie der Verstoß gegen die entsprechende Verhaltenspflicht strafbewehrt sein soll. Darüber hinaus muss auch der die gesetzliche Regelung ausfüllende Verwaltungsakt in seinem konkreten Regelungsgehalt hinreichend bestimmt sein.“; vgl. aber BVerfGE 78, 374, zur Unbestimmtheit von Verleihungsbedingungen nach dem Fernmeldeanlagengesetz, die als Auflagen der Genehmigung erteilt werden. Ablehnend gegenüber der Rüge eines Verstoßes gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz BVerfGE 75, 329 (346 f.); 80, 244 (256 f.). 48 Bspw. im Umweltstrafrecht, wenn eine verwaltungsrechtliche Pflicht eine solche ist, die sich aus einem „vollziehbaren Verwaltungsakt“ ergibt, vgl. § 330d Abs. 1 Nr. 4c) StGB. Inzwischen ist die Strafbarkeit bei verwaltungsaktakzessorischen Straftatbeständen in den häufigsten Fällen an einen „vollziehbaren Verwaltungsakt“ geknüpft. 49 Vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB; sie seien an dieser Stelle ebenfalls genannt, wenngleich sie den feststellenden Verwaltungsakten angehören, weil faktisch keine Unterschiede zum verfügenden Verwaltungsakt bestehen (hierzu sogleich § 3 A. III.). 50 Vgl. § 59 LuftVG. 51 Hierzu unten § 6 A. III. 2. und § 6 B. II. 2. 52 Genau genommen handelt es sich beim befehlenden Verwaltungsakt um eine Unterart des Gestaltungsakts (vgl. Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 35 Rn. 36, 42.). Dennoch erfährt er in der verwaltungsrechtlichen Literatur – wohl aufgrund seiner Bedeutsamkeit – eine weitgehend eigenständige Betrachtung. 53 Beispielhaft seien genannt: § 85 Nr. 2 i.V. m. § 59b Abs. 1 AsylG und § 85 Nr. 3 AsylG; § 95 Abs. 1 Nr. 2a) AufenthG und § 95 Abs. 1 Nr. 4 i.V. m. §§ 46 Abs. 2 S. 1,
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durch Verwaltungsakt statuierte Pflicht geradezu reflexartig der Strafbewehrung zu unterziehen.54 So soll sich beispielsweise gemäß § 23 VersG strafbar machen, wer zur Teilnahme an einer Versammlung auffordert, obwohl deren Auflösung bereits angeordnet worden ist.55 § 75 Abs. 1 Nr. 1 InfSchG stellt unter Strafe, wer einer vollziehbaren Anordnung gemäß § 31 InfSchG zuwiderhandelt. Gemäß § 31 InfSchG kann einem Krankheitsverdächtigen die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten verboten werden, um eine Ansteckung zu verhindern. Ausgestaltet als bloße Tätigkeitsdelikte bedarf es oftmals keines Erfolgs mehr, wie er beispielsweise im Fall des Infektionsschutzgesetzes in Form einer Gesundheitsschädigung vorstellbar wäre. Der Gesetzgeber muss sich infolgedessen regelmäßig den Vorwurf gefallen lassen, bloßen Verwaltungsungehorsam zu bestrafen.56 2. Begründung einer Handlungspflicht im Rahmen einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit (§ 54a Abs. 3 KWG) § 54a Abs. 3 KWG statuiert eine objektive Bedingung der Strafbarkeit,57 bei der ein befehlender Verwaltungsakt Relevanz entfaltet. Der Gesetzgeber bestraft mit § 54a Abs. 1 KWG den Verstoß gegen die gesetzlich normierten Pflichten in S. 2, 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AufenthG sowie § 95 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. i.V. m. § 11 Abs. 6 S. 1, Abs. 7 S. 1 AufenthG; § 13 BÄO; § 81 Abs. 2 Nr. 2 GWB; § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 21 Abs. 3 BJagdG; § 75 Abs. 1 Nr. 1 InfSchG; § 33 i.V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 16 MuSchG; aus dem Umweltstrafrecht all jene Straftatbestände, die die Strafbarkeit an die „Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ knüpfen, da hiermit unter anderem solche gemeint sind, die sich aus einem vollziehbaren Verwaltungsakt ergeben, § 330d Abs. 1 Nr. 4c) StGB: §§ 324a Abs. 1, 325, 325a, 327 („entgegen einer vollziehbaren Untersagung“), 328 („entgegen einer vollziehbaren Untersagung“), 329 („entgegen einer vollziehbaren Anordnung“) StGB; § 21 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 25 StVG; §§ 23, 26 Nr. 1 VersG; § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG; vgl. hierzu und zahlreiche weitere Nachweise bei Heghmanns, Dogmatik, S. 31 mit Fn. 30. 54 Vgl. Hamm, NJW 2016, 1537, aus Anlass des 67. Deutschen Anwaltstags zum Schwerpunktthema „Wenn das Strafrecht alles richten soll . . .“: „Dabei machen sich die Verfasser solcher Gesetzestexte oft nicht mehr die Mühe, das strafbare Verhalten selbst mit Tätigkeitsmerkmalen zu beschreiben, sondern sie knüpfen die Sanktionsdrohung an eine kaskadenartig aufgebaute Kettenverweisung auf Pflichtenkataloge [. . .]“; vgl. bereits Schenke, JR 1970, 449 (450). 55 Einschränkend BVerfGE 87, 399; kritisch hierzu § 6 A. III. 2. c) dd) (1). 56 Vgl. Breuer, NJW 1988, 2072 (2076); ferner Eisele, BT I, Rn. 1281; aufgeschlossener Gerhards, NJW 1978, 86 (88); rigide Haaf, Fernwirkungen, S. 262, der die Strafbarkeit des Verwaltungsgehorsams als längst überwunden glaubt, sie im Übrigen nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar hält; vgl. Heghmanns, Dogmatik, S. 286 ff., der den Ungehorsam jedoch nur als „denknotwendige Begleiterscheinung jeder Normübertretung“ sieht, weil es kein Strafrechtsgut der allgemeinen Gehorsamspflicht gegenüber staatlichen Anordnungen geben könne; LK-StGB/Dannecker, § 1 Rn. 127, 133; Lorenz, DVBl 1971, 165 (169 ff.). 57 Entgegen der gesetzgeberischen Begründung (BT-Drs. 17/13539, S. 14: Strafaufhebungsgrund) überzeugend für eine objektive Bedingung der Strafbarkeit Brand, ZVglRWiss 2014, 142 (157) m.w. N.
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§§ 25c Abs. 4a, 25c Abs. 4b S. 2 KWG nur dann, wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) durch einen konkretisierenden Verwaltungsakt auf der Grundlage des § 25c Abs. 4c KWG zur Beseitigung der mangelhaften Umsetzung aufgefordert hat und dieser vollziehbaren Anordnung zuwidergehandelt wird.58 III. Der feststellende Verwaltungsakt im Strafrecht (§§ 85, 86, 86a StGB, § 20 VereinsG) Schließlich erfreut sich der feststellende Verwaltungsakt seiner Existenz im Strafrecht. Der feststellende Verwaltungsakt stellt an sich nur fest, was de lege lata bereits gilt, ist aber deshalb Verwaltungsakt mit Regelungsfunktion, weil er dies in rechtsverbindlicher Weise bezogen auf den konkreten Einzelfall tut.59 §§ 85 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, 86 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, 86a StGB schützen den demokratischen Rechtsstaat vor Gefährdungen.60 Hierfür stellen sie unter Strafe, wer auf näher im Gesetz bezeichnete Weise Parteien oder Vereinigungen fördert oder unterstützt, die unanfechtbar verboten sind oder bezüglich derer festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisationen einer verbotenen Partei oder Vereinigung sind. Die Normen werden durch § 20 VereinsG flankiert, der bereits pönalisiert, wer entgegen eines vollziehbaren Verbots oder der vollziehbaren Feststellung, wonach es sich bei der Vereinigung um eine verbotene Ersatzorganisation handelt, die Vereinstätigkeit durch unterschiedliche Tathandlungen aufrechterhält.61 Das Vereinsverbot ergeht durch Verwaltungsakt, der nach seinem Inhalt feststellt, dass die Zwecke oder Tätigkeiten des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG. Auch die dahingehende Feststellung, dass es sich um eine Ersatzorganisation einer bereits verbote-
58 Siehe zu dieser einschränkenden Auslegung, wonach der Täter sowohl gegen die gesetzliche Pflicht verstoßen als auch der konkreten Anordnung der BaFin zuwidergehandelt haben muss, Brand, ZVglRWiss 2014, 142 (159); so auch Schork/Reichling, CCZ 2013, 269 (270); anders wohl Schröder, WM 2014, 100 (104 f.). 59 Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 47, die zu Recht darauf verweisen, dass dem feststellenden Verwaltungsakt damit eine „gewisse konstitutive Wirkung“ zukommt; Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 42 Abs. 1 Rn. 26. Verständlich wird die Funktion des feststellenden Verwaltungsakts am Beispiel des Steuerbescheids (§ 155 AO), der lediglich feststellt, welche Steuer nach dem einschlägigen Gesetz geschuldet wird (vgl. § 38 AO), was für den Steuerpflichtigen aufgrund der Komplexität der Steuergesetz in der Regel erst durch den Steuerbescheid erkennbar und für den Staat nunmehr durchsetzbar wird (vgl. hierzu Klein/Rüsken, Abgabenordnung Kommentar, 14. Aufl. 2018, § 155 Rn. 6; zu den Auswirkungen auf das Strafrecht Kirchhof, NJW 1985, 2977). 60 Siehe Überschrift zum Dritten Titel des Ersten Abschnitts im Besonderen Teil des StGB. 61 Vgl. hierzu LK-StGB/Laufhütte/Kuschel, § 85 Rn. 19.
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nen Vereinigung handelt, erfolgt durch feststellenden Verwaltungsakt. Dies entspringt § 8 Abs. 2 S. 1 VereinsG, der bestimmt, dass das Verbot zur Bildung einer Ersatzorganisation (vgl. § 8 Abs. 1 VereinsG) durch „besondere Verfügung“ durchgeführt wird, in der festgestellt wird, dass die Vereinigung Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist. Gleiches gilt für Ersatzorganisationen einer verbotenen Partei (vgl. § 33 Abs. 3 PartG i.V. m. § 8 Abs. 2 VereinsG).62 Ausgehend von der Eingriffsermächtigung in § 3 S. 1 VereinsG, wonach ein Verein erst dann als verboten behandelt werden darf, wenn durch Verfügung festgestellt ist, dass seine Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet und in der Verfügung die Auflösung des Vereins angeordnet ist, erscheint die Verbotsverfügung als konstitutiv feststellender Verwaltungsakt.63 Die Ähnlichkeiten zum verfügenden belastenden Verwaltungsakt sind unverkennbar und ergeben sich nicht nur aus der Auflösungsanordnung. Der feststellende Verwaltungsakt ist zwar an sich weder belastend noch begünstigend, weil er nur das regelt, was de lege lata bereits gilt.64 Gleichwohl kann auch einem feststellenden Verwaltungsakt ein belastender Charakter innewohnen, der beim konstitutiven Vereinsverbot letztlich auch mit Blick auf Art. 9 GG und den daraus erwachsenden Rechtsschutzmöglichkeiten kaum in Frage steht.65 Wenngleich der Straftatbestand ausdrücklich auf den feststellenden Verwaltungsakt Bezug nimmt, bestehen daher faktisch keine Unterschiede zur strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt.66 IV. Der begünstigende Verwaltungsakt im Strafrecht 1. Die behördliche Genehmigung als unrechtsausschließendes Merkmal Während die bisher dargestellten Verwaltungsakte zumeist eine strafbegründende Wirkung zeitigen, knüpfen zahlreiche Delikte die Strafbarkeit daran, dass 62 Hiermit beugt der Gesetzgeber einem Missbrauch des Parteienprivilegs (vgl. Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG) vor, welches auch bei einer Ersatzorganisation dazu anhielte, den (langwierigen) Weg über das Bundesverfassungsgericht zu gehen; zahlreiche Stimmen in der Literatur halten die Vorschrift für eine verfassungswidrige Umgehung des Parteienprivilegs (vgl. MüKo-StGB/Steinmetz, § 85 Rn. 10; NK-StGB/Paeffgen, § 85 Rn. 8; LK-StGB/Laufhütte/Kuschel, § 85 Rn. 4 f. mit Verweis auf § 84 Rn. 7 f.; gegen die herrschende Meinung Willms, JZ 1993, 830, unter Berufung auf BVerfGE 6, 300 [308 f.]; 12, 296 [304]). 63 BVerwGE 55, 175 (177); eingehend Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht, § 3 VereinsG Rn. 116 ff., wonach die Verbotsverfügung regelmäßig aus vier Teilentscheidungen besteht: konstitutive Feststellung, Anordnung der Auflösung des Vereins, Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens. 64 Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 47. 65 Vgl. allgemein zum belastenden Charakter feststellender Verwaltungsakte BVerwGE 72, 265 (267); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 49. 66 So auch Haaf, Fernwirkungen, S. 215.
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1. Teil: Einführung
es an einem Verwaltungsakt fehlt. Ihre Vielzahl67 erklärt sich vor dem Hintergrund zahlreicher Tätigkeiten, welche der Gesetzgeber von vornherein einer behördlichen Kontrolle unterwerfen will, weil ihm die hoheitliche Inanspruchnahme im Nachgang der Freiheitsausübung als nicht ausreichend erscheint.68 Um dem behördlichen Kontrollanliegen Nachdruck zu verleihen und Gefährdungen von Rechtsgütern auszuschließen, die bei einer Umgehung der behördlichen Kontrolle möglich erscheinen, bewehrt der Gesetzgeber die Ausübung ungenehmigter Tätigkeiten mit Strafe. Während manche Straftatbestände dies mit dem Merkmal „unbefugt“ (vgl. § 326 Abs. 1 StGB) oder „nicht erlaubt“ (vgl. § 315d Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB) zum Ausdruck bringen, sprechen andere von einem Handeln „ohne die erforderliche Genehmigung“ (vgl. § 327 Abs. 1 StGB) oder bestrafen ausdrücklich den Verstoß „gegen eine Genehmigungspflicht“ (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG). Umstritten ist dabei die deliktssystematische Stellung der behördlichen Genehmigung, wobei infrage steht, ob sie tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung hat.69 2. Die Genehmigung als Strafaufhebungsgrund Schließlich nimmt der begünstigende Verwaltungsakt im Rahmen von Strafausschließungsgründen seinen Platz ein. § 331 Abs. 3 2. Var. StGB ordnet für die tatbestandliche Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1 StGB) an, dass derjenige Täter nicht strafbar ist, der unverzüglich nach Annahme des Vorteils bei der zuständigen Behörde Anzeige erstattet und diese die Annahme genehmigt. Inwieweit der Genehmigung eine Außenwirkung zukommt und damit die Merkmale des Verwaltungsakts (vgl. § 35 VwVfG) überhaupt erfüllt, ist durchaus fraglich.70 Da sie den Amtsträger in seiner persönlichen Rechtsstellung besser stellt, der den Vor67 § 96 Nr. 4, Nr. 4a, Nr. 5 („ohne Genehmigung der Europäischen Union“), Nr. 5a, Nr. 14, Nr. 18b AMG; § 95 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 1a AufenthG; § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG (bestraft ausdrücklich, wer „gegen eine Genehmigungspflicht“ verstößt) und § 18 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 6, Abs. 4 Nr. 8, Nr. 9, Nr. 10 Abs. 5 AWG; § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG; § 15 Abs. 2 FlaggenrechtsG; § 39 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 GenTG; § 148 i.V. m. § 145 Abs. 1 GewO; § 5 HeilpraktikerG; § 74 i.V. m. § 73 Abs. 1 Nr. 15 InfSchG und § 75 Abs. 1 Nr. 3 InfSchG; § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG; § 22a Abs. 1 Nr. 1–7 KrWaffKontrG; § 83 Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. § 21 Nr. 2 KulturgutschutzG; § 60 Abs. 1 Nr. 1–6 LuftVG; § 40 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 SprengG; §§ 132a Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Abs. 1, 324 Abs. 1, 326 Abs. 1, Abs. 2, 327 Abs. 1, Abs. 2, 328 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB, vgl. auch § 331 Abs. 1 i.V. m. Abs. 3 StGB; § 52 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4 WaffG; vgl. hierzu und zahlreiche weitere Nachweise bei Heghmanns, Dogmatik, S. 31 mit Fn. 29. 68 Hierzu näher unten § 5 C. I. 2. 69 Hierzu näher unten § 5 D. II. 1. c). 70 Vgl. die unkritische strafrechtliche Wissenschaft, welche auf die §§ 43 ff. VwVfG Bezug nimmt, ohne aber die vorgelagerte Frage zu klären, inwieweit die Genehmigung überhaupt ein Verwaltungsakt ist: etwa Michalke, Riess-FS, S. 771 (777); gänzlich ohne Begründung auch Leven, Genehmigung, Rn. 11. Zur verwaltungsverfahrensrechtlichen Problematik Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 24 ff.
§ 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
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teil durch die Behördenentscheidung in der Regel behalten darf, ist eine Außenwirkung anzunehmen.71 Da die Vorschrift bereits verwirklichtes Unrecht nachträglich straffrei stellt, sieht die herrschende Meinung in der Genehmigung gemäß § 331 Abs. 3 2. Var. StGB einen Strafaufhebungsgrund.72
B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Verwaltungsakts im Strafrecht bedürfen für die Betrachtung der verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht einer Eingrenzung. Hierfür erweisen sich wiederum die verwaltungsaktakzessorischen Straftatbestände im engeren Sinn als besonders relevant. Von Verwaltungsakten, die im Strafanwendungsrecht, im Rahmen einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit oder als Strafaufhebungsgrund von Relevanz sind, heben sie sich durch ihre unmittelbare Tatbestandsbezogenheit ab.73 Damit geht einher, dass sich der Vorsatz bei den verwaltungsaktakzessorischen Straftatbeständen im engeren Sinn auf die tatsachenbezogenen Umstände und damit auch in irgendeiner Weise auf den Verwaltungsakt beziehen muss.74 Das gilt in gleicher Weise für die gestaltenden Verwaltungsakte, die auf Tatbestandsebene etwa das geschützte Tatobjekt oder den Täterstatus begründen. Im Hinblick auf die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe grenzen sich die verwaltungsaktakzessorischen Straftatbestände im engeren Sinn auch von diesen ab. Das hängt damit zusammen, dass sowohl beim begünstigenden als auch beim belastenden Verwaltungsakt bereits mit dem Erlass des Verwaltungsakts ein Subordinationsverhältnis zwischen Staat und Bürger begründet wird, innerhalb dessen die eingelegten Rechtsbehelfe unmittelbar Auswirkungen auf die Strafbarkeit des vom Verwaltungsakt Betroffenen haben können. Bewehrt das Strafgesetz den Verstoß gegen einen belastenden Verwaltungsakt mit Strafe, steht als Voraussetzung zunächst in Frage, ob die Strafbarkeit die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts voraussetzt. Weiterhin muss untersucht werden, welche Auswirkungen es auf das zukünftige Strafbarkeitsrisiko des Betroffenen hat, wenn seine Rechtsbehelfe gegen den belastenden Verwaltungsakt auf71 So auch zum Beamtenrecht Grigoleit, in: Battis, BBG, § 71 Rn. 7 (ohne nähere Begründung). 72 Eisele, BT I, Rn. 1637; Fischer, StGB, § 331 Rn. 36; MüKo-StGB/Korte, § 331 Rn. 179; Rengier, BT II, § 60 Rn. 41; Sch/Sch/Heine/Eisele, § 331 Rn. 62; SK-StGB/ Stein/Deiters, § 331 Rn. 75; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, Rn. 1124; anders NKStGB/Kuhlen, § 331 Rn. 132 m.w. N., der darin eine Rechtfertigung nach Maßgabe einer mutmaßlichen Einwilligung sieht. 73 Ob die behördliche Genehmigung tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung hat, ist dabei ohne Relevanz, da sich das Rechtswidrigkeitsurteil zur tatbestandsmäßigen Handlung verhält (vgl. nur Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 14 Rn. 14). 74 Zu den diesbezüglichen Fehlvorstellungen des Täters unten § 8.
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1. Teil: Einführung
schiebende Wirkung haben (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) oder diese Rechtsfolge nachträglich behördlich (vgl. § 80 Abs. 4 VwGO) oder gerichtlich (vgl. § 80 Abs. 5 VwGO) angeordnet beziehungsweise wiederhergestellt wird. Hat der Betroffene die Strafbarkeitsvoraussetzungen bereits allesamt erfüllt, steht zur Diskussion, ob die nachträgliche behördliche oder gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts mit Wirkung ex tunc an der bereits vollendeten Strafbarkeit noch etwas ändern kann. Beim genehmigenden Verwaltungsakt steht als Strafbarkeitsvoraussetzung zunächst zur Diskussion, ob auch der rechtswidrige Verwaltungsakt unrechtsausschließende Wirkung hat. Legt ein Dritter hiergegen Rechtsbehelfe mit aufschiebender Wirkung ein (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) oder ordnet die Behörde (vgl. § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO) beziehungsweise das Gericht (vgl. § 80a Abs. 3 VwGO) diese Rechtsfolge auf Betreiben des Dritten an, steht zur Diskussion, wie sich die Rechtshemmung auf die Legalisierungswirkung der Genehmigung und infolgedessen auf das zukünftige Strafbarkeitsrisiko auswirkt. Hat der Betroffene ein strafrechtlich abgesichertes Genehmigungsbedürfnis übergangen, steht wiederum in Frage, ob rückwirkende Genehmigungen an der bereits vollendeten Strafbarkeit etwas zu ändern vermögen. Auch muss angedacht werden, ob die rückwirkende Aufhebung einer Genehmigung Strafbarkeitsfolgen nach sich ziehen kann. Wenngleich also die verwaltungsaktakzessorischen Straftatbestände im engeren Sinn im Zentrum der Begutachtung stehen, bleiben die anderen Erscheinungsformen des Verwaltungsakts im Strafrecht nicht gänzlich unberücksichtigt. Allesamt ist ihnen gemeinsam, dass sie als strafrechtliche Merkmale verfahrensförmig ausgestaltet sind. Insoweit verspricht eine vergleichende Analyse wertvolle Rückschlüsse darauf, ob eine Lösung gegebenenfalls Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Andernfalls drängt der vergleichende Blick gegebenenfalls dazu, unterschiedliche Ergebnisse zu begründen, wobei zu diskutieren wäre, warum die verfahrensförmige Ausgestaltung eines Merkmals gegebenenfalls strafrechtlich unterschiedlich behandelt wird.
Zweiter Teil
Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht § 4 Historische Entwicklung des Verwaltungsstrafrechts A. Verwaltungsstrafrecht Mit Blick auf das Umweltstrafrecht brachte Heger jüngst den Begriff des Verwaltungsstrafrechts wieder zum Vorschein, der bis dahin aus dem Blick der Strafrechtswissenschaft geraten zu sein schien.1 Das relativ junge Umweltstrafrecht gilt zu Recht als strafrechtliches Paradebeispiel für Konstellationen, in denen Verstöße gegen behördliche Entscheidungen mit Strafe bedroht sind. Nähert man sich allerdings der Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht über ebendiese Begrifflichkeit, regt dies zu einem Blick in die Geschichte an, der mit dem Umweltstrafrecht in keinem Zusammenhang steht. Weniger ging es dabei um die inhaltlichen Anforderungen der strafbewehrten Verwaltungsentscheidungen, als vielmehr um einen Kategorienstreit darüber, was dem polizeilich Verbotenen und was dem kriminell Strafbaren angehört. I. Die Sonderrolle des Verwaltungsstrafrechts im Reichsstrafgesetzbuch Die Diskussion um die strafrechtliche Sanktionierung sogenannten Verwaltungsunrechts als Kriminalunrecht wurde in der Vergangenheit lebhaft geführt.2 Sie erweist sich insbesondere deshalb als interessant, weil ebenjene Diskussion nicht zuletzt bei der Einführung des Reichsstrafgesetzbuchs, dem historischen Vorläufer des Strafgesetzbuchs,3 aufbrannte. Dabei blieb letztlich unbeantwortet,
1
Heger, Rengier-FS, S. 617. Vgl. die Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (1869), S. 185: „Zu den Fragen, welche die ältere Jurisprudenz mit einer gewissen Vorliebe zu untersuchen pflegte, gehört die: über die Grenzen zwischen dem blos polizeilich Verbotenen und dem kriminell Strafbaren.“; zur Historie des sogenannten Verwaltungsstrafrechts grundlegend Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht; siehe auch Wolf, Frank-FS II, S. 516. Jüngst stellt Heger, Rengier-FS, S. 617 ff., seine „Überlegungen zu einem Verwaltungsstrafrecht – exemplifiziert am deutschen Umweltstrafrecht“ an. 3 Vgl. hierzu nur Roxin, AT I, § 4 Rn. 1 ff. 2
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
inwieweit die Übernahme des sogenannten Polizeistrafrechts in das Reichsstrafgesetzbuch zulässig ist.4 Die Einordnung des Polizeistrafrechts als bloß polizeilich Verbotenem oder kriminell Strafbarem war nicht nur für die Frage von Bedeutung, ob es als solches seinen Platz im Reichsstrafgesetzbuch überhaupt verdient, sondern auch deshalb, weil andernfalls eine Kompetenz des Reichs zur Gesetzgebung gar nicht bestanden hätte.5 Infolge der wissenschaftlichen und politischen Einmütigkeit zu zentralen strafrechtlichen Fragen und der nationalen Euphorie konnte die Rechtsvereinheitlichung in Form des Reichsstrafgesetzbuchs der politischen Einigung schnell folgen.6 Für die wissenschaftliche Diskussion darüber, ob polizeilich Strafbares auch kriminelles Unrecht darstellt, blieb in den Beratungen zum Entwurf des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bund wenig Raum. Letztlich unterstellte man dem von Bundesrat und Reichstag gefassten Beschluss, ein gemeinsames Strafrecht zu fassen, die Absicht, diesem Vorhaben auch das sogenannte gemeine Recht für das polizeilich Strafbare mitzugeben.7 Die Motive zum Entwurf des Strafgesetzbuches von 1869 begnügten sich schließlich mit der Behauptung, dass auch bloße Polizeiübertretungen ein wirklich strafbares Unrecht darstellten und daher gleich den eigentlichen Kriminalvergehen zu verfolgen und von den Gerichten zu strafen seien. Entsprechend erteilten sie der „Doktrin“ einer strikten Trennung dieser zweier Gebiete eine klare Absage, da solche Grenzen in der Wirklichkeit nicht bestünden, sich vielmehr in einem fließenden Übergange befänden.8 Dass aber auch der Reichsstrafgesetzgeber, und hierfür Modell stehend das preußische Strafgesetzbuch, dem Polizeistrafrecht eine gewisse Sonderrolle zuteilte, wird an mehreren Stellen deutlich:9 Die neben Verbrechen und Vergehen bestehende dritte Kategorie der Übertretungen war einzig den Polizeistrafrechtsnormen im Neunundzwanzigsten Abschnitt vorbehalten.10 Weiterhin waren den Übertretungen die Straflosigkeit des Versuchs, der Beihilfe und der Begünsti-
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Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 435; v. Schwarze, Strafgesetzbuch, S. 349. Vgl. zu den „Kompetenzbedenken“: Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (1869), S. 186; im Ergebnis die Kompetenz des Reichs anerkennend Dohna, VerwArch 1925, 233; Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 435, hingegen verneint eine Kompetenz des Reichs für das Polizeistrafrecht mit der Begründung, dass es an sich dem Verwaltungsrecht angehöre; zur Kompetenz der Reichsgesetzgebers Heinze, Erörterungen, S. 1 ff.; auch Meyer, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 280 f. 6 Zu den äußeren Umständen, die eine rasche Rechtsvereinheitlichung auch im Bereich des Strafrechts ermöglichten Schmidt, Einführung, § 298. 7 Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, S. 187. 8 Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, S. 186 f. 9 Hierzu Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 441. 10 Kritisch zu dieser Dreiteilung im Allgemeinen Heinze, Erörterungen, S. 182 ff. 5
§ 4 Historische Entwicklung des Verwaltungsstrafrechts
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gung eigentümlich.11 Schließlich unterschied sich die Freiheitsstrafe in der spezifischen Art der Haft, vgl. § 18 RStGB.12 In der Folge fanden – nach heutigem Verständnis: – verwaltungsakzessorische Straftatbestände Eingang in den 29. Abschnitt (§§ 360 ff. RStGB) des Reichsstrafgesetzbuchs. So stellte beispielsweise § 360 Nr. 3 RStGB unter Strafe, wer als beurlaubter Reservist oder Wehrmann der Land- oder Seewehr ohne Erlaubnis auswandert. § 361 Nr. 2 RStGB pönalisierte, wer in das Bundesgebiet oder das Gebiets eines Bundesstaats ohne Erlaubnis zurückkehrte, wenn er zuvor aus diesen Gebieten verwiesen wurde. Bereits gemäß § 360 Nr. 14 RStGB wurde bestraft, wer unbefugt auf einem öffentlichen Weg, einer Straße, einem öffentlichen Platz oder in einem öffentlichen Versammlungsort Glücksspiele hält. Demgegenüber nimmt § 360 Nr. 10 RStGB Bezug auf polizeiliche Befehle, indem er unter Strafe stellt, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not von der Polizeibehörde oder deren Stellvertreter zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr genügen könnte. § 361 Nr. 6 RStGB bedrohte eine „Weibsperson“ mit Strafe, welche polizeilichen Anordnungen zuwider gewerbsmäßig Unzucht treibt. Allein die aufgezeigten Besonderheiten veranschaulichen das zwiespältige Verhältnis zum Verwaltungsstrafrecht und können als Ursachen einer Diskussion betrachtet werden, die im Streit um die qualitative beziehungsweise quantitative Differenzierung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bis heute Fortsetzung findet.13 II. Verwaltungsstrafrecht im wissenschaftlichen Diskurs Dem lag bereits die in der naturrechtlichen Staatslehre des aufgeklärten Absolutismus im 18. Jahrhunderts getroffene Unterscheidung zwischen natürlichen und politischen Verbrechen zugrunde.14 Während die natürlichen Verbrechen auf die ethischen Überzeugungen der Gemeinschaften zurückgeführt wurden, die in einer jeder Staatsgemeinschaft vorherrschten und daher noch nicht einmal einer
11 Anschaulich hierzu – am Vorbild des preußischen StGB orientiert – die Bestimmungen im „Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund“ in einem eigens für die Übertretungen vorgesehenen Allgemeinen Teil, §§ 337 ff. E-StGB (1869), der aber im weiteren Gesetzgebungsverfahren in den Allgemein Teil für das gesamte Strafgesetzbuch überführt wurde (vgl. dazu Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 443). 12 Hierzu Meyer, Strafgesetzbuch, S. 32 f. 13 Vgl. dazu Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 3 Rn. 4 ff.; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 35 Rn. 46 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 56 ff.; eingehend KK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 112 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 20 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 130 ff.; ferner Wolf, Frank-FS II, S. 516 ff. 14 Eingehend zu den historischen Entwicklungen: Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 70 ff.; Wolf, Frank-FS II, S. 516 (528 ff.).
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
Kodifizierung bedurften, galten sie als gemeinhin schwere Verbrechen.15 Hingegen stufte man die politischen Verbrechen als vom staatlichen Willen getragene Delikte ein, die ihre Existenz den jeweiligen politischen Bedürfnissen der Zeit verdankten und daher als gemeinhin leichtere Delikte verstanden wurden.16 Entsprechend deklarierten die Vertreter des Naturrechts die „ewigen“ natürlichen Verbrechen als strafbare, hingegen die „zeitlichen“ politischen Verbrechen als nicht strafbare Handlungen. Mit dem aufkommenden Rechtspositivismus im 19. Jahrhundert bedurfte es anderer Kriterien, welche imstande waren, zwischen Kriminalunrecht einerseits und Polizeiübertretung andererseits zu unterscheiden. Köstlin vermochte diese daran festzumachen, als Kriminalunrecht „wirkliches Unrecht“ unter Strafe stellte, während Polizeivergehen ein bloß „mögliches Unrecht“ darstellten.17 Große Aufmerksamkeit erlangten Goldschmidt18 und hierauf aufbauend Wolf19 mit ihrem Vorschlag,20 die bloßen von der Verwaltung angestrebten Wohlfahrtswerte nicht am strafbewehrten Rechtsgüterschutz teilhaben zu lassen.21 Sie ordneten die Polizeiübertretungen von vornherein nicht dem Strafrecht, sondern dem Verwaltungsrecht zu.22 Da die der Verwaltung obliegende Aufgabe der Wohlfahrtsförderung eine bloße, nicht realisierbare Fiktion sei, diene das Verwaltungsstrafrecht nicht dem Rechtsgüterschutz, sondern vielmehr 15
Vgl. Wolf, Frank-FS II, S. 516 (530 m.w. N.). Vgl. Wolf, Frank-FS II, S. 516 (530 f.). 17 Köstlin, Neue Revision, S. 28. 18 Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht (insbesondere S. 527 ff.). 19 Wolf, Frank-FS II, S. 516. 20 In BGHSt 11, 263 (264), geht das Gericht bei der Auseinandersetzung mit § 6 Abs. 2 WiStG (inzwischen aufgehoben) unter Berufung auf Goldschmidt und Wolf sogar davon aus, das Schrifttum habe einen sachlichen Unterschied zwischen Kriminalunrecht und Polizei-(Verwaltungs-)unrecht gefunden. 21 Anders zuvor Feuerbach, Revision II, S. 220, der die „Verbrechen in Staatsverbrechen, bei welchen die Beleidigung der Rechte des Staats das unmittelbare Object der Handlung ist und in Privatverbrechen, bei welchen die Beleidigung der Rechte des Einzelnen das unmittelbare Object der Handlung ist“ unterteilt; vgl. aber bereits Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II 2. Abt., S. 694, der bei seiner „Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung“ davon ausgeht, dass Polizeiübertretungen „nicht die Rechtsordnung in ihrer Substanz, nicht die geheiligten Grundlagen und Grundverbindungen des menschlichen Gemeinlebens“ treffen. Hieraus folgert er, dass nur Handlungen, welche gegen die zehn Gebote sind, in die Kategorie des Verbrechens fallen. 22 Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 574: „[. . .] deshalb zieht ihre Übertretung Verwaltungsstrafe als insoweit einer Rechtsfolge gleichstehende Verwaltungsfolge nach sich. [. . .] Am klarsten wird das immer durch einen Vergleich mit dem Verwaltungszwang zur Erfüllung, wo insbesondere in der Unmittelbarkeit des Zwanges der Verwaltungszwang noch unverfälschter erscheint. Der Verwaltungszwang durch Bestrafung [Hervorh. d. Verf.] hat eben unvergleichlich mehr fremdes (Rechts-)Blut in den Adern“ (vgl. auch S. 553, wo er dem Verwaltungsstrafrecht die Rolle als „Pseudo-Strafrecht“ zuspricht); vgl. Wolf, Frank-FS II, S. 516 (560), der – abweichend von Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 568 – meint, dass Verwaltungsstrafrecht sei zwar im formellen, nicht aber im materiellen Sinne Strafrecht. 16
§ 4 Historische Entwicklung des Verwaltungsstrafrechts
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einem bloßen Wohlfahrtszweck.23 Als solches könne das Verwaltungsstrafrecht nur eine Verwaltungswidrigkeit begründen, welche dem formellen Unrecht entgegenzusetzen sei.24 Die hieraus gezogene Folge, Übertretungen als sogenanntes Verwaltungsstrafrecht dem Verwaltungsrecht zuzuordnen, blieb vereinzelt und war teils heftiger Kritik ausgesetzt.25 Dies weniger wegen des Entscheidungskriteriums, ob nämlich nur dem Gehorsam zuwidergehandelt oder aber Rechtsgüter verletzt oder gefährdet wurden,26 als insbesondere wegen der daraus gezogenen Folge, das Verwaltungsstrafrecht als Teil des Verwaltungsrechts anzusehen. Nachdem die Theorien von Goldschmidt und Wolf nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten allein schon deshalb als untauglich gelten mussten, weil die Unterscheidung der Sphäre von Justiz und Verwaltung mit dem Einheitsstreben des Führerstaats nicht vereinbar war,27 griff Schmidt die Lehren einer qualitativen Unterscheidung nach 1945 wieder auf.28 Spätestens mit der gesetzlichen Herauslösung von Verwaltungsdelikten aus dem Strafrecht und der Übertragung der Ordnungsstraf- beziehungsweise Bußgewalt auf die Verwaltungsbehörden sah er sich zu dieser qualitativen Unterscheidung von Verfassungs wegen gar gezwungen: nur eine qualitative Unterscheidung des Kriminalunrechts vom Verwaltungsstraf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenrecht würde dem Gewaltenteilungsprinzip gerecht, welches die Kriminalstrafe ausschließlich der Justiz zuschreibe.29 Das Bundesverfassungsgericht bekannte sich in der Folge zwar klar dazu, dass einzig der Richter Kriminalstrafen verhängen darf,30 agierte jedoch bezüglich einer qualitativen Unterscheidung von Kriminal- und Ordnungsstrafe zurückhaltend. Dabei verwies das Gericht auf das sozialethische Unwerturteil, 23
Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 546 ff. Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 548; vgl. auch Wolf, Frank-FS II, S. 564 ff., der die qualitative Unrechtsunterscheidung von Verwaltungs- und Justizstrafrecht am fehlenden materiellen Personen- oder Sachschaden als Essential des Unrechts festmacht. 25 Im Besonderen Binding, BT II 2, S. 742 mit Fn. 4: „Ich lehne diesen von Goldschmidt [. . .] aufgestellten Begriff u. den absolut ungesunden Gegensatz von Verfassungs- u. Verwaltungsstrafrecht überhaupt vollständig ab.“ 26 Das erkennt auch Binding, BT II 2, S. 741, an. 27 So Rauch, ZStW 1938, 75 (96); vgl. hierzu und zu weiteren Theorien während der NS-Zeit KK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 67 ff. 28 Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 40 ff.; ders., JZ 1969, 401; vgl. auch BT-Drs. 5/ 1269, S. 23: „Die verfahrensrechtliche Regelung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten läßt sich auf den Grundgedanken zurückführen, daß zwischen dem Ordnungsrechtund Kriminalunrecht ein wesensmäßiger Unterschied besteht, der dazu zwingt, nicht nur in der Sanktion zu unterscheiden, sondern auch streng getrennte Zuständigkeiten für die Verfolgung und Ahndung zu bestimmen.“ 29 Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 25 (zu seiner vernichtende Kritik über die Bedenkenlosigkeit der Wissenschaft hierüber zur NS-Zeit, S. 58); ders., JZ 1969, 401; vgl. KK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 108, wonach das heutige Ordnungswidrigkeitenrecht unter Heranziehung der quantitativen Betrachtungsweise verfassungswidrig ist. 30 BVerfGE 8, 197 (207); 22, 49 (73 ff.); 27, 18 (33). 24
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
welches mit der Strafe über das Verhalten des Täters einhergehe, wohingegen die Ordnungswidrigkeit lediglich eine nachdrückliche Pflichtenmahnung bezwecke.31 Bezüglich der Differenzierung akzeptiert und orientiert sich das Bundesverfassungsgericht bis heute stets an den Vorgaben des Gesetzgebers, ohne auf eine vorangehende qualitative Unterscheidung zu bestehen, die den Gesetzgeber für die Einordnung bindet: „Im Grenzbereich bestehen zwischen dem Kriminalunrecht und dem Ordnungsunrecht nur graduelle Unterschiede. Die exakte Grenzlinie unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten historischen Situation im Einzelnen verbindlich festzulegen, ist Sache des Gesetzgebers, dessen Unterscheidung vom Bundesverfassungsgericht nur in gewissem Umfang überprüft werden kann.“ 32
Wenngleich die vom Bundesverfassungsgericht im Ausgangspunkt quantitative Betrachtung, die nur am Rande qualitative Einschläge durch verfassungsorientierte Prinzipien erfährt, gewisse Ungereimtheiten nicht ausschließen kann,33 ist dieser pragmatische – und überdies vom Gesetzgeber praktizierte34 – Ansatz in der Wissenschaft weitestgehend auf Anklang gestoßen und akzeptiert worden.35 Die vielfach entwickelten qualitativen Kriterien konnten keine Absolutheit und bei der Vielzahl von Vorschriften erst Recht keine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen, was nicht zuletzt dazu beigetragen hat, dass sich die Wissenschaft auf den Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts zurückgezogen hat und die Differenzen verschütten ließ.36 Allein aufgrund der schieren Menge an Tatbe31 BVerfGE 9, 167 (171; der Ordnungswidrigkeit fehle der „Ernst der staatlichen Strafe“); ebenso 22, 49 (79); 27, 18 (33); 47, 272 (289); zur Formel vom sozialethischen Unwerturteil auch E 123, 267 (408). 32 BVerfGE 45, 187 (289); 96, 10 (26). 33 Hierzu eingehend KK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 100 ff. 34 Vgl. BT-Drs. 5/1269, S. 27: „Das Ordnungsrecht soll auch künftig vom Kriminalunrecht allein danach abgegrenzt werden, ob das Gesetz eine Kriminalstrafe oder eine Geldbuße androht, nicht etwa danach, ob die zur Ahndung zuständige Verwaltungsbehörde oder das Gericht die Tat im Einzelfall nach ihrem materiellen Unrechtsgehalt als Ordnungsunrecht oder Kriminalrecht bewertet.“ 35 BeckOK-OWiG/Gerhold, Einl. Rn. 2; Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 3 Rn. 9 f.; Heinrich, AT, Rn. 52; Jescheck/Weigend, AT, S. 58 f.; zu Recht weisen NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 239, darauf hin, dass sich die Entscheidungen des Gesetzgebers kaum falsifizieren lassen; Roxin, AT I, § 2 Rn. 132; wohl auch Schmidhäuser, AT, 5/137; Sch/Sch/Kinzig, Vor §§ 38 ff. Rn. 37; Weber, ZStW 1980, 313 (318). 36 Kritisch OK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 89 ff.; Weber, ZStW 1980, 313 (318); zur wahllosen Überführung von Straftatbeständen ins Ordnungswidrigkeitenrecht nach 1952, vgl. BT-Drs. 5/1269, S. 23: „Neben Übertretungs- wurden auch Vergehenstatbestände umgewandelt, da sich der Gesetzgeber nicht darauf beschränken wollte, nur den echten Verwaltungsungehorsam ins Ordnungsrecht zu überführen. Weiterhin wurden demnach vielfach abstrakte Gefährdungsdelikte als Ordnungswidrigkeiten bewertet und insbesondere sogar solche, die Zuwiderhandlungen gegen Ge- und Verbote zum Schutz von Leib und Leben sanktionierten. Insgesamt habe sich „der Gesetzgeber von dem Grundsatz leiten lassen, einmal solche Handlungen lediglich mit Geldbuße zu bedro-
§ 4 Historische Entwicklung des Verwaltungsstrafrechts
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ständen im Ordnungswidrigkeitenrecht wird der Rechtslage inzwischen eine Festigkeit attestiert, wogegen selbst berechtigte Bedenken kaum etwas auszurichten vermögen.37 Ungeachtet dessen zeigt sich die Wissenschaft im verwaltungsakzessorischen Strafrecht hiervon unbeeindruckt, indem sie teils reflexartig auf die unzulässige Pönalisierung des bloßen Ungehorsams oder eines nur formalen Ordnungsunrechts verweist.
B. Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht Im historischen Vergleich dazu fristeten Überlegungen darüber, welche materiellen Anforderungen an die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe zu stellen sind, ein Schattendasein. Wenngleich Zuwiderhandlungen gegen bestimmte polizeiliche Anordnungen bereits unter Strafe standen, erörterte man kaum, welchen rechtlichen Anforderungen sie genügen mussten. Nur vereinzelt finden sich hierzu in den damals gängigen Kommentierungen entsprechende Ausführungen. Bezüglich des § 360 Nr. 10 RStGB, der die Versagung einer geforderten Hilfe unter Strafe stellte, war beispielsweise der Prüfungsumfang des Strafrichters hinsichtlich der individuellen Aufforderung zur Hilfeleistung umstritten. Einerseits wurde dafür plädiert, dem Strafrichter eine Prüfungskompetenz über das Vorliegen eines Bedürfnisfalls gänzlich abzusprechen.38 Andere enthielten dem Strafrichter nur insoweit das Prüfungsrecht vor, als es um die Eignung und Notwendigkeit beziehungsweise Zweckmäßigkeit der Aufforderung zur Bekämpfung der Gefahr ging.39 Vereinzelt finden sich Andeutungen zum Rechtsschutz gegen die polizeiliche Verfügung. Das OLG München führte in einem Urteil vom 27. Juni 1891 aus: „Ob zur Abwendung öffentlicher Gefahr augenblickliche Hilfsleistung erforderlich ist oder minder rasch angeordnete ausreicht, dann von welchen Personen und in welcher Weise die für erforderlich erachtete Hilfe zu leisten ist, bleibt der pflichtgemäßen Erwägung der Polizeibehörde anheimgestellt. Unzutreffend aber ist es, aus der Art und Weise der polizeilich angeordneten Maßregel und ihrer Ausführung den Mangel einer gesetzlichen Voraussetzung zur Anordnung selbst zu folgern. Vielmehr könnte durch etwaige Fehlgriffe der Polizei in der Wahl der aufgerufenen Personen oder durch einen Irrthum derselben über die gesetzlichen Folgen des Ungehorsams
hen, die zwar ethisch farblos sind, deren Bekämpfung jedoch im Interesse der öffentlichen Ordnung notwendig ist, zum anderen aber auch Handlungen, bei denen der Unrechtsgehalt der Tat so gering ist, daß kein Grund für das sittliche Pathos des Strafens gegeben ist“. 37 KK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 92. 38 OLG Posen GA 1890, 449. 39 So Frank, RStGB, § 360 zu Nr. 10; wohl auch Oppenhoff, RStGB II, § 360 zu Nr. 10/75; v. Schwarze, RStGB II, § 360 zu Nr. 10.
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht allenfalls eine Beschwerde an die vorgesetzte Verwaltungsstelle, keinesfalls aber die Straflosigkeit begründen.“ 40
Bezüglich der ähnlich ausgestalteten Vorschrift des § 361 Nr. 2 RStGB, der die verbotswidrige Rückkehr in das Reichsgebiet unter Strafe stellte, herrschte hingegen weitgehend Einigkeit, dass der Strafrichter nicht nur ohne weiteres prüfen darf, sondern vielmehr sogar prüfen muss, inwieweit die Ausweisung nach Maßgabe des Gesetzes statthaft war. Lediglich die Prüfung der polizeilichen Zweckmäßigkeit war dem richterlichen Prüfungsrecht entzogen.41 Anders wiederum gestaltete sich die Rechtsansicht im Rahmen des § 361 Nr. 6 RStGB [1876]42, der eine „Weibsperson“ bestrafte, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt war, wenn sie den polizeilichen Vorschriften zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstands zuwiderhandelte. Weitgehend anerkannt war, dass die polizeiliche Vorschrift auch durch individuell adressierte Verfügung ergehen konnte.43 Die Prüfung ihrer materiellen Richtigkeit sollte dem Strafrichter nicht obliegen.44 Das OLG Stettin führte mit Blick auf zur Verfügung stehende Rechtsmittel aus: „Gegen solche Anordnungen stehen den davon Betroffenen die im Verwaltungswege zulässigen Rechtsmittel zu. Ist von diesen Rechtsmitteln kein Gebrauch gemacht, so ist eine solche Anordnung bindend und fällt eine Uebertretung derselben unter das Strafgesetz, falls die Behörde im Allgemeinen zum Erlaß von Anordnungen solcher Art kraft der ihr zustehenden Exekutive befugt war und die betreffende Anordnung zu einem der im Gesetz genannten Zwecke erlassen hatte.“ 45
Gleiches galt für die Unterstellung unter die polizeiliche Aufsicht. Eine strafrichterliche Prüfung derselben auf ihre Begründetheit hin wurde ebenfalls abgelehnt.46 40 OLG München GA 1891, 352 f.; hierzu Rosenberg, in: Obermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB, § 360 X Nr. 8, der darauf verweist, dass die Verwaltungsbeschwerde „natürlich keine aufschiebende Wirkung“ habe. 41 RGSt 6, 378; Binding, BT II 2, S. 744 mit Fn. 4; Frank, RStGB, § 361 zu Nr. 2; Rosenberg, in: Obermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB, § 361 II Nr. 3; Olshausen, RStGB II, § 361 zu Nr. 2; Oppenhoff, RStGB II, § 361 zu Nr. 2/12; Rubo, RStGB, § 361 zu Nr. 2; v. Schwarze, § 361 zu Nr. 1, 2. 42 Siehe zur Änderung gegenüber der (oben zitierten) 1871 eingeführten Vorschrift Rubo, RStGB, § 361 zu Nr. 6. 43 Vgl. RGSt 11, 286; OLG Stettin GA 1897, 293; OLG Kassel GA 1904, 415; ausdrücklich Frank, RStGB, § 361 zu Nr. 6; ohne Begründung anders Oppenhoff, RStGB II, § 361 zu Nr. 6/38. 44 Wohl auch Frank, RStGB, § 361 zu Nr. 6; eindeutig v. Schwarze, RStGB II, § 361 zu Nr. 6 mit Fn. 6 m.w. N. 45 OLG Stettin GA 45 (1897), 293; hierzu Rosenberg, in: Obermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB, § 361 VI Nr. 5. 46 Vgl. Frank, RStGB, § 361 zu Nr. 6; Rosenberg, in: Obermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB, § 361 VI Nr. 5 m.w. N. und der bemerkenswerten Anmerkung, wonach es für die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels auf das einschlägige Landesrecht ankomme.
§ 4 Historische Entwicklung des Verwaltungsstrafrechts
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Die aufgezeigten Beispiele lassen die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht in ihren Anfängen erkennen. Der wissenschaftliche Diskurs beschränkte sich jedoch auf Einzelfälle. Eine dogmatische Auseinandersetzung fand hingegen nicht statt und konnte vor dem historischen Hintergrund eines noch in der Entwicklung begriffenen Verwaltungsrechts nicht erwartet werden.47 Diese nachzuvollziehen, kann und soll hier nicht geleistet werden. Insoweit seien nur einige wenige Wegmarken genannt: Das Verwaltungsrecht erstarkte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Disziplin.48 Die Abkehr von der vielfach praktizierten Administrativjustiz, in der die Verwaltung den Richter in eigener Sache mimte, hin zu einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit vollzog sich in den einzelnen Ländern erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nach und nach.49 Nach Stolleis war das Verwaltungsrecht erst in diesem Zuge „erwachsen“ geworden, weil es von da an der wissenschaftlich diskutierbaren richterlichen Subsumtion unterstellt war.50 Der Verwaltungsakt als zentrales Handlungsinstrument, zwar bereits durch Otto Mayer 1895 entscheidend umrissen,51 erreichte erst nach 1945 einen zuvor nicht gekannten Zustand der Stabilität.52 Ebenso erging es dem vorläufigen Rechtsschutz, wie er sich heute in dem fein austarierten System des § 80 VwGO 47 Vgl. hierzu die Bestandsaufnahme von Hoffmann, ZgS 1844, 190 f.: „Bei der mannigfachen wissenschaftlichen Bearbeitung [. . .] ist das Verwaltungsrecht im engeren Sinne, d.h. in seiner Beschränkung auf die beiden Hauptzweige der inneren Staatsverwaltung oder sogenannten Administration, die Polizei- und Finanzverwaltung, einer solchen verhältnismässig noch wenig gewürdigt worden, wie ein Blick auf den Gang und Stand der staatswissenschaftlichen Bestrebungen in der Literatur, und, was besonders Beachtung verdient, auf unseren Hochschulen zeigt. [. . .] Hauptsächlich fehlt es hierbei an der Zugrundelegung richtiger und klarer Begriffe, sowie an wissenschaftlicher Begrenzung des Gegenstandes. Diese Mängel in den Bearbeitungen des Verwaltungsrechts tragen aber, indem sie mehr oder minder stark durchgreifend hervortreten, wiederum dazu bei, die wissenschaftliche Bedeutung von jenem in den Schatten zu stellen. Es besteht demzufolge fortwährend eine bedeutende Lücke in der Literatur des öffentlichen Rechts, welche bei dem Umfang und der Wichtigkeit des Gegenstandes in hohem Grade zu beklagen ist.“ Hoffmann selbst war Professor des ersten für Verwaltungsrecht eingesetzten Lehrstuhls (1843 in Tübingen); s. hierzu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, S. 229 ff. 48 Vgl. hierzu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, S. 230 ff. 49 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, S. 240 ff. 50 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, S. 243. 51 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl., 1895. Erhellend zum Zustand des deutschen Verwaltungsrechts im Vergleich der zuvor von ihm veröffentlichen „Theorie des Französischen Verwaltungsrechts“ (1886) heißt es im Vorwort: „[. . .] Das bot hier ganz andere Schwierigkeiten. Dort hatte ich den Einheitsstaat vor mir mit schlechthin nationalem Recht. Hier die Mannigfaltigkeit der Landesrechte, ihrerseits wieder in verschiedenem Maße dem Einflusse fremden, d.h. des französischen Rechtes unterliegend. Dort ein neues Recht aus einem Gusse, wie es aus dem Schmelzofen der Revolution hervorging. Hier allmähliche Übergänge und alles durchzogen von stehengebliebenen Resten des Alten. [. . .] Wer möchte behaupten, daß unsere deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft auch nur annähernd zu einem ähnlichen Abschlusse gekommen sei?“ 52 So Engert, Entwicklung, S. 231.
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
wiederfindet.53 Mithin erfuhr das Verwaltungsrecht erst durch die Kodifizierung der Verwaltungsgerichtsordnung am 21. Januar 196054 und des Verwaltungsverfahrensgesetz am 25. Mai 197655 eine weitere Verstetigung. Für den strafrechtswissenschaftlichen Diskurs war die Überführung des Umweltstrafrechts in das Strafgesetzbuch im Jahr 198056 zentral. Weniger deshalb, weil sie eine Umkehr in der durch das Ordnungswidrigkeitenrecht eingeleiteten Entkriminalisierung des Verwaltungsungehorsams bedeutete,57 als vielmehr der wissenschaftliche Diskurs um das Gefüge von Verwaltungsrecht und Strafrecht neu befeuert wurde. Dabei konnte sich das Strafrecht nunmehr auf verlässlichere Grundlagen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen und der Verwaltungsgerichtsordnung stützen. Wenngleich also bezweifelt werden kann, ob die mit der Überführung des Umweltstrafrechts erhoffte Intention erfüllt wurde, die Normen verstärkt in das Bewusstsein der Bevölkerung zu heben und in der Praxis durchzusetzen, hatte sie in jedem Fall eine breite wissenschaftliche Diskussion um die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht zur Folge. Wenn neuerdings wieder vom Verwaltungsstrafrecht die Rede ist, dreht sich der inhaltliche Diskurs daher weniger um das eingangs erwähnte staatsrechtliche Gefüge. Vielmehr geht es darum, die unterschiedlichen Aussagen von Verwaltungsrecht und Strafrecht in einen gemeinsamen Kontext einzustellen,58 die beiden Interessen gerecht wird.
§ 5 Verwaltungsrecht und Strafrecht als Teilgebiete des öffentlichen Rechts – Parallelen und Unterschiede Das bedingt zunächst eines äußeren Blicks auf die beiden im Ausgangspunkt unterschiedlichen Rechtsordnungen. Wenngleich sie demselben Ursprung im öffentlichen Recht entstammen, entzweit die unterschiedliche Zwecksetzung von Verwaltungsrecht und Strafrecht die ungleichen Partner bereits im Ausgangspunkt. Gleichwohl muss mit der gesetzgeberischen Synthese von Verwaltungsrecht und Strafrecht umgegangen werden. Zum Verständnis der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Verwaltungsrecht und Strafrecht liegt das Augenmerk zu Beginn auf den Aufgaben, Funktionen und Regelungskonzeptionen der Teilrechtsordnungen des öffentlichen Rechts. Von diesem Standpunkt aus lassen sich die rechtsübergreifenden Konkordanzen, wie sie in der Vergangenheit vielfach 53 Vgl. Engert, Entwicklung, S. 177; eingehend zur historischen Entwicklung des Suspensiveffekts Wieseler, Rechtsschutz, S. 95 ff. 54 BGBl. I, S. 17 ff. 55 BGBl. I, S. 1253 ff. 56 BGBl. I, S. 373 ff. 57 Vgl. hierzu Heger, Rengier-FS, S. 617 (618). 58 So auch die inhaltliche Auseinandersetzung von Heger, Rengier-FS, S. 617 (621 ff.).
§ 5 Verwaltungsrecht und Strafrecht als Teilgebiete des öffentlichen Rechts
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zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht behauptet wurden, einer kritischen Analyse unterziehen.
A. Ausgangpunkt – Strafrecht und Verwaltungsrecht als Teilgebiete des öffentlichen Rechts Nach der klassischen Kategorisierung der Rechtsgebiete unterfällt das Strafrecht wie das allgemeine und besondere Verwaltungsrecht dem öffentlichen Recht.59 Diese Selbstverständlichkeit vorneweg anzusprechen erscheint angebracht, erweckt die Strafjurisprudenz häufig den Eindruck, sie tummle sich in einem Biotop rechtlicher Eigenständigkeit.60 Ebenso wie die Rechtsnormen des Verwaltungsrechts ermächtigen Straftatbestände – genauer: deren Rechtsfolgen – den Staat, auf den Bürger belastend einzuwirken. Insoweit besteht zwischen Verwaltungs- und Strafrecht nur ein qualitativer Unterschied, als dem Strafrecht nach herkömmlichem Verständnis die Rolle als schärfstem Schwert des Staates61 zuteilwird, dessen freiheitsbeschränkende Dimension am beträchtlichsten ist. Charakterisierend für die Teilgebiete des öffentlichen Rechts ist weiterhin das sie einende öffentliche Interesse, an denen sie sich orientieren. Mit ihrem Auftrag zur Sozialgestaltung nimmt die Verwaltung unterschiedlichste öffentliche Interessen wahr, die freilich dem steten Wandel der Zeit unterworfen sind und somit einen dynamischen Gegenstand darstellen.62 Ebenso versteht sich das Strafrecht als Hüter öffentlicher Interessen. Ungeachtet seines genauen Zwecks, zählt auch das Strafrecht zum Kerngebiet der rechtlichen Sozialkontrolle, indem es die Achtung von Rechtsgütern durch die Androhung von Kriminalstrafen zu erzwingen versucht.63
B. Die Wahrnehmung der öffentlichen Interessen durch Verwaltungsrecht und Strafrecht Während Verwaltungs- und Strafrecht bezüglich des Ob des Schutzes öffentlicher Interessen einander gleichen, tun sich erste Gräben hinsichtlich des Wie auf. Entsprechend attestiert die Wissenschaft dem Verwaltungsrecht eine aktive, in die 59 Siehe nur Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 2 Rn. 58; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 1 Rn. 11, der das Strafrecht genauer dem Bereich der staatlichen Eingriffsverwaltung zuordnet; MüKo-StGB/Joecks, Einl. Rn. 7; Roxin, AT I, § 1 Rn. 5 f. 60 Vgl. nur Heinrich, AT, Rn. 1, der die öffentlich-rechtliche Natur des Strafrechts nur noch in der Fußnote erwähnt und als inzwischen verselbständigtes Rechtsgebiet für dessen Eigenständigkeit wirbt. 61 Vgl. BVerfGE 39, 1 (45). 62 Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 1 Rn. 37 ff.; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 9 ff. 63 BVerfGE 39, 1 (46); Jescheck/Weigend, AT, S. 2 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 4; MüKoStGB/Joecks, Einl. Rn. 31.
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
Zukunft gerichtete Gestaltung,64 während sie dem Strafrecht eine weitgehend repressive Natur bescheinigt.65 Freilich gilt dies nur bezogen auf das konkret in Rede stehende Rechtsgut. Bezogen auf die Rechtsgüter im Allgemeinen kommt auch dem Strafrecht eine präventive Rolle zu, sehen doch die relativen Straftheorien gerade darin den Sinn und Zweck der Strafe.66 Ob Berg das Verhältnis von Straf- und Verwaltungsrecht noch auf den Punkt bringt, wenn er ausführt, dass Strafe dort verhängt wird, wo das Verwaltungsrecht kapituliert hat und das Sanktionenrecht erst dann zum Zuge kommt, wenn die Verwaltung ihre Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht erfüllen konnte,67 bleibt zu klären. I. Die zukunftsorientierte Ausrichtung des Verwaltungsrechts In der Einleitung seines Deutschen Verwaltungsrechts definiert Otto Mayer den Begriff der Verwaltung als Tätigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Zwecke.68 Allein aus dieser lapidar anmutenden Definition erschließt sich die zukunftsorientierte Ausrichtung des Verwaltungshandelns. Ausgehend nämlich von den Zwecken und Zielen, welche der Gesetzgeber ihr aufgibt, handelt die Verwaltung und strebt danach, ebenjene Ziele in Zukunft zu erreichen. Als besonders markantes Beispiel stellt sich dabei das weite Feld des Gefahrenabwehrrechts und die damit einhergehende präventive Natur des Verwaltungshandelns heraus: Um zu verhindern, dass sich in Zukunft eine Gefahr in einem Schaden realisiert, erlässt die Behörde einen ge- oder verbietenden Verwaltungsakt, wie dies regelmäßig im Polizeirecht der Fall ist.69 Während sich die Ordnungsverwaltung klassischerweise auf eine konkrete Situation mit einem überschaubaren zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnis richtet, werden neueren Entwicklungen ein konzeptioneller Wandel hin zu einer Risi64 So Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 11; zustimmend Berg, WiVerw 1982, 169 (175). 65 Berg, WiVerw 1982, 169 (175); Jescheck/Weigend, AT, S. 4 („Prävention durch Repression“); Schäfer, GA 1986, 49 (51). 66 Vgl. Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 2 Rn. 21 ff.; Heinrich, AT, Rn. 16 ff.; insoweit missverständlich Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 2, wenn sie ausführen, dass Umweltstrafrecht sei grundsätzlich nicht geeignet, zu einer Optimierung des Umweltschutzes anzuhalten; Roxin, AT I, § 3 Rn. 37 ff.; unmittelbar mit Bezug zum Verwaltungsrecht Rudolphi, Honig-FS, S. 151 (159): „Für das Strafrecht folgt daraus – ähnlich wie für das Polizeirecht –, daß es auf die ,Gefahrenabwehr‘ beschränkt ist“; Schäfer, GA 1986, 49 (52); Schmidhäuser, Sinn des Strafens, S. 77 f.: „[. . .] die Vollstreckung mit dem durch das Strafurteil allgemein erkennbar gemachten Bezug auf die mißbilligte Tat enthält zugleich auch wieder die neue Drohung für die Zukunft.“ 67 Berg, WiVerw 1982, 169 (175); vgl. insoweit auch Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 16 f., zur sekundären und akzessorischen Schutzfunktion des Strafrechts. 68 Mayer, Verwaltungsrecht, S. 1. 69 Vgl. Graulich, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, E. Rn. 22 ff.; Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 12 Rn. 27.
§ 5 Verwaltungsrecht und Strafrecht als Teilgebiete des öffentlichen Rechts
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koverwaltung attestiert.70 Dieser Wandel vollzieht sich in der Abkehr von der konkreten Gefahrenabwehr hin zu einer vorsorglichen Risikobekämpfung, die bereits im Vorfeld von Gefahren einsetzt.71 Als Teil dessen kann auch angesehen werden, wenn der Gesetzgeber zunehmend Gefahren vorbeugt, indem er Handlungen unter Genehmigungsvorbehalt stellt und sie damit einer vorausgehenden behördlichen Kontrolle unterzieht. Die behördliche Inanspruchnahme des Bürgers verlagert sich dabei in das Vorfeld privater Freiheitsausübung, wobei sich der zukunftsgerichtete Charakter in gewisser Weise auch darin offenbart, als die Erlaubnis eine oft dauerhafte Rechtsbeziehung zwischen dem Bürger und der Verwaltung begründet.72 II. Die vergangenheitsbewältigende Funktion des Strafrechts Anders versteht das Strafrecht seine Rolle als Hüter öffentlicher Interessen. Das Strafrecht bewahrt nicht ein konkretes Rechtsgut vor einem Schaden, sondern sanktioniert regelmäßig die bereits in einem Schaden realisierte Missachtung des Rechtsguts. Mit der Sanktionierung kommt dem Strafrecht eine vergangenheitsbewältigende und damit repressive Aufgabe zu.73 Zwar erzeugt und bezweckt das Strafrecht damit eine Drohkulisse, welche die zukünftige Achtung der Rechtsgüter garantieren soll, sodass ihm insoweit eine vorbeugende und somit präventive Aufgabe zukommt.74 Wesentlich ist aber folgender Unterschied: 70 Vgl. dazu Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 12 Rn. 27 ff. 71 Zum „Grundsatz bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ im Atomrecht bereits BVerfGE 49, 89 (138 f.); vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, D. Rn. 13 („Risikovorsorge“); Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 12 Rn. 28 („Risikoverwaltung“). 72 Vgl. Berg, WiVerw 1982, 169 (175), am Beispiel der Gewerbeerlaubnis: „Erst mit einer Gewerbeerlaubnis beginnt die Einsatzmöglichkeit der zahllosen Rechtstechniken zur Wirtschaftsaufsicht, wie Mitwirkungs- und Duldungspflichten des Bürgers, Überwachungs- und Anordnungsbefugnisse der Behörden etc.“ Näher zu den Regelungskonzeptionen im Verwaltungsrecht unten § 5 C. I. 73 Jescheck/Weigend, AT, S. 4: „[. . .], denn die Strafe blickt in die Vergangenheit und kann das begangene Unrecht nicht ungeschehen machen.“ Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 2; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 5. 74 Nach Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 154, dient das Strafrecht ausschließlich der Gefahrenabwehr; Hassemer, JuS 1987, 257 m.w. N.; Jescheck/Weigend, AT, S. 4: „In dem Ausspruch der angemessenen Strafe wegen der begangenen Rechtsverletzung liegt die sichtbare Bestätigung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung. Das gerichtliche Urteil bringt für den Täter zum Ausdruck, daß das Recht sich, wenn auch manchmal erst spät, durchsetzt und daß darum damit gerechnet werden kann, daß es dies auch in Zukunft tun wird [. . .]. Auch wenn es repressiv einschreitet, erfüllt das Strafrecht mit Blick auf den Gesellschaftsschutz eine vorbeugende Aufgabe“; Kindhäuser, Gefährdung, S. 37: „Zweck der Strafe ist demnach die Sicherung eines gerechten und nützlichen Maßes an rechtstreuer Motivation“; Lüderssen, in: Hassemer/Lüderssen/Naucke, Generalprävention, S. 54 (59); Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 6: „Die Strafandrohung in den Strafgesetzen impliziert den an den potentiellen Straftäter
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während das Strafrecht lediglich als Damoklesschwert über dem Haupt möglicher Rechtsbrecher hängt, greift das Verwaltungsrecht für den Rechtsgüterschutz gestaltend ein. Während das Strafrecht auf die Einhaltung der Rechtsordnung vertrauen muss und nur ein bekräftigendes Motiv hierzu leistet,75 bringt die Verwaltung – wiederum nach den Worten Otto Mayers – „die allgemeine Pflicht, die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören [. . .], zu rechtlicher Gestalt und Geltung“ 76. Hieran ändert im Grundsatz auch die Anfang der 1980er Jahre aufkommende Diskussion um eine neue Sicherheitsarchitektur, die in Teilen eine Umsetzung erfahren hat, nichts. Mit einer wesentlichen Erweiterung des freiheitlich-rechtsstaatlichen Sicherheitsauftrags in das Vorfeld der klassischen Wegmarken von „Gefahr“ und „Verdacht“ versuchten die Innenminister der Länder mit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten die als überkommen bewerteten Grenzen zwischen präventivem Gefahrenabwehrrecht und repressivem Strafrecht zu verwischen.77 Seither beschäftigt die Diskussion um Sicherheit durch Strafrecht die strafrechtliche Wissenschaft.78 Insbesondere interessant für die vorliegende Betrachtung ist, ob sich dieser Befund als wahr herausstellt und damit dem Strafrecht eine dem Verwaltungsrecht ähnelnde gestaltende Funktion zukommt.79 Soweit Normen der Strafzumessung beziehungsweise der Strafvollstreckung ein präventiver Gedanke zugeschrieben wird,80 ist dieser Ansatz wenig zielführend,
gerichteten Appell, er solle das im Tatbestand beschriebene Verhalten vermeiden“; vgl. Schmidhäuser, Sinn des Strafens, S. 77; Schünemann, GA 1995, 201 (204). 75 Vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 6. 76 Mayer, Verwaltungsrecht, S. 228. 77 Zum „Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder“, siehe Albers, Straftatenverhütung, S. 117; auch Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, D. Rn. 1 ff.; krit. Hassemer, Strafen, S. 255 f. 78 Albers, Straftatenverhütung; ferner zum Thema des 67. Deutschen Anwaltstags im Jahr 2016 „Wenn das Strafrecht alles richten soll . . .“ Hamm, NJW 2016, 1538; vgl. Hassemer, JuS 1987, 257; ders., ZRP 1992, 378; ders., Strafen, S. 248 ff.; ders., HRRS 2006, 130; Kindhäuser, Gefährdung, S. 277 ff.; Kniesel, ZRP 1989, 329; Pitschas, JZ 1993, 857 (860); vgl. ferner Stratenwerth, ZStW 1993, 679. 79 Vgl. Hassemer, JuS 1987, 257 (264): „Wenn Prävention im Strafrecht richtig beschrieben ist als dessen spezifische Orientierung auf die sonstige soziale Kontrolle, so ist damit zugleich ein Problem benannt, das man als ,Funktionalisierung des Strafrechts‘ bezeichnen kann: die Verfolgung gesellschaftspolitischer Ziele mit den Mitteln des Strafrechts“; noch deutlicher ders., ZRP 1992, 378 (381): „Statt auf die Antwort auf ein Unrecht und dessen Ausgleich mittels gerechter Reaktion kommt es nun auf Prävention künftigen Unrechts oder gar auf Bewältigung künftiger Großstörungen an. Plakativ gesprochen, geht es auch im Strafrecht nunmehr nicht mehr um eine angemessene Antwort auf Vergangenheit, sondern um Bewältigung von Zukunft“. 80 Hassemer, JuS 1987, 257, verdeutlicht die „Formen der Prävention im Strafrecht“ am Beispiel des § 35 BtMG, wonach die Strafvollstreckung zurückgestellt werden kann, wenn die Tat aufgrund Drogenabhängigkeit begangen wurde und sich der Verurteilte
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da sie auf einen Zeitpunkt abstellen, in dem die strafrechtlich bedeutsame Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung weit zurückliegt, sodass einem etwaigen Schutz ohnehin nicht mehr beizukommen ist. Anderes aber gilt, soweit die Wissenschaft die gleichermaßen präventive und zukunftsorientierte Ausrichtung des Strafrechts darin sieht, dass Strafdrohungen vervollständigt und mit der Etablierung abstrakter Gefährdungsdelikte nicht nur Tatnachweise erleichtert werden, sondern die Strafbarkeit ins Vorfeld der Rechtsgutsverletzung rückt.81 Beispielhaft hierfür steht das strafrechtliche Organisations- und Teilnahmeverbot von Kraftfahrzeugrennen, ohne dass das Grunddelikt (§ 315d Abs. 1 StGB) eine Verletzung oder Gefährdung von Personen oder Sachen voraussetzt.82 Mittelbar geht damit eine Änderung der strafrechtlichen Rollenzuteilung insofern einher, als die Verwaltungsrechtsordnung an der Gefährdungsstrafbarkeit einen vorgelagerten Bezugspunkt für eine polizeiliche Gefahr festmachen und damit eine Schadensrealisierung wirkungsvoller verhindern kann.83 Durch diese dem Verwaltungsrecht dienende Funktion leistet das Strafrecht mittelbar seinen Beitrag zur Prävention. Einen unmittelbar eigenen Beitrag leistet das Strafrecht zur Verhinderung von Rechtsgutsverletzung jedoch nicht. Zwar mögen die strafrechtlichen Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen den Beschuldigten faktisch daran hindern, seine rechtsgutgefährdenden Handlungen fortzuführen. Sie dienen aber letztlich nur dazu, den Täter seiner Strafe zuzuführen. Das Strafrecht bleibt insoweit passiver Zuschauer, der auf die Einhaltung der Normen vertrauen muss. Die gestaltenden Maßnahmen für eine effektive Gefahrenabwehr bleiben dem Verwaltungsrecht vorbehalten. III. Die Friktionen verwaltungsrechtlicher Prävention und strafrechtlicher Repression Damit ist der bedeutsame Unterschied zwischen Verwaltungsrecht als aktiv zukunftsgerichtetem und gestaltendem Instrument einerseits und dem Strafrecht als einer Behandlung unterzieht; auch Naucke, in: Hassemer/Lüderssen/Naucke, Generalprävention, S. 9 (21 f.). 81 Hassemer, Strafen, S. 270 ff.; ders., HRRS 2006, 130 (132); vgl. zum Verhältnis von Strafwürdigkeit/Präventionswürdigkeit Naucke, in: Hassemer/Lüderssen/Naucke, Generalprävention, S. 9 (23 ff.). 82 Vgl. Sch/Sch/Hecker, § 315d Rn. 1. Zu den Begründungsschwierigkeiten eines Tötungsvorsatzes in den sog. „Raser-Fällen“ mit tödlichem Ausgang und der sachgerechten Antwort des Gesetzgebers durch Schaffung der Erfolgsqualifikation in § 315d Abs. 5 StGB eingehend Eisele, JZ 2018, 549. 83 Vgl. hierzu Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 50: „T lagert gefährliche Abfälle illegal auf seinem Grundstück. Bevor es zu einer Kontamination von Boden und Grundwasser kommt, greift die Polizei ein und nimmt strafrechtliche Ermittlungen gegen T auf. Gäbe es die Vorschrift des § 326 Abs. 1 StGB nicht, könnte das Strafrecht erst intervenieren, wenn es zu einer Verunreinigung des Grundwassers (§ 324) oder des Bodens (§ 324a) oder zu Schäden an menschlicher Gesundheit (§ 223) gekommen ist.“
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
vergangenheitsbewältigendem repressivem Instrument andererseits aufgezeigt. Dieses Verhältnis spiegelt sich äquivalent an der Aufgabenstellung von Verwaltung und (Straf-)Gericht wider: Während die Verwaltung einen sozialen Prozess beurteilen muss und entsprechend planerische Entscheidungen trifft, genügt die Justiz ihrem Auftrag, indem sie einen vergangenen Ausschnitt aus der sozialen Realität rechtlich in Bezug auf den normierten Tatbestand be- und gegebenenfalls verurteilt.84 Folgerichtig will das Verwaltungsrecht die Pflichterfüllung erzwingen, während das Strafrecht die Pflichtversäumnis sanktioniert.85 Entsprechend steht die Verwaltungsentscheidung in Form eines Verwaltungsakts regelmäßig am Anfang des auf Gefahrenabwehr konzipierten Verwaltungsrechtsverhältnisses, während das Urteil – und im Besonderen das Strafurteil – das Ende des Strafverfahrensrechtsverhältnisses markiert.86 Mit dem verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht, sprich der Anknüpfung der Straftatbestände an das Verwaltungsrecht,87 vermengt der Gesetzgeber die verwaltungsrechtliche actio mit der strafrechtlichen reactio. Hieraus resultieren unweigerlich Friktionen. Dem Strafrecht ist es von Natur aus fremd, einen dynamischen zukunftsorientierten Komplex zu bewältigen, wo es eigentlich gewohnt ist, auf „fertige“, abgeschlossene Sachverhalte zu reagieren. Dieser Konflikt potenziert sich, wenn die Verwaltungsentscheidung im Fall ihrer Rechtswidrigkeit mit Wirkung ex tunc aufgehoben wird. Diesen offenbaren Gegensatz der Zielrichtungen gilt es zu bewältigen, möglichst ohne befürchtete Wesensverluste in Kauf nehmen zu müssen.88
C. Die unterschiedlichen Regelungskonzeptionen zur Wahrnehmung der öffentlichen Interessen Der Gesetzgeber stattet Verwaltungsrecht und Strafrecht mit jeweils unterschiedlichen Regelungskonzeptionen aus, damit sie ihren jeweiligen Aufgaben gerecht werden können. Gilt dem Strafrecht das Verwaltungsrecht als Anknüpfungspunkt, vermengt der Gesetzgeber damit auch unterschiedliche Regelungskonzeptionen. Zum Verständnis des verwaltungsaktakzessorischen Strafrechts 84 Wiederum einprägsam Berg, WiVerw 1982, 169 (175): „Während mit dem Erlaß des Urteils die Gerichtsakten geschlossen werden können, für das Gericht der Prozeß also erledigt ist, setzt der Verwaltungsakt oft erst den Anfang für eine dauerhafte künftige Rechtsbeziehung zwischen dem Bürger und der Verwaltung“; Schäfer, GA 1986, 49 (51). 85 Vgl. Dohna, VerwArch 1925, 233 (237), allerdings mit Blick auf die Differenzen von Verwaltungsstrafe und Kriminalstrafe; vgl. auch Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 5. 86 Vgl. Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 43. 87 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 159. 88 Zu dieser Befürchtung Kühl, Lackner-FS, S. 815 (826): „So kann man durchaus bezweifeln, ob dem Strafrecht die Akzessorietät zum Verwaltungsrecht unabhängig von der Standortfrage überhaupt bekommt: Ist die Verzahnung präventiven Verwaltungsrechts mit repressivem Strafrecht für letzteres ohne Wesensverlust zu überstehen?“
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werden diese kollidierenden Regelungskonzeptionen zunächst aufgezeigt. Darauf aufbauend lässt sich analysieren, inwieweit aus diesen Regelungskonzeptionen rechtsübergreifende Konkordanzen zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht angezeigt sind, um dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu genügen. I. Das Verwaltungsrecht – Die bewahrende Ordnungsverwaltung Das Verwaltungsrecht ist das der Verwaltung eigene Recht.89 Es ist unmittelbar an die Verwaltung adressiert und regelt ihre Tätigkeit in Form des gesetzlichen Auftrags, das hierfür vorgesehene Verfahren und ihre Organisation.90 Freilich kann es dabei die Beziehungen der Verwaltung zum Bürger nicht außen vor lassen, immer aber beschreibt es eine Rechtsbeziehung zur Verwaltung.91 Nachdem die zukunftsorientierte Ausrichtung des Verwaltungsrechts bereits dargelegt wurde, sollen nunmehr die Details der Regelungskonzeptionen dargelegt werden, wie sie im Verwaltungsrecht Platz greifen. Nähert man sich dem gewaltigen Begriff der staatlichen Verwaltung und sucht nach einer konkreteren Bestimmung, wie sie für die Betrachtung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht fruchtbar ist, erweist sich der Ausschnitt der Ordnungsverwaltung als weiterführend.92 Mit dem Ziel, gesetzlich unerwünschte Zustände zu verhindern oder zu beseitigen, widmet sich die sogenannte bewahrende Ordnungsverwaltung der Aufsicht, Überwachung und Regulierung und trägt auf diese Weise der Gefahrenabwehr beziehungsweise -vorsorge für Rechtsgüter Rechnung.93 Infolge der Tatsache, dass das Strafrecht ebenso dem Rechtsgüterschutz verpflichtet ist, verwundert es kaum, dass es gerade die Instrumente der bewahrenden Ordnungsverwaltung sind, welche im Strafrecht von Bedeutung sind. Wenn Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte unter Strafe stehen, ist der befehlende Verwaltungsakt dem Aufgabentyp nach ein Akt der bewahrenden 89 So Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 1; vgl. auch Burgi, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 18 Rn. 3. 90 Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 3 Rn. 3: „Zuordnungssubjekt des Verwaltungsrechts ist die staatliche Verwaltung“; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 1. Vgl. insoweit auch zu den Instrumenten des Umweltverwaltungsrechts als die der Verwaltung zur Ausführung ihrer Handlungsaufträge an die Hand gegebenen Werkzeuge Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 1 ff.; insoweit spricht Möllers, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 3 Rn. 5, bezüglich des Verwaltungsrechts vom „Recht, das die Erzeugung von Recht durch die Verwaltung organisiert“. 91 Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 3 Rn. 3; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 1. 92 Im Allgemeinen zu den Arten der staatlichen Verwaltung Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 1 Rn. 47 ff.; auch Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 4 Rn. 8 ff. 93 Vgl. Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 1 Rn. 49 f.; Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 12 Rn. 27.
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
Ordnungsverwaltung. Ebenso ist der bewahrenden Ordnungsverwaltung das vorgeschaltete Genehmigungsverwaltungsrecht94 zuzuordnen, das strafrechtliche Vorschriften flankieren, indem sie ein ungenehmigtes Verhalten unter Strafe stellen. Damit sind die beiden maßgeblichen Regelungskonzepte bereits aufgezeigt, die je nach gesetzgeberischer Einschätzung über das Risikopotential und der Beachtung individueller Freiheitsrechte von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet variieren: zum einen das Regelungskonzept der behördlichen Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung, zum anderen das Regelungskonzept der Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung.95 1. Behördliche Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung Ausgehend von der individuellen Freiheit des Einzelnen, bei dem Initiative und Verantwortung für jede seiner Aktivitäten liegt, schreitet der Staat erst ein, wenn aus einem Verhalten konkrete Gefahren für andere Rechtsgüter resultieren.96 Zum Ausdruck kommt diese Verantwortungszuschreibung insbesondere in den polizeilichen Generalklauseln der Polizeigesetze, die die Polizei dazu ermächtigen, diejenigen Maßnahmen zu treffen, um Gefahren von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen abzuwehren (z. B. §§ 1 Abs. 1, 3 PolG BW). Hierauf gestützt kann dem Bürger – im Regelfall als Verursacher/Störer (vgl. § 6 PolG BW) – durch belastenden Verwaltungsakt ein Tun oder Unterlassen aufgegeben werden. Dieses Konzept folgt dem Gedanken des Erlaubtseins mit Verbotsvorbehalt.97 Für Fälle der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt setzen die Gesetze fest, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise der Staat ermächtigt ist, bei bestimmten Verhaltensweisen einzugreifen. Wann die Verwaltung eingreifen darf, beruht auf einer abgestuften Gefahrenprognose:98 Zahlreiche Eingriffsermächtigungen – wie beispielsweise die polizeiliche Generalklausel (vgl. §§ 1, 3 PolG BW) – setzen tatbestandlich eine konkrete Gefahr im Sinne einer Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einen Schaden mündet.99 Wiederum sticht dabei der zukunftsgerichtete, folgenorientierte Bewirkungsauftrag der Verwaltung hervor,
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Zur Terminologie Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 5 ff. Zur Einteilung der Regelungskonzepte Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 7 Rn. 162. 96 Vgl. Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 7 Rn. 163. 97 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 187. 98 Zur freiheitssichernden Funktion des Gefahrenbegriffs als Eingriffsschwelle für hoheitliches Handeln Schoch, in: Schoch, BesVerwR, Kap. 1 Rn. 278. 99 Vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, D. Rn. 39, 42; Schoch, in: Schoch, BesVerwR, Kap. 1 Rn. 279. 95
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dem sie nur mithilfe prognostischer Entscheidungen beikommt.100 Damit die Polizei ihrem Auftrag einer effektiven Gefahrenabwehr genügen kann, ist ihr Eingreifen unter Umständen auch dann rechtmäßig, wenn eine Gefahr aus der Rückschau gar nicht bestand. Entsprechend prüft das Verwaltungsgericht bei seiner Rechtmäßigkeitskontrolle polizeilichen Handelns aus der ex ante-Perspektive, ob die Behörde im Zeitpunkt ihres Handelns unter Heranziehung der vorhandenen und verfügbaren Erkenntnisse eine Gefahr annehmen durfte (sog. Anscheinsgefahr).101 Neuerdings lässt der Gesetzgeber Eingriffe bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr zu. Unter dem Begriff der drohenden Gefahr werden etwa Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren und Gefahrverhinderungsmaßnahmen erlaubt.102 Damit sieht der Gesetzgeber für bestimmte Eingriffe eine niedrigere Eingriffsschwelle vor, wobei insbesondere an den Wahrscheinlichkeitsgrad des Eintritts eines drohenden Schadens geringere Anforderungen zu stellen sind.103 2. Behördliche Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung Angesichts der von bestimmten Verhaltensweisen ausgehenden beträchtlichen Folgen, welche die Verwaltung letztlich vor vollendete Tatsachen stellte, erachtet der Gesetzgeber ein nachträglich reagierendes Verwaltungshandeln in vielen Fällen für nicht ausreichend.104 Zahlreiche Gesetze sehen daher Eröffnungskontrollen vor, die ein entsprechendes Tätigwerden erst nach vorheriger Anzeige bei oder Genehmigung von der Behörde erlauben.105 Die Anzeigepflicht ermöglicht den Behörden, Kenntnis von bestimmten Verhaltensweisen zu erlangen, um diese überprüfen und gegebenenfalls untersagen zu können.106 Dies gilt beispielsweise für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel (vgl. § 14 Abs. 1 VersG) oder die Aufnahme eines selbständigen Betriebs stehender Gewerbe und Ähnlichem (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 GewO). Weitergehend beschränken Erlaubnisvorbehalte den Bürger, weil er dabei auf ein (aktiv) genehmigendes Verhalten der Behörde angewiesen ist.107 Die Tatsache, wonach die Genehmigung einen begüns100 Vgl. VGH Mannheim VBlBW 2011, 23 (24 f.); Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 3 f.; Schoch, in: Schoch, BesVerwR, Kap. 1 Rn. 284 ff. 101 BVerwGE 45, 51 (60 f.); VGH Mannheim NJW 2006, 635 (636); VBlBW 2011, 23 (24 f.); vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 4; Schoch, in: Schoch, BesVerwR, Kap. 1 Rn. 292 f. 102 Vgl. Waechter, NVwZ 2018, 458 (459). 103 Vgl. Waechter, NVwZ 2018, 458 (460). 104 Vgl. Gusy, JA 1981, 80; am Beispiel des Immissionsschutzrechts Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 177. 105 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 178 f.; Masing, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 7 Rn. 165 f. 106 Ehlers, in: Pünder/Ehlers, AllgVerwR, § 1 Rn. 50. 107 Ehlers, in: Pünder/Ehlers, AllgVerwR, § 1 Rn. 50.
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tigenden Verwaltungsakt darstellt, darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesetzliche statuierte Genehmigungspflicht zunächst in die Freiheitsrechte eingreift.108 Die Inanspruchnahme des Bürgers im Vorgriff seiner privaten Freiheitsausübung rechtfertigt sich zumeist aufgrund eines abstrahierenden Gefahrenurteils. Eine abstrakte Gefahr, wie sie zum Erlass zahlreicher Rechtsverordnungen notwendig ist, unterscheidet sich dabei nicht bezüglich des Grads der Wahrscheinlichkeit, wohl aber durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose von der konkreten Gefahr.109 Entsprechend ist von einer solchen auszugehen, wenn eine generell-abstrakte Betrachtungsweise bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln zu bekämpfen.110 Zweifel am Vorliegen einer abstrakten Gefahr kamen vielfach bei den erlassenen Rechtsverordnungen zum Schutz vor gefährlichen Hunden111 oder zum Verbot des Alkoholkonsums auf öffentlichen Plätzen auf.112 Relativiert sieht sich das Gefahrenabwehrprinzip schließlich durch das Regelungskonzept der Risikovorsorge. Damit verschiebt sich der Zeitpunkt, von dem an die Verwaltung aufgrund eines absehbaren Schadenseintritts eingreifen kann, nach vorne.113 Während für eine konkrete beziehungsweis abstrakte Gefahr eine Sachlage erforderlich ist, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einen Schaden mündet oder bei generell-abstrakter Betrachtung zu münden pflegt, genügt bei der Risikovorsorge die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts.114 Die Eingriffsvoraussetzungen werden damit gegenüber der klassischen Gefahrenabwehr, sowohl was die zeitliche und räumliche Perspektive als auch was die Eintrittswahrscheinlichkeit anbelangt, deutlich abgesenkt. Während konkrete und abstrakte Gefahr zumindest eine auf eine Tatsachengrundlage gestützte abgesicherte Wahrscheinlichkeitsprognose voraussetzen, kann die Verwaltung beim Vorsorgeprinzip in108 Vgl. BVerwG NJW 2017, 2215 (2218), bzgl. der Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung; Gusy, JA 1981, 80. 109 Schoch, in: Schoch, BesVerwR, Kap. 1 Rn. 807. 110 BVerwGE 116, 347 (351 f.); VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (56); Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, D. Rn. 42; Schoch, in: Schoch, BesVerwR, Kap. 1 Rn. 806. 111 Abl. BVerwGE 116, 347 (353 ff.); anders aber VGH Mannheim VBlBW 2002, 292 f. 112 Zu letzterem abl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (56); anders hingegen OVG Lüneburg GewArch 2013, 95. 113 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 12 Rn. 31. 114 Siehe insbesondere zum Umweltrecht Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 33; vgl. auch Scheidler, NuR 2016, 450 (453: „[. . .] wenn noch keine Gefahr, wohl aber ein ,Besorgnispotential‘ besteht. Zu den Tendenzen im Polizeirecht ferner Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, D Rn. 13, 41.
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zwischen sogar bei Ungewissheiten eingreifen.115 Entsprechend verpflichtet § 5 BImSchG den Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen nicht nur zu einem solchen Betrieb, der Gefahren nicht hervorruft, sondern weitergehend zu einem solchen, welcher der Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren etc. Rechnung trägt (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG).116 Mit dem behördlichen Genehmigungsvorbehalt verfolgt der Gesetzgeber formale und materielle Zwecke:117 Die materielle Kontrollfunktion besteht darin, dem Vorhaben die materiell-rechtliche Zulässigkeit zu bescheinigen. Herkömmlich wird danach unterschieden, ob die gesetzlich statuierte Genehmigungspflicht nur bezweckt, Rechtsverstöße rechtzeitig zu verhindern (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) oder die Freiheitsausübung grundsätzlich verbieten will (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt).118 Im ersten Fall soll die Genehmigung dem Vorhaben bescheinigen, dass keine verwaltungsrechtlichen Einwände entgegenstehen, während sie im zweiten Fall ein gesetzlich statuiertes Verbot für den Einzelfall suspendiert. Gegenüber der materiellen Kontrollfunktion erlangten die formalen Kontrollfunktionen kaum Aufmerksamkeit.119 Erst jüngst hat Schröder die Funktionen des sogenannten Genehmigungsverwaltungsrechts anhand unterschiedlicher Rechts115
Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 43. Vgl. dazu Scheidler, NuR 2016, 450 (453). 117 Vgl. hierzu Rengier, ZStW 1989, 874 (875 ff.). 118 Vgl. Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 1 Rn. 50; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 211, 213; metaphorisch Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 41: „Während die Erlaubnis eine Schranke hochzieht, die einen Weg sperrt, gestatten die Ausnahmebewilligung und der Dispens, über einen Zaun zu steigen“; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 55. Kritisch bezüglich der Unterscheidung zwischen präventivem und repressivem Verbot Gusy, JA 1981, 80 (81), wonach beide Regelungskonzepte zunächst ein Verbot dahingehend statuierten, eine Tätigkeit ungenehmigt auszuüben; vgl. zur Ungeeignetheit der klassischen Unterscheidung von Präventivverbot mit Erlaubnisvorbehalt und Repressivverbot mit Befreiungsvorbehalt auch Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 207 ff., 253 f., 327 f., S. 539 ff. 119 Den Mangel an systematischen Untersuchungen zum Genehmigungsverwaltungsrecht stellt auch Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 9 (m.w. N.), fest; vgl. aber bereits Rengier, ZStW 1989, 875 (875 ff.), der die formalen Kontrollfunktionen des Genehmigungsverfahrens bereits herausgearbeitet hat. Dass diese Aufgabe einem Strafrechtslehrer zugefallen ist, erhärtet ebenfalls den obigen Befund Schröders. Die Lücke in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung liegt vermutlich in den verwaltungsrechtlichen Rechtsfolgen begründet, die an einen (bloß) formell-rechtlichen Verstoß geknüpft sind: Sie waren in der Vergangenheit (vermehrt) unbeachtlich und sind es in Teilen auch heute noch. Denn ein Verstoß allein gegen den gesetzlich statuierten Erlaubnisvorbehalt führt lediglich zur (verwaltungsrechtlich) formellen Rechtswidrigkeit. Da sich zukunftsgerichtete Maßnahmen der Eingriffsverwaltung immer am Maßstab der Verhältnismäßigkeit messen lassen müssen, verbietet die (nur) formelle Rechtswidrigkeit in vielen Fällen ein Einschreiten gegen die genehmigungsfähige, aber ungenehmigte Tätigkeit (vgl. hierzu nur Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 54, am Beispiel des Baurechts). 116
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bereiche herausgearbeitet und umfassend dargestellt.120 In erster Linie dient der Erlaubnisvorbehalt der Rechtsbeachtungskontrolle, mit dem der gesetzlich statuierte Maßstab von Beginn an (sogenannte „Eröffnungskontrolle“) durchgesetzt und im Folgenden überwacht werden soll.121 Die dynamischen Betreiberpflichten, die die Bestandskraft von Genehmigungen zunehmend einschränken und den Behörden ermöglichen, gesetzliche Neuerungen und moderne technische Standards mithilfe der Eingriffsverwaltung auf Betriebe zu übertragen,122 veranschaulichen die Bedeutung der Eingangskontrolle, weil die Verwaltung auf diesem Wege an die notwendigen Informationen über den status quo gelangt.123 Weiterhin dient der Genehmigungsvorbehalt in verschiedenen Rechtsgebieten, die (inzwischen) kraft ihrer Komplexität abstrakt durch den Gesetzgeber kaum mehr regelbar sind, einer Entscheidungsfeinsteuerung durch die Verwaltung, an die der Gesetzgeber den Ausgleich gegenläufiger Interessen delegiert.124 Schließlich erfahren unterschiedlichste Bereiche eine umfassende staatliche Steuerung und Planung: sei es, dass es sich von vornherein um staatliche Ressourcen handelt, deren übermäßige Inanspruchnahme verhindert werden soll (bspw. Straßenrecht);125 sei es, dass die tatsächliche Knappheit einer Ressource eine Auswahl- und Verteilungsentscheidung im Sinne des Wettbewerbs erforderlich macht (bspw. Telekommunikationsrecht)126 oder ein nur abstrakt geregelter Zugriff in der Summe nachteilige Folgen für eine Ressource zeitigt. Zu diesen Zwecken untersteht etwa die Nutzung von Gewässern umfassenden Bewirtschaftungsplänen.127 120 Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 93 ff., geht dabei auf das Baurecht, Immissionsschutzrecht, Handwerksrecht, Außenwirtschaftsrecht, Glücksspielrecht, Verkehrs- und Transportrecht, Wasserrecht und Telekommunikationsrecht ein. 121 Die bloße Kontrollerlaubnis mit korrespondierendem Anspruch bei Vorliegen der gesetzlich statuierten Pflichten entspricht nach Masing, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 7 Rn. 167, das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; bei Rengier, ZStW 1989, 874 (876), innerhalb der Informationsfunktion und Sicherheits-/Ordnungsfunktion erkennbar; Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 466. 122 Siehe hierzu nur Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 369. 123 Vgl. Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 469. 124 Dem entspricht bei Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 7 Rn. 169, das dilatorische Verbot mit Planungsvorbehalt; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 200; Rengier, ZStW 1989, 874 (875), wobei der Aspekt der Entscheidungsfeinsteuerung im Schutz der behördlichen Dispositionsbefugnis erkennbar ist; Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, erkennt diesen Belang im Baurecht (S. 147 f.), im Außenwirtschaftsrecht (S. 248 f.) und im Chemikalienrecht in Form eines Risikomanagements (S. 264). 125 Vgl. Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 471; ausdrücklich zum „knappen Gut öffentlicher Straßen“ OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2012, 48147. 126 Bei Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 7 Rn. 168, entspricht dies dem suspensiven Verbot mit Distributionsvorbehalt; Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 473. 127 Vgl. zum Kernprinzip der Ressourcenvorsorge im Umweltrecht Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 54 ff.; Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 473.
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Ergänzend sei schließlich auch auf die subjektive Dimension der Gefahrenkontrolle hingewiesen. In diesem Sinne trägt das Vertrauen in die vorgeschaltete und in der Regel ordnungsgemäß durchgeführte behördliche Kontrolle wesentlich dazu bei, dass der Umgang mit an sich gefährlichen Objekten oder Tätigkeiten einigermaßen angstfrei vonstattengeht und in der Folge gesellschaftlich tolerierbar erscheint.128 II. Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht Anders als das Verwaltungsrecht, welches die Voraussetzungen für das Verwaltungshandeln definiert, beschreiben Straftatbestände Verhaltensweisen, die bei Strafe bedroht sind.129 Wenngleich das Strafgesetz sich nicht unmittelbar an den Normadressaten wendet („Du sollst nicht töten!“), erklärt das Strafrecht den potentiellen Normbrecher und damit grundsätzlich Jedermann zum Adressat seiner aufgestellten Verhaltensnormen.130 Das Strafrecht verfolgt damit den Schutz von Rechtsgütern, die als sozial wertvoll erkannt werden.131 Was die Regelungskonzeption des Strafrechts anbelangt, begrenzt die repressive Ausrichtung die Anzahl unterschiedlicher Regelungskonzeptionen. Gleichwohl lassen sich mit den Deliktstypen Erfolgsdelikt, konkretem, potentiellem und abstraktem Gefährdungsdelikt immerhin qualitative Unterschiede ausmachen, die einer Gegenüberstellung mit den verwaltungsrechtlichen Regelungskonzeptionen noch am ehesten gerecht wird.132 1. Deliktstypen Am deutlichsten sichtbar wird der repressive Charakter des Strafrechts an den Verletzungsdelikten, weil mit der Tatvollendung bereits ein nicht mehr abwendbarer Schaden eingetreten ist.133 Einen Schritt ins Vorfeld der Rechtsgutsverlet128 Rengier, ZStW 1989, 874 (877): „Genehmigungspflichtige und genehmigte Vorgänge begegnen uns im täglichen Leben ständig. Wir machen es uns in der Regel gar nicht bewußt, daß unsere Lebensqualität entscheiden von solchen verwaltungsrechtlichen Kontrollverfahren abhängt. [. . .] denn das durch die Kontrollverfahren vermittelte Vertrauen sowie die Einübung von Rechtstreue leiden, je mehr die formellen Verfahren missachtet werden“; vgl. auch Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (343): „Damit Sorglosigkeit vermittelt werden kann, ist auch das kognitive Element der Sicherheit zu schützen, nämlich der Prozeß der Erkenntnisgewinnung dahingehend, daß die künftige Gefahrlosigkeit hinreichend gewiß ist, um unbesorgt über Güter verfügen zu können.“ 129 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 1. 130 Sickor, RphZ 2015, 213 (218); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 132. 131 Eingehend Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 2 Rn. 7 ff. 132 Vgl. insoweit Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 46 ff., der bezüglich der Verhaltensweisen, die einem Präventivverbot unterliegen, strafrechtlich ein abstraktes Gefährdungsdelikt, bezüglich jener, die einem Repressivverbot unterliegen, strafrechtlich ein konkretes Gefährdungsdelikt annehmen will (hierzu näher unten § 5 D. II. 1. a)). 133 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 49.
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
zung geht der Gesetzgeber mit der Etablierung konkreter Gefährdungsdelikte, als er die Tatvollendung nicht an einen Verletzungserfolg knüpft, sondern den Eintritt eines Gefährdungserfolgs ausreichen lässt.134 Vom Erfordernis eines tatbestandlichen Verletzungs- oder Gefährdungserfolgs abgewendet haben sich schließlich die abstrakten Gefährdungsdelikte, wobei der Gesetzgeber Tätigkeiten unter Strafe stellt, die erfahrungsgemäß für bestimmte Rechtsgüter gefährlich sind.135 Während sich die konkrete Gefahr also auf einen Erfolgssachverhalt bezieht, ist Bezugsobjekt der abstrakten Gefahr die Handlung also solche.136 Als Unterfall der abstrakten Gefährdungsdelikte,137 die gleichsam in die Lücke zwischen abstraktes und konkretes Gefährdungsdelikt stoßen,138 gelten die potentiellen Gefährdungsdelikte: der Gesetzgeber stellt eine abstrakt gefährliche Tätigkeit unter Strafe, wobei dem Richter die Prüfung verbleibt, ob die Tat nach den konkreten Umständen generell geeignet war, eine Schädigung des geschützten Rechtsguts herbeizuführen.139 Was die Anforderungen an die jeweiligen Gefahrenschwellen angeht, muss differenziert werden: Beim Verletzungsdelikt hat sich die Gefahr bereits in einem Schaden realisiert, die qualitativ bestimmt werden muss. Hinsichtlich der Qualität eines Gewässers kann dies im Einzelfall Probleme bereiten.140 Ebenso wie beim Verletzungsdelikt muss beim konkreten Gefährdungsdelikt der Gefährdungserfolg als Tatbestandsmerkmal nachgewiesen werden, welcher auf tatsächlichen Umständen beruhen muss.141 Die Entscheidung über die Gefährlichkeit überträgt der Gesetzgeber in diesem Fall auf den Richter.142 Erforderlich für die Annahme einer konkreten Gefährdung des Rechtsguts ist die (nachträgliche) Feststellung einer „akuten und sichtbaren Existenzkrise“, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Schadenseintritt hindeutet und dessen Ausbleiben letztlich
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Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 35 Rn. 45, 61. Heinrich, AT, Rn. 164; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 35 Rn. 44; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 52; Rengier, AT, § 10 Rn. 11. 136 Vgl. Arnhold, Strafbewehrung, S. 78. 137 BGHSt 46, 212 (218); vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 53; Rengier, AT, § 10 Rn. 16. 138 BGH NJW 1999, 2129; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 35 Rn. 81; vgl. Schröder, ZStW 1969, 7 (22), der von einer „echten Kombination“ zwischen abstraktem und konkreten Gefährdungsdelikt ausgeht. 139 BGH St 39, 371; 46, 212 (218); NJW 1999, 2129; Mitsch, in: Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 53; Rengier, AT, § 10 Rn. 16; Schröder, ZStW 1969, 7 (22). 140 Vgl. Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 324 Rn. 8. 141 Vgl. hierzu BGHSt 36, 255 (256), mit dem zutreffenden Hinweis, dass auf die konkrete Gefährdung nicht allein aus der abstrakt gefährlichen Handlung geschlossen werden kann; Heinrich, AT, Rn. 163; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 35 Rn. 64 ff.; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 51. 142 Schröder, ZStW 1969, 7 (10). 135
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nur noch vom Zufall abhing.143 Dabei genügt es, wenn diese Erkenntnismöglichkeit erst später geschaffen wird (ex post-Betrachtung).144 Ebenso muss beim potentiellen Gefährdungsdelikt die generelle Eignung der Tat zur Rechtsgutschädigung vom Tatgericht nachgewiesen werden, wobei eine konkrete Gefahr nicht erforderlich ist.145 Anders hingegen gestaltet sich die rechtliche Lage beim abstrakten Gefährdungsdelikt: Die Gefährlichkeit ist kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich gesetzgeberisches Motiv ist, welches den Gesetzgeber dazu veranlasste, ebenjene Tätigkeit unter Strafe zu stellen.146 Dem Gesetzgeber steht hierbei ein in verfassungsrechtlicher Hinsicht kaum justiziables Einschätzungsermessen zu.147 2. Deliktstypen im verwaltungsaktakzessorischen Kontext Dem Strafrecht sind in seinem verwaltungsaktakzessorischen Kontext alle Deliktstypen zur Absicherung der behördlichen Inanspruchnahme sowohl im Vorgriff als auch im Nachgang privater Freiheitsausübung bekannt. Anhand des Umweltstrafrechts lassen sich die unterschiedlichen Deliktstypen aufzeigen. a) Strafnormen im Kontext der behördlichen Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung Vielfach flankieren Strafvorschriften die behördliche Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung, indem sie eine ungenehmigte Tätigkeitsausübung unter Strafe stellen. § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestraft allein, wer ohne erforderliche Genehmigung eine kerntechnische Anlage betreibt. Die Strafbarkeit knüpft allein an die ungenehmigte Ausübung des Betriebs, die der Gesetzgeber als abstrakt gefährlich einschätzt,148 ohne dass es eines Gefährdungsnachweises 143 Vgl. BGHSt 18, 271 (272 f.); BGH NJW 1995, 3131; NStZ 2013, 167 („nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiven nachträglichen Prognose“); Rengier, AT, § 10 Rn. 10; ausführlich Roxin, AT I, § 11 Rn. 148 ff.; bezüglich der Berücksichtigung einer erst späteren Erkenntnismöglichkeit der konkreten Gefahr auch Schröder, ZStW 1969, 7 (13 f.). 144 Schröder, ZStW 1969, 7 (13 f.). 145 BGHSt 46, 212 (218); Rengier, AT, § 10 Rn. 16; anders bezüglich §§ 133, 160 StGB Roxin, AT I, § 11 Rn. 163. 146 Roxin, AT, § 11 Rn. 153; Heinrich, AT, Rn. 164; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 53. 147 Vgl. BVerfGE 80, 244 (255 f.); BGHSt 23, 313. Siehe zu den (insbesondere früher) vertretenen Ansichten, wonach die gesetzlichen Tatbestandsbeschreibungen bei abstrakten Gefährdungsdelikten nicht abschließend seien und daher ungefährliche Handlungen nicht umfassten: Arnhold, Strafbewehrung, S. 80 m.w. N.; auch Schröder, ZStW 1969, 7 (16), gesteht dem Gesetzgeber eine solche Kompetenz zu, möchte dem Tatgericht aber die Möglichkeit bewahren, den Gegenbeweis zu erbringen, wenn feststeht, dass keine auch nur denkbare Gefährdung bestand. 148 SK-StGB/Schall, § 327 Rn. 5 m.w. N.
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oder Ähnlichem bedarf. Bei § 325 Abs. 1 StGB lässt der Gesetzgeber für die Strafbarkeit nicht allein ausreichen, dass ein Anlagenbetrieb ungenehmigt vonstattengeht, sondern fordert darüber hinaus, dass hierdurch Veränderungen der Luft verursacht worden sind, die geeignet sind, die Gesundheit eines anderen Menschen (etc.) zu schädigen. Damit statuierte der Gesetzgeber ein potentielles Gefährdungsdelikt, sodass der Strafrichter nachträglich zu prüfen hat, ob die verursachte Luftveränderung eine generelle Schädigungseignung für den Menschen aufwies.149 § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB qualifiziert den Tatbestand des § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn infolge der (ungenehmigten) Ausübung des Betriebs ein anderer Mensch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird.150 Folglich muss der Strafrichter nicht nur eine Schädigungseignung nachweisen, sondern feststellen, dass ein konkreter Gefährdungserfolg eingetreten ist, dessen Realisierung in einer Gesundheitsschädigung nur noch vom Zufall abhing.151 § 324 Abs. 1 StGB stellt schließlich ein Erfolgsdelikt dar,152 weil er die nachteilige Veränderung und als Unterfall hiervon die Verunreinigung eines Gewässers zum tatbestandlichen Erfolg erhebt, wobei ein kausales und objektiv zurechenbares Verhalten nur dann strafbar ist, wenn dies unbefugt erfolgt. Neben dem Fehlen einer behördlichen Genehmigung setzt eine Strafbarkeit also voraus, dass tatsächlich eine nachteilige Veränderung des Gewässers eingetreten ist.153 b) Strafnormen im Kontext der behördlichen Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung Ebenso flankieren Strafvorschriften die behördliche Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung. Entsprechend hält der Gesetzgeber den Betrieb einer kerntechnischen Anlage für abstrakt gefährlich und daher strafbar, wenn er entgegen einer vollziehbaren Untersagung betrieben wird (vgl. § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Wiederum erfordern andere Strafnormen, dass neben dem Verstoß gegen einen belastenden Verwaltungsakt eine immerhin potentielle oder konkrete Gefährdungslage oder sogar ein Verletzungserfolg eingetreten ist. Inner-
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Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 325 Rn. 1. Hierzu Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330 Rn. 9 f. 151 Vgl. BGH wistra 1987, 295 (296). 152 So jedenfalls die herrschende Meinung: BGH NJW 1992, 122 (123); OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 1996, 103; AG Schwäbisch Hall NStZ 2002, 152 (153); BeckOKStGB/Witteck, § 324 Rn. 2; MüKo-StGB/Alt, § 324 Rn. 5; SK-StGB/Schall, § 324 Rn. 9; andere Ansicht Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 1984, 943 (953); NK/StGBRansiek, § 324 Rn. 12 m.w. N., die vor dem Hintergrund, dass Umweltdelikte die natürliche Lebensgrundlage von Menschen schützten, in § 324 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt sehen. 153 Zu den damit einhergehenden Nachweisschwierigkeiten im Einzelfall Sch/Sch/ Heine/Schittenhelm, § 324 Rn. 8 f. 150
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halb des § 325 Abs. 1 StGB liegt eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten nicht nur im ungenehmigten Anlagenbetrieb (trotz Genehmigungsbedürfnisses) sondern auch dann vor, wenn er entgegen einem vollziehbaren Verwaltungsakt erfolgt (vgl. § 330d Abs. 1 Nr. 4c) StGB).154 Neben dem Verstoß gegen den vollziehbaren Verwaltungsakt setzt der Tatbestand eine durch den Betrieb verursachte Luftveränderung voraus, die geeignet ist, die Gesundheit eines anderen Menschen (etc.) zu schädigen (vgl. o.). § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB qualifiziert das Betreiben einer kerntechnischen Anlage entgegen einer vollziehbaren Untersagung (vgl. § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB), wenn durch die vorsätzliche Tat ein anderer Mensch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird, sodass neben dem Verstoß gegen den belastenden Verwaltungsakt dem Täter eine konkrete Gefahr nachgewiesen werden muss (vgl. o.). Schließlich verlangt § 324a StGB neben der Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Pflicht, die ein Verstoß gegen einen belastenden Verwaltungsakt begründen kann,155 einen Verletzungserfolg in Form einer nachteiligen Bodenveränderung.156 Neben den unterschiedlichen Deliktstypen differenziert eine beachtliche Meinung innerhalb der Literatur bei Strafnormen und Ordnungswidrigkeitentatbeständen, welche Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte sanktionieren, nach dem Anknüpfungspunkt der Sanktionsdrohung. Je nachdem, ob die Norm ein materielles Rechtsgut oder unmittelbar die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt sanktioniert, unterliege das Verwaltungshandeln unterschiedlichen Anforderungen.157 Exemplarisch für letztere stehen demnach die Tatbestände des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts, die Verstöße gegen Verkehrszeichen und die durch sie vermittelte formale Ordnung sanktionieren.158 Hingegen liege Strafnormen des Umweltstrafrechts159 oder etwa des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB)160 der Schutz eines materiellen Rechtsguts zugrunde. Ob diese Unterscheidung stringent gelingt und aus ihr rechtliche Folgen ableitbar sind, bleibt späteren Ausführungen vorbehalten.161
154 Vorstellbar sind beispielsweise Anordnungen gemäß § 24 BImSchG für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen oder solche gemäß § 17 BImSchG für genehmigungsbedürftige Anlagen (vgl. Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 325 Rn. 8). 155 Beispiele zu pflichtkonkretisierenden Verwaltungsakten bei Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 412 ff. 156 Zum Deliktscharakter des § 324a StGB Sch/Sch/Schittenhelm/Heine, § 324 Rn. 1; SK-StGB/Schall, § 324a Rn. 11. 157 So erstmals Lorenz, DVBl 1971, 165 (170 f.); zustimmend Dölling„ JZ 1985, 461 (465); Gerhards, NJW 1978, 86 (87 f.); Ostendorf, JZ 1981, 165 (173 f.). 158 Vgl. Lorenz, DVBl 1971, 165 (171), spricht insoweit von „ordnungsstiftenden“ Verwaltungsakten. Ähnlich insoweit Arnhold, Strafbewehrung, S. 133 ff. 159 Freilich im Hinblick auf veraltete Strafnormen Lorenz, DVBl 1971, 165 (170). 160 Hierzu vgl. Gerhards, NJW 1978, 86 (87 ff.). 161 Vgl. hierzu unten § 6 A. III. 2. b) und § 9 A. II. 2 mit Fn. 53.
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D. Verwaltungs- und strafrechtliche Konkordanz im Rahmen einer einheitlichen Rechtsordnung? Schreibt der Gesetzgeber verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und insbesondere dem Verwaltungsakt eine Rolle innerhalb strafrechtlicher Normen zu, vermengen sich damit automatisch die beiden Rechtsgebiete Strafrecht und Verwaltungsrecht und die mit ihnen einhergehenden Regelungskonzeptionen. Das birgt die Gefahr, dass Verwaltungsrecht einerseits und Strafrecht andererseits denselben tatsächlichen Vorgang rechtlich unterschiedlich beurteilen, wodurch die Einheit der Rechtsordnung ins Wanken zu geraten droht. Der Argumentationstopoi einer einheitlichen Rechtsordnung erfreut sich daher allgegenwärtiger Aufmerksamkeit im verwaltungsakzessorischen Strafrecht.162 Die regelungskonzeptionelle Betrachtung soll an dieser Stelle nicht jedem einzelnen Streitstand im verwaltungsakzessorischen Strafrecht vorgreifen, bei dem er in Stellung gebracht wird.163 Sie beschränkt sich daher auf den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, wie aus ihm heraus vielfach der Versuch unternommen wurde, übergreifende Abstraktionen für die Regelungskonzepte herzuleiten: Das gilt für das Verhältnis von verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und strafrechtlichem Deliktstyp beziehungsweise strafrechtlichem Unrecht, für das Verhältnis von verwaltungsrechtlicher Eingriffsbefugnis und strafrechtlichem Unrecht sowie für das Verhältnis von verwaltungsrechtlicher Vollstreckbarkeit und strafrechtlicher Ahndung gleichermaßen. Die Analyse dieser am Grundsatz einer einheitlichen Rechtsordnung ausgerichteten Modelle bedingt zunächst einer Untersuchung dessen, was der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung überhaupt auszusagen und zu leisten vermag. I. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung Das Anliegen der Argumentationsfigur einer einheitlichen Rechtsordnung besteht in einer harmonischen und widerspruchsfreien Gesamtrechtsordnung.164 In diesem Sinn erscheint die Harmonisierung der Gesamtrechtsordnung bei der Verknüpfung von Teilrechtsordnungen als rechtlich gebotenes Ziel.165 Selbst ist sie aber in kaum einem Gesetzestext vorgegeben, weil das Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtsordnung regelmäßig erst in der wertenden Abstimmung ver162 Zu diesem Befund Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 56, deren Analyse der Argumentationsfigur sich deshalb maßgeblich am Umweltstrafrecht orientiert (vgl. S. 16 ff.). 163 Das bleibt zum großen Teil den Ausführungen zu den rechtlichen Anforderungen an die unrechtsbegründende und unrechtsausschließende Wirkung des Verwaltungsakts vorbehalten (vgl. unten § 6). 164 Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 165; Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 38. 165 Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 399.
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schiedener Rechtsaussagen unterschiedlicher Rechtsordnungen entsteht.166 Mustergültig hierfür steht das verwaltungsakzessorische Strafrecht, wo zwangsläufig Aussagen des Verwaltungsrechts auf solche des Strafrechts treffen und möglicherweise mit diesen konkurrieren.167 Ist der Gesetzgeber seinem Vereinheitlichungsauftrag in Form eines widerspruchsfreien Gesetzesrechts nicht nachgekommen oder konnte er Wertungswidersprüche nicht voraussehen, ist der Rechtsanwender aufgerufen, dem Anliegen mit den methodischen Mitteln der systematischen und teleologischen Auslegung beizukommen.168 Als juristische Auslegungshilfe kann der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung jedoch nur dienen, wenn er nicht nur rechtsästhetisches Ideal, sondern vielmehr ein verfassungsrechtliches Gebot darstellt.169 Wenngleich die immer wiederkehrende Verwendung des Begriffs nahelegt anzunehmen, die Einheit der Rechtsordnung stelle für sich genommen ein verfassungsrechtliches Prinzip dar, stößt diese Sichtweise heute kaum noch auf Anklang; vielfach spricht man ihm die Berechtigung sogar gänzlich ab.170 Die staatsrechtliche Wissenschaft und Rechtsprechung verortet die Vermeidung von Widersprüchen der Rechtsordnung in den Verfassungsprinzipien der Rechtsgleichheit und Rechtsstaatlichkeit.171 Unabhängig von der Berechtigung und Verankerung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung ist eine Vermeidung von Widersprüchen innerhalb der Rechtsordnung zu befürworten, wenn eine Rechtskonkurrenz in der Form auftritt, dass mehrere Aussagen der (einheitlichen) Rechtsordnung denselben tatsächlichen Vorgang rechtlich unterschiedlich beurteilen.172 Bei der Analyse der rechtlichen Aussagen ist darauf zu achten, der Rechtsordnung im Ausgangspunkt keine Aussagen durch Wertungen unterzuschieben, die sie rechtstatsächlich gar nicht trifft, sondern diese streng am Gesetzestext zu messen.173 Vernachlässigt der Rechtsanwender diese konkrete Gesetzesanalyse, verkommt die Widerspruchsfreiheit zu 166
Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 38. Vgl. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 16, die das Hauptaugenmerk ihrer Analyse zur Argumentationsfigur der Einheit der Rechtsordnung auf das verwaltungsakzessorische Strafrecht legt. 168 Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 30 ff. 169 Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 399. 170 Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 401; Peine, NJW 1990, 2442 (2446); vgl. auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 278 („Illusion“); Schmidt, NVwZ 1985, 167 (169). 171 Vgl. BVerfGE 1, 14 (45); 25, 116 (227); 98, 106 (118 f.): „Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet alle rechtssetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, daß den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen“; so im Ergebnis auch Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 399; vgl. auch die eingehende verfassungsrechtliche Analyse im Dritten (S. 168 ff.) und Vierten Teil (S. 189 ff.) ihrer Arbeit; Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 31. 172 Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 25. 173 Vgl. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 25 f. 167
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einer gedanklichen Abstraktion in Form eines Dogmas, welches den Blick auf die tatsächlichen Unterschiede der Teilrechtsordnungen verstellt. Dann übersieht er das Wesen einer differenzierten Rechtsordnung, welche mit privat-, straf- und öffentlich-rechtlichen Teilrechtsordnungen differenzierte und insbesondere problemspezifische Lösungen anbietet.174 II. Bisherige Bemühungen um eine straf- und verwaltungsrechtliche Konkordanz im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht Das versteht sich als Mahnung, den Grundsatz einer einheitlichen Rechtsordnung oder die Gewährleistung einer widerspruchsfreien Rechtsordnung im juristischen Diskurs nicht leichtfertig zu verwenden. Dieser gilt es gleichermaßen im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht Aufmerksamkeit zu schenken, wobei differenzierende Regelungskonzepte von Verwaltungsrecht und Strafrecht aufeinandertreffen.175 Sie verfolgen unterschiedliche Zwecke, wobei das Augenmerk des Verwaltungsrechts auf dem drohenden Schaden, der des Strafrechts auf dem Schädiger liegt.176 Entsprechend ist das Verwaltungsrecht an die Verwaltung adressiert, während das Strafrecht einen Jedermann zum Adressaten hat. Während der Strafrichter in der Rückschau (ex post) prüft, ob – in Abhängigkeit vom gesetzlichen Tatbestand – eine abstrakt gefährliche Handlung begangen wurde oder eine potentielle oder konkrete Gefahr eingetreten ist, betrachtet das Verwaltungsgericht, ob die Polizei in der jeweiligen Situation (ex ante) eine Gefahr annehmen durfte. Vom Standpunkt der unterschiedlichen Rechtsordnungen ausgehend, sind die bisherigen Bemühungen um eine straf- und verwaltungsrechtliche Konkordanz einer kritischen Prüfung zu unterziehen. In erster Linie ist darauf zu achten, inwieweit die vielfach herangezogene Argumentationsfigur der Einheit der Rechtsordnung überhaupt ihre Berechtigung aus einer Rechtskonkurrenz im oben dargestellten Sinne ableiten kann. 1. Strafrecht im Zusammenhang mit der behördlichen Inanspruchnahme im Vorgriff privater Freiheitsausübung Nimmt das Verwaltungsrecht den Bürger vor der privaten Freiheitsausübung in Anspruch, indem es eine behördliche Genehmigung einfordert,177 flankiert das 174
Eingängig Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 400. Vgl. auch Heghmanns, Dogmatik, S. 110, der die Einheit der Rechtsordnung als „gängigen Argumentationstopos“ abtut und eine darauf gegründete Beweisführung als in „mehrfacher Hinsicht unschlüssig“ bezeichnet; ähnlich kritisch („gern, aber meist ein wenig vorschnell benutztes Schlagwort“) Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (591 mit Fn. 10). 176 Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 5: „Das Polizeirecht handelt primär vom drohenden Schaden, das Strafrecht von der Person des Schädigers [. . .].“ 177 Vgl. hierzu oben § 5 C. I. 2. 175
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Strafrecht vielfach diese Forderung, indem es die ungenehmigte Tätigkeitsausübung pönalisiert. Unter dem Vorwand einer einheitlichen Rechtsordnung sind mehrfach Korrekturversuche unternommen worden, die eine Strafbarkeit entfallen lassen sollen. Dabei werden insbesondere der verwaltungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Präventivverbot mit Erlaubnisvorbehalt und Repressivverbot mit Befreiungsvorbehalt bedeutsame Folgen für das Strafrecht zugeschrieben. a) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und strafrechtlichem Deliktstyp? Bezugnehmend auf die unterschiedlichen Regelungskonzeptionen von Strafrecht und Verwaltungsrecht präsentiert Brauer eine erstaunliche Feststellung.178 Aus der überkommenen Unterscheidung von präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt meint er, den strafrechtlichen Deliktstyp ableiten zu können. Habe der Gesetzgeber verwaltungsrechtlich ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt statuiert, sei die Strafnorm, die die Tätigkeitsausübung ohne Einholung einer Genehmigung unter Strafe stellt, als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgebildet.179 Handle es sich demgegenüber verwaltungsrechtlich um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, sei beim strafrechtlichen Pendant von einem Verletzungs- oder konkreten Gefährdungsdelikt auszugehen.180 Während die Vornahme präventiv verbotener Handlungen zumindest abstrakt gefährlich seien und deshalb entsprechende strafrechtliche Normen den abstrakten Gefährdungsdelikten angehörten, seien repressiv verbotene Verhaltensweisen bereits konkret gefährlich oder verletzend, entsprechende Strafnormen daher konkrete Gefährdungs- oder Verletzungsdelikte.181 Brauers Modell beruht freilich auf keiner bewusst gewählten rechtsdogmatischen Abstraktion, sondern allenfalls auf einer (vermeintlich) empirischen Feststellung. Inwieweit die Unterscheidung zwischen präventiven und repressiven Verboten überhaupt von Substanz ist, kann hier dahinstehen. Indes widerlegen bestehende Normen diese rechtsübergreifende Abstraktion. Beispielhaft führt diesen Befund die im Jahr 2017 eingeführte Strafvorschrift zum Verbot von Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB) vor. Während die verwaltungsrechtlichen Vorschriften gemeinhin als repressives Verbot (vgl. § 29 StVO) mit Befreiungsvorbehalt verstanden wurden,182 ist die neue Strafvorschrift, die das unerlaubte 178
Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 46. So im Ergebnis Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 53. 180 Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 53. 181 So Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 51 f. 182 Vgl. BVerwG, Urteil v. 18.09.1997, 3 C 4/97 – juris, Rn. 22; ausdrücklich OVG Lüneburg DVBl 1996, 1441; OVG Münster NVwZ-RR 1997, 4. Der Gesetzgeber scheint nach der Überführung des § 29 Abs. 1 StVO ins Strafgesetzbuch davon auszugehen, dass es sich nunmehr um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt, wenngleich 179
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
Veranstalten oder Durchführen eines Kraftfahrzeugrennens unter Strafe stellt (vgl. § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB), als abstraktes Gefährdungsdelikt – und damit entgegen Brauers Modell – ausgestaltet.183 Maßgeblich beruht die Entscheidung für die verwaltungsrechtliche Regelungskonzeption darauf, dass der Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgeber Kraftfahrzeugrennen für gemeinhin sozialschädlich, gefährlich und daher dem Grunde nach unerwünscht hält. Mit der Ausgestaltung des Genehmigungsrechts als eines im Ermessen der Behörde stehenden Ausnahmetatbestands verleiht er seinem Anliegen Ausdruck, solche Kraftfahrzeugrennen weitestgehend zu verhindern. Darüber aber, ob sie für sich genommen eine konkrete Gefahr im verwaltungsrechtlichen Sinne begründen, sagt das nichts aus. Noch weniger gibt die gesetzgeberische Entscheidung dafür her, ob von dem Kraftfahrzeugrennen eine konkrete Gefahr im strafrechtlichen Sinne ausgeht. Wäre dem so, dürften Kraftfahrzeugrennen überhaupt nicht zugelassen werden, weil es gar fahrlässig wäre, eine konkret gefährdende Tätigkeit, deren Schadensrealisierung nur noch vom Zufall abhängt, ausnahmsweise gemäß § 46 Abs. 2 StVO zu genehmigen. Überdies entscheidet über die Wahl des strafrechtlichen Delikttyps und damit darüber, ob tatbestandlich eine Rechtsgutsverletzung, eine konkrete oder potentielle oder aber gar keine Erfolgs- beziehungsweise Erfolgseignungskomponente (abstrakte Gefährdungsdelikte) erforderlich ist, der Gesetzgeber auf der Grundlage rechtspolitischer Erwägungen. Hierfür spielen die Schwierigkeiten beim Nachweis eines Verletzungserfolgs ebenso eine Rolle,184 wie das Gewicht der durch die unterschiedlichen Verhaltensweisen gefährdeten Rechtsgüter.185 Beim strafbewehrten Verbot von Kraftfahrzeugrennen hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, wegen ihrer Gefährlichkeit für die Vollendung des strafrechtlichen Grunddelikts allein dessen Durchführung ausreichen zu lassen. Tritt in dessen Verlauf eine konkrete Gefahr (im strafrechtlichen Sinne) für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert ein, sieht der Gesetzgeber hierfür eine Qualifikation mit erhöhtem Strafrahmen vor (vgl. § 315d Abs. 2 StGB).186 Ob eine Verhaltensweise schließlich eine konkrete Gefahr im strafrechtlichen Sinne herbeiführte, kann stets nur bezogen auf den Einzelfall entschieden werden, nachdem die Handlung vonstattenging. Damit entfällt bereits der verwaltungsrechtliche Anknüpfungspunkt von Brauers unklar bleibt, woran er das festmacht (vgl. BT-Drs. 18/12946, S. 8; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 29 StVO Rn. 2). 183 BeckOK-StGB/Kulhanek, § 315d Rn. 1; Blanke-Roeser, JuS 2018, 18; Ceffinato, ZRP 2016, 201, mit rechtspolitisch kritischer Würdigung. 184 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit der Gewässerverunreinigung bereits oben § 5 C. II. 2. a) mit Fn. 153. 185 Zur entsprechenden Argumentation des Gesetzgebers bei § 315d StGB, s. BTDrs. 18/10145, S. 7 ff. 186 Zur Deliktsnatur des § 315d Abs. 2 StGB als konkretem Gefährdungsdelikt Sch/ Sch/Hecker, § 315d Rn. 1.
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Theorie für das Strafrecht, die im Weiteren die gesetzgeberischen Entscheidungen und die dahinterstehenden Motive in Form der jeweils differenzierenden Gefahrenurteile völlig verkennt. b) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und strafrechtlichem Unrecht? Weiterhin wurde versucht, aus der verwaltungsrechtlichen Regelungskonzeption Folgen für das strafrechtliche Unrecht abzuleiten: Da den verwaltungsrechtlichen Präventivverboten mit Erlaubnisvorbehalt gemeinhin erwünschte Tätigkeiten zugrunde liegen, soll die bloß ungenehmigte – mithin ausschließlich formell verwaltungsrechtswidrige – Handlung die Strafbarkeit nicht begründen können. Andernfalls stufe das Strafrecht ein vom Verwaltungsrecht grundsätzlich positiv eingeschätztes Verhalten als sozialschädlich ein und missachte auf diese Weise eine einheitliche Wertordnung des Rechts.187 Deshalb müsse das Verwaltungsunrecht – sprich: die materielle Verwaltungsrechtswidrigkeit – zum Gegenstand des Deliktstatbestandes und damit zum Bestandteil des strafrechtlichen Unrechts gemacht werden.188 Ob man dem verwaltungsrechtlichen Präventivverbot eine solche Bewertung überhaupt entnehmen kann, scheint für sich genommen äußert zweifelhaft. Denn gleichgültig, ob ein Präventivverbot oder Repressivverbot besteht, setzt das Verwaltungsrecht der Tätigkeitsaufnahme eine Schranke vor.189 Die Unterscheidung zwischen Präventivverbot und Repressivverbot wirkt für das strafrechtliche Unrecht auch deshalb wenig ergiebig, weil die Bewertungsmaßstäbe von Verwaltungsrecht und Strafrecht ganz unterschiedlich sind. Allein die dem Verwaltungsrecht im Falle des Präventivverbots zu entnehmende Wertung, dass die Tätigkeit wünschenswert und sozial nützlich ist, besagt nichts darüber, inwieweit aus dieser Tätigkeit Gefahren resultieren, denen der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen mit den Mitteln des Strafrechts begegnen will.190 Beispielsweise stellt niemand in Frage, dass das Autofahren nützlich und mithin sozial wünschenswert 187 Vgl. Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (343): „Das Strafrecht kann hier nicht ohne Mißachtung einer einheitlichen Wertordnung des Rechts das verwaltungsrechtlich grundsätzlich positiv eingeschätzte Verhalten als grundsätzlich sozialschädlich einstufen und verbieten“; ähnlich Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2434 (2437). 188 Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (343). 189 Vgl. Gusy, JA 1981, 80 (81): „Eine Betrachtung der Wirkung solcher Erlaubnispflichten zeigt jedoch, daß insoweit keine Unterschiede bestehen. Sowohl ,präventive‘ wie ,repressive‘ Normen enthalten ein Verbot, dass unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben wird.“ 190 Auch Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (343), argumentieren insoweit wenig stichhaltig, wenn sie hinsichtlich des Präventivverbots festhalten: „Zum anderen kann es aber auch sein, daß ein Verhalten einerseits nach verwaltungsrechtlicher Wertung sozialadäquat (und in der Regel auch nützlich), andererseits jedoch mit erheblichen Gefahren verbunden ist.“
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ist. Gleichwohl birgt das Autofahren erhebliche Gefahren. Folglich sanktioniert der Gesetzgeber das Fahren ohne Fahrerlaubnis völlig unabhängig davon, ob der Fahrer sein Fahrzeug tatsächlich beherrscht, weil er es für abstrakt gefährlich hält (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Der vielfach hiergegen erhobene Vorwurf, der bloße Verwaltungsungehorsam werde bestraft, ist vor dem Hintergrund der vielfachen, an anderer Stelle bereits beschriebenen formalen und materiellen Kontrollfunktion unhaltbar.191 Die mit dem Genehmigungsvorbehalt einhergehenden Zwecke – und sei es allein die Prüfung der Rechtsbeachtung – erklären die abstrakte Gefahr einer ungenehmigten Tätigkeitsausübung.192 Warum das, was im Rahmen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG gemeingültig ist, innerhalb anderer Tatbestände nicht gelten soll, erschließt sich daher nicht. Selbst wenn man der überkommenen Unterscheidung zwischen Präventivverbot und Repressivverbot folgen und dem verwaltungsrechtlichen Präventivverbot überdies eine solche Tätigkeitsbewertung entnehmen will, ergibt sich kein Widerspruch der Rechtsordnung. Denn die Umgehung der durch Präventivverbot oder Repressivverbot aufgestellten Schranke führt zu einer formellen Verwaltungsrechtswidrigkeit, und zwar selbst dann, wenn die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen. Wenn das Verwaltungsrecht das Verhalten als formell rechtswidrig einstuft und das Strafrecht die ungenehmigte Tat mit Strafe bedroht, ist eine Rechtskonkurrenz im obigen Sinne nicht zu erkennen.193 Der in diesem Fall vorgebrachte Vorwurf, es werde bestraft, was verwaltungsrechtlich erlaubt sei, trifft schlicht nicht zu: Verwaltungsrechtlich erlaubt ist nur die Tätigkeit nach vorheriger Genehmigung.194 Das Strafrecht bezieht sich insoweit auf die vergangene, formell verwaltungsrechtswidrige Tätigkeit, während das Verwaltungsrecht 191
Vgl. hierzu nochmals Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 465 ff. Vgl. zur „Formstrenge“ die Ausführungen des Bundestagsabgeordneten Engelhardt (FDP) in der zweiten und dritten Beratung zum 18. Strafrechtsänderungsgesetzes („Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität“), BT-PlPr. 08/201, S. 16037D; kritisch gegenüber der Behauptung einer Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams auch BeckOK-StGB/Witteck, § 327 Rn. 7.2; eingängig Dölling, JZ 1985, 461 (463): „Durch das Wort vom ,reinen Verwaltungsunrecht‘ wird verdunkelt, daß auch die Strafbewehrung des Genehmigungserfordernisses für den Betrieb letztlich dem Schutz der materiellen Umweltgüter dient, wobei der Strafrechtsschutz nicht erst bei der Rechtsgutsverletzung oder konkreten Gefährdung beginnt, sondern bereits im Vorfeld dieser Gefährdung beim Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Kontrollnormen ansetzt. [. . .] Wegen dieses Schutzzweckzusammenhangs sind die genannten Normen nicht rein formell, sondern weisen sie auch einen materiellen Bezug auf.“; Rengier, ZStW 1989, 874 (880 f.); vgl. selbst Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (340). 193 Anders aber ausdrücklich Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (343): „Das Strafrecht kann hier nicht ohne Mißachtung einer einheitlichen Wertordnung des Rechts das verwaltungsrechtlich grundsätzlich positiv eingeschätzte Verhalten als grundsätzlich sozialschädlich einstufen und verbieten.“; ähnlich Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2434 (2437). 194 Vgl. auch Roxin, AT I, § 17 Rn. 66, mit dem zutreffenden Hinweis, dass das Genehmigungsverfahren andernfalls ad absurdum geführt würde. 192
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der Verwaltung allenfalls nachträglich die Pflicht auferlegen kann, die Tätigkeit zu gestatten. Dabei ist das vergangene ungenehmigte Verhalten für das Verwaltungsrecht regelmäßig irrelevant. Es fragt nur danach, ob mangels zukünftig absehbarer Gefahren eine Genehmigung erteilt werden kann oder sogar muss. Da eine Genehmigung nicht allein durch die Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen fingiert, sondern in der Regel erst durch Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller wirksam wird, kann eine Rechtskonkurrenz nicht angenommen werden, solange eine entsprechende Genehmigung fehlt. c) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Regelungskonzeption und deliktssystematischer Stellung der behördlichen Genehmigung Die fundamentalste Konsequenz zieht eine rechtsübergreifende Konkordanz zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht für die deliktssystematische Stellung der behördlichen Genehmigung nach sich. Dabei ist umstritten, ob die behördliche Genehmigung tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirkt. Wenngleich die Folgen der deliktssystematischen Stellung nicht überbewertet werden sollten, kann ihr hinsichtlich der Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs nicht jegliche Bedeutung abgesprochen werden.195 Das gilt im Besonderen für Irrtumskonstellationen196 sowie den Bestimmtheitsgrundsatz, der dem Tatbestand für gewöhnlich mehr als den Rechtfertigungsgründen abverlangt.197 Da die deliktssystematische Stellung der behördlichen Genehmigung auch für die weitere Arbeit von grundlegender Relevanz ist, soll ihr an dieser Stelle breiter Raum gelassen werden. aa) Differenzierende Ansätze Überwiegend wird der behördlichen Genehmigung im Strafrecht, jeweils differenzierend nach im Einzelnen umstrittenen Kriterien und in Abhängigkeit des in Rede stehenden Straftatbestands, eine tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung zugedacht. Teilweise wird die Unterscheidung am Wortlaut des Straftatbestands festgemacht: Umschreibt der Straftatbestand ein Handeln „ohne die erforderliche Genehmigung“, „ohne die erforderliche Erlaubnis“ oder „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“, gehen Vertreter einer am Wortlaut 195 So aber Otto, Jura 1991, 308 (313), auf dem Boden eines zweistufigen Verbrechensaufbaus; dies in Frage stellend Goldmann, Genehmigung, S. 17 ff. 196 Vgl. BGH NStZ 1993, 594 (595); Fortun, Genehmigung, S. 29 f.; Goldmann, Genehmigung, S. 13 ff.; Heghmanns, Dogmatik, S. 178 mit Fn. 152, weist neben den Irrtümern auch auf Versuchskonstellationen hin; bezüglich des Waffenrechts auch Steindorf/ B. Heinrich, WaffenR, Vor § 51 Rn. 10; Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 199 ff.; zu den Fehlvorstellungen des Täters unten § 8. 197 Hierzu im Allgemeinen LK-StGB/Rönnau, Vor § 32 Rn. 62 ff.; Sch/Sch/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 25.
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orientierten Auslegung davon aus, dass die behördliche Erlaubnis bereits den Tatbestand ausschließt.198 Stellt der Wortlaut hingegen auf ein „unbefugtes“ Verhalten ab, stufen sie die behördliche Erlaubnis als Rechtfertigungsgrund ein, weil „unbefugt“ ein allgemeines Verbrechensmerkmal darstelle und daher – entsprechend dem Willen des historischen Gesetzgebers199 – der Rechtfertigungsebene zuzuordnen sei.200 Andere Stimmen treffen die Unterscheidung in Anbetracht des systematischen Kontexts der Strafnorm. Dabei stellen rein strafrechtsorientierte Vertreter201 auf strafrechtsspezifische Kriterien ab: Beziehe der Tatbestand seinen Unrechtsgehalt zumindest auch aus dem Verstoß gegen die Genehmigungspflicht, gehen sie von einem Tatbestandsmerkmal aus. Liege ein ausreichender Unrechtsgehalt demgegenüber allein in dem tatbestandlich umschriebenen Verhalten, komme der behördlichen Erlaubnis lediglich rechtfertigende Wirkung zu. Einheitliche Leitlinien sind dabei nicht erkennbar. Dem versucht die (wohl) herrschende Ansicht dadurch zu begegnen, indem sie aus der verwaltungsrechtlichen Regelungskonzeption auf das tatbestandliche Unrecht schließt und ausgehend davon die deliktssystematische Stellung der behördlichen Genehmigung bestimmt.202 Demnach kommt der behördlichen Genehmigung tatbe198 Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 41 Rn. 20 f.; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 306 f.; Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 81; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 95; Sch/Sch/Heine/Hecker, Vor §§ 324 ff. Rn. 13; SK-StGB/Schall, Vor § 324 Rn. 70; vgl. aber Rengier, ZStW 1989, 874 (879), nach dem dies „eher“ für ein negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal spreche, aber kein zwingender Hinweis sei. 199 LK-StGB/Steindorf, § 324 Rn. 72 m.w. N. 200 Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 41 Rn. 20 f.; Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 80; Lackner/Kühl/Heger, § 324 Rn. 8; LK-StGB/Steindorf, § 324 Rn. 72 ff.; SK-StGB/Schall, Vor § 324 Rn. 70. 201 So wohl bereits RGSt 37, 150 (151), unter Verweis auf RGSt 16, 15, wenn es ausführt, dass im Rahmen des § 167 StGB a. F. nur eine rechtswidrige Störung eine solche im Sinne des Strafgesetzes sei, um dem vielfältigen Interessenwiderstreit gerecht zu werden; BGH NStZ 1993, 594 (595), macht das bzgl. des Kriegswaffenkontrollgesetzes unter anderem am Strafmaß fest; generell zum Merkmal „unbefugt“ Goll, Offenbarungsbefugnisse, S. 6; nur in anderem Gewand Hüting, Duldung, S. 137 ff. (bzgl. § 324 StGB), der die Behörde bezüglich Rechtsgütern mit strafbewehrten Genehmigungspflichten als dispositionsbefugt ansieht und daher darauf abstellt, ob der Straftatbestand seinen deliktischen Charakter durch den Verstoß gegen den behördlichen Willen erhält (dann tatbestandsausschließendes Einverständnis; vgl. auch S. 149 f., 153 f., 159, 167 f. bezüglich weiterer Rechtsgüter); Jescheck/Weigend, AT, S. 246, 368 ff.; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 160; Rengier, ZStW 1989, 874 (878 f.), der die verwaltungsrechtliche Unterscheidung zwischen Präventiv- und Repressivverbot als hilfreichen Ausgangspunkt – „aber nicht mehr“ – immerhin miteinbezieht; vgl. zum schweizerischen Strafrecht, wo die Unterscheidung zwischen Präventivverbot und Repressivverbot nicht bekannt ist, Vest, in: Ackermann/Hilf, Umwelt-Wirtschaftsstrafrecht, S. 59 (69). 202 Darunter insbesondere auch die Rechtsprechung: vgl. in anderem Zusammenhang BVerfGE 28, 119 (148); BGH NStZ 2007, 644; jüngst aber ausdrücklich offenlassend BGH NJW 2018, 3467 (3468); OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; OLG Stuttgart NStZ-RR 2009, 356 (357); Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, WSS, Vor §§ 32–35
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standsausschließende Wirkung zu, sofern das Verhalten verwaltungsrechtlich unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt steht, weil damit ein grundsätzlich sozial erwünschtes beziehungsweise ungefährliches Verhalten lediglich der behördlichen Kontrollerlaubnis unterstellt werde. Steht die Tätigkeit hingegen unter einem Repressivverbot, wirke die behördliche Genehmigung rechtfertigend, weil von dem generellen Verbot einer an sich sozialschädlichen und gefährlichen Tätigkeit nur für den Einzelfall eine Ausnahme gemacht werde. bb) Andere Ansätze – Exklusiv tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung Zu den strafrechtsorientierten Vertretern dürfte auch Heghmanns zu zählen sein, wobei er sich von den differenzierenden Lösungsansätzen abwendet und das Fehlen der behördlichen Genehmigung immer als negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal betrachtet. Heghmanns erhebt die Funktionsfähigkeit der Zugangskontrolle zum Schutzgut von Straftatbeständen, die ein Handeln ohne Genehmigung unter Strafe stellen.203 Die von den Straftatbeständen abgeleitete Verhaltensnorm verlange deshalb vom Bürger, ein vorangehendes Genehmigungsverfahren einzuhalten.204 Wer dem nachkommt und eine Genehmigung vorweisen kann, handle von vornherein nicht normwidrig und daher tatbestandslos. Aus diesen Gründen wirkt eine Genehmigung nach Heghmanns generell tatbestandsausschließend. Im Gegensatz hierzu spricht Ostendorf dem Kontrollanliegen jeglichen strafrechtlichen Schutz ab und liest den Unrechtsgehalt ausschließlich aus dem hinter dem Kontrollanliegen stehenden Rechtsgut ab. In der Folge bewertet er behördliche Genehmigung immer als Rechtfertigungsgrund.205 Auch Rudolphi sieht in der behördlichen Erlaubnis einen generellen Rechtfertigungsgrund.206 Allerdings StGB Rn. 63 ff.; Fortun, Genehmigung, S. 35; Fischer, StGB, Vor § 324 Rn. 6; Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 68; KK-OWiG/Rengier, Vor §§ 15, 16 Rn. 15, entgegen seiner in ZStW 1989, 874 (878), vertretenen Ansicht, wo dies nur ein Kriterium unter mehreren darstellt; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 274; NK-WSS/Pananis, § 54 KWG Rn. 45; wohl auch Roxin, AT I, § 17 Rn. 60 ff.; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 97 f.; Saurer, Verw 2017, 339 (356); Sch/Sch/Steinberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 61; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 382 f. 203 Heghmanns, Dogmatik, S. 167 ff. 204 Heghmanns, Dogmatik, S. 173. 205 Ostendorf, JZ 1981, 165 (168 mit Fn. 51) am Beispiel des unerlaubten Glückspiels gemäß § 284 StGB. Widersprüchlich und daher wenig überzeugend an seinen Ausführungen erscheint, dass er die Erlaubnis grundsätzlich den Rechtfertigungsgründen zuordnet, ein Handeln auf Grundlage einer rechtswidrigen Erlaubnis hingegen bereits als sozialadäquat vom objektiven Tatbestand ausnehmen will (so Ostendorf, JZ 1981, 165 [174 f.]). Für eine durchgehende Einordnung der Erlaubnis als Rechtfertigungsgrund – im Rahmen des Betäubungsmittelstrafrechts, aber wohl auch allgemein – neuerdings MüKo-NebenstrafR I/Kotz/Og˘lakcıog˘lu, § 3 BtMG Rn. 39 f. 206 Siehe zum Folgenden Rudolphi, ZfW 1982, 197 (201); ders., NStZ 1984, 193 (196); NStZ 1984, 248 (253).
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bezieht er seine Erkenntnis aus dem allgemeinen Rechtfertigungsprinzip des überwiegenden Interesses, welches der behördlichen Genehmigung ebenso wie den gesetzlich vertypten Rechtfertigungsgründen zugrunde liege.207 Die Besonderheit der behördlichen Erlaubnis erkennt er einzig darin, dass die Feststellung des überwiegenden Interesses nicht (nachträglich) dem Strafrichter, sondern vorangehend der Verwaltungsbehörde überantwortet sei, die kraft ihrer Sachkompetenz besser über den Interessenwiderstreit entscheiden könne. cc) Stellungnahme Die Unterscheidung nach dem Wortlaut, ob der Straftatbestand von einem Handeln „ohne erforderliche Genehmigung“ oder „unbefugt“ spricht, kann nicht überzeugen. Die interpretatorische Umwandlung des Wortes „unbefugt“ in „ohne Befugnis“ weist nur insoweit einen Unterschied zu anderen Schreibweisen wie „ohne erforderliche Genehmigung“ oder „ohne die erforderliche Erlaubnis“ auf, als sich die Befugnis auch aus anderen Gründen und nicht nur der konkreten Genehmigung oder Erlaubnis ergeben kann.208 Folglich streitet der Wortlaut allein weder für die eine oder andere Lösung. Auch der Verweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers ist wenig gewinnbringend, weil dieser in der Gesetzeshistorie stets schwankte:209 Entsprechend überließ der Gesetzgeber ursprünglich der Rechtsprechung, nach den besonderen Umständen des Falles zu entscheiden, ob das Handeln als nicht tatbestandsmäßig, als gerechtfertigt oder als entschuldigt anzusehen ist.210 Zwar ist zuzugeben, dass Rechtsprechung und Wissenschaft in mehreren Straftatbeständen das Merkmal unbefugt in der Folge überwiegend als allgemeines Verbrechensmerkmal qualifizierten.211 Andererseits schrieb der Gesetzgeber dem Wort unbefugt in der Gesetzesbegründung zu § 303
207 Vgl. Goldmann, Genehmigung, S. 75 ff.; siehe diesen Gedanken auch verfolgend Jescheck/Weigend, AT, S. 369, wobei er vorgeschaltet danach differenziert, ob ein Verhalten sozial nützlich ist oder nicht. 208 Vgl. hierzu die Aufzählung BT-Drs. 8/2382, S. 14. 209 Ablehnend auch Heghmanns, Dogmatik, S. 174 f.; vgl. (wiederum auf dem Boden eines zweistufigen Deliktsaufbaus) auch Otto, Jura 1991, 308 (313): „Darüber hinaus ist es Zufall gesetzgeberischer Formulierungskunst, ob der Gesetzgeber in den Tatbeständen des Besonderen Teils Tatbestand und Rechtswidrigkeit trennt oder in der Unrechtsbeschreibung ineinander verschränkt.“ 210 So ausdrücklich BT-Drs. 7/550, S. 236; ebenfalls unklar BT-Drs. 7/888, S. 21 f. und auch BT-Drs. 8/2382, S. 14, mit der zum „unbefugten“ Handeln stets wiederholten und insoweit nichtssagenden Formel, „ob das im übrigen tatbestandsmäßige Verhalten straflos ist“; insoweit überzeugt auch LK-StGB/Steindorf, § 324 Rn. 72 f., nicht, wenn er den gesetzgeberischen Willen für seine Argumentation beansprucht, im Folgenden aber darauf verweist dass die deliktssystematische Einordnung ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen wurde und die Ausführungen der Gesetzesbegründung die erwünschte Klarheit vermissen ließ. 211 Siehe die Aufzählung bei LK-StGB/Steindorf, § 324 Rn. 72.
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Abs. 2 StGB aus dem Jahr 2005212 ausdrücklich die Aufgabe zu, den „Tatbestand“ auf die strafwürdigen Fälle zu beschränken und fügte ausdrücklich hinzu, es handele sich nicht um ein allgemeines Deliktsmerkmal, sondern um einen zum Tatbestand gehörenden Umstand. Entsprechend nichtssagend sind solche Betrachtungen für neuere Umschreibungen, wie beispielsweise „unerlaubt“ 213 oder „nicht erlaubt“ 214. Für Strafvorschriften, die weder ein „unbefugtes“ Handeln, noch ein solches „ohne die erforderliche Genehmigung“ in ihrem Wortlaut tragen, gibt die Differenzierung letztlich nichts her. Von Relevanz ist dieser Einwand bei Strafvorschriften, die lediglich ein Handeln „entgegen“ einer Verweisungsvorschrift unter Strafe stellen, welche wiederum die Genehmigungspflicht statuiert:215 So stellt beispielsweise § 40 Abs. 1 Nr. 1 SprengG unter Strafe, wer entgegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 SprengG mit explosionsgefährlichen Stoffen umgeht, wobei § 7 Abs. 1 Nr. 1 SprengG die Erlaubnispflicht normiert. Im Ergebnis kann der Leser den Strafvorschriften nach ihrem jeweiligen Wortlaut nicht entnehmen, ob die behördliche Erlaubnis tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirkt, weil er hierfür nichts hergibt. Ebenso wenig überzeugt die statische Betrachtung, die, angelehnt an das Prinzip der Interessenabwägung, der Genehmigung ausschließlich rechtfertigende Wirkung zuschreibt. Sie geht bereits darin fehl, als sie das Prinzip des überwiegenden Interesses exklusiv der Rechtswidrigkeitsebene zuschreibt. Vor dem Hintergrund eines fragmentarischen Strafrechts ist bereits den Straftatbeständen eine (gesetzgeberische) Interessenabwägung immanent.216 Weiterhin liegt einschränkenden ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen, wie beispielsweise dem erlaubten Risiko, im Ergebnis eine ebensolche Interessenabwägung zwischen der Handlungsfreiheit einerseits und dem Bedürfnis nach einem strafrechtlichen Schutz des bedrohten Rechtsguts andererseits zugrunde.217 Der hiergegen gerichtete Einwand, diese Interessenabwägung sei generalisierend und nicht wie typischerweise bei den Rechtfertigungsgründen auf den Einzelfall angelegt, spricht weder zwingend dafür noch dagegen, die Genehmigung ausschließlich als Rechtfertigungs212
BT-Drs. 15/5313, S. 49. Beispielsweise § 92 Abs. 2 Nr. 1a AuslG (a. F.), der die unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet unter Strafe stellt (etwa schreibt BGHSt 50, 105, der Aufenthaltsgenehmigung Tatbestandswirkung zu). 214 Beispielsweise § 315d Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB. 215 Beispielhaft seien genannt: § 40 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SprengG, § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 6 WaffG. 216 Vgl. hierzu Heghmanns, Dogmatik, S. 181, der zu Recht am Beispiel der bloßen Besitzentziehung und der fahrlässigen Sachbeschädigung aufzeigt, dass der Gesetzgeber die Interessenabwägung zwischen bedrohtem Rechtsgut (Eigentum) und Handlungsfreiheit in diesen Fällen zu Gunsten letzterer entschieden hat; zustimmend LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 276. 217 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 14 ff., weist zu Recht darauf hin, dass die Einzelfallabwägung auf Tatbestandsebene als „noch nicht vollständig, weil in ihrer tatsächlichen und rechtlichen Basis noch nicht vollständig“ betrachtet werden muss. 213
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grund anzusehen.218 Im Weiteren hinkt der Vergleich zwischen der Interessenabwägung innerhalb der Rechtfertigungsgründe einerseits und der strafbewehrten Genehmigungspflicht andererseits auch wegen des strafrechtlich bedeutsamen Bezugspunkts. Während § 34 StGB das materielle Ergebnis der Interessenbewertung zur entscheidungserheblichen Variablen erhebt, ist die Interessenabwägung bei den strafbewehrten Genehmigungspflichten vorverlagert, indem sie offenbar an das rein formale Ergebnis der Interessenabwägung und damit daran anknüpft, ob die Behörde das Verhalten durch den Erlass einer Genehmigung toleriert.219 Diese Feststellung legt bereits den Gedanken nahe, dass es dem Strafrecht weniger auf die materielle Interessenabwägung als vielmehr auf die behördliche Kontrolle als solche ankommt. Infolgedessen ist die Lösung im tatbestandlichen Unrechtsgehalt zu suchen:220 Der Versuch, diesen mittels der verwaltungsrechtlichen Unterscheidung zwischen präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und repressivem Verbot mit Dispensvorbehalt festzustellen, gelingt nicht. Zum einen entspricht die traditionelle Unterteilung der verwaltungsrechtlichen Regelungstypen nicht mehr dem Genehmigungsmuster des modernen Verwaltungsrechts.221 Angesichts moderner Herausforderungen und differenzierender gesetzlicher Antworten hierauf gelingt die Einordnung in eine der zwei Kategorien teils gar nicht mehr.222 Zum anderen sind die Unterscheidungskriterien ihrerseits willkürlich. Soweit sie dahingehend unterscheiden, ob es sich um eine grundsätzlich sozial erwünschte, mithin ungefährliche (Präventivverbot) oder aber sozial schädliche und mithin gefährliche Verhaltensweise (Repressivverbot) handelt,223 sind die Kriterien wiederum zu un218 So auch Heghmanns, Dogmatik, S. 181, der abstrakt darauf abstellt, dass diese generalisierende Betrachtung jeweils auf den Einzelfall heruntergebrochen werden kann, wonach jedes genehmigte Verhalten gar nicht erst unter die Verbotsmaterie falle; im Ergebnis auch LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 276. 219 Vgl. dem Gedanken nach Sch/Sch/Heine/Eisele, § 331Rn. 59; s. zur rechtmäßigkeitsunabhängigen Wirksamkeit der Genehmigung im Strafrecht unten § 6 A. III. 1. 220 Zur unrechtsbeschreibenden Funktion des Tatbestands Ebert/Kühl, Jura 1981, 225; Krey/Esser, AT, Rn. 261; Roxin, ATI, § 10 Rn. 20; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 179. 221 So ausdrücklich Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, Rn. 166 (ff.), der von inzwischen – nicht abschließend – vier Grundtypen von Genehmigungsrechtsverhältnissen ausgeht. 222 Vgl. anschaulich auch Vest, in: Ackermann/Hilf, Umwelt-Wirtschaftsstrafrecht, S. 59 (79 f.), der die (bislang dem schweizerischen Recht unbekannte) Differenzierung zwischen Präventiv- und Repressivverbot auf das schweizerische Strafrecht zu übertragen versucht. Dabei stößt er mit Blick auf das schweizerische Ausländergesetz an Grenzen, wenn die Bewilligung einer Erwerbstätigkeit von Ausländern neben formellen Voraussetzungen auch von der Arbeitsmarktlage abhängig gemacht wird; vgl. zur umstrittenen Einordnung im Kriegswaffenkontrollgesetz MüKo-NebenstrafR III/Heinrich, § 22a KrWaffKontrG Rn. 27 f. 223 So aber das herkömmliche verwaltungsrechtliche Verständnis: vgl. Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 41, veranschaulicht das Prä-
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scharf, als dass sich aus ihnen rechtliche Folgen ziehen lassen.224 Wie willkürlich letztlich eine dahingehende Unterscheidung in der Praxis fällt, zeigt sich beispielhaft am Waffenrecht, das aufgrund der Gefährlichkeit des Umgangs mit Waffen ein striktes Verbot nahelegt, gleichwohl aber Fälle anerkannt, in denen die Verwendung von Waffen unumgänglich ist und daher auch rechtliche Anerkennung findet.225 Sofern andere danach differenzieren wollen, ob die Erlaubnisvoraussetzungen ein privates oder öffentliches Interesse widerspiegeln,226 sehen sie sich dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, gewissen Verhaltensweisen von vornherein den grundrechtlichen Schutz abzuerkennen, was dem unbegrenzten sachlichen Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) offensichtlich widerspricht.227 Letztlich besteht der Unterschied zwischen Präventiv- und Repressivverbot einzig in quantitativer Hinsicht, was das Verhältnis von Regel (beim Präventivverbot: Erlaubnis; beim Repressivverbot: Verbot) und Ausnahme (beim Präventivverbot: Verbot; beim Repressivverbot: Erlaubnis) anbetrifft.228 Aus der rein quantitativen Unterscheidung lassen sich keine rechtlichen Schlüsse für die deliktssystematische Einordnung der behördlichen Erlaubnis im Strafrecht ableiten. Wiederum gilt, dass der Gesetzgeber den genehmigungsbedürftigen Verhaltensweisen unabhängig von Repressiv- oder Präventivverbot eine gesetzliche Schranke vorschiebt. Umgeht der Täter dieses behördliche Kontrollanliegen, besagt die Unterscheidung nichts darüber, inwieweit hieraus abstrakte Gefahren entstehen können, denen der Gesetzgeber mittels des Strafrechts begegnen will.229 Mithin bestätigt sich auch in diesem Zusammenhang, dass sich ausgehend von den unterschiedlichen Regelungskonzeptionen und Funktionen von Verwaltungsrecht und Strafrecht, kein tragfähiges konzeptionsübergreifendes Modell begründen lässt. Insoweit verkennen ihre Befürworter die strafrechtsspeventiverbot mithilfe einer Schranke, die hochgezogen wird, wohingegen das Repressivverbot einen Zaun darstellte, der ausnahmsweise überstiegen werden dürfe; Maurer/ Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 55 f.; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 55 f. 224 Siehe zur verwaltungsrechtlichen Kritik: Gusy, JA 1981, 80 (81); am Rande auch Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 41; Schwabe, JuS 1973, 133 (134). Kritisch zu den daraus gezogenen strafrechtlichen Folgen: Heghmanns, Dogmatik, S. 148 ff.; LK-StGB/Walter, Vor § 13 Rn. 53; Rengier, ZStW 1989, 874 (878), bezeichnet die Unterscheidung als „hilfreichen Ausgangspunkt – aber nicht mehr. [. . .] Denn die verwaltungsrechtlichen Kategorien der präventiven und repressiven Verbote sind für die strafrechtliche Einordnung nicht präjudiziell“; zur fehlenden Eignung im Waffenrecht Steindorf/B. Heinrich, WaffenR, Vor § 51 Rn. 5 ff.; Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 204 („willkürlich“); Wimmer, JZ 1993, 67 (68). 225 Hierzu ausführlich Steindorf/B. Heinrich, WaffenR, Vor § 51 Rn. 5 ff.; vgl. Schwabe, JuS 1973, 133 (134). 226 So Gusy, JA 1981, 80 (81 ff.). 227 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36); Heghmanns, Dogmatik, S. 149; Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 429. 228 So bereits Schwabe, JuS 1973, 133 (135). 229 So bereits oben § 5 D. II. 1. b).
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
zifischen Kriterien und tragen auf diese Weise eher zu Verwirrung und Rechtsunsicherheit bei.230 Bei der Unterscheidung anhand strafrechtsspezifischer Kriterien bleibt letztlich unklar, woran sich diese Unterscheidung überhaupt bemisst.231 Freilich kann hierbei auf die klassische Tatbestandsauslegung verwiesen werden,232 doch wird sich selten unter Anwendung der systematischen Auslegungsmethode eine Norm finden lassen, die hinsichtlich der Strafwürdigkeit eines Verhaltens eine tragfähige Aussage enthält.233 Schließlich bliebe die Wertung dem gesellschaftlichen Auffassungs- und Wertewandel überlassen,234 womit die Einordnung der Beliebigkeit preisgegeben würde. Gar spöttisch ließe sich mit Blick auf den einsetzenden Gesinnungswandel in Politik und weiten Teilen der Gesellschaft fragen, ob die behördliche Erlaubnis im Rahmen des § 327 StGB am Tag des Nuklearunfalls von Fukushima am 11.03.2011 den Wandel vom tatbestandsausschließenden zum rechtfertigenden Merkmal vollzogen hat. Wenn es stimmt, dass jede Strafnorm ein mit staatlicher Autorität versehenes sozialethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise enthält,235 ist ein solches Ergebnis inakzeptabel. Die verbliebenen Ansichten stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Während Heghmanns die Verbotsnorm allein in dem ungenehmigten Verhalten sieht und infolgedessen der Genehmigung stets eine tatbestandsausschließende Wirkung attestiert, erkennt Ostendorf den Verstoß gegen das behördliche Kontrollanliegen als tatbestandliches Unrecht nicht an. Stellt man die beiden undifferenzierenden Positionen von Heghmanns auf der einen und Ostendorf auf der anderen Seite gegenüber, konzentriert sich der Streit auf die Frage, ob die (fehlende) behördliche Genehmigung eine unrechtsbeschreibende oder unrechtsbegrenzende Funktion innehat.236 Die Genehmigung als rein unrechtsbegrenzendes und damit 230
So ausdrücklich Steindorf/B. Heinrich, WaffenR, Vor § 51 Rn. 10. So erklärt beispielsweise OLG Celle NStZ 1993, 291 (292), „das Angeln schlechthin – also auch das Angeln aus Flüssen oder sonstigen freien Gewässern – zur tatbestandlichen Tierquälerei“ des § 17 TierSchG (ablehnend Dietlein, NStZ 1994, 21); vgl. Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 160. 232 Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27; Rengier, ZStW 1989, 874. 233 Bspw. meint Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27 (mit Fn. 2), bezugnehmend auf § 1 Nr. 1 AtomG a. F. („Zweck dieses Gesetzes ist, die Erforschung, die Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern“), dass der Betrieb einer kerntechnischen Anlage im Sinne des § 327 AtomG für sich genommen noch kein hinreichenden Unrechtsgehalt darstelle und die behördliche Erlaubnis daher zum Tatbestandausschluss führe. Dabei kann durchaus bezweifelt werden, ob aus der allgemeinen gesetzgeberischen Zweckerwägung Schlüsse auf den strafrechtlichen Unrechtsgehalt gezogen werden können. 234 So Rengier, ZStW 1989, 874 (879). 235 BVerfGE 123, 267 (408). 236 Vgl. zu diesem Gedanken im Rahmen der §§ 284 ff. StGB BVerfGE 28, 119 (148), welches diesbezüglich der Genehmigung eine unrechtsbegrenzende Funktion zu231
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rechtfertigendes Instrument verstanden, führt in der Konsequenz zu fragwürdigen Ergebnissen: gesellschaftlich konsensfähig dürfte wohl sein, das tatbestandliche Unrecht des § 22a Abs. 1 Nr. 1 KrWaffKontrG allein in der Herstellung von Kriegswaffen zu sehen, wobei dieses für sich bestehende Unrecht durch im Einzelfall ergehende Genehmigung begrenzt wird. Ob allein schon das Veranstalten eines öffentlichen Glückspiels (vgl. § 284 StGB) eine strafwürdige Verhaltensweise darstellt, erscheint indes fraglicher. Kaum jemand dürfte schließlich darin übereinstimmen, bei § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG das tatbestandliche Unrecht beziehungsweise die indizielle Rechtswidrigkeit im bloßen Führen eines Kraftfahrzeugs sehen. Ostendorfs stringente Lösung führt daher zu fragwürdigen Ergebnissen und geht schließlich bei solchen Straftatbeständen völlig ins Leere, wo in Ermangelung weiterer Unrechtsmerkmale ein strafwürdiges Unrecht gar nicht besteht.237 Die Ungereimtheiten und Rechtsunsicherheiten lassen sich ausräumen, indem man die (fehlende) behördliche Genehmigung mit Heghmanns stets als Merkmal des strafrechtlichen Tatbestands einordnet.238 Eine solche Lösung ist konsequent, weil die differenzierenden Lösungsansätze kein stichhaltiges Kriterium anzeigen, mit dessen Hilfe sich die Unterscheidung zwischen negativ gefasstem Tatbestandsmerkmal und Rechtfertigungsgrund stringent durchführen lässt. In der Folge ist nicht einzusehen, warum dem Bürger auf der Grundlage solcher Rechtsunsicherheiten die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit des Genehmigungserfordernisses einmal mehr und einmal weniger zum Vorteil gereichen sollen. Freilich blieb die Einordnung nicht ohne Kritik. Insbesondere erscheint die damit einhergehende Statuierung eines Zwischenrechtsguts in Form der Funktionsfähigkeit der behördlichen Zugangskontrolle diskussionswürdig. Zwar wird inzwischen kaum noch in Abrede gestellt, dass der Gesetzgeber die staatliche Kontrolle und somit im Ergebnis auch den Verwaltungsgehorsam strafrechtlich einfordern kann, da die Rechtsgüter abstrakten Schutz gerade durch die staatliche Bewirtschaftung und Kontrolle erfahren.239
weist: „[. . .] der Betrieb einer Spielbank bleibt als an sich unerwünschte Tätigkeit generell nach dem Gesetz von 1868 verboten und wird nur aus besonderen Gründen im Einzelfall zugelassen. Durch die Konzessionierung einer Spielbank wird also nicht eine Gelegenheit zu wirtschaftlicher Betätigung eröffnet. Sie wird vielmehr wesentlich und entscheidend bestimmt durch die öffentliche Aufgabe, das illegale Glückspiel um Geld einzudämmen und dem nicht zu unterdrückenden Spielbetrieb des Menschen staatlich überwachte Betätigungsmöglichkeiten zu verschaffen.“ 237 Heghmanns, Dogmatik, S. 179. 238 Im Ergebnis auch MüKo-StGB/Schlehofer, Vorbem. zu § 32 Rn. 222, wiederum auf dem Boden eines zweigliedrigen Verbrechensaufbaus (vgl. Rn. 36 ff.). 239 Vgl. bereits BGHSt 11, 209 (210); BeckOK-StGB/Witteck, § 327 Rn. 7.3; Dölling, JZ 1985, 461 (463); Heghmanns, Dogmatik, S. 157 ff.; Rengier, ZStW 1989, 874 (880 f.); Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 241; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (340).
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
Zugegebenermaßen erscheint das vorgeschaltete Rechtsgut aber „farblos“ 240 und insoweit nicht mit dem Willen des Gesetzgebers übereinstimmend, als die hinter der Kontrollbefugnis stehenden Rechtsgüter in den Hintergrund gedrängt werden.241 Diese Kritik täuscht freilich darüber hinweg, dass die behördlichen Kontrollbefugnisse gerade dem Schutz der dahinter stehenden Rechtsgüter zu dienen bestimmt sind. Ein Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten, war es doch gerade der Gesetzgeber, der beim Umweltstrafrecht betonte, die Verletzung von präventiven Kontrollinteressen der Umweltverwaltung zu ahnden.242 Ein kursorischer Blick in das Schrifttum zeigt schließlich, dass die fehlende Genehmigung als negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal im Nebenstrafrecht vielerorts auf Zustimmung in Schrifttum und Rechtsprechung stößt.243 240
Rengier, ZStW 2002, 201 (203). Rengier, ZStW 2002, 201 (203), der anschaulich auf die gesetzliche Botschaft abstellt: „Die Botschaft: Jede Gewässerverunreinigung ist grundsätzlich verboten (= Unrecht), wenn sie nicht ausnahmsweise erlaubt wird, hat prägenderen Charakter als die Aussage: Ohne Genehmigung darf das Gewässer nicht verunreinigt werden.“; zustimmend LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 275. 242 Vgl. BT-Drs. 12/192, S. 10: „Verletzungen von präventiven Kontrollinteressen der Umweltverwaltung, von Sicherheitsvorschriften und anderen Betreiberpflichten können das Risiko des Eintritts von Gefahren und Schäden erheblich ansteigen lassen und, wie zahlreiche Unglücksfälle zeigen, sogar der entscheidende Faktor für ihren Eintritt sein.“ 243 Sofern die Zitate keine weiteren Hinweise enthalten, plädieren sie für eine tatbestandsausschließende Wirkung der Genehmigung. Zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: Mosbacher, in: Graf/Jäger/Wittig, WSS, § 15 AÜG Rn. 7; MüKo-NebenstrafR II/ ders., § 15 AÜG Rn. 8. Zum Aufenthaltsgesetz: BGHSt 50, 105; BeckOK-AuslR/Hohoff, § 95 AufenthG Rn. 13. Zum Außenwirtschaftsgesetz: überwiegend Cornelius, in: Graf/Jäger/Wittig, WSS, § 18 AWG Rn. 8, der aber vor einer Verallgemeinerung warnt; differenzierend MüKo-NebenstrafR II/Wagner, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 43; für Tatbestandsausschluss NK-WSS/Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 21. Zum Betäubungsmittelgesetz: BGH NStZ 1996, 338 (339); Weber, BtMG/AMG, § 29 BtMG Rn. 26; Winkelbauer, NStZ 1988, 201 (202); anders MüKo-NebenstrafR I/Kotz/Og˘lakcıog˘lu, § 3 BtMG Rn. 39 f., die der behördlichen Erlaubnis generell rechtfertigende Wirkung beimessen wollen. Zum Gentechnikgesetz: MüKo-NebenstrafR I/Alt, § 38 Rn. 30 (i.V. m. § 39 Rn. 6) GenTG. Zum Kreditwesengesetz (§ 54 KWG): Bock, in: Graf/Jäger/Wittig, WSS, § 54 KWG Rn. 62; NK-WSS/Pananis, § 54 KWG Rn. 46. Zum Kriegswaffenkontrollgesetz: für Rechtfertigungsgrund BGH NStZ 1993, 594 (595), BGH NStZ 2007, 644; ferner auch Cornelius, in: Graf/Jäger/Wittig, WSS, Vor §§ 17–20 AWG Rn. 13; hingegen zutreffend für negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal: MüKo-NebenstrafR III/ Heinrich, § 22a KrWaffKontrG Rn. 28; NK-WSS/Ahlbrecht, § 22a KrWaffKontrG Rn. 5; Puppe, NStZ 1993, 595 (596). Zum Kulturgutschutzgesetz: Häberle, in: Erbs/ Kohlhaas, § 83 KGSG Rn. 10. Zum Schwarzarbeitergesetz: Horrer, in: Bross, Hdb. Arbeitsstrafrecht, Kap. 6 Rn. 44. Zum Sprengstoffgesetz: MüKo-NebenstrafR III/Heinrich, § 40 SprengG Rn. 62. Zum Tierschutzgesetz für die Rechtfertigungslösung OLG Celle NStZ 1993, 291 (292); vgl. Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 TierSchG Rn. 12; MüKo-NebenstrafR I/Pfohl, § 17 TierSchG Rn. 123; zutreffend dagegen Dietlein, NStZ 1994, 21 (22), wobei sich der Streit insbesondere an der vorgelagerten Frage der Einordnung des Merkmals „ohne vernünftigen Grund“ entfacht. Zum Waffenrecht: OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 353; MüKo-NebenstrafR III/Heinrich, § 52 Rn. 2; Steindorf/ B. Heinrich, WaffenR, Vor § 51 Rn. 10. Zum Wertpapierhandelsgesetz: Vgl. auch die 241
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d) Konkordanz zwischen verwaltungsrechtlicher Eingriffsbefugnis und strafrechtlichem Unrecht? Die Sanktionierung einer (nur) formell verwaltungsrechtswidrigen Handlung sieht sich weiterhin in Frage gestellt, wenn die Verwaltung hiergegen etwa mit Blick auf das Übermaßverbot nicht einschreiten darf.244 Sanktioniert das Strafgesetz ein Handeln ohne Genehmigung, soll demnach eine Strafbarkeit trotz fehlender Genehmigung ausscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde mit den Mitteln des Verwaltungsrechts gegen die ungenehmigte Verhaltensweise keine Handhabe hat. Auch diese Sichtweise verkennt die unterschiedlichen Perspektiven von Verwaltungsrecht und Strafrecht. Während das Strafrecht seinen Blick auf die Person des Schädigers und ihr Verhalten lenkt und dabei auf Geschehenes zurückblickt, handelt das Polizeirecht vom drohenden Schaden und beurteilt damit einen gegenwärtigen tatsächlichen Zustand.245 In der Folge ergibt sich kein Widerspruch daraus, dass auf die Zukunft gerichtetes Verwaltungshandeln, welches rechtswidrige Zustände beseitigen will, seinerseits rechtswidrig ist. Die Aussage des Verwaltungsrechts, wiederum adressiert an die Verwaltung, lautet in diesem Fall: „Die Behörde darf gegen das ungenehmigte Verhalten für die Zukunft nicht einschreiten.“ Das Strafrecht hingegen schaut zurück und besagt: „Die ungenehmigte Ausübung einer Verhaltensweise ist strafbar.“ Während das Strafrecht ahndet, dass der Täter eine Tätigkeit in der Vergangenheit ohne behördliche Prüfung ausübte, schaut das Verwaltungsrecht zukunftsorientiert darauf, ob ein Einschreiten gegen die ungenehmigte Verhaltensweise wegen begründeter zukünftiger Gefahren verhältnismäßig erscheint. Eine Rechtskonkurrenz im obigen Sinn ist folglich nicht anzunehmen, weil die Strafrechtsordnung einerseits und die Verwaltungsrechtsordnung andererseits ihre rechtliche Aussage nicht auf denselben tatsächlichen Vorgang beziehen.246 Wiederum zeitigen an dieser Stelle die dem Feststellung in der amtlichen Begründung zum Entwurf des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 46: „In den Tatbeständen des Nebenstrafrechts einschließlich der Ordnungswidrigkeiten sind zudem die Umstände, welche die Handlung als unrechtmäßig kennzeichnen, vielfach zu Tatbestandsmerkmalen erhoben.“ 244 Bickel, NuR 1982, 117 (118): „Aber die gleichen Gründe, die eine Behörde am Einschreiten hindern, weil eine Unterbindung der Einleitung das Übermaßverbot verletzen würde, können von der StA bei der Prüfung von Rechtfertigungsgründen nicht außer Acht gelassen werden, soll die Einheit der Rechtsordnung nicht in Frage gestellt werden“; so auch Rengier, ZStW 1989, 874 (906): „Denn man kann nicht einerseits der Behörde das Einschreiten verbieten und andererseits ein verhalten für straf- bzw. ahndbar erklären, gegen das verwaltungsrechtlich überhaupt nicht vorgegangen werden kann“; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 114 ff.; Schünemann, wistra 1986, 235 (242); im Ergebnis auch Wimmer, JZ 1993, 67 (71). 245 Einleuchtend Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 5 f., wonach der Beobachtungsgegenstand je nach Perspektive des rechtlichen Prüfungsmaßstabs ausgewählt wird. 246 In begrüßenswerter Klarheit jüngst BayVGH BeckRS 2018, 17218 Rn. 18: „Überdies irrt die Klägerin auch, wenn sie verfassungsrechtliche Bedenken aus einer vermeintlich unberechtigten Inkongruenz verwaltungsrechtlicher Tatbestandsvorausset-
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2. Teil: Verwaltungsstrafrecht – Verwaltungsrecht und Strafrecht
Verwaltungsrecht wesensimmanente Zukunftsorientierung und die dem Strafrecht immanente vergangenheitsbewältigende Funktion ihre Auswirkungen. Auch in diesem Zusammenhang folgt aus der Argumentationsfigur einer widerspruchsfreien Rechtsordnung keine zwingende Interpretation des strafrechtlichen Tatbestands. Wiederum unterliegt es der gesetzgeberischen Entscheidung, inwieweit er abstrakten Gefahren, die unter Umgehung der behördlichen Zugangskontrolle entstehen, strafrechtliche Sanktionen entgegensetzen will. Während das Strafrecht durch (zumeist) abstrakte Gefährdungsdelikte bereits den formell-verwaltungsrechtswidrigen Zustand verhindern will, können die Verwaltungsrechtsregelungen die Behörde zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands ermächtigen. Wenn ein Eingreifen für die Zukunft auf rechtmäßige Weise nicht möglich ist, legalisiert das spiegelbildlich nicht einen in der Vergangenheit vom Bürger verursachten rechtswidrigen und strafbewehrten Zustand. 2. Strafrecht im Zusammenhang mit der behördlichen Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung Flankiert das Strafrecht die durch Verwaltungsakt begründeten Pflichten, wie sie regelmäßig durch die behördliche Inanspruchnahme im Nachgang privater Freiheitsausübung oder aber durch Auflagen im Zuge einer Genehmigung auferlegt werden können, sieht es sich ebenfalls dem (vermeintlichen) Druck einer einheitlichen Rechtsordnung ausgesetzt. Strafbewehrt soll demnach nur der Verwaltungsakt sein, der verwaltungsrechtlich durchsetzbar, mithin vollstreckbar ist. Wüterich sieht dies insbesondere durch den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung begründet, weil andernfalls kaum verständlich wäre, die Nichtbefolgung bereits zu ahnden, ohne dass die Durchsetzung mittels Verwaltungszwang in dieser Zeit schon möglich wäre.247 Die konkrete Aussage der Verwaltungsrechtsordnung besagt im Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit: „Das angeordnete Verhalten kann mit den Mitteln des Verwaltungszwangs nunmehr durchgesetzt werden.“ Das Strafrecht hingegen besagt lediglich: „Der Verstoß gegen eine durch Verwaltungsakt auferlegte Pflicht ist strafbar.“ Eine Rechtskonkurrenz entstünde allenfalls, wenn das Strafrecht tatsächlich an die Verwaltungsvollstreckung anknüpfte zungen einerseits und Strafbarkeitsvoraussetzungen andererseits herleitet. Mit den verschiedenen Regelungszwecken des Strafrechts (u. a. Ahndung von schuldhaftem Fehlverhalten) und des Immissionsschutzrechts (Gefahrenabwehr) lässt sich zwanglos und ohne dass es in irgendeiner Weise verfassungsrechtlich bedenklich wäre, rechtfertigen, dass das illegale Betreiben einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage unter den Voraussetzungen des § 327 Abs. 2 und 3 StGB im Fall schuldhaften Handelns bestraft wird (§ 327 Abs. 3 Nr. 2 StGB senkt für den Fall nur fahrlässigen Handelns die Höchststrafe ab), wogegen die Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG nicht davon abhängt, ob den Betreiber der Anlage hinsichtlich der Umstände, die ihre formelle Illegalität nach sich ziehen (bzw. daran, dass dieser Zustand noch nicht behoben wurde), ein Verschulden trifft.“ 247 Wüterich, NStZ 1987, 106 (107).
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und etwa anordnete: „Der Verstoß gegen eine durch Verwaltungsakt auferlegte Pflicht ist zur Durchsetzung dieser Pflicht strafbar“. Ob das Strafgesetz tatsächlich Mittel zur Durchsetzung des Verwaltungsbefehls ist, wie es ihm zumeist nur unterstellt wird,248 bedarf einer eigenständigen Analyse. Dabei müssen die rechtlichen Anforderungen an den Verwaltungsakt im Strafrecht insgesamt in den Blick genommen werden.249 In diesem Geflecht kann der Grundsatz der einheitlichen Rechtsordnung ein Mosaikstein sein. Die nur floskelhafte Behauptung eines solchen Grundsatzes trägt jedenfalls nicht dazu bei, das Verhältnis von Verwaltungsrecht und Strafrecht in diesem Kontext zu definieren.
248
So auch von Wüterich, NStZ 1987, 106 (107). Hierfür wird auf die Diskussion im Rahmen der Verbindlichkeit des Verwaltungsakts sub § 6 B. II. 2 verwiesen. 249
Dritter Teil
Rechtliche Anforderungen an die unrechtsbegründende und unrechtsausschließende Wirkung des Verwaltungsakts § 6 Rechtliche Anforderungen an den Verwaltungsakt im Strafrecht Nachdem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Strafrecht und Verwaltungsrecht aufgezeigt wurden und die zahlreichen Erscheinungsformen von Verwaltungsakten im Strafrecht bekannt sind, ist das Fundament gelegt, um sich nunmehr den materiell-rechtlichen Anforderungen zu widmen, die der Verwaltungsakt erfüllen muss, um seinen strafrechtlichen Funktionen gerecht zu werden. Knüpft das Strafrecht die Strafbarkeit an die Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt oder hängt die tatbestandsausschließende Genehmigung vom Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts ab, setzt dies zunächst die Existenz eines Verwaltungsakts voraus. Im Hinblick auf die noch ausstehende Auseinandersetzung mit den verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen und nachträglichen behördlichen Entscheidungen1 wird an dieser Stelle eine entscheidende Weiche gestellt. Maßgeblich wird darüber entschieden, welchen Vorgaben der Verwaltungsakt genügen muss, damit eine tatbestandsmäßige Handlung überhaupt möglich ist. Sind etwa bei der Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt rechtswidrige Verwaltungsakte von vornherein von der Strafbewehrung ausgenommen, ist eine Analyse über die Auswirkungen verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelfe überflüssig. Denn eine Korrektur des rechtswidrigen Verwaltungshandelns, wie sie mit verwaltungsrechtsrechtlichen Rechtsbehelfen angestrebt wird, bedürfte es nicht, sofern das Strafrecht die Rechtmäßigkeit bereits auf Tatbestandsebene berücksichtigt. Unabhängig davon, ob das Strafrecht verwaltungsrechtliche Voraussetzungen eigenständig anhand strafrechtsautonomer Ansätze zu erklären im Stande ist,2 vollzieht die folgende Untersuchung die Wirkweise des Verwaltungsakts zunächst streng verwaltungsrechtlich nach. Erst wenn die damit zusammenhängenden Fragen geklärt sind, kann entschieden werden, ob eine stringente Übernahme des verwaltungsrechtlichen Regelungskonzepts für das Strafrecht geboten ist oder 1 2
Hierzu § 9. Siehe beispielhaft zum Begriff der Vollziehbarkeit Odenthal, NStZ 1991, 418.
§ 6 Rechtliche Anforderungen an den Verwaltungsakt im Strafrecht
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strafrechtliche Prinzipien eine anderweitige – insoweit strafrechtsautonome – Betrachtung rechtfertigen. Bei der jeweils vorangestellten verwaltungsrechtlichen Auseinandersetzung soll daher auch die Interessen- und Motivationslage nicht unberücksichtigt bleiben, die den Gesetzgeber beziehungsweise Rechtsprechung und Wissenschaft zu dem Schluss hat kommen lassen, den verwaltungsrechtlichen Entscheidungen ebenjene verwaltungsrechtliche Wirkung zuzugestehen. Die Betrachtung beginnt mit der Fehlerfolgenlehre für den Verwaltungsakt und seinen strafrechtlichen Auswirkungen. Im Zentrum stehen dabei die zentralen Fragen um den Zusammenhang von Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und seinen strafrechtlichen Auswirkungen. Im Weiteren bedarf die Verbindlichkeit des Verwaltungsakts einer genaueren Analyse, wobei es insbesondere um die Bestimmung des Zeitpunkts geht, ab dem der Verwaltungsakt seine jeweils strafrechtsrelevanten Wirkungen entfaltet. Darauf aufbauend lassen sich die strafrechtlichen Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) einordnen, wobei sich die Betrachtung darauf beschränkt, welche Auswirkungen sie auf zukünftige Tathandlungen haben.3 Auf dem Boden der gefundenen Ergebnisse können schließlich eventuelle Fehlvorstellungen des Täters richtig eingeordnet werden.4
A. Die Fehlerfolgenlehre des Verwaltungsakts und seine strafrechtlichen Wirkungen Mit zur schillerndsten Eigenschaft des Verwaltungsakts zählt seine rechtmäßigkeitsunabhängige Wirksamkeit.5 In Frage steht zunächst, ob diese unbesehen auf das Strafrecht übertragbar ist. Dies erscheint als primäre Frage für den Forschungsgegenstand deshalb praktikabel, weil die Antwort darauf zu klären vermag, welche rechtlichen Anforderungen an den Verwaltungsakt zu stellen sind, damit er im Strafrecht überhaupt Wirkungen zeitigt. Erst im Anschluss daran sind Auseinandersetzungen über den Zeitpunkt der verwaltungs- beziehungsweise strafrechtlichen Verbindlichkeit des Verwaltungsakts sinnvoll. I. Das Nichtigkeitsdogma bezüglich rechtsfehlerhaften Verwaltungshandelns und seine Durchbrechung im Verwaltungsrecht Das deutsche Grundgesetz bindet in Art. 20 Abs. 3 GG die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, wiederum vollziehende und rechtsprechende Gewalt an das Gesetz. Wenn die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden sein soll, drängt sich die Annahme eines verfassungs- und entsprechend verwaltungs3 4 5
Hierzu § 7. Zur möglichen Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung, s. unten § 9. Hierzu § 8. So Saurer, Verw 2017, 339 (356).
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3. Teil: Anforderungen an Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss
rechtlichen „Naturzustands“ auf, in dem kein Bürger rechtswidrigem Verwaltungshandeln ausgesetzt ist. Demgemäß wäre rechtswidriges Verwaltungshandeln unbeachtlich, ebenso wie gegen Verfassungsrecht verstoßende Gesetze nichtig sind, weil sie außerhalb der höherrangigen gesetzlichen Leitplanken liegen.6 Eine dermaßen bescheiden ausgestattete Verwaltung wäre jedoch kaum effektiv: Eine rechtssichere Lage, auf die sich der Normunterworfene einstellen könnte, suchte man vergeblich. Insbesondere aber wäre die Verwaltung kaum handlungsfähig, da es letztlich dem Gutdünken der Beteiligten obläge, dem hoheitlichen Befehl Beachtung zu schenken. Jahrzehntelange Diskussionen nahmen sich dem fehlerhaften Staatsakt an, infolgedessen der Grundsatz ex injuria jus non oritur7 zahlreiche Durchbrechungen erfuhr. Allesamt streben die entsprechenden Vorschriften nunmehr eine Immunisierung des Verwaltungshandelns gegen Rechtsverstöße an.8 Die fundamentalste gesetzliche Durchbrechung stellt § 43 VwVfG dar, der den ursprünglichen Rechtsgrundsatz für den Verwaltungsakt geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Demnach ist ein Verwaltungsakt nur unter den (sehr beschränkten) Voraussetzungen des § 44 VwVfG nichtig und damit unwirksam (§ 43 Abs. 3 VwVfG), im Übrigen aber bleibt er wirksam (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG) und ist allenfalls aufhebbar (vgl. §§ 48, 49 VwVfG).9 Dies verwundert insoweit, als der Gesetzgeber damit rechtsfehlerhaftes Handeln von Anfang an in seine Betrachtung miteinbezieht, obgleich er ebenso von Verfassungs wegen an Recht und Gesetz gebunden ist.10 Doch wiegt das Bedürfnis nach Rechtsbeständigkeit das Gebot der Rechtmäßigkeitsrestitution auf, weil das Recht auf diese Weise seiner Ordnungs- und Orientierungsfunktion nachkommt, indem es Verfahren effizient 6 Vgl. hierzu Merkl, Verwaltungsrecht, S. 195 f., der ganz im Sinne der Kelsen’schen „Reinen Rechtslehre“ und damit gegen die zur damaligen Zeit vielfach vertretenen Theorien vom fehlerhaften Staatsakt formuliert: „Wenn vorhin der fehlerhafte Akt als ein Akt definiert wurde, der nicht in jeder Hinsicht seiner Erzeugungsregel entspricht, so kann diese Definition nunmehr dahin konkretisiert werden, daß ein fehlerhafter Akt der Akt ist, der nicht sämtlichen Bestimmungen seiner Form und seines Inhaltes entspricht. Ist aber der Sinn jeder rechtlichen Bestimmung eines Staatsaktes im Zweifel der einer Bedingung des Entstehens dieses Staatsaktes, dann ist eben bei Auftreten auch nur eines einzigen Mangels, d.h. bei Nichterfüllung auch nur einer Bedingung der intendierte Staatsakt überhaupt nicht gesetzt.“ 7 „Aus Unrecht entsteht kein Recht“ (röm. Rechtsgrundsatz); zu Ausnahmen von diesem Grundsatz Kelsen, Rechtslehre, S. 275. 8 So Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2808), zu Bebauungsplänen. 9 Vgl. BVerwGE 1, 67 (69): „Die von den staatlichen Organen erlassenen Akte tragen die Vermutung der Gültigkeit in sich; sie sind bei Fehlerhaftigkeit also grundsätzlich nur vernichtbar, anfechtbar, und nicht nichtig.“ 10 Vgl. Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 22 Rn. 1, beschreibt die rechtmäßigkeitsunabhängige Rechtswirksamkeit (durchaus zutreffend) als eine „Provokation“ gegenüber dem Rechtsstaat; Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht II, § 35 Rn. 154: „Jeder Fehler widerstreitet dem Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Sollanspruch des Rechts. Auch wenn es keine rechtslogisch gebotene Fehlerfolge gibt, verlangen beide Gebote nach der Herstellung eines rechtmäßigen Rechtszustands.“
§ 6 Rechtliche Anforderungen an den Verwaltungsakt im Strafrecht
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gestaltet und einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen den Verfahrensbeteiligten sichert.11 Entsprechend der vorherrschenden Evidenztheorie entschied der Gesetzgeber, dass der Verwaltungsakt nur dann keine Rechtsgültigkeit entfaltet, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dieser bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist.12 Neben den gesetzlich typisierten (absoluten) Nichtigkeitsgründen gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 6 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nur nichtig, wenn ihm die Rechtswidrigkeit gewissermaßen „auf die Stirn geschrieben steht“ 13. In diesem Fall verfehlt er seine Aufgabe, Rechte und Pflichten zu konkretisieren, weshalb eine rechtmäßigkeitsunabhängige Rechtswirksamkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang zu bringen wäre.14 Dem Verwaltungsakt wohnt von vornherein keine Bedeutung inne, er ist unwirksam (vgl. § 43 Abs. 3 VwVfG) und unverbindlich, sodass der Bürger ihm keine Beachtung schenken und noch nicht einmal eine drohende Bestandskraft durch Einlegung von Rechtsbehelfen verhindern muss.15 Bleibt der Verwaltungsakt hingegen wirksam, profitieren – jedenfalls im Ausgangspunkt – der Staat im Falle des belastenden und der Bürger im Falle des begünstigenden Verwaltungsakts gleichermaßen von dieser Durchbrechung. Der Staat, weil seinem Ordnungsinteresse unabhängig von eventueller rechtlicher Mängel Vorschub geleistet wird. Der Bürger, weil seine Interessenverfolgung unabhängig von rechtlichen Mängeln gebilligt wird. II. Die Bedeutung verwaltungsverfahrensrechtlicher Nichtigkeit (§§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG) im Strafrecht Indes ist die Fehlerfolgenlehre bezüglich des Verwaltungsakts für das Strafrecht hinfällig, wenn es vorzugswürdig erscheint, eine eigens strafrechtliche Feh11 Instruktiv hierzu Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht II, § 35 Rn. 154; wenig überzeugend dagegen Lorenz, DVBl 1971, 165 (167), wonach die Vermutung der Gültigkeit von Verwaltungsakten ihre Grundlage nicht in der Rechtssicherheit finde, sondern in dem verfassungsrechtlich begründeten Entscheidungsmonopol des Richters über die Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten. 12 Vgl. zur Evidenztheorie vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes BVerfGE 34, 9 (25); BVerwGE 1, 67 (69 f.); 19, 284 (287); zur Normierung im VwVfG BT-Drs. 7/910, S. 63; kritisch zum Evidenzerfordernis Leisner, DÖV 2007, 669 (675: „rechtsstaatswidriges Privileg der Verwaltung“). 13 Vgl. BGHSt 21, 74 (76). 14 Vgl. Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht II, § 35 Rn. 160; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 86; Ruffert, in: Ehlers/ Pünder, AllgVerwR, § 22 Rn. 4; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 41. Abzugrenzen ist der nichtige Verwaltungsakt vom sogenannten „Nichtverwaltungsakt“, welcher nicht alle Voraussetzungen des § 35 VwVfG erfüllt und daher nur dem Schein nach ein Verwaltungsakt darstellt (hierzu Baumeister, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 43 Rn. 36 und § 44 Rn. 12). 15 Baumeister, Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 44 Rn. 9; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 91 f.; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 22 Rn. 8.
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lerfolgenlehre bezüglich Verwaltungsakten zu statuieren. Insoweit stehen bei Verstößen gegen strafbewehrte Verwaltungsakte, bei strafbewehrten ungenehmigten Verhaltensweisen und bei Delikten, welche die Strafbarkeit von einem durch Verwaltungsakt vermittelten Status abhängig machen, gleichermaßen Vorschläge im Raum, welche die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts nicht anhand der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften, sondern am Maßstab strafrechtsspezifischer Kriterien festmachen. Diese Vorschläge bedürfen der Würdigung. Dabei wird erstens aufzuzeigen sein, inwieweit die verwaltungsrechtliche Nichtigkeit im Strafrecht Bedeutung erlangt. Auf der zweiten Stufe sind Argumentationslinien zu untersuchen, die auf strafrechtsautonomen Nichtigkeitsgründen beruhen. 1. Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit (§ 44 VwVfG) im Rahmen strafbewehrter Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte und ungenehmigter Handlungen Hinsichtlich dieser beiden Fallgruppen blieb die Bedeutungslosigkeit verwaltungsrechtlich nichtiger Verwaltungsakte für das Strafrecht weitestgehend unwidersprochen, mit der Folge, dass sie auch im strafrechtlichen Kontext keine Folgen zeitigen.16 Bezugnehmend auf die Definition der Verwaltungsaktakzessorietät, als Abhängigkeit des Strafrechts von der logisch vorrangigen behördlichen Einzelfallentscheidung, überzeugt es in der Tat, die vorrangige, verwaltungsrechtlich bedingte Nichtigkeit im Strafrecht zu akzeptieren. Mit anderen Worten kann das Strafrecht schon begriffsnotwendig nichts in seine Sphäre einbeziehen, was es als solches (verwaltungsrechtlich) nicht gibt. Folgerichtig kann eine (verwaltungsrechtlich) nichtige Genehmigung auch im Strafrecht nicht tatbestandsausschließend wirken. Ebenso wenig kann einem belastenden Verwaltungsakt zuwidergehandelt werden, dessen Regelungsgehalt kraft verwaltungsverfahrensrechtlicher Nichtigkeit überhaupt keine Verbindlichkeit in sich trägt.17 16 Vgl. BGHSt 21, 74 (legt ein solches Verständnis ohne nähere Ausführungen zugrunde); 23, 86 (91); 50,105 (113); OLG Hamburg, MDR 1968, 1027 (1028); LG Hanau, NJW 1988, 571 (574); Berg, WiVerw 1982, 169 (171); Eisele, BT I, Rn. 1278; Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 35; Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 70; Gerhards, NJW 1978, 86 (89); Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 41 Rn. 23; Horn, NJW 1988, 2335; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 310 ff.; Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 48 Rn. 5; Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27 (28); LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 279; LK-StGB/ Steindorf, § 324 Rn. 106 ff.; Lorenz, DVBl 1971, 165 (166); NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 202; Odenthal, NStZ 1991, 418 (419 mit Fn. 7); Otto, Jura 1991, 308 (311); kritisch („durchdenkenswert“) Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (592); Rengier, ZStW 1989, 874 (896 f.); Rogall, GA 1995, 299 (310); Rudolphi, NStZ 1984, 193 (197); Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16a; Schünemann, wistra 1986, 235 (240); Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 41. 17 Berg, WiVerw 1982, 169 (171); Gerhards, NJW 1978, 86 (89); Lorenz, DVBl 1971, 165 (166); Odenthal, NStZ 1991, 418 (419) mit Fn. 7; Schenke, Wolter-FS, S. 215 (231 f.).
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Einzig Paeffgen äußert sein Unverständnis darüber, wieso eine nach sorgfältiger Abwägung erteilte Erlaubnis keine tatbestandsausschließende Wirkung zeitigt, „nur weil sie nicht mit Behörden-Stempeln versehen oder nicht auf Kopfbogen geschrieben“ 18 ist (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). In der Folge plädiert er dafür, die verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeitsgründe auf ihre Rechtsgutserheblichkeit hin zu überprüfen und sie nur im Falle einer Rechtsgutsberührung auf das Strafrecht durchschlagen zu lassen.19 Diese verkürzte Darstellung erweckt den Eindruck unnötiger Förmelei, überzeugt aber bei näherem Hinsehen nicht: § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ordnet die Nichtigkeit solcher Verwaltungsakte an, die noch nicht einmal im Wege der Auslegung erkennen lassen, welche Behörde gehandelt hat.20 Ein solcher Verwaltungsakt kann bereits aufgrund seiner mangelnden äußeren Form kein Vertrauen für sich beanspruchen und kein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis begründen, weil der hoheitliche Beteiligte sich nicht zu erkennen gibt. Könnte ein solcher Verwaltungsakt nur angefochten werden, wäre dem Rechtshilfesuchenden nicht geholfen, weil er nicht einmal erkennen kann, bei welcher und gegen welche Behörde er vorgehen muss.21 Deshalb überwiegt das Gebot der Rechtmäßigkeitsrestitution gegenüber der Rechtsbeständigkeit.22 Während für begünstigende Verwaltungsakte eine am strafrechtlichen Rechtsgut orientierte Wirksamkeit im Sinne Paeffgens allenfalls hörenswert ist, weil sie den Täter begünstigt,23 führte sie bei strafbewehrten Verhaltenspflichten durch befehlenden Verwaltungsakt zu dem unerträglichen Ergebnis, wonach er einem Schreiben zunächst Folge leisten müsste, welches von einem nicht erkennbaren Hoheitsträger stammt. Dies spricht neben den bereits vorgebrachten Argumenten im Ergebnis für die sonst einhellige Ansicht, welche die verwaltungsrechtliche Nichtigkeit auch auf die strafrechtliche Ebene durchschlagen lässt.
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Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (592). Zum Vorangegangenen Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (592); zustimmend NK-StGB/Ransiek, § 324 Rn. 24; Rogall, GA 1995, 299 (310), erscheint dies immerhin „haltbar“; hiergegen LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 279. 20 Vgl. Baumeister, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 44 Rn. 29; Ziekow, VwVfG, § 44 Rn. 11. 21 BT-Drs. 7/910, S. 64; Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 49 Rn. 10; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 22 Rn. 5. 22 Vgl. zu diesem – bereits oben geäußerten – Gedanken Bumke, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht II, § 35 Rn. 154; so auch Heghmanns, Dogmatik, S. 217 f., der mit Blick auf das Rechtsguts der Funktionsfähigkeit der Zugangskontrolle darauf hinweist, dass das Strafrecht die Nichtigkeit nicht zuletzt deshalb zu beachten habe, da die Nichtigkeitsgründe die hohe Wahrscheinlichkeit dokumentierten, dass „die Zugangskontrolle ihrer Aufgabe nicht gerecht werden konnte“; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 279; SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 72, 75. 23 Insoweit zustimmend Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16a, für Fälle fehlender Erkennbarkeit der Nichtigkeit, wobei derlei Fälle höchst selten sein dürften. Richtigerweise dürften sie über die Irrtumskonstellationen sachgerecht zu lösen sein (hierzu § 8). 19
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2. Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit bei feststellenden Verwaltungsakten im Strafrecht Oben wurde bereits festgestellt, dass sich der feststellende Verwaltungsakt im Rahmen der §§ 85, 85a, 86 StGB und des § 20 VereinsG faktisch nicht vom strafbewehrten belastenden Verwaltungsakt unterscheidet. Folgerichtig ist anerkannt, dass eine Strafbarkeit nicht in Betracht kommt, wenn das feststellende Vereinsverbot nichtig ist.24 Einzig ist in diesem Zusammenhang auf die Besonderheit hinzuweisen, dass die verwaltungsverfahrensrechtliche Nichtigkeit (vgl. § 44 VwVfG) im Fall des Vereinsverbots eine strafrechtliche Prägung erfährt. Da die Strafsanktionen teils explizit auf einzelne Verbotsgründe abstellen, verlangt die Rechtsprechung, dass die Strafgerichte aus dem verfügenden Teil der Verbotsverfügung eindeutig ersehen können, auf welche Verbotsgründe sich die Behörde stützt.25 3. Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit bei statusbegründenden Verwaltungsakten im Strafrecht – am Beispiel des strafrechtlichen Beamtenbegriffs Erstaunlicherweise wird dieser Weg nicht in derselben Konsequenz bei statusbegründenden Verwaltungsakten beschritten, wie es der Meinungsstand um die Beamteneigenschaft dokumentiert: Wenngleich Einigkeit darüber besteht, den strafrechtlichen Beamtenbegriff aus dem Beamtenrecht herzuleiten,26 herrscht Uneinigkeit darüber, ob die beamtenrechtlich nichtige Ernennung (vgl. § 11 Beamt24 MüKo-NebenstrafR I/Heinrich, § 20 VereinsG Rn. 23; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht, § 20 VereinsG Rn. 12. 25 Hiervon geht auch das BVerwGE 55, 175 (178), aus: „Wegen der bei Vorliegen bestimmter Verbotsgründe verschärften strafrechtlichen Folgen [§ 85 Abs. 1 Nr. 2 StGB; Anm. d. Verf.] der Fortführung einer verbotenen Vereinigung kann die in § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG als notwendige Voraussetzung und Grundlage jedes staatlichen Vorgehens gegen die verbotene Vereinigung vorgesehene Feststellung der zuständigen Verbotsbehörde ihre Funktion nur erfüllen, wenn die an diese Feststellung gebundenen Strafgerichte aus ihr gegebenenfalls eindeutig ersehen können, daß die Vereinigung aus einem strafrechtlich als Qualifizierungsgrund zu bewertenden Verbotsgrund verboten ist“; zustimmend Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht, § 3 VereinsG Rn. 128 f., der daraus nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verbots, sondern dessen Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG ableitet. 26 Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 208 f.) wird der Beamte i. S. d. § 11 Nr. 2a StGB im beamtenrechtlichen Sinne verstanden. Maßgeblich war mit der Einführung des „Amtsträgers“ bezweckt, das bis dahin geltende, weite strafrechtliche Begriffsverständnis vom Beamten im Sinne der Rechtsklarheit zu bereinigen; BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 11 Rn. 14; Hebeler, Verw 2017, 367 (373); Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 317 f. („Identität des staatsrechtlichen und strafrechtlichen Beamtenbegriffes“); ders., in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 49 Rn. 20; LK-StGB/Hilgendorf, § 11 Rn. 26; MüKo-StGB/Radtke, § 11 Rn. 20 („grundsätzlich verwaltungsakzessorisch“); NK-StGB/Saliger, § 11 Rn. 19; NK-WSS/Gaede, § 11 StGB Rn. 10; Sch/Sch/Hecker, § 11 Rn. 16; Walther, Jura 2009, 421 (422: „streng verwaltungsakzessorisch“).
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StG27) gleichwohl einen strafrechtlichen Beamten im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2a) StGB zu schaffen imstande ist.28 Das irritiert, weil die nichtige Ernennung von vornherein kein wirksames Beamtenverhältnis begründet.29 Mit Blick auf die nach außen hin gleichwohl gültigen Amtshandlungen des (vermeintlichen) Beamten und vor dem Hintergrund des Interesses der einzelnen Staatsbürger an einem ordnungsgemäßen Funktionieren der staatlichen Verwaltung und der staatlichen Rechtsprechung30 macht es für die Befürworter einer Strafbarkeit keinen Unterschied, ob die Ernennung rechtswirksam oder nichtig war.31 Dies mögen stichhaltige teleologische Argumente sein, doch kommen sie über den Wortlaut der Norm nicht hinweg, welcher gestützt durch Art. 103 Abs. 2 GG ein anderes Ergebnis gebietet.32 Denn der Gesetzgeber nimmt bewusst Bezug auf den Beamten im beamtenrechtlichen Sinne, was sich begrifflich im Wortlaut niedergeschlagen hat.33 Bezugnehmend auf die obigen Ausführungen kann für den rechtsgestaltenden Verwaltungsakt insoweit nichts anderes als für den belastenden und genehmigenden Verwaltungsakt gelten: Was es verwaltungs- und beamtenrechtlich nicht gibt, kann im Strafrecht keine Bedeutung erlangen. Über dieses Wortlautelement hilft auch die (wohl) als Fiktion anzusehende Rechtsgültigkeit der vom fehlerhaft ernannten Beamten getätigten Amtshandlungen nicht hinweg.34 Zumal für den unzulässigen Kunstgriff keine Notwendigkeit besteht, weil 27 § 11 BeamtStG ist lex specialis zu § 44 VwVfG und regelt erschöpfend die Nichtigkeitsgründe, vgl. hierzu BVerwGE 55, 212 (216); 81, 282 (284). 28 Dafür Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 340 ff.; MüKo-StGB/Radtke, § 11 Rn. 27. Zum alten strafrechtlichen Begriffsverständnis: vgl. RGSt 2, 82; 50, 18; OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 1950, 127; Schröder, Beamtenbegriff, S. 81 f.; zu § 359 StGB a. F. Wagner, Amtsverbrechen, S. 108. 29 BeckOK-BeamtenR/Thomsen, § 11 BeamtStG Rn. 20 und § 15 BBG Rn. 1.1; anders wohl Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 341. 30 So maßgeblich Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 310. 31 Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 341; MüKo-StGB/Radtke, § 11 Rn. 27. Zu § 359 StGB a. F. Wagner, Amtsverbrechen, S. 108, wonach es nicht auf die persönliche Beziehung zum Staat ankomme, sondern nur auf die Mitwirkung an der Staatstätigkeit. Vgl. im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte die ähnliche Argumentation bei RGSt 2, 82 (83), wenn das Gericht ausführt, der „nicht rechtmäßig“ (wobei aus der Entscheidung nicht hervorgeht, ob dieser Fehler die Nichtigkeit begründet) ernannte Beamte müsse ebenso vor Angriffen geschützt werden; ferner zum alten strafrechtlichen Beamtenbegriff RGSt 50, 18 (19): „Mit Recht hat deshalb die Strafkammer der Tatsache, daß der Angeklagte vor der Anstellung [. . .] die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hatte, [. . .] für die Entscheidung der Frage, ob der Angeklagte durch die Anstellung Beamter im Sinne des Strafgesetzbuches geworden ist, Bedeutung nicht beigemessen“; ebenso OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 1950, 127. 32 Zutreffend Hebeler, Verw 2017, 367 (377); Walther, Jura 2009, 421 (422); so im Ergebnis auch Fischer, StGB, § 11 Rn. 14; NK-StGB/Saliger, § 11 Rn. 22; NK-WSS/ Gaede, § 11 StGB Rn. 10; SSW-StGB/Satzger, § 11 Rn. 19. 33 BT-Drs. 7/550, S. 209. 34 Die genauen Nichtigkeitsfolgen ergeben sich dabei aus dem Landesrecht (vgl. hierzu und für das Bundesbeamtenrecht BeckOK-BeamtenR/Thomsen, § 11 BeamtStG Rn. 21).
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§ 11 Abs. 1 Nr. 2c) StGB die Fälle auffängt.35 Die Gegenmeinung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, noch immer auf dem alten strafrechtlichen Beamtenbegriff zu beharren. Dabei erkennt sie zwar dessen verwaltungsaktakzessorische Ausgestaltung an, verkennt aber seine Bedeutung in der praktischen Anwendung. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Der nichtige und somit unwirksame Verwaltungsakt hat auch im Strafrecht keine Bedeutung. Das gilt für Straftatbestände, welche die Strafbarkeit an eine Zuwiderhandlung gegen belastende Verwaltungsakte knüpfen, ebenso wie für Straftatbestände, die ein ungenehmigtes Verhalten unter Strafe stellen. Entgegen einer bedeutenden Gegenmeinung kann für Straftatbestände, die an statusbegründende Verwaltungsakte anknüpfen, nichts anderes gelten. Hieraus können folgende Erkenntnisse gezogen werden: Bezieht das Strafrecht Verwaltungsakte in seine Sphäre mit ein, akzeptiert es – jedenfalls bezogen auf die Nichtigkeit – seine verwaltungsrechtliche Vorprägung. Das ist bemerkenswert, weil die Nichtigkeit kein aliud, sondern die gesteigerte Form der Rechtswidrigkeit ist.36 Sodann sind die Einflüsse des Verwaltungsverfahrensrechts auf das Strafrecht nicht mehr zu leugnen. III. Verwaltungsaktakzessorietät oder strafrechtsautonome Fehlerfolgenlehre Die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit für das Strafrecht kann als Minimalkonsens verstanden werden, dem sich Literatur und Rechtsprechung weitgehend angeschlossen haben. Fraglich ist im Weiteren, ob das Strafrecht seinerseits Nichtigkeitsgründe statuieren kann, infolgedessen der verwaltungsrechtlich wirksame Verwaltungsakt als strafrechtlich nichtig oder immerhin unbeachtlich zu beurteilen ist. 1. Tatbestandsausschließende behördliche Genehmigungen Die strafrechtsautonome Bestimmung der Nichtigkeit von Verwaltungsakten gehörte und gehört mit zu den meistdiskutierten Fragen beim genehmigenden Verwaltungsakt. Sie führte mitunter dazu, dass der Gesetzgeber die wissenschaftliche Diskussion aufnahm und sektoral begrenzte, strafgesetzliche Nichtigkeitsgründe statuierte. Noch immer steht aber in Streit, ob auch außer(straf-)gesetzliche Gründe eine strafrechtliche Nichtigkeit begründen.
35 Vgl. Fischer, StGB, § 11 Rn. 14; NK-StGB/Saliger, § 11 Rn. 22; NK-WSS/Gaede, § 11 StGB Rn. 10. 36 Berg, WiVerw 1982, 169 (171).
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a) Streng verwaltungsaktakzessorisches Verständnis Die überwiegende Meinung übernimmt im Ausgangspunkt das verwaltungsverfahrensrechtliche Konzept und schreibt der behördlichen Genehmigung, sobald sie verwaltungsverfahrensrechtliche Wirksamkeit (§ 43 VwVfG) erlangt, tatbestandsausschließende Wirkung zu, ohne dass es auf ihre materielle Rechtmäßigkeit ankommt.37 Infolgedessen legalisiert auch die materiell rechtswidrige Genehmigung eine genehmigungsbedürftige Handlung. Die hierfür vorgebrachten Argumente lassen sich allesamt hören: Ein pragmatischer Ansatz stützt sich darauf, dass dem Strafrichter eine zuverlässige materiell-rechtliche Kontrolle der Behördenentscheidung kaum möglich ist,38 zumal der Strafrichter und das Strafrecht selbst an die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts gebunden seien.39 Mit Blick auf die behördliche Zugangskontrolle sei der Rechtsgüterschutz den Verwaltungsbehörden überantwortet und somit eine primäre Aufgabe des dem Strafrecht vorgelagerten Verwaltungsrechts. Wenn das Verwaltungsrecht den Schutz suspendiert, sei es nicht Aufgabe des Strafrechts als ultima ratio, diese Rechtslage zu korrigieren, sondern vielmehr die des Verwaltungsrechts.40 Vielfach wird ein Wertungswiderspruch und die Gefährdung der Einheit der Rechtsordnung befürchtet, wenn das Strafrecht bestraft, was verwaltungsrechtlich erlaubt ist.41 Zuletzt gebiete gar der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz einen eindeutigen Auslegungsmaßstab, den nur eine formale Betrachtungsweise garantiere.42 37 Das gilt auch für diejenigen Vertreter, welche der Genehmigung rechtfertigende Wirkung zuschreiben. BGH NJW 2000, 1732 (1733 ff.); BGHSt 50, 105; BayObLG NStZ-RR 2000, 344 (346); OLG München NJW 2007, 1152 (1153); OLG Jena NZWiSt2017, 480; Dölling, JZ 1985, 461 (469); Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf, § 41 Rn. 23; Horn, NJW 1981, 1 (3); Immel, ZRP 1989, 105 (107); LKStGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 286; LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 31; Lorenz, NStZ 2002, 640 (643); trotz dogmatischer Bedenken Mitsch, in: Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 164; MüKo-StGB/Schlehofer, Vor § 32 Rn. 224; wenngleich kritisch MüKo-StGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 82; NK-StGB/Ransiek, Vor § 324 Rn. 48; auch Rengier, ZStW 1989, 874 (896); Rogall, GA 1995, 299 (317 f.); SSW-StGB/Saliger, Vor §§ 324 ff. Rn. 29; Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16a. 38 LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 33. 39 Vgl. auch BFH DStR 2011, 1469 (1472): „Die materielle Bindungswirkung einer Genehmigung als Linienverkehr erstreckt sich nicht nur auf den Unternehmer, dem die Genehmigung erteilt worden ist, sondern auch auf andere Behörden. Dies folgt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte aus dem Grundsatz der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten, wonach, wenn eine Behörde durch Verwaltungsakt zu einer verbindlichen Regelung oder Qualifikation gelangt, dieser Verwaltungsakt Tatbestandswirkung entfaltet, solange er nicht offensichtlich rechtswidrig und daher nichtig ist.“ LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 31; SSW-StGB/Saliger, Vor §§ 324 ff. Rn. 29. 40 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 164. 41 Immel, ZRP 1989, 105 (107); Rudolphi, NStZ 1984, 193 (197). 42 Vgl. BGHSt 50, 105 (115). Ähnlich Nachweise aus der Wissenschaft, die auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz abstellen: Kemme, Verletzung verwaltungsrecht-
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Dass diese Grundsätze keine Absolutheit für sich beanspruchen können, zeigt sich an den gesetzgeberischen Ausnahmen von der formalen Betrachtungsweise. Mit diesen relativiert der Gesetzgeber die verwaltungsverfahrensrechtliche Anlehnung, indem er die Nichtigkeit von Verwaltungsakten strafrechtseigen bestimmt. Während sich diese Ausnahmen auf eine gesetzliche Grundlage berufen können, suchte die Wissenschaft bereits lange zuvor nach strafrechtseigenen Erwägungen, um die verwaltungsverfahrensrechtliche Anlehnung genehmigender Verwaltungsakte im Strafrecht in Abrede zu stellen. b) Eingeschränkte Verwaltungsaktakzessorietät kraft Gesetz Unproblematisch ist die strafrechtsautonome Nichtigkeit dort anzunehmen, wo der Gesetzgeber für das Strafrecht eigens bestimmt, unter welchen Voraussetzungen verwaltungsrechtlich wirksame Verwaltungsakte im Strafrecht unbeachtlich sind. aa) Fälle gesetzlicher Anordnung und Kritik § 95 Abs. 6 AufenthG43, § 18 Abs. 9 AWG44 und § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB45 stellen dem strafbewehrten Handeln ohne Genehmigung gleich, wer auf Grundlage einer durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Genehmigung handelt. Damit fingieren die Vorschriften für das Strafrecht ein Handeln ohne Genehmigung.46 § 16 Abs. 4 CWÜAG47 umschreibt zwar dieselben Fälle der unlauteren Genehmigungserlangung, formuliert aber hinsichtlich der Rechtsfolge allgemeiner, indem er bestraft, wer aufgrund einer auf diese Weise erlangten Genehmigung handelt.48 Ungeachtet dieser feinen Unterschiede statuiert der Gesetzgeber licher Pflichten, S. 330 f.; Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16b, wonach der Rechtsunsicherheit andernfalls Tür und Tor geöffnet sei. 43 Eingefügt durch das „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970); ausweislich der Gesetzesbegründung orientiert sich § 95 Abs. 6 AufenthG an § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB (BT-Drs. 16/5065, S. 199). 44 Ehemals § 34 Abs. 8 AWG a. F., der insoweit als Pioniervorschrift zu gelten hat, weil sie zum ersten Mal die aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben erschlichene Genehmigung dem Handeln ohne Genehmigung gleichstellt (vgl. Gesetz vom 28. Februar 1992 [BGBl. I, S. 372 ff.] und hierzu Wimmer, JZ 1993, 67). 45 Eingefügt durch das 31. Strafrechtsänderungsgesetz vom 27.06.1994, BGBl. I, S. 1440. 46 Weber, Hirsch-FS, S. 795 (797); Wohlers, JZ 2001, 850 (853). 47 „Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 13. Januar 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen“ vom 2. August 1993 (BGBl. I, S. 1954). 48 Zu diesen Differenzen Weber, Hirsch-FS, S. 795 (796 f.). Hiervon unterscheidet sich ein dritter gesetzgeberischer Weg (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG), der bereits im
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damit nichts anderes als eine strafrechtsautonome Nichtigkeitsbewertung und durchbricht beziehungsweise modifiziert auf diese Weise das verwaltungsrechtliche System der §§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG für das Strafrecht.49 Dies erhellt vor dem Hintergrund des verwaltungsrechtlichen Regelungsgefüges, das für solche Verwaltungsakte nur deren Rücknehmbarkeit anordnet (vgl. § 48 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 3 Nr. 1, Nr. 2 VwVfG). Besonders an der Vorschrift des § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB entzündete sich heftige Kritik.50 Sie wirft dem Gesetzgeber vor, die rechtsstaatlich gewährleistete Rechtssicherheit zu verkennen, die nur durch aufeinander abgestimmte Eingriffsinstrumente von Verwaltungsrecht und Strafrecht garantiert sei.51 Weiterhin verliere das Verwaltungsrecht seine notwendige Leit- und Konkretisierungsfunktion als Ergebnis umfangreicher Beteiligungs- und Anhörungsprozesse, sodass schließlich die Einheit der Rechtsordnung zerbreche.52 Diese Kritik erscheint gleichermaßen übertrieben wie unberechtigt. Mit der Vorschrift wurde eine auf das Strafrecht beschränkte Sondervorschrift geschaffen, die das verwaltungsrechtliche Regelungssystem für solche Genehmigungen modifiziert, die durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erlangt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurden. Damit befriedigte der Gesetzgeber ein vielfach in der Wissenschaft vorgebrachtes Verlangen, das ein solches Handeln für strafwürdig befand.53 Mithin stellte er diejenigen (rechtspolitisch erwünschten) Ergebnisse auf eine rechtliche Grundlage, die zuvor mit verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen Konstrukten begründet wurden.54 Zweifel ergeben sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber eine verwaltungsrechtliche Wertung für das Strafrecht modifiziert, weil er damit nur den Eigengesetzlichkeiten und Regelungszielen des Strafrechts einerseits und denjenigen des Verwaltungsrechts andererseits Rechnung trägt.55 Vorfeld allein den unredlichen Erwerb einer Genehmigung unter Strafe stellt (hierzu etwa Wohlers, JZ 2001, 850 [853]). 49 Breuer, JZ 1994, 1077 (1090 f.); MüKo-StGB/Schmitz, § 330d Rn. 28; Sch/Sch/ Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 27; feinsinnig zu den Unterschieden der einzelnen Gesetzesfassungen Weber, Hirsch-FS, S. 795 (796 f.); Wimmer, JZ 1983, 67 (72). 50 Breuer, JZ 1994, 1077 (1090 f.), der einen „Rückfall in den juristischen Grabenkrieg der frühen und mittleren 80er Jahre“ zwischen Umweltrecht einerseits und Strafrecht andererseits befürchtet; Heghmanns, Dogmatik, S. 213 ff. („unhaltbare Alleingänge des Strafrechts“); kritisch auch LK-StGB/Steindorf, § 330d Rn. 6. 51 Breuer, JZ 1994, 1077 (1090). 52 Breuer, JZ 1994, 1077 (1090 f.); die Kritik an dem nur schwer bestimmbaren Merkmal der Kollusion interessiert für die hiesige Betrachtung nicht. 53 Eine Strafwürdigkeit setzten ihren Ausführungen etwa voraus: Dölling, JZ 1985, 461 (469); Horn, NJW 1981, 1 (3); Rengier, ZStW 1989, 874 (896 f.); Rudolphi, NStZ 1984, 193 (197); Schünemann, 1986, 235 (240); ders., Triffterer-FS, S. 437 (445). 54 Vgl. BT-Drs. 12/7300, S. 25; wie hier auch Weber, Hirsch-FS, S. 795 (799). Zum Rechtsmissbrauchsgedanken unten § 6 A. III. 1. c) bb). 55 Vgl. BVerfGE 75, 329 (346); zutreffend LK-StGB/Steindorf, § 330d Rn. 6: „Eine solche Eigenständigkeit des Strafrechts ist der Rechtsordnung nicht fremd und muß hin-
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Folgerichtig wird der Verwaltungsakt nur im Strafrecht als nichtig fingiert, während er im Übrigen (verwaltungsrechtlich) wirksam bleibt.56 Eine Rechtskonkurrenz und damit ein Widerspruch in der Rechtsordnung ist nicht von der Hand zu weisen,57 weil strafrechtlich sanktioniert wird, was durch die Genehmigung verwaltungsrechtlich erlaubt wird. Sie ist aber gesetzlich bewusst provoziert und rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zwecke von Verwaltungsrecht und Strafrecht, weshalb verfassungsrechtliche Bedenken nicht durchgreifen.58 Während das Verwaltungsverfahrensgesetz nach weitgehender Beständigkeit im Sinne der Rechtssicherheit trachtet, modifiziert das Strafgesetz diese Wertung im Sinne eines überwiegenden Rechtsgüterschutzes.59 Der Gesetzgeber trägt dem dadurch Rechnung, dass er unlauteres Einwirken auf die behördliche Zugangskontrolle mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft, zumal die §§ 43 ff. VwVfG zwar dem verfassungsrechtlichen Belang der Rechtssicherheit dienen, ihrerseits aber nicht verfassungsrechtlich geboten und damit unveränderbar sind.60 Der Wert der Rechtssicherheit erscheint in diesem Zusammenhang ohnehin eingeschränkt, weil das Verwaltungsverfahrensrecht dem so erlangten Verwaltungsakt eine wenig rechtssichere Position zuerkennt, indem es
genommen werden“; auch Paetzold, NStZ 1996, 170 (172), weist zu Recht darauf hin, dass die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit in diesen Fällen „allein auf Erwägungen der verwaltungsrechtlichen Verfahrensklarheit“ beruht; Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 26 f.; Weber, Hirsch-FS, S. 795 (798; „hinzunehmenden gegenwärtigen Gesetzeslage“); wenig überzeugend Heghmanns, Dogmatik, S. 214, der die Vorschrift als nichtig ansieht, weil das Strafrecht nicht durch einen anderslautenden Normbefehl die (verwaltungsrechtliche) „Bewertung der Primärordnung“ konterkarieren dürfe. Hiergegen spricht schon die normhierarchische Ebenbürtigkeit von Verwaltungsrecht und Strafrecht, sodass jedenfalls strafrechtsbezogen § 330d Abs. 1 Nr. 5 als lex posterior § 43 Abs. 2 VwVfG modifiziert (so auch Wimmer, JZ 1993, 67 [72], zu § 34 Abs. 8 AWG a. F.) 56 So auch Paetzold, NStZ 1996, 170 (171); Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 28. Demgegenüber scheinen andere eine gewissermaßen strafrechtliche Mitreißtheorie zu statuieren, indem sie der strafrechtlichen Nichtigkeit die verwaltungsrechtliche Nichtigkeit der Genehmigung folgen lassen (so etwa Sch/Sch/Lenckner, 27. Aufl. 2006, Vor §§ 32 ff. Rn. 63: „[. . .] denn wenn dort vom Gesetz ein Handeln ohne Genehmigung fingiert wird, so ist dies ein Schritt, den das Verwaltungsrecht um der Einheit der Rechtsordnung willen nachvollziehen muss, dies mit dem Ergebnis, dass der Betroffene auch verwaltungsrechtlich so behandelt wird“; zustimmend MüKo-StGB/Schlehofer, Vor § 32 Rn. 224). 57 Allgemein zum Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung oben § 5 D. I. 58 Siehe zur Verfassungsmäßigkeit BGHSt 57, 239 (246), zu § 95 Abs. 6 AufenthG und unter Bezugnahme der verwandten Regelungen; auch Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 356 ff.; Wohlers, JZ 2001, 850 (854 f.). 59 Vgl. Wimmer, JZ 1993, 67 (72); auch Wohlers, JZ 2001, 850 (852); der Aspekt verdeutlicht erneut, wie wenig Bedeutung der sogenannten „Einheit der Rechtsordnung“ zuzuschreiben ist. 60 Wimmer, JZ 1993, 67 (72), der darüber hinaus zu Recht auf die fehlende Schutzwürdigkeit des Täters abstellt, der die Genehmigung auf solche Art erschlichen hat.
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dessen Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit zulässt (§ 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG).61 bb) Rechtliche Folgen Die daraus resultierenden Folgen für die Strafbarkeit bemessen sich nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung. § 95 Abs. 6 AufenthG, § 18 Abs. 9 AWG und § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB stellen ein Handeln auf Grund einer durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Genehmigung in ihrer Rechtsfolge dem Handeln ohne Genehmigung gleich. Wenn der Täter demnach so behandelt wird, als ob er ohne Genehmigung handelte, kann es für die Strafbarkeit nicht darauf ankommen, ob die (erschlichene) Genehmigung darüber hinaus rechtswidrig oder das Handeln genehmigungsfähig ist.62 Eine dahingehende ratio legis, wonach lediglich auf die materielle Verwaltungsrechtswidrigkeit, nicht aber auf die unredliche Erlangung abzustellen sei, kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden und findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze.63 Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, das Strafrecht durch eine strafrechtsautonome Nichtigkeit bewusst vom Verwaltungsrecht abzukoppeln, spricht vielmehr dafür, der materiell-verwaltungsrechtlichen Wertung keine Aufmerksamkeit zu schenken.64 Der Rechtsgüterschutz rechtfertigt sich wiederum vor dem Hintergrund, dass die be61 Vgl. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 356; Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (609); Wohlers, JZ 2001, 850 (855). 62 Anders aber die herrschende Meinung: Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 314 f.; Möhrenschlager, NStZ 1994, 513 (515 mit Fn. 19); MüKo-StGB/ Schmitz, § 330d Rn. 32; NK-StGB/Ransiek, § 330d Rn. 4; Ries, Durchbrechung, S. 103; Rogall, GA 1995, 299 (318); SK-StGB/Schall, § 330d Rn. 48; so auch im Rahmen der Rechtsmissbrauchslösung Rudolphi, NStZ 1984, 193 (197); Sch/Sch/ Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 30; Wimmer, JZ 1993, 67 (72). Zutreffend hingegen: LK-StGB/Steindorf, § 330d Rn. 6; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 166; wohl auch OLG Jena NZWiSt 2017, 480 (484 f.), indem es ein kollusives Zusammenwirken prüft, obwohl es von der Rechtmäßigkeit der Genehmigung auszugehen scheint. 63 Zutreffend LK-StGB/Steindorf, § 330d Rn. 6; anders Rogall, GA 1995, 299 (318). Die Gesetzesmaterialien bezüglich der umweltstrafrechtlichen Regelung des § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB sprechen sogar eher für die hier vertretene Ansicht. Die SPD-Fraktion brachte mit einem eigenen Gesetzentwurf (BT-Drs. 12/376, S. 6) einen § 330d Abs. 2 Nr. 2 StGB-E ins Gespräch, der dies explizit regelte, schließlich aber verworfen wurde. Demnach handelte unbefugt, wer „eine rechtswidrige Zulassung, deren Erlaß oder Aufrechterhaltung durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erschlichen oder sonst erwirkt worden ist [. . .]“. 64 So auch LK-StGB/Steindorf, § 330d Rn. 6; anders aber Schall, Otto-FS, S. 743 (750), der einen Widerspruch zu verwaltungsrechtlichen Wertungen vielmehr darin sieht, würde das Strafrecht das Vertrauen in den Fortbestand eines begünstigenden Verwaltungsakts weitergehend beschränken als das Verwaltungsrecht, welches das Vertrauen insoweit nur bei rechtswidrigen Verwaltungsakten erschüttert, vgl. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, Nr. 2 VwVfG; SK-StGB/ders., § 330d Rn. 48 m.w. N.
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hördliche Zugangskontrolle zwar formal stattfindet, inhaltlich aber in abstrakt gefährdender Weise verfälscht beziehungsweise sabotiert wird.65 Schließlich vermeidet eine solche Betrachtungsweise Wertungswidersprüche: Wenn die herrschende Meinung beim (faktisch) genehmigungslosen Handeln die bloße Genehmigungsfähigkeit – auch unabhängig von einem etwa bestehenden Genehmigungsanspruch – ignoriert,66 sollte gleiches gelten, wenn für das Strafrecht ein genehmigungslosen Handeln fingiert wird (vgl. § 95 Abs. 6 AufenthG, § 18 Abs. 9 AWG und § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB). Für die vom Gesetzgeber anders formulierte Vorschrift in § 16 Abs. 4 CWÜAG, derer die anderen Vorschriften Vorbild standen,67 kann insoweit nichts anderes gelten. c) Eingeschränktes verwaltungsaktakzessorisches Verständnis Bevor der Gesetzgeber dem Druck aus Wissenschaft und Praxis sektoral begrenzt nachgab, indem er den fraudulös erlangten Genehmigungen ihre strafrechtliche Wirksamkeit aberkannte, versuchten Teile der Wissenschaft, dieses Ergebnis über teleologische Erwägungen oder bestehende verwaltungsverfahrensrechtliche Instrumente zu konstruieren. Diese Diskussion ist für diejenigen Gesetze hinfällig, die eine entsprechende Regelung vorsehen (§§ 95 Abs. 6 AufenthG, 18 Abs. 9 AWG, 16 Abs. 4 CWÜAG, 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB). Bis heute steht aber zur Debatte, inwieweit die Ansätze in anderen Gesetzen tragen, die keine entsprechenden Regelungen vorsehen. Der Gesetzgeber befeuerte die Diskussion dadurch, dass er § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB eine nur klarstellende Funktion attestierte.68 Über die nur vereinzelte Durchbrechung des Verwaltungsverfahrensrechts gehen wiederum andere hinaus, indem sie die strafrechtliche Bedeutsamkeit von Verwaltungsentscheidungen weitestgehend strafrechtsautonom bestimmen und sich an die Vorgaben des Verwaltungsverfahrensrechts nicht gebunden fühlen.
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Vgl. zu diesem Gedanken Heghmanns, Dogmatik, S. 211 f. So die zutreffende herrschende Ansicht: vgl. BGHSt 37, 21 (28 f.); 57, 79 (82); vgl. auch OLG Jena NStZ-RR 1997, 315 (316); BeckOK-StGB/Witteck, § 324 Rn. 32; Eisele, BT I, Rn. 1279; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 341 ff.; LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 43; Rengier, ZStW 1989, 874 (902); SK-StGB/ Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 87 ff.; für den Fall des Genehmigungsanspruchs abweichend MüKo-StGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 95; auch NK-StGB/Ransiek, § 324 Rn. 27 f.; teilweise anders, auch für den Fall bloßer Genehmigungsfähigkeit Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 104 f.). 67 Vgl. BT-Drs. 12/7207, S. 18. 68 So meint etwa der Gesetzgeber, die gesetzliche Regelung des § 330d Nr. 5 (a. F.) erfolge nur in „klarstellender Weise“ (BT-Drs. 12/7300, S. 25). 66
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aa) Mittels verwaltungsverfahrensrechtlicher Instrumente Den insoweit schonendsten Weg geht Rengier, der die strafrechtliche Nichtigkeit über das Verwaltungsverfahrensrecht selbst zu begründen versucht.69 Er plädiert dafür, die vom Wortlaut des § 44 Abs. 1 VwVfG („besonders schwerwiegender Fehler“) und Abs. 2 Nr. 6 VwVfG („gegen die guten Sitten verstößt“) eröffneten Spielräume für das Strafrecht fruchtbar zu machen. Demzufolge erklärt er solche Verwaltungsakte für nichtig, die auf strafbare Weise erlangt wurden oder mit denen strafwürdige Verhaltensweisen einhergehen (vgl. auch § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG).70 Rekurrierend auf ihr zivilrechtliches Verständnis sei von Sittenwidrigkeit auszugehen, in denen der Täter die Genehmigung durch Drohung oder Bestechung erlangt, da die Rechtswidrigkeit allen Beteiligten bekannt ist und der Verwaltungsakt typischerweise durch eine Straftat erlangt wird.71 bb) Mittels des Rechtsmissbrauchsgedankens Bis heute gilt der sogenannten Rechtsmissbrauchslösung besondere Aufmerksamkeit, die in Wissenschaft und Praxis auf viel Anklang gestoßen ist.72 Hiernach soll es dem durch die Genehmigung Begünstigten unter verschiedensten Voraussetzungen verwehrt sein, sich auf die verwaltungsverfahrensrechtlich wirksame Genehmigung zu berufen. Teils wird auf die Fälle von Drohung, Täuschung und Bestechung73 verwiesen, während andere weitergehend die Fälle kollusiven Zusammenwirkens74 und des Handelns in Kenntnis der materiellen Rechtswidrigkeit75 vom Rechtsmissbrauch erfasst sehen wollen. Die Verfechter des Rechtsmissbrauchsgedanken ziehen dabei eine Parallele zum Notwehrrecht, welches 69 Maßgebend insoweit Rengier, ZStW 1989, 874 (896), wobei oft verkannt wird, dass Rengier als Verfechter der strengen Verwaltungsaktakzessorietät den Weg über das Verwaltungsverfahrensrecht geht, sodass mancherlei Einordnung, er begründe eigenständig-strafrechtliche Nichtigkeitsgründe, falsch ist; so beispielsweise LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 31 mit Fn. 302. 70 Rengier, ZStW 1989, 874 (897). 71 Rengier, ZStW 1989, 874 (897 f.). 72 Vgl. BGHSt 39, 381 (387); LG Hanau, NJW 1988, 571 (576); StA bei dem LG Mannheim, NJW 1976, 585 (586); Bloy, ZStW 1988, 485 (504); Dölling, JZ 1985, 461 (465); Horn, JZ 1994, 636, der die Entscheidung des BGH „rundum“ begrüßt, wenngleich sich ders., NJW 1981, 1 (3), noch skeptisch und in NJW 1988, 2335 (2336 ff.), schließlich offen ablehnend gegenüber der Rechtsmissbrauchslösung zeigte; Immel, ZRP 1989, 105 (107); Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27 (36 ff.); Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 165; Ostendorf, JZ 1981, 165 (175); Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (600 ff.); Rudolphi, NStZ 1984, 193 (197). 73 So beispielsweise Bloy, ZStW 1988, 485 (504), während er die Fälle von Kollusion für „zumindest diskussionswürdig erachtet“; Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27 (37), beschränkt den Anwendungsbereich auf die Fälle der Täuschung und Drohung. 74 Dölling, JZ 1985, 461 (469). 75 LG Hanau NJW 1988, 571 (576).
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dem Täter versagt ist, wenn er die Notwehrlage selbst provoziert hat76 oder erhöhen ihn zu einem allgemeingültigen naturrechtlichen Prinzip.77 Daran lehnen sich Vorschläge an, wonach die Genehmigung als behördliche „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ ihre vertrauensbildende Funktion verliert, wenn der Bürger weiß, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.78 cc) Verwaltungsrechtakzessorisches Verständnis – Strafrechtsautonome Wirksamkeitsbestimmung mittels Durchgriff auf das materielle Verwaltungsrecht Als weitaus radikaler erweisen sich Vorschläge, welche die Wirksamkeit von Verwaltungsakten im Strafrecht nicht anhand des Verwaltungsverfahrensrechts, sondern strafrechtsautonom zu bestimmen versuchen. Insbesondere Schünemann tritt dafür ein, die materielle Strafrechtswidrigkeit bezogen auf das Umweltstrafrecht nicht oder jedenfalls nicht „total“ auf eine formale Konstruktion des Verwaltungsverfahrensrechts zurückzuführen.79 Hierfür macht er sich § 48 Abs. 1, Abs. 2 S. 3, S. 4 VwVfG zunutze, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt regelmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit aufhebbar ist, wenn er durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde, der Täter die Rechtswidrigkeit kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. In der Folge plädiert er dafür, den fraudulös erlangten Genehmigungen die tatbestandsausschließende (beziehungsweise rechtfertigende) Wirkung zu versagen,80 sofern sie darüber hinaus auch die rechtsgutsschützenden Normen des materiellen Verwaltungsrechts verletzen.81 Auf diese Weise ließen sich die Interessen eines effektiven Umweltschutzes ei-
76 So Horn, NJW 1981, 1 (3); Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 71 f., erwägt die Rechtsfigur der actio illicita in causa, erachtet diese aber im Ergebnis zutreffend für untauglich. 77 So Otto, Jura 1991, 308 (313), unter Verweis auf Paeffgen, ZStW 1985, 513 (523 f.): „Die Unmaßgeblichkeit von erschlichenen Rechtspositionen gilt als nachgerade naturrechtliches Gemeingut der Rechtsordnungen.“ 78 So die Argumentation des LG Hanau, NJW 1988, 571 (576), unter Verweis auf Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 71; ähnlich Paeffgen, Stree/Wessels-FS, S. 587 (609), der auf die auch öffentlich-rechtlich stark eingeschränkte „Vertrauens-Erwartung in das Bestehenbleiben des VAs“ abstellt. 79 Schünemann, wistra 1986, 235 (239); drastisch ders., Triffterer-FS, S. 437 (445): „[. . .] in Deutschland völlig übertriebene Doktrin von der Verwaltungsaktakzessorietät des Strafrechts [. . .].“ 80 Schünemann, wistra 1986, 235 (240); weitergehend ders., Triffterer-FS, S. 437 (445). 81 Schünemann, wistra 1986, 235 (240): „Dennoch wäre es kriminalpolitisch unangebracht und deshalb unsinnig, wenn das Strafrecht eine nach seinen Wertungen gänzlich irrelevante Fehlerhaftigkeit zum Anknüpfungspunkt für eine schutzzweckgelöste Bestrafung nehmen wollte.“
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nerseits und das Interesse nach Verfahrensklarheit und Vertrauensschutz andererseits vereinbaren.82 Zur Makulatur verkommt die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit im Strafrecht bei denjenigen, welche nur der materiell rechtmäßigen Genehmigung tatbestandsausschließende Wirkung zuerkennen.83 Rechtstheoretisch stellen sie bereits in Frage, wie etwas Rechte verleihen kann, was selbst dem (materiellen) Gesetz zuwiderläuft.84 Unter umgekehrten Vorzeichen berufen sie sich auf den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, mit dem es nur schwer zu vereinbaren sei, wenn eine verwaltungsrechtswidrige Genehmigung die strafrechtlichen Folgen suspendiert.85 Infolgedessen plädieren sie für eine strafrechtliche Konzeption, die sich an den materiellrechtlichen Regeln zum Schutz der Rechtgüter orientiert,86 wodurch eine straf- und verwaltungsrechtliche Wertungskonsistenz entstünde, welche die Einheit der Rechtsordnung viel eher wahre.87 Deshalb werben sie für eine Abkehr von der Verwaltungsaktakzessorietät des Strafrechts hin zur Verwaltungsrechtakzessorietät88 und in der Folge für ein weniger formell-rechtliches als vielmehr materiell-rechtliches Verständnis der Strafvorschriften.89 Für die strafrechtliche Beurteilung kommt es demnach nicht entscheidend auf die Wirksamkeit der Genehmigung, sondern auf deren materiell-rechtliche Richtigkeit an, weshalb teils von einem Durchgriff des Strafrechts auf das materielle Verwaltungsrecht die Rede ist.90 Akzeptiere das Strafrecht allein den formalen Akt, würden die Grenzen des Strafrechts nicht mehr vom Gesetzgeber, sondern von 82
Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (446 f.). Dabei macht es kein Unterschied, ob die Genehmigung als Tatbestandsausschluss oder als Rechtfertigungsgrund wirkt. Zu diesem Ansatz Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 58 ff., 72 ff.; differenzierend Schall, NJW 1990, 1263 (1267 ff.); Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 58 f., 67; Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (444 ff.); Schwarz, GA 1993, 318 (321 ff.); ausschließlich für die rechtfertigende Genehmigung Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 72 f.; ders., NStZ 1988, 202 (205). 84 Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 58: „Denn die Behörde kann – das sollte eigentlich klar sein – zweierlei nicht: Sie kann als dem Gesetz unterworfenes Organ nicht das gesetzlich unerwünschte Verhalten in ein erwünschtes umdefinieren, und: sie kann auch nicht das erlauben, was das Gesetz zu erlauben ihr verbietet.“ 85 So Winkelbauer, NStZ 1988, 202 (205). 86 Vgl. Schall, NJW 1990, 1263 (1267); Schünemann, GA 1995, 142 (150); ders., Triffterer-FS, S. 437 (444 ff.); Schwarz, GA 1993, 318 (321). 87 Schwarz, GA 1993, 318 (325). 88 Vgl. Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (448), der durch sein Modell ebenfalls die Verwaltungsakt- durch die Verwaltungsrechtakzessorietät ersetzt sieht; Schwarz, GA 1993, 318 (320). 89 Wie es Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (445), selbst bemerkt, wenn er die Verwaltungsaktakzessorietät (in seinem Sinne) als irrig bezeichnet, „weil sie die Frage der materiellen Rechtswidrigkeit zu Unrecht an eine formale Konstruktion des Verwaltungsrechts knüpft und dadurch gerade die materielle Wertung des Verwaltungsrechts [. . .] ignoriert [. . .]“. 90 Vgl. bereits Horn, NJW 1988, 2335 (2338). 83
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der Exekutive gezogen und der judikativen Kontrolle entzogen.91 Um zu vermeiden, dass der Verwaltungsakt seine vertrauensbildende Funktion gänzlich verliert und letztlich sogar derjenige der Strafe unterfällt, der gutgläubig auf einen rechtswidrigen Verwaltungsakt vertraut, verweisen die Vertreter auf die Grundsätze der Lehre vom personalen Unrecht. Demnach bilde nicht die materielle Rechtslage den Maßstab für die Verhaltensorientierung des Täters, sondern die Behördenentscheidung.92 Wiederum andere verweisen auf Irrtumsregeln.93 dd) Stellungnahme (1) Strafrechtsautonome Nichtigkeitsbestimmung vs. strenge Verwaltungsaktakzessorietät Ob die strafrechtliche Nichtigkeit des Verwaltungsakts, abgesehen von den verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeitsgründen in § 44 VwVfG, aus strafrechtsautonomer Argumentation heraus ihre Berechtigung hat, bedingt einer Entscheidung darüber, ob der Verwaltungsakt seine Wirksamkeit im Strafrecht aus der verwaltungsverfahrensrechtlichen Wirksamkeit oder aber der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit schöpft. Hierbei bedarf es der Entscheidung zwischen zwei grundlegend verschiedenen Modellen. Der Wortlaut entsprechender Strafnormen gibt wenig her und lässt vielmehr beide Optionen zu.94 Während das Merkmal „unbefugt“, „unerlaubt“ oder auch „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ keinerlei Aufschlüsse gibt, könnte das tatbestandliche Merkmal „ohne die erforderliche Genehmigung“ 95 gegenüber der bloßen Bezeichnung „ohne Genehmigung“ 96 eher für eine materiell-rechtlich einwandfreie – weil: den
91 Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (444); hiergegen aber bereits ausdrücklich BVerfGE 75, 329 (346). 92 Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 63 ff., der abstellend auf die tatbestandsfundierende Verhaltensnorm als Voraussetzung für tatbestandsmäßiges Verhalten, das Handeln des auf die Rechtmäßigkeit vertrauenden Erlaubnisadressaten als rollengerecht und richtig ansieht. Dogmatisch schließt er sich dabei der Lehre vom personalen Unrecht an (vgl. S. 65); zustimmend Schwarz, GA 1993, 318 (326): „[. . .] solange ihm Umstände, aus denen sich die Unrichtigkeit der Erlaubnis ergibt, nicht bekannt sind oder bekannt sein müssen, auf die Einschätzung der Behörde verlassen darf. Sein Verhalten kann im Hinblick auf die einschlägigen Umweltschutz-Tatbestände nicht als leitbildhaft falsches, d.h. als tatbestandlich missbilligtes ausgewiesen werden.“ 93 So etwa Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 36; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 73. 94 Anders aber Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27 (33), der allein schon das Erfordernis einer inhaltlich rechtmäßigen Genehmigung mit dem Wortlaut für unvereinbar hält; hiergegen zu Recht Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 62 ff., unter Anlehnung an LG Hanau NJW 1988, 571 (572). 95 Zum Beispiel bei § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. 96 Zum Beispiel bei § 18 Abs. 2 Nr. 3 AWG.
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rechtlichen „Erfordernissen“ entsprechende – Genehmigung sprechen.97 Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht, weil das Merkmal „erforderlich“ ebenso auf die gesetzliche Pflicht zur Einholung überhaupt einer Genehmigung oder einer zumindest zweckentsprechenden Genehmigung verweisen könnte.98 In systematischer Hinsicht ließen sich die §§ 95 Abs. 6 AufenthG, 18 Abs. 9 AWG, 16 Abs. 4 CWÜAG und 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB gegen eine strafrechtsautonome Nichtigkeitsbestimmung in Stellung bringen, wenn man dem Gesetzgeber unterstellt, dass er für den Ausschluss des tatbestandlichen Unrechts (unter Ausnahme der gesetzlich festgelegten Fälle) allein die Wirksamkeit nach Verwaltungsverfahrensrecht genügen lassen will.99 Zwar ist richtig, dass auf diese Weise das verwaltungsverfahrensrechtliche System der §§ 43, 44 VwVfG durchbrochen wird. Wer hieraus die Bedeutung des verwaltungsverfahrensrechtlich wirksamen Verwaltungsakts im Strafrecht begründen will, läuft jedoch Gefahr einer zirkelschlüssigen Argumentation, weil er sie voraussetzt, obwohl er sie zu begründen versucht. Folglich geben auch sie zur Lösung nichts her,100 zumal man ihren Stellenwert als Sondervorschriften überhöhte, wollte man aus ihnen allgemeinverbindliche Schlüsse für Strafvorschriften anderer Gesetze ziehen.101 Systematisch lassen sich in die Betrachtung auch solche Normen einbeziehen, die selbst kein Handeln ohne Genehmigung unter Strafe stellen, sondern bereits Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Erwerb der Genehmigung pönalisieren: § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG stellt unter Strafe, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel zu beschaffen. Wenn daneben auch das Einreisen ohne Aufenthaltstitel unter Strafe steht (vgl. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), erschließt sich nicht, worin die zusätzliche (mit Strafe bewehrte) Gefährdung eines auf unrecht97 Die im Zusammenhang mit dieser Frage häufig zitierte Entscheidung BGHSt 50, 105 (110 ff.), die sich bzgl. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu einem streng verwaltungsverfahrensrechtlichen Verständnis bekennt, diskutiert dies auch ausgehend vom Wortlaut „erforderlich“. Nebenbei sei hier bemerkt, dass es tatsächlich weniger um die materiell rechtmäßige, als vielmehr um die zweckentsprechende und damit „richtige“ oder „falsche“ Aufenthaltserlaubnis geht; zu Recht kritisch Heinrich, ZAR 2005, 309 (316). 98 Lorenz, NStZ 2002, 640 (643); anschaulich Heinrich, ZAR 2005, 309 (315), wonach eine Genehmigung zur Ausfuhr von Kriegswaffen nach dem KrWaffKontrG selbstverständlich nicht die Strafbarkeit nach dem AWG ausschließt; ebenso wenig kann eine Genehmigung zum Betrieb eines Heizkraftwerks eine Strafbarkeit wegen ungenehmigten Betriebs einer kerntechnischen Anlage (vgl. § 327 StGB) ausschließen. 99 Vgl. BGHSt 50, 105 (115); Rogall, GA 1995, 299 (317 f.); ebenso Heghmanns, Dogmatik, S. 212 f.; für SSW-StGB/Saliger, Vor §§ 324 ff. Rn. 29, ist der Streit seit Einführung des § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB mit Blick auf das Umweltstrafrecht nur noch von rechtshistorischem Interesse. Für die Rechtsgebiete, die insoweit eine Klärung gefunden haben, mag dies zutreffen; allgemeine Schlüsse lassen sie jedoch keine zu. 100 Zutreffend Fortun, Genehmigung, S. 133; ausdrücklich offenlassend Weber, Hirsch-FS, S. 795 (798 f. mit Fn. 16). 101 So auch Weber, Hirsch-FS, S. 795 (800).
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mäßige Weise erlangten Aufenthaltstitels bestünde, weil aufgrund der strafrechtsautonomen Nichtigkeitsbestimmung dieser Aufenthaltstitel ohnehin zu einer genehmigungslosen Einreise führte. Die strafrechtsautonome Nichtigkeitsbestimmung führte dazu, dass § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG im Ergebnis überflüssig wäre.102 Zwingend ist aber auch dieser Schluss nicht: Zum einen kommt der Norm eigenständige Bedeutung zu, weil sie die Strafbarkeit gegenüber der erst noch erfolgenden (ungenehmigten) Einreise ins Vorfeld verlagert.103 Im Weiteren ist das Überflüssigkeitsargument mit der Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG ohnehin überholt. Damit hat der Gesetzgeber unter anderem das Handeln auf Grund eines durch Täuschung erschlichenen Aufenthaltstitels einem Handeln ohne Aufenthaltstitel gleichgestellt. An der Strafbestimmung des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG hielt er gleichwohl fest und offenbarte damit, dass er gegen das (nur vermeintlich) überflüssige Strafgesetz nichts einzuwenden hat. An mehreren Stellen ist mit hinreichender Deutlichkeit vor Augen geführt worden, dass die behördliche Zugangskontrolle für sich genommen dem jeweils geschützten Rechtsgut dient.104 Begnügt sich das Strafrecht für den Tatbestandsausschluss jedoch allein mit dem formal wirksamen Akt, vernachlässigt es die spezifisch materiell-rechtlichen Vorkehrungen aus den Fachgesetzen, die eine Rechtsgutsbeeinträchtigungen auf legislativer Grundlage zulassen.105 Diesen Vorwurf muss sich nicht gefallen lassen, wer nur materiell rechtmäßigen Genehmigungen die tatbestandsausschließende Wirkung zugesteht. Die teleologischen Erwägungen geben daher einer strafrechtsautonomen Nichtigkeitsbestimmung den Vorzug. Dieser Vorzug vermag man ihr nur zu gewähren, wenn sie einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhält. Inwieweit ein Widerspruch in der Rechtsordnung einen Verfassungsverstoß überhaupt zu begründen vermag,106 kann dahinstehen, da ein solcher Widerspruch zwar ausgemacht, nicht aber entschieden werden kann. Eine strenge verwaltungsaktakzessorische Betrachtung muss sich zwar eingestehen, dass bei einer rechtswidrigen Genehmigung ein Widerspruch besteht, als materielle Verwaltungsrechtswidrigkeit und Strafrechtswidrigkeit auseinanderklaffen. Doch kann sie sich gleichermaßen auf das Verwaltungsverfahrensrecht berufen, die der Rechtssicherheit gegenüber der materiellen Verwal102 BGHSt 50, 105 (115); vgl. auch Rengier, ZStW 1989, 874 (887 f.), am Beispiel des § 38 GWB a. F., den er in diesem Zusammenhang gegen die Rechtsmissbrauchslösung in Stellung bringt. 103 So auch Heinrich, ZAR 2005, 309 (317); Wohlers, JZ 850 (853). 104 Zu den materiellen und formalen Kontrollfunktionen der behördlichen Zugangskontrolle, s. oben § 5 C. I. 2. 105 Vgl. Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 326; Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (443 f.); Schwarz, GA 1993, 318 (321). 106 Vgl. hierzu Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 30 f., wonach das Bundesverfassungsgericht das „Postulat der Systemgerechtigkeit“ aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) herleite; hierzu bereits oben § 5 D. I.
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tungsrechtswidrigkeit den Vorzug gibt und deshalb der Genehmigung gleichwohl Wirkung zuspricht. Diesbezüglich muss sich wiederum die materielle Betrachtung den Vorwurf gefallen lassen, dass Strafrechtswidrigkeit und formelle Verwaltungswirksamkeit auseinanderklaffen, was ebenfalls einen Widerspruch provoziert. Welcher Widerspruch hier höherwiegt, kann nicht entschieden werden, weil das Strafrecht kein Pendant zur verwaltungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit kennt.107 Weiterhin steht zur Diskussion, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Art. 103 Abs. 2 GG ein bestimmtes Ergebnis gebietet. Darauf stellt der Bundesgerichtshof ab, wenn er für eindeutige Auslegungsmaßstäbe wirbt:108 „Würden – verborgene – materiell-rechtliche Mängel, etwa infolge von Täuschung oder sonstiger mißbräuchlicher Verhaltensweisen des Erlaubnisadressaten, zum Abgrenzungskriterium des strafbaren und nicht strafbaren Verhaltens gemacht, so wären dessen Voraussetzungen und Grenzen im allgemeinen ungewiß, weil im Einzelfall von zufällig nachweisbaren und nicht nachweisbaren Tatumständen abhängig. Deshalb muss eine nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften wirksam erteilte Aufenthaltsgenehmigung im Strafrecht grundsätzlich Tatbestandswirkung entfalten, auch wenn sie rechtsmißbräuchlich erlangt worden ist.“
Zwar nimmt der Bundesgerichtshof Fälle rechtsmissbräuchlich erlangter Genehmigungen in den Fokus. Jedoch gelten die Ausführungen erst recht für weniger gravierende, mithin verstecktere Mängel, welche nur die Rechtswidrigkeit der Genehmigung begründen. Weiterhin spricht hierfür die nur beispielhafte Aufzählung des Bundesgerichtshofs („etwa infolge“).109 In die gleiche Richtung weist das Bundesverfassungsgericht, wenn es aus der Formulierung des gesetzlichen Tatbestands (im Fall: „ohne die jeweils erforderliche Genehmigung“) die Pflicht des Strafrichters folgert, eine erteilte Genehmigung jedenfalls grundsätzlich als gegeben hinzunehmen.110 Zwar merkt das Bundesverfassungsgericht an, dass die Verfassung dies nicht in aller Konsequenz gebiete, wenn die Instanzgerichte hinsichtlich der strafrechtlichen Auswirkungen einer erteilten, jedoch mit schweren Mängeln behafteten Genehmigung aufgrund der Eigengesetzlichkeit und Regelungsziele von Verwaltungsrecht einerseits und Strafrecht andererseits zur Lösung auf die ihnen durch Strafrecht und Strafprozessrecht „zur Verfügung stehenden Möglichkeiten“ verweist.111 Damit eröffnet das Bundesverfassungsgericht 107
Eingängig Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 15 Rn. 163. BGHSt 50, 105 (115). Die Entscheidung erging zu einem Zeitpunkt, als das (damalige) Ausländergesetz anders als das heutige Aufenthaltsgesetz (vgl. § 95 Abs. 6 AufenthG) noch keine Vorschrift vorsah, die rechtsmissbräuchlich erlangten Genehmigungen die strafrechtliche Wirkung versagte. 109 In diese Richtung wohl auch Kudlich, JuS 2005, 1055 (1056). 110 BVerfGE 75, 329 (346), bezüglich § 327 Abs. 2 StGB a. F. (unerlaubter Betrieb bestimmter Anlagen). 111 BVerfGE 75, 329 (346). 108
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den Instanzgerichten aber allenfalls ein letztes Korrektiv. An der grundsätzlichen Konzeption, wonach die erteilte Genehmigung unabhängig von ihrer materiellrechtlichen Rechtmäßigkeit im Strafrecht Wirkung zeitigt, ändert das nichts. Dem ist zuzustimmen. Der Bestimmtheitsgrundsatz dient dem Normadressaten zur Vorhersehbarkeit dessen, was verboten und mit Strafe bedroht ist.112 Wenn ein Straftatbestand ein Handeln ohne Genehmigung sanktioniert, sind für den Normadressaten die Voraussetzungen der Strafbarkeit aber nicht mehr ersichtlich, wenn ihm trotz der von staatlicher Stelle überreichten Genehmigung, aus den ihr zugrundeliegenden und unsichtbaren materiell-rechtlichen Wertungen weiterhin strafrechtliche Folgen drohen. Der Rechtsunsicherheit wäre Tür und Tor geöffnet.113 Mit der rechtmäßigkeitsunabhängigen Wirksamkeit des Verwaltungsakts setzt das Verwaltungsrecht insbesondere auf Rechtsbeständigkeit und Verfahrensklarheit.114 Insoweit mutet es absurd an, wenn sich das Strafrecht von diesem Institut abkoppelte, obgleich es gegenüber dem Verwaltungsrecht noch vielmehr auf Rechtssicherheit und -bestimmtheit angewiesen ist. Die von den Verfechtern einer strafrechtsautonomen Nichtigkeit unternommenen Korrekturversuche, mithilfe der Lehre vom personalen Unrecht oder den Irrtumsvorschriften diejenigen straflos zu stellen, die auf die Richtigkeit der behördlichen Entscheidung vertrauen, erweisen sich als wenig konsistente Notlösungen. Demnach umschreibt das tatbestandliche Unrecht zunächst Unvorhersehbares, während der subjektive Tatbestand die Strafbarkeit auf Vorhersehbares beschränkt. Zum einen verkennen sie damit die Funktionen von objektivem und subjektivem Tatbestand. Zum anderen argumentieren sie inkonsequent: Wenn die Verfechter einer strafrechtsautonomen Nichtigkeitsbestimmung das objektive Unrecht an die materielle Verwaltungsrechtslage knüpfen, hat sich die subjektive Tatseite beziehungsweise die Verhaltensorientierung auch hieran zu messen.115 Diese Konsequenz ziehen die Vertreter aber nicht und stellen wiederum auf die Genehmigung ab: Nach Schmitz, welcher im Falle der Gutgläubigkeit einen Erlaubnistatbestandsirrtum annimmt, soll es demnach auf die fehlende Kenntnis über die Rechtswidrigkeit der Genehmigung ankommen.116 Nach Schwarz hingegen unterliegt einem Verbotsirrtum, wer auf die Richtigkeit der Genehmigung vertraut.117 Schließlich ergibt sich auch bei Frisch, der auf die Personalität des 112 BVerfGE 92, 1 (12); hierzu eingehend Maunz/Dürig/Remmert, GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 92 ff. 113 So ausdrücklich Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16b; vgl. auch Rogall, GA 1995, 299 (315): „Der unmittelbare Durchgriff auf das Verwaltungsrecht ist also ohne Rücksicht auf die Form, in der er vorgetragen wird, zum Scheitern verurteilt. [. . .] Ob die Konkretisierung eines Umweltgesetzes den gesetzlichen Vorgaben entspricht, kann im Einzelfall zweifelhaft und höchst streitig sein.“ 114 Vgl. oben § 6 A. I. 115 So auch Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (448 f.). 116 So Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 36. 117 So Schwarz, GA 1993, 318 (325).
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Unrechts abstellt, der Maßstab für die Verhaltensorientierung nicht aus der materiellen Rechtslage sondern aus der „zwischengeschalteten“ behördlichen Konturierung des Tatbestands, nämlich der Genehmigung.118 Diese Inkonsequenzen lassen sich vermeiden, wenn man der verwaltungsverfahrensrechtlichen Wirksamkeit auch im Strafrecht das Wort redet. Das schafft die Grundlage für eine rechtssichere Auslegung des strafrechtlichen Tatbestands, die keiner ergebnisorientierten Korrektur dessen bedarf, was nicht sein kann und darf. Aus denselben Gründen überzeugt Schünemanns Vorschlag nicht, den ex tuncrücknehmbaren Genehmigungen die tatbestandsausschließende Wirkung zu versagen. Zum einen liegt ein innerer Widerspruch darin begründet, dass er für die strafrechtliche Betrachtung auf die materielle Verwaltungsrechtslage durchgreifen will, zum Anknüpfungspunkt dieser Lösung aber die fraudulöse Erlangung und damit ein sachfremdes Kriterium wählt, welches für sich genommen die materielle Verwaltungsrechtswidrigkeit der Genehmigung nicht begründen kann. Zwar ist ihm zugute zu halten, dass die strafrechtsautonome Nichtigkeitsbestimmung auf diesem Wege eine Rückkoppelung an das Gesetz (vgl. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1–3 VwVfG) erfährt. Die Rechtsunsicherheiten bleiben gleichwohl bestehen, wenn Schünemann zusätzlich zur ex tunc-Rücknehmbarkeit einen Verstoß gegen rechtsgutschützende materielle-rechtliche Verwaltungsnormen einfordert, weil er selbst einsieht, dass allein die fraudulöse Erlangung der Genehmigung einen Verstoß gegen das materielle Verwaltungsrecht nicht begründet.119 Im Ergebnis ist daher der strengen Verwaltungsaktakzessorietät, nach der sich die Wirksamkeit des Verwaltungsakts auch im Strafrecht nach den Vorgaben des Verwaltungsverfahrensrechts bestimmt, gegenüber einer weitgehend strafrechtsautonomen Wirksamkeitsbestimmung der Vorzug zu geben. (2) Die Ungeeignetheit des Rechtsmissbrauchsgedankens als strafrechtliches Korrektiv Wenn nunmehr feststeht, dass die fehlende behördliche Genehmigung stets negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal und die strafrechtliche Wirksamkeit einer Genehmigung streng am Verwaltungsverfahrensrecht zu messen ist, ist eine Korrektur über die Rechtsmissbrauchslösung kaum haltbar. In das hier befürwortete System lässt sich die Rechtsmissbrauchslösung nicht integrieren, weil das Verwaltungsverfahrensrecht für das fraudulöse Erlangen einer Genehmigung nicht die Nichtigkeit (§ 44 VwVfG) vorsieht. Im Gegenteil begründet sie für sich genommen noch nicht einmal deren verwaltungsrechtliche Rechtswidrigkeit, sondern stellt lediglich einen Anlass für die Verwaltungsbehörde dar, die Genehmigung nach pflichtgemäßem Ermessen und mit Wirkung ex tunc aufzuheben. 118 119
Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 60 f. Hierzu nochmals Schünemann, Triffterer-FS, S. 437 (449).
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Unter den Anforderungen, welche der verfassungsrechtlich fundierte Bestimmtheitsgrundsatz an einen Tatbestand stellt, der genehmigungsloses Handeln bestraft, erweist sich die fraudulöse Erlangung als gleichermaßen verborgener Mangel des Verwaltungsakts, der grundsätzlich keine Auswirkungen für die tatbestandsausschließende Wirkung hat.120 Wenn demnach das Strafrecht wegen der Rechtsklarheit auf die verfahrensrechtliche Wirksamkeit der Genehmigung angewiesen ist, kann nunmehr auch das gesetzgeberische Regelungsgefüge gegen die Rechtsmissbrauchslösung in Stellung gebracht werden. Dieses spricht der fraudulös erlangten Genehmigung nur sektoral begrenzt und auf gesetzlicher Grundlage (vgl. §§ 95 Abs. 6 AufenthG, § 18 Abs. 9 AWG, § 16 Abs. 4 CWÜAG und § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB) die strafrechtliche Wirksamkeit ab. Gegen den Rechtsmissbrauchsgedanken innerhalb der Strafrechtsordnung sprechen schließlich, unbesehen der hier befürworteten streng verwaltungsaktakzessorischen Anlehnung, weitere Bedenken. Unabhängig davon, ob der Rechtsmissbrauchsgedanke allgemeiner Rechtsgedanke oder ein in die Strafrechtsordnung inkorporierter Rechtsgedanke der Zivilrechtsordnung ist,121 begegnet seine Begründung innerhalb der Strafrechtsordnung Bedenken.122 Der Strafrechtsordnung ist es grundsätzlich fremd, dem Täter die Geltendmachung einer Rechtsposition aufgrund allgemeiner Rechtsgedanken zu versperren. Die Parallele zum Notwehrrecht hinkt, weil das Notwehrrecht zwischen Privaten und situationsbezogen beschränkt wird, während die Genehmigung umfassend und dauerhaft ein Verhalten legalisiert.123 Während beim Notwehrrecht die Wertungen des allgemeinen Rechtsgedankens immerhin über das Merkmal der Gebotenheit Einfluss nehmen können, fehlt ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt bei der Rechtsmissbrauchslösung gänzlich. Diese Unsicherheiten vertiefen sich schließlich durch die Anwendungsvoraussetzungen, die im Einzelnen viel zu ungewiss und umstritten sind, als dass ein daraus abzuleitender Gedanke ein taugliches (ungeschriebenes) Korrekturinstrument darstellen könnte. Infolgedessen entschieden letztlich allgemeine Billigkeitserwägungen über die Strafbarkeit.124 Es erscheint nur von geringem Wert, derlei Rechtsunsicherheiten in Kauf zu nehmen, zumal entspre-
120 So auch die gemeingültige Meinung hinsichtlich der fehlenden Genehmigung als negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal; vgl. Breuer, NJW 1988, 2072 (2080); Dolde, NJW 1988, 2329 (2331); Heghmanns, Dogmatik, S. 212; eingehend Lenckner, PfeifferFS, S. 27 (33); LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 281; Rengier, ZStW 1989, 874 (885); Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (344); Weber, Hirsch-FS, S. 795 (799); Wimmer, JZ 1993, 67 (69); Winkelbauer, NStZ 1988, 201. 121 Vgl. hierzu Wohlers, JZ 2001, 850 (854). 122 Insbesondere nach der hier befürworteten Lösung, wonach die Genehmigung stets tatbestandsausschließend wirkt, vgl. Rengier, ZStW 1989, 874 (895). 123 So zutreffend Rengier, ZStW 1989, 874 (895). 124 BGHSt 50, 105 (115); LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 285; Rengier, ZStW 1989, 874 (893 f.).
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chende Vorgänge von den sachnäheren §§ 240, 331 ff. oder auch § 348 StGB aufgefangen werden können.125 (3) Die Ungeeignetheit verwaltungsverfahrensrechtlicher Korrektive Der Korrekturversuch über das Verwaltungsverfahrensrecht stellt eine charmante Idee dar, weil er sich aus der Rechtsordnung ergibt, in der die Grundlagen für die strafrechtliche Bestimmung des Verwaltungsakts liegen.126 Zur Durchsetzung kann ihm das gleichwohl nicht verhelfen, weil er der Dogmatik des Verwaltungsverfahrensrechts widerspricht.127 Soweit § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG die ex tunc-Rücknehmbarkeit von Verwaltungsakten ermöglicht, die durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder unrichtige Angaben erwirkt wurden (vgl. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG), bringt das Gesetz damit unzweideutig zum Ausdruck, dass Verwaltungsakte aufgrund ihrer fragwürdigen Erlangung nicht gemäß § 44 VwVfG nichtig, sondern nur aufhebbar sind.128 Andernfalls wäre ihre Rücknahme hinfällig. Hiergegen lässt sich nicht einwenden, das Verwaltungsverfahrensrecht habe das Konkurrenzverhältnis zwischen § 44 und § 48 VwVfG offengelassen.129 Das schließlich zum Ausdruck gebrachte Staunen darüber, wie schwer Fehler wiegen müssten, wenn noch nicht einmal dadurch die Nichtigkeit begründet würde, wenn (erstens) alle Beteiligten die Rechtswidrigkeit kannten, (zweitens) der Verwaltungsakt typischerweise durch Straftaten (§§ 240, 331 ff. StGB) erlangt wurde und es schließlich (drittens) um Verhaltensweisen geht, die nicht genehmigungsfähig und prinzipiell strafbar beziehungsweise ordnungswidrig seien,130 ist nur aus strafrechtlicher Sicht nachvollziehbar. Unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Folge durchaus verständlich: Zum einen berühren die geltend gemachten Mängel wiederum allesamt nur das „Wie“ der Erlangung des Verwaltungsakts, denen das Verwaltungsverfahrensrecht weitgehend gleichgültig gegenübersteht, weil sie für sich genommen weder die formelle (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 1–3 VwVfG) noch die materielle (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 4–6 VwVfG) Rechtswidrigkeit begründen.131 Zum anderen 125 In anderem Zusammenhang Rengier, ZStW 1989, 874 (898); ferner Rogall, GA 1995, 299 (318). Vgl. BGHSt 37, 207, zu § 348 StGB. 126 Das Anliegen Rengiers war es, eine Lösung für die Rechtsmissbrauchsfälle auf Grundlage der sogenannten „strengen Akzessorietätslösung“ zu konstruieren (siehe hierzu Rengier, ZStW 1989, 874 [896]). 127 Vgl. nur BGHSt 10, 105 (115). 128 BGHSt 37, 207 (210); VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 137 (138); Beaucamp, JA 2007, 704 (705); so auch der Einwand Döllings bei der Diskussion zu der von Rengier anlässlich der Strafrechtslehrertagung 1989 vorgetragenen Lösung, dargestellt bei Lagodny, ZStW 1989, 908 (935). 129 So Rengier, ZStW 1989, 874 (898). 130 Rengier, ZStW 1989, 874 (898). 131 BVerwG NJW 1985, 2658 (2659): „Der Fehler, von dem in dieser Vorschrift [§ 44 Abs. 1; Anm. d. Verf.] die Rede ist, bezieht sich also auf den Verwaltungsakt,
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verkennen die Zweifel das bestimmende Anliegen der Rechtssicherheit im Verwaltungsverfahrensrecht. Demgemäß sollen der Verwaltung effektive Instrumente (Rücknahme mit Wirkung ex tunc) zur Behebung dieses auf fragwürdige Weise herbeigeführten Zustands an die Hand gegeben werden; die signifikante Ausnahme der Nichtigkeit soll den Verwaltungsakt aber nicht ergreifen.132 (4) Ergebnis Die Nichtigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts hat sich einzig an den formalen Vorgaben des Verwaltungsverfahrensrechts zu messen. Im Übrigen ist die Strafrechtsordnung auf Bestimmtheit angewiesen, in deren Folge sie es sich nicht leisten kann, anhand strafrechtsspezifischer Kriterien das Institut der verwaltungsrechtlichen Wirksamkeit über Bord zu werfen. Sollen für die Bedeutung des begünstigenden Verwaltungsakts an sich sachfremde Kriterien, wie die durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erfolgte Erlangung der Genehmigung, eine Rolle spielen, ist dies vornehmlich Aufgabe des Gesetzgebers. Nur er kann mithilfe strafgesetzlicher Normierungen den Bedürfnissen der Rechtsklarheit gerecht werden, indem er verwaltungsverfahrensrechtlich wirksamen Genehmigungen ausnahmsweise ihre tatbestandsausschließende Wirksamkeit versagt. In diesem Sinne ist der Gesetzgeber mit den §§ 95 Abs. 6 AufenthG, 18 Abs. 9 AWG, 16 Abs. 4 CWÜAG und 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB rechtsdogmatisch auf dem richtigen Weg, sofern er entsprechende Handlungen nicht den §§ 240, 331 ff. oder auch § 348 StGB überlassen möchte. 2. Strafbewehrte Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte Spiegelbildlich eröffnet sich die Problematik bei strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte, wobei sich der Verwaltungsakt nicht zugunsten des Bürgers und zulasten des Rechtsguts, sondern in entgegengesetzte Richtungen auswirkt. Gleichermaßen steht der Rechtsanwender vor der Frage, inwieweit die Wirksamkeit von belastenden Verwaltungsakten für das Strafrecht streng an das Verwaltungsverfahrensrecht gekoppelt oder strafrechtsautonom zu bestimmen ist. Mit Blick auf die rechtsbeeinträchtigende Dimension des belastenden Behördenhandelns zieht sie für den Bürger ungleich drastischere Konsequenzen nach sich.
nicht aber auf das Verhalten der Behörde. Dies wird bestätigt namentlich durch § § 48 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, der selbst durch (arglistige Täuschung, Drohung oder) Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für nicht nichtig, sondern nur rücknehmbar erklärt“; vgl. auch Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 49. 132 Zum Ausnahmecharakter der Nichtigkeit Beaucamp, JA 2007, 704 (706); Will/ Rathgeber, JuS 2012, 1057 (1063).
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a) Streng verwaltungsaktakzessorisches Verständnis Es wurde bereits dargelegt, dass der verwaltungsverfahrensrechtlich nichtige Verwaltungsakt keine Befolgungspflicht auslöst und eine Zuwiderhandlung daher nicht strafbar ist.133 In Übereinstimmung mit dem Meinungsstand zum begünstigenden Verwaltungsakt ist beim belastenden Verwaltungsakt die Bedeutung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit für das Strafrecht als Minimalkonsens zu verstehen. Diese verfahrensrechtliche Anlehnung des Strafrechts führt die herrschende Ansicht konsequent fort und plädiert dafür, auf die rechtmäßigkeitsunabhängige Wirksamkeit des Verwaltungsakts abzustellen: Demnach sei die behördlich wirksame Verfügung schon deshalb beachtlich, weil die Verwaltung das dahinter stehende materielle Recht notwendigerweise konkretisiert und auf diese Weise eine verbindliche Verhaltensnorm statuiert.134 Auch im Fall materieller Rechtswidrigkeit rechtfertige sich eine Strafbarkeit, weil der Gesetzgeber der Verwaltung die Präventivkontrolle angesichts komplexer Risiken überantwortet habe; stets ziele die Verfügung auf den Rechtsgüterschutz ab, wenngleich in diesen Fällen nicht so, wie es das materielle Recht vorsehe.135 Um die Gefahr divergierender Strafentscheidungen zu verhindern, müsse die Beurteilungskompetenz über das Verwaltungshandeln bei den Verwaltungsgerichten verbleiben.136 Hierauf baut im Ansatz auch die gefestigte Rechtsprechung auf, die für die Strafbarkeit, ungeachtet der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, auf dessen strafrechtsspezifische Vollziehbarkeit abstellt.137 b) Verwaltungsrechtakzessorisches Verständnis – Strafrechtsautonome Wirksamkeitsbestimmung mittels Durchgriff auf das materielle Verwaltungsrecht Nach der vehementen Kritik an der strafrechtlichen Wirksamkeit der rechtswidrigen Genehmigung verwundert kaum, dass diese Sichtweise mit Blick auf
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Hierzu oben § 6 A. II. 1. Breuer, NJW 1988, 2072 (2078); ders., JZ 1994, 1077 (1084 f.); Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 401; Saurer, Verw 2017, 339 (360); SK-StGB/ Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 78. 135 Breuer, JZ 1994, 1077 (1085); Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 402; vgl. auch SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 78. 136 Vgl. BGHSt 21, 74 (78); 21, 134 (136); OLG Stuttgart NJW 1967, 122; OLG Karlsruhe NJW 1972, 2096 (2097). Unter Verweis auf Praktikabilitätserwägungen Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 74: „Dies hätte zur Folge, dass diese verwaltungsrechtliche Frage im Strafverfahren inzidenter geprüft werden müsste und die bereits jetzt gelegentlich kaum handhabbaren Umweltstrafsachen noch komplizierter gestaltet würden“; auch Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16c, mit Blick auf andernfalls fragwürdige Folgen für Irrtumskonstellationen. 137 Vgl. BGHSt 21, 74; 23, 86; 31, 314 (315); BGH NStZ 1982, 158; zur strafrechtsspezifischen Verbindlichkeit unten § 6 B. 134
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den strafbewehrten belastenden Verwaltungsakt nicht unbestritten blieb.138 Ebenso wie dem rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt die tatbestandsausschließende Wirkung mittels eines Durchgriffs auf das materielle Verwaltungsrecht versagt wird, argumentieren Stimmen zugunsten des Bürgers: Da die rechtswidrige Verfügung etwas anordnet, was die gesetzliche Grundlage nicht vorsieht, könne ein dagegen begangener Verstoß das verwaltungsrechtlich geschützte Rechtsgut von vornherein nicht verletzen.139 Andersherum: „Strafwürdig ist immer nur der Verstoß gegen das Gesetz, auf das sich eine Einzelanordnung stützt“.140 Andernfalls schütze das Strafrecht ein bloß formelles Ordnungsinteresse oder ahnde gar den bloßen Ungehorsam, was nicht Aufgabe des Kriminalunrechts sei, weil es bloßes Verwaltungsunrecht darstelle.141 Zumal das Strafrecht, anders als das Verwaltungsrecht, nicht auf rechtliche Kunstgebilde wie die der Wirksamkeit und Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angewiesen sei, weshalb der Strafrichter in der Rückschau einzig zu prüfen habe, ob eine Rechtsgutsverletzung vorgelegen habe, was beim rechtswidrigen Verwaltungsakt von vornherein ausscheide.142 Eine Ausnahme hiervon akzeptieren sie nur bei solchen Straftatbeständen, deren Schutz explizit auf die formale Ordnung ausgerichtet ist, wie sie der Verwaltungsakt schafft.143 Wollte man hingegen jeglichen Ungehorsam strafrechtlich sanktionieren, erschlösse sich die unterschiedliche Sanktionsqualität von Strafe und Buße nicht.144 Schließlich beförderte die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen die Behördenentscheidung ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit vielfältige verfassungsrechtliche Verwerfungen, angefangen von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 3 GG),145 über 138 Aus der Rechtsprechung sind zwei Entscheidungen bekannt, die – allerdings ohne auf den Streitstand einzugehen – die Rechtmäßigkeit eines öffentlich-rechtlichen Hausverbots prüfen: OLG Bremen VRS 1962, 265; OLG Celle MDR 1965, 595; zum Versammlungsrecht OLG Celle NJW 1977, 444. 139 Vgl. BGHSt 59, 94 (104); OLG Celle NJW 1977, 444; Berg, WiVerw 1982, 169 (181); Dingeldey, NStZ 1982, 160; Heghmanns, Dogmatik, S. 317, unterscheidet im Einzelnen, ob der materiell-rechtliche Fehler rechtsgutrelevant ist; ders., AchenbachFS, S. 117 (122); Kühl, Lackner-FS, S. 815 (846); Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 115; MüKo-StGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 92; ders., Verwaltungshandeln, S. 73 f.; vgl. Stoiber, Hausfriedensbruch, S. 166 ff. 140 Kühl, Lackner-FS, S. 815 (847). 141 Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 115; Schall, NJW 1990, 1263 (1267); Stoiber, Hausfriedensbruch, S. 166 f. 142 Vgl. Berg, WiVerw 1982, 169 (180 f.); vgl. zur unterschiedlichen Wahrnehmung der öffentlichen Interessen durch Verwaltungsrecht und Strafrecht oben § 5 B. 143 Dölling, JZ 1985, 461 (464 f.); Gerhards, NJW 1978, 86 (87 f.); auch Lorenz, DVBl 1971, 165 (170 f.); Ostendorf, JZ 1981, 165 (174); vgl. hierzu bereits oben § 5 C. II. 2. b). 144 Kühl, Lackner-FS, S. 815 (846); Arnhold, Strafbewehrung, S. 53 ff. 145 Beschränkt auf den wirksamen (und noch nicht bestandskräftigen) Verwaltungsakt Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen, S. 114; Janicki, JZ 1968, 94 (96); vgl. Wüterich, NStZ 1987, 106 (108).
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das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG)146 und das Richtermonopol (Art. 92 GG)147 bis hin zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG).148 c) Stellungnahme Die zum begünstigenden Verwaltungsakt teils äquivalent verlaufenden Argumentationsmuster liegen freilich darin begründet, dass in beiden Fällen ein Verwaltungsakt im Zentrum der Auseinandersetzung steht, dem zwar perspektivisch eine ganz andere Bedeutung zukommt, der verwaltungsverfahrensrechtlich aber dieselbe Behandlung erfährt, die deshalb an vielen Stellen zu ähnlichen Begründungsansätzen führt. aa) Grammatische Auslegung Die Wortlaute der Normen stellen allesamt nur auf die Zuwiderhandlung gegen eine Verfügung ab und geben für ein zusätzliches Rechtsmäßigkeitserfordernis im Ausgangspunkt nichts her.149 Die Vielzahl von Strafnormen mit teils unterschiedlichen Formulierungen lassen es im Ausgangspunkt kaum möglich erscheinen, hieraus einheitliche Leitlinien zu ziehen. Dies gilt im Besonderen für die Gruppe von Tatbeständen, bei der die Strafbarkeit lediglich an eine Zuwiderhandlung anknüpft, ohne dass der Verwaltungsakt irgendeine tatbestandliche Konkretisierung erfährt: Beispielsweise setzt der Hausfriedensbruch ein „widerrechtliches“ Eindringen voraus, was keinerlei Schlüsse auf die inhaltlichen Anforderungen an ein gegebenenfalls durch Verwaltungsakt verfügtes Hausverbot zulässt.150 Ebenso wenig Aufschluss geben andere Strafnormen, wie etwa § 85 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der bestraft, wer einer Aufenthaltsbeschränkung wiederholt zuwiderhandelt. Teilweise lassen vor die Verfügung gestellte Attribute systematisierende Schlüsse auf einen fehlenden Rechtmäßigkeitszusammenhang zu. Vielfach stel146 Vgl. BVerfGE 87, 399 (411); Perschke, wistra 1996, 161 (163); Schall, NJW 1990, 1263 (1267). 147 Kühl, Lackner-FS, S. 815 (839 ff.); Perschke, wistra 1996, 161 (163); Schall, NJW 1990, 1263 (1268). 148 Kühl, Lackner-FS, S. 815 (845); Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 70 f. 149 Einfach macht es sich insoweit BVerfGE 80, 244 (256): „Die Pflicht des Strafrichters, ein vollziehbares Vereinsverbot, auch wenn es noch nicht vollziehbar ist, jedenfalls grundsätzlich als gegeben hinzunehmen, folgt aus der Formulierung des gesetzlichen Tatbestands“; zutreffend hingegen Heghmanns, Dogmatik, S. 313, wonach dies nicht auf einen dokumentierten Willen des Gesetzgebers schließen lässt. 150 Abwegig Haaf, Fernwirkungen, S. 242 f., wonach § 123 StGB „ausdrücklich“ auf die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns abstelle, weil nur das „widerrechtliche“ Eindringen und das Verweilen „ohne Befugnis“ strafbar sein soll. Dabei verkennt er offensichtlich, dass „widerrechtlich“ und „ohne Befugnis“ die Tathandlung beschreiben, wenn sie gegen den Willen des Berechtigten erfolgen, aber über die Rechtmäßig- beziehungsweise Rechtswidrigkeit des Hausverbots nichts aussagen.
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len Strafnormen auf die Zuwiderhandlung gegen einen „vollziehbaren“ Verwaltungsakt ab.151 Versteht man den Begriff als verwaltungsrechtlichen terminus technicus, der die potentielle Durchsetzbarkeit des Verwaltungsakts meint, spricht er gegen einen Rechtmäßigkeitszusammenhang,152 weil die Durchsetzbarkeit selbst nicht von der Rechtmäßigkeit abhängt. Zwingend erscheint das zwar nicht, sofern man darin nur einen gesetzlichen Hinweis auf die Wahrung der hemmenden Rechtsbehelfe erkennt, doch scheint ein solches laienhaftes Verständnis wenig plausibel.153 § 59 Abs. 1 LuftVG stellt auf einen „erlassenen“ Verwaltungsakt ab. Auch das deutet unter verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorzeichen an, dass kein Rechtmäßigkeitszusammenhang besteht. Demnach ist das Verwaltungsverfahren auf den „Erlass“ des Verwaltungsakts und damit auf dessen Bekanntgabe gerichtet (vgl. § 9 VwVfG), was freilich unabhängig von der Rechtsmäßigkeit erfolgt (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG).154 Indes enthält auch § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG mit seinem Zusatz „Auflösungsverfügung [. . .] durch die zuständige Behörde“ 155 einen entsprechenden Hinweis. Da sowohl die örtliche als auch die sachliche Unzuständigkeit regelmäßig nur zur Rechtwidrigkeit des Verwaltungsakts führen,156 stiftet der Zusatz nur einen eigenständigen Sinn, wenn der rechtswidrige Verwaltungsakt ansonsten Geltung im Rahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG beanspruchen kann. Wäre der rechtswidrige Verwaltungsakt von vornherein ordnungswidrigkeitenrechtlich unbeachtlich, bedürfte es der zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzung nicht und wäre mithin überflüssig. Andere Straftatbestände erwecken jedenfalls den Anschein, als schenkten sie gewissen – vorsichtig formuliert: – inhaltlichen Kriterien des Verwaltungsakts eine herausgehobene Bedeutung. § 59 Abs. 1 LuftVG spricht beispielsweise von einer „im Rahmen der Luftaufsicht erlassenen Verfügung“. Für das Umweltstrafrecht legt § 330d Abs. 1 Nr. 4c) StGB fest, dass eine verwaltungsrechtliche Pflicht eine solche ist, die sich aus einem vollziehbaren Verwaltungsakt ergibt „und dem Schutz vor Gefahren oder schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, 151 Beispielhaft seien genannt § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, § 13 BÄO, § 38 Abs. 1 Nr. 1 BJagdG, § 75 Abs. 1 Nr. 1 InfSchG, § 32 Abs. 1 Nr. 16 MuSchG, vgl. auch § 330d Abs. 1 Nr. 4c) für das Umweltstrafrecht, § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG. 152 Zum Umweltstrafrecht auch: Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 402 f.; Meurer, NJW 1988, 2065 (2068); NK-StGB/Ransiek, § 324a Rn. 21; SKStGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 79 und § 324a Rn. 49 f. 153 Vgl. aber Perschke, wistra 1996, 161 (164). Eingehend zum Begriff der „Vollziehbarkeit“ unten § 6 B. II. 2. c) bb). 154 Vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 193. 155 § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG. 156 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 14 ff. Danach führt die örtliche Unzuständigkeit regelmäßig nur unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1 VwVfG) zur Nichtigkeit. Die sachliche Unzuständigkeit begründet die Nichtigkeit nur dann, wenn die den Verwaltungsakt erlassende Behörde unter keinem sachlichen Gesichtspunkt Bezug zu der damit geregelten Angelegenheit hat und dies auch offenkundig ist.
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insbesondere auf Menschen, Tiere oder Pflanzen, Gewässer, die Luft oder den Boden, dient“. Wiederum andere Strafnormen verweisen auf einen Verwaltungsakt „nach“ oder „gemäß“ einer konkreten Norm.157 Manche erkennen darin den Hinweis des Gesetzgebers auf das Rechtmäßigkeitserfordernis, weil im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung nur der rechtmäßige Verwaltungsakt dem Schutzzweck nachkomme, was der Strafrichter im Einzelfall zu prüfen habe.158 Der Wortlaut erzwingt das aber keineswegs.159 Wenn der Verwaltungsakt einem gesetzlich bestimmten Zweck „dienen“ soll, sagt dies in erster Linie etwas über dessen sachliche Ausrichtung aus. Etwa, dass ein Verstoß gegen eine bauordnungsrechtliche Verfügung keine Strafbarkeit gemäß § 59 Abs. 1 LuftVG begründen kann, weil sie nicht „im Rahmen der Luftaufsicht erlassen“ wurde.160 Folglich konkretisieren solche Formulierungen eher das verfassungsrechtliche Gebot für Blanketttatbestände, wonach die Strafnorm selbst die Voraussetzungen möglichst genau und präzise festlegen muss.161 Ob darüber hinaus auch rechtswidrige Verwaltungsakte dem Sinn und Zweck des Rechtsguts gerecht werden können, ist vielmehr eine Frage teleologischer Auslegung. Die Wortlautanalyse lässt allenfalls auf Indizien schließen, die mehr oder weniger überzeugend für oder gegen einen Rechtmäßigkeitszusammenhang in Stellung gebracht werden können. Zumeist erwecken sie aber den Eindruck gesetzgeberischer Zufälligkeit. Weder lassen sich verlässliche Schlüsse aus den Merkmalen noch Umkehrschlüsse aus ihrem Fehlen ziehen.162 bb) Systematische Auslegung Fraglich ist im Weiteren, ob die systematische Auslegung ein Ergebnis gebietet. Betrachtet man andere Strafnormen, die Zuwiderhandlungen gegen die Ausübung von Hoheitsbefugnissen pönalisieren, drängt sich die Parallele zu § 113 StGB und dessen Rechtmäßigkeitsklausel in Absatz 3 auf.163 Jedoch gilt es bei 157 Beispielhaft seien genannt: § 85 Nr. 2 i.V. m. § 59b Abs. 1 AsylG, § 38 Abs. 1 i.V. m. § 21 Abs. 3 BJagdG. 158 Differenzierend Dölling, JZ 1985, 461 (466 f.); Kühl, Lackner-FS, S. 815 (846); Perschke, wistra 1996, 161 (164 f.). 159 Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 402; dies eingestehend auch Kühl, Lackner-FS, S. 815 (846 mit Fn. 178); NK-StGB/Ransiek, § 324a Rn. 21, weist für das Umweltstrafrecht zu Recht darauf hin, dass wegen des Begriffs „vollziehbar“ eine andere Interpretation der Schutzzweckklausel zu Widersprüchlichkeiten führt; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 44. 160 So Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 44. 161 Vgl. zu den allgemeinen Anforderungen an Blankettstrafgesetze BVerfGE 75, 329 (342); zur Schutzzweckklausel Schall, Küper-FS, S. 505 (509 f.). 162 Vgl. auch BVerfGE 87, 399 (408). 163 Auf § 113 StGB nehmen daher ebenfalls Bezug: OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.01.2013 – juris, Rn. 20; Arnhold, Strafbewehrung, S. 11 ff.; Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen, S. 33; Berg, WiVerw 1982, 169 (181); Haaf, Fernwirkungen,
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dem angestellten Vergleich zweierlei zu beachten: § 113 StGB schützt nicht das hinter der Vollstreckungshandlung stehende Sachinteresse sondern die Vollstreckungshandlung als solche und die dazu berufenen Personen.164 Weiterhin genügt zur Tatvollendung nicht allein die bloße Nichtbefolgung eines Verwaltungsakts, vielmehr muss der Täter aktiv gegenüber dem Vollstreckungsbeamten tätig werden.165 Dies sind berechtigte Einwände, um einen Vergleich zwischen strafbewehrten Verwaltungsakten und dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Frage zu stellen. Die unbefangene Feststellung erschüttern sie aber nicht, wonach der Gesetzgeber bezüglich strafbewehrter Widersetzlichkeiten gegen hoheitliches Handeln offenbar durchaus danach differenziert, ob das hoheitliche Handeln rechtmäßig sein muss (vgl. § 113 StGB) oder nicht.166 Dieser Umkehrschluss legt nahe, dass es dem Gesetzgeber bei strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte nicht auf deren Rechtmäßigkeit ankommt.167 Zwar entwerten Rechtsprechung und weite Teile der Literatur den Rechtmäßigkeitsbegriff im Sinne des § 113 Abs. 3 StGB durch eine – angeblich kriminalpolitisch notwendige – strafrechtsautonome Bestimmung,168 doch ändert das an der gesetzlichen Differenzierung nichts und spricht allenfalls dafür, dem 210 ff.; Lorenz, DVBl 1971, 165 (171); Ostendorf, JZ 1981, 165; Schenke, JR 1970, 449 (454); ders., Wolter-FS, S. 215 (223 f.); Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 67 ff. 164 Arnhold, Strafbewehrung, S. 12 f.; Lorenz, DVBl 1970, 165 (171); vgl. auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (224). 165 Prägnant OLG Hamm NStZ 1995, 547 (548): „Dem doppelten Schutzzweck der vorgenannten Vorschrift (Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen und Schutz der dazu berufenen Organe) entsprechend muß sich die angekündigte Gewalt nämlich gegen den Vollstreckenden wenden, d. h. es muß mit einer durch tätiges Handeln gegen die Person des Vollstreckenden gerichteten Kraftäußerung gedroht werden“; Arnhold, Strafbewehrung, S. 12, der im Ergebnis keine Schlüsse aus § 113 StGB zu ziehen vermag. Zum Tatbestandsmerkmal Widerstandleisten im Sinne des § 113 etwa Sch/Sch/ Eser, § 113 Rn. 40/41. 166 MüKo-StGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 89, bringt dagegen wenig überzeugend vor, dass das Problem um die strafbewehrten Verwaltungsakte kein auf das Umweltstrafrecht beschränktes Problem sei und bei anderen Tatbeständen (§§ 113, 126, 136 StGB) allein die Wirksamkeit nicht ausreicht. Dabei übersieht er aber, dass diese Tatbestände die Rechtmäßigkeit ausdrücklich als Merkmal ausweisen und es dabei weniger um die Strafbewehrung des Verwaltungsakts geht. 167 So auch SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 79; ohne Begründung anders Haaf, Fernwirkungen, S. 211 f. 168 Dem strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff, wonach es einzig auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit und die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten ankommt, folgen in ständiger Rechtsprechung BGHSt 4, 161; 60, 253 = NJW 2015, 3109 mit zustimmender Anm. Fickenscher, NJW 2015, 3113); Fischer, § 113 Rn. 11; Lackner/Kühl/Heger, § 113 Rn. 7; LK-StGB/Rosenau, § 113 Rn. 40; Sch/Sch/Eser, § 113 Rn. 22 (mit Einschränkungen); gegen die kriminalpolitische Notwendigkeit einer solchen Auslegung Roxin, Pfeiffer-FS, S. 45 (48 ff.). Gänzlich abzulehnen ist mit Blick auf das hier vorgebrachte systematische Argument der sog. wirksamkeitsorientierte Rechtmäßigkeitsbegriff (so etwa Erb, Gössel-FS, S. 217 [226]), weil § 113 Abs. 3 StGB ausdrücklich die verwaltungsverfahrensrechtliche Wirksamkeit (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG) nicht ausreichen lässt, sondern auf die Rechtmäßigkeit abstellt.
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unüberhörbaren Ruf Gehör zu schenken, den Rechtmäßigkeitsbegriff des § 113 StGB materiell-rechtlich oder zumindest vollstreckungsrechtlich zu bestimmen.169 Die gesetzliche Differenzierung ruft auch keine unannehmbaren Widersprüche hervor, die sich aus der qualitativen Schwere des Widerstands zunächst auftun: wenn der aktive Gewalteinsatz gegen Vollstreckungshandlungen nur bei einer rechtmäßigen Diensthandlung strafbar ist, erscheint es zunächst nur schwer verständlich, dass das (bloße) Nichtbefolgen eines Verwaltungsakts auch und bereits bei dessen Rechtswidrigkeit sanktioniert wird.170 Die Differenzierung erschließt sich aus den unterschiedlichen Zwecken. Der Gehorsamspflicht beim strafbewehrten Verwaltungsakt liegt jedenfalls auch der Schutz des dahinterstehenden Sachinteresse zugrunde, wohingegen die § 113 StGB nur die Vollstreckungshandlung als solche und die dazu berufenen Personen schützt. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Schutzzwecke ist eine voneinander losgelöste Betrachtung und rechtliche Einordnung gerechtfertigt. Ungeachtet dessen obliegt es zuvorderst dem Gesetzgeber, über die einzelnen Strafbarkeitsvoraussetzungen und damit auch über das Rechtmäßigkeitserfordernis zu entscheiden. Systematisch legen dieses Ergebnis auch die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts nahe. Wenn der gemäß den §§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG nichtige Verwaltungsakt keine Wirkung im Strafrecht und der Strafrichter damit die verwaltungsverfahrensrechtliche Normierung zu beachten hat,171 drängt sich der Schluss auf, dass Gleiches für die verwaltungsverfahrensrechtliche Wirksamkeit trotz Rechtswidrigkeit (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG) gilt. Dem lässt sich entgegenhalten, dass dem Strafrecht die unterschiedlichen Grade der Rechtswidrigkeit gleichgültig sind und die verwaltungsverfahrensrechtliche Nichtigkeit nur ein Fingerzeig auf die strafrechtliche Nichtigkeit darstellt.172 Insoweit begegnen diesem Ansatz dieselben Schwierigkeiten, wie sie der Gedanke der einheitlichen Rechtsordnung beim begünstigenden Verwaltungsakt hervorgerufen hat. Da das Strafrecht kein Pendant zur verwaltungsrechtlichen Wirksamkeit kennt, steht der Rechtsanwender wiederum vor dem Dilemma, welchen Maßstab er für die Strafrechtswidrigkeit anlegen soll.
169 Den strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff verwerfen beispielsweise Eisele, BT I, Rn. 1536; Niehaus/Achelpöhler, StV 2008, 71 (74); Roxin, AT I, § 17 Rn. 11 ff.; ders., Pfeiffer-FS, S. 45 (48 ff.); Reinhart, StV 1995, 101 (106 f.); Rengier, BT II, § 53 Rn. 27 ff. 170 Vgl. Haaf, Fernwirkungen, S. 212, der § 113 Abs. 3 StGB als Indiz dafür sieht, dass die Nichtbefolgung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht strafbar ist. 171 Vgl. oben § 6 A. II. 1. 172 Auf dieser Linie Berg, WiVerw 1982, 169 (179 ff.): Demnach sind Wirksamkeit und Vollziehbarkeit nur (notwendige) „Kunstgebilde“ des Verwaltungsrechts, die der Strafrichter für seine Tätigkeit nicht braucht und deshalb, ebenso wie die „verwaltungsrechtliche Inkonsequenz“ der Unterscheidung zwischen einfacher Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit, ignorieren muss.
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cc) Teleologische Auslegung Hinsichtlich Sinn und Zweck der Strafnormen gilt das zum begünstigenden Verwaltungsakt Gesagte unter umgekehrten Vorzeichen. Während der begünstigende Verwaltungsakt auf Kosten des Rechtsguts von der Strafbarkeit suspendiert, statuiert der belastende Verwaltungsakt die strafrechtliche Verbots- oder Gebotsnorm zum Zweck des Rechtsgüterschutzes. Infolgedessen gewähren die Strafnormen einen umfassenderen Rechtsgüterschutz, wenn ihrer Strafbewehrung auch rechtswidrige Verwaltungsakte unterfallen. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ändert am Schutz des materiellen Interesses in der Regel nichts. Ist der Verwaltungsakt nur formell rechtswidrig, weil Zuständigkeits-, Verfahrensoder Formvorschriften nicht eingehalten wurden, ist der Verwaltungsakt nicht weniger geeignet, das materielle Sachinteresse zweckentsprechend zu schützen. Ist er unverhältnismäßig, gewichtet die Behörde das materielle Sachinteresse sogar über das gesetzlich vorgesehene Maß und betreibt damit einen überbordenden, weil vom materiellen Recht noch nicht einmal vorgesehenen Schutz.173 Sodann wohnt den Strafnormen die eindeutige generalpräventive Aussage inne, dass den behördlichen Befehlen, die gerade zum Schutz des Rechtsguts erlassen wurden, Folge zu leisten ist. Andere Ansätze relativieren dieses Gebot bis zur Unkenntlichkeit: Eine differenzierende Betrachtungsweise danach, ob der strafrechtliche Schutz auf die Einhaltung der durch den Verwaltungsakt geschaffenen formalen Ordnung ausgerichtet ist oder ein materielles Sachinteresse schützt, erscheint kaum praktikabel. Zwar ist richtig, dass das Strafrecht nicht auf die vorläufige Wirksamkeit beziehungsweise Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angewiesen ist, weil es nicht auf Durchsetzung der verwaltungsrechtlichen Pflicht, sondern auf Sanktionierung einer Rechtsgutsverletzung angelegt ist. Wenn der Gesetzgeber das strafbewehrte Pflichtversäumnis aber gerade darin erkennt, dass einer verwaltungsrechtlichen Pflicht zuwidergehandelt wurde, können Wirksamkeit und Vollziehbarkeit nicht außen vor gelassen und an ihre Stelle eigene Kriterien gesetzt werden. Ein damit einhergehendes Ordnungsinteresse besteht nie um seiner selbst willen, sondern dient immer in irgendeiner Weise einem materiellen Sachinteresse.174 Ob der 173 Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 402; SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 78; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 60. Aus gegebenem Anlass sei in diesem Zusammenhang nochmals auf die Zustandsbeschreibung von Möllers, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht I, § 3 Rn. 5, erinnert, wonach Verwaltungsrecht das „Recht [ist], das die Erzeugung von Recht durch die Verwaltung organisiert“. 174 Überzeugend Schenke, Wolter-FS, S. 215 (226), der nebenbei das von den Anhängern einer solchen Differenzierung oft vorgebrachte Beispiel strafbewehrter Verkehrszeichen, welche einem reinen Ordnungsinteresse dienten, widerlegt; vgl. auch Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 48 ff. Der dagegen vorgebrachte Einwand, für ein dem Rechtsgüterschutz verpflichtetes Strafrecht reiche der Schutz eines bloßen Ordnungsinteresses nicht aus (vgl. Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlung, S. 103 ff.,
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Straftatbestand ein formelles Ordnungsinteresse mehr oder weniger schützt, hält einer rechtssicheren und bestimmten Auslegung kaum Stand, und kommt letztlich einer willkürlichen Festlegung gleich.175 Gleiches geschieht durch die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts.176 Dadurch findet zwar Berücksichtigung, dass die formelle Rechtswidrigkeit keine Auswirkungen auf den mit dem Verwaltungsakt bezweckten Schutz des materiellen Sachinteresses hat. Widersprüche lassen sich aber mit Blick auf die materielle Rechtswidrigkeit nicht vermeiden, wenn der Verwaltungsakt unverhältnismäßig ist. Denn hierbei zeigt sich, dass der materielle rechtswidrige Verwaltungsakt nicht per se ungeeignet ist, dem materiellen Sachinteresse zu dienen. Aus diesen Gründen läuft auch der Vorwurf, derlei Strafnormen sanktionierten den bloßen Verwaltungsungehorsam, jedenfalls in seiner Allgemeinheit ins Leere: Er kann sich allenfalls halten, wenn ein Verwaltungsakt auf der Grundlage falscher Tatsachen erlassen wurde.177 Hiervon ganz frei machen kann sich auch die Gegenmeinung nicht, die nur rechtmäßige Verwaltungsakte als strafbewehrt ansieht. Oben wurde dargestellt, dass sich die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns aus der ex ante-Perspektive beurteilt. Demnach ist der Gefahrenbegriff des Polizeigesetzes auch dann erfüllt und polizeiliches Handeln demnach rechtmäßig, wenn nur der Anschein einer Gefahr bestand, die Polizei einen solchen in der konkreten Situation aber annehmen durfte.178 Konsequenterweise müsste die Gegenmeinung eine Strafbarkeit annehmen, weil das Verwaltungshandeln rechtmäßig war, obgleich der Verwaltungsakt dem materiellen Sachinteresse nicht diente, weil sich eine Gefahr im Nachhinein als nicht existent herausstellte. Wertungskonsistent verhält sich hierzu die Ansicht, die den strafrechtlichen Schutz die dem Ordnungsinteresse als Rechtsgut jegliche „Wertqualität“ abspricht; Kühl, Lackner-FS, S. 815 [849 ff.]; auch Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 70), scheint hingegen wenig substantiiert. 175 Schenke, Wolter-FS, S. 215 (227 f.). 176 Hierfür Heghmanns, Dogmatik, S. 317 ff., der hinsichtlich verschiedener Fehlerarten differenziert und am Rechtsgüterschutz orientiert entscheidet. Danach kann der Verstoß gegen den formell rechtswidrigen Verwaltungsakt, nicht aber derjenige gegen den materiell rechtswidrigen Verwaltungsakt sanktioniert werden. Irritierenderweise versagt er (im engeren Sinne) unverhältnismäßigen Verwaltungsakten, trotz ihrer rechtsgutsschützenden Intension, den strafrechtlichen Schutz: Wenn ein per se normwidriges Verhalten im Rahmen des § 34 StGB aus einer Interessenabwägung heraus tolerierbar erscheint, weil das geschützte Interesse das beeinträchtigende Interesse wesentlich überwiegt, soll die Interessenabwägung im Rahmen des Behördenverhaltens zur Wahrung vorrangiger Gütersphären noch viel bedeutsamer sein, wenn diese die Normwidrigkeit des Täterverhaltens statuiert. Weil im Falle unverhältnismäßiger Anordnungen die Rechte des Betroffenen schwerer wiegen wie diejenigen der Allgemeinheit, seien aus dem Gedanken des § 34 StGB den unverhältnismäßigen Verwaltungsakten der strafrechtliche Schutz zu versagen (vgl. S. 319 ff.). Dieser Begründungsansatz wirkt schon in seiner Konzeption derart abstrakt, dass er im Ergebnis Irrtümern Tür und Tor öffnet. 177 Vgl. Heghmanns, Dogmatik, S. 317. 178 Hierzu oben § 5 C. I. 1.
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des Gehorsams immer gewährt und sodann das staatliche Irrtumsprivileg auch strafrechtlich absichert. Dass damit grundsätzlich auch vom Gesetz nicht zugelassene Anordnungen der Strafbarkeit unterfallen, ist zuzugeben.179 Die teleologisch begründete Ansicht, wonach die Strafbarkeit unabhängig von der Rechtswidrigkeit eintritt, bedingt somit das Zugeständnis, wonach das tatbestandliche Unrecht im Einzelfall auch eine Gehorsamsverweigerung erfasst, deren Einforderung gesetzlich nicht gedeckt ist, weil sie sich auf eine tatsächlich ungefährliche Tätigkeit bezieht.180 Diese Folge ist der Rechtsordnung aber keineswegs fremd, sondern spiegelt vielmehr nur das verwaltungsrechtliche Regelungsgefüge wider, das durch die Fehlerfolgenlehre des Verwaltungsakts vorgegeben ist (vgl. § 43 VwVfG). Des Weiteren dürfte sich ihr Anwendungsbereich im Regelfall auf abstrakte Gefährdungsdelikte, mithin solche Tätigkeitsdelikte beschränken, die allein den Verstoß gegen einen Verwaltungsakt sanktionieren. Erfordert die Strafbarkeit darüber hinaus den tatrichterlichen Nachweis, dass eine konkrete Gefahr eingetreten ist oder zumindest eine potentielle Schadenseignung vorgelegen hat,181 scheidet eine Strafbarkeit regelmäßig aus. Zwar verwirklicht der Täter das Handlungsunrecht, indem er dem Verwaltungsakt zuwiderhandelt. Der Erfolg dürfte jedoch ausbleiben, da die Behörde ja nur irrtümlicherweise von einer Gefahrensituation ausging, tatsächlich eine solche aber gar nicht bestand und daher auch eine Gefährdungs- beziehungsweise Schadeneignungslage fernliegend erscheint.182 Was schließlich die abstrakten Gefährdungsdelikte betrifft, ist ihnen immanent, dass sie typischerweise gefährliche Handlungen bestrafen, ohne dass es auf eine tatsächliche Rechtsgutsgefährdung ankommt.183 Das ist keine Besonderheit der verwaltungsaktakzessorischen Delikte. Wenn der Gesetzgeber eine solche typischerweise gefährliche Handlung allein in dem Verstoß gegen den belastenden Verwaltungsakt erkennt, ist diese Einschätzung hinzunehmen, wenngleich tatsächlich eine Gefahr für das Rechtsgut nie bestanden hat.184 Korrekturversuche für Fälle, in denen eine Handlung objektiv ungefährlich oder sich der 179 Zu diesem Einwand Heghmanns, Dogmatik, S. 317; Kühl, Lackner-FS, S. 815 (846 f.). 180 Vgl. Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 48 ff. 181 Zu den unterschiedlichen Deliktstypen siehe oben § 5 C. II. 2. b). 182 Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 60, verweist noch auf den Spezialfall, dass sich die behördliche Anordnung, welcher der Täter zuwiderhandelt, auf einen anderen Umstand als denjenigen bezieht, der schließlich die konkrete Gefährdungslage (im strafrechtlichen Sinn) herbeiführt. Das ist aber weniger ein Problem der Ungehorsamssanktionierung, als vielmehr der Kausalität beziehungsweise des spezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhangs. 183 Vgl. zu § 306 Nr. 2 StGB a. F. BGHSt 26, 121 (123 ff.); BGH NStZ 1982, 420 (421). 184 Anders aber Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 50 ff., der die vielfältigen Korrekturversuche abstrakter Gefährdungsdelikte teilweise auf das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht anwenden will. Zu den Korrekturversuchen allgemein Roxin, AT I, § 11 Rn. 154 ff.
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Täter durch absolut zuverlässige Maßnahmen vergewisserte, dass Gefährdungen nicht eintreten können, haben keinen Einfluss auf das begangene Handlungsunrecht, sondern finden allenfalls auf Strafzumessungsebene Berücksichtigung.185 Die teleologischen Gesichtspunkte nimmt der Bundesgerichtshof in einem jüngeren Beschluss zu § 4 S. 1 Nr. 1 GewSchG, wonach strafbar ist, wer einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung zuwiderhandelt, auf.186 Auf die ihm vorgelegte Frage, ob eine Verurteilung die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Gewaltschutzanordnung durch das Strafgericht voraussetze, befürwortet der Bundesgerichtshof zwar eine solche aufgrund des gesetzgeberischen Willens, den er den Gesetzgebungsmaterialien zum Gewaltschutzgesetz entnimmt.187 Er erkennt aber an, dass die Gewaltschutzanordnung an Effektivität einbüßt, wenn mehrere gerichtliche Verfahren über die Anlasstat Beweis erheben.188 Der vom Bundesgerichtshof zur Untermauerung des strafrichterlichen Prüfungsrechts aufgezeigte Widerspruch, der entstünde, wenn der Strafrichter an die Existenz der Schutzanordnung gebunden sein soll, obwohl das Ermittlungsverfahren bezüglich der Anlasstat, wegen der die Schutzanordnung erging, nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Angeklagte freigesprochen würde, ist wenig stichhaltig.189 Weitaus 185 Vgl. BGH NStZ 1982, 420; vgl. auch die Feststellung bei Roxin, AT I, § 11 Rn. 158, wonach der Gesetzgeber „Ausnahmen vom eindeutigen Gesetzeswortlaut [der abstrakten Gefährdungsdelikte; Anm. d. Verf.] noch niemals anerkannt“ hat. 186 BGHSt 59, 94. Die gerichtliche Gewaltschutzanordnung ist keine Entscheidung einer Behörde und folglich kein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG, sodass auch die §§ 43 ff. VwVfG für sie nicht gelten. Sie sind aber ohne weiteres vergleichbar mit den Konstellationen strafbewehrter Verstöße gegen verwaltungsbehördliche Verfügungen, vgl. Heghmanns, Achenbach-FS, S. 117 (119, 121 f.). 187 BGHSt 59, 94 (98 ff.), mit zustimmender Anmerkung von Heghmanns, JZ 2014, 633; so bereits OLG Celle NStZ 2007, 485; OLG Hamm NStZ 2007, 486; OLG Hamburg, Beschl. v. 29.04.2010 – juris, mit insoweit ablehnender Anmerkung Lampe, jurisPR-StrafR 5/2011 Anm. 2. Anders aber die Vorinstanz (OLG Oldenburg BeckRS 2013, 04750), die zutreffend die Parallele zum verwaltungsakzessorischen Strafrecht zieht und folgerichtig eine materielle Rechtmäßigkeitsprüfung ablehnt. 188 Vgl. BGHSt 59, 94 (104 f.), der letztlich ausdrücklich betont, dass für die Entscheidung die historische Auslegung des § 4 GewSchG ausschlaggebend war. Dies lässt darauf schließen, dass er im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht nicht von seiner bisherigen Linie abrücken will. Zum Beleg seiner historischen Interpretation verweist er auf BT-Drs. 14/5429, S. 32 (s. zu den geäußerten Bedenken des Bundesrats S. 39, und der diesbezüglichen Gegenäußerung der Bundesregierung S. 42). Interessant ist in diesem Zusammenhang der historische Hintergrund für eine Rechtmäßigkeitsprüfung. Die Bundesregierung sah diese dadurch gerechtfertigt, dass vor Inkrafttreten des FamFG Gewaltschutzanordnungen im Wege echter Säumnisentscheidungen ergehen konnten, die ihrer Ansicht nach keine Gewähr für materielle Richtigkeit boten. Dieses Argument kann nur noch insoweit Geltungsanspruch erheben, als seit Inkrafttreten des FamFG Eilentscheidungen ohne Anhörung des Antragsgegners erlassen werden können (vgl. Heghmanns, JZ 2014, 633). 189 Schon unter gewaltschutzrechtlichen Aspekten scheint dies wenig überzeugend, weil eine Straftat (etwa §§ 123, 223, 239, 240, 241 StGB) zwar regelmäßig die Anlasstat bildet, die materiell-rechtliche Grundlage für den Anspruch aber die §§ 823 Abs. 1,
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widersprüchlichere Folgen treten indes ein, wenn das Strafgericht die Schutzanordnung bei seiner eigenmächtigen Inzidentkontrolle verwirft, obwohl das Rechtsmittelgericht, welchem die Prüfungskompetenz über die Gewaltschutzanordnung gesetzlich zugewiesen ist und dem mehr Sachnähe und Sachverstand zugetraut werden darf, die Gewaltschutzanordnung bestätigt. In diesem Fall versagte das Strafrecht der Anordnung seinen Schutz, obwohl sie weiterhin Gültigkeit beansprucht und von seinem Adressaten Gehorsam einfordert.190 Für den Gehorsam gegenüber strafbewehrten hoheitlichen Akten und den dahinter stehenden materiellen Sachinteressen bedeutet dies zweierlei: Im konkreten Fall tritt die skurrile Situation ein, dass das durch die Schutzanordnung verfügte Ge- oder Verbot weiterhin besteht, der Betroffene hiergegen jedoch beliebig verstoßen kann, ohne entsprechende strafrechtliche Reaktionen fürchten zu müssen. Infolgedessen unterminiert das Strafgericht die hoheitliche Autorität des Gerichts beziehungsweise der Behörde, die den hoheitlichen Akt erlassen hat. Allgemein büßte die generalpräventive Pflichtenmahnung an Wirkungskraft ein, die durch die Strafbewehrung hoheitlicher Akte gerade ausgedrückt werden soll, weil der Normadressat weiß, dass der Verstoß gegen den hoheitlichen Akt allein keine strafrechtliche Sanktion nach sich zieht. Die teleologischen Gesichtspunkte streiten daher für einen Lösungsweg, der widersprüchliche Entscheidungen zwischen unterschiedlichen Gerichten vermeidet. Gewährleisten kann das, wer sich an die gesetzlichen Kontrollzuweisungen hält:191 Für die Überprüfung der Gewalt1004 BGB darstellen (vgl. hierzu MüKo-BGB/Krüger, § 1 GewSchG Rn. 11 ff.). BGHSt 59, 95 (105), erkennt dies zwar, leitet daraus aber die falschen Schlüsse ab. 190 Dies verkennt Heghmanns, Achenbach-FS, S. 117 (121 ff.), wenn er den Rechtsgüterschutz bezüglich materiell rechtswidriger Gewaltschutzanordnungen untersucht. 191 LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 33; Schenke, Wolter-FS, S. 215 (225); Sch/ Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16c. Damit ist auch die von MüKo-StGB/ Schmitz, Vor § 324 Rn. 90, aufgeworfene Frage ausgeräumt, warum „unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen ein größeres Problem sein sollten als eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der anschließend von einem Verwaltungsgericht aufgehoben wird“. Abgelehnt werden muss schließlich die Argumentation von Haaf, Fernwirkungen, S. 234 (240 ff.), der aus der fehlenden Kognitionsbehinderung des Strafrichters schließen will, dass nur rechtmäßige Verwaltungsakte strafbewehrt sind. Dabei geht er geht von einem ganz anderen Standpunkt aus und untersucht, ob die Rechtsnorm eine inhaltliche Bindungswirkung von Verwaltungsakten anordnen will. Er behauptet, es werde „bereits der zweite Schritt vor dem ersten getan“ (S. 234), wenn zunächst durch Auslegung ermittelt werde, ob auch rechtswidrige Verwaltungsakte mit Strafe bedroht sind. Seiner Meinung nach muss zuerst geprüft werden, ob eine Kognitionsbehinderung des Strafrichters hinsichtlich Verwaltungsakten besteht, denn in diesem Fall sei die Frage, ob auch rechtswidrige Verwaltungsakte strafbewehrt sind, hinfällig, weil der Strafrichter ohnehin an deren Inhalt gebunden ist. Dem kann nicht gefolgt werden, denn zunächst kommt es darauf an, welche Voraussetzungen der gesetzliche Tatbestand für die Strafbarkeit aufstellt. Die Diskussion um die mangelnde Prüfungskompetenz stünde im luftleeren Raum, wenn bereits aus den Strafgesetzen herzuleiten wäre, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte strafbewehrt sind. Selbst wenn der Gesetzgeber einerseits festlegte, dass nur rechtmäßige Verwaltungsakte strafbewehrt sind und andererseits dem Strafrichter keine Prüfungskompetenz zukäme, wäre zu über-
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schutzanordnung ist demnach ausschließlich das einschlägige Fachgericht zuständig, wohingegen es für den Strafrichter allein darauf ankommt, ob eine Anordnung vorliegt. Für das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht entspricht dem die Rechtmäßigkeitsprüfung des Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht; indessen kommt es für den Strafrichter wiederum nur auf das (wirksame) Vorliegen des konkreten Ge- oder Verbots an. dd) Verfassungskonformität Wenngleich in Teilen der Wortlaut, insbesondere aber systematische und teleologische Gründe dafür streiten, dass es auch für die Wirksamkeit des belastenden Verwaltungsakt im Strafrecht nicht auf dessen Rechtmäßigkeit ankommt, muss dieses Ergebnis der verfassungsrechtlichen Kontrolle standhalten. (1) Bestimmtheitsgrundsatz Die wenig konsistente Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt immerhin Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Auslegung mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) aufkommen. Zunächst schloss das Gericht allein aus der Formulierung eines gesetzlichen Tatbestands, dass der Strafrichter ein vollziehbares Verbot grundsätzlich als gegeben hinzunehmen habe.192 Diese Einsicht erfuhr bei der verfassungsrechtlichen Prüfung des Ordnungswidrigkeitentatbestands gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG eine überraschende Wendung.193 Da das Bundesverfassungsgericht weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien etwas darüber entnehmen konnte, ob nur die rechtmäßige Auflösungsverfügung oder bereits die Missachtung der Auflösungsverfügung sanktioniert werden soll, stützt das Gericht seine Rechtsansicht maßgeblich auf die Besonderheiten des Art. 8 GG, wonach nur die Zuwiderhandlung gegen die rechtmäßige Versammlungsauflösung strafbewehrt sei, was der Strafrichter eigenständig zu prüfen habe.194 Deshalb lässt die Entscheidung im Ausgangspunkt keine allgemeinen Schlüsse zu.195 Bedenken erwecken aber seine Bemerkungen zum Bestimmtheitsgrundsatz, mit dem es seine Entscheidung abschließend zu untermauern versucht,196 weil es damit allgemeingültige Kriterien legen, inwieweit über verfahrensrechtliche Instrumente (wie beispielsweise § 262 StPO) diese gesetzgeberische Entscheidung einem Ergebnis zugeführt werden könnte. Haafs Argumentation erschließt sich aber aus dem einfachen Grund, dass im Fall der Strafbewehrung rechtswidriger Verwaltungsakte sein Untersuchungsgenstand der Fernwirkungen zur Bedeutungslosigkeit verkäme. 192 Vgl. BVerfGE 80, 244 (256), zur Zuwiderhandlung gegen ein vollziehbares Vereinsverbot (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG). 193 BVerfGE 87, 399. 194 Hierzu BVerfGE 87, 399 (406 ff.). 195 Vgl. auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (217 f.). 196 BVerfGE 87, 399 (411).
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für alle Straftatbestände festschreibt. Demnach sei es dem Gesetzgeber nicht von vornherein verwehrt, Widersetzlichkeiten gegen behördliche Anordnungen unter Strafe oder Buße zu stellen, ohne dass es für deren Verhängung auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung ankommt. Sei dem Gesetz auch unter Berücksichtigung seiner Materialien eine dahingehende gesetzgeberische Entscheidung nicht zu entnehmen, dürfe die Ahndung nicht auf Fälle rechtswidriger Verfügungen ausgedehnt werden, sondern müsse sich auf Verstöße gegen rechtmäßige Verfügungen beschränken.197 Andernfalls scheint das Bundesverfassungsgericht davon auszugehen, dass der Normadressat nicht vorhersehen kann, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist, mit der Folge, dass eine entsprechende Rechtsanwendung über den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht.198 Nähme man das Bundesverfassungsgericht beim Wort, müssten die Strafgerichte Verwaltungsakte stets auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen, weil sich der Gesetzgeber – mit Ausnahme der vergleichbaren Situation in § 4 GewSchG (vgl. o.) – noch nie dazu veranlasst sah, ausdrücklich – oder wie das Bundesverfassungsgericht immerhin verlangt: „unzweideutig“ – zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts Stellung zu beziehen. Damit geböte der Bestimmtheitsgrundsatz stets eine Auslegung, wonach der verfügende Verwaltungsakt rechtmäßig sein muss. Zu überzeugen vermag diese Interpretation nicht, zumal das Bundesverfassungsgericht der dafür notwendigen Begründung schuldig bleibt.199 Unter den Leitlinien, die das Gericht selbst für den Bestimmtheitsgrundsatz aufstellte, ist das Judikat zu § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG vielmehr unhaltbar.200 Demnach liegt dem Bestimmtheitsgrundsatz eine freiheitsrechtliche und organisationsrechtliche Dimension zugrunde.201 Erstere dient dazu, den Bürger vor willkürlicher Bestrafung zu schützen. Er soll im Strafgesetz selbst ersehen können, welches Verhalten strafbar und welches Verhalten straflos ist. Um der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen, hat das Bundesverfassungsgericht das Problem des Gesetzgebers erkannt, wonach durch abstrakte Normsätze im Einzelfall zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt, und deshalb anerkannt, dass es in Grenzfällen ausreicht, dass immerhin das Risiko 197
BVerfGE 87, 399 (411), stets unter Bezugnahme auf die Versammlungsauflösung. BVerfGE 87, 399 (411). 199 Kritisch insoweit auch Heghmanns, Dogmatik, S. 313 f. 200 Vgl. auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (229), der kurzum zu dem Ergebnis kommt: „Einer näheren Prüfung hält diese Ansicht des BVerfG freilich nicht stand. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob sich diese Interpretation des § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG noch im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung hält. Der Wortlaut der Vorschrift enthält nämlich keinen Hinweis, dass sie sich nur auf rechtmäßige Auflösungsverfügungen bezieht. Ebenso bieten Systematik, Teleologie und Entstehungsgeschichte der Norm irgendwelche Anhaltspunkte für eine solche Restriktion.“ 201 Vgl. BVerfGE 71, 108 (114); 75, 329 (340 f.); BVerfG GRUR 2001, 266 (270); zu weiteren Erklärungsansätzen und dem ergänzenden Verhältnis Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 2 Rn. 30 ff.; jüngst Vogel, ZStW 2016, 139 (140 ff.). 198
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einer Ahndung erkennbar ist.202 Ausfüllungsbedürftige Strafgesetze, die die Zuwiderhandlung gegen einen erst zukünftig zu erlassenden Verwaltungsakt mit Strafe bewehren, hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erachtet, sofern die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Sanktion am Blankettgesetz mit hinreichender Deutlichkeit ablesbar sind.203 Hinsichtlich eines strafbewehrten Verwaltungsakts muss das Gesetz indes Typus und Regelungsumfang des Verwaltungsakts so weit festlegen, wie ein entsprechender Verstoß gegen die Verhaltenspflicht strafbewehrt sein soll.204 Die Erkennbarkeit und Voraussehbarkeit der Straf- beziehungsweise Bußgeldandrohung ist dabei aus Sicht des Normadressaten zu bestimmen. Für den Richter markiert der so verstandene Wortsinn die Grenze richterlicher Interpretation.205 Denn über die Strafbarkeit und deren Voraussetzungen – und hiermit ist die organisationsrechtliche Komponente beschrieben – entscheidet in einem demokratisch legitimierten Prozess nicht das Gericht, sondern allein der Gesetzgeber. Mit Blick auf Voraussehbarkeit und Erkennbarkeit der strafbaren Zuwiderhandlung gegen Verwaltungsakte ist dem Bürger mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise geholfen: der Bürger ersieht aus einem Strafgesetz, welches eine Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt unter Strafe stellt, dass er sich durch ebenjene Zuwiderhandlung einem Ahndungsrisiko aussetzt. Durch den verfassungsgerichtlich für notwendig erachteten Zusatz „Rechtmäßigkeit“ ändert sich daran faktisch überhaupt nichts, zumal der Bürger im Tatzeitpunkt nicht ersehen kann, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Sodann sieht sich das Bundesverfassungsgericht gar seinerseits dem Vorwurf ausgesetzt, das Strafgesetz unbestimmt auszulegen. Allenfalls dann, wenn dem Verwaltungsakt die Rechtswidrigkeit gewissermaßen „auf die Stirn geschrieben steht“, ist sie für den Bürger erkennbar; dem trägt das Verwaltungsverfahrensrecht bereits mit der Nichtigkeitsfolge (vgl. § 44 Abs. 1 VwVfG) Rechnung, die ebenso auf das Strafrecht durchschlägt.206 Im Übrigen erscheint die Korrektur des Bundesverfassungsgerichts äußerst bedenklich: erachtet das Bundesverfassungsgericht eine strafbewehrte Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt für zu unbestimmt, wenn der Gesetzgeber keine Aussage über das 202 Vgl. BVerfGE 71, 108 (115); 126, 170 (196 f.); BVerfG NVwZ 2012, 504 (505); vgl. Maunz/Dürig/Remmert, GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 92. 203 BVerfGE 14, 245 (252); 75, 329 (342); BVerfG GRUR 2001, 266 (270). 204 BVerfG NVwZ 2012, 504 (505). Insoweit geht auch die Kritik von Schall, NJW 1990, 1263 (1267), ins Leere, wonach Bedenken mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG bestünden, weil das Strafgesetz der Verwaltung zur Statuierung des strafrechtlichen Unrechts eine Definitionsmacht einräumte, die sich noch nicht einmal innerhalb der legislativen Vorgaben halten müsse (hiergegen auch Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 403). 205 BVerfGE 71, 108 (115); BVerfG GRUR 2001, 266 (271). 206 Zu den Folgen der verwaltungsverfahrensrechtlichen Nichtigkeit für das Strafrecht § 6 A. II.
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Erfordernis der Rechtmäßigkeit trifft, muss es diese Norm für verfassungswidrig und damit für nichtig erklären. Denn der „gesetzlichen“ Bestimmtheit (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) ist durch den judikativen Tatbestandszusatz „Rechtmäßigkeit“ nicht geholfen. Er findet keinerlei Stütze im Wortlaut der Norm und entspricht obendrein noch nicht einmal dem Willen des um Normklarheit bemühten Gesetzgebers, weil ebenjener ausweislich der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht feststellbar ist.207 Da das Bundesverfassungsgericht diese Konsequenz nicht gezogen hat, steht der Bestimmtheitsgrundsatz der Auslegung nicht entgegen. (2) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Pauschalisierend festgestellte Verstöße gegen das Prinzip der Gesetzmäßigkeit dringen ebenso wenig durch. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bindet die Verwaltung an die Regelungen, die der Gesetzgeber ihr vorgibt.208 Ein Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit ist von vornherein wenig überzeugend, denn die Strafbewehrung knüpft in diesem Fall an den Verwaltungsakt, der nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG) gegenüber seinem Adressaten wirksam ist. Wollte man nicht die verwaltungsverfahrensrechtliche Fehlerfolgenlehre selbst in verfassungsrechtliche Zweifel ziehen, was wenig erfolgversprechend erscheint,209 ist darin kein Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auszumachen. (3) Gewaltenteilungsprinzip und Richtermonopol Die straftatbestandliche Konkretisierung ist in gleichem Maße dem Vorwurf ausgesetzt, die Verwaltung betreibe bei einschlägigen Strafnormen durch den Erlass des Verwaltungsakts Rechtsanwendung, die im Strafrecht zum Kernbestand richterlicher Befugnis gehört und daher gegen Art. 92 GG verstößt.210 Insoweit bliebe der Verwaltung die Rechtsanwendung in Form Konkretisierung des unbestimmten Gesetzesrechts überlassen, ohne dass die Verwaltung dabei Gewähr für 207 Vgl. hierzu Vogel, ZStW 2016, 139 (159 f.); das Bundesverfassungsgericht nimmt in BVerfGE 126, 170 (197) nochmals Bezug auf BVerfGE 87, 399 und führt aus: „Allein die Tatsache, dass ein Gesetz bei extensiver, den möglichen Wortsinn ausschöpfender Auslegung auch Fälle erfassen würde, die der parlamentarische Gesetzgeber nicht bestraft wissen wollte, macht das Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn und soweit eine restriktive, präzisierende Auslegung möglich ist (vgl. BVerfGE 87, 399 [411]).“ Dieser Vergleich hinkt allein schon deswegen, weil der gesetzgeberische Wille offensichtlich nicht feststellbar war. 208 Siehe nur Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 1. 209 Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit: BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 43 Rn. 3; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 1b. 210 Perschke, wistra 1996, 161 (164), für den Fall des rechtswidrigen Verwaltungsakts.
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Unabhängigkeit und gleichmäßige Rechtsanwendung biete.211 Vor dem Hintergrund, dass der Richter noch nicht einmal an die vom Gesetzgeber durch Rechtsnorm festgelegte Verhaltenspflicht unabänderlich gebunden sei (vgl. Art. 100 GG), erscheine die Bindung des Strafrichters an den Verwaltungsakt als unerträgliche Aushöhlung des Rechtsprechungsmonopols.212 Der Einwand ist nur schwerlich mit der (schlechteren) Alternative zu entkräften, wonach die verwaltungsgesetzlichen Grundlagen ins Strafgesetz überführt würden, wodurch die Orientierungssicherheit des Bürgers noch mehr beschränkt würde.213 Zu widersprechen ist ihm aber gleichwohl, weil der Strafrichter keineswegs inhaltlich an den Verwaltungsakt gebunden ist, sondern nur an das Strafgesetz, welches bestimmt, strafrechtliche Folgen bereits an die (bloße) Existenz eines wirksamen Verwaltungsakts zu knüpfen.214 Mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz hat das Bundesverfassungsgericht entsprechende Regelungen gebilligt, sofern der verfolgte Zweck eine enge Verzahnung von Strafrecht und Verwaltungsrecht bedingt.215 Die Entscheidung darüber, inwieweit zur Durchsetzung von verwaltungsrechtlichen Anordnungen die Strafbewehrung erforderlich ist, stellt das Bundesverfassungsgericht in die Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers.216 Der Vergleich zur möglichen Normenkontrolle (Art. 100 GG) durch den Strafrichter, die aufzeigen soll, dass der Strafrichter noch nicht einmal an Rechtsnormen unabänderlich gebunden ist, geht von vornherein fehl, weil Art. 100 GG das Gegenteil zum Ausdruck bringt. Demnach hat der Strafrichter zwar das Prüfungsrecht über die Rechtsnorm inne, das Verwerfungsmonopol hingegen weist die Norm allein dem Bundesverfassungsgericht zu.217 (4) Rechtsweggarantie Die bloße Existenz des Verwaltungsakts als Voraussetzung der Strafbarkeit schließt den Strafrichter von der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Verwaltungsakts aus. Soweit die Sanktion ausschließlich an die Existenz des Verwaltungsakts knüpft und somit eine inhaltliche Überprüfung des Verwaltungsakts durch den Strafrichter von Gesetzes wegen nicht vorgesehen ist, steht dem ein effektiver Rechtsschutz, wie ihn Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verfassungsrechtlich ga-
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Vgl. Kühl, Lackner-FS, S. 815 (841). So Haaf, Fernwirkungen, S. 245. 213 So aber der Rechtfertigungsansatz von Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 35 f.; hierzu Kühl, Lackner-FS, S. 815 (839). 214 BVerfGE 80, 244 (256); Haaf, Fernwirkungen, S. 256; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 403 f.; im Ergebnis auch Kühl, Lackner-FS, S. 815 (845). 215 BVerfGE 80, 244 (256). 216 Vgl. BVerfGE 80, 244 (256). 217 Vgl. Maunz/Dürig/Dederer, GG, Art. 100 Rn. 9 ff. 212
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rantiert, nicht per se entgegen.218 Dem Strafrichter bleibt unbenommen, den Verwaltungsakt inhaltlich zu prüfen, doch interessiert das für die Strafbarkeit nicht, weil es tatbestandsmäßig irrelevant ist.219 Dabei weiß der Adressat des Verwaltungsakts in der Regel, dass er die Behördenentscheidung zu akzeptieren hat, solange er gegen diese selbst nicht vorgeht und sich trotzdem bewusst gegen sie auflehnt.220 Ohne weiteres verbleibt ihm die Möglichkeit, den Verwaltungsakt einer richterlichen Prüfung zu unterziehen, indem er den gesetzlich zugewiesenen Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten beschreitet (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das konkrete Klagebegehren, nämlich die Aufhebung des Verwaltungsakts, ist dabei klassische Aufgabe der Verwaltungsgerichte (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) und keine der Strafgerichte, die über die Tat und somit lediglich über den Verstoß gegen den existenten Verwaltungsakt zu urteilen haben.221 In Frage steht indes, ob der verwaltungsgerichtlich beschrittene Rechtsweg hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen effektiv ins Werk gesetzt werden kann, wenn die Verwaltungsgerichte dem Verwaltungsakt die Rechtswidrigkeit attestieren und ihn infolgedessen aufheben. Das Verfahrensgrundrecht erfordert nicht nur die theoretische Möglichkeit, jede staatliche Maßnahme, die in die Rechte des Bürgers eingreift, einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Vielmehr vermittelt es einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle,222 sodass das Streitbegehren eine vollständige Überprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erfährt.223 Folgen aus der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung keinerlei Konsequenzen für das Strafrecht, ist der Verwaltungsakt hinsichtlich seiner strafrechtlichen Folgen gegenüber der gerichtlichen Prüfung immun, was der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht gerecht würde. Bei den Untersuchungen über die dem Verwaltungsakt nachfolgenden Entscheidungen und Rechtsbehelfe ist dieser Belang unbedingt im Blick zu behalten.
218 Anders Haaf, Fernwirkungen, S. 259 ff.; Kühl, Lackner-FS, S. 815 (845); Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 70 f.; Steinhorst, Bedeutung der Rechtswidrigkeit, S. 184. 219 Vgl. SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 79 m.w. N. 220 Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 401; SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 78. 221 Vgl. BVerfGE 22, 21 (27); 80, 244 (252); vgl. auch E 87, 399 (411: „jedenfalls in Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der Versammlungsauflösung verwaltungsgerichtlich nicht geklärt ist [. . .]“). 222 BVerfGE 35, 263 (274); 129, 1 (20). 223 BVerfGE 15, 275 (282); 129, 1 (20); anders als das OLG Celle NJW 1977, 444, meint, kann allein aus der im Versammlungsrecht typischerweise kurzen Zeit zwischen Auflageerteilung und Veranstaltungstermin, innerhalb derer dem Betroffenen die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Schutz kaum möglich ist, nicht geschlossen werden, dass eine rechtswidrige Auflage strafrechtlichen Schutz nicht rechtfertige.
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3. Feststellende Verwaltungsakte Schließlich stellt sich auch bezüglich feststellender Verwaltungsakte die Frage, inwieweit es für deren strafbegründende Wirkung auf die Rechtmäßigkeit ankommt. Die einzig vorgefundenen Normen, die auf einen feststellenden Verwaltungsakt Bezug nehmen, stellen die §§ 85, 86, 86a StGB dar. Tatbestandsmäßig stellen sie darauf ab, dass der Täter die Vereinigungstätigkeit in gesetzlich näher definierter Weise fördert, obwohl die Vereinigung „unanfechtbar“ verboten oder „unanfechtbar“ festgestellt ist, dass die in Rede stehende Vereinigung Ersatzorganisation einer bereits verbotenen Vereinigung ist. § 20 VereinsG sanktioniert bereits das Aufrechterhalten der Vereinstätigkeit durch unterschiedliche Tathandlungen entgegen einem „vollziehbarem“ Verbot oder der „vollziehbaren“ Feststellung, dass es sich bei der Vereinigung um eine verbotene Ersatzorganisation handelt. Da bereits festgestellt wurde, dass der Regelungsgehalt des Vereinsverbots faktisch keine Unterschiede zum belastenden Verwaltungsakt aufweist,224 gelten die gleichen Grundsätze. Demnach ist auch für das feststellende Vereinsverbot die Rechtmäßigkeit strafrechtlich unbeachtlich.225 Dieses Ergebnis wird wiederum durch die Auslegung der Strafgesetze bestätigt. Der Wortlaut, sofern er von einer „vollziehbaren“ oder „unanfechtbaren“ Feststellung spricht, benutzt Attribute, die als Fachbegriffe des Verwaltungsverfahrensrechts auf ein rechtstechnisches Verständnis schließen lassen. Wie der Begriff „vollziehbar“ 226 weist das Wort „unanfechtbar“ darauf hin, dass es dem Gesetzgeber nicht auf die Rechtmäßigkeit des feststellenden Verwaltungsakts ankommt. Der Verwaltungsakt erreicht den Zustand der Unanfechtbarkeit unabhängig von seiner Rechtswidrigkeit, die von da an nicht einmal mehr gerichtlich überprüft werden kann.227 Auch systematische Gesichtspunkte deuten auf dieses Verständnis hin: § 3 VereinsG ermächtigt die zuständige Behörde festzustellen, dass die Zwecke oder Tätigkeiten eines Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Wenn § 85 Abs. 1 Nr. 2 StGB gerade darauf abstellt, dass der Verein, gestützt auf zwei Verbotsgründe – „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ und „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ –, verboten wurde, wäre es wider jeglicher Systematik anzunehmen, der Strafrichter könnte materiell noch einmal selbst prüfen, ob der Verein tatsächlich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen die Völkerverständigung agiert.228 Gerade das stellte die Behörde bereits fest. Folglich 224
Hierzu oben § 3 A. III. So auch MüKo-NebenstrafR I/Heinrich, § 20 VereinsG Rn. 23; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht, § 20 VereinsG Rn. 11. 226 Vgl. bereits oben § 6 A. III. 2. c) aa). 227 Vgl. nur Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 50 Rn. 8. 228 Die Rechtsprechung problematisiert dies nicht einmal, vgl. BVerfGE 80, 244 (255 f.); BVerwGE 55, 175 (178). 225
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hängt die Strafbarkeit nur von der Tatsache der Feststellung ab, nicht aber von deren materiell-rechtlicher Richtigkeit. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Der begünstigende Verwaltungsakt hat tatbestandsausschließende Wirkung, sofern er nicht verwaltungsverfahrensrechtlich nichtig ist. Anderes gilt nur dort, wo das Gesetz ausdrücklich ein Handeln aufgrund einer durch bestimmte Verhaltensweisen (i. d. R. Täuschung, Drohung, Bestechung, Kollusion) erlangten Genehmigung einem Handeln ohne Genehmigung gleichstellt und somit die Nichtigkeit für das Strafrecht explizit regelt. Außerstrafgesetzliche, insbesondere am materiellen Verwaltungsrecht orientierte Gründe vermögen die strafrechtliche Nichtigkeit nicht zu begründen, weil sie in Konflikt mit der verfassungsrechtlich garantierten Bestimmtheit geraten. Der belastende Verwaltungsakt hat strafbegründende Wirkung, sofern er nicht verwaltungsverfahrensrechtlich nichtig ist. Strafrechtliche Gründe vermögen auch beim belastenden Verwaltungsakt eine strafrechtsautonome Nichtigkeit des Verwaltungsakts nicht zu begründen. Hiergegen greifen weder strafrechtsspezifische noch verfassungsrechtliche Gründe durch. Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) bleibt jedoch im Blick zu behalten, dass sich das Sanktionenrecht nicht frei von jeder gerichtlichen Überprüfung machen kann, wenn es auf einen Verwaltungsakt Bezug nimmt. Bei der Auseinandersetzung um die strafrechtlichen Auswirkungen von Entscheidungen und Rechtsbehelfen, die dem ergangenen Verwaltungsakt nachfolgen, muss dies Berücksichtigung finden. Der feststellende Verwaltungsakt folgt dem belastenden Verwaltungsakt und zeitigt ebenfalls Wirkungen im Strafrecht, sofern er wirksam und nicht verwaltungsverfahrensrechtlich nichtig ist. IV. Spezialfall: Unionsrechtswidrige Verwaltungsakte und direkte Kollisionen des Verwaltungsakts mit Unionsrecht Aufgrund der vielfältigen durch das Unionsrecht geprägten Rechtsmaterien ist schließlich von Interesse, wie die Thematik im unionsrechtlichen Kontext erscheint. Dabei geht es an dieser Stelle um rein nationale Sachverhalte, mithin um Verwaltungsakte, die von einer deutschen Behörde erlassen werden, nur im Bundesgebiet wirken und noch nicht einmal zwingend dem indirekten Vollzug von Unionsrecht dienen.229 In Frage steht dabei, wie sich Verstöße gegen das Unions229 Zur Verwaltungsentscheidungsakzessorietät im europäischen und internationalen Kontext, s. unten § 12.
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recht auf den Verwaltungsakt und die daran anknüpfenden strafrechtlichen Sanktionen auswirken. Wie in der vorstehenden Untersuchung gezeigt, stellt das Strafrecht für seine Betrachtung nicht auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, sondern auf dessen Wirksamkeit ab. Daher ist für die folgende Untersuchung entscheidend, inwieweit ein Verstoß gegen Unionsrechts gegebenenfalls auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts durchschlägt. 1. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Der Einfluss des Unionsrechts auf das Handeln deutscher Behörden gilt selbstredend beim indirekten Vollzug des Unionsrechts, weil die maßgeblichen materiellrechtlichen Vorgaben dem Unionsrecht entstammen.230 Aber auch bei rein nationalen Rechtsmaterien sind die deutschen Behörden zumindest an die im europäischen Primärrecht verankerten Grundfreiheiten gebunden. Sowohl beim Vollzug nationalen Rechts als auch dem indirekten Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten findet regelmäßig das nationale Verwaltungsverfahrensrecht Anwendung.231 Entsprechend legt das nationale Recht die Verfahrensregeln über Wirksamkeit, Bestandskraft und entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten fest. Der Europäische Gerichtshof billigt mangels unionsrechtlicher Harmonisierungsmaßnahmen die nationalen Verfahrensausgestaltungen unter dem Vorbehalt, dass die Verfahrensregeln die Durchsetzung von Unionsrecht nicht ungünstiger ausgestalten als bei Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (sog. Äquivalenzgebot) und die Verfahrensregeln und Fristen die Verfolgung dieser Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (sog. Effektivitätsgebot).232 An der Gültigkeit, mithin also der Wirksamkeit des Verwaltungsakts, ändert der Verstoß eines Verwaltungsakts gegen Unionsrecht aufgrund der Verfahrensautonomie der Mitgliedsstaaten grundsätzlich nichts.233 Teils ist deshalb vom Vorrang der Verfahrensautonomie der Mitgliedsstaaten gegenüber dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts die Rede.234
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Vgl. Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 5 Rn. 50 ff. Zu den unterschiedlichen Arten der Vollziehung des Unionsrechts Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 5 Rn. 45. 232 EuGH NJW 1977, 495 (496); EuZW 1999, 565 (567 f.); NVwZ 2006, 1277 (1279); EuZW 2009, 852 (854); hierzu Niedobitek, VerwArch 2001, 58 (74 f.). 233 So im Ausgangspunkt auch EuGH EuZW 1999, 405 (406) mit insoweit zustimmender Anm. Schilling, EuZW 1999, 407 f.; vgl. BVerwG NVwZ 2007, 709 (710 f.); BFH NVwZ 2011, 253; FG Nürnberg BeckRS 2016, 125133; missverständlich insoweit Ruffert, in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 21, der die Wirksamkeit des Verwaltungsakts in Frage stellt, wenngleich er (wohl) den Anwendungsvorrang meint. 234 Vgl. Schilling, EuZW 1999, 407, der die Verfahrensautonomie als lex specialis zum Vorrang des Unionsrechts ansieht. 231
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2. Anwendungsvorrang des Unionsrechts vs. Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten? Fraglich ist indes, ob ein gegen Unionsrecht verstoßender Verwaltungsakt von deutschen Gerichten auch angewandt werden darf. Bei der naheliegenden Parallele zu unionsrechtswidrigen nationalen Gesetzen herrscht (inzwischen) Konsens darüber, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Kollisionsfall von europäischem und nationalem Recht zwar nicht zur Ungültigkeit der nationalen Norm, gleichwohl aber zu deren Unanwendbarkeit führt.235 Dies gilt sowohl bei direkten Kollisionen, wobei nationales und unionales Recht für denselben Sachverhalt unterschiedliche Rechtsfolgen anordnen („Kollision bei der Rechtsgewährung“), als auch bei indirekten Kollisionen, wobei nationales Recht die wirksame Anwendung des Unionsrechts verhindert („Kollision bei der Rechtsrealisierung“).236 Was für behördliche Einzelfallentscheidungen und mithin den deutschen Verwaltungsakt gilt, ist in der europarechtlichen Literatur hingegen teils unklar und umstritten. Indirekte Kollisionen sind für die vorliegende Betrachtung nicht von Interesse, weil dabei nicht der Verwaltungsakt selbst, sondern nur die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen in Konflikt mit Unionsrecht geraten und gegebenenfalls der Modifikation bedürfen.237 Problematischer erscheint die Situation dort, wo der sachliche Regelungsgehalt des Verwaltungsakts mit den europarechtlichen Bestimmungen kollidiert. In diesen Fällen wird teilweise dafür plädiert, den Anwendungsvorrang des Unionsrechts in aller Stringenz auch auf den Verwaltungsakt zu übertragen, mit der Folge, dass dieser bei einem Verstoß gegen Unionsrecht ebenfalls unanwendbar ist.238 Entsprechend argumentierte der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Ciola zur Anwendbarkeit einer österreichischen, konkret-individuellen und bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung. Sie verstieß gegen die Dienstleistungsfreiheit, weil sie dem Betreiber eines Boothafens bei Strafe untersagte, Bootsliegeplätze über ein bestimmtes Kontingent hinaus an nicht in Österreich ansässige Bootseigner zu vermieten.239 Der Europäische Gerichtshof stellte zunächst klar, dass der Rechtsstreit nicht das recht-
235 St. Rspr. seit EuGH LMRR 1964, 18; gebilligt durch BVerfGE 73, 339 (374 f.); hierzu und den verschiedenen Begründungsansätzen Ruffert, in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 16 ff. 236 Vgl. Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1 (3 f.); Niedobitek, VerwArch 2001, 58 (73 f.); Ruffert, in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 22. 237 Vgl. hierzu die Auflistung zu Modifikationen der verwaltungsprozessualen und verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausschlussfristen mit Nachweisen aus der Rechtsprechung bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 23. 238 So EuGH EuZW 1999, 405 (406 f.); zustimmend Niedobitek, VerwArch 2001, 58 (77 ff.); wenngleich missverständlich wohl auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 21. 239 EuGH EuZW 1999, 405.
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liche Schicksal des Verwaltungsakts selbst, sondern nur die Frage betreffe, ob ein solcher Verwaltungsakt bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Sanktion unangewendet bleiben müsse, weil er mit der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar ist.240 Das bejahte das Gericht aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionrechts. Die Ursache sah der Europäische Gerichtshof in der Bindung aller Träger der Verwaltung an den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, der sowohl Rechts- als auch Verwaltungsvorschriften erfasse, mithin sowohl generell-abstrakte als auch individuell-konkrete Verwaltungsentscheidungen.241 Andernfalls hinge der Rechtsschutz, der sich aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts ergibt, von der Art der entgegenstehenden Bestimmung des innerstaatlichen Rechts ab, was nicht zu rechtfertigen wäre.242 Aufgrund der direkten Kollision der sachlichen Regelung des Verwaltungsakts mit den Anforderungen der Grundfreiheit sei insoweit von einem Sonderfall auszugehen,243 bei dem letztlich kein Raum für nationale Rechtsinstitute wie der Bestandskraft verblieben, sodass das Argument der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten nicht durchgreife.244 Die Entscheidung sieht sich weniger wegen ihres Ergebnisses als vielmehr wegen ihrer Begründung heftiger Kritik ausgesetzt,245 wobei nicht weniger als die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten in Frage gestellt wird.246 Zumal völlig unklar bleibt, unter welchen Voraussetzungen eine direkte Kollision überhaupt besteht,247 die de facto die rechtsmäßigkeitsunabhängige Wirksamkeit von Verwaltungsakten durchbricht.248 240
EuGH EuZW 1999, 405 (406). EuGH EuZW 1999, 405 (407). 242 EuGH EuZW 1999, 405 (407). 243 Vgl. Weiß, DÖV 2008, 477 (480). 244 Niedobitek, VerwArch 2001, 58 (78); Ruffert, in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 21 (mit Fn. 60); Weiß, DÖV 2008, 477 (480). 245 Vgl. insbesondere Gundel, EuR 1999, 781 (786), der aufzeigt, dass der Sachverhalt ein Musterbeispiel für die Heranziehung des Effektivitätsgrundsatzes („Gebot der Mindesteffektivität“) zur Bewältigung der entgegenstehenden nationalen Anfechtungsfristen gewesen wäre. Insoweit war es dem Beschwerdeführer zur Zeit der Anfechtbarkeit der Verwaltungsentscheidung nicht möglich, sich auf die Dienstleistungsfreiheit zu berufen, weil Österreich zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied der Europäischen Union gewesen ist; Huber, Integration, § 9 Rn. 8 („Systembruch“); ablehnend auch die Anmerkung von Schilling, EuZW 1999, 407; kritisch Schoch, Europäisierung, S. 45. 246 Vgl. Schoch, Europäisierung, S. 45, der immerhin Zweifel anmeldet, ob dies noch mit der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zu vereinbaren ist. 247 Mutmaßend Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1 (3 f.): „Nicht notwendig ist, worauf unzureichend hingewiesen wird, dass die kollidierende EG-Norm einen Sachverhalt positiv regelt. Auch wo ein EG-Rechtsakt bestimmte Inhalte eines nationalen Rechtsakts oder den Erlass des Rechtsakts als solchen verbietet, liegt eine direkte Kollision vor, wenn der Inhalt des nationalen Rechtsakts oder dessen Erlass gegen das EG-rechtliche Verbot verstößt. Wichtige Anwendungsbereiche für inhaltliche Verstöße sind die EG-rechtlichen Diskriminierungsverbote, wie das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG, und die als Verbote formulierten Grundfreiheiten, wie die Warenverkehrsfreiheit in Art. 28 f. EG, die Niederlassungsfreiheit in Art. 43 I 1 EG und die 241
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3. Strafrechtliche Folgen Trotz der erheblichen Kritik muss davon ausgegangen werden, dass der Europäische Gerichtshof auch in Zukunft nationale Verwaltungsakte für nicht anwendbar erklärt, wenn sie materielles Recht offensichtlich verletzen.249 Dürfen Verwaltungsakte bei einer direkten Kollision mit Unionsrecht nicht angewandt werden, sodass rechtstatsächlich die Wirksamkeit von Verwaltungsakten (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG) durchbrochen wird, besteht bei der Beurteilung der Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte ausnahmsweise ein Rechtmäßigkeitszusammenhang, begrenzt auf eine direkte Kollision mit Unionsrecht. Denn dem Adressat wird noch nicht einmal abverlangt, gegen den Verwaltungsakt auf verwaltungsprozessualen Weg vorzugehen; vielmehr kann er ihn schlicht ignorieren und sich letztlich bei einer daran geknüpften Rechtsfolge – wie etwa der Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung – auf dessen Unanwendbarkeit berufen.250 Folglich obliegt dem Strafrichter insoweit ein Prüfungsrecht. Damit verliert der Verwaltungsakt als normkonkretisierendes Instrument seine vertrauensbildende Funktion, die dem Rechtsverkehr im Sinne der Rechts- und Verfahrensklarheit dient. Diese Folge wirft unweigerlich Fragen im Hinblick auf Vorsatz und Irrtum auf, denen später nachzugehen sein wird.251
B. Der Zeitpunkt der Verbindlichkeit des Verwaltungsakts Wenn bislang von der Wirksamkeit des Verwaltungsakts die Rede war, bezog sich diese ausschließlich auf die verwaltungsverfahrensrechtliche Besonderheit in der Fehlerfolge. Damit ist noch nichts darüber gesagt, von welchem Zeitpunkt an der regelnde Gehalt des Verwaltungsakts auf das Strafrecht durchschlägt.252 Denkbar sind für die strafrechtliche Anknüpfung drei Zeitpunkte. Erstens: Unmittelbar der Zeitpunkt, zu dem der Verwaltungsakt gegenüber seinem Adressaten wirksam, mithin verbindlich ist. Zweitens: Der Zeitpunkt, zu dem Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO keine aufschieDienstleistungsfreiheit in Art. 49 I EG. Aber auch allein der Erlass einer nationalen Regelung kann, unabhängig von ihrem Inhalt, zu einer Kollision führen. Beispiele liefern der Verstoß gegen das Beihilfeaufsichtsverfahren des Art. 88 III EG oder der Erlass technischer Vorschriften, ohne zuvor das dafür vorgesehene Verfahren einzuhalten.“ 248 Vgl. Brenner/Huber, DVBl 1999, 1559 (1565 f.); Epiney, NVwZ 2000, 36 (37); Schilling, EuZW 1999, 407; Weiß, DÖV 2001, 275 (277 f.), zeigt dies am Beispiel des Verwaltungsvollstreckungsrechts auf, mit der Folge, dass trotz Bestandskraft des Verwaltungsakts bei der Verwaltungsvollstreckung die Frage nach dessen Unionsrechtsmäßigkeit zu stellen ist; vgl. ders., DÖV 2008, 477 (479). 249 Frenz, Europarecht, Rn. 148; vgl. Weiß, DÖV 2008, 477 (487). 250 So folgerichtig Frank, ZÖR 2000, 1 (56). 251 Hierzu unten § 8. 252 Vgl. Arnhold, Strafbewehrung, S. 5.
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bende Wirkung haben und sodann die Voraussetzungen für die zwangsweise Durchsetzung des Verwaltungsakts vorliegen. Drittens: Der Zeitpunkt, zu dem der Verwaltungsakt unanfechtbar, also formell bestandskräftig wird.253 Diese Frage lässt sich für strafbewehrte, durch Verwaltungsakt verfügte Ge- und Verbote einerseits und tatbestandsausschließende begünstigende Verwaltungsakte andererseits nur zutreffend erörtern, wenn zunächst Klarheit darüber herrscht, wann der Verwaltungsakt im verwaltungsrechtlichen Sinne als verbindlich anzusehen ist. Zunächst sollen diese drei Zeitpunkte eine verwaltungsrechtliche Analyse erfahren, bevor sie strafrechtlichen Maßstäben unterworfen werden. I. Verwaltungsrechtliche Betrachtung 1. Die Verbindlichkeit als Primärwirkung des Verwaltungsakts Wie bereits dargestellt, wird der Verwaltungsakt infolge seiner Bekanntgabe äußerlich wirksam (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG), das heißt für den Bürger bindend, wenngleich die darin getroffene Regelung noch nicht relevant sein muss.254 Für den Eintritt der konkreten materiellen Rechtswirkungen ist vielmehr die innere Wirksamkeit maßgeblich. Sie geht regelmäßig mit der äußeren Wirksamkeit einher, kann aber beispielsweise aufgrund einer Bedingung oder Befristung hiervon abweichen, sodass letztlich aus dem Inhalt des Verwaltungsakts herauszulesen ist, wann die getroffene Regelung ihre Relevanz gegenüber dem Bürger entfaltet.255 Doch was meint die Relevanz der Regelung im Konkreten? Ist damit bereits die im Verwaltungsakt getroffene Regelung für seinen Adressaten in diesem Sinne bindend, dass der Hoheitsakt rechtlich verbindlich ist?256 Der Blick in die verwaltungsrechtliche Literatur und Rechtsprechung verheißt eine nur getrübte Sicht auf die relativ junge Problematik.257 Teils fallen die Begrifflichkeiten Bindungswirkung, Vollziehbarkeit oder Verbindlichkeit, ohne dass ihnen konkrete Aufga253 Zum problematischen Begriff der Bestandskraft Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 1011 Rn. 12 ff. 254 Siehe zur sog. äußeren Wirksamkeit nur BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 43 Rn. 10; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 5. 255 Zur inneren Wirksamkeit statt aller BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 43 Rn. 11 f.; ablehnend zur Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Wirksamkeit Baumeister, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 43 Rn. 8, wonach sich die Wirksamkeit als solche einzig nach § 43 VwVfG richte, die Rechtsfolge allein der Verwaltungsakt selbst bestimme; zur Bedingung vgl. auch VGH Mannheim VBlBW 2003, 445 (449). 256 Siehe zu der im Folgenden auch hier verwendeten Begriff „Verbindlichkeit“ bereits Ipsen, Verw 1984, 169 (171); so auch Seibert, Bindungswirkung, S. 160. 257 Dies liegt insbesondere daran, dass der Zustand des Verwaltungsakts in der Zeit zwischen Erlass und Bestandskraft für das Verwaltungsrecht lange Zeit von geringer Bedeutung war. Erst mit der Einführung gestufter Genehmigungsverfahren bei Großprojekten Mitte der siebziger Jahre hat die Frage um die Wirkungen des Verwaltungsakts im Zeitpunkt vor der Unanfechtbarkeit an Relevanz gewonnen, vgl. hierzu Seibert, Bindungswirkung, S. 170 ff.
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ben zugewiesen werden.258 Um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, ist zunächst zu klären, was der hier verwendete Begriff der Verbindlichkeit für die vorliegende Betrachtung genau erklären will. Im Grunde geht es um die schlichte Frage, in welchem Zeitpunkt der Verwaltungsakt seine Rechtswirkung entfaltet, der Bürger dem hoheitlichen Befehl unterworfen ist und ihn zu befolgen hat, weil er einer Gehorsamspflicht unterliegt. Kotulla beschreibt diesen Zustand als „die Durchsetzung des im Verwaltungsakt verkörperten Regelungsgehalts ohne Mittel des Verwaltungszwanges“.259 Während beim rechtsgestaltenden Verwaltungsakt weitestgehend Einigkeit darüber herrscht, dass die Gestaltungswirkung bereits mit der inneren Wirksamkeit einhergeht (so wird der Beamte mit seiner Ernennung zum Beamten und nicht erst mit deren Bestandskraft),260 ist sich die juristische Lehre beim befehlenden und feststellenden Verwaltungsakt hierüber uneinig. Ipsen stellt auf den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit ab.261 Im Weiteren sei der Adressat nur gebunden, wenn den Rechtsbehelfen gegen den Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung zukomme (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO). Diese „Gebundenheit“, so Ipsen, sei aber nicht mit der Verbindlichkeit im vorigen Sinne gleichzusetzen, da sie nicht endgültig wirke und daher nur ein Verbindlichkeitssurrogat darstelle. Bis zur Unanfechtbarkeit erhebe die Regelung nur den Anspruch der Verbindlichkeit für sich.262 Nach Martens beschränkt sich vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG die Wirkung des Verwaltungsakts zunächst auf die bloße Ingangsetzung einer Frist, innerhalb derer die bindende Wirkung durch Anrufung des Gerichts noch abgewendet werden könne.263 In die gleiche Richtung geht schließlich Renck264, der das Bestehen einer durch Verwaltungsakt festgesetzten Leistungspflicht davon abhängig macht, ob die Verwaltungsbehörde sie durch Vollstreckungszwang durchsetzen kann. Überzeugen 258 Vgl. Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (187); eingehend hierzu Ipsen, Verw 1984, 169 (170): „Statt des vielzitierten ,Labyrinths der Meinungen‘ erwartet uns vorerst ein Gestrüpp der Begriffe.“ 259 Kotulla, Verw 2000, 521 (525). 260 St. Rspr. BVerwGE 13, 1 (8): „Da die Entstehung, Änderung oder Vernichtung von Rechten oder Rechtsverhältnissen bereits kraft Äußerung des behördlichen Willensaktes eintritt, ist der Eintritt der Rechtsänderung in aller Regel von besonderen Vollziehungshandlungen weder abhängig noch als solcher bedürftig; insoweit trägt der rechtsgestaltende Verwaltungsakt seine Vollziehung ,gleichsam in sich‘“; E 129, 66 (70 f.); Seibert, Bindungswirkung, S. 174 m.w. N. 261 Ipsen, Verw 1984, 169 (173 f.); vgl. auch VGH München BayVBl 1976, 86; wohl auch Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188 f.); Renck, DÖV 1972, 343 (346). 262 Ipsen, Verw 1984, 169 (174); so wohl auch schon Bettermann, Jellinek-GS, S. 361 (378, 382 f.), der die rechtliche Kraft „fehlerfester“ Verwaltungsakte nur vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz (wohl Unanfechtbarkeit) gerechtfertigt sieht. 263 Martens, DVBl 1968, 322 (324); dagegen Seibert, Bindungswirkung, S. 174. 264 Renck, DÖV 1972, 343 (346).
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können diese Sichtweise im Ergebnis nicht, weil sie die Unterscheidung zwischen der Verbindlichkeit des Verwaltungsakts und seiner Vollstreckbarkeit nicht nachvollziehen265 und insoweit auf einem antiquierten justizhistorischen Verständnis vom Verwaltungsakt beruhen.266 Nach der überholten Anschauung vom justizförmigen Verwaltungsakt soll parallel zur Rechtskraft des Urteils auch der Verwaltungsakt erst mit seiner Bestandskraft Geltung erlangen.267 Dem wurde aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung von Urteil und Verwaltungsakt zu Recht eine Absage erteilt.268 Die unmittelbare Verbindlichkeit des Verwaltungsakts ist Ausfluss seines ihn strukturierenden Regelungssystems, wenngleich nicht unbedingt Folge seines Wesens.269 Wäre der Verwaltungsakt nicht bereits mit seinem Erlass verbindlich, stellt sich die Frage, wessen sofortige „Vollziehung“ (besser: Vollziehbarkeit) gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO überhaupt angeordnet werden soll; es kann sich dabei nur um die wirksame270 und mithin gegenüber dem Bürger verbindlich getroffene Regelung handeln. Die unglückliche
265 Vgl. insoweit exemplarisch Baumeister, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 43 Rn. 14, der die Vollziehbarkeit als „regelmäßige Folge eines wirksamen VA“ ansieht, jedoch erklärt, dass sie noch von besonderen Voraussetzungen wie z. B. der Unanfechtbarkeit oder der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit abhängig sei. Damit kann er aber nur die sofortige Vollziehbarkeit oder die Vollstreckbarkeit meinen, zumal er im Anschluss danach fragt, ob die aufschiebende Wirkung die Vollziehbarkeit oder die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmt. Zur rechtlichen Unterscheidung von Vollziehbarkeit (hier: Verbindlichkeit) und Vollstreckung Kortulla, Verw 2000, 521 (525). 266 Siehe hierzu die Auseinandersetzung bei Seibert, Bindungswirkung, S. 186 ff. 267 Coester, Rechtskraft, S. 36, deklariert den Staatsakt im Falle seiner Unanfechtbarkeit als „perfekt“: „[. . .] dann ist der Zustand erreicht, den man endgiltig nennt, d.h. der Zustand, in welchem der Staatsakt gilt, d.h. sich auswirkt. Der Ausdruck Entgiltigkeit spricht von der Geltung, nicht von der Gültigkeit des Staatsakts. Er bezeichnet den definitiven Eintritt der Geltung, also etwas ganz anderes als Gültigkeit.“ 268 Bettermann, Jellinek-GS, S. 361, der die Verwaltung andernfalls im Bett des Prokrustes wähnt; Merten, NJW 1983, 1993 (1995); Steinweg, Regelungsgehalt, S. 261 f.: „Jedoch verträgt sich ein auf die Unanfechtbarkeit hinausgezögerter Eintritt der intendierten Rechtsfolge des Verwaltungsaktes nicht mit der Zukunftgerichtetheit, die in Abgrenzung zur rechtsprechenden Tätigkeit die Verwaltungstätigkeit kennzeichnet“; in einem weiteren Zusammenhang Weyreuther, DVBl 1965, 281 (282): „Darin kommt im Grunde nur der Wesensunterschied zwischen der Verwaltung und der Rechtsprechung zum Ausdruck. Verwaltung ist Aktion, und nicht erst der Massenbetrieb unserer Tage bringt es mit sich, daß die (materielle) Richtigkeitsgewähr der des Verwaltungsverfahrens hinter derjenigen des – dafür umso schwerfälligeren – gerichtlichen Verfahrens nicht unerheblich zurückbleibt.“ 269 So aber Kalkbrenner, BayVBl 1976, 87, wonach die unmittelbare Wirkung bereits aus dem Begriff Verwaltungsakt („eine ausdrückliche Regelung im Gesetz, daß ein Verwaltungsakt auch verwirklicht werden darf, wäre ein Denkfehler“) folge; auch Vonficht, BayVBl 1972, 661: die Vollziehbarkeit des erlassenen Verwaltungsakts sei „eine Eigenschaft, die er von Haus aus hat. Sie besteht darin, dass Folgerungen aus dem Verwaltungsakt gezogen werden dürfen. Dürften sie das nicht, wäre der Verwaltungsakt nicht voll wirksam, also unvollkommen.“ 270 Brüning, Verwaltungsführung, S. 126, führt insbesondere auch § 43 VwVfG an, übersieht wohl aber, dass dieser im Ausgangspunkt nur die äußere Wirksamkeit meint.
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Wortwahl des Gesetzgebers, der die Ermöglichung seiner sofortigen Durchsetzung wegen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung meinte, kann darüber nicht hinwegtäuschen.271 Spiegelbildlich zeigt sich das an der durch § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO angeordneten Rechtsfolge von Widerspruch und Anfechtungsklage, wobei nicht die bloße Möglichkeit, sondern erst die tatsächliche Einlegung des Rechtsbehelfs die aufschiebende Wirkung herbeiführt272 und damit entweder die bereits bestehende Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts oder seine Wirksamkeit hemmt.273 Infolgedessen ist auch beim befehlenden Verwaltungsakt zwischen der Verbindlichkeit und seiner Vollstreckbarkeit zu differenzieren. Die Verbindlichkeit tritt unmittelbar mit der inneren Wirksamkeit des Verwaltungsakts ein. Demgegenüber ist der Verwaltungsakt erst vollstreckbar, wenn er unanfechtbar ist oder die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs entfällt (vgl. § 6 Abs. 1 VwVG, § 2 LVwVG BW274). Dass das hoheitliche Ge- oder Verbot in diesem Zeitpunkt noch nicht mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden kann, ändert an der Verbindlichkeit nichts. Sie tritt mit der Unanfechtbarkeit oder der sofortigen Vollziehbarkeit nur in ein neues Stadium ein, indem die bereits verbindliche Regelung nunmehr vollstreckbar wird.275 Dieses Ergebnis ist schließlich auch deshalb begrüßenswert, weil es eine gleichmäßige Behandlung von befehlendem, feststellendem und gestaltendem Verwaltungsakt gewährleistet.276 Der Eintritt der Verbindlichkeit des Verwaltungsakts mit seiner inneren Wirksamkeit ist die erste bemerkenswerte Feststellung für die später folgende strafrechtliche Betrachtung. 271 Vgl. hierzu Vonficht, BayVBl 1972, 661, der dafür plädiert, „Anordnung der sofortigen Vollziehung“ durch „Ausschließung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs“ zu ersetzen. 272 BayObLG BayVBl 1969, 328 (329); Kalkbrenner, BayVBl 1976, 87; vgl. auch Kopp, BayVBl 1972, 649 (650), der wie selbstverständlich davon ausgeht, dass der Bürger im Fall der aufschiebenden Wirkung das hoheitliche Gebot nicht zu beachten braucht, was im Umkehrschluss heißt, dass dies sehr wohl der Fall ist, wenn die aufschiebende Wirkung noch nicht ausgelöst ist. 273 Zu den umstrittenen Rechtsfolgen der aufschiebenden Wirkung unten § 7 A. 274 Dies gilt für das Verwaltungsvollstreckungsrecht aller übrigen Bundesländer entsprechend: Art. 19 Abs. 1 VwZVG BY, § 8 Abs. 1 VwVfG i.V. m. § 6 Abs. 1 VwVG (Bund), § 3 VwVG BB, § 11 Abs. 1 VwVG HB, § 3 Abs. 3 VwVG HH, § 2 VwVG HE, § 110 VwVfG i.V. m. § 80 Abs. 1 SOG MV, § 70 Abs. 1 VwVG i.V. m. § 64 Abs. 1 SOG NS, § 55 Abs. 1 VwVG NRW, § 2 LVwVG RP, § 18 Abs. 1 VwVG SL, § 2 VwVG SN, § 71 Abs. 1 VwVG i.V. m. § 53 Abs. 1 SOG ST, § 229 Abs. 1 LVwG SH, § 19 VwZVG TH. 275 Vgl. Beseler, Rechtskraft, S. 56; auch Berg, WiVerw 1982, 169 (177); Gerhards, NJW 1978, 86 (88); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 18: Der Verwaltungsakt „wird zwar einseitig erlassen, bindet aber zweiseitig. Die Verbindlichkeit, die sich aus der Rechtswirksamkeit ergibt, entsteht bereits mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Sie verfestigt sich mit der formellen Bestandskraft, da sie nun nicht mehr unter dem Vorbehalt erfolgreicher Anfechtung steht“. 276 Vgl. Seibert, Bindungswirkung, S. 174 f., der eine diesbezügliche Differenzierung für sachlich und dogmatisch nicht gerechtfertigt hält.
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2. Entfall der aufschiebenden Wirkung und die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage haben gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung, mit der Folge, dass sie die Wirksamkeit beziehungsweise Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts hemmen.277 In bestimmten Situationen erscheinen einschlägige öffentliche oder private (Dritt-)Interessen aber derart bedeutsam, dass das Suspensivinteresse des Einzelnen dahinter zurücktreten muss.278 Der Gesetzgeber zollt diesen Interessen Anerkennung, indem er unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfallen lässt. Das Gesetz unterscheidet dabei zwei Fallgruppen: In den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO spricht der Gesetzgeber Widerspruch und Anfechtungsklage antizipatorisch die aufschiebende Wirkung ipso iure ab, weil er diesbezüglich das öffentliche beziehungsweise private Drittinteresse abstrakt-generell höher wertet als das Suspensivinteresse des Rechtsschutzsuchenden.279 Für die strafrechtliche Betrachtung sind insbesondere Nr. 2 und Nr. 3 des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO von Relevanz: § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO erklärt sich vor dem Hintergrund der Funktionsfähigkeit des Staates, weshalb die aufschiebende Wirkung bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten entfällt.280 Schließlich entfällt die aufschiebende Wirkung in allen übrigen durch Landes- oder Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO.281 Anders verhält sich hierzu die Vorschrift des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Demnach kann die Behörde im Einzelfall die sofortige Vollziehung anordnen, wenn daran ein öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten besteht. Bereits aus dem Wortlaut erschließt sich, dass dieses Interesse nicht mit den Beweggründen übereinstimmt, die für den Erlass des Verwaltungsakts und damit auch dem gesetzgeberischen Interesse zur Schaf277
Zu den umstrittenen Rechtsfolgen der aufschiebenden Wirkung unten § 7 A. BT-Drs. 03/55, S. 39: „Andererseits ergeben sich im Gemeinschaftsleben Situationen, in denen mit Rücksicht auf die öffentlichen Interessen die Behörden Sofortmaßnahmen ergreifen müssen, ohne daß eine gerichtliche Entscheidung abgewartet werden kann. Es musste also zwischen dem Individualinteresse und dem öffentlichen Interesse ein tragbarer Ausgleich gefunden werden.“ 279 NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 140; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1134. 280 Siehe zum eingängigen Beispiel des Verkehrszeichens zuletzt nur BVerwGE 130, 383 (385). 281 Die Vorschrift sieht sich erheblicher rechtspolitischer Kritik ausgesetzt, weil sie den Gesetzgebern ermöglicht, den praktikablen Rechtsbehelf des Widerspruchs mehr und mehr zurückzudrängen (vgl. Kortulla, Verw 2000, 521 [540]; M. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 18b, der von einer umfassenden Kompetenz zur Beseitigung der aufschiebenden Wirkung spricht; krit. auch Schoch, in: Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, § 80 Rn. 178), wovon er regen Gebrauch macht (s. hierzu die Auflistung bei NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 71). 278
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fung der Ermächtigungsnorm sprechen. Vielmehr muss ein spezifisches Interesse am sofortigen Vollzug vorliegen.282 Unabhängig davon, ob die aufschiebende Wirkung aufgrund gesetzlicher (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO) oder behördlicher Anordnung (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) entfällt, schafft die sofortige Vollziehbarkeit die Voraussetzung für die Vollstreckbarkeit eines Verwaltungsakts, also dessen zwangsweiser Durchsetzung durch die Verwaltung.283 Die Vorleistungspflicht des Bürgers wird dadurch vertieft, weil er die Durchsetzung des hoheitlichen Willens nicht mehr eigenhändig – allein durch Erhebung von Widerspruch und Anfechtungsklage – hemmen kann, sondern vielmehr die Hilfe des Gerichts gemäß § 80 Abs. 5 VwGO oder der Behörde gemäß § 80 Abs. 4 VwGO in Anspruch nehmen muss.284 3. Die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts Die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts tritt im Einzelnen ein, wenn Rechtsbehelfsfristen (vgl. §§ 70, 74 VwGO [ggf. i.V. m. § 58 Abs. 2 VwGO]) abgelaufen sind, eine Anfechtungsklage formell rechtskräftig abgewiesen wurde, ein Gesetz die Unanfechtbarkeit anordnet oder Rechtsbehelfe auf sonstige Weise verwirkt wurden.285 Folglich kann der Inhalt des Verwaltungsakts ab dem Zeitpunkt, zu welchem er in das Stadium der Unanfechtbarkeit eintritt, nicht mehr durch Rechtsbehelfe in Frage gestellt werden.286 Hinsichtlich seines Inhalts kommt der Unanfechtbarkeit nur noch insoweit eine Rolle zu, als sie ebenfalls die vollstreckungsrechtliche Durchsetzbarkeit ermöglicht (§ 6 Abs. 1 VwVG, § 2 LVwVG BW). Diesbezüglich beruht die Durchsetzbarkeit im Gegensatz zur Anordnung des Sofortvollzugs nicht auf einer besonderen Dringlichkeit, sondern allein auf der Tatsache, dass Rechtsbehelfe gegen den Verwaltungsakt ausgeschlossen sind, letztlich also auf dem Gedanken des Rechtsfriedens. II. Strafrechtliche Betrachtungsweise Beruhend auf diesem verwaltungsrechtlich komplexen Regelungsgefüge, steht das Strafrecht vor der Frage, welcher der für das Strafrecht maßgebliche Anknüpfungszeitpunkt ist. Wiederum erscheint eine Unterscheidung zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten aufgrund ihrer unterschiedlichen Stoßrichtungen praktikabel. Auch die unterschiedlichen gesetzgeberischer For282 BVerfGE 35, 382 (402); 38, 52 (59); OVG Lüneburg DVBl 1976, 81 (82); Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 43 ff.; NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 85; Schäfer, DÖV 1967, 477 (479); Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 152. 283 Vgl. § 6 VwVG. 284 Vgl. Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 80 f. 285 Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 50 Rn. 9. 286 Vgl. Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 50 Rn. 8.
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mulierungen deuten möglicherweise auf ein differenzierendes Verständnis, was § 330d StGB exemplarisch veranschaulicht: während beim ungenehmigten Handeln (§ 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB) auf eine (bloße) „Genehmigung“ abgestellt wird, ergibt sich die verwaltungsrechtliche Pflicht gemäß § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB aus einem „vollziehbaren“ Verwaltungsakt. 1. Tatbestandsausschließende behördliche Genehmigung Stellt der Gesetzgeber ein ungenehmigtes Handeln unter Strafe, entfällt der Tatbestand, wenn eine Genehmigung erteilt wurde. Die Frage nach dem Zeitpunkt, zu welchem die tatbestandsausschließende Wirkung konkret eintritt, richtet sich danach, wann der Verwaltungsakt dem Bürger gegenüber verbindlich das zu genehmigende Verhalten gestattet. In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsrecht, welches die Verbindlichkeit auf den Zeitpunkt der – regelmäßig mit der Bekanntgabe (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG) einhergehenden – (inneren) Wirksamkeit datiert, folgt hieraus für das Strafrecht, dass der bereits wirksam genehmigende Verwaltungsakt tatbestandsausschließende Wirkung hat.287 Andernfalls wäre tatsächlich die Einheit der Rechtsordnung gestört: Pönalisierte der Strafgesetzgeber ein Handeln aufgrund fehlenden Genehmigung, welches das Verwaltungsrecht bereits als genehmigt ansieht, entsteht unweigerlich eine Rechtskonkurrenz. Dies aber gilt es im Wege der Auslegung zu vermeiden,288 was unproblematisch möglich ist, indem man der Genehmigung ebenjene Wirkweise auch im Strafrecht belässt, die ihr vom Verwaltungsverfahrensrecht mit auf den Weg gegeben wurde.289
287 Dies entspricht hinsichtlich des begünstigenden Verwaltungsakts (wohl) allgemeiner Meinung, soweit er unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit als strafrechtlich beachtlich angesehen wird: Horn, NJW 1981, 1 (2); Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 331; Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 101; LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 31; Lenckner, Pfeiffer-FS, S. 27 (34); NK-StGB/ Ransiek, Vor §§ 324 ff. Rn. 48; Rengier, ZStW 1989, 874 (892); Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 112; Sens, wistra 2014, 463 (466); SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 73. Sofern teils missverständlich mit dem Begriff der „Bestandskraft“ argumentiert wird, bleibt unklar, ob damit die Wirksamkeit oder die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts gemeint ist (vgl. Dolde, NJW 1988, 2329 [2332 f.]; Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 16a; aufgrund der Verweise ist davon auszugehen, dass auch sie die verwaltungsverfahrensrechtliche Wirksamkeit meinen). Zum ungewöhnlichen Fall, wobei der Betroffene die Bekanntgabe des ihn begünstigenden Genehmigungsbescheids selbst verhinderte, OLG Jena NStZ-RR 1997, 315, das berechtigterweise keine Ordnungswidrigkeit annimmt, da die formalen und materiellen Kontrollfunktionen allesamt erfüllt sind. 288 Vgl. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 30 ff. 289 Anderes gilt freilich dort, wo der Gesetzgeber eine strafrechtsspezifische Regelung getroffen hat, wie etwa im Zusammenhang mit fraudulös erlangten Genehmigungen, vgl. oben § 6 A. III. 1. b).
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2. Belastende Verwaltungsakte Wer bei der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt auf größtmögliche Rechtssicherheit trachtet, muss folgerichtig auf seinen zweifelsfreien Bestand, mithin seine Unanfechtbarkeit abstellen.290 Einem vorherigen Straferkenntnis könnte entgegnet werden, dass ihm durch einen den anfechtbaren Verwaltungsakt ändernden oder aufhebenden Verwaltungsakt der übergeordneten Verwaltungsbehörde oder durch eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung die rechtliche Grundlage nachträglich noch entzogen werden könnte.291 Zwar bietet eine solche Sichtweise dem Befehlsadressaten beste Möglichkeiten, seine Rechtsbehelfe umfassend auszuschöpfen, ohne zuvor einem Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt zu sein. Gleichzeitig schränkt sie die Anwendbarkeit der Strafnormen aber weitgehend ein292 und widerspricht den Vorzügen des behördlichen Handelns, welches maßgeblich durch Effektivität geprägt ist. Entsprechend unterliegt der Bürger dem Handlungsgebot bereits mit Erlass des Verwaltungsakts, sodass das Strafrecht seiner flankierenden Funktion grundsätzlich ab dem Zeitpunkt seiner inneren Wirksamkeit nachkommen kann. Gestärkt sieht sich diese Annahme dadurch, dass entsprechende Straftatbestände den Pflichtverstoß gegen den hoheitlichen Gehorsam sanktionieren. Der Schluss liegt daher nahe, dass die Strafbarkeit ab dem Zeitpunkt eintritt, zu dem der Verwaltungsakt gegenüber seinem Adressaten verbindlich den Gehorsam einfordert; folglich dem Zeitpunkt seiner inneren Wirksamkeit.293
290 So noch BayObLGSt 1949, 513 (514) bezüglich der strafbewehrten ortspolizeilichen Anordnung bezüglich der Denkmalspflege; wohl auch OLG Celle MDR 1965, 598; vgl. auch OLG Oldenburg NJW 1966, 789, das bzgl. der strafbewehrten Nichtbefolgung eines Einberufungsbescheids auf die „Rechtskraft“ (richtigerweise: Bestandskraft) und die damit einhergehende Bindung des Einberufungsbescheids abstellt. 291 Vgl. BayObLGSt 1949, 513 (514). 292 Vgl. BayObLG VRS 1968, 195 (199). 293 So im Ergebnis: OLG Hamburg MDR 1968, 1027, bezüglich § 123 StGB, bei einem durch Verwaltungsakt verfügten Hausverbot: „Auch wenn der mit dem Hausverbot dem Angeklagten gegenüber erlassene Verwaltungsakt infolge der fehlenden Rechtsmittelbelehrung zunächst nicht rechtskräftig werden konnte, so war er doch, da Nichtigkeitsgründe nicht ersichtlich sind, rechtmäßig und für den Angeklagten verbindlich. [. . .] Damit steht fest, dass der Angeklagte am 23.06.1967 widerrechtlich handelte, als er die Bedürfnisanstalt betrat“; auch (bzgl. des Umweltstrafrechts) OLG Stuttgart NJW 1977, 1408, hinsichtlich eines Einleitungsverbots für Abwässer: „Denn da es für die strafrechtliche Unbefugtheit des Einleitungsverbots lediglich auf seine materielle Tatbestandswirkung und nicht auf seine (davon zu unterscheidende) verwaltungsrechtliche Vollziehbarkeit und schon gar nicht auf die tatsächliche Vollstreckung etwa angedrohter Zwangsmaßnahmen ankommt, ist allein entscheidend, ab wann das Einleitungsverbot als verbindlich angesehen werden kann.“ Vgl. auch AG Bonn NJW 1967, 1480, wobei die Entscheidungen nach heutiger Verwaltungsrechtsdogmatik in Art und Weise ihrer Begründung nicht mehr repräsentativ ist, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen ein Verkehrszeichen nach heutigem Verständnis gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO (analog) keine aufschiebende Wirkung haben.
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a) Strafrechtsspezifische Verbindlichkeit Nachdem die Judikatur bezüglich der strafrechtlichen Verbindlichkeit lange Zeit wenig konsistent judizierte,294 bereitete der Bundesgerichtshof dem mit einer insoweit wegweisenden Entscheidung aus dem Jahr 1969 ein Ende.295 Auch er stellt im Ausgangspunkt auf die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit ab, spezifiziert diese aber für das Strafrecht:296 „Nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen kommt einem solchen Verwaltungsakt – von dem Falle seiner Nichtigkeit abgesehen – bereits mit seinem Erlaß unmittelbare Wirkung zu. Solange er nicht mit aufschiebender Wirkung angefochten worden ist, verpflichtet er den Betroffenen und kann er von der Verwaltungsbehörde vollzogen werden. Dies kann jedoch für die strafrechtliche Beurteilung nicht im gleichen Umfang gelten. Eine Übelsfolge als strafrechtliche Gegenwirkung gegen eine Zuwiderhandlung gebührt billigerweise nur demjenigen, der den Vollzug des gegen ihn gerichteten Verwaltungsakts ohne die Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe zunächst hinnehmen muß, dessen Zuwiderhandlung sich also als Ungehorsam gegen eine vollziehbare Verwaltungsanordnung darstellt. Die Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung für den Einzelfall kann deshalb erst und nur dann bestraft werden, wenn sie ohne Rücksicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels vollziehbar ist. Nur in einem solchen Fall, in dem es nicht dem Belieben des Betroffenen überlassen ist, zunächst die verwaltungsrechtliche Durchsetzung zu verhindern, kann eine erhebliche Pflicht zur Befolgung der Anordnung anerkannt werden. [. . .] Der Betroffene kann die Vollziehbarkeit der Anordnung vor ihrer Unanfechtbarkeit selbst nicht mehr beseitigen, wenn die Verwaltungsbehörde unter den Voraussetzungen von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ihre sofortige Vollziehung schriftlich angeordnet hat oder wenn die Anordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, weil die aufschiebende Wirkung im Falle der Anfechtung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwGO entfällt. In diesen Fällen muß dem Betroffenen zugemutet werden, der Anordnung bei Gefahr der Bestrafung nachzukommen, auch wenn noch nicht feststeht, ob eine Zuwiderhandlung letztlich das sachliche Recht verletzt, weil noch die Möglichkeit einer Aufhebung des Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht besteht. Das gebieten die berechtigten Bedürfnisse der staatlichen Ordnung, die auch Anliegen der Allgemeinheit sind und denen sich jeder einsichtige Bürger, der Ordnung und Sicherheit wünscht, beugen muß. Gerade § 80 Abs. 2 VwGO ist auf Durchsetzung und Sicherung dieser Belange ausgerichtet.“
Die Rechtsprechung hält seither an der straf- beziehungsweise ordnungswidrigkeitenrechtlichen Korrektur der verwaltungsverfahrensrechtlichen Verbindlich294 Dies insbesondere bezüglich der strafbewehrten Vorladung zum Verkehrsunterricht, wobei die Strafbarkeit nach herrschender Ansicht auf der merkwürdigen Konstruktion beruhte, wonach die Pflicht zur Teilnahme unmittelbar aus dem Verkehrsverstoß resultierte und die Vorladung nur noch eine diesbezügliche Bedingung darstellte (vgl. etwa BayObLGSt 1952, 250 [252]; 1962, 26 [30]; OLG Düsseldorf NJW 1965, 1093; BayObLG BayVBl 1969, 328 [329]). Zum strafbewehrten Verstoß gegen ein Verkehrszeichen BayObLG VRS 1968, 195. 295 BGHSt 23, 86. 296 Folgendes zitiert nach BGHSt 23, 86 (91 f.).
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keit fest.297 Die Literatur freundete sich mit dem Ergebnis weitgehend an oder nahm es kommentarlos hin.298 Das Merkmal der strafrechtlichen Verbindlichkeit erscheint gleichwohl zweifelhaft. Weniger dürften hiergegen verfassungsrechtliche Zweifel sprechen, die vereinzelt für die praktisch bedeutsamste Form bußbewehrter Verwaltungsakte, nämlich die der Verkehrszeichen, angemeldet wurden. Diese betrafen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil ihre sofortige Vollziehbarkeit aus der analogen Anwendung von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO resultiert.299 Diese Kritik greift nicht durch, weil die Analogie lediglich im Verwaltungsprozessrecht vollzogen wird und damit Vorfragen für das Strafrecht regelt, die von einer analogischen Rechtsbildung nicht generell ausgeschlossen sind.300 Hinterfragt werden muss jedoch, weshalb der Verbindlichkeitsmaßstab für das Strafrecht beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenrecht ein anderer als derjenige des Verwaltungsrechts sein soll. Dies zumal namhafte Stimmen die analoge Anwendung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO auf Verkehrszeichen in Frage stellen.301 Dringen sie damit durch, hätte dies nichts weniger zur Folge, als dass der Verstoß gegen Verkehrszeichen nicht mehr geahndet werden dürfte, solange der Gesetzgeber keine gesetzliche Abhilfe schafft. Die vom Bundesgerichtshof herangezogenen Gebote der Billigkeit und staatlichen Ordnung entbehren argumentativer Substanz.302 Betrachtet man die Ent297 Zum durch Verwaltungsakt verfügten Hausverbot: BGH NStZ 1982, 158; OLG Karlsruhe NJW 1978, 116; OLG Hamm MDR 1979, 516; OLG Hamburg NJW 1980, 1007 (mit zustimmender Anmerkung Oehler, JR 1981, 33). Zur bußbewehrten gaststättenrechtlichen Auflage: BayObLG 1971, 97 (104 f.). Zum Versammlungsrecht: OLG Stuttgart NJW 1989, 1870 (1872). Zum bußbewehrten behördlichen Auskunftsverlangen: OLG Hamm NJW 1980, 1476 (BaFöG); OLG Celle MDR 1987, 342; OLG Karlsruhe NStZ 1988, 416 (jeweils zum VolkszählungsG). Zum Ausländerstrafrecht: im Ausgangspunkt OLG Frankfurt a. M. StV 1988, 301 (302). Zum bußbewehrten Verstoß gegen Verkehrszeichen: KG NZV 1990, 441; OLG Hamm NStZ 2015, 44 (45) und hierzu Rebler, BayVBl 2017, 81 (84: „konsequent“); OLG Düsseldorf NStZ-RR 2015, 152 (hierzu ebenso Rebler, JuS 2017, 1178). Anders (bzgl. des Umweltstrafrechts) einzig OLG Stuttgart NJW 1977, 1408. 298 Arnhold, Strafbewehrung, S. 5 ff.; Dölling, JZ 1985, 461 (465); Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 406 ff.; Koehl, JA 2016, 610 (611); MüKoStGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 71; NK-StGB/Ransiek, § 321a Rn. 21; Odenthal, NStZ 1991, 418 (420); im Ergebnis auch Renck, DÖV 1972, 343 (346); Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 15; auch Sch/Sch/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, § 123 Rn. 20; SK-StGB/Schall, § 330d Rn. 31; wohl auch Thierfelder, DVBl 1968, 138 (140 f.); Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137 (2140); Wüterich, NStZ 1987, 106 (107). Zweifelnd immerhin Berg, WiVerw 1982, 169 (176 ff.); Schenke, Wolter-FS, S. 215 (220). 299 So Strauß, DAR 1970, 92 (93). 300 Zutreffend zu den bußbewehrten Verkehrszeichen Stern, Lange-FS, S. 859 (871); allgemein zur insoweit zulässigen Analogie MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 69. 301 Vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 35; differenzierend Schoch, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 150. 302 Vgl. Gerhards, NJW 1978, 86 (88): „Derartige Floskeln sollen zumeist ein Begründungsdefizit überdecken; so auch hier.“
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scheidung in ihrem Kontext, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Bundesgerichtshof wollte sich vor der heiklen Frage der Rückwirkung drücken, die sich durch eine nachträgliche Aufhebung des Verwaltungsakts stellte.303 Zuvor hatte das OLG Frankfurt a. M. entschieden, dass der zum zivilen Ersatzdienst Verpflichtete vom Vorwurf der Dienstflucht freizusprechen ist, wenn er dem von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Einberufungsbescheid nicht nachkommt, dieser aber im Verwaltungsgerichtsverfahren mit Wirkung ex tunc aufgehoben wird.304 Mit seinem Vorlegungsbeschluss fragte das Bayerische Oberste Landesgericht an, ob es an einer Verurteilung wegen Missachtung eines strafbewehrten Verkehrszeichens gehindert ist, wenn der Betroffene hiergegen das Widerspruchsverfahren und anschließend die Anfechtungsklage betreibt. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Lösung des Bundesgerichtshofs als scheinbarer Kompromiss zwischen strafrechtlicher Ahndung und verwaltungsrechtlicher Regulierung: Er bemächtigt sich einerseits der verwaltungsrechtlichen Wirksamkeit, um für die strafrechtliche Ahndung einen Anknüpfungspunkt zu gewinnen. Um andererseits dem Strafrecht eine irgendwie geartete Rückwirkung – infolge von Widerspruch, Anfechtungsklage oder Aufhebung – zu ersparen, verschiebt er die strafrechtliche Verbindlichkeit auf einen hiervon abweichenden Zeitpunkt nach hinten, wo sie sich einer (vermeintlich) sichereren Grundlage wähnt, von der aus es kein Zurück mehr zu geben scheint. In dieser Konsequenz führt der Bundesgerichtshof aus:305 „Der so verstandenen Verbindlichkeit einer Anordnung kommt für die Mißbilligung der Zuwiderhandlung unmittelbare und entscheidende Bedeutung zu. Sie ist Teil des strafrechtlichen Tatbestandes. Nur wenn sie im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung gegeben ist, kommt ein tatbestandsmäßiges Handeln in Betracht. Hieraus ergibt sich aber andererseits, daß sie nur zur Tatzeit vorzuliegen braucht. Die Frage, ob eine Handlung mit Strafe bedroht ist oder nicht, ist – abgesehen von dem hier nicht gegebenen, in § 2 StGB geregelten Fall – ausschließlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Tat zu beurteilen. Der spätere Wegfall eines Tatumstands, der für die Verwirklichung des Straftatbestandes wesentlich war, vermag die bereits vollendete Zuwiderhandlung nicht zu beseitigen. Das gilt auch dann, wenn der Tatumstand rückwirkend entfällt. [. . .] Für die strafrechtliche Beurteilung einer Zuwiderhandlung gegen eine trotz eingelegten Rechtsbehelfs vollziehbare behördliche Einzelanordnung ergibt sich daraus, daß eine spätere rückwirkende Aufhebung des Verwaltungsakts durch ein verwal-
303 Diesen Eindruck teilt Schenke, Wolter-FS, S. 215 (220): „Der BGH vermag dies [die schwerlich überzeugenden Differenzierung zwischen verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Verbindlichkeit; Anm. d. Verf.] lediglich deshalb nicht zu erkennen, weil er sich bei seinen diesbezüglichen Bewertungen von der [. . .] unrichtigen Prämisse leiten lässt, dass die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen einen rechtswidrigen Verwaltungsakt durch dessen spätere rückwirkende gerichtliche Aufhebung niemals berührt werde.“ 304 OLG Frankfurt a. M. NJW 1967, 262; insoweit aber aufgegeben in OLG Frankfurt a. M. 1988, 301 (302). 305 Folgendes zitiert nach BGHSt 23, 86 (93 f.).
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tungsgerichtliches Urteil die bereits vollendete Verwirklichung des Straftatbestandes und die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung nachträglich nicht zu beseitigen vermag.“
Allein die Folgenbetrachtung erklärt aber nicht die strafbegründenden Voraussetzungen, die an einen Verwaltungsakt zu stellen sind. Die Ursache für das Ergebnis liegt gleichwohl für denjenigen auf der Hand, der sich die – eingangs dieser Arbeit dargelegten – grundlegenden Unterschiede zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht erneut vor Augen führt.306 Das zukunftsorientierte Verwaltungsrecht, welches ausgehend von gesetzlichen Zielen und Zwecken auf die Zukunft gerichtete planerische Entscheidungen zulässt, trifft auf das vergangenheitsbewältigende Strafrecht, welches für gewöhnlich auf einen abgeschlossenen, in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt reagiert. Die Friktionen zwischen verwaltungsrechtlicher actio und strafrechtlicher reactio löst der Bundesgerichtshof auf, indem er das Verwaltungsrecht für die Zwecke des Strafrechts verstetigt. b) Kritik Mit dem Erfordernis einer strafrechtlichen Verbindlichkeit, die sich danach richtet, ob der Verwaltungsakt „ohne Rücksicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels“ vollziehbar ist, hat der Bundesgerichtshof mehr Fragen aufgeworfen als zur Klärung undurchsichtiger Rechtsfragen beizutragen. Dogmatische Gründe für den von der verwaltungsrechtlichen Verbindlichkeit abweichenden strafrechtlichen Verbindlichkeitsbegriff führt er nicht an:307 Der Verwaltungsakt ist mit dem Eintritt der (inneren) Wirksamkeit für den Bürger verbindlich. Die dem Verwaltungsakt immanente Befolgungspflicht besteht demnach unabhängig vom Entfall der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 VwGO. Versteht man die Straftatbestände als Ungehorsam gegenüber hoheitlichen Befehlen zum Schutz der dahinter stehenden Rechtsgüter, liegt es im Ausgangspunkt viel näher, die strafrechtliche Verbindlichkeit an die verwaltungsrechtliche Verbindlichkeit des Verwaltungsakts zu knüpfen. Eine irgendwie geartete gesteigerte Verbindlichkeit („erhebliche Pflicht zur Befolgung“) tritt weder im Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit noch bei Entfall der aufschiebenden Wirkung (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO) ein; denn eine solche gibt es verwaltungsrechtlich nicht. Berg entdeckt auf seiner Spurensuche nach möglichen Erklärungen indes nur praktische und psychologische Gründe.308 Mitunter stellt er auf die Rechtsbestän306
Dazu oben § 5. So auch Berg, WiVerw 1982, 169 (177); vgl. Gerhards, NJW 1978, 86 (88); Schenke, Wolter-FS, S. 215 (219). 308 Zu Letzteren Berg, WiVerw 1982, 169 (179): „Die merkwürdige, rechtlich durch nichts zu begründende Gleichsetzung von sofortiger Vollziehbarkeit und Strafbarkeit in der Rechtsprechung der Strafgerichte mag auch damit zusammenhängen, daß sich für den in anderen Kategorien denkenden Strafrichter die besonderen Funktionen des Verwaltungsakts nur schwer erschließen“; ebenso Gerhards, NJW 1978, 86 (88): „Die Ge307
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digkeit ab, wonach ein Verwaltungsakt, der noch nicht vollstreckt werden kann, erfahrungsgemäß anfälliger für eine Aufhebung im Rechtsschutzverfahren sei, weil die Verwaltung die zusätzlichen Vollstreckungsvoraussetzungen noch nicht geprüft und bejaht habe.309 Falsifizierbar ist diese Aussage jedoch nicht. Überdies ist die Konnexität zwischen der behördlichen Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen und der Anfälligkeit des Verwaltungsakts für seine Aufhebung im Rechtsschutzverfahren durchaus in Frage zu stellen. Denn in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung von vornherein ipso iure, sodass eine (zusätzliche) Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit ohnehin nicht stattfindet. Auch im Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO dürfte die Behörde den Verwaltungsakt faktisch kaum noch einmal auf seine Rechtmäßigkeit, die den Verwaltungsakt einzig anfällig für eine Aufhebung macht, prüfen. Denn die Anordnung des Sofortvollzugs beruht auf einer Interessenabwägung, wobei die Behörde das Suspensivinteresse des Einzelnen gegen das spezifische Interesse am Sofortvollzug aufwiegt.310 Durch die gesteigerte Rechtsbeständigkeit des Verwaltungsakts lässt sich die strafrechtsspezifische Verbindlichkeit nicht erklären. Mit seiner eigenständigen Definition der strafrechtlichen Verbindlichkeit („Vollziehbarkeit ohne die Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe“) bestraft der Bundesgerichtshof im Ergebnis den Ungehorsam gegenüber einer vollstreckbaren Verwaltungsanordnung, wofür die Unanfechtbarkeit beziehungsweise der Nichteintritt oder Wegfall der aufschiebenden Wirkung alternativ Voraussetzung sind.311 Damit bedarf es für die Strafbarkeit einer solchen durch Verwaltungsakt begründeten Pflicht, welche die Verwaltung selbst durchzusetzen imstande ist.312 genansicht verkennt den Unterschied zwischen der (auch für den Strafrichter verbindlichen) Regelungsfunktion des Verwaltungsaktes und der (verwaltungsvollstreckungsrechtlichen) Titulierungsfunktion der vollziehbaren Anordnung, die in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung ist.“ 309 Berg, WiVerw 1982, 169 (178); so auch Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen, S. 124. 310 Zu diesen Voraussetzungen oben § 6 B. I. 2. 311 Hierzu oben § 6 B. I. 2. und 3. 312 Vgl. VGH München NJW 2006, 2282: Die Gemeinde hatte gegenüber dem Antragsteller eine Räum- und Streupflicht ohne deren sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Nachdem der Antragsteller Widerspruch eingelegt hatte, wies in die Gemeinde auf eine entsprechende Bußbewehrung hin. Das Gericht sah darin einen faktischen Vollzug des Verwaltungsakts (S. 2283): „Damit hat der Ag. dem Ast. mit einem ähnlichen, der Wirkung von Zwangsgeld i. S. von Art. 31 BayVwZVG letztlich vergleichbaren Übel gedroht, um die auferlegten Verhaltenspflichten durchzusetzen“; ähnlich Dölling, JZ 1985, 461 (464): „[. . .] scheint das Strafrecht bei der Pönalisierung von Verstößen gegen Untersagungsverfügungen allein der Durchsetzung von einzelfallbezogenen Anordnungen zu dienen“; Renck, DÖV 1972, 343 (346): „Da folglich eine Leistungspflicht des Betroffenen zum festgesetzten Unterrichtszeitpunkt nicht bestand, die die Verwaltungsbehörde durch Vollstreckungszwang hätte durchsetzen können, geht es nicht an, das Ausbleiben des Verkehrssünders strafrechtlich zu sanktionieren“; zustimmend Vonficht,
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Dies mag auf den ersten Blick überzeugen, weil die strafrechtliche Sanktion als Folge des Ungehorsams der Verwaltungsvollstreckung verwandt scheint.313 Ausgehend von diesem Verständnis wäre die Einheit der Rechtsordnung gestört, wenn die Nichtbefolgung eines Verwaltungsakts bereits Strafsanktionen nach sich zöge, ohne dass die Durchsetzung mittels Verwaltungszwang zu diesem Zeitpunkt bereits möglich ist und gewissermaßen über das Strafrecht erzwungen wird.314 Bei genauerem Hinsehen liegt der Anbindung des Strafrechts an die Durchsetzbarkeit der verwaltungsrechtlichen Pflicht jedoch ein strafrechtliches Missverständnis zugrunde. Neben der Verwaltungsvollstreckung besteht weder ein Bedürfnis noch die Möglichkeit zur Durchsetzung des Verwaltungsakts durch strafrechtliche Sanktion, weil der Exekutive mit ihren Mitteln der Ersatzvornahme, des Zwangsgelds und des unmittelbaren Zwangs geeignete Instrumentarien zur Verfügung stehen und spezifische Verfahrensvoraussetzungen die Durchsetzung regeln.315 Die Vollstreckungsvoraussetzungen richten sich daher in erster Linie an die Exekutive und ermöglichen ihr die Durchsetzung des durch den Verwaltungsakt geäußerten Willens, indem sie den verfügenden Verwaltungsakt zum durchsetzbaren Vollstreckungstitel werden lassen.316 Die Durchsetzung in Form der Verwaltungsvollstreckung erfährt ihrerseits strafrechtlichen Schutz durch § 113 StGB, kann aber nicht selbst mit den Mitteln des Strafrechts erzwungen werden. Denn das Strafrecht als bloßes Repressionsinstrument ist zur Durch-
BayVBl 1972, 661 (662): „Es ist nämlich deswegen, weil die Bestrafung nicht ein bloßes Ziehen von irgendwelchen Folgerungen aus dem Verwaltungsakt, sondern ein Zwangsmittel zur Erzielung – wenn auch nur künftigem – Gehorsam und also wesensmäßig der Zwangsvollstreckung des Verwaltungsaktes sehr ähnlich ist, anzunehmen, daß Voraussetzung für eine Bestrafung nicht nur Vollziehbarkeit, sondern Vollstreckung des Verwaltungsakts ist.“ 313 Dies meint wohl Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 574, wenn er ausführt: „Der Verwaltungszwang durch Bestrafung hat eben unvergleichlich mehr fremdes (Rechts-)Blut in den Adern“; vgl. auch Thierfelder, DVBl 1968, 138 (139), der auf das „law enforcement“ abstellt, wonach Verwaltungsakte in der Praxis schlicht unter Hinweis auf die Strafbewehrung des Verstoßes (durch den Betroffenen selbst) „vollstreckt“ werden. 314 Wüterich, NStZ 1987, 106 (107): „[. . .] parallele Behandlung allerdings schon aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung geboten [. . .]“; ähnlich Ensenbach, Probleme, S. 78 ff., der dieses Ergebnis mit dem subsidiären Charakter des Strafrechts (ultima ratio) begründet; vgl. auch Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 166. Zum diesbezüglich zweifelhaften Argumentationstopoi einer einheitlichen Rechtsordnung, s. bereits oben § 5 D. II. 2. 315 Weber, ZStW 1980, 313 (324), sieht darin gar eine unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und Übermaßverbots bedenkliche Verdoppelung der Zwangsmittel. Zu den Zwangsmitteln im Allgemeinen Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 27 Rn. 3 ff.; Graulich, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, E. Rn. 820 ff., 852 ff. 316 Vgl. Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 27 Rn. 1 ff.
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setzung der Pflicht gar nicht im Stande.317 Der strafrechtlichen Einforderung kommt allenfalls eine zusätzlich sichernde, aber insoweit unbedeutende Funktion zu, die deshalb unabhängig von der verwaltungsrechtlich durchsetzbaren Pflicht zu sehen ist.318 Indem Rechtsprechung und Literatur die Sanktionsfolge für strafbewehrte Verwaltungsakte auf das rechtliche Fundament der Verwaltungsvollstreckung stellen, verwischen sie die Grenzen zwischen Erzwingung der Pflichterfüllung als klassischer Aufgabe des Verwaltungsrechts319 und der Ahndung des Pflichtversäumnisses als strafrechtlicher Kernkompetenz.320 Historisch wandelt die strafrechtsspezifische Verbindlichkeit auf dem Modell Goldschmidts vom „Verwaltungszwang durch Bestrafung“, der dem Verwaltungsstrafrecht infolgedessen „fremdes (Rechts-)Blut“ attestierte und es konsequenterweise dem Verwaltungsrecht zuordnete.321 Führt man sich vor Augen, dass die Verwaltung allgemein zur Vollstreckung jeglicher Verwaltungsakte befugt ist, das Strafrecht aber nur partiell gegenüber dem Adressaten den Gehorsam einfordert, spricht nichts dagegen, in diesen gesonderten Fällen die Strafbewehrung bereits an den verbindlichen Verwaltungsakt zu knüpfen, zumal damit das hinter der behördlichen Anordnung stehende Sachinteresse effektiver geschützt wird. Wiederum muss man sich die Unterschiede zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht in Erinnerung rufen: Während das Verwaltungsrecht allgemein die Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Pflicht der Verwaltung zuweist, appelliert das Strafrecht im Sinne des Rechtsgüterschutzes und jeweils rechtsgebietsbezogen an seinen Adressaten, diese Pflicht einzuhalten.322 Eine Konkordanz zwischen strafrechtlicher Sanktionierung und Verwaltungsvollstreckung ist deshalb keinesfalls zwingend, sodass weder die Ein317
Eingehend Weber, ZStW 1980, 313 (324 ff.). Insoweit zutreffend Lorenz, DVBl 1971, 165 f.; Schenke, Wolter-FS, S. 215 (219); vgl. auch Stoiber, Hausfriedensbruch, S. 170 f.: „Ob dieses Hausverbot bestandskräftig ist bzw. für sofort vollziehbar erklärt ist oder nicht, hat allein Bedeutung für die verwaltungsrechtliche Befolgungspflicht, nicht jedoch für die Rechtsgutsverletzung.“ 319 Vgl. Berg, WiVerw 1982, 169 (179): „Die merkwürdige, rechtlich durch nichts zu begründende Gleichsetzung von sofortiger Vollziehbarkeit und Strafbarkeit in der Rechtsprechung der Strafgerichte mag auch damit zusammenhängen, daß sich für den in anderen Kategorien denkenden Strafrichter die besonderen Funktionen des Verwaltungsakts nur schwer erschließen.“ 320 Vgl. Dohna, VerwArch 1925, 233 (237), allerdings bezüglich der Unterscheidung von Verwaltungs- und Kriminalstrafe: „Die eine will die Pflichterfüllung erzwingen, die andere die Pflichtversäumnis ahnden.“ 321 Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 574 (hierzu bereits oben § 4 A. II.). Hiergegen zu Recht Weber, ZStW 1980, 313 (315), mit kritischem Blick auf die aus seiner Sicht überspannte Bußgewalt: „Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist nicht mehr Verwaltungsstrafrecht Goldschmidt’scher Prägung, also nicht mehr präventives Verwaltungszwangsrecht, sondern seine Normen dienen einem echten Rechtsgüterschutz und regeln die staatliche Verhängung von Sanktionen wegen tatbestandsmäßig bestimmter rechtswidriger Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit liegen.“ 322 Vgl. oben § 5 B. 318
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3. Teil: Anforderungen an Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss
heit der Rechtsordnung noch das ultima-ratio-Prinzip für die Lösung des Bundesgerichtshofs fruchtbar gemacht werden können.323 Besonders deutlich tritt der fehlerhafte Maßstab einer gesonderten strafrechtlichen Verbindlichkeit des Verwaltungsakts am Beispiel des § 123 StGB zu Tage, weil er den Vergleich zur privaten Ausübung des Hausrechts ermöglicht. Wer die Zuwiderhandlung gegen das durch Verwaltungsakt verfügte Hausverbot nur für strafbewehrt hält, wenn es für sofort vollziehbar erklärt wurde,324 verlangt der Behörde mehr als dem privaten Hausrechtsinhaber ab, ohne dass hierfür ein triftiger Grund mit Blick auf das in Rede stehende Rechtsgut besteht: Denn das behördliche Hausverbot muss bereits eine Titelfunktion innehaben, sodass es zwangsweise durchsetzbar ist. Demgegenüber kommt hinsichtlich des privaten Hausrechts zu Recht niemand auf die Idee, seinen strafrechtlichen Schutz davon abhängig zu machen, dass der Private einen vollstreckbaren Unterlassungstitel erwirkt hat, den er zwangsweise vollstrecken kann (vgl. § 890 ZPO). Folgerichtig kann für die Ausübung des öffentlichen Hausrechts nichts anderes als für die Ausübung des privaten Hausrechts gelten.325 Dass es der Betroffene durch die Einlegung des Widerspruchs gegebenenfalls selbst in der Hand hat, ob seine Zuwiderhandlung strafbar ist oder nicht, ändert an der zunächst bestehenden Pflicht nichts. Vielmehr muss er den Widerspruch auch tatsächlich erheben, möchte er dem Strafbarkeitsrisiko entgehen.326 Auch soweit Straftatbestände an eine konkrete Gefährdung unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten anknüpfen (beispielsweise § 325a Abs. 2 StGB), ist nicht aus sich heraus verständlich, warum die Herbeiführung dieser konkreten Gefahr nur dann strafbar sein soll, wenn die Pflicht sofort vollziehbar ist und von der Verwaltung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann. Der Pflicht unterliegt der Bürger schon zuvor. Wenn er sie nicht befolgt und infolgedessen eine (konkrete) Gesundheitsgefahr herbeiführt, spricht im Ausgangspunkt nichts gegen die Sanktionierung, weil er 323
Anders Ensenbach, Probleme, S. 79; Wüterich, NStZ 1987, 106 (107). So aber die nahezu einhellige Meinung (auch sofern nur rechtswidrige Hausverbote für strafbewehrt gehalten werden): BGH NStZ 1982, 158 (159); OLG Karlsruhe NJW 1978, 116; OLG Hamm, Beschluss vom 21.12.1978 – 6 Ss 760/78 –, juris, Rn. 6; OLG Hamburg NJW 1980, 1007, mit zustimmender Anmerkung von Oehler, JR 1981, 33 f.; MüKo-StGB/Schäfer, § 123 Rn. 46; anders einzig OLG Hamburg MDR 1968, 1027. 325 Das erkennt im Ausgangspunkt auch Oehler, JR 1981, 33; ebenso Stoiber, Hausfriedensbruch, S. 170 f. 326 Wenig überzeugend anders Heghmanns, Dogmatik, S. 348 f.; auch Oehler, JR 1981, 33 (34): „Das heißt aber, daß er sich unter Umständen während der gesamten Anfechtungsfrist und damit während der ganzen ihm vom Gesetz eingeräumten Bedenkzeit dem Zwang ausgesetzt sieht, das Hausverbot nur deshalb anzufechten, weil er andernfalls bei einem Verstoß mit Bestrafung rechnen müßte. Aus dem Grunde erscheint es in der Tat überzeugender, die Strafbewehrung des Hausverbots erst dann durchgreifen zu lassen, wenn der Zuwiderhandelnde es ohne die Möglichkeit aufschiebender Rechtsbehelfe hinnehmen muß.“ 324
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keinen Gehorsam gegenüber der verwaltungsrechtlichen Pflicht zeigt und infolgedessen den dadurch bezweckten Schutz umgeht. Konsequenterweise kann schließlich bei den abstrakten Gefährdungsdelikten nichts anderes gelten, wenn die Strafbarkeit ausschließlich an die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt knüpft (vgl. etwa § 327 Abs. 1 StGB). Schließlich streiten auch die vom Bundesgerichtshof geäußerten Billigkeitserwägungen, wonach nur demjenigen Strafe gebührt, der den Vollzug des gegen ihn gerichteten Verwaltungsakts ohne die Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe zunächst hinnehmen muss, für kein anderes Ergebnis. Sie sind einerseits missverständlich, weil der Bundesgerichtshof zuvor selbst feststellte, dass der Verwaltungsakt nach verwaltungsrechtlichen Regeln bereits im Zeitpunkt seines Erlasses (genauer: seiner inneren Wirksamkeit [s. o.]) „vollziehbar“ ist. Folglich besteht eine Zuwiderhandlung, die sich als Ungehorsam gegen eine vollziehbare Verwaltungsanordnung darstellt, nach verwaltungsrechtlichem Verständnis bereits ab dem Zeitpunkt seiner inneren Wirksamkeit. Weitestgehend sind sie auch nicht billig, sofern man sich eines solch unbestimmten Maßstabs überhaupt bedienen will. Gelten kann dies einzig für Fälle, bei denen Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO zukommt. Unternimmt die Behörde weiter nichts, tritt die Strafbewehrung erst in Folge der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts ein.327 Billig kann dieses Ergebnis insoweit gelten, als die bloße verwaltungsrechtliche Verbindlichkeit noch keine Strafbarkeit auslöst, sie dem Betroffenen damit die Ausschöpfung seiner Rechtsbehelfe ermöglicht und die Strafbewehrung des Verwaltungsakt mit der Unanfechtbarkeit erst in einem Zeitpunkt eintritt, in dem er endgültig ohne die Rücksicht auf die Einlegung hemmender Rechtsbehelfe vollstreckbar ist. Freilich liefe eine Strafbarkeit, die nur die Zuwiderhandlung gegen den unanfechtbaren Verwaltungsakt mit Strafe bedroht, weitgehend leer (vgl. bereits o.). Für dieses scheinbar billige Ergebnis zahlt der Betroffene in den weitaus häufigeren Fälle einen hohen Preis: Ordnet die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit an (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) oder entfällt die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO), bedeutet die Strafbewehrung eine Rechtswegbeschneidung. Obwohl sich an der durch Verwaltungsakt verfügten Pflicht qualitativ nichts ändert, soll die Strafbewehrung den Adressaten sofort treffen, ohne dass Widerspruchsverfahren und Anfechtungsklage abzuwarten sind. Wenn mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG formuliert wurde, dass der verwaltungsgerichtlich beschrittene Rechtsweg nur effektiv ins Werk gesetzt werden kann, wenn der Ver-
327 Skurrile Folge dieser Lösung ist, dass eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung, welche die einmonatige Klage- (vgl. § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO) beziehungsweise Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO) zur einjährigen Ausschlussfrist (vgl. 58 Abs. 2 S. 1 VwGO) werden lässt (hierzu nur M. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 58 Rn. 15), unmittelbar Auswirkungen auf die Strafbarkeit hat.
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waltungsakt hinsichtlich seiner strafrechtlichen Folgen hiergegen nicht immun ist, wird der Bundesgerichtshof diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht,328 wenn er der spezifisch strafrechtlichen Verbindlichkeit auf Kosten jeglicher Rückwirkung das Wort redet. Hinterfragt man die beiden alternativen Voraussetzungen für den Ausschluss hemmender Rechtsbehelfe und mithin die Strafbewehrung, nämlich die Unanfechtbarkeit einerseits und die sofortige Vollziehbarkeit andererseits, erscheinen sie vor dem Hintergrund einer gleichmäßigen Bestrafung als überdies ungeeignet. Zwar taugen die Unanfechtbarkeit und der Ausschluss hemmender Rechtbehelfe nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO als Vollstreckungsvoraussetzungen. Als Grundlage gleichmäßiger Bestrafung vermögen sie hingegen nicht zu dienen, weil sie in Voraussetzung und Folge divergieren. Im Falle der Unanfechtbarkeit rechtfertigt sich die Vollstreckung des Verwaltungsakts allein aus dem Gedanke heraus, dass der Durchsetzung nichts mehr im Wege steht, weil der Pflichtige die Anfechtungsfrist versäumt oder den Anfechtungsprozess rechtskräftig verloren hat.329 Im Falle des Sofortvollzugs beruht die Vollstreckung darauf, dass ein besonderes Interesse an der sofortigen Durchsetzung besteht, welches entweder vom Gesetzgeber vordefiniert ist (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO) oder von der Verwaltung im Einzelfall als gegeben erachtet wird.330 Während der – vom Bundesgerichtshof beschworene – Ausschluss der „Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe“ im Fall der Unanfechtbarkeit auf dem Rechtsfrieden fußt, beruht er beim Sofortvollzug auf einem öffentlichen Interesse zur schnelleren Durchsetzung. Folglich ist der Ausschluss hemmender Rechtsbehelfe im Fall der Unanfechtbarkeit ein endgültiger, weil die aufschiebende Wirkung mangels Zulässigkeit von Widerspruchsverfahren und Anfechtungsklage niemals mehr eintreten kann. Hingegen greift der Entfall der aufschiebenden Wirkung nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 VwGO nur als ein vorläufiger Platz.331 Zwar tritt die aufschiebende Wirkung nicht mehr von Gesetzes wegen ein, gleichwohl kann nach Maßgabe des § 80 Abs. 4 VwGO verwaltungsbehördlicher und nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO verwaltungsgerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz eingeholt werden, wodurch die aufschiebende Wirkung
328 So auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (238); unzutreffend insoweit Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 406 mit Fn. 1656, unter Verweis auf BVerfGE 87, 399 (NJW 1993, 581 [583]), weil das Bundesverfassungsgericht für diesen Fall entschied, dass Verstöße gegen versammlungsrechtliche Auflösungsverfügungen nicht ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit sanktioniert werden dürfen (kritisch hierzu oben § 6 A. III. 2. c) dd) (1)). Dies steht aber im Widerspruch zu Kemmes – und auch der hier befürworteten – Lösung, die Strafbarkeit nicht von der verwaltungsrechtlichen Rechtswidrigkeit abhängig zu machen. 329 Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 27 Rn. 16. 330 Hierzu oben § 6 B. I. 2. 331 Vgl. hierzu Renck, DÖV 1972, 343 (344 f.); ders., BayVBl 1994, 161 (162).
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angeordnet beziehungsweise wiederhergestellt werden kann.332 Die Ausgangslage, welche zum Ausschluss hemmender Rechtsbehelfe führt, ist also sowohl mit Blick auf den dahinterstehenden Gedanken als auch ihrer Beständigkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine völlig andere. Diese Divergenzen werden für die Verwaltungsvollstreckung durch das einende Bedürfnis der Durchsetzung überwunden. Diesen Gedanken für das Strafrecht fruchtbar zu machen, überzeugt nicht, weil das Strafrecht eine andere Stoßrichtung einnimmt, wofür beim strafbewehrten belastenden Verwaltungsakt einheitliche Voraussetzungen gelten müssen. Die aufgezeigten Bedenken sprechen allesamt gegen eine gesonderte strafrechtliche Verbindlichkeit des Verwaltungsakts. Wenn das Strafrecht in seinem Gewand der Verwaltungsaktakzessorietät ein Pflichtversäumnis auf gleichmäßiger Grundlage ahnden will, muss auch bezüglich des Beginns der Strafbewehrung auf ein streng verwaltungsverfahrensrechtliches Verständnis abgestellt werden. Demnach machte sich im Ausgangspunkt strafbar, wer einem wirksamen Verwaltungsakt zuwiderhandelt. Zugegebenermaßen provoziert eine Strafbarkeit, welche strikt an die verwaltungsrechtliche Verbindlichkeit angebunden ist, unweigerlich einen Konflikt mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, ohne aber per se einen Verstoß zu begründen.333 Denn keinesfalls ist ausgemacht, dass dann, wenn dem auf abgeschlossene Sachverhalte ausgelegten Strafrecht zukunftsgewandte verwaltungsrechtliche Instrumente implementiert werden, Rückwirkungen von vornherein ausgeschlossen sind, die das bestehende Rechtsschutzdefizit ausgleichen.334 Entsprechend wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof inkonsequent argumentiert, wenn er die strafrechtliche Verbindlichkeit daran festmacht, dass der Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf die Einlegung hemmender Rechtsbehelfe vollziehbar ist. Denn sowohl was die sofortige Vollziehbarkeit als auch den Bestand des Verwaltungsakts als solchen angeht, stehen dem Betroffenen rechtewahrende Rechtsbehelfe auch danach noch zur Verfügung, die die aufschiebende Wirkung anordnen beziehungsweise wiederherstellen (vgl. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO) oder aber den Verwaltungsakt als ganzen vernichten können (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Verstetigung des Verwaltungsrechts 332 Vgl. insoweit Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 316 f., wonach durch die im Wege des behördlichen vorläufigen Rechtsschutzes zu erlangenden Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) zwar nicht die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werde, durch die vorläufige Wirksamkeitshemmung aber eine dem übereinstimmende Rechtsfolge eintrete. 333 So aber widersprüchlich Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 407 f., und SK-StGB/Schall, § 330d Rn. 31: Beide meinen, die Verfassung garantiere das Recht, Rechtsbehelfsfristen auszunutzen und befürworten daher den strafrechtsspezifischen Vollziehbarkeitsbegriff des Bundesgerichtshofs. Damit widersprechen sie sich selbst, weil dem Rechtsschutzsuchenden nach der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit offensichtlich keine Möglichkeit verbleibt, die Rechtsbehelfsfristen in Anspruch zu nehmen. 334 Hierzu eingehend unten § 9.
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für die Zwecke des Strafrechts beruht letztlich auf einer nur wenig überzeugenden Festsetzung und schneidet dem Bürger einen effektiven Rechtsschutz ab. Überzeugender ist, für die strafrechtliche Verbindlichkeit ebenso an den Zeitpunkt der verwaltungsrechtlichen Verbindlichkeit anzuknüpfen, im Gegenzug aber nicht strikt auf einer unumkehrbaren Strafdrohung zu beharren. c) Gesetzliche Modifikationen der strafrechtlichen Verbindlichkeit Diese Grundannahme gilt freilich nur dort, wo der Gesetzgeber den Zeitpunkt der Strafbewehrung für den belastenden Verwaltungsakts im Gesetz nicht eigens definierte. Im Folgenden ist daher gesondert darauf einzugehen, welche Auswirkungen es nach sich zieht, wenn der Gesetzgeber dem strafbewehrten belastenden Verwaltungsakt die Attribute „unanfechtbar“ 335 oder „vollziehbar“ voransetzt. aa) „Unanfechtbarer“ Verwaltungsakt Sofern von einem „unanfechtbaren“ Verwaltungsakt die Rede ist (vgl. §§ 85, 85a, 86 StGB), legt der Gesetzgeber den maßgeblichen Zeitpunkt unzweideutig fest. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig und lässt keine Zweifel offen, dass strafbegründendes Merkmal ein für den Betroffenen unanfechtbarer Verwaltungsakt ist. Zuwiderhandlungen gegen einen solchen Verwaltungsakt sind also erst ab dem Zeitpunkt strafbar, in dem Rechtsbehelfe nicht mehr zulässig sind oder gegen den eine Klage formell rechtskräftig abgewiesen worden ist.336 bb) „Vollziehbarer“ Verwaltungsakt Ungleich schwerer erscheint die Rechtslage im Fall der Strafbewehrung „vollziehbarer“ Verwaltungsakte. Wenngleich der Verwaltungsakt mit seiner (inneren) Wirksamkeit verbindlich wird und der Bürger ihm von da an Beachtung schenken muss,337 soll der strafbewehrte „vollziehbare“ Verwaltungsakt nach ganz herrschender Meinung erst dann Strafsanktionen nach sich ziehen, wenn die Zuwiderhandlung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Verwaltungsakt entweder „sofort vollziehbar“ oder „unanfechtbar“ ist. Selbst Berg und Schenke, die zu den wenigen Vertretern gehören, welche die Anwendung der Vollstreckungsvoraussetzungen auf die Strafbarkeit kritisieren, gehen irritierenderweise diesen Weg.338
335 So etwa § 85 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. Bereits oben wurde dargestellt, dass die Strafbestimmungen ausdrücklich auf den feststellenden Verwaltungsakt Bezug nehmen. Aufgrund der Ähnlichkeiten zum strafbewehrten verfügenden Verwaltungsakt kann hier auf eine trennende Darstellung verzichtet werden. 336 Zur Unanfechtbarkeit bereits oben § 6 B. I. 3. 337 Hierzu oben § 6 B. I. 1. 338 Berg, WiVerw 1982, 169 (177 f.); Schenke, Wolter-FS, S. 215 (220).
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In der Tat scheint hierfür das systematische Argument zu sprechen, wonach allein die gesetzgeberische Ergänzung („vollziehbar“) ein strafrechtsspezifisches Verständnis nahelegt.339 Weiterhin lässt sich der gesetzgeberische Wille anführen, der aber lediglich auf die gesetzgeberische Praxis verweist, ohne dabei klarzustellen, was er selbst mit der Strafbewehrung eines „vollziehbaren“ Verwaltungsakts meint und bezweckt.340 Demnach hätten die aufgezeigten Wirrungen zwischen Bestrafung einerseits und Verwaltungsvollstreckung andererseits in den häufigsten Fällen der Gesetzesanwendung Bestand, weil die Zuwiderhandlung strafbewehrter Verwaltungsakte meist deren „Vollziehbarkeit“ voraussetzt. Verwundern muss, dass an diesem Verständnis nicht gerüttelt wurde. Die Ursachen liegen gleichermaßen in der nebulösen Begrifflichkeit der „Vollziehbarkeit“ und den verworrenen Umständen, unter denen sie Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden hat, begründet. Nicht zuletzt der Bundesgerichtshof hat zu diesem begrifflichen Durcheinander beigetragen: Nachdem er zunächst ausführte, dass der Verwaltungsakt, solange er noch nicht mit aufschiebender Wirkung angefochten worden ist, den Betroffenen nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen unmittelbar verpflichtet und von der Behörde vollzogen werden kann,341 also scheinbar „vollziehbar“ ist, entwickelte er im Anschluss daran seinen eigenständigen strafrechtlichen Verbindlichkeitsbegriff. Im Folgenden behauptete er, das Gesetz habe in neueren oder neu gefassten Bestimmungen diesen Grundsatz zum Ausdruck gebracht. Beim Blick in die von ihm zitierten Normen erscheint diese Betrachtungsweise reichlich oberflächlich, weil die Wortlaute der Normen verschieden waren und daher unterschiedliche Deutungen zuließen. Unterstützung findet dieses Verständnis einzig im Bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetz, wenn es in Art. 4 Abs. 2 formuliert: „Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Verwaltungsbehörden für den Einzelfall können nach Landesrecht mit Strafe oder Geldbuße nur geahndet werden, wenn die Anordnung nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden kann oder ihre Vollziehung angeordnet ist.“
Wenngleich der Wortlaut mit der „angeordneten Vollziehung“ unglücklich ist, weil allenfalls die „sofortige Vollziehbarkeit“ angeordnet werden kann,342 stützt diese Formulierung das Verständnis des Bundesgerichtshofs. Die anderen von 339
Vgl. Schenke, Wolter-FS, S. 215 (220). Vgl. immerhin BT-Drs. 8/3633, S. 31; kaum überzeugend Arnhold, Strafbewehrung, S. 7 mit Fn. 1, da die von ihm aufgeführten Gesetzesbegründungen lediglich erklären, dass dies der Gesetzgebungspraxis der letzten Jahre entspricht, ohne dass hieraus inhaltliche Schlüsse gezogen werden können. Allenfalls lassen sich aus der Aussage, wonach „nur die Zuwiderhandlung gegen ein vollziehbares Verbot mit Geldbuße bedroht ist“ (so bspw. in BT-Drs. 5/1319, S. 113), die Einschränkungen gegenüber eines wirksamen Verwaltungsakts erklären. 341 BGHSt, 23, 86 (91). 342 Hierzu anschaulich Grigoleit, Anordnung, S. 16. 340
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ihm zitierten Normen (§ 46 Abs. 2 Nr. 2 AtomG, § 147 Abs. 1 Nr. 3 GewO und § 69 Abs. 1 Nr. 10 BSeuchenG) stellten jeweils die Zuwiderhandlung gegen eine „vollziehbare“ Verfügung unter Strafe. Woher der Bundesgerichtshof die Erkenntnis gewinnt, dem Begriff liege ein spezifisch strafrechtliches Verständnis zugrunde, welches er soeben erst selbst konstruierte, bleibt verborgen. Gleichwohl übernahm der Gesetzgeber in der Folge den vorgefunden Sprachgebrauch für seine gesetzgeberische Praxis.343 Methodisch näher hätte es im Ausgangspunkt gelegen, dem Begriff der „Vollziehbarkeit“ im Strafrecht ebenjenes Verständnis zugrunde zu legen, welches ihm auch verwaltungsrechtlich zukommt. Missverständliche Verwendung findet der Begriff zwar noch immer in zahlreichen Kommentierungen und Ausführungen, wenn unter dieser Überschrift auf die Unanfechtbarkeit, den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung beziehungsweise die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit hingewiesen wird. Doch besteht an sich Einigkeit darüber, dass die Vollziehbarkeit als solche bereits mit der inneren Wirksamkeit des Verwaltungsakts einhergeht.344 Demzufolge meint der Begriff nicht die Vollstreckbarkeit, sondern – dem vorangehend – die bloße „verfahrensrechtliche Potenz des Verwaltungsakts, zur Rechtsgrundlage der mit ihm beabsichtigten Rechtsfolgen zu werden“ 345. Die Vollstreckung des befehlenden Verwaltungsakts ist dabei nur eine mögliche Art der Vollziehung des bereits zuvor vollziehbaren Verwaltungsakts.346 Ist der vollziehbare Verwaltungsakt hiernach nichts weiter als der wirksame Verwaltungsakt, steht die hier vertretene Lösung auf dem festen Fundament des gesetzlichen Wortlauts. Stellt das Strafgesetz folglich die Zuwiderhandlung gegen einen vollziehbaren Verwaltungsakt unter Strafe, reicht es für die
343 Der Rechtsausschuss beriet im Zuge des 16. StrÄndG darüber, innerhalb des § 328 StGB (a. F.) die Worte „entgegen einer vollziehbaren Untersagung“ durch „entgegen einer sofort vollziehbaren oder unanfechtbaren Untersagung“ zu ersetzen, nahm davon aber wieder Abstand, s. BT-Drs. 8/3633, S. 31): „Anders als im Verwaltungsrecht meine der Begriff aber nicht die vom Betroffenen noch anfechtbare Untersagung. Nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 91 f.) mache sich ein Betroffener, der gegen eine Verwaltungsanordnung verstoße, nur dann strafbar, wenn die sofortige Vollziehung angeordnet oder die Anordnung nach Ablauf der Widerspruchsfrist unanfechtbar geworden sei. Es bestand Einigkeit, daß der Begriff ,vollziehbare Untersagung‘ auch hier nicht anders zu verstehen ist. Der Ausschuß hält es nicht für sinnvoll, von dem sonst üblichen Sprachgebrauch abzuweichen.“ 344 Vgl. etwa BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 43 Rn. 12; Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 10; Finkelnburg in: Finkelnburg, Vorläufiger Rechtschutz, Rn. 631; Kotulla, Verw 2000, 521 (525); NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 49; W.-R. Schenke, in: Kopp/ Schenke, VwGO, § 80 Rn. 27. Auch im Strafrecht ist man sich hierüber einig, s. nur BGHSt 23, 86 (91); Ensenbach, Probleme, S. 77; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 407; insb. auch Odenthal, NStZ 1991, 418 (419). 345 Einprägsam Renck, BayVBl 1994, 161 (162); anders wohl noch Renck, DÖV 1972, 343. 346 NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 37 ff.
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Strafbarkeit im Ausgangspunkt aus, dass der Verwaltungsakt seinem Regelungsgehalt nach wirksam ist.347 d) Folgen für die Aufhebung von Genehmigungen Für die Aufhebung einer Genehmigung führt das folgerichtig zu der Konsequenz, dass der Betroffene bereits infolge der verbindlichen Aufhebung der Genehmigung in strafrechtlicher Hinsicht ohne Genehmigung handelt.348 Wiederum spiegelt sich damit im Strafrecht die Verwaltungsrechtslage wider, wonach bereits die wirksame Aufhebung – als actus contrarius ebenfalls Verwaltungsakt349 – zur Geltungsvernichtung der Genehmigung führt.350 Konsequenterweise sieht die strafrechtliche Literatur das anders, weil für den belastenden Verwaltungsakt der Genehmigungsentziehung das Postulat der strafrechtlichen Vollziehbarkeit gleichermaßen gilt.351 Auch insoweit ist aber nicht einzusehen, warum das Strafrecht nicht von einem genehmigungslosen Handeln ausgehen soll, obgleich das Verwaltungsrecht gerade das anordnet. Bei der weiteren Betrachtung muss einzig beachtet werden, dass die Aufhebung einer Genehmigung de facto der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt entspricht.352 Insoweit beruht das Handeln ohne Genehmigung weniger darauf, dass der Täter das behördliche Kontrollanliegen umgeht. Vielmehr verstößt er gegen den Entzug der einmal erteilten Genehmigung, mit dem die Behörde zum Ausdruck bringt, dass sie offenbar zu einer anderen materiell-rechtlichen Bewertung des Vorhabens ge347 So auch – wenngleich der strafrechtsspezifische Verbindlichkeitsbegriff des Bundesgerichtshofs teils missverstanden wird und die Nachweise von daher ins Leere gehen –: Finkelnburg, in: Finkelnburg, Vorläufiger Rechtschutz, Rn. 633; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 123. Anders die ganz herrschende (strafrechtliche) Meinung: Arnhold, Strafbewehrung, S. 6 ff.; Ensenbach, Probleme, S. 78 ff.; kritisch, im Ergebnis aber auch Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen, S. 116 ff.; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 407 f. (allgemeine Ansicht im Strafrecht); LK-StGB/Steindorf, § 325 Rn. 44; MüKo-StGB/Schmitz, § 330d Rn. 15; NK-StGB/Ransiek, § 324a Rn. 21; NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 49; Odenthal, NStZ 1991, 418 (420); Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 15; SK-StGB/Schall, § 330d Rn. 31. 348 Zutreffend LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 37, der sich zugegebenermaßen mit dem strafrechtlichen Vollziehbarkeitsbegriff nicht auseinandersetzt, aber zutreffend feststellt, dass die Tatbestandswirkung mit der Wirksamkeit der behördlichen Aufhebung eintritt; aus der verwaltungsrechtlichen Literatur auch Koehl, JA 2016, 610 (611). 349 Siehe nur Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 20. 350 Vgl. BVerwGE 129, 66 (70); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 32; insoweit gilt das zur Verbindlichkeit des Verwaltungsakts bereits Gesagte, vgl. oben § 6 B. I. 1. 351 So folgerichtig Heghmanns, Dogmatik, S. 229 f.; ferner König, in: Hentschel/ König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG Rn. 7; MüKo-StGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 75; NK-GesVerkR/Blum, § 21 StVG Rn. 32. 352 Zutreffend insoweit Haaf, Fernwirkungen, S. 214, der die Entziehung von Erlaubnissen den gestaltenden strafbewehrten Verwaltungsakten zuordnet.
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3. Teil: Anforderungen an Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss
kommen ist. Deshalb gelten für sie im Hinblick auf nachfolgende verwaltungsrechtliche Entscheidungen und Rechtsbehelfen dieselben Grundsätze, wie sie für die strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte gelten.
§ 7 Strafrechtliche Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung Für die herrschende Meinung besteht bezüglich strafbewehrter Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte von vornherein kein Bedürfnis, sich mit der ipso iure eintretenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) auseinanderzusetzen, da sie auf dem Standpunkt steht, die Strafbarkeit trete nur ein, wenn die aufschiebende Wirkung entfällt. Es wurde soeben festgestellt, dass die damit verbundene Konstruktion einer gesonderten strafrechtlichen Verbindlichkeit nicht zu überzeugen vermag und stattdessen auf die innere Wirksamkeit des Verwaltungsakts abgestellt werden sollte. Damit geht einher, dass die Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt bereits strafbar ist, obgleich die Möglichkeit besteht, die aufschiebende Wirkung ipso iure durch Widerspruch beziehungsweise Anfechtungsklage herbeizuführen. Folglich bedarf einer Betrachtung, ob ein Strafbarkeitsrisiko auch dann noch besteht, wenn der Adressat des belastenden Verwaltungsakts durch Erhebung von Widerspruch oder Anfechtungsklage die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO ausgelöst hat. Hinsichtlich genehmigter Verhaltensweisen steht in Frage, welche strafrechtlichen Risiken für die Zukunft erwachsen, wenn ein Dritter gegen die Genehmigung Widerspruch oder Anfechtungsklage erhebt. Haben Widerspruch und Anfechtungsklage nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung, besteht die Möglichkeit, bei Gericht oder der Verwaltungsbehörde im einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen, diese Rechtsfolge anzuordnen beziehungsweise wiederherzustellen. Dem durch den Verwaltungsakt Belastenden gewähren § 80 Abs. 4, Abs. 5 VwGO diese Rechtsbehelfe. Geht ein Dritter gegen den an einen anderen, diesen begünstigenden Verwaltungsakt vor, ermöglicht ihm § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO den einstweiligen verwaltungsbehördlichen353 und § 80a Abs. 3 VwGO den einstweiligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.354 Von der ipso iure eintretenden aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO unterscheiden sich die Rechtsbehelfe dadurch, dass Verwaltungsbehörden beziehungsweise -gerichte bei ihrer Ent353
Vgl. dazu Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80a Rn. 6. Auf die Ungereimtheiten darüber, ob sich der Antrag nach § 80a Abs. 3 S. 1 i.V. m. § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO oder nach § 80a Abs. 3 S. 2 i.V. m. § 80 Abs. 5 VwGO richtet, kommt es für die hiesige Betrachtung nicht an, weil beide im Ergebnis auf den Rechtszustand des § 80 Abs. 1 VwGO gerichtet sind; zum Streitstand und der Rechtsfolge Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, § 80a Rn. 49 f. 354
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scheidung gewissen materiellen Entscheidungsdeterminanten unterliegen. Wenngleich diese im Einzelnen höchst umstritten sind, findet bei der überwiegend befürworteten Interessenabwägung zwischen Suspensivinteresse und Vollzugsinteresse jedenfalls auch die materielle Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs Berücksichtigung.355 Insofern geht – anders als bei der ipso iure eintretenden aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO – mit der gerichtlichen beziehungsweise behördlichen Anordnung auch eine materiell-rechtliche „Einschätzung“ über den Verwaltungsakt einher.
A. Die aufschiebende Wirkung als Wirksamkeits- oder Vollzugshemmung Kurz und prägnant stattet § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage mit der Kraft aufschiebender Wirkung356 aus. Offen bleibt, was Widerspruch und Anfechtungsklage überhaupt fähig sind aufzuschieben. Im Ausgangspunkt muss man sich die Besonderheiten des verwaltungsrechtlichen Instituts des Verwaltungsakts vergegenwärtigen: Immanent ist ihm insbesondere, ohne zusätzliche Legitimation durchsetzbar zu sein, sodass die Verwaltung mit dem Erlass des Verwaltungsakts letztlich einen Titel und damit die Grundlage für die eigene Vollstreckung schaffen kann.357 Die mit der Bekanntgabe einhergehende Bindung des Bürgers an die im Verwaltungsakt getroffene Regelung und das in der Selbsttitulierung mündende Recht der Verwaltung findet in der aufschiebenden Wirkung des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO einen Ausgleich zu Gunsten des Bürgers.358 Die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO kompensiert die faktische Überlegenheit der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger, indem sie ihn davor bewahrt, schon vor der Bestandskraft eines Verwaltungsakts dem ihm innewohnenden Befehl uneingeschränkt nachkommen zu müssen und verhindert nach dessen Einlegung den Eintritt vollendeter Tatsachen.359 Darüber, 355 Das gilt sowohl für zweipolige als auch mehrpolige Verwaltungsrechtsverhältnisse: Vgl. BVerfG NVwZ 2009, 240 (242); VGH Mannheim NVwZ-RR 2011, 355; eingehend bereits Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1556 ff. 356 Zum Unterschied zwischen Suspensiveffekt und aufschiebender Wirkung und der oft falsch verwendeten Terminologie Papier, VerwArch 1973, 283 (284): „Eine auf die Rechtskrafthemmung beschränkte Suspensionswirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage auch bei den in § 80 Abs. 2 angesprochenen Verwaltungsakten, obgleich eine ,aufschiebende Wirkung‘ im Sinne des Abs. 1 hier gerade nicht eintreten soll. Auch daraus geht hervor, daß Suspensiveffekt im Sinne des § 80 VwGO eine andere, weitergehende Bedeutung haben muss.“ 357 BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 43 Rn. 13; diese Eigenschaft ist faktische Folge der gerichtlichen Ursprünge des Verwaltungsakts, nämlich dem gerichtlichen Urteil, was Mayer, Verwaltungsrecht I, S. 92 ff., eingehend herausgearbeitet hat; vgl. auch Pünder, JuS 2011, 289 (290). 358 Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 26. 359 BVerfGE 10, 264 (267); 35, 263 (274); 51, 268 (285); NVwZ 2009, 240 (241); BVerwGE 13, 1 (5 f.); OVG Hamburg NVwZ 1987, 1002; BeckOK-VwGO/Gersdorf,
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ob die aufschiebenden Wirkung lediglich die Vollziehung oder aber die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmt,360 herrscht innerhalb der Verwaltungsrechtswissenschaft Uneinigkeit. Für den Verwaltungsakt weniger einschneidend ist die Idee der Vollzugshemmung. Demnach bezieht sich die aufschiebende Wirkung nur auf die weitere Vollziehung des Verwaltungsakts.361 In der Folge bleibt der Verwaltungsakt zwar wirksam, jedoch legt sich die aufschiebende Wirkung wie ein Verwirklichungsverbot über die dem Verwaltungsakt innewohnende Regelung, welches der Behörde untersagt, die Regelung zu vollstrecken oder sonstige tatsächliche Folgerung aus ihr zu ziehen362. Die Verfechter einer Vollzugshemmung nehmen insbesondere den Wortlaut in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 4 S. 1 und Abs. 5 S. 3 VwGO für sich in Anspruch. Indem der Gesetzgeber Bezug auf die Vollziehung nehme, bilde sie das Gegenstück zur aufschiebenden Wirkung.363 Eine weitergehende Aufschiebung schieße über das Rechtsschutzziel auf Kosten der Verwaltungseffizienz hinaus.364 Schließlich sei eine Bezugnahme der aufschiebenden Wirkung auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts als feststehender rechtstechnischer Begriff mit § 43 Abs. 2 VwVfG nicht zu vereinbaren, weil mangels Erwäh-
§ 80 Rn. 2; HK-VwGO/Funke-Kaiser, Vor §§ 80 Rn. 1; W.-R. Schenke, in: Kopp/ Schenke, VwGO, § 80 Rn. 1; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1126 f.; ders., in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 26; Wieseler, Rechtsschutz, S. 159 ff. 360 Weitgehend ungehört – weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird – blieb Kopp mit seinem Vermittlungsversuch (BayVBl 1972, 649 ff.): Unter Hinweis auf die überschießende Rechtsschutztendenz der Wirksamkeitstheorie einerseits und den Rechtsschutzdefiziten und damit einhergehenden Problemen mit dem Vollziehungsbegriff der Vollziehbarkeitstheorie andererseits, sieht er in einer verfahrensrechtlichen Fiktion einen interessengerechten Ausgleich. Entsprechend müssten sich Bürger und Behörden mit dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur endgültig fixierten Rechtslage verhalten, als ob der Verwaltungsakt nicht verbindlich wäre. Die Wirksamkeit des Verwaltungsakts bliebe zunächst unangetatstet, sodass sich der Bürger nach Klärung der Rechtslage gegebenenfalls so behandeln lassen muss, als hätte der Verwaltungsakt von vornherein seine Wirkung entfaltet. 361 BVerfGE 35, 263 (264), ohne nähere Begründung; st. Rspr. BVerwGE 13, 1 (5 f.); 24, 92 (98); 90, 25 (32); 99, 109 (112); 129, 66 (70 f.); NVwZ 1983, 608; NJW 2009, 1099 (1100); NVwZ 2016, 1333 (1334); OVG Schleswig NVwZ-RR 1993, 437 (438); i. Erg. offenlassend wegen des weiten Verständnisses von der Vollziehbarkeitshemmung OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55); VGH München BayVBl 2010, 439; Beckmann, NVwZ 2004, 184; BeckOK-VwGO/Gersdorf, § 80 Rn. 24 ff.; Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 11; Finkelnburg, in: Finkelnburg, Vorläufiger Rechtschutz, Rn. 630; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 510. 362 OVG Münster NVwZ-RR 1999, 477 (478); OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55); OVG Koblenz NJW 1977, 595 (596); OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55). 363 BVerwGE 13, 1 (6); OVG Koblenz NJW 1977, 595 (596); unklar, aber wohl auch Renck, BayVBl 1994, 161 (162); als Vertreter der Vollziehbarkeitstheorie hiergegen Wieseler, Rechtsschutz, S. 83 ff. 364 BVerwGE 13, 1 (8 f.); Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 11; Kopp, BayVBl 1972, 649 (650 f.); Wieseler, Rechtsschutz, S. 143 f.
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nung eine solche Rechtsfolge ausgeschlossen sei.365 Der Begriff der Vollziehung hat in Folge zahlloser Judikate eine kaum überschaubare Ausweitung erfahren, um im Einzelfall der aufschiebenden Wirkung gerecht zu werden.366 Zusammenfassend behält der Verwaltungsakt seine innere Wirksamkeit und bleibt für den Bürger bindend, ohne dass die Verwaltung hieraus aber rechtliche und tatsächliche Früchte ziehen darf.367 Ebenso durch den Wortlaut des § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO bestätigt fühlen sich die Verfechter einer Wirksamkeitshemmung.368 Durch die Normierung des § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO369 habe der Gesetzgeber klargestellt, dass auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten die aufschiebende Wirkung eintrete. Unter Annahme einer Vollzugshemmung ließe sich dieses Ergebnis nur konstruieren, wenn man den Vollziehungsbegriff bis zur Unkenntlichkeit verwischte.370 Eine rechtsdogmatisch konsistente Argumentation könne nur liefern, 365 OVG Schleswig NVwZ-RR 1993, 437 (438); Beckmann, NVwZ 2004, 184; BeckOK-VwGO/Gersdorf, § 80 Rn. Rn. 29; Finkelnburg, in: Finkelnburg, Vorläufiger Rechtschutz, Rn. 630. 366 BVerfG NJW 2006, 3551 (3552), zu einem mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbaren engen Vollziehungsbegriff; Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833 (835) „nicht haltbar“; Huba, JuS 1990, 382 (384) „Von dem Kern des Begriffs ,Vollziehung‘ [. . .] reichlich weit entfernt“; eine Übersicht der durch die aufschiebende Wirkung untersagten Vollziehungshandlungen gibt W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 27 ff.; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 95, spricht von einem „bis zur Konturenlosigkeit ausgedehnten Vollziehungsbegriffs“. Die Ausweitung des Vollziehungsbegriffs führte schließlich zu mehreren begrifflichen Abkapselungen von der Vollziehbarkeitstheorie („Verwirklichungs- oder Ausnutzungshemmung“), die aber rechtsdogmatisch nichts Neues zu begründen vermögen; hierzu auch Siegmund-Schultze, DVBl 1963, 475 (751 mit Fn. 67a), der sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringt, warum einige Vertreter an der Ausweitung des Vollziehungsbegriffs festhalten, anstatt dogmatisch zutreffend die Konsequenz hin zur Wirksamkeitshemmung zu ziehen. 367 Steinweg, Regelungsgehalt, S. 273 f., erachtet die Vollziehbarkeitslösung daher als in sich widersprüchlich. 368 Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833 (834); HK-VwGO/Funke-Kaiser, § 80 Rn. 23; wohl auch Hörtnagl/Stratz, VBlBW 1991, 326 (326 f.); Huba, JuS 1990, 382 (384); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 10, 84; NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 35; Papier, VerwArch 1973, 283 (290); Queritsch, VerwArch 1960, 210 (224); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 952; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 102; ders., Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1172, 1178; Scholz, Menger-FS, S. 641 (643 f.); Siegmund-Schultze, DVBl 1963, 745 (755); Steinweg, Regelungsgehalt, S. 276; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 119. 369 BGBl. I, 1990, S. 2809 ff. 370 Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 84; eingehend Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1180. Im Übrigen ist das BVerwG diese Ausweitung des Vollziehungsbegriffs – jedenfalls was rechtsgestaltende Verwaltungsakte angeht – nie mitgegangen. Vielmehr negiert das BVerwG hierbei die aufschiebende Wirkung, weil der rechtsgestaltende Verwaltungsakt seine vollziehende Wirkung schon in sich trage und verbietet lediglich weitere Folgerungen aus dem Verwaltungsakt, vgl. BVerwGE 13, 1 (8); 129, 66 Rn. 18; DVBl 1968, 430 (431); NVwZ 1983, 608; DÖV 1983, 898 (890); BayVBl 1998,
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wer davon ausgeht, dass die aufschiebende Wirkung nicht nur die Vollziehung hemme, sondern weitergehend den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts als solchen erfasse.371 § 43 Abs. 2 VwVfG stehe dieser Sichtweise nicht entgegen, da § 80 Abs. 1 VwGO bezüglich der Folgen der aufschiebenden Wirkung den verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen als lex specialis vorgehe und lediglich die innere Wirksamkeit hemme, wohingegen § 43 Abs. 2 VwVfG nur die äußere Wirksamkeit regle.372 Letztlich schieße die Theorie auch nicht über das Rechtsschutzziel hinaus, sondern genüge vielmehr einzig der Rolle des vorläufigen Rechtsschutzes, die Hauptsacheentscheidung offen zu halten, um die Durchsetzbarkeit des materiellen Rechtsanspruchs zu sichern.373 Folge einer solchen Auslegung ist, dass die innere Wirksamkeit und damit der Regelungsgehalt des Verwaltungsakt aufgeschoben wird, womit er damit seine Verbindlichkeit gegenüber dem Bürger zeitweilig verliert.
B. Notwendigkeit eines Streitentscheids für die strafrechtliche Betrachtung Fraglich ist, ob der Streitstand für die strafrechtliche Betrachtung überhaupt einer Entscheidung bedarf. Da die aufschiebende Wirkung nach Ansicht der herrschenden Lehre die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmt, kommt ab diesem Zeitpunkt eine Strafbarkeit nicht mehr in Betracht. Hingegen stünde einer Strafbarkeit bei stringenter Annahme einer Vollzugshemmung nichts im Wege, weil sie auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts keine Auswirkungen hat, mithin die Zuwiderhandlung gegen den wirksamen Verwaltungsakt weiterhin einen strafbewehrten Pflichtverstoß begründet. Ob das auch unter Zugrundelegung des von der Verwaltungsrechtsprechung bis zur Unkenntlichkeit ausgeweiteten Vollziehungsbegriffs noch gilt, wonach die aufschiebende Wirkung der Behörde im Ergebnis untersagt, jegliche tatsächliche Folgerungen aus ihr zu ziehen, ist zweifelhaft. Erwartungsgemäß dürften ihre Verfechter auch die „tatsächliche Folge“ der an die Zuwiderhandlung geknüpften Strafbarkeit hierunter subsumieren. Doch verbleiben insoweit Unsicherheiten: Zum einen, weil sich die Rechtsprechung 346; OVG Koblenz DÖV 1965, 674 (675); VGH München BayVBl 1984, 112 (113); NVwZ-RR 1990, 328 (330). 371 HK-VwGO/Funke-Kaiser, § 80 Rn. 23; Jakobs, VBlBW 1990, 446 (448 f.); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 84; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 102; ders., Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1185, geht gar von einem „kategorialen Differenzierungsverbot“ zwischen befehlendem, gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakt aus. Für den Fall der Drittanfechtung ebenso Martens, Atomrechtliche Genehmigung, S. 5 f.; ders., DVBl 1985, 541; ders., Ipsen-FS, S. 449 (456); Papier, VerwArch 1973, 282 (286 f.); Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 119. 372 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1185 mit Fn. 148. 373 Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833 (835); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1178 f.
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bislang – unter Zugrundelegung ihres wenig überzeugenden strafrechtlichen Verbindlichkeitsbegriffs – hierzu nicht äußern musste. Zum anderen, weil es dogmatisch verfehlt wäre, die Strafbarkeit von einer irgendwie gearteten Hemmung des Vollzugs eines Verwaltungsakts abhängig zu machen.374 Insoweit gilt das bereits oben Gesagte, wonach eine Instrumentalisierung des Strafrechts für die Zwecke der Vollstreckung fehl am Platz ist. Richtigerweise ist für Straftatbestände, die den Pflichtverstoß an den Ungehorsam gegenüber Verwaltungsakten knüpfen, von Bedeutung, wann ebendieser Ungehorsam überhaupt vorliegt. Streitentscheidend kommt es darauf an, ob der konkrete verwaltungsbehördliche Befehl den Bürger im Zeitpunkt des Verstoßes erreicht. Wird der Betroffene von einem behördlichen Befehl erfasst,375 der lediglich nicht vollzogen werden darf (Vollzugshemmung), hat das streng genommen keinerlei Auswirkungen auf die Strafbarkeit des Betroffenen. Nur wenn der verwaltungsbehördliche Befehl den Betroffenen im Tatzeitpunkt nicht mehr erreicht (Wirksamkeitshemmung), scheidet eine Strafbarkeit aus. Entsprechende Unsicherheiten bestehen bei der aufschiebenden Wirkung im Hinblick auf behördliche Genehmigungen, sobald ein Dritter Widerspruch beziehungsweise Anfechtungsklage gegen sie erhebt. Berührt die aufschiebende Wirkung die Wirksamkeit des Verwaltungsakts, ist verwaltungsrechtlich von einer Hemmung der Legalisierungswirkung auszugehen. Der bisherige Genehmigungsinhaber sieht sich einem erneuten Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt, weil er prima facie ohne Genehmigung handelt.376 Führt die aufschiebende Wirkung hingegen nur zu einer Vollzugshemmung, bleibt die Legalisierungswirkung erhalten, sodass der Betroffene Inhaber einer wirksamen Genehmigung bleibt. Der vielfach anzutreffenden Äußerung, wonach sich die Differenzen von Vollzugs- und Wirksamkeitshemmung in einem bloßen Kampf der Worte erübrigten377, muss demnach für das Strafrecht widersprochen werden.378
374 So auch Wüterich, NStZ 1987, 106 (107): „[. . .] unter den Begriff der ,Vollziehung‘ dem eine gestaltende Wirkung immanent ist, lassen sich ,Strafbarkeit‘ und ,Bestrafung‘ aber nicht fassen.“ 375 Siehe bereits zu einem solchen strafrechtlichen Verständnis Berg, WiVerw 1982, 169 (177); auch Gerhards, NJW 1968, 86 (88); zur Vollziehungshemmung insoweit irreführend Haase, in: Brandt/Domgörgen, Hdb. Verwaltung, H Rn. 22; ebenso unverständlich Huba, JuS 1990, 382 (384), wenn er behauptet, über ihre tatsächliche Wirkung herrsche im Ergebnis Einigkeit; zutreffend hingegen Quaritsch, VerwArch 1960, 210 (222 ff.) m.w. N. 376 Vgl. Sens, wistra 2014, 463 (468). 377 So aber BeckOK-VwGO/Gersdorf, § 80 Rn. 28; Hörtnagl/Stratz, VBlBW 1991, 326 (327); M. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 5; NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 35. 378 Für das Verwaltungsrecht auch Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 106 ff.; ders., Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1169 ff.; vgl. Wieseler, Rechtsschutz, S. 81 ff.
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Welcher Ansicht zu folgen ist, entscheidet sich nach Sinn und Zweck der aufschiebenden Wirkung. Als Teil des einstweiligen Rechtsschutzes muss die aufschiebende Wirkung die zwei folgenden Funktionen erfüllen, welche den Beteiligten auf dem Rechtsweg wie Leitplanken zur Seite stehen.379 Einerseits muss sie das materielle subjektive öffentliche Recht absichern, indem sie vollendete Tatsachen verhindert und die Sachlage auf diese Weise für die Entscheidung in der Hauptsache offen hält.380 Auf der anderen Seite kommt ihr eine interimistische Befriedigungsfunktion zu, die den Zustand zwischen der Geltendmachung des Rechtsbehelfs und der Hauptsacheentscheidung abschließend regelt.381 Letztere Funktion erfolgt im Fall der aufschiebenden Wirkung unmittelbar durch gesetzliche Anordnung in § 80 Abs. 1 VwGO, wenngleich dessen Ausmaß zunächst offen bleibt. Am Umfang der Sicherungsfunktion scheiden sich die unterschiedlichen Meinungen. Das Bundesverwaltungsgericht meint, dieser Sicherungsfunktion durch ein Vollzugshindernis hinreichend Genüge zu tun. Andernfalls sieht es die Verwaltung und mit ihr das Regelungsinstrument des Verwaltungsakts Gefahr laufen, der Willkür des renitenten Bürgers ausgeliefert zu sein, der es in der Hand habe, die Rechtsfolgen bis zuletzt hintanzuhalten.382 Ohne die aus seiner Sicht durch Widerspruch und Klage bezweckten Erfordernisse aufzuzeigen, begrenzt sie das Bundesverwaltungsgericht von vornherein und behauptet eine überschießende Tendenz, sofern von einer wirksamkeitshemmenden Folge ausgegangen würde. Dem ursprünglich der aufschiebenden Wirkung zugedachten Zweck genügt dies nicht: Im Regierungsentwurf für eine Verwaltungsgerichtsordnung vom 15.04.1953383, der insoweit unveränderte Grundlage des weiteren Gesetzgebungsverfahrens blieb,384 heißt es ausdrücklich, dass von der aufschiebenden Wirkung jeder Verwaltungsakt erfasst werde, gleichgültig, ob er eines besonderen Vollzuges bedürfe oder nicht, soweit er nur begrifflich einer aufschie379
Grundlegend herausgearbeitet von Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 151 ff. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 154 f., der überzeugend davon ausgeht, dass es nicht nur um die Sicherung eines „prozessualen status quo“ geht, weil es einen solchen – „losgelöst vom materiellen Recht“ – nicht geben kann. 381 BVerfGE 46, 166 (178), betont mit Blick auf einen effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, dass es Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes sei, „den Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung im ordentlichen Verfahren durch eine schnelle Zwischenregelung zu überbrücken“; Jakobs, VBlBW 1990, 446 (449); W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 1; grundlegend Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 151 ff., 1178 f.; ders., VerwArch 1991, 145 (157 f.); ders., in: Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, Vor § 80 Rn. 36 ff. 382 BVerwGE 13, 1 (8). 383 BT-Drs. 01/4278. 384 Siehe BT-Drs. 02/462, 03/55; vgl. auch die ausführliche Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens von Wieseler, Rechtsschutz, S. 85 ff., wenngleich er wenig überzeugend aus dem Wortlaut der Stellungnahmen von Deutschem Anwaltsverein und Rechtsausschuss des Bundestages Schlüsse auf den gesetzgeberischen Willen ziehen will, obwohl er die Terminologie an anderer Stelle als uneinheitlich und daher nicht ergiebig ansieht, S. 85. 380
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benden Wirkung fähig sei.385 Die Gesetzesinitiative widerspricht den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts diametral, indem sie das Hauptaugenmerk auf die Sicherungsfunktion legt und ausführt, der Verwaltungsrechtsschutz würde erheblich an Wirksamkeit einbüßen, wenn die Behörde es in der Hand hätte, bis zur verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ihren Willen durchzusetzen und damit für einen meist nicht unerheblichen Zeitraum vollendete Tatsachen zu schaffen.386 Hierdurch kommt der anfangs bereits angeklungene Zweck des § 80 Abs. 1 VwGO zum Ausdruck: § 80 VwGO ist der zugunsten des Bürgers und seines verfassungsrechtlich verbürgten Rechts auf effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) wirkende Ausgleich für das Selbsttitulierungsrecht des Staates. Damit die aufschiebende Wirkung dieser Rolle gerecht wird, ist ihr der größte Wirkungsgrad zuzugestehen, der dem Bürger seine primär durch die Verwaltung eingeschränkte Rechtsposition erhält. Dies gewährleistet nur die Wirksamkeitstheorie. Entsprechend hemmt die aufschiebende Wirkung die Wirksamkeit des hoheitlichen Befehls und nicht nur seine Vollziehung. In gleicher Weise hemmt sie die rechtsgestaltende und feststellende Wirkung von Verwaltungsakten, die gar keiner Vollziehung bedürfen.
C. Strafrechtliche Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung I. Strafrechtliche Auswirkungen bei Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte Soll dieses Sicherungsinteresse nicht nur für die verwaltungsrechtliche Vollziehung, sondern darüber hinaus auch für die strafrechtliche Repression gelten, verdient die Rechtsfolge der Wirksamkeitshemmung Beifall. Denn konsequenterweise muss der Behörde in diesem Zug auch das Recht abgesprochen werden, strafbewehrte Pflichten zu statuieren. Dieses Ergebnis ist dogmatisch stringent nur unter der Annahme begründbar, dass die aufschiebende Wirkung die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmt, weil die Strafbarkeit explizit an die hiergegen gerichtete Zuwiderhandlung anknüpft. Die damit einhergehende Straflosigkeit von dem Zeitpunkt an, ab dem Widerspruch und Anfechtungsklage mit aufschiebender Wirkung erhoben werden, erfüllt eine interimistisch klärende Befriedungsfunktion, die den Namen tatsächlich verdient. Weder entstehen für die Behörde noch für den Bürger daraus unzumutbare Folgen. Vielmehr spiegelt die Zwischenregelung das durch die aufschiebende Wirkung hergestellte rechtliche Gleichgewicht zwischen Bürger und Behörde wider. Will die Behörde verhindern, dass der Bürger allein durch Erhebung von Widerspruch beziehungsweise 385
BT-Drs. 01/4278, S. 42. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die Terminologie des „in den Händen haltens“, die das BVerwG (E 13,1 [8]) vom Regierungsentwurf zur VwGO (BT-Drs. 01/ 4278, S. 42) übernimmt und damit genau das Gegenteil zu begründen versucht. 386
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3. Teil: Anforderungen an Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss
Anfechtungsklage die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmen und damit das Strafbarkeitsrisiko für die Zukunft beseitigen kann, muss sie den Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklären (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO). Das ist freilich nicht erforderlich, sofern die aufschiebende Wirkung bereits per Gesetz entfällt (vgl. § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO). II. Strafrechtliche Auswirkungen der aufschiebenden Wirkung auf bereits genehmigte Handlungen Die tatbestandsausschließende Wirkung einer Genehmigung richtet sich allein nach ihrer inneren Wirksamkeit.387 Sofern ihre sofortige Vollziehbarkeit nicht angeordnet wurde, haben Widerspruch und Anfechtungsklage Dritter gegen die Genehmigung grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Gilt die Wirksamkeitstheorie konsequenterweise auch im Fall eines Drittrechtsbehelfs, ist die Wirksamkeit der Genehmigung von diesem Zeitpunkt an gehemmt, sodass in Frage steht, ob die Handlung wieder als strafrechtlich ungenehmigt zu betrachten ist, womit das Strafbarkeitsrisiko für die Zukunft neu auflebt.388 Das jedenfalls wäre die Konsequenz einer streng verwaltungsaktakzessorischen Betrachtungsweise. Zu überzeugen vermag dieses Ergebnis unter teleologischen Gesichtspunkten nicht. Vom hier vertretenen Standpunkt aus stellt das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Genehmigung ein unrechtsbeschreibendes Merkmal dar, das die Funktionsfähigkeit der behördlichen Zugangskontrolle absichert.389 Diesem Belang hat der Genehmigungsinhaber vollauf Rechnung getragen, indem er die Genehmigung beantragt und den Ausgang des behördlichen Genehmigungsverfahrens bis zur Erteilung der Genehmigung abgewartet hat.390 Sowohl die formalen als auch die materiellen Kontrollfunktionen des Genehmigungsverfahrens sind erfüllt.391 Infolge des gesetzlichen Eintritts der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO ändert sich an der materiellen Kontrollfunktion, mit der die Behörde dem Vorhaben die materiell-rechtliche Zulässigkeit bescheinigt, nichts, weil die Behörde bei ihrer rechtlichen Beurteilung der Genehmigungslage
387
Hierzu oben § 6 B. II. 1. Ablehnend Sens, wistra 2014, 463 (467 f.), der allerdings der aufschiebenden Wirkung nur eine vollzugshemmende Wirkung zuspricht. Zwingend erscheint dieses Ergebnis allerdings auch unter Annahme einer Vollzugshemmung nicht, da ihre Vertreter den Begriff derart weit auslegen, dass auch die private Inanspruchnahme einer Genehmigung als Vollziehung angesehen werden könnte. Infolgedessen bejaht Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 309 f., eine Strafbarkeit nach Eintritt der aufschiebenden Wirkung unabhängig von dem verwaltungsrechtlichen Streit um die Folgen der aufschiebenden Wirkung. 389 Hierzu oben § 5 D. II 1. c) cc). 390 Unter Heranziehung dieser teleologischen Gesichtspunkte auch Sens, wistra 2014, 463 (468). 391 Zu den formalen und materiellen Kontrollfunktionen, s. oben § 5 C. I. 2. 388
§ 8 Fehlvorstellungen des Täters
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bleibt.392 Folglich bedürfen die strafrechtlichen Straftatbestände einer teleologischen Reduktion: Demnach ist von einem genehmigungslosen Handeln im strafrechtlichen Sinn nicht auszugehen, wenn ein Dritter Widerspruch oder Anfechtungsklage erhebt und dadurch die aufschiebende Wirkung ipso iure eintritt. Erst wenn die Behörde ihre Meinung hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen der Genehmigung ändert, indem sie etwa die Genehmigung aufhebt393 oder dem Genehmigungsinhaber die weitere Tätigkeitsausübung einstweilen untersagt,394 strahlt dies auf die insoweit maßgebliche materielle Kontrollfunktion aus. Dies ist insbesondere auch dann anzunehmen, wenn das Verwaltungsgericht oder die Verwaltungsbehörde die aufschiebende Wirkung auf Antrag eines Dritten (vgl. § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO) anordnen beziehungsweise wiederherstellen, weil dieser Entscheidung ebenfalls eine erneute materiell-rechtliche Prüfung des Genehmigungsvorhabens vorausgeht.395
§ 8 Fehlvorstellungen des Täters Die materielle Einordnung des Verwaltungsakts hat ergeben, dass das Strafrecht hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen streng verwaltungsaktakzessorisch ausgestaltet ist, womit die verwaltungsverfahrensrechtlichen Normen nicht nur der Verfahrens- und Rechtsklarheit im Verwaltungsrecht, sondern auch derjenigen im Strafrecht dienen. Mit der vertrauensbildenden Funktion des Verwaltungsakts ist dem Betroffenen ein Instrument an die Hand gegeben, dass ihm in strafrechtlicher Hinsicht weitgehende Rechtsklarheit gewährleistet. Nur in Ausnahmefällen erleidet diese Einbußen. Darauf aufbauend steht schließlich in Frage, wie sich Fehlvorstellungen des Täters auf die Strafbarkeit auswirken.
A. Fehlvorstellungen des Täters bei genehmigungspflichtigen Tätigkeiten Da die behördliche Genehmigung stets tatbestandsausschließendes Merkmal ist,396 umfasst der objektive Tatbestand (mindestens) die Ausübung der Handlung ohne Genehmigung. Nimmt man die gesetzlichen Anhaltspunkt (vgl. §§ 15, 392
Vgl. Sens, wistra 2014, 463 (468). Vgl. dazu § 6 B. II. 2. d). 394 Sens, wistra 2014, 463 (468), erwägt bezüglich des Betriebs einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage eine einstweilige Stilllegungsverfügung gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO. In diesem Fall wird sich der Betroffene weniger dem Strafbarkeitsrisiko wegen einer ungenehmigten Tätigkeitsausübung aussetzen, als vielmehr dem, dass er einer vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt (vgl. § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB). 395 Vgl. dazu oben Einl. zu § 7. 396 Hierzu § 5 D. II. 1. c) cc). 393
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3. Teil: Anforderungen an Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss
16 Abs. 1 S. 1 StGB) für den Tatvorsatz ernst, muss sich der Vorsatz des Täters auf ebendiese – und auch nur auf diese – beiden Merkmale erstrecken: zum einen muss er die Handlung vorsätzlich ausüben, zum anderen muss er wissen, dass er keine Genehmigung hat.397 Hinsichtlich der Genehmigungspflichtigkeit ist demnach zu unterscheiden: Irrt der Täter über Tatsachen seiner Handlung, die eine Genehmigungspflicht begründen,398 unterliegt er einem Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, der den Vorsatz entfallen lässt.399 Irrt der Täter hingegen über die Genehmigungspflicht als solcher, unterliegt er einem (klassischen) Verbotsirrtum, der gemäß § 17 StGB zu behandeln ist.400 Der Täter irrt über das Erlaubtsein seiner Tätigkeit ohne Genehmigung, die tatsächlich aber strafrechtlich verboten ist.401 Damit fehlt ihm das Unrechtsbewusstsein, was allenfalls bei Unvermeidbarkeit zum Schuldausschluss gemäß § 17 S. 1 StGB führt. Dieser konsistenten Lösung wird mehrheitlich widersprochen: Liege das tatbestandliche Unrecht allein in der Umgehung der behördlichen Zugangskontrolle, müsse der Täter hiervon Kenntnis haben, weil er andernfalls vom normativen Sinngehalt der Tat überhaupt nicht erfasst werde und nur auf ein unrechtsneutrales, sozialadäquates Verhalten schaue.402 Einer solchen Abstrahierung des tatbestandlichen Unrechts, einhergehend mit der Behauptung der Sozialadäquanz, muss jedoch eine Absage erteilt werden. Tatsächlich liegt das tatbestandliche Unrecht in der konkreten Handlungsausübung ohne Genehmigung. Die Umgehung der behördlichen Zugangskontrolle ist allenfalls eine juristische Abstraktion, die
397
Vgl. Heghmanns, Dogmatik, S. 272. Ist der Käufer eines Pedelecs im Ungewissen darüber, dass sein erworbenes Pedelec zuvor frisiert wurde und deshalb auch noch bei einer Geschwindigkeit von über 25 km/h durch den elektromotorischen Hilfsantrieb unterstützt wird (vgl. § 1 Abs. 3 S. 1 StVG), ist er in Unkenntnis über Tatsachen, die eine Zulassungspflicht (vgl. § 1 Abs. 1 StVG) begründen. 399 Zutreffend Heghmanns, Dogmatik, S. 273; Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 208. 400 Zutreffend Heghmanns, Dogmatik, S. 273; Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 208. 401 Vgl. BGH NJW 2018, 3467 (3468). 402 Mehrheitlich wiederum unter Bezugnahme auf die wenig überzeugende Differenzierung zwischen Präventivverbot und Repressivverbot (kritisch hierzu § 5 D. II. 1. c) cc)), wobei der Irrtum über das Genehmigungserfordernis nur bei den Präventivverboten tatbestandsausschließend wirken soll: OLG Stuttgart NStZ-RR 2009, 356 (357); allgemein KK-OWiG/Rengier, § 11 Rn. 41a; Rinjes, wistra 2015, 7 (8), zum Betreiben von Bankgeschäften ohne Erlaubnis (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG); vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 618, 1317, im Zusammenhang mit unterschiedlichen Strafnormen. Siehe jüngst BGH NJW 2018, 3467 (3468 mit insoweit eher abl. Anm. von Brand), der ausdrücklich dahinstehen lässt, ob an der Unterscheidung von Präventivverbot und Repressivverbot noch festzuhalten ist und bezüglich der in Rede stehenden Vorschrift (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG) beim Irrtum über das Genehmigungserfordernis von einem Verbotsirrtum ausgeht (zu Recht zustimmend daher Murmann/Hirsch, WuB 2019, 106 [108 f.]). 398
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ein Zwischenrechtsgut beschreibt, bezüglich dessen sich der Täter niemals irgendwelche Gedanken machen wird und in Bezug auf den subjektiven Tatbestand auch nicht zu machen braucht, weil es kein Tatbestandsmerkmal darstellt. Andernfalls würde der normative Sinngehalt der Tat überdehnt. Von einem sozialadäquaten Handeln kann im Weiteren keine Rede sein. Der Gesetzgeber schiebt dem Handeln – und zwar gänzlich unabhängig von Repressivverbot oder Präventivverbot – eine gesetzliche Schranke vor, sodass von einem sozialadäquaten Handeln erst nach erfolgter behördlicher Kontrolle gesprochen werden kann.403 Im umgekehrten Fall, in dem der Täter nur meint, eine genehmigungspflichte Tätigkeit auszuüben, eine solche bewusst nicht einholt und dies rechtstatsächlich auch gar nicht nötig ist, bleibt der Täter straflos. Er geht irrig von einer Rechtspflicht aus und überdehnt auf diese Weise den Bereich des Strafbaren, wodurch er lediglich ein strafloses Wahndelikt begeht.404 Nimmt er hingegen irrig Tatumstände an, die bei ihrem Vorliegen tatsächlich eine Genehmigungspflicht begründeten, liegt ein untauglicher Versuch vor, der nach den Regeln des § 23 Abs. 3 StGB zu bestrafen ist.405 Hat der Täter bereits eine Genehmigung erhalten und übt seine Handlung im Vertrauen auf ihre Wirksamkeit aus, obwohl sie nichtig ist (vgl. § 44 VwVfG), unterliegt der Täter einem Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.406 Denn der Täter meint, durch den ihm erteilten formalen Akt tatsächliche eine Genehmigung innezuhaben, sodass er keinen Vorsatz bezüglich eines ungenehmigten Handelns hat. Zu beachten bleibt, dass die Fehlerfolgenlehre bezüglich des Verwaltungsakts auf der Evidenztheorie basiert.407 Entsprechend entfaltet der Verwaltungsakt nur dann keine Rechtsgültigkeit, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist. Deshalb wird der Täter in der Regel die Nichtigkeit der Genehmigung erkennen können, was im Einzelfall eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit begründen kann (vgl. § 16 Abs. 1 S. 2 StGB). Sofern auf dem Boden der fragwürdigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Genehmigung im Einzelfall nicht anwendbar sein sollte,408 dürfte noch nicht einmal eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht kommen, da die Voraussetzungen für eine direkte Kollision mit Unionsrecht völlig unklar sind.
403 So zutreffend Murmann/Hirsch, WuB 2019, 106 (108); wegweisend Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 206 f. 404 Zutreffend Heghmanns, Dogmatik, S. 273. 405 Vgl. Heghmanns, Dogmatik, S. 273; auch KK-OWiG/Rengier, § 13 Rn. 45 ff. 406 So auch Heghmanns, Dogmatik, S. 273. 407 Hierzu oben § 6 A. I. 408 Vgl. dazu oben § 6 A. IV.; ob ein solcher Fall auch bei einem begünstigenden Verwaltungsakt vorstellbar ist, kann an dieser Stelle nur theoretisch vorausgesetzt werden.
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3. Teil: Anforderungen an Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss
B. Fehlvorstellungen bei strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte Tatbestandsmäßige Voraussetzungen von Strafnormen, die Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte sanktionieren, sind (zumindest) das Vorliegen eines wirksamen, das heißt seinem Inhalt nach verbindlichen Verwaltungsakts, dem zuwidergehandelt wurde. Entsprechend muss sich der Vorsatz des Täters auf die beiden gesetzlichen Merkmale Zuwiderhandlung und Verwaltungsakt erstrecken. Wird der Verwaltungsakt seinem Inhalt nach verbindlich, hat der Täter hiervon aber keine Kenntnis, ist zwar der objektive Tatbestand erfüllt, jedoch unterliegt der Täter einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.409 Das ist möglich, weil die Wirksamkeit und hierauf aufbauend auch sein verbindlicher Regelungsgehalt an die Bekanntgabe anknüpfen, die nur die (abstrakte) Möglichkeit der Kenntnisnahme voraussetzt.410 Anderes folgt aus Fehlvorstellungen, die auf eigenen rechtlichen Wertungen des Täters beruhen. So etwa wenn er meint, der Verwaltungsakt sei nichtig oder auf dem Boden der Ciola-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unanwendbar, wobei der Verwaltungsakt rechtstatsächlich sowohl wirksam als auch anwendbar ist. Für den Vorsatz des Täters hinsichtlich des normativ geprägten Merkmals der „Untersagung“, „Verfügung“, „Anordnung“ oder Ähnlichem reicht es aus, dass er erkennt, von einem behördlichen Handlungsgebot erreicht zu werden. Darüber hinausgehende rechtliche Fehlwertungen, wie der Irrtum über die Nichtigkeit oder die Unanwendbarkeit des Verwaltungsakts sind Subsumtionsirrtümer, die den Vorsatz unberührt lassen und allenfalls die Unrechtsebene berühren (vgl. § 17 StGB).411 Gleiches gilt, wenn der Täter infolge seines Widerspruchs dem Verwaltungsakt zuwiderhandelt, weil er meint, die aufschiebende Wirkung trete ein, tatsächlich aber die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 VwGO entfällt.412 Im umgekehrten Fall, in dem der Täter einem rechtstatsächlich nichtigen 409 Vgl. Sch/Sch/Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 102, entsprechend für den Fall, dass der Täter die Anordnung eines Verkehrspolizisten nicht wahrnimmt. 410 Hierzu (statt aller) mit Beispielen BeckOK-VwVfG/Tiedemann, § 41 Rn. 24 ff. 411 Heghmanns, Dogmatik, S. 346, fordert „ein Minimum an laienhafter Bewertung [. . .], damit der Täter überhaupt in der Lage ist, die Normbetroffenheit realisieren zu können“; wohl auch Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 168, wenn er im Zusammenhang mit dem Irrtum über die Vollziehbarkeit ausführt: „In den problematischen Fällen ist dem Bürger die Existenz des belastenden hoheitlichen Akts schließlich vollauf bewusst, er hat genügend Anlass, sich darüber zu informieren, inwieweit ihm zum maßgeblichen Zeitpunkt Gehorsamspflichten treffen.“ 412 Wie hier Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 166 ff. m.w. N. Anders aber BGH NStZ 1989, 475, der bei der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen ein strafgerichtlich verhängtes Berufsverbot (vgl. § 145c StGB) einen Tatbestandsirrtum annimmt, wenn der Täter fälschlicherweise davon ausgeht, dass seine Beschwerde gegen das verhängte Berufsverbot aufschiebende Wirkung habe (zu Recht ablehnend Dölp, NStZ 1989, 475 f.). Auf der Linie des BGH und entsprechend zum Verwaltungsakt auch: BeckOK-OWiG/Valerius, § 11 Rn. 22; KK-OWiG/Rengier, § 11 Rn. 18.
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oder – im Sinne der Ciola-Rechtsprechung: – unanwendbaren Verwaltungsakt bewusst zuwiderhandelt und dabei von dessen Wirksamkeit ausgeht, ist schließlich von einem Wahndelikt auszugehen.413 Denn der Täter, der von einer strafbewehrten Pflicht ausgeht, die tatsächlich gar nicht besteht, überdehnt wiederum den Bereich strafbarer Pflichten. Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass erst der Verwaltungsakt die gesetzlichen und damit auch die strafbewehrten Pflichten konkretisiert.
413
Zutreffend Heghmanns, Dogmatik, S. 346.
Vierter Teil
Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe als strafrechtliches Nachtatgeschehen § 9 Konzeptionelle Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen beim belastenden Verwaltungsakt Die materielle Einordnung des Verwaltungsakts in das Strafrecht hat zu der Erkenntnis geführt, dass sowohl bei belastenden Verwaltungsakten, die eine strafbewehrte Verhaltenspflicht statuieren, als auch bei begünstigenden Verwaltungsakten, welche tatbestandsausschließende Wirkungen zeitigen, nicht die verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeit, sondern – im Sinne einer streng verwaltungsverfahrensrechtlichen Akzessorietät – die innere Wirksamkeit entscheidend für die strafrechtliche Beurteilung ist. Hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe ist im Weiteren fraglich, ob diese strafrechtliche Anlehnung an das Verwaltungsverfahrensrecht derart weit gehen kann, dass auch verwaltungsverfahrens- beziehungsweise verwaltungsprozessrechtlich bedingte Rückwirkungen auf das Strafrecht ausstrahlen.1 Wer die Anbindung des Strafrechts an die Wirksamkeit konsequent weiterdenkt, muss sich auch damit auseinandersetzen, was für das Strafrecht gilt, wenn der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit erlischt. Für das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht sind im Ausgangspunkt drei Fallgruppen denkbar. Erstens: Für den Betroffenen begünstigende Rückwirkungen, indem ein strafbewehrter belastender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird. Zweitens: Wiederum für den Betroffenen begünstigende Rückwirkungen, mit der die bislang unerfüllt gebliebene und strafrechtlich eingeforderte Zugangskontrolle durch eine rückwirkende Genehmigung erfüllt wird. Und Drittens: Für den Betroffenen belastende Rückwirkungen, in deren Folge begünstigende Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden. Die Strafrechtswissenschaft ist schnell geneigt, dem Nachtatgeschehen unter dem Eindruck des Rückwirkungsverbots und unter Verweis auf die Aspekte der Rechtssicherheit und -klarheit jegliche Bedeutung abzusprechen. Doch steht zur Diskussion, ob diese Erwägungen beim verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht 1 Rengier, ZStW 1989, 874 (890 f.), spricht insoweit von „extremer Verwaltungsaktakzessorietät“.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 169
und dem einhergehenden gesteigerten Staat-Bürger-Verhältnis verfangen. Jedenfalls was die strafbewehrte Zuwiderhandlung gegen belastende Verwaltungsakte angeht, besteht ein solches Verhältnis nicht erst durch das Strafverfahren, sondern bereits durch das zuvor statuierte Verwaltungsrechtsverhältnis. Die Diskussion um die rechtlichen Anforderderungen an die unrechtsbegründende Wirkung des Verwaltungsakts im Strafrecht hinterließ dabei Bedenken im Hinblick auf die Rechtsweggarantie (vgl. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) und dem damit verbürgten Recht eines effektiven Rechtsschutzes.2 Die folgende Auseinandersetzung zu den Rückwirkungen im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht konzentriert sich daher auf die erste Fallgruppe. Sie ist auch deshalb von größtem Interesse, weil der Bürger einem rechtswidrig belastenden Verwaltungsakt ausgesetzt ist, sodass eine diesbezügliche Korrektur mithilfe der verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe naheliegt. Ob sich die dabei gefundenen Ergebnisse auf die anderen Fallgruppen übertragen lassen, wird im Anschluss diskutiert. Die nähere Untersuchung rechtlicher Rückwirkungen und deren Auswirkungen auf das Strafrecht bedingt zunächst, die verwaltungsverfahrens- und verwaltungsprozessrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe aufzuzeigen, die Wirkungen für die Vergangenheit begründen. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass allenfalls Rechtsbehelfe mit ex tunc-Wirkung Folgen für eine zurückliegende tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte begangene Tat nach sich ziehen können. Daran schließt sich eine Analyse der strafrechtlichen Lösungsansätze an, die das Verhältnis des Strafrechts zum Nachtatgeschehen klären wollen. Der Blick über den verwaltungsaktakzessorischen Tellerrand hinaus auf verwandte Rückwirkungsproblematiken, wie sie etwa im Zivilrecht, dem Strafprozessrecht oder dem Immaterialgüterrecht Fuß fassen, lohnt, weil er einerseits parallele Argumentationsmuster aufzeigt und andererseits Unterschiede aufdeckt. Rechtskonstruktive Begründungsansätze zu den rechtlichen Rückwirkungen lassen eine kritische Würdigung der strafrechtlichen Lösungsansätze zu, auf deren Grundlage der Versuch unternommen wird, das Nachtatgeschehen im Strafrecht befriedigend einzuordnen.
A. Rechtliche Rückwirkungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe und strafrechtliche Lösungsansätze Aussagen über die strafrechtlichen Folgen verwaltungsrechtlicher Rückwirkungen lassen sich nur treffen, wenn zuvor Klarheit darüber herrscht, welche Entscheidungen und Rechtsbehelfe überhaupt rückwirkende Folgen zeitigen. Daran schließt sich eine systematische Darlegung möglicher strafrechtlicher Lösungsansätze zum Umgang mit den verwaltungsrechtlichen Rückwirkungen an. 2
Dazu oben § 6 III. 2. c) dd).
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
I. Rückwirkungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe 1. Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung Die obige Betrachtung der aufschiebenden Wirkung konzentrierte sich auf die strafrechtlichen Folgen ab dem Zeitpunkt, zu dem Widerspruch und Anfechtungsklage eingelegt wurden. Die Untersuchung gelangte zu dem Ergebnis, dass vom Zeitpunkt der damit einhergehenden – nach hier vertretener Ansicht – Wirksamkeitshemmung für den belastenden Verwaltungsakt eine Strafbarkeit nicht mehr in Betracht kommt.3 Nunmehr richtet sich der Blick auf die gegebenenfalls zeitlich rückwirkenden Folgen der aufschiebenden Wirkung, was zunächst voraussetzt, dass die aufschiebende Wirkung durch die Erhebung von Widerspruch und Anfechtungsklage auf einen vorhergehenden Zeitpunkt zurückwirkt. Ist letzteres der Fall, wäre zu erwägen, ob der zeitlich rückwirkende Eintritt der Wirksamkeitshemmung auch Folgen für eine an sich bereits vollendete Zuwiderhandlung gegen den Verwaltungsakt nach sich zieht. a) Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO schweigt zum Eintritt der aufschiebenden Wirkung. Unstreitig ist im Ausgangspunkt, dass die aufschiebende Wirkung erst mit Einlegung des Widerspruchs beziehungsweise der Erhebung der Klage eintritt und die bloße Möglichkeit hierfür nicht genügt.4 In Frage steht aber, ob die damit einhergehende – nach hier vertretener Ansicht: – wirksamkeitshemmende Folge erst ab dem Moment eintritt, in dem Widerspruch oder Klage erhoben werden oder weitergehend – und unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung von besonderer Relevanz – die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes bereits im Zeitpunkt seines Erlasses als gehemmt gilt. Früher wurde vereinzelt unter Verweis auf den Wortsinn, wonach „aufschieben“ nur in Bezug auf etwas Künftiges oder zumindest noch nicht Abgeschlossenes gelten könne5, und ihrem vorläufigen Charakter6 vertreten, die aufschiebende Wirkung trete ex nunc ein. In der Tat leuchtet auf den ersten Blick nicht ein, warum derjenige, der es selbst in der Hand hat, mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen staatliches Handeln aufzubegehren, hierauf aber zunächst verzichtet, rückwirkend in den Genuss der Wirksamkeitshemmung kommen soll.7 Gleichwohl ist der ex tunc-Eintritt inzwischen ein-
3 4 5 6 7
Hierzu oben § 7 C. I. Siehe nur BVerwG NVwZ 1992, 791. Vgl. Löwer, DVBl 1966, 251. So Siegmund-Schultze, DVBl 1963, 475 (746, 751 f.) m.w. N. Hiervon ohne nähere Begründung ausgehend Quaritsch, VerwArch 1960, 210 (228).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 171
hellig in Rechtsprechung und Literatur anerkannt.8 Den Gedanken eines (vermeintlichen) Klageverzichts sehen sie dadurch ausgeräumt, dass die Klagefrist dem Rechtsschutzsuchenden eine Überlegungszeit gewährt, an die sich schwerlich rechtliche Nachteile knüpfen lassen.9 Gesetzlichen Rückhalt finden sie überdies in der Vorschrift des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO, der zum Ausdruck bringt, dass einer bereits erfolgten Vollziehung nachträglich der Boden entzogen wird, soweit das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnet oder wiederherstellt.10 Daraus erwächst im Umkehrschluss, dass kraft der gesetzlich ausgelösten aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO nichts anderes gelten kann. Schließlich streitet die Sicherungsfunktion der aufschiebenden Wirkung und damit ihr Sinn und Zweck für eine rückziehende Wirkung.11 b) Gerichtliche Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO Bereits oben wurde ausführlich dargestellt, dass unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen nicht eintritt oder im Fall des § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 VwGO später entfällt. Dadurch lösen Widerspruch und Anfechtungsklage zwar weiterhin den Suspensiveffekt aus, verlieren aber ihre ansonsten miteinhergehende aufschiebende Wirkung.12 Der unterworfene Bürger ist gleichwohl nicht schutzlos gestellt. Mit § 80 Abs. 5 VwGO kann er im vorläufigen Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragen, dass sie die aufschiebende Wirkung anordnen (§ 80 Abs. 5 S. 1 1. Var. VwGO) beziehungsweise wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 S. 1 2. Var. VwGO).13 8
Dies gilt für Vertreter der Wirksamkeits- und Vollziehbarkeitstheorie gleichermaßen: BVerwG DÖV 1973, 785 (787); NVwZ 2016, 1333 (1334); OVG Weimar BeckRS 2015, 53842; OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55); Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 22; Finkelnburg, in: Finkelnburg, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 658; Huba, JuS 1990, 382 (384); W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 54; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 118; ders., Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1187 ff. m.w. N. zur älteren Rspr.; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 122; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 503. 9 Vgl. BT-Drs. 01/4278, S. 41; Löwer, DVBl 1966, 251. 10 Finkelnburg, in: Finkelnburg, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 658; Haase, in: Brandt/Domgörgen, Hdb. Verwaltung, H Rn. 60; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1187. 11 Zur Sicherungsfunktion der aufschiebenden Wirkung oben § 7 B. 12 Hierzu bereits oben § 6 B. I. 2. 13 Die Unterscheidung erschließt sich vor dem Hintergrund der gesetzlichen Systematik des § 80 Abs. 2 VwGO: Da in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen entfällt, kann sie durch das Gericht erstmalig angeordnet werden. Ausgehend von den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, in denen die Verwaltung einen Verwaltungsakt erlässt, ohne zunächst dessen sofortige Vollziehbarkeit anzuordnen, verbleibt Widerspruch und Anfechtungsklage die
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
Wiederum keine Antwort gibt das Gesetz unmittelbar auf die Frage, welche temporären Folgen der gerichtliche Beschluss (vgl. § 80 Abs. 7 S. 1 VwGO) bezüglich der aufschiebenden Wirkung nach sich zieht, insbesondere, ob sie wie im Fall ihres gesetzlichen Eintritts auf den Erlasszeitpunkt des Verwaltungsakts zurückwirkt. Teils wird vertreten, dem Rechtsschutzsuchenden die aufschiebende Wirkung erst vom Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht an zu gewähren, sofern sie gesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO), weil zuvor gar keine aufschiebende Wirkung bestand, die wiederhergestellt werden könnte.14 Vor dem Hintergrund der fehlenden Rechtsbehelfsfrist für den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 sei es unbillig, die verstrichene Zeit zwischen Erlass des Verwaltungsakts und dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei Gericht zu Gunsten des belasteten Adressaten des Verwaltungsakts zu bewerten.15 Schließlich spreche § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO gegen eine Rückwirkung auf den Erlasszeitpunkt, der als selbständiger Ausspruch geradezu überflüssig wäre, wenn § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO schon das bewirkte, was S. 3 regelt.16 Dem widerspricht die herrschende Auffassung in Literatur17 und Rechtsprechung18 zu Recht. Stützen kann sie sich dabei auf Systematik und Zweck des Gesetzes: demnach zielt § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO darauf ab, die Rechtslage in Kraft zu setzen, die bestünde, wenn die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nicht ausnahmsweise gemäß § 80 Abs. 2 VwGO entfallen wäre.19 § 80 aufschiebende Wirkung. Ordnet die Verwaltungsbehörde erst später den Sofortvollzug an, entfällt die aufschiebende Wirkung. Sodann kann das Verwaltungsgericht die bereits aufgelebte, dann aber entfallene aufschiebende Wirkung wiederherstellen. Wenngleich der Wortlaut von § 80 Abs. 5 S. 1 2. Var. VwGO dies nicht hergibt, erfasst die Vorschrift ebenfalls Fälle, in denen der Sofortvollzug von Anfang an angeordnet ist und daher von einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung an sich keine Rede sein kann, weil sie zu keinem Zeitpunkt bestand (hierzu Erichsen, Jura 1984, 478 [479 f.]; Schoch, in. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 336; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 186). 14 OVG Koblenz NVwZ-RR 1989, 324 (ohne Begründung); OVG Greifswald NVwZRR 2004, 212 (213); offenlassend VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 31.01.2017 – 5 K 1615/15 – juris, Rn. 36; so bereits Löwer, DVBl 1966, 251 (253). 15 OVG Greifswald NVwZ-RR 2004, 212 (213). 16 Löwer DVBl 1966, 251 (253); Schäfer, DÖV 1967, 477 (479). 17 BeckOK-VwGO/Gersdorf, § 80 Rn. 195; Eyermann/Hoppet, VwGO, § 80 Rn. 109, mit dem Hinweis darauf, dass das Gericht die Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung zeitlich begrenzen kann; HK-VwGO/Funke-Kaiser, § 80 Rn. 113; M. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 59; NK-VwGO/Puttler, § 80 Rn. 169; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 535; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 243. 18 Ohne Begründung BVerwG, Urt. v. 05.05.1982 – 1 C 182/79 – juris, Rn. 28; BVerwGE 78, 192 (209 f.); OVG Münster DÖV 1983, 1024 (1025); VGH München GewArch 1993, 349 (351); VGH Mannheim VBlBW 1991, 33; VBlBW 2003, 445 (450); OVG Bremen NVwZ-RR 2006, 692 (692 f.); OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55). 19 So ausdrücklich BVerwGE 17, 192 (209 f.); OVG Münster DÖV 1983, 1024 (1025); OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55); das erkennt auch Löwer, DVBl 1966, 251 (252), an, weshalb sein folgender Sinneswandel unverständlich ist.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 173
Abs. 5 VwGO kann einen ebenso effektiven Rechtsschutz wie § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO nur gewähren, wenn er im selben Ergebnis mündet.20 Schließlich spricht § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO nicht gegen, sondern (wie bereits ausgeführt) vielmehr für eine Rückwirkung der Wirksamkeitshemmung auf den Erlasszeitpunkt. Gegen dieses Ergebnis dringt der Einwand fehlender Rechtsbehelfsfristen nicht durch. Zum einen geht er fehl, weil der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zwar keiner Frist unterliegt, gleichwohl aber unzulässig ist, wenn der Verwaltungsakt in Bestandskraft erwächst21 und spätestens mit Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine zeitliche Grenze erfährt (vgl. auch § 80b VwGO).22 Weiterhin obliegt die Statuierung einer Rechtsbehelfsfrist dem Gesetzgeber, der damit den Rechtsschutz des Betroffenen einschränkt. Insoweit erscheint es widersinnig, aus der fehlenden Beschränkung von Rechten des Betroffenen auf andere Nachteile zu schließen. 2. Rückwirkung der gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) Beschreitet der Bürger den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, um gegen einen belastenden Verwaltungsakt vorzugehen, offenbart § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO die Zukunft des Verwaltungsakts: Ist der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt, hebt ihn das Verwaltungsgericht auf. Die Rückwirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wird dabei allgemein vorausgesetzt,23 wenngleich § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO hierfür wenig hergibt. Der aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz bekannte Oberbegriff der (behördlichen) Aufhebung für Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten bringt in den §§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1, 3 VwVfG vielmehr zum Ausdruck, dass eine Wirkung für die Vergangenheit keinesfalls zwingend ist. Wenn § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO dem Gericht jedoch überdies die Befähigung zuspricht, im Fall der Aufhebung des Verwaltungsakts auch seine Vollziehung „rückgängig zu machen“, ist darin ein gewichtiger Grund dafür zu erblicken, dass ihr rückwirkend die Grundlage entzogen wird. Damit genügt die gerichtliche Aufhebung dem gesetzlichen Ansinnen, die rechtswidrige Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts wenn 20 Vgl. OVG Bautzen NVwZ-RR 2007, 54 (55): „Der Gesetzgeber will damit erreichen, dass für den Widerspruchsführer aus dem Verwaltungsakt keine nachteiligen Konsequenzen erwachsen können. [. . .] Die positive Entscheidung über einen Antrag des Widerspruchsführers nach § 80 V 1 VwGO schließt wiederum die Rechtsfolge der Ausnahmeregelung des § 80 II VwGO aus und führt somit zum Regelfall des § 80 I VwGO zurück“; vgl. auch bereits VG Schleswig NJW 1976, 820. 21 Hierzu nur Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 200 f., mit weiteren Beispielen spezialgesetzlicher Fristregelungen. 22 Freilich ist Löwer, DVBl 1966, 251 (253), zuzugeben, dass der Betroffene „zu beliebig später Zeit bis zum Abschluß des Hauptverfahrens einen Aussetzungsantrag stellen kann“ und dies unter Umständen eine jahrelange Rückwirkung begründen kann. 23 Vgl. Kammer, DVBl 1952, 689.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
nicht gar vollkommen zu beseitigen, so den Belasteten zumindest zu stellen, als ob der Verwaltungsakt nie wirksam gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Charakter des Anfechtungsurteils als kassatorischen und somit gestaltenden Urteils, durch das die Rechtswirkungen des Verwaltungsakts unmittelbar – ohne dass es eines weiteren behördlichen Tätigwerdens bedarf – entfallen.24 Die Gestaltungswirkung tritt mit der formellen Rechtskraft, also regelmäßig mit Ablauf der Rechtsmittelfrist ein.25 3. Rückwirkung der behördlichen Aufhebung des Verwaltungsakts Neben der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns gewährt der Gesetzgeber den Verwaltungsbehörden auch Möglichkeiten zur Selbstkorrektur, die sie in die Lage versetzen, Verwaltungsakte aufzuheben. Die §§ 48, 49 VwVfG können dabei als Grundtatbestände angesehen werden, die oftmals eine spezialgesetzliche Konkretisierung erfahren.26 Weiterhin sieht die Verwaltungsgerichtsordnung vor Erhebung der Klage gemäß den §§ 68 ff. VwGO ein Vorverfahren zur behördlichen Selbstkontrolle vor.27 a) Die Aufhebung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gemäß § 68 VwGO ist vor Erhebung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ein Vorverfahren durchzuführen. Wenngleich die Verwaltungsgerichtsordnung das Widerspruchsverfahren zur Sachurteilsvoraussetzung macht, handelt es sich um ein behördliches Verfahren.28 Damit die Verwaltung innerhalb dieses 24 Im Ergebnis allgemeine Meinung: Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, § 113 Rn. 5; HK-VwGO/Stuhlfauth, § 113 Rn. 22; vgl. auch bereits Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (73), der am Schluss seiner zivilrechtlichen Betrachtung die Parallele zum „staats- und verwaltungsrechtlichen Gebiete“ anreißt; Knauff, in: Gärditz, VwGO, § 113 Rn. 23; Lorenz, Menger-FS, S. 143 (155), wonach Art. 19 Abs. 4 GG aber eine solche Kassation nicht gebiete; W.-R. Schenke/R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 3; bzgl. der Gewaltenteilung Schmidt-Assmann, Menger-FS, S. 107 (116). 25 Brandt, in: Brandt/Domgörgen, Hdb. Verwaltung P Rn. 268. 26 Bsp.: §§ 73–73c AsylVfG, § 5 BÄO, § 17 Abs. 2, 3 AtomG, § 14 BBG, § 1 LGastG BW i.V. m. § 15 GastG, §§ 44 ff. SGB X, § 45 WaffG; s. zu den steuerrechtlichen Spezialvorschriften in den §§ 130 ff., 172 ff. AO die vergleichende Darstellung bei Arndt, Rücknahme und Widerruf, S. 54 ff. Das Verhältnis der Spezialvorschriften zu den allgemeinen §§ 48, 49 VwVfG ist jeweils für den Einzelfall nach dem Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 1 Abs. 1 VwVfG) sowie systematischer und teleologischer Erwägungen aufeinander abzustimmen (vgl. BeckOK-VwVfG/J. Müller, § 48 Rn. 10). 27 Vgl. HK-VwGO/Funke-Kaiser, Vor §§ 68 ff. Rn. 2; selbst Oerder, Widerspruchsverfahren, S. 54 f., erkennt unter Zugrundelegung eines – aufgrund der grundgesetzlichen Kompetenzzuteilung – rein prozessrechtlichen Verständnisses dem Belang der Selbstkontrolle der Verwaltung immerhin sekundäre Bedeutung zu, der mit der primären Entlastungsfunktion der Verwaltungsgerichte einhergeht. 28 Bettermann, Jellinek-GS, S. 361 (387 f.); ausführlich v. Mutius, Widerspruchsverfahren, S. 33 ff.; vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Kompetenzzuteilung ge-
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Verfahrens ihrer Selbstkontrolle hinreichend Folge leisten kann, stattet sie das Gesetz mit Ermächtigungen aus, die ihr im Fall des belastenden Verwaltungsakts erlauben, den Verwaltungsakten aufzuheben. Hält die Erlassbehörde den Widerspruch für begründet, so hilft sie ihm gemäß § 72 VwGO ab.29 An besondere Voraussetzungen – so insbesondere an die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG – ist sie dabei nicht gebunden (vgl. 50 VwVfG). Hält sie entsprechend ihrer Beweggründe bei Erlass des Verwaltungsakts den Widerspruch für unbegründet, leitet sie den Widerspruch grundsätzlich an die nächsthöhere Behörde weiter, vgl. § 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Dieser obliegt mithilfe eines Widerspruchsbescheids entweder den Verwaltungsakt aufzuheben30 oder den Widerspruch zurückzuweisen. Infolge des Devolutiveffekts kommen der Widerspruchsbehörde dabei dieselben Entscheidungskompetenzen wie der Abhilfebehörde zu.31 Aus dem Zweck des Vorverfahrens, der hauptsächlich in der Entlastung der Verwaltungsgerichte liegt,32 erschließt sich, dass der Verwaltungsakt grundsätzlich mit Wirkung ex tunc aufgehoben wird. Dieser Funktion genügen die Behörden nur, wenn ihnen dieselbe Kassationsmacht wie den Gerichten zukommt. Ausweislich des Wortlauts des § 72 VwGO kommt der Widerspruchsbehörde dabei kein Ermessen zu,33 sodass die Verwaltung den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben hat, wenn der Widerspruch zulässig und begründet ist. Begründet ist der Widerspruch nicht nur im Fall der Rechtswidrigkeit, sondern auch dann, wenn er sich als unzweckmäßig erweist (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO).
nauer Oerder, Widerspruchsverfahren, S. 22 ff., der nur den Handlungen der Behörde, nicht aber dem Widerspruchsverfahrens als solchem, eine Doppelnatur zuerkennt; Steinweg, Regelungsgehalt, S. 44, unter Verweis auf §§ 9 1. Var., 79 2. Hs. VwVfG. 29 Vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, § 72 Rn. 11; HK-VwGO/Funke-Kaiser, § 72 Rn. 5; Kothe, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 72 Rn. 5; v. Mutius, Widerspruchsverfahren, S. 129; NK-VwGO/Geis, § 72 Rn. 15; i. Erg. auch die Rspr., wenn sie der Abhilfe- bzw. Widerspruchsbehörde ein Wahlrecht zugesteht, BVerwGE 101, 64; vgl. auch VGH Mannheim VBlBW 1989, 53 (54); anders Oerder, Widerspruchsverfahren, S. 140 ff., der den §§ 68 ff. VwGO ein rein prozessuales Verständnis unterstellt und deshalb nur die §§ 48, 49 VwVfG anwenden will. 30 Zu den Möglichkeiten, wie die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch stattgeben kann Eyermann/Rennert, VwGO, § 73 Rn. 13 ff.; vgl. v. Mutius, Widerspruchsverfahren, S. 167, der zurecht darauf hinweist, dass das Gesetz zu den Entscheidungsmöglichkeiten der Widerspruchsbehörde schweigt. 31 Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 68 Rn. 36. 32 Oerder, Widerspruchsverfahren, S. 54 f. 33 VGH Mannheim VBlBW 1989, 53 (54); HK-VwGO/Funke-Kaiser, § 72 Rn. 11; Kothe, in: Redeker/v. Oertzen/§ 72 Rn. 2; NK-VwGO/Geis, § 72 Rn. 15, der klarstellend darauf hinweist, dass die Widerspruchsbehörde grundsätzlich nicht daran gehindert ist, das Ermessen erneut auszuüben; v. Mutius, Widerspruchsverfahren, S. 45.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
b) Die Grundtatbestände zur behördlichen Aufhebung von Verwaltungsakten, §§ 48, 49 VwVfG Gemäß den §§ 48, 49 VwVfG können Verwaltungsbehörden sowohl rechtswidrige als auch rechtmäßige Verwaltungsakte selbst dann noch aufheben, wenn sie unanfechtbar geworden sind. Hiermit bringt das Gesetz zweierlei zum Ausdruck: Zum einen kann die Verwaltungsbehörde, nachdem der Verwaltungsakt durch Bekanntgabe äußerlich wirksam geworden ist, ihn nicht willkürlich, sondern nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG aufheben.34 Zum zweiten besagen sie aber auch, dass weder die Wirksamkeit noch die Bestandskraft des Verwaltungsakts einen Zustand vollkommener Rechtssicherheit darstellen. Vielmehr ermächtigen die Normen dazu, die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens aus Gründen privater oder öffentlicher Interessen zu durchbrechen.35 aa) Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, § 48 VwVfG § 48 VwVfG trägt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) Rechnung, indem er der Verwaltung selbst ermöglicht, ihre rechtswidrigen Verwaltungsakte aus der Welt zu schaffen.36 Das hierin liegende Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Vertrauensschutz einerseits und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits löst die Norm im Wege eines fein austarierten Kompromisses auf:37 Die rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakte können über § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG ohne Einschränkungen und allein nach dem Ermessen der Behörde zurückgenommen werden.38 Für begünstigende Verwaltungsakte gelten die Einschränkungen der Abs. 2 bis Abs. 4 (vgl. § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG). Da Genehmigungen oder sonst strafrechtsrelevante begünstigende Verwaltungsakte nicht unter Abs. 2 fallen, gilt für sie § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG, wonach sie regelmäßig nur gegen Ausgleich des Vertrauensschadens zurückgenommen werden können (vgl. § 48 Abs. 3 VwVfG).39 Die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts liegt in diesen Fällen grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Das gilt sowohl für die Frage, ob die Verwaltung von der Rücknahme Gebrauch macht, als auch für die Frage des Wie. Grundsätzlich entscheidet die Behörde daher nach pflichtgemäßem Ermessen auch darüber, ob sie den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft zurücknimmt. Im ersteren Fall geht damit eine Rückwirkung einher, mit dem die 34
Steinweg, Regelungsgehalt, S. 54. Vgl. zum Ganzen Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 1; Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 1 f. 36 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 5; Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 2. 37 Siehe nur Arndt, Rücknahme und Widerruf, S. 43. 38 Vgl. BeckOK-VwVfG/J. Müller, § 48 Rn. 38. 39 Siehe nur Ziekow, VwVfG; § 48 Rn. 38. 35
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von dem rechtswidrigen Verwaltungsakt ausgehenden Rechte und Pflichten nachträglich beseitigt werden. Die behördliche Rücknahmeentscheidung stellt einen gestaltenden Verwaltungsakt dar, sodass die Aufhebungswirkung bereits mit ihrer Wirksamkeit eintritt.40 bb) Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, § 49 VwVfG Hinsichtlich rechtmäßiger Verwaltungsakte kann die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht rechtfertigen. Demgemäß kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt auf der Grundlage von § 49 VwVfG nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen widerrufen werden. Ein Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheit ist sowohl hinsichtlich belastender als auch hinsichtlich begünstigender Verwaltungsakte (mit Ausnahme der hier irrelevanten Aufzählungen in § 49 Abs. 3 VwVfG41) nicht möglich, vgl. § 49 Abs. 1, Abs. 2.42 II. Strafrechtliche Lösungssätze Fraglich ist, ob und bejahendenfalls wie die verwaltungsrechtlichen Rückwirkung in das Strafrecht zu implementieren sind. Alle Rückwirkungen beruhen auf Ereignissen, die der Tatvollendung nachgehen. Für die Bedeutung des Nachtatgeschehens im Strafrecht sind dreierlei Betrachtungsweisen denkbar, die jeweils Anhänger in der strafrechtlichen Judikatur und Wissenschaft hinter sich vereinen konnten. Erstens: Nachtatgeschehen findet keine Berücksichtigung im Strafrecht. Zweitens: Nachtatgeschehen findet Berücksichtigung im Strafrecht. Drittens: Einer Rückwirkung wird bereits vorbeugend (prohibitiv) in der Weise Rechnung getragen, als dass das die Rückwirkung bedingende Ereignis bereits bei der Auslegung des Tatbestands Berücksichtigung findet. 1. Ablehnung einer Berücksichtigung des Nachtatgeschehens Die noch immer herrschende Ansicht versagt dem Nachtatgeschehen jegliche Bedeutung im Strafrecht. Dementsprechend kann weder der rückwirkende Eintritt der aufschiebenden Wirkung durch Widerspruch und Anfechtungsklage,43
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BVerwGE 129, 66 (70); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 32. Wagner, Akzessorietät, Rn. 659, diskutiert die rückwirkende Aufhebung rechtmäßiger Genehmigungen gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG, bleibt einer Erklärung aber dafür schuldig, wo eine solche strafrechtlich relevant werden soll. 42 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 49 Rn. 8. 43 Hierzu BGH 23, 86 (90 f.); BayObLG VRS 35, 195 (196 ff.); OLG Hamburg MDR 1968, 1027; vgl. Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 409; im Ausgangspunkt auch Lorenz, DVBl 1971, 165 (169); Odenthal, NStZ 1991, 418 (420). 41
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noch die kassatorische Wirkung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils44 oder die rückwirkende behördliche Aufhebung45 eines belastenden Verwaltungsakts Einfluss auf eine zuvor begangene, strafbare Zuwiderhandlung gegen den Verwaltungsakt nehmen.46 Sinnbildlich hierfür steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 86), die bereits in anderem Zusammenhang eingehende Betrachtung erfuhr,47 wobei er sich der Verstetigung des Verwaltungsrechts für die Zwecke des Strafrechts absolut verschreibt: „Der spätere Wegfall eines Tatumstandes, der für die Verwirklichung des Straftatbestandes wesentlich war, vermag die bereits vollendete Zuwiderhandlung nicht zu beseitigen [. . .]. Das gilt auch dann, wenn der Tatumstand rückwirkend entfällt [. . .]. Für die strafrechtliche Beurteilung einer Zuwiderhandlung gegen eine trotz eingelegten Rechtsbehelfs vollziehbare behördliche Einzelanordnung ergibt sich daraus, daß eine später rückwirkende Aufhebung des Verwaltungsaktes durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil die bereits vollendete Verwirklichung des Straftatbestandes und die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung nachträglich nicht zu beseitigen vermag.“ 48
Der Bundesgerichtshof bedient sich zur Begründung seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Berücksichtigung von Nachtatgeschehen einfachgesetzlichen Wertungen. Einerseits verweist er auf die Ausnahme in § 2 StGB, außerhalb derer sich die Strafbarkeit einer Handlung ausschließlich nach den Verhältnissen im Tatzeitpunkt bemesse. Zweitens nimmt er Bezug auf den eng begrenzten Ausnahmefall gemäß § 79 Abs. 1 BVerfGG, der einem rechtskräftig Verurteilten die Möglichkeit einräumt, das Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben, wenn die Verurteilung auf einem mittlerweile für verfassungswidrig erklärten Gesetz beruht. Weder hält der Bundesgerichtshof einen solchen Ausnahmefall für einschlägig noch die Norm für entsprechend anwendbar.49 Unterstützung findet er durch Stimmen, die es mit einer gleichmäßigen und gerechten Strafrechtspflege für unvereinbar halten, wenn Hartnäckigkeit und Geschick im Verwaltungsprozess über die Strafbarkeit entschieden.50
44 Hierzu BGHSt 23, 86 (94); BGH NStZ 1982, 158 (159); wohl bereits BayObLGSt 1962, 26 (31); BayObLG VRS 35, 195 (199 ff.); OLG Karlsruhe 1978, 116; KG NZV 1990, 441; LG Dortmund NJW 1964, 2028; Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 406; im Ausgangspunkt auch Lorenz, DVBl 1971, 165 (168). 45 Hierzu OLG Karlsruhe NJW 1978, 116; OLG Hamburg NJW 1980, 1007; KG NZV 1990, 441. 46 Ohne nähere Differenzierung Dölling, JZ 1985, 461 (465); NK-StGB/Ransiek, § 324a Rn. 21; wohl auch Rebler, BayVBl 2017, 81 (83); LK-StGB/Steindorf, Vor § 324 Rn. 40; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 44. 47 Hierzu oben § 6 B. II. 2. 48 BGHSt 23, 86 (93 f.). 49 BGHSt 23, 86 (93 f.). 50 So Dölling, JZ 1985, 461 (466); beipflichtend Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 406.
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2. Zustimmung zur Berücksichtigung des Nachtatgeschehens Die strikt ablehnende Haltung gegenüber der Berücksichtigung von Nachtatgeschehen im Strafrecht hat vereinzelt Durchbrechungen erfahren. Sowohl was den rückwirkenden Eintritt der aufschiebenden Wirkung durch Erhebung von Widerspruch und Anfechtungsklage51 (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO), als auch dessen gerichtliche Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung durch gerichtliche Anordnung52 (vgl. § 80 Abs. 5 VwGO) anbelangt, finden sich Anhänger, die den verwaltungsrechtlichen Rückwirkungen eine strafrechtliche Bedeutung zumessen. Auch gegenüber der gerichtlichen53 oder behördlichen Aufhebungen54 des Verwaltungsakts soll das Strafrecht nicht immun sein. Auf welche Weise das Nachtatgeschehen hiernach strafrechtliche Berücksichtigung finden soll, ist wiederum umstritten. Eine Ansicht möchte die verwaltungsrechtliche Rückwirkung unmittelbar auf Tatbestandsebene durchschlagen lassen, mit der Folge, dass der Tat51 Hierzu AG Bonn NJW 1967, 1480: Die Angeklagte hatte gegen ein Verkehrszeichen verstoßen und nach der Zuwiderhandlung Widerspruch gegen dieses eingelegt. Das AG Bonn ging (entgegen der heute ganz h. M.) davon aus, dass das Verkehrszeichen durch Aufstellung nicht gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO (analog) sofort vollziehbar war. Der Tatsache, dass die Angeklagte erst nach der Zuwiderhandlung den in dem Verkehrsschild enthaltenen Verwaltungsakt angefochten hat, maß das Gericht keine rechtliche Bedeutung bei, weil der Suspensiveffekt auf den Zeitpunkt seines Erlasses zurückwirkte und seine Vollziehbarkeit ex tunc beseitigte (AG Bonn NJW 1967, 1580 [1481] mit abl. Anm. von Honnacker, NJW 1967, 1769). 52 Hierzu OLG Frankfurt a. M. StV 1988, 301: Der Angeklagte hatte gegen seine Ausreisepflicht, statuiert durch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis, verstoßen, sodass eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts in Betracht kam (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG [1987]). Gegen die sofort vollziehbare Versagung legte der Angeklagte Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, dem das Gericht in der Folge nachkam. Das OLG Frankfurt a. M. hob die Verurteilung der Berufungsinstanz mit der Begründung auf, sie habe das „naheliegende Eingreifen eines Strafausschließungsgrundes“ übersehen, der in Betracht komme, wenn sich eine Anordnungen im Nachhinein als rechtswidrig erweise. Das Gericht sieht es für strafrechtlich erheblich an, dass durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eine Duldungsfiktion hergestellt sei, unter deren Berücksichtigung sich der Aufenthalt als „rein verwaltungsrechtlicher Ungehorsam“ darstelle (kritisch – wenngleich ihm Ergebnis [wohl] zustimmend – hierzu die Anmerkung von Wolf, StV 1988, 303); allgemein auch Heghmanns, Dogmatik, S. 340 ff. 53 Nach Ansicht des OLG Frankfurt a. M. NJW 1967, 262, handelt nicht objektiv rechtswidrig, wenn der Täter einem Einberufungsbescheid nicht nachkommt, der vom Verwaltungsgericht später aufgehoben wird (diese Rechtsansicht hat das OLG Frankfurt a. M. in StV 1988, 301 [302], ausdrücklich wieder aufgegeben); jüngst auch LG Berlin NStZ-RR 2017, 121; die Berücksichtigung von Nachtatgeschehen ebenfalls bejahend: Ensenbach, Probleme, S. 85 ff.; Schenke, JR 1970, 449 (451 ff.); ders., Wolter-FS, S. 215 (231 ff.); vgl. Schröder, VVDStRL 50, S. 196, 224 f.; Stern, Lange-FS, 859 (863). Differenzierend danach, ob der Tatbestand ein materielles Rechtsgut oder ein formales Ordnungsinteresse schützt: Gerhards, NJW 1978, 86 (88); Lagemann, Ungehorsam, S. 130 ff. 54 Hierfür ausdrücklich Gerhards, NJW 1978, 86 (88); Schenke, Wolter-FS, S. 215 (232 mit Fn. 59); wohl auch Stern, Lange-FS, S. 859 (865).
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umstand eines belastenden Verwaltungsakts von vornherein nicht vorgelegen hat (Tatbestandslösung).55 Andere gehen von einem objektiven Strafaufhebungsgrund aus, wobei sie sich nicht unmittelbar auf die Rückwirkung als solche berufen, sondern auf die daraus entstehenden Rechtsfolgen abstellen, die eine Strafaufhebung bedingen.56 Unter anderem stellen sie auf einen verkürzten effektiven Rechtsschutz ab, wenn die strafrechtlichen Folgen trotz Aufhebung des Verwaltungsakts nicht eliminiert würden.57 Weiterhin entstünden Wertungswidersprüche mit dem durch § 79 Abs. 1 BVerfGG verkörperten Rechtsgedanken, wonach das Interesse des Rechts an der Beseitigung strafrechtlicher Folgen noch höher wiege als dies bei der Beseitigung verwaltungsrechtlicher Folgen der Fall sei.58 3. Prohibitive Lösungsansätze Hiervon unterscheiden sich Ansätze, die einer strafrechtlichen Berücksichtigung des Nachtatgeschehens gewissermaßen vorbeugen, indem sie der Voraussetzung, welche die verwaltungsrechtliche Rückwirkung begründet, bereits Bedeutung innerhalb der Strafbarkeitsvoraussetzungen beimessen. Aufgrund dieser vorbeugenden Berücksichtigung von Nachtatgeschehen ist hier von prohibitiven Lösungsansätzen die Rede. Hierzu zählen etwa diejenigen Vertreter, welche die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts zur objektiven Strafbarkeitsbedingung beziehungsweise zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal erheben.59 Andernfalls schütze das Strafrecht kein Kriminalunrecht, sondern ein bloß formelles Ordnungsinteresse oder gar den bloßen Ungehorsam, mithin bloßes Verwaltungsunrecht, was nicht zu seinen Aufgaben gehöre. Eine Ausnahme hiervon akzeptieren sie nur bei solchen Straftatbeständen, deren Schutz gerade auf die Einhaltung der durch den Verwaltungsakt geschaffenen formalen Ordnung ausgerichtet ist und deren Tatbestandsfassung dies erkennen lässt. Im Rahmen der materiellen Einordnung des Verwaltungsakts wurde bereits aufgezeigt, dass diese Ansätze nicht zu überzeugen vermögen; überdies das Verfassungsrecht eine solche Auslegung nicht erzwingt. Unter dem Blickwinkel der strafrechtlichen Bedeutung von Nachtatgeschehen sind sie erneut von Interesse, weil in ihnen ein konzeptionell dritter Weg zu sehen ist. 55 So etwa OLG Frankfurt NJW 1967, 262; wohl auch LG Berlin NStZ-RR 2017, 121, wenn es davon ausgeht, dass „in Wahrheit mangels Rechtsgutsbeeinträchtigung gar kein Unrecht begangen wurde“; AG Bonn NJW 1967, 1480 (1481); Gerhards, NJW 1978, 86 (88). 56 Ensenbach, Probleme, S. 85 ff.; Lagemann, Ungehorsam, S. 149; Schenke, JR 1970, 449 (451 ff.); ders., Wolter-FS, S. 215 (231 ff., 235), der sich letztlich dazu verleiten lässt, diesen Gesichtspunkt auf Ebene der Rechtswidrigkeit einzuordnen; Schröder, VVDStRL 50, S. 196, 224 f. 57 Grundlegend Schenke, JR 1970, 449 (452). 58 Schenke, JR 1970, 449 (452). 59 Zum verwaltungsrechtakzessorischen Verständnis mittels strafrechtlichen Durchgriffs auf das materielle Verwaltungsrecht, s. oben § 6 A. III. 2. b).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 181
Überdies deckt er eine weitere Inkonsequenz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf: Denn den prohibitiven Lösungsansätzen ist gleichermaßen zuzurechnen, wenn auf Tatbestandsebene Berücksichtigung findet, dass der Verwaltungsakt noch mit hemmenden Rechtsbehelfen angegriffen werden kann, weswegen nur sofort vollziehbare Verwaltungsakte strafrechtlich Beachtung finden.60 Damit berücksichtigt der Bundesgerichtshof vorbeugend einen Aspekt, der rechtliche Rückwirkungen erst später und auch nur dann auslöst, wenn der Betroffene tatsächlich Widerspruch oder Anfechtungsklage erhebt. Während der Bundesgerichtshof der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts keinerlei Bedeutung beimessen will, vertritt er bezüglich der aufschiebenden Wirkung einen prohibitiven Lösungsansatz.
B. Verwandte Rückwirkungsproblematiken aus anderen Rechtsgebieten und strafrechtliche Lösungsansätze Rückwirkungen finden sich auch in anderen Rechtsgebieten, wo ihnen eine teils größere und weiter zurückreichende Bedeutung zukommt. Folglich sind die Diskussionen um die daraus resultierenden Konsequenzen für das Zusammenspiel mit der Strafrechtsordnung nicht neu. Dies gilt etwa für das Zivilrecht und den damit zusammenhängenden Eigentumsdelikten. Vereinzelt erlangten (straf-) prozessuale Rückwirkungen Bedeutung für die materiell-strafrechtliche Beurteilung. Eine enge Verwandtschaft zu strafbewehrten Zuwiderhandlungen belastender Verwaltungsakte weisen schließlich strafbewehrte Verletzungen von Immaterialgüterrechten auf, die ihre Existenz dem Verwaltungsakt verdanken.61 Stets steht zur Diskussion, ob das Nachtatgeschehen in Form der rechtlichen Rückwirkung auf das Strafrecht durchschlägt. Insoweit erscheint lohnenswert, diese dem verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht verwandten Erscheinungsformen näher zu betrachten, um daran Parallelen und Unterschiede ausmachen, Erkenntnisgewinne ziehen und möglicherweise das strafrechtliche Dogma von der Bedeutungslosigkeit rechtlicher Rückwirkungen, wie es im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht noch vorherrscht, erschüttern zu können. I. Zivilrechtliche Rückwirkungen und strafrechtliche Lösungsansätze Die historisch weit zurückreichende Tradition des Zivilrechts mit dem rechtlichen Instrument der Rückwirkungsanordnung bringt es mit sich, dass entsprechende Auswirkungen auf das Strafrecht schon weitaus länger diskutiert werden.62 60
Dazu BGHSt 23, 86 (91 f.). Vgl. oben § 3 A. I. 3. 62 Vgl. Schubert, Rückwirkung, der sich der ex tunc-Wirkungen des bürgerlichen Rechts und deren strafrechtlichen Bedeutung bereits in seiner Dissertationsschrift aus dem Jahr 1928 widmet. 61
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
1. Eigentumsdelikte – Rückwirkende Änderung der Eigentumslage durch Anfechtung (vgl. § 142 Abs. 1 BGB) Parallelen weisen beispielsweise Fallgestaltungen innerhalb der Eigentumsdelikte auf: Die zivilrechtakzessorische Bestimmung darüber, ob eine Sache „fremd“ ist, kann nachträglich erschüttert werden, indem der Dieb die vor der Tat geschlossene dingliche Einigung nach der Tat anficht, sodass sich die Sache – bedingt durch die ex tunc-Nichtigkeit (vgl. § 142 Abs. 1 BGB) des Rechtsgeschäfts – im Nachhinein als Eigentum des Diebs herausstellt. Umstritten ist, ob diese zivilrechtliche Rückwirkungsfiktion auf das Strafrecht durchschlägt. Die herrschende Meinung verneint entsprechende Auswirkungen unter Verweis auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbegehung.63 Um einer andernfalls ebenso möglichen Strafbegründung vorzubeugen, halten sie am Grundsatz fest, wonach sich die Strafbarkeit ausschließlich nach dem Zeitpunkt der Tatbegehung bemisst.64 Die nachtatlich erklärte Anfechtung und die hierdurch ausgelöste, rückziehende Eigentumsstellung des Diebs bleibt demnach strafrechtlich bedeutungslos. Diesem Grundsatz ist mit Blick auf eine nachträgliche Strafbarkeitsbegründung zweifellos zuzustimmen, obgleich er bezüglich einer nachträglichen Straflosigkeit freilich weniger zwingend erscheint. Der zivilrechtlichen Rückwirkungsanordnung geht ein gewichtiger Teil der Literatur aus dem Weg, indem er vorgibt, einen nur formalen Eigentumsschutz abzulehnen. Infolgedessen verneint er die objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung bereits bei bloßer Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts, weil der Täter die Entstehung des obligatorischen Rückübereignungsanspruchs jederzeit herbeiführen kann.65 Darin offenbart sich ein prohibitiver Lösungsansatz für § 242 StGB im Rahmen seiner zivilrechtlichen Anlehnung. Wiederum andere messen dem Nachtatgeschehen strafrechtliche Bedeutung zu: Da das Opfer seine (formale) Eigentumsstellung erst durch die Ausübung des Gestaltungsrechts in Form der Anfechtungserklärung (vgl. § 143 BGB) verliert, befürworten sie einen objektiven Strafaufhebungsgrund zum Vorteil des Täters, der erst im Anschluss an die Anfechtungserklärung ent-
63 Vgl. Eisele, BT II, Rn. 22; Fischer, StGB, § 242 Rn. 50; Rengier, BT I, § 2 Rn. 16; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT II, Rn. 81; im Ergebnis wohl auch Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 48, der – unter Zugrundelegung eines Gesamtunrechtstatbestands – Rückwirkungen über den subjektiven Tatbestand lösen will, im Fall der noch nicht erfolgten Anfechtung einen Vorsatzausschluss aber verneint, weil der Täter weiß, dass er noch nicht Eigentümer ist. 64 Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT II, Rn. 81, bezeichnen die zivilrechtliche Zurückbeziehung als dem Strafrecht „absolut wesensfremd“. 65 Wohl auch LK-StGB/Vogel, § 242 Rn. 47, 37; MüKo-StGB/Schmitz, § 242 Rn. 174; NK-StGB/Kindhäuser, § 242 Rn. 116; Sch/Sch/Bosch, § 242 Rn. 59. Warnend vor einer (damit einhergehenden) Abhängigkeit des Strafrechts von den zivilrechtlichen Fristen, allgemein H.-D. Weber, Vertrag, S. 140; das scheint insbesondere mit Blick auf die Anfechtungsfristen ein gewichtiger und berechtigter Einwand (vgl. §§ 121 Abs. 3, 124 Abs. 3 BGB [bis zu 10 Jahre]).
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steht.66 Die Anfechtungserklärung vernichte die Rechtsstellung des Anfechtungsgegners und nehme der Tat auf diese Weise ihre Strafbedürftigkeit.67 Der hiergegen gerichtete Einwand, dann disponierten Private über den staatlichen Strafanspruch,68 sei von vergleichsweise formaler Natur und trete hinter dem Gesichtspunkt der nicht mehr strafwürdigen Rechtsgutsverletzung zurück.69 Dies zumal der Anfechtungsberechtigte nur von einem ihm gesetzlich eingeräumten Recht Gebrauch mache.70 2. Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke bei nachträglicher Genehmigung durch den Urheber Schließlich kennt das Bürgerliche Gesetzbuch mit der nachträglichen Genehmigung, die auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurückwirkt, einen weiteren Anwendungsfall (vgl. § 184 Abs. 1 BGB). Wiederum steht das Strafrecht vor der Herausforderung einer zivilrechtlichen Rückwirkungsanordnung. Während einer nachträglichen Genehmigung innerhalb der Vermögensoder Eigentumsdelikte jegliche strafrechtliche Relevanz versagt bleibt,71 kann davon bei der unerlaubten urheberrechtlichen Verwertungshandlung gemäß § 106 Abs. 1 UrhG keine Rede sein. Zwar versagt ihr die herrschende Meinung irgendwelche strafrechtlichen Folgen,72 doch erhebt sich dagegen in unterschiedlichsten Ausprägungen Widerspruch: Nach Sternberg-Lieben entfällt infolge der nachträglichen Genehmigung die strafwürdige Rechtsbeeinträchtigung, da ein Erfolgsunwert in Form der Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nicht mehr vorliege.73 Bestehen bleibe hiernach einzig das Handlungsunrecht, welches der Täter durch seinen „bösen Willen“ betätigte und den die Genehmigung nicht aus der Welt schaffen könne.74 Hierbei zieht er die Parallele zum Täter, der ohne subjektives Rechtfertigungselement handelt, welchen die herrschende Lehre ebenfalls einer 66 So Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 67 ff.; Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (246). 67 Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 52 ff.; Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (246). 68 So etwa H.-D. Weber, Vertrag, S. 140. 69 So Weber, Baur-FS, S. 133 (144); zustimmend Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 55. 70 Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 55. 71 Zur Untreue BGHSt 50, 331 (342 f.); 60, 94 (108); OLG Hamm NStZ 1986, 119; Fischer, StGB, § 266 Rn. 90; Sch/Sch/Perron, § 266 Rn. 21; LK-StGB/Schünemann, § 266 Rn. 124; anders auch insoweit Weber, Baur-FS, S. 133 (142 ff.), und zu weiteren Beispielen; auch ders., Schlüchter-GS, S. 243 (250 ff.). 72 Hierzu MüKo-NebenstrafR II/Heinrich, § 106 UrhG Rn. 117 m.w. N. 73 Sternberg-Lieben, Musikdiebstahl, S. 71. 74 Sternberg-Lieben, Musikdiebstahl, S. 71.
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Versuchsstrafbarkeit überführt.75 Hildebrandt will die nachträgliche Genehmigung bereits auf Tatbestandsebene berücksichtigt wissen.76 Da der Verwerter über die zivilrechtliche Konstruktion einer Nutzungsabtretung (analog §§ 398 ff. BGB) rückwirkend zum Berechtigten werde, scheide er aus dem Kreis tauglicher Täter des § 106 StGB aus.77 Weber plädiert – getreu seiner Linie innerhalb der Anfechtungsfälle – auch im Rahmen des Urheberrechts für einen objektiven Strafaufhebungsgrund, weil die rückwirkende Genehmigung dem schuldhaft verwirklichten Handlungs- und Erfolgsunrecht die Strafbedürftigkeit im Nachhinein nehme.78 Mit der Genehmigung bringe der Inhaber des tangierten Rechtsguts zum Ausdruck, dass er den Eingriff in sein Nutzungsrecht für nicht schwerwiegend erachtet, sodass die Rechtsgemeinschaft auf die strafrechtliche Sanktion verzichten könne.79 II. Strafprozessuale Rückwirkungen und (materiell-)strafrechtliche Lösungsansätze Ebenso wie innerhalb des verwaltungsaktakzessorischen Strafrechts bewegen sich strafprozessual bedingte Rückwirkungen im Kontext eines vorausgehenden Staat-Bürger-Verhältnisses. Eine rechtliche Rückwirkung löst beispielsweise die Anordnung der Wiederaufnahme eines Strafprozesses aus (vgl. § 370 Abs. 2 StPO). Durch die Anordnung wird das Strafverfahren in den Zustand der Rechtshängigkeit zurückversetzt, mit der Folge, dass die Rechtskraft des Urteils entfällt, eine weitere Vollstreckung nicht mehr erfolgen darf und entzogene Rechte des Verurteilten wieder aufleben.80 Wie weit das Aufleben dieser Rechte durch den Wiederaufnahmebeschluss beziehungsweise die spätere Aufhebung des Urteils im Einzelnen geht, ist freilich ungewiss, wie das folgende Beispiel aus der Rechtsprechung zeigt:81 Fall: Trotz rechtskräftiger Verurteilung und damit einhergehender Entziehung der Fahrerlaubnis, fuhr der Verurteilte mit seinem Fahrzeug. Ein zweites Gericht verur75 Sternberg-Lieben, Musikdiebstahl, S. 71 f. (diese Ansicht führte damals zur Straflosigkeit, da – anders als heute [vgl. § 106 Abs. 2 UrhG] – der Versuch nicht unter Strafe stand). 76 Hildebrandt, Strafvorschriften, S. 154 f. 77 Hildebrandt, Strafvorschriften, S. 155; richtigerweis ablehnend („zivilrechtliche Unmöglichkeit“) gegenüber der zivilrechtlichen Rückwirkungskonstruktion Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (253 f.), weil Verfügungsgeschäfte frühestens mit der Einigung wirksam werden können und die Verpflichtung, sich so zu stellen, als ob die Forderung schon früher erfolgt sei, lediglich schuldrechtlich möglich ist. 78 Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (250 ff.). 79 Vgl. Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (252); ähnlich bezüglich der rückwirkenden Genehmigung im Rahmen der §§ 246, 266 StGB, ders., Baur-FS, S. 133 (142). 80 Vgl. BeckOK-StPO/Singelnstein, § 370 Rn. 9. 81 Nach BayObLG NJW 1992, 1120 und OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2000, 23 (Verhängung eines Fahrverbots).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 185 teilte ihn deswegen erneut wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Noch vor Rechtskraft dieses Urteils nimmt das Verfahren eine bedeutsame Wendung, indem die erste Verurteilung im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen wird. Im Revisionsverfahren rügt der Angeklagte nunmehr die zweite Verurteilung mit dem Vorbringen, dass durch den Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren rückwirkend das in der früheren Verurteilung enthaltene Fahrverbot entfallen sei und deshalb eine Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausscheiden müsse.
Da bereits der Wiederaufnahmebeschluss die Wirkungen des Urteils suspendiert,82 steht zur Diskussion, ob der Angeklagte allein deshalb so zu behandeln ist, als ob er zum Zeitpunkt der zweiten abgeurteilten Tat Rechtsinhaber einer Fahrerlaubnis gewesen war. Soweit diese prozessual feinsinnige Frage überhaupt Gegenstand einer Diskussion ist, wird sie unter Verweis auf den vorläufigen Charakters der suspendierenden Wirkung verneint. Andernfalls stünden widersinnige Ergebnisse für den Fall zu befürchten, dass das Gericht das im Wiederaufnahmeverfahren angegriffene Urteil aufrechterhält.83 Welche Auswirkungen der spätere Freispruch und die damit einhergehende Aufhebung des Urteils auf die Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis haben, ist umstritten. Eine Ansicht versagt dem Nachtatgeschehen jegliche strafrechtliche Folgewirkung.84 Sie spricht dem Strafprozessrecht eine rechtsgestaltende Kraft auf das materielle Strafrecht ab, weil Letzteres keine rückwirkende Beseitigung der Strafbarkeit kenne.85 Da rechtskräftige Urteile bis zu ihrer Aufhebung in einem rechtsstaatlichen Verfahren und vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit zu akzeptieren sind, bestreiten sie jedwede Auswirkungen auf die neuerliche Verurteilung auch deshalb, weil sie auf einem neuen Unrecht in Form eines bewussten Verstoßes gegen die rechtskräftige Verurteilung gründe82
Hierzu KK-StPO/Schmidt, § 370 Rn. 13. Hiervon geht das BayObLG NJW 1992, 1120, trotz anfänglicher Ungereimtheiten zunächst aus: „Der Senat ist der Auffassung, daß der Beschluß nach § 370 Abs. 2 StPO Wirkung nur für die Zukunft entfaltet, die Rechtslage für die Zeit zwischen Eintritt der Rechtskraft des Urteils und Wirksamwerden des Beschlusses nach § 370 Abs. 2 StPO also noch nicht verändert. Denn es wäre widersinnig, wenn für den Fall, daß die Wiederaufnahme erfolglos bleibt, das Urteil also aufrechterhalten wird, der Verurteilte so zu behandeln wäre, wie wenn er in der gesamten Zwischenzeit Rechtsinhaber gewesen wäre. Der Verurteilte muß zwar von der Wirksamkeit des Beschlusses nach § 370 Abs. 2 StPO an ohne Rücksicht auf das endgültige Ergebnis des Wiederaufnahmeverfahrens als Rechtsinhaber behandelt werden. Eine Rückwirkung kann aber nur die abschließende, in Rechtskraft erwachsene positive Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag haben, die das rechtskräftige Urteil aufhebt und den Rechtsentzug endgültig zum Wegfall bringt.“; kritisch insoweit Groß, NStZ 1993, 221, der zwar das Bestreben nach einer „praxisnahen Problemlösung“ anerkennt, aber die dogmatische Begründung hierfür vermisst. Zu der einhergehenden Frage, ob durch den Wegfall der Rechtskraft die vorläufigen Maßnahmen (vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis) wieder aufleben, verneinend BayObLG NJW 1992, 1120 (1121). 84 So im Ergebnis Groß, NStZ 1993, 221 (222); Mitsch, NZV 2012, 512 (515). 85 Einprägsam Mitsch, NZV 2012, 512 (515). 83
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ten.86 Eine Rückwirkung bezüglich der Fahrerlaubnis komme schließlich auch deshalb nicht in Betracht, weil das gesetzliche Rechtsfolgenregime – das Strafentschädigungsgesetz – lediglich einen Ausgleich in Geld vorsehe.87 Immerhin bringen die Vertreter dieser stringenten Sichtweise auch ihre Zweifel am Ergebnis zum Ausdruck.88 Mitsch deutet sein Unbehagen gegenüber dem Ergebnis an, welches daraus resultiere, dass die (zweite) Bestrafung den Fahrzeugführer nicht treffe, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, sondern weil er gegenüber der durch Urteil verhängten Fahrerlaubnisentziehung ungehorsam übt.89 Dieser Gedanke lässt sich ohne große Anstrengungen zu einem prohibitiven Lösungsansatz fortdenken: Weil das Rechtsgut der Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt ist, muss dem nur formalen Ungehorsam gegenüber der Fahrerlaubnisentziehung von vornherein der strafrechtliche Schutz versagt bleiben. Die urteilenden Gerichte maßen dem Nachtatgeschehen hingegen strafrechtliche Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund der ansonsten restriktiven Haltung der Rechtsprechung gegenüber strafrechtlichem Nachtatgeschehen muss das Ergebnis überraschen.90 Das OLG Frankfurt a. M. hält es zwar für unmöglich, die tatsächlichen Wirkungen der falschen strafgerichtlichen Entscheidung zu beseitigen, sieht es aber für verpflichtend an, dass der Aufhebung des Urteils im Wiederaufnahmeverfahren die größtmögliche rechtliche Wirkung beigelegt wird. Demnach müsse der Angeklagte so behandelt werden, als wäre gegen ihn nie ein Fahrverbot verhängt worden.91 Das Bayerische Oberste Landgericht scheint sich nicht mit einer Fiktion begnügen zu wollen, wenn es darauf abstellt, der Angeklagte habe seine Fahrerlaubnis durch die Aufhebung rückwirkend wiedererlangt und infolgedessen noch nicht einmal den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verwirklicht.92 Zur Begründung der rückwirkenden Beachtung für die nach Eintritt der Rechtskraft begangenen Straftaten zieht das Gericht die Parallele zu § 79 Abs. 1 BVerfGG. Hier wie dort wäre es unangemessen, den Angeklagten vom Verstoß gegen das verfassungswidrige Gesetz freizusprechen, die damit verbundene Entziehung der Fahrerlaubnis aber bestraft zu belassen.93 Zustimmung er86
Vgl. Groß, NStZ 1993, 221 (222). Vgl. Groß, NStZ 1993, 221 (222). 88 Groß, NStZ 1994, 173, will nunmehr einer unbedingten Verurteilung nicht das Wort reden; auch Mitsch, NZV 2012, 512 (515: „gewiss nicht vollends befriedigend“). 89 Mitsch, NZV 2012, 512 (515). 90 Das BayObLG NJW 1992, 1120 (1121), sieht sich dazu veranlasst auszuführen, dass sich der zu beurteilende Fall von denjenigen strafbewehrter Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte unterscheide und sich die Judikatur des Bundesgerichtshofs nur auf letztere beziehe; so auch OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2000, 23. 91 OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2000, 23. 92 BayObLG NJW 1992, 1120 (1121); zustimmend Asper, NStZ 1994, 171 (173): „Im Ausgangsfall bedeutet dies, daß wegen des rückwirkenden Wegfalls der Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnis niemals erloschen ist.“ 93 Vgl. BayObLG 1992, 1120 (1121). 87
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hielt das Gericht von denjenigen, die den Gedanken der Rechtssicherheit nicht als generelles Prinzip verstanden wissen wollen, das vom Staat gegen den Bürger ausgespielt werden könne.94 III. Immaterialgüterrechtliche Rückwirkungen am Beispiel des Marken- und Patentrechts und strafrechtliche Lösungsansätze Die Vielfalt der Rechtsgebiete und Regelungssystematiken eröffnen weitere95 einschlägige Beispiele verwaltungsrechtsähnlicher Rückwirkung. Ein solch wirkendes und der Verwaltung obliegendes Instrument stellt die aus dem gewerblichen Rechtsschutz bekannte Löschung oder Nichtigerklärung sogenannter Registerrechte dar. Dabei handelt es sich um Rechte, die nach dem Eintragungsprinzip konstitutiv durch Eintragung entstehen. Hierzu gehören der Schutz der eingetragenen Marke (vgl. § 4 Nr. 1 MarkenG) und des Patents (vgl. § 49 PatentG), ferner auch des Designs (vgl. § 27 DesignG) und des Gebrauchsmusters (vgl. § 11 GebrMG). Der damit erforderliche Erteilungs- beziehungsweise Eintragungsbeschluss stellt einen gestaltenden und für den Erwerber begünstigenden – für den Wettbewerber entsprechend belastenden – Verwaltungsakt dar, der die Grundlage für die mit den Rechten verbundenen privatrechtlichen Befugnisse bildet.96 Bezüglich der vom Deutschen Patent- und Markenamt97 (im Folgenden: DPMA) zu prüfenden Voraussetzungen für die Eintragung, unterscheiden die Gesetze zwischen ungeprüften98 und geprüften99 registrierten Schutzrechten. Entsprechend der behördlich zu prüfenden Voraussetzungen differenziert der Schutzumfang der Eintragung: der Verwaltungsakt entfaltet seine Tatbestandswirkung über Eintragungsvoraussetzungen und -hindernisse nur insoweit, wie sie im Ein-
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So Asper, NStZ 1994, 171 (172), in seiner Entgegnung auf Groß, NStZ 1993, 221. Ob es sich dabei tatsächlich um ein von Widerruf und Rücknahme zu unterscheidendem Instrument handelt kann durchaus bezweifelt werden. Behrend, Nichtigkeitsverfahren, S. 26, deutet die Nähe des immaterialgüterrechtlichen Nichtigkeitsbegriffs zu Widerruf und Rücknahme an. An dieser Stelle wird aber gesondert auf dieses Instrument eingegangen, da die Strafrechtsprechung diesbezüglich zu abweichenden Ergebnissen kommt (s. dazu u.) und um dem Leser die verwaltungsrechtliche Dimension der Rechtsgebiete aufzuzeigen. 96 Siehe zum Gesagten bereits oben § 3 A. I. 3. m.w. N. 97 Die Zuständigkeit des DPMA gründet auf § 44 Abs. 1 PatG, § 56 Abs. 2 MarkenG, § 19 Abs. 2 DesignG bzw. § 8 Abs. 1 GebrMG. 98 So das Gebrauchsmuster und das Design (s. die begrenzten Prüfungsvoraussetzungen § 8 Abs. 1 GebrMG, § 16 Abs. 1 DesignG); s. zu dieser Unterscheidung Behrend, Nichtigkeitsverfahren, S. 33 ff.; Osenberg, GRUR 1999, 838, unter Verweis auf den geschichtlichen Hintergrund des Gebrauchsmusters als „kleiner Bruder des Patents“. 99 So die eingetragene Marke und das Patent (vgl. hierzu die umfassende Prüfung des DPMA bei der Eintragung, § 36 MarkenG, § 49 Abs. 1 PatentG). 95
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tragungsverfahren Gegenstand einer inhaltlichen Prüfung waren.100 Macht demnach der Markenrechtsinhaber klageweise einen Unterlassungsanspruch bezüglich der Benutzung einer Marke im geschäftlichen Verkehr geltend (§ 14 Abs. 5 MarkenG), kann das hierüber urteilende Gericht nicht die Markenfähigkeit gemäß § 3 MarkenG in Frage stellen, weil es insoweit an die Entscheidung des DMPA gebunden ist.101 Anders gestaltet sich die Rechtslage im Verletzungsverfahren um ein Gebrauchsmuster. Da das Gebrauchsmuster ein ungeprüftes Registerrecht ist, kann der Beklagte im Wege der (bloßen) Einwendung den fehlenden Rechtsbestand des Schutzrechts geltend machen.102 Soweit aber dem konstitutiven Erteilungsakt eine Bindungswirkung zukommt, kann sie nur in einem gesonderten Nichtigkeitsverfahren103 beseitigt werden. Hierfür stellt das Markengesetz das Nichtigkeitsverfahren zur Verfügung, wonach das DMPA auf Antrag die Marke mit ex tunc-Wirkung löschen kann (vgl. § 54 i.V. m. § 52 Abs. 2 MarkenG).104 Im Patentrecht ist diese Rechtsfolge durch Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht erreichbar (vgl. § 81 i.V. m. § 22 Abs. 3, 21 Abs. 3 S. 1 PatentG). Das Nichtigkeitsverfahren ist das im öffentlichen Interesse bestehende Korrektiv zum Eintragungsverfahren, um schutzunwürdige Rechte zu beseitigen und den ehemaligen Inhaber seiner ausschließlichen Rechtsstellung zu entheben.105 Die Darstellung macht deutlich, dass die strafbewehrte Verletzung von Marken- und Patentrechten (vgl. §§ 143 ff. MarkenG, § 142 PatentG) der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen Verwaltungsakte sehr ähnelt, weil der Strafrichter die geprüften Registerrechte aufgrund ihres weitreichenden Schutzumfangs 100 Vgl. bereits BGH GRUR 1964, 682 (685) zum Sortenschutz: „Schließlich würde die Zulassung des Einwands im Verletzungsprozeß, daß die Voraussetzungen für die Erteilung des Sortenschutzes nicht vorgelegen hätten, nicht mit dem allgemeinen Grundsatz zu vereinbaren sein, daß hoheitliche Verwaltungsakte zunächst die Vermutung ihrer Rechtswirksamkeit für sich haben und daß daher auch fehlerhafte Verwaltungsakte – von den Fällen der absoluten Nichtigkeit abgesehen – nur anfechtbar und bis zu ihrer Aufhebung in dem dafür vorgesehenen Verfahren als wirksam zu behandeln sind“; Fezer, Markenrecht, § 41 Rn. 10 m.w. N. aus der Rspr.; vgl. Vormbrock, in: Götting/Meyer/ Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz, § 6 Rn. 233; Pantze, in: Loth, GebrMG, § 11 Rn. 76 ff.; krit. aber de lege lata anerkennend Rohnke, GRUR 2001, 696. 101 Vgl. BGH GRUR 2000, 888 (889); Fezer, Markenrecht, § 41 Rn. 10 m.w. N. aus der Rspr.; vgl. Vormbrock, in: Götting/Meyer/Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz, § 6 Rn. 233; anders Sosnitza, FS 50 Jahre BPatG, S. 770 f. 102 Vgl. BGHZ 51, 8; Behrend, Nichtigkeitsverfahren, S. 261; Pantze, in: Loth, GebrMG, § 11 Rn. 77; vgl. auch Hüttermann, in: Götting/Meyer/Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz, § 14 Rn. 18. Einschränkend sieht § 52 a, b DesignG vor, dass dies nur im Wege der Widerklage gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit geltend gemacht werden kann, vgl. hierzu Rehmann, GRUR-Prax 2013, 215 (216). Zur gesetzlichen Vermutung des § 39 DesignG, s. Günther, in: Günther/Beyerlein, DesignG, § 39 Rn. 1; krit. Behrend, Nichtigkeitsverfahren, S. 255 f. 103 §§ 81 ff. PatentG, §§ 54 f. MarkenG. 104 Hierzu Fezer, Markenrecht, § 52 Rn. 7. 105 Behrend, Nichtigkeitsverfahren, S. 142 f.
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ebenfalls nicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft.106 Die Untersuchung der mit einer Rückwirkung verbundenen strafrechtlichen Konsequenzen konzentriert sich deswegen auf die geprüften Registerrechte. In Frage steht dabei, inwieweit der ex-tunc-wirkenden Löschung beziehungsweise Nichtigerklärung des Immaterialgüterrechts eine Bedeutung für die zuvor begangene strafbewehrte Verletzung der Registerrechte zukommt. Möglich wäre auch in diesem Zusammenhang, dem Nachtatgeschehen für die zuvor begangene Straftat keinerlei Bedeutung zuzumessen.107 Mehrere Entscheidungen des Reichsgerichts geben hingegen zu verstehen, dass das Nachtatgeschehen strafrechtlich bedeutsam ist. Mehrmals monierte es Verfahrensfehler der Tatsachengerichte, die Anträge zur Aussetzung des Strafverfahrens (vgl. § 262 StPO) abgelehnt hatten, in deren Zuge die Angeklagten Verfahren zur Vernichtung der Immaterialgüterrechte einzuleiten und hieraus entspringende Rechtsfolgen im Strafprozess geltend zu machen versuchten.108 Das Reichsgericht verwies unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien zum Patentgesetz darauf, dass das, was nichtig ist, nicht Grundlage eines Rechtsanspruchs sein könne, woraus es schloss, dass die Nichtigkeit des Immaterialgüterrechts auch die Straflosigkeit bedingt.109 Erklärt das DPMA das Patent für nichtig, entfällt demnach auch die Strafbarkeit einer wissentlichen Zuwiderhandlung gegen das Recht des Inhabers „nachträglich“. 110 Nach Ansicht des Reichsgerichts entfällt „jede Grundlage für einen staatlichen Strafausspruch“.111 Prohibitive Ansätze, wonach vor einer Verurteilung feststehen müsste, dass ein materielles Immaterialgüterrecht tatsächlich besteht, werden – soweit ersichtlich – nicht vertreten. Das wiederum erscheint vor dem Vorbringen erstaunlich, als nur die tatsächlich bestehende Marke strafrechtlichen Schutz genießen soll.112 106 Zur inhaltlichen Prüfung der Registerrechte RGSt 3, 252 (254); 7, 146 (147); 48, 419 (421). 107 Darauf deutet – wenngleich nicht eindeutig – RGSt 3, 252 (255), hin: „Ob und welchen Einfluß nämlich möglicherweise eine etwaige künftige Nichtigkeitserklärung äußern könnte, ist nicht zu erörtern, weil es sich hier nur darum handelt, ob das Landgericht das zur Zeit seines Erkenntnisses erhobene Material den Gesetzen entsprechend beurteilt hat und in der Revisionsinstanz neue Tathsachen nicht zu berücksichtigen sind.“ 108 RGSt 7, 146 (Patentverletzung); 48, 419 (Warenzeichenverletzung); zustimmend Nentwig, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Wirtschaftsstrafrecht, 11. T. 2. Kap. Rn. 21; auch NK-WSS/Reinbacher, § 143 MarkenG Rn. 11. 109 RGSt 7, 146 (147 ff.); 14, 261 (263). 110 Ausdrücklich RGSt 30, 187 (188). 111 RGSt 48, 419 (421). 112 So Vollkommer, JuS 2008, 40 (42), am Beispiel der Verletzung der Marke „Fußball WM 2006“. Hiernach befürwortet die Verfasserin die erstinstanzliche Verurteilung, die nach der Löschung der Marke wegen fehlender Unterscheidungskraft aber im Wiederaufnahmeverfahren aufzuheben war. Die Durchbrechung der Rechtskraft erkläre sich aus dem geschützten materiellen Rechtsgut, wonach nur die tatsächlich bestehende Marke geschützt sei.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
IV. Zwischenfazit Die Problematik um die Auswirkungen rechtlich bedingter Rückwirkungen auf das Strafrecht ist keineswegs nur dem verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht immanent. Vielmehr taucht sie überall dort auf, wo die vom Strafrecht in Bezug genommene Rechtsordnung ebensolche rechtlichen Rückwirkungen anordnet. Dem Strafrecht, das sich sein Urteil über einen vergangenen Ausschnitt aus der Realität längst gebildet hat, fällt es naturgemäß schwer, auf diese rechtlichen Rückwirkungen zu reagieren. Wenn das zukunftsgerichtete, planerisch agierende Verwaltungsrecht für den Fall der Rechtswidrigkeit seiner Befehle die Kehrtwende einleitet und sie rückwirkend vernichtet, potenziert es auf diese Weise die ohnehin bestehenden Friktionen zwischen dem zukunftsgerichtetem Verwaltungsrecht und vergangenheitsbewältigendem Strafrecht.113 Der Blick auf die verwandten Rückwirkungsproblematiken hat ein ähnliches Bild ergeben. Die Zivilrechtsordnung leitet – um einen gerechten Ausgleich bemüht – Rückwirkungen ein, während die Strafrechtsordnung sich bereits ein Urteil darüber gebildet hat, was zur Zeit der Tat rechtswidrig war. Gleiches gilt für die nachträglichen Korrekturen im Strafprozessrecht und die gesonderten Nichtigkeitsverfahren bei den geprüften Immaterialgüterrechten. In der Folge steht das Strafrecht stets vor demselben Problem, auf das Theorie und Praxis mit den immer gleichen drei beziehungsweise vier Lösungsansätzen reagieren. Erstens: Sie versagen einem Nachtatgeschehen konsequent jede Bedeutung für das Strafrecht. Zweitens: Sie beugen einer Rückwirkung vor, indem sie das Rechtsgut derart modifizieren, dass das die Rückwirkung begründende Ereignis innerhalb der Strafbarkeitsvoraussetzungen Berücksichtigung findet. Drittens beziehungsweise viertens: Sie lassen dem Nachtatgeschehen eine Bedeutung für die Strafbarkeit zukommen und erwägen eine nachträgliche Strafaufhebung oder sprechen der Rückwirkung gar eine auf die Tatbestandsebene durchschlagende Macht zu. Bislang ist es Literatur und Rechtsprechung nicht gelungen, die strafrechtlichen Konsequenzen rechtlicher Rückwirkungen auf eine konsistente Grundlage zu stellen, die eine gleichmäßige Rechtsanwendung erlaubt. Vielmehr sind die Argumentationsmuster immer gleich, wobei ihre Mehrheiten das strafrechtliche Schicksal wechselnd beherrschen. Insoweit haben die verwandten Rückwirkungsproblematiken das strafrechtliche Dogma immerhin erschüttert. Selbst die Rechtsprechung hält an ihm nicht durchweg fest, wie es der Blick auf das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht zunächst vermuten ließ.
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Vgl. zu den Friktionen bereits oben § 5 B. III.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 191
C. Würdigung der Lösungsansätze unter rechtskonstruktiver Betrachtung rechtlicher Rückwirkungen Die rechtlichen Rückwirkungen einer konsistenten Lösung im Strafrecht zuzuführen, verlangt zunächst, sich ihrer konstruktiven Grundlagen zu vergewissern. Erst deren Erschließung ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit den strafrechtlichen Lösungsansätzen und gibt den Blick für eine rechtlich tragfähige Lösung frei. Hierin liegt das Versäumnis der bisherigen Diskussion. Zwar ziehen die vorhin dargestellten verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe rechtliche Rückwirkungen nach sich, gleichwohl setzte sich die Verwaltungsrechtswissenschaft – von einzelnen Ausnahmen abgesehen114 – bislang kaum mit der Frage auseinander, auf welche Weise die Rückwirkung vonstattengeht.115 Zugegebenermaßen brachte diese Erkenntnis dem Verwaltungsrecht einen nur geringen Mehrwert. Im Zusammenspiel des Verwaltungsrechts mit dem Strafrecht und ihren unterschiedlichen zeitlichen Bezugspunkten ist sie aber lohnenswert und notwendig. Die Erschließung des dogmatischen Gerüsts rechtlicher Rückwirkungen offenbart, was zum Tatzeitpunkt Tatsache und Rechtsfiktion ist. Das ist für das Strafrecht von elementarer Bedeutung, weil die tatbestandliche, rechtswidrig und schuldhaft begangene Tat nach dem Koinzidenzprinzip nur von Umständen abhängt, die im Tatzeitpunkt vorliegen. In Anbetracht der Lösungs114 Vgl. aber Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 99: „[. . .] daß also der Verwaltungsakt in irgendeiner Form rückgängig gemacht oder, genauer gesagt, daß seine Auswirkungen beseitigt werden müssen, da ja eine wirkliche Rückgängigmachung im logischen Sinne nicht möglich ist“; S. 113: „Die Rückwirkung der Aufhebung eines Verwaltungsaktes wegen Rechtswidrigkeit bedeutet zunächst nur, daß mit der Aufhebung festgestellt wird, daß der Verwaltungsakt von Anfang an (,ex tunc‘) rechtswidrig war. Sie bedeutet aber nicht, daß die (bedingte) Wirksamkeit, die der Akt bis zu seiner Wirksamkeit besaß, rückwirkend beseitigt wird, denn dies ist eine Denkunmöglichkeit. [. . .] Eine ganz andere Frage ist es, ob der durch den Verwaltungsakt Belastete so gestellt werden soll, als ob der Verwaltungsakt nie wirksam gewesen sei“; auch SchmidtDe Caluwe, VerwArch 1999, 49 (56 f.): „Damit käme man [. . .] bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts [. . .] für die Vergangenheit zu dem kuriosen Ergebnis, daß die rechtliche Existenz des aufgehobenen Verwaltungsakts rückwirkend erlöschen müßte. Es ist indes schlicht denkunmöglich, einmal Existentes im Nachhinein rückwirkend zu beseitigen. Davon abgesehen führte die herkömmliche Sicht auch hier zu praktisch unvernünftigen Ergebnissen, welche nur durch das zweifelhafte Instrument der Fiktion abzuwenden sind“; ferner Weipert, DÖV 1949, 68 (69): „Es genügt jedenfalls nicht, daß sich die Verwaltungsgerichte darauf beschränken, durch Urteil festzustellen, daß der angefochtene Verwaltungsakt nicht dem Gesetz entspricht, also den Anfechtungskläger in einem ihm zustehenden Rechte verletzt oder ihn mit einer ihm nicht obliegenden Verbindlichkeit belastet. Vielmehr muß das Verwaltungsgericht auch die Befugnis haben, den fehlerhaften Verwaltungsakt unwirksam damit seinen Vollzug unmöglich zu machen. [. . .] Das Gericht hat darnach [. . .] den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben und damit aus der Welt zu schaffen.“ 115 Ein Grund dafür mag möglicherweise darin liegen, dass im öffentlichen Recht solche Rückwirkungsanordnungen kaum aufzufinden sind. Ausnahmen stellen die §§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 3 VwVfG dar, die die Verwaltungsbehörden ermächtigen, einen Verwaltungsakt „auch mit Wirkung für die Vergangenheit“ aufzuheben.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
ansätze, welche die Rückwirkungen auf Tatbestandsebene durchschlagen lassen (Tatbestandslösung), scheint selbst darüber Ungewissheit zu herrschen. I. Rechtskonstruktive Erklärungsansätze für rechtliche Rückwirkungen Die zivilistische Lehre setzte sich mit dem mystisch anmutenden Phänomen116 der Rückwirkung in der Vergangenheit zuhauf auseinander.117 Begründet liegt dieses Interesse in den zahlreichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wobei sich das Recht nicht damit zufrieden gibt, den bestehenden Rechtszustand zukünftig abzuändern, sondern darüber hinaus die mit ihm einhergehenden Folgen der Vergangenheit beseitigen will. Hierzu ordnet es Rückwirkungen an. Entsprechend betrachtet das Gesetz das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Ebenso wirkt die nachträgliche Zustimmung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück (§ 184 Abs. 1 BGB). Forderungen gelten bei der Aufrechnung bereits als in dem Zeitpunkt erloschen, in dem sie zur Aufrechnung geeignet gegenübergetreten sind (§ 389 BGB). Wird das Erbe ausgeschlagen, gilt der Erbanfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (§ 1953 Abs. 1 BGB) und an den nunmehr zum Erbe Berufenen bereits vollzogen (§ 1953 Abs. 2 BGB). Die wenigen Beispiele zeigen, welch enorme Bedeutung der Rückwirkung im bürgerlichen Recht kraft ihrer gesetzlichen Anordnungen zukommt. Charakteristisch für die Rückwirkung im rechtlichen Sinn ist, dass die Folgen eines rechtlich bedeutsamen Ereignisses auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt (ex tunc) zurückbezogen werden.118 In Frage steht jedoch, wie eine solche Rückbeziehung rechtskonstruktiv erklärbar ist. Dabei führte die Unterscheidung zwischen ideeller Rechtswelt und der Welt der Tatsachen119 zu einem Streit in der Rechtswissenschaft. Nimmt man die Unterscheidung von ideeller Rechtswelt und der Welt der Tatsachen ernst, gilt für die oben zum Zivilrecht genannten Beispiele:120 Während in der ideellen Rechtswelt das angefochtene Rechtsgeschäft behandelt wird, als 116
Vgl. Esser, Rechtsfiktionen, S. 173. Mit Blick auf das hier in Rede stehende und im Zivilrecht oft als „rückbezügliche Fiktion“ bezeichnete Institut: Bernhöft, Bekker-FS, S. 239 (266); Übersicht über den Streitstand bei Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 7 ff.; Enneccerus, Rechtsgeschäft I, S. 232; Esser, Rechtsfiktionen; Fitting, Rückziehung, S. 2 (Fn. 2 m.w. N.) zum Pandektenrecht; Hellwig, Gießen-FS, S. 25 ff.; zum Streitstand Jacobi, Rückwirkungsanordnung, S. 9 ff.; Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 5; Zunft, AcP 1952, 289. 118 Bernhöft, Bekker-FS, S. 239 (267); Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 7; Esser, Rechtsfiktionen, S. 175; Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (25 ff.); Jacobi, Rückwirkungsanordnung, S. 27 ff.; Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 5. 119 Zur Gegenüberstellung dieser veranschaulichenden Begrifflichkeiten Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (26 f.). 120 Siehe hierzu auch Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 6 f. 117
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 193
ob es nie bestanden habe, kann in der Welt der Tatsachen schwerlich in Frage gestellt werden, dass das Rechtsgeschäft bis zu seiner Anfechtung ein wirksames Rechtsgeschäft war (vgl. § 142 BGB). Während die ideelle Rechtswelt eine Verfügung behandelt, als ob sie von Anfang an wirksam gewesen ist, proklamiert die Welt der Tatsachen, dass die Verfügung bis zu ihrer Genehmigung durch den Berechtigten in Wirklichkeit unwirksam war (vgl. § 184 BGB). Während die Forderung in der ideellen Rechtswelt als erloschen zu gelten hat, beansprucht die Welt der Tatsachen die Wirklichkeit für sich, dass die Forderung bis zur erklärten Aufrechnung bestand (§ 389 BGB). Und schließlich ist in der Welt der Tatsachen derjenige Erbe gewesen, welcher zur Erbschaft ursprünglich berufen war, wenngleich die ideelle Rechtswelt dies nach der Erbschaftsausschlagung negiert (§ 1953 Abs. 2 BGB). 1. Die Fiktionstheorie Der Widerspruch zwischen diesen „Welten“ ist nach den Vertretern der Fiktionstheorie121 aber nur ein scheinbarer. Freilich könne der Gesetzgeber nicht die Vergangenheit regeln.122 Gleichwohl stehe es ihm frei, eine rechtspolitische Entscheidung dahingehend zu treffen, dass ein gegenwärtiger Zustand so gehandhabt wird, als ob ein in der Vergangenheit liegender Zustand nicht eingetreten sei.123 Hierfür bedient er sich des juristischen Kunstgriffs der Fiktion, welche Bernhöft auf die Formel bringt: „Wenn der Tatbestand der Fiktionsbasis eintritt, so wird das Rechtsverhältnis, welches bisher bestanden hat, so angesehen, als habe es nicht bestanden.“ 124 Kurzum: Rückwirkung ist die Rückziehung einer Rechtswirkung.125 Spinnt man den Gedanken von ideeller Rechtswelt und der Welt der Tatsachen fort, eröffnet die Fiktion das Tor zur ideellen Rechtwelt, welche die Welt der Tatsachen mittels einer Fälschung zur Erkenntnis des Rechts widerspiegelt.126 121 Bernhöft, Bekker-FS, S. 239 (267); Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 10; Esser, Rechtsfiktionen, S. 176; Jacobi, Rückwirkungsanordnungen, S. 33; Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 6 f.; Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (26 f.). 122 Vgl. RGZ 131, 97 (101): „Sie [die Rückwirkung der Fiktion; Anm. d. Verf.] muss Halt machen vor Tatsachen, auf die sie sich nach ihrer begrenzten gesetzlichen Tragweite nicht erstreckt und die sie folglich nicht ,wegfingieren‘ oder ,eliminieren‘ kann“; Bernhöft, Bekker-FS, S. 239 (267), benutzt hierfür die ihm widersinnig erscheinende Formel: „Wenn der Tatbestand der Fiktionsbasis eintritt, so hat das Rechtsverhältnis, welches bisher bestanden hat, bisher nicht bestanden“; Esser, Rechtsfiktionen, S. 175 f. zutreffend: „[. . .]ordnen läßt sich nur das Gegenwärtige (oder Künftige), nicht das Gewesene“; er bezeichnet diesen von der Gegenmeinung vorgebrachten Einwand gar als Scheinproblematik; Jacobi, Rückwirkungsanordnungen, S. 7; vgl. auch Zunft, AcP 1952, 296. 123 Bernhöft, Bekker-FS, S. 239 (267); Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (26 f.); Jacobi, Rückwirkungsanordnungen, S. 32; Vaihinger, Philosophie Als Ob, S. 48. 124 Bernhöft, Bekker-FS, S. 239 (267). 125 Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (25). 126 Vgl. Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 12.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
Insoweit ist die Bezeichnung Rechtsdichtung durchaus verständlich.127 Folgerichtig ist die ex tunc-Wirkung von konstitutivem Charakter, weil sie einen bestehenden Rechtszustand nachträglich vernichtet.128 2. Die Deklarationstheorie Die Unterscheidung von ideeller Rechtswelt und der Welt der Tatsachen stellen Vertreter einer deklarativen Auffassung infrage.129. Die Fiktion leide unter der unlogischen Sonderbarkeit, dass die Wirkung der Ursache vorgeht130, sodass die durch die Rückwirkung ausgelöste Rechtsfolge (Wirkung) vor dem sie auslösenden Ereignis (Ursache) liegt. Auszuräumen seien die Schwierigkeiten derart, als man das „wahre Wesen der Rückwirkung“ 131 darin erkenne, dass ein zunächst bestehender „Zustand der Schwebe, der Ungewißheit, des Zweifels“ 132 durch ein späteres Ereignis beseitigt und dadurch der wahre Zustand offenbar werde. Im Eintritt des späteren Ereignisses sehen sie demnach nur die Erkenntnis dafür, „dass eine andere, in der Vergangenheit liegende Thatsache wirkend oder vorhanden gewesen ist.“ 133 Demnach hat das für die Rückwirkung beachtliche Ereignis nur deklarativen Charakter, weil es keinen bestehenden Rechtszustand der Vergangenheit vernichtet, sondern lediglich aufklärt.134 II. Beurteilung verwaltungsrechtlicher Rückwirkungen nach der Deklarations- oder Fiktionstheorie Mit Deklarations- und Fiktionstheorie stehen sich zwei Erklärungsansätze für eine ex tunc-Wirkung unversöhnlich gegenüber. Für die verwaltungsrechtlich bedingten Rückwirkungen steht zur Diskussion, ob sie am Maßstab der Fiktionsoder der Deklarationstheorie zu messen sind.
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So Fitting, Rückziehung, S. 2. Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 7. 129 Vgl. Enneccerus, Rechtsgeschäft I, S. 239; Fitting, Rückziehung, S. 118; wortgewaltig und insoweit lesenswert Kuntze, Obligation, S. 88 f.; wohl auch Sell, Bedingte Traditionen, S. 189. 130 Fitting, Rückziehung, S. 3; dagegen zeigt Vaihinger, Philosophie Als Ob, S. 249 f., dass Fiktionen gerade dazu dienen, strenge Forderungen der Logik zu umgehen, indem Folgen eintreten, wenngleich das Vorausgesetzte selbst falsch ist. 131 Fitting, Rückziehung, S. 118. 132 Fitting, Rückziehung, S. 19. 133 Fitting, Rückziehung, S. 118. 134 Zu den verschiedenen Spielarten der Deklarationstheorie, auf die in der vorliegenden Betrachtung nicht eingegangen werden kann, s. Jacobi, Rückwirkungsanordnungen, S. 9 ff. 128
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1. Rechtsfolgen der unterschiedlichen Erklärungsansätze und Kritik an der Deklarationstheorie Nach der Deklarationstheorie beurteilte sich der Zustand zwischen Erlass des Verwaltungsakts und dessen Unanfechtbarkeit als rechtlich ungewiss. Erst durch seine Bestandskraft oder die verwaltungsgerichtliche Entscheidung erfährt er dahingehende Gewissheit, dass die durch den Verwaltungsakt statuierte Pflicht von Anfang existierte. Dem verwaltungsgerichtlichen Urteil käme insoweit nur feststellende Wirkung zu, indem es offenbarte, was bereits von Anfang an galt. Demgegenüber ist nach der Fiktionstheorie davon auszugehen, dass der Verwaltungsakt seine Regelungswirkung von Anfang an begründete. Durch die spätere Aufhebung des Urteils mache der Gesetzgeber einzig von seiner rechtspolitischen Entscheidungsmacht Gebrauch, indem er anordnet, dass der Zustand zwischen Erlass des Verwaltungsakts und seiner Aufhebung rechtlich zu behandeln ist, als ob die Pflicht nie bestanden hätte. Für das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht folgt daraus: nach der Deklarationstheorie kann es sich im Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen regelmäßig noch gar kein Urteil bilden, weil das Verwaltungsrecht sein Dasein noch in rechtlicher Ungewissheit fristet und über das Bestehen einer Pflicht keine Klarheit herrscht. Nach der Fiktionstheorie besteht hingegen rechtliche Klarheit. Hiernach kann sich das Strafrecht unproblematisch sein Urteil darüber bilden, ob einer verwaltungsrechtlichen Pflicht zuwidergehandelt wurde. Ein möglicher Konflikt zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht kann sich erst nachträglich dadurch ergeben, dass das Verwaltungsrecht rückblickend die Rechtslage anders fingiert.135 Gegen das deklarative Verständnis eines von Anfang an bestehenden Zustands, über den die objektive Rechtslage nur im Ungewissen war, regte sich im Zivilrecht früh Widerstand. Maßgeblich hielten deren Kritiker eine solche Betrachtungsweise mit dem Gesetz für unvereinbar.136 Überzeugend stellten sie fest, dass die objektive Rechtslage keine Unsicherheit kennt, vielmehr zivilrechtlich Klarheit herrscht: solange der Schuldner die Aufrechnung nicht erklärt, bleibt er zur Zahlung verpflichtet; solange der Anfechtungsberechtigte von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt das Rechtsgeschäft wirksam.137 Von einem rechtlichen Scheinzustand auszugehen scheint auch deshalb verfehlt, weil der Rechtszustand in unabänderliche (vgl. §§ 121, 124 BGB) Kontinuität erwächst, wenn der Anfechtungsberechtigte sein Gestaltungsrecht nicht ausübt.138 135 Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen, S. 72, hat diese Grundlagen immerhin angesprochen, die sich daraus ergebenden Differenzen aber verkannt. 136 Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 9; Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (26 ff.); Jacobi, Rückwirkungsanordnungen, S. 17 ff.; Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 6 f. 137 Vgl. Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 7. 138 Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 7.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
Hieraus folgt, dass der Rechtszustand keinen Zweifeln unterliegt, die erst mithilfe der gesetzlichen Rückwirkungsanordnung deklarativ ausgeräumt werden. Vielmehr hatte ein Rechtszustand in der Vergangenheit Bestand, der auf der Grundlage einer Rechtsfiktion so zu behandeln ist, als ob er nie bestanden hätte.139 2. Verwaltungsrechtliche Rückwirkungen als rechtliche Fiktionen Die bislang in dieser Arbeit getätigten Aussagen zum Verwaltungsakt können keinen Zweifel daran lassen, dass die im Zivilrecht gegenüber der Deklarationstheorie geäußerten Bedenken auch für die verwaltungsrechtlich bedingten Rückwirkungen zutreffen. Das Verwaltungsrecht kennt ebenfalls keine Zeit der rechtlichen Ungewissheit, weil der Verwaltungsakt (regelmäßig) durch Bekanntgabe (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG) mit dem ihm innewohnenden Regelungsgehalt für seinen Adressaten verbindlich wird.140 Sodann gibt es ebenso wie im Zivilrecht keinen Schein- oder Schwebezustand. Vielmehr ist der Verwaltungsakt verbindlich; mit der Bestandskraft erwächst der Regelungsgehalt in einen grundsätzlich unabänderlichen Zustand. Gänzlich unerklärbar ist mit der Deklarationstheorie die Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung, der als vorläufigem Rechtsbehelf wohl kaum die Funktion zukommen kann, einen bislang ungewissen Zustand aufzuklären, sondern lediglich dem Adressaten vorläufig seine Rechtsposition erhalten will. Bestätigung findet die Fiktionstheorie schließlich im Anfechtungsurteil und seinem – von Literatur wie Praxis gleichermaßen anerkannten – kassatorischen Charakter, der die Rechtswirkungen des Verwaltungsakts vernichtet.141 Im Ergebnis sind die verwaltungsrechtlich bedingten Rückwirkungen demnach rechtskonstruktiv nach der Fiktionstheorie zu erklären. Wirken verwaltungsrechtliche Entscheidungen oder Rechtsbehelfe auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit zurück, geht damit die rechtliche Fiktion einher, nach dem ein gegenwärtiger Zustand so zu behandeln ist, als ob ein in der Vergangenheit liegender Zustand nicht eingetreten wäre. Das gilt für die Rückwirkung der durch Gesetz (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) oder gerichtlichen Beschluss (vgl. § 80 Abs. 5 VwGO) eingetretenen aufschiebenden Wirkung gleichermaßen wie für die gerichtliche und behördliche (soweit ihr eine Wirkung für die Vergangenheit zukommt) Aufhebung eines Verwaltungsakts. III. Kritische Würdigung der strafrechtlichen Lösungsansätze unter Zugrundelegung der Fiktionstheorie Bevor die Lösungsansätze zu den strafrechtlichen Konsequenzen rechtlicher Rückwirkungen mithilfe der Fiktionstheorie einer kritischen Würdigung unterzo139 Vgl. Hellwig, Gießen-FS, S. 23 (27); Jacobi, Rückwirkungsanordnungen, S. 18; Schubert, Rückwirkung und Fiktion, S. 6 f. 140 Vgl. oben § 6 B. I. 1. 141 Hierzu oben § 9 A. I. 2.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 197
gen werden, lohnt zunächst der Rückblick auf die rechtlichen Anforderungen für die unrechtsbegründende Wirkung des Verwaltungsakts. Für die Strafbarkeit kommt es auf die tatsächliche Lage im Tatzeitpunkt an. Soweit für die strafbewehrte Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt auf die innere Wirksamkeit des Verwaltungsakts als Strafbarkeitsvoraussetzung plädiert wurde, findet diese Ansicht nunmehr Rückhalt durch die Fiktionstheorie, weil mithilfe ihres rechtskonstruktiven Modells erhellt, dass die Strafrechtsordnung nicht auf einen ungewissen Zustand Bezug nimmt, dessen genaue Erkenntnis erst das Verwaltungsgericht mit seinem Urteil über Rechtmäßigkeit beziehungsweise Rechtswidrigkeit herbeiführt, sondern auf die feststehende Tatsache eines verbindlichen Verwaltungsakts abstellt. Sofern dieses Ergebnis vereinzelt vom Gedanken zu erschüttern versucht wurde, das Verwaltungsgericht erkenne bloß verspätet einen von Anfang an bestehenden Widerspruch, und hieraus auf einen Zusammenhang zwischen Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit geschlossen wurde,142 fußt dieses Argument ersichtlich auf der verfehlten Deklarationstheorie. 1. Die Berücksichtigung des Nachtatgeschehens nach der Tatbestandslösung In der Folge erweisen sich die strafrechtlichen Lösungsansätze als wenig überzeugend, welche das Nachtatgeschehen und die hierdurch ausgelösten Rückwirkungen auf Tatbestandsebene durchschlagen lassen wollen. Das Zusammenspiel von Fiktionstheorie und strafrechtlichem Koinzidenzprinzip verdeutlicht das Missverständnis, welchem die Tatbestandslösung unterliegt. Nach dem Koinzidenzprinzip muss sich für die Strafbarkeit ein Vorgang gleichzeitig als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung erweisen.143 Die Fiktionstheorie hat nunmehr dahingehend Klarheit erbracht, dass verwaltungsrechtlich eine durch Verwaltungsakt statuierte wirksame Pflicht bis zum Zeitpunkt bestand, in dem das die Rückwirkung auslösende Ereignis (beispielsweise die gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsakts) bestand. Danach fingiert die Rechtsordnung diese Pflicht als inexistent. Wenn Vertreter der Tatbestandslösung davon ausgehen, dass der Täter noch nicht einmal tatbestandsmäßig handle, sofern der Verwaltungsakt aufgehoben wird, verletzen sie entweder das Koinzidenzprinzip oder wandeln auf den Spuren der verfehlten Deklarationstheorie. Ersteres wäre ihnen 142 So wohl Berg, WiVerw 1982, 169 (180): „Die spätere, manchmal auch verspätete bloße Erkenntnis der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts durch die Widerspruchsbehörde oder durch das Verwaltungsgericht ändert nichts an dem von vornherein bestehenden Widerspruch zwischen Verwaltungsakt und ermächtigendem Gesetz und stellt lediglich die Unbrauchbarkeit der Verwaltungsaktes zur Verwirklichung der gesetzlichen Ziele fest.“ Auch Gerhards, NJW 1978, 86 (88): „Je nach Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hat der Tatumstand entweder immer oder nie bestanden, lediglich die (verwaltungs-)gerichtliche Entscheidung über das Bestehen dieses Umstandes fällt erst nachträglich.“ 143 Vgl. Jerouschek/Kölbel, JuS 2001, 417 (418).
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
zu unterstellen, wenn sie nachträglichen Umständen Einfluss auf die Tatbestandsmäßigkeit zubilligten. Wollen sie einen Verstoß gegen das Koinzidenzprinzip vermeiden, was naheliegend erscheint, ist die Tatbestandslösung nur auf dem Boden der Deklarationstheorie erklärbar. Insoweit erwiese sich die strafbewehrte Pflicht zur Beachtung des Verwaltungsakts im Tatzeitpunkt als ungewiss. Die verwaltungsgerichtliche Feststellung seiner Rechtswidrigkeit führte auch für den Tatzeitpunkt zu der Erkenntnis, dass er von Anfang an, also auch im Tatzeitpunkt unbeachtlich war. Dass diese Konstruktion mit den Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht in Einklang zu bringen ist, wurde soeben erläutert. Richtigerweise ist für den Tatzeitpunkt (vgl. § 8 S. 1 StGB) die „Welt der Tatsachen“ entscheidend, mithin die damals durch Verwaltungsakt statuierte Pflicht, derer der Täter nachzukommen hatte. Die Vergangenheit lässt sich tatsächlich nicht mehr rückgängig machen, sondern allenfalls für die Vergangenheit rechtlich anders fingieren. Die Fiktion ist aber für die Erfüllung des strafrechtlichen Tatbestands irrelevant, weil diese sich ausweislich § 8 S. 1 StGB ausschließlich nach dem Tatzeitpunkt bemisst. Entsprechend subsumiert der Jurist die zum Tatzeitpunkt vorherrschenden Tatsachen unter den Straftatbestand.144 Dieses Fehlverständnis wird auch bei den anderen akzessorischen Strafrechtsverhältnissen offenbar. Abstellend auf den Tatzeitpunkt kann die nachträgliche Genehmigung im Urheberecht nichts daran ändern, dass derjenige, der urheberrechtlich geschützte Werke unerlaubt verwertet, geeigneter Täter des § 106 UrhG ist. Das hängt noch nicht einmal von der Frage ab, inwieweit die nachträgliche Nutzungseinräumung überhaupt Einfluss auf das Verfügungsgeschäft nehmen und eine rückwirkende Berechtigung zivilrechtlich fingieren kann, weil es darauf, wiederum vor dem Hintergrund des entscheidenden Tatzeitpunkts und der dabei geltenden „Welt der Tatsachen“, nicht ankommt. Aus demselben Grund kann auch an dem verwirklichten Erfolgsunrecht nicht mehr gerüttelt werden. Der Vergleich zu demjenigen Täter, der ohne subjektives Rechtfertigungselement handelt, ist abwegig, weil die Rechtfertigungsgründe die Tat ausschließlich im Tatzeitpunkt rechtfertigen können, sich folglich auch das subjektive Rechtfertigungselement hierauf beziehen muss.145
144 Fernliegend anders Asper, NStZ 1994, 171 (173), der zwar im Ausgangspunkt auch davon ausgeht, dass geschaffene Tatsachen nicht mehr ungeschehen gemacht werden können, sofern die Rückwirkung aber noch Folgen in der Rechtssphäre haben, diese von der Rechtssphäre berücksichtigt werden müssen. Hierbei verkennt Asper offenbar, dass Grundlage der juristischen Subsumtion die geschehenen Tatsachen und nicht die rechtlichen Fiktionen sind. 145 Vgl. auch Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (251). Dies scheint letztlich auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (235), zu übersehen, wenn er der einer strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt zeitlich nachgehenden Aufhebung durch das Gericht die Rechtswidrigkeit verneinen will. Zur Beziehung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit im Allgemeinen Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 14 Rn. 8 f.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 199
Dasselbe muss schließlich für den Fall der strafprozessualen Rückwirkung, bedingt durch die Aufhebung eines Urteils im Wiederaufnahmeverfahren, gelten. Da die Rechtskraft des (ersten) Urteils das Erlöschen der Fahrerlaubnis zur Folge hatte (vgl. § 69 Abs. 3 S. 1 StGB), fuhr der Angeklagte in der Folge ohne Fahrerlaubnis. Daraus folgt, dass der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG in jedem Fall erfüllt ist.146 Diese Ergebnisse spiegeln an sich nur die strafrechtliche Selbstverständlichkeit wider, wonach es für die Strafbarkeit auf den Ebenen der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld keine nachträglichen Änderungen geben kann. Ergänzend hierzu zeigt die Fiktionstheorie mittels ihres rechtskonstruktiven Erklärungsansatzes auf, was zu diesem Zeitpunkt Tatsache und rechtliche Fiktion ist. 2. Die prohibitive Berücksichtigung des Nachtatgeschehens Auch die prohibitiven Lösungsansätze vermögen nach der Fiktionstheorie nicht zu überzeugen. Das argumentative Fundament, auf dem die prohibitiven Lösungsansätze stehen, erweist sich mit Blick auf das geschützte Rechtsgut als strafrechtliche Anlehnung an die Deklarationstheorie. Mithin ist den jeweils deliktsbezogenen Ansätzen gemein, dass sie die Umstände, unter denen die spätere Vernichtung eines objektiven Tatumstands möglich ist, innerhalb der Strafbarkeitsvoraussetzungen berücksichtigen. Bei den verwaltungsaktakzessorischen Straftatbeständen ist dieser Umstand zum einen die sofortige Vollziehbarkeit, weil andernfalls durch Widerspruch und Anfechtungsklage eine rückwirkende Rechtshemmung bezüglich der Wirksamkeit des Verwaltungsakts eintreten kann. Andere berücksichtigen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Tatbestandsebene, weil die Rechtswidrigkeit Voraussetzung der späteren Aufhebung des Verwaltungsakts ist. Sie berufen sich darauf, dass andernfalls ein bloß formales Ordnungsinteresse oder der bloße Ungehorsam bestraft werde. Im Rahmen des § 242 StGB verneinen deren Vertreter die objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung schon bei bloßer Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts, weil andernfalls eine rein formale Eigentumsposition geschützt werde. Für die anderen Fallgruppen werden prohibitive Lösungsansätze nicht vertreten, sind aber gleichermaßen denkbar. Damit nehmen die prohibitiven Lösungsansätze für das Strafrecht eine Rechtsentwicklung vorweg, deren Eintritt nicht gesichert ist. Zwangsläufig kommen sie in Erklärungsnot, wenn die Rückwirkung nicht eintritt: Ficht der Adressat den Verwaltungsakt nicht an, verwehrt das Strafrecht dem Gehorsam und dem davon profitierenden materiellen Interesse seinen Schutz, obwohl am Bestehen einer behördlich verfügten Pflicht von Anfang an kein Zweifel bestand und (nach Eintritt der Bestandskraft) noch nicht einmal mehr in Zweifel gezogen werden kann. 146 So auch Groß, NStZ 1993, 221 (222); ders., NStZ 1994, 173 (174); Mitsch, NZV 2012, 512 (515).
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Gleiches gilt im Rahmen der zivilrechtlichen Rückwirkungen: Erklärt der Anfechtungsberechtigte innerhalb der Anfechtungsfrist die Anfechtung nicht, versagten sie dem Eigentümer strafrechtlichen Schutz, obwohl er zivilrechtlich – von Beginn an! – „vollwertiges“ Eigentum innehatte. Mit ihrer Beschränkung des geschützten Rechtsguts, wonach der formale Ungehorsam beziehungsweise das formale Ordnungsinteresse oder die formale Eigentumsposition keinen strafrechtlichen Schutz erfährt, geben sie sich als unbewusste Anhänger der Deklarationstheorie zu erkennen. Nach ihrem rechtskonstruktiven Erklärungsansatz besteht bis zum Zeitpunkt des die Rückwirkung auslösenden Ereignisses (Anfechtungserklärung oder gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsakts) ein Zustand der Ungewissheit und des Zweifels. Die Vertreter prohibitiver Lösungsansätze bilden diesen Zustand im Strafrecht auf Rechtsgutsebene ab, indem sie dem (vermeintlich) rechtsunsicheren Zustand ein hinreichendes strafrechtliches Schutzbedürfnis absprechen. Nach der zutreffenden Fiktionstheorie hat ein rechtlich ungewisser Zustand aber nie bestanden, weshalb es widersinnig ist, den strafrechtlichen Schutz zu beschneiden. Indem die prohibitiven Lösungsansätze das strafrechtliche Schutzniveau an der bloßen Möglichkeit einer späteren Rechtsvernichtung festmachen, laufen sie zum Tatzeitpunkt nicht der wahren Rechtslage, sondern selbst einer Fiktion nach. Sodann gehen sie von falschen Grundlagen aus und werden dem Schutz der tatsächlich in Rede stehenden Rechtsgüter im Zeitpunkt des Eingriffs nicht gerecht. Deshalb muss auch ihnen die Gefolgschaft versagt werden. IV. Zwischenfazit Die Fiktionstheorie hat Klarheit darüber gebracht, was im Tatzeitpunkt der Welt der Tatsachen und in der Nachschau dem Reich der Fiktionen zuzuordnen ist. Damit hat sie das Wesen der rechtlichen Rückwirkungen als Nachtatgeschehen erst offenbart. Vollzieht man auf dieser Grundlage die Rückwirkungsfiktionen nach, erhellt, dass sie als Nachtatgeschehen keinen Einfluss auf Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld nehmen können. Weiterhin hat das konstruktive Gerüst der Fiktionstheorie aufgezeigt, dass ein eingeschränkter strafrechtlicher Schutz beim Vorliegen von Umständen, die eine mögliche Rückwirkung erst noch auslösen können, fehlgeht. Im Tatzeitpunkt besteht Gewissheit über die rechtlichen Zustände. Deshalb ist nicht einzusehen, nur die Möglichkeit einer späteren Rechtsvernichtung dem strafrechtlichen Rechtsgut anzulasten, und somit den strafrechtlichen Schutz seinerseits von einer zukünftigen Ungewissheit abhängig zu machen. Soweit die prohibitiven Ansätze den strafrechtlichen Schutz in Frage stellen, lehnen sie sich ebenfalls an die Deklarationstheorie an, die als überholtes Gedankenmodell gelten muss. Damit verbleiben für die folgende Auseinandersetzung zwei Möglichkeiten: Es bleibt beim alten Dogma, wonach das Nachtatgeschehen strafrechtlich unberücksichtigt bleibt, oder aber es führt anderweitig zu einer nachträglichen Strafaufhebung.
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D. Die Berücksichtigung von Nachtatgeschehen im Strafrecht als Kompensation „unechter“ Rechtskollisionen Durch die nachträgliche Fiktion der Vergangenheit tritt eine gewissermaßen „unechte“ Kollision der Rechtsordnungen ein. Während sich das Strafrecht sein Urteil über einen vergangenen Ausschnitt der sozialen Realität längst gebildet hat, wird er von der anderen Rechtsordnung mithilfe einer Rechtsfiktion nachträglich in Zweifel gezogen. In dieser „unechten“ Kollision ist wiederum kein eigentlicher Widerspruch der Rechtsordnung auszumachen, da die Strafrechtsordnung im Tatzeitpunkt lediglich mit einer späteren Rechtsfiktion kollidiert. Wenn diese nachträgliche Rechtsfiktion irgendeinen Einfluss auf die Strafbarkeit nehmen soll, ist danach zu fragen, warum das Strafrecht sich an der nachträglichen Rechtsfiktion orientieren und damit die Kollision gewissermaßen kompensieren muss. Das setzt voraus, dass überhaupt ein Kompensationsbedürfnis in Form einer Rechtskollision besteht. I. Rechtskollision als Kompensationbedürfnis Um dem Ziel einer konzeptionellen Betrachtungsweise über das Nachtatgeschehen im Strafrecht näher zu kommen, werden im Folgenden die aufgezeigten Rückwirkungen im Verwaltungsrecht sowie den anderen Rechtsgebieten daraufhin untersucht, ob sie rückblickend zu einer solchen „unechten“ Kollision zur Strafrechtsordnung führen. 1. Kollisionslage durch verwaltungsrechtlich bedingte Rückwirkungen Die Rückwirkungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe wurden bereits oben ausführlich dargelegt, sodass lediglich noch die dadurch ausgelösten Kollisionslagen von Strafrechtsordnung und Verwaltungsrechtsordnung aufzuzeigen sind. Wenn die Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt bereits mit dessen innerer Wirksamkeit strafbewehrt ist, richtet sich der Blick zunächst auf die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Wie oben festgestellt, bezieht sich die Wirksamkeitshemmung der aufschiebenden Wirkung zurück auf den Erlasszeitpunkt des Verwaltungsakts. Legt der Täter gegen einen belastenden Verwaltungsakt erst Widerspruch oder Anfechtungsklage mit aufschiebender Wirkung ein, nachdem er ihm zuwidergehandelt hat, tritt in der Folge eine Kollisionslage ein: Die Strafrechtsordnung geht von einer Zuwiderhandlung gegen eine durch Verwaltungsakts wirksam statuierten Pflicht aus, die das Verwaltungsrecht nach Eintritt der aufschiebenden Wirkung vorläufig behandelt, als ob deren Wirksamkeit von Anfang an gehemmt war. Die gleiche Kollision tritt ein, wenn der Täter nach der Zuwiderhandlung die gerichtliche Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erreicht, weil diese ebenfalls auf den Erlasszeitpunkt zurückreicht.
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Sofern Gerichte oder Behörden einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben, steigert sich die Kollision dadurch, als die Verwaltungsrechtsordnung (rückblickend) die Pflicht nicht nur vorläufig in ihrer Wirksamkeit gehemmt, sondern als endgültig inexistent betrachtet. Mithin lösen die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe allesamt eine „unechte“ Kollision mit der Strafrechtsordnung aus. 2. Kollisionslage durch zivilrechtlich bedingte Rückwirkungen Auch die Vernichtung des Verfügungsgeschäfts durch die erklärte Anfechtung führt zu einer Kollision zwischen Zivilrechtsordnung und Strafrechtsordnung. Während die Strafrechtsordnung einen Eingriff in fremdes Eigentum bestraft, geht die Zivilrechtsordnung wiederum rückblickend davon aus, dass das Eigentum gar nicht fremd war. Hinsichtlich der Kollision im Fall der nachträglichen Nutzungseinräumung einer zunächst unerlaubten Verwertung eines Urheberrechts ist zweierlei denkbar: Nach Hildebrandt soll das Nutzungsrecht entsprechend den Regeln zur Forderungsabtretung auch rückwirkend auf den Täter übertragen werden können. Das hätte eine Kollision dergestalt zur Folge, dass das Strafrecht von einem Unberechtigten im Sinne des § 106 UrhG ausgeht, während die Zivilrechtsordnung den Täter nachträglich als Berechtigten erachtet.147 Diesbezüglich hat Weber bereits zutreffend dargelegt, dass eine durch Verfügungsgeschäft eingeräumte Nutzungsberechtigung rechtlich nicht auf einen früheren Zeitpunkt rückbezogen werden kann.148 Im Weiteren wäre eine Kollision nur unter der Prämisse vorstellbar, dass die unberechtigte Verwertung eine Verfügung darstellt, die nachträglich und mit Wirkung ex tunc genehmigt wird.149 Das erscheint angesichts der rein faktischen Verwertungshandlung reichlich konstruiert und daher wenig überzeugend. Durch die nachträgliche Genehmigung einer unberechtigten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke entsteht folglich keine Rechtskollision von Strafrechtsordnung und Urheberrecht. Infolgedessen besteht von vornherein kein Bedürfnis für eine strafrechtliche Korrektur im Sinne einer Kollisionskompensation. Damit hat die nachträgliche Genehmigung (auch) im Rahmen des § 106 UrhG keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit. 3. Kollisionslage durch strafprozessual bedingte Rückwirkungen Die rechtlichen Folgen der Urteilsaufhebung mitsamt der Entziehung der Fahrerlaubnis sind weitgehend ungewiss. Jedenfalls erlangt der Verurteilte seine Fahr147 Nach der Fiktionstheorie behandelt ihn das Zivilrecht aber keinesfalls als tatsächlich Berechtigten (anders aber Hildebrandt, Strafvorschriften, S. 155). 148 Vgl. Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (253). 149 So wohl Weber, Baur-FS, S. 133 (140 ff.).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 203
erlaubnis nicht rückwirkend, sondern kann allenfalls so behandelt werden, als ob er seine Fahrerlaubnis nie verloren hätte.150 Hierzu verhalten sich zwar weder das Strafprozessrecht noch Literatur und Rechtsprechung, doch spricht für eine solche fiktive Betrachtung, dass der Aufhebung die größtmögliche Wirkung beizulegen ist.151 Auch in anderen Prozessordnungen wird der Aufhebung eines Urteils im Wiederaufnahmeverfahren die rechtliche Folge der Fiktion zuteil: In Zivilsachen bekennt sich der Bundesgerichtshof eindeutig dazu, dass nach Aufhebung des Urteils im Wiederaufnahmeverfahren (vgl. §§ 578 ff. ZPO) die tatsächlichen Verhältnisse im Rechtssinn behandelt werden müssen, als ob das Urteil nie bestanden hätte.152 Gründe dafür, warum eine solche Rechtsfolge im Strafprozessrecht nicht eintreten soll, sind nicht ersichtlich.153 Folglich ist auch im Fall der strafprozessual bedingten Rückwirkung von einer Kollision auszugehen: Die (zweite) Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beruht auf einer Entziehung der Fahrerlaubnis, bezüglich derer das Strafprozessrecht rückblickend fingiert, sie sei gar nicht entzogen worden. Vorläufig tritt diese Rechtskollision, ähnlich der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO, bereits durch die Anordnung des Wiederaufnahmeverfahrens (vgl. § 370 Abs. 2 StPO) ein. Denn sie bewirkt, dass die Rechtskraft des Urteils entfällt und das Verfahren in den Stand vor dem weggefallenen Urteil zurückversetzt wird. 4. Kollisionslage durch immaterialgüterrechtliche Rückwirkungen Im Immaterialgüterrecht ordnen Patent- und Markengesetz die Rückwirkungsfiktion als Rechtsfolge eines begründeten Nichtigkeitsverfahrens ausdrücklich an, indem die Wirkungen der Eintragung von Anfang an als nicht eingetreten gelten (vgl. § 52 Abs. 2 MarkenG, § 22 Abs. 2 i.V. m. § 21 Abs. 3 S. 1 PatentG). Eine Rechtskollision ist wiederum darin auszumachen, dass die Strafrechtsordnung eine Verletzung gegen ein eingetragenes Immaterialgüterrecht sanktioniert, welches das Marken- beziehungsweise Patentgesetz rückblickend als niemals existent betrachtet. II. Kompensationsgründe Allein der Kollisionsbefund führt noch nicht zwangsläufig zur Strafaufhebung. Vielmehr steht im Folgenden zur Diskussion, ob die Rechtsordnung gegenüber dem Strafrecht die Forderung erhebt, der Rückwirkung seinerseits Bedeutung zuzumessen, ihr auf diese Weise eine gewissermaßen strafrechtsgestaltende Kraft 150 Vgl. OVG Lüneburg NJW 2009, 1160 (1161), das darauf hinweist, dass der Verurteilte nach Aufhebung des Strafurteils die Fahrerlaubnis nicht automatisch, sondern erst infolge eines neuerlichen behördlichen Überprüfungsverfahrens erhält. 151 Vgl. BayObLG NJW 1992, 1120; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 23. 152 So besonders deutlich BGHZ 18, 350 (257 f.). 153 Missverständlich insoweit BGH, Urt. v. 03.12.1982 – 2 StR 331/82 –.
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zukommt.154 Das Nachtatgeschehen kann im Strafrecht nur dann Berücksichtigung finden, wenn rechtlich konsistente Gründe für eine strafrechtliche Kompensation der aufgezeigten Rechtskollisionen bestehen. Dabei sind unterschiedliche Begründungsansätze denkbar. Mithilfe strafrechtsimmanenter Begründungen ist denkbar, das verwirklichte Unrecht infolge des Nachtatgeschehens in Zweifel zu ziehen. In den Blick zu nehmen sind des Weiteren Vorschriften im intertemporalen Kontext des Strafrechts, mithin Normen, die einer nachträglichen Änderung der gesetzlichen Grundlage Wirkungen für die zeitlich vorrangig begründete Strafbarkeit zusprechen. Schließlich ist drittens eine Strafaufhebung unter Berücksichtigung des durch die Rückwirkung ausgelösten (außerstrafrechtlichen) Rückgewährverhältnisses erwägenswert. 1. Strafrechtsimmanente Begründungsansätze und Kritik Die strafrechtsimmanenten Begründungsansätze für eine solche Kompensation erscheinen zunächst vielfältig. Hinsichtlich der zivilrechtakzessorischen Straftatbestände wird vorgetragen, die Anfechtung mache die Rechtsstellung des Anfechtungsgegners zunichte und nehme deshalb der Tat des Anfechtenden ihre Strafbedürftigkeit.155 Auch bei einer im Tatzeitpunkt unerlaubten Verwertung eines urheberrechtlich geschützten Werkes soll die nachträgliche Genehmigung die Strafbedürftigkeit der Tat in Zweifel ziehen, weil der Inhaber des Rechtsguts damit zum Ausdruck bringe, dass die Tat für ihn hinnehmbar sei, die Rechtsgemeinschaft daher auf die strafrechtliche Sanktion verzichten könne.156 Mithin steht die Behauptung im Raum, wonach die nachträgliche Genehmigung der bereits verwirklichten Tat ihre Strafwürdigkeit nimmt.157 Bezüglich der Strafnormen des Immaterialgüterrechts gibt sich letztlich auch das Reichsgericht mit der schlichten Behauptung zufrieden, die rückwirkende Vernichtung des Rechts lasse jegliche Grundlage für den Strafausspruch entfallen.158 Andere sehen die spätere Korrektur des Strafrechts dadurch als gerechtfertigt an, als nur tatsächlich bestehende Immaterialgüterrechte strafrechtlichen Schutz genössen, weshalb die Löschung der von Anfang an nichtigen Marke die Durchbrechung der Rechts154 Die Begrifflichkeit einer strafrechtsgestaltenden Kraft ist angelehnt an Weber, Baur-FS, S. 133 („Zur strafrechtsgestaltenden Kraft des Zivilrechts“); ähnlich Mitsch, NZV 2012, 512 (515): „Die Strafbarkeit kann also nur durch eine rückwirkende Umgestaltung der materiellstrafrechtlichen Lage beseitigt werden.“ 155 Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (246). 156 Weber, Schlüchter-GS, S. 243 (246). 157 So insbesondere Weber, Baur-FS, S. 133 (143 f.); zustimmend Brennenstuhl, Rückwirkungsanordnungen, S. 55. Betrachtet man die Bedeutung des Nachtatgeschehens als Kompensation einer (nachträglichen) Rechtskollision, besteht hierfür – wie soeben nachgewiesen – bei § 106 UrhG von vornherein kein Bedürfnis. Gleichwohl sollen die Argumentationsmuster an dieser Stelle aufgezeigt werden. 158 RGSt 48, 419.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 205
kraft und die Aufhebung des Strafurteils wegen einer Markenverletzung begründeten.159 Die Behauptung, wonach jede Grundlage für einen staatlichen Strafausspruch entfallen sei, ließe sich ohne Weiteres auch auf das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht übertragen. Erwägenswert wäre insoweit, mit der gerichtlichen oder behördlichen Vernichtung des Verwaltungsakts der Zuwiderhandlung gegen den belastenden Verwaltungsakt die Strafbedürftigkeit beziehungsweise Strafwürdigkeit abzusprechen.160 Betrachtet man die Behörde als Sachwalter der durch ihre Entscheidungen geschützten materiellen Rechtsgüter, könnte in die Rücknahme ebenjener Verwaltungsentscheidungen gleichermaßen hineingelesen werden, dass die Rechtsgutsverletzung hinnehmbar und eine Straf- beziehungsweise Bußreaktion entbehrlich sei. Weitergehend ließe sich behaupten, eine Rechtsgutsbeeinträchtigung sei in Wahrheit gar nicht eingetreten.161 a) Zur Grundlage des staatlichen Strafausspruchs Kaum weiterführend ist das Vorbringen des Reichsgerichts, wonach jegliche Grundlage für einen staatlichen Strafausspruch fehle. Gänzlich unklar bleibt, wo sich derlei Vorbringen auf die Strafbarkeit niederschlagen soll. Der pauschale Verweis auf den staatlichen Strafausspruch übertüncht ein Begründungsdefizit, zumal an dessen Grundlage kein Zweifel besteht, weil eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tat vorliegt. Diesen gänzlich in Frage stellen zu wollen, scheint reichlich überzogen, zumal das Koinzidenzprinzip gebietet, nachträglichen Ereignissen hierauf keine Gestaltungsmacht zuzubilligen. b) Zur nachträglichen Korrektur des strafrechtlich geschützten Rechtsguts Nicht weniger widersprüchlich sind Versuche, der Rückwirkung in Anlehnung an das geschützte Rechtsgut eine strafrechtliche Bedeutung zuzumessen.162 Will das Strafrecht einen Rechtsgüterschutz gewährleisten, muss bereits im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung feststehen, was dem strafrechtlichen Schutz unterfällt, zu-
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Vollkommer, JuS 2008, 40 (42). So im Ergebnis auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (235). 161 So LG Berlin NStZ-RR 2017, 121. 162 Vollkommer, JuS 2008, 40 (42), führt bezüglich des Wiederaufnahmeverfahrens einer rechtskräftig abgeurteilten Markenrechtsverletzung bei nachträglicher Löschung der Marke aus: „Die darin liegende Durchbrechung der Rechtskraft des Strafurteils nach § 359 StPO erklärt sich aus dem geschützten materiellen Rechtsgut. Nur die tatsächlich bestehende Marke genießt zivil- und strafrechtlichen Schutz.“ Ähnlich LG Berlin NStZ-RR 2017, 121. 160
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mal sich hieran die Auslegung der Tatbestände orientiert.163 Wenn es demnach stimmte, dass nur die richtigerweise eingetragene Marke strafrechtlichen Schutz genießt, muss dieser Umstand konsequenterweise bei der Aburteilung für den Tatzeitpunkt nachgewiesen sein. Aufgrund der verfahrensförmigen Ausgestaltung des Markenrechts will man diesen Weg aber zu Recht nicht gehen.164 Wenn der Strafrichter folgerichtig ohne vorherige Prüfung des Markenrechts auf seine Richtigkeit165 verurteilen kann, geht damit das Eingeständnis einher, dass es dem Strafrecht darauf nicht ankommt. Der Opportunität einer der Tat nachfolgenden Angleichung unterliegt das geschützte Rechtsgut nicht, wenn es seiner Aufgabe im Strafrecht gerecht werden will.166 c) Zu Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit aa) Grundsätzliche Kritik Gleichermaßen wenig zu überzeugen vermögen die Begründungsansätze, welche sich der Maßstäbe von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit bedienen. Neben ihrer begrifflichen Unschärfe, die einen pauschalen Verweis als geradezu fahrlässig erscheinen lassen, wecken sie methodische Zweifel, als die Entscheidung über Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit in erster Linie nicht dem Rechtsanwender, sondern dem Gesetzgeber obliegt. Unabhängig davon, ob der Strafwürdigkeit innerhalb einer vierten Deliktsebene oder im Rahmen einer materiellen (Straf-)Rechtswidrigkeit Zugang gewährt wird, orientiert sie sich an einem dem gesetzlichen Tatbestand übergeordneten Unrechtstatbestand, der allenfalls als Leitlinie zur Kontrolle und Kritik des Gesetzgebers bei der (Ab-) Schaffung von Gesetzen taugt.167 Wegen seiner Konturenlosigkeit ist er jedoch grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt ist, sobald er ins Strafrechtssystem zu übersetzen versucht wird.168 Das gesetzgeberische Urteil über die Strafwürdigkeit ist 163 Vgl. Roxin, AT I, § 2 Rn. 4; in diesem Zusammenhang ist auch auf die Bedeutung des Rechtsguts für die Bestimmtheit des strafrechtlichen Tatbestands hinzuweisen, vgl. dazu Vogel, ZStW 2016, 139 (166 ff.). 164 So auch Vollkommer, JuS 2008, 40 (42); vgl. zur eingetragenen Marke auch NKWSS/Reinbacher, § 143 MarkenG Rn. 11; zum Patent NK-WSS/Reinbacher, § 142 PatentG Rn. 5. 165 Die reichsgerichtlichen Entscheidungen zu den Immaterialgüterrechtsverletzungen hatten stets über den Verfahrensfehler der nicht bewilligten Aussetzung des Strafverfahrens zu entscheiden, nicht aber über die Frage, inwieweit der Strafrichter selbst ein Prüfungsverfahren bei der zuständigen Stelle einzuleiten hat, um Gewissheit darüber zu erlangen, dass das Immaterialgüterrecht nicht nichtig ist. 166 Zu diesen Aufgaben Roxin, AT I, § 2 Rn. 7 ff. 167 So Volk, ZStW 1985, 871 (898). 168 So ausdrücklich Volk, ZStW 1985, 871 (897). Zu den Gefahren für die Rechtssicherheit Jescheck/Weigend, AT, S. 235; kritisch auch LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 30; spezifisch zur Strafwürdigkeit Roxin, AT I Rn. 34 ff.; vgl. zur materiellen Rechtswidrigkeit Sch/Sch/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 50 f.
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jedenfalls im Ausgangspunkt klar: Strafwürdig ist die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat.169 Diese Voraussetzungen sind in den Fallbeispielen allesamt erfüllt. Beschränkt man den ohnehin schillernden Maßstab der Strafwürdigkeit demnach auf das Tatgeschehen,170 kann das Nachtatgeschehen in Form der rechtlichen Rückwirkungen an der einmal festgestellten Strafwürdigkeit nicht mehr rütteln. Dies nicht zu Unrecht: Denn mit der Vollendung des Delikts hat der Täter das Handlungs- und Erfolgsunrecht verwirklicht. Bereits vor der rechtlich bedingten Rückwirkung bringt der Täter zum Ausdruck, dass er fremdes Eigentum oder Rechte anderer an Immaterialgütern missachtet. Vor der Aufhebung des Strafurteils und dem darin verhängten Entzug der Fahrerlaubnis hat der Täter seine Missachtung gegenüber der Straßenverkehrssicherheit ausgedrückt, indem er dem abstrahierenden Gebot zuwiderhandelte, wonach nur Personen im Besitz einer Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen dürfen. Für das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht gilt dasselbe: Verwehrt der Täter einem belastenden Verwaltungsakt den Gehorsam, missachtet er damit das dahinter stehende materielle Sachinteresse, dessen Schutz der Behörde aufgetragen ist. Das Nachtatgeschehen ändert an der Strafwürdigkeit des vollendeten Handlungs- und Erfolgsunrechts nichts. Wenn darüber hinaus die an den Strafzwecken orientierte Frage nach der Notwendigkeit von Strafe als geeigneter, erforderlicher und angemessener Reaktion auf das strafwürdige Unrecht gestellt wird, ist damit ein Gesichtspunkt angesprochen, der eher der Strafbedürftigkeit zuzuordnen ist.171 Wiederum gilt es, diese aus der gesetzgeberischen Perspektive heraus zu beleuchten. Wenn es dem Gesetzgeber obliegt, durch gesetzliche Tatbestände die Entscheidung über die Voraussetzungen strafrechtlichen Handlungs- und Erfolgsunrechts zu statuieren, unterliegt es zuvorderst auch ihm, im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative strafbefreiende Wirkungen für bestimmtes Nachtatgeschehen festzusetzen.172 bb) Gesetzliche Anknüpfungspunkte zur Bedeutung von Nachtatgeschehen im Strafgesetzbuch Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber vielfach und auf ganz unterschiedliche Weise Gebrauch gemacht. Die gesetzgeberischen Aussagen darüber, in wel169
Kritisch insoweit auch Roxin, AT I, § 23 Rn. 35. Selbst das ist freilich umstritten, vgl. die Darstellung bei Volk, ZStW 1985, 871 (879). So meint Kern, ZStW 1952, 255 (276 ff., 287), mit Blick auf unterschiedliche Grade der Rechtswidrigkeit etwa, dass auch das Verhalten des Täters nach der Tat Einfluss auf den Grad der Rechtswidrigkeit seines „Gesamtverhaltens“ haben kann, dies aber nur auf Strafzumessungsebene Berücksichtigung finden könne. 171 Vgl. Roxin, AT I, § 23 Rn. 38; Volk, ZStW 1985, 871 (896). 172 Vgl. Lagodny, Schranken, S. 496. 170
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chen Fällen und auf welche Weise das Nachtatgeschehen Berücksichtigung findet, erschweren dem Rechtsanwender stringent zu begründen, dass unabhängig von einer legislativen Entscheidung und unter dem schlichten Verweis auf die Strafbedürftigkeit die Strafbefreiung als zwingende Rechtsfolge eintreten soll.173 Bei der makroskopischen Betrachtung der unterschiedlichen Funktionen von Verwaltungsrecht und Strafrecht zu Beginn dieser Arbeit, die das vergangenheitsbewältigende, reagierende Strafrecht dem auf die Zukunft gerichteten, agierenden Verwaltungsrecht gegenüberstellt,174 blieb unerwähnt, dass das Strafgesetzbuch in sehr engen Grenzen Nachtatgeschehen in seine Betrachtung miteinbezieht, insoweit gewissermaßen zukunftsoffen reagiert. Ein besonderes Augenmerk legt das Strafgesetzbuch auf das Nachtatverhalten des Täters beim versuchten Delikt, wobei es die Möglichkeit der Strafbefreiung durch Rücktritt gewährt. Bei genauerer Betrachtung setzt der Rücktritt ein „vollendetes“ – mithin tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaft begangenes – Versuchsdelikt voraus. Da das in § 24 StGB geforderte Rücktrittsverhalten der Begehung des Versuchsdelikts zeitlich nachgelagert ist, honoriert das Strafgesetzbuch das Nachtatverhalten des Täters, indem es hierfür einen persönlichen Strafaufhebungsgrund gewährt.175 Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er wegen der geringeren Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit des zurücktretenden Täters die Tat für nicht strafbedürftig erachtet.176 Dieser, als Begründung der Rücktrittsregelung dienenden Strafzwecklehre, wonach weder aus spezial- noch generalpräventiven Gründen das Mittel des Strafrechts Anwendung finden muss, hat sich die Mehrheit der Literatur angeschlossen.177 Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber die generelle Strafaufhebung durch freiwilligen Rücktritt (im Rahmen des Nachtatverhaltens) bewusst auf das Versuchsdelikt begrenzte, da bei ihnen kein oder jedenfalls 173
Vgl. Mitsch, NZV 2012, 512 (515). Hierzu oben § 5. 175 So auf dem Boden der ganz herrschenden Rücktrittsdogmatik; vgl. BT-Drs. 4/ 650, S. 146; BGH NStZ 1982, 78; BGHSt 59, 193 (195); Sch/Sch/Eser/Bosch, § 24 Rn. 4; MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 24 Rn. 6 f.; LK-StGB/Lilie/Albrecht, § 24 Rn. 50; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 23 Rn. 7, explizit zum zeitlichen Verhältnis von Versuchs- und Rücktrittsachverhalt und dem zutreffenden Hinweis, dass es einen Schuldausschluss ex tunc nicht gibt; vgl. auch Murmann, Frisch-FS, S. 1131 (1145), der den Rücktritt ausdrücklich dem Nachtatverhalten zuordnet; Rengier, AT, § 37 Rn. 1. Anders etwa Haas, ZStW 2011, 226 (245 ff.), der Versuch und Rücktritt als einheitliche Zurechnungsfigur ansehen will, die Kompatibilität dieses Ansatzes mit dem geltenden Strafgesetz aber selbst in Frage stellen muss; ähnlich auch v. Heintschel-Heinegg, ZStW 1997, 29 (47 ff.), der den Rücktritt als Tatänderung ansieht und deshalb einen strafbefreienden Rücktritt nur für Verhaltensweisen für möglich hält, die in der Gegenwart noch korrigiert werden können („Tatänderung“); dem stehe bloßes „Nachtatverhalten“ gegenüber, welches nur noch auf Strafzumessungsebene zu berücksichtigen ist. 176 So bereits angedeutet in BGHSt 9, 48 (52); ausdrücklich BGHSt 37, 340 (345 f.). 177 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 23 Rn. 11; Roxin, AT I, § 23 Rn. 17; ders., AT II, § 30 Rn. 7 f.; ferner Sch/Sch/Eser/Bosch, § 24 Rn. 2b. 174
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 209
kein dem Täter zurechenbarer Erfolg eingetreten ist. In der Folge ist der Rechtsanwender zu Behutsamkeit aufgerufen, möchte er bei vollendeten Delikten an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung sein eigenes Urteil über Strafwürdigkeit beziehungsweise Strafbedürftigkeit setzen und infolgedessen Strafaufhebungsgründe annehmen.178 Zumal der Gesetzgeber über den Rücktritt vom Versuchsdelikt hinaus explizite täterprivilegierende Regelungen für vollendete Delikte getroffen hat, sofern der Täter (wiederum nach der Tat) rücktrittsähnliche Verhaltensweisen an den Tag legt.179 Mit den Vorschriften zur tätigen Reue kompensiert der Gesetzgeber jeweils deliktsbezogene Strafbarkeitsausdehnungen, die keinen Verletzungs- oder Gefährdungserfolg mehr voraussetzen.180 Indem sie Maßnahmen zur Gefahr- beziehungsweise Schadensabwendung oder dahingehende „ernsthafte Bemühungen“ honorieren,181 ähneln sie Rücktrittsvorschriften. Ergänzend sei in diesem Zusammenhang auch auf solche Regelungen hingewiesen, die den Täter für seine nach Deliktsvollendung geleistete Aufklärungs- und Präventionshilfe mit Straffreiheit belohnen.182 Mit diesen Vergünstigungen für Verhaltensweisen, die der Tatvollendung nachfolgen, trifft der Gesetzgeber wiederum im Rahmen seines gestalterischen Spielraums Spezialregelungen für kriminalpolitisch wünschenswerte Ergebnisse.183 Stellt schließlich auch der Besondere Teil des Strafgesetzbuchs keine gesonderte strafmildernde Regelung für das Nachtatgeschehen auf, kann das Nachtatverhalten des Täters zuletzt im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung Berücksichtigung finden (vgl. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB). Ausgangspunkt der Strafzumessung ist der Grad der individuellen Schuld des Täters (vgl. § 46 Abs.1 S. 1 StGB),184 die nach dem Grad des Handlungs- und Erfolgsun-
178 So wohl auch Murmann, Frisch-FS, S. 1131 (1146): „Jedes der Vollendung nachfolgende Verhalten muss dahinter in seinem Bedeutungsgehalt zurückbleiben (sofern der Vollendungstatbestand nicht in der Sache bloßes Versuchsunrecht normiert.“ In anderem Zusammenhang auch Brand/Wostry, GA 2008, 611 (617), die eine Gesamtanalogie zu den Vorschriften der tätigen Reue zu Recht ablehnen, sofern der Täter den Anforderungen des § 24 StGB nicht gerecht wird, weil andernfalls die Voraussetzungen des Rücktritts konterkariert würden. 179 Rengier, AT, § 39 Rn. 1 spricht dem Gedanken nach vom „Rücktritt vom vollendeten Delikt“. 180 Vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 23 Rn. 71. 181 Eingehend mit Beispielen Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 23 Rn. 74 ff. 182 Hierzu gehören etwa die im Rahmen der Geldwäschestrafbarkeit getroffene Regelung in § 261 Abs. 9 S. 1 StGB und die ihr bzgl. der Zwangsprostitutionsstrafbarkeit nachgeildete Vorschrift in § 232a Abs. 6 S. 2 StGB; hierzu BT-Drs. 18/9095, S. 36; vgl. Sch/Sch/Eisele, § 232a Rn. 44 ff. 183 Vgl. BGHSt 14, 213 (217). 184 Vgl. BGHSt 24, 132 (133 f.); 29, 319 (321).
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
rechts sowie dem Maß des Verschuldens bei der Tatbegehung zu bewerten ist.185 Im Rahmen einer dem gerechten Schuldausgleich dienenden Strafe kann der Tatrichter innerhalb des ihm obliegenden Spielraums die in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB nicht abschließend („insbesondere“) aufgezählten schuldunabhängigen Zumessungsgründe einfließen lassen.186 Ausdrücklich soll das Täterverhalten nach der Tat, sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, Berücksichtigung finden.187 cc) Fazit Von wenigen Ausnahmen abgesehen,188 verortet die ganz herrschende Lehre die Vorschriften zu Rücktritt und tätiger Reue (und selbstredend die strafschärfenden oder -milderden Umstände im Rahmen von § 46 StGB) innerhalb einer jenseits von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld befindlichen Deliktsebene. Wenngleich das nur eine Bewertung und keine eigenständige Aussage des Gesetzes ist, fügen sich die so verstandenen gesetzlichen Aussagen in ein dem Koinzidenzprinzip verpflichtetes Konzept, das dem Nachtatgeschehen keine Bedeutung für diese Ebenen zuweist. Insoweit bestätigt diese Betrachtung die bereits oben festgestellten Unzulänglichkeiten der Tatbestandslösung. Allenfalls kann das Nachtatgeschehen in Form der rückwirkenden Rechtsfiktionen im Rahmen eines Strafaufhebungsgrunds Berücksichtigung finden, weil diese für gewöhnlich das Koinzidenzprinzip durchbrechen.189 Die Annahme eines Strafaufhebungsgrunds, gegründet auf den jeweils eigenen Wertungen des Rechtsanwenders über Strafwürdigkeit beziehungsweise Strafbedürftigkeit, verkennt die gesetzgeberischen Wertungsspielräume. Der Abriss über die gesetzlichen Anknüpfungspunkte zur Bedeutung des Nachtatgeschehens zeigt, dass der Gesetzgeber ihm auf ganz unterschiedlicher Art und Weise Rech-
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Eingehend SSW-StGB/Eschelbach, § 46 Rn. 74 ff. Hierzu SSW-StGB/Eschelbach, § 46 Rn. 163; vgl. hierzu auch Meier, GA 2015, 443 (445), der besonders hervorhebt, dass der Täter durch sein Nachtatverhalten Leistungen erbringt, die nichts über die Schwere seiner (Tat-)Schuld zum Zeitpunkt des früher begangenen Delikts aussagen; im Einzelnen ist aber streitig, ob die zeitlich nachfolgenden Ereignisse Indizien auf die Tatschuld zulassen sollen oder sich auf eine (erweiterte) Strafzumessungsschuld beziehen (zur Diskussion Murmann, Frisch-FS, S. 1131 [1139 ff.]). 187 Zu den Aufwertungen des Nachtatverhaltens in jüngerer Zeit, insbesondere dem fakultativen Strafmilderungsgrund in § 46a StGB („Täter-Opfer-Ausgleich“) und § 46b StGB (Kronzeugenregelung“), s. Meier, GA 2015, 443 (445). 188 Vgl. etwa Roxin, AT II, § 30 Rn. 29 f., der den Rücktritt als Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ansieht und sich dadurch jenen nahe sieht, die § 24 StGB den Entschuldigungsgründen zuordnen. 189 Vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 19 Rn. 2. 186
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 211
nung trägt: Eine konsistente Strafaufhebung sieht das Gesetz lediglich für den freiwilligen Rücktritt beim Versuchsdelikt vor. Im Übrigen bestehen (jeweils deliktsbezogen) obligatorische oder fakultative Strafmilderungen, Strafaufhebungsvorschriften oder die Möglichkeit, das Nachtatverhalten im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne zu berücksichtigen.190 Folglich muss sich der Rechtsanwender hinsichtlich selbstinitiierter Strafaufhebungsgründe, ausgerichtet an den konturlosen Strafzwecken, in gebotener Zurückhaltung üben, da er sich andernfalls der Gefahr aussetzt, die gesetzgeberischen Wertungen zu unterminieren. In welchen Fällen das Nachtatgeschehen die Strafbarkeit beim Vollendungsdelikt ihres Zwecks gänzlich beraubt, kann der Rechtsanwender mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten methodischer Auslegung nur behaupten, nicht aber hinreichend und zweifelsfrei begründen; hierfür bedarf es konkretisierender gesetzgeberischer Bestimmungen. Es soll nicht verkannt werden, dass dieser gesetzgeberische Gestaltungsspielraum vermehrt in Frage gestellt wird. Bislang aber blieben die zahlreichen Versuche, infolge gesetzgeberischer Inkohärenzen oder Unverhältnismäßigkeiten einzelfallabhängige Analogien der Vorschriften zur tätigen Reue oder darauf gegründete Gesamtanalogien zu bilden,191 zu Recht erfolglos. Soweit der Gesetzgeber eine Ausnahmevorschrift statuiert hat, verbietet sich deren analoge Anwendung. Ist der Vorschrift ein solcher Charakter nicht zu entnehmen, orientieren sich diese Ansätze ihrerseits an den Merkmalen von Strafwürdigkeit beziehungsweise Strafbedürftigkeit, mithin solchen Eigenschaften, die einen großen Einschätzungsspielraum eröffnen, innerhalb dessen nur der Gesetzgeber das konkrete Privileg einer Strafbefreiung gewähren kann.192 Letztlich spiegeln sich darin dieselben konturlosen Argumentationsmuster wider, auf welche die strafrechtsimmanenten Begründungsansätzen ihren Strafaufhebungsgrund bauen. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Übergeht der Rechtsanwender die gesetzgeberi190 Siehe zu den vielfältigen „Tätige-Reue“-Vorschriften Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 23 Rn. 79. 191 Vgl. zu diesen Versuchen: Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 74 ff. (konkrete Gefährdungsdelikte), S. 122 (abstrakte Gefährdungsdelikte), der bei Gefährdungsdelikten § 24 StGB analog anwenden will, soweit der Täter die verursachte Gefahr abwendet; Bülte, ZStW 2010, S. 550 (590 ff.); Ceffinato, Vollendungsumkehr, S. 97 ff., 141 ff., unter Verweis auf das (angeblich) verfassungsrechtliche Prinzip der Folgerichtigkeit; gegen ein solches Prinzip etwa Dannecker, NZWiSt 2014, 6 (10 f.), der dem Gesetzgeber ein „Irrationalitätsprivileg“ zuspricht. 192 Zutreffend bereits Bottke, Methodik, S. 689 ff., der einerseits bereits im Jahr 1979 in Frage stellt, ob strafmildernde oder -befreiende Vorschriften im Besonderen Teil tatsächlich dem – häufig vorgetragenen – „Prinzip des Zufalls“ folgen und andererseits aufgrund Rechtssicherheit und grundgesetzlicher Kompetenzverteilung allein dem Gesetzgeber die Aufgabe zuweist, über strafmilderndes und strafbefreiendes Täterverhalten zu entscheiden; auch Lagodny, Schranken, S. 499 ff., der den Richter im Fall einer nicht tragfähigen Differenzierung auf die konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG verweist; anders Bülte, ZStW 2010, 550 (579); Ceffinato, Vollendungsumkehr, S. 147 ff.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
schen – im Einzelnen gewiss inkonsequenten193 – Vorgaben, läuft er seinerseits Gefahr, sich in Widersprüchen zu verirren und gesetzgeberische Entscheidungen zu konterkarieren.194 2. Begründungsansätze im intertemporalen Kontext des Strafrechts Eine gesetzliche Grundlage bieten Vorschriften im intertemporalen Kontext des Strafrechts. Damit ist der Blick auf diejenigen Normen gerichtet, die einer nachträglichen Änderung der strafgesetzlichen Grundlage Wirkungen für die zeitlich vorrangig begründete Strafbarkeit zusprechen. Selbst der Bundesgerichtshof deutet in seiner Entscheidung zum strafbewehrten Verkehrszeichen die Vorschriften § 2 StGB und § 79 Abs. 1 BVerfGG an, ohne ihnen aber größere Aufmerksamkeit zu schenken.195 a) Kompensation nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB Von dem Grundsatz, dass sich die Strafe und ihre Nebenfolgen nach dem Gesetz bestimmen, das zur Zeit der Tat gilt (§ 2 Abs. 1 StGB), macht § 2 Abs. 3 StGB eine Ausnahme, wonach das mildeste Gesetz anzuwenden ist, wenn das Gesetz vor der gerichtlichen Entscheidung geändert wird. Dem Rechtsgedanken der Meistbegünstigung196 folgend, wäre eine entsprechende Verfahrensweise jedenfalls beim verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht denkbar, wenn der normkonkretisierende Verwaltungsakt nachträglich aufgehoben wird.197 Gegen eine solche Analogie spricht jedoch, dass der Gesetzgeber das Meistbegünstigungsprinzip ausdrücklich auf Gesetzesänderungen beschränkt. Mit dem Wegfall des konkretisierenden Einzelakts verliert die Strafbestimmungen noch nicht einmal einen normcharakterisierenden Teil,198 weil die dem Bestimmtheitsgrundsatz genügende Strafnorm selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und 193 Siehe hierzu die Beispiele „grundrechtswidriger Einschätzungsdivergenzen“ bei Lagodny, Schranken, S. 50 ff. 194 Virulent wird dies etwa am Beispiel des § 266a StGB mit seinem Abs. 6, der seinerseits besondere Vorgaben für ein Absehen von Strafe oder eine persönliche Strafaufhebung statuiert, weshalb eine strafbefreiende Wirkung der Aufrechnungserklärung von vornherein nicht überzeugt (so auch Weber, Schlüchter-GS, S. 243 [250]). 195 Vgl. BGHSt 23, 86 (93 f.). 196 Hierzu NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 2 Rn. 16. 197 So die Überlegungen bei Heghmanns, Dogmatik, S. 339 f.; Krause, JuS 1970, 222; Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 238 ff.; bejahend im Ergebnis Wagner, Akzessorietät, Rn. 704. 198 Zutreffend OLG Hamm NJW 1954, 1735, zur strafbaren Geschwindigkeitsüberschreitung bei nachträglicher Entfernung des Verkehrszeichens: „Sie [die Verkehrszeichen; Anm. d. Verf.] sind auch für den Inhalt des im § 3 StVO normierten Straftatbestandes von Bedeutung, bilden aber nicht selbst das sachliche Strafgesetz, sondern füllen nur den besonderen Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 StVO aus“; vgl. auch Heghmanns, Dogmatik, S. 339; LK-StGB/Dannecker, § 2 Rn. 99.
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Maß der Sanktion hinreichend deutlich machen muss.199 Schließlich ist § 2 Abs. 3 StGB auf eine gänzlich andere als diejenige Interessenlage gemünzt, wie sie nach der Aufhebung des Verwaltungsakts besteht. Das Meistbegünstigungsprinzip gereicht dem Täter demnach zum Vorteil, wenn sich der gesamte Rechtszustand, von dem die Strafe abhängt, nachträglich ändert.200 An der abstrakt-generellen Strafbarkeit des verweigerten Gehorsams gegenüber dem Verwaltungsakt ändert sich jedoch durch die Aufhebung des für den Einzelfall konkretisierenden und individualisierenden Verwaltungsakts nichts.201 b) Kompensation nach dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 1 BVerfGG Dem bereits rechtskräftig Verurteilten eröffnet § 79 Abs. 1 BVerfGG die Möglichkeit, gegen das Strafurteil im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens (vgl. §§ 359 StPO) vorzugehen, soweit das Urteil auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist. Hieraus zu begründen versuchen, warum eine Strafbarkeit ausscheiden soll, nachdem ein strafbewehrter Verwaltungsakt aufgehoben wurde, gelingt kaum.202 Die Probleme fußen darauf, dass das Bundesverfassungsgericht stets den Ausnahmecharakter der Norm und die damit einhergehende gesetzgeberische Würdigung betonte, nur bei rechtskräftig abgeschlossenen Strafurteilen dem Rechtsschutz des Einzelnen Vorrang vor den mit der Rechtskraft einhergehenden Gedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens einzuräumen.203 Zwischen einem für nichtig erklärten Gesetz, auf dessen Grundlage eine Verurteilung erfolgt und der Aufhebung eines Verwaltungsakts, gegen den strafbewehrt zuwidergehandelt wurde, bestehen eklatante Unterschiede, die einer analogen Anwendung der Norm entgegenstehen.204 Allein der Verstoß gegen einfaches Recht, der dem (rechtswidrigen) Verwaltungsakt zugrunde liegt, begründet keinen Verfassungsverstoß. Auch die Strafbewehrung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts begründet per se noch keinen Verfassungs199
Vgl. zur Bestimmtheit BVerfG NVwZ 2012, 504 (505). So ausdrücklich NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 2 Rn. 37. 201 Zutreffend Heghmanns, Dogmatik, S. 339 f.; Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 239. Anders aber Wagner, Akzessorietät, Rn. 696 ff., unter Ausweitung des Gesetzesbegriffs in § 2 Abs. 3 StGB. 202 Arnhold, Strafbewehrung, S. 38 f., prüft (aus einer anderen Perspektive), ob die Norm einer Verurteilung wegen einer Zuwiderhandlung gegen rechtswidrige Verwaltungsakte entgegensteht und spricht der Argumentation ihre Eignung zur Problemlösung ab. 203 Vgl. BVerfGE 2, 380 (404 f.); 7, 194 (195 f.); 11, 263 (265), und hierauf bezugnehmend BGHSt 23, 86 (94). 204 Zutreffend BGHSt 23, 86 (94); im Ausgangspunkt auch Schenke, JR 1970, 449 (452). 200
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
verstoß.205 Ob es einen Verfassungsverstoß begründet, wenn an der Strafbarkeit unbesehen der gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts festgehalten wird, gilt es zu untersuchen. § 79 Abs. 1 BVerfGG selbst, sowie ein der Norm unterstellter Rechtsgedanke, wonach das rechtliche Interesse an der Beseitigung strafrechtlicher Folgen höher als an der Beseitigung verwaltungsrechtlicher Folgen wiege,206 können hierzu nichts beitragen. 3. Außerstrafrechtlicher Begründungsansatz – Kompensation der Rechtskollision unter Berücksichtigung des außerstrafrechtlichen „Rückgewährverhältnisses“ Unter diesen Vorzeichen erscheint die Suche nach einer möglichen strafrechtlichen Kompensation der Rechtskollision aussichtsreicher, die sich auf die außerstrafrechtlichen Rückgewährverhältnisse konzentriert. Damit ist der Blick auf diejenige Rechtsordnung gemeint, welche die Rückwirkung anordnet und dadurch ein Rückgewährverhältnis zwischen den am Rechtsverhältnis beteiligten Akteuren auslöst.207 Eine Strafaufhebung ließe sich begründen, wenn dem Bürger aus dem Rückgewährverhältnis ein Anspruch auf Strafbefreiung erwächst. Dann verstünde sich der Strafaufhebungsgrund als subjektives Recht des Bürgers gegen den Staat: Zwar verwirklicht der Täter zunächst das strafbewehrte Erfolgsund Handlungsunrecht einer Tat, was die Grundlage für den staatlichen Strafausspruch legt. Erwächst dem Täter aber durch die spätere Aufhebung eines das Handlungsunrecht konstituierenden Merkmals ein Anspruch darauf, die damit einhergehenden Folgen zu beseitigen, erscheint nicht fernliegend, davon auch die Beseitigung der Straffolgen mitumfasst zu sehen.208 a) Der verfassungsrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch als Strafaufhebungsgrund im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht Unter Bezugnahme auf das (außerstrafrechtliche) verwaltungsrechtliche Rückgewährverhältnis, verwundert kaum, dass mit Schenke ein Vertreter des öffentlichen Rechts diesen Gedanken maßgeblich für das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht fruchtbar gemacht hat.209 Die Verwaltungsgerichtsordnung bildet eine 205
Dazu oben § 6 A. III. 2. c) dd). So aber Schenke, JR 1970, 449 (452), und ders., Wolter-FS, S. 215 (236), unter Heranziehung des verfassungsgerichtlich gebotenen Folgenbeseitigungsanspruchs. 207 Wegweisend Schenke, JR 1970, 449 (451), und ders., Wolter-FS, S. 215 (233 ff.), mit Blick auf den Folgenbeseitigungsanspruch. 208 Vgl. Schenke, JR 1970, 449 (451). Zu der Frage, wo der Folgenbeseitigungsanspruch seinen Niederschlag im Strafrecht finden soll, hat er sich erst später (Schenke, Wolter-FS, S. 215 [235]), geäußert und sich dabei dazu verleiten lassen, aufgrund fehlender Strafwürdigkeit die Rechtswidrigkeit der Tat zu verneinen. 209 Schenke, JR 1970, 449; erneuernd Schenke, Wolter-FS, S. 215. 206
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Folgenbeseitigung prozessual ab, indem sie dem Anfechtungskläger im Wege der objektiven Klagehäufung (vgl. § 44 VwGO) ermöglicht, neben der Aufhebung des (belastenden) Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) die Rückgängigmachung der bereits erfolgten Vollziehung zu verlangen (vgl. § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO).210 Hinter diesem prozessual vorausgesetzten Instrument steht der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch.211 Schenke wirbt dafür, den Folgenbeseitigungsanspruch über die verwaltungsrechtlichen Vollzugsfolgen hinaus auf die weit gravierenderen strafrechtlichen Folgen zu erstrecken. Dabei lässt er sich vom Gedanken leiten, dass die materielle Gerechtigkeit das Prinzip der Rechtssicherheit aufwiege, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellt und ihn infolgedessen aufhebt. Letztlich verwirkliche sich ein effektiver Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht umfänglich, wenn trotz Aufhebung des Verwaltungsakts eine Pflicht zu dessen Befolgung für die Vergangenheit nach wie vor bejaht würde.212 Staatshaftungsrechtlich begegnet diese Ansicht jedoch Zweifeln, da der Folgenbeseitigungsanspruch für gewöhnlich nur unmittelbare Vollzugsfolgen erfasst, wobei das Wesen der Strafbarkeit als unmittelbare Vollzugsfolge überaus fraglich erscheint.213 Das macht es erforderlich, den Folgenbeseitigungsanspruch näher in den Blick zu nehmen, wobei sich das Hauptaugenmerk auf die strafrechtlichen Folgen konzentriert. aa) Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs Bachof, der den Folgenbeseitigungsanspruch maßgeblich entwickelte, empfand es als unerträglich, sollte die Behörde den von ihr geschaffenen, rechtswidrigen Zustand auch dann noch bestehen lassen und sich auf die rechtsirrtümlich von ihr geschaffenen Tatsachen berufen dürfen, wenn die fehlende Erkenntnis durch ein Gericht ausgeräumt und damit der Grund der vorläufigen Vollziehbarkeit entfallen ist.214 Hieraus schloss er auf ein rechtsstaatliches Erfordernis, wonach die Behörde zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands verpflichtet ist.215 Ungeachtet der genauen Rechtsgrundlage des materiell-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs216 und einiger Unschärfen in Voraussetzungen und Rechts210
Vgl. hierzu Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 81. Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 81. 212 Schenke, JR 1970, 449 (451 f.); ders., Wolter-FS, S. 215 (233 f.). 213 Ablehnend Arnhold, Strafbewehrung, S. 35; Haaf, Fernwirkungen, S. 229. 214 Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 127 f. 215 Vgl. Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 129 ff.; seine Fundierung im status negativus verdankt der Folgenbeseitigungsanspruch der Fortentwicklung von Rupp, Grundfragen, S. 258 f. 216 Während ihn die Rechtsprechung maßgeblich auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) stützt (eingehend auch bzgl. der Geschichte des Folgenbeseitigungsanspruchs BVerwGE 69, 366), verankert ihn die herrschende Lehre in der subjektiven Rechtsnatur der Freiheitsgrundrechte (so Baumeister, Beseitigungsanspruch, 211
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
folgen ist er heute jedenfalls seinem Grunde nach gewohnheitsrechtlich anerkannt.217 Demnach entsteht ein Folgenbeseitigungsanspruch, wenn ein hoheitlicher Eingriff ein subjektives Recht des Betroffenen verletzt und hierdurch ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen wurde.218 Der Folgenbeseitigungsanspruch bedeutet für den Bürger die Wiederherstellung des ursprünglichen, durch hoheitlichen Eingriff veränderten Zustands.219 Die fehlerhafte Gesetzesanwendung ist der Regelfall, durch den in die subjektiven Rechte des Betroffenen eingegriffen und ein rechtswidriger Zustand geschaffen wird.220 Für die mit dem belastenden Verwaltungsakt einhergehenden strafrechtlichen Folgen, die zwar selbst nicht Ergebnis einer fehlerhaften Gesetzesanwendung durch den Strafrichter sind, gleichwohl mittelbar auf einem rechtswidrigen Verwaltungsakt gründen, ist aber weitgehend ungeklärt, ob sie von der Folgenbeseitigung umfasst werden.221 Die gesetzlichen Anhaltspunkte geben insoweit keinen Aufschluss. § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO spricht davon, dass die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Zwar hat die Verwaltungsbehörde mit den strafrechtlichen Folgen nichts zu tun. Jedoch muss daran erinnert werden, dass § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO den Folgenbeseitigungsanspruch – zumal für seine prozessuale Geltendmachung im Verwaltungsprozess – nur voraussetzt, selbst aber nicht regelt.222 Sodann ist der Umfang des Folgenbeseitigungsanspruchs näher in den Blick zu nehmen, wobei es gilt, sich von dem verwaltungszentrierten Blickwinkel, von dem aus der Folgenbeseitigungsanspruch herkömmlich Betrachtung erfährt, teils zu lösen. Unabhängig davon, ob der Folgenbeseitigungsanspruch im Rechtsstaatsprinzip oder den Freiheitsgrundrechten verankert ist, reicht sein verfassungsrechtliches Fundament jedenfalls über die Grenzen des Verwaltungsrechts hinaus. Auf dieser Grundlage erscheint eine „strafrechtliche Folgenbeseitigung“ 223 oder „sanktionsaufhebende Folgenbeseitigung“ 224 jedenfalls möglich. S. 21 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 259; Schenke, Wolter-FS, S. 215 [234]; Schoch, Verw 2011, 397 [398]; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2012, 1079 [1080]). 217 Gewohnheitsrecht erwägend bereits BVerfGE 61, 149 (203); auch BVerwGE 94, 100 (103 f.). 218 BVerwGE 94, 100 (104); Schoch, Verw 2011, 397 (399). 219 Vgl. BVerwGE 28, 155 (165); BVerwGE NVwZ-RR 2002, 620; MüKo-BGB/Papier/Shirvani, § 839 Rn. 85; im Einzelnen Schoch, Verw 2011, 397 (405 ff.). 220 Schoch, Verw 2011, 397 (403). 221 Bejahend Lagemann, Ungehorsam, S. 144 ff.; Schenke, JR 1970, 449 (451); ders., Wolter-FS, S. 215 (233 ff.); Schröder, VVDStRL 50, S. 196, 224; Stern, Lange-FS, S. 859 (863); Wüterich, NStZ 1987, 106 (108); ablehnend Arnhold, Strafbewehrung, S. 33 ff.; Dölling, JZ 1985, 461 (466); Gornik, Strafbarkeit, S. 121 f.; Haaf, Fernwirkungen, S. 229; Heghmanns, Dogmatik, S. 336 ff. 222 Siehe nur BVerwG VerwRspr 1972, 656 (660); Voßkuhle/Kaiser, JuS 2012, 1079 (1080). 223 Schenke, Wolter-FS, S. 215 (233). 224 Stern, Lange-FS, S. 859 (863).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 217
bb) Die Strafbarkeit als mittelbar adäquate Vollzugsfolge In seinen historischen Ursprüngen war der Folgenbeseitigungsanspruch auf die Beseitigung der unmittelbaren Folgen eines vor Bestandskraft vollzogenen Verwaltungsakts beschränkt.225 Die Strafbarkeit (und die mit ihr einhergehende Strafsanktion) als eine solche unmittelbare Vollzugsfolge darzustellen, gelingt kaum überzeugend. Schenke begnügt sich mit der Behauptung, die strafrechtliche Sanktionierung weise gegenüber selbständigen Vollzugsakten eine noch unmittelbarere Verbindung mit dem aufgehobenen Verwaltungsakt auf.226 Zutreffend ist das allenfalls für die Strafbewehrung, die unmittelbar mit der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts einhergeht.227 Die Strafbarkeit des Täters infolge der Tatvollendung gründet jedoch erst auf seinem freien Willensentschluss, dem Verwaltungsakt zuwiderzuhandeln.228 Infolgedessen beruht die Strafbarkeit jedenfalls nicht allein auf der hoheitlichen (rechtswidrigen) Maßnahme, sodass letztlich auch unerheblich ist, ob der Folgenbeseitigungsanspruch nur solche unmittelbaren Vollzugsfolgen erfasst, welche die Behörde willentlich herbeiführt.229 Schließlich muss auch in diesem Zusammenhang der Versuchung widerstanden werden, Strafsanktionen als vollstreckungsähnliche Maßnahme anzusehen und hierauf gestützt ihr Wesen als unmittelbare Vollzugsfolge zu begründen.230 Die Argumentation fußt wiederum auf dem bereits an anderer Stelle offengelegten Missverständnis vom „Verwaltungszwang durch Bestrafung“.231 Eine unmittelbare Vollzugsfolge stellt die Strafbarkeit deshalb nicht dar. Bezüglich seiner Rechtsfolgen erfuhr der Folgenbeseitigungsanspruch graduelle Aufweichungen. Das Bundesverwaltungsgericht lässt inzwischen offen, in225 Vgl. Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 130 ff.; die historische Entwicklung nachzeichnend Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 45 Rn. 111 f. 226 Schenke, Wolter-FS, S. 215 (234). 227 Hierzu oben § 6 B. II. 2. 228 Haaf, Fernwirkungen, S. 229; Arnhold, Strafbewehrung, S. 34. 229 Vgl. zu diesem Kriterium bereits Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 132 f. Arnhold, Strafbewehrung, S. 35, und Haaf, Fernwirkungen, S. 229, stellen beide darauf ab, dass die Behörde die Befolgung des von ihr statuierten Verbots beziehungsweise Gebots einfordert, weshalb die Zuwiderhandlung und die damit einhergehende Strafsanktion ihrem Willen widerspreche; anders hiergegen wohl zu Recht und drastisch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (234), der der Gegenansicht vorwirft, die ratio des Folgenbeseitigungsanspruchs zu verkennen. Richtigerweise dürfte es insoweit nur um Folgen gehen, auf die das behördliche Verhalten unmittelbar und willentlich gerichtet ist und nicht darauf, welches Verhalten die Behörde vom Befehlsadressaten erwartet. Insoweit spricht dieser Aspekt weder dafür noch dagegen, die Sanktionsfolge den unmittelbaren Vollzugsfolgen zuzuordnen. 230 Vgl. Lagemann, Ungehorsam, S. 145; auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (235), verfällt diesem Argument unter Verweis auf „ähnliche Funktionen“, obgleich er zuvor richtig feststellte, dass Strafbarkeit und Vollstreckbarkeit strikt voneinander zu trennen sind (S. 219). 231 Hierzu bereits oben § 6 B. II. 2. b).
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
wieweit der Folgenbeseitigungsanspruch auch mittelbar verursachte Folgen umfasst.232 Rechtsfragen dieser Art verortet das Gericht auf der Stufe der Zurechenbarkeit und fragt nach der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität zwischen der Amtshandlung und der rechtswidrigen Folge: Der haftungsbegründende Zusammenhang sei jedenfalls bei allen Folgen einer Amtshandlung gegeben, auf deren Eintritt sie unmittelbar gerichtet war. Ob ein haftungsbegründender Zusammenhang auch bei mittelbar eingetretenen Folgen anzunehmen ist, lässt das Gericht ausdrücklich offen.233 An der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Amtshandlung und Strafbarkeit als mittelbarer Vollzugsfolge bestehen kaum Zweifel: Der Erlass des Verwaltungsakts ist unmittelbar nur auf die Strafbewehrung gerichtet, weil er einen strafbegründenden Umstand statuiert. Die infolge der Zuwiderhandlung anzunehmende Strafbarkeit resultiert hieraus mittelbar. Hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität verweist das Bundesverwaltungsgericht auf den Schutzzweck des Folgenbeseitigungsanspruchs, der alle Folgen uneingeschränkt umfasse, auf welche die Amtshandlung unmittelbar gerichtet war. Nach Ansicht des Gerichts gebiete das Rechtsstaatsprinzip hinsichtlich sonstiger Folgen aber keinen Schutz, wenn sie durch ein Verhalten des Betroffenen, das auf seiner eigenen Entschließung beruht, verursacht worden sind.234 Im Gewand der haftungsausfüllenden Kausalität bestärkt das Bundesverwaltungsgericht den vorigen Befund, wonach der Folgenbeseitigungsanspruch die Strafbarkeit als mittelbare Vollzugsfolge grundsätzlich nicht umfasst. cc) Strafrechtsspezifische Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs Auf die im öffentlichen Recht seit Jahrzehnten schwelende Debatte darüber, ob der Folgenbeseitigungsanspruch neben einem Beeinträchtigungsbeseitigungsanspruch auch einen Folgenentschädigungsanspruch umfasst und damit auf einen allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch hinausläuft,235 soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Für die strafrechtliche Betrachtung steht lediglich zur Diskussion, inwieweit verfassungsrechtliche Grundsätze bei der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt eine strafrechtsspezifische Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs gebieten, falls der Verwaltungsakt aufgehoben wird. Die Bedenken, die das Bundesverwaltungsgericht für die Einschränkungen bei mittelbar adäquaten Vollzugsfolgen ins Feld führt, lassen sich insoweit ausräumen. Soweit das Gericht mit dem Charakter des aus Art. 20 232
BVerwGE 69, 366 (372). BVerwGE 69, 366 (372). 234 BVerwGE 69, 366 (373); bestätigt durch BVerwGE 112, 308 (unvollständig) = NVwZ 2001, 685. 235 Hierzu etwa BVerwGE 112, 308 (unvollständig) = NVwZ 2011, 685; VGH Kassel NVwZ-RR 2011, 442 (443); v. Mangoldt, DVBl 1974, 825; Schleeh, AöR 1967, 58 (63 ff.); Schoch, Verw 2011, 397 (405 ff.). 233
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 219
Abs. 3 GG abgeleiteten Folgenbeseitigungsanspruchs argumentiert, aus dem heraus ein Anspruch auf Beseitigung derjenigen Folgen, die der Betroffene selbst verursachte, nur schwerlich abzuleiten sei, steht dieses Vorbringen auf tönernen Füßen: Fällt es ohnehin schwer, dem Charakter eines Rechtsinstituts etwas abzugewinnen, führt ihn das Bundesverwaltungsgericht nicht näher aus.236 Substanzieller erscheint die Absicht des Gerichts, den Folgenbeseitigungsanspruchs hinsichtlich seiner fiskalischen Folgen einzudämmen.237 Bei einer strafrechtsspezifischen Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs ist diese Sorge unbegründet. Sie beschränkt sich von vornherein auf straf- beziehungsweise bußbewehrte Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte, wobei unkalkulierbare Geldersatzforderungen nicht zu befürchten sind. Schließlich verleiht das Bundesverwaltungsgericht seinem Wille Ausdruck, die Grenzen zwischen dem Folgenbeseitigungsanspruch und dem Amtshaftungsanspruch nicht verwischen zu wollen.238 Seine dadurch begründete Begrenzung auf ein Institut der Beeinträchtigungsbeseitigung erschließt sich erst bei Betrachtung seiner zivilistischen Wurzeln.239 Während der deliktische Beseitigungsanspruch Verschulden voraussetzt und einen Anspruch auf Schadensersatz begründet, verzichtet der negatorische Beseitigungsanspruch auf die Tatbestandsvoraussetzung des Verschuldens, beschränkt sich aber gleichzeitig in seiner Rechtsfolge, weshalb der Anspruchsinhaber nur die Beseitigung der fortdauernden rechtswidrigen Beeinträchtigung verlangen kann.240 Wiederum wird darin das Verlangen deutlich, den Folgenbeseitigungsanspruchs in seiner haftungsrechtlichen Dimension zu begrenzen. Ein Motiv, welches für die strafrechtlichen Folgen unbeachtlich ist. Zumal es für die Strafbarkeit keinen Unterschied machen kann, ob den handelnden Beamten ein Verschuldensvorwurf trifft oder nicht. In diesem Zusammenspiel von verschuldensabhängigem Amtshaftungsanspruch und verschuldensunabhängigem Folgenbeseitigungsanspruch offenbart sich schließlich ein lückenhaftes Staatshaftungsrecht hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen:241 Gegen die unmittelbaren Vollzugsfolgen eines rechtswidrigen 236 Kritisch auch Liou, Individualrechtsschutz, S. 150, der bemängelt, das sich aus Art. 20 Abs. 3 GG als lex imperfecta, weder inhaltliche Aussagen über die Sanktionen gegen die rechtswidrig handelnde Verwaltung noch über die konkret geschützten Rechtsgüter entnehmen ließen. Hierin kommt die grundsätzliche Kritik der Literatur an der Rechtsprechung zum Ausdruck, die den Folgenbeseitigungsanspruch noch immer ausschließlich an Art. 20 Abs. 3 GG festmacht (vgl. hierzu bereits Rupp, Grundfragen, S. 259; auch Schoch, Verw 2011, 397 ff.). 237 BVerwGE 69, 366 (373). 238 BVerwGE 69, 366 (373); vgl. ferner BVerwGE 112, 308 (311 ff.). 239 Kritisch zur diesbezüglichen Abkoppelung des Verwaltungsrechts vom Zivilrecht, Schleeh, AöR 1967, 58 (59 f., 68 f.), der gleichzeitig die parallelen Strukturen aufzeigt. 240 Hierzu instruktiv Rupp, Grundfragen, S. 261; wiederum Schleeh, AöR 1967, 58 (70 f.). 241 Vgl. Schenke, JR 1970, 449 (452); ders., Wolter-FS, S. 215 (234 mit Fn. 67), der eine offenkundige Diskrepanz darin erkennt, dass der Bürger, welcher einem rechtswid-
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
Verwaltungsakts steht dem Adressaten der Folgenbeseitigungsanspruch zur Verfügung. Die mittelbaren Vollzugsfolgen kann er gegebenenfalls im Wege des Amtshaftungsanspruchs geltend machen und Ausgleich durch Geldersatz verlangen. Die strafrechtlichen Folgen, die ebenso den mittelbaren Vollzugsfolgen angehören, bleiben jeweils außen vor. Wohl aber nur deshalb, weil sie als Rechtsfolge weder in das Regime zum Ausgleich unmittelbarer Vollzugsfolgen noch in das Haftungsrecht nach den Grundlagen der Amtshaftung zu passen scheinen. Das allein vermag eine staatshaftungsrechtliche Lücke nicht zu rechtfertigen. Zudem stünde die Strafbarkeit als mittelbare Folge (gegebenenfalls) rechtswidrigen Verwaltungshandelns keiner gerichtlichen Prüfung offen, wodurch der verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutz in unerträglichem Maß an Effizienz einbüßte. Innerhalb der materiellen Einordnung belastender Verwaltungsakte in das Strafrecht fand die Forderung des Bundesverfassungsgerichts bereits Erwähnung, wonach die Nachprüfung des Verwaltungsakts auf seine Rechtswidrigkeit nicht schlechthin ausgeschlossen sein darf, da andernfalls Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verletzt würde.242 Dabei wurde festgestellt, dass eine rechtmäßigkeitsunabhängige Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen gegen vollziehbare Verwaltungsakte nicht per se gegen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verstößt. Denn dem Betroffenen bleibt unbenommen, den gesetzlich vorgegebenen Weg zu den Verwaltungsgerichten zu beschreiten, um hierdurch eine Aufhebung des Verwaltungsakts zu erreichen, wohingegen die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Befehls für das Strafrecht zunächst irrelevant ist.243 Versagt das Sanktionenrecht dem Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Prüfung aber jeglichen Zugang, steht der Verwaltungsakt hinsichtlich seiner strafrechtlichen Folgen niemals der gerichtlichen Überprüfung offen. Insoweit wäre der Hoheitsakt gegenüber der gerichtlichen Kontrolle immun. Dem Abhilfe zu verschaffen, ist objektivrechtliche Pflicht aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, mit welcher der subjektive Folgenbeseitigungsanspruch korrespondiert.244 Als Justizgewährleistungsanspruch kann er den Folgenbeseitigungsanspruch nicht materiell begründen, gleichwohl aber eine Effektivität bei der gerichtlichen Geltendmachung von Rechtsverstößen verlangen, die beim gerichtlichen Verfahren nicht Halt macht, sondern darüber hinaus gewährleistet, rigen Verwaltungsakt nicht Folge leistet, sich strafbar macht, dennoch aber unter Umständen Schadensersatzansprüche gegen den Staat wegen ebendiesem Verwaltungsakt geltend machen kann. 242 BVerfGE 22, 21 (27). 243 Vgl. oben § 6 A. III. 2. 244 Vgl. BVerwGE 94, 100 (114); näher zum Verhältnis von Pflicht und Anspruch Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 29 f., der deshalb Art. 19 Abs. 4 GG als „Indiz für die Existenz materiellrechtlicher Beseitigungsansprüche auf grundrechtlicher Basis“ betrachtet; ähnlich Fiedler, NVwZ 1986, 969 (973); weitergehend Rupp, JZ 2005, 157 (159 f.), folgert den Beseitigungsanspruch aus einem hinter den Prozessrechtsvorschriften der Art. 19 Abs. 4, 93 Abs. 1 Nr. 4 GG stehenden ungeschriebenen Grundrecht, das die „Vorschriften mit Sinn erfüllt“.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 221
dass die rechtswidrigen Folgen beseitigt werden.245 Diesen Anforderungen wird der Anspruch auf Folgenbeseitigung nur durch die beschriebene Extension auf die strafrechtlichen Folgen gerecht, wodurch er ausnahmsweise mittelbar adäquate Vollzugsfolgen erfasst. Soweit ein solcher Folgenbeseitigungsanspruch besteht, muss das Nachtatgeschehen im Strafrecht Berücksichtigung finden.246 Insoweit kommt ihm strafrechtsgestaltende Kraft zu. b) Zusammenhang zwischen rechtswidrigem Verwaltungshandeln und verwirklichtem Strafunrecht Die vielfältigen Formen des Verwaltungsakts im Strafrecht247 offenbaren, dass eine solche Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Voraussetzungen der Konkretisierung bedarf. Nicht jegliche verwaltungsrechtliche Rückwirkung, die eine Rechtskollision mit dem Strafrecht auslöst, rechtfertigt einen Strafaufhebungsgrund. Das gelingt, indem man die allgemeinen Regeln des Haftungsrechts heranzieht, wobei insbesondere der Ursachen- und Zurechnungszusammenhang Aufmerksamkeit verdient. Mithilfe des Folgenbeseitigungsanspruchs kann der Betroffene die Vollzugsfolgen beseitigen lassen, die aus einer Vollziehung rechtswidriger Verwaltungsakte erwachsen. Mithilfe der Extension fallen hierunter ausnahmsweise auch die strafrechtlichen Folgen. Wenn damit die Strafbarkeit den unmittelbaren Vollzugsfolgen faktisch gleichgestellt wird, bedarf es zwischen dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln und dem verwirklichten Strafunrecht eines haftungsausfüllenden Zusammenhangs. c) Anspruchsausschluss – Der Folgenbeseitigungsanspruch als Kompensationsinstrument zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit Bevor die konkreten Auswirkungen für die unterschiedlichen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe diskutiert werden, die eine Rückwirkung bedingen, bedürfen die Ausschlussgründe für den Folgenbeseitigungsanspruch näherer Betrachtung. Bemerkenswert ist, dass mit dem Folgenbeseitigungsanspruch ein Instrument zur Verfügung steht, welches den Interessen der materiellen Gerechtigkeit einerseits und den Interessen der Rechtssicherheit andererseits gleichermaßen Rechnung trägt.248 Aus der (ursprünglichen) Nähe des Folgenbeseitigungsanspruchs zur Anfechtungsklage folgert das Bundesver-
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Vgl. BVerwGE 94, 100 (114); Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 29. Zu den einzelnen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfen unten § 9 D. III. 247 Siehe zu den Erscheinungsformen des Verwaltungsakts im Strafrecht oben § 3 A. 248 Groß, NStZ 1993, 221 f., weist auf die Bedeutung der Rechtssicherheit im Zusammenhang mit den ex tunc-Wirkungen zu Recht hin. 246
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
waltungsgericht, dass es im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften über die Unanfechtbarkeit von Verwaltungsakten stünde, wenn der Folgenbeseitigungsanspruch auch die Folgen eines unanfechtbar gewordenen rechtswidrigen Verwaltungsaktes erfasste.249 Beim Folgenbeseitigungsanspruch, der sich heute nicht mehr allein auf die durch Verwaltungsakt bedingten Vollzugsfolgen beschränkt, kommt darin das weitergehende Prinzip vom Vorrang des verwaltungsrechtlichen Primärrechtsschutzes zum Ausdruck.250 Entsprechend verläuft der materielle Folgenbeseitigungsanspruch parallel zu den prozessualen Rechtsbehelfsfristen. Damit geht einher, dass dem Ausschluss des materiellen Anspruchs dieselben Erwägungen wie den formellen Ausschlussfristen zugrunde liegen:251 Nachdem der Bürger seiner „Anfechtungslast“ nicht innerhalb einer gewissen Frist nachgekommen ist, wertet das Gesetz das Interesse an Rechtssicherheit und Verwaltungseffizienz höher als das Interesse des Verletzten an der Aufhebung des Verwaltungsakts und schneidet ihm infolgedessen den materiellen Beseitigungsanspruch ab.252 Mit der Beschränkung des Folgenbeseitigungsanspruchs ist auch dem nachträglichen Strafaufhebungsgrund eine Grenze gesetzt. Gründe, die es dem Strafrecht verwehren sollten, sich auf den Gedanken der Rechtssicherheit berufen zu können, sind nicht ersichtlich.253 III. Der Folgenbeseitigungsanspruch als Strafaufhebungsgrund bei den verwaltungsrechtlich bedingten Rückwirkungen Mit dem Folgenbeseitigungsanspruch steht die Grundlage für die Strafaufhebung fest. Soweit er einschlägig ist, ziehen die verwaltungsrechtlich bedingten Rückwirkungen eine Strafaufhebung nach sich, infolgedessen das Nachtatgeschehen strafrechtliche Berücksichtigung finden muss. Nachfolgend richtet sich der Blick darauf, ob und inwieweit das für alle durch Entscheidungen und Rechtsbehelfe ausgelösten rechtlichen Rückwirkungen gilt. Dabei steht zur Diskussion, ob das rechtsmethodische Mittel der Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs 249 BVerwGE 28, 155 (165); das entspricht der einhelligen Meinung: vgl. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 221; Liou, Individualrechtsschutz, S. 141; Maunz/Dürig/ Papier, GG, Art. 34 Rn. 67; MüKo-BGB/Papier/Shirvani, § 839 Rn. 86. 250 Vgl. MüKo-BGB/Papier/Shirvani, § 839 Rn. 86, mit dem Hinweis, dass dieses Prinzip beim Amtshaftungsanspruch über die in § 839 Abs. 3 BGB enthaltene Sonderregelung eines mitwirkenden Verschuldens erreicht wird. 251 So Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 223. 252 Hierzu und zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses Rechtsverlusts eingehend Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 223 ff.; parallel hierzu verhält sich der Aufhebungsanspruchs bzgl. eines Verwaltungsakts nach Eintritt der Unanfechtbarkeit (hierzu Remmert, VerwArch 2000, 209 [219 f.]). 253 Zieht man vergleichend die Vorschriften zur tätigen Reue heran, so sind den geforderten Verhaltensweisen allesamt enge zeitliche Grenzen immanent (vgl. zu dieser Feststellung im Rahmen der Strafbedürftigkeit als vierter Stufe des Deliktsaufbaus Ceffinato, Vollendungsumkehr, S. 149).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 223
durchweg überzeugt. Folglich ist der Strafaufhebungsgrund auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck zu betrachten, aus denen heraus die Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs begründet wurde. 1. Strafaufhebungsgrund bei gerichtlicher Aufhebung des Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) Der Paradefall für den Folgenbeseitigungsanspruch stellt die verwaltungsgerichtliche Aufhebung des Verwaltungsakts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dar (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).254 Der Strafaufhebungsgrund stellt sich als wenig problematisch dar, weil § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO dem Gericht das Prüfund Entscheidungsprogramm klar vorzeichnet und keine Ermessensspielräume einräumt: Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt auf. Aus welchen Gründen der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, spielt für den Richter keine Rolle; entsprechend bleibt für den Strafaufhebungsgrund ohne Einfluss, ob der Verwaltungsakt aufgrund formeller oder materieller Rechtswidrigkeit aufzuheben war.255 Schließlich kann es auch keinen Unterschied machen, ob der Schutz des Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestands gerade auf die Einhaltung der durch den Verwaltungsakt geschaffenen formalen Ordnung ausgerichtet ist.256 Oben wurde bereits aufgezeigt, dass solche Straftatbestände nur Schimären der Wissenschaft darstellen, da jedes Ordnungsinteresse ein dahinterstehendes Sachinteresse schützt, sodass eine trennscharfe Abgrenzung ohnehin nicht gelingt. Tatbestandlich kommt es demnach bei einem Verstoß gegen ein Verkehrszeichen (vgl. § 24 StVG), bei dem es um dem Schutz des formellen Ordnungsinteresses gehen soll, ebenso wenig auf die Rechtmäßigkeit an wie beim Verstoß gegen ein öffentlich-rechtliches Hausverbot (vgl. § 123 StGB), wenngleich es da-
254 Hier liegen die historischen Wurzeln des Folgenbeseitigungsanspruchs begründet, vgl. hierzu Schleeh, AöR 1967, 58 (59): „Am Anfang stand nichts anderes als das lobenswerte Rechtsgefühl der Verwaltungsrichter, die es nicht ertragen konnten, den Bürger mit den Folgen eines als rechtswidrig erkannten obrigkeitlichen Vorgehens zu belasten.“ 255 So zutreffend Schenke, Wolter-FS, S. 215 (239); ohne nähere Begründung zweifelnd Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 22. Diese Zweifel entstammen wohl den Stimmen, die die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts zur Tatbestandsvoraussetzung erheben. Deren Vertreter, die vielfach auf den Schutz des Sachinteresses abstellen und dabei behaupten, dass jenem nur durch gesetzeskonforme Verwaltungsakte nachgekommen werden könne, tun sich oftmals schwer mit der konsequenten Anwendung der von ihnen selbst aufgestellten Vorgaben. So auch bei der formellen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, der keine Auswirkungen auf das materielle Schutzbedürfnis haben muss (vgl. zum diesbezüglichen Begründungsaufwand Haaf, Fernwirkungen, S. 280 f.; Heghmanns, Dogmatik, S. 322 ff.). 256 Vgl. zu dieser Differenzierung oben § 5 C. II. 2. b).
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
bei um das materielle Interesse des Hausfriedens geht.257 Das Verwaltungsrecht unterscheidet nicht zwischen qualitativ mehr oder weniger zu beachtenden Verwaltungsakten, weshalb für den Folgenbeseitigungsanspruch derlei Erwägungen irrelevant sind.258 Hinsichtlich seiner Erweiterung auf die Sanktionsfolgen ist entscheidend, ob zwischen dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln und dem verwirklichten („Ordnungs“-)Unrecht259 ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Darin, ob die Verkehrsordnungswidrigkeit Folge eines Verstoßes gegen eine rechtswidrige Allgemeinverfügung oder der Hausfriedensbruch Folge eines Verstoßes gegen ein rechtswidriges durch Verwaltungsakt verfügtes Hausverbot war, ist kein Unterschied auszumachen. Selbst wenn man sich auf die rechtsguttechnische Unterscheidung zwischen formellem Ordnungsinteresse und materiellem Sachinteresse einließe, änderte sich im Hinblick auf den Folgenbeseitigungsanspruch nichts. In beiden Fällen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang; der Betroffene ist rechtswidrigem Hoheitshandeln ausgesetzt, welches das strafrechtliche Handlungsunrecht begründet. Aus der gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts folgt daher für die Strafbarkeit: Handelt der Täter einem strafbewehrten (rechtswidrigen) Verwaltungsakt zuwider, ist der Straftatbestand erfüllt; der Täter handelt rechtswidrig und schuldhaft. Hebt das Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt infolge der Anfechtungsklage auf, entsteht dem Täter hieraus ein subjektives öffentliches Recht auf Strafbefreiung, mithin ein nachträglicher Strafaufhebungsgrund. 2. Strafaufhebungsgrund bei behördlicher Aufhebung des Verwaltungsakts? Des Weiteren steht in Frage, ob Gleiches in Fällen der rückwirkenden behördlichen Aufhebungen gilt. Deren Besonderheit liegt darin begründet, dass das Gesetz der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt, innerhalb dessen sie sich für oder gegen die Aufhebung des Verwaltungsakts entscheiden kann. Unter Annahme eines Strafaufhebungsgrunds entstehen daraus Folgeprobleme, weil die Behörde über die Strafbarkeit disponieren kann.
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Anders Gerhards, NJW 1978, 86 (87 f.); Lorenz, DVBl 1971, 165 (170 f.). Anders wohl Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, § 41 Rn. 27, der einen Strafaufhebungsgrund innerhalb des Umweltstrafrechts grundsätzlich anerkennen will, aber zu erkennen gibt, dass er die Unterscheidung zu anderen Straftatbeständen (etwa zum Straßenverkehrsrecht) anerkennt und dem Täter hierbei einen Strafaufhebungsgrund (wohl) versagen möchte. 259 Der Begriff des Unrechts ist fragwürdig, weil die Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit kein kriminelles Unrecht darstellt. Zum Zweck der Verständlichkeit soll er hier trotzdem einheitlich verwendet werden. 258
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 225
a) Kein Strafaufhebungsgrund bei behördlicher Aufhebung nach Bestandskraft Regelmäßig ist der Behörde ein solches Ermessen bei der Aufhebung des Verwaltungsakts nach Bestandskraft eingeräumt. Während den Gerichten eine Entscheidung über den Verwaltungsakt regelmäßig aufgrund der Unzulässigkeit der Klage versagt ist, statuiert § 48 VwVfG Voraussetzungen, unter denen ein bereits bestandskräftiger (rechtswidriger) Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden kann.260 Daraus entstehen jedoch von vornherein keine Probleme, weil nach Eintritt der Bestandskraft der Folgenbeseitigungsanspruch ausgeschlossen ist. Die Rechtsordnung erachtet ab diesem Zeitpunkt den Wert der Rechtssicherheit gegenüber dem Wert der materiellen Gerechtigkeit als höherwertig, weswegen das materielle Recht auf Folgenbeseitigung untergeht. Sodann kann sich auch das Strafrecht auf diesen Mehrwert berufen.261 Konsequenterweise gilt das auch, wenn der Täter nach verstrichener Rechtsbehelfsfrist im Rahmen eines Wiederaufgreifens des Verfahrens (vgl. § 51 VwVfG) eine Aufhebung des Verwaltungsakts erreicht, und zwar selbst dann, wenn das Rücknahmeermessen der Behörde auf null reduziert ist. Der Täter läuft zwar für die Zukunft nicht mehr Gefahr, durch eine Zuwiderhandlung gegen den Verwaltungsakt einen Straftatbestand zu erfüllen. Hat er aber vor dessen Aufhebung gegen ihn verstoßen, wobei unerheblich ist, ob der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung bereits bestandskräftig war oder nicht, und ihn gleichwohl bestandskräftig werden lassen, gereicht ihm die nachträgliche Aufhebung nicht mehr zur Strafbefreiung. Konsequenterweise schließt das Interesse der Rechtssicherheit eine Folgenbeseitigung und mithin eine Strafbefreiung aus.262 Anderes könnte nur für den Fall einer verwaltungsprozessualen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 60 VwGO) gelten.263 Darin wäre aber keine Ausnahme vom Grundsatz zu erkennen, wonach die Bestandskraft des Verwaltungsakts einen Strafaufhebungsgrund ausschließt. Vielmehr folgt der Wiedereinsetzungsentscheidung die Fiktion nach, wonach rechtstatsächlich eine Frist nie versäumt wurde und infolgedessen der Verwaltungsakt zu betrachten ist, als ob er nie bestandskräftig war.264 Folglich hängt das Ergebnis der Wiedereinsetzung letztlich davon ab, inwieweit eine behördliche Aufhebung vor Bestandskraft des Verwaltungsakts eine Strafaufhebung bedingt. 260
Hierzu oben § 9 A. I. 3. b). Im Ergebnis – aber mit anderer Begründung – auch Schenke, JR 1970, 449 (453); vgl. hierzu bereits oben § 9 D. II. 3. c). 262 Noch vage Schenke, JR 1970, 449 (453); entgegen dem hier vertretenen Ansatz aber Lagemann, Ungehorsam, S. 148; schließlich (wohl) auch Schenke, Wolter-FS, S. 215 (244). 263 Insoweit kann Schenke, Wolter-FS, S. 215 (244), wiederum gefolgt werden. 264 BeckOK-VwGO/Brink/Peters, § 60 Rn. 43; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 60 Rn. 11. 261
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
b) Strafaufhebungsgrund bei behördlicher Aufhebung vor Bestandskraft Komplexer gestaltet sich die Problematik bei der behördlichen Aufhebung des Verwaltungsakts vor dessen Bestandskraft.265 Wie bereits oben aufgezeigt, stehen der Verwaltung dabei die Möglichkeiten zur Verfügung, den Verwaltungsakt im Zuge des Widerspruchsverfahrens (§§ 68 VwGO) oder nach Maßgabe des § 48 VwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Kaum Probleme ruft die Konstellation hervor, in der der Täter einem Verwaltungsakt zuwiderhandelt, den die Verwaltungsbehörde nachgehend für rechtswidrig befindet und deshalb noch vor dessen Bestandskraft mit Wirkung für die Vergangenheit aufhebt. Dabei kann nichts anderes gelten als im Fall der gerichtlichen Aufhebung. Dem Bürger darf nicht zum Nachteil gereichen, dass die Behörde sich eines Besseren belehrt und einer gerichtlichen Aufhebung zuvorkommt.266 Hebt die Behörde den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit auf, verbleibt dem Bürger mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht einmal mehr die Möglichkeit, den Verwaltungsakt vor Gericht anzugreifen.267 Folglich entspringt dem Täter auch hieraus ein nachträglicher Strafaufhebungsgrund. Problematischer sind Konstellation, in denen die Behörde den Verwaltungsakt aufhebt, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein, etwa, weil sie den Verwaltungsakt im Widerspruchsverfahren für unzweckmäßig erachtet (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO). Gegen einen Strafaufhebungsgrund spricht, dass der Verwaltung andernfalls Spielräume zukämen, innerhalb derer sie über die Strafbarkeit des Täters nach Belieben disponieren kann, wodurch ihr ein behördliches Gnadenrecht zukäme.268 Ein solches birgt die Gefahr, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung von sachfremden Erwägungen leiten lässt. Mit der Disposition über die Strafbefreiung kommt der Behörde ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel für das weitere Verwaltungsverfahren zu, für das sie sich beispielsweise ein Entgegenkommen des Betroffenen zusichern lassen könnte. Der Verweis auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, geschweige denn ihre Eigenschaft als „Ehrenmann“, ist in diesem Zusammenhang von nur geringem Wert, da der Verwaltung ein gesetzlich nicht näher definierter und gerichtlich grundsätzlich nicht nachprüfbarer Spielraum zukommt. Allenfalls lassen sich willkürliche Entscheidungen im Rahmen von Art. 3 GG überprüfen. Gleichwohl erscheint die Konse265 Darüber, dass der Folgenbeseitigungsanspruch auch bei behördlicher Aufhebung des Verwaltungsakts entsteht, herrscht Einigkeit (vgl. BVerwG VerwRspr 1972, 656 [660]; Liou, Individualrechtsschutz, S. 118). 266 So auch Schenke, JR 1970, 449 (453); ders., Wolter-FS, S. 215 (232 mit Fn. 59). 267 Hebt die Behörde hingegen den Verwaltungsakt nur teilweise (beispielsweise ex nunc) auf, verbleibt dem Bürger wiederum die Möglichkeit, den Verwaltungsakt bezüglich der Vergangenheit vor Gericht anzufechten. Dann ergeben sich keine Abweichungen zu den obigen Ausführungen über den Strafaufhebungsgrund bei gerichtlicher Aufhebung des Verwaltungsakts (so bereits zutreffend Schenke, JR 1970, 449 [453]). 268 Daher ablehnend Schenke, JR 1970, 449 (453).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 227
quenz, deshalb einen Strafaufhebungsgrund von vornherein auszuschließen, nicht zwingend, zumal die behördliche Aufhebung zugunsten des Täters wirkt und alternativ dazu an der Strafbarkeit des Täters festgehalten werden müsste. Diesbezüglich ist zu beachten, dass der Adressat nach der behördlichen Aufhebung – wiederum mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses – keine Möglichkeit mehr hat, den Verwaltungsakt einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, weil es verwaltungsprozessual keine Rolle spielt, aus welchem Grund die Behörde den Verwaltungsakt aufhebt. Letztlich bleibt also ungewiss, ob der Verwaltungsakt an einem rechtlichen Mangel leidet, weil die gerichtliche Prüfung ausbleibt und nur die Behörde ihre rechtliche Einschätzung mitteilt. Folglich greift wiederum das Argument Platz, wonach es dem Bürger nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn die Behörde dem Gericht zuvorkommt. Infolgedessen spricht mehr dafür, einer Strafaufhebung auch in diesem Fall das Wort zu reden. Letztlich mögen sich die Kritiker auch durch den Hinweis beschwichtigen lassen, dass dem Strafgesetzbuch eine solche im Ermessen der Behörde stehende und eine Strafaufhebung bedingende Entscheidung nicht gänzlich fremd ist. § 331 Abs. 3 2. Var. StGB räumt der Behörde auf strafgesetzlicher Grundlage ein ebensolches „Gnadenrecht“ ein, indem er sie dazu ermächtigt, einer tatbestandsmäßigen, rechtswidrig und schuldhaft begangenen Vorteilsannahme nachträglich die strafbefreiende Zustimmung zu erteilen.269 3. Strafaufhebungsgrund bei aufschiebender Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1, Abs. 5 VwGO)? Oben wurde festgestellt, dass die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt nach Eintritt der aufschiebenden Wirkung keine Strafbarkeit begründet. Dem liegt zugrunde, dass die (grundsätzlich) durch Widerspruch und Anfechtungsklage ausgelöste aufschiebende Wirkung die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmt, mit der Folge, dass vom Verwaltungsakt keine Befolgungspflicht mehr ausgeht.270 Wenn weiterhin gilt, dass die aufschiebende Wirkung sowohl im Fall ihres gesetzlichen Eintritts (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) wie auch im Fall ihrer gerichtlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO) auf den Erlasszeitpunkt des Verwaltungsakts zurückwirkt, steht der Rechtsanwender zwangsläufig vor der Frage, ob allein schon die rückwirkende aufschiebende Wirkung dem Täter nachträgliche Strafbefreiung gewährt.271 269 Zur Genehmigung als Strafaufhebungsgrund im Rahmen des § 331 Abs. 3 2. Var. StGB, s. oben § 3 A. IV. 2.; näher zur Genehmigung als Verwaltungsakt und dem damit einhergehenden Ermessensspielraum Battis/Grigoleit, BBG, § 71 Rn. 7. 270 Hierzu oben § 7 C. I. 271 Bezüglich des Eintritts der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen (vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) wird die Frage kaum diskutiert. Dies hängt (wohl) damit zusammen, dass – wie oben aufgezeigt – allgemein davon ausgegangen wird, dass erst der vollstreckbare Verwaltungsakt die Strafbarkeit nach sich zieht, sodass Widerspruch und
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
§ 80 Abs. 5 S. 3 VwGO legt das zunächst nahe. Demnach kann das Gericht nicht nur die aufschiebende Wirkung wiederherstellen beziehungsweise anordnen, sondern darüber hinaus die Aufhebung der Vollziehung anordnen, sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen wurde.272 Demjenigen, der in § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO eine parallele Vorschrift zu § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO sieht, die den materiellen Anspruch auf Folgenbeseitigung verfahrensrechtlich voraussetzt,273 legt die Parallelität dieser Vorschriften die strafrechtliche Gleichbehandlung von rückwirkender aufschiebender Wirkung und gerichtlicher Aufhebung des Verwaltungsakts nahe, da der Vollziehung in beiden Konstellationen der Rechtsgrund rückwirkend entzogen wird.274 Allerdings beruht der materielle Folgenbeseitigungsanspruch in letzterem Fall auf einem noch fortdauernden rechtswidrigen Eingriff in subjektive Rechte, während im vorläufigen Rechtsschutz aus guten Gründen keine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung stattfindet.275 Um diesem prozessualen Widerspruch zu entgehen, sehen andere in § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO – abweichend von § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO – eine eigenständige Rechtsgrundlage für die gerichtliche Aufhebung der Vollziehung:276 Damit der aufschiebenden Wirkung eine effektive Sicherungsfunktion zukommt, erachten sie eine im materiellen Recht angesiedelte Rechtsgrundlage für die Folgenbeseitigung als entbehrlich. Vielmehr sei der Rechtsschutzsuchende allein deshalb nicht zur Hinnahme der aus dem Vollzug des Verwaltungsakts Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung zukommen. Von einer nicht näher präzisierten rückwirkenden Straflosigkeit geht etwa Berg, WiVerw 1982, 169 (178), aus: „Es macht auch keinen prinzipiellen Unterschied, ob der Verwaltungsakt durch den Suspensiveffekt der Einlegung eines Rechtsmittels vorläufig oder durch Widerspruch oder Urteil endgültig um seine Wirksamkeit gebracht wird: In beiden Fällen ist der Verwaltungsakt rückwirkend aufgehoben, so daß eine Strafbarkeit so lange nicht in Betracht kommt, wie diese Unwirksamkeit andauert.“ Anders W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, § 80 Rn. 32, der aufgrund der Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung Verfolgungsmaßnahmen vorläufig ausschließt, aber gleichwohl Strafbarkeit annimmt, wenn die eingelegten Rechtsbehelfe keinen Erfolg haben und der Verwaltungsakt bestandskräftig wird. 272 Zur entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Fälle faktischer Vollzugsmaßnahmen unter Missachtung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO, siehe Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 342. 273 So die wohl herrschende Meinung: OVG Münster DÖV 1983, 1024 (1025); VGH Kassel NVwZ-RR 1996, 361 (362); InfAuslR 2004, 152 (153); OVG Münster NVwZRR 2007, 492 (493); VGH Mannheim NVwZ-RR 2008, 841 (844); Erichsen, Jura 1984, 478 (489 f.). 274 Unter Verweis auf § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO Wüterich, NStZ 1987, 106 (108 f.), der einen Strafaufhebungsgrund bei gerichtlicher Aufhebung befürwortet und in dieser Konsequenz dies auch als zwingend für den einstweiligen Rechtsschutz ansieht; im Ergebnis auch Heghmanns, Dogmatik, S. 341. 275 Bei der dem Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO obliegenden Interessenabwägung, stellt dieses maßgeblich auf die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs ab, wobei es eine summarische Prüfung vornimmt, vgl. dazu BeckOKVwGO/Gersdorf, § 80 Rn. 187 ff. 276 Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 343 m.w. N.
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 229
resultierenden Beeinträchtigungen verpflichtet, weil das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnete beziehungsweise wiederherstellte und auf diese Weise den Vollzugsbeseitigungsanspruch selbst verwirklichte, um dem Bürger interimistisch seine Rechte zu erhalten.277 Das verstärkt den Eindruck, wonach die rückwirkende aufschiebende Wirkung eine Strafaufhebung bedingen muss. Die Rechtsposition des Rechtsschutzsuchenden erscheint bei der aufschiebenden Wirkung sogar stärker als bei der gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts, sodass ein Erst-recht-Schluss die Annahme eines Strafaufhebungsgrunds nahelegt. Im Ergebnis vermag das jedoch nicht zu überzeugen. Der Strafaufhebungsgrund verwirklicht im Strafrecht eine verfassungsrechtlich notwendige Korrektur einer Rechtskollision, die durch die fingierte Rechtslage des Verwaltungsrechts einerseits und der Strafrechtsordnung andererseits für die Vergangenheit nachgewiesen wurde. Die ausgeprägte Stärke der durch § 80 Abs. 1, Abs. 5 VwGO gewährten aufschiebenden Wirkung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur vorläufiger Natur ist. Entsprechend sichert die aufschiebende Wirkung dem Betroffenen seine Rechte, indem sie die Sachlage vorläufig offenhält.278 Spiegelbildlich zeigt sich diese Vorläufigkeit an ihren Rückwirkungen: Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung fingiert eine Wirksamkeitshemmung für die Vergangenheit. Bestätigt das Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt, indem es die Anfechtungsklage abweist, oder erlangt der Verwaltungsakt schließlich Bestandskraft, revidiert die Rechtsordnung diese Fiktion wiederum mittels einer Fiktion: Demnach wird der Verwaltungsakt so behandelt, als ob er von Anfang an (ex tunc) wirksam gewesen wäre.279 Nähme man einen Strafaufhebungsgrund für den Fall der rückwirkenden aufschiebenden Wirkung an, würde eine (vorläufige) Rechtskollision kompensiert, die sich als unbeständig erweist. In der Sache führte das zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass die Strafbarkeit entfällt, obwohl der Täter einem Verwaltungsakt zuwiderhandelte, dem das Verwaltungsgericht zuletzt Rechtmäßigkeit attestiert. Dadurch entstünde eine neue Rechtskollision: Das Strafrecht ginge für den Tatzeitpunkt von einem in seiner Wirksamkeit gehemmten Verwaltungsakt aus, obwohl verwaltungsrechtlich ein von Anfang an wirksamer Verwaltungsakt bestanden hat.280 277 So wohl auch OVG Bremen NVwZ-RR 2006, 692 (693); VGH Kassel NVwZ-RR 2011, 474; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 343. 278 Statt aller Huba, JuS 1990, 382 (384). 279 In dieser dogmatisch feinsinnigen Frage (unabhängig davon, ob die aufschiebende Wirkung eine Vollzugs- oder Wirksamkeitshemmung begründet) wie hier: BVerwGE 24, 92 (98); VGH München BayVBl 1984, 112; Huba, JuS 1990, 382 (384); Kopp, BayVBl 1972, 649 (651); Kotulla, Verw 2000, 521 (526); Papier, VerwArch 1973, 282 (287); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1175 f.; insoweit auch Siegmund-Schultze, DVBl 1963, 745 (747). Nur vereinzelt wird für einen ex nunc-Wegfall der Wirksamkeitshemmung plädiert: so etwa Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833 (836 ff.). 280 Zutreffend spricht daher das BayObLG NJW 1992, 1120, dem (vorläufigen) Wiedereinsetzungsbeschluss gemäß § 370 Abs. 2 StPO jedwede Auswirkung auf die Strafbarkeit unter Verweis auf diese Widersprüchlichkeiten ab.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
Im Hinblick auf den verfassungsrechtlich verbürgten effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG), der für den Folgenbeseitigungsanspruch und mithin den Strafaufhebungsgrund streitet, begegnet dieses Ergebnis keinen Bedenken. Aufgrund der Rechtsschutzgarantie ist dafür Sorge zu tragen, dass der Hoheitsakt hinsichtlich seiner strafrechtlichen Folgen gegenüber der gerichtlichen Kontrolle nicht immun ist. Dem ist dadurch Genüge getan, dass die rechtskräftige (endgültige) Aufhebung des Verwaltungsakts eine Strafaufhebung nach sich zieht. Der durch die aufschiebende Wirkung ausgelöste Suspensiveffekt trägt dazu bei, indem er verhindert, dass der Verwaltungsakt in Bestandskraft erwächst. Verwaltungsrechtlich mag die vorläufige Sicherung der Rechte des Betroffenen von Bedeutung sein, weil er beispielsweise keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen mehr fürchten muss und bereits vollzogene Maßnahmen gegebenenfalls rückgängig zu machen sind. Einer weitergehenden interimistischen Befriedigungsfunktion kann die aufschiebende Wirkung bezüglich der bereits tatbestandsmäßig begangen Tat nicht dienen. Ein Strafaufhebungsgrund ist daher bei einer nur vorläufigen Rechtskollision nicht einschlägig. Andernfalls verkehrte man das ihm zugrundeliegende Kompensationsanliegen in sein Gegenteil, weil es neue Rechtskollisionen provozierte. Entsprechend überzeugt eine Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs bei der rückwirkenden aufschiebenden Wirkung nicht.281 IV. Berücksichtigung des außerstrafrechtlichen Rückgewährverhältnisses bei den verwandten Rechtskollisionen Wenn demnach die Berücksichtigung des Nachtatgeschehens schon innerhalb des verwaltungsaktakzessorischen Strafrechts jeweils bezogen auf den konkreten Anlass der Rückwirkung differenzierter Betrachtung bedarf, fällt eine Verallgemeinerung der gewonnenen Grundsätze auf die verwandten Rechtskollisionen umso schwerer. Resultiert beim verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht die Kompensation der Rechtskollision aus dem Folgenbeseitigungsanspruch, offenbart sich hierin die Besonderheit, dass Bürger und Staat nicht erst durch das Strafverfahren, sondern bereits zuvor durch das Verwaltungsverfahren in einem Subordinationsverhältnis standen. Entsprechend besteht ein Rückgewährverhältnis zwischen Bürger und Staat, innerhalb dessen ein subjektives Recht auf Strafbefreiung überhaupt nur möglich ist. Wenn der Staat das Strafmonopol innehat, kann umgekehrt nur ihm gegenüber die Strafaufhebung beansprucht werden.
281 Zu diesem Ergebnis kommt freilich die herrschende Ansicht, die der Rückwirkung im Strafrecht ohnehin jedwede Auswirkung abspricht: Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 409; Odenthal, NStZ 1991, 418 (420). Im Ergebnis aber auch W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 32; dem folgend Koehl, JA 2016, 610 (611). Anders Heghmanns, Dogmatik, S. 341; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 140; Wüterich, NStZ 1987, 106 (108 f.).
§ 9 Überlegungen zur strafrechtlichen Berücksichtigung von Rückwirkungen 231
Folglich kann es einen solchen Ausgleich von vornherein nicht bei Rechtsverhältnisses geben, an denen ausschließlich Private beteiligt sind. Darin wird schnell deutlich, dass das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht eine Sonderstellung innehat. Die hierbei gezogenen Schlüsse aus dem Rückgewährverhältnis gelten für die verwandten Rechtskollisionen daher nur bedingt. 1. Zivilrechtliche Rückwirkungen Eine nachträgliche Strafaufhebung scheidet von vornherein dort aus, wo ausschließlich ein Rechtsverhältnis unter Privaten besteht. Die zivilrechtlich bedingten Rückwirkungen realisieren sich ausschließlich im Rechtsverhältnis zweier Privatpersonen. Beispielhaft zeigt sich das im Fall der Anfechtung: Die ex tuncWirkung des Anfechtungsrecht behält dem Anfechtungserklärenden vor, so behandelt zu werden, als ob er die Willenserklärung nie abgegeben hätte, und ermöglicht ihm, seine Leistungen aufgrund deren Rechtsgrundlosigkeit vom Vertragspartner über die condictio indebiti zurückzufordern.282 Mit der rückwirkenden Vernichtung der Willenserklärung, die bei Fehleridentität auch das Verfügungsgeschäft erfasst, wodurch das Eigentum (automatisch) an den ursprünglichen Eigentümer zurückfällt,283 kann letzterer nunmehr sein Eigentum herausverlangen. Es ist aber kein Grund dafür ersichtlich, hieraus Folgen für das Strafrecht abzuleiten. 2. Strafprozessuale Rückwirkungen Hinsichtlich der Beteiligten ist die Ausgangslage bei den strafprozessual bedingten Rückwirkungen dieselbe, wie sie bei den strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte besteht. Die zweite Tat wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis liegt in der gerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis durch die erste Verurteilung begründet. Dass infolge der Aufhebung eines Urteils im Wiederaufnahmeverfahren ein Rückgewährverhältnis zwischen Bürger und Staat entsteht, zeigen nicht zuletzt die regelmäßig damit einhergehenden Entschädigungsansprüche nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz (vgl. § 1 StrEG). Im Ausgangspunkt kann der Gedanke einer strafrechtlichen Folgenbeseitigung entsprechend für den vorliegenden Fall fruchtbar gemacht werden, wobei fraglich ist, ob dem Verurteilten infolge der Urteilsaufhebung im Wiederaufnahmeverfahren ein Strafaufhebungsgrund hinsichtlich der zweiten tatbestandsmäßigen, rechtswidrig und schuldhaft begangenen Tat (Fahren ohne Fahrerlaubnis) zum Vorteil gereicht. Hinsichtlich der Rechtskollisionen gilt es zweierlei zu beachten. Bereits durch die Anordnung des Wiederaufnahmeverfahrens gemäß § 370 Abs. 2 StPO ent-
282 283
Vgl. MüKo-BGB/Busche, § 142 Rn. 15. MüKo-BGB/Busche, § 142 Rn. 15.
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fällt die Rechtskraft des Urteils, wodurch das Verfahren in den Stand vor dem weggefallenen Urteil zurückversetzt wird. Jedoch handelt es sich auch insoweit um eine nur vorläufige Rechtskollision. Ähnlich wie bei der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage erweist sich die Rechtsfiktion als nicht beständig, wenn das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren aufrechterhalten wird (vgl. § 373 Abs. 1 1. Var. StPO). Insofern zöge eine Strafaufhebung infolge der Wiederaufnahmeanordnung das wiederum widersprüchliche Ergebnis nach sich, dass ein Freispruch erfolgte, obwohl (gegebenenfalls) das erste Urteil mitsamt der Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten wird. Der Anordnungsbeschluss für das Wiederaufnahmeverfahren hat daher keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit.284 Im Fall eines späteren Freispruchs ist diese Rechtskollision beständig, sodass sich die Frage nach einem Kompensationsgrund stellt. Zunächst wirft der Zusammenhang zwischen dem rechtswidrigen hoheitlichen (gerichtlichen) Handeln und dem verwirklichten Strafunrecht Fragen auf. Denn in erster Linie besteht der Unrechtsgehalt des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG in dem Verstoß gegen die gesetzlich statuierte Zugangskontrolle. Das Spezifikum des vorliegenden Falls liegt aber darin, dass der Fahrer bereits Inhaber einer Fahrerlaubnis war und diese ihm auf rechtswidrige Weise entzogen wurde. Die Strafbarkeit stellt daher letztlich eine Zuwiderhandlung gegen eine belastende hoheitliche Entscheidung – in Form der Fahrerlaubnisentziehung – dar,285 mit der Folge, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem rechtswidrigen hoheitlichen Handeln und dem verwirklichten Strafunrecht besteht. Der Anerkennung eines Strafaufhebungsgrunds steht letztlich aber die Rechtskraft der ersten Verurteilung entgegen. Zwar mögen es die Gründe für eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens (vgl. § 359 Nr. 1 bis Nr. 6 StPO) rechtfertigen, die Rechtskraft des Urteils zu durchbrechen. Sie sind aber nicht in der Lage, einen Anspruch auf Strafaufhebung einer nach dem rechtskräftigen Urteil begangenen tatbestandsmäßigen, rechtswidrig und schuldhaft begangenen Tat zu begründen, selbst wenn der Umstand „ohne Fahrerlaubnis“ später als nie geschehen fingiert wird. Die Parallele zur strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen den belastenden Verwaltungsakt hat gezeigt, dass der Folgenbeseitigungsanspruch seine Grenze in der Bestandskraft des Verwaltungsakts findet, weil das Interesse der Rechtssicherheit ab diesem Zeitpunkt das Interesse an materieller Gerechtigkeit überwiegt.286 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, muss das Gleiche erst recht im Fall der strafprozessual bedingten Rückwirkung gelten, zumal die Verurteilung und die damit einhergehende Entziehung der
284
Mit Blick auf dieses widersinnige Ergebnis auch BayObLG NJW 1992, 1120. Siehe zur Gleichbehandlung der Genehmigungsaufhebung und der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt oben § 6 B. II. 2. d). 286 Im Ergebnis und mit Blick auf den Gedanken der Rechtssicherheit auch Groß, NStZ 1993, 221. 285
§ 10 Übertragung der Ergebnisse auf andere Fallgruppen
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Fahrerlaubnis bereits in Rechtskraft erwachsen sind, bevor sich der Täter wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar machte. 3. Immaterialgüterrechtliche Rückwirkungen Zwar stehen sich auch im Immaterialgüterrecht in erster Linie die Inhaber der Immaterialgüterrechte, mithin also Private, gegenüber. Ein entscheidender Unterschied besteht gleichwohl darin, dass diese Beziehung durch die Behörde als dritten Akteur ergänzt wird, die den konstitutiven Akt zur Entstehung des Immaterialgüterrechts schafft.287 Wer dem vom Reichsgericht angeführten Willen des Gesetzgebers gerecht werden will, der darauf dringt, der immaterialgüterrechtlichen Nichtigerklärung des Immaterialgüterrechts Straflosigkeit folgen zu lassen, kann anhand dieses Dreiecksverhältnis zu einer konsistenten Lösung finden. Wenn der Erteilungs- beziehungsweise Eintragungsbeschluss ein für den Erwerber begünstigender, hingegen für den Wettbewerber belastender Verwaltungsakt darstellt,288 erweist sich die Strafbarkeit des Wettbewerbers grundsätzlich als nichts anderes als eine Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Sodann kann bei der nachträglichen Vernichtung des Verwaltungsakts, dem der Betroffene zuwidergehandelt hat, dem Grunde nach nichts anderes wie bei der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt gelten. Sodann erwächst auch ihm ein Folgenbeseitigungsanspruch in Form eines Strafaufhebungsgrunds, wenn er im immaterialgüterrechtlichen Nichtigkeits- beziehungsweise Löschungsverfahren Erfolg hat.
§ 10 Übertragung der Ergebnisse auf andere Fallgruppen rechtlicher Rückwirkungen im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht Die bisherige Betrachtung konzentrierte sich allein auf die für den Betroffenen begünstigenden Rückwirkungen, welche die belastenden Wirkungen eines Verwaltungsakts als rückwirkend aufgehoben fingiert. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich die gefundenen Ergebnisse auf die beiden anderen Fallgruppen übertragen lassen. Dabei wird zunächst darauf einzugehen sein, dass für den Betroffenen belastende Rückwirkungen keine strafrechtliche Relevanz entfalten. Des Weiteren ist von Interesse, ob eine rückwirkende Genehmigung eine bislang unerfüllte und strafrechtlich eingeforderte Zugangskontrolle gewissermaßen heilen kann. Mit den vielfältigen Erscheinungsformen des Verwaltungsakts innerhalb unterschiedlichster Voraussetzungen der Strafbarkeit steht schließlich in Frage, wo rechtliche Rückwirkung überdies strafrechtliche Folgen haben können. 287 288
Hierzu und zum Folgenden s. bereits oben § 9 B. III. Zu dieser Doppelwirkung Rudloff-Schäffer, in: Schulte, PatentG, § 49 Rn. 27.
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A. Verwaltungsrechtliche Rückwirkungen bei der behördlichen Genehmigung I. Belastende Rückwirkung – Rückwirkende Aufhebung behördlicher Genehmigungen Rückwirkungsfiktionen können den Betroffenen – im Gegensatz zu den eben erörterten Fallkonstellationen – belasten. Entsprechend wirkt es sich aus, wenn die Behörde eine Genehmigung mit Wirkung für die Vergangenheit (vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG) zurücknimmt oder das Gericht sie aufhebt. Vorstellbar ist weiterhin, dass ein Dritter eine erteilte Genehmigung anficht, mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung ex tunc eintritt und sodann der Genehmigung die Wirksamkeit (fiktiv) auch mit Wirkung für die Vergangenheit nimmt. Rückwirkende Strafbarkeitsfolgen wegen eines ungenehmigten Handelns sind damit jedoch nicht verbunden. In letzterem Fall schon deshalb nicht, weil jedenfalls die ipso iure eintretende Wirksamkeitshemmung der Genehmigung noch nicht einmal zukünftige Auswirkungen auf die Strafbarkeit hat.289 Auch bei der rückwirkenden gerichtlichen oder behördlichen Aufhebung der Genehmigung kann kein Zweifel daran bestehen, dass die rückwirkende Fiktion, wonach eine Genehmigung nie bestanden hat, keine strafrechtlichen Folgen zeitigt.290 Unter Heranziehung der dargelegten Grundsätze ergeben sich auch für diese Fallgruppe neue Erkenntnisse. Nach Maßgabe der Fiktionstheorie gilt für das Strafrecht im Tatzeitpunkt (vgl. § 8 StGB) die Welt der Tatsachen. Hiernach lag vor dem Aufhebungszeitpunkt eine wirksame Genehmigung vor. Im Nachhinein tritt eine „unechte“ Rechtskollision unter umgekehrten Vorzeichen ein: Beim genehmigenden Verwaltungsakt nimmt das Strafrecht aufgrund der wirksamen Genehmigung keine Strafbarkeit an, während das Verwaltungsrecht nachträglich davon ausgeht, dass eine Genehmigung nicht vorlag und die Tätigkeit demnach ungenehmigt ausgeübt wurde. Wiederum stellt sich die Frage, nach einer Kompensation dieser Rechtskollision: Das Verwaltungsverfahrensrecht sieht für den Fall der rückwirkenden Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts allenfalls die Erstattung bereits erbrachter Leistungen nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB vor (vgl. § 49a Abs. 2 S. 1 VwVfG). Eine insoweit nachträgliche Strafbarkeit können diese Rückgewährverhältnisse offenkundig nicht begründen. Neben dem Bestimmtheitsgebot, dass einer solchen Strafbarkeit im Tatzeitpunkt entgegensteht, weil der Bürger bei verborgenen materiellen Mängeln des Verwaltungsakts über die Grenzen zwischen strafbarem und nicht strafbarem Handeln im Ungewissen bliebe,291 ergaben sich aus der strafrechtlichen Anknüpfung an die 289 290 291
Siehe dazu oben § 7 C. II. Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 220 f., 240. Dazu bereits oben § 6 A. III. 1. c) dd) (1).
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gesetzliche Rückwirkung jedenfalls gehörige Zweifel mit Blick auf das verfassungsrechtlich gesicherte Rückwirkungsverbot,292 wenngleich sie keine gesetzliche Rückwirkung begründen. Auch die vertretenen Meinungen zur materiellen Einordnung des begünstigenden Verwaltungsakts in das Strafrecht erscheinen vor dem Hintergrund der Fiktionstheorie in einem neuen Licht. Soweit Teile der Literatur ausschließlich dem rechtmäßigen Verwaltungsakt tatbestandsausschließende Wirkung zumessen oder darauf abstellen, dass die Erteilung des Verwaltungsakts nicht unter Mängeln leidet, die seine rückwirkende Vernichtung begründen (vgl. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG),293 erweisen sie sich als Vertreter prohibitiver Lösungsansätze. Wiederum nehmen sie eine erst noch mögliche rückwirkende Vernichtung der Genehmigung vorweg, indem sie die dafür notwendigen Voraussetzungen bei der tatbestandsausschließenden (bzw. rechtfertigenden) Wirkung der Genehmigung berücksichtigt wissen wollen. Dementsprechend nehmen auch sie – nach Maßgabe der Deklarationstheorie – einen Zustand der Rechtsunsicherheit für das Strafrecht in Anspruch, der verwaltungsverfahrensrechtlich nie bestand. Nicht zuletzt unter diesem Blickwinkel erweisen sich diese Ansichten als nicht tragfähig. II. Begünstigende Rückwirkung – Rückwirkende Genehmigung bislang ungenehmigter Verhaltensweisen? Im verwaltungsaktakzessorischen Strafrecht sind schließlich begünstigende Rückwirkungen in Form rückwirkender Genehmigungen möglich. Hinsichtlich solcher Verhaltensweisen, für die eine strafrechtlich abgesicherte Zugangskontrolle besteht, ist fraglich, ob die rückwirkende Legalisierung zur nachträglichen Straflosigkeit führt.294 Das setzt zunächst überhaupt die Möglichkeit der Verwaltung voraus, eine Genehmigung mit Wirkung für die Vergangenheit erlassen zu können. Verwaltungsrechtlich ist das kaum geklärt. 1. Die verwaltungsrechtliche Zulässigkeit rückwirkender Genehmigungen Die hier besprochene rückwirkende Genehmigung ist abzugrenzen von der nachträglichen Genehmigung, mit der eine ungenehmigte Tätigkeit (ex nunc) für die Zukunft legalisiert wird. Letztere stellt keine „echte“ Rückwirkung dar, da sie nicht einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt neu regelt, 292 So etwa Heghmanns, Dogmatik, S. 229; anders aber Wagner, Akzessorietät, Rn. 660 f., der Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB für nicht einschlägig hält, weil seiner Ansicht nach das Rückwirkungsverbot nur für die Sanktionsnorm, nicht aber für die Verhaltensnorm gilt. 293 Hierzu oben § 6 A. III. 1. c) cc). 294 So jedenfalls OLG Braunschweig NJW 1951, 613.
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sondern lediglich einen bereits in der Vergangenheit begonnenen Sachverhalt für die Zukunft neu regelt.295 Sie ist für die folgende Betrachtung nicht von Interesse. Pönalisiert das Strafrecht nämlich die Ausübung einer Tätigkeit, ohne dass für sie zuvor eine Genehmigung eingeholt wurde, wirkt es sich auf die bereits vollendete Strafbarkeit nicht aus, wenn die Behörde eine ex nunc-wirkende Genehmigung erteilt. Nach dem hier befürwortenden Modell der Kompensation einer Rechtskollision besteht im Fall der nur nachträglichen Genehmigung von vornherein keine Rechtskollision, weil das in der Vergangenheit genehmigungslose Handeln genehmigungslos bleibt und noch nicht einmal nachträglich als genehmigt fingiert wird. Allein deshalb überzeugt es regelmäßig nicht, einen Strafaufhebungsgrund pauschal anzunehmen, wenn der Betroffene im Wege der Verpflichtungsklage eine Genehmigung erstreitet.296 Der für das Verwaltungsgericht maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, weshalb es regelmäßig keine rückwirkende Entscheidung trifft und die Behörde nur für die Zukunft zur Genehmigungserteilung verpflichtet.297 Anderes könnte nur gelten, wenn die Genehmigung auf den Zeitpunkt der Tathandlung (dem ungenehmigten Tätigkeitsbeginn) zurückwirkt. Die Frage, ob eine genehmigende Rechtsfolge zulässig ist, die sich auf einen Zeitpunkt vor der Bekanntgabe bezieht, beantwortet das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht explizit. Zwar tritt die äußere Wirksamkeit erst mit Bekanntgabe ein (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG), doch ist damit noch nichts über die innere Wirksamkeit, seine inhaltlichen Rechtswirkungen und deren zeitliche Dimension gesagt. Unter der Prämisse des genehmigenden Verwaltungsakts als eines Dauerverwaltungsakts298 wird eine rückwirkende Genehmigung teilweise aufgrund rechtskonstruktiver Unmöglich-
295 Vgl. zur hier herangezogenen Parallele von „echter“ und „unechter“ Rückwirkung im Verfassungsrecht etwa Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, Art. 20 VII Rn. 80 ff.; zur Rückwirkung eingehend Steinweg, Regelungsgehalt, S. 32 ff. 296 So aber (teils differenzierend zwischen Genehmigungsanspruch und im Ermessen der Behörde stehender Genehmigungsfähigkeit): Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf, § 41 Rn. 26; MüKo-StGB/Schmitz, Vor § 324 Rn. 93 f. („nicht [straf-] rechtswidrig“); Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 19; SSW-StGB/Saliger, Vor §§ 324 ff. Rn. 33 f.; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 65 f.; zutreffend anders Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 242; SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 91. 297 Vgl. hierzu W.-R. Schenke/R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 179, auch mit Verweis auf Fälle, in denen der Kläger ein schutzwürdiges Interesse daran haben kann, dass ihm eine Erlaubnis mit Wirkung von einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt erteilt wird (vgl. BVerwG NVwZ 1999, 306) oder er feststellen lässt, dass er bereits früher einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Verwaltungsakts besaß. 298 Zum Charakter des gestattenden Verwaltungsakts als Dauerverwaltungsakt Steinweg, Regelungsgehalt, S. 108; differenzierend Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 224 mit Fn. 1185 m.w. N. (auch aus der Judikatur).
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keit verneint.299 Zwingend spricht das nicht gegen die rückwirkende Genehmigung, zumal manchen Genehmigungen der Dauercharakter ohnehin abgesprochen wird.300 Gegenüber dem Punktverwaltungsakt werden solche Zweifel nicht angemeldet.301 Schließlich spricht die parallele Behandlung von belastenden Verwaltungsakten eher für die Möglichkeit rückwirkender Genehmigungen. Ermächtigt das Gesetz dazu, eine durch Verwaltungsakt belastende Regelung rückwirkend in Kraft zu setzen (vgl. insoweit § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG),302 liegt der Schluss nahe, dass das erst recht – und aufgrund der einhergehenden Begünstigung für den Bürger sogar ohne gesetzliche Ermächtigung303 – bei der Genehmigung möglich sein muss.304 Das führt aber dann zu einem gewissen Unbehagen, wenn Straf- oder Bußgeldvorschriften das in der Vergangenheit liegende ungenehmigte Verhalten pönalisieren.305 Dass der Gesetzgeber einerseits ein ungenehmigtes Verhalten unter Strafe stellt und andererseits der Behörde gewährt, das Verhalten rückwirkend zu legalisieren, erscheint wenig stringent. Das Unbehagen allein begründet jedoch nicht die Unzulässigkeit einer solchen Rückwirkung, sondern bedarf der rechtlichen Kontextualisierung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei nochmals herausgestellt, dass es an dieser Stelle nur um die Frage der Nichtigkeit des rückwirkenden Teils der Genehmigung geht, der ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten genehmigt, welches ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand eben aufgrund der fehlenden Genehmigung pönalisiert. Um die ex nunc-Wirkung des Verwaltungsakts, der für die Zukunft eine ebensolche Tätigkeitsausübung legalisiert, geht es nicht. Diese Frage ist bereits oben dahingehend beantwortet, dass sowohl rechtmäßige wie rechtswidrige Genehmigungen für das zukünftige Handeln tatbestandsausschließende Wirkung haben. 299 So Steinweg, Regelungsgehalt, S. 120: „Da der Dauerverwaltungsakt in jedem Zeitpunkt eine Rechtsfolge nur für den gegenwärtigen Zeitraum intendiert, ist die Intention einer Rechtsfolge für einen Zeitraum vor Erlass nicht möglich. Denn in Zeitpunkten vor Erlass intendiert ein Verwaltungsakt mangels Existenz keine Rechtsfolge.“ 300 BVerwG NVwZ 2001, 322 (323), zur Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz; zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung: BVerwG NVwZ-RR 1991, 236; BVerwGE 132, 224 (228); BVerwG NVwZ 2009, 1441 (1442). 301 Vgl. Steinweg, Regelungsgehalt, S. 115. 302 Hierzu Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 48 Rn. 32. 303 Anders wohl Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 48 Rn. 32, der generell fordert, dass eine solche Rückwirkung „gesetzlich ausdrücklich oder sinngemäß“ zugelassen ist. 304 Vgl. auch BVerwG NVwZ 1999, 306, wenn der Verpflichtungskläger an der Erteilung einer Erlaubnis mit Wirkung von einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt ein schutzwürdiges Interesse hat. 305 So lehnte der VGH München BeckRS 2016, 111226, eine rückwirkende Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit Kraftfahrzeugen unter anderem mit dem systematischen Argument ab, eine solche sei nicht mit der bußgeldbewehrten Pflicht zu vereinbaren, wonach Kraftfahrzeugführer im Gelegenheitsverkehr mit Kraftfahrzeugen eine Genehmigungsurkunde bei sich führen müssen.
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Zu denken ist bezüglich des rückwirkenden Teils einer derartigen Genehmigung an eine (Teil-)Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG. Demnach ist ein Verwaltungsakt nichtig, der die Begehung einer rechtwidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht. Unmittelbar ist die Vorschrift jedoch nur auf Verwaltungsakte anwendbar, die dem Bürger ein entsprechendes Verhalten gebieten.306 Folglich kommt die Nichtigkeit einer rückwirkenden Genehmigung nur unter den Vorzeichen einer analogen Anwendung in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke ist plausibel begründbar: Weil das Verwaltungsrecht seinem Wesen nach auf Entscheidungen der Zukunft ausgerichtet ist, besteht für den Gesetzgeber im Ausgangspunkt keine Veranlassung, sich auf die Vergangenheit zu beziehen. Weniger eindeutig erscheint das mit Blick auf die vergleichbare Interessenlage. Im Vordergrund des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG steht der Schutz des Adressaten, den die Behörde nicht in wirksamer Weise zu einem rechtswidrigen Handeln zwingen können soll.307 Dahinter steht das Interesse einer widerspruchsfreien Rechtsordnung, die dem Bürger keine Pflicht auferlegen kann, welche straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich untersagt ist.308 Bei der (rückwirkenden) Genehmigung bedarf der Bürger eines solchen Schutzes nicht; eher gereicht es ihm zum Vorteil, wenn der Verwaltungsakt sein Handeln rückwirkend legalisiert.309 Freilich liegt ein Unterschied darin begründet, dass im einen – den § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG unmittelbar betreffenden – Fall, die rechtliche Pflicht erst für die Zukunft begründet und der Bürger durch sie zur Begehung einer Straftat gezwungen wird, während im hier interessierenden Fall die strafbare Tat (die ungenehmigte Tätigkeitsausübung) schon zurückliegt und rückwirkend legalisiert werden soll. In beiden Fällen „befürwortet“ der Verwaltungsakt gewissermaßen strafbares Verhalten, wodurch Verwaltungsrechtsordnung und Strafrechtsordnung in Konflikt geraten. Nur wenn § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG nicht nur am Schutz des Adressaten, sondern darüber hinaus an einer widerspruchsfreien Rechtsordnung als objektiv-rechtlichem Prinzip gelegen ist, kann seine entsprechende Anwendung für den rückwirkenden Teil der Genehmigung befürwortet werden. Das aber erscheint äußerst vage. Infolgedessen sprechen die besseren Gründe dafür, die rückwirkende Genehmigung für verwaltungsverfahrensrechtlich möglich zu erachten, sodass 306 BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 44 Rn. 55; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 150. 307 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 150. 308 Vgl. Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 49 Rn. 14; Will/ Rathgeber, JuS 2012, 1057 (1060). 309 Unter Verweis auf den Schutzzweck verneint die herrschende Meinung die analoge Anwendung der Vorschrift auf Fälle, bei denen eine Behörde an sich tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verhalten erlaubt; vgl. BeckOK-VwVfG/Schemmer, § 44 Rn. 55; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 150; anders Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 44, zumindest dann, wenn die Rechtswidrigkeit der Gestattung offensichtlich ist.
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im Folgenden deren strafrechtliche Auswirkungen genauerer Betrachtung bedürfen. 2. Strafaufhebungsgrund bei rückwirkender Genehmigung ursprünglich ungenehmigten Verhaltens? Die rechtskonstruktive Betrachtung der Rechtslage trägt wiederum zum besseren Verständnis bei. Für den strafrechtlich bedeutsamen Tatzeitpunkt (vgl. § 8 S. 1 StGB) einer ungenehmigten Tätigkeitsausübung gilt die Welt der Tatsachen. Danach lag keine Genehmigung vor. Daher überzeugt eine Tatbestandslösung, die mittels der rückwirkenden Genehmigung die tatbestandsmäßige, rechtswidrig und schuldhaft begangene Tat in Zweifel ziehen will, nicht.310 Erstreckt die Behörde die genehmigende Rechtsfolge nachträglich auf den Zeitpunkt der ursprünglich ungenehmigten Tätigkeitsausübung, tritt eine „unechte“ Rechtskollision ein: Während sich die Strafrechtsordnung ihr Urteil über das ungenehmigte Verhalten längst gebildet hat, behandelt das Verwaltungsrecht das Verhalten rückblickend, als ob es von Anfang an genehmigt gewesen wäre. Wiederum steht zur Diskussion, ob diese Rechtskollision mittels eines nachträglichen Strafaufhebungsgrunds zu kompensieren ist. Gegenüber den belastenden Verwaltungsakten erweist sich die Rechtslage bei den begünstigenden Verwaltungsakten aber als strukturell anders. Während bei ersteren dem Bürger belastende Ge- beziehungsweise Verbote aufgegeben werden, deren Folgen bei einer nachträglichen Aufhebung des Verwaltungsakts negatorisch beseitigt werden müssen, gibt es ebensolche Folgen bei letzteren schon deshalb nicht, weil der Staat zwar durch die Statuierung der Zugangskontrolle, nicht aber durch einen Verwaltungsakt in die Rechte des Bürgers eingreift. Zu kompensierende Vollzugsfolgen hat der Bürger bei einer von ihm verlangten Genehmigung nicht zu beklagen. Bei der ungenehmigten Tätigkeitsausübung steht das verwirklichte Strafunrecht demnach in keinem Zusammenhang zum rechtswidrigen Verwaltungshandeln, sondern resultiert einzig und allein aus dem Handeln des Bürgers unter Missachtung der gesetzlichen Zugangskontrolle. Gerade die behördliche Prüfung abzuwarten, verlangt das Strafgesetz von seinem Normadressaten. Daran ändert schließlich auch die rechtswidrige Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts nichts. Dem Antragsteller steht mit der Verpflichtungsklage der Weg offen, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Nichts erlaubt ihm aber, das strafgesetzlich abgesicherte Verbot zu umgehen. Das gilt zweifelsohne selbst dann,
310 Anders aber OLG Braunschweig NJW 1951, 613 (614), das fälschlicherweise davon ausgeht, dass durch die rückwirkende Verleihung einer Genehmigung die Erfüllung des objektiven Tatbestands (Betreiben einer Rundfunkanlage ohne Verleihung) nachträglich entfalle.
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wenn das Gericht seine Rechtsauffassung später bestätigt.311 Sollen dem Bürger beschleunigte Verfahrensweisen zum Vorteil gereichen, ist der Gesetzgeber aufgefordert, von entsprechenden Instrumenten, wie etwa der Genehmigungsfiktion (vgl. § 42a VwVfG), verstärkten Gebrauch in den Fachgesetzen zu machen.312 Auch die staatshaftungsrechtlich als Ergänzung zum Folgenbeseitigungsanspruch diskutierte Folgenbeseitigungslast, hilft darüber nicht hinweg. Die Folgenbeseitigungslast verpflichtet die Verwaltung nach einer rechtswidrigen Ablehnung eines Verwaltungsakts, bei ihrer neuerlichen Entscheidung über die Erteilung das vorausgegangene Verwaltungsunrecht in ihre Ermessenserwägung miteinzustellen.313 Allein aus dem begangenen Verwaltungsunrecht in Form der rechtswidrigen Ablehnung folgt aber kein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung, geschweige denn ein solcher auf Erteilung einer rückwirkenden Genehmigung.314 Schließlich spricht ein weiterer Gesichtspunkt, der bereits an anderer Stelle Erwähnung fand, gegen einen Strafaufhebungsgrund. Die Erteilung einer rückwirkenden Genehmigung steht weitgehend im Belieben der Behörde. Bereits im Rahmen der Auseinandersetzung um einen Strafaufhebungsgrund in Fällen, in denen die Behörde den Verwaltungsakt ohne rechtliche Verpflichtung aufhebt, wurde der beachtenswerte Einwand diskutiert, wonach der Behörde tunlichst kein Gnadenrecht einzuräumen ist. Das aber wäre die Folge, befürwortete man für den Fall der rückwirkenden Genehmigung einen Strafaufhebungsgrund. Bei der behördlichen Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts überwog der Gedanke, dass der Täter gegenüber der gerichtlichen Aufhebung in ungerechtfertigter Weise schlechter gestellt würde. Bei der rückwirkenden Genehmigung sind derlei Bedenken nicht ersichtlich. 3. Ergebnis Ihre Existenz vorausgesetzt statuiert die rückwirkende Genehmigung keinen Strafaufhebungsgrund. Zwar entsteht eine „unechte“ Rechtskollision, doch fehlt es an der Begründung für deren Kompensation. Möchte der Gesetzgeber dem Täter das Privileg eines Strafaufhebungsgrunds zugestehen, sofern die Verwaltung das Handeln nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit genehmigt, muss er das ausdrücklich regeln. Bislang findet sich eine solche Regelung für die nachträgliche Genehmigung nur in § 331 Abs. 3 2. Var. StGB.315 Durch diese 311 In dieser Konsequenz auch Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 241; so auch Wagner, Akzessorietät, Rn. 705 ff., der auch mit Blick auf den lex mitior-Grundsatz zu keinem anderen Ergebnis kommt. 312 Zur Genehmigungsfiktion (vgl. § 42a VwVfG) und ihrer Wirkungen im Strafund Ordnungswidrigkeitenrecht Eisele, NJW 2014, 1417 (1419). 313 Hierzu Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 96 ff. 314 Vgl. Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 96. 315 Im Ergebnis ebenso Schuster, Verhältnis von Strafnormen, S. 240 f.; auch Wagner, Akzessorietät, Rn. 708.
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Vorschrift stellt der Gesetzgeber die Strafbarkeit faktisch zur Disposition der Verwaltung. Während das besondere staatliche Interesse bei den Korruptionsdelikten den Einsatz eines solchen Instruments rechtfertigen mag, erscheint seine darüber hinausgehende Verwendung daher durchaus problematisch.
B. Rechtliche Rückwirkungen in weiteren Fällen Der Verwaltungsakt greift in nahezu allen Bereichen des Strafrechts Platz. Innerhalb der formalen Einordnung des Verwaltungsakts wurde festgestellt, dass der Verwaltungsakt auf Tatbestandsebene auch zur Begründung des Tatsubjekts dienen kann. Vereinzelt stützt sich auch das Strafanwendungsrecht auf statusbegründende Verwaltungsakte, indem es auf die durch Einbürgerung vermittelte Staatsangehörigkeit abstellt. Schließlich können Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte relevant werden, die nur feststellender Natur sind. Zuwiderhandlungen gegen pflichtenbegründende Verwaltungsakte finden sich schließlich nicht nur auf Ebene des Tatbestands, sondern auch innerhalb objektiver Strafbarkeitsbedingungen.316 Um der Problematik der rechtlichen Rückwirkung und ihren Auswirkungen auf das Strafrecht umfassend Rechnung zu tragen, ist der Blick im Folgenden auf diese Merkmale zu richten. I. Rechtliche Rückwirkung bei statusbegründender Täterqualifikation durch Verwaltungsakt Bei Sonderdelikten kann der hierfür erforderliche Status des Täters von einem gestaltenden Verwaltungsakt abhängen. Als Beispiele wurden Delikte identifiziert, die als Täter den Beamten, den Soldaten oder den Deutschen (im Fall der Einbürgerung) nennen. Der auf den Tatzeitpunkt rückwirkende Wegfall dieser Eigenschaft hat keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit des Täters. Anders als bei der nichtigen Beamtenernennung, die keine Beamten- und daher auch keine Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2a) StGB begründen kann,317 schlagen bei der anfechtbaren Beamteneigenschaft die teleologischen Gesichtspunkte durch. Demnach ist das Rechtsgut des Interesses der einzelnen Staatsbürger an einem ordnungsgemäßen Funktionieren der staatlichen Verwaltung und der staatlichen Rechtsprechung berührt, wenn dieser sich einer Straftat im Amt schuldig macht.318 Eine Strafaufhebung folgt auch nicht aus der ex tuncnichtigen Beamtenernennung. Zwar tritt eine Rechtskollision ein, weil das Strafrecht von einem Tatsubjekt ausgeht, welches das Verwaltungsrecht rückblickend als nichtig fingiert. Jedoch besteht für die Rechtskollision kein Kompensations316
Zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen, s. oben § 3 A. Vgl. dazu oben § 6 A. II. 3. 318 Mit Blick auf die anfechtbare Beamtenernennung zutreffend Heinrich, Amtsträgereigenschaft, S. 340 f.; NK-StGB/Saliger, § 11 Rn. 22; MüKo-StGB/Radtke, § 11 Rn. 28. 317
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bedürfnis, weil kein Zusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln und dem verwirklichten Strafunrecht besteht, welcher für einen Strafaufhebungsgrund notwendig ist.319 II. Rechtliche Rückwirkungen bei feststellenden Verwaltungsakten Oben wurde bereits festgestellt, dass die Rechtswirkungen des feststellenden Vereinsverbots innerhalb der §§ 85, 86, 86a StGB und des § 20 VereinsG denjenigen der belastenden Verwaltungsakte in nichts nachstehen. Deshalb kann für die strafbewehrte Zuwiderhandlung gegen einen feststellenden Verwaltungsakt grundsätzlich nichts anderes als für die strafbewehrte Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt gelten.320 In der Folge erstaunt es nicht, dass sich die beiden Konstellationen unter dem Aspekt der Rechtskollisionen gleichen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den §§ 85, 86, 86a StGB einerseits und § 20 VereinsG andererseits. Innerhalb der §§ 85, 86, 86a StGB hängt die Strafbarkeit davon ab, dass der Täter einem unanfechtbaren Vereinsverbot (oder Ähnlichem) zuwiderhandelt. Selbst wenn es den Beteiligten gelingt, dass das unanfechtbare Vereinsverbot nach einem Wiederaufgreifen des Verfahrens (vgl. § 51 VwVfG) rückwirkend aufgehoben würde, änderte sich an der strafrechtlichen Lage nichts. Zwar bestehen eine Rechtskollision und ein Kompensationsgrund, weil ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln (Vereinsverbot) und dem verwirklichten Strafunrecht vorliegt. Jedoch überwiegt auch in diesem Fall das Interesse der Rechtssicherheit das Kompensationsinteresse, weil der Verwaltungsakt vor der Tatbegehung in Bestandskraft erwuchs. Anderes gilt bei § 20 VereinsG, der für die Strafbarkeit auf eine vollziehbare Feststellung abstellt. Hier gilt dasselbe wie bei der strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen den belastenden Verwaltungsakt. Erreicht der Täter vor Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts seine rückwirkende Aufhebung durch Gericht oder die Behörde, führt der zum Strafaufhebungsgrund extendierte Folgenbeseitigungsanspruch zur Straffreiheit. III. Rechtliche Rückwirkungen bei pflichtenbegründenden Verwaltungsakten innerhalb objektiver Strafbarkeitsbedingungen (vgl. § 54a Abs. 3 KWG) Pflichtenbegründende Verwaltungsakte wurden neben dem objektiven Tatbestand innerhalb objektiver Strafbarkeitsbedingung ausfindig gemacht (vgl. § 54a Abs. 3 KWG). Die Parallele zu den pflichtenbegründenden Verwaltungsakten im objektiven Tatbestands legt zunächst eine entsprechende Behandlung nahe: Nach 319 320
Hierzu § 9 D. II. 3. b). So bereits oben § 3 A. III.
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den dargelegten Grundsätzen wäre für die strafbare Zuwiderhandlung sowohl unbeachtlich, dass § 49 KWG die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die „vollziehbare Anordnung“ ausschließt, als auch deren (vorläufige) rückwirkende Anordnung durch das Verwaltungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.321 Die nachträgliche Aufhebung des durch die BaFin erlassenen Verwaltungsakts führte hingegen zu einem Strafaufhebungsgrund. Bei näherem Hinsehen überzeugt die Lösung innerhalb objektiver Bedingungen der Strafbarkeit jedoch nicht. Eine Rechtskollision tritt unzweifelhaft ein, indem das Strafrecht von einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung der BaFin ausgeht, die das Verwaltungsrecht rückblickend als nichtig fingiert. Jedoch besteht innerhalb einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit kein Kompensationsgrund, weil zwischen dem verwirklichten Strafunrecht und dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln streng genommen kein Zusammenhang besteht. Der fehlende Zusammenhang liegt im Wesen der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit selbst begründet. Wenn die objektive Strafbarkeitsbedingung ihr Dasein unabhängig vom Wille, der Kenntnis, der Vorhersehbarkeit und sogar der Schuldfähigkeit des Täters fristet,322 handelt es sich um eine Deliktskategorie jenseits von Unrecht und Schuld.323 Dementsprechend können objektive Strafbarkeitsbedingungen nur für das tatbestandliche Unrecht irrelevante Merkmale sein, da sie andernfalls mit dem Schuldprinzip konfligieren.324 Wenn die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt infolgedessen kein strafrechtlich verwirklichtes Unrecht darstellt, kann konsequenterweise kein Zusammenhang zwischen dem rechtswidrigem Verwaltungshandeln und dem strafrechtlichem Unrecht angenommen werden. Deshalb resultiert aus der rückwirkenden Vernichtung des Verwaltungsakts in diesen Fällen kein Strafaufhebungsgrund.
321 Anders Brand, ZVglRWiss 2014, 142 (160), der einer gerichtlichen Anordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine rückwirkende Auswirkung auf die Strafbarkeit zuerkennen will. Zur Begründung bedient er sich der Parallele zu § 283 Abs. 6 StGB, wobei es allgemeiner Meinung entspricht, dass das Merkmal „Eröffnung des Insolvenzerfahrens“ beziehungsweise „Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse“ nicht erfüllt ist, wenn das Insolvenzgericht den Eröffnungsbeschluss auf die Beschwerde des Schuldners hin aufhebt. Lässt man sich auf diese Parallele ein, hinkt der Vergleich insoweit, als es im Rahmen des § 283 Abs. 6 StGB auf die rechtskräftige Aufhebung des Beschlusses ankommt. Sodann entspricht dem allenfalls die rechtskräftige Aufhebung des Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht oder die (endgültige) Aufhebung des Verwaltungsakts durch die Verwaltungsbehörde. Anders von vornherein Cichy/Cziupka/ Wiersch, NZG 2013, 846 (848 f.), die eine solche Rückwirkung für strafrechtlich unbeachtlich halten. 322 Hierzu Geisler, GA 2000, 166; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 20 Rn. 5 ff. 323 Bemmann, Bedingungen der Strafbarkeit, S. 19; Roxin, AT I, § 23 Rn. 21. 324 Bemmann, Bedingungen der Strafbarkeit, S. 19; Geisler, GA 2000, 166 (179); vgl. Roxin, AT I, § 23 Rn. 21 (außerstrafrechtliche Zwecksetzung).
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IV. Rechtliche Rückwirkungen bei statusbegründenden Merkmalen durch Verwaltungsakt innerhalb des Strafanwendungsrechts Gemäß § 7 StGB stellt das Strafanwendungsrecht für Auslandstaten als Anknüpfungspunkt unter anderem darauf ab, ob die Tat gegen einen Deutschen begangen wurde (vgl. § 7 Abs. 1 StGB; passives Personalitätsprinzip) oder der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; aktives Personalitätsprinzip). Beruht die Staatsangehörigkeit auf einer Einbürgerung, die durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde vollzogen wird, erweist sich das Strafanwendungsrecht als verwaltungsaktakzessorisch. Wiederum stellt sich die Frage nach den strafrechtlichen Folgen eines rückwirkenden Wegfalls der Staatsangehörigkeit. 1. Aktives Personalitätsprinzip Dem Koinzidenzprinzip verschreibt sich das aktive Personalitätsprinzip jedenfalls nicht, wenn es als Anknüpfungspunkt auch ausreichen lässt, dass der Täter nach der Tat Deutscher geworden ist (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. StGB). Für die hiesige Thematik steht jedoch umgekehrt in Frage, ob sich an dem einmal begründeten Umfang der von Deutschland in Anspruch genommenen Strafgewalt dadurch etwas ändert, dass die deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend entfällt (vgl. §§ 17 ff. StAG). Dafür spricht zwar, dass bei Wegfall der Staatsangehörigkeit das Auslieferungsverbot gemäß Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG nicht mehr besteht und somit der internationale Solidaritätsgedanken, der dem aktiven Personalitätsprinzips neben anderen innewohnt,325 nicht mehr besteht.326 Jedoch entfällt damit nur eines unter mehreren Prinzipien, die dem aktiven Personalitätsprinzip zugrunde liegen. Bei § 7 Abs. 2 Nr. 1 1. Var. StGB spricht der Wortlaut gegen eine solche Annahme, wenn er deutsches Strafrecht ausdrücklich für den Täter anwendbar erklärt, der zur Zeit der Tat (vgl. § 8 StGB) Deutscher war.327 Auch unter dem Aspekt der Rechtskollision besteht kein Bedürfnis für eine Kompensation, weil die rechtswidrige oder wegen anderer Gründe anfechtbare Einbürgerung in keinerlei Bezug zu dem verwirklichten Strafunrecht steht. Daher bleibt der einmal begründete Strafanspruch des deutschen Strafgesetzes bestehen. Überlegenswert bleibt, ob der (rückwirkende) Entfall der Staatsangehörigkeit strafanwendungsrechtliche Auswirkungen hat, wenn der Täter erst nach der Tat eingebürgert wird (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. StGB) und er diese noch vor
325
Vgl. hierzu LK-StGB/Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 235. Bedenkenswert LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 7 Rn. 80. 327 So auch LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 7 Rn. 80; MüKo-StGB/Ambos, § 7 Rn. 26; SSW-StGB/Satzger, § 7 Rn. 3. 326
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der rechtskräftigen Aburteilung verliert.328 Da der Täter unzweifelhaft zunächst Deutscher war, ist der Anknüpfungspunkt gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. StGB gegeben und der Strafanspruch entstanden. Unter dem Aspekt der Rechtskollision sind aber wiederum keine Gründe dafür ersichtlich, warum der rückwirkende Wegfall der Einbürgerung den Strafanspruch entfallen lassen soll. Allenfalls lässt das hinter dem § 7 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. StGB stehende Prinzip einer stellvertretenden Strafrechtspflege329 eine andere Wertung zu, das nach dem Wegfall des Auslieferungsverbot (vgl. Art. 16 Abs. 2 GG) ins Leere geht, weil damit die ohnehin problematische Vorschrift auch ihre kriminalpolitische Rechtfertigung verliert.330 2. Passives Personalitätsprinzip Auch für das passive Personalitätsprinzip, welches darauf abstellt, dass das Opfer zur Zeit der Tat Deutscher war (vgl. § 7 Abs. 1 StGB), hat der rückwirkende Wegfall der Staatsangehörigkeit keine Auswirkungen. Wiederum ist der Wortlaut eindeutig, der ausdrücklich auf den Tatzeitpunkt abstellt. Unter dem Aspekt der Rechtskollision erscheint ein Bedürfnis einer Kompensation noch fernliegender, weil das verwirklichte Strafunrecht erst recht in keinem Zusammenhang mit der gegebenenfalls rechtswidrigen Einbürgerung des Opfers steht. V. Rechtliche Rückwirkungen beim Strafaufhebungsgrund § 331 Abs. 3 2. Var. StGB Sofern der Amtsträger sich im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB einen Vorteil versprechen lässt oder annimmt und die Behörde die Tathandlung nachträglich durch Verwaltungsakt genehmigt (vgl. § 331 Abs. 3 2. Var. StGB), steht in Frage, ob die Existenz des persönlichen Strafaufhebungsgrunds von derer des Genehmigungsakts abhängt. Bejahendenfalls hätte der rückwirkende Wegfall der Genehmigung auch den des Strafaufhebungsgrunds zur Folge, sodass der Täter gemäß § 331 Abs. 1 StGB zu bestrafen wäre. Anders als bei den belastenden Rückwirkungen bezüglich tatbestandsausschließender Genehmigung steht der Bestimmtheitsgrundsatz einem rückwirkenden Wegfall des Strafaufhebungsgrunds nicht entgegen, da im Zeitpunkt der Tathandlung keine Genehmigung vorlag, auf die der Täter hätte vertrauen können. Fernliegend erscheint auch ein Verständnis, wonach der einmal eingetretene Strafaufhebungsgrund das strafrechtliche Un-
328 Das befürworten LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 7 Rn. 85 (vor der letzten Tatsacheninstanz), wobei es weniger darauf ankommt, ob die Staatsbürgerschaft mit Wirkung ex tunc oder ex nunc wegfällt; zustimmend SSW-StGB/Satzger, § 7 Rn. 9. 329 Vgl. hierzu LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 7 Rn. 87. 330 Kritisch gegenüber der sogenannten Neubürger-Klausel MüKo-StGB/Ambos, § 7 Rn. 26.
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recht gewissermaßen für immer tilgt, sodass der rückwirkende Wegfall des Strafaufhebungsgrunds eine neue Strafbegründung konstituierte. Infolgedessen sprechen keine Gründe gegen eine Verurteilung des Amtsträgers, wenn die Behörde nachträglich (und noch vor der Verurteilung) die Genehmigung mit Wirkung ex tunc aufhebt. Wiederum zeigt sich an dieser Stelle das problematische Wesen des § 331 Abs. 3 2. Var. StGB, welches die Entscheidung über Strafbarkeit oder Straffreiheit auch nach der einmal erteilten Genehmigung weitgehend in das Belieben der Behörde stellt.
§ 11 Strafprozessuale Realisierung Die Bedeutung rückwirkenden Verwaltungsrechts für das Strafrecht beschränkt sich nach obiger Betrachtung maßgeblich auf die Fälle strafbewehrter Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte. Die nachträgliche verwaltungsgerichtliche oder -behördliche Aufhebung des Verwaltungsakts begründet nachträglich einen Strafaufhebungsgrund. Der damit einhergehende Faktor Zeit zwischen dem Zeitpunkt der Tatbegehung, also der Zuwiderhandlung gegen den Verwaltungsakt (vgl. § 8 S. 1 StGB), und dem Strafaufhebungsgrund durch verwaltungsgerichtliche oder -behördliche Aufhebung des Verwaltungsakts, stellt das Strafrecht vor prozessuale Probleme. Diese liegen insbesondere in dem Nebeneinander von verwaltungsprozessualem und strafprozessualem Rechtsweg begründet, die für gewöhnlich unabhängig voneinander agieren. Komplikationen entstehen, wenn der Strafrichter über die Strafbarkeit des Angeklagten entscheiden soll, während die verwaltungsgerichtliche Entscheidung über den Verwaltungsakt oder das Ergebnis des behördlichen Widerspruchsverfahrens noch ausstehen. Der Strafrichter bleibt in diesen Fällen im Ungewissen darüber, ob noch ein Strafaufhebungsgrund entsteht.
A. Prozessuale Ausgangslage In dieser unsicher erscheinenden Ausgangslage stehen die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte vor mehreren Möglichkeiten: Zunächst steht in Rede, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht. Dieser Gedanke liegt angesichts der Tatsache nicht fern, als die hierfür maßstabsbildende Verurteilungswahrscheinlichkeit ungewiss ist, solange eine Entscheidung im Widerspruchs- beziehungsweise verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch aussteht und damit Unklarheit über den Strafaufhebungsgrund herrscht. Infolgedessen wäre an eine vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 f StPO durch die Staatsanwaltschaft oder durch das Gericht (§ 205 StPO) zu denken. Das aber setzte voraus, dass der (noch ungewisse) Strafaufhebungsgrund ein in der Person des Beschuldigten liegendes Hindernis darstellt. Angesichts des noch ausstehenden behördlichen beziehungsweise gerichtlichen Verfahrens, auf dessen Ausgang der Beschuldigte keinerlei Einfluss hat, kann davon keine Rede sein. Muss die Staatsanwaltschaft
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dem Legalitätsprinzip folgend Anklage erheben und eröffnet das Gericht infolgedessen das Hauptverfahren, kommt schließlich eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 262 Abs. 2 StPO in Betracht, bis die Verwaltungsrechtslage Klärung erfahren hat. Gegenüber dieser abwartenden Haltung ist im Ausgangspunkt aber auch ein gegensätzlicher Standpunkt denkbar, wonach die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte mit dem Widerspruchsverfahren oder der Anfechtungsklage gar nicht behelligt werden. Da eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat vorliegt, hingegen der Strafaufhebungsgrund im Zeitpunkt der strafgerichtlichen Entscheidung (noch) nicht vorliegt, kommt eine Verurteilung in Betracht. Der Verurteilte wäre für den Fall einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts auf das Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff. StPO) verwiesen, wo er in entsprechender Anwendung des § 359 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme des Strafverfahrens und schließlich den nachträglichen Freispruch begehren kann.
B. Prozessuale Realisierung des nachträgliches Strafaufhebungsgrunds im Strafprozess I. Würdigung einer Aussetzungspflicht unter Betrachtung der vom Folgenbeseitigungsanspruch und den Strafaufhebungsgründen ausgehenden Risikosphären Bei Betrachtung des Folgenbeseitigungsanspruch und des ihm entspringenden Strafaufhebungsgrunds erscheint eine Risikoverteilung zulasten des Täters zunächst naheliegend. In deren Folge wäre eine strafrechtliche Verurteilung denkbar, ohne dass der Strafrichter die verwaltungsbehördliche oder -gerichtliche Entscheidung abwartet. Im Fall der nachträglichen Aufhebung des Verwaltungsakts stünde dem Verurteilten die Geltendmachung des Strafaufhebungsgrunds gegebenenfalls im Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff. StPO) offen.331 Diese Risikoverteilung erwächst zunächst aus dem Wesen des Folgenbeseitigungsanspruchs als Staatshaftungsinstrument. Die Aussetzungslösung überhöht hingegen den Folgenbeseitigungsanspruch, aus dem heraus der Strafaufhebungsgrund resultiert, zum sanktionshemmenden Rechtsmittel, weil er die Strafbarkeit 331 Das legt BVerfGE 22, 21 (27), nahe, wenn es mit Blick auf die strafbewehrte Vorladung zum Verkehrsunterricht ausführt: „Insbesondere würde es rechtsstaatlichen Grundsätzen und im Besonderen Art. 19 Abs. 4 GG widersprechen, wenn damit eine Nachprüfung der Vorladung, ob sie schikanös, willkürlich, unverhältnismäßig oder sonstwie rechtswidrig war, schlechthin ausgeschlossen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Vorladung zum Verkehrsunterricht ist als Verwaltungsakt im Verwaltungsrechtsweg in vollem Umfang nachprüfbar. Wird eine Vorladung im Verwaltungsrechtsweg aufgehoben, nachdem das Strafverfahren bereits abgeschlossen ist, so ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 StPO möglich.“ Vgl. zu dieser Konstellation auch LG Berlin NStZ-RR 2017, 121.
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aufschiebt, bis über den Verwaltungsakt entschieden ist. Nach der Konzeption des Folgenbeseitigungsanspruchs als Staatshaftungsinstrument gewährt dieser dem Betroffenen einen Anspruch auf Beseitigung der Vollzugsfolgen, welche der Verwaltung zunächst und trotz begrenzter Erkenntnismöglichkeiten im Interesse der Allgemeinheit eingeräumt wurden und denen der Adressat zunächst Gehorsam schuldet.332 Stellt sich diese Maßnahme im Nachhinein aber als rechtswidrig heraus und hebt das Gericht beziehungsweise die Behörde infolgedessen den pflichtbegründenden Verwaltungsakt auf, gewährt der Folgenbeseitigungsanspruch dem Betroffenen die Beseitigung der unmittelbaren Vollzugsfolgen. Die Rechtsweggarantie nimmt den Eintritt dieser Folgen zunächst hin, weil sie sich der Bedeutung einer durchsetzungsfähigen Verwaltung bewusst ist.333 Zwar wiegt beim Sanktionenrecht der Gedanke einer durchsetzungsfähigen Verwaltung weniger schwer, weil das Strafrecht selbst zur Durchsetzung des von der Verwaltung verfolgten Interesses nichts beitragen kann.334 Gleichwohl kann bei der strukturellen Analyse für das Sanktionenrecht im Ausgangspunkt nichts anderes gelten als für die unmittelbaren Vollzugsfolgen, weil der Strafaufhebungsgrund aus dem Folgenbeseitigungsanspruch entwickelt und dahingehend extendiert wurde. Der Betroffene hat sie zu dulden, bis das Verwaltungsgericht oder im Einzelfall die Behörde den Verwaltungsakt aufhebt. Der Folgenbeseitigungsanspruch gewährt dem Bürger dem Verwaltungsunrecht nachfolgende Staatshaftung, nicht aber vorausgehende Rechtshemmung. Nichts anderes gestände man dem Folgenbeseitigungsanspruch in strafprozessualer Hinsicht aber zu, wenn der aus ihm resultierende Strafaufhebungsgrund die strafrechtliche Verurteilung bis zum Ausgang des verwaltungsgerichtlichen beziehungsweise -behördlichen Verfahrens hinauszögerte. Die gesteigerten rechtsstaatlichen Anforderungen, denen der Strafprozess unterliegt, könnten Gründe liefern, die es als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, einen Angeklagten ohne Klarheit über die Existenz eines Strafaufhebungsgrunds zu verurteilen. Diese Unklarheiten liegen zum Zeitpunkt der Verurteilung aber nicht in etwaigen tatsächlichen Fragen über das Vorliegen des Strafaufhebungsgrunds begründet, die unter Betrachtung des Zweifelsgrundsatzes Skepsis auslösten. Vielmehr liegt ihre Ursache darin, dass ein Strafaufhebungsgrund erst zeitlich nachgehend entstehen kann. Damit tritt eine Konstellation ein, die aufgrund des Faktors Zeit einzigartig ist. Für gewöhnlich hängen die (gesetzlichen) Strafaufhebungsgründe eng mit dem Vollendungszeitpunkt zusammen, sodass bis zum Beginn eines praktisch möglichen Strafverfahrens längst Klarheit darüber herrscht, ob der Täter die an ihn gestellten Anforderungen für eine Strafaufhebung oder sonstige Privilegierung erfüllt: Der enge zeitliche Zusammenhang
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Vgl. Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 127. Zweifelnd hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 GG Haaf, Fernwirkungen, S. 260 f. 334 Vgl. hierzu § 5 B. II. und § 6 B. II. 2. b). 333
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offenbart sich insbesondere bei § 24 StGB, der Handlungen privilegiert, die noch vor der Tatvollendung erfolgen. Andere gesetzliche Regelungen zeigen auf, dass dem Gesetzgeber selbst an dem engen zeitlichen Verhältnis gelegen ist: Lässt sich ein Amtsträger einen (nicht von ihm geforderten) Vorteil versprechen oder nimmt er einen solchen an, kann er allenfalls in den Genuss des persönlichen Strafaufhebungsgrund gemäß § 331 Abs. 3 2. Var. StGB kommen, wenn er der Behörde „unverzüglich“ Anzeige erstattet.335 Selbiges gilt für Vorschriften der tätigen Reue: Etwa kann das Gericht bei einer Tat gemäß § 266a Abs. 1 StGB von Strafe absehen, wenn der Arbeitgeber „spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach“ die Einzugsstelle über Höhe und Gründe der Nichtzahlung der Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung informiert (vgl. § 266a Abs. 6 S. 1 StGB). Mithin fehlen vergleichbare Konstellationen, die zwischen Tatvollendung und Eintritt des Strafaufhebungsgrunds eine vergleichbar lange Zeit verstreichen lassen. Wiederum ist danach zu fragen, in wessen Risikosphäre die Ungewissheit über einen möglicherweise später eintretenden Strafaufhebungsgrunds fällt. Die gesetzlich statuierten Strafaufhebungsgründe und andere Vorschriften zur tätigen Reue indizieren, die Verzögerung der Risikosphäre des Täters zuzuweisen: sie verlangen vom Täter Leistungen, durch die er immerhin sein Bemühen unter Beweis stellt, zurück zur Legalität zu gelangen. Soweit der Täter die vielbeschworene goldene Brücke dadurch beschreitet, dass er die Tatvollendung aufgibt oder sich um deren Verhinderung bemüht, gewährt ihm das Gesetz Straffreiheit gemäß § 24 StGB. Genügt zur Tatvollendung bereits die Herbeiführung einer (abstrakten) Gefahr, genügt für eine strafrechtliche Privilegierung oftmals die Verhinderung einer Gefahrverschlimmerung in Form einer Gefahr- oder Schadensabwendung, teils sogar das freiwillige und ernsthafte Bemühen darum.336 Stets verlangt das Gesetz dem Täter Handlungen zur Erhaltung des geschützten Rechtsguts ab. Übertragen auf den Strafaufhebungsgrund ist überlegenswert, ob allein die Beschreitung eines Rechtsbehelfs (Widerspruch oder Anfechtungsklage), mit denen er die Aufhebung des Verwaltungsakts zumindest offenhält, eine entsprechende hinreichende Bemühung darstellt. Das überzeugt jedoch nicht. Denn Bemühungen privilegiert der Gesetzgeber nur, wenn der Täter sie zum Schutz des Rechtsguts initiiert. Anders als bei den gesetzlichen Strafaufhebungsgründen oder Vorschriften zur tätigen Reue, bemüht sich der Widerspruchsführer beziehungsweise Anfechtungskläger nicht um den Erhalt des strafrechtlich geschützten Rechtsguts, sondern ausschließlich um die Abwehr der verwaltungsrechtlichen Befolgungspflicht. Im Erfolgsfall mindert sich deswegen nicht die Strafwürdigkeit oder Strafbedürftigkeit der Tat; der Täter erhält „lediglich“ einen materiellen Fol335 Zum richtigen Verständnis der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige Leven, Genehmigung, S. 86 ff. 336 Vgl. zu den uneinheitlichen Vorschriften zur tätigen Reue die systematisierende Darstellung bei Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 23 Rn. 74 ff.
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genbeseitigungsanspruch, der die Beseitigung der strafrechtlichen Folgen mitumfasst. Bis zum Eintritt des Erfolgs trägt der Täter das Strafbarkeitsrisiko an sich aber selbst. II. Würdigung einer Aussetzungspflicht unter dem verfassungsrechtlichen Belang eines effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) Die Analyse der Risikosphären, die für eine einseitige Risikozuweisung an den Angeklagten streiten, lässt Zweifel an der Aussetzungspflicht aufkommen. Im Ergebnis überlagert jedoch die Rechtsweggarantie die einseitige Risikozuteilung zulasten des Täters. Plädiert man nach dem Modell der Risikozuweisung dafür, eine strafrechtliche Verurteilung zunächst zuzulassen und den Verurteilten im Fall der Aufhebung des Verwaltungsakts hinsichtlich seines nachträglichen Strafaufhebungsgrunds auf das Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen, erhellt, dass die Sanktionen zum Zeitpunkt des rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsprozesses schon vollzogen werden oder bereits vollzogen worden sind.337 Letztlich hängt das von der Verfahrensdauer der verwaltungsbehördlichen oder -gerichtlichen Prüfung ab, auf die der Betroffene keinerlei Einfluss hat. Zwar kann er gegebenenfalls noch immer einen Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren erreichen, doch gewährt ihm dieser keinen wirksamen Rechtsschutz gegen die Vertiefung der Rechtsverletzung in Form des Sanktionsvollzugs.338 Da der Rechtsschutz in diesem Fall nur noch von formaler Natur wäre, bliebe eine solche Lösung hinter den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zurück.339 Das anerkannte Interesse an einer durchsetzungsfähigen Verwaltung, aufgrund dessen der Eintritt unmittelbarer Vollzugsfolgen zunächst in Kauf genommen wird, kann diesen Rechtsverlust nicht aufwiegen. Denn weder die Vorschriften des materiellen Strafrechts noch diejenigen des Strafprozessrechts tragen zur Durchsetzung des materiellen Interesses bei.340 III. Prozessuale Realisierung im Wege einer Aussetzungspflicht gemäß § 262 Abs. 2 StPO Soweit ein Strafaufhebungsgrund bei Aufhebung des Verwaltungsakts überhaupt Anklang findet, befürwortet die herrschende Ansicht im Ergebnis daher zu Recht eine abwartende Haltung der Strafgerichte und plädiert für eine Ausset337
Zutreffend Haaf, Fernwirkungen, S. 260 f. Vgl. Haaf, Fernwirkungen, S. 261, der dem Wiederaufnahmeverfahren zu Recht nur noch die Funktion der Rehabilitation zuschreibt, nicht aber die eines wirksamen Rechtsschutzes. Insoweit dürfte die Entscheidung BVerfGE 21, 22 (27), überholt sein. 339 Vgl. die eingängigen Beispiele bei Haaf, Fernwirkungen, S. 260 f.; Schenke, JR 1970, 449 (454). 340 Hierzu wiederum oben § 5 B. II. und ferner § 6 B. II. 2. b). 338
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zung des Strafverfahrens gemäß § 262 Abs. 2 StPO, bis über den Fortbestand des Verwaltungsakts Klarheit herrscht.341 Zwar betrifft § 262 Abs. 2 StPO unmittelbar nur die Aussetzung zur Klärung einer zivilrechtlichen Vorfrage durch das Zivilgericht, doch ist die entsprechende Anwendung der Vorschrift auch für die Klärung von Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten anerkannt.342 Das dem Gericht durch § 262 Abs. 2 StPO eingeräumte Ermessen ist zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes auf null reduziert, sodass der Strafrichter zur Aussetzung verpflichtet ist.343 1. Kritik Vereinzelt wird die Praktikabilität der Aussetzungslösung in Zweifel gezogen.344 Zugegebenermaßen sind die mit der Aussetzungslösung verbundenen Belastungen kaum in Abrede zu stellen: Dementsprechend steht zu befürchten, dass jeder Angeklagte das Urteil über seine Tat hinauszögert, indem er rein vorsorglich die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe selbst dann in Anspruch nimmt, wenn das Verwaltungshandeln offensichtlich rechtmäßig ist.345 Dem Betroffenen, der von den ihm gesetzlich eingeräumten Rechtsbehelfen Gebrauch macht, kann das aber kaum zum rechtlichen Nachteil gereichen. Vielmehr sind die praktischen Belastungen des Strafprozesses hinzunehmen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze dies erfordern. Zumal die abwartende Aussetzungslösung die Durchführbarkeit des Strafverfahrens aufgrund der Verjährungsvorschriften nicht gänzlich in Frage stellt. Die Gefahr faktisch undurchführbarer Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren wäre bei den in Rede stehenden Straftatbeständen mit regelmäßig dreijähriger Verjährungsfrist (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB) oder Ordnungswidrigkeiten mit deutlich kürzeren Verjährungsfristen346 real, wenn die Verjäh341
So Gerhards, NJW 1978, 86 (89); Lagemann, Ungehorsam, S. 149; grundlegend auch insoweit Schenke, JR 1970, 449 (454); ders., Wolter-FS, S. 215 (238, 242); Stern, Lange-FS, S. 859 (869 f.); Wüterich, NStZ 1987, 106 (109). Vgl. auch Gornik, Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen, S. 138, die die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts als Voraussetzung der Strafbarkeit ansieht, die Prüfung hierüber aber dem Verwaltungsgericht überantwortet und deswegen ebenfalls für eine Aussetzung plädiert. 342 Zur entsprechenden Anwendung des § 262 Abs. 2 StPO auf öffentlich-rechtliche Vorfragen OLG Köln wistra 1991, 74; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 262 Rn. 11. Vgl. auch zu Vorfragen aus dem Patent- und Warenzeichengesetz RGSt 7, 146 (149); 48, 419 (422). 343 Vgl. Gerhards, NJW 1978, 86 (89), der das Rechtsstaatsprinzip anführt; treffender Schenke, JR 1970, 449 (454); Stern, Lange-FS, S. 859 (870). 344 Insbesondere Haaf, Fernwirkungen, S. 228 ff., der – hinsichtlich der von ihm als „deklaratorisch strafbewehrt“ bezeichneten Verwaltungsakten – grundsätzlich nur rechtmäßige Verwaltungsakte als strafbewehrt anerkennt und dem Strafrichter hierüber das Prüfungsrecht zuspricht (hierzu ders., Fernwirkungen, S. 254 ff.). 345 Haaf, Fernwirkungen, S. 230. 346 Etwa bei den Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten nur sechs Monate nach Erlass des Bußgeldbescheids oder der Erhebung der öffentlichen Klage, vgl. § 26 Abs. 3 StVG.
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4. Teil: Strafrechtliches Nachtatgeschehen
rungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens weiterliefe. 347 Doch darf nicht übersehen werden, dass die Verjährung bei einer Aussetzung des Strafverfahrens gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB ruht, sofern der Strafrichter sie nicht nur aus Zweckmäßigkeitserwägungen heraus anordnet, sondern dazu verpflichtet ist.348 Gerade auf eine solche Pflicht beruft sich die herrschende Meinung zu Recht, wenn sie zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes und rechtsstaatlicher Grundsätze eine Ermessensreduzierung auf null annimmt. 2. Umfassende Geltung des Beschleunigungsgrundsatzes Überlegenswert erscheint in diesem Zusammenhang, die Belastungen des Strafverfahrens durch eine umfassende Geltung des Beschleunigungsgrundsatzes immerhin abzufedern. Wartet der Strafprozess im Einzelfall das rechtskräftige Ende des Verwaltungsprozesses ab, verzögert er sich erfahrungsgemäß um mehrere Jahre.349 Damit stellt die Aussetzungslösung für den Betroffenen ein zweischneidiges Schwert dar. Einerseits verhilft ihm Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG dazu, seinen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz auch im Hinblick auf die strafrechtlichen Folgen effektiv geltend zu machen. Andererseits zieht die effektive Wahrung seiner Rechte das Strafverfahren erheblich in die Länge, wodurch das Interesse des Betroffenen an einem wirksamen Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit berührt wird.350 Im Strafverfahren ist damit unweigerlich das Beschleunigungsgebot tangiert, das gleichermaßen Ausfluss eines effektiven Rechtsschutzes ist.351 In seiner subjektiven Dimension will das Beschleunigungsgebot die mit dem Strafprozess einhergehenden Belastungen in einem erträglichen Maß für den Angeklagten halten.352 Beachtenswert ist ebenso die objektive Dimension des Beschleunigungsgebots, die zum einen der Wahrheitssicherung dient und zum anderen verhindert, dass durch unnötige Verfahrensverzögerungen die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage gestellt werden.353 Um diesen Interessen bei einer Aussetzung des Strafverfahrens gemäß § 262 Abs. 2 StPO gerecht zu werden, erscheint es naheliegend, die vom Bundesverfassungsgericht an das 347
Davon ausgehend Haaf, Fernwirkungen, S. 230. Fischer, StGB, § 78b Rn. 4a; KK-StPO/Ott, § 262 Rn. 11. 349 Laut Statistischem Bundesamt betrug die Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten bei erstinstanzlicher Verfahrensbeendigung durch Urteil im Jahr 2016 in Baden-Württemberg durchschnittlich 12,5 Monate (alle Kammern) beziehungsweise (ohne Asylkammern) 15,5 Monate (hierzu Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.4 – Rechtspflege Verwaltungsgerichte, 2017, S. 24 ff.). 350 Vgl. BVerfGE 55, 349 (369): „Wirksamer Rechtsschutz bedeutet zumal auch Rechtsschutz in angemessener Zeit“; 88, 118 (124); 93, 11 (13). 351 Vgl. BVerfGE 133, 168 (201); Liebhart, NStZ 2017, 254. 352 Liebhart, NStZ 2017, 254 (255). 353 Hierzu BVerfGE 133, 168 (201); Liebhart, NStZ 2017, 254 (255) m.w. N. 348
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Strafverfahren angelegten Maßstäbe gleichermaßen für das behördliche Widerspruchsverfahren beziehungsweise den Verwaltungsprozess gelten zu lassen. Freilich kann dem Staat dabei nicht die verstrichene Zeit dafür in Rechnung gestellt werden, dass der Betroffene von seinen prozessualen Rechten Gebrauch macht, indem er das Widerspruchsverfahren beziehungsweise den Verwaltungsprozess anstrengt, weil er damit die Aussetzung des Strafprozesses selbst verantwortet.354 Angesichts des ausgesetzten Strafprozesses, der die verwaltungsrechtliche Prüfung abwartet, sollten aber für Widerspruchsbehörden beziehungsweise Verwaltungsgerichte dieselben Maßstäbe gelten, was beispielsweise die interne Organisation, die damit zusammenhängende Überlastung von Verwaltungsbehörden und -gerichten oder etwa die zeitnahe Terminierung betrifft.355 Dadurch sind Verwaltungsgerichte und Verwaltungsbehörden angesichts des ausgesetzten Strafverfahrens zu beschleunigter Verfahrenserledigung aufgerufen. Auf diese Weise lassen sich die durch die Aussetzungslösung bedingten Belastungen des Strafprozesses teils kompensieren.
C. Prozessuale Realisierung des nachträglichen Strafaufhebungsgrunds im Wiederaufnahmeverfahren Ist das Strafverfahren trotz der vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken rechtskräftig abgeschlossen, bevor der Verwaltungsakt aufgehoben wurde, steht dem Verurteilten frei, seinen materiellen Anspruch gegen den Staat hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen im Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff. StPO, § 85 OWiG) geltend zu machen.356 Das Wiederaufnahmeverfahren ist unter entsprechender Anwendung des § 359 Nr. 5 StPO zulässig.357 Der durch die Aufhebung des Verwaltungsakts vermittelte Strafaufhebungsgrund ist zwar keine Tatsache im eigentlichen Sinn des § 359 Nr. 5 StPO, weil er kein dem Beweis zugängliches Ereignis darstellt.358 Er unterscheidet sich aber von den gewöhn354 Vgl. zum Verhalten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Beschleunigungsgrundsatz Liebhart, NStZ 2017, 254 (257). 355 Siehe zu den Vorgaben des Beschleunigungsgebots für die (strafgerichtliche) Praxis Liebhart, NStZ 2017, 254 (258). 356 Für die Möglichkeit des Wiederaufnahmeverfahrens: BVerfGE 22, 21 (27); OLG Frankfurt NJW 1967, 262; LG Berlin NStZ 2017, 121; Lagemann, Ungehorsam, S. 149; Schenke, Wolter-FS, S. 215 (238). Anders BGHSt 23, 86 (94), und diejenigen Anhänger, die dem Nachtatgeschehen jegliche Bedeutung absprechen; kritisch auch Haaf, Fernwirkungen, S. 259. 357 Das LG Berlin NStZ 2017, 121, hält den Wiederaufnahmegrund § 359 Nr. 4 StPO in entsprechender Anwendung für einschlägig, nachdem das Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt rechtskräftig aufgehoben hat. Das überzeugt nicht, weil das (vorausgegangene) strafrechtliche Urteil weder auf einem zivilgerichtlichen noch auf irgendeinem anderen Urteil gründet. 358 Zum Tatsachenbegriff BeckOK-StPO/Singelnstein, § 359 Rn. 20.
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lichen Rechtstatsachen, die § 359 Nr. 5 StPO grundsätzlich nicht unterliegen.359 Auf diese Weise sperrt das Gesetz zum einen Rechtsanwendungsfehler vom Wiederaufnahmeverfahren aus, weil nach der Wertung des historischen Gesetzgebers Verstöße gegen einfaches Recht die Rechtskraft nicht in Frage stellen.360 Ein solcher liegt aber mit dem Strafaufhebungsgrund nicht vor, weil zur Zeit des Urteils kein Strafaufhebungsgrund gegeben war. Zum anderen scheidet die Geltendmachung von nachträglichen Gesetzesänderungen aus, was allein daraus erhellt, dass sich kein Urteil auf zukünftiges Recht stützen kann.361 Aber auch hiervon unterscheidet sich der nachträgliche Strafaufhebungsgrund, weil er zwar erst durch die verwaltungsgerichtliche beziehungsweise -behördliche Aufhebung dem Anspruchsinhaber zur Geltendmachung gereicht, aber bereits in dem rechtswidrigen Verwaltungsakt zur Zeit der strafbewehrten Zuwiderhandlung begründet liegt. In diesem Zusammenspiel erweist sich der nachträgliche Strafaufhebungsgrund als den Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO näher, die ebenfalls bereits im Tatzeitpunkt vorliegen, aber erst im Wiederaufnahmeverfahren beigebracht werden. Verurteilte das Strafgericht, ohne dass es den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen beziehungsweise -behördliche Verfahren abwartet, handelt es sich bei der Aufhebung des Verwaltungsakts auch um eine neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO.362 Zwar ist im Einzelfall möglich, dass dem Strafrichter die zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führenden Tatsachen bereits im Strafprozess bekannt sind.363 Darauf kommt es aber nicht an, denn die in Rede stehende „neue Tatsache“ ist die Aufhebung des Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht. Der Strafrichter war zuvor an die Wirksamkeit des Verwaltungsakts gebunden, weshalb ein Freispruch von vornherein nicht in Betracht kam.364
D. Ergebnis Der durch die Aufhebung des Verwaltungsakts hervorgerufene Strafaufhebungsgrund ist prozessual durch die Aussetzung des Strafverfahrens gemäß § 262 Abs. 2 StPO zu realisieren. Zwar sprechen der Folgenbeseitigungsanspruch als Staatshaftungsinstrument und der daraus entspringende Strafaufhebungsgrund dem Grunde nach dafür, dem Täter das Risiko des (gegebenenfalls) später eintretenden Strafaufhebungsgrunds aufzubürden. Diese einseitige Risiko359
Hierzu BeckOK-StPO/Singelnstein, § 359 Rn. 22. Eingehend zu den Rechtsanwendungsfehlern (wenngleich nicht unkritisch) Greco, Strafprozesstheorie, S. 926 ff. 361 Greco, Strafprozesstheorie, S. 933 ff. 362 Schenke, Wolter-FS, S. 215 (238 f.); ablehnend Haaf, Fernwirkungen, S. 259 („entgegen dem Gesetzeswortlaut“). 363 Vgl. Haaf, Fernwirkungen, S. 259. 364 Vgl. Schenke, Wolter-FS, S. 215 (239). 360
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zuweisung wird aber einem effektiven Rechtsschutz im Fall eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens oder Verwaltungsprozesses nicht gerecht. Bis der Verwaltungsakt in Bestandskraft erwächst, ist der Strafrichter daher verpflichtet, das Strafverfahren auszusetzen. Heben Ausgangsbehörde, Widerspruchsbehörde oder Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt auf, entsteht dem Angeklagten ein Strafaufhebungsgrund, infolgedessen er freizusprechen ist. Weist die Widerspruchsbehörde den Widerspruch zurück und wird der Verwaltungsakt daraufhin bestandskräftig oder weisen die Verwaltungsgerichte die Anfechtungsklage rechtskräftig ab, erfolgt die Verurteilung des Angeklagten. Schließt ein Strafgericht das Strafverfahren (unter Verkennung von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) rechtskräftig ab, während das Widerspruchsverfahren beziehungsweise das verwaltungsprozessuale Verfahren noch läuft, kann der Verurteilte im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens einen Freispruch erlangen, sofern der Verwaltungsakt aufgehoben wird.
Fünfter Teil
Verwaltungsentscheidungsakzessorietät im europäischen und internationalen Kontext § 12 Transnationale, europäische und sonstige ausländische Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht Transnationalen, europäischen und sonstigen ausländischen Verwaltungsentscheidungen wurde im Strafrecht bislang nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Wenngleich dies mit ihrer zögerlichen Entwicklung und Bedeutung zu tun haben mag, wäre das Strafrecht vor dem Hintergrund fortschreitender unionaler beziehungsweise internationaler Kooperationen schlecht beraten, dem mit bloßer Gleichgültigkeit zu begegnen. Zum Abschluss dieser Arbeit soll daher ein Ausblick auf die Verwaltungsentscheidungsakzessorietät im europäischen und internationalen Kontext gegeben und skizziert werden, wie sich die für rein nationale Sachverhalte gefundenen Ergebnisse auf sie übertragen lassen. Im Ausgangspunkt lassen sich dabei drei Typen unterscheiden. Erstens: Transnationale Verwaltungsentscheidungen, die national erlassen werden, aber transnational wirken. Zweitens: Europäische Verwaltungsentscheidungen, die von unionseigenen Behörden erlassen werden. Drittens: Sonstige ausländische Verwaltungsentscheidungen, die national erlassen werden und faktisch grenzüberschreitend wirken, aber nicht den transnationalen Verwaltungsentscheidungen angehören. Da sich die Untersuchung auf deutsche Strafnormen beschränkt, ist insbesondere von Interesse, auf welche Weise ausländische Verwaltungsentscheidungen in die deutsche Strafrechtsordnung hineinwirken. Bewusst ist insoweit (vorsichtig) von „Verwaltungsentscheidungen“ die Rede, weil der Verwaltungsakt ein Institut des deutschen Verwaltungsrechts ist, von dem sich ausländische Verwaltungsentscheidungen zumindest in Nuancen unterscheiden.1 Wenngleich sich insbesondere die Begrifflichkeit des transnationalen „Verwaltungsakts“ in der (deutschen) Verwaltungsrechtswissenschaft verfestigt hat, darf nicht übersehen werden, dass entsprechende ausländische Behördenentscheidungen jedenfalls keine Verwaltungsakte im Sinne des § 35 VwVfG sind, was bereits der Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes nahelegt, indem er sich auf die
1 Vgl. zum konzeptionellen Problem einer Begriffsbildung zum „transnationalen Verwaltungsakt“ Ruffert, Verw 2001, 453 (455 ff.).
§ 12 Transnationale Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht
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Tätigkeit deutscher Behörden beschränkt (vgl. § 1 VwVfG).2 Treffender ist es daher, von transnationalen Verwaltungsentscheidungen zu sprechen.3 Gleiches gilt für europäische und sonstige Verwaltungsentscheidungen.
A. Transnationale Verwaltungsentscheidungen Mit den zunehmend grenzüberschreitenden Herausforderungen sowie den immerwährenden Fortschritten bei unionalen und darüber hinausreichenden Verwaltungskooperation gewinnen ausländische Behördenentscheidungen zunehmend an Bedeutung.4 Die transnationale Verwaltungsentscheidung ist als Bestandteil eines grenzüberschreitenden Verwaltungsmanagements eine zwingende Folge von Verwaltungsvorgängen zwischen Staaten, die ihre Souveränität bezüglich Verwaltung und Durchführung von Gesetzen nicht auf eigenständige (Verwaltungs-)Institutionen übertragen haben; auf unionsrechtlicher Ebene ist das dem indirekten Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten geschuldet.5 Entsprechend werden national ins Werk gesetzte Behördenentscheidungen in ihrer räumlichen Wirkungskraft entfesselt und für die unionale oder internationale Bühne verkehrsfähig gemacht.6 Im Ausgangspunkt sind sowohl Verwaltungsakte deutscher Behörden, denen eine Wirkung im Ausland zukommt, als auch Verwaltungsentscheidungen ausländischer Behörden denkbar, welche in die deutsche Rechtsordnung hineinwirken. Letztere sind für die strafrechtliche Betrachtung von besonderem Interesse, weil sich deren (transnationale) Wirkungen in der deutschen Rechtsordnung und damit auch innerhalb der nationalen (deutschen) Strafrechtsordnung niederschlagen. I. Definition und Erscheinungsformen im Strafrecht Nach der Definition Rufferts handelt es sich bei der transnationalen Verwaltungsentscheidung um eine behördliche Einzelfallentscheidung, die auf eine Rechtswirkung im Ausland gerichtet ist.7 Da die transnationale Verwaltungsent2
Ruffert, Verw 2001, 453 (470). Zutreffend (bezüglich der transnationalen Verwaltungsentscheidung) Sydow, JuS 2005, 202 (204); zustimmend Schladebach, VerwArch 2013, 188 (205). 4 Zu diesem Befund bereits Bleckmann, JZ 1985, 1072; Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 71; Schmidt-Aßmann, DVBl 1993, 924 (935 f.). 5 Vgl. zum Regelfall des indirekten Vollzugs des Unionsrechts Badura, in: Kitagawa/ Murakami/Nörr/Oppermann/Shiono, Herausforderung, S. 149 (157): „Die europäische Integration verändert die Aufgaben und Gegenstände der öffentlichen Verwaltung, sie läßt aber die Verfügung der Mitgliedstaaten über die Verwaltungsorganisation, das Verwaltungsverfahren und den öffentlichen Dienst im großen und ganzen unberührt.“ Vgl. im Weiteren Ruffert, Verw 2001, 453 (470); Schmidt-Aßmann, DVBl 1993, 924 (927); Schwarze, in: Schwarze, Verwaltungsrecht, S. 789 (791); Sydow, JuS 2005, 202 (204). 6 So einprägsam Schwarze, in: Schwarze, Verwaltungsrecht, S. 55 (56). 7 Ruffert, Verw 2001, 453 (469): „Der transnationale Verwaltungsakt läßt sich definieren als behördliche Einzelfallentscheidung, die darauf gerichtet ist, im Ausland 3
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
scheidung in ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung eine relativ junge Erscheinung darstellt, ist es zum Verständnis sinnvoll, die unterschiedlichen Formen transnationaler Verwaltungsakte aufzuzeigen. Anhand dieser Präsentation sollen die strafrechtlichen Implikationen kurz aufgezeigt werden. Folgt man auch diesbezüglich Rufferts Typologie, kann zwischen wirkungsbezogener, adressatenbezogener und behördenbezogener Transnationalität unterschieden werden.8 1. Wirkungsbezogene Transnationalität von Verwaltungsakten im Strafrecht Die Verwaltungsentscheidung verdankt ihre wirkungsbezogene Transnationalität ihren Rechtswirkungen, die sich nicht auf das Gebiet des Ausstellerstaates beschränken, sondern auch außerhalb der Staatsgrenzen Geltung beanspruchen.9 Der wirkungsbezogenen Transnationalität von Verwaltungsakten ist die Selbstverständlichkeit zu verdanken, mit der Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis ein Fahrzeug in vielen Teilen der Welt führen können, ohne strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen.10 Spiegelbildlich gilt das für ausländische Kfz-Führer, die mit einer Fahrerlaubnis eines anderen Landes ein Fahrzeug in Deutschland führen können, ohne sich gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar zu machen. Die ausländische Fahrerlaubnis legalisiert das Fahren im Inland, wobei es keiner zusätzlichen Bestätigung durch eine deutsche Behörde bedarf. Gleiches gilt für die zunächst völkerrechtlich initiierte Vereinheitlichung des Visumsregimes (Schengen), welches, beginnend mit dem Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag), nach und nach in das europäische Sekundärrecht überführt wurde.11 Entsprechend gelten durch einen Mitgliedsstaat erteilte Aufenthaltstitel, die die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet genehmigen, auch in anderen Mitgliedsstaaten. Infolgedessen können entsprechende Verwaltungsentscheidungen anderer Mitgliedsstaaten Auswirkungen auf das deutsche Aufenthaltsrecht haben und die gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG unter Strafe stehende unerlaubte Einreise legalisieren.12
Rechtswirkungen zu erzeugen, indem entweder allein die Rechtswirkungen im Ausland eintreten sollen, sich der Adressat jenseits der Staatsgrenze aufhält oder die Behörde diese Grenze physisch überschreitet.“ 8 Ruffert, Verw 2001, 453 (457 ff.); dem ebenso folgend Kemper, NuR 2012, 751 (755). 9 Ruffert, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 21 Rn. 71; ders., Verw 2001, 453 (457 ff.). 10 Vgl. hierzu Ruffert, Verw 2001, 453 (457 f.). 11 Zur Entwicklung siehe Winkelmann, ZAR 2010, 213. 12 So etwa in dem BGHSt 57, 239, zugrunde liegenden Fall; vgl. auch Heinrich, ZAR 2005, 309 (311 f.); Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137 (2138).
§ 12 Transnationale Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht
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2. Adressatenbezogene Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht Bei adressatenbezogenen transnationalen Verwaltungsakten rührt die Transnationalität aus der Tatsache, dass sich die erlassende Behörde und deren Adressat in unterschiedlichen Staaten befinden.13 Durch grenzüberschreitende Verfahrensregelungen können Genehmigungen durch transnationale Verwaltungsentscheidungen erteilt werden, die hinsichtlich des strafrechtlichen Schutzes der behördlichen Zugangskontrolle Relevanz entfalten können. Die adressatenbezogene Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht offenbart sich im Rahmen des § 326 Abs. 2 StGB. Hiernach wird unter anderem bestraft, wer Abfälle ohne die erforderliche Genehmigung in den, aus dem oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt. Deutlicher als heute stach die adressatenbezogene Transnationalität unter Geltung der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 01.02.1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen und des darin ausgestalteten Notifizierungsverfahrens hervor.14 Demgemäß erteilte die Behörde des Bestimmungsorts als „Herrin des Verfahrens“ die Genehmigung zur Verbringung der Abfälle – grenzüberschreitend – gegenüber dem Antragsteller am Versandstaat und berücksichtigte hierbei mögliche Einwände der Behörden am Versandort und den Durchführungsorten.15 Dieses Notifizierungsverfahren ist durch die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und Rats vom 14.06.2006 dahingehend geändert worden, als nunmehr jede Behörde ihre Zustimmung erteilen muss. Damit ist zwar die vom Bestimmungsort herrührende Genehmigung nicht mehr alleingültig. Gleichwohl bleibt die adressatenbezogene Transnationalität erhalten, da nach dem Einstimmigkeitsprinzip verfahren wird, mit der Folge, dass aufgrund der Beanstandung einer einzigen Behörde die Genehmigung versagt wird und damit der Verbringungsvorgang unterbleiben muss.16 Auch insoweit entfaltet die Einzelfallentscheidung einer (ausländischen) mitgliedsstaatlichen Behörde strafrechtliche Relevanz.17
13
Ruffert, Verw 2001, 453 (464 ff.). Vgl. zur Verordnung (EWG) Nr. 259/93 Ruffert, Verw 2001, 453 (464 ff.); zu den Änderungen durch Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und Rates vom 14.06.2006 über die Verbringung von Abfällen (VVA) Dieckmann, ZUR 2006, 561. 15 Hierzu Dieckmann, ZUR 2006, 561 (564); Ruffert, Verw 2001, 453, 464. 16 Hierzu Heine, in: BKA, Abfallwirtschaftskriminalität, S. 251, 270 ff.; vgl. auch Dieckmann, ZUR 2006, 561 (564). 17 MüKo-StGB/Alt, § 326 Rn. 89; Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 326 Rn. 12e; NKStGB/Ransiek, § 326 Rn. 57. 14
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
3. Behördenbezogene Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht Weniger von strafrechtlichem Interesse ist die behördenbezogene Transnationalität, wobei die Behörde selbst die Staatsgrenze überschreitet und auf fremdem Hoheitsgebiet ihre Verwaltungsentscheidung erlässt.18 Bei den höchst seltenen Befugnissen zur hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung auf fremdem Staatsterritorium sind bislang keine Fälle ersichtlich, bei denen eine behördenbezogene Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen Relevanz für das Strafrecht entfaltet. Etwa sichern sich die Vertragsparteien im Schengener Durchführungsübereinkommun (SDÜ) ausweislich Art. 39 Abs. 1 SDÜ eine gegenseitige Hilfeleistung nicht nur im Interesse der Aufklärung von strafbaren Handlungen, sondern vielmehr auch zur vorbeugenden – also präventiven – Bekämpfung von strafbaren Handlungen zu, sodass entsprechende transnationale Verwaltungsentscheidungen immerhin möglich erscheinen. Im Ergebnis beschränken sich die konkreten Maßnahmen aber weitgehend auf strafprozessuale Ermittlungstätigkeiten.19 Auch der deutsch-schweizerische Polizeivertrag vom 27.04.199920 sieht präventiv-polizeiliche Maßnahmen und damit Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vor, die gegebenenfalls durch konkretisierende behördliche Einzelfallentscheidung realisiert werden.21 Doch sind Straftatbestände, welche eine entsprechende Zuwiderhandlung mit Strafe bedrohen, nicht ersichtlich. Bedenkenswert sind die damit einhergehenden Folgen für eine Strafbarkeit gemäß § 113 StGB,22 wobei es jedoch mehr auf die faktische Vollzugshandlung als auf den dahinter stehenden Verwaltungsakt ankommt, weshalb hierauf nicht näher eingegangen werden soll. Auch im Rahmen der europäischen Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht sind behördenbezogene transnationale Verwaltungsentscheidungen denkbar. Entsprechend dem hierbei geltenden Herkunftsprinzip wachen die zuständigen Aufsichtsbehörden auch über Zweigstellen eines ihrer Kontrolle unterliegenden Instituts im europäischen Ausland.23 Insoweit steht es den Aufsichtsbehörden auch zu, die Zweigstellen im europäischen Ausland aufzusuchen (sog. Vor-OrtPrüfung) und Zwangsmaßnahmen zu erlassen.24 Doch auch diesbezüglich sind bislang keine deutschen Strafvorschriften ersichtlich, die eine Zuwiderhandlung 18
Ruffert, Verw 2001, 453 (466 ff.). Ruffert, Verw 2001, 453 (467). 20 Hierzu Cremer, ZaöRV 2000, 103; Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 5 Rn. 77 ff. 21 Vgl. zu präventiv-polizeilichen Maßnahmen auf dieser Grundlage Cremer, ZaöRV 2000, 103 (107 [Nacheile], 108 [Observation], 110 f. [verdeckte Ermittlung]); auch Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 5 Rn. 84, 93, 102; mit Blick auf den transnationalen Verwaltungsakt Ruffert, Verw 2001, 453 (467 f.). 22 Dazu jüngst Lenk, GA 2019, 455. 23 Vgl. Ruffert, Verw 2001, 453, 469. 24 Vgl. Ruffert, Verw 2001, 453, 469. 19
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gegen eine entsprechende ausländische Verwaltungsentscheidung unter Strafe stellen. Die Entwicklung der behördenbezogenen Transnationalität von Verwaltungsentscheidungen und deren strafrechtliche Bedeutung hängen insoweit von weiteren politischen Integrationsmaßnahmen ab. II. Geltungsanspruch transnationaler Verwaltungsentscheidungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung und rechtlicher Bewertungsmaßstab Als Teilaspekte der transnationalen Verwaltungsentscheidung mit erhöhter strafrechtlicher Relevanz haben sich die wirkungsbezogene Transnationalität, bei der die Rechtswirkungen die Grenzen überschreiten, und die adressatenbezogene Transnationalität, bei der die Behörde ihre Entscheidung gegenüber einem nicht im Erlassstaat befindlichen Adressaten erlässt, erwiesen. Für das Strafrecht ergeben sich aus dieser Differenzierung kaum Unterschiede, da es immer um die Frage geht, inwieweit der transnationale Verwaltungsakt für den Straftatbestand bedeutsam ist. Wenn deutsche Straftatbestände beispielsweise ungenehmigte Verhaltensweisen unter Strafe stellen, sieht sich das Strafrecht aufgrund der unionsrechtlichen Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens unter Fortgeltung der jeweils nationalen Verwaltungsverfahrensregelungen der Tatsache ausländischer Genehmigungsakte ausgesetzt, wobei es weniger darauf ankommt, ob der Regelungsgehalt grenzüberschreitend wirkt oder die Verwaltungsentscheidung grenzüberschreitend erlassen wird. Vielmehr ist von Bedeutung, auf welcher Grundlage die ausländische Verwaltungsentscheidung in die deutsche (Straf-)Rechtsordnung hineinwirkt, um ihre Legalisierungswirkung auf die strafbewehrten Pflichten ausstrahlen zu können. Wenn hinsichtlich deutscher verwaltungsaktakzessorischer Straftatbestände festgestellt wurde, dass sie ihre Legalisierungswirkung aus der verwaltungsverfahrensrechtlichen Wirksamkeit ableiten, ist hinsichtlich der transnationalen Verwaltungsentscheidungen in einem ersten Schritt danach zu fragen, auf welcher Grundlage sie überhaupt Geltung auf dem Gebiet der Bundesrepublik beanspruchen und somit auch in die deutsche (Straf-)Rechtsordnung hineinwirken. Erst in einem zweiten Schritt sind die rechtlichen Anforderungen zu erörtern, wobei für deutsche Verwaltungsakte festgestellt wurde, dass es für den Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG im strafrechtlichen Kontext maßgeblich auf seine Wirksamkeit und nicht auf seine Rechtmäßigkeit ankommt (vgl. § 43 VwVfG). Nur der nach Maßgabe des § 44 VwVfG nichtige Verwaltungsakt kann im Strafrecht keine Wirkung entfalten. Transnationale, ausländische Verwaltungsentscheidungen bedürfen allein deswegen einer eigenständigen Behandlung, da die Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts und sodann auch die Normen zur (rechtmäßigkeitsunabhängigen) Wirksamkeit (vgl. § 43 VwVfG) und Nichtigkeit (vgl. § 44 VwVfG) ausweislich der gesetzlichen Regelung in § 1 VwVfG nur für die Ver-
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waltungstätigkeiten deutscher Behörden gelten.25 Folglich ist im Weiteren zu erörtern, welcher rechtliche Bewertungsmaßstab an eine transnationale Verwaltungsentscheidung anzulegen ist. 1. Geltungsanspruch transnationaler Verwaltungsentscheidungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung Im Ausgangspunkt ist mit dem völkerrechtlich verankerten Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten davon auszugehen, dass kein Staat verpflichtet ist, Hoheitsakte fremder Staaten (Gesetze, Gerichtsurteile, Verwaltungsentscheidungen, etc.) anzuerkennen.26 Daher bedarf der fremde Hoheitsakt, will er über die Grenze seines Ausstellerstaats hinaus Geltung beanspruchen, stets eines vom Bestimmungsstaat herrührenden Anwendungsbefehls, welcher ihm diese Wirkung zugesteht.27 Um den Geltungsgrund transnationaler Behördenentscheidungen im Unionsrecht wird gestritten. Während die eine Ansicht streng am Anwendungsbefehl durch den Staat des Wirkungsorts festhalten möchte,28 überwinden andere diesen Grundsatz bei der Durchführung von Unionsrecht, indem sie die transnationale Wirkung als Ausdruck der Hoheitsgewalt des Erlassstaates einordnen, die die Verwaltungsentscheidung von vornherein in sich trägt.29 Letztere Ansicht sieht sich jedoch zu Recht erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.30 Zwar sieht das Grundgesetz eine Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Europäische Union (vgl. Art. 23 GG), zwischenstaatliche (Art. 24 GG) und grenznachbarliche Einrichtungen (Art. 24a GG), nicht aber auf andere Staaten vor,31 wie es hierfür notwendige Voraussetzung wäre. Des Weiteren vermag allein die 25
Vgl. insoweit nochmals Ruffert, Verw 2001, 453 (477). Hierzu Bleckmann, JZ 1985, 1072 (1073); Schwarze, in: Schwarze, Verwaltungsrecht, S. 123 (135). 27 Vgl. Becker, DVBl 2001, 855 (860); hierzu und einem weiteren möglichen Modell, wonach der fremde Hoheitsakt ins eigene Recht transformiert wird, Bleckmann, JZ 1985, 1072 (1073); Kemper, NuR 2012, 751 (753); so im Ausgangspunkt auch Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 10 ff. 28 Becker, DVBl 2001, 855 (860); Koch, Wirkung, S. 134; Sydow, JuS 2002 (205). 29 Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 22 ff., 79 ff.; ders., NVwZ 1995, 863 (865); wohl auch Schmidt-Aßmann, DVBl 1993, 924 (935): „Sein Geltungsgrund mag dem supranationalen Recht entstammen, an dessen Schaffung die mitgliedstaatlichen Exekutiven immerhin beteiligt sind. Seinem Entscheidungsgehalt nach ist ein solcher Verwaltungsakt jedoch Ausdruck der Hoheitsgewalt eines fremden Staates [. . .]“; Schwarze, in: Schwarze, Verwaltungsrecht, S. 123 (136). 30 Becker, DVBl 2001, 855 (858); Koch, Wirkung, S. 132. 31 So jedenfalls die ganz überwiegende Meinung: vgl. BVerfGE 68, 1 (91); Becker, DVBl 2001, 855 (858); v. Coelln, in: Isensee/Kirchhof, Hdb. StaatsR XI, § 239 Rn. 73; Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 24 Rn. 7; Koch, Wirkung, S. 132; anders Rauser, Übertragung von Hoheitsrechten, S. 246 ff., unter dem Leitgedanken eines „kooperativen Verfassungsstaats“. 26
§ 12 Transnationale Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht
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Rechtsordnung des Erlassstaats ihre territoriale Begrenztheit nicht zu überwinden.32 Richtigerweise kann die ausländische Behördenentscheidung im Inland daher nur Geltung für sich beanspruchen, wenn sie sich hierfür auf eine normative Grundlage stützen kann. Diese ist entweder in unmittelbar geltenden EUVerordnungen (vgl. Art. 288 UA 2 AEUV) oder aber nationalen Bestimmungen zu finden.33 Bei der Frage, ob auch eine EU-Richtlinie als normative Grundlage dienen kann, ist zu differenzieren:34 Grundsätzlich gilt, dass Richtlinien nur die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichenden Ziele binden und ihnen dabei Wahl und Form der Mittel überlassen (vgl. Art. 288 UA 3 AEUV). Folglich vermag die Richtlinie mangels ihrer unmittelbaren Geltung im Mitgliedsstaat grundsätzlich keinen Anwendungsbefehl für das nationale Recht auszusprechen.35 Anderes gilt nur, sofern der Richtlinie ausnahmsweise unmittelbare Geltung zukommt, was nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Fall ist, wenn begünstigende Richtlinienbestimmungen ihrem Inhalt nach unbedingt und hinreichend bestimmt sind und nicht fristgerecht oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umgesetzt wurden.36 Sodann vermittelt die Richtlinie dem Einzelnen eine begünstigende Rechtsposition, wie sie ihm in materieller Hinsicht bei fristgerechter und fehlerfreier Umsetzung zuteil geworden wäre.37 32
Sydow, Verwaltungskooperation, S. 143. Sydow, JuS 2005, 202 (204); ders., Verwaltungskooperation, S. 144 ff., jeweils mit Beispielen zu Bestimmungen in EU-Verordnungen und Umsetzungsakten im nationalen Recht; so im Ausgangspunkt auch Schwarz, in: Verwaltungsrechtsraum Europa, 51. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 55 (74). Siehe zu den entsprechenden Bestimmungen im Straßenverkehrs- und Aufenthaltsrecht unten § 12 A. III. 34 Schwarz, in: Verwaltungsrechtsraum Europa, 51. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 55 (60, 74 f.); ebenso Sydow, Verwaltungskooperation, S. 146 f., der zunächst den Eindruck erweckt, ausgehend von Art. 288 AEUV (damals Art. 249 EGV) der Richtlinie eine das Territorialitätsprinzip überwindende Wirkung gänzlich abzusprechen, da ihr andernfalls eine Direktwirkung zugeschrieben würde, die ihr primärrechtlich nicht zukommt. Schließlich stellt er aber klar, dass hiervon Ausnahmen zu machen sind (Sydow, a. a. O., S. 147 mit Fn. 37); wohl auch Müller, in: Verwaltungsrechtsraum Europa, 51. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 33 (42), am Beispiel der Richtlinie 80/777/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern. 35 So auch Schwarz, in: Verwaltungsrechtsraum Europa, 51. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 55 (60); Sydow, Verwaltungskooperation, S. 146 f. Anders freilich Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 18 f., der den transnationalen Verwaltungsakt als Rechtsinstitut des Richtlinienrechts anerkennt; so auch ders., NVwZ 1995, 863 (864). 36 St. Rspr. EuGH NJW 1982, 499 (Ls.); NJW 2004, 3547 (3548 f.); EuZW 2012, 37 (40); gebilligt durch BVerfGE 75, 223 (240 ff.); hierzu auch Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 4 Rn. 53. 37 Vgl. Schwarz, in: Verwaltungsrechtsraum Europa, 51. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 55 (76 f.). 33
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Völkerrechtliche Verträge hingegen begründen ausschließlich Rechte und Pflichten im völkerrechtlichen Verhältnis der Staaten untereinander. Sie bedürfen daher stets einer Umsetzung in das innerstaatliche Recht. Erst dann und nur auf diese Weise können sie Rechte und Pflichten des Einzelnen begründen.38 Für die Anerkennung diesbezüglicher transnationaler Verwaltungsentscheidungen bedarf es deshalb immer eines Anwendungsbefehls im nationalen Recht. 2. Verfahrensrecht des Erlassstaates als grundsätzlicher Maßstab für transnationale Verwaltungsentscheidungen Nachdem feststeht, woraus ausländische Behördenentscheidungen und mithin transnationale Verwaltungsentscheidungen im Inland ihren Geltungsanspruch herleiten, steht des Weiteren in Frage, ob an die ausländische Behördenentscheidung der rechtliche Bewertungsmaßstab des Erlass- oder des Wirkungsstaats anzulegen ist.39 Zunächst kann kein Zweifel daran bestehen, dass die ausländische Behörde, welche die Entscheidung trifft, nur an das jeweils für sie geltende Recht gebunden ist und dieses zu beachten hat. Fraglich aber ist, ob die Rechtmäßigkeit bei der Geltung im Wirkungsstaat durch dessen Rechtsordnung beeinflusst wird. Wäre dem so, liefe der hinter der Anerkennung ausländischer Behördenentscheidungen stehende Zweck einer Vereinheitlichung und Erleichterung des grenzüberschreitenden Verkehrs, welcher mit den völker- oder unionsrechtlichen Regeln angestrebt wird, weitestgehend leer, da wiederum die Rechtsordnung eines jeden Staates zu beachten wäre.40 Daher bemisst sich die Rechtmäßigkeit transnationaler Verwaltungsakte ausschließlich nach dem Recht des Erlassstaats.41 Aus demselben Grund stehen den Behörden des Wirkungsstaats weder eine Rechtmäßigkeitskontroll- noch eine Verwerfungskompetenz über die ausländische Behördenentscheidung zu.42 Für transnationale Verwaltungsentscheidungen, die strafrechtliche Relevanz entfalten, folgt mithin bereits aus dieser Bindung, dass es auf die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung nicht ankommen kann. Begrüßenswert ist der daraus hervorgehende Gleichlauf im Zusammenhang mit den deutschen Verwaltungsakten, die im Grundsatz ihre Legalisierungs38
Vgl. BVerfGE 46, 342 (362, 403). Vgl. Ruffert, Verw 2001, 453 (473), stellt insoweit zunächst fest, dass es ein „Internationales Verwaltungsrecht“ für die Frage nach dem anwendbaren Recht nicht gibt. 40 Vgl. Kemper, NuR 2012, 751 (753); Neßler, NVwZ 1995, 863 (865); Sydow, JuS 2005, 202 (205). 41 Kemper, NuR 2012, 751 (753); Koch, Wirkung, S. 131; Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 29 f.; ders., NVwZ 1995, 863 (865); Peine, JA 2004, 417 (422); Ruffert, Verw 2001, 453 (474); Schladebach, VerwArch 2013, 188 (205); Schmidt-Aßmann, DVBl 1993, 924 (935 f.); Sydow, JuS 2005, 202 (205); ders., Verwaltungskooperation, S. 148. 42 Becker, DVBl 2001, 855 (861); Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 31; ders., NVwZ 1995, 863 (865); Peine, JA 2004, 417 (423); Ruffert, Verw 2001, 453 (474); Sydow, JuS 2005, 202 (204); ders., Verwaltungskooperation, S. 148. 39
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wirkung auch ausschließlich aus der verfahrensrechtlichen Wirksamkeit beziehen.43 Daraus folgt, dass ausschließlich der zuständigen Behörde des Erlassstaats die Kompetenz zukommt, die transnational wirkende Verwaltungsentscheidung mit Wirkung für die übrigen Gebietsstaaten aufzuheben.44 Damit die Behörden des Wirkungsstaats entsprechenden ausländischen Behördenentscheidung nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, räumen ihnen die rechtlichen Vorgaben regelmäßig Notstands- beziehungsweise Schutzklauseln ein, mithilfe derer sie die transnationale Wirkung – aber nur für das eigene Staatsgebiet – einstweilen aufheben können.45 Bei dieser Suspensionsentscheidung wenden die Behörden (wie gewöhnlich) das für sie geltende nationale Recht an.46 Problematisch erscheint letztlich, inwieweit – nach jeweils nationalem Recht – nichtigen Behördenentscheidungen eine transnationale Wirkung zukommt und sie in der Folge im Ausland zu beachten sind. Das erfährt vereinzelt Beifall, da ansonsten das Verbot einer erneuten Rechtmäßigkeitsprüfung durch die Institutionen des Wirkungsstaats im Fall der Nichtigkeit unterlaufen würde, die sich nur im Maße, nicht aber der Art der Rechtsverletzung von der bloßen Rechtswidrigkeit unterscheidet.47 Dem Strafrechtler dürfte diese Art der Argumentation nicht neu sein. Vielmehr muss er sich bereits auf nationaler Ebene mit der Frage auseinandersetzen, warum der Verwaltungsakt vom Strafrichter auf seine Nichtigkeit, nicht aber auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden darf.48 Hier wie dort ist bei der Diskussion das Ergebnis vorzugswürdig, welches eine Nichtigkeitsprüfung durch die jeweils zuständige staatliche Institution bejaht. Andernfalls führte das zu der skurrilen Rechtslage, dass eine im Erlassstaat nichtige Verwaltungs43 Der häufig postulierte Grundsatz, rechtswidrige Verwaltungsakte hätten keine transnationale Wirkung (so zu finden bei Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 31, und ders., NVwZ 1995, 863 [865], der ihn aber richtigstellt; Peine, JA 2004, 417 [423]), ist demnach nicht nur in der Praxis bedeutungslos, weil ein dahingehendes Prüfungs- und Verwerfungsrecht des Wirkungsstaats ohnehin nicht besteht, sondern dogmatisch verfehlt. Bereits anhand des im Ausland wirkenden (transnationalen) deutschen Verwaltungsakts lässt sich unschwer nachweisen, dass dem nicht so ist. Da sich der Verwaltungsakt nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht bemisst, ist der rechtswidrige Verwaltungsakt gleichsam wirksam (vgl. § 43 VwVfG) und entfaltet daher transnationale Wirkung. Folglich gibt es einen solchen Grundsatz nicht. Vielmehr ist für jeden Einzelfall anhand der ausländischen Rechtsordnung zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt der (ausländischen) Behördenentscheidung Wirksamkeit zukommt. 44 Vgl. Sydow, Verwaltungskooperation, S. 153; ders., JuS 2005, 202 (205). 45 Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 41, am Beispiel des Produktsicherheitsrechts; Sydow, JuS 2005, 202 (205), mit Beispielen aus dem Bankenaufsichtsrecht. 46 Dazu eingehend und mit Beispielen Sydow, Verwaltungskooperation, S. 155 ff. 47 So Ruffert, Verw 2001, 453 (475), der Ausnahmefälle nur unter engsten Voraussetzungen akzeptieren will, etwa bei tatsächlich unausführbaren oder sittenwidrigen Verwaltungsakten. 48 Vgl. oben § 6 A. III. 1.
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entscheidung im Wirkungsstaat wirksam wäre. Da die Rechtslagen im Erlassund Wirkungsstaat auseinanderfielen, widerspräche das Ergebnis dem Zweck transnationaler Verwaltungsentscheidungen nach einer einheitlichen Rechtslage in den Vertragsstaaten.49 Zum anderen ist rechtstheoretisch nicht erklärbar, an welche Regelung der Anwendungsbefehl der ausländischen Rechtsordnung anknüpfen soll, wenn diese nichtig ist. Der deutsche Strafrichter darf folglich nachprüfen, ob die (transnationale) Verwaltungsentscheidung aufgrund des ausländischen Verwaltungsverfahrensrechts wirksam und nicht nichtig ist. 3. Vereinheitlichung des Verfahrensrechts durch unions- beziehungsweise völkerrechtliche Vorgaben In der Praxis und insbesondere beim indirekten Vollzug von Unionsrecht wird die reine Bezugnahme auf ausländisches Verwaltungsrecht teilweise durch unions- oder völkerrechtliche Vorgaben abgemildert.50 Oftmals enthalten die fachrechtlichen Bestimmungen des europäischen Sekundärrechts sehr konkret ausgestaltete Regelungen über Aufgaben, Kompetenzen und Instrumente des Verwaltungshandelns.51 Diese stellen eigenständige Voraussetzungen etwa für die Wirksamkeit oder Nichtigkeit der zu treffenden Verwaltungsentscheidungen auf. In Fällen des Völker- beziehungsweise europäischen Richtlinienrechts werden sie in das jeweilige nationale Recht überführt und gelten in der Folge überall gleich oder aufgrund europäischen Verordnungsrechts in den Mitgliedsstaaten ohnehin unmittelbar.52 III. Transnationale Verwaltungsentscheidungen im Strafrecht Nach den völker-, unions- und verwaltungsrechtlichen Grundlagen richtet sich der Blick nunmehr auf die bereits oben aufgezeigten Straftatbestände, anhand derer sich beispielhaft die Bedeutungen transnationaler Verwaltungsentscheidungen innerhalb der deutschen Strafrechtsordnung aufzeigen lassen. Insoweit wurde auf § 326 Abs. 2 StGB, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG hingewiesen. Zunächst lohnt ein Blick darauf, welche Zwecke mit transnationa49 Zutreffend Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 31 (mit Fn. 120); Schladebach, VerwArch 2013, 188 (206); eingehend Sydow, Verwaltungskooperation, S. 149 f. 50 Hierzu Ruffert, Verw 2001, 453 (478); vgl. auch Becker, DVBl 2001, 855 (861 ff.), mit weitergehenden Vorschlägen zur Koordinierung des Verwaltungshandelns. 51 Hierzu Kahl, JuS 2018, 1025 (1030). 52 Wendet die mitgliedsstaatliche Verwaltung insoweit Unionsrecht direkt an (insbesondere Primärrecht, Verordnungen, unmittelbar anwendbare Richtlinien oder Beschlüsse) spricht man von (indirekter) unmittelbarer Vollziehung; wendet sie nationales Recht an, mit welchem die unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt wurden, spricht man von (indirekter) mittelbarer Vollziehung (hierzu eingehend Ehlers, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 5 Rn. 45 ff.).
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len Verwaltungsentscheidungen verfolgt werden und welche Verfahrensart hierfür gewählt wurde, weil sich darauf das verwaltungsakzessorische Strafrecht stützt. Mit transnationalen Verwaltungsentscheidungen und ihrer damit einhergehenden grenzüberschreitenden Wirkung werden insbesondere zwei Ziele verfolgt. Zum einen bezwecken sie, den internationalen Verkehr jedweder Art zu vereinfachen. Dies kann einerseits dem Interesse der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit dienen, andererseits aber auch zum wirksamen Schutz von Gütern und somit einer einheitlichen hoheitlichen Aufsicht beitragen. Dies bedingt zum anderen, dass einheitliche Standards statuiert werden, auf deren Grundlage ein internationaler Verkehr vonstattengehen soll. Je nach Regelungsmaterie werden die Schwerpunkte unterschiedlich gewichtet: so legt die Verordnung (EG) Nr. 1013/ 2006 über die Verbringung von Abfällen, welche im Rahmen des § 326 Abs. 2 StGB relevant wird, in ihren Erwägungen fest, dass ihr wichtigster und vorrangiger Zweck der Umweltschutz sei, der durch eine gemeinschaftsweit einheitliche Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen gefördert werden soll.53 Durch den Visakodex, welcher im Rahmen der Strafvorschrift § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG von Relevanz ist, werden Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa durch die Mitgliedstaaten als Maßnahme in Bezug auf die Kontrolle an den Außengrenzen, Asyl und Einwanderung festgelegt.54 Das (Wiener) Übereinkommen über den Straßenverkehr schließlich, welches mittelbar Auswirkungen auf § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG hat, wurde in der Absicht vereinbart, den internationalen Straßenverkehr zu erleichtern und die Sicherheit auf den Straßen durch die Vereinbarung einheitlicher Verkehrsregeln zu erhöhen. Die verwaltungsorganisatorische Umsetzung differenziert. Teilweise werden die unions- beziehungsweise völkerrechtlichen Standards in innerstaatliches Recht umgesetzt und die ausländischen Verwaltungsentscheidungen für das innerstaatliche Recht im Vertrauen darauf für verbindlich erklärt, dass auch die anderen Staaten – aufgrund ihrer völker- oder unionsrechtlichen Verpflichtungen – diese Standards in ihrer Rechtsordnung verankern und zukünftig einhalten.55 Folglich findet eine Prüfung zur Fahreignung, infolge derer die Fahrerlaubnis erteilt wird, nur in dem Land statt, in dem der Kraftfahrzeugführer für gewöhnlich seinen Wohnsitz hat. Die anderen Mitgliedstaaten erkennen diese Fahrerlaubnis grundsätzlich innerhalb ihres Hoheitsgebiets an. Ähnliches gilt nach den Regeln des Visakodexes, wobei ein Staat die Prüfung über die Visumerteilung vornimmt,
53 Vgl. die Erwägungsgründe (1) und (7) der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und Rates vom 14.06.2006 über die Verbringung von Abfällen (VVA). 54 Vgl. die Erwägungsgründe (1) und (2) der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex). 55 Vgl. Korte, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 45 Rn. 8.
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an dessen Gültigkeit die anderen Mitgliedsstaaten grundsätzlich gebunden sind (vgl. Art. 2 Nr. 3 Visakodex). In anderen Rechtsgebieten, insbesondere solchen, die einen grenzüberschreitenden Schutz von Gütern und damit eine einheitliche hoheitliche Aufsicht bezwecken und mehr und mehr von europäischen Harmonisierungsmaßnahmen erfasst werden, bleiben die Rechtsordnungen an dieser Stelle nicht stehen, sondern statuieren behördliche Verwaltungskooperation (vgl. das Notifizierungsverfahren gemäß der VO [EG] Nr. 1013/2006). 1. Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG Die Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen im Inland lässt sich nach alledem am Beispiel des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG aufzeigen. Fährt ein Drittstaatsangehöriger mit seinem Kraftfahrzeug in Deutschland, stellt sich die Frage nach einer Strafbarkeit gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG. Hierbei muss zunächst gesehen werden, dass grundsätzlich nur die deutsche Fahrerlaubnis eine Legalisierungswirkung im Inland entfalten kann.56 Das resultiert zum einen aus dem völkerrechtlichen Grundsatz, wonach ausländischen Hoheitsakten keine Wirkung in anderen Staaten zukommt. Zum anderen weist auch der systematische Zusammenhang innerhalb des Straßenverkehrsgesetzes auf ein solches Verständnis hin, wonach die „erforderliche Fahrerlaubnis“ auf eine solche hindeutet, die von der zuständigen Stelle gemäß § 2 StVG erlassen wurde.57 a) Geltungsanspruch ausländischer Fahrerlaubnisse innerhalb Deutschlands Allein die völkerrechtliche Verpflichtung in Art. 41 des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr, entsprechende ausländische Führerscheine im Inland anzuerkennen, gewährleistet noch nicht deren inländische Legalisierungswirkung. Denn ohne eine Transformation ins nationale Recht verpflichtet sie nur die Bundesrepublik Deutschland als Rechtssubjekt des Völkerrechts. Auch für eine völkerrechtsfreundliche Auslegung wäre in diesem Fall kein Raum, da Art. 59 Abs. 2 GG das Transformationsrecht dem Parlament zuweist, was von der Judikative zu achten ist und nicht über den Umweg einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung missachtet werden darf.58 Da der Gesetzgeber jedoch gemäß § 2 Abs. 11 StVG i.V. m. § 29 FeV 59 seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach56
Detailgenau NK-GesVerkR/Kerkmann/Blum, § 21 StVG Rn. 54. Vgl. NK-GesVerkR/Kerkmann/Blum, § 21 StVG Rn. 54. 58 Hofmann, Jura 2013, 326 (332 f.); wohl auch Proelß, in: Rensen/Brink, Bundesverfassungsgericht, S. 553 (559). 59 § 29 Abs. 1 S. 1 FeV: „Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis dürfen im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen, wenn sie hier keinen Wohnsitz nach § 7 haben.“ 57
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gekommen ist und den Anwendungsbefehl zur Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse erteilt hat, berechtigt die ausländische Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Inland. Innerhalb der Europäischen Union sind die im (Wiener) Übereinkommen über den Straßenverkehr geregelten Vorschriften über die Anerkennung von Fahrerlaubnissen, welche in den Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, weitestgehend durch europäisches Richtlinienrecht überlagert. Insoweit regelt Art. 2 der Richtlinie 2006/126/EG die gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen, die in den Mitgliedstaaten ausgestellt wurden.60 Die Richtlinienbestimmungen wurden in deutsches Recht umgesetzt: Entsprechend ordnen § 2 Abs. 11 i.V. m. §§ 28 Abs. 1 S. 1, 29 Abs. 1 S. 1 FeV die Geltung der in den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse im Inland an.61 Stellt man wiederum die (fiktive) Frage, welche Auswirkungen die fehlende Umsetzung der Anerkennungspflicht in nationales Recht nach sich zöge, wird man insoweit zu dem Ergebnis kommen, dass die gesetzgeberische Lücke für den Führer des Kraftfahrzeugs unschädlich wäre. Er könnte sich auf die unmittelbare Geltung der nicht rechtzeitig umgesetzten Richtlinie berufen, weil sie begünstigend, ihrem Inhalt nach unbedingt sowie hinreichend bestimmt anordnet, dass die von den Mitgliedstaaten ausgestellten „Führerscheine“ gegenseitig anerkannt werden.62 b) Verfahrensrechtliche Wirksamkeit ausländischer Fahrerlaubnisse Die verwaltungsverfahrensrechtliche Wirksamkeit beziehungsweise Nichtigkeit der Fahrerlaubnis richtet sich grundsätzlich allein nach dem Verwaltungsverfahrensrecht des Ausstellerstaats. Auch hier gilt es zu beachten, dass das Wiener Übereinkommen über Straßenverkehr konkrete Regeln aufstellt, unter welchen Voraussetzungen ein Führerschein anerkannt wird und welche formalen Anforderungen ein national erteilter Führerschein erfüllen muss.63 Gleichwohl führt dies 60 Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein; vgl. hierzu und zur missverständlichen Begrifflichkeit des Führerscheins, der nach deutschem Recht nur das Legitimationspapier meint, im europäischen Recht aber sowohl das Legitimationspapier als auch die Fahrerlaubnis umfasst, Koehl, DAR 2018, 588 f. 61 § 28 FeV gilt, wenn der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat; ist dies nicht der Fall gilt § 29 FeV (hierzu Koehl, DAR 2018, 588). 62 Vgl. Art. 2 RL 2006/126/EG, dass die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Art. 16 RL 2006/126/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 19.01.2011. 63 Die nach (hier nicht einschlägigem) deutschen Verwaltungsverfahrensrecht aufgezählten Nichtigkeitsgründe in § 44 VwVfG haben insoweit keine Relevanz, da das (Wiener) Übereinkommen über den Straßenverkehr im Anhang 6 detaillierte Formvorschriften vorgibt, unter denen eine Anerkennung nur verpflichtend ist (vgl. insoweit auch § 29 Abs. 2 S. 2 FeV).
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zu beachtenswerten Folgen: Regelte das ausländische Verwaltungsverfahrensrecht beispielsweise, dass Verwaltungsentscheidungen auch dann nichtig sind, wenn sie durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erlangt wurden, wäre der Führerschein nach dem nationalem Recht des Ausstellerstaats nichtig. Nach den oben dargelegten Grundsätzen kann er entsprechend auch keine transnationale Wirkung ausstrahlen, worüber der deutsche Strafrichter prüfungsbefugt ist. Ein ausländischer Verkehrsteilnehmer mit einem auf diese Weise erlangten Führerschein machte sich beim Führen eines Kfz in Deutschland gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar. Die gegenseitige Anerkennung von Fahrerlaubnissen im europäischen Rechtsraum führte mitunter dazu, dass sich innerhalb der Europäischen Union ein regelrechter „Führerscheintourismus“ entwickelte. Die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis, verhängte Sperrfristen und ähnliche Beschwernisse versuchten Betroffene dadurch zu umgehen, dass sie eine entsprechende Fahrerlaubnis im europäischen Ausland beantragten und schließlich erteilt bekamen. Die Beurteilung ihrer Inlandsgültigkeit stellt die deutschen Gerichte bis heute vor das komplexe Problem, einerseits dem Interesse der Straßenverkehrssicherheit und andererseits der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung gerecht zu werden.64 Mitunter erlagen die Gerichte auch in diesem Zusammenhang der Versuchung, den Missbrauchsgedanken in Stellung zu bringen, wodurch es den Betroffenen verwehrt sein sollte, sich auf die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung zu berufen.65 Der Europäische Gerichtshof hat sich hierdurch nicht beirren lassen und stets den Grundsatz zur Pflicht der gegenseitigen Anerkennung betont, wohingegen er Ausnahmen sehr restriktiv beurteilt.66 Entsprechend eng sind die Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auszulegen, wie sie der Gesetzgeber in den §§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 9, 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 FeV normiert.67 64 Vgl. die ausführliche Auseinandersetzung des LG Freiburg BeckRS 2006, 6203 Rn. 36 ff. Siehe zu der kaum mehr überschaubaren Rechtsprechung und den vielfältigen Einzelfragen: aktuell Koehl, DAR 2018, 588; eingehend König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG Rn. 2a f. 65 Dies gilt insbesondere für die Verwaltungsgerichte, vgl. Dauer, NJW 2008, 2381 (2382 mit Fn. 20 m.w. N.); hingegen in strafrechtlicher Hinsicht zutreffend OLG München NJW 2007, 1152 (1153 f.). Vgl. auch König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG Rn. 2a, der – zu Unrecht – § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB bemüht, wenn der Antragsteller bei der ausländischen Behörde die in Deutschland gegen ihn verhängte Sperrfrist verschweigt oder diese ihm die Fahrerlaubnis in Kenntnis der Sperrfrist gleichwohl erteilt („Kollusion“). 66 Zuletzt EuGH NJW 2012, 1935 (1938). 67 Vgl. die Darstellung des Gesetzes vor dem Hintergrund der europarechtlichen Einflüsse bei Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 28 FeV Rn. 1 ff. Lehrreich LG Offenburg NZV 2019, 589 (mit Anmerkung Lenk), zu der (im Ergebnis verneinten) Frage, ob ein vorläufiger französischer Führerschein („Certificat D’Examen du Permis de Conduire“) entgegen § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Inland berechtigt (anders zuvor AG Kehl DAR 2018, 457, nach Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH [NZV 2018, 573]; dagegen Dauer/König, DAR 2018,
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2. Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG a) Geltungsanspruch der von anderen Mitgliedstaaten erteilten Visa in Deutschland Ähnlich gestaltet sich die Rechtslage im Fall der unerlaubten Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift steht unter Strafe, wer ohne den gemäß § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet einreist. Ein solcher Aufenthaltstitel ist gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG ein Visum nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/ 2009 (Visakodex)68. Demgemäß definiert Art. 2 Nr. 2 Visakodex das Visum legal als die von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung im Hinblick auf die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet.69 § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG stellt folglich den Anwendungsbefehl der deutschen Rechtsordnung für die in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellte Verwaltungsentscheidung dar, wenngleich darin nur eine Klarstellung zu sehen ist, weil die Geltung unmittelbar aus dem Verordnungsrecht herrührt. In der Folge legalisiert die ausländische Verwaltungsentscheidung die Einreise in das deutsche Bundesgebiet. b) Verfahrensrechtliche Wirksamkeit des von einem Mitgliedsstaat erteilten Visums und Durchbrechung der Verwaltungsakzessorietät gemäß § 95 Abs. 6 AufenthG Das Verfahrensrecht ist weitestgehend unionsrechtlich ausgeformt.70 Der Visakodex enthält spezielle Vorschriften zur Zuständigkeit (Art. 4 ff.), dem Antragsverfahren (Art. 9 ff.), der Prüfung und Entscheidung über die Visumerteilung (Art. 18 ff.) sowie der Annullierung und Aufhebung eines Visums (Art. 34) und sieht ein einheitliches Formular für den Visumantrag (Anhang 1) vor. Von besonderem strafrechtlichem Interesse ist die Regelung in § 95 Abs. 6 AufenthG, die bereits an anderer Stelle Aufmerksamkeit erfuhr. Nach der deutschen Strafnorm steht dem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich. Mit Blick auf deutsche Verwaltungsakte wurde festgestellt, dass sie die Verwaltungs459). Zum Vorliegen „unbestreitbarer Information zum Zeitpunkt der Erteilung“ des Führerscheins über den Wohnsitz im Inland (vgl. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV), siehe die den Wortlaut sehr eng interpretierende Entscheidung des AG Bünde BeckRS 2016, 3635. 68 Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex). 69 Hierzu Winkelmann, ZAR 2010, 213 (219); vgl. zu Art. 10 SDÜ Ruffert, Verw 2001, 453 (462). 70 Vgl. BGHSt 57, 239 (245).
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aktakzessorietät durchbrechen, indem verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen im Strafrecht als unwirksam fingiert werden.71 Mit Blick auf das Unionsrecht potenziert sich der Konflikt um die Durchbrechung der Verwaltungsakzessorietät, weil damit zugleich die gegenseitige Anerkennung von Verwaltungsentscheidungen für das Strafrecht durchbrochen wird, obwohl das Unionsrecht sie im Ausgangspunkt einfordert (vgl. Art. 2 Visakodex). Folgerichtig fragte der Bundesgerichtshof beim Europäischen Gerichtshof an, ob die strafrechtliche Durchbrechung mit den Vorschriften des Visakodex vereinbar ist, die im Fall eines durch Täuschung erlangten Visums zunächst dessen Annullierung vorsehen.72 In diesem Vorabentscheidungsverfahren bescheinigte der Europäische Gerichtshof dem deutschen Gericht, dass die Regelungen des Visakodex einer solchen nationalen Strafvorschrift nicht entgegenstehen.73 Die damit einhergehenden Nachweisschwierigkeiten deutscher Strafgerichte über die Umstände der Visumserlangung im Ausland sind offensichtlich und in der Praxis bereits zu Tage getreten.74 3. Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 326 Abs. 2 StGB Anders als im Fall der „schlichten“ Anerkennung von ausländischen Verwaltungsentscheidungen im Inland durch nationales oder unionales Recht, gestalten sich Verwaltungsentscheidungen, die auf einer weitergehenden Verwaltungskooperation beruhen. Hierbei vertrauen nicht andere Staaten auf die Prüfung und Einhaltung der unionsrechtlichen Regelungen durch den Staat, der die Verwaltungsentscheidung erlässt. Vielmehr prüfen alle Staaten für ihr Hoheitsgebiet, ob das Vorhaben den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Auf die einschlägige Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen wurde bereits eingegangen. Dabei wurde festgestellt, dass für die Verbringung bestimmter Abfälle ein Notifizierungsverfahren (vgl. Art 3–17 VO (EG) Nr. 1013/2006) statuiert wurde, in dessen Rahmen die Behörden am Versandort, dem Bestimmungsort und dem Ort der Durchfuhr ihre Zustimmung erteilen müssen. Ist die VO (EG) Nr. 1013/2006 einschlägig, ist eine Verbringung 71
Hierzu oben § 6 A. III. 1. b). BGHSt 57, 239. 73 EuGH NStZ 2012, 642 (mit Anmerkung Lohse), unter Hinweis auf die unionsrechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten zur wirksamen, angemessenen und abschreckenden strafrechtlichen Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Unklar bleibt bei dieser Entscheidung, ob das Visum bei arglistiger Täuschung nicht von vornherein ungültig und unwirksam ist (vgl. EuGH NStZ 2012, 642 [643 Rn. 39]), sodass eine Durchbrechung gar nicht zur Diskussion gestanden hätte. 74 Vgl. BGH NStZ 2018, 289, der fordert, dass das Tatgericht im Urteil näher darstellen muss, ob und wie Drohung, Bestechung oder Kollusion für die Erteilung des Aufenthaltstitels kausal geworden sind. 72
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ohne die Zustimmung der betroffenen zuständigen Behörden illegal (vgl. Art. 2 Nr. 35 lit. b) VO [EG] Nr. 1013/2006). Eine Genehmigung im Sinne des § 326 Abs. 2 StGB liegt nur vor, wenn alle national zuständigen Behörden ihre Zustimmung erteilt haben. Sodann resultiert die Genehmigung nicht aus einer einzelnen nationalen Verwaltungsentscheidung, sondern erst dem Zusammenspiel mehrerer Verwaltungsentscheidungen. Entsprechend ist die Genehmigung in diesen Fällen ein aus mehreren nationalen Verwaltungsentscheidungen zusammengesetzter Legalisierungsakt.75 Diese Art von Genehmigung gilt im Inland aufgrund des unmittelbar geltenden Verordnungsrechts. Die durch die jeweiligen (ausländischen) Behörden erteilten Zustimmungen sind wiederum Verwaltungsentscheidungen nach jeweiligem nationalen Recht, sodass eine etwa verweigerte Genehmigung durch die deutsche Behörde im Wege der Verpflichtungsklage eingeklagt werden muss,76 wenngleich das Verwaltungsverfahren selbst durch die VO (EG) Nr. 1013/2006 unionsrechtlich ausgeformt ist. Der Strafrichter ist an die behördliche Freigabe der Abfallverbringung gebunden, sofern alle Behörden – entsprechend dem oben dargestellten Einstimmigkeitsprinzip – ihre Freigabe erteilt haben, und unterzieht deren Inhalt keiner Rechtmäßigkeitskontrolle.77 Zu beachten bleibt, dass nach den unionsrechtlichen Vorgaben eine illegale Verbringung auch dann vorliegt, wenn auch nur eine der Genehmigungen durch Fälschung, falsche Angaben oder Betrug erlangt wurde (vgl. Art. 2 Nr. 35 lit. c) VO [EG] Nr. 1013/ 2006).78 Damit wird die Legalisierungswirkung auf Grundlage des Unionsrechts durchbrochen. Folglich darf der Strafrichter alle nationalen Freigabeakte daraufhin überprüfen, ob er unter den angegebenen Umständen erlangt wurde. Zusätzlich findet die die Rechtsmissbrauchsklausel des nationalen Rechts (§ 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB), die weitergehende Sachverhalte erfasst, auch auf die ausländischen Zulassungen Anwendung.79 Anders als bei den übrigen Auslandssachverhalten des § 330d Abs. 2 StGB,80 begegnet sie im Rahmen des § 326 Abs. 2 StGB keinen Bedenken, weil der Unionsgesetzgeber für jede Etappe der 75 Vgl. Heine, in: BKA, Abfallwirtschaftskriminalität, S. 271, wonach in der Sache ein behördliches Genehmigungsverfahren unmittelbar in Deutschland eingeführt werde. Die von Heger, HRRS 2012, 211 (219), vorgebrachten Bedenken über ein Nebeneinander in- und ausländischer Genehmigungen dringen nicht durch. 76 Vgl. zu den verwaltungsprozessualen Rechtsbehelfen gegen einen durch eine deutsche Behörde erhobenen Einwand gegen eine Abfallverbringung im Rahmen der vormals geltenden Abfallverbringungsverordnung VO (EWG) Nr. 259/93, BVerwG NVwZ 2004, 344. 77 Heine, in: BKA, Abfallwirtschaftskriminalität, S. 272, 275 f. 78 Hierzu Heine, in: BKA, Abfallwirtschaftskriminalität, S. 278; Sch/Sch/Heine/ Schittenhelm, § 326 Rn. 12e. 79 Heine, in: BKA, Abfallwirtschaftskriminalität, S. 280 f.; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 321; zweifelnd NK-StGB/Ransiek, § 326 Rn. 59, der in Art. 2 Nr. 35 lit. c) VO (EG) Nr. 1013/2006 (wohl) eine abschließende Regelung sieht. 80 Zu den Schwierigkeiten der Rechtsmissbrauchsklausel im Zusammenhang mit § 330d Abs. 2 StGB, s. unten § 12 C. III. 1.
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Abfallverbringung die Wirksamkeit der Vorschriften aller betroffenen Mitgliedsstaaten wahren wollte.81 4. Exkurs: Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen am Beispiel des § 284 Abs. 1 StGB Im Ausgangspunkt gilt für § 284 Abs. 1 StGB dasselbe wie für § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG: Als behördliche Erlaubnis im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB ist nur eine Erlaubnis der zuständigen deutschen Behörde anzusehen.82 Führt man sich vor Augen, dass dadurch eine in Deutschland unter Erlaubnisvorbehalt stehende Tätigkeit legalisiert werden soll, besteht hieran kein Zweifel.83 Insoweit verfügen die Bundesländer, begründet durch ihr geltendes Landesglückspiel-, Sportwettund Lotteriegesetz, über die Alleinbefugnis zur Gestattung von Glückspielen innerhalb der Bundesrepublik.84 Ausländische Genehmigungen wirken wiederum ausschließlich auf dem Gebiet des Erlassstaats.85 Ausländische Genehmigungen, mithin auch solche von EU-Mitgliedstaaten, bedürfen nach den oben aufgezeigten Grundsätzen zur Geltung im Inland eines Anwendungsbefehls durch die deutsche Rechtsordnung. Da weder das deutsche (Landes-)recht noch unmittelbar geltende europäische Vorgaben einen solchen Anwendungsbefehl vorsehen, können weder Erlaubnisse von Drittstaaten noch von Mitgliedstaaten der Europäischen Union Glückspiele in Deutschland legali81 Vgl. EuGH ZUR 2005, 134 (136); Heine, in: BKA, Abfallwirtschaftskriminalität, S. 281. 82 Vgl. die Vertreter, welche zu Recht ausschließlich die Erlaubnis der zuständigen deutschen Behörde als Erlaubnis im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB ansehen: BGH NJW 2002, 2175 f.; BGH NStZ 2003, 372 (374); BGH NJW 2004, 2158 (2160); OLG München NJWE-WettbR 2000, 10 (11); OLG Hamburg NJW-RR 2003, 760 (761); OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2008, 372; AG München ZfWG 2015, 147 (148); Bär, in: Graf/Jäger/Wittig, WSS, § 284 StGB Rn. 33; MüKo-StGB/Hohmann, § 284 Rn. 20 f.; LK-StGB/Krehl, § 284 Rn. 22 f.; jedenfalls für das Veranstalten und Halten eines Glückspiels im Bundesgebiet Mosbacher, NJW 2006, 3529 (3532), wobei anderes für das Bereitstellen von Einrichtungen und der Werbung für solche Glückspiele, die im Ausland zugelassen sind, gelten soll; NK-StGB/Gaede, § 284 Rn. 22; NK-WSS/Greco/ Roger, § 284 StGB Rn. 46. 83 Wenn hingegen behauptet wird, § 284 StGB verlange keinesfalls zwingend eine inländische Genehmigung (so ausdrücklich Barton/Gercke/Janssen, wistra 2004, 321 [323]), überzeugt dies im Hinblick auf den Souveränitätsgrundsatz nicht. 84 Vgl. BGH NJW 2002, 2175; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 372. 85 Explizit zum Glückspielrecht SSW-StGB/Rosenau, § 284 Rn. 19; Rüping, JZ 2005, 234 (239). Keine Relevanz entfaltet der Gedanke dort, wo das Glückspiel selbst nicht als im Bundesgebiet veranstaltet gilt, sodass keine Erlaubnis notwendig ist; in diesen Fällen entfaltet die ausländische Genehmigung keine Legalisierungswirkung im Inland, sodass davon ausgegangen werden kann, dass das Werben und das Bereitstellen von Einrichtungen für ein Glückspiel, welches in einem anderen Mitgliedstaat genehmigt und kontrolliert wird, auch in Deutschland als rechtmäßig gilt (so zutreffend Mosbacher, NJW 2006, 3529 [3532], wobei es freilich stets darauf ankommt, was der Landesgesetzgeber unter den Erlaubnisvorbehalt stellt).
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sieren und an die Stelle der behördlichen Erlaubnis gemäß § 284 Abs. 1 StGB treten.86 Eine ausländische Genehmigung, welche den wesentlichen Kontrollprämissen des Inlands entspricht, mag zwar zum Rechtsgüterschutz, wie er dem § 284 StGB vorschwebt, beitragen, nicht aber die transnationale Wirkung der ausländischen Genehmigung begründen. Möchte man den völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität der Staaten nicht gänzlich über Bord werfen, muss ihnen daher die Legalisierungswirkung versagt bleiben.87 Dem steht europäisches Primärrecht nicht entgegen. Im Gegenteil gesteht der Europäische Gerichtshof den Mitgliedstaaten zu, unter Beachtung der Anforderungen des Unionsrechts, derartige Veranstaltungen auf ihrem Hoheitsgebiet vom Besitz einer national erteilten Erlaubnis abhängig zu machen, wobei die europäische Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit keine andere Auslegung verlange.88 Eine Anerkennungspflicht ausländischer Genehmigungen lehnt er angesichts des Wertungsspielraums der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Schutzniveaus und mangels jeglicher Harmonisierung auf dem Gebiet des Glückspielrechts ausdrücklich ab.89 Einer ausländischen Genehmigung im Inland Legalisierungswirkung zuzugestehen, sofern sie inländischen Kontrollprämissen entspricht, lässt sich überdies kaum konsequent in die bisherige strafrechtliche Behandlung ungenehmigter Verhaltensweisen einordnen und ruft praktische Probleme hervor. Oben wurde aufgezeigt, dass der deutsche Straftatbestand hinreichender Bestimmtheit nur genügt, wenn verborgene materiell-rechtliche Mängel nicht zum Abgrenzungskriterium zwischen strafbarem und straflosem Handeln gemacht werden.90 Hinsichtlich der ausländischen Genehmigung ist mithin unklar, welches die wesentlichen inländischen Kontrollprämissen sind und woraus der ausländische Genehmi86 Anders für Genehmigungen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union generell LG München I NJW 2004, 171. 87 Anders insoweit der Vermittlungsversuch von Barton/Gercke/Janssen, wistra 2004, 321 (324); zustimmend Hambach/Berberich, ZfWG 2015, 150 (153); Sch/Sch/ Heine/Hecker, § 284 Rn. 30; SSW-StGB/Rosenau, § 284 Rn. 20; weitergehend für alle ausländischen Genehmigungen SK-StGB/Hoyer, § 284 Rn. 28, der angesichts der Schutzbedürftigkeit des in Rede stehenden Rechtsguts der Ansicht ist, dass es für die strafrechtliche Betrachtung nicht auf den Zuständigkeitsbereich von Behörden ankommen könne. 88 EuGH NVwZ 2010, 1409 (Ls. 2): „Die Art. 43 EG und Art. 49 EG sind dahingehend auszulegen, dass beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts der Umstand, dass ein Veranstalter in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, über eine Erlaubnis für das Anbieten von Glücksspielen verfügt, es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, unter Beachtung der Anforderungen des Unionsrechts die Möglichkeit für solche Veranstalter, derartige Dienstleistungen den Verbrauchern in seinem Hoheitsgebiet anzubieten, vom Besitz einer von seinen eigenen Behörden erteilten Erlaubnis abhängig zu machen.“ 89 EuGH NVwZ 2010, 1409 (1417). Anderes ergibt sich entgegen Barton/Gercke/ Janssen, wistra 2004, 321 (324), auch nicht aus EuGH NJW 2004, 139. 90 Hierzu oben § 6 A. III. 1. c) dd) (1).
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gungsinhaber ersehen soll, ob seine (ausländische) Genehmigung diesen entspricht.91 Nach vorzugswürdiger Ansicht bleiben die nationalen Vorschriften zum Glückspielrecht und die flankierenden Strafvorschriften aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrecht unanwendbar, sofern die durch Landesgesetz statuierten Motive das Glückspielrecht unzulässig beschränken und infolgedessen einen Verstoß gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (vgl. Art. 49, 56 AEUV) begründen.92 Diesen rechtsdogmatisch begrüßenswerten Weg ist die Rechtsprechung in den einschlägigen Fällen mehrheitlich gegangen93 und hat damit der Verwischung von Souveränitätsgrenzen bei der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt Einhalt geboten.
B. Europäische Verwaltungsentscheidungen Der transnationale Verwaltungsakt ist dem Grundsatz des indirekten Vollzugs des Unionsrechts geschuldet, wonach regelmäßig die Mitgliedsstaaten das Unionsrecht vollziehen.94 Nur selten vollzieht die Europäische Union ihr Recht durch unionseigene Verwaltungsorganisationen selbst und erlässt eigene Verwaltungsentscheidungen. Soweit im Einzelfall unionseigene Verwaltungsorganisationen bestehen, denen etwa Zulassungsentscheidungen übertragen sind, kann der deutsche Strafgesetzgeber auch die Einholung einer solchen europäischen Genehmigung strafrechtlich absichern. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Strafvorschrift in § 96 Nr. 5 AMG, die unter Strafe stellt, wer bestimmte Arzneimittel ohne Genehmigung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union in den Verkehr bringt. Das Genehmigungserfordernis gilt für solche Human- und Tierarzneimittel, die durch die VO (EWG) Nr. 726/2004 dem zentralisierten Genehmigungsverfahren durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) unterstellt sind.95 Die Verfahrensmodalitäten für das Handeln ihrer Or91
Ähnliche Zweifel äußern NK-WSS/Greco/Roger, § 284 StGB Rn. 46. Zu den unionsrechtlichen Anforderungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, siehe die nur mehr schwer überschaubare Rechtsprechung (Auszug): EuGH NJW 1994, 2013; EuGH EuZW 2000, 151; EuGH NJW 2004, 139; NJW 2007, 1515; EuGH NVwZ 2010, 1409; zuletzt EuGH EuZW 2018, 279. 93 Sogar die vielfach für die Anerkennung von mitgliedstaatlichen Genehmigungen angeführte Rechtsprechung des OLG München (NJW 2006, 3588 [3589]; von vornherein offenlassend NJW 2008, 3151 [3152]) deutet in diese Richtung. Zwar hält das OLG München die Rechtsansicht des Instanzgerichts, wonach eine ausländische Genehmigung eine behördliche Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB darstelle, für „revisionsrechtlich“ nicht zu beanstanden; maßgeblich stellt es in der Begründung aber auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ab (vgl. NJW 2006, 3588 [3591]), was insoweit zum gleichen Ergebnis führt; eindeutig OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2008, 372 (373); OLG Bamberg BeckRS 2011, 18198; LG Baden-Baden, BeckRS 2004, 15967. 94 Vgl. oben § 12 A. 95 Vgl. hierzu Weber, BtMG/AMG, § 21 Rn. 7. 92
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gane regelt die Europäische Union selbst, sodass entsprechende Vorschriften über die Wirksamkeit der Genehmigung etc. den Unionsrechtsakten zu entnehmen sind (vgl. Art. 5 ff. VO [EWG] Nr. 726/2004). Ergänzend gelten beim direkten Vollzug die allgemeinen Verfahrensgrundsätze des Unionsrechts, die vom Europäischen Gerichtshof in vergleichender Betrachtung der Verfahrensordnungen der Mitgliedsstaaten entwickelt wurden.96 Die Bundesrepublik ist an die Erteilung der Genehmigung durch die EMEA gebunden (vgl. Art. 13 Abs. 1 VO [EWG] Nr. 726/2004), sodass es für das Strafrecht wiederum nicht auf die Rechtswidrigkeit ankommen kann.
C. Sonstige ausländische Behördenentscheidungen im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB Während sich die Bedeutung transnationaler Verwaltungsentscheidungen in den nationalen Strafnormen zumeist erst aus dem Zusammenspiel verwaltungs-, unions- oder völkerrechtlicher Regeln ergibt, nimmt mit § 330d Abs. 2 StGB eine Strafnorm ausdrücklich Bezug auf Hoheitsakte anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union. § 330d Abs. 2 StGB stellt entsprechende, auf Rechtsvorschriften oder Hoheitsakte beruhende Verbote, Untersagungen, Genehmigungen (etc.) anderer Mitgliedstaaten sämtlichen verwaltungsakzessorischen Merkmalen der §§ 324 ff. StGB gleich, sofern damit ein Rechtsakt der Europäischen Union oder Europäischen Atomgemeinschaft umgesetzt oder angewendet wird, der dem Schutz vor Gefahren oder schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt dient. Damit pönalisiert der deutsche Gesetzgeber Handlungen mit Strafe, die im Ausland begangen werden. Da sich im Ausland Handelnde aber nicht nach deutschem, sondern vielmehr nach dem dortigen Recht zu richten haben, nimmt der deutsche Gesetzgeber das ausländische Verwaltungsrecht zum Anknüpfungspunkt der Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Pflicht. Entsprechend ist teilweise von einer „Auslandsakzessorietät des Umweltrechts“ die Rede.97 Teil dieser Gleichstellungsklausel sind demnach auch behördliche Einzelfallentscheidungen von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, wie etwa Genehmigungen oder Auflagen zu Genehmigungsbescheiden, die auf diese Weise in das deutsche Umweltstrafrecht hineinwirken.98 Mit dieser Anbindung des deutschen Umweltstrafrechts an 96 Hierzu Pünder, in: Ehlers/Pünder, AllgVerwR, § 13 Rn. 24. Der Europäische Gerichtshof geht beispielsweise davon aus, dass Rechtsakte von Gemeinschaftsorganen Rechtswirkungen entfalten, sofern sie nicht zurückgenommen oder für nichtig beziehungsweise ungültig erklärt worden sind und beruft sich dabei auf den Grundsatz der Vermutung ihrer Rechtmäßigkeit (vgl. EuGH EuZW 2004, 729 [730]; 2008, 145 [147 f.]). 97 So Meyer, wistra 2012, 371 (372). 98 Vgl. zur Gleichstellung behördlicher Entscheidungen etwa Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 471; MüKo-StGB/Schmitz, § 330d Rn. 53 ff.; SKStGB/Schall, § 330d Rn. 66 („umfassende Verwaltungsakzessorietätsgleichstellung“).
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
ausländisches Verwaltungsrecht99 hat die Bedeutung ausländischer Behördenentscheidungen im Kernstrafrecht immerhin mittelbar Erwähnung gefunden, da die ausländische Einzelfallentscheidung über die Strafbarkeit entscheidet, sei es mit strafbegründender oder strafbarkeitseinschränkender Wirkung. I. Regelungsfunktion des § 330d Abs. 2 StGB – Abgrenzung zu den transnationalen Verwaltungsentscheidungen Der Regelungsgehalt und die Funktion des § 330d Abs. 2 StGB verstehen sich insbesondere anhand der Abgrenzung zu den transnationalen Verwaltungsentscheidungen. Die Ausführungen zu den transnationalen Verwaltungsentscheidungen haben gezeigt, dass die Anerkennung ausländischer Verwaltungsentscheidungen im Inland deshalb von Nöten ist, weil damit die Ausübung fremder Hoheitsgewalt (ausländische Verwaltungsentscheidung) innerhalb des Territoriums der Bundesrepublik ausgeübt wird. Im Fall belastender Verwaltungsakte ist der Adressat der ausländischen Verwaltungsentscheidung zu deren Beachtung im Inland verpflichtet. Im Fall begünstigender Verwaltungsakte hingegen legalisiert die ausländische Genehmigung ein nach der nationalen Rechtsordnung genehmigungsbedürftiges Verhalten. Da grundsätzlich kein Staat die Ausübung fremder Hoheitsgewalt innerhalb seiner Staatsgrenzen zu beachten hat, gilt die ausländische Behördenentscheidung nur, wenn der Staat des Wirkungsorts sich damit – wie bereits beschrieben – in Form eines nationalen oder auf der Grundlage eines Unionsakts einverstanden erklärt. Maßgeblicher Grund für das Erfordernis eines nationalen Anwendungsbefehls ist also die Ausübung fremder Hoheitsgewalt im Inland.100 Strukturell unterscheiden sich hiervon diejenigen ausländischen Hoheitsakte, denen § 330d Abs. 2 StGB die Definitionsmacht über das Merkmal „Verletzung verwaltungsrechtliche Pflichten“ zuspricht. Beim Verstoß gegen belastende ausländische Verwaltungsentscheidungen läuft der Täter nicht deshalb einer strafrechtlichen Sanktion Gefahr, weil er der ausländischen Verwaltungsentscheidung in Deutschland zuwiderhandelt. Vielmehr geht es darum, dass der Täter einer belastenden Verwaltungsentscheidung des Erlassstaats im Erlassstaat zuwiderhandelt. Mit der Strafnorm stellt der deutsche Gesetzgeber daher keine im Inland begangene Zuwiderhandlung gegenüber einer ausländischen Verwaltungsentscheidung unter Strafe, sondern transformiert die ausschließlich im Ausland begangene Zuwiderhandlung gegen eine ausländische Verwaltungsentscheidung in eine strafbewehrte Pflichtverletzung der eigenen Rechtsordnung. Folglich handelt es sich nicht um eine Ausübung fremder Hoheitsgewalt innerhalb des deutschen Territoriums, weshalb es keines nationalen Anwendungsbefehls bedarf. 99 100
Hecker, Schröder-FS, S. 531 (533). Vgl. schon oben § 12 A. II. 1.
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Infrage gestellt sieht sich diese strikt auf das ausländische Territorium beschränkte Betrachtungsweise bei den genehmigenden Verwaltungsakten, wenn teils auf irritierende Weise die Legalisierungswirkung der ausländischen Genehmigung für das Inland diskutiert wird.101 Dementsprechend steht bis heute die Rechtsansicht im Raum, den Tatbestand des § 324 StGB erfülle ein im Ausland handelnder Täter selbst dann, wenn er hierfür einen ausländischen Genehmigungsakt innehat, sofern die deutsche Rechtsordnung diesen nicht anerkennt102 oder der hoheitliche Akt die Regeln des Völkerrechts verletzt.103 Der Völkerrechtswidrigkeit als Maßstab für die strafbarkeitseinschränkende Wirkung einer ausländischen Genehmigung ist bereits mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen der gesetzlichen Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) zu Recht widersprochen worden.104 Wenn für die rein innerstaatliche Genehmigung gilt, dass verborgene materiell-rechtliche Mängel grundsätzlich keinen Einfluss auf die tatbestandsausschließende Genehmigung haben, da der Erlaubnisadressat andernfalls über Voraussetzungen und Grenzen der Strafbarkeit im Ungewissen bleibt,105 muss das erst recht für völkerrechtliche Vorgaben gelten. Richtigerweise bedarf es aber noch nicht einmal einer gesetzlichen Anerkennung, weil sich die strafrechtlichen Verhaltensanforderungen auf das innerstaatliche Territorium beschränken. Die ausländische Genehmigung legalisiert anders als etwa im Fall des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (vgl. § 2 Abs. 11 StVG i.V. m. §§ 28, 29 FeV) kein nach deutschem Recht und entsprechend auf deutschem Territorium genehmigungsbedürftiges Verhalten. Sie muss es auch gar nicht tun, weil insoweit kein Genehmigungsbedürfnis nach deutschem Recht besteht.106 Mit § 324
101
Vgl. selbst BT-Drs. 17/5391, S. 11. Vor dem Hintergrund, dass das Völkerrecht selbst die Geltung ausländischer Verwaltungsentscheidungen im Inland nicht begründen kann, plädieren für eine Anerkennung Sch/Sch/Eser/Weißer, Vor §§ 3–9 Rn. 59; Martin, Strafbarkeit, S. 329 ff. 103 Für das einschränkende Kriterium der Völkerrechtskonformität der Genehmigung: vgl. Martin, Strafbarkeit, S. 334; Wegscheider, DRiZ 1983, 56 (60); Wimmer, ZfW 1991, 141 (149 [widersprüchlich insoweit 146]). 104 Vgl. Hecker, ZStW 2003, 880 (891); SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 211. 105 Hierzu oben § 6 A. III. 1. c) dd) (1). 106 Konstruieren ließe sich eine Inanspruchnahme eines deutschen Gewässers dadurch, dass das vom Täter verunreinigte Gewässer über die deutsche Grenze fließt. Tatbestandlich müsste die Rechtsauffassung also davon ausgehen, dass das Gewässer erstmals dadurch verunreinigt wird, indem die Abwässer mit (ausländischer) Genehmigung in das Gewässer eingeleitet werden und ein zweites Mal, indem das (bereits verunreinigte) Gewässer die Grenze überschreitet und dadurch das „deutsche“ Gewässer „unbefugt“ verunreinigt. Eine solche Sichtweise erscheint nicht nur reichlich konstruiert, sondern kann schon allein deshalb nicht überzeugen, weil die Tathandlung der unbefugten Gewässerverunreinigung schwerlich zwei Mal durch ein und denselben Vorgang verwirklicht werden kann (man mag sich in diesem Zusammenhang an die Parallele zur wiederholten Zueignung im Rahmen des § 246 StGB erinnert fühlen, wo sich Tatbestandslösung und Konkurrenzlösung bis zum heutigen Tag unversöhnlich gegenüberstehen [hierzu zutreffend Rengier, BT I, § 5 Rn. 51 ff.]). 102
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StGB kann der deutsche Gesetzgeber keine Zugangskontrolle dafür statuieren, dass ein Gewässer im Ausland in Anspruch genommen wird, weil dem der völkerrechtliche Grundsatz der territorialen Souveränität entgegensteht, der die Respektierung fremder Hoheitsgewalt verbürgt.107 Im Ergebnis entspricht das der herrschenden Meinung und ihrer „strikt auslandsakzessorischen Auffassung“: Demnach beurteilen sich begünstigende Verwaltungsakte im Rahmen der §§ 324 ff. StGB ausschließlich nach der Rechtsordnung, wo die umweltverletzende Handlung vorgenommen wird.108 Das ist zutreffend, da man andernfalls der deutschen Rechtsordnung eine extraterritoriale Geltung beschiede.109 Da auch die begünstigenden Verwaltungsakte keine fremde Hoheitsgewalt in Deutschland ausüben, bedarf es auch insoweit keines Anwendungsbefehls durch die deutsche Rechtsordnung. Wie bei den belastenden Verwaltungsakten verletzt der im Ausland handelnde Täter verwaltungsrechtliche Pflichten im Sinne des deutschen Strafgesetzes, wenn er die im Mitgliedsstaat statuierte behördliche Zugangskontrolle umgeht. Diese Verletzung nimmt der deutsche Strafgesetzgeber mit § 330d Abs. 2 StGB zum Anknüpfungspunkt seiner Strafdrohung. Folglich darf bezweifelt werden, dass die von § 330d Abs. 2 StGB umfassten Hoheitsakte anderer Mitgliedsstaaten den transnationalen Verwaltungsakten im Sinne der obigen Definition unterfallen.110 Wenngleich es sich in vielen Fällen um Entscheidungen handelt, die zur Durchsetzung eines europäisch vereinheitlichten Umweltrechts dienen, sind sie nicht explizit darauf angelegt, transnational zu wirken. Vielmehr zieht der deutsche Strafgesetzgeber die in einem anderen Mitgliedsstaat begangene Zuwiderhandlung gegen eine (dortige) behördliche Zugangskontrolle oder eine (dort erlassene) Verwaltungsentscheidung als Anknüpfungspunkt für ein strafrechtlich zu sanktionierendes Pflichtversäumnis heran. Nach der Typologie Rufferts gehören sie damit den sonstigen ausländischen Einzelfallentscheidungen an, die infolge des § 330d Abs. 2 StGB zwar faktisch ins Ausland ausstrahlen, nicht aber auf eine Rechtswirkung ins Ausland abzielen und daher nicht den transnationalen Verwaltungsentscheidungen angehören.111 II. Einschränkung durch das Strafanwendungsrecht Mangels ihrer extraterritorialen Geltung kann die deutsche Strafrechtsordnung nicht darauf setzen, dass das von ihr statuierte Umweltrecht auch im Ausland eingehalten wird. Deswegen knüpft die deutsche Strafrechtsordnung an die Verletzung der im Ausland geltenden verwaltungsrechtlichen Pflichten an, soweit 107
Vgl. SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 210. Vgl. Hecker, ZStW 2003, 880 (891 f.); NK-StGB/Ransiek, Vor §§ 324 ff. Rn. 66; SK-StGB/Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 210. 109 Vgl. Hecker, ZStW 2003, 880 (890); Wimmer, ZfW 1991, 141 (145). 110 So aber Saurer, Verw 2017, 339 (351). 111 Vgl. Ruffert, Verw 2001, 453 (463). 108
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diese unionsrechtlich harmonisiert sind.112 Die deutsche Strafrechtsordnung ist gleichwohl nicht dazu berufen, die Einhaltung der verwaltungsrechtlichen Pflichten innerhalb der Europäischen Union schlechthin zu schützen. Als Korrektiv hierzu dient das Strafanwendungsrecht, wobei zu prüfen ist, ob ein legitimierender Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts besteht und ob sich der Schutzbereich des deutschen Straftatbestands auch auf das gegebenenfalls ausländische Rechtsgut erstreckt. Die einschlägigen umweltrechtlichen Sachverhalte zeichnen sich dadurch aus, dass Handlungsort und Erfolgsort auseinanderliegen. Da weder Luft, Wasser und andere Emissionen staatliche Grenzen beachten, liegt es buchstäblich in der Natur der Sache begründet, dass der Handlungsort im Ausland liegt, während die dadurch hervorgerufenen Folgen in irgendeiner Art und Weise im Inland auftreten. Der Anknüpfungspunkt für den deutschen Strafanspruch ergibt sich in diesen Fällen regelmäßig aus dem Territorialitätsprinzip, welches den §§ 3, 9 Abs. 1 StGB zu Grunde liegt. Wenn die strafbewehrten Handlungen (Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt; Umgehung der behördlichen Zugangskontrolle) im Ausland begangen werden, bedingt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts einen Erfolgsort im Inland (vgl. § 9 Abs. 1 2. Var. StGB). Dieses Erfordernis stellt das Umweltstrafrecht vor Probleme, da in Frage steht, ob die häufig als Gefährdungsdelikte ausgestalteten Normen überhaupt einen Erfolgsort im Sinne des § 9 StGB begründen können, obwohl sie einen solchen tatbestandlich nicht ausweisen. Diese Fragen wurden mit Blick auf das Umweltstrafrecht vielfach diskutiert, sodass an dieser Stelle darauf verzichtet werden kann, der Diskussion breiten Raum zu geben. Daher soll für die Begutachtung folgendes vorausgesetzt werden: Für konkrete Gefährdungsdelikte ist ein Erfolg gemäß § 9 StGB im Sinne eines Gefährdungserfolgs weitestgehend anerkannt, da ein solcher Gefährdungsnachweis tatbestandlich vorausgesetzt wird.113 Bei abstrakten Gefährdungsdelikten ist umstritten, ob sie einen Erfolg im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB begründen können, weil sie tatbestandlich noch nicht einmal einen Gefährdungsnachweis voraussetzen.114 Die überwiegend umweltstrafrechtliche Literatur geht gleichwohl mit beachtlichen Argumenten davon aus, dass abstrakte Gefährdungsdelikte das Potential eines Erfolgsorts im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB in sich tragen.115 112
Eingehend Hecker, ZStW 2003, 880 (894 ff.). Hilgendorf, NJW 1997, 1873 (1875); Sch/Sch/Eser/Weißer, § 9 Rn. 6a. 114 Mehrheitlich wird abstrakten Gefährdungsdelikten daher ein Erfolgsort abgesprochen: MüKo-StGB/Ambos, § 9 Rn. 31; Hilgendorf, NJW 1997, 1873 (1876); Sch/Sch/ Eser/Weißer, § 9 Rn. 6a. 115 Hecker, ZStW 2003, 880 (885); Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 453 ff.; Martin, Strafbarkeit, S. 84 ff., 121 f.; Wegscheider, DRiZ 1983, 56 (60); allgemein auch Heinrich, GA 1999, 72 (77 ff.); LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 33; anders aber Heger, Europäisierung, S. 250 ff.; einschränkend – mit dem Erfordernis eines „spezifischen Inlandsbezugs“ – auch Eisele, in: Rengier, Bewältigung von Katastrophen, S. 149 (154). 113
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Demnach ist Erfolgsort derjenige Ort, wo das tatbestandlich missbilligte Risiko einer Rechtsgutsverletzung eintritt und sich das umweltschädigende Risiko niederschlägt.116 Im Übrigen besteht ein Anknüpfungspunkt für Taten im Ausland, wenn der Täter Deutscher ist und die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB.117 Das Verhältnis von § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu den §§ 3, 9 StGB deutet erste Wertungswidersprüche mit Blick auf die abstrakten Gefährdungsdelikte an, die bislang weitgehend unbeachtet geblieben sind. Während es bei der reinen Auslandstat des Deutschen gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf die Strafbarkeit im Ausland ankommt, ist hiervon bei den abstrakten Gefährdungsdelikten keine Rede, obwohl sich das abstrakt gefährdende Handlungsdelikt seiner Umschreibung nach gleichermaßen als reine Auslandstat darstellt.118 Die zweite Hürde, welche das Strafanwendungsrecht aufstellt, bezieht sich auf den Schutzbereich der deutschen Strafnorm, wobei gegebenenfalls fraglich ist, ob sich dieser auf ausländische Rechtsgüter erstreckt.119 Aufgrund der soeben getroffenen Feststellung, wonach die Umweltgefährdung nach Deutschland hineinwirken muss, scheint diese Voraussetzung unproblematisch erfüllt.120. Dem ist auch so, wenn den Umweltdelikten eine ökologisch-anthropozentrische Sichtweise zugrunde gelegt wird.121 Wird den Umweltdelikten hingegen ein eher administratives Verständnis unterstellt, wonach primär die behördliche Kontrollfunktion beziehungsweise das formelle Umweltverwaltungsrecht als geschützte Rechtsgüter erscheinen,122 erweist sich der Schutzbereich als fragwürdig,123 weil 116 So Hecker, ZStW 2003, 880 (889); vgl. Heinrich, GA 1999, 72 (84), wonach bei abstrakten Gefährdungsdelikten alle Orte Erfolgsorte seien, an denen die abstrakte Gefahr bestand; zustimmend auch Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 457. 117 Hierzu Heger, HRRS 2012, 211 (219). 118 Zu „Unverträglichkeiten“ mit der Rechtsordnung des betroffenen Staats auch MüKo-StGB/Schmitz, § 330d Rn. 57; hierzu näher § 12 C. III. und § 13. 119 Vgl. Hecker, ZStW 2003, 880 (889 ff.); umfassend Günther-Nicolay, Erfassung, S. 272 ff. 120 Zumal die problematischen Fälle zum Schutz ausländischer Rechtsgüter eher von Straftaten bekannt sind, die aus Deutschland heraus begangen werden und ihren tatbestandlichen Erfolg im Ausland zeitigen (vgl. insoweit Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 452 f. mit Fn. 1856, der die Frage zum Schutz ausländischer Rechtsgüter nur in Fallkonstellation als relevant betrachtet, bei denen durch eine umweltrelevante Tätigkeit im Inland ökologische Schäden im Ausland hervorgerufen werden. Zum (eher) bekannten Fall, dass Taten aus Deutschland heraus begangen werden und sich die Frage um den Schutz ausländischer Rechtsgüter stellt, BGHSt 40, 79 = JR 1996, 33 (m. Anm. Rengier). 121 Vgl. zum Streit um die Rechtsgutsbestimmung bei den Umweltdelikten eingehend Rengier, NJW 1990, 2506. 122 Vgl. zu § 327 StGB Dölling, JZ 1985, 461 (463); allgemein NK-StGB/Ransiek, Vor §§ 324 ff. Rn. 9 f.; zu § 324 StGB Papier, NuR 1986, 1 (2): „Schutzgut des § 324 StGB ist im allgemeinen das Gewässer in einem Zustand, der von den zuständigen exekutivischen Organen in den verwaltungsrechtlich dafür vorgesehenen Verfahren und Formen sowie in dem verwaltungsgesetzlich verfügten materiellen Rahmen als schutz-
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die deutschen Straftatbestände grundsätzlich nicht dem Schutz der Funktionsfähigkeit der behördlichen Zugangskontrolle anderer Staaten oder dem Verwaltungsgehorsam gegenüber ausländischen Verwaltungsentscheidungen dienen.124 Jedenfalls soweit § 330d Abs. 2 StGB entsprechende Hoheitsakte anderer Mitgliedstaaten den verwaltungsakzessorischen Merkmalen der deutschen Straftatbestände gleichstellt, ist die Schutzbereichserweiterung gegeben. Bezüglich der §§ 324, 329 StGB, die § 330d Abs. 2 StGB nicht in die Gleichstellung miteinbezieht, befürwortet die herrschende Meinung mit Blick auf den Schutzbereich eine unionskonforme Auslegung.125 Gerechtfertigt sieht sie sich dabei durch die Entwicklung des Umweltschutzes zu einem eigenständigen Ziel der Europäischen Verträge und dessen strafrechtlicher Konkretisierung (zuletzt durch die Richtlinie 2008/99/EG).
würdig und erstrebenswert bestimmt worden ist“; Rengier, ZStW 1989, 874 (881), der Genehmigungsverfahren, die Kontrollen von Umwelteinwirkungen erst ermöglichen und regeln, als schutzwürdiges Rechtsgut anerkennt; zusammenfassend ders., NJW 1990, 2506 (2507). 123 Unter den hier gefundenen Ergebnissen, wonach auch der verweigerte Verwaltungsgehorsam gegenüber rechtswidrigen Verwaltungsakten strafbewehrt ist und materiell rechtswidrige Genehmigungen ebenso tatbestandsausschließend wirken (hierzu im Ergebnis § 6 A. III. 4.), ist eine solches Verständnis jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. 124 Ausgehend vom historisch überkommenen Verständnis vom Schutzbereich nationaler Strafvorschriften, wonach sich der Schutz überindividueller Rechtsgüter auf das Inland beschränkt, wenn nicht das Gesetz den Schutz ausdrücklich auf das Ausland erweitert (vgl. MüKo-StGB/Ambos, Vor § 3 Rn. 83; Satzger, Jura 2010, 190 [195 f.]), stieße § 330d Abs. 2 StGB in diese Lücke. 125 Was die §§ 324, 329 StGB anbetrifft, befürwortet die ganz herrschende Meinung, dass für sie aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung dasselbe gilt, zumal sie § 330d Abs. 2 StGB ohnehin nur einen deklaratorischen Charakter attestieren (vgl. BTDrs. 17/5391, S. 11; Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 10 Rn. 75; ders., SchröderFS, S. 531 [546]; ders., ZStW 2003, 880 [895 ff.]); LK-StGB/Werle-Jeßberger, Vor § 3 Rn. 285; NK-StGB/Böse, Vor §§ 3 ff. Rn. 61 f.; Schall, in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 33 [40]; Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 40; wohl noch anders Pfohl, NuR 2012, 307 [308: „Lückenschließung“]; später aber ebenfalls von einer klarstellenden Funktion ausgehend ders., in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 65 [77]; Schall, Wolter-FS, S. 643 [657]). Ob die Rechtsansicht entgegen der ausdrücklichen Auslassung in § 330d Abs. 2 StGB haltbar ist, darf durchaus bezweifelt werden. Bereits zuvor gab es Stimmen, die die Funktionalisierung des deutschen Umweltstrafrechts zum Zwecke des europäischen Umweltschutzes als unzulässige Analogie betrachteten und für diese Fälle die Garantiefunktion der Straftatbestände bezweifelten (vgl. Bleckmann, Stree/Wessels-FS, S. 107 [113]; Wimmer, ZfW 1991, 141 [147]). Dieses Verständnis wandelte sich im Zuge der Harmonisierung des Umweltrechts, die Wertungswidersprüche der unterschiedlichen Rechtsordnungen einebnete (hierzu eingehend Hecker, ZStW 2003, 880 ff.). Mit der Vorschrift des § 330d Abs. 2 StGB, die ausweislich ihres Wortlauts nicht den gesamten 29. Abschnitt des Strafgesetzbuchs einbezieht und die §§ 324, 329 StGB auslässt, begegnet eine auslandsakzessorische Auslegung erneut Bedenken im Hinblick auf eine unzulässige Analogie (ähnliche Bedenken äußern: Lackner/Kühl/ Heger, § 330d Rn. 6; Meyer, wistra 2012, 371 [375]; MüKo-StGB/Schmitz, § 330d Rn. 61), gegen die eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht ankommt.
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III. Die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten bei ausländischen Verwaltungsentscheidungen Die Transformation einer im Ausland begangenen Verletzung der dort geltenden verwaltungsrechtlichen Pflichten in eine strafbewehrte Pflichtverletzung der deutschen Rechtsordnung dringt im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB noch insoweit durch, als der deutsche Gesetzgeber sich dabei auf harmonisierte Rechtsbereiche beschränkt,126 wobei eine Rechtskongruenz in den unterschiedlichen Staaten zumindest im Ausgangspunkt angenommen werden kann. Im Übrigen, das heißt bezüglich anderer Drittstaaten und außerhalb harmonisierter Rechtsbereiche, ist einer entsprechenden Ausweitung des Tatbestandsmerkmals der Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten eine Absage zu erteilen.127 Hierfür spricht zum einen der Ausnahmecharakter des § 330d Abs. 2 StGB,128 zumal er als gesetzliche Grundlage die Voraussetzungen einer solchen Strafbarkeit immerhin skizziert, worauf kaum zu verzichten sein dürfte.129 Weiterhin streiten hierfür die historischen Wurzeln der deutschen Umweltstraftatbestände in den nationalen Umweltgesetzen, die ein aufeinander abgestimmtes System bilden, das bei einer Einbeziehung ausländischen Umweltverwaltungsrechts Gefahr läuft, inkohärente Strafbarkeiten zu begründen.130 Vor solchen Inkohärenzen sind jedoch noch nicht einmal die der Gleichstellungsklausel § 330d Abs. 2 StGB unterfallenden Anwendungsbereiche gewappnet. Zwar herrscht insoweit Klarheit, als eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Sinne der deutschen Strafgesetze auch dann vorliegt, wenn gesetzlich statuierten Zugangskontrollen oder ausländischen Verwaltungsentscheidungen im Ausland zuwidergehandelt wurde.131 Ob derlei Vorschriften in Zukunft praktischer Erfolg beschieden sein wird, ist jedoch zu bezweifeln. Der als „Meilenstein der Fremdrechtsanwendung“ 132 umschriebene § 330d Abs. 2 StGB stellt
126
Vgl. BT-Drs. 17/5391, S. 11. So auch Eisele, in: Rengier, Bewältigung von Katastrophen, S. 149 (160 ff.); vgl. Hecker, ZStW 2003, 880 (892 f.). 128 Vgl. Eisele, in: Rengier, Bewältigung von Katastrophen, S. 149 (160). 129 Beachte insoweit auch die verfassungsrechtlichen Bedenken bzgl. einer unionsrechtskonformen Auslegung in Fn. 125. 130 Vgl. Eisele, in: Rengier, Bewältigung von Katastrophen, S. 149 (161), der skizziert, dass bei einer Verknüpfung mit ausländischem Verwaltungsrecht grenzüberschreitende Schädigungen pönalisiert werden könnten, die bei rein innerstaatlichen Sachverhalten weder im Inland noch im Ausland strafbar wären. 131 Stets unter der Voraussetzung, dass damit ein Rechtsakt der Union oder ein Rechtsakt der Europäischen Atomgemeinschaft umgesetzt oder angewendet wird, welcher dem Schutz vor Gefahren oder schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, insbesondere auf Menschen, Tiere oder Pflanzen, Gewässer, die Luft oder den Boden, dient (vgl. § 330d Abs. 2 S. 2 StGB). 132 So Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 132. 127
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die Ermittlungsbehörden vor erhebliche praktische Probleme.133 Dem liegt das gesetzgeberische Missverständnis zugrunde, wonach mit § 330d Abs. 2 StGB ein Verstoß gegen europäisches Umweltverwaltungsrecht sanktioniert werden sollte.134 Mit dem europäischen Umweltverwaltungsrecht konnte er nur das materielle Umweltrecht meinen. Im strafrechtlichen Kontext verwaltungsaktakzessorischer Entscheidungen kommt es aber weniger auf das materielle Verwaltungsrecht als vielmehr auf die formale Verwaltungsrechtslage an. Strafbewehrte belastende und tatbestandsausschließende Verwaltungsakte müssen – jedenfalls nach deutschem Verständnis – nicht materiell rechtmäßig, sondern (formal) wirksam sein. Diese formale Rechtslage richtet sich allein nach den jeweils nationalen Verfahrensrechtsordnungen.135 Anders als bei den transnationalen Verwaltungsentscheidungen, die zumeist unionsrechtlich ausgeformte Verfahrensvorschriften für die jeweilige Sachmaterie vorsehen, ist der Strafrichter im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB gänzlich dem ausländischen Recht und infolgedessen den unterschiedlichen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsgerichtsordnungen ausgeliefert.136 Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB um strafbewehrte Pflichtverletzungen handelt, die im Ausland begangen werden, muss der Versuchung widerstanden werden, die Vorprägung durch das verwaltungsaktakzessorische nationale Strafrecht blindlings auf diese Sachverhalte anzuwenden. Denn es erscheint kaum möglich, allein den verwaltungsaktakzessorischen Maßstab des deutschen Strafrechts auch für die strafrechtliche Absicherung der ausländischen Verwaltungsentscheidungen heranzuziehen. Um Wertungswidersprüche zu verhindern, muss insbesondere bei reinen Auslandssachverhalten (vgl. §§ 3, 9 StGB; hierzu o.) stets gefragt werden, ob der im Ausland Handelnde nach der dortigen Rechtslage ordnungsgemäß handelt ob er gegenüber dem Täter, der in Deutschland verwaltungsrechtliche Pflichten verletzt, über Gebühr bestraft würde. Das bedarf der Konkretisierung.
133 Kritisch im Hinblick auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Prüfung ausländischen Verwaltungsrechts im Allgemeinen: Pfohl, NuR 2012, 307 (308); ders., in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 65 (77). 134 Vgl. BT-Drs. 17/5391 S. 10. 135 Auf den Punkt bringt diesen Missstand die „Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss zum Referentenentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes (vom 13.10.2010) zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom 19.11.2008“ (SN 71/2010), S. 6: „Die angestrebte ,Harmonisierung des Umweltstrafrechts‘ setzt – spekulativ – ein voll harmonisiertes Verwaltungsrecht voraus.“ 136 Kritisch insoweit bereits die Stellungnahme der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/7674, S. 13.
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
1. Begünstigende Verwaltungsentscheidungen Für die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit ausländischen Genehmigungen gilt im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB folgendes: Statuiert die ausländische Rechtsordnung nach den Vorgaben des harmonisierten Umweltrechts ein Genehmigungserfordernis für bestimmte Tätigkeiten, verletzt der Betroffene keine verwaltungsrechtliche Pflicht im Sinne des deutschen Straftatbestands, wenn er eine nach ausländischem Verwaltungsverfahrensrecht wirksame Genehmigung erteilt bekommen hat.137 Der Strafrichter muss gegebenenfalls ein Gutachten darüber einholen, dass die Genehmigung nach der ausländischen Verwaltungsverfahrensordnung wirksam und nicht nichtig ist.138 Doch was gilt für die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten nach deutschem Strafrecht, sollte nach der ausländischen Rechtsordnung eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten (anders als nach hier befürwortetem Verständnis für die deutsche Rechtsordnung) auch dann angenommen werden, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist? Im Ausgangspunkt spricht zunächst nichts dagegen, die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflicht im Ausland als Anknüpfungspunkt für die deutsche Strafrechtsordnung anzunehmen,139 wenngleich der deutsche Straftatbestand hierdurch eine gewisse Umprägung erfährt. Unter Betrachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes überzeugt das jedoch nicht. Wenn der deutsche Straftatbestand nach herrschender Ansicht hinreichender Bestimmtheit nur genügt, wenn verborgene materiell-rechtliche Mängel einer Genehmigung keine Auswirkungen für die Strafbarkeit haben, muss das konsequenterweise auch für ausländische Genehmigungen gelten. Andernfalls legte der deutsche Strafgesetzgeber an den im Ausland Handelnden hinsichtlich der Voraussehbarkeit von Strafe andere Maßstäbe als für den in Deutschland Handelnden an, was nicht überzeugt. Die gleichen Maßstäbe müssen an die Rechtsmissbrauchsklausel in § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB angelegt werden.140 Entsprechend gilt sie für im Ausland erlangte Genehmigungen nur, wenn ihnen die ausländische Rechtsordnung ebenfalls ihre verwaltungsverfahrensrechtliche oder immerhin die strafrechtliche
137
Heger, HRRS 2012, 211 (218). Vgl. die Ausführungen der Bundesregierung bei der Beratung zur Umsetzung der Richtlinie 2008/99/EG, BT-Drs. 17/7674, S. 13: „Im Einzelfall gegebenenfalls auftretende Zweifelsfragen müssten die Strafgerichte durch Gutachten klären.“ 139 Diese Problematik scheint der Gesetzgeber nicht gesehen zu haben, wenn er wiederum (nur) mit Blick auf das materielle Umweltrecht ausführt (BT-Drs. 17/7674, S. 13): „Das entsprechende Umweltrecht anderer Mitgliedstaaten müsse daher dem deutschen entsprechen; Verstöße dagegen müssten in allen Mitgliedstaaten sanktioniert werden.“ 140 Weder der Wortlaut des § 330d Abs. 2 StGB noch die Gesetzesbegründung beziehen hierzu Stellung, vgl. Heger, HRRS 2012, 211 (218 f.). 138
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Wirksamkeit abspricht.141 Andernfalls scheidet bereits begriffsbedingt eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten aus, da die ausländische Genehmigung ungeachtet ihres Zustandekommens die Tätigkeitsausübung im Ausland legalisiert,142 ohne dass die Legalisierungswirkung auf straf- oder verwaltungsgesetzlicher Grundlage durchbrochen wird. Dass mit der Rechtsmissbrauchsklausel auf einen allgemeinen Rechtsgedanken Bezug genommen wird, kann für sich genommen und ohne gesetzliche Anordnung bereits in der rein innerdeutschen Strafrechtsordnung keine Strafbarkeit begründen, weil Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu unbestimmt sind.143 Konsequenterweise muss das erst recht für die in Bezug genommene ausländische Rechtsordnung gelten, sofern diese den Rechtsmissbrauchsgedanken nicht selbst gesetzlich verankert hat.144 Wiederum gewährleistet diese Lösung, dass die ausländische Rechtsordnung hinreichend berücksichtigt wird und den im Ausland Handelnden nicht die (gegebenenfalls) strengeren deutschen Maßstäbe oktroyiert werden.145 Die teils als misslich empfundene Konsequenz, die unredliche Genehmigungsempfänger in In- und Ausland unterschiedlich behandelt,146 ist aufgrund der unterschiedlichen Entscheidungen der jeweiligen Gesetzgeber hinzunehmen und verkraftbar. 2. Belastende Verwaltungsentscheidungen Wenn der deutsche Straftatbestand die Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Pflicht als einen Verstoß gegen eine „vollziehbaren“ Verwaltungsakt definiert (vgl. § 330d Abs. 1 Nr. 4c) StGB) und § 330d Abs. 2 StGB entsprechende Ver-
141 Bislang scheint ein Alles-oder-Nichts-Prinzip bei dieser Frage vorzuherrschen. Gänzlich ablehnend Heger, HRRS 2012, 211 (219); ders., in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 43 (56 f.). Umfassend befürwortend SSW-StGB/Saliger, § 330d Rn. 17; Schall, in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 33 (40); Sch/Sch/Heine/Schittenhelm, § 330d Rn. 40. 142 Missverständlich wird in diesem Zusammenhang teils auf die gegenseitige Anerkennung abgestellt, die der Anwendung der Rechtsmissbrauchsklausel entgegenstünde (so etwa Heger, HRRS 2012, 211 [219]; ders., in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 43 [57]) oder gerade nicht entgegenstünde, weil der Genehmigung nur „die strafrechtliche Beachtlichkeit im Inland versagt wird“ (so Schall, in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht nach dem 45 StrÄG, S. 33 [40]). Mit der gegenseitigen Anerkennung hat dies aber nichts zu tun, weil es – anders als bei den transnationalen Verwaltungsentscheidungen – nicht um die Legalisierungswirkung einer ausländischen Genehmigung im Inland geht. 143 Hierzu oben § 6 A. III. 1. c) dd) (2). 144 Anders Saliger, in: Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, S. 9 (26); SSW-StGB/ ders., § 330d Rn. 17. 145 Darin liegt der entscheidende Unterschied zu den Rechtsmissbrauchsklauseln, die transnationalen Verwaltungsentscheidungen die Legalisierungswirkung innerhalb der deutschen Rechtsordnung absprechen (vgl. § 95 Abs. 6 AufenthG; hierzu oben § 9 A. III. 2. b)). 146 So SSW-StGB/Saliger, § 330d Rn. 17.
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
bote oder Untersagungen eines Mitgliedsstaats dem gleichstellt, steht zunächst in Frage, wann die ausländische Verwaltungsentscheidung eine Vollziehbarkeit in diesem Sinne in sich trägt. Weniger problematisch erscheint dies, wenn man dafür ausschließlich auf die innere Wirksamkeit der Verwaltungsentscheidung abstellt.147 Andernfalls muss sich der deutsche Strafrichter auch darüber in Kenntnis setzen, was dem strafrechtsspezifischen Vollziehbarkeitsbegriff der herrschenden Meinung in der ausländischen Rechtsordnung entspricht,148 sofern diese überhaupt zwischen sofortiger Vollziehbarkeit und Wirksamkeit unterscheidet. Weitere Probleme stellen sich, wenn die ausländische Rechtsordnung der Zuwiderhandlung gegen rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen die Strafbewehrung von vornherein abspricht.149 Dann erscheint schon tatbestandlich eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten nicht einschlägig. Eine Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht wäre gleichermaßen nicht sachgerecht, weil andernfalls die strengeren deutschen Maßstäbe dem Ausland aufgebürdet würden, was wiederum Bedenken hinsichtlich des Grundsatzes der territorialen Souveränität hervorruft. In der Folge stellt den deutschen Strafrichter schon allein die Prüfung der strafbegründenden Voraussetzungen vor erhebliche Probleme, die ohne eine gutachterliche Stellungnahme über die Fremdrechtsordnung kaum lösbar sind.
D. Ergebnis Mit den transnationalen, europäischen und sonstigen ausländischen Verwaltungsentscheidungen sieht sich das Strafrecht zunehmend ausländischen Verwaltungsentscheidungen gegenüber. Phänomenologisch betrachtet, finden sich im Strafrecht die wirkungsbezogene und adressatenbezogene Transnationalität von Verwaltungsakten. In beiden Fällen handelt es sich um ausländische Verwaltungsentscheidungen, die bestimmte Tätigkeiten innerhalb des Geltungsgebiets der deutschen Rechtsordnung legalisieren. Eine behördenbezogene Transnationalität dergestalt, dass ausländische Behörden innerhalb des deutschen Territoriums belastende Verwaltungsentscheidungen erlassen, wogegen gerichtete Zuwiderhandlungen der deutsche Gesetzgeber unter Strafe stellt, gibt es (noch) nicht. Sofern derartige Verwaltungsentscheidungen genehmigungsbedürftige Tätigkeiten innerhalb des deutschen Territoriums legalisieren, beruhen die Genehmigungsvoraussetzungen in aller Regel auf umfassenden völker- oder unionsrechtlichen Grundlagen, die spezielle Vorschriften zum Verfahrensrecht vorsehen. Mit
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2. b).
So nach der hier vertretenen Meinung, vgl. oben § 6 B. II. 2. Vgl. Kemme, Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, S. 472. Zur großen Anhängerschaft dieser Ansicht im deutschen Recht oben § 6 A. III.
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der Festschreibung dieser Regelungen im Unionsrecht oder der Übertragung dieser Regelungen in die deutsche Rechtsordnung ist dem Strafrichter in der Regel gedient. Allein die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung begründet in diesem Kontext, dass der Strafrichter die begünstigende Verwaltungsentscheidung nicht aufgrund deren Rechtswidrigkeit für strafrechtlich unbeachtlich erklären kann. Dieses Ergebnis findet auch insoweit Bestätigung, als es sich kohärent zur Beurteilung deutscher Genehmigungen verhält, für die gleiches gilt. Rechtsmissbrauchsklauseln, die transnationale Genehmigungen als strafrechtlich unwirksam fingieren, begegnen keinen grundlegenden Bedenken, weil es um die Legalisierungswirkung innerhalb der deutschen Rechtsordnung geht. Jedenfalls bedarf es dafür einer gesetzlichen Grundlage. Ebenso wenig, wie der Rechtsmissbrauchsgedanke einer Genehmigung im rein nationalen Recht als ungeschriebener Grundsatz die strafrechtliche Wirkung abspricht, kann er das im europarechtlichen Kontext. Der Gesetzgeber ist dabei aber zur Vorsicht aufgerufen, weil er mit Rechtsmissbrauchsklauseln den zumeist europarechtlich eingeforderten Grundsatz zur gegenseitigen Anerkennung transnationaler Verwaltungsentscheidungen durchbricht. Damit setzt er sich nicht nur der Gefahr aus, europarechtswidrig zu handeln. Überdies führt das zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, die insbesondere beim sogenannten „Führerscheintourismus“ zu Tage traten. Begrüßenswert wäre daher für die Zukunft, wenn bereits die europäischen Rechtsgrundlagen entsprechende Spielräume für die nationalen Gesetzgeber einräumen, sofern das für kriminalpolitisch notwendig befunden und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung dadurch nicht ad absurdum geführt wird. Nicht unberücksichtigt bleiben sollten letztlich die praktischen Probleme, vor welchen die Justiz steht, wenn es darum geht, die fraudulöse Genehmigungserlangung im Ausland zu ermitteln. Als gesetzgeberische Fahrlässigkeit erweist sich hingegen die Gleichstellungsklausel in § 330d Abs. 2 StGB, welcher die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Ausland zum Anknüpfungspunkt für eine strafbewehrte Pflichtverletzung nach deutschem Strafrecht statuiert. Fahrlässig deshalb, weil der Gesetzgeber zwar zutreffend von einem weitgehend harmonisierten (materiellen) Umweltrecht ausgehen konnte, dabei aber offenbar übersah, dass das Verwaltungsverfahrensrecht noch immer rein national ausgestaltet ist. Vor dem Hintergrund, dass das Umweltstrafrecht hinsichtlich Genehmigungen und strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsakte nicht auf das materielle Umweltrecht, sondern das formale Verwaltungsverfahrensrecht abstellt, führt diese Fehleinschätzung zu erheblichen praktischen Problemen. Der Strafrichter ist zur Klärung ausländischer Verwaltungsvorfragen auf die sachverständige Begutachtung angewiesen. Mit Blick auf die abstrakten Gefährdungsdelikte lassen sich diese Schwierigkeiten immerhin dadurch vermeiden, dass man ihnen, entgegen einer beachtlichen Meinung im Umweltstrafrecht, einen Erfolg im Sinne des § 9 StGB abspricht, sodass sie gar nicht erst zur Anwendung kommen.
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
§ 13 Ausblick: Rechtsbehelfe im Rahmen transnationaler, europäischer und sonstiger ausländischer Verwaltungsentscheidungen und strafrechtliche Auswirkungen Die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelfe hängt bei transnationalen, europäischen und sonstigen ausländischen Verwaltungsentscheidungen maßgeblich von spezifischen Fragen der ausländischen Verwaltungsverfahrens- beziehungsweise Verwaltungsprozessordnung ab. Sie lassen sich daher nur skizzieren.
A. Rechtsbehelfe gegen begünstigende Verwaltungsentscheidungen Rückwirkende Rechtsbehelfe gegen begünstigende Verwaltungsakte haben bei rein innerdeutschen Sachverhalten keine Relevanz.150 Entsprechendes gilt für rückwirkende Rechtsbehelfe gegen begünstigende transnationale, europäische oder sonstige ausländische Verwaltungsentscheidungen. Folglich stehen nur die zukünftigen Folgen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe zur Diskussion. Soweit die ausländische Behörde die Genehmigung aufhebt, kommt es darauf an, ab welchem Zeitpunkt die Legalisierungswirkung und damit einhergehend die transnationale Wirkung der Genehmigung entfällt. Handelt der Täter infolgedessen ohne Genehmigung, steht wiederum zur Diskussion, ob man an die Aufhebungsentscheidung einen strafrechtsspezifischen Vollziehbarkeitsbegriff anlegt oder diesen stringent verwaltungsrechtlich interpretiert.151 Folgt man der herrschenden Meinung, muss sich der deutsche Strafrichter darüber in Kenntnis setzen, was dem strafrechtsspezifischen Vollziehbarkeitsbegriff in der ausländischen Verfahrensrechtsordnung entspricht. Theoretisch denkbar sind im Weiteren Beschwerdemöglichkeiten Dritter, die gegen die Genehmigung einen dem Drittwiderspruch oder der Drittanfechtungsklage entsprechenden Rechtsbehelf im Ausland einlegen. Die nach deutschem Verwaltungsprozessrecht ipso iure eintretende aufschiebende Wirkung zieht keine strafrechtlichen Folgen nach sich, wenn der Betroffene weiterhandelt. Maßgeblich wurde hierfür vorgebracht, dass die Indienstnahme des Strafrechts für die Sicherung der Rechte Dritter nicht notwendig ist, zumal der Betroffene, der die Genehmigungserteilung abwartet, die Belange der Funktionsfähigkeit der behördlichen Zugangskontrolle nicht in Abrede stellt und die gesetzlich eintretende Wirksamkeitshemmung an der materiellen Entscheidungsfindung der Behörde
150 151
Hierzu oben § 10 A. Vgl. hierzu oben § 6 B. II. d).
§ 13 Rechtsbehelfe im europäischen und internationalen Kontext
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nichts ändert.152 Insoweit kommt es auf die genaue Ausgestaltung des Rechtsbehelfs im Ausland an. Die teleologische Reduktion sieht sich etwa in Zweifel gezogen, wenn die aufschiebende Wirkung nicht ipso iure, sondern nach erneuter Prüfung durch die Behörde angeordnet wird. Denn damit bringt sie zum Ausdruck, von der Rechtmäßigkeit der Genehmigung nicht mehr überzeugt zu sein.
B. Rechtsbehelfe gegen belastende Verwaltungsentscheidungen Von weitaus größerer strafrechtlicher Relevanz sind die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Rahmen strafbewehrter Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsentscheidungen. Bereits im Gesetzgebungsverfahren richtete sich die Kritik maßgeblich gegen die Ausweitung des § 330d Abs. 2 StGB auf strafbewehrte Zuwiderhandlungen gegen ausländische Verwaltungsentscheidungen, wobei das gegenüber dem deutschen oftmals zurückbleibende Rechtsschutzniveau im Ausland bemängelt wurde.153 Trifft dieser Einwand zu, geht mit der Erweiterung des § 330d Abs. 2 StGB eine strukturelle Benachteiligung im Ausland handelnder Täter gegenüber Inlandstätern einher. Die Probleme hinsichtlich der Strafbarkeitsvoraussetzungen154 potenzieren sich, wenn der Betroffene geltend macht, vor der Tat Rechtsbehelfe gegen die Verwaltungsentscheidungen im Ausland in Anspruch genommen zu haben. Dabei muss der Strafrichter prüfen, welche Rechtswirkungen im Einzelfall mit der Erhebung des Rechtsbehelfs verbunden sind. Um eine strukturelle Benachteiligung im Ausland handelnder Akteure zu verhindern und um eine kohärente Bestrafung zu gewährleisten, die den Anforderungen des Art. 3 GG entspricht, darf kein allzu strenger Maßstab an die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe angelegt werden. Stets ist auf den Einzelfall ab- und der Vergleich zur Strafbarkeit bei deutschen Verwaltungsakten anzustellen. Entsprechend ist ein Strafaufhebungsgrund ebenfalls denkbar, ohne dass es einer genaueren Analyse der Rechtsweggarantie und der konkreten verwaltungsrechtlichen Folgen der Aufhebungsentscheidung im Ausland bedarf. Erforderlich ist, dass der Verwaltungsakt endgültig mit Wirkung ex tunc aufgehoben wurde und zum Zeitpunkt der Aufhebung noch nicht bestandskräftig war.155 Damit geht einher, dass das deutsche Strafgericht 152
Hierzu oben § 7 C. II. Vgl. die Kritik der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/7674, S. 13 („höchst problematisch“); ebenso die „Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss zum Referentenentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes (vom 13.10.2010) zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom 19.11.2008“ (SN 71/ 2010), S. 4 ff. („unverständlich und nicht akzeptabel“); auch Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 132 („nicht unproblematisch“). 154 Vgl. oben § 12 C. III. 2. 155 Zu den Voraussetzungen des Strafaufhebungsgrunds s. oben § 9 D. II. 3. 153
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5. Teil: Die Bedeutung im europäischen und internationalen Kontext
gegebenenfalls die Entscheidung über das Ergebnis des im Ausland eingelegten Rechtsbehelfs abwarten und das Strafverfahren insoweit aussetzen muss. Im Rahmen der Rechtshilfe sind die deutschen Strafgerichte dabei auf einen funktionierenden Informationsaustausch und eine effektive Kooperation mit den Verwaltungsbehörden beziehungsweise -gerichten des anderen Staats angewiesen, nicht zuletzt um dem Beschleunigungsgrundsatz auch in diesem Kontext zu genügen.156
156
Vgl. dazu oben § 11 B. III. 2.
Sechster Teil
Schluss Die Auseinandersetzung mit den verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfen hat mit der Überführung des Umweltstrafrechts in das Strafgesetzbuch erheblich an Bedeutung gewonnen. In der weit zurückreichenden Historie des Verwaltungsstrafrechts konzentrierte sich die Diskussion insbesondere darauf, ob die Taten dem polizeilich Verbotenen oder dem kriminell Strafbaren zugehörig sind. Sie fanden und finden ihre Fortsetzung im Streit um die quantitative beziehungsweise qualitative Abgrenzung zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat, die in der Praxis aber nur noch von geringer Bedeutung ist. Entsprechend war die Überführung des Umweltstrafrechts in das Kernstrafrecht weniger deshalb von Interesse, weil sie eine Trendwende in der Entkriminalisierung des Verwaltungsungehorsams einleitete, als vielmehr deshalb, weil das Verwaltungsprozess- und Verwaltungsverfahrensrecht inzwischen eine Verfestigung erfahren hatten, welche eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe im Strafrecht erst richtig möglich machte. Die Arbeit hat zunächst aufgezeigt, dass der Gesetzgeber mit der Implementierung des Verwaltungsrechts in das Strafrecht zwei ungleiche Partner vereint. Das repressiv agierende, rückwärtsgewandte Strafrecht trifft auf das präventiv agierende, zukunftsgewandte Verwaltungsrecht. Anhand der aufgezeigten Unterschiede in den Regelungskonzeptionen wurde herausgearbeitet, dass die zahlreichen Versuche der Wissenschaft, unter Heranziehung des Grundsatzes einer einheitlichen Rechtsordnung rechtsübergreifende Konkordanzen zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht herzustellen, nicht überzeugen. Noch bedeutsamer tritt in der Rückschau zu Tage, dass die insbesondere aus der Vereinigung von verwaltungsrechtlicher actio und strafrechtlicher reactio unweigerlich entstehenden Friktionen letzten Endes dazu führen, dass sich das Verwaltungsrecht nicht für die Zwecke des Strafrechts verstetigen lässt. Zunächst aber führte die Untersuchung zur materiellen Einordnung des Verwaltungsakts in das Strafrecht hinreichend deutlich vor Augen, dass letzterem in erster Linie das Verwaltungsverfahrensrecht als maßgeblicher Orientierungspunkt dient. Während das Verwaltungsverfahrensrecht dem Verwaltungsverfahren weitgehende Verfahrensklarheit und -sicherheit gewährleistet, sichert es dem Strafrecht die notwendige Bestimmtheit seiner Normen. Diese streng verwaltungsaktakzessorische Anlehnung muss die herrschende Ansicht für die strafbewehrte Zu-
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6. Teil: Schluss
widerhandlung gegen Verwaltungsakte bezüglich dessen Verbindlichkeit erst noch nachvollziehen. Sie beharrt noch immer auf einem strafrechtseigenen Vollziehbarkeitsbegriff, der sich an die verwaltungsrechtliche Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts anlehnt und rechtshistorisch an Goldtschmidts Theorie vom „Verwaltungszwang durch Bestrafung“ erinnert, sonst aber kaum begründbar ist. Unabhängig davon folgt aus der engen Anlehnung des Strafrechts an das Verwaltungsverfahrensrecht eine entscheidende Erkenntnis für die sich anschließende Auseinandersetzung um die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Rechtsbehelfe: Für strafrechtlich abgesicherte Genehmigungsbedürfnisse führt die Anlehnung dazu, dass auch rechtswidrige Genehmigungen tatbestandsausschließende Wirkung haben. Umgekehrt läuft der Betroffene bei einer strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen belastenden Verwaltungsakt auch dann Gefahr einer Bestrafung, wenn dieser rechtswidrig ist. Zwar kann er diese für die Zukunft durch Widerspruch und Anfechtungsklage abwenden, soweit die aufschiebende Wirkung die Wirksamkeit des Verwaltungsakts hemmt. Von besonderem Interesse ist aber, was gilt, wenn der Täter seine Rechtsbehelfe erst nach der Tatvollendung einlegt. Insbesondere bei den strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen belastende Verwaltungsakte ist die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen und Rechtsbehelfe daher von besonderer Relevanz. Wenn für die tatbestandsmäßige Handlung der Verstoß gegen den rechtswidrigen Verwaltungsakt ausreicht, entpuppen sich im Nachgang eingelegte Rechtsbehelfe, die zu einer Aufhebung des Verwaltungsakts führen, als strafrechtliches Nachtatgeschehen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits vor über 50 Jahren die Relevanz des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, das heißt eines effektiven Rechtsschutzes gegenüber Verwaltungsakten, auch in Bezug auf die strafrechtlichen Folgen andeutete, verweigert sich die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung diesem Fingerzeig noch immer. Sie beharrt dabei auf dem Dogma, wonach Rückwirkungen für das Strafrecht keinerlei Bedeutung haben. Dem stellte sich die Arbeit mit dem Versuch entgegen, das Nachtatgeschehen auf eine konzeptionelle Grundlage zu stellen. Erweist sich der Verwaltungsakt als rechtswidrig, führen die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe regelmäßig zur rückwirkenden Vernichtung des Verwaltungsakts. Anhand verwandter Phänomene aus anderen Rechtsordnungen, zu denen das Strafrecht ein akzessorisches Verhältnis pflegt, konnte festgestellt werden, dass Rechtsprechung und Wissenschaft zwar schwankend, aber immer auf denselben Argumentationslinien wandeln, ohne sich hierbei eines tragfähigen Konzepts zu bedienen. Eine rechtskonstruktive Betrachtung der rechtlichen Rückwirkungen hat ergeben, dass sie „unechte“ Rechtskollisionen zwischen der Strafrechtsordnung und der von ihr in Bezug genommenen Rechtsordnung auslösen: Demnach bezieht sich das Strafrecht auf Umstände, welche die Rechtsordnung nachträglich als nichtig fingiert. Zur Kompensation einer solchen Kollision, mithin zu der Frage, ob der vom Strafrecht in Bezug genommenen Rechtsord-
6. Teil: Schluss
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nung eine strafrechtsgestaltende Kraft zukommt, in deren Folge die rechtlichen Rückwirkungsfiktionen auch auf das Strafrecht durchschlagen, konnte die Arbeit eine konsistente Lösung anbieten. Strafrechtsimmanente Begründungsansätze dienen hierzu ebenso wenig wie analoge Schlüsse aus Normen des intertemporalen Strafrechts. Vielmehr ist die strafrechtsgestaltende Kraft in der Rechtsordnung zu suchen, welche die Rückwirkungsfiktion anordnet und infolgedessen Rückgewährverhältnisse statuiert. Dem Verwaltungsrecht konnte eine solch strafrechtsgestaltende Kraft attestiert werden, die auf einer durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG bedingten Extension des Folgenbeseitigungsanspruchs beruht. Dieser umfasst im Fall der Aufhebung des strafbewehrten Verwaltungsakts nicht nur die unmittelbaren Vollzugsfolgen, sondern darüber hinaus auch die strafrechtlichen Folgen, die sich als mittelbare Vollzugsfolgen erwiesen. Hierdurch erwächst dem Betroffenen ein subjektives öffentliches Recht in Form eines Anspruchs auf Strafaufhebung. Erforderlich ist, dass der Verwaltungsakt endgültig mit Wirkung ex tunc aufgehoben wurde, zum Zeitpunkt der Aufhebung noch nicht bestandskräftig war und zwischen dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln und der Strafbarkeit ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Diese Voraussetzungen gewährleisten für die Bedeutung des strafrechtlichen Nachtatgeschehens einerseits eine konsistente Grundlage, die einem effektiven Rechtsschutz vollauf gerecht wird, tragen andererseits aber auch dem Interesse der Rechtssicherheit Rechnung. Das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht erweist sich insofern als besonders, weil ein Subordinationsverhältnis zwischen Bürger und Staat nicht erst durch das Strafrechtsverhältnis, sondern bereits zuvor durch das Verwaltungsrechtsverhältnis statuiert wird. In der Gesamtschau der verwaltungsaktakzessorischen Merkmale im Strafrecht ist der Anwendungsbereich einer sogenannten strafaufhebenden Folgenbeseitigung daher auf wenige Fälle beschränkt. Auch für die verwandten Rückwirkungsproblematiken in anderen Rechtsgebieten findet er nur vereinzelt Anwendung. Vor dem Hintergrund der bereits tatbestandsmäßigen, rechtswidrig und schuldhaft begangenen Tat erweist sich das aber als keineswegs unangemessen. Prozessual realisieren lässt sich der Strafaufhebungsgrund durch eine Aussetzung des Strafprozesses (§ 262 Abs. 2 StPO analog), bis die Verwaltungsbehörde beziehungsweise das Verwaltungsgericht über den Verwaltungsakt entschieden haben. Der abschließende Ausblick auf die Anbindung des Strafrechts an Verwaltungsentscheidungen im europäischen und internationalen Kontext hat sich als zweischneidige Angelegenheit erwiesen. Mit den transnationalen Verwaltungsentscheidungen besteht ein praktikables Instrument im Rahmen europäischer und internationaler Verwaltungskooperationen, dessen strafrechtliche Implikationen sich bewältigen lassen. Bislang geht es stets um die Legalisierungswirkung ausländischer Genehmigungen für genehmigungsbedürftige Tätigkeiten im Inland. Auch behördliche Zugangskontrollen auf europäischer Ebene, die entsprechend eine europäische Genehmigungsentscheidung erfordern, erfahren bereits Schutz
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6. Teil: Schluss
durch deutsche Straftatbestände und lassen sich in das deutsche Strafrecht integrieren. Ihre Anwendungsbereiche sind freilich (noch) sehr begrenzt, weil in den allermeisten Fällen die Mitgliedsstaaten das Unionsrecht vollziehen. Die ausländischen Verwaltungsentscheidungen im Rahmen des § 330d Abs. 2 StGB stellen den Rechtsanwender hingegen vor erhebliche Probleme. Der Gesetzgeber macht damit eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Ausland zum Anknüpfungspunkt einer strafbewehrten Pflichtverletzung des deutschen Strafrechts. Dabei übersah der Gesetzgeber, dass zwar das materielle Umweltrecht eine europäische Harmonisierung erfahren hat, die Regelungen des Verwaltungsverfahrens jedoch weiterhin den nationalen Rechtsordnungen entstammen. Wenn das verwaltungsaktakzessorische Strafrecht im rein nationalen Rahmen eng an das Verwaltungsverfahrensgesetz angelehnt ist, bedeutet das für den deutschen Strafrichter, bei Tatbegehungen im Ausland, der ausländischen Verwaltungsverfahrensordnung ausgeliefert zu sein. Die strukturellen Probleme des Rechtsschutzes gegenüber hoheitlichem Handeln im Ausland und die daraus entspringenden Folgen für die Bekämpfung entsprechender Auslandstaten mit dem Instrumentarium des deutschen Strafrechts konnten zuletzt nur skizziert werden. Trifft die vielfach geäußerte Kritik zu, wonach das Rechtsschutzniveau in anderen Mitgliedsstaaten teils dem deutschen hinterherhinkt, führt die Vorschrift zu einer strukturellen Benachteiligung der handelnden Akteure im Ausland. Ausgleichende Ansätze, die eine kohärente Strafbarkeit von Handlungen im In- und Ausland gewährleisten, konnten nur angedeutet werden, sind aber in jedem Fall empfehlenswert. Die Unbeschwertheit, mit der vor dem Hintergrund eines harmonisierten Umweltrechts im Jahr 2012 die Vorschrift des § 330d Abs. 2 StGB Eingang in das deutsche Strafrecht fand, ist von diesem Standpunkt aus verwunderlich.
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Sachverzeichnis Aufschiebende Wirkung – im internationalen und europäischen Kontext 290 ff. – Strafaufhebungsgrund 227 ff. – Strafrechtliche Auswirkungen 154 ff. – zu Rückwirkungen siehe dort Deklarationstheorie 194 ff., 235
– unrechts-/tatbestandsausschließende ~ 29 f., 32, 88 ff., 126, 137 Genehmigungsfähigkeit 53, 93 f., 105, 236 Irrtum siehe Fehlvorstellungen Markenrecht 25, 187 ff., 203, 205 f., 233 Nachtatgeschehen 168 ff., 203 ff.
Einheit der Rechtsordnung 49, 60 ff., 91 f., 137, 144 Fehlvorstellungen 31, 163 ff. Fiktionstheorie 193 ff., 202, 234 Folgenbeseitigungsanspruch 214 ff., 233, 242, 247 f. Genehmigung 50 ff. – als Strafaufhebungsgrund 30 f., 245 f. – deliktssystematische Stellung 67 ff. – Drittwiderspruch/-anfechtungsklage 154, 159, 162 f. – Genehmigungsverwaltungsrecht 50, 53 – Genehmigungsvorbehalt 45, 53 f., 66 – Irrtum siehe Fehlvorstellungen – nachträgliche/rückwirkende ~ 183, 198, 202, 204, 233 ff. – nichtige ~ 84 – präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt/Repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt 53, 55, 63, 65 f., 72 f., 164 f. – strafrechtliche Folgen der Aufhebung 153 – transnationale ~ siehe Transnationale Verwaltungsentscheidungen
Patentrecht 25, 187 ff., 203, 233, 251 Rechtsbehelfe – Anfechtungsklage siehe Rückwirkungen – aufschiebende Wirkung siehe dort/ Rückwirkungen – Rücknahme/Widerruf siehe Rückwirkungen – Widerspruch 174 ff., siehe auch aufschiebende Wirkung Rechtsmissbrauchsgedanke/-klauseln 95 f., 101, 103 ff., 273, 286 ff. Rechtsweggarantie 123 ff., 147, 169, 246 ff., 291 Rückwirkungen/Rückwirkungsfiktion 20, 141, 148 f., 168 ff. – Anfechtungsklage 173 f., 223 f. – aufschiebende Wirkung 170 ff., 227 ff. – Fiktions-/Deklarationstheorie siehe dort – immaterialgüterrechtliche ~ 187 ff., 203, 233 – rechtskonstruktive Betrachtung 191 ff. – Rücknahme/Widerruf 174 ff., 224 ff. – strafprozessuale ~ 184 ff., 202 f., 231 ff.
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– verwaltungsrechtliche ~ 168 ff., 201 f., 222 ff., 233 ff. – zivilrechtliche ~ 181 ff., 202, 231
– nichtiger ~ 81 ff., 113, 121, 126, 139, 165 f., 237 f., 241, 261, 265 f., 269 f.
Strafanwendungsrecht 24, 244 f., 280 ff. Strafaufhebungsgrund 30, 222 ff., 239, 247 ff. Strafwürdigkeit/Strafbedürftigkeit 206 ff.
– statusbegründender ~ 23 f., 86 ff., 241, 244
Transnationale Verwaltungsentscheidungen 22, 256 ff – adressatenbezogene ~ 259 f. – behördenbezogene ~ 260 f. – wirkungsbezogene ~ 258 f.
– (rechts)gestaltender ~ 22 ff., 87, 132, 161, 177, 187, 241
– unionsrechtswidriger ~ 126 ff., 165 – Verbindlichkeit des ~ 130 ff. Verwaltungsaktakzessorietät 17 ff., 21 ff., 48, 57 ff., 62 ff., 88 ff., 149, 168 f., 195, 214, 233 ff. – Durchbrechung/Eingeschränkte 90 ff., 107 ff. – extreme ~ 168 – strenge ~ 89 f., 107, 162
Verwaltungsakt – befehlender/belastender ~ 20, 22 f., 25 ff., 31 f., 49 f., 58 f., 75, 84 f., 106 ff., 136, 138 ff., 153 f., 161 f., 166, 168 ff., 201 – begünstigender ~ siehe Genehmigung – feststellender ~ 22 f., 28 f., 86, 125 f., 132, 241 f.
Verwaltungsrechtakzessorietät 21, 96 ff., 107 ff. Verwaltungsstrafrecht 19, 33 ff., 144 f. Vollstreckbarkeit 60, 78, 133 ff. Wiederaufnahmeverfahren 184 f., 190, 203, 213, 231 f., 247 ff.