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German Pages [443] Year 2022
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 481 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Anna Reis
Die Bedeutung des Schweigens im Privatrecht Ein deutsch-italienischer Rechtsvergleich unter Berücksichtigung des Internationalen Privatrechts
Mohr Siebeck
Anna Reis, geboren 1991; Studium der Rechtswissenschaften an der LMU München; Referendariat am OLG München mit Stationen u. a. beim LG München I und der Deutschen Botschaft in Rom; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, dann am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der LMU München; 2020 Promotion; seit 2020 Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Traunstein.
ISBN 978-3-16-161232-9 / eISBN 978-3-16-161233-6 DOI 10.1628/978-3-16- 161233-6 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen gesetzt, von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen; das Rigorosum fand am 17. Mai 2021 statt. Für die Druckfassung konnten Literatur und Rechtsprechung größtenteils bis Ende November 2021 verfolgt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Professor Dr. Dr. h. c. Peter Kindler, der nicht nur bereits in den ersten Studiensemestern meine Begeisterung für das italienische Recht weckte, sondern auch den Anstoß für die vorliegende Arbeit gab. Sein Vertrauen in mich während der Tätigkeit als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl hat mich entscheidend geprägt und zum Gelingen meines Studiums geführt. Professor Dr. Stephan Lorenz danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens; Professor Dr. Anatol Dutta sowie den bereits Genannten für die Unterstützung und die guten Arbeitsbedingungen während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Internationales Recht an der LMU. Professor Dr. Salvatore Patti, Professor Dr. Tommaso dalla Massara sowie Professor Dr. Vincenzo Barba und Professor Dr. Giorgio Cian möchte ich herzlich für die überaus freundliche Aufnahme und die Gastfreundschaft an der Universität La Sapienza in Rom, der Università degli Studi di Verona und der Università degli Studi di Padova sowie für ihre wertvollen Anregungen danken. Die wunderschöne Zeit an den italienischen Universitäten wird mir immer in Erinnerung bleiben. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gebührt Dank für das großzügige Promotionsstipendium, das mir den Auslandsaufenthalt ermöglichte. Von Herzen danke ich auch allen meinen italienischen und deutschen Freunden und Kollegen, die durch ihre Anregungen und ihre Hilfe bei der Beschaffung italienischer Literatur, aber auch durch ihre jahrelange Geduld und moralische Unterstützung zum Gelingen der vorliegenden Arbeit ganz wesentlich beigetragen haben. Größten Dank für die mühevolle sprachliche Durchsicht des Manuskripts, ihre uneingeschränkte Unterstützung und ihren steten Rückhalt nicht nur während meines Studiums und der Promotion schulde ich jedoch vor allem meinen Eltern, denen diese Arbeit auch gewidmet ist – ohne sie wäre sie niemals entstanden. Rosenheim, im November 2021
Anna Reis
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Anlass und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Möglichkeit einer einheitlichen Behandlung der Thematik . . . . . . . . . . . IV. Aufbau der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 6 11 14
§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht . . . . . . . . . 17 I. Einführung – Römisches Recht als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht . . . . . III. Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Thematik in den Kodifizierungen in Deutschland und Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassender Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Schweigens im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 18 26 33
§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Einführung – Erklärungsgehalt des Schweigens im Grundsatz . . . . . . . II. Fattispecie di acquisto bzw. costituzione di un rapporto obbligatorio (Schweigen als Ursache eines Rechtserwerbs bzw. als Verpflichtungsgrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fattispecie di perdita dei diritti (Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassender Überblick zum Schweigen im italienischen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
37 119 140
VIII
Inhaltsübersicht
§ 4 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden deutschen Privatrecht im Vergleich zum italienischen Privatrecht . . . . . . . . . 143 I. Einführung – Erklärungsgehalt des Schweigens im Grundsatz . . . . . . . II. Schweigen als Verpflichtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes . . . . . . . IV. Zusammenfassender Vergleich und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 145 244 269
§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Einführung – Problematik des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Die Rolle des Schweigens in der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf weitere Gebiete des Kollisionsrechts . . . . . 313
§ 6 Ausblick und Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtsvereinheitlichung auf rechtsvergleichender Basis . . . . . . . . 341 I. Ausblick: Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
Normanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Normen des Codice civile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Normen des Codice del consumo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Normen des Codice di commercio von 1882 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Anlass und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten und Schwerpunkt der Darstellung 6 2. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Abgrenzung des reinen Schweigens zum schlüssigen Handeln . . . . . . . . . . 10
III. Möglichkeit einer einheitlichen Behandlung der Thematik . . . . . . . . . . . 11 1. Italienisches Recht: Kritik an der „teoria del silenzio“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Einheitliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
IV. Aufbau der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht . . . . . . . . . 17 I. Einführung – Römisches Recht als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht . . . . . 18 1. Schweigen als Verpflichtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
III. Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Thematik in den Kodifizierungen in Deutschland und Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Schweigen als Verpflichtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Heutiges Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heutige Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schweigen als Rechtsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Heutiges Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heutige Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 29 30 31 32
X
Inhaltsverzeichnis
IV. Zusammenfassender Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Schweigens im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Einführung – Erklärungsgehalt des Schweigens im Grundsatz . . . . . . . 35 II. Fattispecie di acquisto bzw. costituzione di un rapporto obbligatorio (Schweigen als Ursache eines Rechtserwerbs bzw. als Verpflichtungsgrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Grenzen der Verpflichtungswirkung durch Form- und Schutzvorschriften . a) Schweigen und Formbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schweigen und forniture non richieste (unbestellte Leistungen) . . . . . . . c) Schweigen und condizioni generali di contratto (Allgemeine Geschäftsbedingungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele für ein silenzio con valore legale (normiertes Schweigen) . . . . . . a) Begründung von Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlängerung und Beendigung von Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Ausgestaltung von Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele für ein silenzio circostanziato (beredtes Schweigen) . . . . . . . . . . a) Ausdrückliche und konkludente Parteivereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . b) Usi, buona fede, tolleranza (Bräuche, Treu und Glauben, Duldung) . . . . aa) Schweigen im Rahmen bestehender Geschäftsbeziehungen und bei Vorteilhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schweigen gegenüber dem Handeln eines (vermeintlichen) Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schadensersatzpflichten infolge eines Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beispiele für handelsrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lettera di conferma (Bestätigungsschreiben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bekanntheit des kaufmännischen Bestätigungsschreibens auch in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materiellrechtliche Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Beweisrechtliche Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere handelsrechtliche Fälle des Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fattura (Rechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Conferma d’ordine (Auftragsbestätigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schweigen als dichiarazione di volontà (Willenserklärung)? . . . . . . . . . . . . a) Keine Willenserklärung (sog. negatività del silenzio) . . . . . . . . . . . . . . . b) Schweigen als dichiarazione di volontà (Willenserklärung) und Kritik an den eben genannten Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begründung dieser Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rolle des Erklärungsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 39 41 43 43 53 55 56 56 58 59 63 66 69 69 69 72 74 76 78 78 80 81 82 85 87 89
Inhaltsverzeichnis
7. Anderweitige dogmatische Begründungen der Rechtsfolgen eines Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung über negozio unilaterale und promessa unilaterale (einseitiges Rechtsgeschäft und Versprechen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses: Verzicht auf eine Zustimmung des Schweigenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Comportamento omissivo/onere di parlare (Pflicht- oder Obliegenheitsverletzung) als Ursache der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . aa) Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rückgriff auf obbligo/onere di parlare im Rahmen der Auslegung . d) Rückgriff auf buona fede, affidamento, principio dell’apparenza, usi (Treu und Glauben, Vertrauen, Rechtsschein, Gebräuche) . . . . . . . . . . . . aa) Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einfluss der buona fede auf die objektive Erklärungsbedeutung . . . 8. Normierte Fälle des Schweigens als Willenserklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Möglichkeit der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen . . . a) Rechtslage beim silenzio circostanziato . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslage beim silenzio con valore legale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
93 93 94 94 96 97 99 100 100 101 102 103 103 105 106 108 112 112 117
III. Fattispecie di perdita dei diritti (Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Rechtsverlust infolge gesetzlicher Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prescrizione und decadenza (Verjährung und Rechtsverlust) . . . . . . . . . b) Einzelne Fälle der decadenza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatische Einordnung und Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverlust infolge eines Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Fälle des Rechtsverlustes infolge Untätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rinuncia tacita (konkludenter Verzicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Principi di buona fede (Grundsatz von Treu und Glauben) und Rezeption der Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tolleranza (Duldung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen der tolleranza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dogmatische Begründung der tolleranza und Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 121 124 129 131 132 133 134 135 137 138
IV. Zusammenfassender Überblick zum Schweigen im italienischen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Inhaltsverzeichnis
§ 4 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden deutschen Privatrecht im Vergleich zum italienischen Privatrecht . . . . . . . . . 143 I. Einführung – Erklärungsgehalt des Schweigens im Grundsatz . . . . . . . 143 II. Schweigen als Verpflichtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Grenzen der Verpflichtungswirkung durch Formvorschriften und Schutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schweigen und Formbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schweigen und unbestellte Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schweigen und allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele normierten Schweigens im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung von Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlängerung von Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Ausgestaltung von Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele beredten Schweigens im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausdrückliche und konkludente Parteivereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswirkungen aufgrund von Treu und Glauben im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schweigen im Rahmen bestehender Geschäftsverbindungen . . . . . . bb) Schweigen gegenüber dem Auftreten eines Vertreters . . . . . . . . . . . c) Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schadensersatzpflichten aufgrund eines Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Handelsrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrag auf Besorgung von Geschäften im Handelsrecht (§ 362 HGB) . . b) Weitere Beispiele von Zustimmungsfiktionen im HGB . . . . . . . . . . . . . . c) Kaufmännisches Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dogmatische Begründung der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsvergleichende Bewertung der Rolle des Bestätigungsschreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beredtes Schweigen im Handelsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schweigen als Willenserklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Willenserklärung bei beredtem Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit einer Willenserklärung bei beredtem Schweigen . . . . . . . . . c) Rolle des Erklärungsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Weitere dogmatische Begründungen der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lösung über Vertragsabschlussmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lösung über Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lösung über Treu und Glauben und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . d) Lösung über Handelsbräuche und Verkehrssitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Lehre von den faktischen Verträgen und das „private Sozialrecht“ als Begründung der Wirkung eines Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Stellungnahme: Beredtes Schweigen als Willenserklärung . . . . . . . . . . . . .
147 147 148 150 151 153 161 163 165 165 168 169 174 175 176 178 179 180 181 182 186 190 192 195 196 199 200 202 203 205 206 207 208 210
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a) Ablehnung der dogmatischen Begründungsansätze außerhalb der Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Keine Lösung über Vertragsabschlussmechanismen für alle Fälle des Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Keine Begründung von Erfüllungspflichten über Obliegenheitsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 cc) Keine Notwendigkeit für eine Begründung der Rechtsfolgen über Treu und Glauben bzw. eine Rechtsschein- oder Vertrauenshaftung 213 dd) Keine hinreichende Begründung über Handelsbräuche, Verkehrssitten und Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 ee) Dogmatische Ablehnung von „Privatem Sozialrecht“ und faktischem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Fazit: Beredtes Schweigen als Erscheinungsform einer echten Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 9. Stellungnahme zum normierten Schweigen als Willenserklärung . . . . . . . . 228 a) Hierzu vertretene Auffassungen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Argumente für eine differenzierende Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 10. Stellungnahme zur Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf das Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Rechtslage beim beredten Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Geltende Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Rechtsvergleichende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Rechtslage beim normierten Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Geltende Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Rechtsvergleichende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes . . . . . . . 244 1. Rechtsverlust durch Schweigen infolge gesetzlicher Fiktionen . . . . . . . . . . a) Beispiele des Rechtsverlusts durch Schweigen im bürgerlichen Recht . . aa) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele des Rechtsverlusts durch Schweigen im Handelsrecht . . . . . . . c) Möglichkeit der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen und dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverlust infolge eines Schweigens mit Erklärungswert . . . . . . . . . . . . 3. Verwirkung infolge Zeitablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen und Rechtsfolge der Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Einordnung: Erklärung über einen konkludenten Verzichtsvertrag oder über § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hierzu vertretene Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme: Keine rechtsgeschäftliche Erklärung möglich . . . . . c) Anwendbarkeit der Vorschriften über Willenserklärungen . . . . . . . . . . .
245 246 246 248 253 254 257 258 258 263 263 264 268
XIV
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IV. Zusammenfassender Vergleich und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Gesetzlich nicht geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Gesetzlich geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Einführung – Problematik des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Die Rolle des Schweigens in der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Entstehungsgeschichte des Art. 10 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgängerregelungen zur Anknüpfung des Schweigens im nationalen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Diskussion um die Anknüpfung des Schweigens bei Verhandlungen und EVÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsbegriff der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Normzweck von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragsabschlussmechanismus erfasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragswirksamkeit nicht erfasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erklärungsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auseinanderfallen von Vertragsstatut und gewöhnlichem Aufenthalt . . . b) Wirksamer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlender Vertragsabschluss nach dem Recht des Aufenthaltsortes . . . . d) Unzumutbarkeit der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Berücksichtigung von Irrtümern bezüglich des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abschluss- und Verhandlungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gepflogenheiten und Gebräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erfahrung und Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassender Überblick zur Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277 277 279 280 281 283 285 288 289 290 292 292 294 297 298 301 304 308 309 310 311 312
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf weitere Gebiete des Kollisionsrechts . . . . . 313 1. Die Rolle des Schweigens im internationalen Familienrecht . . . . . . . . . . . . 313 a) Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Güterkollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
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2. Die Rolle des Schweigens im internationalen Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problem: National differierende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuerungen durch die EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigenes Verwirkungsstatut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellvertretungsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis: Keine entsprechende Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Behandlung des Schweigens in weiteren international gültigen Regelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Schweigen im internationalen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . b) Schweigen im CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
318 318 320 323 325 331 332 333 337
§ 6 Ausblick und Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtsvereinheitlichung auf rechtsvergleichender Basis . . . . . . . . 341 I. Ausblick: Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Schweigen im Draft Common Frame of Reference, in den Principles of European Contract Law und den UNIDROIT-Principles . . . . 341 2. Schweigen im Entwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch . . . . . . . . 343 3. Aktuelle Rolle der genannten Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
Normanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Normen des Codice civile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Normen des Codice del consumo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Normen des Codice di commercio von 1882 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Auffassung a. a. O. am angegebenen Ort AcP Archiv für die civilistische Praxis AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen Anm. Anmerkung BAG Bundesarbeitsgericht Banca borsa Banca, borsa e titoli di credito BB Betriebs-Berater BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BeckOGK Beck’scher Online-Großkommentar BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BVerwG Bundesverwaltungsgericht bzw. beziehungsweise Cass. (civ.) Cassazione (civile) c. c. Codice civile c. cons. Codice del consumo CE Comunità Europea c. i. c. culpa in contrahendo CISG United Nations Convention on Contracts for the Internationale Sales of Goods Contr. impr. eur. Contratto e Impresa Europa Corr. giur. Corriere giuridico Corte cost. Corte costituzionale Corte di App. Corte d’appello dagg. dagegen ders. derselbe Dir. com. e scambi Diritto comunitario e degli scambi internazionali internaz. Dir. eccl. Diritto ecclesiastico Dir. giur. Diritto e giurisprudenza dir. int. priv. diritto internazionale privato dir. priv. diritto privato DJZ Deutsche Juristenzeitung DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift ebd. ebenda endg. Endgültig EPO European Patent Office EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
fasc. fascicolo f. folgende ff. folgende Foro it. Il Foro italiano Foro lomb. Foro della Lombardia FS Festschrift Giur. it. Giurisprudenza italiana Giur. merito Giurisprudenza di merito Giust. civ. Giustizia civile GS Gedenkschrift HGB Handelsgesetzbuch Hrsg. Herausgeber h. M. herrschende Meinung i. e. id est insbes. insbesondere IPR Internationales Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts JA Juristische Ausbildung JR Juristische Rundschau jurisPK Juris-Praxiskommentar JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KG Kammergericht LAG Landesarbeitsgericht LG Landgericht Lit. Literatur MDR Monatsschrift für Deutsches Recht m. w. N. mit weiteren Nachweisen MüKo Münchner Kommentar n. numero NJW Neue Juristische Wochenschrift Nuova giur. civ. La nuova giurisprudenza civile commentata comm. o. ä. oder ähnliches OLG Oberlandesgericht r+s Recht und Schaden RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rass. dir. civ. Rassegna di diritto civile Rev. crit. dr. int. pr. Revue critique de droit international privé RG Reichsgericht RhM Rheinisches Museum für Philologie RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Riv. dir. civ. Rivista di diritto civile Riv. dir. int. Rivista di diritto internazionale Riv. dir. int. priv. Rivista di diritto internazionale e processuale proc. Riv. dir. comm. Rivista del diritto commerciale e del diritto generale delle obbligazioni Riv. trim. dir. proc. Rivista trimestrale di diritto e procedura civile
Abkürzungsverzeichnis
XIX
civ. ROHG Reichsoberhandelsgericht RPfleger Der deutsche Rechtspfleger Rspr. Rechtsprechung S. Seite SchiedsVZ Zeitschrift für Schiedsverfahren str. strittig suppl. Supplemento SZ (RA) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Romanistische Abteilung Trib. Tribunale u. und u. a. und andere vgl. vergleiche Vol. Volume Vorbem. Vorbemerkung WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht. Wertpapier-Mitteilungen wörtl. wörtlich ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEV Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge ZErb Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis ZfRV Zeitschrift für Europarecht, internationales Recht und Rechts vergleichung ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZVertriebsR Zeitschrift für Vertriebsrecht ZVglRW Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
§ 1 Einleitung I. Anlass und Zielsetzung der Arbeit „Uno degli argomenti più eleganti che s’incontrano nella teoria generale del diritto è questo del silenzio in rapporto alla manifestazione della volontà nei negozi giuridici.“1
„Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit atque debuit“ – auf diesen alten lateinischen Merksatz stützen sich noch heute viele Lösungsansätze der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis zur nach wie vor ebenso aktuellen wie umstrittenen Problematik der Bedeutung des Schweigens im Privatrecht.2 Auch außerhalb des juristischen Kontextes ist unbestritten, dass in bestimmten Situationen eine moralische Pflicht besteht, kein Schweigen oder passives Verhalten an den Tag zu legen.3 Daneben ist ebenso allgemein anerkannt, dass das Schweigen oder die Stille eine ganz wesentliche Bedeutung haben kann, wie beispielsweise in der Musik, wo Pausen nicht nur für die Einsätze einzelner Musizierender und den Rhythmus, sondern auch als Ruhepunkte eine ganz zentrale Rolle spielen.4 1
Simoncelli, Il silenzio nel diritto civile, in: Scritti giuridici, 1938, S. 553; zu Deutsch: „Eine der elegantesten Thematiken des Zivilrechts, der man in der allgemeinen Rechtstheorie begegnet, ist die des Schweigens im Zusammenhang mit einer rechtsgeschäftlichen Willensäußerung.“ Die Übersetzung stammt, ebenso wie die der folgenden italienischen und lateinischen Zitate, von der Autorin. 2 Kritisch hierzu Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 77; W. Lorenz, Rechtsvergleichung als Methode zur Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze des Rechts, in: JZ 1962, 269, 274: „[…] juristische Platitüde […], die überdies gar nicht so harmlos ist, wie sie aussieht.“; kritisch auch in Italien etwa Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1: „[…] la certissima incongruenza del principio qui tacet […]“; vgl. zur Rechtsregel insgesamt Schwartze, „Qui tacet, cosentire videtur“ – eine Rechtsregel im Kommentar, 2003. 3 Vgl. etwa das dem ehemaligen Staatsanwalt und Politiker Antonio di Pietro zugeschriebene Zitat zur Mafia: „Il silenzio uccide, il silenzio è un comportamento mafioso.“; Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Riv. dir. comm., 1907, I, 105,125: „[…] il non contrastare l’operato altrui che infrange la nostra sfera giuridica è quasi sempre una debolezza, talora un’immoralità, e la debolezza o l’immoralità, anche quando non abbiano sanzione nel diritto, l’hanno nel fatto e nella vita; l’hanno nella forza delle cose e del tempo […]“. 4 So wird etwa Claude Debussy die Äußerung zugeschrieben, dass Musik die Stille zwischen den Noten sei; vgl. auch das Zitat von Victor Hugo, wonach die Musik das ausdrücke, was nicht gesagt werden könne und worüber zu schweigen unmöglich sei.
2
§ 1 Einleitung
Bisweilen wird sogar überlegt, ob Schweigen nicht sogar die perfekte Kommunikationsform sei.5 Die Frage, ob dem bloßen Schweigen einer (Vertrags-)Partei im Privatrecht unter bestimmten Umständen ausnahmsweise trotz seiner grundsätzlichen Neutralität Bedeutung zugemessen werden kann, sodass es zu einer Verpflichtung des Schweigenden kommt, ist zwar der deutschen Literatur und Rechtsprechung seit langem bekannt und wird heute im Grundsatz allgemein bejaht.6 Umstritten und Gegenstand einzelfallbezogener und differenzierender Rechtsprechung sowie Fallgruppenbildung seitens der Literatur ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen eine solche Erklärungswirkung des Schweigens, welches im Grundsatz weder Zustimmung noch Ablehnung – selbst dies ist nicht unumstritten7 – darstellt, denkbar ist und wie mit etwaigen Willensmängeln des Schweigenden umgegangen werden muss. Insbesondere hinsichtlich der dogmatischen Verankerung der Rechtsfolgen eines Schweigens bestehen nach wie vor unterschiedliche und höchst kontroverse Ansätze, oft wird diese auch gar nicht thematisiert und schlicht von einer Erklärungswirkung des Schweigens ausgegangen, ohne diese aber im Kontext rechtsgeschäftlichen Handelns genauer einzuordnen.8 Schon im deutschen Recht erscheint daher eine Zusammenfassung und Strukturierung der Haltung der Rechtswissenschaft zum Schweigen wünschenswert, zumal die meisten ausführlichen Beiträge zum Thema über vierzig Jahre zurückliegen.9 Ein Rechtsvergleich zum italienischen Recht bietet sich insoweit an, als das italienische Recht von jeher eng mit dem deutschen Recht verknüpft ist und sich die beiden Rechtsordnungen gegenseitig beeinflusst haben.10 Vor diesem Hintergrund können unterschiedliche Lösungen des jeweils anderen Rechtssystems einen Anstoß zur Diskussion und möglicherweise auch Anlass zu Änderungen der jeweiligen inländischen Vorschriften geben. Auch in der Vergangenheit wurden die rechtswissenschaftlichen Diskussionen in Italien und Deutschland, 5
Pagliaro, Il segno vivente, 1969, S. 234: „[…] se il silenzio, in cui si risolve ogni limitazione […] non sia la più ideale e perfetta forma dell’esprimere“. 6 Statt vieler Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116, Rn. 7 ff. m. w. N. 7 Für eine ablehnende Wirkung etwa Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004, § 28 Rn. 67; anders nun Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Auflage 2020, § 31 Rn. 11. 8 Vgl. Rothermel/Dahmen, Schweigen ist Silber, in: RIW 2018, 179, 179, welche von einem „Durcheinander“ hinsichtlich der Begründungsansätze im Bürgerlichen Recht sprechen. 9 Vgl. etwa die Beiträge von Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, passim; Götz; Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, passim; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 205, passim. 10 Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. VIII.
I. Anlass und Zielsetzung der Arbeit
3
gerade auch jene zur Einordnung und Behandlung eines Schweigens im Rechtsverkehr, bereits wiederholt für die dogmatische Auseinandersetzung mit der Thematik in der jeweils anderen Rechtsordnung fruchtbar gemacht.11 Anders als die deutsche Literatur hat sich die italienische Rechtswissenschaft zudem auch in den letzten Jahren wiederholt intensiv mit der Rolle des Schweigens im Privatrecht befasst12 und ist dabei, wie sich im Laufe dieser Arbeit zeigen wird, teils zu klareren Ergebnissen gelangt als das deutsche Recht13. Die Frage nach dem möglichen Erklärungsgehalt eines Schweigens tritt des Weiteren häufig in grenzüberschreitenden deutsch-italienischen (Handels-)Fällen auf, sodass für die beteiligten Parteien ein Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und einem Überblick über die im Ausland bestehenden Regelungen besteht.14 Dies vor allem deshalb, weil die italienische Rechtsordnung dem für den Handelsverkehr praktisch wichtigen kaufmännischen Bestätigungsschreiben anders als die deutsche eher ablehnend gegenübersteht.15 Andererseits verfügt das italienische Zivilrecht beispielsweise mit dem contratto con obbligazioni a carico del solo proponente über ein Rechtsinstitut, das dem deutschen Recht als solches nicht bekannt ist. Für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr bedeutsame Abweichungen ergeben sich überdies in weiteren schuldrechtlichen, aber auch erbrechtlichen Regelungen. Auch stellt das italienische Recht, zumal nach dem „Brexit“-Referendum des Vereinigten Königreichs, eine der wichtigsten europäischen Rechtsordnungen dar, welche im Vergleich zum französischen Code civil an bedeutenden Stellen eigene Wege eingeschlagen hat und in der 11 Vgl. beispielsweise nur die Nachweise zur italienischen Rechtswissenschaft bei Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 212 Fn. 44 und Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 237 Fn. 73 für die deutsche Rechtswissenschaft und für die italienische Rechtswissenschaft Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, (z. B.) S. 125 Fn. 65; Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 619 Fn. 32; Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 231 Fn. 12; Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 143 Fn. 1. 12 Vgl. nur Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, passim; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, passim; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, passim; allgemein zum Schweigen etwa G. Benedetti, Diritto e linguaggio. Variazioni sul „diritto muto“, in: Europa e diritto privato, 1999, 137, passim; Sacco, Il diritto muto, 2015, passim sowie die Beilage La rilevanza del silenzio, Giur. merito – suppl. n. 07/08 – 2008; vgl. zuletzt auch Ferri, G., Il silenzio e le parole nella cultura del civilista, 2021. 13 Vgl. so bereits Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1 („altro discorso dovrebbe farsi per quella di lingua tedesca“). 14 Vgl. etwa zur kollisionsrechtlichen Problematik Piltz, UN-Kaufrecht/CISG – Was spricht dagegen?, in: ZVertriebsR 2017, 138, 140. 15 Vgl. Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 171 f. und im Anschluss OLG Köln 16.3.1988 – 24 U 182/87, in: NJW 1988, 2182, 2183.
4
§ 1 Einleitung
Vergangenheit teilweise, etwa bei der Normierung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Jahr 194216 und der frühen Kodifikation des Internationalen Privatrechts in den dem Codice civile vorangestellten Bestimmungen über das Gesetz im Allgemeinen (Disposizioni sulla legge in generale) bereits eine Vorreiterrolle einnahm. Auch hatte das italienische Recht bereits einige Male Vorbildcharakter für die Gesetzgebung anderer Länder bzw. internationaler Projekte wie bei den Irrtumsregelungen im Rahmen des Entwurfes eines einheitlichen Gesetzes über die materielle Wirksamkeit von Kaufverträgen17 oder der Überarbeitung des französischen Code civil18. Vorgeschlagen wurde sogar schon, den italienischen Codice Civile oder zumindest sein viertes Buch zum Schuldrecht (Delle obbligazioni) aufgrund seiner gelungenen Synthese aus dem französischen Code civil und dem deutschen BGB als einheitliches europäisches Zivilgesetzbuch zu übernehmen.19 Die rechtliche Behandlung des Schweigens gewinnt auch vor einem weiteren Hintergrund an Interesse: Zunehmend werden Verträge durch die ständige Fortentwicklung neuer Technologien rasch und ohne direkten Austausch von Anbietendem und Angebotsempfänger – im italienischen Recht ist sogar die Rede von „scambi senza accordo“20 – geschlossen, womit auch der Nachweis einer Willensübereinstimmung schwieriger wird.21 Vor diesem Hintergrund werden die schon lange in der Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Grundsatzfragen zur Behandlung eines Schweigens im Privatrecht einer ebenso pragmatischen wie dogmatisch tragfähigen Lösung zugeführt werden müssen, 16 Vgl.
Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. V, 147. Zweigert/Drobnig u. a., Der Entwurf eines einheitlichen Gesetzes über die materielle Gültigkeit internationaler Kaufverträge über bewegliche Sachen, in: RabelsZ 32 (1968), 201, 217. 18 Zur Überarbeitung von Art. 1152 des französischen Code civil nach italienischem Vorbild Gandolfi, Pour un code européen des contrats, in: Stein, Incontro su il futuro codice europeo dei contratti, 1993, 23, 42. 19 Gandolfi, Pour un code européen des contrats, in: Stein, Incontro su il futuro codice europeo dei contratti, 1993, 23, 42 ff.; vgl. hierzu auch Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 63 u. 72 f. und Kindler, Von Pavia über Tucumán nach Brüssel – Anregungen aus der neuen Welt für das Gemeinsame europäische Kaufrecht, in: JZ 2012, 712 sowie unten § 6 I. 2. 20 Etwa Irti, Scambi senza accordo, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 347, 360, passim; sowie die kritische Auseinandersetzung hiermit bei Oppo, Disumanizzazione del contratto?, in: Riv. dir. civ. 1998, I, 525, passim; vgl. auch Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 108. 21 Vgl. Patti, Il contratto tra „autonomie de la volonté“ e moderno „zwingendes Vertragsrecht“ in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2015, 369, 374 f. („accordi senza dialogo“); bereits 1968 bemerkte Götz, dass, anders als zur Schöpfungszeit des BGB, zunehmend Verträge unter räumlicher Trennung der Vertragsparteien oder durch Automaten zustande kämen (Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 69); vgl. zur Thematik auch Paulus/ Matzke, Smart Contracts und das BGB – Viel Lärm um nichts?, in: ZfPW 2018, 431 und Schurr, Anbahnung, Abschluss und Durchführung von Smart Contracts im Rechtsvergleich, ZVglRW 118 (2019), 257, insbes. 271. 17
I. Anlass und Zielsetzung der Arbeit
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um im Privatrechtsverkehr wie auch insbesondere im Handelsverkehr weiterhin hinreichend Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für die Vertragsparteien zu gewährleisten. Umso mehr gilt dies in grenzüberschreitenden Rechtsverhältnissen, welche durch das Zusammenwachsen des europäischen (Wirtschafts-) Raumes und die fortschreitende Internationalisierung und Digitalisierung der Märkte immer mehr an Relevanz gewinnen.22 Schließlich stellt sich die Frage nach dem kollisionsrechtlichen Umgang mit überraschenden Rechtsfolgen eines Schweigens insbesondere im vertraglichen, aber auch außerhalb des vertraglichen Kontextes, wie etwa beim Erbschaftserwerb. Auch im Bereich des internationalen Zivilprozessrechts geht der Europäische Gerichtshof beispielsweise in der Rechtssache Granarolo./.Ambrosi Emmi France von der Möglichkeit einer stillschweigenden Begründung von – autonom zu verstehenden – Vertragsverhältnissen aus und betont dabei die Bedeutung der Rechtsvergleichung bei der Entwicklung europäisch-autonomer Rechtsbegriffe.23 Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008 (im Folgenden: „Rom I‑VO“) sowie entsprechende Regelungen in anderen kollisionsrechtlichen Instrumenten ermöglichen zwar eine Berufung auf das Aufenthaltsrecht für den Fall, dass die vom Vertragsstatut vorgesehene Wertung des Schweigens als Zustimmung nicht gerechtfertigt erscheint, doch greift die Sonderanknüpfung nur in engen Grenzen zugunsten des Schweigenden ein, wenn das Aufenthaltsrecht eine Bindung verneint. Die diesbezügliche Behauptung des Schweigenden zu überprüfen und zu bewerten, ob eine Verpflichtung tatsächlich ungerechtfertigt erscheint, obliegt dem angerufenen Gericht. Die als Sonderanknüpfung konzipierte Norm kommt dabei nur unter engen Voraussetzungen und damit relativ selten zum Tragen, sodass sich nicht zuletzt deshalb die Frage stellt, ob auf Dauer eine Lösung der Thematik innerhalb des europäischen Internationalen Privatrechts wie in Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO ausreichen kann oder nicht eine – immer wieder diskutierte24 – materielle Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene am Ende stehen sollte, für die eine rechtsvergleichende Perspektive möglicherweise Grundlagen schaffen könnte. Sollte sich herausstellen, dass trotz möglicherweise bestehender dogmatischer Differenzen die Ergebnisse von italienischer und deutscher Rechtsordnung in der Praxis weitgehend übereinstimmen, wäre die Erkenntnis gewonnen, dass die Unterschiede dies- und jenseits der Alpen nicht so schwer wiegen, dass sie einer Rechtsintegration entgegenstehen.25 22 Zum Vertragsschluss bei online-Verträgen: Finocchiaro, Il perfezionamento del contratto on line: opportunità e criticità, in: Dir. scambi internaz., fasc. 1-2/2018, 187, insbes. 192. 23 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 (Granarolo), NJW 2016, 3087, 3088. 24 Vgl. allgemein zum Handelsrecht: Lehmann, Braucht Europa ein Handelsgesetzbuch?, in: ZHR 181 (2017), 9 ff. 25 Vgl. für den Bereich des kaufmännischen Bestätigungsschreibens in Deutschland, Österreich und der Schweiz den Beitrag von Schmidt, K., Die Praxis zum sog. kaufmännischen
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§ 1 Einleitung
II. Thematische Eingrenzung 1. Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten und Schwerpunkt der Darstellung In der vorliegenden Arbeit sollen nur Aspekte des Schweigens im „klassischen“ Privatrecht, also dem Bürgerlichen Recht und dem Handelsrecht beleuchtet werden, ohne etwa auf arbeitsrechtliche Besonderheiten wie beispielsweise die Rechtsfigur der betrieblichen Übung einzugehen. Ebenfalls kein Gegenstand der Untersuchung ist das viel diskutierte und auch aus deutscher Perspektive zweifellos interessante Schweigen im italienischen Verwaltungsrecht, wonach von der Genehmigung eines Antrags des Bürgers auszugehen ist, wenn die Behörde über einen gewissen Zeitraum schweigt (sog. silenzio assenso).26 Auch die im Jahr 2017 durchgeführte Reform27, wonach eine Enthaltung bei Abstimmungen im italienischen Senat nicht mehr als Gegenstimme gewertet wird, zeigt indes beispielhaft die Wichtigkeit der Bewertung eines Schweigens in allen Rechtsgebieten. Die Brisanz der in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich bewerteten Erklärungswirkung eines Schweigens schlägt sich schließlich auch in den hier nicht vertieft zu behandelnden, in Deutschland immer wieder stark diskutierten Regelungen im Zusammenhang mit einer Organspende im Todesfall nieder28: während im italienischen Recht schon seit längerem gemäß Art. 4 Abs. 1 l. 91/1999 zugunsten des Gemeinwohls nach dem Prinzip se tace, acconsente gesetzlich festgelegt wurde, dass die Zustimmung des Verstorbenen zur Entnahme von Organen zu vermuten sei29, gilt im deutschen Recht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TPG bislang das genaue Gegenteil. Allerdings findet die Regelung, wonach das Schweigen als Zustimmung (silenzio-assenso) zur Organspende gewertet werden soll, in Italien bislang noch keine Anwendung, da zuvor eine Informationskampagne zur Aufklärung der Bevölkerung über die Funktionsweise der Regelung und die Möglichkeit eines Widerspruchs durchgeführt werden soll, welche am 20. August 2019 beschlossen wurde; erwartet wurde eine Geltung der Widerspruchslösung binnen eines Jahres.30 In DeutschBestätigungsschreiben: ein Zankapfel der Vertragsrechtsdogmatik, in: FS Honsell, 2002, S. 99, passim. 26 Hierzu etwa: Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 189. 27 Vgl. Riforma organica del Regolamento del Senato vom 20. Dezember 2017, die zu einer Änderung von Art. 107 des Regolamento del Senato führte. 28 Vgl. dazu Dutta, Widerspruchslösung bei postmortaler Organspende und fehlende Widerspruchsfähigkeit, in FamRZ 2019, 1219. 29 Hierzu La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 558; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 274 ff. 30 Quelle: ; ; bislang (Stand November 2021) hat sich die Rechtslage nicht verändert. 31 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 289 f. 32 Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 409 f. 33 Riviezzo, Editoriale, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito – suppl. n. 07/08 – 2008, 1; vgl. auch La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 544. 34 Dazu Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 144; ders., Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 1 ders., Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 702; ders., Tempo, prescrizione e Verjährung, 2020. 35 So Irti, Due saggi sul dovere giuridico (obbligo-onere), 1973, S. 89. 36 So Corte d’Appello di Trieste, 30.11.1959, in: Giust. civ. 1960, I, 813, 816. 37 Vgl. A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 187 ff.; krit. zu diesen Bezeichnungen Ferrero, „Dichiarazione espressa“, „dichiarazione tacita“ e autonomia privata, 1974, S. 167 ff.
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§ 1 Einleitung
abzugrenzen. Teils wird die omissione (Unterlassung) als Oberbegriff für alle Fälle des rechtlich relevanten Unterlassens einer Handlung (atto) gebraucht, während das silenzio eine Unterform hiervon darstellt, die sich dadurch auszeichnen soll, dass gerade eine Willenserklärung unterlassen wurde.38 Um auch Fälle des Schweigens und konkludenten Verhaltens unter dem Erklärungsbegriff zu erfassen, wurde mit Bezeichnungen wie dichiarazione mediata/immediata, diretta/indiretta, implicita/esplicita39 gearbeitet, wobei teilweise auch als übergeordneter Begriff zur dichiarazione di volontà (Willenserklärung) der Terminus manifestazione di volontà (Willensäußerung) eingeführt wurde.40 Die Termini dichiarazione/manifestazione tacita und comportamento (tacito) concludente werden überwiegend als Oberbegriffe für ein positiv nach außen hervortretendes schlüssiges Verhalten (comportamento [positivo/commissivo] concludente), aber auch für ein Schweigen (silenzio) gebraucht.41 Zu differenzieren ist ferner zwischen Verzicht (rinunzia) und Ablehnung (rifiuto) – während mittels des Verzichts ein Recht aufgegeben wird, das dem Verzichtenden zusteht, hindert die Ablehnung (teilweise missverständlich als „rinunzia ostativa“ bezeichnet; selbst das Gesetz spricht teils von „rinunziare“; dazu unten § 3 III. 1. b)) den Erwerb eines Rechts.42 In der italienischen Rechtswissenschaft werden die Begriffe acquiescenza (Verzicht bzw. Anerkennung) und tolleranza (Duldung), zumindest außerhalb von Art. 1144 c. c., der ausdrücklich die tolleranza behandelt, üblicherweise gleichermaßen verwendet.43 Beiden gemein ist das Element der Duldung. Dabei umfasst die überwiegend im Prozessrecht gebräuchliche acquiescenza jedoch mehr als die tolleranza, nämlich sowohl die konkludente Zustimmung als auch den konkludenten Verzicht auf ein Recht und wird tendenziell auch eher verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Schweigende den für ihn nachteiligen Rechtsfolgen zustimmt.44 Die sog. decadenza (als Verfall bzw. Rechtsverlust zu übersetzen) erfasst wiederum Fälle eines Schweigens, das unabhängig von einem entspre38 So
Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 268 f. 39 Vgl. Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 139, der von (manifestazione) „indiretta, o implicita“ spricht und den Begriff „tacita“ kritisiert. 40 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 289 f.; zum engeren Verständnis des Rechtsgeschäfts (vgl. Art. 1324 c. c.): Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Auflage 2009, S. 147. 41 Vgl. Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 227 f., 242 ff., (explizit zur eigenständigen Rolle des Schweigens) 254; Paradiso, Corso di istituzioni di diritto privato, 10. Auflage 2018, S. 340; a. A. etwa Siniscalchi, Inizio di esecuzione e silenzio. Spunti in tema di modificazione del rapporto contrattuale, in: Rass. dir. civ. 1994, 526, 531 ff. (zum Beginn der Vertragsdurchführung und Schweigen). 42 Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 4 ff. 43 Patti, Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 1. 44 Patti, Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 1 f.
II. Thematische Eingrenzung
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chenden Willen von der Rechtsordnung als Verzicht oder auch als Zustimmung oder Ablehnung gewertet wird.45 Die Begrifflichkeiten im deutschen Recht erscheinen zwar demgegenüber weniger vielfältig und facettenreich, weisen jedoch ebenso Unschärfen auf: So ist bereits die Terminologie bezüglich „stillschweigender“ Willenserklärungen nicht immer einheitlich – zum Teil werden darunter sowohl das schlüssige Verhalten als auch das Schweigen gefasst46, zum Teil ausschließlich Fälle bloßen Schweigens47, ja zum Teil soll das Schweigen sogar einen „Gegensatz zur stillschweigenden Willenserklärung“ darstellen48. Schon im Jahr 1893 wurde bemerkt, dass der Terminus „stillschweigende Willenserklärung“ der „chameleontischeste“ aller Begriffe sei.49 Zur Vermeidung von Missverständnissen wird daher im Folgenden der Begriff „konkludente“ oder „schlüssige“ Willenserklärung als Oberbegriff für all jene Fälle gebraucht, bei denen es zwar an einer ausdrücklichen (sprachlichen) Äußerung mangelt, aber aufgrund anderer Verhaltensweisen – sei es einerseits aufgrund eines aktiven Handelns oder andererseits aufgrund einer Untätigkeit in Gestalt des Schweigens – auf einen Willen des Betroffenen geschlossen werden kann.50 Geht es dagegen nur um das Schweigen im engeren Sinne, so soll dieses unter Vermeidung des Begriffs „stillschweigende“ Willenserklärung auch als solches bezeichnet werden.51 Hinsichtlich des Rechtsverlustes unterscheidet das deutsche Recht klarer als das italienische zwischen dem Verzicht und den anderen Ursachen des Rechtsverlusts, wie etwa der Ausschlagung.52 Eine der Unterscheidung zwischen tolleranza und acquiescenza vergleichbare Nuancierung wird allerdings nicht vorgenommen, was wohl damit zu erklären ist, dass die deutsche Verwirkung ohnehin keine positiven Rechtsfolgen zeitigt. Nur vereinzelt wird der Begriff „Erwirkung“ für einen Rechtserwerb infolge einer Untätigkeit verwendet.53 Auch besteht für die gesetzlich angeordneten Fälle des Rechtsverlusts 45 Etwa Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146 f.; Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73, 77. 46 So etwa Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 6. 47 So etwa Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor 116 Rn. 6; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 222. 48 So Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 60. 49 Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, 1893, S. 277. 50 Ebenso wie hier Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 238. 51 So beispielsweise implizit auch Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77 und Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 45. Auflage 2021, § 6 Rn. 4 ff. 52 Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 5. 53 So von Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 97 f.
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oder Verfalles infolge eines Schweigens kein der decadenza ähnlicher, spezieller Begriff. Bisweilen wird hierfür missverständlich der Begriff „Verwirkung“ gebraucht.54 Das deutsche Recht weist damit im Vergleich zum italienischen eine wesentlich geringere Fülle und Genauigkeit an Bezeichnungen für das Schweigen und seine (Unter-)Formen auf, sodass beispielsweise der neutrale Begriff „Untätigkeit“ nur unzureichend den juristischen Bedeutungsgehalt einer „inerzia“, der rechtsterminologisch im klaren Gegensatz zu einem „silenzio“ steht, wiederzugeben vermag und eine Umschreibung desselben notwendig macht. Im Abschnitt zum italienischen Recht werden daher aufgrund der geschilderten Schwierigkeiten nach der Voranstellung einer deutschen Wiedergabe soweit möglich die italienischen Fachbegriffe gebraucht.
3. Abgrenzung des reinen Schweigens zum schlüssigen Handeln Die vorliegende Arbeit beschränkt sich dabei bewusst auf die Bedeutung des Schweigens als solches, also der reinen Untätigkeit und will nicht schlüssige bzw. konkludente Handlungen einer Person erfassen, bei denen diese sich vielleicht nicht ausdrücklich durch sprachliche Äußerungen, aber doch durch ein anderes, nach außen hin eindeutig erkennbares Verhalten, wie etwa körperliche Bewegungen oder eine schlichte Durchführung des Vertrags äußert.55 Freilich ist die Grenze zwischen den beiden Phänomenen nur sehr schwer zu ziehen und im Einzelfall fließend, sodass sich ein und dieselbe Verhaltensweise je nach Blickwinkel als Schweigen bzw. Unterlassen oder als konkludentes bzw. positives Handeln interpretieren lassen mag.56 Dennoch soll versucht werden, im Weiteren nur Fälle des reinen Schweigens (silenzio) im Sinne bloßen Nichtstuns oder der völligen Untätigkeit einer Person herauszufiltern, bei denen aktiv überhaupt kein Erklärungszeichen gesetzt wird (condotta omissiva), in Abgrenzung zu schlüssigem Verhalten durch ein, wie auch immer geartetes, positives 54 So von Nabholz, Verjährung und Verwirkung als Rechtsuntergangsgründe infolge Zeitablaufs, 1961, S. 52 ff.; ebenso auch die deutsche Fassung von Art. 135 des Europäischen Vertragsgesetzbuches (dazu unten § 6 I. 2.). 55 Vgl. zur Abgrenzung Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 53; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 222; Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008 – suppl. 07/08, 6, 11 f.; W. Lorenz, Rechtsvergleichung als Methode zur Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze des Rechts, in: JZ 1962, 269, 274. 56 Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 545 m. w. N.; vgl. auch Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, S. 102; grundlegend zur Unterscheidung zwischen positivem und negativem Verhalten abhängig vom jeweiligen Blickwinkel bereits Perozzi, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Riv. dir. comm., Vol IV, I, 1906, 509, 510 ff. und die Kritik hieran bei Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 192 ff.
III. Möglichkeit einer einheitlichen Behandlung der Thematik
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Handeln oder Verhalten (contegno positivo) eines Beteiligten.57 Eine andere Frage ist freilich, wie die gänzliche Passivität einer Person rechtssystematisch einzuordnen ist und ob sie, dogmatisch gesehen, nicht letztlich einen Unterfall des konkludenten Verhaltens (comportamento concludente) darstellt.
III. Möglichkeit einer einheitlichen Behandlung der Thematik Sowohl im italienischen als auch im deutschen Recht wurde und wird die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer einheitlichen Behandlung der Fälle des Schweigens vor allem in Hinblick auf das beredte Schweigen teilweise in Zweifel gezogen.
1. Italienisches Recht: Kritik an der „teoria del silenzio“ Ob eine einheitliche Erklärung der Rechtsfolgen eines Schweigens überhaupt möglich und sinnvoll ist bzw. ob gar eine eigenständige sog. „teoria del silenzio“ entwickelt werden kann, wird im italienischen Recht bezweifelt. Teilweise wird vertreten, dass der Versuch, die Problematik des Schweigens durch einen einheitlichen Lösungsansatz zu bewältigen, fruchtlos und überholt sei.58 Dies gelte, so etwa Addis, nicht nur für die zahlreichen italienischen Veröffentlichungen, sondern auch für diejeinigen deutschen Beiträge zum Thema, die einen einheitlichen Ansatz verfolgen.59 Auch Addis wendet sich indes aber letztlich nicht völlig gegen eine Behandlung des Schweigens unter Berücksichtigung bzw. Zurückführung auf grundlegende dogmatische Fragestellungen – auch seine Abhandlung widmet sich im letzten Kapitel dem silenzio im Vertragsrecht –, sondern warnt vor allem vor einer Vermischung unterschiedlicher Phänomene (wie etwa dem konkludenten positiven Verhalten und dem Schweigen). Viele wollen das Schweigen einer Lösung nach allgemeinen Grundsätzen zuführen, ohne eine Sonderdogmatik zu entwickeln.60 Die Notwendigkeit letzterer 57 Wie hier etwa auch die Abgrenzung bei Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144, Rn. 60; Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 11; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 190; für die Notwendigkeit einer Abgrenzung auch Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 257 m. w. N.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 52; Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, Band 13, fasc. 1, 1892, 3, 12; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 253; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 86 ff., auf S. 43 ff. skeptisch zur Unterscheidung zwischen ausdrücklichen und konkludenten Erklärungen. 58 Sehr kritisch Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 256 ff., insbes. S. 259 f. m. w. N.; vgl. auch Perozzi, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Riv. dir. comm., Vol IV, I, 1906, 509, passim. 59 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 259 m. Fn. 10. 60 Vgl. etwa Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc.
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wird bereits seit langem mit dem Argument bestritten, dass im Falle des Schweigens entweder überhaupt kein Wille erklärt wurde oder aber – bei einem entsprechenden konkludenten Bedeutungsgehalt des Schweigens – eine Willenserklärung vorliege (zur dogmatischen Verortung des Schweigens noch unten § 3 II. 5. und § 4 II. 5.), die nach allgemeinen Regeln zu behandeln sei, sodass sich gar keine besondere Problemstellung ergebe.61 Auch die Rechtsprechung befürwortet die Anwendung allgemeiner Rechtsinstitute wie der konkludenten Willenserklärung statt einer Sonderdogmatik bzw. einer „teoria del silenzio“.62 Insbesondere die Abhandlungen zum privatrechtlichen silenzio in den verschiedenen Enciclopedie63 zeigen, dass zwar eine Unterscheidung verschiedener Konstellationen (z. B. Schweigen als Pflichtverletzung, Schweigen als Ursache einer Verpflichtung oder eines Rechtsverlustes) befürwortet wird, aber die einzelnen Fallgestaltungen innerhalb dieser Untergliederung unabhängig vom Rechtsgebiet immer wieder auf gemeinsame Grundprinzipen zurückgeführt werden können, etwa das Vorliegen einer manifestazione (tacita) di volontà oder einer decadenza. Trotz der Heterogenität der einzelnen Rechtsgebiete, wie etwa dem Erbrecht und Vertragsrecht, wohne beispielsweise den Fällen des Rechtsverlustes infolge eines Schweigens ein Minimum gemeinsamer Merkmale hinsichtlich der Struktur und den Wirkungen inne, welches es erlaube, ein einheitliches Konzept des Aktes der Ablehnung (atto di rifiuto) zu entwickeln.64 Auch in der Literatur wird zwischen dem Schweigen als Ausdruck eines Willens (sintomo di un intento) und dem Schweigen unterschieden, das unabhängig von einem entsprechenden Willen als Verzicht bzw. Anerkennung (acquiescenza) oder Ablehnung (rifiuto) gewertet werde und damit eine sog. decadenza darstelle.65 Insgesamt ist die italienische Rechtwissenschaft also, wie die zahlreichen Beiträge zur Thematik zeigen, bestrebt, die freilich vielgestaltigen Erscheinungsformen des Schweigens zu systematisieren und auf Grundstrukturen des Zivilrechts zurückzuführen, ohne dabei die Notwendigkeit einer differenzierten Behandlung aus dem Blick zu verlieren. Soweit ersichtlich, wird im italienischen Recht auch keine gesonderte dogmatische Behandlung des Schweigens civ., 1961, 778, 790; vgl. auch bereits Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, Band 13, fasc. 1, 1892, 3, 15 ff.; in der Rechtsprechung: Corte d’Appello di Bologna, 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 (m. Anm. De Martini). 61 Perozzi, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Riv. dir. comm., Vol. IV, I, 1906, 509, 515 u. 524. 62 Vgl. Corte d’Appello di Bologna, 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 (m. Anm. De Martini). 63 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1 ff.; La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 543 ff.; Ormanni, Forma del negozio giuridico, in: Novissimo Digesto, 1957, S. 567. 64 Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 48 f. 65 Etwa Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146 f.; Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73.
III. Möglichkeit einer einheitlichen Behandlung der Thematik
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im handelsrechtlichen Kontext erwogen. Dies mag sich auch vor dem Hintergrund erklären, dass das ursprünglich extern im Codice di commercio geregelte Handelsrecht in den Codice civile integriert wurde (dazu unten § 2 III. 1. a)). Freilich ist der Sorgfaltsmaßstab im kommerziellen Bereich ein anderer als bei Verbraucherverträgen und einem Schweigen kommt zwischen Kaufleuten wesentlich eher Bedeutung zu als im Verhältnis von Unternehmer zu Verbraucher (dazu unten § 3 II. 4. und § 4 II. 4.).
2. Einheitliche Behandlung Ob alle Fälle eines Schweigens als Verpflichtungsgrund im Privatrecht überhaupt dogmatisch in gleicher Weise behandelt werden können, wird auch im deutschen Recht kontrovers diskutiert.66 Es wird vorgebracht, dass der Entwicklung allgemeiner Grundsätze für die auf Schweigen beruhenden Rechtsfolgen entgegenstehe, dass diese keinen gemeinsamen, die Erfüllungshaftung rechtfertigenden Wertungsgesichtspunkt aufwiesen und daher „irreguläre Einzelfälle“ ohne verallgemeinerungsfähiges normatives Prinzip seien.67 Teilweise wird eine eigenständige Lehre oder Problematik des Schweigens schlechthin zwar abgelehnt, für jeweils einen Teilbereich wie dem des Schweigens im Handelsrecht wird aber immerhin das Bestehen verallgemeinerungsfähiger Grundprinzipien bejaht.68 Gegen die Ablehnung einer einheitlichen Behandlung lässt sich einwenden, dass den einzelnen Fällen des Schweigens sehr wohl gemeinsame Wertungsgesichtspunkte zu entnehmen sind: in allen Fällen geht es um den Verkehrsschutz und es kommt zwischen den Beteiligten zu einem Kontakt, der einen erhöhten Vertrauenstatbestand hinsichtlich des Vorliegens eines bestimmten Willens für den Verhandlungspartner schafft – vor allem, wenn diesbezüglich Verkehrssitten oder Handelsbräuche bestehen –, während die schweigende Partei selbst aufgrund ihres Verhaltens und/oder der für sie wenig nachteiligen Rechtsfolgen vergleichsweise weniger schutzbedürftig erscheint. Zwar können auf das Phänomen des Schweigens, wie auf andere menschliche Verhaltensweisen auch, grundsätzlich verschiedene rechtliche Kategorien anwendbar sein69, 66 Ablehnend etwa Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 162 f.; Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 287 ff.; befürwortend etwa Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 25, vgl. auch Rn. 41; wohl auch von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 3, 1840, Band 3, S. 248 ff. 67 Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 162 f. (allgemein zu verschiedenen Tatbeständen, die „Vertragsfolgen ohne Vertrag“ zeitigen, wie § 179 BGB, § 362 HGB und das kaufmännische Bestätigungsschreiben); für verschiedene Geltungsgründe auch: Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr,1968, S. 287 ff. 68 Vgl. (für eine Verallgemeinerung bei § 362 HGB und beim Bestätigungsschreiben) Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 90 und Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 217 ff. 69 So Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 98.
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doch sollte am Anfang zumindest der Versuch stehen, für das Schweigen als Ursache einer Verpflichtung einen einheitlichen dogmatischen Geltungsgrund zu finden70. Auch wenn die Interessen von Fall zu Fall etwas divergieren mögen und einmal mehr die allgemein bestehenden Handelsbräuche und Gepflogenheiten als Argumentation für die Verpflichtungswirkung einer Untätigkeit herangezogen werden, während ein andermal eher die einzelfallabhängige Schaffung eines bestimmten Anscheins durch den Schweigenden seine rechtliche Bindung gerechtfertigt erscheinen lässt, ändert dies doch nichts daran, dass den verschiedenen Ausprägungen ein gemeinsamer und verallgemeinerungsfähiger dogmatischer Geltungsgrund zugrunde liegen kann.71 Besondere Interessen der einzelnen Verkehrskreise können im Rahmen der Lösungsmöglichkeiten von der durch Schweigen herbeigeführten Bindung berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass eine möglichst einheitliche Behandlung der Thematik aufgrund der Übersichtlichkeit für Rechtssicherheit sorgt und einer Internationalisierung des Rechtsverkehrs entgegenkommt. Auch aus rechtsvergleichender Sicht überzeugt dies, überwiegt doch in der italienischen Rechtswissenschaft, wie eben gesehen, eine Zurückführung der Problematik auf allgemeine Grundsätze. Insgesamt sprechen damit die besseren Argumente für eine einheitliche Behandlung bzw. zumindest den Versuch, einen einheitlichen Geltungsgrund für alle Fälle des Schweigens zu finden.72
IV. Aufbau der Darstellung Im Folgenden soll zunächst ein zusammenfassender Blick auf das römische Recht als gemeinsame antike Grundlage der geltenden deutschen und italienischen Rechtsordnung und die dort entwickelten Grundsätze zum Umgang mit dem Schweigen im Privatrechtsverkehr geworfen sowie die Weiterentwicklung der Thematik im kodifizierten Recht skizziert werden (§ 2). Daraufhin wendet sich die Untersuchung der Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht zu (§ 3), wobei hier aufgrund der Praxisrelevanz und der damit verknüpften umstrittenen Fragen der dogmatischen Einordnung ein besonderes Augenmerk dem Schweigen als Verpflichtungsgrund, speziell im Vertragsrecht (§ 3 II.), gilt. Nach einem Überblick über die Erscheinungsformen des Phänomens im italienischen Privatrecht schließt sich die in der italienischen Rechtswissenschaft geführte Diskussion um die dogmatische Begründung der Rechtsfolgen und die Anwendbarkeit allgemeiner Vorschriften 70 Vgl. für eine Einheitlichkeit in der Behandlung auch Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 617. 71 A. A. Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 162 f. 72 Vgl. auch Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 209.
IV. Aufbau der Darstellung
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des Codice civile über Willenserklärungen auch auf das Schweigen an. Das italienische Recht kennt zudem die Sanktionierung eines Schweigens durch einen Rechtsverlust in Form gesetzlicher Fiktionen und nicht kodifizierter Institute wie der tolleranza (§ 3 III.). Auch im Falle eines solchen Rechtsverlustes stellt sich die Frage nach dessen dogmatischer Begründung und rechtlicher Behandlung. Sodann wird die Bedeutung des Schweigens im geltenden deutschen Privatrecht untersucht (§ 4), wobei die Darstellung, soweit dies zweckdienlich ist, jener des italienischen Rechts folgt und rechtsvergleichend die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten der beiden Rechtsordnungen herausarbeitet sowie der Zweck der jeweiligen Bestimmungen analysiert werden. Dabei stellt sich die Frage, ob die Antworten, die das italienische Recht zu den oben genannten Fragen gibt, auch für das deutsche Recht verwertet werden können, um so möglicherweise zu einer klareren dogmatischen Handhabung der Thematik zu kommen. Auch der europäische Gesetzgeber hat sich schließlich der Thematik des Schweigens im Privatrecht angenommen und angesichts der Gefahr divergierender Behandlung in den einzelnen Rechtsordnungen in den Kollisionsnormen der Rom I‑Verordnung eine Regelung zum Schutz desjenigen Vertragspartners geschaffen, der sich einer etwaigen Bedeutung seines Schweigens nicht bewusst war. Zu untersuchen ist dabei ebenfalls, ob ein Bedarf für Sonderanknüpfungen nach dem Vorbild von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO für andere Bereiche des Kollisionsrechts wie beispielsweise die EuErbVO besteht (§ 5). Dabei stellt sich auch die Frage nach der Behandlung des Schweigens in der Brüssel Ia-VO und im Einheitsrecht. Schließlich stellt sich die Frage, ob die gewonnenen Erkenntnisse für eine – vom europäischen Gesetzgeber zumindest immer wieder angestrebte Rechtsvereinheitlichung – im Bereich des europäischen Vertragsrechts nutzbar gemacht werden können.
§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht I. Einführung – Römisches Recht als Grundlage „In all the codifications of the 19th and 20th centuries there is a unity: The Modern Codes may be regarded as republications, to a large extent, of Justinian’s monumental codification of Roman Law – but adapted to modern times and garbed in modern linguistic dresses“.1
Auch wenn dieser Satz etwas übertrieben sein mag2, ist zuzugeben, dass sowohl das italienische als auch das deutsche Zivilrecht maßgeblich auf der römischen Rechtstradition basieren. Für das Verständnis beider Rechtsordnungen sind daher rechtsgeschichtliche Bezüge hilfreich. Auch befasst sich die italienische Rechtswissenschaft wesentlich intensiver als die deutsche mit dem römischen Recht und zieht dieses teilweise für die Untermauerung von modernen Lösungsansätzen für nach wie vor aktuelle Rechtsprobleme wie das Schweigen heran.3 Der Rückgriff auf die Grundsätze des römischen Rechts und des ius commune, auf denen die heutigen nationalen Rechtsordnungen fußen, kann sich aber auch für die Schaffung eines künftigen europäischen Zivilgesetzbuches4 sowie für das Auffinden allgemeingültiger Grundsätze als fruchtbar erweisen. Hinsichtlich eines rechtlich relevanten Schweigens wird beispielsweise auch von europäischen Institutionen wie den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts in ihren Entscheidungen auf den Grundsatz qui tacet consentire videtur zurückgegriffen.5 Daneben vermag die stärkere oder schwächere Verhaftung in der Tradition des römischen Rechts auch Unterschiede bei den Lösungsansätzen im romanischen und deutschen Rechtskreis zu erklären, so etwa im Zusammenhang mit dem Rechtsinstitut der Verwirkung (dazu unten § 4 III. 3.). 1
Sherman, Roman Law in The Modern World, Band 2, 2. Auflage 1924, S. 5. Knütel, Rechtseinheit in Europa und römisches Recht, in: ZEuP 1994, 244, 249. Vgl. nur Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 87 ff.; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 209 f. 4 Eingehend Knütel, Rechtseinheit in Europa und römisches Recht, in: ZEuP 1994, 244 ff. 5 Entscheidung EPO – T 0244/85 (Aluminiumtrihydroxid) v. 23.1.1987, S. 7; Entscheidung EPO – G 0001/88 v. 27.1.1989, S. 6. 2 3
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht Der berühmte, bereits zitierte lateinische Satz „qui tacet, consentire videtur“ findet sich in dieser Form nicht direkt im römischen Recht, sondern stellt eine Regel des mittelalterlichen kanonischen Rechts, genauer die 43. Regel des Anhangs De regulis iuris (5, 12) zum von Papst Bonifaz VIII. im Jahr 1298 erlassenen Liber sextus, dar.6 Das „ubi loqui potuit ac debuit“ wurde dem Satz hingegen erst später hinzugefügt.7 Dabei weist der Satz neben juristischen Wurzeln im kanonischen und römischen Recht aber auch nichtjuristische Wurzeln in der antiken griechischen und römischen Literatur, theologischen Schriften und mittelalterlichen Sprichwörtern auf8: So schließt beispielsweise Klytaimnestra in Euripides’ „Iphigenie in Aulis“ von der Reaktion des Agamemnon auf ihre Frage, ob er bereit sei, seine Tochter zu töten auf seine Absicht, dies zu tun.9 Auch Sokrates bedient sich in Platons Apologie des Rückschlusses von einem Schweigen auf eine Zustimmung.10 Bereits bei Herodot wird die Praxis von Vertragsverhandlungen ohne sprachliche Kommunikation geschildert: die Karthager laden ihre Waren an einer lybischen Küste ab und legen mit ihren Schiffen erst dann wieder ab, wenn deren Bewohner eine dem Warenwert angemessene Menge an Gold gebracht haben.11 Cicero entnimmt in seinen Reden häufig dem Schweigen einen bestimmten Willen, so etwa in der ersten Rede gegen Catilina: „ecquid attendis, ecquid animadvertis horum silentium? Patiuntur, tacent. Quid exspectas auctoritatem loquentium, quorum voluntatem tacitorum perspicis?“.12 Dass ein Schweigen sehr wohl beredt und damit eine Kommunikationsform sein kann, welche verschiedene Auslegungsmöglichkeiten eröffnet und damit instrumentalisierbar ist, zeigen auch von ihm nicht nur in dieser Rede gebrauchte, nur auf den ersten Blick paradox anmutenden Wendungen wie „cum tacent, clamant“13 und „tacendo loqui“14.15 6 Reg. 43 VI, 5, 12; abrufbar unter . 7 Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, inJA 1982, 184, 184. 8 Eingehend, auch zum Folgenden, Krampe, Qui tacet, consentire videtur – Über die Herkunft einer Rechtsregel, in: FS Mikat, 1989, S. 367, passim. 9 Euripides, Iphigenie in Aulis, Vers 1142. 10 Platon, Apologie des Sokrates, 27c. 11 Herodot, Historien, 4. Buch, 196; dazu Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm., 615, 622 Fn. 44. 12 Cicero, In Catilinam 1, 20. 13 Cicero, In Catilinam 1, 21: „At si hoc idem huic adulescenti optimo, P. Sestio, si fortissimo viro, M. Marcello, dixissem, iam mihi consuli hoc ipso in templo senatus iure optimo vim et manus intulisset. De te autem, Catilina, cum quiescunt, probant, cum patiuntur, decernunt, cum tacent, clamant.“
II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht
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1. Schweigen als Verpflichtungsgrund Bereits dieser außerjuristische Umgang mit dem Schweigen und die hierzu entwickelten Sprichwörter zeigen, dass dem Schweigen ebenso wie anderem menschlichen Verhalten von jeher ein Bedeutungsgehalt entnommen wurde. Dies setzt sich auch in den Regelungen des römischen Rechts fort. Aufgrund der Formbedürftigkeit und des Ausdrücklichkeitserfordernisses der meisten schuldrechtlichen Verträge (stipulatio) und der beschränkten Zahl an klagbaren Verträgen, bei denen auch eine schlichte, nicht formgebundene Einigung genügte, konnte freilich das Schweigen im römischen Recht naturgemäß seltener als im heutigen Recht eine zustimmende Wirkung entfalten.16 Allerdings konnte aus einer schweigenden Abrede ( pactum tacitum) immerhin eine Einrede des Beklagten gegen die Klage entstehen und damit letztlich ein Rechtsverlust des Klägers resultieren.17 Zudem waren gerade die praktisch wichtigen Verträge wie der Kaufvertrag (emptio venditio), der Miet- und Pachtvertrag (locatio conductio rei), der Dienstvertrag (locatio conductio operarum [sui ipsius]), der Werkvertrag (locatio conductio operis) sowie der Auftrag (mandatum) und die Gesellschaft (societas) klagbare, nicht formgebundene Verträge18, bei denen also grundsätzlich auch einem Schweigen Erklärungsbedeutung zukommen konnte. Erwähnenswert ist schließlich, dass die Schenkung – heute im deutschen anders als im italienischen Recht (dazu unten § 4 II. 1. a)) ein Fall des normierten Schweigens – im klassischen römischen Recht keinen autonomen Vertragstyp darstellte und wohl zum Schutz der freien Willensbildung des Schenkers zahlreichen Einschränkungen unterlag; so war beispielsweise die Schenkung unter Ehegatten verboten.19 Noch heute sieht Art. 781 c. c. vor, dass Schenkungen unter Ehegatten weitgehend verboten sind, wobei die Norm jedoch von der Corte costituzionale, dem italienischen Verfassungsgerichtshof, für verfassungswidrig erklärt wurde.20 Die kanonische Regel „qui tacet, consentire videtur“ aus dem Liber sextus von Bonifaz hatte zudem, auch wenn sie, wie schon erwähnt, in dieser Form nicht in der Antike anzutreffen ist, verschiedene Vorläufer im römischen 14 Cicero, Pro Sestio, 40: „Me vero non illius oratio, sed eorum taciturnitas (movit), […]: qui tum, quamquam ob alias causas tacebant, tamen hominibus omnia timentibus tacendo loqui […] videbantur.“ 15 Dazu Schauer, Cum tacent, clamant, „Beredtes Schweigen“ als Instrument rhetorischer Strategien bei Cicero, in: RhM 154 (2011), 300, passim. 16 Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, in JA 1982, 184, 185. 17 Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, in JA 1982, 184, 185. 18 Liebs, Römisches Recht, 6. Auflage 2004, S. 247 ff.; Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, in JA 1982, 184, 185. 19 Eingehend Staudinger/Chiusi, BGB 2021, Vorbem. zu §§ 516–534 Rn. 10 ff. 20 Corte cost. 27.6.1973, Nr. 91.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
Recht21: So wohnt einigen Quellen der Gedanke inne, dass die äußere Erklärungshandlung gegenüber dem inneren Willen überwiegt und es daher auch infolge einer Untätigkeit zur Entstehung einer Verpflichtung kommen kann.22 Dies zeigt sich etwa im Stellvertretungsrecht ganz ähnlich der heutigen rappresentanza tollerata bzw. der Duldungsvollmacht (dazu unten § 3 II. 2. b) bb) und § 4 II. 2. b) bb)), wo derjenige, der es geduldet hat, dass jemand in seinem Namen auftritt, auch verpflichtet wird.23 Eine Zustimmung wurde daneben auch im Schweigen des Schuldners gegenüber der Leistung einer Bürgschaft gesehen, einem Vertragstyp, zu dem auch das heutige italienische und deutsche Recht besondere Regeln für eine erleichterte Annahme entwickelt haben (dazu unten § 3 II. 1. a) und § 4 II. 1. a)). So wird derjenige, der das Bürgen oder sonstige Eintreten eines anderen für ihn geduldet hat, am Auftrag festgehalten.24 Der fehlende Widerspruch von anwesenden Bürgen und die Duldung der Aufnahme ihrer Namen in die öffentlichen Akten kann ebenso dazu führen, dass sie verpflichtet werden (D. 27, 7, 4, 3 [Ulp. 39 ad. Sab.]): „Fideiussores a tutoribus nominati si praesentes fuerunt et non contradixerunt et nomina sua referri in acta publica passi sunt, aequum est perinde teneri, atque si iure legitimatio stipulatio interposita fuisset.“ Das römische Recht kannte zudem ebenso wie das geltende italienische und deutsche Recht die Verlängerung eines Vertrags infolge eines Schweigens, wie beispielhaft die in D. 19, 2, 13, 11 (Ulp. 32 ad ed.) erwähnte und noch heute in Art. 1597 c. c. und § 545 Abs. 2 Satz 2 BGB anzutreffende Verlängerung eines Mietverhältnisses, die sog. relocatio tacita, zeigt25: Wenn jemand nach dem Ende der Mietzeit in dem Mietverhältnis verblieb, wurde nicht nur angenommen, dass er erneut gemietet hatte, sondern auch, dass die Pfandsachen beste21 Hierzu Krampe, Qui tacet, consentire videtur – Über die Herkunft einer Rechtsregel, in: FS Mikat, 1989, S. 367, 376 ff.; sowie umfassend auch Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982; krit. zur kanonischen Regel von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 3. Band, 1840, S. 248 Fn. a. 22 Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 98. 23 D. 17.1.18 (Ulp. lib. 40 ad Sab.): „Qui patitur ab alio mandari, ut sibi credatur, mandare intellegitur.“ 24 D. 17, 1, 6, 2 (Ulp. 31 ad. ed.): „Si passus sim aliquem pro me fiedeiubere vel alias intervenire, mandati teneor et, nisi pro invito quis intercesserit aut donandi animo aut negotium gerens, erit mandati actio.“ 25 „Qui impleto tempore conductionis remansit in conductione, non solum reconduxisse videbitur, sed etiam pignora videntur durare obligata. […] quod autem diximus taciturnitate utriusque partis colonum reconduxisse videri, ita accipiendum est, ut in ipso anno, quo tacuerunt, videantur eandem locationem renovasse, non etiam in sequentibus annis, etsi lustrum forte ab initio fuerat conductioni praestitutum. sed et si secundo quoque anno post finitum lustrum nihil fuerit contrarium actum, eandem videri locationem in illo anno permansisse: hoc enim ipso, quo tacuerunt, consensisse videntur. et hoc deinceps in unoquoque anno observandum est. […]“. Hierzu eingehend Goretti, Il problema giuridico del silenzio, S. 125 ff. m. w. N.; vgl. auch Donatuti, Il silenzio come manifestazione di volontà, in: Studi in onore di Pietro Bonfante, Band 4, 1930, 461, 476.
II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht
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hen blieben, wobei die Verlängerung des Mietverhältnisses jeweils nur für das jeweilige Jahr gelten sollte. Aus der eben zitierten Digestenstelle wurde in der Glosse des Accursius verkürzt die Regel, dass ein Schweigender zuzustimmen scheine: „Nota tacentem videri consentire“26; auch im weiteren Verlauf wurde von Kommentatoren wie beispielsweise Baldus de Ubaldis und Bartolus de Saxoferrato angenommen, dass ein Schweigen als Zustimmung gelten kann.27 Im Familienrecht begegnet hinsichtlich der Eheschließung die aus heutiger Sicht befremdlich erscheinende, gegenüber der ursprünglich alleinigen Entscheidung des pater familias aber bereits einen Fortschritt darstellende Regel, dass der fehlende Widerspruch der Tochter gegen die Entscheidung des Vaters als Zustimmung gilt („sed quae patris voluntati non repugnat, consentire intellegitur.“), immerhin gefolgt von der Einschränkung, dass die Tochter – freilich nur unter der Voraussetzung einer sittlichen Unwürdigkeit – den Heiratskandidaten ablehnen darf: „tunc autem solum dissentiendi a patre licentia filiae conceditur, si indignum moribus vel turpem ei sponsum pater eligat“ (D. 23, 1, 12 [Ulp. L. sing. de spons.]).28 Andererseits konnte auch das Schweigen des Vaters zur Hochzeit der Tochter als Zustimmung gewertet werden mit der Folge, dass ein Kind aus der Ehe als sein Enkel galt.29 In der Wandlung der Vorschriften zum Schweigen bei der Eheschließung kamen auch veränderte gesellschaftliche Anschauungen zum Ausdruck: die patriarchalische alleinige Entscheidungsmacht des Vaters schwand nach und nach zugunsten der Privatautonomie der Kinder.30 Freilich sind derartige familienrechtliche Regelungen aus heutiger Sicht – nicht nur vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich sowohl in Italien als auch Deutschland jeweils in Art. 3 der Costituzione della Repubblica italiana bzw. des Grundgesetzes verankerten Diskriminierungsverbotes – undenkbar, doch zeigt sich an ihnen beispielhaft, dass schon im römischen Familienrecht ein Bedürfnis bestand, dem Schweigen einer Person einen rechtlichen Erklärungsgehalt zu entnehmen, um so Rechtssicherheit für die Beteiligten zu schaffen. Dabei war auch den Römern schon die Berücksichtigung eines fehlenden Willens bzw. Erklärungsbewusstseins geläufig, da beispielsweise die genannte 26 Accursii Glossa in Digestum vetus, gl. Consensisse zu D. 19, 2, 13, 11, in: Corpus Glossatorum Iuris civilis VII, 1969, S. 572; hierzu ausführlich Krampe, Qui tacet, consentire videtur – Über die Herkunft einer Rechtsregel, in: FS Mikat, 1989, S. 367, 377 ff. 27 Vgl. dazu Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 209 m. w. N. 28 Hierzu Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, I Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 153 sowie Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 179 ff. 29 CJ.5.4.5 (Imperator Alexander Severus alex. a. maximae): „Si, ut proponis, pater quondam mariti tui, in cuius fuit potestate, cognitis nuptiis vestris non contradixit, vereri non debes, nepotem suum ne non agnoscat.“ 30 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 183; dies anzweifelnd aber Donatuti, Il silenzio come manifestazione di volontà, in: Studi in onore di Pietro Bonfante, Band 4, 1930, 461, 471.
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Rechtsfolge nicht eintrat, wenn der Vater nichts von der Eheschließung wusste, D. 1.5.11 (Paulus 18 resp.), sodass ein vor dem Tod gezeugtes, aber nach dem Tod des Großvaters geborenes Kind, wenn der Großvater nicht von der Eheschließung seiner Tochter wusste, nicht als eheliches Kind galt31: „Paulus respondit eum, qui vivente patre et ignorante de coniunctione filiae conceptus est, licet post mortem avi natus sit, iustum filium ei ex quo conceptus est esse non videri.“ Ähnliches galt auch für die erforderliche Zustimmung einer Tochter zur Klage des Vaters auf Rückzahlung der Mitgift, die – sofern die Tochter nicht geisteskrank war – nur dann aufgrund ihres Schweigens vermutet werden konnte, wenn sie von der Klage wusste.32 Die Wertung einer Duldung als Zustimmung setzte also voraus, dass der Betroffene in der Lage war, zu widersprechen oder eine Handlung zu unterbinden, Fr. 45 D. 9, 2 (Paul. Lib. 10 ad Sab.): „Scientiam hic pro patientia accipimus, ut qui prohibere potuit teneatur, si non fecerit.“33 Auch Savigny vertritt die Auffassung, dass die Fälle der Erklärungswirkung des Schweigens im römischen Recht insoweit konkludenten Willenserklärungen gleichzusetzen und daher auch Willensmängel wie Irrtümer zu berücksichtigen seien.34 Bereits in Ciceros „De officiis“ findet sich der aus dem modernen Recht vertraute (unten § 3 II. 3. und § 4 II. 3.) Gedanke, dass ein arglistiges Verschweigen von Sachmängeln Konsequenzen nach sich zieht: so lässt er Diogenes und Antipatros darüber diskutieren, ob und warum ein Verkäufer den Käufer über Schlangen im Haus aufklären muss35 oder darüber, dass nach einem Gerichtsurteil zu hohe und die Auspiciien behindernde Teile des zu verkaufenden Hauses abgerissen werden müssen.36 Schließlich greift Cicero auch bei der Beweis31 Hierzu eingehend Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 182 ff., die das Schweigen im letzten Falle als bloßes „pseudo-silenzio“ bezeichnet. 32 D. 24.3.2.2 (Ulpianus 35 ad sab.): „Voluntatem autem filiae, cum pater agit de dote, utrum sic accipimus, ut consentiat an vero ne contradicat filia? et est ab imperatore antonino rescriptum filiam, nisi evidenter contradicat, videri consentire patri. et iulianus libro quadragesimo octavo digestorum scripsit quasi ex voluntate filiae videri experiri patrem, si furiosam filiam habeat: nam ubi non potest per dementiam contradicere, consentire quis eam merito credet. sed si absens filia sit, dicendum erit non ex voluntate eius id factum cavendumque ratam rem filiam habituram a patre: ubi enim sapit, scire eam exigimus, ut videatur non contradicere.“; hierzu Krampe, Qui tacet, consentire videtur – Über die Herkunft einer Rechtsregel, in: FS Mikat, 1989, S. 367, 379. 33 Dazu Donatuti, Il silenzio come manifestazione di volontà, in: Studi in onore di Pietro Bonfante, Band 4, 1930, 461, 467 f. 34 von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 3, 1840, S. 252. 35 Cicero, De officiis, 3, 54 (sowie ff.): „Vendat aedes vir bonus, propter aliqua vitia, quae ipse norit, ceteri ignorent, pestilentes sint et habeantur salubres, ignoretur in omnibus cubiculis apparere serpentes, sint, male materiatae et ruinosae, sed hoc praeter dominum nemo sciat; quaero, si haec emptoribus venditor non dixerit aedesque vendiderit pluris multo. quam se venditurum putarit, num id iniuste aut improbe fecerit? […]“. 36 Cicero, De officiis, 3, 66 (sowie ff.): „Ut, cum in arce augurium augures acturi essent iussissentque Ti. Claudium Centumalum, qui aedes in Caelio monte habebat, demoliri ea, quorum altitudo officeret auspiciis, Claudius proscripsit insulam [vendidit], emit P. Calpurnius
II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht
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führung auf die Wendung taciturnitas imitatur confessionem zurück37 – ein Gedanke, der noch heute im Prozessrecht anzutreffen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO). Im spätklassischen römischen Recht findet sich demgegenüber bei Paulus (D. 50, 17, 142) die Regel, dass derjenige, der schweige, zwar nicht gestehe, aber doch auch nicht verneine: „qui tacet, non utique fatetur, sed tamen verum est eum non negare“, sodass für das römische Prozessrecht wohl gilt, dass ein Schweigen zwar consensus, also eine Zustimmung, nicht aber ein Geständnis (confessio) sein konnte.38
2. Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes Auch negative Rechtsfolgen eines Schweigens waren dem römischen Recht bekannt, da von jeher die Notwendigkeit bestand, die Ausübung eines Rechts an eine bestimmte Zeitspanne zu knüpfen.39 Bereits in den Zwölftafelgesetzen finden sich daher Fristen für Rechtsgeschäfte, Klageerhebungen, die Geschäftsfähigkeit und anderes, welche beispielsweise in Tagen, Monaten, Jahren oder anderen Referenzpunkten wie dem Sonnenstand oder der Abfolge von Markttagen ausgedrückt wurden und entweder eine gewisse Zeitspanne vorsahen oder direkt an bestimmte Kalendertage oder Ereignisse anknüpften.40 Im klassischen römischen Recht bezogen sich die sog. actiones temporales, bei denen die Möglichkeit einer Klage zeitlich meist auf ein Jahr beschränkt war, zumeist aber nur auf Strafklagen, sodass die Verjährung zivilrechtlicher Positionen noch nicht allgemein anerkannt war.41 Erst mit der späteren Einführung einer allgemeiLanarius. Huic ab auguribus illud idem denuntiatum est. Itaque Calpurnius cum demolitus esset cognossetque Claudium aedes postea proscripsisse, quam esset ab auguribus demoliri iussus, arbitrum illum adegit QUIDQUID SIBI DARE FACERE OPORTERET EX FIDE BONA. M. Cato sententiam dixit, huius nostri Catonis pater (ut enim ceteri ex patribus, sic hic, qui illud lumen progenuit, ex filio est nominandus) is igitur iudex ita pronuntiavit, cum in vendundo rem eam scisset et non pronuntiasset, emptori damnum praestari oportere.“; eingehend zum Schweigen in Ciceros De officiis: Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 70 ff. 37 Cicero, De inventione I, 54: „Extremum autem aut taceatur oportet aut concedatur aut negetur. Si negabitur, aut ostendenda similitudo est earum rerum, quae ante concessae sunt, aut alia utendum inductione. si concedetur, concludenda est argumentatio. Si tacebitur, elicienda responsio est aut, quoniam taciturnitas imitatur confessionem, pro eo, ac si concessum sit, concludere oportebit argumentationem.“ 38 Krampe, Qui tacet, consentire videtur – Über die Herkunft einer Rechtsregel, in: FS Mikat, 1989, S. 367, 377; dazu auch Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 180 f. 39 Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 33 f. 40 Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 34 m. w. N. 41 Nabholz, Verjährung und Verwirkung als Rechtsuntergangsgründe infolge Zeitablaufs, 1961, S. 53; Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 91 (1974) 251, 273; Zimmermann, Comparative Foundations of a European Law of Set-Off and Prescription, 2002, S. 62 u. 69 m. w. N.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
nen Klageverjährung unter Theodosius II. wurden die actiones temporales, die während der klassischen Zeit einen Verfall bzw. eine Ausschlussfrist darstellten, zu Unterfällen der Verjährung.42 Die römischrechtliche Klageverjährung kann damit als Vorläufer für die heutigen Kodifikationen der Verjährung angesehen werden.43 Auch die Ersitzung war bereits der römischen Rechtsprechung bekannt und diente ebenso wie die Verjährung der Erlangung von Rechtssicherheit, wie ein Ausschnitt aus Ciceros „Pro Caecina“ zeigt.44 Schweigen wurde auch als Ablehnung und damit als Rechtsverlust im Bereich der in iure cessio angesehen: wenn der Erwerber die ihm abgetretene Sache wie seine eigene behandelte und der Veräußerer auf die Frage des Richters, ob er sie zurücknehmen wolle, schwieg oder dies verneinte (tacente aut negante), ging das Eigentum auf den Erwerber über.45 In der deutschen Literatur wird der Ursprung der Verwirkung überwiegend in der römischrechtlichen exceptio doli generalis, der Einrede der missbräuchlichen Geltendmachung eines Rechts, als Ausfluss der bona fides gesucht.46 Für diese Einrede war auch im römischen Recht bald schon kein vorsätzliches arglistiges Verhalten (dolus) mehr erforderlich, sondern nur ein Verstoß gegen die Billigkeit.47 Daneben spielte im römischen Recht auch die exceptio pacti (taciti), die Einrede eines (konkludenten) Verzichtsvertrags, eine wichtige Rol42 Vgl. Nabholz, Verjährung und Verwirkung als Rechtsuntergangsgründe infolge Zeitablaufs, 1961, S. 53 f. (missverständlich ist dabei von „Verwirkung“ die Rede [zur Terminologie bereits oben § 1 II. 2.]). 43 So bereits von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1849, Band 5, 1841, S. 272. 44 Cicero, Pro A. Caecina, 74: „Quid enim refert aedis aut fundum relictum a patre aut aliqua ratione habere bene partum, si incertum est, quae nunc tua iure mancipi sint, ea possisne retinere, si parum est communitum ius civile ac publica lege contra alicuius gratiam teneri non potest? quid, inquam, prodest fundum habere, si, quae diligentissime descripta a maioribus iura finium, possessionum, aquarum itinerumque sunt, haec perturbari aliqua ratione commutarique possunt? Mihi credite, maior hereditas uni cuique nostrum venit in isdem bonis a iure et a legibus quam ab eis a quibus illa ipsa nobis relicta sunt. Nam ut perveniat ad me fundus testamento alicuius fieri potest; ut retineam quod meum factum sit sine iure civili fieri non potest. Fundus a patre relinqui potest, at usucapio fundi, hoc est finis sollicitudinis ac periculi litium, non a patre relinquitur, sed a legibus; aquae ductus, haustus, iter, actus a patre, sed rata auctoritas harum rerum omnium ab iure civili sumitur.“; zum Ganzen Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 38 ff. 45 Gai. inst. 2, 24 f.: „In iure cessio autem hoc modo fit: apud magistratum populi romani vel praetorem vel apud praesidem provinciae is, cui res in iure ceditur, rem tenens ita dicit: ‚hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio‘; deinde postquam hic vindicaverit, praetor interrogat eum, qui cedit, an contra vindicet; quo negante aut tacente tunc ei, qui vindicaverit, eam rem addicit. […]“. 46 Vgl. hierzu Riezler, Venire contra factum proprium, 1912, S. 43 ff.; vgl. auch Kegel, Verwirkung, Vertrag und Vertrauen, in: FS Pleyer, 1986, S. 513, 514 u. 520; Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 15; Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen, 1995, S. 31 ff.; krit. Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 13. 47 Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen, 1995, S. 31 f.
II. Bedeutung des Schweigens im römischen und kanonischen Recht
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le.48 Umstritten ist dabei, in welchem Verhältnis die Einreden zueinander standen. Teilweise wird angenommen, dass sie bei Bestehen eines gültigen Vertrags ( pactum) frei und gleichberechtigt miteinander konkurrierten, die exceptio doli jedoch im Falle eines pactum tacitum leichter zu begründen war.49 Auch wenn Rechtsverluste zumeist auf (konkludentes) aktives Verhalten zurückzuführen waren, war dem römischen Recht zumindest in Teilbereichen schon der Gedanke bekannt, dass ein Rechtsverlust – sei es aufgrund der exceptio doli oder pacti – auch aus einer reinen längerwährenden Untätigkeit bzw. einem bloßen Schweigen resultieren konnte.50 So verlor infolge einer emancipatio tacita ein Vater, der seine Tochter ein Testament errichten und so leben ließ, als ob sie rechtsgültig emanzipiert worden sei, seine patria potestas.51 Die Nichteintreibung des eigentlich geschuldeten höheren Zinssatzes über Jahre wurde beispielsweise als konkludenter Verzicht auf den Mehrbetrag gedeutet, sodass die exceptio pacti erhoben werden konnte.52 Auch oblag es einem Nachbarn, rechtzeitig Widerspruch gegen ein ihm nachteiliges Bauvorhaben einzulegen, beispielsweise wenn aufgrund der Errichtung des Bauwerks sein Grundstück durch Regenwasser geschädigt werden würde, da er sonst seine Möglichkeit zur Klage verwirkte53 (D. 39, 3, 19 Pomponius 14 ad q. muc.): „Labeo ait, si patiente vicino opus faciam, ex quo ei aqua pluvia noceat, non teneri me actione aquae pluviae arcendae.“ Interessant ist das Bestehen einer exceptio doli einerseits und einer exceptio pacti andererseits im römischen Recht vor dem Hindergrund, dass das italienische und das deutsche Recht unterschiedliche Wege bei der Erklärung eines 48 Eingehend zum Verhältnis von exceptio doli und exceptio pacti: Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 90 (1973) 220 ff. und SZ (RA) 91 (1974) 251 ff. 49 Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 90 (1973) 220, 233 und 248. 50 Eingehend (auch zum folgenden) und mit weiteren Beispielen Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 91 (1974) 251, 273; vgl. auch Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, in JA 1982, 184, 185. 51 D. 1, 7, 25 pr. (Ulpianus 5 opin.): „Post mortem filiae suae, quae ut mater familias quasi iure emancipata vixerat et testamento scriptis heredibus decessit, adversus factum suum, quasi non iure eam nec praesentibus testibus emancipasset, pater movere controversiam prohibetur.“ 52 CJ. 4, 32, 5 Imperatores Severus et Antoninus Ultumio Sabino et aliis, 205: „Adversus creditorem usuras maiores ex stipulatu petentem, si probetur per certos annos minores postea consecutus, utilis est pacti exceptio secundum quod tueri causam potestis etiam adversus defensores civitatis maiores petentes ex cautione, si probaveritis semper quincunces amitam pupillorum vestrorum, quae maiores caverat, rependisse.“ 53 Hierzu Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 91 (1974) 251, 274.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
Rechtsverlustes infolge einer Untätigkeit eingeschlagen haben: Während das deutsche Recht im Bereich des Rechtsverlustes die – nach ganz herrschender Ansicht nicht rechtsgeschäftlich zu erklärende – Verwirkung verwendet, erzielt das italienische Recht, jedenfalls nach wohl überwiegender Auffassung, ähnliche Ergebnisse durch die Annahme eines konkludenten Verzichts, der sog. rinuncia tacita (dazu unten § 3 III. 3. und § 4 III. 3.).
III. Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Thematik in den Kodifizierungen in Deutschland und Italien Auch in nachrömischer Zeit sahen sich die Rechtsanwender und Gesetzgeber mit der Frage nach den juristischen Folgen eines Schweigens konfrontiert. Freilich kann die Rolle des Schweigens im Privatrecht der beiden Länder über die Jahrhunderte im Rahmen dieser Arbeit, die ihren Schwerpunkt auf das geltende Recht setzt, nur sehr knapp skizziert werden. Vorauszuschicken ist, dass die Rezeption des römischen Rechts in beiden Ländern bzw. Gebieten im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle spielte, wobei die Rolle des Schweigens im Privatrecht nicht unumstritten war: Savigny verstand etwa die Konstellationen, in denen das Schweigen im römischen Recht als Erklärung galt, als abschließende Einzelfälle und führte sie auf das Bestehen einer Pflicht zum Widerspruch zurück.54 Auf italienischer Seite trat dem Ranelletti entgegen, der einen abschließenden Charakter der Quellen im römischen Recht verneinte und die Rechtswirkungen des Schweigens aus einem allgemeingültigen Vertrauensprinzip herleiten wollte.55 Bonfante wiederum sah im fehlenden Widerspruch (non contradicere) eine aufgrund gesetzlicher Anordnung ausnahmsweise ausreichende Zustimmung in abgeschwächter Form („consenso più debole“). Im Gegensatz hierzu stand seiner Ansicht nach eine vollgültige, für einen Vertrag grundsätzlich erforderliche Zustimmung („consenso pieno e vero“), die in Ermangelung einer expliziten abweichenden gesetzlichen Bestimmung nur durch eine aktive Äußerung des Einverständisses erfolgen könne.56 Viele der späteren dogmatischen Begründungsansätze zum Schweigen (dazu unten § 3 II. 5. und 6. sowie § 4 II. 5. und 6.) sind damit in ihrem Ausgangspunkt schon im 19. Jahrhundert angelegt.
54 55
von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 3, 1840, S. 249. Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, Band 13, fasc. 1, 1892, 3, 15 ff. 56 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, I Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 152 f. und Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, II Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 166 sowie Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 182.
III. Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Thematik
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1. Schweigen als Verpflichtungsgrund Bezüglich des Schweigens als Verpflichtungsgrund entwickelte sich die Rechtslage im heutigen Italien und Deutschland recht ähnlich.
a) Heutiges Italien Auffällig ist zunächst die bedeutende Rolle des Schweigens beim Vertragsschluss im italienischen Handelsverkehr seit dem Mittelalter: Unter den Kommentatoren war die Ansicht verbreitet, dass ein Schweigen gegenüber bestimmten Schreiben (receptio litterarum cum taciturnitate) aus Gründen von Treu und Glauben und zugunsten einer schnellen Abwicklung von Handelsgeschäften Zustimmung bedeuten könne.57 Im Mittelalter entwickelte sich als Teil des ius mercatorum unter italienischen Kaufleuten die rechtliche Pflicht, wegen der unter ihnen bestehenden Solidarität auf ein Angebot eines anderen Kaufmannes zu antworten, sodass eine nicht erfolgte Antwort als Annahme galt.58 Während dieser Epoche konnte daher im Handelsrecht sogar der Grundsatz gelten, dass ein Schweigen gegenüber einem Angebot als Annahme gewertet wurde.59 Auch danach verfuhren die italienischen Juristen im Handelsrecht sehr großzügig mit der Bewertung des Schweigens als Zustimmung.60 Erst sehr viel später wurde diese Haltung zum Schutz des – insbesondere nichtkaufmännischen – Einzelnen vor unlauteren Geschäftspraktiken radikal verändert.61 Bemerkenswert ist, dass die im heutigen deutschen Handelsgesetzbuch bzw. Handelsrecht anzutreffenden Grundsätze zur Erklärungsbedeutung eines Schweigens wie das kaufmännische Bestätigungsschreiben (unten § 4 II. 4. c)) teils sogar auf dieses „altitalienische Handelsrecht“ und seine Rezeption zurückgeführt werden.62 Die nun im gesamten italienischen Zivilrecht anerkannte mögliche Bedeutungswirkung des Schweigens (dazu näher unten § 3 II.) ist auch der im Jahr 1942 erfolgten Zusammenführung von Handels- und Bürgerlichem Recht im 57 Hierzu Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contratto e Europa 2000, 206, 209 f. m. w. N.; Casaregi, Discursus legales de commercio, Band 1, 1740, Disc. 30, n. 63: „Recipiens epistolam et ei non contradicens censetur eam approbare.“ 58 Borgna, Del silenzio nei negozi giuridici, 1901, 95 f.; dazu Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, 1893, S. 175. 59 Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 38. 60 Dazu Tafaro, Forniture non richieste: valore negoziale del silenzio e procedimenti formativi del contratto (Anm. zu Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290), in: Notariato 2008, 620, 637 m. w. N. 61 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 78 f.; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 38. 62 So Scheftelowitz, Das Schweigen und seine Bedeutung im Privatrechtsverkehr, 1934, S. 38; auch Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, 1893, S. 176 spricht von einem „Überrest des ständischen Prinzips“.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
Codice civile zu verdanken, mit der eine „commercializazzione“ des gesamten italienischen Privatrechts, also eine Prägung des gesamten Zivilrechts durch handelsrechtliche Prinzipien, einherging.63 Insgesamt war die italienische Rechtswissenschaft Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hinsichtlich der Anerkennung der Rechtsfolgen eines Schweigens lange Zeit jedoch sehr zurückhaltend: während einige ihm (vorbehaltlich einer gesetzlichen Vorschrift) gänzlich die rechtliche Relevanz absprachen64, gestanden ihm andere eine solche zumindest dann zu, wenn das Gesetz, ein Richter oder Handelsbräuche eine entsprechende Regel aufstellten65. Teilweise sollte das Schweigen auch nur der Auslegung (interpretazione) eines bereits bestehenden Vertrages dienen, nicht aber einen neuen begründen können.66 Ranelletti hingegen wollte auch außerhalb dieser Fallgruppen eine Erklärungswirkung des Schweigens anerkennen: Bereits im 19. Jahrhundert wurden die Rechtswirkungen des Schweigens auf ein Angebot im italienischen Recht von ihm nicht mittels der Willenstheorie, sondern mittels der heute nach herrschender Meinung noch geltenden Vertrauenstheorie (sog. teoria dell’affidamento) erklärt.67 Die historische Vorgängernorm zu Art. 1333 c. c. (dazu unten § 3 II. 1. a)) findet sich in Art. 36 Abs. 4 des Codice di commercio von 1882, wonach bei einem einseitigen Vertrag (contratto unilaterale) das Versprechen ( promessa) verbindlich wurde, sobald es dem anderen Teil zugegegangen war.68 Hinsichtlich der dogmatischen Zuordnung der Norm waren die Meinungen, ganz ähnlich wie noch heute zu Art. 1333 c. c., gespalten: während teilweise dem Wortlaut entsprechend ein einseitiges Rechtsgeschäft angenommen wurde, befürwortete die herrschende Meinung eine vertragliche Verortung.69 Die Begründungsansätze gleichen dabei den zum heutigen Art. 1333 c. c. vertretenen so stark, dass in der aktuellen italienischen Literatur zurecht von einer „ewigen Wiederkehr“ („eterno ritorno“) die Rede ist.70 63 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contratto e Europa 2000, 206, 230; allgemein Galgano/Marrella, Diritto e prassi del commercio internazionale, 2010, S. 198. 64 Sraffa, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Giur. it. 1898, Band 50, Teil 4, 353, 355. 65 Simoncelli, Il silenzio nel diritto civile, in: Scritti giuridici, 1938, S. 578 f. 66 Vivante, Trattato di diritto commerciale, Band 4, 5. Auflage 1928, S. 33 f. 67 Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Riv. It. delle scienze giuridiche, 1892, 3, 12 u. 21 ff. 68 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 386. 69 Vgl. hierzu die Nachweise und die Darstellung bei Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 386 m. w. N. und Moscarini, I negozi a favore di terzo, 1970, S. 62 f. 70 A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 89: „[…] se ne ricava l’impressione di una sorta di ‚eterno ritorno‘; nell’universo delle costruzioni ermeneutiche, nulla si crea e nulla si distrugge, ma, appunto, tutto ‚ritorna‘.“
III. Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Thematik
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b) Heutige Bundesrepublik Im Gegensatz zum heutigen BGB war der Bedeutungswert eines Schweigens in früheren Kodifikationen teils normiert: so regelte § 61 1. Teil, 4. Titel des Preußischen Allgemeinen Landrechts (PrALR) aus dem Jahr 1794 im Abschnitt über Willenserklärungen ausdrücklich, dass ein bloßes Stillschweigen „nur alsdann für Einwilligung geachtet“ werde, „wenn der Schweigende sich erklären konnte, und vermöge der Gesetze dazu verbunden war.“ Anders als das italienische Recht, das mit der Zusammenführung von Codice civile und Codice di commercio handelsrechtliche Grundsätze in das allgemeine Zivilrecht integrierte und beispielsweise mit der Normierung von Art. 1333 c. c. im Codice civile eine ursprünglich handelsrechtliche Vorschrift verallgemeinerte, sah der deutsche Gesetzgeber freilich bewusst von einer Übernahme handelsrechtlicher Regelungen wie Art. 323 des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches71 (dem Vorläufer des § 346 HGB) in das bürgerliche Gesetzbuch72 ab. Im Zivilrecht wurde insgesamt nur zurückhaltend eine Angebotsannahme infolge eines beredten Schweigens befürwortet, bisweilen etwa, wenn bereits eine Geschäftsverbindung zwischen den Beteiligten bestand.73 Die größere Bereitschaft, im handelsrechtlichen Kontext eine Erklärungsbedeutung des Schweigens anzuerkennen, zeigt sich, ähnlich wie im italienischen Recht relativ früh: Die sächsische Rechtsprechung hatte Mitte des 19. Jahrhunderts in Übernahme der eben genannten, zwischen italienischen Kaufleuten im Mittelalter geltenden Regel den Grundsatz aufgestellt, dass der kaufmännische Empfänger einer unbestellten Lieferung binnen kurzer Zeit seinen Widerspruch zu äußern hatte, da sein Schweigen als Annahme gewertet wurde.74 Eine Abkehr hiervon stellt freilich die Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts aus dem Jahr 1875 dar, wonach ein Schweigen gegenüber der Zusendung unbestellter Waren nur in Verbindung mit weiteren Voraussetzungen und nicht für sich allein genommen als Annahme gewertet werden konnte.75 Bei Vorliegen entsprechender Umstände, wie bestehenden Geschäftsbeziehungen, bejahte die Rechtsprechung Ende des 19. Jahrhunderts aber – neben der möglichen Bedeutung eines Schweigens für die Auslegung des Vertragsinhalts – wiederholt eine Erklärungsbedeutung des Schweigens hinsichtlich der Annahme eines Antrags, aber auch der unwesentlichen Abänderung eines bereits geschlossenen Vertrags.76 Zudem war nicht nur die kaufmännische Übung, einen geschlos71
Im Weiteren ADHGB.
72 Dazu Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 508 f. 73 Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, 1893, 74 Hierzu
S. 179 f. Scheftelowitz, Das Schweigen und seine Bedeutung im Privatrechtsverkehr,
1934, S. 38. 75 ROHG 15.2.1875 – Rep. 153/75, in: Entscheidungen des ROHG 16 (1875), 131, 132; hierzu Scheftelowitz, Das Schweigen und seine Bedeutung im Privatrechtsverkehr, 1934, S. 39. 76 Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, 1893, S. 180 ff. mit zahlreichen Beispielen von Entscheidungen.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
senen Vertrag schriftlich zu bestätigen, anerkannt, sondern das Reichsoberhandelsgericht entschied bereits in den 1870er Jahren mehrfach, dass die längere Nichtbeantwortung eines solchen Schreibens auf Grund von Treu und Glauben als Genehmigung des Inhalts desselben aufzufassen sei.77 Für den Geschäftsbesorgungsvertrag normierte Art. 323 Abs. 1 ADHGB im Rahmen laufender Geschäftsverbindungen sogar, dass der Kaufmann ohne Zögern zu antworten hatte, wobei der zugrunde liegende preußische Entwurf darauf verwies, dass dieser Grundsatz der zustimmenden Wirkung eines Schweigens bereits im Allgemeinen Landrecht gegolten habe.78 Nach dem Recht der DDR kam dem Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben hin dagegen keine Bedeutung zu, da dem dort geltenden sozialistischen Wirtschaftsrechtssystem bereits die Figur eines privatautonom handelnden Kaufmannes nach westlichem Verständnis fremd war.79 Die generelle Skepsis sozialistischer Staaten gegenüber Handelsbräuchen schlug sich auch in den Verhandlungen zum CISG nieder.80 Auch nach Inkrafttreten der ersten vier Bücher des Handelsgesetzbuches auf dem Gebiet der ehemaligen DDR am 1. Juli 1990 konnte aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Rechtsfigur nicht um kodifiziertes Recht, sondern einen zu Gewohnheitsrecht erstarkten Handelsbrauch handelt (dazu noch § 4 II. 4. c)) nicht von einer sofortigen Geltung des Rechtsgrundsatzes in den neuen Bundesländern ausgegangen werden, da Voraussetzung für die Bildung von Gewohnheitsrecht eine über einen gewissen Zeitraum andauernde Übung ist.81
2. Schweigen als Rechtsverlust Unterschiedlich verlief, jedenfalls teilweise, die Entwicklung in Italien und Deutschland hinsichtlich des Schweigens als Rechtsverlust, wobei vielfach wiederum das römische Recht Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung in den beiden Rechtssystemen war.
77
ROHG 26.11.1873 – Rep. 744/73, in: Entscheidungen des ROHG 11 (1875), 432, 435; ROHG 8.9.1874 – Rep. 675/74, in: Entscheidungen des ROHG 14 (1875), 371, 372 und 15 (1874), 94, 96 ff.: ROHG 4.12.1875 – Rep. 1203/75, in: Entscheidungen des ROHG 19 (1876), 120, 122 f. 78 Dazu Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 679 m. w. N. 79 LG Köln 24.08.94 – 20 O 262/93, in: DtZ 1995, 452, 452; vgl. auch Grunewald/Schmidt, K., MüKo HGB, Band 5, 4. Auflage 2018, § 346 Rn. 144. 80 Dazu Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 467 m. w. N. 81 LG Köln 24.8.94 – 20 O 262/93, in: DtZ 1995, 452, 453, wonach sechs Wochen für die Annahme einer dauernden Übung nicht ausreichen.
III. Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Thematik
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a) Heutiges Italien Ähnlich wie im römischen Recht verschwammen zunächst die Grenzen von Verfall und Verjährung. Auch wenn bereits zuvor zahlreiche Fristen zur Ausübung von Rechten im Codice von 1865 sowie den Zivilgesetzbüchern vor der italienischen Einigung geregelt waren, wurden allgemeine Normen zum Rechtsverlust infolge einer decadenza erstmals im heute geltenden Codice civile von 1942 in den Artt. 2064 ff. c. c. aufgenommen. Zwar verwendete bereits der Codice di commercio von 1882 die Begriffe decadere und decadenza, doch ist die Herausarbeitung der Unterschiede zwischen der decadenza und der prescrizione das Verdienst der Rechtswissenschaft.82 Diese äußerte schon früh den Wunsch, man möge doch, wie auch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch, zur Unterscheidung vom Verfall, der decadenza, die Begriffe „prescrizione“ und „prescrivere“ dort verwenden, wo eine Verjährung gemeint sei.83 In Italien regelte Art. 2105 des Codice civile von 1865 noch (wie etwa auch der französische Code civil), dass durch die prescrizione sowohl ein Rechtserwerb als auch eine Befreiung von einer Verpflichtung infolge Zeitablaufs eintreten könne, während die Unterscheidung der Phänomene mittlerweile anerkannt und geregelt ist (unten § 3 III. 1. a)).84 Das Rechtsinstitut der Verwirkung hat als solches, trotz häufiger Rezeption in der Wissenschaft, jedenfalls bislang keinen Eingang in das italienische Recht gefunden (dazu eingehend unten § 3 III. 3. b)). Das italienische Recht blieb nämlich dem Willensdogma verbunden und suchte die Ursache für einen Rechtsverlust nicht in einem Verstoß gegen Treu und Glauben, sondern einem stillschweigenden Verzicht: Anders als das deutsche Recht wurde also nicht die (oben bereits erwähnte) exceptio doli fortentwickelt, sondern die exceptio taciti pacti zur Erzielung der gewünschten Ergebnisse eingesetzt.85 Auch im geltenden Recht wird zur Erklärung eines Rechtsverlustes infolge einer Untätigkeit häufig auf einen konkludenten Verzicht zurückgegriffen (dazu unten § 3 III. 3. a)). Soweit allerdings ein Rechtsverlust infolge einer tolleranza (Duldung, dazu unten § 3 III. 3. c)) befürwortet wird, wird ebenso wie im deutschen Recht die exceptio doli des römischen Rechts fruchtbar gemacht.86
82 Vgl. Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1962, S. 309. 83 Modica, Teoria della decadenza nel diritto civile italiano, Band 1, 1906, S. 265. 84 Vgl. dazu Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 38 f., 44; Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 33 ff. 85 Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 90 (1973) 220, 223. 86 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 83 f. m. w. N.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
b) Heutige Bundesrepublik Durch den eben beschriebenen, gesonderten, der decadenza gewidmeten Abschnitt unterscheidet sich der Codice civile von vielen anderen Zivilrechtskodifikationen wie auch der deutschen, die über keine vergleichbare Regelung verfügt.87 Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 regelte – anders als das heutige deutsche Recht – Ersitzung und Verjährung noch zusammen: so formulierten § 500 1. Teil, 9. Titel, 9. Abschnitt PrALR: „Wenn durch den Ablauf einer bestimmten Zeit, wegen unterlassener Ausübung gewisser Rechte, eine Veränderung an diesen Rechten vermöge der Gesetze entsteht, so ist eine Verjährung vorhanden.“ und § 501 I. Teil, 9. Abschnitt PrALR: „Durch die Verjährung können sowohl Rechte, die jemand gehabt hat, verloren, als neue Rechte erworben werden.“ Diese Regelungstechnik setzt sich bis heute teilweise in südeuropäischen oder romanisch geprägten Rechtsordnungen fort.88 Ähnlich wie in Italien wurde in Deutschland erst durch die Pandektistik im 19. Jahrhundert zwischen Rechtsverlust durch Verjährung und Rechtserwerb durch Ersitzung differenziert, wobei es als erste Rechtsordnung diese Unterscheidung kodifizierte (unten § 4 III. 1. a) aa)).89 Das Rechtsinstitut der Verwirkung als Unterfall des Rechtsverlusts infolge eines Schweigens im deutschen Privatrecht ist hingegen relativ jung und wurde erst vom Reichsgericht in den währungspolitisch instabilen Jahren nach dem ersten Weltkrieg entscheidend geprägt.90 Zuvor wies die Rechtsprechung, beispielsweise des Reichsoberhandelsgerichtes (ROHG) wenig Konstanz auf, da ein Rechtsverlust infolge eines Schweigens wechselnd mit einem stillschweigenden Verzicht, wie überwiegend noch heute in Italien, oder einer Verwirkung erklärt wurde.91 Die Verwirkung spielte während der Weimarer Republik eine wichtige Rolle im richterrechtlich geprägten Arbeitsrecht, aber auch im Rahmen der sog. Aufwertungsrechtsprechung und des gewerblichen Rechtsschutzes.92 Auf Seiten der Literatur entfaltete eine monographische Untersuchung 87 Nabholz, Verjährung und Verwirkung als Rechtsuntergangsgründe infolge Zeitablaufs, 1961, S. 55. 88 Rechtshistorisch und -vergleichend hierzu Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verwirkung und Verschweigung, 2006, S. 138 ff. 89 Gaier/Baldus, MüKo BGB, Band 8, 8. Auflage 2020, § 937 Rn. 1; Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 34. 90 Vgl. etwa RG 26.11.1931 – IV 206/31, in: RGZ 134, 357; RG 17.4.1934 – VII 38/34, in: RGZ 144, 22; RG 4.6.1937 – VII 321/36, in: RGZ 155, 148; hierzu Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 102 f. 91 Vgl. etwa ROHG 6.10.1874 – Rep. 557/74, in: Entscheidungen des ROHG 14 (1875), 393, 395 ff. (konkludente Vertragsaufhebung durch Schweigen) einerseits und ROHG 20.10.1877 – Rep. 965/77, in Entscheidungen des ROHG 23 (1878), 83, 84 ff. (Verwirkung) andererseits; eingehend Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 49 ff. 92 Hierzu Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 16 ff.
IV. Zusammenfassender Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung
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des venire contra factum proprium bzw. der Basis dieses Grundsatzes, der römisch-rechtlichen exceptio doli, und ihrer Ausprägung im estoppel des common-law von Riezler aus dem Jahr 1912 Bedeutung.93 Eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Verwirkung als stillschweigender Rechtsverzicht wie in Italien blieb dabei eine Mindermeinung in Rechtsprechung und Literatur, gegenüber der sich letztlich eine Verortung als Unterfall von Treu und Glauben (§ 242 BGB) durchsetzte (dazu unten § 4 III. 3. b)). So entschied das Reichsgericht im Jahr 1937, dass die Verwirkung ein Sonderfall der unzulässigen Rechtausübung und damit kein stillschweigender Verzicht ist.94 Eine ausdrückliche Kodifizierung der römisch-rechtlichen exceptio doli generalis im BGB wurde allerdings abgelehnt, weil ein zu großer richterlicher Ermessensspielraum befürchtet wurde.95 Indes erwies sich während des Nationalsozialismus gerade die Generalklausel in § 242 BGB als gefährliches Einfallstor für rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut.96 Werken und Gerichtsentscheidungen aus dieser Zeit ist daher auf jeden Fall kritisch zu begegnen.
IV. Zusammenfassender Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Schweigens im Privatrecht Die Notwendigkeit, auch einem passiven Verhalten trotz seiner grundsätzlichen Neutralität zugunsten der Rechtssicherheit und des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer ausnahmsweise rechtliche Wirkungen beizulegen, besteht schon seit der Zeit des römischen Rechts. Schon dort finden sich zahlreiche der noch heute geltenden Grundsätze zur rechtlichen Bedeutung eines Schweigens. Die römisch-rechtlichen Regeln zum Schweigen bildeten dementsprechend in den folgenden Jahrhunderten den Ausgangspunkt für weitere, teils in der italienischen und deutschen Rechtsordnung auch unterschiedlich verlaufenden Entwicklungen und werden bis heute rezipiert. Bereits früh zeigt sich dabei im heutigen Italien und Deutschland eine deutliche Tendenz, verpflichtende Rechtswirkungen des Schweigens zwischen besonders erfahrenen Teilnehmern des Wirtschaftslebens, nämlich Kaufleuten, wesentlich eher anzunehmen als zwischen Privatleuten. Im Kontrast hierzu steht die Entwicklung in der ehemaligen DDR, deren Rechtssystem keine Kaufleute nach italienischem oder (west-)deutschen Verständnis kannte. 93 Riezler, Venire contra factum proprium, 1912; dazu Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 232. 94 RG 4.6.1937 – VII 321/36, in: RGZ 155, 148, 152. 95 Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Band 1, 1897, S. 238 ff.; vgl. dazu Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen, 1995, S. 33 f. 96 Vgl. dazu Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 19 ff.
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§ 2 Historische Bedeutung des Schweigens im Privatrecht
Obwohl seit Jahrhunderten die Bedeutung und Rechtsfolgen eines Schweigens und einer Untätigkeit als juristisches Problem wahrgenommen und unterschiedlich bewertet werden und obgleich zeitweise gesetzliche Regelungen bestanden, haben sowohl der italienische als auch der deutsche Gesetzgeber davon abgesehen, in den geltenden Kodifikationen eine ausdrückliche und allgemeingültige Regelung seiner positiven wie negativen Rechtswirkungen vorzunehmen. Insgesamt zeigt sich, dass die Entwicklung häufig von der urspünglichen Annahme einer im Schweigen liegenden rechtsgeschäftlichen Erklärung hin zu einer Normierung oder jedenfalls nicht rechtsgeschäftlichen Konstruktion der Rechtsfolgen geht, wie beispielhaft an der relocatio tacita, aber auch der Verwirkung zu sehen ist. Die Dichotomie von rechtsgeschäftlichem Handeln und gesetzlich festgelegten Rechtsfolgen setzt sich bis heute in der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die zivilrechtliche Bedeutung eines Schweigens fort, wie sich im Folgenden zeigen wird.
§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht I. Einführung – Erklärungsgehalt des Schweigens im Grundsatz Der Grundsatz, dass Schweigen an sich (in sé) in der Regel keine rechtliche Bedeutung hat und aus ihm keinerlei rechtsgeschäftlicher Wille abgeleitet werden kann, ist heute im italienischen Privatrecht anerkannt.1 Das Prinzip silenzio-assenso hat zwar Gültigkeit im Verwaltungsrecht, wo eine Zustimmung der Behörde vermutet wird, wenn diese auf den Antrag eines Bürgers auf Genehmigung nicht innerhalb einer gewissen Frist antwortet, gilt jedoch im Allgemeinen nicht im Privatrecht.2 Ein bloßes Schweigen ((mero) silenzio) stellt grundsätzlich eine Untätigkeit (inerzia) einer Person dar, der aufgrund ihrer Neutralität und Zweideutigkeit weder ein positiver noch negativer Wille entnommen werden kann und die für sich genommen nicht ausreicht, um eine Einigung der beteiligten Parteien zustande zu bringen.3 Schweigen an sich hat keine Bedeutung, da es nur das Fehlen einer Äußerung ist; ratio dessen ist, dass nur so bzw. über das Erfordernis einer hinreichend sicheren Einigung, welches das Schweigen jedoch allein nicht zu erfüllen vermag, die Privatautonomie und Freiheit des Einzelnen vor einer unerwünschten vertraglichen Bindung gewahrt bleiben.4 Im Zivilrecht soll nach einer Auffassung daher sogar der Grundsatz silenzio-rifiuto gelten: ein Schweigen bedeutet demnach also Ablehnung und eine vertragliche Bindung kommt infolgedessen nicht zustande, da diese Rechtsfolge für den Schweigenden weniger belastend ist als eine vertragliche Verpflich1 Vgl. nur Alpa, Corso di diritto contrattuale, 2006, S. 27; Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm., 615, 622; Bianca, Istituzioni di diritto privato, 2. Auflage 2018, S. 382; Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 455; Chinè/Fratini/ Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1171; in der Rechtsprechung etwa Cass. civ. 8.11.2016, Nr. 22613. 2 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 189. 3 Statt vieler Bianca, Istituzioni di diritto privato, 2. Auflage 2018, S. 382; A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 187 f.; Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 455; Galgano, Il contratto, 2. Auflage 2011, S. 126; in der Rechtsprechung etwa Cass. civ. 10.4.1975, Nr. 1326 in: Rep. Giur. It., 1975, Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 157; Cass. civ. 8.11.2016, Nr. 22613 („insignificante sul piano negoziale“); ebenso bereits Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, Band XIII, fasc. 1, 1892, 3, 13. 4 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 189.
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tung.5 Nach eingangs erwähnter, ganz überwiegender und auch überzeugender Auffassung ist das Schweigen für sich genommen jedoch zweideutig (ambiguo) und neutral (neutro), sodass keine derart abstrakt gültige, allgemeine Regel entwickelt werden kann, sondern nur im konkreten Einzelfall abhängig vom Kontext über seine Bedeutung zu entscheiden ist, welche in einer Zustimmung, Ablehnung oder auch nichts von beidem bestehen kann.6 Freilich ist andererseits ebenso seit langem anerkannt, dass es von diesem Grundsatz der Neutralität einer Untätigkeit Ausnahmen gibt, sei es aufgrund gesetzlicher Anordnung oder sei es aufgrund bestimmter Umstände, die – getreu der eingangs bereits mehrfach zitierten lateinischen Regel qui tacet consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset – einen abweichenden Schluss zulassen.7 Die in der Vergangenheit oft vertretene Auffassung, nach der das Schweigen stets ohne jeglichen Bedeutungsgehalt sei, wird hingegen als überwunden angesehen (dazu näher unten § 3 II. 5. b)).8 Als Beleg dafür, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption das Schweigen rechtliche Relevanz haben kann, wird auf die zahlreichen gesetzlichen Vorschriften verwiesen, wobei aber insbesondere dort, wo keine solche Regelung besteht, umstritten ist, worauf die Rechtswirkungen des Schweigens dogmatisch zu stützen sind.9 Eine besonders bedeutende Stellung in der rechtswissenschaftlichen Diskussion um Grundsatzfragen der Bedeutung eines Schweigens, aber auch des Verhältnisses von Vertrag und einseitigem Versprechen ( promessa unilaterale) nimmt dabei Art. 1333 c. c. ein.10
5 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 189 f.; vgl. in diese Richtung wohl auch Tafaro, Forniture non richieste: valore negoziale del silenzio e procedimenti formativi del contratto (Anm. zu Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290), in: Notariato 2008, 620, 637. 6 Vgl. Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 787; La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 546 f.; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 254 („valenza neutrale“). 7 Statt vieler Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 455; ebenso bereits Barassi, La teoria generale dei negozi, Band 2, Le fonti, 2. Auflage 1948, S. 120 f.; vgl. in der Rechtsprechung Cass. civ. 10.4.1975, Nr. 1326 in: Rep. Giur. It., 1975, Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 157; Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. it. 1998, 1117, 1117 m. Anm. Scardigno. 8 Fast wortlautgleich Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7 und Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 36. 9 Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 36 f. 10 Vgl. Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 209.
II. Fattispecie di acquisto bzw. costituzione di un rapporto obbligatorio
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II. Fattispecie di acquisto bzw. costituzione di un rapporto obbligatorio11 (Schweigen als Ursache eines Rechtserwerbs bzw. als Verpflichtungsgrund) Verpflichtende Wirkung kann das Schweigen dann entfalten, wenn entweder das Gesetz ihm eine zustimmende Wirkung beimisst (sog. silenzio con valore legale oder silenzio con significato legalmente tipico oder silenzio tipizzato) oder wenn ein sog. silenzio circostanziato vorliegt, also ein Schweigen, zu dem bestimmte Umstände hinzutreten, die auf den Willen des Schweigenden schließen lassen.12 Die Entschlüsselung (decodificazione) des an sich mehrdeutigen Schweigens erfolgt also entweder durch das Gesetz oder durch den Rechtsanwender mittels Anwendung der gewöhnlichen Auslegungsregeln.13 Freilich ist die Terminologie nicht immer ganz trennscharf, so wird häufig auch die gesetzliche Anordnung der Rechtsfolgen als Umstand bezeichnet, der ein bloßes Schweigen zu einem rechtlich relevanten silenzio circostanziato machen könne.14 Überwiegend wird indes, zumindest der Sache, wenn auch nicht immer dem Begriff nach, zwischen den gesetzlich normierten Fällen des Schweigens und jenen unterschieden, in denen der Untätigkeit aufgrund bestimmter, gesetzlich nicht festgelegter Umstände (circostanze), Verpflichtungswirkung zukommt.15 Das Schweigen, dem bereits von Gesetzes wegen ein bestimmter Erklärungswert innewohnt, weist anders als jenes, welchem erst aufgrund der Umstände oder auch einer bloßen gesetzlichen Vermutung eine Bedeutung beigemessen wird, eine absolute Sicherheit (certezza assoluta) hinsichtlich seines Erklärungswertes auf.16 Auch müssen bei einem normierten Schweigen wie bei Art. 1333 c. c. gerade keine weiteren Umstände (circostan11 So bezeichnet bei Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 317, vgl. auch Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, Band 13, fasc. 1, 1892, 3, 19 ff. 12 Vgl. Bianca, Istituzioni di diritto privato, 2. Auflage 2018, S. 382; Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 455; ebenso Alcaro, Diritto privato, 3. Auflage 2017, S. 304; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2. 13 Vgl. La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 551. 14 So etwa Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 264; Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1171; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 192 f. 15 Grundlegend Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 333 ff.; etwa auch Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 8 f. und 14, der von einer „concludenza iuris“ spricht; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1 ff.; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 787 u. 798; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 236; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 37. 16 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 551; ebenso Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997 Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1119.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
ze) hinzutreten, die dem Verhalten erst einen entsprechenden Erklärungsgehalt verleihen.17 In der begrifflichen Unterscheidung mag sich auch die insbesondere in der Vergangenheit geführte Diskussion um die Anerkennung der Bedeutung eines Schweigens fortsetzen: früher wurde häufig nur dann von einem Erklärungsgehalt des Schweigens ausgegangen, wenn dieser gesetzlich normiert war.18 Auch um den nachfolgenden Rechtsvergleich (unten § 4) zu erleichtern, wird daher im Folgenden zwischen rechtlich normierten Folgen des Schweigens (silenzio con valore legale) und solchen Konstellationen unterschieden, in denen dem Schweigen aufgrund besonderer Umstände (silenzio circostanziato) Bedeutung zukommt. Eine andere Frage ist freilich, ob das italienische Recht beide Phänomene nicht im Ergebnis hinsichtlich der dogmatischen Begründung der Rechtsfolgen und der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen gleich behandelt (ausführlich zu den dogmatischen Unterschieden unten § 3 II. 5. bis 7.).
1. Grenzen der Verpflichtungswirkung durch Form- und Schutzvorschriften Grenzen werden der verpflichtenden Wirkung eines Schweigens im italienischen Recht dort gesetzt, wo der Schutz des Schweigenden überwiegt, etwa aufgrund seiner Verbrauchereigenschaft oder der besonderen Bedeutung des Rechtsgeschäfts.
a) Schweigen und Formbedürftigkeit Dies betrifft zunächst die regelmäßig in der besonderen Bedeutsamkeit begründete Formbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts: Soweit das Gesetz statt der im Grundsatz geltenden Formfreiheit (vgl. Art. 1325 c. c.)19 eine formgebundene Erklärung oder ein anderes, klar umrissenes bestimmtes Verhalten fordert, kann das Schweigen grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung gewinnen.20 Bestimmungen über die Form können auch privatautonom von den Parteien getroffen werden und auf diese Weise einen Vertragsschluss durch Schweigen unterbinden: so kann der Anbietende für die Annahme nach Art. 1326 Abs. 4 c. c. die Einhaltung einer bestimmten Form verlangen. Vor allem aber ist es den Parteien gemäß Art. 1352 c. c. möglich, ein Formerfordernis für künftige Verträge 17 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 404. 18 Dazu noch unten § 3 II. 5. a). 19 Dazu Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 4. Auflage 2017/18, S.1287. 20 Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997 Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1118; ebenso Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 8.
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zu vereinbaren, wobei es eine Frage der Auslegung ist, ob eine solche Vereinbarung nur für die Beweistlastverteilung Bedeutung hat oder konstitutiv für das Zustandekommen des Vertrags ist, wobei Letzteres in Ermangelung einer Regelung durch die Parteien von Gesetzes wegen vermutet wird.21 Umstritten ist die Anwendbarkeit von Art. 1333 Abs. 2 c. c. auf formgebundene Verträge: versteht man das Schweigen im Rahmen von Art. 1333 Abs. 2 c. c. als konkludente Willenserklärung, erscheint eine Anwendung ausgeschlossen, da formgebundene Verträge nicht durch Schweigen geschlossen werden können.22 So soll nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione Art. 1333 Abs. 2 c. c. hinsichtlich der Änderung von Verträgen der öffentlichen Verwaltung mit Privaten unanwendbar sein, da für diese ein Schriftformzwang (Art. 1350 c. c.) besteht.23 In anderen Entscheidungen wird allerdings von einer Anwendbarkeit der Norm ausgegangen, sodass es ausreicht, wenn die Erklärung des Anbietenden schriftlich fixiert ist, während der Empfänger das Angebot durch Schweigen annehmen kann.24 Hierfür spricht das fehlende Schutzbedürfnis des Schweigenden, dem ja nur rechtliche Vorteile aus dem Vertrag erwachsen.25 Daneben werden in der italienischen Literatur Parallelen zur deutschen Handschenkung als Beleg für die Anwendbarkeit von Art. 1333 c. c. auch auf formbedürftige Rechtsgeschäfte gezogen.26
b) Schweigen und forniture non richieste (unbestellte Leistungen) Daneben können verbraucherschutzrechtliche Aspekte einer rechtlichen Erheblichkeit des Schweigens entgegenstehen. Speziell verbraucherrechtliche Regelungen finden sich im italienischen Zivilrecht nicht im Codice civile, sondern dem Codice del consumo (c. cons.). Im Zuge der Umsetzung von Art. 9 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz wurde zunächst in Art. 9 des decreto legislativo vom 22. Mai 1999, Nr. 185 eine Vorschrift geschaffen, die Ansprüche gegen den Verbraucher im Falle unbestellter Leistungen (forniture non richieste) durch einen Unternehmer ausschließen sollte. Eine entsprechende Vorschrift fand sich sodann in Art. 57 c. cons. und nunmehr nach Umsetzung der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Par21 Dazu sowie zu den umstrittenen Folgen eines konstitutiven Formerfordernisses Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 236 ff. 22 So der Einwand von Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 281. 23 Cass. civ. 4.6.2014, Nr. 12536, S. 13 ff. 24 Cass. civ. 21.12.1987, Nr. 9500, in: Giur. it. 1988, I, 1, 1560, 1563; Cass. civ. 14.7.2006, Nr. 16017. 25 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 281. 26 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 620; Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 280.
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laments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher27 in Art. 66 quinquies c. cons., dem italienischen Pendant zu § 241a BGB. Die von dem europäischen Gesetzgeber als besonders bedrohlich erachteten Zahlungsforderungen für die Zusendung unbestellter Waren und „aggressive Verkaufsmethoden“28 sollten nach dessen Willen von den nationalen Rechtsordnungen für die sog. „B2C“-Geschäfte wirksam unterbunden werden. Die Verbraucherrechte-Richtlinie folgt dabei dem Prinzip der Vollharmonisierung, sodass es den einzelnen Mitgliedstaaten versagt ist, strengere oder weniger strenge Rechtsfolgen anzuordnen (Art. 4 VerbRRL). Allerdings gilt dies nur im Anwendungsbereich der Richtlinie, von der nach ihrem Erwägungsgrund Nr. 60 nur vertragliche, nicht aber gesetzliche Ansprüche erfasst sind.29 Art. 66 quinquies Abs. 1 Satz 2 c. cons. bestimmt, dass die fehlende Antwort eines Verbrauchers gegenüber der Lieferung von nicht bestellten Waren, Wasser, Gas, Elektrizität, Fernwärme und digitalen Inhalten sowie der Erbringung nicht bestellter Leistungen keine Zustimmung bedeutet. Durch die Norm wird dadurch von vornherein ausgeschlossen, dass dem Schweigen Erklärungswert beigemessen wird; die Rede ist von einem „silenzio non significativo“.30 Das italienische Zivilrecht sieht dabei in Art. 66 quinquies Abs. 1 Satz 1 c. cons. den Ausschluss jeglicher Gegenleistung (qualsiasi prestazione corrispettiva) des Verbrauchers vor. Nach überwiegender Ansicht sind auch gesetzliche Verpflichtungen wie Rückgabeansprüche vom Ausschluss erfasst.31 Begrüßenswert ist, dass auch unentgeltliche Rechtsgeschäfte, die an sich unter Art. 1333 c. c. fallen, als nicht unentgeltlich angesehen werden, wenn der Verbraucher sich mit der Nutzung seiner persönlichen Daten einverstanden erklärt, da auch dies eine Vermögensdisposition darstellen soll.32 In der Folge ist Art. 66 quinquies c. cons. auf solche Verträge anwendbar, sodass sie nicht durch eine bloße Untätigkeit des Verbrauchers zustande kommen können. Auch außerhalb von Verbrauchergeschäften wird man jedoch über eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze zum silenzio circostanziato zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Art. 66 quinquies c. cons. kommen, da derjenige, der die Leistung unbestellt erbringt, zu beweisen hat, dass entsprechende zusätzliche Umstände vorliegen, die das Schweigen des Empfängers zur konkludenten Wil27 28
Sog. Verbraucherrechterichtlinie, im Weiteren: VerbrRRL. Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 97/7/EG. 29 Krüger/Finkenauer, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 241a Rn.1. 30 Longobucco, Forniture non richieste e procedimentalizzazione dell’attività dimpresa: doveri di status del professionista?, in: Giur. It., 2014, 11, 2619, 2622. 31 Longobucco, Forniture non richieste e procedimentalizzazione dell’attività dimpresa: doveri di status del professionista?, in: Giur. It., 2014, 11, 2619, 2621; Venturelli, Mero invio di merce non ordinata, in: Obbligazioni e contratti, 2009, 131, 132 Fn. 4. 32 Dazu Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 101 f.
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lenserklärung machen.33 Dies wird aber nur selten, wie etwa bei Bestehen einer zwischen den Parteien etablierten Geschäftspraxis der Fall sein; insbesondere schließt das Fehlen einer Preisangabe es bereits aus, in der Lieferung überhaupt ein Angebot zu sehen.34 Auch aus Art. 1327 c. c., der Vertragsausführung vor Antwort des Annehmenden (dazu oben § 3 II. 1. a)), folgt nichts anderes, da Voraussetzung für eine Anwendung der Norm ist, dass zumindest ein konkludentes Angebot abgegeben wurde, um die Vertragsdurchführung als Annahme werten zu können, was bei einem Schweigen aber nicht der Fall ist.35 Teils wird daher sogar angenommen, dass Art. 66 quinquies, um sich nicht in einer unnützen Wiederholung dessen zu erschöpfen, was ohnehin anerkannt ist, dahingehend zu verstehen ist, dass auch durch aktives Verhalten kein Vertragsschluss möglich ist36: Bewusst sei in der Norm nicht vom silenzio die Rede, sondern von der fehlenden Antwort („l’assenza di risposta“), um so jegliche Fälle zu erfassen, in denen der Anbietende darauf abzielt, dem untätigen, oder aber auch aktiven Verhalten des Verbrauchers konkludenten Bedeutungsgehalt zu verleihen.37 Zudem wird vertreten, dass der verbraucherrechtlichen Norm ein allgemeiner Gedanke innewohnt, der auch auf Sachverhalte zu übertragen ist, in denen ein vergleichbares Machtgefälle zwischen den Vertragsschließenden besteht.38
c) Schweigen und condizioni generali di contratto (Allgemeine Geschäftsbedingungen) Auch bei der Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen besteht ein besonderes Bedürfnis, den Schweigenden hinreichend zu schützen. Art. 1341 c. c., die Norm des Codice zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (condizioni generali di contratto), findet unabhängig von der Unternehmereigenschaft der Beteiligten Anwendung, wobei bei einer Verbrauchereigenschaft des Vertragspartners eine zusätzliche materiellrechtliche Kontrolle nach Artt. 33. ff. c. cons. erfolgt.39 Art. 1341 Abs. 2 c. c. bestimmt, dass eine Allgemeine Geschäftsbedin33 Venturelli, Mero invio di merce non ordinata, in: Obbligazioni e contratti, 2009, 131, 133 f. (zur Vorgängernorm in Art. 57 c. cons.). 34 Vgl. eingehend Venturelli, Mero invio di merce non ordinata, in: Obbligazioni e contratti, 2009, 131, 131 ff. 35 Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 100. 36 De Cristofaro/Zaccaria/De Cristofaro, Commentario breve al diritto dei consumatori, 2. Auflage 2013, S. 474 f. 37 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 420 f. 38 Tafaro, Forniture non richieste: valore negoziale del silenzio e procedimenti formativi del contratto (Anm. zu Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290), in: Notariato 2008, 620, 622. 39 Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1341 I. 4 und II. 2 m. w. N.
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gung, die einen Rechtsverlust (decadenza) zulasten der anderen Partei oder eine konkludente Vertragsverlängerung („tacita proroga o rinnovazione del contratto“) im Falle des Schweigens vorsieht, als missbräuchlich (vessatoria) angesehen wird und damit unwirksam ist, wenn sie nicht schriftlich von der Gegenseite bestätigt wird (sog. doppia firma).40 Eine wirksam vereinbarte clausola di rinnovazione stellt bei einem Dauerschuldverhältnis nach überwiegender Ansicht trotz des Wortlauts freilich schon gar keine rinnovazione, also Erneuerung, sondern eine infolge der fehlenden Kündigung eintretende bloße Verlängerung ( proroga) des bisherigen Vertragsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen dar.41 Auch diese Verlängerung des Vertragsverhältnisses über die normale Dauer hinaus mittels eines Anknüpfens an das bloße Schweigen wird als nachteilig für den anderen, möglicherweise schwächeren Vertragspartner bewertet und daher vom Gesetzgeber nur beschränkt zugelassen.42 Art 1469 bis Abs. 3 Nr. 9 c. c. sieht bei Verbraucherverträgen zudem die Missbräuchlichkeit einer Klausel vor, welche eine übermäßig frühe Frist zur Mitteilung der Kündigung festlegt und damit gerade auf eine konkludente Vertragsverlängerung oder -erneuerung abzielt. Generell steht das italienische Recht der Vereinfachung des Abschlusses oder Änderung nicht zuvor inhaltlich festgelegter Verträge skeptisch gegenüber, wie auch Art. 33 lit. l c. cons. zeigt: Danach wird vermutet, dass Bedingungen missbräuchlich sind (sog. clausole vessatorie), die die Zustimmung des Verbrauchers zu Klauseln vorsehen, die er vor Vertragsschluss nicht zur Kenntnis nehmen konnte.43 Insbesondere werden Vereinbarungen abgelehnt, die dem gesetzlich verfolgten Schutz einer Partei zuwiderlaufen und zu diesem Zweck die Rollen der Vertragsschließenden künstlich vertauschen.44 Freilich kann im Einzelfall auch ein besonderes Interesse an der Verwendung entsprechender Klauseln bestehen, etwa bei Investoren im gesellschaftsrechtlichen Bereich, sodass sie insoweit als zulässig anzusehen sind.45
40 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 234. 41 In der Rechtsprechung: Cass. civ. 24.11.1970 Nr. 2502, in: Foro it., 1971, I, 107 m. Anm. Florino; Cass. civ. 22.7.1971 Nr. 2433, in Giust. civ., 1971, I, 1530, 1533; Cass. civ. 11.7.1972 Nr. 2331, in: Rep. Foro it. 1972, Stichwort „Locazione“, Nr. 52; in der Literatur Lipari, Proroga in generale (dir. priv.), in: Enciclopedia del diritto, Band 37, 1988, S. 403. 42 Vgl. Lipari, Proroga in generale (dir. priv.), in: Enciclopedia del diritto, Band 37, 1988, S. 403. 43 Vgl. Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 202 f. 44 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 202 f. 45 Rinaldi, Clausole di rinnovo automatico del patto parasociale: un primo arresto della giurisprudenza, in: Giust. civ. 2019, 11, 1, 10 ff.
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2. Beispiele für ein silenzio con valore legale (normiertes Schweigen) Soweit das Gesetz einem Schweigen Bedeutung zumisst, kann dieses zunächst positive Rechtsfolgen (zu den negativen Folgen unten § 3 III.) wie eine Vertragsbegründung, Vertragsverlängerung oder Vertragsausgestaltung nach sich ziehen. Man spricht insoweit häufig von einem silenzio legalmente tipizzato oder silenzio con valore legale, also einem Schweigen, das gesetzlich typisiert ist oder dem von Gesetzes wegen Erklärungsbedeutung zukommt.46 Art. 1327 Abs. 1 c. c. regelt hingegen keinen Fall des Schweigens, sondern nur den Verzicht auf eine ausdrückliche Annahme, nämlich dann, wenn eine solche aufgrund eines Ersuchens des Antragenden, der Natur des Geschäfts oder der Gebräuche nicht zu erwarten ist.47 In diesem Fall ist der Vertrag zu dem Zeitpunkt und an dem Ort geschlossen, zu bzw. an dem die Durchführung erfolgt. Der den Vertrag Ausführende hat nach Absatz 2 zur Vermeidung von Schadensersatzpflichten dem Anbietenden die Durchführung des Vertrages unverzüglich anzuzeigen. Freilich wird auch in der italienischen Literatur vereinzelt der Abschluss des Vertrags mittels Durchführung desselben nach Art. 1327 Abs. 1 c. c. als Fall des silenzio48 bezeichnet. Im Fall von Art. 1327 Abs. 1 c. c. liegt jedoch gerade ein aktives, konkludentes Verhalten in Gestalt der Vertragsdurchführung und kein bloßes Schweigen des Annehmenden vor.49 Die italienische Rechtsprechung und Literatur legen die Norm zurückhaltend aus und verstehen die in ihr bezeichneten Umstände, die einen Annahmeverzicht begründen, als abschließend.50 Die Schadensersatzverpflichtung im Falle der fehlenden Mitteilung über die Vertragsdurchführung rechtfertigt sich damit, dass der Anbietende möglicherweise Vorkehrungen treffen muss, etwa um die Ware in Empfang zu nehmen.51
a) Begründung von Verpflichtungen Eine italienische Besonderheit im internationalen Vergleich52 stellt zunächst der in Art. 1333 c. c. geregelte sog. contratto con obbligazioni del solo proponente dar: 46
Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2. Zum vergleichbaren deutschen § 151 BGB unten § 4 II. 1. a). 48 So V. Carbone, Il diverso valore del silenzio tra conclusione del contratto e modifica dello stesso (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Corr. giur. 1993, 1181, 1184. 49 Ebenso G. Benedetti, Diritto e linguaggio. Variazioni sul „diritto muto“, in: Europa e diritto privato, 1999, 137, 148; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 88 Fn. 177. 50 Etwa Cass. civ. 21.7.1954, Nr. 2626, in: Rep. Foro it. 1954, Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 84; Cass. civ. 5. Dezember 1969, Nr. 3891, in: Foro it. 1970, I, 1168, 1170; dazu Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 675; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 96 m. w. N. 51 Becchini/Quadri, Diritto privato, 4. Auflage 2011, S. 699. 52 Vgl. dazu den Überblick bei A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, 47
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
Art. 1333 Contratto con obbligazioni del solo proponente. La proposta diretta a concludere un contratto da cui derivino obbligazioni solo per il proponente è irrevocabile appena giunge a conoscenza della parte alla quale è destinata. Il destinatario può rifiutare la proposta nel termine richiesto dalla natura dell’affare o dagli usi. In mancanza di tale rifiuto il contratto è concluso. Zu Deutsch: Art. 1333 Vertrag mit Verpflichtungen nur zulasten des Anbietenden Ein Angebot, das darauf gerichtet ist, einen Vertrag zu schließen, aus dem nur Verpflichtungen für den Anbietenden entstehen, ist unwiderruflich, sobald die Partei, an die es gerichtet hat, davon Kenntnis erlangt. Der Empfänger kann das Angebot innerhalb der aufgrund der Natur des Geschäfts oder den Gebräuchen erforderlichen Frist ablehnen. In Ermangelung einer solchen Ablehnung ist der Vertrag geschlossen. Trotz des auf den ersten Blick sehr weiten Worlauts ist der Anwendungsbereich der Norm relativ begrenzt53: Insbesondere fällt zunächst die Schenkung (donazione) im italienischen Recht nicht unter die Regelung.54 Art. 1333 c. c. unterscheidet sich von der formgebundenen und grundsätzlich annahmebedürftigen55 Schenkung (vgl. Artt. 769, 782 c. c.) nämlich dadurch, dass gerade keine Absicht der Freigiebigkeit (animus donandi bzw. spirito di liberalità) seitens des Verpflichteten vorliegt, sodass unter die Norm beispielsweise die Erfüllung einer moralischen Verpflichtung fallen kann oder die Übernahme einer Pflicht in der Hoffnung, daraus letztlich wirtschaftliche Vorteile zu ziehen (wie etwa die kostenlose Beherbergung einer berühmten Person zu Werbezwecken in einem Hotel).56 Entscheidend für das Vorliegen einer Schenkung ist dagegen, dass der Schenker und der Beschenkte darüber einig sind, dass der Schenker S. 95 f. Fn. 157; vgl. auch Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 388 f. 53 Vgl. Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 389. 54 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 389; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 120. 55 Wobei die Annahme formfrei ist und auch konkludent erfolgen kann: Cass. civ. 16.11.1992 Nr. 12280, in Dir. eccl. 1993, II, 197; zur Annahmebedürftigkeit: Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 544. 56 Beispiele bei Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 393 f.; vgl. auch Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1333 I. 1 und 3 sowie Cian/Trabucchi/Delle Monache, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 769 II., passim.
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für seine Zuwendung und Bereicherung des Beschenkten gerade keine Gegenleistung erwartet und diese aus freien Stücken ohne eine entsprechende Rechtspflicht tätigt.57 Die Schenkung grenzt sich überdies von den unentgeltlichen Verträgen im Sinne von Art. 1333 c. c. dadurch ab, dass bei ihr die Verpflichtung zu einem Geben (dare) begründet wird, während letzterer alle anderen Verpflichtungen erfassen soll, die nicht in einem Geben, sondern einem Handeln (facere) bestehen.58 Bei der Schenkung überwiegt das Schutzbedürfnis der Beteiligten, sodass keine dem Art. 1333 c. c. vergleichbare Vereinfachung für den Vertragsschluss geschaffen wurde.59 Die strenge Haltung des römischen Rechts zu Schenkungen (oben § 2 II. 1.) wirkt somit im geltenden italienischen Recht fort. Art. 1333 c. c. umfasst damit ganz überwiegend (aber nicht ausschließlich60) unentgeltliche Verträge (contratti a titolo gratuito)61 wie beispielsweise die Bürgschaft (fideiussione; Art. 1936 c. c.)62 als wohl in der Praxis häufigster Fall63 sowie weitere Fälle des unentgeltlichen Einstehens für eine fremde Schuld wie die Garantie auf erstes Anfordern (garanzia a prima richiesta)64, den Kreditauftrag (mandato di credito; Art. 1958 c. c.)65 und die nicht nur informative Patronatserklärung (lettera di patronage)66. Des Weiteren sind etwa unter Art. 1333 c. c. vorbereitende Verträge wie der unentgeltliche Vorvertrag ( patto di prelazione senza corrispettivo)67 und der Optionsvertrag (opzione) subsumierbar.68 Daneben gibt es im italienischen Recht untypische unentgeltliche Rechtsgeschäfte, die ohne einen animus donandi erfolgen, wie Werbe57 Staudinger/Chiusi, BGB 2021, Vorbem. zu §§ 516–534 Rn. 102 m. w. N.; Cass. civ. 26.5.2000, Nr. 694, in: Giur. it. 2001, 243. 58 Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 395; Nachw. bei Cian/Trabucchi/Delle Monache, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 769 II. 1 ff.; krit. dazu Staudinger/Chiusi, BGB 2021, Vorbem. zu §§ 516–534 Rn. 100. 59 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 161. 60 Als Beispiel für eine entgeltlichen Vertrag nennt Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 161 das Versprechen eines Entgelts für die Beschaffung aller Geschäfte durch eine Person, wobei für jene aber keine Pflicht zum Tätigwerden besteht. 61 Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1333 I. 2; Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 543 f. 62 Cass. civ. 1.10.1993, Nr. 9777, in: Giur. it. 1994, I, 1, 1536; Cass. civ. 15.10.2012 Nr. 17641, in: Giust. civ. Mass. 2012, 10, 1213; Cass. civ. 8.6.2016 Nr. 19270; Corte d’Appello di Venezia, 23.10.1997, in: Nuova giur. civ. comm., 1999, I, S. 494, 497 m. Anm. Simionato. 63 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 396. 64 Corte d’Appello di Milano 12.6.1991, in: Banca Borsa 1992, II, 675 m. Anm. Bonomi. 65 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 390. 66 Cass. civ. 3.4.2001 Nr. 4888; Cass. civ. 27.9.1995 Nr. 10235, in: Giust. civ. 1996, I, 3007. 67 Cass. civ. 28.6.1952 Nr. 1921, in: Giur. it 1952 I, 1, 617, 618. 68 Nachweise bei Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 390.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
geschenke oder Leistungen an kulturelle oder religiöse Organisationen, Sponsoring, Zuwendungen mit dem Ziel, steuerliche Erleichterungen zu erhalten und Naturalobligationen nach Art. 2034 c. c. zur Erfüllung moralischer und sozialer Verpflichtungen.69 Auch das Versprechen zur Nachbesserung von Mängeln bei Werken70 und Kaufsachen des bestehenden Schuldverhältnisses sowie Werbeversprechen unterfallen als Novation (novazione oggettiva) des bestehenden Schuldverhältnisses der Norm, soweit ein wirtschaftliches Interesse des Versprechenden oder zumindest kein animus donandi seinerseits vorliegt.71 Eine Anwendung von Art. 1333 c. c. auf das Erbieten zur unentgeltlichen Auftragsübernahme (mandato gratuito, Art. 1709 c. c.) wird teils angesichts der komplexen Verpflichtungen des Beauftragten abgelehnt; im Falle des Schweigens des Geschäftsherren liege eine bloße Geschäftsführung ohne Auftrag vor.72 Nach anderer Ansicht fallen sowohl mandato gratuito als auch die Verwahrung (deposito) nach Art. 1767 c. c. trotz der aus ihnen resultierenden Pflichten unter Art. 1333 c. c.73 Bei dem Art. 1333 c. c. strukturell ähnlichen Schulderlass (remissione del debito) nach Art. 1236 c. c. ist umstritten, ob ein negozio unilaterale vorliegt oder die Norm als Vertrag einen Unterfall von Art. 1333 c. c. darstellt.74 Umstritten ist zudem wegen der potenziell nachteiligen Wirkungen, ob auch dingliche Verträge von Art. 1333 c.c erfasst werden, wobei die mittlerweile wohl herrschende Auffassung dies bejaht.75 Während damit hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Norm noch weitgehend Einmütigkeit herrscht, ist bereits seit einem Jahrhundert die dogmatische Einordnung und Erklärung des Art. 1333 c. c. bzw. seiner in Art. 36 Abs. 4 des Codice di commercio von 1882 enthaltenen Vorgängernorm76 Gegenstand 69 Vgl. Cass. civ. 13.8.1965, Nr. 1960, in: Foro it. 1965, I, 1837; Cian/Trabucchi/Delle Monache, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art 769 II. 5 f.; Staudinger/ Chiusi, BGB 2021, Vorbem. zu §§ 516–534 Rn. 100 m. w. N. 70 Cass. civ. 19.3.2009, Nr. 6670. 71 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 391; str. (vgl. Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1333 I. 3 m. w. N.). 72 Gorla, Il dogma del consenso o accordo e la formazione del contratto di mandato gratuito nel diritto continentale, in: Riv. dir. civ. 1956, 923, 927, 931. 73 Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1333 I. 3; Galgano, Istituzioni di diritto privato, 9. Auflage 2019, S. 180. 74 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 391 f. 75 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 393 m. w. N.; eingehend und befürwortend Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 282 ff., 288 (anders als noch in der ersten Auflage von 1975); ablehnend jedoch Cass. civ. 30.1.2007, Nr. 1967 (zum Nießbrauch bzw. negozi unilaterali); Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/ Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 442; Galgano, Istituzioni di diritto privato, 9. Auflage 2019, S. 180. 76 Zu dieser oben § 2 III. 1. a); unten § 3 5. bis 7. noch ausführlich zur Verortung von Art. 1333 c. c.
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heftiger Diskussionen77: Während einige ihn als negozio unilaterale oder promessa, also einseitiges Rechtsgeschäft, ansehen und ihn damit außerhalb des vertraglichen Kontextes verorten78, ordnet ihn die wohl herrschende Meinung als Vertrag ein.79 Eine vertragliche Konstruktion wird mit der Begründung befürwortet, dass der Begünstigte es immerhin in der Hand hat, die Rechtsfolge durch Ablehnung zu verhindern und erst sein Schweigen, nicht bereits das Angebot, die Bindung zustande bringt.80 Zudem soll eine vertragliche Verortung auch dem Schutz des Schweigenden dienen, der zwar kein wirtschaftliches, aber möglicherweise ein anderweitiges Interesse daran hat, nicht vertraglich gebunden zu werden, etwa weil er aus sozialen oder moralischen Gründen keine vertragliche Beziehung zum Anbietenden eingehen will.81 Verstehe man Art. 1333 c. c. nämlich als vertragliche Regelung, so sei, anders als bei einem negozio unilaterale, ein bewusstes und willentliches Verhalten des Schweigenden erforderlich und entsprechende Willensmängel könnten geltend gemacht werden.82 Innerhalb der Auffassung, die Art. 1333 c. c. im vertraglichen Kontext verortet, ist wiederum umstritten, wie die Wirkungen des fehlenden Widerspruchs (mancato rifiuto) zu erklären sind: so wird vertreten, dass eine konkludente Annahme (tacita accettazione) vorliege83, eine vermutete Annahme84 oder ein tatsächliches Verhalten, das aufgrund der ihm gesetzlich zugeschriebenen Wirkung an 77 A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 88 f.; vgl. eingehend hierzu auch Ferri, G., Il silenzio e le parole nella cultura del civilista, 2021, S. 507 ff. 78 Barassi, La teoria generale dei negozi, Band 2, Le fonti, 2. Auflage 1948, S. 122 f.; wohl auch Alcaro, Diritto privato, 3. Auflage 2017, S. 312 ff.; G. Benedetti, Dal contratto al negozio unilaterale, 1969, S. 121 ff.; Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 209, 214, 259 ff.; in der Rechtsprechung ist die Entscheidung Cass. civ. 27.9.1995, Nr. 10235 in: Giust. civ. 1996, I, 3007 hervorzuheben, vgl. auch den Kommentar von Chinè, La Cassazione sul patronage: una voce fuori dal coro (Anm. zu Cass. civ. 27.9.1995, Nr. 10235), in: Giur. It., 1996, 4. 79 Vgl. Cass. civ. 26.6.1995, Nr. 7216; Cass. civ. 29.3.1990, Nr. 2581; Cass. civ. 28.6.1952, Nr. 1921, in: Giur. it. 1952 I, 1, 617, 620 f.; in der Literatur eingehend A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 89 ff.; für eine vertragliche Erklärung etwa auch Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 264 ff.; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 121 f.; Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 544 („[…] per la perfezione del contratto è sufficiente il contegno omissivo del destinatario […]“). 80 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 269; vgl. hierzu auch A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 90. 81 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 395. 82 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 396. 83 Etwa Becchini/Quadri, Diritto privato, 4. Auflage 2011, S. 700; Galgano, Diritto privato, 17. Auflage 2017, S. 246; Galgano, Istituzioni di diritto privato, 9. Auflage 2019, S. 180; wohl auch Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1961, 778, 799, der von einer „interpretazione tipica“ spricht; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 274. 84 Etwa Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 690.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
die Stelle der Annahme trete85. Teilweise wird auch von einem einseitigen Vertrag ausgegangen, bei dem auf eine Annahme verzichtet wird (dazu noch unten § 3 II. 6. b)).86 Welche dieser Auffassungen im italienischen Recht überzeugt, ist im Rahmen der dogmatischen Einordnung des Schweigens zu klären (unten § 3 II. 5. bis 7.). Die Bindung infolge von Art. 1333 c. c. rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass es wegen der rein positiven Rechtsfolgen für den Schweigenden statistisch gesehen wahrscheinlich ist und vernünftig erscheint, dass seine Untätigkeit Zustimmung ausdrückt.87 Nach dem Grundsatz „id quodque plerumque accidit“ nimmt das Gesetz aufgrund der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit des Vertrags – wobei, wie eben angedeutet, strittig ist, ob überhaupt von einem Vertrag gesprochen werden kann – für den Angebotsempfänger eine Bewertung von dessen Untätigkeit vor.88 Angesichts dessen wird der Vertragsabschlussmechanismus vereinfacht, zumal es sich oft um Verträge handelt, die im geschäftlichen Bereich angesiedelt sind, der Befriedigung von Gläubigerinteressen durch Garantien dienen oder eine Rechtssituation vereinfachen.89 Freilich wird – wie bereits erwähnt – vorgebracht, dass der Schweigende möglicherweise aus anderen, etwa moralischen Gründen, keine Bindung mit dem Anbietenden wünsche90 und das „principio dell’intangibilità della sfera giuridica altrui“ daher die Wahrung seiner Interessen gebiete.91 Diesem Schutz vor einer unerwünschten vertraglichen Bindung dient wiederum die Ablehnungsmöglichkeit durch den Angebotsempfänger.92 Diese juristische Ratio von Art. 1333 Abs. 2 c. c. tritt neben das wirtschaftliche Argument der Vorteilhaftigkeit.93 Das italienische Recht weist neben Art. 1333 c. c. aber noch weitere Regelungen auf, in denen es infolge eines Schweigens zu einer Verpflichtung kommt: Anders als im deutschen Recht stellt jedoch die annahmebedürftige Schenkung, wie eben bereits erwähnt, keinen solchen Fall dar. Zwar gibt es als besondere Form der Schenkung die sog. donazione obnuziale (Art. 785 c. c.), wonach eine Schenkung, die im Hinblick auf das Zustandekommen einer Ehe gemacht wird, ohne Annahme zustandekommt. Dabei handelt es sich aber ebenfalls nicht um 85 Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 165. 86 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 303. 87 Roppo, Il contratto, 22. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193; vgl. ebenso Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 161; vgl. auch Cass. civ. 28.6.1952, Nr. 1921, in: Giur. it. 1952 I, 1, 617, 620 f. 88 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 436 f. 89 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 161. 90 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 395. 91 D’Ettore, Intento di liberalità e attribuzione patrimoniale, 1996, 186, 193 f. m. w. N. 92 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 436 f. 93 A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 99 f.
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die Wirkungen eines Schweigens – übrigens wird sogar die Möglichkeit einer Ablehnung bezweifelt94 –, sondern um den gänzlichen Verzicht auf eine Annahmeerklärung seitens des bzw. der Beschenkten. Das Schweigen auf eine verspätete Annahme hin führt nach dem italienischen Recht nicht zum Vertragsschluss (Art. 1326 Abs. 2 c. c.), soweit der Anbietende nicht die verspätete Annahme für wirksam hält und dies dem Annehmenden unverzüglich mitteilt (Art. 1326 Abs. 3 c. c.). Die Möglichkeit, die verspätete Annahme als wirksam zu akzeptieren, wird dem Anbietenden vor dem Hintergrund eingeräumt, dass dies am ehesten dem Parteiwillen und praktischen Bedürfnissen entspreche.95 Dabei ist unerheblich, ob die Verspätung dem Annehmenden oder gar dem Anbietenden zur Last fällt, da es darum geht, zu ermitteln, ob das Angebot im für den Vertragsschluss maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Annahme überhaupt noch annahmefähig war.96 Allerdings soll nach einer Auffassung den Anbietenden nach Treu und Glauben die Pflicht treffen, den Annehmenden darüber zu informieren, wenn seine Annahme verspätet zugegangen ist, aber rechtzeitig abgesendet wurde, wobei im Gegensatz zum deutschen § 149 Satz 2 BGB (unten § 4 II. 1. a)) die Unterlassung der Mitteilung nur Schadensersatzpflichten nach sich zieht.97 Nach Art. 1520 Abs. 3 c. c. gilt bei einem Kauf unter Vorbehalt der Billigung (vendita con riserva di gradimento, Art. 1520 Abs. 1 c. c.) diese als erteilt, wenn die Kaufsache sich beim Käufer befindet und dieser sich nicht innerhalb der vereinbarten oder der vom Verkäufer festgelegten Frist äußert. Die Corte di Cassazione hat insoweit entschieden, dass der Vertrag entsprechend des Wortlautes von Art. 1520 Abs. 1 c. c.98 und im Gegensatz zum bereits geschlossenen, aber aufschiebend bedingten, ermessensunabhängigen Probekauf erst ex nunc mit Ausübung des in das freie Ermessen des Käufers gestellten Billigungrechts zustande kommt, sodass dessen Schweigen nach Abs. 3 c. c. die Wirkung einer Billigung bzw. Zustimmung hat.99 Daneben ist auch die Vereinbarung einer clausola di non gradimento (Vorbehalt des Nichtgefallens) beim Kaufvertrag möglich, wobei der Vertrag in diesem Fall bereits geschlossen ist und der Käu94
Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 64. Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 98. 96 Vgl. Cass. civ. 31. Juli 1952, Nr. 2458, in: Rep. Foro it. 1952, Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 79 ff.; Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/ Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 98. 97 So Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 99 m. w. N. 98 Die Norm lautet: „Quando si vendono cose con riserva di gradimento da parte del compratore, la vendita non si perfeziona fino a che il gradimento non sia comunicato al venditore.“ 99 Cass. civ. 27.2.1986, Nr. 1270, in: Rep. Foro it. 1986, Stichwort „vendita“ Nr. 17; vgl. auch Cass. civ. 23.4. 2013 Nr. 9800; vgl. auch Trib. Milano 31.10.2006 Nr. 11022 in: Giustizia a Milano 2006, 10, 66; vgl. in der Literatur Rubino, La compravendita, 2. Auflage 1962, S. 58 m. w. N., in: Cicu/Messineo, Trattato di diritto civile e commerciale, Band 23. 95
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
fer dementsprechend nur sein Recht zum Rücktritt verliert100, womit ihn letztlich sein Schweigen nicht verpflichtet, sondern zu einem bloßen Rechtsverlust (decadenza; dazu unten § 3 III. 1. b)) führt. Als Schweigen mit unbestritten zustimmender Wirkung ist etwa auch Art. 1926 Abs. 5 c. c. zu nennen, wonach das 15-tägige Schweigen des Versicherungsnehmers bei einem Berufswechsel auf das Angebot seines Versicherers auf Vertragsänderung als Zustimmung zum abgeänderten Vertrag gilt. Ebenso gilt gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes Nr. 253 vom 23. Mai 1950 30 Tage nach Erhalt des Ersuchens auf Mieterhöhung dieses als angenommen, wenn der Vermieter keine Antwort vom Mieter erhält. Art. 1665 Abs. 3 c. c. (und ganz ähnlich Art. 1665 Abs. 4 c. c.), welcher anordnet, dass das Werk als angenommen gilt, wenn der Auftraggeber trotz Aufforderung des Werkunternehmers die Untersuchung ohne triftige Gründe unterlässt oder deren Ergebnis nicht binnen einer kurzen Zeit mitteilt, wird überwiegend als Fall des Schweigens mit Zustimmungswirkung, nämlich als Erklärung des Einverständnisses mit dem Werk, eingeordnet.101 Teils wird es allerdings – sogar vom selben Autor – auch als Fall des Rechtsverlustes (decadenza) infolge des Duldens des Auftraggebers (sog. silenzio-patientia), der zur Abwendung der für ihn nachteiligen Rechtsfolge des Verlustes der Gewährleistungsrechte sprechen hätte müssen, angesehen.102 Auch bei einigen weiteren Normen, nämlich Art. 1712 Abs. 2 c. c., Art. 1832 Abs. 1 c. c. und Art. 2301 Abs. 2 c. c.103 ist umstritten, ob diese Fälle des Rechtsverlusts bzw. Verfalles (decadenza)104 oder der Verpflichtung bzw. der Annahme durch ein Schweigen105 darstellen. Daran zeigt sich beispielhaft, welche Schwierigkeiten die eindeutige Zuordnung der Rechtswirkungen eines Schweigens als Zustimmung oder Ablehnung aufwirft. Bedeutsam ist diese Frage im Hinblick auf die dogmatische Verortung, da eine decadenza oft anders bewertet 100 So
Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 214. Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 456; Messineo, Contratto (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 9, 1961, S. 864; in der Rechtsprechung („accettazione tacita“): Cass. civ. 10.11.2015 Nr. 22879, S. 5; vgl. auch Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1665 V. 5 m. w. N. 102 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 556 („[…] gli costa la decadenza dal diritto alla garanzia […]“); auf S. 553 f. dagegen für eine Verpflichtungswirkung: („[…] il silenzio è legalmente valutato in senso ‚positivo‘, cioè come adesione all’iniziativa altrui ed equivalente a un ‚sì‘.“). 103 Umstritten war auch die Zuordnung von Art. 2499 c. c. a. F. (bis 31.12.2003), wonach die Zustimmung der Gläubiger zur Umwandlung einer Gesellschaft vermutet wurde, wenn sie nicht innerhalb von 30 Tagen nach Mitteilung verweigert wurde. 104 So Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146 f.; für Art. 1832 Abs. 2 c. c. auch Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166. 105 So etwa Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 140 f.; für Art. 1712 Abs. 2 und 1832 Abs. 1 c. c. auch Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 333 f.; für eine solche Einordnung von Art. 1712 Abs. 2 c. c. auch Torrente/ Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 220 f. und Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 787. 101 So
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wird als ein Schweigen, welches eine Zustimmung nach sich zieht (dazu unten § 3 II. 1. c)). So gilt nach Art. 1712 Abs. 2 c. c. die Zustimmung des Auftraggebers als erteilt, wenn dieser nicht auf die Mitteilung des Auftragnehmers über die Durchführung des Auftrags rechtzeitig antwortet, auch wenn der Auftragnehmer von den Anweisungen abgewichen ist oder die Grenzen des Auftrags überschritten hat. Die wohl herrschende Auffassung ordnet Art. 1712 Abs. 2 c. c. – jedenfalls bei der Überschreitung der Grenzen des Auftragsverhältnisses (dazu sogleich) – nicht als decadenza, sondern als Schweigen mit von Gesetzes wegen verpflichtender Wirkung bzw. sogar als tacita manifestazione ein.106 Daran wird kritisiert, dass dies zu einem nicht gerechtfertigten Widerspruch zu Art. 1399 Abs. 4 c. c.107 führt, zumal beide Fälle, nämlich das Auftragsverhältnis und die ebenfalls von Art. 1399 Abs. 4 c. c. erfasste Überschreitung der Vertretungsmacht oft zusammenfallen.108 Anders als Art. 1399 c. c. gilt Art. 1712 Abs. 2 c. c. nach gefestigter Auffassung in Rechtsprechung109 und Literatur freilich nur im Verhältnis vom Auftraggeber zum Beauftragtem, sodass ein Dritter sich nicht auf die Norm berufen kann.110 Während der schweigende Vertretene nach Art. 1399 Abs. 4 c. c. geschützt sei, da sein Schweigen als Ablehnung des geschlossenen Vertrags gelte, so der von Segni erhobene Einwand, müsse er nach Art. 1712 Abs. 2 c. c. sprechen, um die Verpflichtungswirkung seiner Untätigkeit abzuwenden, was nicht überzeuge, da die Norm, anders als die deutschen § 177 BGB und § 75h HGB (dazu noch unten § 4 III. 1. a) bb) und b)) sowohl im bürgerlich- als auch handelsrechtlichen Kontext gleichermaßen gelte.111 Im Ergebnis schlägt Segni daher überzeugend vor, Art. 1712 Abs. 2 c. c. als perdita eines bloßen Schadensersatzanspruches (diritto al risarcimento) aufzufassen, sodass das Schweigen nicht Ausdruck einer Zustimmung sei und keinen rechtsgeschäftlichen Charakter aufweise.112 Auch andere lehnen eine rechtsgeschäftliche Verortung ab und stellen für die Erklärung der Rechtsfolgen auf die Verletzung der Obliegenheit zum Tätigwerden (onere di iniziativa) ab.113 Nach 106 Vgl. nur Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 456; Cian/Trabucchi/Finessi, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1712 II. 2 f.; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 787; La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 554; Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 220 f.; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 140 f.; in der Rechtsprechung Cass. civ. 29.5.1980 Nr. 3534, in: Giust. Civ. Mass. 1980, fasc. 5. 107 Schweigen bei einer Vertretung ohne Vertretungsmacht, dazu noch unten § 3. III. 1. b). 108 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 363 ff. 109 S. nur Cass. civ. 18.3.1997 Nr. 2387; Cass. civ. 18.12.1990 Nr. 11975. 110 Cian/Trabucchi/Finessi, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1712 II. 3. 111 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 363. 112 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 373. 113 Etwa Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 140 Fn. 66.
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Betti unterscheiden sich Art. 1712 Abs. 2 c. c., aber auch Art. 1832 Abs. 1 c. c. und Art. 2301 Abs. 2 c. c. vom silenzio come negozio giuridico dadurch, dass es nicht auf den Willen des Schweigenden ankomme; es handelt sich demnach trotz der missverständlichen gesetzlichen Formulierung in Wirklichkeit um die Anordnung eines Verlustes bzw. Verfalls (decadenza) des nicht rechtzeitig ausgeübten Widerspruchrechts.114 Teilweise wird hinsichtlich Art. 1712 c. c. auch eine Differenzierung befürwortet: das Schweigen gegenüber der Überschreitung des Auftrags stelle eine konkludente Genehmigung (ratifica) dar, während das Schweigen gegenüber der ungenauen Durchführung des Auftrags eine acquiescenza und damit eine Art konkludenter Verzicht (rinuncia tacita) auf die Geltendmachung der Ungenauigkeit gegenüber dem Beauftragten sei.115 Ähnlich umstritten sind auch weitere Vorschriften: So regelt Art. 1832 Abs. 1 c. c., dass im Rahmen eines Kontokorrents ein Kontoauszug als gebilligt gilt, welcher von einem Kontoinhaber einem anderen übermittelt wurde, wenn dieser nicht innerhalb einer bestimmten Frist bestritten wird. Dies wird teilweise als Fall der decadenza angesehen, da keine Zustimmung vorliege, sondern das Beanstandungsrecht verloren gehe.116 Teilweise soll in dem Unterlassen des Widerspruchs aber auch eine bloße Wissenserklärung (dichiarazione di scienza) ohne rechtsgeschäftlichen Charakter liegen.117 Überwiegend wird Art. 1832 Abs. 1 c. c. aber wohl als Schweigen mit gesetzlich festgelegter zustimmender Wirkung aufgefasst.118 Gemäß Art. 2301 Abs. 2 c. c. wird schließlich die Zustimmung der anderen Gesellschafter zur Ausübung einer Konkurrenztätigkeit durch einen Gesellschafter vermutet, wenn die Tätigkeit schon vor dem Gesellschaftsvertrag ausgeübt wurde und die Gesellschafter davon wussten. Auch hierbei soll es sich um ein Schweigen mit zustimmender Wirkung handeln.119 Insgesamt sind die Fälle gesetzlich angeordneter, eine Verpflichtung begründender Rechtsfolgen eines Schweigens im italienischen Recht damit von der gesetzgeberischen Intention geprägt, das Bedürfnis des Gegenübers des Schweigenden nach einer Antwort zu befriedigen. Dabei sollen dem Schweigenden zwar möglichst wenig Nachteile entstehen, im Zweifel überwiegt aber das Interesse des Gegenübers an Rechtssicherheit gegenüber der Freiheit, zu 114
Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146 f. Luminoso, Il mandato, 2007, S. 201; str., gegen eine rechtsgeschäftliche Verortung etwa Patti, Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 2. 116 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166; für eine nicht rechtsgeschäftliche Verortung auch Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 140 Fn. 66. 117 Cian/Trabucchi/M. Cian, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1832 III. 3. 118 So etwa bei Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 456; Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 333 f. 119 So etwa Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 456; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 140 f. 115
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schweigen.120 Derjenige, der schweigt, obwohl er sprechen könnte und müsste, muss daher auch das für ihn vermeidbare Risiko tragen, dass die Rechtsfolgen seines Verhaltens gar nicht seinen wirklichen, ungeäußerten Intentionen entsprechen.121 Die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge des Schweigens rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass nach der Regel id quod plerumque accidit vernünftigerweise von einem entsprechenden Willen des Schweigenden zur Verpflichtung auszugehen ist, etwa weil die Angebotsannahme seinem Interesse entspricht und die Rechtslage zu seinen Gunsten gestaltet.122 Eine Vertragsänderung infolge eines Schweigens erscheint dann gerechtfertigt, wenn der Schweigende keinen Grund hat, sich ihr zu widersetzen, etwa weil sein eigenes Verhalten Ursache der Änderung ist (etwa beim Versicherungsvertrag) oder weil sie vom Gesetz angeordnet wird (etwa beim Mietvertrag).123 Auffällig ist, dass im italienischen Recht häufig umstritten ist, ob es sich bei dem jeweiligen normierten Schweigen um einen Fall der Verpflichtungswirkung oder des Rechtsverlustes infolge eines Schweigens handelt. Im Folgenden ist daher auch der Frage nachzugehen, ob sich aus der Einordnung in die eine oder andere Kategorie Unterschiede in der dogmatischen Verortung und der Behandlung eines Schweigens ergeben.
b) Verlängerung und Beendigung von Verpflichtungen Im Bereich des Mietrechts finden sich mit Art. 1596 Abs. 2 c. c. und Art. 1597 c. c. zwei Regelungen, durch die es infolge eines Schweigens zu einer Vertragsverlängerung kommt: Während die erstgenannte Norm regelt, dass bei einem unbefristeten und daher der vom Gesetz vorgesehenen Dauer (vgl. Art. 1574 c. c.) unterliegenden Mietverhältnis das Vertragverhältnis fortbesteht, wenn eine der Parteien nicht vor Ablauf innerhalb einer bestimmten Frist die Kündigung erklärt, gilt nach Art. 1597 Abs. 1 1. Hs. c. c. das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit als erneuert, wenn der Mieter nach Beendigung in der Mietsache verbleibt und ihm der Besitz von dieser überlassen bleibt. Dabei stützt sich in der letztgenannten Norm die Verlängerung des Mietverhältnisses auf das Verhalten beider Beteiligter: die weitere Nutzung der Mietsache durch den Mieter einerseits und die fehlende Kündigung, also das Schweigen, des Vermieters andererseits.124 Das Gesetz nimmt dabei eine Typisierung vor, da der übliche Wille normalerweise auf die Verlängerung des Mietverhältnisses gerichtet ist, 120
La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 553. La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 553. La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 554. 123 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 554. 124 So bereits Ministero di Grazia e Giustizia, Codice Civile, Testo e Relazione Ministeriale, 1943, Relazione del Ministro Guardasigilli per l’approvazione del Codice civile, Libro Quarto – Delle Obbligazioni, Nr. 689; Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 21. 121 122
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was es zulässt, das passive Verhalten der acquiescenza entsprechend zu interpretieren.125 Auch nach Art. 1823 Abs. 2 Satz 2 c. c. kommt es beispielsweise infolge des Schweigens bzw. der fehlenden Zahlungsaufforderung zum erneuten Abschluss des Kontokorrentvertrages. Art. 2097 Abs. 3 c. c. a. F., der durch Art. 9 des Gesetzes vom 18. April 1962, Nr. 30 abgeschafft wurde, sah – wie § 625 BGB – vor, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis bei Fortsetzung nach Fristablauf zu einem unbefristeten wurde. Die jetzt gültigen komplexen Regelungen zur Verlängerung und Erneuerung von befristeten Arbeitsverträgen ergeben sich aus dem sog. Jobs Act (decreto legislativo vom 15. Juni 2015, Nr. 81) und Art. 1 des sog. Decreto dignità (decreto legge vom 12. Juli 2018 Nr. 87), das mit dem Gesetz vom 9. August 2018 in ein Gesetz umgewandelt wurde und den Jobs Act teils modifiziert.126 Fraglich ist insbesondere, ob es sich bei der Verlängerung eines Vertrags um den Abschluss eines neuen Vertrags mit gleichem Inhalt (rinnovazione) oder um eine Fortführung des vorhergehenden Vertrags ( proroga) handelt.127 Anders formuliert steht damit im Raum, ob das Schweigen zu einer neuen Vertragsbegründung führt oder ob nur der Rücktritt von einem bestehenden Vertrag unterlassen wurde.128 Der Gesetzeswortlaut von Art. 1597 c. c. spricht von einer „rinnovazione tacita“, weshalb die herrschende Auffassung ihn auch als Erneuerung ansieht, nicht jedoch ohne auf den gegensätzlichen Wortlaut von Art. 1596 Abs. 2 c. c. („non cessa“), der auf eine Verlängerung des Mietverhältnisses hindeutet, hinzuweisen.129 Soweit der Vermieter durch eine Kündigung (disdetta) seinen Willen zur Vertragsbeendigung kundgetan hat, kann aus seinem Schweigen allein nicht auf eine rinnovazione geschlossen werden, vielmehr ist in diesem Fall ein positives Verhalten erforderlich, das auf einen nunmehr gegenüber der Kündigung veränderten Willen schließen lässt.130 Nach Art. 1454 Abs. 3 c. c. kommt es von Gesetzes wegen zu einer Vertragsauflösung, wenn der Schuldner auf die schriftliche Aufforderung zur Vertragserfüllung binnen einer angemessenen Frist nicht reagiert, was teilweise eben125
Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 149. Cian/Trabucchi/Leardini, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 2097, passim. 127 Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 9 f. (Fn. 14). 128 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 297. 129 Vgl. (ein gesetzgeberisches Versehen vermutend) Cian/Trabucchi/Belloni Peressutti, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1597 I. 1; Lipari, Proroga in generale (dir. priv.), in: Enciclopedia del diritto, Band 37, 1988, S. 407 m. w. N.; a. A. (Fortführung des ursprünglichen Vertrags) jedoch V. Carbone, Il diverso valore del silenzio tra conclusione del contratto e modifica dello stesso (Anm. zu Cass. civ. 22.11.1993, Nr. 8191), in: Corr. giur. 1993, 1181, 1183. 130 Cian/Trabucchi/Belloni Peressutti, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1597 III. 2. 126 Dazu
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falls als Schweigen mit zustimmender Wirkung angesehen wird.131 Da das Schweigen aber insoweit keinerlei verpflichtende Wirkung nach sich zieht, sondern allein die Vertragsauflösung und damit den Verlust der Erfüllungsmöglichkeit, erscheint eine Einordnung als decadenza überzeugender.
c) Inhaltliche Ausgestaltung von Verpflichtungen Das Schweigen kann schließlich auch eine vertragliche Regelungslücke (lacuna) darstellen, die mittels einer rechtlichen Ergänzung (integrazione) geschlossen wird.132 Art. 1657 c. c. bestimmt insoweit für den Unternehmerwerkvertrag (contratto di appalto), dass in Ermangelung einer Bestimmung der Parteien die Vergütung nach den bestehenden Tarifen oder den Bräuchen, bei Fehlen von solchen durch den Richter festgelegt wird. Diese Norm stellt somit eine Abweichung von Art. 1346 c. c. dar, wonach der Vertragsgegenstand zumindest nach vertraglich festgelegten Kriterien bestimmbar sein muss.133 Auch beim Auftrag wird nach Art. 1709 c. c. im Fall des Schweigens der Parteien dessen Entgeltlichkeit vermutet und die Höhe des Entgelts nach den eben beschriebenen Kriterien bestimmt. Das Gleiche gilt für die Provision im Rahmen der Kommission (Art. 1733 c. c.) bzw. des Maklervertrags (Art. 1755 Abs. 2 c. c.), bei selbständiger Tätigkeit (Art. 2225 c. c.) sowie für die Vergütung von in geistigen Berufen Tätigen (Art. 2233 Abs. 1 c. c.), wobei das Gericht bei Letzteren für die Festsetzung der Vergütung eine Stellungnahme der jeweiligen Berufsvereinigung einholt. Für die Verwahrung stellt Art. 1767 c. c. die Vermutung der Unentgeltlichkeit auf. Ferner schließt das Gesetz auch Regelungslücken, die durch das Schweigen über den Zeitpunkt für die Erfüllung bestimmter Pflichten entstehen: nach Art. 1183 Abs. 1 c. c. kann der Schuldner beispielsweise seiner Leistungspflicht in Ermangelung einer abweichenden Vereinbarung sofort nachkommen und der Gläubiger kann die Leistung auch sofort verlangen, wobei jedoch das Gericht, wenn angesichts der Bräuche, der Natur des Rechtsgeschäfts oder der Art und des Ortes der Ausführung eine Frist notwendig ist, eine solche festsetzen kann. Wenn keine Frist zur Rückgabe eines Darlehens bestimmt ist, wird sie nach Art. 1817 Abs. 1 c. c. unter Berücksichtigung der Umstände gerichtlich bestimmt. Letztlich kann auch das Unterlassen der Anfertigung eines Testaments als Schweigen des Erblassers angesehen werden, angesichts dessen die gesetzlich vorgesehene Erbfolge nach Art. 457 Abs. 2 c. c. eintritt und die entstandene Re131
Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 333 f.; Messineo, Contratto (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 9, 1961, S. 864. 132 Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997 Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1118. 133 Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1657 I. 1.
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gelungslücke bezüglich des Nachlasses schließt.134 Im Bereich des Familienrechts begegnet beispielsweise Art. 179 lit. b) c. c., der bestimmt, dass Güter, die ein Ehegatte nach der Eheschließung aufgrund einer Schenkung oder eines Erbes erhält, in Ermangelung einer entsprechenden Regelung nicht Teil der Gütergemeinschaft (comunione) werden.135 In allen diesen Fällen von Regelungslücken greift der Gesetzgeber ein und knüpft an die Untätigkeit bestimmte Rechtsfolgen, um auf diese Weise den Vertrag zu erhalten und Rechtssicherheit für die Beteiligten zu schaffen.
3. Beispiele für ein silenzio circostanziato (beredtes Schweigen) Häufiger als aus den eben beschriebenen, gesetzlich festgelegten Regelungen folgen die Wirkungen eines Schweigens jedoch aus einer entsprechenden Parteivereinbarung, den Umständen des Einzelfalles bzw. einer Gesamtbewertung des Verhaltens aufgrund von Treu und Glauben.136 Soweit vertreten wird, dass auch gesetzliche Regelungen ein Schweigen zu einem silenzio circostanziato machen können (zu den Begrifflichkeiten oben § 1 II. 2.), wurden diese bereits eben dargestellt. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die allgemeine Zulässigkeit oder Reichweite eines Schweigens mit Zustimmungswirkung enthält der Codice civile nicht.137
a) Ausdrückliche und konkludente Parteivereinbarungen Vertragsparteien können zunächst im Vorhinein rechtsgeschäftlich vereinbaren, dass der Untätigkeit der Wert einer Annahme zukommen soll.138 In diesem Fall wird teils sogar von einer ausdrücklichen Erklärung bzw. Zustimmung (consenso espresso) durch das Schweigen gesprochen.139 Jedoch kann eine Partei niemals einseitig – beispielsweise durch Setzung einer Frist zur Ablehnung des Angebots – bestimmen, dass das Schweigen der anderen als Zustimmung zum Vertragsschluss zu werten ist, da ein Zwang zur Antwort der Privatautonomie zuwider liefe.140 Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass dem Angebot etwa 134
La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 558. dazu La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990,
135 Vgl.
S. 550. 136 Vgl. Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 183; Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997 Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1118. 137 Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 38. 138 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 622; Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 298; in der Rechtsprechung etwa Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. It. 1998 II, 1117, 1120. 139 Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 163. 140 Statt vieler etwa La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 552; Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 9; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011,
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bereits die entsprechende Ware beigefügt wird, selbst wenn der Empfänger diese behält und nicht zurücksendet141 (zu verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften unten § 3 II. 9. b). Insoweit bleibt es bei dem oben bereits zitierten lateinischen Satz „qui tacet neque negat neque utique fatetur“.142 Infolge einer Vertragsklausel, die eine Vertragsverlängerung bei fehlender Kündigung vorsieht, kann das Schweigen ebenfalls Rechtsfolgen nach sich ziehen, wobei hier – ähnlich wie bei der relocatio tacita – umstritten ist, ob e s sich um den Abschluss eines neuen Vertrages mit gleichem Inhalt (rinnovazione) infolge eines Schweigens oder die Fortführung des bisherigen Vertrages ( proroga) infolge des Unterlassens von Kündigung bzw. Rücktritt handelt.143 Einem Schweigen kann ferner infolge entsprechender vorheriger Bestimmung bei einer Abstimmung die Wirkung einer Zustimmung beigemessen werden.144 Denkbar sind zudem sogenannte contratti normativi, d. h. Vereinbarungen, welche künftige Verträge und Geschäftsbeziehungen der Parteien regeln und dabei beispielsweise dem Schweigen einer Partei zustimmende Wirkung beilegen.145 Schließlich kann sich auch ohne eine solche ausdrückliche Vereinbarung eine entsprechende Geschäftspraxis zwischen den Vertragsparteien entwickeln und das Schweigen daher zur Ursache einer Verpflichtung werden.146 Solche auf einer Vereinbarung beruhenden Rechtsfolgen eines Schweigens werden in der italienischen Literatur als relativ unproblematische Ausprägung der Vertragsfreiheit angesehen.147 Teils wird freilich auch auf die Risiken derartiger Abreden hingewiesen und ihre Zulässigkeit in Zweifel gestellt, da eine derartige Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses durch die Anknüpfung der Rechtsfolgen an ein bloßes Schweigen gegen den im öffentlichen Interesse in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 189; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 233 f.; s. bereits Vivante, Trattato di diritto commerciale, Band 4, 5. Auflage 1928, S. 34 f. 141 Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 165. 142 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 552. 143 Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 9; vgl. zum Thema auch Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 297 f.; für eine rinnovazione tacita im Fall einer entsprechend formulierten Vertragsklausel Cass. civ. 17.5.1990, Nr. 4282, in: Mass. Giur. it. 1990. 144 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1. 145 Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1183; zum contratto normativo: Messineo, Contratto normativo e contratto-tipo, in: Enciclopedia del diritto, 1962, S. 116 ff. 146 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 622; Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 142 f.; in der Rechtsprechung Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. It. 1998 II, 1117, 1120. 147 Vgl. Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 787; Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 298 Fn. 6 (der freilich darin keine Folge eines Schweigens, sondern eine Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses sieht, dazu unten § 3 II. 6. b)).
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
bestehenden Grundsatz der Einigung („principio di ordine pubblico dell’accordo“) verstoße, wenn dem Betroffenen nicht zumindest nach dem Vorbild von Art. 1333 c. c. eine Widerspruchsmöglichkeit eingeräumt werde.148 Eine Grenze für die Vereinbarungen bilden auch die Vorschriften über clausole vessatorie (dazu unten § 3 II. 9. c)).
b) Usi, buona fede, tolleranza (Bräuche, Treu und Glauben, Duldung) Ferner können bestimmte Umstände dazu führen, dass die schweigende Partei eine Pflicht bzw. Obliegenheit zum Widerspruch trifft, wenn sie nicht will, dass ihr Schweigen als Zustimmung zu einem Vertrag gewertet wird.149 Diese Form des Schweigens mit Verpflichtungswirkung aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben ( principio di buona fede) begegnet sogar häufiger als die gesetzliche Normierung der Bedeutung eines Schweigens.150 Ein silenzio circostanziato kann nicht nur zu einem Vertragsschluss oder einer Vertragsverlängerung führen, sondern auch eine bestehende Vereinbarung modifizieren oder eine Vertragsbeziehung beenden.151 Nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione kann einem Schweigen grundsätzlich dann Bedeutung zukommen, wenn es von objektiven und subjektiven Umständen und Situationen begleitet wird, die nach allgemeiner Verhaltensweise eine Pflicht zum Sprechen implizieren oder wenn das Schweigen einer Partei aufgrund eines Sachverhaltes oder sozialen Umstandes unter Berücksichtigung der Eigenschaften der Parteien und ihrer Geschäftsbeziehungen als Zustimmung zum Willen der anderen Partei gewertet werden kann: „Il silenzio, di per sé inidoneo a valere come manifestazione tacita di volontà sí da integrare consenso, può assumere tale portata qualora s’accompagni a circostanze e situazioni, oggettive e soggettive, che implichino, secondo il comune modo di agire, un dovere di parlare o quando, secondo un dato momento storico o sociale, avuto riguardo alla qualità delle parti ed alle loro relazioni di affari, il tacere di una parte possa intendersi come adesione alla volontà dell’altra.“152 Nicht jeder Umstand 148 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 103. 149 Statt vieler in der Literatur: Bianca, Istituzioni di diritto privato, 2. Auflage 2018, S. 382; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193; in der Rechtsprechung: Cass. civ. 21.3.2008, Nr. 7697; Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290 m. Anm. Tafaro, in: Notariato 2008, 619, 619 f.; Cass. civ. 14.12.2006, Nr. 26754. 150 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193. 151 Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. It. 1998, II, 1117 ff. (im Ergebnis ablehnend) m. Anm. Scardigno; Cass. civ. 12.4.1977, Nr. 1367, in: Mass. Foro It. 1977, 286; Cass. civ. 15.1.1973, Nr. 126, in: Giur. it. 1974 I, 1, 1574 m. krit. Anm. Mazzoni; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 253, 236; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193 f. 152 Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1117 m. Anm. Scardigno; ganz herrschende Auffassung, vgl. beispielsweise ebenso bereits Cass. civ. 30.10.1981,
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in Zusammenhang mit einem Schweigen ist im italienischen Recht geeignet, aus einer bloßen Untätigkeit ein silenzio circostanziato zu machen. Angeführt werden als taugliche Faktoren die Gewohnheiten und (Handels-) Bräuche, ein vorhergehender Vertrag, die zwischen den Parteien bestehende Geschäftspraxis und aus Treu und Glauben und dem redlichen Verhalten resultierende Pflichten wie eine Widerspruchspflicht oder – obliegenheit.153 Die Umstände des Einzelfalles entscheiden, wann die Schwelle zu einer Widerspruchsobliegenheit und damit einer vertraglichen Verpflichtung infolge eines Schweigens überschritten ist.154 Erforderlich für eine manifestazione tacita ist nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione ein unzweideutiges Verhalten, welches mit einem entgegenstehenden Willen nach allgemeiner Lebenserfahrung im Geschäftsverkehr (concetto predominante nella vita pratica degli affari) unvereinbar ist.155 Die Beurteilung durch das Gericht, ob die entsprechenden Umstände konkret ausreichen, um aus einem einfachen Schweigen ein silenzio circostanziato mit Erklärungswirkung zu machen, ist dabei eine Tatsachenfrage, die sich einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzieht, soweit die betreffende Entscheidung hinreichend begründet und frei von logischen und rechtlichen Fehlern ist.156 Während sich die Rechtsfolgen eines Schweigens infolge gesetzlicher Anordnung, Parteivereinbarung oder Gewohnheiten noch relativ einfach rechtfertigen lassen, erhöht sich der dogmatische Begründungsaufwand der Rechtsfolgen in den Fällen, in denen ohne eine der eben genannten Regelungen eine vertragliche Verpflichtung und nicht nur eine Schadensersatzpflicht infolge des Unterlassens eines nach Treu und Glauben gebotenen Widerspruchs entsteht.157
aa) Schweigen im Rahmen bestehender Geschäftsbeziehungen und bei Vorteilhaftigkeit Dabei hat sich in der Rechtsprechung eine Kasuistik entwickelt, wonach dies typischerweise – wenn nicht sogar nur158 – der Fall ist, wenn zwischen den ParNr. 5743, in: Mass. Giur. it., 1981, Stichwort „Contratto in genere“ Nr. 87; Corte d’Appello di Bologna, 13.4.1950, in: Foro it. 1950, I, 582, 585 (m. w. N.) m. Anm. De Martini; in jüngerer Zeit (im konkreten Fall ablehnend) Cass. civ. 14.5.2014, Nr. 10533. 153 Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1171; Galgano, Il contratto, 2. Auflage 2011, S. 128 f.; Tafaro, Forniture non richieste: valore negoziale del silenzio e procedimenti formativi del contratto (Anm. zu Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290), in: Notariato 2008, 620, 637. 154 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 196; vgl. Cass. civ. 14.5.2014, Nr. 10533. 155 Cass. civ. 8.11.1983, Nr. 6591 in Giust. civ. Mass. 1983, fasc. 10. 156 Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290 m. Anm. Tafaro, in: Notariato 2008, 619, 620. 157 Vgl. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 264 ff. 158 So Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2 m. w. N. der Rspr.; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 238 („Solo nell’ambito di più ampie relazioni tra
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teien im Vorfeld schon eine vertragliche Beziehung bestanden hat.159 Auch in der Literatur wird die zentrale Bedeutung der zwischen den Parteien bereits im Vorfeld bestehenden vertraglichen oder zumindest geschäftlichen Kontakten hervorgehoben.160 Dabei unterscheidet die italienische Rechtswissenschaft oft zwischen dem Schweigen mit vertragsbegründender Wirkung und jenen Fällen, in denen es infolge der Untätigkeit zu einer Veränderung oder Auflösung der vertraglichen Beziehung kommt und an die sie teils strengere Maßstäbe anlegt. Daneben wird auch maßgeblich auf die Vorteilhaftigkeit der Rechtsfolgen für den Schweigenden abgestellt. So kann ein Schweigen des Anbietenden gegenüber einer nicht vollständig deckungsgleichen Annahmeerklärung oder einer abweichenden Lieferung des Angebotsempfängers im Ausnahmefall in Abweichung zur Grundregel in Art. 1326 Abs. 5 c. c. eine Zustimmung darstellen und so zum Vertragsschluss führen, da den Schweigenden, um dem Vorwurf des venire contra factum proprium zu entgehen, eine Widerspruchsobliegenheit trifft.161 Grundsätzlich ist die italienische Rechtsprechung hinsichtlich der Übereinstimmung von Angebot und Annahme dabei eher streng, während vor allem die Literatur bei marginalen Änderungen teils eine flexiblere Lösung in Gestalt einer Obliegenheit zum unverzüglichen und begründeten Widerspruch annimmt, nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die im CISG getroffenen Regelungen (dazu unten § 5 III. 6. b)).162 Freilich wird es sich hier oft um einen Grenzfall zum positiven konkludenten Verhalten handeln, wenn der Vertrag bereits durchgeführt wird und beispielsweise die Lieferung vom Empfänger verarbeitet wird. Auch bei den sogenannten dichiarazioni incrociate (Kreuzofferten), bei denen beide Parteien inhaltlich übereinstimmende Angebote abgeben, kommt es zu einem Vertragsschluss im Zeitpunkt des Zugangs der letzten Erklärung163, ohne dass dabei im italienischen Recht auf das Schweigen einer Partei abgestellt wird. Hinsichtlich der an die Veränderung eines Vertrags durch ein Schweigen anzulegenden Kriterien sind die Meinungen in der Literatur gespalten: nach einer le parti, la giurisprudenza ha ritenuto interpretabile il silenzio come comportamento omissivo concludente perfezionamento del contratto […]“). 159 Vgl. etwa Cass. civ. 10.4.1975, Nr. 1326 in: Rep. Giur. It., 1975, Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 157; Cass. civ. 26.5.1965, Nr. 1054 in Giur. it., 1966, I, 1, c. 614 ff. m. Anm. Genovese. 160 Vgl. Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 143 f.; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 237 ff. m. w. N.; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/ Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193 ff. 161 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 626 Fn. 55; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 104; Cass. civ. 26.5.1965, Nr. 1054 in Giur. it., 1966, I, 1, 614 ff. m. Anm. Genovese. 162 Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 425; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 104. 163 Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 436 m. w. N.
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Ansicht soll dem Schweigen sogar besonders leicht Relevanz zukommen, wenn die betreffende Einigung die Auflösung oder Änderung der bereits bestehenden Vertragsbeziehung bezwecke; der Grund hierfür sei, dass die Parteien bereits durch eine vertragliche Beziehung verbunden seien und eine bloße Veränderung (oder Auflösung) eines Vertrages im Vergleich zur Begründung einer neuen vertraglichen Bindung eine relativ harmlose Folge des Schweigens darstelle.164 Andererseits wird zu bedenken gegeben, dass gerade in diesen Fällen bereits ein rechtsgeschäftlicher Wille der Parteien bestehe, der nicht durch einseitige Erklärung abgeändert werden könne und der zwischen den Vertragsparteien nach Art. 1372 Abs. 1 Satz 1 c. c. Gesetzeskraft entfalte.165 Teilweise wird sogar eine ausdrückliche Erklärung für die Vertragsmodifikation gefordert: die Feststellung eines entsprechenden Abänderungswillens sei ungleich schwerer als bei der Begründung oder Verlängerung eines Vertragsverhältnises infolge eines Schweigens; der bloßen Fortführung des Vertrags könne kein solcher Wille entnommen werden.166 Dem wird entgegengehalten, dass zahlreiche Vorschriften der Europäischen Union implizit von der Möglichkeit der Abänderung eines Vertrags infolge eines Schweigens ausgehen und dies auch von der Rechtsprechung seit langem anerkannt ist.167 Letztere schließt eine Modifikation infolge der Untätigkeit einer Partei nicht aus, agiert aber relativ zurückhaltend, wenn nicht Umstände vorliegen, die es eindeutig zulassen, im Schweigen der anderen Partei eine Zustimmung zu den veränderten Bedingungen sehen.168 Verneint hat sie etwa die Abänderung eines Mietvertrags in Pompei, der ursprünglich eine Nutzung der Räume als Metzgerei vorsah, infolge einer passiven Hinnahme der nachfolgenden Nutzung zunächst als Sprachschule und sodann als Souvenirladen: Es sei nicht auszuschließen, dass die Vermieterin zumindest die letzte, noch recht kurz andauernde Nutzung lediglich geduldet, ihr aber nicht konkludent zugestimmt habe; dass die Vermieterin ihre Rechte nicht prompt geltend gemacht habe, sei ihr angesichts des verbreiteten Misstrauens in die Justiz nicht vorzuwerfen.169 Bejaht hat sie hingegen beispielsweise die zustimmende Wirkung eines über Monate fortdauernden Schweigens gegenüber der Aufforderung zur Bestätigung des Einverständnisses mit (nicht übermäßig) erhöhten 164 165
Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193 f. V. Carbone, Il diverso valore del silenzio tra conclusione del contratto e modifica dello stesso (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Corr. giur. 1993, 1181, 1183; Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1119. 166 Mazzoni, Il silenzio come comportamento modificativo del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 15.1.1973, Nr. 126), in: Giur. it. 1974 I, 1, 1573, 1575 f. 167 Pagliantini, Modificazione unilaterale del contratto (diritto civile), in: Enciclopedia del diritto, Annali VI, 2013, S. 519 (m. Fn. 239). 168 Vgl. Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. It. 1998 II, 1117 ff.; Cass. civ. 12.4.1977, Nr. 1367, in: Mass. Foro it. 1977, 286; Cass. civ. 15.1.1973, Nr. 126, in: Giur. it. 1974 I, 1, 1574 m. Anm. Mazzoni. 169 Tribunale di Napoli 11.1.1979, Nr. 53, in: Dir. giur. 1980, 395, 401 m. Anm. Patti.
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Preisen in Verbindung mit der nachfolgenden widerspruchslosen Abnahme der bestellten Ware, wobei auch die früheren Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien mitberücksichtigt wurden.170 Insoweit wurde eine bloße Haftung auf das negative Interesse aus culpa in contrahendo nicht als ausreichend angesehen.171 Auch das neunmonatige Schweigen eines Handelsvertreters (agente di commercio) gegenüber einem Schreiben, das u. a. eine Kürzung der Provision vorsieht, soll als Zustimmung zu werten sein, wenn das Schreiben beantwortet und die Tätigkeit fortgeführt wird, ohne die Kürzung zu thematisieren.172 Freilich stellt sich im Falle der widerspruchslosen weiteren Durchführung eines Vertrages trotz eines Abänderungsangebots die Frage, ob nicht eher das positive Verhalten und nicht das bloße Schweigen Anknüpfungspunkt für die Annahme der Zustimmung ist und damit Art. 1327 c. c. zum Tragen kommt.173 Zudem ist häufig kaum abzugrenzen, ob es infolge des Schweigens zu einer proroga oder aber einer rinnovazione des Vertrages unter Änderungen kommt und das Schweigen damit zu einer Veränderung oder aber zu einer Begründung eines Vertrages führt.174 Hinsichtlich einer Vertragsauflösung hat etwa die Corte d’Appello di Milano im Jahr 1952175 entschieden, dass im zweijährigen Schweigen gegenüber einem Vertragsauflösungsangebot eine konkludente Annahme lag. Die Vorteilhaftigkeit des ursprünglichen Vertrags für den Schweigenden war infolge der Geldentwertung und Entwicklung neuer Modelle der bestellten Maschine in den Jahren von 1945 bis 1947 nämlich entfallen und zudem war zwischenzeitlich ein anderer, ähnlicher Vertrag mit demselben Vertragspartner geschlossen worden. Freilich zog das Gericht diesen Schluss nicht, ohne daneben auch auf eine Pflicht zum Widerspruch176 abzustellen, was in der Literatur auf Kritik stieß.177 Für die Beurteilung des Verhaltens als Zustimmung ist also im italienischen Recht maßgeblich die Vorteilhaftigkeit der Vereinbarung für die eine oder andere Vertragspartei einzubeziehen, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die bloße weitere Vertragserfüllung, zu der der Schweigende ja verpflichtet ist, 170 Corte d’Appello di Bologna, 13.4.1950, in: Foro it. 1950, I, 582, 585 m. Anm. De Martini. 171 De Martini, In tema di „silenzio“ nella conclusione dei contratti (Anm. zu Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950), in: Foro it. 1950, I, 582, 582. 172 Cass. civ. 15.1.1973, Nr. 126, in: Giur. it. 1974 I, 1 c. 1574 m. ablehnender Anm. Mazzoni. 173 So Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191; dazu zustimmend Siniscalchi, Inizio di esecuzione e silenzio. Spunti in tema di modificazione del rapporto contrattuale, in: Rass. dir. civ. 1994, 526, 534 ff. 174 Vgl. Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 238 Fn. 89. 175 Corte d’Appello di Milano 11.1.1952, in: Giur. it. 1953 I, 2 m. Anm. Travi. 176 Zu diesem Ansatz unten § 3 II. 6. c). 177 Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73, 78.
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nicht ohne weiteres als Annahme des Änderungsangebotes angesehen werden kann.178 Die wirtschaftliche Nachteiligkeit eines Vertrags oder seiner Änderung kann hingegen Indiz für das Fehlen einer im Schweigen liegenden Zustimmung sein.179 Besondere Vorsicht ist auch bei der Auslegung eines Schweigens geboten, wenn ein ökonomisches Ungleichgewicht zulasten der schweigenden Partei besteht, die möglicherweise deren Untätigkeit rechtfertigt.180 Die italienische Rechtsprechung berücksichtigt nämlich maßgeblich, ob die schweigende Partei der anderen Partei wirtschaftlich unterlegen ist, was regelmäßig einer Interpretation des Verhaltens als Zustimmung entgegensteht.181 Liegen hinreichend eindeutige Umstände für die Zustimmung zu einer Vertragsänderung nicht vor, so kann auch kein rechtsgeschäftlicher Wille angenommen werden, sondern allenfalls eine tolleranza des Schweigenden, die bei entsprechend schutzwürdigem Vertrauen der anderen Partei einen Vertrauensschutz (tutela dell’affidamento) nach sich ziehen kann, aber nicht einer Willenserklärung gleichzustellen ist.182
bb) Schweigen gegenüber dem Handeln eines (vermeintlichen) Vertreters Auch im Vertretungsrecht spielt das Schweigen eine Rolle: bei Vorliegen entsprechender Umstände gilt das Schweigen einer Person gegenüber dem Auftreten einer anderen in ihrem Namen als Bevollmächtigung.183 Im italienischen Recht wird hinsichtlich des Auftretens eines nicht Bevollmächtigten im Namen des Schweigenden zwischen der rappresentanza tollerata, also einer Duldungsvollmacht, bei der jemand um das unberechtigte Auftreten eines anderen in seinem Namen weiß, aber nicht eingreift und der rappresentanza apparente bzw. Rechtsscheinsvollmacht unterschieden, bei der der falsus procurator eine Situation schafft, gegen die der Vertretene nicht einschreitet.184 Dabei wird jedoch in der italienischen Rechtswissenschaft abgesehen von einer Monographie 178 Vgl. Siniscalchi, Inizio di esecuzione e silenzio. Spunti in tema di modificazione del rapporto contrattuale, in: Rass. dir. civ. 1994, 526, 540 ff.; zustimmend Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 650. 179 Genovese, La rinuncia del proponente ai requisiti formali dell’accettazione, (Anm. zu Cass. civ. 26.5.1965, Nr. 1054), in: Giur. it., 1966, I, 1, 615, 616. 180 Vgl. Trib. Ravenna, 30.4.1999. 181 So etwa Cass. civ. 22.7.1993 Nr. 8191, in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1572 m. Anm. Peiranis für den Fall einer kleinen Reinigungsfirma, die in den Niederlassungen eines multinationalen Konzerns tätig war. 182 So Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997 Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1119; vgl. auch Patti, In tema di modifica tacita del contenuto del contratto (Anm. zu Tribunale di Napoli 11.1.1979, Nr. 53), in: Dir. giur. 1980, 395, 397 f. 183 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2; eingehend zur rappresentanza apparente etwa auch Marcatojo, Rappresentanza e diritto europeo, 2011, S. 207 ff. 184 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 144; Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 710; die Unterscheidung ablehnend Marcatojo, Rappresentanza e diritto europeo, 2011, S. 245.
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von Patti fast nur die letztgenannte untersucht.185. Auch unter dem Stichwort „rappresentanza apparente“ ist daher oft von einem „comportamenteo di tolleranza“ die Rede.186 Die von deutscher Seite früher teils geäußerte Einschätzung, dass das italienische Recht eine Verpflichtung infolge einer Anscheinsvollmacht „fast einhellig“ ablehne187, kann jedenfalls nicht geteilt werden. Eine Erfüllungshaftung infolge des Rechtsscheins einer Vollmacht soll nach überwiegender Ansicht nur für die sog. apparenza colposa, den schuldhaft oder zumindest fahrlässig vom Vertretenen verursachten Rechtsschein, bestehen. Dagegen soll die sog. apparenza pura, also der bloße, ohne schuldhaftes Verhalten des Vertretenen geschaffene Rechtsschein in der Regel – anders kann es für speziell normierte Fälle und innerhalb bestehender Organisationsstrukturen liegen – keine Folgen für diesen haben.188 Erforderlich ist ferner ein vernünftiges Vertrauen des Dritten auf den gesetzten Rechtsschein: dieser muss im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der üblichen Sorgfalt überprüfen, ob der Schein der Wirklichkeit entspricht189 bzw. gutgläubig sein190. Hinsichtlich der dogmatischen Begründung der Rechtsfolgen der rappresentanza apparente werden verschiedene Ansätze vertreten: nach einer Ansicht soll eine tacita dichiarazione di volontà zugrunde liegen, da ein Rechtsschein („situazione di apparenza“) allein nicht eine Zurechnung des Vertreterhandelns bewirken könne.191 Soweit der Vertretene ein Verhalten an den Tag legt, das auf seinen Willen zur Vollmachtserteilung schließen lässt, ist demnach von einer konkludenten Bevollmächtigung auszugehen, wobei hierfür auch die bloße Duldung bzw. das Schweigen gegenüber dem Auftreten des Vertreters genügt.192 Eine andere Auffassung will nur eine Haftung des Vertretenen aus culpa in contrahendo nach Art. 1337 c. c. annehmen.193 Nach wieder anderer, 185
Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 150. Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1398 V. 1. 187 Luther, Kollisionsrechtliche Vollmachtsprobleme im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, in: RabelsZ 38 (1974), 421, 433 f. 188 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 291 f.; s. den Überblick m. w. N. bei Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1398 V. 1 und Marcatojo, Rappresentanza e diritto europeo, 2011, S. 239 f. 189 Cass. civ. 26.5.2004, Nr. 10133. 190 Cass. civ. 4.11.2014, Nr. 23448. 191 So Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 722; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2; grundlegend bereits Nicolò, La c. d. procura apparente, (Anm. zu Corte d’Appello di Milano, 27.12.1934), S. 359 ff. in: Nicolò, Raccolta di Scritti, Band 1, 1980. 192 Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 722; vgl. auch Rossi, M., Forma ad probationem e ratifica tacita, in: Obbligazioni e contratti 2008, 1013, 1018 f. ablehnend Marcatojo, Rappresentanza e diritto europeo, 2011, S. 244. 193 Benatti, Contratto concluso dal „falsus procurator“ e responsabilità del „dominus“ in Riv. dir. comm., 1959, II, 335, 343. 186 Cian/Trabucchi/Zaccaria,
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häufig auch von der Rechtsprechung vertretener Ansicht wird schließlich eine Rechtsscheinhaftung aufgrund des principio dell’apparenza del diritto befürwortet; der Rechtsschein tritt an die Stelle der fehlenden Bevollmächtigung.194 Während eine dichiarazione tacita der Umsetzung des Willens des schweigenden Vertretenen diene, werde bei der rappresentanza apparente unabhängig von einem entsprechenden Willen vor dem Hintergrund der Selbstverantwortlichkeit (autoresponsabilità) des Schweigenden zugunsten des gutgläubigen Dritten („terzo di buona fede“) den Umständen Geltung verliehen, die üblicherweise auf das Bestehen einer Vertretungsmacht hindeuten.195 Dabei wird beispielsweise eine Analogie zu den Vorschriften in Art. 534 Abs. 2 c. c. (Scheinerbe)196, Art. 1189 c. c. (Zahlung an den Scheingläubiger) und Art. 1835 Abs. 2 c.c, (Sparbuch mit Eintragungen durch einen Bankangestellten) gebildet197 oder auch eine Parallele zur società apparente gezogen, bei der ebenfalls anerkannt sei, dass die Scheingesellschafter gutgläubigen Dritten gegenüber verpflichtet werden198. Die Rechtsscheinhaftung desjenigen, der es unterlässt, den anderen über das Fehlen der Vertretungsmacht in Kenntnis zu setzen, weist nach der Konzeption der Rechtsprechung Nähe zur vorvertraglichen Haftung aufgrund einer Informationspflichtverletzung nach Art. 1338 c. c. auf.199 Patti will ebenfalls das principio di buona fede zur Begründung der Rechtsfolgen eines vollmachtlosen Vertreterhandelns heranziehen (dazu unten § 3 II. 6. d)).200 Dabei sei die rappresentanza tollerata jedoch von der rappresentanza apparente und der konkludenten, auf einem rechtsgeschäftlichen Willen basierenden Vollmachtserteilung ( procura tacita) entsprechend des sozialen Bedeutungsgehaltes des Verhaltens zu unterscheiden.201 Seiner Ansicht nach wird dem Dritten, je nachdem, ob eine rappresentanza tollerata oder rappre194 Cass. civ. 5.3.1958, Nr. 2716, in: Riv. dir. comm., 1959 II, 335, 336 (m. Anm. Benatti); Cass. civ. 13.7.1977, Nr. 3149 in: Giur. it. Mass 1977; vgl. auch Cass. civ. 19.1.1987, Nr. 423; eingehend, auch zu den Rechtsgrundlagen Moschella, Contributo alla teoria dell’apparenza giuridica, 1973, 185 ff.; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 290 ff.; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 115. 195 Moschella, Contributo alla teoria dell’apparenza giuridica, 1973, 188; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 292; Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1398 V. 1. 196 Zum italienischen Scheinerben umfassend Trittner, Redlichkeitsschutz im Erbrecht; Scheinerbe, Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis im deutsch-italienischen Rechtsvergleich, 2018. 197 Moschella, Contributo alla teoria dell’apparenza giuridica, 1973, 189 ff. 198 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 154 ff. 199 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 617 Fn. 28. 200 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 152; Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 710. 201 Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 710; Patti, Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 2; zustimmend Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 119.
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sentanza apparente vorliegt, auch eine unterschiedliche Form des Schutzes zuteil: nur bei ersterer erscheint es gerechtfertigt, die Wirkungen des vom falsus procurator geschlossenen Vertrages dem schweigenden Vertretenen aufgrund seiner tolleranza202 zur Last zu legen, während es bei der rappresentanza apparente an der hierfür erforderlichen Kenntnis fehlt.203 Während Dritte bei der rappresentanza apparente nämlich nur auf eine vom falsus procurator geschaffene Situation vertrauten, dürften sie bei der rappresentanza tollerata aufgrund des Verhaltens des Vertretenen, der bewusst das Auftreten des Vertreters dulde, auf das Bestehen der Vertretungsmacht vertrauen.204 Dabei wird auch das deutsche Recht als Stütze für diese Auffassung herangezogen.205 Auch andere plädieren teils für eine stärkere Unterscheidung von tolleranza und apparenza: bei Letzterer geht es um etwas, das nur scheinbar, in Wirklichkeit aber nicht besteht206, während es sich bei Ersterer um die reale Nichtausübung einer bestehenden Gestaltungsmöglichkeit handelt.207 Oft wird allerdings in der Literatur, ebenso wie in der Rechtsprechung208, in der rappresentanza tollerata nur eine Unterform der rappresentanza apparente gesehen.209 Nach einer Auffassung soll der Vertretene in beiden Fällen zur Vertragserfüllung verpflichtet sein210, während andere nur bei der rappresentanza tollerata aufgrund des schuldhaft herbeigeführten Rechtsscheins (apparenza colposa) eine Erfüllungshaftung annehmen211.
4. Schadensersatzpflichten infolge eines Schweigens Des Weiteren kann das Schweigen nach zahlreichen, hier nicht abschließend darstellbaren Vorschriften Ursache einer Schadensersatzverpflichtung sein: So hat ein Agent nach Art. 1747 c. c. dem Geschäftsherren unverzüglich anzuzeigen, wenn er nicht in der Lage ist, den ihm übertragenen Auftrag auszuführen; tut er dies nicht, so ist er zum Schadensersatz verpflichtet. Auch die Verletzung der Anzeigepflicht bei einer – grundsätzlich im italienischen Recht nach Art. 1327 Abs. 1 c. c. möglichen – Vertragsausführung ohne Antwort führt nach 202 Zur
tolleranza unten § 3 III. 3. c). Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 148; Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 710. 204 Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 710. 205 Vgl. hierzu § 4 II. 2. b) bb). 206 So Falzea, Apparenza, in: Enciclopedia del Diritto, Band 2, 1958, S. 685. 207 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 91. 208 Cass. civ. 2.3.2016 Nr. 4113. 209 Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 119; wohl auch Magri, in: Cendon, Trattario di diritto civile, Contratto in generale, 2016, S. 668; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 115. 210 Cass. civ. 2.3.2016 Nr. 4113; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 115. 211 Magri, in: Cendon, Trattario di diritto civile, Contratto in generale, 2016, S. 667 f. 203
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Art. 1327 Abs. 2 c. c. zu einem Schadensersatzanspruch des Anbietenden gegenüber dem Annehmenden. Hierin liegt eine an ein Schweigen anknüpfende Schadensersatzverpflichtung.212 Die Sanktion kann auch in einer Vertragsaufhebung bestehen: so ist gemäß Art. 1892 c. c. die Versicherung zur Vertragsaufhebung berechtigt, wenn der Versicherte Tatsachen hinsichtlich des Versicherungsrisikos nicht angegeben hat.213 Daneben kann das Schweigen im Sinne eines Verschweigens (reticenza) im italienischen Zivilrecht auch nach allgemeinen Vorschriften vorvertragliche und vertragliche Schadensersatzpflichten und Rechte zur Vertragsaufhebung nach sich ziehen.214 Die Corte di Cassazione unterscheidet insoweit klar zwischen dem Schweigen bzw. silenzio, das als manifestazione di volontà aufgefasst werden kann und die Folgen eines Rechtsgeschäfts nach sich zieht und dem Verschweigen bzw. der sog. reticenza als unerlaubter Handlung (comportamento illecito) und Ursache einer Schadensersatzpflicht (obbligo del risarcimento).215 So besteht im Falle des Verschweigens von Mängeln, die die Gültigkeit des Vertrages beeinträchtigen, nach Art. 1338 c. c. bei Vertragsverhandlungen eine Schadensersatzpflicht in Höhe des negativen Interesses. Auch ist ein Rückgriff auf die allgemeine Schadensersatzhaftung möglich, wenn es dem Betroffenen gelingt, neben dem Verschulden des Schweigenden nachzuweisen, dass das Schweigen Nachteile für ihn hatte.216 Daneben kann das Unterlassen der nach Treu und Glauben gebotenen Aufklärung über bestimmte Umstände einen Unterfall der arglistigen Täuschung (sog. dolo ommissivo) darstellen und daher nach Art. 1439 c. c. zur Anfechtung berechtigen.217 Freilich setzt das Vorliegen eines zur Anfechtung berechtigenden dolus malus nach einer jüngst in Einklang mit der Rechtsprechung der Cassazione ergangenen Entscheidung des Tribunale di Bergamo voraus, dass das Verschweigen in so arglistiger Art und Weise zum Zweck der Täuschung geschieht, dass eine durchschnittlich sorgfältige Person nicht damit rechnen muss, ihr also kein Vorwurf mangelnder Sorgfalt oder schuldhafter Unkenntnis zu machen ist: „Ricorre il dolus malus solo se, in relazione alle circostanze di fatto e personali del contraente, la reticenza sia accompagnata da malizie ed astuzie volte a realizzare l’inganno voluto ed idonee in concreto a sorprendere una persona di normale diligenza e sussista, 212
Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 36 Fn. 68. Alpa, Corso di diritto contrattuale, 2006, S. 28. 214 Vgl. dazu Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 207; sowie Alpa, Corso di diritto contrattuale, 2006, S. 27 f. 215 Cass. Regno 3.3.1933, in: Rep. Foro it. 1933 Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 57 f.; zustimmend Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146. 216 Alpa, Corso di diritto contrattuale, 2006, S. 28. 217 Cass. civ. 7.8.2002, Nr. 11896, in: Riv. dir. civ. 2004, II, 911, 911 m. Anm. De Poli; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 207. 213
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
quindi, in chi se ne proclami vittima, assenza di negligenza o di incolpevole ignoranza“.218 Sinn der Pflicht zur Aufklärung ist die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Vertragsparteien, das eine freie Entscheidung ermöglichen soll.219 Insbesondere bei Verbraucherverträgen kann eine Pflicht zum Sprechen (obbligo di parlare) in Gestalt von generellen Informationspflichten aufgrund der buona fede bzw. vor dem Hintergrund europäischer Richtlinien bestehen; dabei soll es sich sogar um positive Verhaltenspflichten des bzw. der Vertragspartner handeln und nicht um eine reine reticenza, also ein Verschweigen.220 Andererseits kann die Verletzung einer Schweigepflicht Schadensersatzpflichten und Sanktionen nach sich ziehen: so etwa die Verletzung des Bankgeheimnisses oder die Verletzung der Pflicht zur Verschwiegenheit über die Organisation und Produktionsweise einer Firma durch den Arbeitnehmer (Art. 2105 und 2106 c. c.).221 Die Abwägung zwischen Informationspflichten, deren Nichterfüllung Schadensersatzansprüche oder eine Anfechtbarkeit nach sich ziehen kann und der Obliegenheit, sich selbst zu informieren (onere di autoinformazione) sowie dem Recht zur Verschwiegenheit (diritto al riserbo) ist Gegenstand einzelfallbezogener Auseinandersetzung in Rechtsprechung und Lehre222, deren Behandlung den Rahmen der hier vorliegenden Arbeit übersteigen würde. Während das Schweigen als Grundlage von Schadensersatzpflichten schlicht ein pflichtwidriges Unterlassen darstellt, an das Sanktionen geknüpft sind, geht es bei den in dieser Arbeit vorrangig zu behandelnden Fällen gerade darum, dass das Schweigen an die Stelle einer sprachlichen Äußerung tritt und seine Bedeutung zu klären ist.223 Für die Rechtswissenschaft ist nämlich von besonderem Interesse, unter welchen Umständen das Schweigen nicht nur Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, sondern auch Grundlage einer vertraglichen Bindung sein kann.224
218 Tribunale di Bergamo, 7.2.2018 m. Anm. Fazio, in: I contratti 2019, 58, 60 m. w. N.; vgl. auch Cass. civ. 19.9.2006, Nr. 20260; Cass. civ. 23.6.2009, Nr. 14628. 219 Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 4. Auflage 2017/18, S. 1197. 220 Eingehend Senigaglia, Informazione contrattuale nella net economy e trasparenza nel mercato, in: Europa e diritto 2002, Heft 1, 229 ff., insbesondere 236 ff., 241 ff., 252 ff. 221 Hierzu La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 545. 222 Vgl. Galgano, Il negozio giuridico, in: Cicu/Messineo, Trattato del diritto civile e commerciale, 2. Auflage, S. 333 ff.; Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 4. Auflage 2017/18, S. 1197 ff.; eingehend Fazio, Dolo omissivo e doveri di informazione (Anm. zu Tribunale di Bergamo, 7.2.2018), in: I contratti 2019, 62. 223 Vgl. so auch La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 547. 224 Vgl. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 265 f.
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5. Beispiele für handelsrechtliche Besonderheiten Auch wenn im geltenden italienischen Privatrecht mittlerweile kein eigenes Handelsgesetzbuch mehr existiert – wobei freilich auch der Codice civile über handelsrechtliche Sonderregelungen etwa in Art. 2188 ff. verfügt –, ist anerkannt, dass die Eigenschaft der Parteien als Kaufleute leichter als im gewöhnlichen Rechtsverkehr dazu führen kann, dass ihrem Schweigen Erklärungsbedeutung zukommt.225 Viele der bereits oben erwähnten Urteile zum beredten Schweigen betreffen handelsrechtliche Sachverhalte226, wobei die italienische Rechtsprechung jedoch die Eigenschaft der Parteien als Unternehmer (imprenditore) oft nicht eigens hervorhebt.227 Die Ursache hierfür ist sicherlich auch in der bereits erwähnten Zusammenführung von Handelsrecht und Bürgerlichem Recht im Codice civile zu suchen, durch die es insbesondere im Bereich der Bedeutungswirkung eines Schweigens zu einer Ausrichtung des gesamten Zivilrechts an handelsrechtlichen Bedürfnissen – freilich mit Ausnahme von Verbraucherverträgen und ähnlichen, besonders schutzbedürftigen Vertragsverhältnissen228– kam.229 An dieser Stelle wird daher nur auf einige, in der italienischen Rechtswissenschaft als spezifisch handelsrechtliche Besonderheiten thematisierte Konstellationen eingegangen, die zudem in ähnlicher Weise im deutschen Recht (unten § 4 II. 4.) begegnen.
a) Lettera di conferma (Bestätigungsschreiben) aa) Bekanntheit des kaufmännischen Bestätigungsschreibens auch in Italien Deutsche Gerichte, die mit der Frage befasst waren, ob dem italienischen Recht eine Erklärungswirkung des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bekannt ist, verneinten dies wiederholt.230 Auch Stimmen in der deutschen Literatur schlossen sich unter Berufung auf die Urteile dieser Aussage an.231 Auffällig ist dabei jedoch, dass sich die Gerichte und auch die 225 Vgl.
Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 142. Beispiel seien hier nur die Urteile Cass. civ. 26.5.1965, Nr. 1054, in: Giur. it. 1966, I, 1, 614, 620 m. Anm. Genovese (den Verkauf von Orangensaftkonzentrat betreffender Rechtsstreit zwischen einer großen sizilianischen Firma, die Agrarprodukte verarbeitete und einem Importeur) und Corte d’Appello di Bologna, 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 (m. Anm. De Martini) genannt. 227 S. bereits Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1190. 228 Dazu unten § 3 II. 9. 229 Vgl. Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 230 u. 232; allgemein zu den Hintergründen der Zusammenführung Ferri, G., Il silenzio e le parole nella cultura del civilista, 2021, S. 510 ff. 230 So etwa OLG Karlsruhe 11.2.1993 – 4 U 61/92, in: RIW 1994, 1046, 1047; OLG Köln 16.3.1988 – 24 U 182/87, in: NJW 1988, 2182, 2183. 231 von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 9; Oetker/Pamp, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 364 226 Als
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Autoren immer wieder gegenseitig zitieren, in den Entscheidungsgründen jedoch Ausführungen zum italienischen Recht bzw. einem eingeholten Rechtsgutachten oder gar ein Heranziehen italienischer Rechtsprechung und Literatur gänzlich vermissen lassen: So verweist das OLG Karlsruhe232 für die Tatsache, dass das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben im italienischen Recht keine rechtliche Bedeutung habe, nur knapp auf ein Urteil des OLG Köln233, welches diese Aussage wiederum mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs234 belegt, der jedoch auch bei intensiver Lektüre überhaupt keine Ausführungen zur Bedeutung des Schweigens oder gar kaufmännischen Bestätigungsschreibens im italienischen Recht zu entnehmen sind. Die einzige Bezugnahme auf das italienische Recht besteht in der knappen Erwähnung, dass das vorinstanzliche Gericht davon ausgegangen sei, dass lästige Klauseln in Italien der schriftlichen Bestätigung bedürften.235 Ein Überblick über die tatsächliche Rechtslage in Italien scheint schon wegen dieser unbefriedigenden Quellenlage lohnenswert. Soweit die Aussage vom OLG Köln des Weiteren mit einem Aufsatz von Ebenroth untermauert wird, ist zu entgegnen, dass dieser Autor zu einem wesentlich differenzierteren Ergebnis kommt, nämlich, dass das kaufmännische Bestätigungsschreiben im italienischen Recht trotz der Gebräuchlichkeit seiner Verwendung von Rechtsprechung und Literatur bislang (Stand 1978) kaum behandelt werde und dass zweitens auch im italienischen Recht dem Schweigen unter bestimmten Umständen – wohl auch im Falle des Bestehens eines entsprechenden Handelsbrauchs – sehr wohl Erklärungswert zukommen könne.236 Sein Resümee, dass insgesamt nicht gesagt werden könne, das Bestätigungsschreiben habe im italienischen Recht Anerkennung gefunden, dürfte neben der wichtigen Rolle des Art. 1341 c. c. bei der Verhinderung nachträglich eingeführter Vertragsklauseln im italienischen Recht237 vor allem dem Fehlen einer gesicherten Rechtsprechung zu der Thematik geschuldet sein.238 Auch der von ihm zitierte Report on Italian Law von Gorla (1968) äußert sich nur sehr vorsichtig, keinesfalls aber kategorisch ablehnend wie die oben zitierten deutschen Gerichte: „Although letters of confirmation are not infrequent HGB Rn. 66; Rothermel/Dahmen, Schweigen ist Silber, in: RIW 2018, 179, 182; Sandrock/ Beckmann/Sandrock, Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung, Band 1, 1980, S. 309. 232 OLG Karlsruhe 11.2.1993 – 4 U 61/92, in: RIW 1994, 1046, 1047. 233 OLG Köln 16.3.1988 – 24 U 182/87, in: NJW 1988, 2182. 234 BGH 13.7.1973 – I ZR 72/72, in: NJW 1973, 2154. 235 BGH 13.7.1973 – I ZR 72/72, in: NJW 1973, 2154, 2154. 236 Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 171 f. 237 Dazu Mathys, Bestätigungsschreiben und Erklärungsfiktionen, 1997, S. 43. 238 Vgl. Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 172: „Da […] authentische Stellungnahmen nicht vorliegen, läßt sich die vom italienischen Recht bereitgestellte Lösung nur mit aller Vorsicht erschließen.“
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among merchants, it seems that there is no direct authority in Italian law on the question whether silence on the part of the recipient of such a letter amounts to acceptance. Therefore, this reporter can only guess as to how our courts would react […].“239 Dass das kaufmännische Bestätigungsschreiben dem italienischen Recht unbekannt sei, stimmt zunächst schon vor dem historischen Hintergrund, dass Erklärungswirkungen des Schweigens gerade unter Kaufleuten im mittelalterlichen Italien verbreitet waren (oben § 2 III. 1. a)) nachdenklich. In der Tat ist auch dem geltenden italienischen Recht seit langem bekannt, dass es in der Handelspraxis angesichts des Bedürfnisses nach Sicherheit und Schnelligkeit zwischen Kaufleuten ganz üblich ist, zuvor mündlich geschlossene Verträge schriftlich durch eine sog. lettera di conferma zu bestätigen, wie zahlreiche Fundstellen in der Literatur belegen240; dies wurde von der italienischen Rechtswissenschaft bis zu einer vielbeachteten Monographie von Addis jedoch kaum tiefergehend untersucht.241 Anerkannt ist zudem, dass es sich um eine handelsrechtliche Besonderheit handelt.242 Die italienische Rechtsprechung hatte sich zunächst im internationalen Zivilprozessrecht mit den Wirkungen eines Schweigens gegenüber Gerichtsstandsklauseln in einer lettera di conferma auseinanderzusetzen und bejahte dessen zustimmende Wirkung im Rahmen von Art. 17 Abs. 1 lit. c) EuGVÜ (nun Art. 25 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO).243 Sie übertrug die Grundsätze aus dem europäischen Zivilprozessrecht aber auch auf die nationale Regelung zu Gerichtsstandsvereinbarungen in Art. 4 Abs. 2 l. 218/1995 und urteilte in einem den internationalen Seehandel betreffenden Fall, dass entgegen des Normwortlautes, der ausdrücklich eine Schriftlichkeit der Vereinbarung fordert, eine widerspruchslose Entgegennahme des Ladescheins, der die Klausel enthielt, aufgrund eines entsprechenden internationalen Handelsbrauchs genügte.244 Trotz des international-zivilprozessrechtlichen Kontextes der Urteile zeigt sich damit, 239 Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1186. 240 S. etwa Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. XI f. und S. 18 f. m. w. N.; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 72 ff.; Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 409; Redenti, Dei contratti nella pratica commerciale, I, Dei contratti in generale, 1931, S. 178; sowie Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), Art. 1326, S. 307; vgl. auch Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1186 („not infrequent“). 241 Benedetti, G. in: Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, VII; Sacco/De Nova/ Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 237 f. 242 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 237 („contratti tra operatori professionali“). 243 Etwa Cass. civ. 26.4.1995, Nr. 4625; Trib. Ravenna, 30.4.1999. 244 Cass. civ. 17.1.2005 Nr. 731, in: Giur. It., 2006, 2, 267, sowie die Anmerkung hierzu von Errico, L’interpretazione evolutiva dell’art. 4, 2° comma, della legge n. 218 del 1995: la
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dass in der italienischen obergerichtlichen Rechtsprechung durchaus Sensibilität für die Wirkungen eines Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben oder ähnlichen Schriftstücken und eine Bereitschaft, ihm gegebenenfalls zustimmende Wirkung beizumessen, vorhanden ist. Dies bestätigen auch weitere, im Folgenden noch näher zu behandelnden Entscheidungen zum materiellen Zivilrecht.245
bb) Materiellrechtliche Rechtswirkungen Grundsätzlich dient eine lettera di conferma nach italienischem Verständnis der einseitigen bloßen Wiedergabe des Inhaltes eines nach Auffassung der bestätigenden Partei bereits mündlich geschlossenen Vertrags.246 Erst, wenn der wiedergegebene Inhalt vom tatsächlich Vereinbarten abweicht oder im Vorfeld gar kein Vertrag zustande kam und kein Widerspruch seitens des Empfängers erfolgt, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung eines Schweigens des Empfängers des Bestätigungsschreibens.247 Dabei ist nicht nur umstritten, welche Rechtswirkungen das Schweigen auf ein solches Bestätigungsschreiben hin zeitigt, sondern auch, wie diese zu erklären sind.248 Freilich sind die Beiträge von italienischer Rechtsprechung und Literatur zum Thema dabei trotz der Verbreitung in der Praxis und der mit ihm einhergehenden Schwierigkeiten überschaubar geblieben.249 Umstritten ist zunächst, ob ein Schweigen gegenüber einer lettera di conferma überhaupt materiellrechtliche Wirkungen nach sich ziehen kann. Nach einer Auffassung soll das Schweigen gegenüber einem Bestätigungsschreiben nämlich kein neues Rechtsgeschäft begründen und kein bereits geschlossenes abändern können, sondern allein für das Beweisrecht von Bedeutung sein.250 rilevanza degli usi del commercio internazionale (Anm. zu Cass. civ. 17.1.2005 Nr. 731), in: Giur. It., 2006, 2, 269. 245 Trib. di Roma, 16.12.1995, in: Giust. civ. 1996, I. 861 m. Anm. Chinè; Trib. Verona, 13.10.1981, in: Giur. merito, 1982, 840, 841; Cass. civ. 21.4.1979 Nr. 2235, in: Giur. it. 1980 I, 1, 113, 116. 246 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 121 u. 130. 247 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 122 ff.; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 77 ff.; Sacco/De Nova/ Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 238. 248 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 301 und 237 ff. 249 Addis, La conferma per iscritto della proroga verbale di competenza (art. 17 della Convenzione di Bruxelles), in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 831, 840 f.; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 76 („[…] scarsamente approfondita […]“). 250 Hierfür Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 238; vorsichtiger der von ihm zitierte Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1187; für eine nur beweisrechtliche Wirkung auch Redenti, Dei contratti nella pratica commerciale, I, Dei contratti in generale, 1931, S. 178, wonach die Einigung immer mündlich zuvor erfolge.
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Angesichts der spärlichen Quellenlage ist eine Aussage über das Vorherrschen einer Auffassung zwar nur schwer zu treffen, überwiegen dürfte jedoch die Ansicht, wonach das Bestätigungsschreiben in Verbindung mit einem Schweigen des Empfängers durchaus den Vertragsinhalt in Abweichung vom zuvor Vereinbarten materiellrechtlich verbindlich festlegen kann.251 Dies soll der Fall sein, wenn die Betroffenen einem bestimmten Verkehrskreis angehören252 oder wenn nach allgemeinen Regeln das Schweigen Erklärungsgehalt aufweist, etwa weil ein entsprechender Handelsbrauch besteht oder die schriftliche Bestätigung des zuvor mündlich Vereinbarten zwischen den Parteien in früheren Geschäftsbeziehungen üblich war253. Teilweise wird diese Wirkung des Schweigens unter Bezugnahme auf das internationale Handelrecht sogar recht selbstverständlich vorausgesetzt.254 So verweist Gallo für die infolge eines Schweigens gegenüber einer lettera di conferma eintretende Vertragsänderung schlicht auf die Regelungen in Art. 2.1.12 UNIDROIT-Principles und Art. 2.210 der Principles of European Contract Law (im Weiteren: PECL; dazu noch unten § 6 I. 1.).255 Auch einige Entscheidungen in der Rechtsprechung sprechen sich für eine Verpflichtungswirkung des fehlenden Widerspruchs aus: Das Tribunale di Verona hat beispielsweise schon im Jahr 1981 entschieden, dass eine sog. conferma d’ordine (wörtlich: Auftragsbestätigung), die vom ursprünglich geschlossenen Vertrag abweicht, wenn sie angenommen oder auch nur nicht bestritten wird, einen neuen vertraglichen Willen darstellt, der den zuvor geschlossenen Vertrag nach Art. 1326 c. c. zunichte macht.256 In einer Entscheidung des Tribunale di Roma vom 16. Dezember 1995 wurde die Begründung von Verpflichtungen infolge der lettera di conferma einer Bank bejaht.257 Derartige Schreiben von Banken, welche die Vereinbarungen eines Vertrags wiedergeben, an dessen Durchführung die Zahlung geknüpft ist, erbringen den Beweis über die Exis251 Vgl. etwa Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 144 f.; Chinè, Anm. Zu Trib. Roma, 16 Dezember 1995, in: Giust. civ., 1996, I, 865, 866 („fonte di una obbligazione“); Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 78. 252 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 144 f. 253 Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 78; wohl aber nur für eine Beweislastumkehr Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1186; ihm folgend Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 172. 254 So etwa von Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 307; wohl auch Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 418 f. 255 Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 633. 256 Trib. Verona, 13. Oktober 1981, in: Giur. merito, 1982, 840, 841. 257 Trib. Roma, 16 Dezember 1995, in: Giust. civ., 1996, I, 861 m. Anm. Chinè.
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tenz des jeweiligen Vertragsinhalts.258 Aufgrund ihrer Regelung in den Uniform Customs and Practice for Documentary Credits der ICC stellen die Grundsätze über Bestätigungsschreiben im Bereich des Bankrechts nach gefestigter Rechtsprechung sogar sogenannte clausole d’uso im Sinne von Art. 1340 c. c. dar.259 Sie sind also handelsrechtlich übliche Bedingungen, die, auch wenn ihnen keine Gesetzeskraft zukommt, den rechtsgeschäftlichen Willen ergänzen. Auch die Corte di Cassazione hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1979 eine bindende Wirkung eines der Ware beigefügten Lieferscheins („buono di consegna“) hinsichtlich des dort wiedergegebenen Vertragsinhalts nicht generell ausgeschlossen, sondern im konkreten Fall aufgrund des sofortigen Widerspruches des Empfängers abgelehnt.260 Fraglich ist freilich, wie umfangreich die Rechtswirkungen sind: während einige der eben genannten Quellen recht weit zu gehen scheinen oder sich nicht zu den Grenzen der Verpflichtungswirkung eines Schweigens äußern261, wird dem Bestätigungsschreiben von anderen nur eine deklaratorische oder allenfalls unwesentlich abändernde Funktion zuerkannt262.
cc) Dogmatische Grundlage Soweit materielle Rechtswirkungen eines Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben im italienischen Recht anerkannt sind, ist umstritten, worauf sich diese gründen: Das italienische Recht enthält, ebenso wie das deutsche Recht (dazu unten § 4 II. 4. c)) und anders als z. B. die UNIDROIT-Regelungen (dazu unten § 6 I. 1.) keine explizite Regelung zum Bestätigungsschreiben. Ein Abstellen auf Art. 1333 Abs. 2 c. c. ist schon deshalb nicht möglich, weil das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben in aller Regel gerade Verpflichtungen für den Untätigen nach sich zieht. Die Corte di Cassazione lehnt im Übrigen selbst dann die Anwendung von Art. 1333 Abs. 2 c. c. auf das Angebot zur Änderung eines zweiseitigen Vertrags ab, wenn das Angebot ausschließlich Verpflichtungen für den Anbietenden mit sich bringt, da zur Wahrung der ratio der Norm zu berücksichtigen sei, dass der ursprüngliche Vertrag Verpflichtungen für beide Parteien aufweise.263 Ebensowenig besteht im italienischen Recht, wie eben gesehen, eine gefestigte gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben wie etwa in Deutschland. Das Problem des Schweigens gegenüber einer lettera di conferma ist damit im 258 Molle, I contratti bancari, in: Cicu/Messineo, Trattato di diritto civile e commerciale, Band 35, 1. Teil, 4. Auflage 1981, S. 600 f. 259 Chinè, Anm. zu Trib. Roma, 16.12.1995, in: Giust. civ., 1996, I, 865, 866. 260 Cass. civ. 21.4.1979 Nr. 2235, in: Giur. it. 1980 I, 1, 113, 116. 261 Dies kritisiert Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 238. 262 So von Addis, La conferma per iscritto della proroga verbale di competenza (art. 17 della Convenzione di Bruxelles), in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 831, 853. 263 Cass. civ. 3.10.2016, Nr. 19707, S. 3 f. m. w. N.
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Bereich des silenzio circostanziato bzw. allgemeiner Grundsätze zum Schweigen zu verorten und erlangt zudem im Beweisrecht Bedeutung.264 Nach Auffassung von Betti kann das Schweigen gegenüber einer fehlerhaften Wiedergabe des Vertragsinhalts rechtsgeschäftlich erklärt werden und unterliegt daher auch den Regeln über Rechtsgeschäfte wie den Vorschriften über Willensmängel: der Schweigende muss den Inhalt des Schreibens kennen und die fehlenden Übereinstimmung mit den vorausgehenden Verhandlungen geltend machen, da sonst der Absender auf die Richtigkeit vertrauen darf.265 Geschäftsbräuche und Umstände verleihen dem Schweigen gegenüber einer lettera di conferma ihren konkludenten Erklärungsgehalt.266 Vorgeschlagen wird teils, dass in einem Bestätigungsschreiben veränderte Nebenbedingungen des Vertrags (condizioni accessorie) bei Bestehen entsprechender Gewohnheiten und Bräuche auch durch ein Schweigen angenommen werden können, während so wesentliche Ergänzungen des ursprünglichen Vertrags, dass dieser nur noch als eine Art Grundsatzvereinbarung (accordo di massima) erscheint, als neues Angebot einer expliziten Annahme bedürfen.267 Diese Lösung wird für einen noch nicht abgeschlossenen Vertrag oder bei Unsicherheit über den Abschluss befürwortet. Soweit die Parteien über den bereits erfolgten Vertragsschluss einig sind, soll ohnehin das zuletzt in der lettera di conferma Festgehaltene gelten, auch wenn dies eine Abweichung zum ursprünglich Vereinbarten darstellt.268 Andere stehen der Rolle eines Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben kritischer gegenüber: So erarbeitet Addis in seinem Werk Grundsätze zum Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, die er explizit auch auf die nationalen Rechtsordnungen übertragen will.269 Dabei untersucht er nicht nur die – zumindest bis zu diesem Zeitpunkt kaum vorhandenen – Lösungsansätze der italienischen Rechtswissenschaft zur Problematik, sondern neben dem französischen Recht insbesondere auch die Argumentationslinien im deutschen Recht (vgl. unten § 4 II. 4. c)). Seiner Auffassung nach können das Bestätigungsschreiben und das darauffolgende Schweigen nicht als Wil264 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 237 f.; ebenso Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007 S. 75 ff.; vgl. auch Errico, L’interpretazione evolutiva dell’art. 4, 2° comma, della legge n. 218 del 1995: la rilevanza degli usi del commercio internazionale (Anm. zu Cass. civ. 17.1.2005, Nr. 731), in: Giur. It., 2006, 2, 269, 272 Fn. 15. 265 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 144 f. 266 Errico, L’interpretazione evolutiva dell’art. 4, 2° comma, della legge n. 218 del 1995: la rilevanza degli usi del commercio internazionale (Anm. zu Cass. civ. 17.1.2005, Nr. 731), in: Giur. It., 2006, 2, 269, 272 Fn. 15. 267 Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007 S. 78. 268 Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007 S. 77. 269 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 272.
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lenserklärungen von Angebot und Annahme erklärt werden; das abweichende Bestätigungsschreiben stelle kein Angebot auf Abschluss eines Abänderungsvertrages dar270. Addis spricht stattdessen von einer „reiterazione del precetto“, also einer Wiederholung des zuvor geschlossenen Vertrages: Das Bestätigungsschreiben und das darauffolgende Schweigen sollen Teil eines selbständigen besonderen Wiedergabeverfahrens („autonomo e peculiare procedimento riproduttivo“) sein.271 Das Schreiben gibt dabei einseitig den Willen beider Vertragsparteien wieder und erfordert die Zustimmung („adesione“) des anderen Teils, wobei dessen Schweigen aufgrund entsprechender Vereinbarung oder anderen Umständen eine solche Zustimmung zur Wiedergabe sein kann.272 Diese funzione riproduttiva vermag freilich nur die Wirkungen von einem deklaratorischen (conferma dichiarativa) und allenfalls dem nicht wesentlich abändernden Bestätigungsschreiben (conferma modificativa) zu erklären, weshalb Addis auch einem konstitutiven Bestätigungsschreiben (dichiarazione costitutiva), bei dem es an einem zuvor geschlossenen Vertrag mangelt, der bestätigt werden könnte, ablehnend gegenübersteht.273 Insgesamt wird das Schweigen gegenüber einem – freilich nur deklaratorischen oder den Vertrag leicht abändernden – Bestätigungsschreiben von ihm letztlich aber dennoch rechtsgeschäftlich verortet, mit der Folge, dass auch die Vorschriften über Rechtsgeschäfte auf dieses Anwendung finden.274
dd) Beweisrechtliche Rechtswirkungen Bemerkenswert ist, dass unabhängig vom umstrittenen und teilweise auch abgelehnten materiellen Bedeutungsgehalt des Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben die prozessuale Beweisfunktion der lettera di conferma in der italienischen Rechtswissenschaft, soweit ersichtlich, ganz überwiegend anerkannt ist.275 In der Literatur finden sich vor allem allgemeine Ausführungen zu den beweisrechtlichen Wirkungen der Wiedergabe eines bereits geschlossenen Vertrags (riproduzione del contratto bzw. sog. contratto riproduttivo), bei dem, wenn die schriftliche Wiedergabe und der eigentlich geschlossene Vertrag von270
Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 223 ff. u. 226 ff. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 222 f. 272 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 222 f. 273 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 232 ff.; vgl. auch S. 48 zur Kritik von F. Bydlinski am kaufmännischen Bestätigungsschreiben (s. unten § 4 II. 4. c)). 274 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 291 ff. 275 Etwa Memmo, Il consenso contrattuale, 2007, S. 75, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47; Redenti, Dei contratti nella pratica commerciale, I, Dei contratti in generale, 1931, S. 178; Rubino, La compravendita, 2. Auflage 1962, S. 276, in: Cicu/Messineo, Trattato di diritto civile e commerciale, Band 23; vgl. zum Beweiswert Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 237 f; krit. hingegen Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 175 ff. 271
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einander abweichen, das zuletzt zum Ausdruck Gekommene gelten soll.276 Diese werden teils auf die lettera di conferma übertragen: Messineo will beispielsweise das kaufmännische Bestätigungsschreiben als Erneuerung (rinnovazione) des zuvor geschlossenen Vertrags verstehen, welche nicht konstitutiv ist, sondern allein Beweiszwecken dient.277 Das Dokument soll als Wiederholung (ripetizione) oder Wiedergabe (riproduzione) des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags der Vermeidung künftiger Streitigkeiten dienen und Beweis über den Vertragsinhalt erbringen.278 Dabei können durch die Wiedergabe eines zuvor geschlossenen Vertrags neben beweisrechtlichen Zwecken nach dem konkreten Parteiwillen279 auch weitergehende Ziele der Rechtssicherheit verfolgt werden: So kann gewollt sein, dass das Bestätigte gilt, weil man davon ausgeht, dass es der Wirklichkeit entspricht (sog. dichiarazione ricognitiva) oder aber auch, dass es unabhängig von der Realität gilt (sog. negozio di accertamento); ferner kann durch die Wiedergabe eine Veränderung des Vereinbarten gewollt sein oder gar dessen Ersetzung (renovatio contractus).280 Die Wiedergabe eines bereits geschlossenen Vertrags zeitigt also teils weitreichende Rechtsfolgen. Letztlich rückt damit das Schweigen auf eine solche Vertragswiedergabe hin sogar wieder in die Nähe einer Willenserklärung.281 Die genaue Reichweite der Beweiswirkung des Schweigens ist umstritten: Addis will in ihm nur eine unter bestimmten Voraussetzungen eingreifende Vermutung ( presunzione semplice) nach dem Grundsatz id quod plerumque accidit sehen, stimmt damit aber doch einer gewissen beweisrechtlichen Erheblichkeit des Schweigens gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben zu.282 Von Gorla wurde vorgeschlagen, dass das Schweigen gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben, wenn die begleitenden Umstände nicht stark genug sind, ihm wegen der Verletzung einer Widerspruchsobliegenheit eine Konkludenz im Sinne eines silenzio circostanziato zu verleihen, eine Beweislastverschiebung hinsichtlich des Inhalts des Schreibens zulasten des Schweigenden nach sich zieht.283 Das Schweigen gegenüber einer lettera 276 Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 409; differenzierend Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 239 ff. 277 Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 409. 278 Memmo, Il consenso contrattuale, 2007, S. 75, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47. 279 Dies hebt Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 241 f. hervor. 280 Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 463 f.; vgl. dazu auch Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 4. Auflage 2017/18, S. 1291 f. 281 So Rubino, La compravendita, 2. Auflage 1962, S. 276, in: Cicu/Messineo, Trattato di diritto civile e commerciale, Band 23; vgl. dazu krit. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 192 f. 282 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 299. 283 Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1187.
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di conferma soll seiner Ansicht nach mangels einer Erklärung zwar kein Geständnis (confessione), zumindest aber eine ammissione, also ein Eingeständnis im Sinne einer Beweislastumkehr (inversione dell’onere di prova) darstellen.284 Häufig wird die conferma sogar als grundsätzlich unwiderrufliches außergerichtliches Geständnis (confessione stragiudiziale, Art. 2732 c. c.) bezeichnet, welche gegen den Bestätigenden nach Art. 2733 c. c. vollen Beweis erbringt.285 Grundsätzlich gilt damit im italienischen Recht, dass das Schweigen gegenüber einem Bestätigungsschreiben in beweisrechtlicher Hinsicht den Schluss auf die Richtigkeit der Wiedergabe eines bereits geschlossenen Vertrags zulässt; dem Schweigenden obliegt es im Streitfall, etwas Anderes zu beweisen.
b) Weitere handelsrechtliche Fälle des Schweigens Über die lettera di conferma hinaus kann das Schweigen auch in weiteren handelsrechtlichen Konstellationen Bedeutung gewinnen. So kann ein in einem Geschäftsbereich üblicher Brauch (un uso invalso nel settore considerato) anerkanntermaßen dazu führen, dass das Schweigen der anderen Vertragspartei als Zustimmung gilt.286 Betti spricht sich, insoweit wohl über die herrschende Auffassung hinausgehend, für eine objektive und willensunabhängige Bewertung des Schweigens aufgrund bestimmter Umstände aus, wie etwa der Vertrautheit von beteiligten Kaufleuten mit entsprechenden Geschäften.287 Andere wollen in den Geschäftspraktiken einer bestimmten Kategorie von Vertragsschließenden zumindest Faktoren sehen, die für die Auslegung eines Verhaltens heranzuziehen sind.288 Erwähnenswert sind an dieser Stelle wegen der Nähe zur lettera di conferma das Schweigen gegenüber einer Rechnung (fattura) und einer Auftragsbestätigung (conferma d’ordine).
aa) Fattura (Rechnung) Ganz anders als das eben behandelte kaufmännische Bestätigungsschreiben wurde die Problematik des Schweigens gegenüber Rechnungen (fatture) in der 284 Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1187; zustimmend Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 238; ablehnend Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 294 ff. 285 Memmo, Il consenso contrattuale, 2007, S. 75, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47; Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 409; Redenti, Dei contratti nella pratica commerciale, I, Dei contratti in generale, 1931, S. 178. 286 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 244. 287 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 142; dazu Grondona, Il silenzio nella conclusione del contratto, in: Cendon, I contratti in generale, Band 3, 2000, S. 123. 288 Mirabelli, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band IV/2, 1958, S. 91.
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italienischen Literatur lebhaft diskutiert.289 Die fattura dient zwar vorrangig als Wissenserklärung (dichiarazione di scienza) der bloßen Beschreibung der gelieferten Ware oder erbrachten Dienstleistung, kann aber auch indirekt Beweiszwecke erfüllen. Insbesondere dient sie als Beweis gegen den Verkäufer290 – und kann sogar als Willenserklärung (dichiarazione di volontà) zu einer Abänderung des Vertrags führen.291 Die Übergänge von Wissens- und Willenserklärung sind nicht am Wortlaut der fattura festzumachen, vielmehr ist einzelfallabhängig anhand der Umstände zu entscheiden.292 So ist im italienischen Recht anerkannt, dass in der widerspruchslosen Hinnahme von Rechnungen, die Klauseln enthalten, welche den ursprünglich geschlossenen Vertrag abändern, dann eine Annahme der Veränderungen liegen kann, wenn die Bräuche, denen die Parteien unterliegen, eine solche Auslegung des Verhaltens vorsehen.293 Diese clausole accessorie inserite nella fattura waren im kaufmännischen Bereich bereits vor Geltung des aktuellen Codice civile bekannt, wobei ein Schweigen hierauf vorbehaltlich einer missbräuchlichen Verwendung der Klauseln als konkludente Zustimmung (accettazione tacita) gewertet werden konnte.294 Auch wenn der Empfänger nicht positiv von ihnen Kenntnis genommen hatte, sollten sie Vertragsbestandteil werden, wenn sie der üblichen Geschäftspraxis entsprachen.295 Auch nach Geltung des Codice civile wurde zunächst sogar angenommen, dass ein Widerspruch gegen eine in der fattura eingefügte zusätzliche Klausel unzulässig sei, soweit es sich um handelsrechtlich übliche Details oder Details von dem Käufer bekannten, allgemeinen Lieferbedingungen handle.296 Mittlerweile sind Rechtsprechung und Literatur freilich zurückhaltender geworden und unterstellen dem schweigenden kaufmännischen Empfänger einer fattura nicht mehr pauschal eine Zustimmung zu den ursprünglich nicht vorgesehenen Klauseln.297 Dennoch kann eine solche zumindest dann angenommen werden, 289 Vgl. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 242 f. und Siniscalchi, Inizio di esecuzione e silenzio. Spunti in tema di modificazione del rapporto contrattuale, in: Rass. dir. civ. 1994, 526, 539 f. Fn. 32 jeweils mit zahlreichen Nachweisen; gesetzliche Regelungen zu den fatture finden sich etwa in Art. 2214 Abs. 2 und Art. 2711 Abs. 2 c. c. 290 Cass. civ. 12.2.1982, Nr. 865, in: Giust. civ. Mass. 1981 fasc. 2: gegen den Käufer gilt sie erst ab dessen (ggf. konkludenter) Zustimmung als Beweis. 291 Vgl. Panuccio, Fattura, in: Enciclopedia del diritto, Band 16, 1967, S. 1022; Galgano, Il negozio giuridico, in: Cicu/Messineo, Trattato del diritto civile e commerciale, 2. Auflage 2002, S. 78. 292 Venturelli, Mero invio di merce non ordinata, in: Obbligazioni e contratti, 2009, 131, 135. 293 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 143. 294 Redenti, Dei contratti nella pratica commerciale, I, Dei contratti in generale, 1931, S. 179 f. 295 Redenti, Dei contratti nella pratica commerciale, I, Dei contratti in generale, 1931, S. 238. 296 Panuccio, Fattura, in: Enciclopedia del diritto, Band 16, 1967, S. 1026. 297 Dazu Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 662 f.; Panuccio, Fattura, in: Enciclopedia del diritto, Band 16, 1967, S. 1032.
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wenn im Einzelfall ein hinreichend konkludentes Verhalten bzw. Schweigen vorliegt: so kann nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione im Schweigen des Auftragsgebers gegenüber in Rechnungen und Mahnungen enthaltenen, veränderten Preisen oder Leistungen unter Fortführung der Geschäftsbeziehung eine konkludente Zustimmung liegen.298 Auch die Literatur wertet das Verhalten des Empfängers als zustimmende Willenserklärung, wenn er trotz der Obliegenheit, auf die Abweichung (etwa hinsichtlich der Beschaffenheit und Menge der Ware) zwischen der fattura und dem geschlossenen Vertrag hinzuweisen, schweigt und damit ein silenzio circostanziato vorliegt.299 Selbst diejenigen, die rechtliche Wirkungen einer fattura, welche falsche Angaben enthält, ablehnen, erkennen an, dass ein Schweigen ihr gegenüber zu einer Beweislastumkehr führt.300 Trotz des gleichen Inhalts, nämlich der Wiederholung eines bereits geschlossenen Vertrags ist die Funktion von Rechnung und Bestätigung jedoch eine andere, weshalb im Regelfall bei der Entgegennahme einer Rechnung, die einen bereits durchgeführten Vertrag schildert, eine weniger aufmerksame Lektüre als beim Empfang eines Bestätigungsschreibens, welches das vertragliche Pflichtenprogramm enthält, zu erwarten ist.301 Die zur fattura entwickelten Grundsätze sind daher auch nur bedingt auf ein Schweigen gegenüber einer lettera di conferma übertragbar, dürften aber vielfach einen „Erst-recht-Schluss“ rechtfertigen: wenn schon das Schweigen auf eine fattura als Zustimmung gewertet werden kann, dann erst recht die Untätigkeit gegenüber einer lettera di conferma. Ausschlaggebend ist zudem der konkrete Einzelfall, sodass teilweise die lettera di conferma und die fattura in der italienischen Literatur und Rechtsprechung gleichbehandelt werden.302
bb) Conferma d’ordine (Auftragsbestätigung) Die Bezeichnung als conferma d’ordine (wörtlich Auftragsbestätigung) ist mehrdeutig: in der Regel erschöpft sich ein solches Schreiben in der schlichten schriftlichen Wiederholung einer bereits erfolgten Annahme, es kann aber auch die eigentliche Annahme selbst darstellen.303 Der Übergang von der lettera di 298 Cass. civ. 12.4.1977, Nr. 1367, in: Mass. Foro it. 1977, 286; weitere Nachweise finden sich bei Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 663 Fn. 126. 299 Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 407; vgl. auch Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 191 f. 300 Panuccio, Fattura, in: Enciclopedia del diritto, Band 16, 1967, S. 1032. 301 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 246 ff. u. S. 251 m. w. N. 302 Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1188; zustimmend Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 246 ff. u. S. 249. 303 Addis, La conferma per iscritto della proroga verbale di competenza (art. 17 della Convenzione di Bruxelles), in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 831, 845; Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 117 ff.
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conferma zur conferma d’ordine ist bisweilen schillernd.304 Dem Rechtsanwender obliegt es dabei, die Phänomene im konkreten Einzelfall nach ihrem Inhalt und unabhängig von ihrer Bezeichnung voneinander zu unterscheiden.305 Angesichts der schwierigen Abgrenzung wird teilweise aber auch für eine einheitliche Behandlung von conferma d’ordine und lettera di conferma plädiert.306 Unabhängig von ihrer Bezeichnung als bloßer Auftragsbestätigung kann eine conferma d’ordine jedenfalls im Einzelfall vertragliche Pflichten begründen.307 Hinsichtlich einer in einer conferma d’ordine enthaltenen Schiedsvereinbarung (accordo compromissorio) eines Schiedsrichters hat die Corte di Cassazione entschieden, dass im fehlenden Widerspruch der Parteien ihre Zustimmung zum Ausdruck komme.308 Auch hier stellt sich freilich wieder die bereits von der lettera di conferma her bekannte Frage, ob dies im Falle unwesentlicher Abweichungen im Sinne einer bloßen Beweislastumkehr zu Lasten des Schweigenden oder sogar einer zustimmenden Willenserklärung zu verstehen ist.309
6. Schweigen als dichiarazione di volontà (Willenserklärung)? Fraglich ist, wie diese eben beschriebenen und unbestritten anerkannten Rechtswirkungen eines Schweigens im italienischen Recht dogmatisch erklärt werden. Nach vor allem früher verbreiteter Ansicht wurde dem Schweigen im italienischen Privatrecht generell die Qualität einer Willenserklärung abgesprochen, da es ohne rechtliche Bedeutung und Wert sei (dazu sogleich).310 Teilweise wird auch heute noch zumindest für einen Teilbereich eine Einordnung des Schweigens als Willenserklärung abgelehnt, was die Frage nach der Erklärung seiner Rechtsfolgen aufwirft (dazu sogleich § 3 II. 6.). Nach überwiegender und mittlerweile fast einhelliger Auffassung ist das Schweigen wie jedes andere menschliche Verhalten hingegen geeignet, freilich 304 305
Vgl. Cass. civ. 20. Oktober 1975, Nr. 3397 in: Riv. dir. int. priv. proc. 1976, 812, 815 f. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 118 ff. 306 Memmo, Il consenso contrattuale, 2007, S. 73, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47. 307 Cass. civ. 25.3.1988, Nr. 2568, in: Riv. dir. inte. priv. proc., 1989, 146, 147 f. 308 Cass. civ. 7.7.1999, Nr. 7048, in: Rep. Foro it. 1999, Stichwort „Arbitrato: arbitrato e clausola compromissoria“ Nr. 122; dazu Memmo, Il consenso contrattuale, 2007, S. 79, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47. 309 Unklar, wohl für eine im Schweigen liegende Willenserklärung Memmo, Il consenso contrattuale, 2007, S. 79, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47. 310 Donatuti, Il silenzio come manifestazione di volontà, in: Studi in onore di Pietro Bonfante, Band 4, 1930, 461, 464 zum römischen Recht; Perozzi, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Riv. dir. comm., Vol IV, I, 1906, 509, passim; Sraffa, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Giur. it. 1898, Band 50, Teil 4, 353, 355; Vivante, Trattato di diritto commerciale, Band 4, 5. Auflage 1928, S. 31 ff.; weitgehend auch Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 162 ff. und Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, I Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 150, passim sowie ders., Il silenzio nella conclusione dei contratti, II Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 158, passim.
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nicht für sich genommen, sondern nur bei Vorliegen bestimmter Umstände und im Zusammenwirken mit diesen, eine vollwertige Willenserklärung darzustellen311 Die Gegenansicht, wonach das Schweigen eine rein negative Tatsache ohne rechtlichen Wert sei, wird als überwunden angesehen: „In effetti, la concezione secondo la quale il silenzio costituisce un fatto puramente ‚negativo‘, ossia privo di valore, deve ormai essere considerata definitivamente superata.“312
a) Keine Willenserklärung (sog. negatività del silenzio) In der italienischen Rechtswissenschaft wurde und wird teilweise nach wie vor – beispielsweise von Sacco als wohl namhaftesten Autor – vertreten, dass das Schweigen selbst niemals eine rechtsgeschäftliche Erklärung oder Zustimmung sein kann (sog. negatività del silenzio)313: „A noi pare che il silenzio c. d. circostanziato non sia mai una dichiarazione […]. […] il silenzio non è, in nessuno dei casi considerati, una dichiarazione.“314 Auch das Gesetz spricht im Fall von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. vom Fehlen einer Ablehnung („mancanza di […] rifiuto“) und geht Sacco zufolge damit von einem Null bzw. Nichts aus (idea di uno zero), nicht aber von einer Willenserklärung.315 Das Schweigen könne zwar aufgrund eine rechtlichen Bestimmung Konsequenzen haben, es als vertragsbegründende Zustimmung aufzufassen, verstoße aber gegen die zivilrechtliche Systematik.316 Auch Carresi lehnt eine rechtliche Bedeutung des Schweigens ab: es handle sich um ein Nichts, das auch das Gesetz nicht zu einer rechtlichen Tatsache (fatto giuridico) machen könne, was sich daran zeige, dass insoweit niemals eine Beweislast bestehe, sondern nur der Empfang eines Angebots oder der erfolgte Widerspruch nachzuweisen seien.317 Teilweise wird 311 Vgl nur Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7; Mazzoni, Il silenzio come comportamento modificativo del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 15.1.1973 Nr. 126), in: Giur. it. 1974 I, 1, 1573, 1574 f.; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 206 und 228 f.; Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 21 f. m. w. N., 334. 312 Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7; fast wortlautgleich (jedoch allgemein zum Bedeutungsgehalt eines Schweigens unabhängig von seiner Eigenschaft als Willenserklärung) Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 36. 313 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 303; auch Alpa, Corso di diritto contrattuale, 2006, S. 27 will dem Schweigen nur Bedeutung zuerkennen, wenn das Gesetz dies vorsehe. 314 Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, 103. 315 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 246. 316 Sraffa, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Giur. it. 1898, Band 50, Teil 4, 353, 355 u. 361. 317 Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 404.
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auch nur für einzelne Konstellationen eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Wirkungen eines Schweigens abgelehnt – so etwa von Patti hinsichtlich der Duldungsvollmacht. Dass das Schweigen dennoch anerkanntermaßen im Einzelfall rechtliche Konsequenzen zeitigen kann, folgt nach dieser Auffassung aus anderen Gründen (hierzu detailliert sogleich § 3 II. 6.). So wird beispielsweise vertreten, dass dem Schweigen aufgrund bestimmter Umstände (z. B. Handelsbräuchen, einer Vereinbarung u. ä.) zwar der Wert einer Erklärung zukommen kann und es seinen Wirkungen nach einer Erklärung gleichgestellt wird, es aber dadurch nicht zu einer Willenserklärung wird, da es von Natur aus ohne Bedeutung ( privo di significato) ist.318 Tesauro lehnt das silenzio als Willensäußerung (manifestazione di volontà) ab und will – freilich mehr auf das Straf- und Verwaltungsrecht bezogen und nur mit Vorsicht auf das Privatrecht übertragbar – im Schweigen ein „Ereignis“ (avvenimento) sehen, welches dann rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, wenn es in einem kausalen Verhältnis zu einer vorausgehenden manifestazione di volontà steht.319 Auch wenn die neueren Ansätze, die eine Bedeutung des Schweigens ablehnen teils auf andere Begründungen als die in der Vergangenheit vertretenen Ansichten zurückgreifen, stellen manche von ihnen auch eine Fortentwicklung bereits zuvor geäußerter Ideen dar: Unter Berufung auf das römische Recht wurde schon früher vertreten, dass das Schweigen niemals eine echte Willenserklärung (vera manifestazione di volontà) sei, sondern stets nur auf eine Duldung bzw. patientia schließen lasse.320 Ähnlich hatte bereits Bonfante mit Blick auf das römische Recht vorgebracht, dass für einen Vertragsschluss grundsätzlich immer eine Kundgabe des Willens erforderlich sei und die Rechtsordnung sich nur ausnahmsweise mit einer schwächeren Form der Zustimmung in Gestalt des Schweigens (consenso più debole) zufrieden gebe.321 Wenn das Gesetz – oder die in gewissen Grenzen faktisch legislativ tätige römische Rechtsprechung – nicht ausdrücklich eine juristische Wirkung des Schweigens anordne, stehe jedem ein naturgegebenes Recht zum Schweigen (diritto di tacere) zu.322 Wenn jemand aber bewusst ein Verhalten an den Tag lege, das den sozialen Bedeutungsgehalt einer Zustimmung habe, handle es sich gar nicht mehr um ein Schweigen.323 Freilich gibt Bonfante zu, dass es, auch wenn in der Theorie eine 318 Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1118. 319 Tesauro, Il silenzio e l’omissione nella teoria degli eventi giuridici, in: Studi in onore di Federico Cammeo, Vol. 2, 1933, 537, 549 ff., 556. 320 Donatuti, Il silenzio come manifestazione di volontà, in: Studi in onore di Pietro Bonfante, Band 4, 1930, 461, 464. 321 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, II Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 152 f.; vgl. bereits oben § 2 III. 322 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 151 und 185. 323 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 191.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
klare Unterscheidung zwischen dem Schweigen und einer Willenserklärung möglich ist, in der Praxis eine Tatfrage ist, ob einem Schweigen Erklärungsbedeutung zukommt.324 Nach Stolfi konnte das Schweigen als stets zweideutiges Verhalten nur im Falle gesetzlicher Festlegung Ausdruck einer Zustimmung oder Ablehnung sein, ansonsten sollte es allenfalls die Ursache eines Schadensersatzanspruches darstellen.325 In jüngerer Zeit vertritt auch Rossi die Auffassung, dass das Schweigen nur bei einer entsprechenden Normierung als Annahme gelten kann und – dieses Argument hatte bereits Vivante326 vorgebracht – unter anderem auch die Empfangsbedürftigkeit der Annahme dem Charakter einer Willenserklärung beim Schweigen entgegensteht.327 Wegen seiner Zweideutigkeit soll es daher nicht die gleichen Rechtsfolgen wie eine manifestazione di volontà negoziale, sondern nur Schadensersatzpflichten auslösen können.328 Vorgeschlagen wurde von Goretti in ihrer freilich mehr römisch-rechtliche und philosophische als zivilrechtliche Aspekte behandelnden Abhandlung, auch, das Schweigen (silenzio) immerhin insofern als Willenserklärung zu verstehen, als der Schweigende hierdurch seinen Willen erklärt, schweigen zu wollen (volontà di tacere), es aber nicht als zustimmende oder ablehnende Willenserklärung an sich aufzufassen.329 Dabei sei schon im Vorfeld zwischen dem sog. pseudo-silenzio im Sinne eines schlichten Nicht-Sprechens (non parlare) und dem silenzio als Schweigen (tacere) auf eine vorangegangene explizite oder implizite Frage zu unterscheiden; nur letzteres soll aufgrund seines Bezuges (rapporto di relazionalità) zu einer vorhergehenden Tatsache juristisch relevant sein, während bei ersterem schon die Frage fehlt, auf die das Schweigen Antwort sein kann.330 Hergeleitet wird dies auch rechtshistorisch und etymologisch anhand von lateinischen und griechischen Texten.331 Wer schweige, wolle sich, vergleichbar der Mimese in der Natur, verbergen, unsichtbar machen und eine Mauer zwischen sich und den anderen aufbauen; eine Zustimmung (consenso) oder Ablehnung (dissenso) könne der Untätigkeit hingegen nicht entnommen werden.332 Mit einem solchen silenzio einher gehe aber auch der Wille, die Verantwortung für die – da das Gesellschaftsleben auf die vorhergehende Frage nur ein Ja (sì) oder Nein (no), aber kein „Jein“ („ni“) erlaube – notwendige In324
Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 157. 325 Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 162 ff. 326 Vivante, Trattato di diritto commerciale, Band 4, 5. Auflage 1928, S. 33. 327 Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 188, 107 ff. 328 Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 189 f. 329 Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 47 ff.; a. A. Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 36, der Goretti als Verfechterin der „negatività del silenzio“ ansieht. 330 Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 85 u. 201 f. 331 Vgl. Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 59 ff. 332 Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 23 u. 47 sowie S. 118 u. 203.
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terpretation seines Verhaltens an andere abzugeben; der Untätige erteile in gewisser Weise eine carta bianca für die Auslegung seines Schweigens.333 Auch wenn das Schweigen nach Ansicht von Goretti damit weder eine Zustimmung noch Ablehnung ist, sondern nur eine Willenserklärung dahingehend, schweigen zu wollen, soll es aufgrund der Interpretation des Rechtsverkehrs Folgen nach sich ziehen. Die Interpretation durch das Gegenüber stellt die Sanktion für das Schweigen dar.334 Grundlage für die Interpretation eines Schweigens soll ein Zusammenwirken von ökonomischen und ethisch-moralischen Grundsätzen ( principio economico-socio-etico) sein, welche ihre Rechtfertigung in der Widerspruchsfreiheit ( principio logico di non-contraddizione) finden.335 An der Abhandlung Gorettis wird teils wegen der – so Addis – fruchtlosen, da generalisierenden und juristisch ungenauen Herangehensweise scharfe Kritik geübt.336 Jedenfalls thematisiert das Werk mehr das römische Recht und rechtsphilosophische Fragestellungen337 denn das geltende Zivilrecht und hat wohl deswegen in der Folge kaum Niederschlag in der rechtswissenschaftlichen Diskussion gefunden. Abgelehnt wurde jedenfalls der bei Goretti anklingende Versuch, die Rechtsfolgen eines Schweigens mit einer Sanktion des venire contra factum proprium zu erklären.338 Zuzugestehen ist dem Ansatz freilich, dass er einmal mehr den Blick auf die Schwierigkeit lenkt, einem an sich passiven und zweideutigen Verhalten Rechtsfolgen beizumessen und den Versuch unternimmt, diese auch aus rechtshistorischer und -philosophischer Perspektive umfassend zu rechtfertigen.
b) Schweigen als dichiarazione di volontà (Willenserklärung) und Kritik an den eben genannten Auffassungen Ganz überwiegend wird mittlerweile in der italienischen Zivilrechtswissenschaft hingegen vertreten, dass das Schweigen, auch wenn es grundsätzlich und für sich genommen nicht geeignet ist, einen rechtsgeschäftlichen Willen auszudrücken, im Einzelfall beim Hinzutreten bestimmter Umstände als silenzio circostanziato ein konkludentes Verhalten (comportamento concludente) und damit eine vollwertige Willenserklärung darstellt.339 Das Schweigen ist damit 333
Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 23 u. 50. Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 205. 335 Goretti, Il problema giuridico del silenzio, 1982, S. 138 u. 205 f. 336 Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 259 f. Fn. 10. 337 So auch Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 3; La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 543 Fn. 1. 338 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 273 f. 339 So etwa in der Rechtsprechung ausdrücklich Cass. civ. 15.4.1998, Nr. 3803, in: Foro it. 1998 I, 2, 2133, 2138; darauf Bezug nehmend Trib. Catania, 30.9.1999, I, 1, 2105, 2110; in der früheren Rechtsprechung beispielsweise Cass. 26.5.1965, Nr. 1064, in: Giur. It. 1966, I, 1, 334
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nichts anderes als ein Unterfall des comportamento concludente, also des konkludenten Verhaltens und stellt damit eine dichiarazione (oder manifestazione340) tacita dar.341 Dabei ist es – jedenfalls nach überwiegender Auffassung – auch nicht das hinzutretende Verhalten342, welches in Zusammenhang mit einem Schweigen zur Willenserklärung wird. Vielmehr ist das Schweigen selbst in der Lage, eine Willenserklärung darzustellen (sog. positività del silenzio), wobei die weiteren Umstände bei der richterlichen Bewertung seiner Bedeutung einzubeziehen sind.343 Beim silenzio circostanziato handelt es sich zudem nicht um eine bloße Fiktion oder Vermutung, sondern einen tatsächlich vorliegenden Willen des Schweigenden: „[…] al ricorrere delle circostanze per cui il silenzio è dichiarazione di volontà, tale volontà è attuale, reale ed esistente e, quindi, né presunta né fittizia.“344 Auch die Rechtsprechung erkennt das silenzio circostanziato ganz überwiegend bereits seit langem als manifestazione tacita an, wie konstante Entscheidungen seit über hundert Jahren zeigen.345 Dies setzt sich 615 mit Anm. Genovese; Cass. civ. 9.6.1983, Nr. 3957, in: Giust. civ. Mass. 1983 fasc. 6; Cass. civ. 10.4.1975, Nr. 1326 in: Rep. Giur. It., 1975, Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 157; in der Literatur Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 623 f.; Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 4. Auflage 2017/18, S. 1171; Galgano, Il contratto, 2. Auflage 2011, S. 128; Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7 f.; Mazzoni, Il silenzio come comportamento modificativo del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 15.1.1973, Nr. 126), in: Giur. it. 1974 I, 1, 1573, 1575; Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 333; Paradiso, Corso di istituzioni di diritto privato, 10. Auflage 2018, S. 347; Perlingieri/Perlingieri/Femia, Manuale di Diritto Civile, 7. Auflage 2014, S. 72; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 227; Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1118. 340 Messineo, Contratto (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 9, 1961, S. 863 f. Fn. 320 bevorzugt angesichts des fehlenden Erklärungsgehalts des Schweigens die Verwendung des Begriffs „manifestazione“. 341 Corte d’Appello di Bologna, 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 (m. Anm. De Martini); Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73, 75 f.; Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 413; vgl. auch Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7 f.; a. A. wohl aber Messineo, Contratto (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 9, 1961, S. 863 f. Fn. 320 und Siniscalchi, Inizio di esecuzione e silenzio. Spunti in tema di modificazione del rapporto contrattuale, in: Rass. dir. civ. 1994, 526, 531 ff. 342 So aber wohl Scognamiglio, La conclusione e la rappresentanza, in: Lipari/Rescigno, Diritto civile, Band 3, Il contratto in generale, 2009, S. 209; sowie Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2000, S. 212 f. 343 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 253. 344 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 227. 345 Vgl. etwa Cass. di Firenze 24.7.1899 (i. Erg. ablehnend aufgrund der fehlenden Prüfung der Umstände durch die Vorinstanz), in: Foro It. 1900, 466 m. Anm. Bonfante; Cass.
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auch in jüngerer Zeit fort346; so wurde das Schweigen beispielsweise in einer viel beachteten Entscheidung der Corte di Cassazione aus dem Jahr 1998 ausdrücklich als „manifestazione tacita di volontà (o silenzio circostanziato, come definito in dottrina)“ bezeichnet347.
aa) Begründung dieser Auffassung Dass auch im Schweigen eine Willenserklärung liegen kann, wird von der italienischen Rechtswissenschaft umfangreich begründet. Vorauszuschicken ist, dass das italienische Recht hinsichtlich der vertraglichen Annahme zwischen einer ausdrücklichen (accordo espresso) und einer konkludenten (accordo tacito) Zustimmung unterscheidet, also Verhaltensweisen, denen auch ohne den Einsatz sprachlicher Mittel ein rechtsgeschäftlicher Wille entnommen werden kann, weil sie unvereinbar mit einem entgegenstehenden Willen sind.348 Auch das entsprechend beredte Schweigen stellt nach überwiegender Ansicht ein Verhalten dar, welches geeignet ist, einen rechtsgeschäftlichen Willen zum Ausdruck zu bringen.349 Dabei ist das Schweigen als konkludente Willenserklärung bzw. Zustimmung (silenzio-consenso) freilich zu unterscheiden vom Schweigen bzw. Verschweigen als Grundlage einer vorvertraglichen Haftung (silenzio-reticenza), wobei die beiden unterschiedlichen Rechtsinstitute koexistieren (bereits oben § 3 II. 3.).350 Nach überwiegender Auffassung kann das SchweiRegno 18.7.1940, in: Rep. Foro it. 1940; Stichwort „obbligazione e contratti“, Nr. 78, Cass. Regno 17.7.1940, in: Rep. Foro it. 1940; Stichwort „obbligazione e contratti“, Nr. 79; Cass. Regno 5.8.1940, in: Rep. Foro it. 1940; Stichwort „obbligazione e contratti“, Nr. 81; Cass. Regno 4.12.1940, in: Rep. Foro it. 1940, Stichwort „obbligazione e contratti“, Nr. 82; Trib. Napoli 12.4.1947, in: Rep. Foro It. 1947, voce „obbligazione e contratti“, Nr. 77; Cass. civ. 18.1.1949, Nr. 50, in: Rep. Foro It. 1949, Stichwort „obbligazione e contratti“ Nr. 85; Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 (m. w. N.) m. Anm. De Martini; Cass. civ. 8.1.1979, Nr. 83, in: Giust. civ. Mass. 1979, 44 (i. Erg. ablehnend); Cass. civ. 30.10.1981, Nr. 5743; Cass. civ. 30.10.1981, Nr. 5743, in: Mass. Giur. it., 1981, Stichwort „Contratto in genere“ Nr. 87. 346 Vgl. etwa Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5363, in: Giur. it. 1998 II, 1117, 1120 m. Anm. von Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale; Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290 m. Anm. Tafaro, in: Notariato 2008, 619, 619 f.; Cass. civ. 28.3.2006, Nr. 7273, in: Foro it. 2007, I, 889, 894 m. Anm. Lanotte; Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290, in: Giust. civ. 2008, 1, I, 89; Cass. civ. 8.11.2016, Nr. 22613. 347 Cass. civ. 15.4.1998 Nr. 3803, in: Foro it. 1998 I, 2, 2133, 2138. 348 Statt vieler Bianca, Istituzioni di diritto privato, 2. Auflage 2018, S. 382; Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 8; gegen die Sinnhaftigkeit einer Unterscheidung von konkludenten und ausdrücklichen Willenserklärungen allerdings Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 45 ff. 349 Vgl. nur Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 252 ff. 350 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 226; vgl. auch Cass. Regno 3.3.1933, in: Rep. Foro it. 1933,
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gen, welches direkter Ausdruck des Willens ist, wie bei einer vorherigen Vereinbarung über den Erklärungsgehalt, sogar eine dichiarazione espressa darstellen.351 Dass es erst in Verbindung mit weiteren Umständen eine Bedeutung annehme, sei indes ein Problem, das allen konkludenten Willenserklärungen innewohne352: Die Konstruktion des konkludenten Verhaltens dient in vielen Fällen gerade dazu, einem Unterlassen, welchem aufgrund bestimmter Umstände aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers Bedeutung zukommt, Rechtswirkungen beizulegen.353 Maßgeblich ist also zum Schutz des Anbietenden, der sich nach Treu und Glauben auf die Annahmeerklärung verlässt, nicht der Wille des Angebotsempfängers, sondern die objektive Erklärungsbedeutung von dessen Verhalten.354 Das Schweigen ist somit immer dann eine rechtsgeschäftliche Erklärung, wenn es nach der allgemeinen Verkehrsanschauung und der sozialen Bewertung des Verhaltens unter Berücksichtigung der Obliegenheit zum selbstverantwortlichen Handeln als unmittelbare Regelung der eigenen Interessen verstanden werden kann.355 Wer die konkrete Möglichkeit, das Interesse und die Pflicht zum Sprechen hat und dies bewusst unterlässt, erklärt durch das Schweigen seine Zustimmung oder bringt indirekt sein Einverständnis zum Ausdruck.356 Die Annahme eines bestimmten Willens bei einem konkludenten Verhalten beruht somit darauf, dass dieses bei wirtschaftlicher Betrachtung aus Sicht des Geschäftsverkehrs unvereinbar mit einem entgegenstehenden Willen erscheint.357 Welches menschliche Verhalten dazu geeignet ist, eine (konkludente) Willenserklärung darzustellen, lässt sich, so diese Auffassung, nicht von vornherein feststellen, sondern nur anhand der konkreten Umstände; auch im Schweigen Stichwort „Obbligazioni e contratti“ Nr. 57; zustimmend zu dieser Rechtsprechung Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146. Zur reticenza bereits oben § 3 II. 3. 351 Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 140; Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 209; a. A. Messineo, Contratto (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 9, 1961, S. 863 f. Fn. 320; kritisch zur h. M. auch Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 45. 352 Eingehend Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 252 f. 353 Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 230. 354 Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 230. 355 Ormanni, Forma del negozio giuridico, in: Novissimo Digesto, 1957, S. 567. 356 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 141 f. 357 Galgano, Diritto civile e commerciale, Band 2,1. Halbband, 4. Auflage 2004, S. 202; Cass. civ. 8.11.1983, Nr. 6591, in: Giust. civ. Mass. 1983, fasc. 10, spricht insoweit von einem „concetto predominate nella vita pratica degli affari“.
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oder Unterlassen kann daher eine konkludente Willenserklärung liegen.358 Dass das Schweigen von der Gegenauffassung als stets ohne Bedeutung angesehen werde, sei das Erbe einer Kultur, welche noch zu sehr an der Unersetzbarkeit des Wortes durch nonverbale Kommunikationsformen verhaftet sei; zum einen werde das Wort zunehmend von Bildern und Zeichen abgelöst, zum anderen sei es keineswegs immer Garant für Klarheit und Unverfälschtheit.359 Kulturgeschichtlich gesehen geht das Handeln der Erklärung sogar voraus, da sich die Sprache erst später entwickelt.360 Auch jedes Sprechen gewinnt erst vor dem Hintergrund einer bestimmten vorausgehenden Frage oder bestimmter Umstände eine rechtliche Bedeutung; die Problematik ist daher nach den allgemeinen Auslegungsregeln lösbar.361 Als Stütze dieser Argumentation werden auch die zahlreichen Normen des Codice civile herangezogen, welche dem Schweigen einen Bedeutungswert zumessen.362 Ein Verständnis des Schweigens als konkludente Willenserklärung ist überdies am besten mit der gesetzlichen Systematik vereinbar, welche als Einigung das Zusammentreffen von Angebot und Annahme ansieht, ohne im Vorfeld abschließend festzulegen, wie sich diese äußern können.363 Dass eine Annahmeerklärung für gewöhnlich empfangsbedürftig ist, soll kein Hindernis dafür sein, im Schweigen eine Willenserklärung zu sehen: es sei hinreichend, dass derjenige, von dem die Initiative, also regelmäßig das Angebot, ausgehe, angesichts der Umstände in der Lage sei, die Bedeutung des Verhaltens zu bewerten.364
bb) Rolle des Erklärungsbewusstseins Fraglich ist dabei, wie mit dem bei einem Schweigen typischerweise oft fehlenden Erklärungsbewusstsein (coscienza di dichiarare bzw. consapevolezza di 358 Vgl. Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 619; vgl. auch Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 214, 209 f., 417 ff.; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 785 f.; Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 230. 359 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 543; dem folgend Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7. 360 Sacco, Il diritto muto, 2015, S. 98 (der freilich zur domatischen Verortung i. E. eine andere Ansicht vertritt, vgl. unten § 3 II. 6. b)); Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 644. 361 Perozzi, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Riv. dir. comm., Vol IV, I, 1906, 509, 516. 362 Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 7. 363 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 619. 364 Barassi, La teoria generale dei negozi, Band 2, Le fonti, 2. Auflage 1948, S. 121 f.
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dichiarare365) umzugehen ist.366 Die Diskussion um die Bedeutung des Erklärungsbewusstseins wird, soweit ersichtlich, im italienischen Recht wesentlich weniger stark als im deutschen Recht geführt.367 Dass für die Entscheidung über das Vorliegen einer Willenserklärung maßgeblich auf die Sicht des Empfängers abzustellen ist, ist mittlerweile weitgehend anerkannt, war aber in der Vergangenheit nicht unumstritten: Bonfante hielt etwa einzig den inneren Willen des Betroffenen für relevant, da es im Gegensatz zum Deliktsrecht im Wesen des Vertrags liege, dass er nur durch einen übereinstimmenden Willen (consenso) zustande kommen könne.368 Diese sog. „teorie soggettivistiche“ gerieten jedoch aufgrund ihrer fehlenden Praktikabilität im Rechtsverkehr in die Kritik.369 Andererseits wurde aber auch die Gegenposition hierzu, nämlich das reine Abstellen auf den objektiven Erklärungsgehalt370 verworfen, da sie zu sehr die Sicherheit des Rechtsverkehres zulasten der Berücksichtigung des wirklichen Willens betonte.371 Letztlich setzte sich gegenüber dem sog. „dogma della volontà“ das principio dell’affidamento, also der Vertrauensgrundsatz durch372, welcher auch als „abgeschwächte Form“ der deutschen Erklärungstheorie bezeichnet wird373. Demnach ist für den Inhalt bzw. das Vorliegen einer Willenserklärung maßgeblich, ob der Empfänger auf sie in schutzwürdiger Weise vertraut – tut er dies nicht, so besteht kein Grund, den wahren Willen des Absenders nicht gelten zu lassen.374 Der nach außen zu Tage getretene scheinbare Wille überwiegt zum 365 Auch im italienischen Recht wird häufig der deutsche Begriff „Erklärungsbewusstsein“ gebraucht (vgl. nur Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 659; Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 519). 366 Dazu etwa Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 80 ff. 367 So auch Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 699. 368 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, I Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 150; ebenso Bonfante, Anm. zu Cass. di Firenze 24.7.1899, in: Foro It. 1900, 467, 467. 369 Vgl. Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 82 f.; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 146; Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 479 f.; Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio giuridico, 1950, S. 204 ff. 370 Hierfür aber Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 138 ff. und Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio giuridico, 1950, S. 204 ff., freilich letztlich in Vielem übereinstimmend mit der h. M. 371 Caringella/Buffoni, Manuale di diritto civile, Band 2, Il contratto, 2011, S. 14. 372 Vgl. Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 20 ff. u. 647; Caringella/Buffoni, Manuale di diritto civile, Band 2, Il contratto, 2011, S. 15; Ruscello, Istituzioni di diritto civile, 2017, S. 128; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 174 f.; grundlegend dazu Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Riv. It. delle scienze giuridiche, 1892, 3, 12, 21 ff. 373 So Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. 124. 374 Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 147 f.; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 174 f.
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Schutz des auf ihn Vertrauenden über den wirklichen Willen: „Nel contrasto fra la volontà vera e quella apparente deve dirsi prevalente quest’ultima in un ordinamento giuridico che, come il nostro, si ispira al principio della tutela dell’affidamento.“375 Dabei handelt es sich um einen Gutglaubensschutz zugunsten desjenigen, der sich sorgfaltsgemäß verhält bzw. informiert.376 Die Zurechnung als Willenserklärung an den Schweigenden erfolgt also nach überwiegender Auffassung aufgrund von Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes (affidamento) und der Verantwortung (autoresponsabilità) unabhängig von einem entsprechenden reflektierten Bewusstsein über den Bedeutungsgehalt des Schweigens („a prescindere da una riflessa coscienza del significato concludente“).377 Ausschlaggebend für die Bedeutung eines Schweigens ist damit nicht das, was der Schweigende tatsächlich wollte, sondern welche Schlüsse der Erklärungsempfänger nach der Verkehrsanschauung redlicherweise aus dem Verhalten ziehen durfte; der Erklärende trägt also das Risiko einer ihm zurechenbaren, nicht gewollten Erklärung.378 Teils wird zumindest ein Bewusstsein über die Umstände, die dem Schweigen seinen Bedeutungsgehalt verleihen, gefordert379 bzw. eine „consapevolezza minima“ in Gestalt eines einfachen Bewusstseins über die nach Treu und Glauben möglicherweise juristisch relevante Handlung – nicht aber das Bewusstsein über einen Vertragsschluss an sich380. Nach mittlerweile wohl herrschender Auffassung ist damit das Erklärungsbewusstsein bzw. das Bewusstsein hinsichtlich der Schlüssigkeit eines Verhaltens aus Gründen der Rechtssicherheit und des Gutglaubensschutzes für das Vorliegen einer Willenserklärung regelmäßig entbehrlich.381 375
tini.
376
Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 m. Anm. De Mar-
Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 174; vgl. ebenso Ruscello, Istituzioni di diritto civile, 2017, S. 128 f. 377 So Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 145; dem folgend Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73, 77; ebenso etwa Ruscello, Istituzioni di diritto civile, 2017, S. 128 und Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002, S. 148. 378 Vgl. Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 144; Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 20 ff.; Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1170 f.; Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 230 f.; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002, S. 148. 379 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 339. 380 Garofalo, Le regole costitutive del contratto, 2018, S. 273 ff.; Pietrobon, L’errore nella dottrina del negozio giuridico, 1963, S. 283 ff. 381 So etwa Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 138 ff.; Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 498 ff.; Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 659; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792 f.; Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 83 f.; Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio
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Teilweise wurde der Verzicht auf das Vorliegen eines Erklärungsbewusstseins oder zumindest eine abweichende Beurteilung der Kenntnisobliegenheit nur für konkludente, nicht aber für ausdrückliche Willenserklärungen angedacht.382 So wurde für ausdrückliche Erklärungen eine Willenserklärung dann ausgeschlossen, wenn der Erklärende sich nicht über den sozialen Bedeutungsgehalt seines Handelns bewusst war, aber bei der Unkenntnis über die Umstände, die ein Verhalten zu einer konkludenten Willenserklärung machen, ein bloßer Anfechtungsgrund angenommen.383 Dies ist teils Gegenstand heftiger Kritik.384 Inwieweit dies nach wie vor gilt, ist im Zusammenhang mit dem Schweigen nur beschränkt von Relevanz, da das silenzio circostanziato ganz überwiegend ohnehin als Unterform der manifestazione tacita/concludente verstanden wird. Dass die Thematik fast nur im Zusammenhang mit dem comportamento concludente behandelt wird, verwundert nicht, da das Erklärungsbewusstsein bei einer ausdrücklichen Willenserklärung seltener fehlen wird. Gewichtige Stimmen in der Literatur gehen wohl jedenfalls von einer – auch überzeugenden – einheitlichen Behandlung beider Phänomene hinsichtlich des Erklärungsbewusstseins aus.385 Eine Geltendmachung des fehlenden Bewusstseins, etwas Rechtserhebliches zu erklären, ist dem Schweigenden nur über Artt. 1425, 1441 ff. c. c. (für den Fall der fehlenden Geschäftsfähigkeit) oder möglicherweise auch im Wege der Anfechtung nach Artt. 1427, 1441 ff. c. c. zuzugestehen386 (dazu unten § 3 II. 8.). Nur wenn eine consapevolezza minima387 oder aber eine entsprechende giuridico, 1950, S. 206; a. A. jedoch Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 499 f. (m. w. N. zur h. M.) und wohl auch Messineo, Contratto (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 9, 1961, S. 863 f. Fn. 320. 382 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 140 (Fn. 5); Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792; eingehend und ablehnend dazu Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 498 ff. 383 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 421 u. 431. 384 Vgl. den Beitrag von Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS für Claus-Wilhelm Canaris, Band 1, 2007, S. 871, der mehrfach auf das italienischen Recht Bezug nimmt. 385 So Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 412 f. mit Nachweisen zum deutschen Recht; Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 659; auch Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 83 bezieht sich auf alle Formen von Willensäußerungen; vgl. für eine einheitliche Entbehrlichkeit der volontà dell’atto bei allen rechtsgeschäftlichen Erklärungen auch Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio giuridico, 1950, S. 204 ff.; für eine einheitliche Relevanz des fehlenden Erklärungsbewusstseins als Irrtum andererseits Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 501. 386 Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 699; für einen Willensmangel auch (vizio della volontà) Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 500 f. 387 So Garofalo, Le regole costitutive del contratto, 2018, S. 273 ff.; Pietrobon, L’errore nella dottrina del negozio giuridico, 1963, S. 283 ff.
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Verantwortlichkeit des Erklärenden und ein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite im Einzelfall388 fehlt, soll das Rechtsgeschäft wegen Fehlen des Erklärungsbewusstseins unwirksam sein. Teils wird aber sogar dies in Zweifel gezogen und jegliche Relevanz des Erklärungsbewusstseins abgelehnt.389
7. Anderweitige dogmatische Begründungen der Rechtsfolgen eines Schweigens Soweit – wie etwa von Sacco – eine Einordnung des Schweigens als Willenserklärung gänzlich abgelehnt wird, stellt sich die Frage, worauf sich die unstrittig aus ihm folgenden Rechtsfolgen gründen. Teilweise wird auch nur für Teilbereiche des Schweigens, in denen die Unterstellung eines entsprechenden Willens des Erklärenden fernliegt, das Vorliegen einer Willenserklärung zurückgewiesen.390 Auch die Vertreter dieser Auffassung müssen für die Begründung der Rechtsfolgen andere Erklärungen suchen. Die Diskussion in Italien konzentriert sich dabei insbesondere auf Art. 1333 c. c. – eine Norm, deren dogmatische Zuordnung seit über einem Jahrhundert stark umstritten ist391, wobei die Ansätze und Ergebnisse zumeist auch auf die weiteren Fälle des Schweigens übertragen werden. Anders als im deutschen Recht (unten § 4 II.) erscheint daher auch die Abgrenzung zwischen gesetzlich normierten und weiteren Fällen des Schweigens oft weniger scharf.
a) Erklärung über negozio unilaterale und promessa unilaterale (einseitiges Rechtsgeschäft und Versprechen) Nach einer Auffassung kann Art. 1333 c. c. nur als einseitiges Rechtsgeschäft (negozio unilaterale) verstanden werden.392 Dabei kann dieser Ansatz wohl generell auf Rechtsgeschäfte, bei denen eine – jedenfalls nach außen erkennbare – Annahme fehlt und damit auf Seiten des Angebotsempfängers nur ein Schweigen vorliegt, übertragen werden.393 Teilweise ist auch die Rede von einem einseitigen Versprechen ( promessa unilaterale).394 388 So
Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 501. Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio giuridico, 1950, S. 206. So etwa Patti für die rappresentanza tollerata (Patti, Tolleranza [atti di], in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 710), aber auch für andere Fälle (Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 95 f ). 391 Vgl. A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 88 f. 392 Eingehend G. Benedetti, Dal contratto al negozio unilaterale, 1969, S. 121 ff.; zustimmend Moscarini, I negozi a favore di terzo, 1970, S. 177; wohl auch Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 448 ff. und Alcaro, Diritto privato, 3. Auflage 2017, S. 312 ff.; zuletzt in diesem Sinne auch Ferri, G., Il silenzio e le parole nella cultura del civilista, 2021, S. 536 f.; allgemein zum Begriff des Rechtsgeschäfts im italienischen Recht etwa Eccher/Schurr/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2010, S. 118 ff. 393 Vgl. Oppo, Recensione a G. Benedetti, in: Riv. Dir. civ., 1973, I, 372, 372. 394 Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 259 f. 389 390
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aa) Argumentation Folgt man G. Benedetti, so kommt das Rechtsgeschäft bereits durch das Angebot allein zustande, also ohne, dass der Angebotsempfänger in irgendeiner Form tätig werden muss.395 Anders als bei Vertragsschlüssen, bei denen eine Ablehnung (rifiuto) nicht nötig ist, um die Einigung zu verhindern, sondern ein Schweigen für den Nichtabschluss („non-conclusione“) genügt, ist bei Art. 1333 c. c. eine Ablehnung notwendig, da – so diese Ansicht – hinreichende causa für das Geschäft bereits das Angebot ist.396 Dabei wird eine Parallele gezogen zum Schulderlass nach Art. 1236 c. c., bei dem die Schuld erst erlischt, wenn der Schuldner es unterlässt, zu erklären, dass er den Erlass nicht in Anspruch nehmen wolle: dabei handle es sich nicht um einen vertraglichen Tatbestand, sondern ein einseitiges Rechtsgeschäft, welches allein auf dem Willen des Gläubigers beruhe.397 Die Widerspruchsmöglichkeit spielt nach dieser Auffassung keinerlei Rolle für das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts, sondern ermöglicht dem Angebotsempfänger nur die Beseitigung der bereits entstandenen Rechtswirkungen des Geschäfts.398 Dem Schweigen bzw. dem fehlenden Widerspruch kommt damit keinerlei Erklärungsbedeutung zu, da die Norm von einer Annahme (accettazione) oder Einigung (accordo) absieht.399 Es sei eine Fiktion, in der bloßen Untätigkeit (inerzia) eine positive Willensäußerung des Schweigenden zu sehen.400 Schon in der Vergangenheit wurde erwogen, Art. 1333 c. c. so zu verstehen, dass das Angebot bereits einseitig (unilateralmente) den Vertrag zustande bringt und das Verstreichen der Frist zum Widerspruch nur einen Verlust bzw. Verfall (decadenza) der Möglichkeit der Ablehnung der bereits eingetretenen Rechtsfolgen nach sich zieht.401 Auch die jüngere Rechtsprechung geht im Gegensatz zur früheren vertraglichen Verortung402 des Art. 1333 c. c. teils von einem negozio unilaterale aus.403
bb) Kritik Gegen eine solche dogmatische Verortung wird eingewandt, dass damit der Unterschied zwischen einseitigem Rechtsgeschäft und Vertrag verwischt wird, da 395
G. Benedetti, Dal contratto al negozio unilaterale, 1969, S. 187. G. Benedetti, Dal contratto al negozio unilaterale, 1969, S. 163 ff. Alcaro, Diritto privato, 3. Auflage 2017, S. 313. 398 G. Benedetti, Dal contratto al negozio unilaterale, 1969, S. 187. 399 G. Benedetti, Dal contratto al negozio unilaterale, 1969, S. 191; ebenso Moscarini, I negozi a favore di terzo, 1970, S. 177. 400 Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 259. 401 Barassi, La teoria generale dei negozi, Band 2, Le fonti, 2. Auflage 1948, S. 122 f.; ebenso später Moscarini, I negozi a favore di terzo, 1970, S. 67. 402 So noch Cass. civ. 16.3.1951, n. 672, in: Giur. it., 1952, I, 1, 858; eingehend zur Entwicklung Buffone/De Giovanni/Natali, Il contratto, Band 1, 2013, S. 448 ff. 403 So etwa Cass. civ. 27.9.1995, Nr. 10235, in: Giust. civ. 1996, I, 3007. 396 397
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auch auf ersteres im Falle von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. bzw. des Schweigens allgemein die Vorschriften über Verträge Anwendung finden müssten.404 Zudem spreche die gesetzgeberische Bezeichnung von Art. 1333 c. c. als Vertrag gegen eine Einordnung als promessa non contrattuale.405 Ein Verständnis von Art. 1333 c. c. als negozio unilaterale überschreitet, so diese Auffassung, die Grenzen der Auslegung und ist bereits Rechtsfortbildung, da die Systematik und der eindeutige Gesetzeswortlaut für eine vertragliche Verortung sprechen.406 Eine Einordnung als negozio unilaterale könne auch deshalb nicht überzeugen, weil es sich, wäre das Angebot vom Begünstigten ausgegangen, um einen Vertrag handeln würde; von wem die Initiative ausgeht, kann aber nicht über die dogmatische Zuordnung eines Rechtsgeschäfts entscheiden.407 Bezweifelt wird auch, dass ein einseitiges Rechtsgeschäft außerhalb der dem Grundsatz der Typizität nach Art. 1987 c. c. unterliegenden, gesetzlich vorgesehenen einseitigen Versprechen ( promesse unilaterali) Ursache von Verpflichtungen sein kann und die Rechtsposition eines anderen, wenn auch zum besseren, ohne dessen Einverständnis verändern darf („intangibilità della sfera giuridica altrui“).408 Vor allem aber werde das Angebot im Fall von Art. 1333 c. c. nicht schon durch den Zugang wie bei einem einseitigen Rechtsgeschäft wirksam, sondern erst mit Ablauf der Frist zur Ablehnung durch den Angebotsempfänger.409 Hervorgehoben wird insoweit, dass das Angebot allein nicht das Rechtsgeschäft zustande bringt, sondern der fehlende Widerspruch („non-rifiuto“) konstitutiv ist, sodass letztlich das Verhalten des Angebotsempfängers entscheidend ist.410 Auch die Gesetzesmaterialien zum Codice civile scheinen diese Auffassung zu stützen, ist doch in ihnen davon die Rede, dass auch im Rahmen von Art. 1333 c. c. stets eine Annahme erforderlich ist, welche auch aus einem längere Zeit andauernden Schweigen folgen kann: „[…] L’accettazione 404 Vgl.
Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 247. Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, S. 83; freilich gilt im Zweifel das Sprichwort „rubrica legis non est lex“. 406 A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 92. 407 Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 401. 408 Hierzu eingehend Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 381 ff., der freilich hervorhebt, dass der Schutz der intangibilità mittlerweile oft durch ein bloßes Widerspruchsrecht und nicht durch ein Annahmeerfordernis gewährleistet wird; ebenso Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 617; Oppo, Recensione a G. Benedetti, in: Riv. Dir. civ. 1973, I, 372, 375; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 2645 ff. m. w. N. 409 Oppo, Recensione a G. Benedetti, in: Riv. Dir. civ. 1973, I, 372, 374; ebenso A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 92; Bonomi, Le garanzie bancarie a prima richiesta nel diritto internazionale privato (con particolare riguardo alla Convenzione di Roma del 19 giugno 1980) (Anm. zu Corte d’Appello di Milano 12.6.1991), in: Banca Borsa 1992, II, 1991, 677, 680. 410 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 427. 405
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del destinatario è peraltro sempre necessaria per la conclusione del contratto, e può anche risultare dal silenzio che si prolunghi per una certa durata.“411 Nach der Relazione al codice civile kommt es also zu keinem Verzicht auf das Erfordernis einer Einigung, sondern das Einverständnis wird dem Schweigen des Angebotsempfängers entnommen.412 Schließlich wird auch von der Rechtsfolgenseite her argumentiert, dass es notwendig sei, Art. 1333 c. c. vertraglich zu erklären, um so die Vorschriften über Willenserklärungen anwenden zu können.413 In der Literatur, aber auch der Rechtsprechung414 wird daher überwiegend eine vertragliche Einordnung des Art. 1333 c. c. als „Paradefall“ eines Schweigens als zustimmende Willenserklärung gegenüber einem Verständnis als negozio unilaterale befürwortet.
b) Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses: Verzicht auf eine Zustimmung des Schweigenden Großes, überwiegend aber ablehnendes Echo in der italienischen Rechtswissenschaft findet des Weiteren eine, insbesondere von Sacco mit Nachdruck vertretene Auffassung, wonach die Rechtsfolgen des Schweigens bzw. der Vertragsabschluss darauf beruhen, dass auf ein Einverständnis des Schweigenden an sich verzichtet wird.415 Auch wenn die jeweiligen Ausführungen sich vorrangig auf Art. 1333 c. c. und damit ein normiertes Schweigen beziehen, sollen sie aber auch auf weitere Fälle des Schweigens wie das silenzio circostanziato anwendbar sein.416 411
Ministero di Grazia e Giustizia, Codice Civile, Testo e Relazione Ministeriale, 1943, Relazione del Ministro Guardasigilli per l’approvazione del Codice civile, Libro Quarto – Delle Obbligazioni, Nr. 606 2. Abs. 412 Vgl. Ministero di Grazia e Giustizia, Codice Civile, Testo e Relazione Ministeriale, 1943, Relazione del Ministro Guardasigilli per l’approvazione del Codice civile, Libro Quarto – Delle Obbligazioni, Nr. 606 2. Abs. 413 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 396 ff. 414 Vgl. Cass. civ. 26.6.1995, Nr. 7216; Cass. civ. 29.3.1990, Nr. 2581; Cass. civ. 28.6.1952, Nr. 1921, in: Giur. it. 1952 I, 1, 617, 620 f.; Cass. civ. 16.3.1951, Nr. 672, in: Giur. it. 1952 I, 1, 858. 415 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 303; ders., La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage, S. 101 ff.; zustimmend etwa Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 402 ff. (freilich nicht in allen Punkten, sondern vorrangig im Ergebnis); Peiranis, Il silenzio, seguito da esecuzione, ha lo stesso valore nella conclusione di un contratto nuovo e nel rinnovo, con modifiche, di un contratto esistente? (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1563. 416 Vgl. Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 404 und 408; Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, S. 101 und 103; anders für das beredte Schweigen (Willensäußerung) jedoch Sacco/Rossi, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage 2017, S. 97.
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aa) Argumentation Eine gesetzliche Regelung, ein vorhergehender Vertrag und zwischen den Parteien bestehende Beziehungen, aber auch Gebräuche und Gewohnheiten als Ausdruck der buona fede können nach dieser Ansicht zu einer Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses führen, sodass die Zustimmung einer Partei zu dem Vertrag gar nicht mehr erforderlich ist und der Vertrag bereits durch das Angebot zustande kommt.417 Das Schweigen bzw. der unterlassene Widerspruch stellt damit niemals eine Willenserklärung dar, sondern die rechtlichen Konsequenzen folgen allein aus dem Verzicht auf eine Zustimmung.418 Die Bedeutung eines Verhaltens wie des Schweigens kann nach Sacco nicht vom Gesetz, Gebräuchen, der Pflicht zur Äußerung oder Treu und Glauben abhängen, sondern ist eine unveränderliche res facti, an der auch der Gesetzgeber nichts zu ändern vermag.419 Geschäftspraktiken, gesetzliche Anordnungen, Vereinbarungen oder andere geeignete Umstände können jedoch regeln, dass eine zustimmende Willenserklärung gar nicht mehr erforderlich ist und somit das „dogma della bilateralità del consenso contrattuale“ aufgehoben wird.420 Die Bilateralität bei Vertragsschluss ist nach Saccos Ansicht also nicht Voraussetzung aller Verträge, wie beispielsweise der Vertrag zugunsten Dritter oder der Erwerb eines Vermächtnisses ohne das Erfordernis einer Annahme, aber auch rechtsvergleichende bzw. rechtsgeschichtliche Erwägungen zeigten. Sie soll nur dann erforderlich sein, wenn auch für den anderen Beteiligten eine Verpflichtung oder nachteilige Rechtsfolgen entstehen, nicht jedoch, wenn ihm nur Vorteile aus dem Rechtsgeschäft erwachsen.421 Hervorgehoben wird auch, dass das Absehen der Norm von einem wirklichen Willen es nicht zulässt, im Schweigen des Angebotsempfängers eine Zustimmung zu sehen.422 Soweit dem Schweigen aufgrund von Redlichkeits- oder Vertrauensschutzgesichtspunkten Bedeutung beigemessen wird, handelt es sich, so auch Peiranis, gar nicht mehr um ein Schweigen im eigentlichen Sinn, sondern um ein konkludentes Verhalten.423 417
Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 303 u. 351; Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, S. 82 und 101. 418 Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, S. 101 f. 419 Vgl. Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 315 ff.; dem folgend Peiranis, Il silenzio, seguito da esecuzione, ha lo stesso valore nella conclusione di un contratto nuovo e nel rinnovo, con modifiche, di un contratto esistente? (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1563. 420 Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 316. 421 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 245 ff. 422 Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 403. 423 Peiranis, Il silenzio, seguito da esecuzione, ha lo stesso valore nella conclusione di un contratto nuovo e nel rinnovo, con modifiche, di un contratto esistente? (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1563.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
Inkonsequent sei dagegen die herrschende Auffassung, die davon ausgehe, dass das Schweigen eine Willenserklärung darstellen könne, bei der Erklärung des Phänomens aber auf eine Argumentation zurückgreife, die in klarem Widerspruch zum Erklärungscharakter stehe, wie beispielsweise mit dem Abstellen auf eine Pflicht zum Widerspruch.424 Abgesehen von diesen Fällen, in denen in Wirklichkeit bereits eine Zustimmung für das Zustandekommen des Vertragsschlusses entbehrlich ist und der tolleranza (unten § 3 III. 3. c)), kann das Schweigen nach dieser Ansicht nur als ergänzender Umstand bei einem aktiven konkludenten Verhalten Bedeutung erlangen.425 In eine ähnliche Richtung geht Irtis Ansatz, wonach Verträge im Massenverkehr (scambi di massa) ohne eine Einigung (accordo) zustande kämen, da es an einem Dialog zwischen den Beteiligten fehle.426 Der Vertragsbegriff müsse also losgelöst von der Einigung verstanden werden als Austauschgeschäft oder als Zusammentreffen von einseitigen Entscheidungen („confluire di unilaterali decisioni“).427 Davon zu unterscheiden428 sind Ansätze anderer Autoren, die im Schweigen eine Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses sehen: so vertritt A. Benedetti die These, dass die Möglichkeit eines Vertragsschlusses durch Schweigen eine solche semplificazione darstellt, freilich mit dem Unterschied, dass aufgrund des Schweigens bzw. des unterlassenen Widerspruchs dabei von einer Zustimmung auszugehen ist und es, ähnlich wie bei Art. 1327 c. c., gerade nicht zum gänzlichen Verzicht auf eine Einigung der Parteien kommt.429 Auch nach Roppo gilt für die contratti con obbligazioni del solo proponente nach Art. 1333 c. c., dass der Vertragsschluss zwar ohne das Erfordernis einer Annahme allein durch die Untätigkeit des Angebotsempfängers nach dem Schema „proposta + mancato rifiuto/silenzio del oblato“ zustande komme.430 Dabei besteht aber, im Gegensatz zu der von Sacco vertretenen Auffassung, aufgrund des Schweigens dennoch ein (Minimal-)konsens der Parteien („accordo nella sua versione minima“ bzw. „accordo ‚leggero‘“).431 In diesem Sinne ist wohl auch die „bila424 Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 316. 425 Sacco, La conclusione dell’accordo, in: Gabrielli, I contratti in generale, 2. Auflage 2006, S. 102. 426 Irti, Scambi senza accordo, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 347, 360; vgl. auch Irti, „È vero, ma …“ (Replica a Giorgio Oppo), in: Riv. dir. civ. 1999, I, 273, passim. 427 Irti, Scambi senza accordo, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 347, 361. 428 A. A. Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 618 f., der diese Ansätze zusammenfasst. 429 A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 88 ff., 96 ff. 430 Roppo, Diritto privato, 5. Auflage 2016, S. 370; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 121. 431 Vgl. A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 112; Roppo, Diritto privato, 5. Auflage 2016, S. 370; Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 121.
II. Fattispecie di acquisto bzw. costituzione di un rapporto obbligatorio
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teralità attenuata“ (wörtl. „abgeschwächte Bilateralität“) zu verstehen, von der Conte spricht.432
bb) Kritik Der von Sacco vertretene Ansatz des contratto unilaterale ist Gegenstand scharfer Kritik in der italienischen Rechtswissenschaft. So wird ihm entgegengehalten, dass die Annahme eines Vertragsschlusses durch eine einzige Willenserklärung zu einem Verzicht auf das Erfordernis einer Einigung führt, was jedoch dem Wortlaut von Artt. 1321 und 1325 Nr. 1 c. c. zuwiderläuft, welche ausdrücklich festlegen, dass für einen Vertrag die Einigung von zwei oder mehr Beteiligten („accordo di due o più parti“) erforderlich ist.433 Ein von der Einigung der Parteien losgelöstes Verständnis des Vertrages widerspreche, so ein weiterer Einwand, nicht nur dem Gesetzeswortlaut, sondern auch der Natur des Vertrages selbst, die sich darin niederschlage, dass die Verpflichtung eben nicht aus dem Gesetz oder einseitigen Rechtsgeschäften folge, sondern aus einem Vertrag, der niemandem gegen seinen Willen aufgezwungen werden könne.434 Allen gesetzlichen Regelungen über den Prozess des Vertragsschlusses liegt immer der Gedanke der Bilateralität zugrunde.435 Ein Vertrag bedürfe immer einer Einigung, wobei es sich auch nicht um einen künstlichen Rückgriff auf eine konkludente oder vermutete Zustimmung handle, wenn man bei einem Schweigen des Angebotsempfängers im Falle von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. angesichts der Vorteilhaftigkeit seine Zustimmung vermute.436 Dass das Fehlen der Ablehnung (rifiuto) konstitutive Voraussetzung für den Vertragsschluss ist, zeigt demzufolge ebenfalls, dass auch der contratto a carico del solo proponente bilateraler Natur ist.437 Ebenso wie bei Art. 1327 c. c. ist also auch beim silenzio con valore legale des Art. 1333 c. c. eine Mitwir432 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 438 f. 433 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 619; Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 260; ebenso bereits Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 164 und Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 357 Fn. 222. 434 Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 260; Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 164. 435 Tafaro, Forniture non richieste: valore negoziale del silenzio e procedimenti formativi del contratto (Anm. zu Cass. civ. 4.12.2007, Nr. 25290), in: Notariato 2008, 620, 623: „Il minimo comune denominatore, per così dire, di tutti i procedimenti legali di formazione del contratto è però sempre rinvenibile nella bilateralità contrattuale.“ 436 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 388; eine vertragliche Verortung aus diesem Grund jedoch ablehnend Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 259. 437 Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 391.
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kung des Angebotsempfängers am Vertragsschluss in Form eines konkludenten Verhaltens bzw. des Unterlassens einer Ablehnung erforderlich.438 Auch Vertragsabschlüsse im Massenverkehr oder mittels moderner Technologien lassen sich, so der berechtigte Einwand, auf das klassische Schema von (ggf. konkludenten) Willenserklärungen der dahinterstehenden Menschen zurückführen, wobei nur auf einen Dialog, nicht aber auf eine Einigung verzichtet wird.439
c) Comportamento omissivo/onere di parlare (Pflicht- oder Obliegenheitsverletzung) als Ursache der Rechtsfolgen Teils wird hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Schweigens auch an eine Pflicht oder Obliegenheit des Schweigenden angeknüpft.
aa) Argumentation So soll die rechtliche Verpflichtung nach einer Auffassung direkt darauf zurückzuführen sein, dass der Betreffende es unterlassen hat, sich zu äußern oder zu handeln, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre oder es ihm oblegen hätte, einer falschen Deutung seines Verhaltens durch eine positive Äußerung entgegenzutreten.440 Die Rechtsfolgen sind also eine Sanktion für die Verletzung einer vom Gesetz, den Bräuchen oder dem Parteiwillen aufgestellten Pflicht durch den Schweigenden.441 Peiranis verknüpft diesen Sanktionsgedanken noch mit Saccos eben beschriebenen Ansatz hinsichtlich der Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses: das Gesetz vereinfache den Vertragsschluss, um so die Pflichtverletzung des Schweigenden zu sanktionieren.442 Ursache der Ver438
Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 357 Fn. 222. Oppo, Disumanizzazione del contratto?, in: Riv. dir. civ. 1998, I, 525, passim; ebenso G. Benedetti, Diritto e linguaggio. Variazioni sul „diritto muto“, in: Europa e diritto privato, 1999, 137, 148. 440 Für eine Pflicht (obbligo): Peiranis, Il silenzio, seguito da esecuzione, ha lo stesso valore nella conclusione di un contratto nuovo e nel rinnovo, con modifiche, di un contratto esistente? (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1563; teils für eine Obliegenheit (onere): Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1176 f.; für eine Sanktion teils auch Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 95 f.; in der Rechtsprechung bereits Cass. Regno 3.3.1933, in: Rep. Foro it. 1933 Nr. 57 („Il silenzio può essere interpretato quale una manifestazione di volontà […] in determinate circostanze, come nel caso in cui, date le relazioni estistenti tra due persone, il comune modo di agire renderebbe doveroso il parlare.“). 441 Peiranis, Il silenzio, seguito da esecuzione, ha lo stesso valore nella conclusione di un contratto nuovo e nel rinnovo, con modifiche, di un contratto esistente? (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1563. 442 Peiranis, Il silenzio, seguito da esecuzione, ha lo stesso valore nella conclusione di un contratto nuovo e nel rinnovo, con modifiche, di un contratto esistente? (Anm. zu Cass. civ. 22.7.1993, Nr. 8191), in: Giur. it. 1994, I, 2, 1562, 1563. 439
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pflichtung soll auch nach Patti, soweit kein konkludentes rechtsgeschäftliches Schweigen vorliegt, allein das comportamento ommissivo trotz einer Pflicht oder Obliegenheit zum Sprechen sein („dovere di parlare […] o un onere di parlare“), ohne dass dem Schweigen dabei ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zukommt, da die Unterstellung eines entsprechenden Willens des Untätigen eine bloße Fiktion ist.443 Freilich ist Pattis Ansatz dabei eng mit dem Vertrauen (affidamento) des Rechtsverkehrs auf die Erklärungsbedeutung des Schweigens verknüpft.
bb) Kritik Die Anknüpfung an eine Pflicht- oder Obliegenheitsverletzung zur Begründung einer vertraglichen Erfüllungspflicht wird häufig als nicht überzeugend zurückgewiesen. So wird eingewandt, dass aus der Verletzung einer Widerspruchspflicht nur eine Schadensersatzpflicht (obbligo di risarcimento di danni) nach Artt. 1327 Abs. 2, 1328 c. c. folgen kann, die Nichtbeachtung der Pflicht zum Widerspruch aber nicht Grundlage für die unterschiedliche Rechtsfolge einer vertraglichen Verpflichtung sein kann.444 Es seien Gesichtspunkte von Treu und Glauben, Bräuche, Gewohnheiten und die zwischen den Parteien etablierte Geschäftspraxis, kurz die Erfahrung (esperienza), die eine Schlussfolgerung hinsichtlich der rechtsgeschäftlichen Bedeutung eines Schweigens zuließen, während die Verletzung einer Pflicht zum Widerspruch allein nicht zu erklären vermöge, warum das Schweigen die gleichen Rechtsfolgen wie eine Willenserklärung nach sich ziehe.445 Eingewandt wird auch, dass eine derartige Pflicht zur Äußerung gegenüber einer bestimmten Person nur im Gesetz oder dem Willen begründet sein kann. Wenn sie hingegen gegenüber allen besteht, kann sie keinen positiven Gehalt aufweisen, sondern nur Schadensersatzpflichten nach Art. 2043 c. c. nach sich ziehen.446 Vorgebracht wird zudem, dass die Zurückführung der Bedeutung eines Schweigens auf die Verletzung einer Widerspruchspflicht einerseits zu einer Verengung des Anwendungsbereichs des Schweigens als Verpflichtungsgrund führt, weil das Vorliegen einer solchen Pflicht erst geprüft werden muss, andererseits zu einer „gefährlichen“ Erweiterung führen kann, da es für das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts nicht mehr auf die das Schweigen begleitenden 443 444
Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 95 f. Betti, Teoria generale del negozio giuridico (Nachdruck), 2. Auflage 1952, S. 146; ebenso Mirabelli, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band IV/2, 1958, S. 294. 445 Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 789; ebenso auch Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 1. 446 Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 163.
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Umstände ankommt, sondern allein auf die Widerspruchspflicht.447 Auch besteht gar keine Notwendigkeit, die Bedeutung eines Schweigens auf die Verletzung einer Obliegenheit bzw. Pflicht zum Sprechen zurückzuführen, sondern wie bei jedem anderen konkludenten Verhalten sind es die konkreten Umstände, die dazu führen, dass ihm ein bestimmter Erklärungswert entnommen werden kann.448 Die Obliegenheit, sich durch Widerspruch gegen eine Interpretation seines Verhaltens zu verwahren, existiert bei allen konkludenten Verhaltensweisen, ist aber nicht Ursache ihrer Bewertung im Rechtsverkehr.449 Pflichtverletzungen ziehen stets nur einen Schadensersatzanspruch, Obliegenheitsverletzungen nur eine decadenza nach sich, nie jedoch die Begründung eines Vertrags.450
cc) Rückgriff auf obbligo/onere di parlare im Rahmen der Auslegung Daneben mehren sich aber auch Ansätze, die die Verpflichtung oder Obliegenheit zum Sprechen (obbligo/onere di parlare) mit einem Verständnis des silenzio circostanziato als Willenserklärung vereinbaren wollen: Nach Auffassung von Rolli handelt es ich bei dem von Teilen der Rechtsprechung und Literatur gegenwärtig praktizierten Abstellen auf eine Widerspruchspflicht nur um einen Umstand, der ebenso wie jeder andere bei der Prüfung der Konkludenz eines Schweigens zu berücksichtigen ist und welcher auch in der Tradition begründet ist451: „Forse si può anche affermare che nella regola del ‚silenzio circostanziato‘, per come essa si è venuta a sedimentare lungo i secoli, il riferimento dell’obbligo di parlare costituisce un omaggio, un richiamo all’antica teoria del silenzio.“ Das „loqui debuisset“ dient nach Giampiccolo sogar allein als Korrektiv zur Überprüfung der zuvor bereits erfolgten Auslegung des Schweigens.452 Bereits Barassi als Anhänger der Vertrauenstheorie (teoria dell’affidamento) weist darauf hin, dass die Pflicht zum Widerspruch nicht Ansatzpunkt für die vertragliche Verpflichtung sein kann, wohl aber ein bei der Beurteilung, ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Gegenübers in das Vorliegen einer Willenserklärung vorliegt, zu berücksichtigender Umstand.453 Man kann, so auch Conte, allenfalls im umgekehrten Sinn von einem onere sprechen, nämlich in dem Sinne, 447 Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73, 76. 448 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2. 449 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 788. 450 Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 188 ff. 451 Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 250. 452 Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 789. 453 Barassi, La teoria generale dei negozi, Band 2, Le fonti, 2. Auflage 1948, S. 120 f.
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dass der Schweigende, der untätig bleibt, das Recht verliert, den durch sein Verhalten in Gang gesetzten Vertragsschlussprozess zu unterbrechen.454
d) Rückgriff auf buona fede, affidamento, principio dell’apparenza, usi (Treu und Glauben, Vertrauen, Rechtsschein, Gebräuche) Daneben wird für die Erklärung der Rechtsfolgen eines beredten Schweigens auch auf Treu und Glauben (buona fede), das Vertrauen (affidamento) bzw. den Rechtsschein ( principio di apparenza) und die Gebräuche (usi) zurückgegriffen.
aa) Argumentation Für die Begründung der vertraglichen Bindung infolge einer tolleranza gegenüber dem Auftreten eines nicht beauftragten Vertreters wird der – freilich nicht zum deutschen § 242 BGB deckungsgleiche455 – Grundsatz von Treu und Glauben ( principio di buona fede) herangezogen.456 Eine vertragliche Bindung kann demnach nicht nur aus einer Willenserklärung wie beispielsweise der konkludenten Vollmachtserteilung folgen, sondern auch aus dem Verhalten des Vertretenen und dem Vertrauen (affidamento) des Dritten hierauf.457 Bei einer Verobjektivierung und Loslösung des Begriffs der Willenserklärung vom tatsächlichen Willen des Erklärenden bzw. Schweigenden, wie sie von der herrschenden Auffassung vertreten werde, werde letztlich eine Fiktion (finzione) vorgenommen, um nur rein formell im Bereich der Privatautonomie zu bleiben („restando formalmente nell’ambito dei principi dell’autonomia privata“).458 Diese Überspannung des Begriffs des Rechtsgeschäftes stellt, so Patti, ein „gefährliches System der Fiktionen“ dar und riskiere die Aushöhlung der eigentlichen Privatautonomie.459 Dementsprechend sollen von den Verhaltensweisen, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Willenserklärungen sind, jene abgegrenzt werden, denen eine solche privatautonome Bedeutung nicht zukommt; allein ausschlaggebend ist dafür, wie eben schon erwähnt, welche Bedeutung die Gesellschaft dem jeweiligen Verhalten beimisst.460 Im Ergebnis unterscheidet Patti damit die Fälle, in denen ein silenzio dergestalt von zusätzlichen Umständen begleitet ist, dass es zur Willenserklärung wird, von jenen Konstellationen, in denen eine bloße inerzia bzw. tolleranza vorliegt, deren Folgen nicht rechtsgeschäftlich, sondern nur über die 454 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 407 f. 455 Dazu Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. 161 ff. 456 So von Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 153 f. 457 Vgl. Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 153. 458 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 79 f. 459 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 77. 460 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 83.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
buona fede oder aber auch eine Pflicht bzw. Obliegenheit zum Sprechen zu erklären sind.461 Seiner Auffassung nach besteht vielmals keine Notwendigkeit, auf eine Willenserklärung zu rekurrieren bzw. eine solche zu fingieren, da die Rechtsfolgen auch schlicht auf ein bestimmtes Verhalten gestützt werden könnten.462 Freilich bedeutet dies nicht unbedingt, dass deshalb dem Schweigen generell die Qualität einer Willenserklärung abgesprochen wird; vielmehr werden Gesichtspunkte von Treu und Glauben u. ä. zumeist ohnehin nur zur Ermittlung herangezogen, ob eine solche Erklärung vorliegt oder nur dann zur Begründung der Rechtsfolgen herangezogen, wenn ein Rückgriff auf eine konkludente Willenserklärung als zu fernliegend abgelehnt wird, wie im Falle einer rappresentanza tollerata. Dennoch begegnet der Rückgriff auf die buona fede teils scharfer Kritik (sogleich § 3 II. 6. d) bb)). Auch die Rechtsprechung greift teils für die Begründung einer Erfüllungshaftung zugunsten desjenigen, der im guten Glauben einen Vertrag mit einem falsus procurator schließt, auf das Prinzip der Rechtsscheinhaftung ( principio dell’apparenza del diritto) zurück, wenn der Vertretene schuldhaft durch sein positives oder negatives Verhalten den Rechtsschein einer bestehenden Vertretungsmacht verursacht hat, sodass ein Dritter vernünftigerweise darauf vertrauen durfte.463 Ebenso werden in anderen Konstellationen die Rechtswirkungen eines Schweigens teils mit der buona fede bzw. dem vernünftigen Vertrauen (ragionevole affidamento) der Gegenpartei begründet, da aus Vertrauensschutzaspekten der scheinbare Wille (volontà apparente) gegenüber dem wirklichen (volontà vera) überwiegen müsse.464 Daneben wurden in der Vergangenheit die Rechtsfolgen eines Schweigens unter Kaufleuten auch mit den zwischen ihnen geltenden Bräuchen („usi commerciali“) erklärt, denen Gesetzeskraft zukommen sollte.465 Im Zuge der Zusammenführung des Codice di commercio und des früheren Codice civile im jetzigen Codice civile von 1942 wurde jedoch in Art. 8 der Disposizioni sulla legge in generale und Art. 1374 c. c. festgelegt, dass die Bräuche grundsätzlich nur in Ermangelung von gesetzlichen Bestimmungen oder wenn diese auf sie verweisen, gelten. Auch Art. 1340 c. c., wonach gebräuchliche Klauseln Vertragsbestandteil werden, wenn sich nicht ergibt, dass die Parteien dies nicht wollten, bewirkt nicht, dass Bräuchen der Wert gesetzlicher Normen zukommt, 461
Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 94 u. 153 f. Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 99. Cass. civ. 5.3.1958, Nr. 2716, in: Rivista di diritto commerciale, 1959 II, 335, 336 (m. Anm. Benatti); Cass. civ. 20.10.1954, Nr. 3080, in: Rep. Foro it. 1954, Stichwort „Mandato“, Nr. 49. 464 Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582 m. Anm. De Martini, der zu Recht kritisiert, dass das Gericht in seiner Begründung etwas unglücklich auf verschiedene Konzepte abstellt (583). 465 Simoncelli, Il silenzio nel diritto civile, in: Scritti giuridici, 1938, S. 579. 462 463
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sondern ist nur dahingehend zu verstehen, dass Bräuche als Auslegungshilfe dienen können.466
bb) Kritik Eingewandt wird gegen einen Rückgriff auf die usi zunächst, dass Gewohnheiten und Gebräuche zwar dazu führen könnten, dass jemand die Folgen eines Schweigens ertragen muss, dass sie jedoch nicht Ursache des Erklärungsgehalts eines Schweigens sein können.467 Der dennoch in Rechtsprechung und Literatur erfolgende Rückgriff hierauf sei sogar contra legem, da Gebräuchen und Gewohnheiten nach der Rechtsordnung, wie auch der eben zitierte Art. 1374 c. c. zeige, kein rechtlicher Wert zukomme.468 Schon früh wurde vorgebracht, dass ein Abstellen auf buona fede, affidamento und andere ethische Kategorien ebenfalls nicht zu erklären vermag, warum eine Willenserklärung entbehrlich ist.469 Der Rückgriff auf die buona fede ist nach dieser Auffassung im Zusammenhang mit einem Schweigen nicht erfolgversprechend, da das Schweigen seiner Natur nach „equivoco“, also zweideutig ist und daher schon gar keine Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen bilden kann.470 Soweit von einem Schweigenden geschaffene Umstände vorliegen, die ein Vertrauen des Gegenübers begründen bzw. zu dessen Täuschung führen können, handelt es sich demnach schon gar nicht mehr um ein bloßes Unterlassen (comportamento omissivo), sondern um ein konkludentes Handeln.471 Ein Heranziehen der buona fede in Gestalt von Art. 1175 c. c. und Art. 1337 c. c. zur Begründung einer vertraglichen Verpflichtung infolge eines Schweigens scheitere daran, dass die erstgenannte Norm die Durchführung, nicht die Begründung eines Vertrags, die zweitgenannte Vorschrift die Haftung aus culpa in contrahendo bei einem nicht zustande gekommen Vertrag betreffe.472 Auch von Segni wird vorgebracht, dass das principio di buona fede keinen mit dem deutschen Recht vergleichbaren weiten Anwendungsbereich hat, sondern ein bereits bestehendes Verhältnis zwischen den Parteien (etwa ein Schuldverhältnis oder Vertragsverhandlungen) voraussetzt.473 Die buona fede 466 Mirabelli, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band IV/2, 1958, S. 90 f. 467 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 299 f.; vgl. auch Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio giuridico, 1950, S. 205 (Fn. 9). 468 Vgl. Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 299 f. 469 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 186. 470 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 300. 471 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 300. 472 De Martini, In tema di „silenzio“ nella conclusione dei contratti (Anm. zu Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950), in: Foro it. 1950, I, 582, 582 f. 473 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 75 ff.
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allein kann damit nach verbreiteter Auffassung nicht über das Bestehen eines Vertrags entscheiden.474 Scharfer Kritik begegnet auch der Rückgriff auf das principio dell’apparenza und gleichermaßen der ihr verwandte Ansatz der Vertrauenshaftung. Eine solche Rechtsscheinhaftung überzeuge angesichts der Heterogenität der Fälle und ihrer fehlenden gesetzlichen Verankerung nicht, da das italienische Recht nicht über den §§ 171, 172 BGB vergleichbare Regelungen verfüge und anders als das deutsche Recht in Art. 1392 c. c. die Einhaltung der Form des zu schließenden Vertrages für die Vollmachtserteilung verlange.475 Die buona fede an sich werde nach der Konzeption des italienischen Zivilrechts nicht geschützt; erforderlich sei vielmehr stets das Vorliegen einer objektiven Situation, deren Bestandteil wiederum die Gutgläubigkeit bzw. die fehlende Bösgläubigkeit sei.476 Überzeugend wird hinsichtlich des Abstellens auf den Rechtsschein in Zusammenhang mit Willenserklärungen eingewandt, dass der Rechtsschein immer nur eine bestimmte Rechtslage betrifft und daher nicht für das Vorliegen eines bestimmten Willens als psychischer und nicht rechtlicher Tatsache herangezogen werden kann.477 Die bloße im Schweigen liegende Duldung des Verhaltens eines anderen könne zwar unter Umständen einen Vertrauensschutz nach sich ziehen, der jedoch nicht mit einer rechtsgeschäftlichen Erklärung und deren Wirkungen gleichgesetzt werden könne.478 Auch bestehe keine Notwendigkeit, auf das principio di apparenza zurückzugreifen, wenn bereits eine hinreichende gesetzliche Regelung für einen Fall bestehe.479 Eine Vertrauens- oder Rechtsscheinhaftung vermag demnach nicht, die Rechtswirkungen des Schweigens zu erklären.480
cc) Einfluss der buona fede auf die objektive Erklärungsbedeutung Bei näherem Betrachten zeigt sich jedoch, dass ein Rückgriff auf die genannten Prinzipien von buona fede, affidamento u. a. nicht notwendig mit einer Einord474 Vgl. Busnelli, Note in tema di buona fede ed equità, in: Riv. dir. civ. 2001, 537, 555 f.; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 188 f. 475 Benatti, Contratto concluso da „falsus procurator“ e responsabilità del „dominus“, in: Riv. dir. comm., 1959, II, 335, 336 und 338 ff.; vgl. auch Marcatojo, Rappresentanza e diritto europeo, 2011, S. 209 ff. 476 Nicolò, La c. d. procura apparente (Anm. zu Corte d’Appello di Milano, 27.12.1934), S. 362 f., in: Nicolò, Raccolta di Scritti, Band 1, 1980. 477 Falzea, Apparenza, in: Enciclopedia del Diritto, Band 2, 1958, 689. 478 Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1119; ebenso Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 189. 479 Falzea, Apparenza, in: Enciclopedia del Diritto, Band 2, 1958, 701 u. a. zum mandato. 480 Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 722; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 189; grundlegend bereits Nicolò, La c. d. procura apparente, (Anm. zu Corte d’Appello di Milano, 27.12.1934), S. 359 ff. in: Nicolò, Raccolta di Scritti, Band 1, 1980.
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nung des silenzio circostanziato als Willenserklärung kollidieren muss: Im italienischen Recht gilt, wie bereits zum Erklärungsbewusstsein ausgeführt (oben 3 § II. 5. b) bb)), das principio di affidamento. Richtig verstanden umfasst der Begriff der konkludenten Willenserklärung damit auch Fälle des Rechtsscheins (apparenza).481 Hinsichtlich der Bedeutung eines Schweigens wird von Patti dementsprechend auch präzisierend ausgeführt, dass bekanntermaßen nicht mehr der subjektive Wille, sondern die objektive Bedeutung des Verhaltens aus Sicht eines vernünftigen Erklärungsgegners für das Vorliegen einer privatautonomen Willenserklärung entscheidend ist.482 Letztlich geben demnach für die Bewertung, ob eine Annahme vorliegt, nicht der Wille des Angebotsempfängers, sondern sein Verhalten, die Umstände und das Vertrauen des Anbietenden den Ausschlag, wobei ein möglichst gerechter Interessenausgleich durch Berücksichtigung der sozialen Bedeutung des Verhaltens (significato sociale del comportamento) vorgenommen wird.483 Das schutzwürdige Vertrauen (affidamento) des Gegenübers des Schweigenden, welches an dessen vernünftige Erwartung (aspettativa ragionevole) und den nach Treu und Glauben erforderlichen Widerspruch des Schweigenden anknüpft, dient also der Ermittlung, ob eine konkludente Willenserklärung vorliegt.484 Der Ansatz, die Erklärungswirkung des Schweigens mit dem Vertrauen in den gesetzten Rechtsschein erklären, reicht dabei in der italienischen Literatur weit zurück: bereits Ranelletti stellt für die Feststellung, wann eine Willenserklärung vorliegt, maßgeblich auf das Vertrauen (affidamento) der Gegenseite ab.485 Auch bei der näheren Analyse von Entscheidungen der Rechtsprechung486 zeigt sich, dass oft der Rückgriff auf die buona fede, apparenza oder das affidamento eigentlich nur deshalb erfolgt, um zu rechtfertigen, warum das Schweigen im konkreten Fall als konkludente Willenserklärung gewertet werden kann. In einer jüngeren Entscheidung hat die Corte di Cassazione zudem explizit zwischen einem Schweigen als Willenserklärung und einem Schweigen als Ursache einer Haftung aus Art. 1337 c. c. wegen Treu und Glauben unterschieden.487 481 Vgl. Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 722; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2. 482 Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 230 f. 483 Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 231. 484 Vgl. Barassi, La teoria generale dei negozi, Band 2, Le fonti, 2. Auflage 1948, S. 119 ff. 485 Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, Band 13, fasc. 1, 1892, 3, 4. 486 Etwa Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950, in: Foro it. 1950 I, 582, 585 m. Anm. De Martini. 487 Cass. civ. 25.11.1997, Nr. 11811; ablehnend dazu Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 189 f. Fn. 400 m. w. N.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
Auch wenn gegen ein alleiniges Abstellen auf das Vertrauen oder den Rechtsschein zur Erklärung der Rechtsfolgen eines Schweigens berechtigte Einwände erhoben werden, dürfte im italienischen Recht damit insgesamt anerkannt sein, dass Kriterien wie der buona fede, affidamento und apparenza zentrale Bedeutung bei der Ermittlung der Konkludenz eines Schweigens und der damit einhergehenden Entscheidung zukommt, ob eine Willenserklärung vorliegt.
8. Normierte Fälle des Schweigens als Willenserklärung? Ob das silenzio con valore legale ebenso wie das silenzio circostanziato einer rechtsgeschäftlichen Erklärung gleichsteht oder seine Rechtswirkungen aus anderen Gründen folgen, ist im italienischen Recht stark umstritten. Die Bejahung oder Verneinung des Vorliegens einer Willenserklärung hat vor allem hinsichtlich der sogleich noch zu thematisierenden Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen Relevanz. Angesichts der recht unübersichtlichen Rechtslage kann im Folgenden nur der Versuch einer strukturierenden Zusammenfassung der Vielzahl der hierzu vertretenen Auffassungen und Unterauffassungen unternommen werden. Nach einer von Vielen vertretenen Auffassung hindert die gesetzliche Typisierung nicht den rechtsgeschäftlichen Charakter des Schweigens: Auch eine gesetzlich bestimmte Notwendigkeit des Widerspruchs bzw. der Äußerung zur Vermeidung einer Verpflichtung führt demnach dazu, dass das Schweigen zum konkludenten Verhalten (comportamento concludente) bzw. zur accettazione tacita werden kann.488 Zentrale Bedeutung für die dogmatische Einordnung und damit auch die Rechtsfolgen kommt dabei der Abgrenzung zwischen dem positive Folgen nach sich ziehenden silenzio und den Fällen zu, in denen es infolge eines Schweigens zu einem Rechtsverlust (decadenza) kommt, welcher nicht rechtsgeschäftlich zu erklären ist (unten § 3 III. 1. c)).489 Freilich ist die Zuordnung zur einen oder anderen Gruppe, wie oben bereits gesehen (§ 3 II. 1.), in vielen Fällen nicht unumstritten.490 488 Galgano, Il contratto, 2. Auflage 2011, S. 126; Galgano, Istituzioni di diritto privato, 9. Auflage 2019, S. 180; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 799; Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, 333 f.; Paradiso, Corso di istituzioni di diritto privato, 10. Auflage 2018, S. 347; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 244; wohl auch Scognamiglio, Contributo alla teoria del negozio giuridico, 1950, S. 188 („carattere negoziale“); Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 163 f.; Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 163 f. 489 Vgl. Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 3; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 800 ff. 490 Vgl. den Versuch der Zuordnung bei Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 333 ff.
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Nicht nur Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c., sondern etwa auch die relocatio tacita, Art. 1665 Abs. 3 und 4 c. c., Art. 1832 Abs. 1 c. c., Art. 1712 Abs. 2 c. c. und sogar Art. 1399 Abs. 4 c. c. werden teils als accettazione tacita angesehen.491 Vorgebracht wird insoweit, dass der Schweigende es auch im Falle von gesetzlich festgelegten Rechtswirkungen eines Schweigens wie Art. 1333 Abs. 2 c. c. in der Hand hat, durch seinen Widerspruch oder Rücktritt die Vertragsbegründung oder -änderung zu verhindern, sodass im Umkehrschluss seiner Untätigkeit der Wille zu entnehmen ist, dass die betreffenden Rechtswirkungen eintreten sollen.492 Auch der Wortlaut von Art. 1333 Abs. 2 c. c., in dem von „proposta“ und „contratto“ die Rede ist, wird als Stütze für diese Auffassung angeführt.493 Dass es manchmal angebrachter erscheint, von einer accondiscendenza, also einem Entgegenkommen, statt einer Zustimmung des Schweigenden zu sprechen, sei für die rechtliche Bewertung irrelevant, da die Intensität einer Annahme abgesehen von Willensmängeln nicht überprüfbar ist.494 Nach Giampiccolo stellen die meisten der normierten Fällen des Schweigens letzlich Auslegungsregeln des Gesetzgebers und damit rechtsgeschäftliche Erklärungen dar, soweit es sich nicht um einen Rechtsverlust (decadenza) infolge eines Schweigens handelt.495 Letztlich liegt nach dieser Auffassung damit auch im Falle gesetzlich festgelegter Rechtsfolgen eines Schweigens wie Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. ein – wenn auch vom Gesetzgeber angeordnetes – silenzio circostanziato bzw. eine konkludente Zustimmung vor.496 Teilweise wird zwar auch von einer manifestazione di volontà presunta gesprochen497 bzw. die Möglichkeit der Verwendung des deutschen Begriffs der fingierten Willenserklärung für diejenigen Fälle angedacht, in denen der Schweigende nicht um die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen seines Schweigens wusste, wobei dies letztlich keinen Unterschied macht, da das normierte Schweigen jedenfalls wie eine Willenserklärung behandelt wird.498 Dem steht die Auffassung gegenüber, wonach es sich bei den gesetzlich angeordneten Rechtsfolgen eines Schweigens nicht um einen rechtsgeschäftlichen Willen oder eine Vermutung handelt, sondern schlicht um vom Gesetz 491 Vgl. Messineo, Il contratto in genere, Band 1, 1967, S. 333 f. 492 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015,
615, 623. Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 267. 494 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 623. 495 Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 799. 496 Vgl. Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 261; Paradiso, Corso di istituzioni di diritto privato, 10. Auflage 2018, S. 347. 497 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 551. 498 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 623 Fn. 47. 493
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
angeordnete objektive Rechtsfolgen der unterlassenen Handlung.499 In diesen Fällen nehme der Gesetzgeber eine Bewertung der Interessen vor, während der tatsächliche Wille des Schweigenden völlig unerheblich sei und kein Gegenbeweis hinsichtlich seines fehlenden Willens möglich sei, weshalb auch keine dichiarazione bzw. manifestazione tacita vorliege.500 So ist Conte der Auffassung, dass bei Art. 1333 c. c. an eine bloße inerzia angeknüpft wird und daher nicht von einem konkludenten Verhalten gesprochen werden kann, sondern allein ein gesetzlicher Mechanismus der Vermutung (meccanismo legale presuntivo) die Rechtswirkungen des Schweigens begründet.501 Dabei differenzieren jedoch viele der Autoren, die grundsätzlich diese Ansicht vertreten, hinsichtlich der verschiedenen Normen und schaffen so weitere Unterauffassungen, die teils letztlich doch wieder stark in die Nähe der erstgenannten Auffassung rücken: Zunächst wird eine Unterscheidung nach der Art der gesetzlichen Typisierung befürwortet: so möchte Schlesinger ähnlich wie Giampiccolo zwischen den Fällen differenzieren, in denen das Gesetz nur typischerweise von einem bestimmten Erklärungsgehalt eines Verhaltens ausgeht oder eine Widerspruchsmöglichkeit zulässt und jenen der sog. dichiarazione legalmente tipizzata, in denen es überhaupt nicht auf einen entsprechenden konkreten Willen ankommt und auch keine Möglichkeit für den Betroffenen besteht, die Rechtsfolgen zu verhindern, sodass es sich um eine bloße Fiktion (finzione) handeln soll.502 Auch bei weiteren Autoren findet sich der Gedanke einer solchen Unterteilung zwischen relativer und absoluter gesetzlicher Typisierung.503 So unterscheidet Trabucchi zwischen den Fällen, in denen im Schweigen nach der gesetzlichen 499 So etwa Cass. civ. 26.6.1995, Nr. 7216; Cass. civ. 27.9.1995, Nr. 10235, in: Giust. civ. 1996, I, 3007; Ormanni, Forma del negozio giuridico, in: Novissimo Digesto, 1957, S. 567; ebenso Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 259; Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 416 f., Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 140; zu Art. 1333 c. c.: Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 404 ff.; Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 519 ff.; Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 164 f. 500 Vgl. Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 96; Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 416 f.; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 143; Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 519 f.; eingehend auch Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 335 ff.; Cass. civ. 27.9.1995, Nr. 10235, in: Giust. civ. 1996, I, 3007. 501 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 405, 437, 446 f. 502 Schlesinger, Dichiarazione (teoria generale), Enciclopedia giuridica Treccani, Band 12, 1964, S. 384. 503 Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 520 m. w. N.; vgl. Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 415 ff.
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Wertung eine Willenserklärung liegt und solchen, in denen die Rechtsfolgen unabhängig von einem wirklichen oder fingierten Willen aufgrund der Verletzung der Obliegenheit zum Tätigwerden (onere di iniziativa) wie bei Artt. 1712, 1832 c. c. eintreten.504 Ein Verhalten kann, so Segni, der ebenfalls nicht alle Fälle normierten Schweigens gleich behandeln will und beispielsweise Art. 1333 c. c. im Gegensatz zur relocatio tacita als Willenserklärung auffasst, nur dann als rechtsgeschäftlich bezeichnet werden, wenn die Rechtsfolgen dem Willen des Betroffenen entspringen und er sich über die rechtliche Relevanz seines Verhaltens bewusst ist.505 Scognamiglio will zwar im Fall von Art. 1333 c. c. keine konkludente Willenserklärung sehen, sondern lehnt dies mit der Begründung ab, dass eine reine Untätigkeit keine Zustimmung zum Ausdruck bringen könne und damit die Rechtsfolgen allein auf dem Eingreifen des Gesetzes beruhten; letztlich verleihe das Gesetz aber dem Verhalten dennoch rechtsgeschäftlichen Erklärungswert (valore negoziale).506 Teilweise wird auch offengelassen, ob die gesetzlich festgelegten Rechtswirkungen eines Schweigens an eine manifestazione di volontà oder an eine „mera condotta“, also ein bloßes Verhalten, anknüpfen.507 Die Rechtsprechung ist hinsichtlich der Frage, ob die gesetzlich festgelegten Folgen eines Schweigens als Willenserklärung einzuordnen sind, uneinheitlich: Beispielsweise beruft sich auch die Corte di Cassazione für die von ihr vertretene Auffassung, dass das Schweigen eine tacita manifestazione di volontà darstellen kann, auf ihre zur relocatio tacita (Art. 1597 c. c.) entwickelte Rechtsprechung, welche ihrer ratio nach auf eine Vertragsverlängerung infolge eines Schweigens übertragbar sei.508 Auch Art. 1665 c. c. ordnet sie etwa als „accettazione tacita“ mit rechtsgeschäftlichem Erklärungsgehalt ein.509 Wohl überwiegend wird bei Art. 1333 Abs. 2 c. c. eine tacita accettazione des Schweigenden angenommen.510 Andere Entscheidungen lehnen hingegen die Annahme eines rechtsgeschäftlichen Akts bzw. einer konkludenten Willenserklärung im Rahmen von Art. 1333 Abs. 2 c. c. ab, da die Norm nicht den Nachweis eines entgegenstehenden Willens zulasse.511 504 505
Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 140 Rn. 66. Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 190, 335 ff. sowie speziell zu Art. 1333 c. c. S. 374 ff. und insbesondere S. 394 ff. 506 Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 164 f. 507 So zu Art. 1597 c. c.: Lipari, Proroga in generale (dir. priv.), in: Enciclopedia del diritto, Band 37, 1988, S. 407. 508 Cass. civ. 15.4.1998, Nr. 3803, in: Foro it. 1998 I, 2, 2133, 2138. 509 Cass. civ. 10.11.2015, Nr. 22879, S. 5. 510 Cass. civ. 16.3.1951, Nr. 672, in: Giur. it., 1952, I, 1, 858. 511 Etwa Cass. civ. 26.6.1995, Nr. 7216; Cass. civ. 27.9.1995, Nr. 10235, in: Giust. civ. 1996, I, 3007; dazu auch Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1184 m. w. N. d. Rspr.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
Insgesamt dürften damit diejenigen Stimmen in der italienischen Literatur und Rechtsprechung überwiegen, welche das silenzio con valore legale zumindest in den meisten Fällen rechtsgeschäftlich einordnen.
9. Möglichkeit der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen Im italienischen Recht wird hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen oft nicht zwischen den gesetzlich festgelegten Rechtsfolgen eines Schweigens und den Fällen, in denen das Schweigen aufgrund von anderen Umständen als der gesetzlichen Anordnung Rechtsfolgen nach sich zieht, unterschieden.512 Dies erklärt sich auch damit, dass, wie eben gesehen, häufig das silenzio con valore legale als konkludente Willenserklärung verstanden wird.
a) Rechtslage beim silenzio circostanziato Als nach überwiegender Auffassung vollwertige manifestazione di volontà muss das beredte Schweigen auch alle für eine solche erforderlichen Tatbestandsmerkmale aufweisen, wie die Geschäftsfähigkeit des Schweigenden und die Freiheit der Erklärung von Willensmängeln (vizi di volontà).513 Auch die Corte di Cassazione hat ausdrücklich in einem obiter dictum bereits erwähnten, vielbeachteten514 Urteil aus dem Jahr 1998 entschieden, dass auf das Schweigen als konkludente Willenserklärung (tacita manifestazione di volontà) grundsätzlich alle Vorschriften über Willenserklärungen, insbesondere auch jene über Willensmängel (vizi di volontà) anwendbar sind.515 Dabei wird ganz überwiegend von einer direkten Anwendung ausgegangen.516 Nur wer, wie Sacco, dem Schweigen die Qualität einer Willenserklärung abspricht, steht vor dem Problem, in welchen Grenzen eine Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen erfolgen soll. Sacco spricht sich für eine einzelfallabhängige 512 Vgl. Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 623 Fn. 47; Galgano, Il contratto, 2. Auflage 2011, S. 128 („in tutti questi casi“); Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 799. 513 Statt vieler Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 145; Galgano, Il contratto, 2. Auflage 2011, S. 128 m. w. N.; Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 12; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 227 und 255. 514 Vgl. dazu etwa Lenoci, Il silenzio nella conclusione e nell’esecuzione del contratto, in: La rilevanza del silenzio, Giur. merito 2008, suppl. 07/08, 6, 12; sowie eingehend Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206 ff. 515 Cass. civ. 15.4.1998, Nr. 3803, in: Foro it. 1998 I, 2, 2133, 2138; vgl. ähnlich aber bereits Cass. civ. 8.6.1962, Nr. 1425, in: Rep. Foro it. 1962, Stichwort „Divisione“ Nr. 50. 516 Für eine analoge Anwendung der Vorschriften auf konkludentes Verhalten aber wohl Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792.
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und angesichts ihrer Komplexität wenig überzeugende Handhabung aus: so soll etwa eine Anfechtung wegen Drohung oder Täuschung oder bei Erkennbarkeit des Irrtums möglich sein, wobei keine festen Regeln formuliert werden könnten; hinsichtlich der Formvorschriften soll beispielsweise differenziert werden, ob die Rechtswirkungen auf dem Gesetz beruhten oder aber auf einer Vereinbarung, Bräuchen und Treu und Glauben, wobei in den letztgenannten Fällen die Formvorschriften nicht ausgehebelt werden könnten.517 Zu beachten ist, dass im italienischen Recht eine besondere Behandlung schlüssiger Willenserklärungen gegenüber ausdrücklichen Erklärungen hinsichtlich der Anwendung der Regelungen über Willenserklärungen erwogen wird (vgl. bereits oben § 3 II. 5. b) bb)).518 Die unterschiedliche Behandlung betrifft jedoch vor allem die bereits beschriebene Rolle des Erklärungsbewusstseins519 und ist zudem im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur beschränkt von Interesse, da das silenzio circostanziato ohnehin fast immer einen Unterfall des konkludenten Verhaltens darstellt. Zudem ist auch im italienischen Recht anerkannt, dass das Schweigen als konkludentes Verhalten grundsätzlich gleichwertig zu ausdrücklichen Willenserklärungen ist und damit auch denselben Regelungen unterworfen ist wie diese.520 Besonderheiten in der Behandlung betreffen damit nur einzelne Aspekte, wie beispielsweise das eben schon erwähnte Erklärungsbewusstsein oder naturgemäße Unterschiede bei der Auslegung eines Verhaltens, und stellen damit bloße interessengeleitete Randkorrekturen der grundsätzlichen Gleichstellung beider Erscheinungsformen der Willenserklärung dar. Von besonderem Interesse ist die Anfechtbarkeit eines silenzio circostanziato wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins. Häufig dürfte sich der Schweigende nämlich nicht über den Erklärungsgehalt seines Verhaltens bewusst sein. Soweit die Anfechtbarkeit aufgrund einer consapevolezza in der italienischen Literatur explizit thematisiert wird, was eher selten der Fall ist521, wird die Geltendmachung des fehlenden Erklärungsbewusstseins im Rahmen einer Anfechtung zumeist abgelehnt.522 Der jeweiligen Argumentation vorangestellt seien der Verständlichkeit halber die entsprechenden Normen des Codice civile im 517 518
Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 305 ff. Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792; kritisch dazu Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, Band 1, 2007, S. 871. 519 Vgl. Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 498 ff. 520 Vgl. nur Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 145; Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 646. 521 Vgl. nur den staunenden Blick auf die deutsche Diskussion von Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Auflage 2009, S. 132 f. 522 So etwa Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 498 ff.; vgl. für den Rechtsirrtum auch Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 699.
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Bereich der Anfechtung. Abweichende Regelungen gelten etwa für die Schenkung wegen der fehlenden Notwendigkeit, das Vertrauen der Gegenseite zu schützen, aber auch im erb- und familienrechtlichen Kontext.523 Der den rechtsgeschäftlichen Willen (volontà negoziale) bzw. die Willensbildung betreffende Irrtum wird im italienischen Recht als „errore vizio“ bezeichnet524 und muss nach Art. 1428 c. c. wesentlich (Art. 1429 c. c.) und für den Vertragspartner erkennbar (Art. 1431 c. c.) sein, um eine Anfechtung zu rechtfertigen. Daneben können gemäß Art. 1427 c. c. die Arglist (dolo; Art. 1439 c. c.; zum Verschweigen (reticenza) bereits oben § 3. II. 3.) und der Zwang (violenza im Sinne von vis compulsiva; Art. 1435 c. c.) die Anfechtbarkeit der im Schweigen liegenden Willenserklärung begründen. Erwähnenswert ist zudem, dass nach Art. 1429 Nr. 4 c. c. auch ein Rechtsirrtum (errore di diritto) über die Existenz oder Anwendbarkeit einer Norm zur Anfechtung berechtigt, wenn er die einzige oder hauptsächliche Ursache für den Vertrag war. Freilich gilt auch im italienischen Recht der Grundsatz „nemo censetur ignorare legem“ bzw. „ignorantia legis non excusat“, sodass eine Partei nicht die fehlende Kenntnis der Rechtsfolgen ihres Schweigens geltend machen kann.525 Gemeint ist mit der Vorschrift nämlich nur, dass beispielsweise die Unkenntnis über die rechtliche Belastung einer Kaufsache oder etwa die fälschliche Annahme einer Verpflichtung zum Vertragsschluss einen Anfechtungsgrund darstellen kann.526 Irrt der Schweigende über die Bedeutung seines Verhaltens, so kann man darin zwar einen Rechtsirrtum aufgrund der Unkenntnis des Rechts oder aber der Unkenntnis der Tatsachen, die eine bestimmte Rechtsfolge auslösen, sehen.527 Dieser berechtigt jedoch als Irrtum über die gesetzlichen Folgen des Verhaltens nicht zur Anfechtung, wobei an die Stelle des positiven Bewusstseins über die Rechtsfolgen die Obliegenheit zur Kenntnisnahme treten soll.528 Ein Irrtum über die Erklärungshandlung (errore sulla dichiarazione) stellt als Irrtum bei der Willensäußerung im italienischen Recht einen sog. errore ostativo dar, der das Zustandekommen einer Einigung zwar von vornherein verhindert, aber dennoch nach Art. 1433 c. c. ebenso wie beim errore vizio (dazu soeben) das Rechtsgeschäft nur anfechtbar (annullabile) macht und nicht etwa 523 524
Gallo, Il contratto, 2017, S. 745 ff. Gallo, Il contratto, 2017, S. 708; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 157. 525 Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 129; vgl. auch Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1429 VIII. 3 ff. m. w. N. 526 Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 129; Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1429 VIII. 5 m. w. N. auch zu abweichenden Auffassungen; eingehend zur Problematik Gallo, Il contratto, 2017, S. 718 ff. 527 Vgl. zum Rechtsirrtum beim konkludenten Verhalten Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 425 ff. und 436 ff. 528 Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 699.
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nichtig (nullo)529, sodass eine genaue Unterscheidung von errore ostativo und errore vizio letztlich unterbleiben kann.530 Nur wenn der errore ostativo für das Gegenüber erkennbar (riconoscibile) war, ist er anfechtbar.531 Eine Erkennbarkeit liegt nach Art. 1431 c. c. dann vor, wenn eine durchschnittlich sorgfältige Person den Irrtum der Gegenseite in Hinblick auf den vertraglichen Inhalt, die Umstände des Vertrags oder die Eigenschaft der Vertragsschließenden hätte erkennen müssen.532 Dies im Prozess zu beweisen, obliegt dem Anfechtenden.533 Der Irrtum über die Erklärungshandlung umfasst Fehlvorstellungen einer Person über den objektiven Bedeutungsgehalt ihrer Erklärung bzw. ihres Verhaltens, aber auch die fehlerhafte Übermittlung der Erklärung und betrifft nicht die rechtsgeschäftliche Willensbildung (volontà negoziale), sondern den Willen zur Äußerung (volontà dell’atto), wobei er stets als wesentlich (essenziale) angesehen wird.534 Unter den errore ostativo fällt neben dem Sprachrisiko535 dabei auch die Unkenntnis einer bestimmten Situation, die die Konkludenz des an den Tag gelegten Verhaltens begründet, soweit – so zumindest die Auffassung von Betti – den Betroffenen keine Obliegenheit zur Kenntnis hinsichtlich der Schlüssigkeit seines Verhaltens trifft.536 Das fehlende Erklärungsbewusstsein des Schweigenden könnte damit grundsätzlich einen errore ostativo – oder nach anderer Ansicht einen Inhaltsirrtum (error in negotio) nach Art. 1429 c. c.537– darstellen. Eingewandt wird hiergegen, dass der Wille hinsichtlich der Bedeutung des Verhaltens irrelevant ist und daher keinen Anfechtungsgrund darstellen kann.538 Nach Betti ist beispielsweise das Schweigen gegenüber einer lettera di conferma aufgrund fehlender Kenntnisnahme der Mitteilung des Geschäftspartners, unabhängig davon, ob diese auf Nachlässigkeit oder zeitweiser Verhinderung 529 So aber noch nach dem Codice civile aus dem Jahr 1865, dazu Tucci, L’annullabilità, in: Cendon, Trattario di diritto civile, Contratto in generale, 2016, S. 836. 530 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 424 f.; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 157 ff.; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 128; krit. zur vom französischen erreur obstacle inspirierten Unterscheidung der beiden Phänomene in der Literatur bereits Barcellona, Errore (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 15, 1966, S. 258 f. und Trabucchi, Errore (diritto civile), in: Novissimo Digesto Italiano, Band 6, 3. Auflage 1957, S. 666. 531 Galgano, Il negozio giuridico, in: Cicu/Messineo, Trattato del diritto civile e commerciale, 2. Auflage, S. 326; vgl. hierzu und zu den Unterschieden im Vergleich zur Regelung von 1865 bereits Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 133 f. 532 Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 649. 533 Cass. civ. 8.6.2004, Nr. 10815. 534 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 424 f.; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 157 f. 535 Gallo, Il contratto, 2017, S. 736 m. w. N. 536 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 431 f. 537 So Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 195 f. 538 Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792.
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beruht, dem Schweigenden als Umstand in seiner Risikosphäre nach Art. 1335 c. c. zuzurechnen, ohne dass er sich auf Willensmängel berufen kann.539 Den Schweigenden und nicht sein Gegenüber trifft demnach das Risiko des Auseinanderfallens von Wille und Erklärung, da es ihm im Rahmen der autoresponsabilità obliegt, von der konkludenten Bedeutung seines Verhaltens Kenntnis zu nehmen.540 Es soll, wie oben bereits erwähnt, das principio di affidamento gelten. Nur, wenn es im konkreten Einzelfall an einem schutzwürdigen Vertrauen des Geschäftspartners und einer Verantwortlichkeit des Erklärenden fehlt, ist – da eine Regelung zur Anfechtbarkeit für diese Fälle im Codice nicht besteht – von einer Nichtigkeit auszugehen.541 Freilich verfolgen nicht alle Autoren einen solch strengen Ansatz: so sehen manche im fehlenden Erklärungsbewusstsein (mancanza di consapevolezza) einen Willensmangel, der grundsätzlich auch zur Anfechtung berechtigen soll.542 Teils soll der ohne eine consapevolezza minima (bereits oben § 3 II. 5. b) bb)) geschlossene Vertrag zwar nichtig sein, aber der ohne entsprechendes Bewusstsein Handelnde selbst in diesem Fall in Höhe des negativen Interesses haften.543 Liegt zwar ein solches Mindestmaß an Bewusstsein vor, fehlt aber dennoch das konkrete Erklärungsbewusstsein, so soll eine bloße Anfechtbarkeit (annullabilità) des zunächst wirksamen Geschäfts gegeben sein.544 Da aber die Anfechtung nach italienischem Recht, wie schon erwähnt, die Erkennbarkeit des Irrtums durch die Gegenseite erfordert545, wird regelmäßig mangels einer Erkennbarkeit des fehlenden Erklärungsbewusstseins eine solche ausgeschlossen sein. Eine Berufung des Schweigenden auf Willensmängel bzw. eine Anfechtung (azione di annullamento) sind demnach im italienischen Recht also kaum wegen des Fehlens des Erklärungsbewusstseins möglich, sondern nur wegen anderer Irrtumsgründe innerhalb der allgemeinen Grenzen für die Geltendmachung, also beispielsweise, wenn der Irrtum auf einer Drohung oder Täuschung beruhte.546 Wenn es im Einzelfall freilich an einem schutzwürdigen Vertrau539 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 145 f.; zustimmend Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 255. 540 Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792 f.; zustimmend (zum Rechtsirrtum bei Art. 1333 c. c.) Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 699; in diesem Sinne auch Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 21. 541 Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 501. 542 Scalisi, Manifestazione in senso stretto, in: Enciclopedia del diritto, Band 25, 1975, S. 500; Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 200. 543 Garofalo, Le regole costitutive del contratto, 2018, S. 276 f. 544 Pietrobon, L’errore nella dottrina del negozio giuridico, 1963, S. 285. 545 Dazu Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1431, passim. 546 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 145 f.;
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en des Erklärungsempfängers und an einer Verantwortlichkeit des Schweigenden oder – nach anderer Ansicht – einem Mindestmaß an Bewusstsein über die mögliche Rechtserheblichkeit fehlt, liegt, nach herrschender Meinung ohnehin keine gültige Willenserklärung vor.
b) Rechtslage beim silenzio con valore legale Noch komplexer und kontroverser gestaltet sich der Umgang mit dem normierten Schweigen, der wesentlich von seiner umstrittenen dogmatischen Einordnung abhängt (dazu oben § 3 II. 7.). Dabei spielt erneut Art. 1333 c. c. eine zentrale Rolle, da die Thematik in der Literatur vor allem im Zusammenhang mit dieser Norm behandelt wird. Auch wenn bei einem contratto con obbligazioni a carico del solo proponente eine Anfechtung aufgrund der Vorteilhaftigkeit unwahrscheinlich erscheint (wenn sie auch freilich beispielsweise aus moralischen Gründen denkbar ist547), sollen nach insgesamt ganz überwiegender Auffassung die Vorschriften über Willensmängel (vizi del volere) anwendbar sein, soweit der jeweilige Vertragstyp dies zulässt.548 Umstritten ist jedoch, wie sich dies begründen lässt. Für diejenigen, die ohnehin eine konkludente Willenserklärung auch in den Fällen des silenzio con valore legale annehmen, ist die Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen selbstverständlich und wird als überzeugender angesehen als die von der Gegenauffassung häufig praktizierte analoge Heranziehung der Regelungen.549 Dies gilt auch dann, wenn zwar das Vorliegen einer konkludenten Willenserklärung abgelehnt, aber angenommen wird, dass das Gesetz dem Verhalten rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimisst.550 Diejenigen, die beim normierten Schweigen nicht von einer Willenserklärung ausgehen, berücksichtigen das Fehlen bestimmter Willenselemente zumeist dennoch innerhalb gewisser Grenzen, wenn auch auf unterschiedliche Weise: A. Benedetti befürwortet zwar grundsätzlich eine analoge Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf das Schweigen im Rahmen von zustimmend Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 255; ebenso Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, 1966, S. 412 f.; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 792 f. 547 Galgano, Diritto civile e commerciale, Band 2, 1. Halbband, 4. Auflage 2004, S. 208 erwähnt als Beispiel die mafiöse Verstrickung eines Bürgen. 548 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 619; Galgano, Il negozio giuridico, in: Cicu/Messineo, Trattato del diritto civile e commerciale, 2. Auflage, S. 79 f.; Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 799 für Art. 1333 c. c. 549 Vgl. Galgano, Diritto civile e commerciale, Band 2, 1. Halbband, 4. Auflage 2004, S. 208; Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 273 f. 550 Vgl. Scognamiglio, Dei contratti in generale, Art. 1321–1352, in: Scialoja/Branca, Commentario al Codice civile, 1970, S. 165.
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Art. 1333 c. c., lehnt aber eine Anfechtung wegen fehlenden Wissens um die Erklärungsbedeutung des Verhaltens ab: zum einen handle es sich um eine rechtliche Bewertung, die gerade den subjektiven Willen des Schweigenden unberücksichtigt lasse, weshalb dieser sich auch nicht auf seinen abweichenden Willen berufen dürfe.551 Zum anderen bestünden aufgrund der Vorteilhaftigkeit des Rechtsgeschäfts Zweifel an der Erheblichkeit des Irrtums und aufgrund des bloßen Schweigens bzw. Fehlens eines Dialogs an der nach Art. 1431 c. c. erforderlichen Erkennbarkeit des Irrtums für das Gegenüber.552 Vereinzelt wird im Irrtum über die rechtliche Bedeutung des unterlassenen Widerspruchs im Rahmen von Art. 1333 c. c. auch ein Rechtsirrtum nach Art. 1429 Nr. 4 c. c. gesehen, dessen Geltendmachung aber unzulässig sei.553 Conte, der zwar eine Einordnung des Verhaltens des Angebotsempfängers bei Art. 1333 c. c. als manifestazione tacita ablehnt (oben § 3 II. 7.), möchte dem Angebotsempfänger immerhin die Möglichkeit einräumen, seinen entgegenstehenden Willen nachzuweisen, ohne dabei aber auf die Regelungen zu den Willensmängeln zu rekurrieren.554 Ähnlich befürwortet eine andere Auffassung, die in Art. 1333 c. c. eine Vermutung ( presunzione) sieht, den Nachweis der unverschuldeten Verhinderung an der Geltendmachung des Widerspruchs.555 Segni will eine Berufung auf das fehlende Wissen um die Rechtsfolgen des Schweigens beim contratto a carico del solo proponente dann zulassen, wenn im Vorfeld keine vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien bestanden. Das Verhalten ist nämlich in diesem Fall nicht Ausdruck des Willens des Schweigenden (contegno socialmente espressivo), sondern dieser muss für eine verpflichtende Wirkung die Rechtsfolgen kennen und bewusst schweigen.556 Etwas widersprüchlich hierzu erscheint allerdings, dass seiner Auffassung nach aufgrund einer abschließenden Typisierung des Verhaltens grundsätzlich die Anfechtung infolge eines fehlenden Bewusstseins über den Erklärungsgehalt gerade ausgeschlossen sein soll.557 Nur selten wird demgegenüber vertreten, dass die Vorschriften über Willenserklärungen – nicht einmal diejenigen über die Geschäftsfähigkeit – auf das silenzio con valore tipico angesichts der Unabhängigkeit vom Vorliegen eines 551
A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 109 f. A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 109 f. 553 Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 694 u. 699. 554 Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 447. 555 Etwa Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1177; Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 694. 556 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 396 ff., 398. 557 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 200 f. 552
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entsprechenden Willens überhaupt keine Anwendung finden sollen.558 Selbst die von Sacco vertretene Mindermeinung, wonach das Schweigen niemals Willenserklärung sein kann (oben § 3 II. 6. b)), lässt immerhin eine analoge Anwendung der Vorschriften über Willensmängel zu: demnach besteht zwar ein Vertrag im Sinne von Art. 1333 Abs. 2 c. c. aus einer einzigen Willenserklärung, der fehlende Widerspruch (mancato rifiuto) des Vertragspartners ist aber wie eine rechtsgeschäftliche Erklärung zu behandeln.559 Carresi möchte hingegen unbillige Ergebnisse vermeiden, indem er die Frist für den Widerspruch in bestimmten Situationen verlängert, in denen der Angebotsempfänger gerechtfertigt an seiner Erklärung verhindert war (beispielsweise im Falle der Geschäftsunfähigkeit (incapacità di agire) oder bei einer Täuschung (dolo), wohl aber nicht bei einem sonstigen Irrtum (errore)).560 Soweit im Falle von Art. 1333 c. c. von einem negozio unilaterale ausgegangen wird, soll die Kenntnisnahmemöglichkeit (conoscibilità) bezüglich des Angebots ausreichend, aber auch erforderlich für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts sein, während das Angebot im Falle der fehlenden Geschäftsfähigkeit dem gesetzlichen Vertreter zugehen muss.561 Wegen der reinen Vorteilhaftigkeit des Vertrags für den Schweigenden bei Art. 1333 c. c. wird teils aber auch die Geltendmachung der fehlenden Geschäftsfähigkeit insgesamt abgelehnt.562 Soweit, wie von Betti vertreten, Art. 1712 Abs. 2 c. c., Art. 1832 c. c. und Art. 2301 c. c. als Fälle einer decadenza aufgrund der fehlenden Ausübung eines Rechts verstanden werden (oben § 3 II. 1. a)), wird eine diesbezügliche Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen konsequenterweise abgelehnt (zur Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf die Fälle eines Rechtsverlusts unten § 3 III. 1. c)).563
III. Fattispecie di perdita dei diritti564 (Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes) Neben den eben beschriebenen Fällen der verpflichtenden Rechtswirkungen kann das Schweigen auch zu einem Rechtsverlust ( perdita di un diritto) führen, den Erwerb eines Rechts verhindern oder den Gehalt einer Rechtsposition ver558
So von Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile (Nachdruck), 9. Auflage 2002, S. 143; im Grundsatz auch Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 407. 559 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 248. 560 Carresi, Il contratto con obbligazioni del solo proponente, in: Riv. dir. civ. 1974, I, 393, 407 f. 561 Moscarini, I negozi a favore di terzo, 1970, S. 180. 562 Diurni, Il contratto con obbligazioni del solo proponente: La tutela dell’oblato, in: Riv. dir. civ. 1998, II, 681, 699. 563 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 146 f. 564 So bezeichnet bei Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il
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ringern.565 Auch hier ist wiederum zwischen den gesetzlich festgelegten Wirkungen des Schweigens wie der decadenza (Verfall bzw. Rechtsverlust) oder prescrizione (Verjährung) und Konstellationen zu unterscheiden, die ohne eigene Normierung einen Rechtsverlust nach sich ziehen, sei es aufgrund eines konkludenten Verzichtes (rinunzia) oder aus anderen Gründen (wie der tolleranza). Der Verlust bzw. die Auflösung eines Rechtsverhältnisses werden dabei als weniger gravierend angesehen als die eben behandelte Begründung oder Änderung eines solchen.566 Dabei wird für den Rechtsverlust teilweise statt des eher im Rahmen einer positiven Rechtsfolge bzw. Annahme gebrauchten567 Begriffes silenzio die Bezeichnung inerzia verwendet568. Freilich drückt die inerzia bloße Gleichgültigkeit und Desinteresse des Rechtsinhabers aus569 (oben § 1 II. 2.), sodass eine Bezeichnung als tolleranza dort exakter erscheint, wo eine Duldung (atteggiamento di pazienza) durch den Berechtigten vorliegt.570
1. Rechtsverlust infolge gesetzlicher Anordnung Negative Folgen kann das Schweigen zunächst aufgrund entsprechender gesetzlicher Bestimmung bzw. der gesetzlich sanktionierten „inosservanza di un onere“ nach sich ziehen, also der Nichtbeachtung einer Obliegenheit, welcher der Schweigende im eigenen Interesse nachkommen muss (sog. autoresponsabilità), um sich einen Vorteil bzw. Rechtserwerb zu verschaffen oder einen Schaden bzw. Rechtsverlust abzuwenden.571 Das Gesetz ordnet dabei etwa an, dass ein Recht nur erworben werden kann, wenn der Betroffene eine entsprechende Erklärung binnen einer gewissen Zeitspanne abgibt, nach deren Verstreichen der Rechtserwerb ausgeschlossen ist.572 Auch kann das fehlende Einschreiten bzw. Dulden in bestimmten Situationen aufgrund der gesetzlichen Wertung dazu führen, dass die Rechtsposition eines anderen sich verfestigt und nach einer bestimmten Zeit kein abweichender Wille mehr geltend gemacht werden kann (sog. silenzio-patientia; zur tolleranza, deren Rechtswirkungen nicht auf dem Gesetz basieren, hingegen unten § 3 III. 3. c)).573 negozio, 2005, S. 317, vgl. auch Ranelletti, Il silenzio nei negozi giuridici, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche, fasc. 1, 1892, 3, 19 ff. 565 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, Band 42, 1990, S. 555. 566 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 202. 567 Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 95. 568 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193. 569 Corte di Appello di Trieste, 30.11.1959, in: Giust. civ. 1960, I, 813, 816; zu den Begrifflichkeiten bereits oben § 1 II. 2. 570 So auch Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 702. 571 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 554 f. 572 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166. 573 Vgl. La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 556 f.
III. Fattispecie di perdita dei diritti
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Da solche Fälle sehr zahlreich sind574, kann im Weiteren nur ein Ausschnitt der Konstellationen wiedergegeben werden. Zu beachten ist, dass im italienischen Recht häufig stark umstritten ist, ob das Schweigen einen Verpflichtungsgrund darstellt oder ob es sich um eine bloße Sanktion in Gestalt eines Rechtsverlustes („sanzione di decadenza“) für die Nichtbeachtung einer Reaktionspflicht handelt (bereits oben § 3 II. 1. a)).575
a) Prescrizione und decadenza (Verjährung und Rechtsverlust) Der klassische Fall eines Rechtsverlustes infolge des Unterlassens einer Handlung ist zunächst die Verjährung ( prescrizione): nach Art. 2934 c. c. erlischt jedes – ausgenommen sind freilich unverjährbare, wie beispielsweise höchstpersönliche Rechte576 – privatrechtliche Recht infolge der Verjährung, wenn der Rechtsinhaber es nicht binnen der gesetzlich vorgesehenen Zeitspanne ausübt. Die prescrizione unterscheidet sich vom Verfall, der decadenza, zunächst eben dadurch, dass erstere bei jedem Recht eintreten kann, während letztere nur Fälle betrifft, in denen das Gesetz oder Privatpersonen die Untätigkeit (inerzia) des Rechtsinhabers ausdrücklich mit einem Rechtsverlust sanktionieren („pena di decadenza“).577 Die nur ergänzenden Regelungen zur decadenza in Artt. 2964–2969 c. c. tragen nicht zur Unterscheidung der Phänomene bei, sondern regeln nur einzelne Aspekte.578 Bei der prescrizione führt die langandauernde inerzia zum Erlöschen des bereits erworbenen, aber über längere Zeit nicht ausgeübten Rechts, wohingegen bei der decadenza eine nur binnen relativ kurzer Zeit zu erfüllende Obliegenheit zur Geltendmachung einer Rechtsposition bewirkt, dass eine Situation der Rechtsunsicherheit beendet wird, indem der Rechtsinhaber sein Recht nicht mehr ausüben darf.579 Freilich ist die Abgrenzung zwischen beiden Phänomenen nicht immer einfach und selbst das Gesetz unterscheidet nicht immer klar, was in der italienischen Rechtswissenschaft Gegenstand langjähriger, sogar schon vor Einführung der jetzigen Rechtslage geäußerter Kritik ist.580 Praktische Folgen hat die Unterscheidung vor allem deshalb, weil sich die Verjährung gegenüber der decadenza als vorteilhafter und flexibler für den Be574 Für einen Überblick La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 554 ff. 575 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 3. 576 Dazu Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 280. 577 Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 12. 578 Vgl. dazu Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1962, S. 310 („soltanto disposizioni ‚complementari‘“). 579 Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 237; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 284. 580 Dazu Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1961, S. 310; vgl. auch Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 204; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 285.
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troffenen erweist, da nach Art. 2964 c. c. die Vorschriften über die Unterbrechung (interruzione) der Verjährung auf die decadenza nicht angewandt werden; auch die Hemmung (sospensione) findet, wenn nichts anderes bestimmt ist, keine Anwendung auf die decadenza.581 Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, dass der Verjährung ein subjektives Element der echten oder vermuteten Nachlässigkeit des Rechtsinhabers innewohnt, während die decadenza grundsätzlich allein an den objektiven Fristablauf anknüpft.582 Nach Art. 2935 c. c. läuft die Verjährungsfrist ab der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts, wobei die jüngere Rechtsprechung hierfür teils nicht nur die rechtliche, sondern auch die faktische Unmöglichkeit berücksichtigt, wie die fehlende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände.583 Dem entspricht zwar eine gewisse Tendenz, auch im Rahmen der decadenza subjektive Elemente miteinzubeziehen: so hat etwa die Corte costituzionale die fehlende Anknüpfung einer Norm an die Kenntnis des Vermieters vom veränderten Gebrauch der Mietsache für den Lauf der Jahresfrist zur Klage für verfassungswidrig erklärt.584 Jedenfalls besteht aber ein solcher Schutz des Rechtsinhabers durch die Berücksichtigung seiner Kenntnis und damit der Vorwerfbarkeit seiner inerzia nur hinsichtlich des Fristbeginns, nicht aber hinsichtlich des Fristlaufes, da die Anwendung der für die prescrizione geltenden Vorschriften über die Unterbrechung und Hemmung zum Schutz des Vertrauens der Gegenseite explizit ausgeschlossen ist.585 Die Unterschiede der beiden Rechtsinstitute schlagen sich auch in der Beweislast nieder: während die Verjährungseinrede von demjenigen geltend gemacht und bewiesen werden muss, der sie gegen den Anspruch eines anderen erheben will, muss der Berechtigte bei einer decadenza beweisen, dass er vor Fristablauf tätig geworden ist.586 Die Verjährung ist nach Art. 2938 c. c. als Einrede zu erheben („eccezione di prescrizione“) und wird nicht von Amts wegen geprüft („non rilevabilità d’ufficio“). Rechtsfolge der Verjährung ist dem Wortlaut von Art. 2934 Abs. 1 c. c. nach das Erlöschen des betroffenen Rechts: „Ogni diritto si estingue […].“ Freilich mehren sich in der Literatur angesichts der fehlenden Beachtlichkeit von Amts wegen Stimmen, die mit guten Gründen einen Erlöschenstatbestand ab581 Vgl. Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 204; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 285. 582 Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 237; Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 285. 583 Statt vieler Cass. civ. 31.5.2018, Nr. 13745 m. w. N. der Rspr.; Cass. civ. 18.11.2015, Nr. 23635. 584 Cort. cost. 18.2.1988 Nr. 185, in: Giust. civ. 1988, I, 586 m. Anm. Izzo; vgl. zu diesem Thema Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1961, S. 322 m. w. N. auch zum Prozessrecht. 585 Vgl. Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1961, S. 325. 586 Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 284 f.
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lehnen und von einer bloßen Einrede (eccezione) ausgehen.587 Die prescrizione teilt die fehlende Prüfung von Amts wegen mit der decadenza: auch diese ist nach Art. 2969 c. c. grundsätzlich nicht ohne eine einredeweise Geltendmachung zu beachten. Bei der sogenannten vermuteten Verjährung ( prescrizione presunta) nach Art. 2954 ff. c. c., die für bestimmte Verträge wie beispielsweise Beherbungs- und Unterrichtsverträge, aber auch für Kaufverträge von kleinen Einzelhändlern mit Verbrauchern gilt, handelt es sich nur um eine widerlegliche Vermutung des Erlöschens einer Verpflichtung.588 Von der eben beschriebenen sog. prescrizione estintiva ist die prescrizione acquisitiva bei der Ersitzung (usucapione) nach Art. 1158 ff. c. c. zu unterscheiden, bei der er es infolge der Untätigkeit zu einem Rechtserwerb kommt, wobei sich in diesen Begriffen widerspiegelt, dass bis in das 19. Jahrhundert eine einheitliche Regelung der Phänomene erfolgte (oben § 2 III. 2. a)). Gemeinsam ist beiden Rechtsinstituten ihr Zweck, nämlich die Schaffung von Rechtssicherheit hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse589, sowie der Zeitablauf als grundlegendes Element590. Die Ursache der über lange Zeit bestehenden gemeinsamen Regelung mag auch darin liegen, dass tatsächlich in beiden Fällen der Rechtsverlust und der Rechtserwerb zusammenfallen: während bei der Verjährung der Rechtsverlust einer Person die Ursache für den Rechtserwerb einer anderen darstellt, geschieht bei der Ersitzung das Umgekehrte.591 Einen Eigentumsverlust, der mit einem Eigentumserwerb auf anderer Seite einhergehen kann, regeln auch zwei Vorschriften bezüglich Tieren: Nach Art. 924 2. Halbsatz c. c. kann der Eigentümer eines Grundstücks Bienenschwärme behalten, wenn der Eigentümer sie nicht binnen zwei Tagen verfolgt oder zwei Tage lang nicht mehr verfolgt. Nach Art. 925 Abs. 2 c. c. gehören gezähmte wilde Tiere (animali mansuefatti) demjenigen, der Besitz an ihnen ergriffen hat, wenn der Eigentümer sie nicht binnen zwanzig Tagen, nachdem er Kenntnis von dem Ort hat, an dem sie sich befinden, beansprucht. Der Rechtsverlust auf Seiten des untätigen Eigentümers rechtfertigt sich in beiden Fällen mit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit.592
587
Vgl. den Überblick bei Cian/Trabucchi/Viglione, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 2934 I. 2; von einer eccezione spricht etwa auch Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 281; zum Meinungsstreit auch Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. 117. 588 Dazu Eccher/Schurr/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2010, S. 179 m. w. N. 589 Vgl. Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 38 f., 44; Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 37. 590 Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 280. 591 Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 34 f. 592 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 556 f.
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b) Einzelne Fälle der decadenza Im 2. Buch des Codice, dem Erbrecht, begegnen besonders viele verschiedene Regelungen, die einen Rechtsverlust bzw. eine decadenza auf Seiten des untätigen Erben bewirken: Vorauszuschicken ist, dass der Erbschaftserwerb nach italienischem Recht erst durch die Annahme und nicht, wie noch unter Geltung des Codice von 1865 oder im deutschen Recht, ipso iure erfolgt593: Zum einen gibt es die Möglichkeit einer accettazione pura e semplice (Art. 470 Abs. 1 c. c.) der bis zur Annahme nur ruhenden Erbschaft (eredità giacente; Art. 528 ff. c. c.), wobei diese freilich auch konkludent594 erfolgen kann. Zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit der Annahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung (accettazione col beneficio d’inventario), wodurch die Vermögensmassen getrennt bleiben und der Erbe nur in Höhe des Nachlasswertes haftet (Art. 490 Nr. 2 c. c.). Die letztgenannte Möglichkeit erfordert nicht nur eine Erklärung vor dem Notar oder zuständigen Amtsgericht, sondern ist auch fristgebunden (Artt. 485 ff. c. c.).595 Die Annahme der Erbschaft führt zum Erbschaftserwerb (acquisto dell’eredità, Art. 459 c. c.) und wirkt zurück auf den Erbfall, also den Tod des Erblassers.596 Nach Art. 481 c. c. verliert der Erbe, wenn auf Antrag eine gerichtliche Frist zur Erbschaftsannahme gesetzt wurde, das Recht, die Erbschaft anzunehmen, wenn er seine Annahme nicht fristgemäß erklärt.597 Dieses bloße Schweigen bzw. Verstreichenlassen der Frist soll keine konkludente Erklärung der Ausschlagung (rifiuto) der Erbschaft – und, nach Ferri, erst recht keinen Verzicht (rinunzia) (dazu sogleich unten zum Legat) – darstellen, sondern wird als Fall der decadenza, also des Verlustes der Möglichkeit der Erbschaftsannahme angesehen, da das Gesetz nicht an ein Rechtsgeschäft anknüpft.598 Freilich lässt das italienische Recht eine bedeutende Ausnahme vom Antrittserfordernis zu: Art. 485 Abs. 2 c. c. regelt, dass der im Besitz von Erbschaftsgütern befindliche und als Erbe Berufene die Erbschaft als „erede puro e semplice“, also vorbehaltloser Erbe erwirbt, wenn er nicht binnen von drei Mo593 Vgl. dazu Salaris, Grundzüge und Besonderheiten des italienischen Erbrechts, in: ZEV 1995, 240, passim. 594 Cass. civ. 9.11.1974, Nr. 3492, in: Rep. Foro it. 1974, Stichwort „Successione ereditaria“ Nr. 28. 595 Zu den Fristen der Erwerbsmodi im italienischen Recht eingehend Rauscher, Fristen der „accettazione dell’eredità“, in: DNotZ 1985, 204, passim. 596 Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. 201. 597 Vgl. zur Einordnung als decadenza: Betti, Teoria generale del negozio giuridico (Nachdruck), 2. Auflage 1952, S. 600; auch Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 163 sieht darin eine „perdita del diritto di accettare l’eredità“. 598 In der Rechtsprechung: Cass. civ. 26.3.2012, Nr. 4849, in: Giust. civ. 2012, 7–8, I, 1681; in der Literatur: Cian/Trabucchi/Vascellari, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 481 I. 1; Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 60 und 94 f.; SantoroPassarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 143.
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naten ab Eröffnung oder Mitteilung der Erbschaft das Inventar errichtet. Dies dürfte in der Praxis sogar die häufigste Konstellation darstellen.599 Hierin liegt, neben einem Schweigen mit zustimmender Wirkung (silenzio-assenso)600 bzw. einer konkludenten Erbschaftsannahme (accettazione tacita)601, ebenso wie bei Absatz 3 der Norm (dazu sogleich), auch der Verlust der Möglichkeit, die Erbschaft unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung (col beneficio d’inventario) anzunehmen oder sie auszuschlagen. Teilweise wird auch von einem Rechtserwerb von Gesetzes wegen („acquisto ope legis“) gesprochen, wobei eine Einordnung als konkludente oder fingierte Erbschaftsannahme („accettazione tacita o presunta“) abgelehnt wird.602 Ebenso wird nach Art. 485 Abs. 3 c. c. der Erbe, der zwar das Inventar errichtet hat, aber die Erklärung nach Art. 484 c. c. (i. e. die Annahme unter Vorbehalt der Inventarerrichtung) noch nicht abgegeben hat, als „erede puro e semplice“ angesehen, wenn er nicht innerhalb von vierzig Tagen nach Inventarerrichtung die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft erklärt. Auch in diesem Fall verliert der Erbe die Möglichkeit, die Erbschaft unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung anzunehmen oder sie auszuschlagen, sodass eine decadenza vorliegt.603 Nach Art. 480 Abs. 1 c. c. verjährt („prescrive“) die Möglichkeit zur Erbschaftsannahme in zehn Jahren, was trotz des Sprachgebrauchs von einem Teil der Literatur nicht als Fall der Verjährung, sondern als decadenza angesehen wird.604 Auswirkungen hat diese Bezeichnung auf die (Nicht-)Anwendbarkeit der Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung (interruzione), wobei selbst bei einem Verständnis als prescrizione die Anwendung schon daran scheitern dürfte, dass die meisten Unterbrechungshandlungen gleichzeitig eine konkludente Erbschaftsannahme darstellen.605 Schließlich verliert der Vermächtnisnehmer nach Art. 650 c. c. die Möglichkeit zur Ausschlagung (facoltà di rinunziare) des ihm ipso iure zugefallenen Vermächtnisses, wenn er diese nicht innerhalb einer auf Antrag gerichtlich festgelegten Frist erklärt. Trotz der vom Gesetzgeber verwendeten Terminologie soll es sich nach Ferri nicht um den Verzicht (rinunzia) auf ein bereits erworbenes Recht handeln, denn der eigentliche Erwerb des Legats erfolgt erst mit 599 Salaris, Grundzüge und Besonderheiten des italienischen Erbrechts, in: ZEV 1995, 240, 241. 600 So wohl aber Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193 (silenzio-assenso bzw. inerzia-assenso). 601 Vgl. Cass. civ. 22.6.1989, Nr. 2975. 602 Cian/Trabucchi/Vascellari, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 485 II. 1 m. w. N. 603 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 555; Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166. 604 Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 60 m. w. N.; anders die Rechtsprechung: z. B. Cass. civ. 22.6.1989, Nr. 2975. 605 Dazu Cian/Trabucchi/Vascellari, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 480 III. 1; sowie soeben § 3 III. 1. a).
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dem Verlust (decadenza) der Möglichkeit zur rinunzia; zuvor liegt ein bloßes Zur-Verfügung-Stellen („messa a disposizione“) vor. Das Verstreichenlassen der Frist verhindert vielmehr aufgrund der Rückwirkung den Rechtserwerb von Beginn an und soll deshalb richtigerweise als Ausschlagung (rifiuto) bezeichnet werden.606 Gegen ein Verständnis des Aktes als Verzicht im technischen Sinne („rinuncia in senso tecnico“) spricht auch, dass sonst nach Art. 467 c. c. die Kinder eines gezielt zur Erhöhung seiner Quote ausschlagenden pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmers an dessen Stelle träten und damit der Familie des Vermächtnisnehmers neben dem Pflichtteil auch das anstelle des Pflichtteils zugewandte Vermächtnis zuflösse.607 Eine Auffassung geht daher so weit, in dem Unterlassen der rinunzia eine Annahme des Legats zu sehen, wobei Parallelen zum Schweigen im Rahmen von Art. 1333 Abs. 2 c. c. und dem Vertrag zugunsten Dritter gezogen werden.608 Nach ganz überwiegender Auffassung stellt das Verstreichenlassen der Frist nach Art. 650 c. c. jedoch aufgrund des nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 649 Abs. 1 c. c. bereits eingetretenen – freilich aber erst infolge des Verlustes der Ausschlagungsmöglichkeit endgültig feststehenden – Von-Selbst-Erwerbs keine konkludente Annahme des Vermächtnisses durch ein Schweigen (silenzio) dar, sonderen zieht nur den Verlust der Auschlagungsmöglichkeit (decadenza) hinsichtlich des bereits erfolgten und keiner Annahme bedürfenden Erwerbs, also eine negative Rechtsfolge, nach sich.609 Relevanz hat diese Frage nach dem Zeitpunkt bzw. Modus des Rechtserwerbs auch vor dem Hintergrund einer etwaigen analogen Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf das internationale Erbrecht (dazu unten § 5 III. 2.). Im Bereich des Vertretungsrechts begegnet Art. 1399 Abs. 4 c. c., wonach bei einem Schweigen des Betroffenen binnen der von der anderen Partei gesetzten Frist die Zustimmung zu dem Geschäft des Vertreters ohne Vertretungsmacht (falsus procurator) nach Art. 1398 c. c. als verweigert gilt, wodurch der Vertrag endgültig unwirksam wird.610 Nach herrschender Auffassung handelt es 606 So
Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 12 ff. und S. 66 (auf das deutsche Recht Bezug nehmend auf S. 73 f.), sowie insgesamt eingehend zu den auch rechtshistorischen Gründen, die gegen eine Einordnung als rinunzia sprechen S. 9 ff.; für eine solche Abgrenzung von rinunzia und rifiuto auch Becchini/Quadri, Diritto privato, 4. Auflage 2011, S. 700; a. A. Cass. civ. 3.4.1954, Nr. 1040, in: Giur. it., 1954, I, 1, 911 m. Anm. Trabucchi; zustimmend auch Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 169 ff. 607 So die Kritik von Trabucchi, Forma necessaria per la rinunzia al legato immobiliare e natura della rinunzia al legato sostitutivo (Anm. zu Cass. civ. 3.4.1954 Nr. 1040), in: Giur. it., 1954, I, 1, 911, 915. 608 Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 38 ff., 66 f.; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 169 ff., insbesondere S. 171. 609 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 553 f.; unklar Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 66, der dies auf S. 60 als einhellige Ansicht bezeichnet, selbst jedoch noch keinen endgültigen Erwerb bejaht. 610 Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1399 IX. 2.
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sich nicht – wie der Wortlaut nahelegen könnte („la ratifica si intende negata“) – um eine konkludente Verzichtserklärung, sondern um den Verlust der Billigungsmöglichkeit infolge des Verstreichens der Frist (sog. decadenza).611 Auch Art. 1712 Abs. 2 c. c. (dazu bereits oben § 3 II. 1. a)) wird teils als Verlust der Zurückweisungsmöglichkeit des durchgeführten Auftrags angesehen, wofür in der Tat seine Nähe zu Art. 1399 Abs. 4 c. c. spricht. In beiden Fällen, so Betti, der auch Artt. 1832, 2301 und 2499 c. c. in diesem Sinne versteht, handelt es sich trotz des unglücklich gewählten Wortlautes, der auf eine acquiescenza hindeutet, nicht um eine Zustimmung durch Schweigen, sondern den bloßen Verlust eines Rügerechts.612 Ähnlich bestimmt auch Art. 702 Abs. 3 c. c., dass von einer Ablehnung auszugehen ist, wenn ein Testamentsvollstrecker seine Aufgabe nicht binnen der gerichtlich bestimmten Frist annimmt. Zahlreich sind die Vorschriften im Bereich des Vertragsrechts: so sieht Art. 1454 c. c. vor, dass ein Vertragspartner den nicht erfüllenden Anderen schriftlich zur Erfüllung binnen einer angemessenen Frist auffordern kann, nach deren fruchtlosem Ablauf der Vertrag als aufgelöst gilt. Art. 1495 Abs. 1 c. c. regelt die Rügeobliegenheit des Käufers unabhängig von der Kaufmannseigenschaft der Parteien oder dem Vorliegen eines Handelskaufs.613 Nach italienischem Recht besteht keine unmittelbare Untersuchungspflicht für den Verkäufer614, doch das Recht zur Geltendmachung des Mangels bzw. der fehlenden Eigenschaft unterliegt engen Fristen, bei deren Nichteinhaltung eine decadenza droht: Nach Art. 1495 Abs. 1 c. c. verliert der Käufer sein Gewährleistungsrecht (diritto alla garanzia), wenn er den Mangel dem Verkäufer nicht binnen acht Tagen nach Entdeckung anzeigt, wobei die Frist bei einem sichtbaren615 Mangel (vizio apparente) ab der Möglichkeit zur Untersuchung der Kaufsache (regelmäßig also der Übergabe) läuft, bei einem verdeckten Mangel (vizio non apparente) ab der Entdeckung.616 Zudem läuft ab Übergabe der Kaufsache eine einjährige Verjährungsfrist hinsichtlich des Klageanspruchs (Art. 1495 611
Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 337 m. w. N.; ebenso Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 147 u. 600; Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 3; Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 59 f. 612 Betti, Teoria generale del negozio giuridico (Nachdruck), 2. Auflage 1952, S. 147. 613 Spezielle Vorschriften für den Verbrauchsgüterkauf finden sich hingegen im Codice del consumo. 614 Asam, Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit bei deutsch-italienischen Kaufverträgen, in: Jahrbuch für Italienisches Recht 29 (2016) 137, 150. 615 Diese sind wiederum von leicht erkennbaren oder positiv erkannten Mängeln zu unterscheiden, für die nach Art. 1491 c. c. grundsätzlich keine Haftung des Verkäufers besteht. 616 Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1495 III. 1; Artt. 1497 Abs. 2 (Fehlen von Eigenschaften) und 1511 (Kauf von zu transportierenden Sachen) c. c. knüpfen an die in Art. 1495 Abs. 1 c. c. geregelte decadenza an, während Art. 1512 c. c. (Garantie der Gebrauchsfähigkeit) eine Geltendmachung der mangelnden Gebrauchstauglichkeit binnen 30 Tagen ab Entdeckung verlangt.
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Abs. 3 c. c.) – dies führt beispielhaft die oben bereits beschriebenen Unterschiede zwischen decadenza und prescrizione vor Augen. Der Käufer muss somit zunächst die decadenza von 8 Tagen beachten. Auch wenn er dies getan hat, kann er jedoch nur binnen eines Jahres wegen der Mängel klagen, wobei zu beachten ist, dass ihm als Beklagtem die Einrede der Mangelhaftigkeit auch nach dieser Frist noch nach dem Grundsatz temporalia ad agendum, perpetua ad excipiendum zusteht.617 Ähnlich verjährt nach Art. 1442 Abs. 1 und 2 c. c. der Klageanspruch auf Nichtigerklärung (azione di annullamento) wegen Geschäftsunfähigkeit und Willensmängeln in fünf Jahren ab der Volljährigkeit bzw. ab Kenntnis des Irrtums, sodass die lange Untätigkeit des Berechtigten zum Verlust der Möglichkeit der klageweisen Geltendmachung der Nichtigkeit des Geschäfts führt. Die Anfechtbarkeit (annullabilità) kann jedoch von einem auf Erfüllung Beklagten auch dann noch einredeweise geltend gemacht werden, wenn die fünf Jahre verstrichen sind (Art. 1442 Abs. 4 c. c.), der Vertrag aber noch nicht ausgeführt wurde.618 Ferner knüpfen beispielsweise auch Art. 1957 Abs. 2 und 3 c. c. die Befreiung eines Bürgen, der seine Haftung auf die Laufzeit der Hauptverbindlichkeit beschränkt hat, daran, dass der Gläubiger binnen zwei Monaten den Antrag gegen den Schuldner stellt. Handelt es sich nicht um eine solche zeitlich beschränkte Bürgschaft, so hat der Gläubiger nach Art. 1957 Abs. 1 c. c. binnen sechs Monaten den entsprechenden Antrag zu stellen. Diese vielfältigen negativen Rechtsfolgen eines Schweigens lassen sich auf gemeinsame Grundgedanken zurückführen: Sie rechtfertigen sich etwa, weil der Schweigende letztlich einen Vorteil erlangt (beispielsweise infolge des Verlusts der Ausschlagungsmöglichkeit beim Vermächtnis), er auf eine belastende Aufgabe (so beim Testamentsvollstrecker) verzichtet oder ein Vertrag, der ohne oder gegen seinen Willen geschlossen wurde, nicht zustande kommt (so beim falsus procurator).619 Insgesamt stehen also in diesen Fällen die Vorteilhaftigkeit der Rechtsfolgen und der Schutz des Schweigenden im Vordergrund. In anderen Konstellationen überwiegen dagegen die Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Schutz von Dritten über das Interesse einer Partei, so etwa bei der Billigung eines Werkes nach Art. 1665 Abs. 4 c. c.620, aber auch beim durch Art. 485 Abs. 2 c. c. verwirklichten erbrechtlichen Gläubigerschutz621, der Vertragsauflösung wegen Nichterfüllung oder bei der zeitlichen Einschränkung der 617
Vgl. dazu Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 285 Fn. 15. civ. 19.2.1996, Nr. 1279; dazu auch Cian/Trabucchi/Zaccaria, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 1442 V. 1 ff. m. w. N. 619 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 553. 620 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 553 und 556. 621 Roppo, Il contratto, 2. Auflage 2011, in: Iudica/Zatti, Trattato di diritto privato, S. 193. 618 Cass.
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Nichtigkeitsklage nach Art. 1442 Abs. 1 c. c. Auch wenn im Grundsatz gilt, dass Handlungen, die mit Duldung eines anderen vorgenommen wurden, nicht als Grundlage für den Besitzerwerb dienen können (Art. 1144 c. c.) und das italienische Recht damit grundsätzlich einem von Entgegenkommen und Höflichkeit geprägtem Verhalten positiv gegenübersteht und dieses nicht mit einem Rechtsverlust sanktioniert, erfordert die Sicherheit des Rechtsverkehrs im Einzelfall eine Äußerung des Betroffenen, um einen Rechtsverlust zu verhindern.622
c) Dogmatische Einordnung und Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen Im Falle der prescrizione wird nach nahezu einhelliger Auffassung nicht an ein rechtsgeschäftliches Verhalten, sondern an die bloße Untätigkeit (inerzia) bzw. fehlende Rechtsausübung des Betroffenen angeknüpft.623 Weder konnte sich eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Verjährung als konkludenter Rechtsverzicht (rinuncia tacita al diritto) durchsetzen, noch die von Auricchio624 vertretene These, nach der ein Unterlassen der Rechtsausübung allein nicht für den Rechtsverlust ausreicht, sondern das Verhalten des Rechtsinhabers aus Sicht des Gegenübers objektiv und unzweideutig den Schluss auf dessen Desinteresse zulassen muss.625 Nach der letztgenannten Auffassung soll die inerzia im Falle der Verjährung nämlich von einem rechtsgeschäftlichen Willen (volontarietà) getragen sein, wobei die Rechtsordnung es hierfür aufgrund der anderenfalls bestehenden Beweisschwierigkeiten genügen lasse, dass kein abweichender Wille geäußert werde; aus Sicht des Gegenübers liege daher ein konkludentes Verhalten des Rechtsinhabers vor.626 Auricchio sieht damit in jedem Handeln und Unterlassen mit rechtlichen Folgen einen atto giuridico.627 Dem wird nicht zuletzt der Wortlaut von Art. 1939 c. c. entgegengehalten, der zwischen den Fällen einer inerzia (Satz 1) als bloßer Untätigkeit und einer rinunzia (Satz 2) als rechtsgeschäftlichem Verhalten differenziert.628 Auch nach Irti soll die bloße inerzia „muta e inespressiva“ und daher ohne rechtsgeschäftliche Bedeutung sein, da das Recht nur aktive Handlungen und nicht den inneren Willen erfassen könne.629 622
La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 556.
623 Eingehend Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim.
dir. proc. civ. 2019, 143, 147 ff. sowie ders., Tempo, prescrizione e Verwirkung, 2020. 624 Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 22. 625 Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 148. 626 Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 19. 627 Auricchio, Appunti sulla prescrizione, 1971, S. 17. 628 Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 150. 629 Irti, Due saggi sul dovere giuridico (obbligo-onere), 1973, S. 89 f.
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Beachtung erfährt Auricchios Ansatz jedoch neuerdings vor dem Hintergrund, dass nach jüngerer Tendenz in der italienischen Rechtsprechung im Einklang mit der Entwicklung in anderen Rechtsordnungen, wie auch der deutschen (unten § 4 III. 1. a)), und Gesetzgebungsprojekten wie den PECL (unten § 6 I. 1.) subjektive Elemente hinsichtlich des Zeitpunktes, ab dem die Verjährung zu laufen beginnt, eine Rolle spielen sollen.630 Da damit die italienische Rechtsprechung und moderne Verjährungsregelungen anderer Rechtsordnungen die tatsächliche Möglichkeit des Rechtsinhabers zur Ausübung seines Rechts mitberücksichtigen, kann Auricchios These der Veranschaulichung des Konzeptes der Verjährungsvorschriften dienen.631 Durch die Einführung subjektiver Gesichtspunkte rücke die Verjährung zudem, zumindest teilweise, in die Nähe der Verwirkung, wobei letztere auf Treu und Glauben fuße und nicht in gleichem Maße wie die Verjährung der Rechtssicherheit diene.632 Dass auch die Folgen einer decadenza nicht rechtsgeschäftlich zu erklären sind, ist mittlerweile weitgehend anerkannt:633 Auch wenn das Ergebnis das gleiche wie bei einer Verzichtserklärung ist, kann, so Trimarchi, nicht darauf geschlossen werden, dass das Schweigen in den Fällen eines gesetzlich normierten Rechtsverlusts eine rechtsgeschäftliche Verzichtserklärung („manifestazione di una volontà negoziale di rinuncia“) darstellt.634 Vielmehr zeitige es im Interesse der Einfachheit und Sicherheit des Rechtsverkehrs die Rechtsfolgen unabhängig von einem entsprechenden Willen und sogar der Geschäftsfähigkeit des Schweigenden.635 Auch Giampiccolo vertritt die Auffassung, dass beispielsweise bei einer Verknüpfung der Untätigkeit mit einem Rechtsverlust wie bei Art. 1399 Abs. 4 c. c. der Gesetzgeber von einem entsprechenden Willen und sogar einer Zurechnung des Verhaltens absieht und in diesem Falle die Rechtsfolgen allein aus dem unterlassenen Widerspruch folgen, sodass nicht mehr von einem willensgetragenen Verhalten (comportamento volontario) gesprochen werden kann.636 Die Vorschriften über Willenserklärungen sollen, so auch Segni, auf die Fälle des Rechtsverlusts infolge eines Schweigens deshalb 630 Vgl. dazu Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 149 ff. 631 So Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 149 ff., 154. 632 Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 154 f. 633 Vgl. nur Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 148; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, 9. Auflage 2002 (Nachdruck), S. 143; Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 343; Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166; anders wohl noch Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 163 f. 634 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166. 635 Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 22. Auflage 2018, S. 166. 636 Giampiccolo, Note sul comportamento concludente, in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1961, 778, 800 ff.
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keine Anwendung finden, weil die Rechtsposition des Schweigenden letztlich unverändert bleibt und er allenfalls die Möglichkeit verliert, einen Vorteil zu erlangen, sodass das Bedürfnis nach Rechtssicherheit für die Gegenseite auch dann überwiegt, wenn der Schweigende an der Kundgabe seines entgegenstehenden Willens gehindert war.637 Zu beachten ist freilich hinsichtlich der dogmatischen Einordnung, dass die Abgrenzung zwischen gesetzlich normierten Fällen des Schweigens mit Verpflichtungswirkung und jenen, in denen das Schweigen eine decadenza nach sich zieht, im italienischen Recht oft stark umstritten ist (oben § 3 II. 1. a)).
2. Rechtsverlust infolge eines Rechtsgeschäfts Daneben kann ein Schweigen auch auf rechtsgeschäftlichem Weg zu einem Rechtsverlust führen. Zunächst können die Parteien, soweit es sich um disponible Rechte (diritti disponibili) handelt, auch vertraglich eine decadenza vereinbaren. Eine Grenze stellt insoweit Art. 2965 c. c. dar, welcher derartige Vereinbarungen verbietet, wenn sie die Ausübung von Rechten durch eine Partei übermäßig erschweren. Hinsichtlich der Verjährung ordnet Art. 2936 c. c. dagegen die Nichtigkeit jeglicher Verträge an, die die gesetzlichen Verjährungsregeln verändern. Der Verzicht (rinuncia) auf ein Recht kann im italienischen Recht ferner auch durch eine konkludente Willensäußerung und damit auch durch ein silenzio circostanziato erfolgen, soweit kein besonderes Formerfordernis besteht.638 Dabei handelt es sich nach ganz überwiegender Auffassung um ein nicht annahmebedürftiges, einseitiges Rechtsgeschäft (negozio unilaterale).639 Kritisiert wird, dass es sich in der Praxis bei der rinuncia tacita in vielen Fällen um die bloße Fiktion eines Rechtsgeschäfts handelt.640 Insoweit ist allerdings eine Entscheidung der Corte di Cassazione aus dem Jahr 2018 erwähnenswert, wonach das Schweigen und die Untätigkeit nicht als konkludente Willenserklärungen ausgelegt werden könnten und der Verzicht nicht Gegenstand von bloßen Vermutungen sein könne: „[…] né il silenzio né l’inerzia possono essere interpretati come manifestazione tacita della volontà di rinunciare al diritto medesimo, poiché la rinuncia non può essere oggetto di mere presunzioni […]“641. Freilich wurde schon in der Vergangenheit betont, dass der Verzicht, etwa auf den Besitz ( possesso), angesichts seiner weitreichenden Folgen für den Rechtsinhaber nicht allein aufgrund der fehlenden Ausübung eines 637
Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 343. Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 622. 639 Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2519. 640 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 622 f.; Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 52. 641 Cass. civ. 5.2.2018, Nr. 2739; ebenso Cass. civ. 3.10.2018, Nr. 24139. 638 Vgl.
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Rechts, sondern nur bei Vorliegen einer entsprechend eindeutigen Erklärung des Aufgabewillens („univoca manifestazione di volontà abdicativa“) angenommen werden könne642, sodass die zitierte Entscheidung möglicherweise nur diesen bereits anerkannten Grundsatz wiederholt, ohne in der Sache eine grundlegende Veränderung darzustellen. Möglicherweise zeichnet sich hierin aber auch eine Neuorientierung der Rechtsprechung hin zu einer restriktiveren Handhabung der rinuncia tacita ab; in diesem Fall stellt sich die Frage, ob andere Rechtsinstitute wie die tolleranza (dazu sogleich) – wie von Teilen der Literatur gefordert – an ihre Stelle treten werden, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden.
3. Weitere Fälle des Rechtsverlustes infolge Untätigkeit Das italienische Recht hält, wie auch das französische Recht, an der Tradition des romanischen Rechtskreises fest, dass Rechte grundsätzlich nur infolge eines rechtsgeschäftlichen Verzichts (rinuncia) oder der eben beschriebenen gesetzlich bestimmten prescrizione und decadenza, also aufgrund des ius strictum, untergehen können. Das relativ junge deutsche Rechtsinstitut der Verwirkung kennt es als solches daher nicht643, wobei die Rechtsfigur in der Wissenschaft sehr wohl Beachtung und teils auch Zustimmung gefunden hat644. Von der Rechtsprechung645 und Literatur646 wird das Institut allerdings für die italienische Rechtsordnung teils explizit abgelehnt. Verfehlt wäre es freilich, sich mit dieser Feststellung zufrieden zu geben, da Konstellationen, die das deutsche Recht mittels der Verwirkung löst, selbstredend auch im italienischen Recht be642 So Cass. civ. 21.12.1999, Nr. 14370, in: Rep. Foro it. 1999, Stichwort „Possesso“ Nr. 22; vgl. auch Cass. civ. 18.6.1990, Nr. 6116, in: Rep. Foro it. 1990, Stichwort „Rinunzia in genere“ Nr. 1; dazu auch Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2521. 643 Colangelo, Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240, in: Foro it. 2004, 1397, 1398; Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 90 (1973) 220, 223; eingehend, insbsondere zur Haltung der italienischen Rechtsprechung auch Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 607 ff.; vgl. oben zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung § 2 II. 2. und III. 2. a), unten zur Verwirkung § 4 III. 3. 644 Vgl. nur die Monographien von Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978 und Ranieri, Rinuncia tacita e Verwirkung, 1971; sowie in der jüngeren Vergangenheit die Beiträge von Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603 ff.; Patti, Verwirkung, in: Digesto, Band 19, 4. Auflage 2000, S. 723 ff.; Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 220 ff.; Rinaldi, Francesco, Verwirkung, ritardato esercizio del diritto e giudizio di buona fede (Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240), in: Nuova giur. civ. comm. 2005, I, 448; Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1961, S. 311; behandelt wird die Verwirkung auch in allgemeinen Werken wie Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 281 Fn. 3. 645 Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240, in: Foro it. 2004, 1397, 1400 m. Anm. Colangelo. 646 De Luca, Estinzione della fideiussione ex art. 1955 c. c. e ritardo sleale nell’esercizio del diritto (Anm zu Trib. Milano 3.1.2000, in: Banca borsa 2001, II, 611, 624.
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kannt sind und einer interessengerechten Lösung zugeführt werden. Im Wege eines funktionalen Rechtsvergleichs ist vielmehr der Frage nachzugehen, mit Hilfe welcher Instrumente die italienische Rechtswissenschaft die Problematik des Rechtsverlustes infolge einer Untätigkeit bewältigt.647 Auch in Italien ist nämlich anerkannt, dass es außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fälle von decadenza und prescrizione zu einem Rechtsverlust infolge eines Schweigens kommen kann. Dabei ist die italienische Rechtsprechung von denselben Beweggründen wie die deutsche geprägt, nämlich davon, dass die starren Fristen von decadenza und prescrizione nicht immer der Rechtswirklichkeit gerecht werden können, sodass das Bedürfnis nach Rechtssicherheit ausnahmsweise hinter der Einzelfallgerechtigkeit zurücktreten muss.648 Dabei stellt sich die Frage, auf welchem Weg dieses Ergebnis erzielt werden kann.
a) Rinuncia tacita (konkludenter Verzicht) Nach wohl überwiegender, insbesondere von der Rechtsprechung und Ranieri vertretener Auffassung sollen über die Annahme eines eben bereits beschriebenen, konkludenten Rechtsverzichts sachgerechte Ergebnisse erzielt werden, wenn die Geltendmachung eines Rechts unbillig verzögert erscheint und im deutschen Recht daher eine Verwirkung angenommen würde.649 In der Tat greifen die italienische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft häufig mit der Begründung, dass das Verhalten nicht mit einem abweichenden Willen vereinbar sei, auf einen konkludenten Rechtsverzicht zurück.650 Dabei wird die rinuncia tacita als Ausprägung von Treu und Glauben bzw. des Verbotes des venire contra factum proprium angesehen.651 Das gegebenenfalls fehlende Erklärungsbewusstsein stellt insoweit keinen Hinderungsgrund dar, da es für den konkludenten Verzicht nicht erforderlich ist.652 Freilich mehren sich in der Literatur insoweit auch kritische Stimmen.653 Letztlich handle es sich um die bloße Fik647 Vgl. Ranieri, Rinucia tacita e Verwirkung, 1971, S. 70 f.; zum französischen Recht Will, Verwirkung im internationalen Privatrecht, in: RabelsZ 42 (1978), 211, 214. 648 Vgl. Lepore, Prescrizione e decadenza, Contributi alla teoria del „giusto rimedio“, 2012, S. 20 f. 649 Ranieri, Rinucia tacita e Verwirkung, 1971, S. 83 ff.; hierfür etwa auch Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1961, S. 311. 650 Vgl. etwa Cass. civ. 12.6.1987, Nr. 5148, in: Rep. Foro it. 1989, Stichwort „rinunzia in genere“ Nr. 2; Cass. civ. 10.2.2003, Nr. 1952 (zum Verzicht auf Vertragsauflösung); dazu Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 622 f. m. w. N. 651 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 622 f.; Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2519. 652 Castiglia, Silenzio (dir. civ.), in: Enciclopedia giuridica Treccani, Band 28, 1992, S. 2; allg. zum Erklärungsbewusstsein obn § 3 II. 9. a). 653 Vgl. etwa Cian/Trabucchi/Viglione, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 2934 VI 1., der von einem Durcheinander spricht („[…] il problema rimane confuso
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tion eines in Wirklichkeit gar nicht vorliegenden Verzichtswillens, die der nach wie vor bestehenden Haftung des italienischen Rechts an der Vorstellung geschuldet sei, dass Rechte abgesehen von der Verjährung und decadenza nur infolge eines Rechtsgeschäfts verloren werden könnten.654 Auch die Corte di Cassazione hat jüngst mehrfach betont, dass ein rechtsgeschäftlicher Verzicht nicht fingiert werden kann. Dabei erwähnte sie in einer im Jahr 2018 ergangenen Entscheidung auch, dass ein bloßes Unterlassen, das keinen rechtsgeschäftlichen Verzicht darstellt, gegebenenfalls Ausdruck einer tolleranza (sogleich § 3 III. 3. c)) ist.655 Insgesamt lehnt die Corte di Cassazione wegen der relativ hohen tatbestandlichen Voraussetzungen wohl sogar häufiger einen konkludenten Rechtsverzicht ab, als dass sie ihn bejaht.656 Nicht alle deutschen Fälle einer Verwirkung dürften damit über die Annahme eines konkludenten Verzichts lösbar sein.
b) Principi di buona fede (Grundsatz von Treu und Glauben) und Rezeption der Verwirkung Teilweise wird auch explizit die Anerkennung des Rechtsinstituts der Verwirkung für das italienische Recht befürwortet.657 Es wird sogar vertreten, dass das italienische Recht mit Art. 48 des regio decreto (königlichen Dekrets) vom 21. Juni 1942, Nr. 929 im Bereich der registrierten Marken über einen kodifizierten Fall der Verwirkung verfüge.658 Die Rede ist bisweilen auch von einem „estoppel all’italiana“ für Fälle, in denen die Rechtsprechung ohne zugrundeliegende Normierung Gerechtigkeitslücken schließt.659 con quello della rinuncia […]“); Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 224. 654 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 52; vgl. kritisch auch Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 622 f. 655 Cass. civ. 3.10.2018, Nr. 24139. 656 Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 623 f. Fn. 43. 657 Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 227; einschränkend Rinaldi, Francesco, Verwirkung, ritardato esercizio del diritto e giudizio di buona fede (Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240), in: Nuova giur. civ. comm. 2005, I, 448, 453. 658 Rinaldi, Francesco, Verwirkung, ritardato esercizio del diritto e giudizio di buona fede (Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240), in: Nuova giur. civ. comm. 2005, I, 448, 451; nach der Norm kann der Inhaber einer Marke, der über fünf Jahre die Benutzung einer später registrierten gleichen oder ähnlichen Marke duldet, weder deren Nichtigkeit geltend machen, noch ihre Nutzung untersagen. 659 Chiodi, Irripetibilità dei canoni versati in esecuzione di una locazione nulla: un caso di „estoppel“ all’italiana, in: Giur. it. 1991, I, 1, 1313 (Anm. zu Cass. civ. 3.5.1991, Nr. 4849); vgl. dazu auch Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 247.
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In einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 lehnt die Corte di Cassazione zwar, im Gegensatz zur vorausgegangenen unterinstanzlichen Entscheidung, die in der Sache das deutsche Rechtsinstitut verwendete, explizit eine Anwendung der Verwirkung als missbräuchliche Rechtsausübung (abuso di diritto) bzw. treuwidrige Verspätung (ritardo sleale) für das italienische Recht ab, da die verspätete Ausübung eines Rechts bzw. der Verstoß gegen die buona fede nur dann von Bedeutung seien, wenn sie einen Schaden nach sich zögen oder einen unzweideutigen konkludenten Verzicht darstellten.660 In einem Urteil aus dem Jahr 2009 hat sie jedoch immerhin offen gelassen, ob der Verlust der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts auf einer rinuncia tacita oder den Prinzipien von Treu und Glauben und dem redlichen Verhalten ( principi di buona fede e correttezza) nach Art. 1175 und 1375 c. c. beruht; ausschlaggebend soll allein sein, ob das Verhalten des Gläubigers bei einer Auslegung nach den eben genannten Prinzipien ein Vertrauen der Gegenseite auf die Aufgabe des Anspruches zulässt.661 Auch eine Entscheidung des Tribunale di Milano deutet eine Öffnung gegenüber dem Rechtsinstitut an: Demnach verbiete der Grundsatz von Treu und Glauben es dem Schuldner, nach vierjähriger Untätigkeit die Bürgen in Anspruch zu nehmen.662 An der pauschalen Ablehnung der Verwirkung in der erstgenannten Entscheidung aus dem Jahr 2004 wird zudem kritisiert, dass die von der Cassazione im konkreten Fall vorgenommene Interessenabwägung letztlich genau dem entspreche, was auch die Anwendung der Verwirkung erfordere.663 In der Literatur wird teils ein Rückgriff auf die Generalklausel der buona fede auch mit dem Argument befürwortet, dass dies der ratio der Vorschriften zur decadenza entspreche.664 Letztere führt freilich – wie oben bereits gesehen – nur zu einer objektiven bzw. starren Rechtsfolge, während die Generalklausel flexibler ist und eine Einbeziehung der konkreten Umstände, wie der Geschäftserfahrenheit der Parteien oder der Rechtfertigungsgründe der untätigen Partei ermöglicht.665
c) Tolleranza (Duldung) Von besonderem Interesse ist zudem die von einem gewichtigen Teil der Literatur666 zur Lösung der Problematik herangezogene tolleranza (Duldung). Diese 660
Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240, in: Foro it. 2004, 1397, 1400 m. Anm. Colangelo. civ. 28.4.2009, Nr. 9924, in: Giust. civ. Mass. 2009, 4, 683 (zu einem arbeitsrechtlichen Fall). 662 Trib. Milano, 3.1.2000, in: Banca borsa 2001, II, 608 m. Anm. De Luca. 663 Colangelo, Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004 Nr. 5240, in: Foro it. 2004, 1397, 1399. 664 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 632 f. 665 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 632 f. 666 Candian, Atto autorizzato, atto materiale lecito, atto tollerato – Contributo alla teoria 661 Cass.
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ist nahe mit dem Ansatz der buona fede und mit dem Verbot des venire contra factum proprium verwandt, aber dennoch hiervon zu unterscheiden.667 Insbesondere Patti möchte viele Fälle, die im deutschen Recht der Verwirkung unterfallen, im italienischen Recht ebenfalls mittels dieses Rechtsinstituts lösen.668 Auch in jüngster Zeit wird in der italienischen Rechtswissenschaft vertreten, dass über die tolleranza die gleichen Ergebnisse wie über die Verwirkung erzielt werden können.669 Ausgangspunkt ist dabei Art. 1144 c. c., der klarstellt, dass Handlungen, die mit der Duldung eines anderen vorgenommen wurden, nicht als Grundlage für den Erwerb des Besitzes dienen können.670 Diese Norm regelt, so Patti, jedoch nur einen besonderen Teilaspekt der tolleranza als Hinderungsgrund für den Rechtserwerb, während die tolleranza außerhalb dieses Bereichs eine andere Bedeutung annimmt.671 Eine tolleranza des Rechtsinhabers komme etwa in Art. 936 Abs. 4 c. c. zum Ausdruck, wonach der Grundstückseigentümer einen Dritten bzw. Nichtberechtigten nicht verpflichten kann, Anpflanzungen, Bauten und Werke zu beseitigen, wenn diese mit seinem Wissen und ohne seinen Widerstand errichtet wurden oder wenn der Dritte in gutem Glauben gehandelt hat.672 Freilich kann dieses Rechtsinstitut, wie oben gesehen (§ 3 II. 2. b)) zumindest nach einem Teil der Literatur auch positive Rechtsfolgen zeitigen (etwa bei der rappresentanza tollerata) und geht insoweit über die deutsche Verwirkung hinaus (unten § 4. III. 3.), allerdings handelt es sich stets um nachteilige Rechtsfolgen für denjenigen, der sein Recht nicht gegenüber der Rechtsverletzung durch einen Dritten geltend macht, sodass etwa ein Vertrag zugunsten Dritter (contratto a favore di terzo) nicht über eine tolleranza zu erklären ist.673 Auch die italienische Rechtsprechung greift insbesondere im Mietrecht seit längerem auf die tolleranza zurück. Beispielsweise kann sich ein Vermieter, der bislang Verzögerungen bei der Zahlung des Mietzinses nicht beanstandet hat, nicht plötzlich auf eine Vertragsauflösungsklausel für den Fall des Zahlungsdell’atto giuridico, in: Scritti giuridici in onore di Francesco Carnelutti, 1949, 454, 473 ff.; Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2536; Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75; Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978; allgemein zur Rolle der tolleranza Musio, Il principio di tolleranza nel diritto civile, in: Contr. impr., 2017, 403. 667 Zur Unterscheidung und oft bestehenden Verwechslung der Phänomene Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 85. 668 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 101. 669 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 91. 670 Art. 1144 c. c. lautet: „Gli atti compiuti con l’altrui tolleranza non possono servire di fondamento all’acquisto del possesso.“; Zum Verständnis dieser Norm eingehend Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 5 ff. 671 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 32 ff. 672 Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, 702; ebenso Musio, Il principio di tolleranza nel diritto civile, in: Contr. impr. eur., 2017, 403, 410. 673 Vgl. Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 61.
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rückstandes berufen.674 Dies ist Ausfluss der Pflicht zum widerspruchsfreien Verhalten (dovere di coerenza).675 Neben dem Arbeitsrecht676 wird auch in anderen Rechtsbereichen wie dem Bankrecht von der Rechtsprechung auf diesen Grundsatz zurückgegriffen.677 So kann nach einer 26-fachen Duldung von handschriftlichen Zahlungsaufträgen nicht mehr das eigentlich vereinbarte Ausfüllen von hierfür vorgesehenen Vordrucken verlangt werden.678
aa) Voraussetzungen der tolleranza Voraussetzung für die Anwendung des Rechtsinstitutes der tolleranza ist zunächst, dass seitens des Schuldners eine Rechtsverletzung vorliegt und für den Gläubiger eine Möglichkeit besteht, aufgrund dieser gegen seinen Schuldner vorzugehen, er dies jedoch über längere Zeit unterlässt.679 Die tolleranza greift nur dort ein, wo eine für den Rechtsinhaber nachteilige Rechtsverletzung vorliegt; zeitigt das Handeln des Dritten jedoch vorteilhafte Folgen für den Betroffenen und reagiert dieser nicht, so kann auch nicht von einem Dulden gesprochen werden.680 Dabei wird dort häufiger von einer acquiescenza statt einer tolleranza gesprochen, wo das Verhalten eine Zustimmung indiziert, wie beispielsweise bei einer Untätigkeit gegenüber einer Schlechtleistung, wobei die Verwendung der beiden Begriffe nicht immer klar abgegrenzt ist (bereits oben § 1 II. 2.) und beide Phänomene zu vergleichbaren, für den Rechtsinhaber nachteiligen Ergebnissen führen.681 Die tolleranza als „relative Passivität“ unterscheidet sich dabei von der inerzia als völliger bzw. „absoluter“ Passivität und generellem Desinteresse an der Rechtsausübung682 dadurch, dass sie nach dem Vorbild des oben bereits zitierten Art. 936 Abs. 4 c. c. eine Kenntnis (conoscenza) des Rechtsinhabers hinsichtlich seines Rechts und des Verhaltens des Anderen voraussetzt683 und 674 Cass. civ. 9.2.1998, Nr. 1316, in: Giur. it. 1999, 273, 275 m. Anm. Ermini; Cass. civ. 8.1.1991, Nr. 90; Cass. civ. 30.4.1979, Nr. 2507, in: Giust. civ. Mass. 1979, Heft 4. 675 Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 246 ff.; krit. aber zur Unterscheidung des dovere di coerenza gegenüber der tolleranza Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 91 f. 676 Hierzu Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 248 m. w. N. 677 Trib. di Milano, 9.2.2015, in: Banca borsa, 2017, 2, 243 m. zustimmender Anm. Abu Awwad; vgl. dazu auch Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 248 m. w. N. 678 Trib. di Milano, 9.2.2015, in: Banca borsa, 2017, 2, 243 m.Anm. Abu Awwad. 679 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 76 ff. 680 Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, 714. 681 Patti, Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 1. 682 So Corte di Appello di Trieste, 30.11.1959, in Giust. civ. 1960, I, 813, 816; zu den Begrifflichkeiten bereits oben § 1 II. 2. 683 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 67.
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damit eine bewusste Duldung (scientia et patientia)684 der Rechtsverletzung darstellt. Trotz dieses Bewusstseins zielt die tolleranza aber gerade nicht auf die konkludente Kundgabe eines Verzichtswillens und stellt keine konkludente Willenserklärung dar.685 Anders als die bloße inerzia, die für den Rechtsinhaber nachteilige Rechtsfolgen nur nach dem Verstreichen einer Frist nach sich ziehen kann (decadenza), erfordert auch die acquiescenza ein entsprechendes Bewusstsein des Rechtsinhabers.686 Das Verhalten des Gläubigers muss des Weiteren geeignet sein, beim Schuldner das Vertrauen darauf zu erwecken, dass der Gläubiger nicht mehr von seinem Recht Gebrauch machen wird.687 Ein solches schutzwürdiges Vertrauen entfällt, wenn der Schuldner nach den Umständen des Einzelfalles nicht davon ausgehen konnte, dass das Dulden des Gläubigers ein Einverständnis mit seinem Verhalten signalisiert.688 Dabei ist für die Annahme einer tolleranza auch das Verstreichen einer einzelfallabhängig zu bestimmenden Zeitspanne erforderlich, die sich an gesetzlichen Fristen orientieren kann, da dem Rechtsinhaber zunächst eine Überlegungsfrist eingeräumt werden soll.689 Macht der Gläubiger, nachdem sich beim Schuldner ein begründetes Vertrauen auf die nicht mehr erfolgende Ausübung gebildet hat, schließlich sein Recht geltend, kann ihm dies aufgrund seiner tolleranza versagt werden.690 Dabei führt die tolleranza nicht zur Abänderung eines Vertrags: die Nichterfüllung bleibt eine Nichterfüllung und eine Verspätung der Leistung eine Verspätung. Ihre Duldung kann aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine Rolle spielen und etwa dazu führen, dass der Gläubiger den vom Schuldner verursachten Schaden einer unzureichenden Vertragsdurchführung tragen muss.691
bb) Dogmatische Begründung der tolleranza und Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen Der Gedanke, dass die tolleranza bzw. der Rechtsverlust infolge einer Untätigkeit kein privatautonomer, rechtsgeschäftlicher Akt ist, sondern wie eine deca684 Patti, 685 Cass.
Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, 702. civ. 3.10.2018, Nr. 24139; Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 78; Patti, In tema di modifica tacita del contenuto del contratto (Anm. zu Tribunale di Napoli 11.1.1979, Nr. 53), in: Dir. giur. 1980, 395, 398; vgl. auch Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 77; Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, 713 f. 686 Patti, Acquiescenza, I) Diritto civile, in: Enciclopedia giuridica, Band 1, 1988, S. 1 f. 687 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 78; Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 248. 688 Patti, In tema di modifica tacita del contenuto del contratto (Anm. zu Tribunale di Napoli 11.1.1979, Nr. 53), in: Dir. giur. 1980, 395, 398. 689 Candian, Atto autorizzato, atto materiale lecito, atto tollerato – Contributo alla teoria dell’atto giuridico, in: Scritti giuridici in onore di Francesco Carnelutti, 1949, 454, 477 ff. 690 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 79. 691 Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 707 f.
III. Fattispecie di perdita dei diritti
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denza bzw. ein Ausschluss eines Rechts wirkt, begegnet bereits bei Betti.692 Die tolleranza wirke in der Regel nicht in die Zukunft – soweit sie nicht aufgrund ihrer Wiederholung konkludenten Charakter anehme und damit zum Rechtsgeschäft werde –, sondern nur für die Vergangenheit, indem sie die Reaktionsmöglichkeit ausschließe.693 Das bloße wissentliche Dulden (scientia et patientia) ist, so schon Bonfante, von einer, im vertraglichen Bereich grundsätzlich erforderlichen Willenserklärung zu unterscheiden.694 Ein beachtlicher Teil der Literatur vertritt mittlerweile diese nicht rechtsgeschäftliche Verortung.695 Die tolleranza zeitigt damit, anders als die rinuncia tacita, Rechtsfolgen unabhängig vom Vorliegen eines Rechtsgeschäfts und nur aufgrund der Bewertung des Verhaltens durch die Rechtsordnung, die allen privatrechtlichen Rechtspositionen das Prinzip von Treu und Glauben als Schranke entgegensetzt.696 Freilich ist diese Abgrenzung der beiden Phänomene – nämlich der rinuncia tacita einer- und der tolleranza andererseits – schwierig. Die Entscheidung, ob eine konkludente Willenserklärung zur Aufgabe einer Rechtsposition oder eine bloße Duldung bzw. fehlender Widerspruch gegenüber der Rechtsverletzung vorliegt, soll anhand einer Auslegung des Verhaltens getroffen werden.697 Derjenige, der konkludent auf ein Recht verzichtet, weist, so Patti, einen entsprechenden Verzichtswillen auf, während im Fall der tolleranza keinerlei entsprechender Wille und daher auch keine privatautonome Handlung vorliegt.698 Erst wenn der Duldende ein Verhalten an den Tag legt, das unmissverständlich auf einen Verzichtswillen schließen lässt, soll damit nach einhelliger Ansicht eine Qualifikation als rinuncia tacita erfolgen.699 Grundlegender Unterschied sei, dass im Falle der tolleranza nicht auf das Recht selbst verzichtet werde, sondern 692
Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 77; zustimmend Travi, Silenzio e formazione dei contratti (Anm. zu Corte di App. Milano 11.1.1952), in: Giur. it. 1953, I, 2, 73. 693 Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 77. 694 Bonfante, I rapporti continuativi e il silenzio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 207. 695 Etwa Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2536; Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 77 f.; Patti, Tolleranza (atti di), in: Enciclopedia del diritto, Band 44, 1992, S. 714; Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 248. 696 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 56; vgl. ebenso Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1119; vgl. auch Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 248. 697 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 52. 698 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 51; Scardigno, Il valore del silenzio all’interno del rapporto contrattuale (Anm. zu Cass. civ. 14.6.1997, Nr. 5356), in: Giur. it. 1998, II, 1117, 1119. 699 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 77 f. m. w. N.; vgl. bereits Candian, Atto autorizzato, atto materiale lecito, atto tollerato – Contributo alla teoria dell’atto giuridico, in: Scritti giuridici in onore di Francesco Carnelutti, 1949, 454, 473 f.
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§ 3 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden italienischen Privatrecht
nur kein Widerstand gegen die Nutzung des Rechts durch einen anderen geleistet werde.700 Von einem konkludenten Verzicht unterscheidet sich die tolleranza auch dadurch, dass sie nicht zu einem Erlöschen des Rechts führt, sondern ihre Rechtsfolge in einem bloßen Ausschluss der Geltendmachung (inesigibilità) eines Rechts besteht.701 Zudem kann die tolleranza, anders als die rinuncia tacita, auch bei sonst formbedürftigen Rechtsgeschäften greifen, wie beispielsweise bei der geduldeten Aneignung eines Grundstückes.702 Folge der nicht rechtsgeschäftlichen Verortung ist, dass die Vorschriften über Willenserklärungen wie die Geschäftsfähigkeit nicht für die tolleranza gelten; ausreichend soll für sie nach überwiegender Auffassung bereits die Deliktsfähigkeit des Duldenden nach Art. 2046 c. c. sein.703 Befürworter einer rechtsgeschäftlichen Lösung der Problematik führen dementsprechend als Vorteil an, dass bei der rinuncia tacita die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit und zu den Willensmängeln Anwendung finden können.704
IV. Zusammenfassender Überblick zum Schweigen im italienischen Privatrecht Insgesamt unterscheidet das italienische Recht im Grundsatz klar zwischen dem Schweigen mit verpflichtenden Rechtsfolgen einerseits und dem Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes andererseits. Dies kommt auch durch die Verwendung unterschiedlicher Begriffe (silenzio/decadenza/tolleranza/inerzia/ reticenza) zum Ausdruck. Allerdings verschwimmen die beiden Phänomene bisweilen, da die Zuordnung einzelner Regelungen zu der einen oder anderen Kategorie umstritten ist, so etwa beim Auftrag (Art. 1712 Abs. 2 c. c.). Beim Schweigen als Verpflichtungsgrund fällt auf, dass außerhalb des silenzio con valore legale insbesondere das Bestehen von Geschäftsbeziehungen und die besondere Geschäftserfahrenheit der Parteien eine Zustimmung durch Schweigen nahelegen. So ist eine Zustimmung auch infolge des Schweigens gegenüber einer lettera di conferma oder fattura möglich. Die italienische Recht700
Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 52. Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2537 f.; Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 80 f.; vgl. auch Cass. civ. 15.7.2005, Nr. 15026, S. 13 f.; Cass. civ. 17.12.1990, Nr. 11960. 702 Candian, Atto autorizzato, atto materiale lecito, atto tollerato – Contributo alla teoria dell’atto giuridico, in: Scritti giuridici in onore di Francesco Carnelutti, 1949, 454, 472. 703 Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2538 m. w. N.; ebenso bereits Candian, Atto autorizzato, atto materiale lecito, atto tollerato – Contributo alla teoria dell’atto giuridico, in: Scritti giuridici in onore di Francesco Carnelutti, 1949, 454, 472. 704 Dazu Gallo, Trattato del contratto, Band 3, I rimedi, la fiducia, l’apparenza, 2010, S. 2519 m. w. N. 701
IV. Zusammenfassender Überblick zum Schweigen im italienischen Privatrecht 141
wissenschaft spricht sich im Bereich des silenzio circostanziato ganz überwiegend mit überzeugenden Argumenten für eine rechtsgeschäftliche Verortung als dichiarazione di volontà aus und erteilt dabei Ansätzen, die die Rechtsfolgen auf andere Weise zu erklären versuchen, eine Absage. Dabei werden die vor allem in der Vergangenheit vertretenen Ansätze einer versöhnlichen Lösung zugeführt: Obliegenheiten, Treu und Glauben, Handelsbräuche u. ä. können für die Feststellung des Vorliegens einer im Schweigen liegenden Willenserklärung Bedeutung gewinnen, ohne aber selbst Ursache der Verpflichtung zu sein. Saccos Ansatz eines contratto unilaterale stellt demgegenüber eine Mindermeinung dar. Folgerichtig wird auch die Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf das silenzio circostanziato befürwortet, wobei aufgrund des principio d’affidamento strenge Anforderungen an die Geltendmachung etwaiger Willensmängel sowie eines fehlenden Erklärungsbewusstseins gestellt werden. Weniger eindeutig ist hingegen der Umgang mit dem silenzio con valore legale. Insoweit gestaltet sich vor allem die dogmatische Verortung recht unübersichtlich, wobei aber recht häufig von einer Willenserklärung trotz der Normierung der Rechtsfolgen ausgegangen wird. Eine zumindest analoge Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf das normierte Schweigen wird fast einhellig befürwortet. Das Schweigen als Ursache eines Rechtsverlustes ist im italienischen Recht zum einen als prescrizione oder decadenza gesetzlich geregelt, wobei in diesen Fällen nicht von rechtgeschäftlichen Erklärungsakten ausgegangen wird. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit eines rechtsgeschäftlichen Verzichts durch Schweigen in Gestalt der rinuncia tacita, die im italienischen Recht eine sehr bedeutende Rolle spielt. Allerdings wird der Rechtsverlust infolge eines Schweigens immer häufiger auch auf nicht rechtsgeschäftliche Weise mit der auf dem principio di buona fede basierenden tolleranza erklärt.
§ 4 Die Bedeutung des Schweigens im geltenden deutschen Privatrecht im Vergleich zum italienischen Privatrecht I. Einführung – Erklärungsgehalt des Schweigens im Grundsatz Im Ausgangspunkt ist im geltenden deutschen Privatrecht genau wie im italienischen allgemein anerkannt, dass das bloße Schweigen einer Person in Ermangelung eines Erklärungsgehaltes im Grundsatz überhaupt keine Willenserklärung darstellt.1 Insoweit wird vertreten, dass im Fall des Schweigens entweder gar keine rechtlich relevante Äußerung oder eine Ablehnung des Schweigenden vorliege.2 Von einer Auffassung wird, ähnlich wie vereinzelt in Italien (§ 3 I.), sogar vorgebracht, dass die Untätigkeit eines Vertragspartners ganz prinzipiell als Ablehnung zu verstehen sei.3 Auch nach einigen Urteilen des Bundesgerichtshofs soll eine Regel dahingehend bestehen, dass das Schweigen des (potentiellen) Vertragspartners eine Ablehnung bedeutet.4 Dem wird entgegengehalten, dass ein Schweigen an sich ohne weitere besondere Umstände weder Zustimmung noch Ablehnung zum Ausdruck bringt und es daher neutral ist.5 Gegen die Annahme, dass Schweigen in der Regel Ablehnung bedeutet, spricht in der Tat, dass einem bloßen passiven Verhalten ohne weitere Anhaltspunkte oder Umstände, die auf den Willen des Schweigenden schließen 1 Vgl. nur BGH 1.6.1994 – XII ZR 227/92, in: NJW-RR 1994, 1163, 1165; Fischinger, Grundfälle zur Bedeutung des Schweigens im Rechtsverkehr – Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? (Teil 1), JuS 2015, 294, 294 m. w. N. 2 So etwa Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004, § 28 Rn. 67; anders nun Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Auflage 2020, § 31 Rn. 11 (weder Zustimmung noch Ablehnung). 3 So etwa Graf von Westphalen/Thüsing/Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB – Klauselwerke, 45. Ergänzungslieferung März 2020, Vertragsabschlussklauseln – Einbeziehung Rn. 37; Lehmann/Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 16. Auflage 1966, S. 207; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, 15. Auflage 1960, S. 944. 4 BGH 2.11.1995 – X ZR 135/93, in: NJW 1996, 919, 921; BGH 24.9.1980 – VIII ZR 299/79, in: NJW 1981, 43, 44. 5 So etwa Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 77; Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 2.b) (S. 64); Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 7; Kolbe, Schweigen auf einseitige Preiserhöhungen, in: BB 2010, 2322, 2324; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 52; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 212 und 222 jeweils m. w. N. auch zur italienischen Literatur.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
lassen, grundsätzlich keinerlei rechtlicher Erklärungsgehalt entnommen werden kann; der Schweigende erklärt vielmehr durch sein Verhalten schlicht gar nichts – jedenfalls, soweit keine der besonderen Ausnahmefälle vorliegen (dazu sogleich).6 Auch in historischer Hinsicht gehen die Motive des Bürgerlichen Gesetzbuches davon aus, dass „das Schweigen in der Regel eine Willenskundgebung nicht enthalten (wird)“7, wobei von einer ablehnenden Wirkung gerade nicht die Rede ist. Für den neutralen Erklärungsgehalt eines Schweigens spricht zudem, dass durchaus Konstellationen denkbar sind, in denen das Schweigen auf bestimmte Fragen oder Angebote weder eine Zustimmung noch Ablehnung darstellen soll, sondern lediglich eine Nichtäußerung aus Gleichgültigkeit ist oder auch eine ganz bewusste oder demonstrative Enthaltung beinhalten kann wie etwa bei der Stimmenzählung im Rahmen einer Versammlung.8 Eine Unterstellung dahingehend, dass derjenige, der zu etwas schweigt, es ablehnt, überzieht den Schutz des Schweigenden vor ungewollten Verpflichtungen und läuft letztlich dem Prinzip der Privatautonomie zuwider. Aus dem Fehlen einer zustimmenden Äußerung durch den Schweigenden allein kann nämlich noch nicht auf seine Ablehnung geschlossen werden. Dem entspricht auch die ganz herrschende Auffassung in der italienischen Rechtswissenschaft (dazu § 3 I.), wonach ein Schweigen nicht als rifiuto (Ablehnung), sondern schlicht als neutrales und mehrdeutiges Verhalten anzusehen ist, dem nur im Einzelfall aufgrund bestimmter Umstände eine rechtliche Bedeutung zukommen kann. Das italienische Recht bringt dies, anders als das deutsche, auch sprachlich dadurch zum Ausdruck, dass für ein Schweigen, dem kein hinreichend sicherer Erklärungsgehalt entnommen werden kann und das eine bloße Untätigkeit darstellt, den Begriff inerzia (Untätigkeit) statt silenzio (Schweigen) verwendet. Die rechtlichen Konsequenzen der unterschiedlichen Auffassungen dürften indes gering sein, da weder durch eine Ablehnung noch durch ein rechtliches nullum ein Vertrag oder eine rechtliche Bindung zustande gebracht werden kann und zumindest Einigkeit dahingehend besteht, dass das Schweigen an sich ohne weitere Umstände keinen positiven Erklärungsgehalt9 aufweist. Die im Bereich des Vertragsrechts viel zitierte Regel „qui tacet, consentire non videtur“ behält also ihre Richtigkeit, da sie nicht mehr und nicht weniger besagt, als dass ein Schweigen in der Regel keine Zustimmung darstellt und beispiels6 So etwa auch Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608; Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 77; Kolbe, Schweigen auf einseitige Preiserhöhungen, in: BB 2010, 2322, 2324. 7 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 153. 8 Vgl. BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629. 9 Vgl. zum grundsätzlichen Nichtvorliegen einer Zustimmung durch Schweigen nur: BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: NJW 1951, 711.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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weise nach § 146 BGB die nicht rechtzeitige Annahme die gleichen Wirkungen wie eine Ablehnung zeitigt.10 Dabei handelt es sich jedoch, ebenso wie im italienischen Recht, nur um eine Regel, von der es anerkanntermaßen unter bestimmten – und im Einzelnen umstrittenen – Voraussetzungen Ausnahmen gibt. Bei Vorliegen dieser besonderen Konstellationen kann dem Schweigen ein positiver oder auch ablehnender Erklärungsgehalt entnommen werden, sodass es einerseits Grundlage einer vertraglichen Verpflichtung bilden bzw. die Ursache einer Schadensersatzhaftung darstellen kann (unten § 4 II.) oder aber andererseits Auslöser eines Rechtsverlustes sein kann (unten § 4 III.), wobei freilich umstritten ist, wie dies jeweils dogmatisch zu begründen ist. Dabei ist die deutsche Diskussion um die dogmatische Begründung der Rechtsfolgen eines Schweigens allgemeiner gehalten als die italienische, welche sich vorrangig an Art. 1333 c. c. entzündet, weist aber, wie sich im Folgenden zeigen wird, insgesamt große Parallelen zu dieser auf.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund Klassischerweise werden die Erscheinungsformen des Schweigens als Verpflichtungsgrund unterteilt in Fallgestaltungen, in denen die Erklärungswirkung des Schweigens gesetzlich angeordnet ist (sog. normiertes Schweigen) und in solche, in denen die Wirkungen des Schweigens auf einer ausdrücklichen oder konkludenten Parteivereinbarung beruhen oder unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben anerkannt sind (sog. beredtes Schweigen). Zu unterscheiden ist mit anderen Worten also zwischen den objektivrechtlichen Folgen eines Schweigens beim sog. normierten Schweigen und jenen Fällen, in denen letztlich an einen konkludenten Erklärungsgehalt des Verhaltens des Schweigenden angeknüpft wird.11 Dies entspricht dem italienischen silenzio legalmente tipizzato und dem silenzio circostanziato. Neuerdings wird anstelle der üblichen Begrifflichkeiten auch eine Unterscheidung in „bewusstes“ und „unbewusstes Schweigen“ befürwortet.12 Da dies jedoch mehr die Anwendbarkeit der Normen über Willenserklärungen betrifft (hierzu noch unten § 4 II. 9.) und zudem nur vereinzelt vertreten wird, sollen an dieser Stelle die traditionellen Bezeichnungen gebraucht werden. Auch die überwiegend verwendete Terminologie ist allerdings nicht ganz einheitlich, so werden, ähnlich wie im italienischen Recht (oben § 3 II.), teilweise auch gesetzlich geregelte Fälle des Schweigens unter den Begriff „bered10 Vgl. Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 243. 11 Oetker/Maultzsch, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 362 HGB Rn. 2; Neuner, All-
gemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Auflage 2020, § 31 Rn. 10. 12 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 89 ff.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
tes Schweigen“ gefasst13 oder die Fälle, in denen die Rechtswirkungen auf Treu und Glauben basieren, als „normiertes Schweigen“ bezeichnet14. Gegen eine begriffliche Einordnung jeglicher Fälle einer Untätigkeit, welche Rechtsfolgen nach sich zieht, als „beredtes Schweigen“ spricht jedoch, dass schon wegen der möglicherweise unterschiedlichen Rechtsfolgen zwischen Rechtswirkungen zu unterscheiden ist, die auf gesetzlicher Fiktion beruhen und solchen, die von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Zuzugeben ist zwar, dass die Fälle, in denen hinsichtlich der Folgen eines Schweigens mit Gesichtspunkten von Treu und Glauben argumentiert wird, eine Mittlerrolle einnehmen zwischen den unmittelbar aus dem Gesetz folgenden bzw. fingierten Erklärungswirkungen und solchen, die nur privatautonom vereinbart werden. Die Tatbestände normierten Schweigens können auch als Vorbilder für jene Tatbestände angesehen werden, in denen dem Schweigen unabhängig von einer entsprechenden Parteiabrede durch Literatur und Rechtsprechung aufgrund von Treu und Glauben, Verkehrsschutzaspekten und ähnlichem Rechtswirkungen beigelegt werden.15 Dennoch unterscheiden sich aber unmittelbar gesetzlich fingierte Willenserklärungen einerseits und Konstellationen, in denen das Schweigen aufgrund anderer, nicht gesetzlich verankerter Gründe Rechtsfolgen nach sich zieht, andererseits wesentlich dadurch, dass die Folgen des Verhaltens im ersten Fall objektivrechtlich verankert sind und unabhängig vom Willen des Schweigenden stets eintreten, während es im zweiten Fall auf die Umstände des Einzelfalles und unter Umständen auch auf den Willen des Schweigenden ankommt. Überzeugend erscheint es daher, gesetzlich fingierte Konsequenzen eines Schweigens einerseits als „normiertes Schweigen“ zu bezeichnen und andererseits den Oberbegriff „beredtes Schweigen“ sowohl für die Unterfälle des von den Parteien vereinbarten Schweigens als auch der Konstellationen zu verwenden, in denen die Rechtsfolgen auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basieren.16 Auch die italienische Terminologie bezüglich des silenzio ist, wie oben beschrieben (§ 1 II. 2.) zwar nicht immer trennscharf, sehr häufig ist aber doch eine differenzierende Bezeichnung als silenzio con valore legale bzw. significato legalmente tipizzato einerseits und als silenzio circostanziato andererseits anzutreffen. Ganz überwiegend wird im italienischen Recht überdies zumindest der Sache nach zwischen den Fällen unterschieden, in denen bereits das Gesetz die Folgen eines Schweigens anordnet und jenen, in denen erst die Umstände dem Verhalten eine bestimmte Wirkung verleihen. Beiden Rechtsordnungen ist damit 13 So Herberger u. a./M. Otto, jurisPK-BGB Band 1, 9. Auflage 2020 (Stand 1.5.2020), § 146 Rn. 31. 14 So Rothermel/Dahmen, Schweigen ist Silber, in: RIW 2018, 179, 179. 15 So Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 73. 16 Die gleiche Terminologie wie hier verwenden etwa: Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 7 f.; Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 510 ff.; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 60.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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grundsätzlich die Unterscheidung in gesetzlich angeordnete Rechtswirkungen des Schweigens und Rechtswirkungen, die aus anderen, nicht normierten Gründen folgen, gemein.
1. Grenzen der Verpflichtungswirkung durch Formvorschriften und Schutzvorschriften Dem Schweigen als Verpflichtungsgrund sind jedoch im geltenden deutschen Zivilrecht ebenso wie im italienischen durch Formvorschriften sowie weitere, insbesondere verbraucherschützende Regelungen dort Grenzen gesetzt, wo der Schutz des Schweigenden für gewöhnlich überwiegt. Bereits das römische Recht sah für bestimmte Verträge eine besondere Form vor, sodass ein reines Schweigen nicht für ihren Abschluss genügte (oben § 2 II. 1.). Dabei haben sich im deutschen und italienischen Recht, teils auch durch europäische Richtlinien bedingt, ganz ähnliche Regelungen herausgebildet, wie die folgenden Beispiele zeigen.
a) Schweigen und Formbedürftigkeit Ähnlich wie im italienischen Recht soll bei besonders bedeutsamen und außergewöhnlichen Rechtsgeschäften, wie etwa beurkundungsbedürftigen Grundstücksgeschäften, eine Annahme durch bloßes Schweigen (beispielsweise auf eine verspätete Annahmeerklärung hin) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht möglich sein.17 Während ein gesetzliches Formerfordernis wie die Schriftform (§ 126 BGB) oder die Beurkundungsbedürftigkeit (§ 128 BGB) einer Annahmeerklärung durch ein bloßes Schweigen oder jegliches sonstige Verhalten, welches nicht der geforderten Form entspricht, entgegensteht und die Nichteinhaltung der Form zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 125 Satz 1 BGB führen würde, lässt sich mit guten Gründen anzweifeln, ob die Bedeutung eines Rechtsgeschäfts als eher relatives Kriterium darüber entscheiden kann, ob einem Schweigen Erklärungsgehalt zukommt oder nicht.18 Den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Vertragsabschluss lässt sich jedenfalls keine Abstufung nach der Gewichtigkeit eines Rechtsgeschäfts entnehmen, sodass es näher liegt, wie sonst auch einzelfallbezogen darauf abzustellen, ob der Vertragspartner das Schweigen als Annahme verstehen darf, wobei aufgrund der Bedeutung des Rechtsgeschäfts möglicherweise strengere Pflichten zur Vermeidung von Missverständnissen bestehen.19 Auch im italienischen Recht wird, wie oben gesehen 17
BGH 1.6.1994 – XII ZR 227/92, in: NJW-RR 1994, 1163, 1165; BGH 11.6.2010 – V ZR 85/09, in: DNotZ 2010, 913, 917. 18 Vgl. so Kanzleiter, Vertragsabschluss durch das Schweigen des Verbrauchers auf die verspätete Annahme seines Kaufangebots durch den (Unternehmer-)Verkäufer?, in DNotZ 2013, 323, 324 f. 19 Vgl. auch Kanzleiter, Vertragsabschluss durch das Schweigen des Verbrauchers auf die
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
(§ 3 II. 1. a)) die Frage, ob die Formbedürftigkeit der rechtlichen Erheblichkeit eines Schweigens entgegensteht, nicht pauschal bejaht. Vielmehr wird maßgeblich – und sogar unter Verweis auf die deutsche Schenkung – auf die Vorteilhaftigkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts für den Schweigenden und sein daraus resultierendes fehlendes Schutzbedürfnis abgestellt. Zumindest bei für den Schweigenden günstigen Rechtsfolgen und wenn kein gesetzliches Formerfordernis besteht, sollte daher im Einzelfall auch ein Schweigen bei formbedürftigen Rechtsgeschäften einen Vertragsschluss bewirken können.
b) Schweigen und unbestellte Leistungen Einen gewissen materiellrechtlichen Schutz (zum Kollisionsrecht unten § 5 II.) des Schweigenden vor unbilligen Vertragsschlüssen – freilich nur für Verbraucher – gewährt der im Zuge der Umsetzung von Art. 9 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 9. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz20 geschaffene § 241a Abs. 1 BGB. Seit 13. Juni 2014 dient § 241a BGB der Umsetzung von Art. 25 und 27 VerbrRRL sowie von Art. 9 der Richtlinie 2002/65/EG21. Nach § 241a Abs. 1 BGB wird ein Anspruch des Unternehmers gegen den Verbraucher durch die Lieferung beweglicher Sachen, die nicht aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden (Waren) oder durch die Erbringung sonstiger Leistungen nicht begründet, wenn der Verbraucher die Waren oder sonstigen Leistungen nicht bestellt hat. Der deutsche Gesetzgeber hat in Absatz 1 der Norm eine auch gesetzliche Ansprüche erfassende Formulierung gewählt und auf diese Weise wie der italienische umfassend alle Ansprüche mit der Begründung ausgeschlossen, dass sich nach einer europarechtlich-autonomen weiten Auslegung unter Berücksichtigung der „verbraucherschützenden Gesamtintention“ der von der Richtlinie geforderte Ausschluss „jeglicher Gegenleistung“ möglicherweise auch auf gesetzliche Ansprüche beziehen könne.22 Nur § 241a Abs. 2 BGB sieht einen Erhalt gesetzlicher Ansprüche des Unternehmers ausnahmsweise dann vor, wenn die Leistung nicht für den Empfänger bestimmt war oder aufgrund der irrtümlichen Annahme einer Lieferung erfolgte und der Empfänger dies erkannt hatte oder erkennen musste. Dabei schließt das deutsche Recht, ebenso wie das italienische, dem Normwortlaut nach einen auf die unbestellte Zusendung folgenden verspätete Annahme seines Kaufangebots durch den (Unternehmer-)Verkäufer?, in DNotZ 2013, 323, 325 f. 20 Amtsblatt Nr. L 144, S. 19. 21 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG. 22 Bundestags-Drucksache 14/2658 S. 23 f., S. 46.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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Vertragsschluss nicht von vorneherein aus, sodass eine konkludente Annahme i. V. m. mit § 151 BGB grundsätzlich denkbar ist. Freilich erfordert dies eine entsprechende Willensbetätigung, die aus Sicht eines objektiven Empfängers auf einen Annahmewillen schließen lässt (dazu unten § 4 II. 2. a)), was angesichts des Bestehens von § 241a BGB und dessen Einbeziehung in die vorzunehmende objektive Betrachtungsweise des Verhaltens kaum je der Fall sein wird.23 Eine Annahme dürfte demnach allenfalls durch ausdrückliches Handeln, wie etwa der Zahlung des Preises möglich sein24, keinesfalls aber durch ein Schweigen allein. Auch das italienische Recht (oben § 3 II. 1. b)) drängt die Möglichkeit eines Vertragsschlusses bei unbestellten Leistungen deutlich zurück, indem eine fehlende Antwort den Vertragsschluss ausschließt. Teils wird sogar eine Erstreckung der Norm auch auf aktives Verhalten des Unternehmers angedacht. Die Vorschrift ist in der deutschen Literatur Gegenstand scharfer Kritik, sie führe als „Fremdkörper“ zu systematischen Verwerfungen in der Zivilrechtsdogmatik und sei in vielerlei Hinsicht missglückt25, ja mit Blick auf Art. 14 GG sogar verfassungswidrig aufgrund des Ausschlusses auch von gesetzlichen Ansprüchen26. Den verfassungsrechtlichen Bedenken lässt sich entgegenhalten, dass es sich bei § 241a BGB um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt.27 Des Weiteren wird vorgebracht, das deutsche Recht habe die Vorgabe der Richtlinie, Verbraucher vor einer Gegenleistungspflicht zu schützen ohnehin bereits durch § 1 UWG28 und den allgemeinen Grundsatz erfüllt, dass Schweigen keine Annahme bedeute und durch einseitige Leistungen noch nie ein Vertrag begründet worden sei, sodass die Vorschrift überflüssig sei und nur Verwirrung stifte.29 Auch in Italien zeigt sich, dass außerhalb von Verbrauchergeschäften unter Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Dogmatik zum silenzio circostanziato problemlos ohne die entsprechende verbraucherschützende Regelung ganz ähn23 Vgl. S. Lorenz, § 241a BGB und das Bereicherungsrecht – zum Begriff der „Bestellung“ im Schuldrecht, in: FS W. Lorenz, 2001, S. 193, 197. 24 Krüger/Finkenauer, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 241a Rn. 15. 25 Vgl. nur Säcker/Rixecker/Finkenauer, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 241a Rn. 5 m. w. N.; Schwarz, § 241a BGB als Störfall für die Zivilrechtsdogmatik – Zu den systemwidrigen Folgen der Umsetzung der EG-Fernabsatz-Richtlinie, in: NJW 2001, 1449, 1454. 26 Deckers, Zusendung unbestellter Ware, in: NJW 2001, 1474, 1474; Schwarz, § 241a BGB als Störfall für die Zivilrechtsdogmatik – Zu den systemwidrigen Folgen der Umsetzung der EG-Fernabsatz-Richtlinie, in: NJW 2001, 1449, 1454; Stellungnahme des Bundesrats, BTDrs. 14/2920 S. 5; vgl. zu einer verfassungskonformen einschränkenden Auslegung der Norm Altmeppen, Zwischen Vertragsfreiheit und Verbraucherschutz, in: Genzow/Grunewald, FS für Friedrich Graf von Westphalen, 2010, S. 1, 7 ff. 27 S. Lorenz, § 241a BGB und das Bereicherungsrecht – zum Begriff der „Bestellung“ im Schuldrecht, in: FS W. Lorenz, 2001, S. 193, 199. 28 Altmeppen, Zwischen Vertragsfreiheit und Verbraucherschutz, in: Genzow/Grunewald, FS für Friedrich Graf von Westphalen, 2010, 1, 2. 29 Vgl. Deckers, Zusendung unbestellter Ware, in: NJW 2001, 1474, 1474; Säcker/Rixecker/Finkenauer, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 241a Rn.1 u 5.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
liche Ergebnisse erzielt werden können und das Schweigen gegenüber unbestellten Lieferungen in aller Regel selbst im unternehmerischen Bereich keine Annahmeerklärung darstellt. Auch wenn rechtsvergleichend – jedenfalls außerhalb des Handelsrechts – in Europa der Grundsatz gilt, dass Schweigen regelmäßig keine Vertragsannahme bedeutet30, behält die Norm aber wegen ihres durch den umfassenden Anspruchsausschluss verfolgten Präventionscharakters ihre Existenzberechtigung.31 Einzubeziehen ist auch, dass sowohl das italienische als auch das deutsche Recht, wie eben gesehen, einzelfallabhängig und vor allem für einen rechtlichen Laien nicht immer vorhersehbar entscheiden, ob ein Schweigen beredt bzw. circostanziato ist und die Norm somit der Rechtssicherheit dient. Ohne die Klarstellung des Anspruchsausschlusses in Art. 66 quinquies und § 241a BGB bestünde zudem die Möglichkeit, dass ein Unternehmer gezielt Situationen schüfe, in denen nach allgemeinen Regeln von einem Schweigen des Verbrauchers mit Verpflichtungswirkung auszugehen wäre, wie etwa unter Umständen bei unbestellten Lieferungen unter Ausnutzung bereits bestehender Geschäftsbeziehungen.
c) Schweigen und Allgemeine Geschäftsbedingungen § 308 Nr. 5 BGB schränkt die Möglichkeiten der Parteien ein, über Allgemeine Geschäftsbestimmungen dem Schweigen einen Erklärungsgehalt zu verleihen. Demnach ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Bestimmung, wonach eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders bei Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung als von ihm abgegeben oder nicht abgegeben gilt, unwirksam, es sei denn, dass dem Vertragspartner eine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt ist und der Verwender sich verpflichtet, den Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen. Da der Normwortlaut von einem zeitlichen Nachfolgen der von der Fiktion betroffenen Handlung bzw. Unterlassung ausgeht, ist § 308 Nr. 5 BGB nicht auf Fälle anwendbar, in denen der Vertragsschluss erstmalig durch die Fiktion herbeigeführt werden soll, wie bei einem Schweigen auf ein Angebot.32 Erfasst sind damit von der Norm, ähnlich wie bei Art. 1341 c. c., insbesondere die Fortführung des Vertrags infolge einer entsprechenden Fiktion, aber auch das fingierte Einverständnis mit einer Vertragsänderung sowie die Anknüpfung bestimmter Rechtsfolgen (wie der Bestätigung der Fehlerfreiheit einer Ware oder Abrechnung) an die Untätigkeit bzw. den unterlassenen Widerspruch des Ver30 Vgl.
hierzu Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Auflage 2015, S. 39 m. w. N.; S. Lorenz, § 241a BGB und das Bereicherungsrecht – zum Begriff der „Bestellung“ im Schuldrecht, in: FS W. Lorenz, 2001, S. 193, 195 m. w. N. 31 Vgl. ebenso: S. Lorenz, § 241a BGB und das Bereicherungsrecht – zum Begriff der „Bestellung“ im Schuldrecht, in: FS W. Lorenz, München 2001, S. 193, 213 f. 32 Krüger/Wurmnest, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 308 Nr. 5 Rn. 6 m. w. N.
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tragspartners.33 Darüber hinaus können Klauseln, die an das Schweigen einen Vertragsschluss knüpfen, aufgrund des Unterlaufens des Grundsatzes der negativen Vertragsabschlussfreiheit eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellen.34 Anders als die allgemein gültige italienische Norm findet § 308 Nr. 5 BGB jedoch keine direkte Anwendung im Verhältnis zu Unternehmern, sondern entfaltet nur über § 307 BGB Indizwirkung für das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung, wobei gegenüber Unternehmern durchaus eine kürzere Erklärungsfrist angemessen sein kann.35 Das italienische Recht erzielt zudem einen Schutz bzw. eine Warnung des Betroffenen durch das Erfordernis einer gesonderten schriftlichen Bestätigung der ihn belastenden Klausel. Umstritten ist, wie das Schweigen im deutschen Recht gegenüber Änderungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu bewerten ist: während die Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht in der Literatur ein Schweigen in Verbindung mit der Fortführung des Vertrags als Zustimmung ansehen, besteht eine Mindermeinung auf einer ausdrücklichen Zustimmung zu den geänderten Bedingungen.36 Letzteres dürfte freilich wenig praktikabel sein, wenn auch bei mehrmaliger Aufforderung zur Erklärung keine Reaktion erfolgt37, schützt den Vertragspartner aber besser vor unerkannten nachteiligen Vertragsänderungen. Für einen stärkeren Schutz spricht auch ein Blick in das italienische Recht, das Vertragsänderungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (condizioni generali di contratto) zurecht restriktiv gegenübersteht.
2. Beispiele normierten Schweigens im bürgerlichen Recht Zunächst sind im deutschen bürgerlichen Recht, genau wie im italienischen, Regelungen zu finden, in denen das Schweigen von Gesetzes wegen eine Verpflichtung nach sich zieht bzw. verlängert und somit konstitutive, positive Rechtsfolgen zeitigt. Keinen Fall des Schweigens regelt allerdings, anders als teils angenommen38, § 151 BGB, wonach der Vertrag durch die Annahme des Antrags zustande kommt, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. In der Norm geht es 33 Krüger/Wurmnest, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 308 Nr. 5 Rn. 3. 34 Dazu Woitkewitsch, Automatische Verlängerung der „BahnCard“ aufgrund Allgemeiner
Geschäftsbedingungen, in: MDR 2006, 541, 543. 35 Vgl. Bamberger/Roth/Becker, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.5.2021), § 308 Nr. 5 Rn. 27 f. 36 Vgl. dazu Krüger/Basedow, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 305 Rn. 89 m. w. N. 37 Krüger/Basedow, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 305 Rn. 89. 38 Vgl. die unzutreffende Formulierung zu § 151 BGB in BGH 29.9.1951 – II ZR 62/51, in: BeckRS 1951, 31203961 („Zustandekommen eines Vertrages durch Stillschweigen des Annehmenden“).
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
nämlich, wie dem Wortlaut zu entnehmen ist, nur um den Verzicht auf die Empfangsbedürftigkeit der Annahmeerklärung. Ein irgendwie geartetes konkludentes Verhalten des Annehmenden, aus dem sich unzweideutig sein Annahmewille ergibt, ist aber weiterhin erforderlich, um eine vertragliche Bindung entstehen zu lassen.39 Der bloße innere, nicht objektiv nach außen zu Tage getretene Entschluss führt hingegen noch zu keiner rechtlichen Verpflichtung.40 Ob eine hinreichende Willensbetätigung des Annehmenden vorliegt, ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, wobei aufgrund der fehlenden Empfangsbedürftigkeit nicht der Empfängerhorizont nach § 157 BGB maßgeblich ist, sondern zu prüfen ist, ob das Verhalten vom Standpunkt eines unbeteiligten objektiven Dritten aufgrund aller äußeren Indizien auf einen Annahmewillen schließen lässt.41 Im Einzelfall kann daher auch ein Schweigen als Willensbetätigung ausreichen, wenn dieses entsprechend beredt ist.42 § 151 BGB regelt also trotz des missverständlichen Wortlautes nur die Entbehrlichkeit des Zuganges, nicht aber jene der Annahmeerklärung bzw. Annahmehandlung selbst und damit keinen Fall des Vertragsschlusses durch ein rechtserhebliches Schweigen.43 Eine besondere Behandlung von § 151 BGB wird freilich hinsichtlich des Erklärungsbewusstseins erwogen: anders als bei „normalen“ Willenserklärungen soll wegen der fehlenden Schutzwürdigkeit des Anbietenden nur eine Richtigstellung bei entsprechendem Nachweis des fehlenden Bewusstseins erfolgen; falls kein Nachweis möglich ist, soll die Annahme entsprechend § 116 BGB wirksam sein.44 Andere sprechen sich für eine unterschiedslose Geltung der Grundsätze zum Erklärungsbewusstsein auch für § 151 BGB aus45, wofür angeführt werden kann, dass es sich um eine Willenserklärung wie jede andere handelt, die nur nicht empfangsbedürftig ist. Dem entspricht der italienische Art. 1327 Abs. 1 c. c.46 (oben § 3 II. 2. a)), sodass in beiden Rechtsordnungen zwischem dem bloßen Verzicht auf den Zu39 Vgl. nur BGH 6.2.1990 – X ZR 39/89, in: NJW 1990, 1656, 1657; BGH 21.10.2004 – III ZR 380/03, in: NJW 2004, 3699, 3699; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 248 f.; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 680 m. w. N.; Staudinger/ Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 60 m. w. N.; in der italienischen Literatur zum deutschen Recht: Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 410; für die alleinige Maßgeblichkeit des inneren Willens dagegen S. Lorenz, § 241a BGB und das Bereicherungsrecht – zum Begriff der „Bestellung“ im Schuldrecht, in: FS W. Lorenz, 2001, S. 193, 197. 40 Vgl. Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 151 Rn. 9. 41 Vgl. BGH 6.2.1990 – X ZR 39/89, in: NJW 1990, 1656, 1657; BGH 21.10.2004 – III ZR 380/03, in: NJW 2004, 3699, 3699. 42 Grunewald/Welter, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 362 Rn. 7. 43 Vgl. Fritzsche, Der Abschluss von Verträgen, in: JA 2006, 674, 677. 44 Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 151 Rn. 10 m. w. N. 45 Hager/Möslein, BeckOGK BGB, Stand 1.2.2021, § 151 Rn. 24; Staudinger/Bork, BGB 2020, § 151 Rn. 16. 46 Ebenso Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Auflage 2009, S. 225; Sacco/Rossi, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage 2017, S. 101.
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gang einer Annahmeerklärung und dem Schweigen an der Stelle einer Annahmeerklärung unterschieden wird. Beide Rechtsordnungen lassen damit ein beschleunigtes Vertragsabschlussverfahren zu, wenn der Antragende aufgrund seiner eigenen Entscheidung oder nach der Verkehrssitte nicht in seinem Vertrauen auf den Zugang einer Annahmeerklärung schützenswert erscheint. Die italienische Norm, die anders als die deutsche Norm eine Durchführung des Vertrags fordert und damit klarer formuliert ist, bestätigt, was auch im deutschen Recht ganz herrschende Meinung ist: es handelt sich gerade nicht um einen Vertragsabschluss durch Schweigen oder passives Verhalten oder gar eine einseitige Erklärung, vielmehr ist nur der Zugang der Annahme entbehrlich, sodass grundsätzlich ein nach außen hervortretendes Verhalten des Annehmenden, das als Annahmeerklärung gewertet werden kann, erforderlich bleibt. Allerdings zeichnet sich die deutsche Regelung gegenüber der italienischen durch einen breiteren Anwendungsbereich aus, da sie jegliches als Annahme zu verstehendes Verhalten und nicht nur die Vertragsdurchführung genügen lässt.47 Anders als im deutschen Recht ist der Schweigende nach Art. 1327 Abs. 2 c. c. zudem gehalten, unverzüglich der anderen Partei die begonnene Vertragsdurchführung anzuzeigen, wobei ihn bei der Nichtanzeige Schadensersatzpflichten treffen können, was den eigentlich angestrebten Zweck der Beschleunigung und Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses beeinträchtigen kann. Bei den weiteren, in diesem Abschnitt der Arbeit behandelten Vorschriften handelt es sich jedoch gerade um solche, die im Gegensatz zum Mechanismus des § 151 BGB dem Schweigen einer Partei allein bereits eine verpflichtungsbegründende Bedeutung zuschreiben. Eine allgemeine Regelung der Wirkung eines Schweigens findet sich hingegen im deutschen Recht ebensowenig wie im italienischen Codice civile und den meisten anderen Rechtsordnungen.48
a) Begründung von Verpflichtungen Im deutschen bürgerlichen Recht kann das Schweigen zunächst aufgrund gesetzlicher Anordnung zur Begründung eines Vertrags zwischen aktiver und schweigender Partei führen. Gesetzestechnisch wird dabei in der Regel eine bestimmte Zeitspanne festgelegt, nach deren fruchtlosem Ablauf ein Vertragsverhältnis zustande kommt; teilweise wird daher auch von einer „positiven Versäumniswirkung“49 gesprochen. Ähnlich wie im italienischen Recht (oben § 3 II. 2. a)) zeigt sich bereits an dieser Bezeichung, dass die Abgrenzung zwischen Rechtsverlust bzw. decadenza (Verfall) und Verpflichtungen infolge eines Schweigens nicht immer einfach vorzunehmen ist. 47 Gallo, Trattato del contratto, Band 1, La formazione, 2010, S. 674 f. 48 Vgl. den Überblick bei Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330
1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 406 ff. 49 So Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, 2. Auflage 1969, S. 60.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
Im allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches regelt zunächst § 149 BGB, dass eine dem Antragenden verspätet zugegangene Annahmeerklärung, die dergestalt abgesendet worden ist, dass sie bei regelmäßiger Beförderung ihm rechtzeitig zugegangen sein würde, als nicht verspätet gilt, wenn der Antragende dies erkennen musste und dem Annehmenden die Verspätung nicht spätestens unverzüglich nach Empfang der Erklärung anzeigt. Die Rechtsfolge des Schweigens des Anbietenden ist also, dass infolge der als rechtzeitig fingierten Annahmeerklärung ein Vertrag zustande kommt. Die Rechtzeitigkeitsfiktion in § 149 Satz 2 BGB dient dem Schutz des Annehmenden aus Billigkeitsgründen, durfte er doch auf das Zustandekommen des Vertrages durch seine rechtzeitig abgesendete Erklärung vertrauen, deren pünktlicher Zugang nur durch außergewöhnlichen Umstände bei der Beförderung verhindert wurde.50 Ein bloßer Schutz über eine Schadensersatzhaftung wurde dagegen, anders als im italienischen Recht (oben § 3 II. 2. a)), als nicht ausreichend erachtet.51 Zwar wird hierdurch in das Selbstbestimmungsrecht des schweigenden Anbietenden eingegriffen, doch ist diese Beeinträchtigung relativ gering: Die Parteien beabsichtigten nämlich immerhin ursprünglich den Vertragsschluss; eine gewisse Vermutung spricht dafür, dass dies trotz der Verspätung immer noch der Fall ist und der Anbietende kann überdies seine Dispositionsfreiheit durch die Anzeige des verspäteten Zugangs nach § 149 Satz 1 BGB wieder erlangen.52 Dogmatisch soll es sich im Fall des § 149 BGB nach einer Auffassung um eine Obliegenheit des Antragenden zur Anzeige der Verspätung handeln, deren Verletzung durch die Rechtzeitigkeitsfiktion nach § 149 Satz 2 BGB mit der Begründung eines Vertrages sanktioniert wird.53 Das italienische Recht folgt nach Art. 1326 c. c. dem entgegengesetzen Ansatz (oben § 3. II. 2. a)): im Fall der verspäteten Annahme und einer fehlenden diesbezüglichen Mitteilung soll es allenfalls nach einer Mindermeinung zu einer Schadensersatzhaftung des Anbietenden, keinesfalls jedoch zu einem Vertragsschluss kommen, wobei es dem Antragenden offensteht, die verspätete Annahme als wirksam anzusehen. Während das deutsche Recht durch die Fiktion des § 149 Satz 2 BGB den Schutz des Annehmenden akzentuiert, betont das italienische Recht damit die Privatautonomie des Anbietenden, der – überdies aufgrund eines nach italienischem Recht bestehenden Widerrufsrechts für das Angebot (Art. 1328 c. c.) bereits in privilegierter Stellung – unabhängig von 50 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 171; Bamberger/Roth/H-W.Eckert, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 149 Rn. 2. 51 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 171. 52 Eingehend dazu Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 121 f. 53 So Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 149 Rn. 2; Bamberger/ Roth/H.‑W.Eckert, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.5.2021), § 149 Rn. 2.
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der möglicherweise dem Annehmenden nicht zur Last fallenden Verspätung der Annahmeerklärung frei über die Geltung des Vertrags entscheiden kann. Die verschuldensunabhängige, objektive Anknüpfung des italienischen Rechts an die Verspätung der Erklärung hat den Vorteil, dass Unsicherheiten über das Bestehen eines Vertrages vermieden werden können. Auch ist sie dogmatisch stringent, da das Angebot streng genommen zum Zeitpunkt des Zugangs bzw. Eingangs beim Anbietenden (Art. 1326 Abs. 2 c. c. bzw. §§ 147 Abs. 2, 150 BGB) gar nicht mehr annahmefähig ist. Andererseits sieht sich die italienische Rechtswissenschaft aus Billigkeitsgründen teils zu einer Korrektur des so erzielten Ergebnisses gezwungen, da bei einer rechtzeitigen Absendung für den Annehmenden, der möglicherweise Dispositionen für die Vertragsdurchführung trifft, unbillige Härten entstehen können, die die gesetzliche Lage nach dem Codice, anders als der deutsche § 149 BGB, nicht abzufedern vermag. Soweit eine Auffassung im italienischen Recht allerdings die Sanktionierung der unterlassenen Verspätungsanzeige durch eine Schadensersatzpflicht des Anbietenden befürwortet, handelt es sich damit nur noch um einen graduellen Unterschied der beiden Rechtsordnungen bei der Verpflichtungswirkung des Schweigens gegenüber einer verspätet zugegangenen Annahmeerklärung: an die Stelle der vertraglichen Verpflichtung nach deutschem Recht tritt im italienischen Recht ein bloßer Schadensersatzanspruch. Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr mag diese unterschiedliche Rechtsfolge für die Parteien überraschend sein, sodass sich die Frage stellt, ob auf kollisionsrechtlicher Ebene möglicherweise Schutzmechanismen bestehen (unten § 5 II.). § 455 Satz 2 BGB, wonach das Schweigen des Käufers binnen einer vereinbarten oder angemessenen Frist bei einem Kauf auf Probe als Billigung gilt, scheint zwar auf den ersten Blick wie der Verlust des Ausschlagungsrechts in § 1943 BGB (dazu unten § 4 III. 1. a) bb)) in den Kontext des Rechtsverlusts infolge eines Schweigens einzuordnen zu sein, weil die Befristung zur Billigung nach Satz 1 der Vorschrift vermeintlich nur die Möglichkeit zur Lösung vom Vertrag einschränkt.54 Anders als § 1943 BGB bestimmt allerdings § 454 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass der Kauf im Zweifel unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung steht, sodass es weniger um den Verlust einer bereits erlangten Rechtsposition als den Erwerb einer solchen infolge eines Schweigens geht. Hierfür spricht auch, dass die herrschende Meinung für die Billigung eine Willenserklärung des Käufers und damit mehr als ein bloßes Wirksamkeitserfordernis verlangt.55 Die Bedeutung der Billigung bzw. des Schweigens zeigt sich auch in den Motiven des BGB, wonach der Käufer beim Kauf auf Probe sogar „noch in keiner Weise, auch nicht suspensiv“ gebunden sei, auf Seiten des Verkäufers jedoch eine aufschiebend bedingte 54 So zur wortlautgleichen Vorgängernorm in § 496 BGB a. F. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 118. 55 Staudinger/Mader/Schermaier, BGB 2013, § 454 Rn. 3 m. w. N.
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Verpflichtung vorliege und der Kaufvertrag damit erst mit der Genehmigung geschlossen sei.56 Auch Art. 1520 Abs. 1, 3 c. c. (sog. vendita con riserva di gradimento, dazu oben § 3 II. 2. a)), das italienische Pendant zum deutschen Kauf auf Probe (nicht zu verwechseln mit dem italienischen Probekauf ), wird als Fall der Zustimmung durch ein Schweigen angesehen. Dabei ist der Wortlaut von Abs. 1 der Norm57 freilich eindeutiger formuliert als die deutsche Regelung in § 454 BGB, doch beabsichtigt diese nach den Motiven zum BGB ebenso – und übrigens unter ausdrücklicher Berufung auf andere „moderne Kodifikationen“ wie den französischen code civil –, die Billigung in das freie Ermessen des Käufers zu stellen und nur den Verkäufer bereits von Beginn zu verpflichten.58 Auch § 455 Satz 2 BGB ist damit wie die italienische Regelung als Fall des Schweigens als Verpflichtungsgrund einzuordnen. Die Parteien können auch abweichend von § 454 Abs. 1 Satz 2 BGB den Kauf auf Probe unter eine auflösende Bedingung stellen59, wobei das Schweigen in diesem Falle ähnlich wie beim italienischen Probekauf die Wirkung eines bloßen Rechtsverlustes hat, da der Vertrag in diesem Fall bereits geschlossen war. Bei § 455 Satz 2 BGB überwiegt damit ähnlich wie bei § 149 Satz 2 BGB der Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes und der Rechtssicherheit, wobei in beiden Fällen der Vertragsschlussprozess schon so weit gediehen ist, dass die Durchbrechung des Prinzips der Vertragsabschlussfreiheit geringfügig erscheint. Im Fall von § 455 Satz 2 BGB ist der Abschluss des Vertrages sogar bereits erfolgt und der Vertragsinhalt damit festgelegt, sodass es wahrscheinlich erscheint, dass der Käufer die Sache auch endgültig erwerben will und keine Rechtsunsicherheit bezüglich des Inhaltes entsteht.60 Für die Hypothekenschuld findet sich eine Fiktion der Genehmigungserteilung bei einer Schuldübernahme in § 416 Abs. 1 Satz 2 BGB: erhält demnach der Gläubiger vom Veräußerer eines Grundstücks eine Mitteilung, dass der Erwerber des Grundstücks die hypothekarisch gesicherte Schuld des Veräußerers gegenüber dem Gläubiger übernimmt und verweigert er nicht binnen sechs Monaten seit Empfang der Mitteilung die Genehmigung, so gilt diese als erteilt. Im Bereich des besonderen Schuldrechts ist ferner als vertragsbegründende Regelung vor allem § 516 Abs. 2 Satz 1 BGB zu nennen, der bestimmt, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Erklärung durch den Schenkenden die Schenkung als angenommen gilt, wenn nicht der andere sie zuvor abgelehnt 56 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 2, 1888, S. 334; zum Streit um die rechtliche Konstruktion und die „Wollensbedingung“ des Käufers vgl. Staudinger/Mader/Schermaier, BGB 2013, § 454 Rn. 2 f. m. w. N. 57 „(…) la vendita non si perfeziona fino a che il gradimento non sia comunicato al venditore.“ 58 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 2, 1888, S. 333. 59 Staudinger/Schermaier, BGB 2013, § 455 Rn. 4. 60 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 116.
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hat. Die Norm greift, anders als § 516 Abs. 1 BGB, nur bei einem zeitlichen Vorausgehen des Schenkungsvollzugs gegenüber der schuldrechtlichen Einigung, also in der Regel bei Schenkungen, in deren Rahmen eine Mitwirkung des Beschenkten nicht erforderlich ist, z. B. der Tilgung fremder Schulden.61 Nach der Verkehrssitte ist bei Schenkungen eine Annahmeerklärung nicht zu erwarten, § 151 Satz 1 BGB.62 Wie eben ausgeführt, bedeutet dies grundsätzlich, dass damit dennoch eine nach außen hervortretende, unzweideutige Willensbetätigung des Beschenkten zur Annahme erforderlich bleibt, während nur der Zugang von dieser beim Schenker entbehrlich ist. Im Falle einer Schenkung reicht wegen der Vorteilhaftigkeit für den Beschenkten jedoch regelmäßig bereits das Fehlen einer äußerlich erkennbaren Manifestation der Ablehnung für eine Annahme der Schenkung aus.63 Im Bereich des italienischen Schenkungsrechts besteht keine vergleichbare Regelung: Art. 1333 c. c. erfasst, wie oben gesehen, gerade nicht die Schenkung und die Schenkung im Hinblick auf das Zustandekommen einer Ehe (donazione obnuziale) nach Art. 785 c. c. Rechtfertigen lässt sich die vertragsbegründende Wirkung des Schweigens vor allem damit, dass das Zustandekommen eines Vertrages in den beiden letztgenannten Fällen in aller Regel im Interesse des Schweigenden liegt bzw. man dies angesichts der für ihn – im Gegensatz zum Vertragspartner – überwiegend rechtlich und wirtschaftlich vorteilhaften Folgen unterstellen kann.64 Im Bereich der Schenkung liegt die Vorteilhaftigkeit einer unentgeltlichen Zuwendung auf der Hand. Aber auch bei der Hypothekenschuld entstehen zumindest keine schwerwiegenden Nachteile für den Gläubiger, da ihm die dingliche Sicherheit auch nach der Schuldübernahme erhalten bleibt und ein dauerhaftes Auseinanderfallen von persönlichem Schuldner und Grundstückseigentümer nicht zweckmäßig erscheint.65 Die finanzielle Situation des persönlichen Schuldners ist bei grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen regelmäßig für den Gläubiger nachrangig.66 Zwar mag wegen der fehlenden Zahlungsfähigkeit oder -bereitschaft des neuen persönlichen Schuldners ein Zwangsvollstreckungsverfahren erforderlich werden, doch ist es dem Gläubiger binnen der relativ langen Frist zur Genehmigungsverweigerung zumutbar, sich diesbezüg-
61 Krüger/Koch, MüKo BGB, Band 3, 8. Auflage 2019, § 516 62 BGH 12.10.1999 – XI ZR 24/99, in: NJW 2000, 276, 277. 63
Rn. 47.
BGH 12.10.1999 – XI ZR 24/99, in: NJW 2000, 276, 277. Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 2, 1888, S. 289; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 63; Kolbe, Schweigen auf einseitige Preiserhöhungen, in: BB 2010, 2322, 2324; Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, JA 1982, 184, 185. 65 Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, JA 1982, 184, 185. 66 Bamberger/Roth/Rohe, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 416 Rn. 1; krit. Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 102 f. m. w. N. 64
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
lich zu informieren und abzuwägen.67 Die Rechtsfolgen der Genehmigungsfiktion sind damit kaum für ihn nachteilig. Neben dem Aspekt des Verkehrsschutzes und der Möglichkeit für den Vertragspartner, den aus der Ungewissheit über die Annahme resultierenden unerwünschten, wenn nicht rechtlichen, doch wirtschaftlichen Schwebezustand68 zu beseitigen, spielt damit das regelmäßig zu vermutende Interesse des Schweigenden an dem für ihn vorteilhaften oder zumindest nicht nachteiligen Geschäft eine tragende Rolle für die Rechtfertigung des durch die Fiktionen vorgenommenen Eingriffs in sein Selbstbestimmungsrecht und seinen Schutz vor einer aufgedrängten Bereicherung.69 Dementsprechend ist auch § 516 Abs. 2 BGB bei gemischten Schenkungen unanwendbar, weil maßgeblich die Vorteilhaftigkeit der Schenkung die Einschränkung der privatautonomen Gestaltungsfreiheit des Beschenkten rechtfertigt.70 Es drängt sich damit eine Parallele zum italienischen Vertrag zu Lasten des Anbietenden (contratto a carico del solo proponente) nach Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. auf, der ebenfalls aufgrund der Vorteilhaftigkeit des Rechtsgeschäfts ein Schweigen als Annahme genügen lässt. Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. und § 516 BGB liegt derselbe Gedanke zugrunde: da aus dem Rechtsgeschäft für den Schweigenden nur Vorteile entstehen, kann regelmäßig von seiner Zustimmung ausgegangen werden. Seine Privatautonomie bleibt in beiden Fällen durch seine Widerspruchsmöglichkeit gewahrt, die ihn vor einem ungewollten Vertrag schützt. Trotz dieser auf den ersten Blick bestehenden Nähe der Regelungen unterscheiden sich diese jedoch erheblich hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs: Auch wenn der Anwendungsbereich von § 516 BGB weiter ist als jener der Schenkung nach italienischem Verständnis (Art. 769 c. c.), welche im Gegensatz zur deutschen Regelung die Absicht der Freigiebigkeit (also einen animus donandi bzw. einen spirito di liberalità) und insbesondere die Annahme des Beschenkten (vgl. Art. 782 Abs. 2 c. c.) erfordert, besteht, anders als bei Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c., für die deutsche Schenkung grundsätzlich ein Formzwang (§ 518 BGB).71 Zwar wäre es grundsätzlich denkbar, die unter Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. fallenden Vertragstypen (oben § 3 II. 2. a)) im deutschen Recht als Schenkung zu verstehen, doch brächte dies den Nachteil eben jenes Formzwanges nach sich, sodass eine solche Schlussfolgerung auch nicht gezogen werden kann.72 Anwendungsfälle von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. wie das Bürgschaftsversprechen, werden dementsprechend im deutschen Recht 67 A. A. Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 102 f. m. w. N. 68 Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 119. 69 Eingehend dazu Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 123. 70 Vgl. Staudinger/Chiusi, BGB 2021, § 516 Rn. 62. 71 Vgl. Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 255 ff. 72 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 255 f.
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nicht unter den Begriff der Schenkung gefasst73, sodass sich die Frage stellt, wie das deutsche Recht die Problematik eines Schweigens des Begünstigten bewältigt. Auch wenn die italienische Rechtswissenschaft deutliche Einschränkungen des auf den ersten Blick sehr weiten Anwendungsbereichs von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. vornimmt, umfasst § 516 BGB damit letztlich deutlich weniger Konstellationen als Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c., der sich durch seine größere Abstraktheit, nämlich die Anwendbarkeit auf jegliche Verträge, die – ohne dass ihnen ein spirito di liberalità innewohnt – nur Pflichten für den Anbietenden nach sich ziehen, auszeichnet. Das deutsche Recht verfügt nicht über eine vergleichbare allgemeine Regel für derartige Rechtsgeschäfte. Im Folgenden ist daher auch zumindest auf einige der zahlreichen Vertragstypen einzugehen, die nach italienischem Verständnis unter Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. fallen, wobei zu klären ist, welche Lösung das deutsche Recht hinsichtlich der Annahmeerklärung eines für den Annehmenden günstigen Vertrags vorsieht. Die Regelungen zur Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB), welche als einseitig verpflichtender Vertrag verstanden wird, weisen dem Schweigen des begünstigten Gläubigers keinen Erklärungsgehalt zu, wobei regelmäßig jedoch der Zugang einer Annahmeerklärung nach § 151 BGB für entbehrlich gehalten wird.74 So reicht aufgrund der Vorteilhaftigkeit der Bürgschaft für den Gläubiger beispielsweise bereits die Entgegennahme der Bürgschaftsurkunde oder ihre fehlende Rücksendung als Annahmebetätigung im Sinne von § 151 BGB aus.75 § 151 BGB soll auch für den deutschen Kreditauftrag (§ 768 BGB) gelten76, einen Vertragstyp, bei dem im italienischen Recht ebenfalls Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. zum Zuge kommt (oben § 3 II. 2. a)). Ebenso wird eine Entbehrlichkeit des Zugangs der Annahmeerklärung auch für die Patronatserklärung erwogen.77 Ganz generell wird angenommen, dass der Zugang der Annahmeerklärung aufgrund einer entsprechenden Verkehrssitte bei für den Annehmenden lediglich vorteilhaften Geschäften wie beispielsweise auch selbständigen Garantieversprechen78, Schulderlassen79 und Käufen im Versandhandel80 gemäß § 151 BGB entbehrlich ist.81 Damit sind die meisten Anwendungsfälle von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. im deutschen Recht von § 151 BGB erfasst. Soweit 73 Vgl. dazu Sacco/Rossi, 74 Habersack/Habersack,
Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage 2017, S. 100. MüKo BGB, Band 6, 8. Auflage 2020, § 756 Rn. 2 und 10; Köndgen/Madaus, BeckOGK, Stand 1.9.2021, § 765 Rn. 33. 75 BGH 6.5.1997 – IX ZR 136/96, in: NJW 1997, 2233, 2233. 76 Habersack/Habersack, MüKo BGB, Band 6, 8. Auflage 2020, § 778 Rn. 3; einschränkend Köndgen/Madaus, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 778 Rn. 7. 77 Maier-Reimer/Etzbach, Die Patronatserklärung, in: NJW 2011, 1110, 1112 m. w. N. 78 BGH 23.3.1988 – VIII ZR 58/87, in: NJW 1988, 1726, 1727. 79 OLG Koblenz 21.11.2002 – 5 U 1035/02, in: NJW 2003, 758, 759. 80 OLG Schleswig 3.7.2003 – 7 U 240/01, in: NJW 2004, 231, 231 f. 81 Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 151 Rn. 5; Hager/Möslein, BeckOGK BGB, Stand 1.2.2018, § 151 Rn. 14; in der Rechtsprechung: BGH 12.10.1999 – XI ZR 24/99, in: NJW 2000, 276, 277.
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ersichtlich, weicht die Rechtsprechung nur bei Werbeversprechen teils auf eine andere Argumentation aus: Ein allein durch öffentliche Bekanntmachung begründetes Schuldverhältnis sei dem deutschen Zivilrecht nicht fremd, wie die Auslobung (§ 657 BGB) zeige, sodass kein Abschluss eines Garantievertrags und damit nicht einmal eine Kenntnis des Versprechens beim Begünstigten erforderlich sei.82 Dies stößt allerdings in der Literatur zu Recht auf Widerspruch, da keine Notwendigkeit besteht, die allgemeine Zivilrechtsdogmatik zu durchbrechen und stattdessen eine Erklärung über die konkludente Annahme des Garantieangebots durch den Begünstigten in Verbindung mit § 151 BGB möglich ist.83 Bei der im italienischen Recht infolge von Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. durch Schweigen möglichen Annahme eines Versprechens zur Nachbesserung von Mängeln bei Werken und Kaufsachen dürfte hinsichtlich der Anwendung von § 151 BGB dagegen Zurückhaltung geboten sein, da eigenmächtige Nachbesserungen des Verkäufers ohne Zustimmung des Käufers grundsätzlich folgenlos bleiben sollen.84 Auch der deutschen Rechtswissenschaft ist also bewusst, dass in den allermeisten der im italienischen Recht nach Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. gelösten Fällen aufgrund des wegen der Vorteilhaftigkeit für den Annahmenden naheliegenden Annahmewillens kein Bedürfnis nach einer expliziten Annahmeerklärung besteht. Sie löst dies, anders als das italienische Recht, jedoch nicht über eine gesetzlich festgelegte Erklärungsbedeutung des Schweigens des Annehmenden, sondern den bloßen Verzicht auf den Zugang, nicht jedoch das Vorliegen einer Annahme. Funktional tritt damit § 151 BGB, der sein direktes italienisches Pendant in Art. 1327 c. c. findet (dazu bereits § 3 II. 2. a)), häufig an die Stelle des silenzio con valore legale nach Art. 1333 c. c. So deutlich der dogmatische Unterschied ist – § 151 BGB ist, wie oben gesehen, gerade kein Fall des normierten Schweigens –, dürfte dies in der Praxis doch meist zum gleichen Ergebnis führen, da der Anbietende letztlich in beiden Fällen aufgrund des fehlenden Widerspruchs auf die Annahme des Vertragspartners schließen darf. Das deutsche Recht stellt zwar, indem es ein aus Sicht eines unbeteiligten Dritten auf einen Annahmewillen schließen lassendes Verhalten im Rahmen von § 151 BGB fordert, auf den ersten Blick höhere Hürden für die Annahme des Vertragsangebots auf. Da die Anforderungen an das Verhalten jedoch sehr gering sind und, anders als Art. 1327 c. c., nicht unbedingt eine Vertragsdurchführung voraussetzen, wird häufig auch ein Schweigen bzw. ein passives Verhalten des Angebotsempfängers für die Annahme einer entsprechenden Willenserklärung ausreichen. Je nachdem wie Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. in der italienischen 82
OLG Frankfurt 8.7.2009 – 4 U 85/08, in: BeckRS 2009, 21044. Picht, Die kaufrechtliche Garantie im Verbraucherrechterichtlinien-Umsetzungsgesetz, in: NJW 2014, 2609, 2611; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB 2013, § 443 Rn. 6. 84 Vgl. hierzu Markworth, Eigenmächtige Nachbesserungen durch den Verkäufer, in: NJW 2019, 266, passim. 83 Vgl.
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Rechtswissenschaft dogmatisch verstanden wird, können sich aber möglicherweise Unterschiede bei der nachfolgenden Behandlung wie der Berücksichtigung von Willensmängeln ergeben. Diese können bei Willenserklärungen, deren Zugang nach § 151 BGB entbehrlich ist, nämlich grundsätzlich (zum Streit um das Erklärungsbewusstsein § 4 II. 6. c)) unproblematisch geltend gemacht werden85, während dies bei einem normierten Schweigen bzw. silenzio legalmente tipizzato aufgrund von dessen umstrittener dogmatischen Einordnung nicht ganz ohne Zweifel ist (dazu oben § 3 II. 8.). Allerdings wird nach herrschender Auffassung in der italienischen Rechtswissenschaft – auch wenn dies im Einzelnen stark umstritten ist – die Möglichkeit einer Geltendmachung von Willensmängeln zumindest in gewissen Grenzen auch im Rahmen des normierten Schweigens bzw. Art. 1333 Abs. 2 c. c. befürwortet (dazu oben § 3 II. 9. b)). Freilich verhindert das Erfordernis der Erheblichkeit des Irrtums in beiden Rechtsordnungen bei vorteilhaften Verträgen wohl häufig eine solche Anfechtung der Annahmeerklärung. In der Praxis dürften daher beide Rechtsordnungen über dogmatisch verschiedene Wege – normierte Erklärungsbedeutung eines Schweigens einerseits und Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung andererseits – zum selben Schluss kommen, nämlich dass, soweit keine Ablehnung erklärt wurde, ein Vertrag zustande gekommen ist. Anzudenken wäre im deutschen Recht de lege ferenda möglicherweise die Schaffung einer dem Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. vergleichbaren abstrakten Norm, um so mehr Rechtssicherheit für den Anbietenden, aber auch ein stärkeres Bewusstsein seitens seines Gegenübers dafür zu schaffen, dass ein Schweigen bei einem nur vorteilhaften Angebot leicht in einer vertraglichen Verpflichtung münden kann. Die Warnfunktion einer solchen Norm dürfte nämlich höher sein als jene des recht vage formulierten § 151 BGB. Auch der Entwurf des Europäischen Vertragsgesetzbuches enthält eine Vorschrift nach dem Vorbild des italienischen Art. Abs. 2 Satz 2 1333 c. c. (unten § 6 I. 2.).
b) Verlängerung von Verpflichtungen Eine weitere Spielart der positiven Rechtsfolgen eines Schweigens ist die Verlängerung eines Vertrages infolge der Untätigkeit einer oder beider Parteien. Nicht nur in Italien (oben § 3 II. 2. b)) wurde die im römischen Recht wurzelnde relocatio tacita (oben § 2 II. 1.) übernommen: So kommt es nach § 545 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Verlängerung eines Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit, wenn der Mieter nach Ablauf der Mietzeit die Mietsache weiter gebraucht und keine Vertragspartei innerhalb von zwei Wochen ihren entgegenstehenden Willen erklärt. Dabei entsteht kein neues Mietverhältnis, sondern das bestehende wird lediglich fortgeführt und bleibt, abgesehen von der Vertragsdauer und 85
Hager/Möslein, BeckOGK BGB, Stand 1.2.2018, § 151 Rn. 27.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
den Kündigungsfristen, dabei grundsätzlich unverändert.86 Ebenso wird nach § 625 BGB die Verlängerung eines Dienstverhältnisses auf unbestimmte Zeit fingiert, wenn es vom Dienstverpflichteten nach Ablauf der Dienstzeit mit Wissen des anderen Teils fortgesetzt wird, sofern dieser nicht der Verlängerung unverzüglich widerspricht. Die Motive verweisen hierbei auf die für die relocatio tacita maßgeblichen Gründe.87 Anders als in Italien, wo eine Differenzierung zwischen Novation und Verlängerung des Mietvertrages diskutiert wird, ist also im deutschen Recht anerkannt, dass es sich nicht um die Begründung eines neuen Mietverhältnisses, sondern eine Verlängerung des bereits bestehenden Vertrags infolge des Schweigens handelt. Freilich mag man in der Fortführung des Miet- bzw. Dienstverhältnisses ein aktives konkludentes Verhalten erblicken. Zum einen ist aber auf Seiten des Mieters jegliches Verhalten, soweit es nur der bisherigen Art und dem Umfang des Mietverhältnisses entspricht, für die Gebrauchsfortsetzung ausreichend, sodass grundsätzlich auch seine Ortsabwesenheit unschädlich ist.88 Zum anderen stellt in jedem Fall der fehlende Widerspruch des Vermieters eine Untätigkeit dar, sodass die gebräuchliche und im Übrigen auch im italienischen Recht für die entsprechenden Normen so durchgeführte Einordnung als Fall des normierten Schweigens überzeugt. Für § 625 BGB gelten zwar arbeitsvertragliche Besonderheiten, sodass nur eine tatsächliche Fortsetzung mit Wissen des Dienstberechtigten ausreichend ist, um eine Verlängerung zu begründen89, doch wird auch hier an den fehlenden Widerspruch, mithin ein Schweigen des Dienstberechtigten, angeknüpft. In beiden Fällen zeitigt das passive Verhalten für die Parteien in aller Regel letztlich Vorteile, da im Fall der relocatio dem Mieter die Nutzungsmöglichkeit verbleibt und der Vermieter keinen neuen Vertragspartner suchen muss, sodass ein Wille zur Vertragsverlängerung naheliegt.90 Auch im Fall des Dienstverhältnisses dürften die Parteien regelmäßig Interesse an der vertraglichen Kontinuität haben. Anders als bei den o. g. vertragsbegründenden Normen in § 516 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 416 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt es sich freilich nicht um eine nur einseitige Passivität, sondern um ein beiderseitiges Schweigen bzw. Verhalten, das im Gegenzug aber auch mehr oder minder große Vorteile 86 Staudinger/v.
Emmerich, BGB 2018, § 545 Rn. 15 f.; BGH 27.4.2016 – VIII ZR 323/14, in: NJW-RR 2016, 784, 787. 87 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 2, 1888, S. 468. 88 Schach/Schultz/Schüller/Klötz-Hörlin, BeckOK Mietrecht, 25. Edition (Stand 1.8.2021), § 545 Rn. 14 m. w. N. 89 Hierzu Henssler/Krüger/Henssler, MüKo BGB, Band 5, 8. Auflage 2020, § 625 Rn. 14 f. 90 Vgl. Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 149; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 58 f.; Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, in: JA 1982, 184, 185; a. A. Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 117.
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für beide Beteiligte nach sich zieht. Insbesondere verhindern die Vorschriften einen vertragslosen Zustand, der zur praktisch komplizierten Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB oder (bei einer Mietsache) §§ 987 ff. BGB führen würde.91 Zur Rechtfertigung der Rechtsfolgen des Schweigens wird auch angeführt, dass die Parteien ohnehin eine sog. „Tätigkeitslast“ treffe – wollten sie den Vertrag nicht mehr, so müssten sie aktiv tätig werden.92 Nicht zu vernachlässigen ist auch der mit der gesetzlichen Verlängerung einhergehende Aspekt der Vereinfachung der betroffenen Rechtsverhältnisse: Die Parteien bei Dauerschuldverhältnissen werden – wie auch in Italien zurecht angenommen wird – nach allgemeiner Lebenserfahrung häufig das Rechtsverhältnis einfach „weiterlaufen“ lassen wollen oder das Ende des Rechtsverhältnisses bzw. die Notwendigkeit einer Verlängerung lediglich vergessen. Eine richterliche Einzelfallentscheidung wäre demgegenüber in den praktisch häufigen Fällen, in denen zwar die Mietsache mit Wissen des Vermieters weiter genutzt wird, es aber an hinreichenden Konkludenzindizien für eine echte stillschweigende Einigung über die Verlängerung fehlt, nicht in der Lage, den Parteiinteressen an der Fortsetzung des Mietverhältnisses gerecht zu werden.93
c) Inhaltliche Ausgestaltung von Verpflichtungen Auch die in Ermangelung vertraglicher Bestimmung gesetzlich vorgesehene inhaltliche Konkretisierung von Verpflichtungen ist letztlich auf das Schweigen der Vertragsparteien zurückzuführen: So gilt nach § 632 Abs. 1 BGB eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werkes den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist und nach § 632 Abs. 2 BGB bemisst sich ihre Höhe in Ermangelung einer vertraglichen Bestimmung nach der taxmäßigen bzw. üblichen Vergütung. Die gleiche Regelung treffen § 612 BGB für den Bereich des Dienstvertrages und § 653 BGB für den Mäklerlohn. Für Selbständige stellen dabei die von Verbänden und Privaten erstellten Gebührenordnungen die übliche Vergütung dar, soweit sie allgemeine Verkehrsgeltung erlangt haben.94 Auch nach § 689 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Aufbewahrung nach den Umständen nur gegen eine solche zu erwarten ist. Dabei soll es sich entgegen dem Wortlaut um eine bloße Auslegungsregel handeln, die bei einem entgegenstehenden Willen der Beteiligten nicht greift.95 Für den Kommissionsvertrag sieht § 354 Abs. 1 HGB auch ohne entsprechende Verein91 Henssler/Krüger/Bieber,
MüKo BGB, Band 5, 8. Auflage 2020, § 545 Rn. 1.
92 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 115 ff. 93 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch
für das Deutsche Reich, Band 2, 1899, S. 230 f. 94 BGH 29.9.1969 – VII ZR 108/67, in: NJW 1970, 699, 700. 95 So Hennsler/Hennsler, MüKo BGB, Band 6, 8. Auflage 2020, § 689 Rn. 1; Bamberger/ Roth/Baumgärtner, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.5.2021), § 612 Rn. 1.
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barung die Zahlung einer üblichen Provision vor. Die italienischen Vorschriften treffen damit für vergleichbare Vertragstypen in Artt. 1657, 1755 Abs. 2, 2233 Abs. 1 und 2225 c. c. beinahe wortlautgleiche Regelungen (oben § 3 II. 2. c)). Dabei enthält das italienische Recht über die deutschen Fälle hinaus auch eine entsprechende Bestimmung für den Auftrag (Art. 1709 c. c.). Eine Notwendigkeit hierfür besteht, anders als im deutschen Recht, deshalb, weil dieser auch entgeltlich sein kann. Weitgehend konträr ist auch die Verwahrung geregelt, wobei in Italien nach Art. 1767 c. c. die Vermutung der Unentgeltlichkeit gilt. Nicht explizit genannt ist im BGB hingegen die richterliche Festsetzung der Vergütung, die der Codice civile regelmäßig anordnet, doch greift diese auch im italienischen Recht erst dann hilfsweise ein, wenn ein üblicher Tarif nicht ermittelt werden kann. Auch im deutschen Recht wird in diesem Fall der Nichtermittelbarkeit aber regelmäßig ein Richter über die angemessene Vergütung im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) entscheiden müssen.96 Die gerichtliche Vorgehensweise dürfte sich ähneln, da in beiden Rechtsordnungen bei der gerichtlichen Festsetzung auf die verkehrsübliche Geltung bestimmter Tarife, Äußerungen von Berufsverbänden u. ä. Rücksicht zu nehmen ist. Das deutsche Recht enthält mit § 271 Abs. 1 BGB eine Bestimmung, wonach eine Leistung im Zweifel sofort erbracht und verlangt werden kann, wenn keine Zeit bestimmt oder nach den Umständen zu entnehmen ist und entspricht damit weitgehend Art. 1183 Abs. 2 c. c. Allerdings fehlt im deutschen Recht wiederum die Möglichkeit einer richterlichen Bestimmung, wenn die Parteien keine entsprechende Regelung getroffen haben. Freilich dürfte dies, sollte es zum Streit über die Leistungszeit kommen, in der Praxis kaum einen Unterschied machen, da das befasste Gericht diese ebenfalls anhand der Umstände bestimmen müssen wird. Eine gerichtliche Bestimmung des Zeitpunktes der Darlehensrückzahlung ist, anders als im italienischen Recht, im deutschen Recht nicht vorgesehen: soweit die Parteivereinbarung hierzu schweigt, ist die Rückzahlung von einer Kündigung abhängig (§ 488 Abs. 1 BGB); bei fehlender Zinszahlungspflicht ist sie jederzeit möglich (§ 488 Abs. 3 S. 2 BGB). Schließlich finden sich auch im Erb- und Familienrecht konkretisierende Vorschriften: So bestimmt § 1363 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BGB ähnlich wie Art. 179 lit. b) c. c., dass das nach der Eheschließung erworbene Vermögen eines Ehegatten nicht gemeinschaftliches Vermögen wird. Hat der Erblasser nicht gemäß § 1937 BGB testiert, so schließt die gesetzliche Erbfolge nach §§ 1924 ff. BGB die hierdurch eintretende Lücke ebenso wie im italienischen Recht Art. 457 Abs. 2 c. c. Insgesamt ist auffällig, dass sowohl der italienische und deutsche Gesetzgeber bezüglich der Rechtsfolgen einer vertraglichen Lücke bzw. eines Schwei96 Für eine Werklohnforderung etwa BGH 13.5.2004 – VII ZR 424/02, in: NJW-RR 2004, 1385, 1386.
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gens der Parteien ganz überwiegend ein Regelungsbedürfnis für dieselbe Sachverhalte sahen und sogar weitgehend gleiche Regelungen zur Bewältigung der Problematik schufen. Beide Rechtsordnungen sind dabei von dem Grundgedanken geleitet, dass ein Schweigen bzw. Unterlassen der Regelung durch die beteiligten Parteien hinsichtlich bestimmter inhaltlicher Punkte des Vertrags nicht zum Fehlschlagen des gesamten Vertrags führen soll. Statt den Vertrag am Schweigen der Parteien über die Vergütung scheitern zu lassen, greift das Gesetz mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des Vertrags und der Schaffung von Rechtssicherheit ein. Ähnlich wie bei der Vertragsverlängerung infolge eines Schweigens soll eine umständliche und unter Umständen nachteilige berei cherungsrechtliche Rückabwicklung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien vermieden werden. Zudem können die Parteien aufgrund der gesetzlichen Regelung von möglicherweise schwierigen Verhandlungen über die Vergütung absehen.97 Auch sollen etwa bei der erbrechtlichen Vermögensnachfolge und bei familienrechtlichen Vermögensverhältnissen aufgrund des staatlichen Ordnungsinteresses ungeregelte Situationen vermieden werden. Das Bedürfnis nach Aufrechterhaltung eines Vertrages und Rechtssicherheit rechtfertigt es damit in beiden Rechtsordnungen, an das Unterlassen einer Regelung durch die Parteien bestimmte Rechtsfolgen zu knüpfen.
3. Beispiele beredten Schweigens im bürgerlichen Recht Daneben finden sich aber, ebenso wie im italienischen Recht mit dem silenzio circostanziato, auch außerhalb der gesetzlich festgelegten Tatbestände Fälle, in denen das Schweigen Grundlage einer Verpflichtung sein kann.
a) Ausdrückliche und konkludente Parteivereinbarungen Zum einen kommen in diesem Zusammenhang Vereinbarungen über die Bedeutung eines Schweigens zwischen den (Vertrags-)Parteien in Betracht. Zwar kann die Erklärungswirkung eines Schweigens dem Gegenüber aus Gründen der Vertragsfreiheit nicht einseitig oktroyiert werden98, doch besteht im Rahmen der Privatautonomie ohne weiteres die Möglichkeit für die Parteien, dem Schweigen einvernehmlich eine bestimmte vertragskonstituierende Wirkung zuzuschreiben.99 So kann etwa bei Vertragsschluss dem Schweigen durch die 97 Hager/Rehberg,
BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 121.1. Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 153; RG 27.2.1923 – VII 124/22, in: RGZ 106, 330, 333; Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 6; Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 509 f. m. w. N. 99 Vgl. nur BGH 16.10.1974 – VIII ZR 74/73, in: NJW 1975, 40, 40; Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78; Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 20; Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 511 m. w. N. 98
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einseitige Erklärung des Anbietenden, er werde die Untätigkeit des Angebotsempfängers als Annahme interpretieren, noch kein zustimmender Erklärungswert beigelegt werden.100 Jedoch können die Parteien besonders vereinbaren, dass das Schweigen eines Teils als Erklärung, z. B. als Annahme, gelten soll, wobei freilich, wenn sie dies durch allgemeine Geschäftsbedingungen regeln, die Hinweispflicht für den Verwender und die Frist zur ausdrücklichen Äußerung nach § 308 Nr. 5 BGB (oben § 4 II. 1. c)) zu beachten sind.101 Dabei kann die Vereinbarung über die Erklärungswirkung des Schweigens sowohl ausdrücklich als auch konkludent, wie durch eine eingebürgerte Übung der Parteien getroffen werden.102 Beispielsweise kann im Schweigen auf die während eines längeren Zeitraums übersandten periodischen Rechnungsabschlüsse und in der Fortsetzung der Geschäftsverbindung auf der Basis dieser Abrechnungen eine stillschweigende Anerkennung der Salden liegen, wodurch es zu einem Kontokorrentverhältnis kommen kann, ohne dass die Parteien ein solches je ausdrücklich vereinbart haben.103 Weist ein Schweigen aufgrund einer ausdrücklichen oder konkludenten Parteiabrede Erklärungsgehalt auf, so soll es, wie teils auch im italienischen Recht vertreten, nach einer Auffassung sogar eine ausdrückliche Willenserklärung darstellen.104 Die Parteien können ferner auch ausdrücklich oder konkludent § 150 BGB abbedingen, wonach eine verspätete oder abändernde Annahme als neuer Antrag gilt, sodass ein Schweigen auf eine solche Annahme hin als Zustimmung zum Vertrag gewertet wird.105 Zwischen deutscher und italienischer Rechtslage bestehen insoweit keine Abweichungen: Auch in Italien ist die einseitige Oktroyierung der verpflichtenden Wirkung eines Schweigens aus Gründen der Privatautonomie nach einhelliger Auffassung nicht denkbar. Ebenso wie im deutschen Recht ist im italienischen Recht andererseits trotz vereinzelter Kritik allgemein anerkannt (oben § 3 II. 3. a)), dass es den Parteien als Ausfluss ihrer Privatautonomie offensteht, dem Schweigen einvernehmlich rechtliche Bedeutung beizulegen, sei es durch eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien über die Wirkung eines Schweigens wie beispielsweise bei den contratti normativi oder durch eine konkludente solche, etwa aufgrund der Einbürgerung einer entsprechenden Übung zwischen den Beteiligten. 100 Vgl. nur RG 27.2.1923 – VII 124/22, in: RGZ 106, 330, 333; Staudinger/Bork, BGB 2020, § 146 Rn. 5, 10; Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 509 f. m. w. N. 101 Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 9; Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 511. 102 Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 61. 103 BGH 18.6.1991 – XI ZR 159/90, in: NJW-RR 1991, 1251, 1251; BGH 10.7.1986 – III ZR 77/85, in: NJW-RR 1986, 1495, 1496. 104 Statt vieler Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 244; Mathys, Bestätigungsschreiben und Erklärungsfiktionen, 1997, S. 28. 105 Vgl. Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 150 Rn. 1, 3.
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Häufiger als bei Einzelgeschäften dürften auch im deutschen Recht solche Fälle vereinbarten Schweigens im Rahmen bestehender Geschäftsverbindungen vorkommen, bei denen das Schweigen aufgrund der Praxis der Geschäftspartner als Zustimmung zu einem bestimmten Punkt behandelt wird.106 Der Schluss vom Vorverhalten auf eine Zustimmung zum Antrag ist freilich nur dann möglich, wenn es um für die Geschäftsverbindung übliche und nicht außergewöhnliche Vereinbarungen geht.107 So kommt es etwa bei einer Bahncard zum Abschluss eines neuen Vertrags durch ein beredtes Schweigen, wenn der Inhaber nicht binnen sechs Wochen vor Ablauf seiner bisherigen Bahncard widerspricht.108 Bei Dauerschuldverhältnissen wie Mobilfunkverträgen werden häufig in AGB sich verlängernde Mindestlaufzeiten vereinbart, beispielsweise eine Verlängerung um jeweils 12 Monate (vgl. § 309 Nr. 9 lit. b BGB), wenn nicht mit einer Frist von 3 Monaten zum Laufzeitende gekündigt wird. Rechtspolitisch ist dies nicht unumstritten: viele Unternehmen spekulieren gerade damit, dass der Verbraucher die Frist vergisst und so für ein weiteres Jahr gebunden bleibt, während häufig die während der ersten Laufzeit gewährten Vergünstigungen entfallen.109 Konstruktiv wird hierbei häufig bei Verträgen mit unbestimmter Dauer eine Vereinbarung über den Ausschluss des Kündigungsrechts getroffen, welches durch Verstreichenlassen der Frist zur Kündigung neuerlich ausgeschlossen wird, während bei den eher selteneren Verträgen mit bestimmter Laufzeit ein Vertrag infolge des Unterlassens der Kündigung neu abgeschlossen bzw. verlängert wird.110 In beiden Fällen sollte dem Schweigen dabei jedoch gleichermaßen rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zukommen, da auch im ersten Fall infolge der Untätigkeit eine Vereinbarung (nämlich eine Einigung über den Ausschluss des Kündigungsrechts) getroffen bzw. erneuert wird.111 Dies überzeugt auch wertungsmäßig, da es häufig nur eine Frage der Formulierung ist, welche Konstruktion gewählt wird und daher Unterschiede in der Behandlung – insbesondere bei einer etwaigen Anfechtungsmöglichkeit (dazu unten § 4 II. 10.) – nicht gerechtfertigt erscheinen. Auch die italienische Diskussion um proroga und rinnovazione tacita bei gesetzlich oder vertraglich angeordneten Vertragsverlängerungen (oben § 3 II. 3. b)) zeigt, dass der Schutz des Schweigenden nicht von der relativ beliebig gewählten rechtlichen Konstrukti106 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 2.b) (S. 64); Säcker/Rixecker/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 7. 107 BGH 1.6.1994 – XII ZR 227/92, in: NJW-RR 1994, 1163, 1165; Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 7. 108 Dazu krit. Woitkewitsch, Automatische Verlängerung der „BahnCard“ aufgrund Allgemeiner Geschäftsbedingungen, in: MDR 2006, 541, 542 f. 109 Hierzu eingehend und kritisch Wais, Gesetzlicher Schutz vor ungewollten Vertragsverlängerungen, in: NJW 2018, 1777 ff. 110 Wais, Gesetzlicher Schutz vor ungewollten Vertragsverlängerungen, in: NJW 2018, 1777, 1777 f. 111 A. A. Wais, Gesetzlicher Schutz vor ungewollten Vertragsverlängerungen, in: NJW 2018, 1777, 1779.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
on abhängen darf. Man sollte daher nicht auf das bloße Verstreichenlassen einer Frist (in Italien: decadenza; zum deutschen Recht unten § 4 III. 1. a) bb)) abstellen, sondern in solchen Fällen die gleichen Maßstäbe wie für den Abschluss eines neuen Vertrags anlegen. Zu Recht wird auch im italienischen Recht auf die Risiken einer starken Vereinfachung des Vertragsabschlussmechanismusses durch Parteivereinbarungen hingewiesen und zumindest die Einräumung einer Widerspruchsmöglichkeit entsprechend Art. 1333 Abs. 2 c. c. gefordert.
b) Rechtswirkungen aufgrund von Treu und Glauben im bürgerlichen Recht Auch außerhalb von Parteivereinbarungen erkennen die deutsche Rechtsprechung und Literatur aber ebenso wie die italienische zahlreiche Fälle an, in denen es aufgrund von Treu und Glauben und Verkehrsschutzaspekten angebracht erscheint, dem Schweigen einer Partei einen Erklärungsgehalt zu entnehmen und so zur Begründung, aber auch Abänderung oder Verlängerung einer Verpflichtung zu kommen.112 Oft tritt in diesen Konstellationen zu dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben kaum abgrenzbar eine Auslegung des Verhaltens unter Berücksichtigung der Verkehrssitte hinzu113: Das Gegenüber des Schweigenden durfte, so die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, im konkreten Einzelfall unter verständiger Würdigung aller Begleitumstände dem Schweigen einen bestimmten Erklärungsgehalt beimessen, weil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte eine gegenteilige Äußerung des Schweigenden erwartet werden konnte, etwa aufgrund des Bestehens von Geschäftsbeziehungen.114 Beispielsweise kann das tatsächliche Ergebnis einer Abstimmung grundsätzlich auch dadurch festgestellt werden, dass der Abstimmungsleiter schon nach der Abstimmung über zwei von drei – auf Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gerichteten – Abstimmungsfragen die Zahl der noch nicht abgegebenen Stimmen als Ergebnis der dritten Abstimmungsfrage wertet (sog. Subtraktionsmethode).115 Freilich klingt die vom BGH gewählte Formel, auch im Vergleich zur von der Corte di Cassazione verwendeten, immerhin etwas konkreteren und mit einigen Anhaltspunkten versehenen Formulierung (oben § 3 II. 3. b)), recht beliebig und ist daher Gegenstand von scharfer Kritik.116 In Rechtsprechung und 112 Vgl.
nur BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: NJW 1951, 711; BGH 29.9.1955 – II ZR 210/54, in: NJW 1955, 1794, 1795; Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, 4. Auflage 2020, Band 2, § 346 Rn. 200; Schopp, Schweigen im Rechtsverkehr, insbesondere im Handelsverkehr, in: RPfleger 1982, 321, 324 m. w. N.; krit. etwa Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler 2014, E Rn. 27 Fn. 49. 113 Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 21. 114 Etwa BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629, 3630; BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: NJW 1951, 711. 115 BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629. 116 Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 677 („[…] von gefährlicher Beliebigkeit […]“) m. w. N.
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Literatur haben sich daher zahlreiche, hier nicht abschließend darstellbare, teils auch umstrittene Fallgruppen herausgebildet, in denen von einer solchen Widerspruchspflicht auszugehen ist.117 Ganz ähnlich bemüht sich auch die italienische Rechtswissenschaft um die Bildung und Strukturierung von Fallgruppen zum silenzio circostanziato, wobei in der Literatur sogar Übersichten dazu zu finden sind, welche Umstände einem Schweigen Bedeutung verleihen können.118
aa) Schweigen im Rahmen bestehender Geschäftsverbindungen Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung, ob ein Schweigen als Zustimmung zu deuten ist, nehmen auch die zwischen den Parteien bestehenden Geschäftsbeziehungen und gegebenenfalls geführte Vorverhandlungen ein.119 Allerdings wird dies weniger stark als im italienischen Recht thematisiert, sondern ergibt sich eher beiläufig bei der Betrachtung einzelner Fallgruppen: Der Gedanke, dass aufgrund vorausgegangener Vertragsverhandlungen im Falle eines fehlenden Einverständnisses von einem Widerspruch ausgegangen werden darf, begegnet vor allem in der Rechtsprechung zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben (unten § 4 II. 5. c)), wird aber auch außerhalb dieses Zusammenhangs selbstverständlich vorausgesetzt. Ein mehr oder minder ausgeprägter vorausgehender geschäftlicher Kontakt dürfte in der Mehrzahl der Fälle eines silenzio circostanziato oder beredten Schweigens bestehen120, da kaum denkbar ist, dass ein Schweigen gewissermaßen aus dem Nichts zu einer Verpflichtung führt. Im deutschen Recht wird typischerweise im Schweigen auf eine verspätete Vertragsannahme entgegen § 150 Abs. 1 BGB, welcher festlegt, dass eine verspätete Annahme als neuer Antrag gilt, dann eine Zustimmung gesehen, wenn dies aufgrund von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geboten erscheint.121 Man käme nämlich, so die Rechtsprechung, zu untragbaren und dem mutmaßlichen Parteiwillen widersprechenden Ergebnissen, würde man einem Vertrag die Wirksamkeit versagen, wenn im Fall einer verspäteten Annahmeerklärung 117 Vgl. etwa Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, Anhang § 362 Rn. 3; Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadensund Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 616; Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 106 ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 677 ff. 118 Z. B. bei Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 264. 119 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 114; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 677 f.; vgl. auch Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 210, wobei die dort angeführten Beispiele freilich fast nur das kaufmännische Bestätigungsschreiben betreffen. 120 So auch Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, Anhang § 362 Rn. 14. 121 Säcker/Rixecker/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 150 Rn. 3; a. A. Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 689.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
keine Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer sachlichen Änderung des Entschlusses des Annehmenden nahelegen.122 Es entspricht sogar meist der Verkehrsübung, in dem widerspruchslosen Schweigen auf eine verspätete Annahme, die ja nur „formell“ ein neues Angebot darstellt, eine Zustimmung zu sehen.123 Von dem Empfänger einer verspäteten Annahmeerklärung ist nämlich nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu erwarten, dass er sich äußert, wenn er nun nicht mehr mit dem von ihm ursprünglich angebotenen Vertragsschluss einverstanden ist.124 Ähnliches soll auch bei ganz geringfügigen Abänderungen seitens des Annehmenden gelten.125 Im Grundsatz führt freilich die fehlende Reaktion des Empfängers auf die verspätete Erklärung nur zu einem Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo in Höhe des negativen Interesses.126 Um die Wertung von § 150 BGB nicht zu unterlaufen, kann eine im Schweigen liegende Zustimmung zum Vertrag allerdings erst dann angenommen werden, wenn jedes andere Ergebnis schlechthin unvertretbar erscheint.127 Wie der Vertragsschluss durch das Schweigen auf eine verspätete Annahme dogmatisch zu begründen ist, ist umstritten: Die Rechtsprechung und weite Teile der Literatur gehen schlicht von einer im Schweigen liegenden Zustimmung aus, während teilweise auch Erfüllungsansprüche aufgrund einer „Erwirkung“ angenommen werden128. Abzulehnen sind jedenfalls Versuche, § 149 BGB für die Fälle verspätet erklärter Annahme erweiternd dahingehend auszulegen129, dass auch ein Schweigen hierauf zum Vertragsschluss führt, da dies dem Normzweck von § 149 BGB widerspräche, der den Absender der Annahme nur bei einer rechtzeitigen Annahmeerklärung, die verspätet zugegangen ist, schützen will.130 Das Problem eines infolge des bloßen Schweigens auf eine verspätete Annahmeerklärung hin eintretenden Vertragsschlusses vermeidet das italienische Recht, indem es dem Anbietenden gesetzlich die Möglichkeit einräumt, die verspätete Annahme als wirksam zu betrachten, ihm aber gleichzeitig die Pflicht auferlegt, dies auch dem Annehmenden unverzüglich mitzuteilen (Art. 1326 Abs. 3 c. c., oben § 3 II. 2. a)). Für eine kodifizierte Lösung wie im italienischen Recht spricht der Aspekt der Rechtssicherheit und Praxisnähe – geht die deutsche Rechtsprechung doch seit langem selbst davon aus, dass in der Regel ein Vertrag von den Parteien trotz der Verspätung des Angebots nach 122
BGH 31.1.1951 – II ZR 46/50, in: NJW 1951, 313, 313. RG 7.10.1921 – II 560/20, in: RGZ 103, 12, 13; BGH 31.1.1951 – II ZR 46/50, in: NJW 1951, 313, 313. 124 RG 7.10.1921 – II 560/20, in: RGZ 103, 12, 13. 125 Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 150 Rn. 3 m. w. N. 126 Staudinger/Bork, BGB 2020, § 146 Rn. 10. 127 Säcker/Rixecker/Busche, MüKo BGB, Band 1,9. Auflage 2021, § 150 Rn. 3. 128 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 94 ff. 129 Für eine erweiternde Auslegung Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 35 II. 2. (S. 652 f.). 130 Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 150 Rn. 3. 123 Vgl.
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der Verkehrsübung noch gewollt ist. Hinsichtlich eines Schweigens angesichts einer leicht abändernden Annahme ist in beiden Rechtsordnungen gleichermaßen anerkannt, dass dies entgegen der Grundregel in Art. 1326 Abs. 5 c. c. bzw. § 150 Abs. 2 BGB, wonach eine Annahme unter Änderungen ein neues Angebot darstellt, im Einzelfall eine Zustimmung darstellen kann.131 Ferner ist bei sogenannten Kreuzofferten ein Schweigen nach Treu und Glauben als Annahme zu werten.132 Nach Treu und Glauben wird man nämlich davon ausgehen dürfen, dass das Schweigen der jeweils anderen Partei Zustimmung zum Angebot bedeutet.133 Freilich lässt sich der Vertragsschluss bei Kreuzofferten ohne den Rückgriff auf das Schweigen erklären, wenn man schon aufgrund des Zugangs der übereinstimmenden Erklärungen einen Vertragsschluss annimmt.134 Letzteres entspricht auch der überzeugenden Handhabung im italienischen Recht. Ein Schweigen auf die „Annahme“ einer invitatio ad offerendum bzw. eines angeforderten Angebots, das dem Inhalt der Aufforderung völlig entspricht, führt möglicherweise nach Treu und Glauben zu einem Vertragsschluss.135 Im Vergleich wird in der italienischen Rechtsprechung und Literatur die Bedeutung schon im Vorfeld bestehender Beziehungen zwischen den Parteien noch deutlicher betont (oben § 3 II. 3. b)), teilweise wird diese sogar als konstitutiv angesehen, um überhaupt von einem Schweigen mit Verpflichtungswirkung ausgehen zu können. Tendenziell dürfte das italienische Recht damit strengere Voraussetzungen an die Interpretation des Schweigens als Zustimmung anlegen, wobei aber der Gesichtspunkt bestehender Geschäftsbeziehungen, wenn auch nicht unbedingt als eigene „Fallgruppe“ hervorgehoben, auch im deutschen Recht zweifellos eine wichtige Rolle bei der Bewertung des Verhaltens spielt. Rechtfertigen lässt sich die schnellere Annahme einer Erklärungswirkung des Schweigens damit, dass die Parteien aufgrund des bestehenden Kontakts höhere Sorgfaltspflichten im Umgang miteinander treffen. Zudem dürfte auch der Anbietende, um die bestehende Geschäftsverbindung nicht zu gefährden, regelmäßig nicht versuchen, einen für die andere Seite nachteiligen Vertragsschluss herbeizuführen.136 Ferner werden im deutschen Recht Parallelen zu den Fällen normierten Schweigens gezogen: Vor allem die lediglich inhaltliche Vorteilhaftigkeit oder 131 Dazu auch Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 625 f. 132 Staudinger/Bork, BGB 2020, § 146 Rn. 7. 133 Staudinger/Bork, BGB 2020, § 146 Rn. 7. 134 Hierfür Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 248; dagegen Hager/Möslein, BeckOGK BGB, Stand 1.2.2018, § 146 Rn. 62 f. (Vertragsschluss bei fehlendem Widerspruch zur Wahrung der Überlegungsfrist des Angebotsempfängers). 135 Säcker/Rixecker/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 9; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 678. 136 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 114.1.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
zumindest die fehlende Nachteiligkeit eines Geschäfts sollen es nach dem Vorbild von § 516 Abs. 1 Satz 2 BGB rechtfertigen, in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte dem Schweigen des Angebotsempfängers eine Zustimmung zu entnehmen.137 So wird bei einer Schenkung oder einem Erlass regelmäßig von einer im Schweigen liegenden konkludenten Annahme des Begünstigten auszugehen sein.138 Auch bei Bestehen eines Kontrahierungszwanges wird teilweise davon ausgegangen, dass bereits das Schweigen auf ein Angebot die Wirkung einer Annahme hat, da diese Rechtswirkung für den Schweigenden, der ohnehin kontrahieren müsste, nicht nachteilig ist.139 Bei rechtlich oder wirtschaftlich nachteiligen Geschäften wird hingegen regelmäßig keine verpflichtende Wirkung des Schweigens angenommen.140 Fälle der reinen Vorteilhaftigkeit des Geschäfts für den Schweigenden werden im italienischen Recht weitgehend bereits vom normierten Vertrag zu Lasten des Anbietenden (contratto a carico del solo proponente nach Art. 1333 c. c.) erfasst. Auch im Bereich des beredten Schweigens (silenzio circostanziato) ist aber anerkannt, dass beispielsweise bei einer für den Schweigenden vorteilhaften Vertragsänderung sein Verhalten als Zustimmung gewertet werden kann und somit die Vorteilhaftigkeit des Geschäfts maßgeblich in die Bewertung des Verhaltens einfließt. Da eine Vertragsänderung auch konkludent erfolgen kann, ist das Schweigen grundsätzlich auch im deutschen Recht geeignet, eine Zustimmung gegenüber dem Änderungsvorschlag darzustellen. Angenommen wird dies, wenn der Vertrag widerspruchslos über lange Zeit nach dem Änderungsangebot fortgeführt wird, wobei maßgeblich ist, ob der Anbietende das Verhalten des Empfängers als zustimmende Willenserklärung auffassen durfte.141 So soll im Auszug eines Mieters, wobei dieser dem mit seinem Wissen in der Wohnung verbleibenden, bisherigen Mitbewohner die weitere Erfüllung der mietvertraglichen Pflichten gegenüber dem Vermieter überlässt, eine stillschweigende Zustimmung zu dessen Beitritt in das Mietverhältnis liegen.142 137 BGH
12.10.1999 – XI ZR 24/99, in: NJW 2000, 276, passim; Westermann u. a./Armbrüster, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, § 147 Rn. 3; Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2020, § 116 Rn. 107; Grunewald/Welter, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 362 Rn. 3; a. A. Säcker/Rixecker/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 8. 138 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 108. 139 So OGHBrZ Köln NJW 1950, 24, 24 f.; Westermann u. a./Armbrüster, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, § 147 Rn. 3; Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 109; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 1994, 678; a. A. Säcker/Rixecker/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 7; ausdrücklich normiert ist die Erklärungsbedeutung des Schweigens eines kontrahierungspflichtigen Versicherers gegenüber dem Angebot auf Abschluss eines Haftpflichtversicherungsvertrags über bestimmte Fahrzeuge in § 5 Abs. 3 S. 1 PflVG. 140 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 110. 141 S. Lorenz/Herresthal, BeckOGK BGB, Stand 1.1.2021, § 311 Rn. 116. 142 BGH 13.7.2005 – VIII ZR 255/04, in: NJW 2005, 2620, 2621.
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In beiden Rechtsordnungen fällt auf, dass in den diskutierten Fällen der Vertragsänderung trotz der Behandlung unter dem Stichwort „Schweigen“ oft mehr die Vertragsfortführung als aktives Verhalten und nicht das bloße Schweigen an sich Anknüpfungspunkt für die Annahme einer konkludenten Erklärung ist. Eine Diskussion über eine grundlegende Differenzierung hinsichtlich der Anforderungen an ein Schweigen als Vertragsbegründung und jenem als Zustimmung zu einer Vertragsänderung wird, anders als im italienischen Recht (oben § 3 II. 3. b)), soweit ersichtlich nicht geführt. Zwar wird darauf verwiesen, dass der Empfänger in seinem Vertrauen auf den Fortbestand des bisherigen vertraglichen Inhalts schützenswert sei143, doch werden an den Erklärungsgehalt seines passiven Verhaltens – anders als teils im italienischen Recht – keine strengeren Maßstäbe angelegt als bei einem beredten Schweigen im Zusammenhang mit einem erstmaligen Vertragsschluss. Da aber auch die italienische Rechtsprechung und ein Großteil der Literatur bei Vorliegen eindeutiger Umstände, die einen Schluss auf den Willen ermöglichen, die Änderung eines Vertrags infolge eines Schweigens zulassen, dürften sich die Ergebnisse in der Praxis häufig nicht von denen des deutschen Rechts unterscheiden. Zudem ist es oft eine Frage des Blickwinkels, ob es sich um den Abschluss eines neuen Vertrags im Sinne einer rinnovazione oder die bloße Verlängerung im Sinne einer proroga handelt. Das Verdienst der italienischen Diskussion bleibt, dass sie auf die besonderen Risiken der unbemerkten Änderung eines Vertrags hingewiesen hat und zustimmungswürdig eine bloße Vertrauenshaftung infolge einer Duldung (tolleranza) bejaht, wenn entsprechend eindeutige Umstände, die auf eine Zustimmung zur Vertragsänderung schließen lassen, nicht gegeben sind. Für eine Vertragsaufhebung gilt im deutschen Recht ebenso wie im italienischen, dass grundsätzlich ein bloßes Schweigen als Annahmeerklärung nicht genügt.144 So hat der Bundesgerichtshof es aufgrund der nachteiligen Rechtsfolgen abgelehnt, im Schweigen des Vermieters eine Annahme des Angebots vom Mieter auf einen Mietaufhebungsvertrag zu sehen.145 Dies gilt auch für ein Schweigen des Mieters, der nicht verpflichtet ist, auf eine unwirksame Kündigung des Vermieters zu reagieren, auch wenn diese in ein Angebot auf einen Aufhebungsvertrag umgedeutet werden kann; leistet er jedoch der unwirksamen Kündigung Folge, so soll hierin eine Annahme des Angebots auf Aufhebung des Mietverhältnisses liegen.146 Auch hier wird im deutschen, anders als häufig im italienischen Recht, keine Abweichung von den üblichen Kriterien zur Bewertung eines beredten Schweigens beim Vertragsschluss diskutiert. Die praktischen Unterschiede dürften indes wiederum gering sein, da beide Rechts143
So etwa S. Lorenz/Herresthal, BeckOGK BGB, Stand 1.6.2021, § 311 Rn. 116. Bamberger/Roth/Wiederhold, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 542
144 Vgl.
Rn. 49. 145 BGH 24.9.1980 – VIII ZR 299/79, in: NJW 1981, 43, 44. 146 LG Mosbach 6.6.1995 – 1 S 4/95, in: NJW-RR 1995, 1417, 1418.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
ordnungen zurückhaltend bei der Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag durch ein Schweigen agieren.
bb) Schweigen gegenüber dem Auftreten eines Vertreters Zu einer Verpflichtung infolge eines Schweigens kommt es auch bei den in gefestigter Rechtsprechung147 anerkannten Duldungs- und Anscheinsvollmachten, die über die gesetzliche Regelung des Rechtsscheins bei Vollmachtsurkunden in §§ 170–173 BGB hinausgehen. Bereits das Reichsgericht hatte anerkannt, dass von einer Bevollmächtigung ausgegangen werden kann, wenn über längere Zeit durch das Auftreten des Vertreters der Anschein einer bestehenden Vollmacht erweckt wird.148 Soweit der Vertretene zumindest ein potentielles Erklärungsbewusstsein hat, liegt eine konkludente Bevollmächtigung vor.149 Doch auch wenn dies nicht der Fall ist, soll es zu einer Verpflichtung des Vertretenen kommen, wobei im deutschen Recht deutlich stärker als im italienischen, in dem sich nur vereinzelt eine vergleichbare Abgrenzung findet (oben § 3 II. 3. b) bb)), zwischen zwei Konstellationen unterschieden wird: Bei einer Duldungsvollmacht kennt und duldet der hierdurch Verpflichtete das Auftreten in seinem Namen, ohne dem Vertreter jedoch ausdrücklich Vollmacht zu erteilen, sodass sein Schweigen dazu führt, dass er, wenn der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben sein Dulden als Vollmachtserteilung verstehen durfte, wie ein wirksam Vertretener aus dem Vertrag verpflichtet wird. Dogmatisch ist umstritten, ob in diesem Fall eine Rechtsscheinvollmacht150 vorliegt oder ob es sich um einen rechtsgeschäftlichen Tatbestand in Gestalt einer konkludent erteilten Vollmacht151 handelt. Hinsichtlich der sogenannten Anscheinsvollmacht, bei der der Verpflichtete das Auftreten des vermeintlichen Vertreters nicht positiv kennt, aber bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben auf das Bestehen der Vollmacht vertrauen durfte, wird bereits bezweifelt, ob sie überhaupt eine Erfüllungshaftung begründen kann152, oder jedenfalls außerhalb des 147 Etwa BGH 9.5.2014 – V ZR 305/12, in: NJW 2014, 2790, 2791; BGH 5.7.2012 – III ZR 116/11, in: NZG 2012, 916, 917; BGH 11.7.2003 – V ZR 430/02, in: NZM 2003, 868, 869 f.; BGH 17.10.1989 – XI ZR 158/88, in: NJW 1990, 827, 829; BGH 10.3.1976 – VIII ZR 210/74, in: BeckRS 1976, 31122238; BGH 27.9.1956 – II ZR 178/55, in: NJW 1956, 1673, 1674; OLG Frankfurt 16.3.2000 – 16 U 69/99, in: NJW-RR 2001, 1004, 1005. 148 RG 5.11.1879 – I 35/79, in: RGZ 1, 8, 9; RG 1.4.1911 – I 60/10, in: RGZ 76, 202, 203 f.; RG 27.5.1927, in: RGZ 117, 164, 165 f. 149 Schubert/Schubert, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 167 Rn. 95. 150 So etwa Grimme, Duldungs- und Anscheinsvollmacht, in: JuS-Lernbogen 1989, 49, 50; Schubert/Schubert, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 167 Rn. 99; für die Rechtsprechung statt vieler NJW 1991, 1225, 1225. 151 So etwa Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 172 Rn. 8; Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 11. 152 Hierfür etwa Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 172 Rn. 11; Bamberger/Roth/Schäfer, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 167 Rn. 18.
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Handelsrechts nur eine Haftung auf das negative Interesse nach sich zieht153. Zwar bildet neben den Vorschriften in §§ 170 ff. BGB auch der Rechtsgedanke des § 56 HGB die Grundlage für die Rechtsscheinvollmachten, doch ist ihr Bestehen nach ständiger Rechtsprechung auch im nichtkaufmännischen Rechtsverkehr anerkannt154, während ein Teil des Schrifttums die Erfüllungshaftung infolge einer Anscheinsvollmacht auf handelsrechtliche Fälle beschränken will155. Die Erklärung der Rechtsfolgen von Rechtsscheinvollmachten gestaltet sich damit nicht nur in der italienischen Rechtsordnung (oben § 3 II. 3. b) bb)) recht unübersichtlich. Welche Auffassung überzeugt, ist im Rahmen der dogmatischen Einordnung der Rechtsfolgen eines Schweigens (unten § 4 II. 6. bis 8.) zu klären.
c) Rechtsvergleichendes Fazit Insgesamt rechtfertigt sich in den genannten Fällen die Annahme eines beredten Schweigens, ähnlich wie beim normierten Schweigen im deutschen wie im italienischen Recht damit, dass in der Regel von einem Zustimmungswillen des Schweigenden auszugehen ist. Neben dem Aspekt der Vorteilhaftigkeit oder zumindest fehlenden Nachteilhaftigkeit für den Schweigenden, der auch bei den fingierten Erklärungen dominiert (vgl. § 516 Abs. 2 Satz 1 BGB), spielen in beiden Rechtsordnungen der Schutz des Vertragspartners, der auf die Zustimmung nach Treu und Glauben vertrauen darf, sowie Verkehrsschutzaspekte und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit bei der Bewertung des Erklärungsgehalts eines Schweigens eine Rolle. Durch das Abstellen auf die Interessen und das Verständnis des Empfängers tritt damit auch beim beredten Schweigen die Berücksichtigung des wirklichen Willens des Schweigenden zurück, was sich in beiden Rechtsordnungen in der Diskussion um die dogmatische Begründung der Rechtsfolgen widerspiegelt (vgl. oben § 3 II. 6. bis 8. und unten § 4 II. 6. bis 8.). Das italienische Recht betont besonders die Notwendigkeit des Bestehens von Geschäftsverbindungen für den Erklärungsgehalt des Schweigens, wobei in der Sache auch im deutschen Recht in der großen Mehrzahl der Fälle solche vorliegen. Im Vergleich der beiden Rechtsordnungen zeigen sich hinsichtlich des Umgangs mit einem beredten Schweigen damit überwiegend Parallelen, wobei das italie153 Hierfür statt vieler Schubert/Schubert, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 167 Rn. 100; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 5 Rn. 101; BGH 24.9.1959 – II ZR 46/59, in: NJW 1959, 2114, 2116; Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 620. 154 Vgl. explizit BGH 27.9.1956 – II ZR 178/55, in: NJW 1956, 1673, 1674; BGH 9.2.1951 – V ZR 29/50, in: NJW 1951, 309; vgl. etwa auch Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 172 Rn. 7. 155 So etwa Staudinger/Schilken, BGB 2019, § 167 Rn. 31 m. w. N.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
nische Recht tendenziell zurückhaltender bei der Annahme sein dürfte, dass im Schweigen eine Zustimmung liegt, wenn das Schweigen eine Vertragsänderung nach sich zieht. Allen Fällen des beredten Schweigens gemeinsam ist, dass kein Automatismus eintritt, sondern grundsätzlich zunächst nur ein Schadensersatzanspruch wegen des unterlassenen Widerspruchs anzunehmen ist und die Zurechnung des Schweigens als Verpflichtungsgrund erst ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn besondere Umstände, wie ein Vertrauen des anderen Teils, dies rechtfertigen.156
4. Schadensersatzpflichten aufgrund eines Schweigens Zu erwähnen sind schließlich neben den hier schwerpunktmäßig thematisierten Konstellationen, in denen aus dem Schweigen aufgrund gesetzlicher Bestimmung oder bei hinreichender Konkludenz vertragliche Primäransprüche resultieren, auch jene Fälle, in denen das Schweigen oder auch das Verschweigen bestimmter Tatsachen mit oder auch ohne expliziter gesetzlicher Normierung Schadensersatzpflichten nach sich zieht. Zunächst kann ein Schweigen zu Schadensersatzansprüchen führen, wenn das Gesetz eine Pflicht zu aktivem Handeln normiert. So ist etwa nach § 663 BGB157, wer zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt ist oder sich öffentlich oder gegenüber dem Auftraggeber dazu erboten hat und einen entsprechenden Antrag nicht annimmt, verpflichtet, die Ablehnung dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen. Rechtsfolge der fehlenden Anzeige ist aber – anders als im später noch zu behandelnden handelsrechtlichen § 362 HGB – nicht die Fiktion der Annahme des Antrags und eine Erfüllungshaftung, sondern nur ein auf das negative Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch des Auftraggebers bei entsprechendem Verschulden nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB.158 Ein solcher Anspruch wird auch von § 44 Satz 2 BRAO normiert, wonach ein Rechtsanwalt, der in seinem Beruf in Anspruch genommen wird und den Auftrag nicht unverzüglich ablehnt, den aus der schuldhaften Verzögerung der Ablehnung entstehenden Schaden zu ersetzen hat. Auch das italienische Recht kennt, wie oben gesehen, derartige Folgen eines Schweigens, so etwa im Fall des Agenten (Art. 1747 c. c.). Des Weiteren können aus dem Verschweigen bestimmter Tatsachen, also beispielsweise der bewussten Nichtäußerung über einen Mangel der Kaufsache mit dem Ziel, einen höheren Preis oder überhaupt einen Vertrag zu erzielen 156 Vgl. Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 10. 157 Die Norm findet nach § 675 Abs. 1 BGB auch auf die entgeltliche Geschäftsbesorgung Anwendung. 158 Dazu Henssler/Schäfer, MüKo BGB, Band 6, 8. Auflage 2020, § 663 Rn. 12.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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und den Käufer somit zu täuschen, Schadensersatzpflichten für den Schweigenden sowie Anfechtungs- und Rücktrittsrechte für den Vertragspartner resultieren. Die Sanktionierung eines solchen zur Täuschung eingesetzten Schweigens reicht von vertraglichen Ansprüchen oder einer Haftung aus Delikt wie insbesondere § 826 BGB über Sonderregeln beim Gewährleistungsrecht wie § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB oder § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB bis hin zum Entstehen eines Anfechtungs- (§ 123 BGB) oder Rücktrittsrechts (regelmäßig ohne Erfordernis der Fristsetzung wegen § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB159) für die andere Partei. Anders als es zumeist bei den Situationen, bei denen aus dem Schweigen Erfüllungsansprüche resultieren, der Fall sein dürfte, wird ein solches Schweigen ganz bewusst und willentlich eingesetzt, um beim Gegenüber einen falschen Eindruck von bestimmten Umständen zu erwecken. Man mag daher schon anzweifeln, ob dies wirklich eine Untätigkeit ist, doch handelt es sich zumindest dem äußeren Erscheinungsbild nach ebenfalls um ein Schweigen. Dass ein solch treuwidriges Verschweigen Pflichten nach sich zieht und der Einwand, durch bloßes Nichtstun könne man nicht täuschen, nicht durchgreifen darf, ist von alters her anerkannt (vgl. oben § 2. II. 1.: „aliud est celare, aliud tacere“ [Cicero, De officiis]) und gilt auch im italienischen Recht. Dieses unterscheidet begrifflich noch in stärkerem Maß als das deutsche Recht zwischen silenzio und reticenza, sanktioniert das arglistige Verschweigen als unerlaubte Handlung aber ebenso mit Schadensersatzpflichten und Anfechtungsrechten. Voraussetzung für eine Täuschung durch das Unterlassen einer Aufklärung ist jedoch stets, dass eine entsprechende Aufklärungspflicht besteht, die nicht allgemein angenommen werden darf, sondern konkret festgestellt werden muss.160 Grundsätzlich obliegt es nämlich jeder Partei selbst, sich über für ihren Vertragsschluss ausschlaggebende Tatsachen zu informieren. Jedoch kann sich aus Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung eine Offenbarungspflicht ergeben, z. B. bei einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien, bei den Vertragszweck gefährdenden Tatsachen oder erkennbarer Informationsasymmetrie wegen der Unerfahrenheit des Geschäftspartners.161 Auch das italienische Recht ist von diesem Grundgedanken geprägt und betont die Obliegenheit des Vertragspartners, sich selbst zu informieren. Schließlich kann auch ein nicht bewusst zur Täuschung eingesetztes, aber dennoch pflichtwidriges Schweigen Schadensersatzpflichten wie etwa eine Haftung aus culpa in contrahendo nach sich ziehen, wenn ein entsprechendes Vertretenmüssen des Untätigen vorliegt.162 Ebenso kann die Verletzung einer Widerspruchspflicht, beispielsweise die Untätigkeit gegenüber einem abgeänderten Vertragsangebot, zu einer Schadensersatzhaftung führen, wenn das 159
Vgl. BGH 8.12.2006 – V ZR 249/05, in: NJW 2007, 835, 837. MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 123 Rn. 32 ff. MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 123 Rn. 33 ff. m. w. N. 162 Grunewald/Welter, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 362 Rn. 9. 160 Schubert/Armbrüster, 161 Schubert/Armbrüster,
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
Schweigen aus Sicht eines objektiven Empfängers zwar nicht als Zustimmung angesehen werden konnte, aber dennoch eine Pflicht zum Tätigwerden bestand, um die andere Vertragspartei vor Dispositionen zu schützen.163 Auch hier ist aber die Voraussetzung für die Haftung das Bestehen von Informationspflichten, etwa aufgrund der Inanspruchnahme von Vertrauen oder wegen der besonderen Sachkunde des Schweigenden.164 Das Gleiche gilt für das italienische Recht, das dem Vertragspartner Schadensersatzansprüche zubilligt, wenn er in Folge des schuldhaften Schweigens Nachteile erlitten hat. Parallelen zwischen beiden Rechtsordnungen zeigen sich auch bei der Schweigepflicht, wo beispielsweise auch im deutschen Recht das Bankgeheimnis und eine Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers als vertragliche Nebenpflicht anerkannt sind.165 Dass das Schweigen, wie jede andere menschliche Verhaltensweise bei Vorliegen entsprechenden Verschuldens Schadensersatzansprüche, beispielsweise aus Delikt, begründen kann, bedarf, anders als eine Erfüllungshaftung infolge einer bloßen Untätigkeit, allerdings keiner besonderen dogmatischen Rechtfertigung. Mit welcher Begründung und in welchen Fällen demgegenüber ein Übergang von der bloßen Schadensersatzhaftung wegen der Verletzung einer Aufklärungs- oder einer Widerspruchspflicht durch Untätigkeit zu einem Erfüllungsanspruch als Ausdruck rechtsgeschäftlichen Handelns gerechtfertigt erscheint, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen.
5. Handelsrechtliche Besonderheiten Anders als im italienischen Codice civile, der sowohl bürgerlich-rechtliche als auch handelsrechtliche Rechtsgeschäfte umfasst, sind handelsrechtliche Besonderheiten im deutschen Recht in einem eigenen Handelsgesetzbuch (HGB) außerhalb des BGB geregelt. Eine Bewertung, ob eine Aufteilung der Materien in verschiedene Gesetzbücher eher vorteilhaft oder nachteilig ist166, würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, sodass hier nur der Frage nachzugehen ist, inwieweit sich italienisches und deutsches Recht in der Sache unterscheiden.
163 Hierzu Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 85 ff. 164 Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 689 m. w. N. 165 Vgl. etwa Schaub/Koch/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, 24. Auflage 2020, Verschwiegenheit. 166 Die italienische Lösung gegenüber der deutschen befürwortend etwa Medicus, Comunicazione di Dieter Medicus, in: Riv. dir. civ. 1991, 792, 795; vgl. auch Lehmann, Matthias, Braucht Europa ein Handelsgesetzbuch?, in: ZHR 181 (2017), 9, 15 ff.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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a) Antrag auf Besorgung von Geschäften im Handelsrecht (§ 362 HGB) Nach § 362 Abs. 1 Satz 1 HGB ist ein Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, verpflichtet, unverzüglich zu antworten, wenn ihm ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von jemandem zugeht, mit dem er in Geschäftsverbindung steht; sein Schweigen gilt – anders als § 663 BGB (eben § 4 II. 4.) – als Annahme des Antrags. Die gleiche Regelung trifft § 362 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn dem Kaufmann ein Antrag über die Besorgung von Geschäften von jemandem zugeht, dem gegenüber er sich zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat. § 362 Abs. 1 HGB bezweckt durch die Schaffung von Rechtssicherheit die Förderung der Schnelligkeit und Leichtigkeit des Handelsverkehrs167 und dient dem Verkehrsschutz168. Wie die Regelung dogmatisch einzuordnen ist, ist umstritten. So wird teilweise eine Rechtsscheinhaftung kraft verkehrsmäßig typisierten Verhaltens für die Erklärung der Rechtsfolgen herangezogen.169 Eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Norm scheitere daran, dass die Wertung als Annahme unabhängig davon erfolge, ob der Schweigende ein diesbezügliches Bewusstsein hatte.170 Vertreten wird auch, dass es sich um eine Pflicht171- oder Obliegenheitsverletzung172 handelt. Andere Stimmen wollen hingegen eine fingierte Willenserklärung annehmen.173 Teilweise wird auch eine differenzierende Betrachtungsweise befürwortet, je nachdem, ob die Rechtsfolgen ex lege eintreten oder ob sie ex voluntate, also mit Annahmewillen des Schweigenden eintreten; im letzten Fall handle es sich um eine echte Willenserklärung durch Schweigen.174 Darüber hinaus wird auch – ähnlich wie Saccos Ansatz (dazu oben § 3 II. 7. b) – vertreten, dass § 362 HGB einen Ausnahmefall zu den allgemeinen Vertragsabschlussmechanismen darstellt und es nicht wie sonst durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen in Gestalt von Angebot und Annahme zum Vertragsschluss kommt, sondern eine einzige Erklärung zur Begründung eines Vertrages genügt.175 Obwohl sich der § 362 HGB zugrundeliegende Grundsatz historisch gesehen (oben § 2 III. 1. a)) im Mittelalter gerade im italienischen Gebiet entwickelte, 167 Grunewald/Welter, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 168 Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 581. 169
2021, § 362 Rn. 13.
Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 3; Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 690. 170 Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 1. 171 Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, JuS 1966, 49, 54. 172 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 221, 236 ff. 173 So Grunewald/Welter, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2019, § 362 Rn. 15 m. w. N.; dem zustimmend Koller u. a./Roth, HGB, 9. Auflage 2019, § 362 Rn. 4 m. w. N. 174 Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 61 ff., 112 f. 175 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 120).
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
findet sich im modernen italienischen Recht keine kodifizierte Antwortpflicht von Kaufleuten. Nur soweit es sich um einen Vertrag handelt, der allein für den Anbietenden Pflichten nach sich zieht, ergibt sich eine Annahme aus dem Schweigen des Angebotsempfängers (Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c.). Dies stellt jedoch keine handelsrechtliche Besonderheit dar, sondern trifft auf alle privatrechtlichen Verträge zu. Auch im italienischen Recht gilt aber der Grundsatz, dass aufgrund der besonderen handelsrechtlichen Bedürfnisse einem Schweigen schneller ein rechtlicher Bedeutungsgehalt zugewiesen werden kann als zwischen Privatleuten, insbesondere, wenn die Betroffenen bereits im Vorfeld in Geschäftsbeziehungen zueinanderstanden (oben § 3 II. 3. b) aa)). Viele Fälle des § 362 HGB dürften daher im italienischen Recht über die Annahme eines silenzio circostanziato lösbar sein, wenn eine Auslegung ergibt, dass der Empfänger aufgrund des bestehenden Geschäftskontakts hätte widersprechen müssen, um einen Vertragsschluss zu vermeiden.
b) Weitere Beispiele von Zustimmungsfiktionen im HGB Nicht verwunderlich ist es, dass das Handelsrecht aufgrund des gesteigerten Bedürfnisses nach Schnelligkeit, Verkehrssicherheit und Leichtigkeit im Rechtsverkehr weitere Zustimmungsfiktionen kennt: So bestimmt etwa § 91a Abs. 1 HGB, dass ein Geschäft, welches ein Handelsvertreter, der nur mit der Vermittlung von Geschäften betraut ist, im Namen des Unternehmers abgeschlossen hat, wenn dem Dritten der Mangel an Vertretungsmacht nicht bekannt war, als von dem Unternehmer genehmigt gilt. Um dies zu verhindern, muss der Unternehmer unverzüglich, nachdem er von dem Handelsvertreter oder dem Dritten über den Abschluss und wesentlichen Inhalt benachrichtigt worden ist, dem Dritten gegenüber das Geschäft ablehnen. Dem entspricht inhaltlich für ein vollmachtlos von einem Handlungsgehilfen getätigtes Geschäft § 75h Abs. 1 HGB. Beide Vorschriften ordnen damit eine zur bürgerlich-rechtlichen Vorschrift des § 177 Abs. 2 Satz 2 BGB gegensätzliche Rechtsfolge, nämlich eine vertragliche Bindung trotz nicht erteilter Vollmacht an, was sich nur mit den eingangs erwähnten handelsrechtlichen Bedürfnissen rechtfertigen lässt.176 Art. 1712 Abs. 2 c. c. gilt – bewusst anders als seine Vorgängernorm in Art. 357 Codice di commercio von 1882177– unterschiedslos für bürgerlich- und handelsrechtliche Fälle, sodass er einen größeren Anwendungsbereich als § 91a Abs. 1 HGB und § 75h Abs. 1 HGB aufweist und deshalb auch Gegenstand von Kritik in der italienischen Literatur ist (bereits oben § 3 II. 2. a) bb)).178 Dieser Kritik ist teils zuzustimmen, da sich die positive Rechtsfolge der deutschen 176
Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 108 ff. zur Zusammenführung der Vorschriften im Codice civile: Ministero di Grazia e Giustizia, Codice Civile, Testo e Relazione Ministeriale, 1943, Relazione del Ministro Guardasigilli per l’approvazione del Codice civile, Libro Quarto – Delle Obbligazioni Nr. 714. 178 Vgl. Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 363 ff. 177 Vgl.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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Normen maßgeblich auf die Bedürfnisse des Handelsverkehrs und die geringere Schutzwürdigkeit des beteiligten Kaufmannes stützt, während im bürgerlichen Recht durch § 177 Abs. 1 BGB (unten § 4 III. 2. b)) entsprechend zu Art. 1399 Abs. 4 c. c. die gegenteilige Rechtsfolge angeordnet wird. Allerdings gilt 1712 Abs. 2 c. c., anders als die beiden Vorschriften des HGB, gerade nicht gegenüber dem Dritten, sondern nur im Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und -nehmer.
c) Kaufmännisches Bestätigungsschreiben Einer der bekanntesten Fälle des Schweigens im deutschen Handelsverkehr dürfte der des fehlenden unverzüglichen Widerspruchs auf ein sogenanntes kaufmännisches Bestätigungsschreiben hin sein, welches dazu führt, dass der Vertrag unabhängig von einem dahingehenden Bewusstsein des Empfängers als mit dem Inhalt des Schreibens zustande gekommen gilt. Das bis heute unkodifizierte Rechtsinstitut ist nach einer Auffassung aus dem Handelsbrauch (§ 346 HGB) entstanden, sich (fern-)mündliche Vertragsabschlüsse nochmals schriftlich bestätigen zu lassen und schon von der Rechtsprechung des Bundesoberhandelsgerichts anerkannt worden (zur geschichtlichen Entwicklung § 2 III. 1. b)).179 Andere wollen die den §§ 75h, 91a, 362 HGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken für die Begründung der Rechtswirkungen eines Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben hin fruchtbar machen und diese für das Handelsrecht verallgemeinern.180 Die Lehre vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben ist nach herrschender Auffassung im geltenden deutschen Handelsrecht jedenfalls aufgrund der ständigen Rechtsprechung zum Gewohnheitsrecht geworden181, auch wenn die Geltung des Rechtssatzes und seine dogmatische Begründung Gegenstand von Kritik sind182. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben dient im Regelfall nur dem Beweis eines Vertragsinhalts, hat also eine bloß deklaratorische Funktion.183 Aus179 Statt
vieler Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 129 f.; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 3. 180 Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 10. 181 Vgl. nur Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 10; Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 129 f.; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 3; Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 850; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 692. 182 Vgl. v. a. F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 194 ff. 183 Vgl. nur BGH 10.7.1961 – VIII ZR 64/60, in: BB 1961, 954; BGH 26.9.1973 – VIII ZR 106/72, in: NJW 1973, 2106, 2106; Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 130; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 3; Baumbach/ Hopt/Leyens, Handelsgesetzbuch, 40. Auflage 2021, § 346 Rn. 17.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
nahmsweise entfaltet es aber auch konstitutive Wirkung, wenn der Empfänger des unwidersprochen gebliebenen Schreibens sich darauf berufen will, dass kein Vertrag zustande gekommen ist oder der Vertrag wenigstens einen anderen Inhalt aufweist.184 In diesem Fall gilt infolge des Schweigens des Empfängers der Vertrag als mit dem Inhalt des Schreibens zustande gekommen. Dabei kann es über das kaufmännische Bestätigungsschreiben sowohl zu einer Vertragsbegründung als auch zu einer Vertragsänderung kommen.185 Ersteres betrifft das gänzliche Fehlen eines Abschlusstatbestandes oder zumindest der Möglichkeit, einen solchen zu beweisen sowie das Vorliegen eines versteckten Dissenses zwischen den Parteien.186 Zu einer vertragsabändernden Wirkung infolge des Schweigens auf das Schreiben hin kommt es dagegen, wenn das Bestätigungsschreiben von der vorausgehenden Vertragsvereinbarung abweicht.187 Schließlich kann sogar einem durch einen vollmachtlosen Vertreter „geschlossenen“, mangels Vertretungsmacht aber unwirksamen Vertrag durch das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben hin Wirksamkeit verliehen werden, da dieses auch die Mängel der Vertretungsmacht heilt.188 Die Wirkungen des Rechtsinstituts rechtfertigen sich vor dem Hintergrund, dass der Handelsverkehr auf Schnelligkeit und Rechtssicherheit hinsichtlich des Zustandekommens und des Inhalts von Verträgen angewiesen ist, welche durch die Zustimmungsfiktion erzielt werden können.189
aa) Voraussetzungen der Rechtswirkungen Um zu einem Vertragsschluss über das kaufmännische Bestätigungsschreiben zu kommen, ist die Erfüllung der im Folgenden wiedergegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen erforderlich190. Das italienische Recht, welches, wie oben gesehen, zwar Rechtswirkungen eines Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben im Einzelfall durchaus anerkennt, die Rechtsfigur aber nicht in der gleichen Form institutionalisiert hat und in der gleichen Tiefe behandelt wie das deutsche Recht, stellt dementsprechend auch keine festen Tatbestandsvoraussetzungen auf. Allerdings stimmen die Voraussetzungen in 184 Vgl. von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 4. 185 Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 130; Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 849. 186 Vgl. BGH 20.3.1974 – VIII ZR 234/72, in: NJW 1974, 991, 992; Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 13 m. w. N. 187 Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 15. 188 BGH 10.1.2007 – VIII ZR 380/04, in: NJW 2007, 987, 988; Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 849. 189 Vgl. Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 849; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 694. 190 Vgl. hierzu etwa Schärtl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, in: JA 2007, 567, 568 ff.; Schmidt, J., Der Vertragsschluss, 2013, S. 513 ff.
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Vielem mit dem überein, was auch in Italien regelmäßig die Annahme eines beredeten Schweigens (silenzio circostanziato) rechtfertigen wird. Zunächst muss im deutschen Recht der persönliche Anwendungsbereich des Rechtsinstituts eröffnet sein, was bedeutet, dass der Empfänger des Bestätigungsschreibens zwar nicht notwendig als Vollkaufmann, aber doch zumindest kaufmannsähnlich am Wirtschaftsleben teilnehmen muss.191 Eine solche kaufmannsähnliche Stellung wird für die freien Berufe192, Insolvenzverwalter193, Gemeinden und Behörden im fiskalischen Verkehr194, Scheinkaufleute195 sowie nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit auch für Kleingewerbetreibende196 angenommen. Vorgeschlagen wurde deshalb, den Empfängerkreis auf Unternehmer i. S. v. § 14 BGB zu erweitern.197 Hinsichtlich des Absendenden ist dagegen umstritten, ob er eine zumindest kaufmannsähnliche Eigenschaft aufweisen muss198 oder nicht199. Zwar mag es zu Unsicherheitsfaktoren für den Empfänger führen, wenn er erst die Kaufmannseigenschaft seines Vertragspartners überprüfen muss, um zu erfahren, ob ein Vertrag zustande gekommen ist oder nicht.200 Jedoch besteht die Übung, auf der die Wirkung des Bestätigungsschreibens beruhen, nur im Handelsrecht, sodass man regelmäßig an einem schutzwürdigen Vertrauen des nichtkaufmännischen Absenders wird zweifeln müssen.201 Soweit eine Parallele zu § 362 HGB, bei dem der Vertragspartner auch Nichtkaufmann sein kann, gezogen wird202, ist einzuwenden, dass es sich bei § 362 HGB um kodifiziertes Recht handelt, während das kaufmännische 191 BGH 27.10.1953 – I ZR 111/52, in: BGHZ 11, 1, 3; BGH 19.2.1964 – I b ZR 203/62, in: NJW 1964, 1223; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 7. 192 Oetker/Pamp, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 346 Rn. 51 m. w. N.; RG JW 1931, 522, 524 und OLG Bamberg 22.3.1972 – 1 U 165/71, in: BB 1973, 1371, 1372 (Rechtsanwalt); BGH 11.10.1973 – ZR 96/72, in: WM 1973, 1376 (Architekt); BGH 28.6.1967 – VIII ZR 30/65, in: BB 1967, 902 (Wirtschaftsprüfer). 193 BGH 25.2.1987 – VIII ZR 341/86, in: NJW 1987, 1940, 1941. 194 Vgl. BGH 19.2.1964 – I b ZR 203/62, in: NJW 1964, 1223, 1224; BGH 27.1.2011 – VII ZR 186/09, in: NJW 2011, 1965, 1966. 195 Oetker/Pamp, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 346 Rn. 52. 196 Vgl. BGH 27.10.1953 – I ZR 111/53, in: NJW 1954, 105, 105; Oetker/Pamp, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 346 Rn. 52; Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 302. 197 Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, in: JuS 2008, 849, 850 f. 198 So etwa Herberger u. a./M. Otto, jurisPK-BGB Band 1, 9. Auflage 2020 (Stand 1.5.2020), § 146 Rn. 43; Oetker/Pamp, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 346 Rn. 53. 199 So etwa Baumbach/Hopt/Hopt, Handelsgesetzbuch, 37. Auflage 2016, § 346 Rn. 19 a. A. in der aktuellen Auflage; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 130; Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 851. 200 Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 130. 201 Vgl. Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 9. Auflage 2019, § 7 Rn. 20; Grunewald/Schmidt, K., MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 346 Rn. 156. 202 So Baumbach/Hopt/Hopt, Handelsgesetzbuch, 37. Auflage 2016, § 346 Rn. 19; a. A. in der aktuellen Auflage.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
Bestätigungsschreiben gerade nicht normiert ist, sondern auf den berechtigten Erwartungen der Beteiligten beruht. Es ist daher zu fordern, dass auch der Absender zumindest kaufmannsähnlich am Rechtsverkehr teilnimmt.203 Auch in Italien führt gerade die Kaufmannseigenschaft und Geschäftserfahrenheit der beiden Beteiligten dazu, dass einem Schweigen leichter als sonst verpflichtende Rechtwirkungen beigelegt werden können (oben § 3 II. 5.). Erforderlich sind des Weiteren dem Bestätigungsschreiben vorausgegangene Vertragsverhandlungen204 und ein enger zeitlicher Zusammenhang des Zugangs des Schreibens hierzu205. Bezüglich der Länge der verstrichenen Zeitspanne ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.206 Im Vorfeld bestehenden Geschäftsbeziehungen bzw. Verhandlungen kommt auch nach Auffassung der italienischen Rechtswissenschaft zentrale Bedeutung zu, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob ein silenzio circostanziato – etwa auch gegenüber einer lettera di conferma – vorliegt. Ferner muss der Bestätigende schutzbedürftig sein, d. h. der Inhalt der Bestätigung darf sich nicht so weit vom vorher Abgesprochenen entfernt haben, dass der Absendende vernünftigerweise nicht mehr mit dem Einverständnis des Vertragspartners rechnen durfte.207 Erst recht fehlt es nach ständiger Rechtsprechung freilich an einer Schutzbedürftigkeit des Bestätigenden im Falle einer bewusst unrichtigen Bestätigung seinerseits.208 Dies rechtfertigt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben: glaubt der Bestätigende nämlich schon selbst nicht an einen Vertragsschluss mit dem von ihm bestätigten Inhalt, so besteht auch kein Grund, sein Vertrauen hinsichtlich des Inhalts und des Vertragsschlusses zu schützen.209 Beinhaltet das Schreiben erhebliche Veränderungen und entfernt sich zu weit vom ursprünglich Vereinbarten, so handelt es sich um eine, der Funktion des Bestätigungsschreibens – nämlich der bloßen Niederlegung der wesentlichen Vertragspunkte – zuwiderlaufende Verwendung, die 203 Ebenso BGH 26.6.1963 – VIII ZR 61/62, in: NJW 1963, 1922, 1923; OLG Düsseldorf 11.5.2007 – 7 U 139/05, in: BeckRS 2009, 24178; Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 9. Auflage 2019, § 7 Rn. 20. 204 BGH 20.3.1974 – VIII ZR 234/72, in: NJW 1974, 991, 992. 205 Vgl. etwa BGH 19.2.1964 – I b ZR 203/62, in: NJW 1964, 1223, 1224; BGH 27.1.2011 – VII ZR 186/09, in: NJW 2011, 1965, 1966; OLG Köln 7.2.1992 – 19 U 117/91, in: NJW-RR 1992, 761, 762; Baumbach/Hopt/Leyens, Handelsgesetzbuch, 40. Auflage 2021, § 346 Rn. 21. 206 Grunewald/Maultzsch, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 346 Rn. 157. 207 St. Rspr., BGH 24.9.1952 – II ZR 305/51, in: NJW 1952, 1369, 1369; BGH 26.6.1963 – VIII ZR 61/62, in: NJW 1963, 1922, 1923; BGH 26.9.1973 – VIII ZR 106/72, in: NJW 1973, 2106, 2107; BGH 30.1.1985 – VIII ZR 238/83, in: NJW 1985, 1333, 1333; BGH 31.1.1994 – II ZR 83/93, in: NJW 1994, 1288. 208 Vgl. RG 25.2.1919 – II 254/18, in: RGZ 95, 48, 50 f.; BGH 10.7.1961 – VIII ZR 64/60, in: BB 1961, 954; BGH 26.6.1963 – VIII ZR 61/62, in: NJW 1963, 1922, 1923; BGH 20.3.1974 – VIII ZR 234/72, in: NJW 1974, 991, 992. 209 Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 17.
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ebenso zum Entfallen der Schutzbedürftigkeit führt.210 Auch in Italien wird die konkludente Zustimmung zu unwesentlichen Veränderungen durch ein Schweigen deutlich schneller angenommen als ein Einverständnis mit erheblichen Abweichungen. Der schutzwürdige Glaube des Absendenden an das Zustandekommen des im Schreiben bestätigten Vertrages ist schließlich auch Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung des kaufmännischen Bestätigungsschreibens von der bloßen Auftragsbestätigung.211 Unabhängig von der – zuweilen fehlerhaften – Bezeichnung eines Schreibens ist nämlich für die Zuordnung zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben ausschlaggebend, ob der Absender davon ausgeht, dass ein Vertragsschluss mit dem Empfänger im Vorfeld bereits erfolgt ist.212 Tut er dies nicht und bezweckt er durch sein Schreiben nur die Annahme eines vorangegangenen Vertragsangebots, so handelt es sich um eine bloße Auftragsbestätigung, die, wenn sie nicht exakt dem Inhalt des Angebots entspricht, eine modifizierte Annahmeerklärung und damit nach § 150 Abs. 2 BGB einen neuen Antrag darstellt.213 Ein Schweigen des Empfängers hierauf führt grundsätzlich zu keinem Vertragsschluss, da es ihm freisteht, das neue Angebot anzunehmen.214 Die Abgrenzung der lettera di conferma gegenüber der Auftragsbestätigung (conferma d’ordine) oder Rechnung (fattura) ist weniger scharf als im deutschen Recht, aber auch nicht so bedeutend für die Rechtsfolgen wie in diesem, da das Schweigen gegenüber beiden Phänomenen nur im Einzelfall beredt (sog. silenzio circostanziato) und jedenfalls nicht normiert ist. Schließlich darf der Empfänger dem Schreiben nicht unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) widersprochen haben.215 Die Länge der Frist, binnen derer ein Widerspruch möglich ist, bemisst sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Zeitspanne zwischen den Vertragsverhandlungen und dem Bestätigungsschreiben und wird 210 Vgl. Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 17; Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 452. 211 Vgl. Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 17 u. 49; Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 690 f. 212 Vgl. BGH 20.3.1974 – VIII ZR 234/72, in: NJW 1974, 991, 992; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 6; Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 850 f. 213 Vgl. Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 49; Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 690 f.; in der Rechtsprechung etwa BGH 29.9.1955 – II ZR 210/54, in: NJW 1955, 1794, 1795; BGH 26.9.1973 – VIII ZR 106/72, in: NJW 1973, 2106, 2106. 214 Vgl. Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 49; Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 690 f.; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 6; in der Rechtsprechung etwa BGH 29.9.1955 – II ZR 210/54, in: NJW 1955, 1794, 1795; BGH 26.9.1973 – VIII ZR 106/72, in: NJW 1973, 2106, 2106. 215 Vgl. etwa BGH 27.1.2011 – VII ZR 186/09, in: NJW 2011, 1965, 1966 f.
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regelmäßig nur wenige Tage betragen.216 Ein zeitnaher Widerspruch schließt selbstverständlich auch im italienischen Recht das Vorliegen eines rechtlich relevanten Schweigens aus.
bb) Dogmatische Begründung der Rechtswirkungen So anerkannt die Figur des kaufmännischen Bestätigungsschreibens in weiten Teilen der deutschen Literatur und ständiger Rechtsprechung ist, so sehr ist jedoch ihre dogmatische Einordnung bzw. Begründung ihrer Rechtsfolgen nach wie vor umstritten217; teilweise wird sogar die Geltung des Rechtssatzes insgesamt in Frage gestellt218. So wird von Bydlinski gegen die Wirkungen eines Bestätigungsschreibens vorgebracht, dass es denjenigen belohne, der ein den Vertragsinhalt falsch zu seinen Gunsten wiedergebendes Schreiben verfasse.219 Einer gänzlichen Infragestellung der Geltung des Rechtsgrundsatzes ist schon das praktische Argument entgegenzuhalten, dass das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der gelebten Rechtswirklichkeit allgemein anerkannt ist, wie zahlreiche Rechtsprechungsentscheidungen zeigen. Auch Bydlinski zieht indes die Geltung nicht pauschal in Zweifel, sondern belässt es immerhin für den praktisch bedeutenden Anwendungsbereich ergänzender und konkretisierender Bestätigungsschreiben bei den anerkannten Rechtsfolgen.220 Auch außerhalb dieser Fälle lassen sich seine Bedenken hinsichtlich einer unbilligen Belohnung für eine falsche Vertragswiedergabe jedoch mit dem Argument ausräumen, dass es mangels der Schutzbedürftigkeit des Absendenden nicht zum Vertragsschluss kommt, wenn das Schreiben soweit vom vertraglich Vereinbarten abweicht, dass mit einem Einverständnis vernünftigerweise nicht zu rechnen war oder wenn der Absendende sich gar treuwidrig verhielt.221 Die ganz überwiegende Literaturmeinung zweifelt dementsprechend nicht an der Rechtsfigur des Bestätigungsschreibens, hat aber eine geradezu verwir216 Vgl.
Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 16 m. w. N. u. 133; Herberger u. a./M. Otto, jurisPK-BGB Band 1, 9. Auflage 2020 (Stand 1.5.2020), § 146 Rn. 58 m. w. N. 217 Vgl. Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 129. 218 So wohl aber nur F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 194 ff. 219 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 197; F. Bydlinski, Die Entmythologisierung des „kaufmännischen Bestätigungsschreibens“ im österreichischen Recht, in: FS Flume, 1978, S. 335, 349 f. 220 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 194 ff.; F. Bydlinski, Die Entmythologisierung des „kaufmännischen Bestätigungsschreibens“ im österreichischen Recht, in: FS Flume, 1978, S. 335, 355; vgl. dazu auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 207 (Fn. 50a). 221 Vgl. Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 195 m. w. N.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Auflage 2015, S. 42 f.
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rende Fülle von dogmatischen Erklärungsansätzen für seine Rechtsfolgen entwickelt: So sollen die Folgen eines Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben auf einem Handelsbrauch222, auf Gewohnheitsrecht223, auf einer echten224, unechten225 oder fingierten bzw. normierten226 Willenserklärung, auf einer Pflicht227- oder Obliegenheitsverletzung228, einer Analogie zu § 362 HGB229 oder einer Vertrauens-230 bzw. Rechtsscheinshaftung231 beruhen. Die meisten Autoren befürworten aber zumindest dann das Vorliegen einer echten Willenserklärung, wenn der Kaufmann den abweichenden Inhalt eines Bestätigungsschreibens tatsächlich bemerkt und billigt.232 Nachdem das Reichsgericht zunächst einen Handelsbrauch zur Begründung der Rechtsfolgen eines Schweigens herangezogen hatte233, ging die obergerichtliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik ursprünglich auch von einer echten Willenserklärung bzw. Vereinbarung durch das Schweigen aus234, lehnte in Folgeentscheidungen aber eine rechtsgeschäftliche Qualifikation ab und nahm eine Einordnung als aufgrund eines entsprechenden Handelsbrauchs fingierter Willenserklärung mit der Bedeutung der Genehmigung des Inhalts des Bestätigungsschreibens vor.235 Zwischenzeitlich wurde auch eine Rechtsscheins222
Herberger u. a./M. Otto, jurisPK-BGB Band 1, 9. Auflage 2020 (Stand 1.5.2020), § 146 Rn. 42; ablehnend Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 217. 223 Baumbach/Hopt/Leyens, Handelsgesetzbuch, 40. Auflage 2021, § 346 Rn. 17; Grunewald/Maultzsch, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 346 Rn. 164. 224 Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 246 f.; Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, § 151 Rn. 19 ff. 225 Zunft, Anfechtbarkeit des Schweigens auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: NJW 1959, 276, 276. 226 Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 13; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 130 ff.; Koller u. a./Roth, HGB, 9. Auflage 2019, § 346 Rn. 23. 227 Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, JuS 1966, 49, 54. 228 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 236 ff.; für ein einseitiges Rechtsgeschäft in Verbindung mit einer Obliegenheitsverletzung Kuchinke, Zur Dogmatik des Bestätigungsschreibens, in: JZ 1965, 167, 174 ff. 229 Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 122 ff. (insbes. S. 128). 230 Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 136; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 4. 231 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 206. 232 Vgl. nur Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 206 f.; Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 132 f.; Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 191 (Fn. 181); Kuchinke, Zur Dogmatik des Bestätigungsschreibens, in: JZ 1965, 167, 169. 233 RG 24.3.1903 – II 403/02, in: RGZ 54, 176, 182; RG 20.1.1922 – II 360/21, in: RGZ 103, 401, 405. 234 So BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: BGHZ 1, 353, 356; BGH 24.9.1952 – II ZR 305/51, in: NJW 1952, 1369, 1370; OLG Köln 8.5.1959 – 9 U 232/58, in: MDR 1959, 929. 235 So bereits BGH 27.10.1953 – I ZR 111/53, in: NJW 1954, 105, 106; vgl. in der Folge auch BGH 29.9.1955 – II ZR 210/54, in: NJW 1955, 1794, 1795.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
haftung als Begründung für die Rechtsfolgen herangezogen.236 Ebenso sollte das Bestätigungsschreiben „innere Rechtfertigung“ über „die Argumentation von Vertrauensschutz bzw. Verkehrsschutz innerhalb der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre“237 erlangen. Teilweise wird die Einordnung des Bestätigungsschreibens als normiertes oder beredtes Schweigen auch nach wie vor offengelassen.238 Dementsprechend wird auch in der Literatur zum Teil vertreten, dass es sich beim Bestätigungsschreiben um einen Grenzfall handle, dessen „sachlichen Grund voll aufzuklären vermutlich niemals wirklich stringent gelingen wird“.239 Eine Entscheidung über die dogmatische Grundlage der Rechtsfolgen eines Bestätigungsschreibens wird erst im Folgenden (§ 4 II. 6. bis 8.) zu treffen sein, während bereits an dieser Stelle zu klären ist, ob das kaufmännische Bestätigungsschreiben konstruktiv dem beredten240 oder, wie die wohl herrschende Auffassung annimmt241, dem normierten Schweigen zugehört. Die Einordnung des kaufmännischen Bestätigungsschreibens als beredtes oder normiertes Schweigen wirkt sich dabei auch auf die Beweislastverteilung aus: sieht man es als Fall eines normierten Schweigens an, so muss der Empfänger beweisen, dass ausnahmsweise keine Bindung eingetretenen ist, weil das Schreiben inhaltlich zu weit vom Vereinbarten abweicht. Charakterisiert man es hingegen als beredtes Schweigen oder konkludentes Verhalten, so ist der Bestätigende beweisbelastet, dass das Schweigen trotz einer Abweichung vom Vereinbarten als Zustimmung gewertet werden konnte.242 Für die Zuordnung des Rechtsinstituts zum beredten Schweigen spricht zwar zunächst, dass das Schreiben als Antrag und das darauffolgende Schweigen als Annahme aufgefasst werden können.243 Dem ist zuzugeben, dass der Mechanismus des Vertragsschlusses jedenfalls dann in dieser Form ablaufen 236
So BGH 19.2.1964 – I b ZR 203/62, in: NJW 1964, 1223, 1224. BGH 27.1.2011 – VII ZR 186/09, in: NZBau 2011, 303, 304. 238 So zuletzt OLG Frankfurt a. M. 8.3.2018 – 2 U 25/17, in: NZM 2018, 679, 684; offengelassen und eine mögliche Einordnung als Willenserklärung andeutend auch BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629, 3631: „[…] kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das die Rechtsprechung bislang nicht als Willenserklärung versteht […]“. 239 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 89; vgl. auch Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 451. 240 So Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 245 ff.; wohl auch Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144, Rn. 73 („individuell-konkludentes Schweigen“). 241 Statt vieler Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 9; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 147 Rn. 8; Flume, Das Rechtsgeschäft und das rechtlich relevante Verhalten, in: AcP 161 (1962), 52, 66. 242 Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 15. 243 Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 245 ff.; Zunft, Anfechtbarkeit des Schweigens auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: NJW 1959, 276, 277. 237
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wird, wenn der Schweigende ganz bewusst mit dem Willen der Zustimmung schweigt. Auch in anderen Rechtsordnungen wie der italienischen wird das Schweigen gegenüber einem Bestätigungsschreiben einzelfallabhängig als beredt angesehen (oben § 3 II. 5. a)). Die Rechtsfolgen treten im deutschen Recht aber auch dann ein, wenn der Schweigende sich der Wirkung seiner Untätigkeit nicht bewusst ist und ohne, dass er seinen abweichenden Willen im Wege der Anfechtung geltend machen kann. Da das kaufmännische Bestätigungsschreiben damit trotz der fehlenden gesetzlichen Verankerung aufgrund seiner fest von der deutschen Rechtsprechung und Literatur herausgebildeten und einzelfallunabhängigen Voraussetzungen und Tatbestandsmerkmalen größere Nähe zu den normierten Tatbeständen des Schweigens als zu jenen des beredten Schweigens aufweist, ist es überzeugend, es als Unterfall des normierten Schweigens und Bestandteil des objektiven Rechts anzusehen.244 Die Grundsätze zum Bestätigungsschreiben bezwecken nämlich vor dem Hintergrund der Verkehrssicherheit ähnlich wie das normierte Schweigen, dass die Rechtsfolge der Verpflichtung losgelöst vom Einzelfall auch dann eintritt, wenn der Schweigende sich nicht bewusst passiv verhält oder die Umstände allein noch nicht zu einer hinreichenden Konkludenz seines Verhaltens führen würden.245 Zwar erlauben die oben beschriebenen Voraussetzungen wie die Schutzbedürftigkeit des Absendenden und das Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs einen größeren Beurteilungsspielraum für den Rechtsanwender als die Fälle eines ausdrücklich normierten Schweigens, doch sind die Tatbestandsmerkmale von Rechtsprechung und Literatur derart fest herausgebildet, dass sie als Gewohnheitsrecht objektiv Geltung beanspruchen und zumindest dem Personenkreis, für den sie gelten, auch bekannt sind. Allein auf die Tatsache einer fehlenden gesetzlichen Normierung abzustellen, erscheint angesichts dessen zu formalistisch. Hinzu kommt, dass der Handelsverkehr zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und einer effizienten und schnellen Abwicklung der Geschäfte auf die oben genannte Beweislastverteilung angewiesen ist: müsste der Bestätigende immer erst mühsam nachweisen, dass das Schweigen als Zustimmung gewertet werden kann, weil die Voraussetzungen hierfür vorliegen, wäre dies ein Unsicherheitsfaktor und würde die Funktion eines Bestätigungsschreibens entwerten. Auch die Auffassung, die eine Einordnung als beredtes Schweigen befürwortet, nimmt daher Korrekturen auf der Ebene der Beweislast vor.246 244 Vgl. nur Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 9; Westermann u. a./Armbrüster, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, § 147 Rn. 5; von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 3; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 147 Rn. 8; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 692. 245 BGH 27.10.1953 – I ZR 111/53, in: NJW 1954, 105, 106. 246 Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1,5. Auflage 2006, § 151 Rn. 25.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
Daneben ist im deutschen Recht umstritten, ob es sich beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben um eine Sonderdogmatik handelt247 oder ob eine Lösung im Rahmen der allgemeinen, auch im bürgerlichen Recht geltenden Grundsätze möglich ist248. Für den letztgenannten Ansatz spricht, dass die für den Handelsverkehr in besonderem Maße geltenden Verkehrsinteressen zwar spezielle Erfordernisse hinsichtlich der Umstände, unter denen das Schweigen einen Erklärungsgehalt aufweist und bezüglich der Möglichkeiten einer Anfechtung rechtfertigen können, nicht aber Besonderheiten bei der dogmatischen Begründung der Rechtsfolge selbst zu erklären vermögen. Den besonderen Bedürfnissen des Handelsverkehrs kann auch ohne den Umweg einer dogmatischen Sonderkonstruktion entsprochen werden, indem man einen im Vergleich zu bürgerlich-rechtlichen Konstellationen stärkeren Verkehrs- und Vertrauensschutz zulässt.249 Eine Lektüre der Beiträge zum Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zeigt zudem, dass die ausgetauschten Argumente zu den Rechtsfolgen weitgehend250 dieselben sind, die auch im Rahmen der allgemeinen Diskussion um die Bedeutung eines Schweigens im Privatrecht vorgebracht werden. Ein stringenter und einheitlicher Ansatz für die Thematik erscheint auch im Interesse der Rechtsklarheit angebracht. Auch im italienischen Recht wird im Übrigen trotz der Berücksichtigung handelsrechtlicher Besonderheiten kein dogmatischer Sonderweg für das Schweigen in handelsrechtlichem Kontext beschritten. Freilich werden die Rechtsfolgen eines normierten Schweigens – zu dem nach hier vertretener Auffassung auch das kaufmännische Bestätigungsschreiben gehört –, anders als jene des beredten Schweigens vom Gesetz selbst auferlegt, sodass eine Unterscheidung zwischen beredtem und normiertem Schweigen zu treffen ist und nicht alle Tatbestände auf eine mehr oder minder privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen zurückgeführt werden können. Daher soll im Weiteren auch zwischen den beiden Phänomenen differenziert werden, wobei sich jedoch die Frage stellt, ob nicht in bestimmten Konstellationen eine Gleichstellung erfolgen kann und sollte.
cc) Rechtsvergleichende Bewertung der Rolle des Bestätigungsschreibens Im italienischen Recht finden sich, wie bereits erwähnt, nur vereinzelt Nachweise zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Eine so ausführliche Diskussion um die Voraussetzungen und die Begründung und Reichweite der 247 Für eine solche Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 9; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 80. 248 Dafür Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor § 116 Rn. 25; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 246; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 206 (Fn. 4), 209. 249 Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 25. 250 Abgesehen von einer Analogie zu § 362 HGB.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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Rechtsfolgen wie in der deutschen Rechtswissensschaft wird dementsprechend auch nicht geführt. Für die Abgrenzung zu anderen Phänomenen wie der Auftragsbestätigung, sowie zur Dogmatik bzw. Rechtsgrundlage des Bestätigungsschreibens werden – soweit dies von der italienischen Literatur überhaupt thematisiert wird – wiederholt die deutsche Rechtsprechung und Literatur zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben aufgegriffen.251 Als Ursachen für die im italienischen Recht, anders als im deutschen Recht nicht automatisch anerkannte Zustimmungswirkung des Schweigens gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben sind neben einer fehlenden gefestigten Rechtsprechung und einer nur geringen Behandlung in der Literatur die strengere Haltung des italienischen Rechts zu sog. clausole vessatorie (missbräuchlichen Klauseln nach Art. 1341 Abs. 2 c. c.) zu nennen, für die eine gesonderte schriftliche Bestätigung erforderlich ist (oben § 3 II. 10.).252 Eine derart unumstrittene und weitgehende, vor allem aber verobjektivierte Wirkung wie im deutschen Recht hat das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben in Italien daher sicherlich nicht.253 Die Einschätzung, dass die Figur in der italienischen Rechtsordnung nicht anerkannt sei, kann dennoch in dieser Form nicht geteilt werden, da die Verwendung von Bestätigungsschreiben im Geschäftsverkehr seit langem üblich ist und unter bestimmten Umständen auch Rechtsfolgen nach sich ziehen kann (oben § 3 II. 5. a)). Entscheidungen der Gerichte aus verschiedenen zivilrechtlichen Rechtsbereichen und die Behandlung in der Literatur zeigen, dass auch in Italien ein Schweigen gegenüber einem Bestätigungsschreiben (lettera di conferma) Rechtswirkungen nach sich ziehen kann, welche nach wohl überwiegender Ansicht auch materiellrechtlicher Natur sind. Zwar handelt es sich, anders als im deutschen Recht, nicht um ein normiertes Schweigen und es bestehen keine abstrakten, einzelfallunabhängigen Tatbestandsmerkmale, die über den Erklärungswert eines Schweigens gegenüber einem bestätigenden Schreiben entscheiden und den Vorteil größerer Rechtssicherheit für die beteiligten Kaufleute mit sich bringen. Dennoch werden aber häufig die gleichen Ergebnisse wie im deutschen Recht erzielt werden: zum einen ist auch im italienischen Recht anerkannt, dass es im handelsrechtlichen Bereich besonders schnell aufgrund von Gewohnheiten und Bräuchen infolge einer Untätigkeit zum Vertragsschluss kommen kann, sodass – einzelfallabhängig – auch über ein silenzio circostanziato, etwa beim Bestehen einer entspre251
Siehe etwa Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 119. dazu Mathys, Bestätigungsschreiben und Erklärungsfiktionen, 1997, S. 43; Errico, L’interpretazione evolutiva dell’art. 4, 2° comma, della legge n. 218 del 1995: la rilevanza degli usi del commercio internazionale, Anm. zu Cass. civ. 17.1.2005 Nr. 731, in: Giur. It., 2006, 2, 269, 273. 253 Vgl. auch Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 629 Fn. 76. 252 Vgl.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
chenden Geschäftspraxis zwischen den Parteien, das gleiche Ergebnis wie im deutschen Recht erreicht werden kann. Zum anderen wird, wie oben gesehen, den Schreiben, die einen Vertrag bestätigen, jedenfalls – und selbst von denjenigen, die eine weitergehende Wirkung gänzlich oder im Einzelfall ablehnen – Beweiswert zuerkannt. Zu Abweichungen kann es aber dann kommen, wenn der Empfänger einen dem Bestätigungsschreiben widersprechenden Vertragsinhalt behauptet: Nach deutschem Recht kann wegen der Rechtswirkungen des Schweigens ein Beweis – soweit keine wesentliche Abweichung oder die Unredlichkeit des Absenders behauptet wird – nicht geführt werden254, während das italienische Recht insoweit einen Gegenbeweis durch den Schweigenden zulässt. Eine andere Frage ist freilich, ob es ihm überhaupt gelingt, die Vermutungswirkung des Schreibens zu entkräften. Die Anerkennung des Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben als normierters Schweigen oder als (mögliches) silenzio circostanziato sowie seines Beweiswertes hat auch Konsequenzen für seine Behandlung auf der Ebene des internationalen Privatrechts (unten § 5 II.).
d) Beredtes Schweigen im Handelsverkehr Neben den auch für das Handelsrecht gültigen, oben bereits besprochenen Fällen beredten Schweigens im bürgerlichen Recht haben sich im Handelsverkehr aufgrund des Bedürfnisses nach Schnelligkeit und Leichtigkeit und wegen der besonderen Geschäftserfahrenheit der Beteiligten spezielle Fallgruppen beredten Schweigens herauskristallisiert. Dabei rechtfertigt sich die zustimmende Wirkung des Schweigens aus Gesichtspunkten von Treu und Glauben oder der Verkehrssitte, wobei wegen der geringeren Schutzbedürftigkeit und der Notwendigkeit, Geschäfte schnell und rechtssicher abzuwickeln, ebenso wie in Italien geringere Anforderungen an die Annahme einer Zustimmung durch Schweigen zu stellen sind als im allgemeinen Zivilrechtsverkehr. Freilich gilt zunächst auch im Handelsverkehr, dass das Schweigen im Grundsatz weder Zustimmung noch Ablehnung bedeutet.255 Regelmäßig spielt dabei im Handelsrecht, ebenso wie im Bürgerlichen Recht, bei der Abwägung, ob das Schweigen eine verpflichtende Wirkung entfaltet, die Tatsache eine wichtige Rolle, dass die Parteien in laufender Geschäftsbeziehung zueinander stehen: Hieraus kann sich eine Widerspruchspflicht nach Treu und Glauben ergeben, mit der Folge, dass ein Schweigen ausnahmsweise zustimmende Wirkung entfaltet. Auch im italienischen Recht werden, wie schon mehrfach erwähnt, das Bestehen von Geschäftsbeziehungen und vorausgegangene Verhandlungen, zumal zwischen Kaufleuten, als zentraler Faktor zur Bestimmung der Rechtswirkungen eines Schweigens angesehen. Ähnlich wie in 254
Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 716 f. MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 346 Rn. 131 m. w. N.
255 Grunewald/Maultzsch,
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Italien werden auch im deutschen Recht in diesem Zusammenhang beispielsweise ein Schweigen auf eine Auftragsbestätigung256 oder eine Untätigkeit gegenüber Vermerken auf Rechnungen (Faktura) diskutiert. Ein Widerspruch gegenüber einer abgeänderten Annahmeerklärung, etwa in Gestalt einer sogenannten Auftragsbestätigung, die gerade kein kaufmännisches Bestätigungsschreiben darstellt, ist im Grundsatz nicht erforderlich.257 Ein Schweigen kann nach der Rechtsprechung aber dann als Zustimmung angesehen werden, wenn nach Treu und Glauben ein Widerspruch des Angebotsempfängers erforderlich gewesen wäre.258 Widerspruch ist nach der Rechtsprechung bereits dann zu verlangen, wenn die Parteien schon vorher in Geschäftsverbindung stehen, wenn zwischen ihnen ein bis dahin noch nicht aufgelöster Vertrag besteht und wenn der Anbietende für den Gegner erkennbar ein Interesse an einer baldigen Antwort hat.259 Auch außerhalb der Auftragsbestätigung gelten diese Grundsätze: Schweigt im kaufmännischen Verkehr beispielsweise der Absender eines als freibleibend bezeichneten Angebots auf die Annahme des anderen Vertragsteils, so bedeutet sein Schweigen Zustimmung, da der Annehmende nach Treu und Glauben ein Recht darauf hat, zu erfahren, ob es zum Vertragsschluss gekommen ist und den freibleibend Anbietenden insoweit eine Antwortpflicht trifft.260 In der Regel ist des Weiteren von einer Annahme durch das Schweigen auszugehen, wenn die Parteien als Kaufleute schon alle wichtigen Punkte in Vorverhandlungen geregelt haben, und sodann eine Partei auf das ihr zugehende Angebot, welches diese im Ergebnis richtig wiedergibt, schweigt.261 Freilich sollte in diesen Fällen vorrangig stets erwogen werden, ob nicht eine bloße Schadensersatzpflicht infolge der Verletzung der Widerspruchspflicht in der Lage ist, den Vertragspartner auch ohne einen Erfüllungsanspruch hinreichend zu schützen und tatsächlich nach Treu und Glauben eine Annahme in dem Schweigen zu sehen ist.262 256 Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 219. 257 BGH 29.9.1955 – II ZR 210/54, in: NJW 1955, 1794, 1795; Häublein/Hoffmann-Theinert/Lehmann-Richter, BeckOK HGB, 33. Auflage (Stand 15.7.2021), § 346 Rn. 23. 258 Vgl. BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: NJW 1951, 711, 711; BGH 29.9.1955 – II ZR 210/54, in: NJW 1955, 1794, 1795; BGH 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, in: NJW-RR 1986, 456, 456. 259 BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: NJW 1951, 711, 711; dagegen Westermann u. a./Arnold, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, Vor § 116 Rn. 8. 260 RG 3.6.1921 – III 481/20, in: RGZ 102, 227, 229 f.; RG 20.12.1921 – II 323/21, in: RGZ 103, 312, 313. 261 BGH 14.2.1995 – XI ZR 65/94, in: NJW 1995, 1281, 1281; BGH 2.11.1995 – X ZR 135/93, in: NJW 1996, 919, 921 (im konkreten Fall ablehnend); BGH 4.4.1951 – II ZR 52/50, in: NJW 1951, 711, 711; a. A. zu BGH NJW 1951, 711: Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 86 f. (bloßer Schadensersatzanspruch). 262 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 85 ff.; ebenso OLG Stuttgart 16.2.2011 – 3 U 136/10, in: NJW-RR 2011, 1419, 1420.
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Ein Schweigen gegenüber einer Rechnung ist nicht mit jenem gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben vergleichbar und stellt grundsätzlich keine Zustimmung dar.263 Die Rechnung (fattura) dient nämlich, wie auch im italienischen Recht betont wird (oben § 3 II. 5. b) aa)), grundsätzlich nicht dazu, Vertragsänderungen zu bewirken.264 Anders kann es jedoch liegen, wenn beispielsweise in den Rechnungsvermerken bei einer dauernden Geschäftsbeziehung frühere Abreden wiederholt werden265 oder wenn dem Käufer Vergünstigungen gewährt werden266. Durch die Aufnahme in eine Rechnung und ein darauffolgendes Schweigen können auch Allgemeine Geschäftsbedingungen Geltung erlangen.267 Generell können diese in laufenden Geschäftsbeziehungen nämlich auch durch ein bloßes Schweigen in einen Vertrag einbezogen werden, wenn frühere Verträge immer zu den Geschäftsbedingungen einer Partei abgeschlossen wurden und diese unmissverständlich erklärt hat, dass sie nur zu ihren Bedingungen kontrahieren will.268 Dabei handelt es sich, anders als von einigen angenommen269, ebenfalls um einen Fall des Schweigens als Verpflichtungsgrund, nicht um eine bloße Auslegungsfrage, denn ob sich eine Vereinbarung auf eine bloße Nebenabrede bezieht oder den Hauptvertrag selbst, kann insoweit keinen Unterschied machen: In beiden Fällen ist das Schweigen Ursache einer Verpflichtung. Schließlich spielen auch Handelsbräuche für die Rechtswirkungen eines Schweigens gegenüber einer Rechnung eine Rolle: so wird ein Vermerk über die Verpackung als üblich angesehen, mit der Folge, dass ein Schweigen ihm gegenüber als Zustimmung gewertet wird.270 Ähnlich gilt auch das Schweigen auf die Schlussnote eines Handelsmäklers i. S. v. § 94 HGB als Zustimmung, da insoweit eine entsprechende Verkehrssitte bzw. ein Handelsbrauch bestehen soll.271 Auch außerhalb von Rechnungen können Allgemeine Geschäftsbedingungen wegen der fehlenden Geltung der Einbeziehungsregeln nach § 305 Abs. 2 und 3 BGB im unternehmerischen Verkehr insbesondere dann schon durch ein Schweigen zu Vertragsbestandteilen wer263 OLG Köln 15.5.1996 – 27 U 99/95, in: NJW-RR 1997, 182, 183; Baumbach/Hopt/Leyens, Handelsgesetzbuch, 40. Auflage 2021, § 346 Rn. 35; Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 229. 264 Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 230. 265 OLG Köln 15.5.1996 – 27 U 99/95, in: NJW-RR 1997, 182, 183. 266 RG 18.2.1919 – II 355/18, in: RGZ 95, 116, 120. 267 Vgl. Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 231. 268 BGH 28.5.1973 – VIII ZR 143/72, in: BeckRS 1973, 31125595. 269 So etwa Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 81 f.; Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 690. 270 Baumbach/Hopt/Leyens, Handelsgesetzbuch, 40. Auflage 2021, § 346 Rn. 35. 271 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 218 m. w. N.; Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 222.
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den, wenn sie branchenüblich sind (beispielsweise bei Banken, Versicherungen und Spediteuren).272 Die Rechtslage entspricht damit in Vielem der in Italien, weicht aber in Details ab. So wird im italienischen Recht weniger klar zwischen der conferma d’ordine (Auftragsbestätigung) und der lettera di conferma (Bestätigungsschreiben) unterschieden und sogar eine Gleichbehandlung beider Phänomene erwogen. Auch hinsichtlich des Schweigens auf eine Rechnung (fattura) bestehen Unterschiede: dabei fällt zunächst auf, dass die Problematik der fattura im italienischen Recht intensiver als im deutschen behandelt wird. Ein Grund hierfür dürfte sicherlich sein, dass das deutsche Recht sich wegen seiner dogmatischen Besonderheiten und praktischen Relevanz auf die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens konzentriert und außerhalb von diesem Rechtswirkungen des Schweigens nur im Einzelfall anerkennt. Zwar wird auch im italienischen Recht einzelfallabhängig geprüft, ob das Schweigen gegenüber einer Rechnung hinreichende Konkludenz aufweist, doch wurden zumindest zeitweise recht weitgehende Rechtsfolgen einer fattura anerkannt, die damit teils sogar in die Nähe eines Bestätigungsschreibens im deutschen Sinne rückte. Beiden Rechtsordnungen gemeinsam ist wiederum die Anerkennung der wesentlichen Rolle von Handelsbräuchen, bestehenden Geschäftsbeziehungen und des Grundsatzes von Treu und Glauben für die Interpretation eines Schweigens zwischen Kaufleuten. Auch wenn das Bedürfnis nach Schnelligkeit und Leichtigkeit sowie die Geschäftserfahrung der Beteiligten im Handelsverkehr die Annahme einer Zustimmung durch Schweigen schneller nahe legen, spricht nichts dagegen, den Grundgedanken der oben genannten Entscheidungen in das Bürgerliche Recht zu übertragen, wie dies auch im italienischen und deutschen Recht praktiziert wird (vgl. bereits oben § 3 II. 3. b) aa) und § 4 II. 3. b) aa)).273 Eine echte handelsrechtliche Besonderheit ist darin nämlich nicht zu sehen.
6. Schweigen als Willenserklärung? Auch wenn damit im deutschen Recht ebenso wie im italienischen insgesamt allgemein anerkannt ist, dass das Schweigen als zwar neutrale Handlung in bestimmten (Ausnahme-)fällen rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, werden in der deutschen Rechtswissenschaft noch stärker als in der italienischen, in der mittlerweile ganz überwiegend die Qualität des silenzio circostaziato als Willenserklärung anerkannt ist (oben § 3 II. 6.), verschiedene Auffassungen hinsichtlich der Frage vertreten, wie diese Rechtsfolgen dogmatisch zu begründen sind. Teilweise wird die Diskussion um die dogmatische Einordnung des Schweigens auch von vornherein als „dogmatisch unfruchtbare, reine 272 Ebenroth/Boujong/Joost/Fest, Handelsgesetzbuch, Band 2, 4. Auflage 2020, § 346 Rn. 44 m. w. N. 273 Vgl. so auch Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 6.
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Begriffsstreitigkeit“ abgetan.274 Dem steht freilich schon die jahrhundertelange Beschäftigung mit der Frage in verschiedenen Rechtsordnungen, wie hier beispielhaft der italienischen und deutschen Rechtswissenschaft, entgegen. Praktisch relevant ist die dogmatische Einordnung überdies insbesondere im Hinblick auf die gesondert zu behandelnde (§ 4 II. 10.) Frage, ob die Vorschriften über Willenserklärungen wie die Anfechtungsregeln auch auf ein Schweigen direkt oder zumindest entsprechend oder aber nur teilweise oder gar nicht anzuwenden sind. Es handelt sich bei den diskutierten Fällen vorrangig um solche, die üblicherweise im Gegensatz zum „normierten Schweigen“ als „beredtes Schweigen“ bezeichnet werden. Bisweilen verschwimmt allerdings, wenn auch wesentlich weniger stark als im italienischen Recht, welches die Frage nach der dogmatischen Begründung der Rechtsfolgen eines Schweigens exemplarisch vor allem anhand von Art. 1333 c. c. erörtert, in der Diskussion um die Rechtsgrundlagen ein wenig die Unterscheidung zwischen beredtem und normiertem Schweigen. Zunächst ist – wie auch im italienischen Recht vor allem in der Vergangenheit – bereits im Ausgangspunkt hinsichtlich des beredten Schweigens als möglicher Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung bzw. eines Erfüllungsanspruchs umstritten, ob die völlige Untätigkeit einer Person ebenso wie anderes menschliches Verhalten überhaupt geeignet ist, in Ausnahmefällen eine Willenserklärung darzustellen oder ob es sich um ein rechtliches nullum handelt, das schon gar nicht die Qualität einer echten Willenserklärung aufweisen kann. Spricht man zudem dem Schweigen die Qualität einer Willenserklärung generell oder in bestimmten Konstellationen ab, so steht man vor der Frage, wie seine Rechtsfolgen anderweitig zu erklären sind (unten § 4 II. 7.). Ordnet das Gesetz selbst die Erklärungswirkung des Schweigens in den Fällen des sog. normierten Schweigens an, so bleibt im deutschen Recht, ähnlich wie im italienischen, dennoch umstritten, ob die so fingierte Willenserklärung eine „echte“ rechtsgeschäftliche Willenserklärung ist oder die Rechtswirkungen auf anderen Gründen beruhen (§ 4 II. 9.).
a) Keine Willenserklärung bei beredtem Schweigen Nach einer Auffassung soll das Schweigen einer Person, jedenfalls außerhalb der gesetzlichen Fiktionen, überhaupt keine Willenserklärung darstellen können.275 Die Begründungsansätze, die hierzu vertreten werden, sind dabei im 274
So Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 89.2. Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 28; Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607 ff.; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220 ff.; Fabri275 So
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Ausgangspunkt relativ ähnlich und unterscheiden sich erst wesentlich hinsichtlich der dogmatischen Erklärungsversuche der Rechtsfolgen eines Schweigens. Von Bickel wird vorgebracht, dass eine rechtsgeschäftliche Erklärung durch Schweigen schon deshalb nicht denkbar ist, weil eine Willenserklärung ihrer Definition nach notwendigerweise die ausdrückliche oder konkludente „Bezeichnung“ einer Rechtsfolge voraussetzt.276 Wer schweigt, kann nach seiner Auffassung nach aber nichts bezeichnen, da das Bezeichnen notwendigerweise ein positives Handeln ist.277 Die vom Schweigenden vorzunehmende Bestimmung des Inhalts bzw. der Rechtsfolgen des Rechtsgeschäfts kann unmöglich durch bloßes Unterlassen geschehen.278 Das Schweigen stelle nämlich weder Ablehnung noch Zustimmung, sondern überhaupt keine Erklärung dar und zwar selbst bei Vorliegen von besonderen Umständen, die nach anderen Ansichten dazu führen, dass es zum Erklärungszeichen wird.279 Auch ein Verständnis des Begriffs der rechtsgeschäftlichen Erklärung in dem Sinne, dass auch das Schweigen davon umfasst ist, soll nach seinem Begründungsansatz ausgeschlossen sein, weil ansonsten einem bestimmten menschlichen Verhalten erst nachträglich durch einen Rechtsanwender wie einen Richter die Qualität einer rechtsgeschäftlichen Handlung schöpferisch zuerkannt wird und damit die Freiheit des Menschen, rechtsgeschäftlich zu handeln, von einer späteren juristischen Entscheidung abhängt.280 Fabricius ist sogar der Auffassung, dass sämtliche schlüssigen Verhaltensweisen schon gar keine echten Willenserklärungen seien und nur juristisch als solche gewertet würden.281 Hinsichtlich des Schweigens wendet er vermittelnd ein, dass ihm unter Abwesenden nie die Bedeutung einer Willenserklärung beigelegt werden kann, während dies unter Anwesenden zumindest noch, wenn auch als Grenzfall, denkbar ist.282 Während der für eine Willenserklärung erforderliche Rechtsfolgewille und das Erklärungsbewusstsein auch bei einem Schweigen vorliegen könnten, sei die Kundgabe gegenüber dem Adressaten sowie der Zugang bei einem schlichten Schweigen unter Abwesenden als „Gegenstück von einem privatautonomen, selbstschöpferischen Gestaltungsakt“ nämlich nicht denkbar; durch ein Nichtstun könne nichts gestaltet werden.283 Es widerspricht, so diese Ansicht, dem Freiheitsgedanken, jemanden cius, Stillschweigen als Willenserklärung, JuS 1966, 1 ff.; wohl auch Esser, Die letzte Glocke zum Geleit?, in: ZfRV 29 (1988), 167, 168. 276 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 607 u. 611. 277 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 607 u. 611. 278 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608. 279 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608. 280 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 607 u. 611. 281 Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 49, 58 m. w. N. 282 Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 1, 11 u. 49, 58. 283 Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 1, 11 u. 49, 58.
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aufgrund seines Schweigens zu verpflichten. Auch andere Autoren bestreiten, wenn auch nicht generell wie Bickel und Fabricius, so doch für einen weiten Anwendungsbereich, dass Schweigen eine Willenserklärung sein kann284: Mit ähnlicher Argumentationsweise wird etwa von Sonnenberger vorgebracht, dass das bloße Schweigen ohne weitere Zeichen aufgrund seiner Neutralität als Erklärungszeichen schlicht nicht als Willenserklärung geeignet ist; der bloße Entschluss der Person, der nach außen hin nicht zu Tage tritt, kann nämlich als rein „psychische Realität“ kein Erklärungszeichen ersetzen.285 Ebenso wendet Ebenroth gegen die Anerkennung eines Schweigens als echter Willenserklärung ein, dass es an einem anknüpfbaren Verhalten des Schweigenden und seinem nach außen in Erscheinung getretenen Willen oder überhaupt dem Bestehen eines solchen fehlt.286 Das Schweigen kann, so auch Hanau, schon deshalb keine Willenserklärung darstellen, weil es keine Aussage enthält und daher nur aus der Gesamtheit der Umstände auf den Willen des Schweigenden geschlossen werden kann.287 Eine solche Deutung sei mangels einer Äußerung ungleich zweifelhafter und unsicherer als bei der Auslegung von ausdrücklichen Willenserklärungen, und der Rechtsanwender könne dem Schweigen einer Person stets nur eine „gewisse Wahrscheinlichkeit des Willens“ entnehmen.288 Angesichts des Fehlens von objektiven Anhaltspunkten für den vermuteten Willen des Schweigenden bestehe zudem die erhebliche Gefahr, dass der Richter sein Ermessen in unkontrollierbarer Weise ausübe.289 Dem entspricht in Italien der vor allem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vertretene Ansatz der sog. negatività del silenzio (wörtl. Negativität des Schweigens). Die italienischen Autoren wandten sich mit nahezu den gleichen Argumenten wie ihre deutschen Kollegen gegen eine Qualifikation des Schweigens als Willenserklärung und sahen in ihm ein bloßes rechtliches nullum (oben § 3 II. 6. a)). 284 Vgl. Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 191; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 241 f.; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 214; auch Koller u. a./Roth, HGB, 9. Auflage 2019, § 346 Rn. 34 spricht davon, dass „Schweigen (idR) keine Willenserklärung ist“. 285 Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 214 m. w. N. auch zur italienischen Literatur. 286 Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161, 191. 287 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 241 f. 288 Vgl. Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 241 f. 289 So Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 213.
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b) Möglichkeit einer Willenserklärung bei beredtem Schweigen Auch nach gegenteiliger – und in Deutschland ebenso wie in Italien herrschender – Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur stellt das Schweigen im Grundsatz ebenfalls keine Willenserklärung dar. Derjenige, der schweigt, erklärt gar nichts, weder seine Zustimmung noch seine Ablehnung.290 Das Schweigen ist demnach im Privatrechtsverkehr im Ausgangspunkt ein rechtliches nullum.291 Anders als bei der vorgenannten Auffassung soll es aber in bestimmten Konstellationen Ausnahmen von diesem Grundsatz geben, in deren Fall das Schweigen ebenso wie eine Erklärung durch Worte einen Erklärungswert aufweist und damit als echte (konkludente) Willenserklärung einzuordnen ist.292 Das Schweigen kann nach dieser Ansicht nämlich – wenn auch nur unter bestimmten Voraussetzungen, die ihm seine Konkludenz verleihen – ebenso wie anderes menschliches Verhalten Ausdruck eines Willensentschlusses und damit ein Erklärungsmittel sein.293 Die Verpflichtung komme bei einem solchen schlüssigen Schweigen dann zwar ohne „Erklärung“ im engeren Sinne, aber doch rechtsgeschäftlich zustande.294 Freilich soll, anders als bei Worten, die grundsätzlich von sich aus Erklärungszeichen sind, das Hinzutreten besonderer Umstände erforderlich sein, die das bloße Schweigen erst zum Erklärungszeichen machen.295 Vereinbaren die Parteien das Schweigen schließlich gar explizit als Erklärungszeichen, ist nach einer Ansicht darin sogar eine ausdrückliche und nicht nur eine konkludente Willenserklärung zu sehen.296 Insgesamt ist Schweigen nach dieser Auffassung also zwar grundsätzlich keine rechtsgeschäftliche Erklärung, kann aber bei Vorliegen bestimmter besonderer Umstände zu einer wirklichen Willenserklärung in Gestalt eines konkludenten Verhaltens werden. 290 Vgl. nur Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 52; Präve, Schweigen als Zustimmung?, r+s 1998, 441, 441; letzteres ist strittig, siehe bereits § 4 I. 291 Fischinger, Grundfälle zur Bedeutung des Schweigens im Rechtsverkehr – Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? (Teil 1), in: JuS 2015, 294, 294. 292 Statt vieler Entscheidungen in der Rechtsprechung RG 23.11.1926 – VI 390/26, in: RGZ 115, 266, 268 und BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629, 3631; in der Literatur statt vieler Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 53; Wertenbruch, BGB Allgemeiner Teil, 4. Auflage 2017, § 10 Rn. 64; ebenso grundlegend Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, passim. 293 So etwa Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, 77, 79; Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 1. (S. 62) und § 5 2.b) (S.64); Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 25; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 238; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 53 ff. 294 Vgl. Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 132. 295 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 2.b) (S. 65). 296 Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 8; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 238; Bamberger/Roth/Wendtland, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 133 Rn. 10.
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Dies entspricht der in Italien ganz herrschenden Auffassung zum silenzio circostanziato; dort ist dies sogar schon länger anerkannt und noch weniger umstritten.
c) Rolle des Erklärungsbewusstseins Umstritten sind aber die Voraussetzungen, unter denen das Schweigen seiner Rechtsnatur nach eine Willenserklärung sein kann. Der Streit berührt die grundsätzliche Frage, wie der Tatbestand einer Willenserklärung zu definieren ist und inwieweit der wirkliche Wille gegenüber dem Erklärten zurücktritt.297 So wird von der wohl herrschenden Meinung vertreten, dass das Schweigen, ebenso wie andere Äußerungen und Verhaltensweisen, eine Willenserklärung unabhängig davon ist, ob der Schweigende über Erklärungsbewusstsein verfüg oder nicht; der Erklärende hat also das Erklärungsrisiko zu tragen.298 Allerdings sei es erforderlich, die Begleitumstände vom Empfängerhorizont aus nach Treu und Glauben hinreichend auf einen tatsächlichen Bindungswillen des Schweigenden hin zu untersuchen, um nicht vorschnell eine Konkludenz des Verhaltens zu bejahen.299 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes setzt eine Willens- bzw. Annahmeerklärung durch Schweigen im Grundsatz das Bewusstsein seitens des Schweigenden voraus, dass eine rechtsgeschäftliche Erklärung wenigstens möglicherweise noch erforderlich ist, um den Vertrag zustande zu bringen.300 Im Ausnahmefall soll aber dennoch zum Schutz des Rechtsverkehrs eine Zurechnung möglich sein, nämlich, wenn der sich missverständlich Verhaltende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung bzw. sein Verhalten nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und der Empfänger es auch tatsächlich so verstanden hat.301 Fehlendes Erklärungsbewusstsein stehe, so der Bundesgerichtshof, der Annahme einer Willenserklärung nicht entgegen, wenn diese aus einem schlüssigen Verhalten gefolgert wird; es sei ausreichend, dass der Erklärende die Bedeutung seines Verhaltens fahrlässig verkannt habe und der Empfänger es tatsächlich als Willenserklärung verstanden habe.302 Schon das Reichsgericht entschied, dass ein Schwei297
Dazu etwa S. Lorenz, Der Schutz vor dem ungewollten Vertrag, 1997, S. 213 ff. Säcker/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor 116 Rn. 8; S. Lorenz, Der Schutz vor dem ungewollten Vertrag, 1997, S. 216 ff. 299 Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor 116 Rn. 8. 300 BGH 10.5.1968 – V ZR 221/64, in: BeckRS 1968, 31172089 und BGH 11.6.2010 – V ZR 85/09, in: NJW 2010, 2873; eingehend und kritisch zu der uneinheitlichen Rechtsprechung Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 134 ff. sowie speziell zur Genehmigung durch Schweigen Philipowski, Schweigen als Genehmigung, in BB 1964, 1069. 301 BGH 7.6.1984 – IX ZR 66/83, in: NJW 1984, 2279 (mit ablehnender Anmerkung von Canaris). 302 BGH Beschluß vom 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629, 3630 f.; ebenso be298 Vgl.
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gen eine Vertragsannahme selbst dann darstellen könne, wenn der Schweigende gar nicht um das Vertragsangebot gewusst habe.303 Nach der u. a. von Canaris vertretenen Gegenauffassung soll das Schweigen nur insofern konkludentes Zeichen einer Willenserklärung sein und damit auch die Grundlage einer (Erfüllungs-)Verpflichtung bilden, als der Schweigende tatsächlich über ein Erklärungsbewusstsein verfügt, was freilich vermutet wird.304 Wisse er hingegen nicht, dass er mit seinem Verhalten den Anschein einer rechtsgeschäftlichen Erklärung setzt, so sei nur der objektive, nicht aber der subjektive Tatbestand einer Willenserklärung erfüllt, sodass letztlich nur eine Vertrauenshaftung (dazu § 4 II. 7. c)) oder anderweitige Begründung der Rechtsfolgen in Betracht komme, aber keine Gleichstellung des nicht von einem Erklärungsbewusstsein des Schweigenden getragenen Verhaltens mit einer echten Willenserklärung.305 Nach einer weiteren, vor allem von Flume vertretenen Auffassung verleiht ebenfalls erst das Erklärungsbewusstsein dem Schweigen die Eigenschaft einer Erklärungshandlung; ohne dessen Vorliegen stelle es keine solche dar.306 Die Zustimmungswirkung des Schweigens rechtfertige sich nur vor dem Hintergrund der Annahme, dass der Schweigende sein Verhalten bewusst und final dazu einsetze, dass es vom Empfänger als Zustimmung verstanden werde.307 Allerdings soll das Erklärungsbewusstsein im Unterschied zu der zuvor genannten Ansicht nur bei schlüssigen – sei es durch konkludente Handlungen, sei es durch Schweigen erzeugte – Erklärungen, nicht aber bei „normalen“ Willenserklärungen erforderlich sein.308 Das Vertrauen des Gegenübers auf ein nur schlüssiges Verhalten verdiene nämlich grundsätzlich nicht den gleichen Schutz wie das auf eine ausdrückliche Erklärung.309 Zu unterscheiden ist demnach zwischen einer Willensäußerung als final auf eine rechtsgeschäftliche Gestaltung gerichteter Handlung und einer völligen Untätigkeit als bloßem rechtlich relevanten Verhalten, welches zwar rechtliche Konsequenzen haben kann, aber nicht einer Willenserklärung gleichgestellt ist.310 Letztlich ist damit also auch bei der Beantwortung der Frage, in welchen Fällen ein Schweigen eine Willenserklärung sein kann, die grundlegende Entreits BGH 29.11.1994 – XI ZR 175/93, in: NJW 1995, 953; BGH 2.11.1989 – IX ZR 197/88, in: NJW 1990, 454, 456. 303 RG 20.1.1922 – II 360/21, in: RGZ 103, 401, 405. 304 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 98. 305 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 80; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144, Rn. 78; vgl. auch Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, S. 77 f. m. w. N. 306 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 2.c) (S. 66). 307 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 2.c) (S. 66). 308 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 4. (S. 72 ff.). 309 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 22 2. (S. 450). 310 Vgl. Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 2.d) (S. 66 f.) § 10 1. (S. 114 ff.) und Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 25 ff.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
scheidung ausschlaggebend, ob man das Erklärungsbewusstsein einer Person als konstitutives Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung ansieht311 oder dies, wie die herrschende Auffassung, ablehnt312. Da eine ausführliche Darstellung dieser allgemeinen und seit langem umstrittenen Problematik – man denke nur an den berühmten und über hundert Jahre alten Lehrbuchfall der „Trierer Weinversteigerung“313 – den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde, wird der Meinungsstreit nur knapp im Rahmen der Stellungnahme zur dogmatischen Begründung der Rechtsfolgen eines Schweigens entschieden, wobei insbesondere die italienische Herangehensweise an die Problematik einbezogen wird.
7. Weitere dogmatische Begründungen der Rechtsfolgen Gegenstand weiterer Diskussion im deutschen Zivilrecht ist, wie sich die allgemein anerkannten rechtlichen Folgen eines Schweigens dogmatisch verankern lassen, wenn man ihm, wie einige der eben skizzierten Ansichten überhaupt nicht oder zumindest nicht generell und nur in besonderen Konstellationen die Qualität einer Willenserklärung zusprechen will. Auch innerhalb der Auffassung, die dem Schweigen in keinem Fall die Qualität einer Willenserklärung zuerkennt, ist nämlich allgemein anerkannt, dass den Schweigenden in bestimmten Konstellationen rechtliche Konsequenzen treffen können und er einem Erfüllungsanspruch aus einem Vertrag ausgesetzt sein kann. Ebenso stellt sich für diejenigen, die das Erklärungsbewusstsein als konstitutiv ansehen, die Frage, wie und ob eine Erfüllungspflicht bzw. Vertragsbindung in den Fällen, in denen es nach ihrer Ansicht wegen des fehlenden Erklärungsbewusstseins an einer Willenserklärung fehlt, dogmatisch zu begründen ist. Der bereits zitierte, von A. Benedetti zu Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. ausge sprochene Satz314, dass bei juristischen Begründungsansätzen nichts neu geschaffen werde, sondern alles wiederkehre, scheint auch bei einem rechtsvergleichenden Blick auf die italienischen und deutschen Lösungen zur dogmatischen Verankerung der verpflichtenden Wirkungen eines Schweigen weitgehend zuzutreffen: Die bereits aus dem italienischen Recht bekannten Argumentationslinien zur dogmatischen Verankerung der Rechtsfolgen eines nicht als konkludente Willenserklärung verstandenen Schweigens (oben § 3 II. 7.) begegnen auch in der deutschen Rechtsdogmatik wieder. Da im italienischen Recht aller311 So etwa Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 78; für die Notwendigkeit eines „Partizipationswillens“ (die Bezeichnung „Erklärungsbewusstsein“ wird abgelehnt) auch Neuner, Was ist eine Willenserklärung?, in: JuS 2007, 881, 886 f. 312 Vgl. nur BGH 7.6.1984 – IX ZR 66/83, in: NJW 1984, 2279, 2279 f.; BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629, 3630 f.; BGH 30.10.2013 – V ZB 9/13, in: BeckRS 2013, 20959; S. Lorenz, Der Schutz vor dem ungewollten Vertrag, 1997, S. 226. 313 Isay, Die Willenserklärung im Tatbestande des Rechtsgeschäfts, 1899, S. 25 f. 314 A. Benedetti, Autonomia privata procedimentale, 2002, S. 89: „[…] se ne ricava l’impressione di una sorta ‚eterno ritorno‘; nell’universo delle costruzioni ermeneutiche, nulla si crea e nulla si distrugge, ma, appunto, tutto ‚ritorna‘. […]“; s. bereits § 2. III. 2. b).
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dings von der ganz herrschenden Auffassung schon seit längerem die grundsätzliche Geeignetheit des Schweigens, im Einzelfall eine Willenserklärung darstellen zu können, anerkannt ist, bestehen etwas weniger dogmatische „Alternativlösungen“ zur Erklärung der Rechtswirkungen als im deutschen Recht. Nicht alle deutschen Überlegungen zur dogmatischen Begründung der Rechtsfolgen eines Schweigens haben daher ein italienisches Pendant. Umso überraschender ist, dass im deutschen Recht der von Sacco vertretene, originelle Ansatz, dass die Fälle des Schweigens über den Verzicht auf eine Annahmeerklärung bzw. einen einseitigen Vertrag (contratto unilaterale) zu erklären seien (oben § 3 II. 7. b)), bislang kaum Beachtung gefunden hat. Auch die – freilich vorwiegend zu Art. 1333 c. c. vertretene – Erklärung über ein einseitiges Rechtsgeschäft (negozio unilaterale) findet sich im deutschen Recht nicht in dieser Form wieder. Die übrigen, vor allem in der Vergangenheit vertretenen Lösungsansätze in Italien weisen dagegen große Parallelen zu den von der deutschen Rechtswissenschaft entwickelten Erklärungsversuchen auf, was sich auch in häufigen Zitaten dieser niederschlägt.
a) Lösung über Vertragsabschlussmechanismen Zunächst wird auch von Teilen der deutschen Literatur eine Lösung der Problematik über die Vertragsabschlussmechanismen gesucht, ohne dabei auf eine Willenserklärung durch Schweigen zu rekurrieren: So sind nach Auffassung von Bickel rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen selbst aufgrund einer Parteivereinbarung nicht denkbar: Die vermeintliche Vereinbarung, wonach das Schweigen Erklärungszeichen sein soll, ist entweder als rechtsgeschäftliche Festlegung eines Tatbestandes anzusehen, auf Grund dessen die vereinbarten Rechtswirkungen zwischen den Beteiligten eintreten oder als antizipierte Annahme eines Angebots unter der Bedingung, dass kein Widerruf innerhalb einer bestimmten Frist erfolgt.315 Im ersten Fall weist das Schweigen schon gar nicht den Charakter einer rechtsgeschäftlichen Erklärung auf, sondern die Untätigkeit ist nur das Element eines von den Parteien vereinbarten Tatbestandes, was etwa auch bei einer entsprechenden Satzungsregelung zur zustimmenden Wirkung eines Schweigens bei der Beschlussfassung einer Versammlung gelten soll.316 Solche Fälle sind, so Bickel, terminologisch unter die Begriffe der „rechtsgeschäftlich fingierten Willenserklärung“ oder des „rechtsgeschäftlich normierten Schweigens“ zu fassen.317 Im zweiten Fall liegt dagegen keine Vereinbarung über die Bedeutung des Schweigens als Erklärungszeichen vor, sondern der fehlende Widerruf der antizipierten Annahme innerhalb einer gewissen 315 316
Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608. Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608
u. 610. 317 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
Frist stellt lediglich die Bedingung für den unwiderruflichen Vertragsschluss dar.318 Auch weitere Fallkonstellationen lassen sich demnach lösen, ohne dass das Schweigen zu einer echten Willenserklärung wird: So kann beispielsweise bei Parteien, die in einer Geschäftsverbindung zueinander stehen, eine konkludente Vereinbarung des Schweigens als Erklärungszeichen oder aber ein Vertragsschluss unter Verzicht auf eine Annahmeerklärung nach § 151 BGB vorliegen.319 Bei vielen Fällen des beredten Schweigens handelt es sich auch nach Auffassung von Sonnenberger damit gar nicht um eine Problematik, die in der Diskussion um die Bedeutung des Schweigens zu verorten ist. Vielmehr folgt die rechtsgeschäftliche Bindung schon aus einem vorausliegenden Verhalten des Schweigenden wie der Vereinbarung zwischen Vertragsparteien über die Wirkungen eines Schweigens oder dem Einverständnis mit den Abstimmungsmodalitäten einer Satzung durch Vereinsbeitritt, nicht aber daraus, dass das Schweigen an sich eine echte Willenserklärung ist.320 Kuchinke nimmt sogar an, dass im Falle des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ein einseitiges Rechtsgeschäft vorliegt, das bereits ab dem Zeitpunkt des Zuganges Wirkung entfaltet und einen Vertrag umgestaltet oder begründet.321 Anknüpfungspunkt für die Rechtswirkungen ist demnach nicht das Schweigen an sich. Vielmehr bestehen die aufgrund der einseitigen Erklärung bereits eingetretenen Folgen fort, wenn der Schweigende nicht seiner Obliegenheit zum Widerspruch nachkommt.322 Auch bei Flume und Hopt findet sich der Gedanke, dass insbesondere im Rahmen von § 362 HGB, wohl aber auch über die Norm hinaus, ausnahmsweise eine einseitige Erklärung in Verbindung mit der Unterlassung einer Antwort für die Begründung eines Vertragsverhältnisses ausreichen kann.323 In der italienischen Literatur klingt die letztgenannte Lösung bei Sacco an: Dieser befürwortet, entsprechend seines Ansatzes zu Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c., beispielsweise auch ein Verständnis des § 516 Abs. 2 BGB als einseitigen Vertrag.324 Soweit Sacco freilich argumentiert, das deutsche Recht kenne aufgrund von § 151 BGB einen einseitigen Vertragsschluss bei einem Vertrag zu Lasten des Anbietenden („unilateralità nella formazione del contratto con prestazioni a carico del solo proponente“)325 ist zu erwidern, dass – was Sacco 318
Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 1972, 607, 608. 1972, 607, 609.
319 Bickel, Rechtsgeschäftliche Erklärungen durch Schweigen?, in: NJW 320 Vgl. Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 208 f. 321 322
Kuchinke, Zur Dogmatik des Bestätigungsschreibens, in: JZ 1965, 167, 170. Kuchinke, Zur Dogmatik des Bestätigungsschreibens, in: JZ 1965, 167, 170. 323 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 120); Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 614 sowie 616 („[…] parallele Diskrepanzen wie zu § 362 HGB […]“). 324 Sacco/Rossi, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage 2017, S. 100 ff. 325 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 256.
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auch selbst erwähnt – § 151 BGB nach richtiger Auffassung nur den Zugang, nicht aber die Annahme selbst entbehrlich macht. Von einem Verzicht auf die Annahme bzw. die Bilateralität des Vertragsschlusses, wie er sie in Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. (oben § 3 II. 7. b)), aber auch § 516 Abs. 2 BGB sehen will, kann daher nicht gesprochen werden. Sacco, der von einem gänzlichen Verzicht auf das Einverständnis des Schweigenden spricht, geht auch deutlich weiter als der erstgenannte deutschen Ansatz, der nur eine vorausliegende Vereinbarung über die Wirkungen eines Schweigens annehmen will, nicht aber von einer so weitgehenden Vereinfachung des Vertragsabschlussprozesses ausgeht, dass gar keine Annahme mehr erforderlich ist und ein Vertrag damit durch eine einseitige Erklärung zustande kommen kann. Noch weiter führen den Gedanken der einseitigen Begründung von rechtlichen Folgen schließlich diejenigen Stimmen in der italienischen Literatur fort, die das Schweigen ganz aus dem vertraglichen Kontext herauslösen und in den Fällen eines Schweigens nur noch ein einseitiges Rechtsgeschäft oder Versprechen (negozio unilaterale bzw. promessa unilaterale) der anderen Seite sehen wollen.
b) Lösung über Obliegenheiten Nach einer weiteren Auffassung wird nach dem Grundsatz „qui tacet, consentire videtur, ubi loqui debuit atque potuit“ auf die Verletzung der Obliegenheit, sich zu erklären, als Grundlage der Erklärungswirkung eines Schweigens abgestellt.326 Das Unterlassen des erforderlichen Widerspruchs seitens des Schweigenden wird mit der Erklärungswirkung seines Verhaltens und einem daraus entstehenden Rechtsverhältnis sanktioniert, ohne dass das Schweigen jedoch selbst zur Willenserklärung wird.327 Der Satzteil „ubi loqui debuit“ hat demzufolge nicht nur Indizcharakter für die Ermittlung des Willens, sondern begründet eine selbständige Erklärungsobliegenheit des Schweigenden, welche Rechtsfolgen nach sich zieht.328 Den Obliegenheiten lägen ebenso wie den rechtlichen Pflichten Handlungsgebote zugrunde; es bestehe zwar keine Pflicht zur obliegenheitsgemäßen Handlung, doch sei es widersprüchlich, sie zunächst zu unterlassen und dann einen damit unvereinbaren Standpunkt einzunehmen.329 Obliegen326 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 241 ff. 327 Vgl. Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 8 m. w. N.; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 242; ähnlich auch Kuchinke, Zur Dogmatik des Bestätigungsschreibens, in: JZ 1965, 167, 174, der jedoch im Bestätigungsschreiben bereits ein einseitiges Rechtsgeschäft sieht, dessen Wirkungen infolge der Obliegenheitsverletzung fortbestehen. 328 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 237. 329 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
heiten sollen nach dieser Auffassung keine im Vergleich zu einer Pflichtverletzung mindere Sanktionen nach sich ziehen, sondern solche anderer Art, welche auch zur Entstehung eines Vertragsverhältnisses führen können.330 Neue Obliegenheiten, sich zu erklären, könnten vom Gesetz, der Verkehrssitte oder der Rechtsprechung im Interesse anderer aufgestellt werden und seien wandelbar, sodass keine Notwendigkeit mehr bestehe, zwischen fingierten und echten Erklärungen bzw. den gesetzlich geregelten Fällen eines Schweigens und solchen, die auf der Verkehrssitte oder dem einzelfallabhängigen Urteil eines Richters beruhten, zu unterscheiden.331 Dem entspricht der auch im italienischen Recht vertretene Ansatz (oben § 3 II. 7. c)), die vertragsbegründenden Wirkungen des Schweigens über eine Pflicht (obbligo) oder Obliegenheit (onere) zum Sprechen zu erklären. Dabei unterscheiden die italienischen Autoren weniger stark als die deutschen zwischen rechtlicher Pflicht und bloßer Obliegenheit. Gemeinsam ist den Auffassungen, die auf die Widerspruchspflicht oder -obliegenheit abstellen in beiden Rechtsordnungen aber der Sanktionsgedanke als Grundlage der vertraglichen Verpflichtung des Schweigenden.
c) Lösung über Treu und Glauben und Vertrauensschutz Nach einem insbesondere von Canaris vertretenen Ansatz soll außerhalb der Fälle, in denen eine konkludente Willenserklärung mit Erklärungsbewusstsein vorliegt, im Grundsatz nur eine – gegebenenfalls nach § 254 BGB anzupassende – Schadensersatzhaftung aufgrund der Verletzung einer Widerspruchspflicht, aber keine Erfüllungshaftung bestehen.332 Aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit sei jedoch insbesondere im kaufmännischen Geschäftsverkehr unter bestimmten Umständen auch eine Erfüllungspflicht anzunehmen, die mit einer aus Treu und Glauben folgenden Vertrauenshaftung des Schweigenden zu begründen sei.333 Die Vertrauenshaftung ist nach dieser Auffassung als dogmatisch selbständiges Zurechnungsprinzip in der Lage, auch ohne Vorliegen eines Geschäftswillens Rechtsfolgen Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 239. 330 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 244. 331 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 246. 332 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 85 f. und 98 f.; vgl. auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 224. 333 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 87 ff.; für eine Vertrauenshaftung beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben auch von Dücker, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: BB 1996, 3, 3 f.
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herbeizuführen, die jenen von Willenserklärungen gleichstehen.334 Setze der Schweigende wie im Fall einer Duldungsvollmacht durch sein Verhalten wissentlich den Schein seiner Zustimmung, so lasse sich eine Rechtsscheinhaftung begründen; eine echte oder normierte Willenserklärung liege dagegen nicht vor.335 Freilich bedarf die Begründung einer Erfüllungshaftung aufgrund Rechtsscheins in praktisch wichtigen Fällen wie denen eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens aufgrund der Unbewusstheit des Schweigens einer Ergänzung um Gesichtspunkte der Verkehrssitte und des kaufmännischen Betriebsrisikos, sodass insoweit von einer Rechtsscheinhaftung kraft verkehrsmäßig typisierten Verhaltens bzw. kraft kaufmännischen Betriebsrisikos gesprochen wird.336 Schließlich scheitert eine rechtsgeschäftliche Erklärung dort, wo die Wirkung des Schweigens erst rückwirkend infolge des Verstreichens einer Zeitspanne eintritt, weshalb auf das auf Treu und Glauben basierende Rechtsinstitut der „Erwirkung“ zurückgegriffen wird.337 Entscheidende Kriterien für das Eingreifen dieser Rechtsfigur, die das Gegenstück zur Verwirkung bilden soll, seien die Länge der seit dem Schweigen verstrichenen Zeit, die Zurechenbarkeit an den Schweigenden, das Vertrauen der Gegenseite darauf und ihre hierdurch veranlasste Disposition bzw. die Wahrscheinlichkeit einer solchen.338 Auch im italienischen Recht stößt man – insbesondere auch im Bereich der vollmachtlosen Vertretung – auf den Rechtsschein ( principio dell’apparenza) und den Vertrauensschutz (affidamento) als Gesichtspunkte, welche die verpflichtenden Wirkungen eines Schweigens im Interesse des Rechtsverkehres aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben ( principio di buona fede) auch dann rechtfertigen sollen, wenn keine Willenserklärung bejaht wird (oben § 3 II. 7. d)). Bei Patti findet sich sogar in Gestalt der auf Treu und Glauben basierenden Duldung (tolleranza) mit positiven Rechtswirkungen eine Entsprechung zu Canaris’ Erwirkung infolge eines Schweigens.
d) Lösung über Handelsbräuche und Verkehrssitten Eine weitere Auffassung befürwortet insbesondere für den Bereich des Handelsrechts eine Erklärung der Rechtsfolgen des beredten Schweigens über das 334 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht. 1971, S. 412 ff.; Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978) 161, 194. 335 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 87 ff. und 97; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 144. 336 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 87 ff. 337 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 97 ff.; zustimmend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 253. 338 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 99.
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Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauches bzw. für den Bereich des bürgerlichen Rechts eine Begründung über die Verkehrssitten.339 Auch Canaris greift, wie eben gesehen, teilweise hierauf zurück. Auch eine Verkehrssitte oder die Verkehrsauffassung, und nicht nur eine gesetzliche Regelung, sind demnach in der Lage, die Wirkungen bestimmter Erklärungsakte festzulegen, sodass keine stillschweigende Willenserklärung anzunehmen ist, vielmehr ein typisierter Erklärungsakt mit normierter Wirkung.340 So soll beispielsweise der Geltungsgrund von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gegenüber denen der Vertragspartner geschwiegen hat – wenn auch freilich nur in Ausnahmefällen und soweit keine andere Erklärung, etwa über eine konkludente Vereinbarung oder Auslegung möglich ist – in einem Handelsbrauch oder in zu Gewohnheitsrecht erstarkten verkehrsüblichen Bedingungen zu suchen sein.341 Auch das kaufmännische Bestätigungsschreiben und das Schweigen eines Kaufmanns auf das Vertragsangebot eines anderen Kaufmannes stellen demnach einen Fall verkehrsmäßiger Typisierung dar.342 Auch dem italienischen Recht war in der Vergangenheit ein Rückgriff auf kaufmännische Gebräuche (usi commerciali) und Verkehrssitten zur Rechtfertigung der verpflichtenden Wirkungen eines Schweigens nicht unbekannt (oben § 3 II. 7. d)).
e) Die Lehre von den faktischen Verträgen und das „private Sozialrecht“ als Begründung der Wirkung eines Schweigens Zur Begründung, dass über den individuellen Willen desjenigen, der sich untätig verhält hinweggegangen wird, werden schließlich auch die Interessen der Gesellschaft und Sozialordnung an einem funktionierenden Rechtsverkehr angeführt: Teilweise wurde insoweit in der Vergangenheit die Lehre von den faktischen Verträgen bzw. das sozialtypische Verhalten herangezogen.343 Ähnlich wie bei den Schuldverhältnissen aus sozialtypischem Verhalten werde nämlich durch das Schweigen ein Vertrag ohne wirklichen Vertragsschluss begründet, wenn auch die Untätigkeit in den meisten Fällen als Willenserklärung gedeu339 Vgl.
Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 128. Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 128; Manigk, Irrtum und Auslegung, 1918, S. 274. 341 So Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 168 ff., 199; a. A. insoweit Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 81 („reines Auslegungsproblem“). 342 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 291 f.; Manigk, Irrtum und Auslegung, 1918, S. 274. 343 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band 1, 7. Auflage 1964, § 4 II (S. 33 ff.) § 6 I (S. 68); vgl. ebenso (wenn auch letztlich ablehnend) Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, in: AcP 165 (1965), 285 ff., 327 f.; und (ablehnend) zur Problematik Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 90 ff. 340
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tet werden könne.344 Von einigen Autoren wurde des Weiteren eine Lösung für den Umgang mit dem beredten Schweigen im Rechtsverkehr im sogenannten „privaten“ oder „zivilrechtlichen Sozialrecht“ gesucht345, sei es nun, weil es generell keine Willenserklärung sein könne346 oder weil es im konkreten Fall als reine Passivität keine sei347. Diese Rechtsfigur soll als weiterer Verpflichtungsgrund eine Zwischenstellung zwischen den Kategorien des Rechtsgeschäfts und des Delikts einnehmen und in der Auferlegung von privatrechtlichen Pflichten aus öffentlichem Interesse bestehen.348 Unter dem privaten Sozialrecht wird die Erwartung der Gemeinschaft verstanden, dass sich der Einzelne verkehrsgerecht bzw. sozialverträglich verhält; die Nichtbeachtung dieser im Gemeinschaftsinteresse auferlegten Verhaltenspflichten kann zu Sanktionen wie der Begründung vertraglicher Pflichten führen.349 Schuldverhältnisse könnten auf diese Weise entstehen, wenn sie vor dem Hintergrund der „Aufrechterhaltung eines ungestörten Gefüges der Gesellschaft und des Miteinanderlebens der Rechtsgenossen nötig“ seien für die Verteilung von Risiken und zur Vermeidung oder Aufteilung von Schäden.350 Dabei werden Parallelen zu Rechtsinstituten wie insbesondere dem Kontrahierungszwang, aber auch der Geschäftsführung ohne Auftrag gezogen.351 Eng damit verwandt ist auch der Ansatz, eine Haftung aufgrund der „gesteigerten sozialen Verantwortung für missverständliches Verhalten in Rechtsverhältnissen“ zur Begründung der Rechtsfolgen heranzuziehen.352 Freilich handelt es sich dabei ausdrücklich nur um den Versuch, unterschiedliche Tatbestände, wie neben der rechtlichen Bewertung eines Schweigens auch kartellrechtliche Problematiken und Allgemeine Geschäftsbedingungen, unter einen neuen Begriff zu fassen.353 In Italien findet sich keine direkte Entsprechung zu diesem Ansatz: nur vereinzelt wird vertreten, dass scambi di massa (Massenverträge) ohne eine Einigung bzw. den Austausch von Willenserklärungen zu Stande kämen (oben § 3 II. 7. b)).354 Dies und auch die deutschen Ansätze zum faktischen Vertrag 344
Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band 1, 7. Auflage 1964, § 6 I (S. 68). Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 49, 58 ff.; für das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben und die modifizierte oder verspätete Annahme auch: Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 28 ff., 290. 346 So Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 49, 58. 347 So Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 25. 348 Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 28. 349 Vgl. Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 49, 58. 350 Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 28. 351 Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 45 f., 99 ff., 236 ff., 290, der jedoch faktische Vertragsschlüsse bzw. Verträge auf Grundlage sozialtypischen Verhaltens bei einem Schweigen mangels der Feststellbarkeit eines schlüssigen Verhaltens ablehnt (S. 94 ff., 229). 352 Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 1972, S. 483 ff., vgl. auch S. 511. 353 Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 49, 60. 354 Irti, Scambi senza accordo, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 347, 360. 345
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werden jedoch in der italienischen Literatur sehr kritisch rezipiert und überwiegend als nicht überzeugend abgelehnt.355
8. Stellungnahme: Beredtes Schweigen als Willenserklärung a) Ablehnung der dogmatischen Begründungsansätze außerhalb der Willenserklärungen Zuzugestehen ist den eben beschriebenen Ansichten, dass man sich im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und normativ auferlegten Rechtspflichten bewegt, wenn man der bloßen Untätigkeit einer Person – wenn auch nur unter bestimmten Umständen – Rechtsfolgen beilegt. Dem sich gänzlich passiv verhaltenden Einzelnen werden so nämlich im Interesse des Verkehrsschutzes bzw. seines Gegenübers unter Umständen (Erfüllungs-)pflichten auferlegt, die er möglicherweise nicht beabsichtigte. Die Entscheidung über die Bedeutung eines Schweigens im Privatrecht wirft die Frage nach dem Inhalt und der Reichweite von durch Willenserklärungen privatautonom ausgestalteten Rechtsverhältnissen einerseits und dem Schutz des Rechtsverkehrs durch Eingreifen der Rechtsordnung andererseits auf. Zwar mag man dem zur Unzeit Untätigen seine „verkehrswidrige Passivität“356 vorwerfen, doch wird dieser sich, anders als bei einem aktiven konkludenten Verhalten, regelmäßig gar nicht der Wirkung seines Verhaltens bewusst sein und ist daher schutzbedürftig. Andererseits erscheint es aber auch unbillig, sein Gegenüber, das im guten Glauben seine Schlüsse aus dem Schweigen zieht und vielleicht gar Dispositionen trifft, schutzlos zu stellen, indem man auf einer ausdrücklichen oder doch zumindest durch ein positiv feststellbares Verhalten und keine bloße Untätigkeit kundgetanen Willensäußerung beharrt. Zweifellos spielen also Vertrauensschutzgesichtspunkte eine zentrale Rolle bei der Erklärung und Rechtfertigung der Rechtsfolgen eines Schweigens als Verpflichtungsgrund im Privatrecht. Dies zeigt auch der Blick nach Italien, wo sich die Auffassung, die das Schweigen – freilich nur unter bestimmten Umständen – als echte Willenserklärung ansieht, noch deutlicher als in Deutschland durchgesetzt hat: Dort wurden auch die bislang divergierenden Ansätze mittlerweile einer versöhnlicheren und vor allem dogmatisch befriedigenden Lösung zugeführt: Pflichten, Obliegenheiten, Verkehrssitten und Treu und Glauben sind Umstände (circostanze), die zwar für die Beurteilung, ob – und wenn ja, welche – Bedeutung das Schweigen im konkreten Einzelfall 355 Bianca, Diritto civile, Band 3 (Il contratto), 2. Auflage 2000, S. 39 ff.; Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, 75 ff., 210 f.; vgl. auch Garofalo, Le regole costitutive del contratto, 2018, S. 194 f. (Fn. 94); vgl. andererseits aber die Behandlung der faktischen Verträge bei Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1193 f. 356 So bezeichnet bei v. Hippel, Zur Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung, 1930, S. 8.
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hat, heranzuziehen sind, die aber nicht selbst die dogmatische Ursache der Verpflichtungswirkung sein können. Allen Ansätzen, die versuchen, der Problematik des beredten Schweigens auf anderer Weise als durch eine Zuordnung zu den Willenserklärungen und damit eine Integration in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre zu begegnen, lassen sich – ebenso wie im italienischen Recht – mehr oder minder gewichtige Argumente entgegenhalten357:
aa) Keine Lösung über Vertragsabschlussmechanismen für alle Fälle des Schweigens Auch wenn es auf den ersten Blick elegant erscheint, die Lösung der Problematik im Rahmen der Vertragsabschlussmechanismen zu verorten – vermeidet man doch auf diese Weise scheinbar eine Anknüpfung an das Schweigen per se –, ist einzuwenden, dass diese Vorgehensweise keine befriedigende Erklärung für alle Einzelfälle des Schweigens zu liefern vermag. Insbesondere ist die Annahme der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung eines bestimmten Tatbestandes, auf Grund dessen die vereinbarten Rechtswirkungen zwischen den Beteiligten eintreten sollen oder die Hypothese einer antizipierten Annahme des Angebots unter der Bedingung, dass kein Widerruf innerhalb einer bestimmten Frist erfolgt, eine bloße Unterstellung: In den meisten Fällen ist nämlich kaum davon auszugehen, dass sich die Parteien über eine derartige rechtliche Konstruktion Gedanken machen. Wenn aber – nach dieser Ansicht – schon dem Schweigen die Qualität einer Willenserklärung versagt wird, weil dadurch nichts bezeichnet werden kann, erscheint es inkonsequent, anzunehmen, dass die Vertragsparteien stattdessen sogar konkludent eine derart komplexe Vereinbarung getroffen haben sollten. Freilich ist der genannten Auffassung insoweit zuzustimmen, als man zunächst stets sorgfältig prüfen sollte, ob bereits über die Vertragsabschlussmechanismen – insbesondere einen Verzicht auf die Annahmeerklärung nach § 151 BGB oder eine antizipierte Annahme unter einer Bedingung, wenn eine solche tatsächlich gewollt oder ausdrücklich vereinbart wurde – ein befriedigendes Ergebnis erzielt werden kann und es sich damit gar nicht um ein wirkliches, bloßes Schweigen des Vertragspartners handelt. Dies bedeutet aber noch nicht, dass dem Schweigen generell für alle Fallgestaltungen die Qualität einer Willenserklärung abzusprechen ist. Soweit gar – im deutschen Recht freilich seltener als im italienischen – auf ein einseitiges Rechtsgeschäft verwiesen wird, lässt sich mit der oben bereits ausführlich dargestellten italienischen Kritik vor allem zum Ansatz Saccos (§ 3 II. 7. b) bb)) hieran vorbringen, dass eine vertragliche Einigung notwendig die Beteiligung zweier Personen voraussetzt. Der Ansatz Kuchinkes hat teils 357 Die „problematischen Ersatzkonstruktionen“ für ein bewusstes Schweigen ebenfalls ablehnend Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 97.
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auch im italienischen Recht Beachtung gefunden.358 Selbst wenn man aber für Erklärungen, die nur für den Anbietenden nachteilig sind, die Figur eines, einer Widerspruchspflicht unterworfenen einseitigen Rechtsgeschäfts (negozio unilaterale soggetto a rifiuto; dazu oben § 3 II. 7. a)) anerkennt, kann dies jedenfalls nicht für das kaufmännische Bestätigungsschreiben gelten, welches auch für den Empfänger Nachteile nach sich zieht.
bb) Keine Begründung von Erfüllungspflichten über Obliegenheitsverletzung Gegen den Begründungsansatz, der mit der Verletzung von Obliegenheiten argumentiert, spricht, dass dieser nicht vermag, die weitreichenden Folgen des Schweigens dogmatisch zu rechtfertigen. Dabei entsprechen die Argumente weitgehend denen, die auch im italienischen Recht überzeugend gegen obbligo (Pflicht) und onere (Obliegenheit) als Ursachen des Vertragsschlusses vorgebracht werden (oben § 3 II. 7. c) bb)): Zwar mag nach den Umständen für den Schweigenden die Pflicht bestehen, dass er sich gegenüber seinem Vertragspartner äußert. Eine vertragliche Erfüllungshaftung kann jedoch schon aus der bloßen Verletzung einer solchen Widerspruchspflicht nicht abgeleitet werden, sondern allenfalls eine Haftung auf Schadensersatz.359 Noch weniger ist eine Anknüpfung an die Verletzung einer bloßen Obliegenheit überzeugend, da diese im Vergleich zu einer Rechtspflicht ein nicht einklagbares „Weniger“ darstellt: Die Missachtung einer Obliegenheit kann nach der Systematik des bürgerlichen Rechts nur den etwaigen Verlust von eigenen Rechtspositionen, nicht aber das Entstehen von Schadensersatz- oder gar Erfüllungsansprüchen zur Folge haben.360 Auch ist es schon deshalb nicht möglich, einen Schadensersatz in Gestalt des Vertragsabschlusses anzunehmen, weil der Vertrag ja gerade nicht zustande gekommen wäre, wenn der Schweigende pflicht- oder obliegenheitsgemäß gehandelt hätte, also beispielsweise im Falle eines kaufmännischen Be358 So
Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 208 ff., insbesondere S. 212. auch Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 83; Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 134 f.; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 220; selbst Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 229 gibt dies zu; für die italienische Rechtswissenschaft vgl. mit dem selben Argument Betti, Teoria generale del negozio giuridico (Nachdruck), 2. Auflage 1952, S. 146; Stolfi, Teoria del negozio giuridico, 1947, S. 163 u. a. 360 Vgl. nur Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 198 f. (insbes. Fn. 15) m. w. N.; dem folgend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 117; ebenso Asam, Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit bei deutsch-italienischen Kaufverträgen, in: Jahrbuch für Italienisches Recht 29 (2016) 137, 138; Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 108; Krüger/Ernst, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, Einl. Rn. 14; vgl. ebenso; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 77. 359 So
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stätigungsschreibens unverzüglich widersprochen hätte.361 Bei einer Anfechtung des nicht gewollten Vertrags käme es nur zu einem Ersatzanspruch nach § 122 BGB, der jedoch gerade nicht auf das positive Interesse gerichtet ist. Der Vertragspartner stünde, folgte man der oben genannten Auffassung, aufgrund seines Erfüllungsanspruchs also besser als bei einem ordnungsgemäßen Verhalten des Schweigenden, was mit der Verletzung einer bloßen Obliegenheit zur Anfechtung oder zum Widerspruch nicht zu rechtfertigen ist.362 Sowohl der italienischen, als auch der deutschen Rechtsordnung ist damit der Gedanke einer Vertragsbegründung als Sanktion für die Verletzung einer Pflicht oder Obliegenheit aus guten Gründen fremd. Freilich ist damit noch nicht gesagt, dass die Pflicht oder Obliegenheit des Schweigenden zu einer Äußerung oder einem Widerspruch nicht im Rahmen der Auslegung eines Schweigens und der Bewertung seiner Konkludenz sowie des schutzwürdigen Vertrauens der Gegenseite häufig Bedeutung gewinnen kann363, wie dies auch im italienischen Recht sehr überzeugend praktiziert wird (oben § 3 II. 7. c) cc)).
cc) Keine Notwendigkeit für eine Begründung der Rechtsfolgen über Treu und Glauben bzw. eine Rechtsschein- oder Vertrauenshaftung Angesichts der Komplexität eines Schweigens im Rechtsverkehr erscheint es in der Tat zweifelhaft, ob eine „vereinfachende Einheitslösung“364 der Vielgestaltigkeit des Phänomens gerecht werden kann und nicht stattdessen unterschiedliche Institute des Privatrechts zur dogmatischen Begründung der Rechtsfolgen herangezogen werden sollten, wie dies teils auch im italienischen Recht, etwa von Patti, befürwortet wird. Überzeugend erscheint es zweifellos, in den Fällen, in denen es an einer hinreichenden Konkludenz mangelt, von einer bloßen, auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzhaftung auszugehen. Dagegen lassen sich dem Versuch, Erfüllungsansprüche über die aus Treu und Glauben folgende Rechtsschein- oder Vertrauenshaftung oder gar eine Erwirkung herzuleiten, zahlreiche Argumente entgegenhalten: Zunächst ist schon fraglich, ob sich der häufig im Bereich vollmachtloser Vertretung verwendete Begriff des Rechtsscheins allgemein auf die Thematik des Schweigens im 361 Vgl. Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 134 f. m. w. N.; Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978) 161,191 f. 362 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 117. 363 Hierfür auch Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78 f.; Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, Anhang § 362 Rn. 4 und Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 241 f. 364 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 226.
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Rechtsverkehr übertragen lässt.365 Der Rechtsschein heilt zum einen nur Wirksamkeitsvoraussetzungen wie das Nichtvorhandensein einer Vertretungsmacht, nicht aber Tatbestandsmängel wie das gänzliche Fehlen einer Einigung.366 Anders als bei § 170 BGB gibt es zum anderen im Fall eines Schweigens auch keinen Rechtsscheinträger, auf den sich das Gegenüber verlassen kann, da es sich beim Schein einer schweigenden Zustimmung mehr um eine psychische als eine rechtliche Tatsache handelt.367 Zudem mangelt es im Fall reiner Passivität des Schweigenden – wie beispielsweise bei einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht – an der aktiven Setzung eines Rechtsscheins als Anknüpfungspunkt für seine Haftung.368 Beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben beruht die Rechtserheblichkeit des Schweigens sogar darauf, dass sich die Gegenseite auf ein Handeln ihrerseits – nämlich die Zusendung des Schreibens – beruft, sodass nicht der Schweigende, sondern der Absender selbst den Rechtsschein veranlasst hat.369 Kritisch wird die von Canaris vertretene Rechtsscheinhaftung im Zusammenhang mit einem Schweigen aufgrund der fehlenden Grundlage für das Vertrauen bzw. die Erwartung der Gegenseite („fonte che giustifica quest’aspettativa“) deshalb auch in der italienischen Rechtswissenschaft gesehen.370 Das principio di apparenza (Rechtsschein) als Grundlage einer vertraglichen Bindung, etwa im Stellvertretungsrecht, ist seit langem Gegenstand von grundlegenden Einwänden371 (dazu oben § 3 II. 3. b) bb)), die trotz der partiell abweichenden Rechtslage, wie der gegenüber der italienischen buona fede ausgeprägteren Bedeutung von Treu und Glauben und dem Bestehen von §§ 171, 172 BGB im Grundsatz auch auf das deutsche Recht übertragen werden können. Auch im deutschen Recht sind die Fälle, die unter die Rechtsscheinhaftung gefasst werden sollen, nämlich sehr unterschiedlich und auch im deutschen Recht besteht nur ansatzweise eine gesetzliche Grundlage. 365 Zweifelnd etwa Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 107 sowie generell sogar für den Bereich der Duldungsvollmacht Merkt, Die dogmatische Zuordnung der Duldungsvollmacht zwischen Rechtsgeschäft und Rechtsscheintatbestand, in: AcP 204 (2004), 638, 656 f. 366 Oertmann, Grundsätzliches zur Lehre vom Rechtsschein, in: ZHR 1930, 443, 461; vgl. auch Schubert/Schubert, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 167 Rn. 139 m. w. N. 367 Vgl. Falzea, Apparenza, in: Enciclopedia del Diritto, Band 2, 1958, 689; allgemein zum Schein einer fehlerlosen Willenserklärung Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 67. 368 So auch Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 107 und zur Duldungsvollmacht Merkt, Die dogmatische Zuordnung der Duldungsvollmacht zwischen Rechtsgeschäft und Rechtsscheintatbestand, in: AcP 204 (2004), 638, 657. 369 Vgl. Kuchinke, Zur Dogmatik des Bestätigungsschreibens, in: JZ 1965, 167, 171. 370 Sacco, La parte generale del diritto civile, Band 1, Il fatto, l’atto, il negozio, 2005, S. 316 Fn. 117; ebenso Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 295 Fn. 6. 371 Nicolò, La c. d. procura apparente (Anm. zu Corte d’Appello di Milano, 27.12.1934), S. 359 ff., in: Nicolò, Raccolta di Scritti, Band 1, 1980; Mirabelli, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band IV/2, 1958, S. 294.
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Neben Zweifeln an einer hinreichenden gesetzlichen Verankerung einer Rechtsscheins- oder Vertrauenshaftung im deutschen und italienischen Recht ist auch die Frage aufzuwerfen, wie eine solche auf Erfüllung zielende Haftung von der culpa in contrahendo abgegrenzt werden soll, die die Sanktion für eine Verletzung des Vertrauens vor Vertragsschluss darstellt.372 Bei der culpa in contrahendo als Prototyp einer Vertrauenshaftung besteht die Rechtsfolge in der Regel schließlich nur in einer Schadenshaftung und nur im Ausnahmefall in einem Vertragsabschluss.373 Der Einwand, dass ein schuldhaftes Verhalten (colpa) zwar Schadensersatzansprüche, mangels einer Einigung nicht aber einen Vertrag nach sich ziehen kann, wurde dabei in Italien schon im 19. Jahrhundert zurecht geäußert.374 Durch die Annahme einer Rechtsscheinhaftung für die praktisch häufigen Fälle des Schweigens verlieren zudem die Grenzen zu einer auf einem Rechtsgeschäft beruhenden Bindung an Klarheit.375 An einer wissentlichen Schaffung eines Rechtsscheins fehlt es überdies auch nach Canaris selbst insbesondere bei einem unbewussten Schweigen376, sodass die Rechtsscheinhaftung allenfalls für einen Teilbereich der Problematik eine Lösung darzustellen vermag. Für die Fälle unbewussten Schweigens muss eine Herleitung der Erfüllungshaftung daher nach seiner Auffassung in anderen Rechtsgrundlagen wie der Verkehrssitte, den betrieblichen Organisationsrisiken oder gar einer „Erwirkung“ gesucht werden.377 Auf diese rechtlichen Konstruktionen könnte und sollte aber verzichtet werden, wenn eine einheitliche Einordung der Problematik in den Bereich der Willenserklärungen und damit die Rechtsgeschäftslehre erfolgen kann.378 Dies wiederum ist möglich, wenn man auf das Erklärungsbewusstsein als konstitutive Tatbestandsvoraussetzung für eine Willenserklärung verzichtet. Sogar die als klassisches Beispiel für einen Rechtsschein angeführte Duldungsvollmacht kann dann rechtsgeschäftlich erklärt werden, indem man das Schweigen des Vertretenen angesichts des Verhaltens des Vertreters als schlüssige zustimmende Willenserklärung begreift.379 372 Vgl. Benatti, Contratto concluso dal „falsus procurator“ e responsabilità del „dominus“ in Riv. dir. comm., 1959, II, 335, 337 f., 343 explizit zum deutschen Recht; vgl. auch Mirabelli, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band IV/2, 1958, S. 294. 373 Vgl. Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 220. 374 Sraffa, Il silenzio nella conclusione dei contratti, in: Giur. it. 1898, Band 50, Teil 4, 353, 355 mit Verweis auf Vivante; Vivante, Trattato di diritto commerciale, Band 4, 5. Auflage 1928, S. 32 (insoweit unverändert zur Vorauflage). 375 Vgl. Koller u. a./Roth, HGB, 9. Auflage 2019, § 362 Rn. 4. 376 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 89. 377 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 99; vgl. auch Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, der nur für den Fall einer Duldungsvollmacht eine Rechtsscheinhaftung annimmt (S. 144), während er das kaufmännische Bestätigungsschreiben als normierte Willenserklärung einordnet (S. 130). 378 Ebenso Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 41. 379 So auch Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 172 Rn. 8; eingehend hierzu Merkt, Die dogmatische Zuordnung der Duldungsvollmacht zwischen
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Dieses Vorgehen hat nicht zuletzt den Vorteil, dass dem Schweigenden bei einer Duldungsvollmacht ohne dogmatischen Begründungsaufwand ein Recht zur Anfechtung zusteht.380 Für ein Verständnis der Duldungsvollmacht als konkludente Vollmachtserteilung spricht zudem schon, dass in der Praxis eine Unterscheidung der beiden Phänomene kaum möglich sein dürfte. Auch eine gewichtige Auffassung in der italienischen Literatur erklärt die Rechtsfolgen einer Rechtsscheinsvollmacht überzeugend mit einer konkludenten Bevollmächtigung durch den Vetretenen. Nur soweit es an der hinreichenden Konkludenz für die Annahme einer Willenserklärung fehlt, wie es vor allem bei der Anscheinsvollmacht der Fall sein kann, sollten dagegen, wie auch von Patti vorgeschlagen (dazu oben § II. 3. b) bb)), keine Erfüllungs- sondern lediglich Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo bei Vorliegen eines entsprechenden Verschuldens angenommen werden. Für eine Rechtsscheins- oder Vertrauenshaftung zur Begründung einer Erfüllungspflicht infolge eines Schweigens besteht daher weder im italienischen noch deutschen Zivilrecht eine Notwendigkeit. Ein Rekurrieren auf Treu und Glauben (wie bei der Erwirkung) und buona fede (wie bei der tolleranza) vermag demgegenüber keine dogmatisch befriedigende Lösung darzustellen und vermeidet letztlich eine eindeutige Stellungnahme zum rechtlichen Geltungsgrund des Grundsatzes, dass Schweigen in Ausnahmefällen positive Rechtsfolgen nach sich ziehen kann.381 Das italienische Recht lehnt, wie oben (§ 3 II. 7. d) bb)) gesehen, ganz überwiegend, wenn auch nicht unumstritten, einen Rückgriff auf die buona fede zur Begründung einer vertraglichen Verpflichtung ab. Dies lässt sich sicherlich auch damit erklären, dass es insgesamt der Anwendung von Generalklauseln wesentlich zurückhaltender gegenübersteht als das deutsche Recht. Teilweise wird diese unterschiedliche Haltung sogar als „punto di tradizionale contrasto“ (traditioneller Kontrast) zwischen deutscher Rechtsprechung und italienischer Literatur bezeichnet.382 Dem italienischen Recht ist dabei aber zuzugeben, dass die Anwendung eines nicht hinreichend konturierten Prinzips von Treu und Glauben in der Tat die Gefahr birgt, dass es zu willkürlichen Entscheidungen, mindestens aber zu RechtsRechtsgeschäft und Rechtsscheintatbestand, in: AcP 204 (2004), 638, 653 ff.; vgl. bereits Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 205. 380 Hierzu Merkt, Die dogmatische Zuordnung der Duldungsvollmacht zwischen Rechtsgeschäft und Rechtsscheintatbestand, in: AcP 204 (2004), 638, 653. 381 Vgl. Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 132; vgl. krit. zum Rückgriff auf § 242 BGB auch Koziol, Glanz und Elend der deutschen Zivilrechtsdogmatik. Das deutsche Zivilrecht als Vorbild für Europa?, in: AcP 212 (2012) 1, 56; krit. zum Vertrauensprinzip auch Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 220 ff.; in der italienischen Literatur vgl. die Kritik von De Martini, In tema di „silenzio“ nella conclusione dei contratti (Anm. zu Corte d’Appello di Bologna 13.4.1950), in: Foro it. 1950, I, 582, 582 f. und Sacco in: Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 299 f. 382 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 608 Fn. 9.
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unsicherheit für die Beteiligten kommt. Freilich haben sich in der deutschen Rechtsprechung und Literatur mittlerweile relativ fest umrissene Fallgruppen herausgebildet, in denen § 242 BGB zum Zuge kommt. Dennoch erscheint auch im deutschen Recht beim Zustandekommen eines Vertrags angesichts der erheblichen Rechtsfolgen für die beteiligten Parteien mehr Zurückhaltung bei der Heranziehung von Treu und Glauben geboten, als bei der bloßen Durchführung eines Vertrags, zumal eine Begründung der vertraglichen Verpflichtung infolge eines Schweigens auf dogmatisch überzeugenderem Weg über eine konkludente Willenserklärung möglich ist. Gesichtspunkte von Treu und Glauben spielen zwar eine ganz erhebliche Rolle bei der Klärung der Frage, ob ein Schweigen im Einzelfall als Zustimmung gelten soll, können aber noch nicht dogmatisch erklären, warum und wie aufgrund der Untätigkeit ein Vertrag zustande kommt. Zudem sollte ein Rückgriff auf § 242 BGB zurückhaltend im Sinne einer bloßen Korrekturnorm erfolgen, solange es möglich ist, noch andere Geltungsgründe für die Rechtsfolgen eines bestimmten Verhaltens zu finden. Bei Vorliegen entsprechender eindeutiger Umstände wird das Schweigen nach herrschender Auffassung im italienischen Zivilrecht zur vollwertigen Willenserklärung, sodass ein rechtsgeschäftlicher Wille in Gestalt einer konkludenten Handlung vorliegt. Schließlich ist hervorzuheben, dass ein einheitliches Verständnis des Schweigens als konkludente Willenserklärung einerseits bzw. Anknüpfungspunkt einer nur auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteten vorvertraglichen Haftung andererseits in der Praxis auch und vor allem Vorteile wie Rechtsklarheit und -sicherheit bietet. Insbesondere angesichts der zunehmenden Anzahl grenzüberschreitender Fälle, bei denen sich ein in- oder ausländischer Rechtsanwender mit einer ihm fremden Rechtsordnung konfrontiert sieht, dürfte es schwer zu vermitteln sein, dass auf ein und dasselbe Phänomen des Schweigens im Privatrechtsverkehr eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsinstitute Anwendung findet, und dass überdies für deren Auffinden zunächst feinste Verästelungen nationaler Zivilrechtsdogmatik durchdrungen werden müssen. Schließlich kann eine klare Handhabung auch die kollisionsrechtliche Qualifikation der Phänomene erleichtern (dazu unten § 5 II.). Mit einem Großteil der italienischen Rechtswissenschaft ist daher auch im deutschen Recht davon auszugehen, dass Treu und Glauben bei der Ermittlung der hinreichenden Konkludenz eines Schweigens eine wesentliche Rolle spielen, nicht jedoch selbst als Grundlage einer vertraglichen Verpflichtung dienen können.
dd) Keine hinreichende Begründung über Handelsbräuche, Verkehrssitten und Gewohnheitsrecht Gegen die Heranziehung von Verkehrssitten oder (Handels-)Bräuchen zur Begründung der Rechtsfolgen eines Schweigens spricht, dass diese keine eige-
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ne normative Kraft aufweisen und nur das Gesetz (wie etwa § 242 BGB und § 346 HGB) über die Geltung, Reichweite und Folgen einer bestimmten Verkehrssitte bestimmen kann, nicht aber sie selbst.383 Über den Rückgriff auf einen Handelsbrauch allein lässt sich daher beispielsweise noch nicht die willensunabhängige Zustimmungswirkung eines Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben rechtfertigen.384 Auch kann nicht für alle Einzelfälle des Schweigens vom Bestehen einer jeweiligen Verkehrssitte ausgegangen werden, die zudem für den konkreten Tatbestand beispielsweise durch ein Gutachten der Handelskammer stets nachgewiesen werden müsste, was nicht praktikabel erscheint.385 Dem entspricht der von italienischer Seite vorgebrachte und überdies sogar explizit im Codice civile verankerte Einwand, dass Bräuche und Gewohnheiten nach der Rechtsordnung keine rechtliche Wirkung entfalten (oben § 3 II. 7. d) bb)). Im italienischen Recht ist daher schon seit langem anerkannt, dass sie nicht die Erklärungsbedeutung eines Schweigens zu begründen vermögen. Zwar müsste bestehendes Gewohnheitsrecht, anders als ein Handelsbrauch nicht in jedem Einzelfall nachgewiesen werden386, doch lässt sich kaum ein Fall der rechtlichen Erheblichkeit eines Schweigens als Gewohnheitsrecht einordnen, vielmehr ist eine sehr einzelfallabhängige Abwägung notwendig, ob eine Untätigkeit Rechtsfolgen nach sich zieht oder nicht. Einzig beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, dessen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von der deutschen Rechtsprechung und Literatur in hinreichend gefestigter Weise entwickelt wurden, kann nach hier vertretener Auffassung bereits von einem normierten Schweigen gesprochen werden (oben § 4 II. 5. c)). Anders stellt sich insoweit die Rechtslage in Italien dar, wo im Zusammenhang mit einem Bestätigungsschreiben (lettera di conferma) nur ein beredtes Schweigen (silenzio circostanziato) im Einzelfall denkbar ist (oben § 3 II. 5. a)). Auch im Fall allgemeiner Geschäftsbedingungen besteht keine Notwendigkeit, auf Handelsbräuche, Verkehrssitten oder Gewohnheitsrecht als Geltungsgrund für die Folgen eines Schweigens zurückzugreifen, weil regelmäßig bereits im Wege der ergänzenden Auslegung – unter Berücksichtigung eben jener Verkehrssitten, Gewohnheiten und Bräuche nach § 157 BGB, § 346 HGB – eine konkludente 383 Vgl. Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 234; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 217. 384 Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978) 161, 190. 385 Vgl. zum Nachweis einer entsprechenden Verkehrssitte: Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 234 ff.; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 216 ff. 386 Esser, Die letzte Glocke zum Geleit?, in: ZfRV 29 (1988), 167, 172.
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Einbeziehung der Bedingungen in den Vertrag ermittelt werden kann.387 Auch im italienischen Recht dienen die in einem Geschäftszweig üblichen Bräuche als Interpretationshilfe des Vertragsinhaltes (oben § 3 II. 7. d) cc)). Insgesamt stellen damit Handelsbräuche und Verkehrssitten ebenso wie das auf Treu und Glauben basierende Vertrauen nützliche Instrumente für den Rechtsanwender dar, um festzustellen, ob ein rechtlich relevantes Verhalten bzw. eine rechtsgeschäftliche Erklärung mit einem bestimmten Inhalt vorliegt. Sie können aber allein nicht die Rechtswirkungen erklären, welche das Schweigen gegebenenfalls nach sich zieht.
ee) Dogmatische Ablehnung von „Privatem Sozialrecht“ und faktischem Vertrag Dem – in ähnlicher Weise von Patti geäußerten388– Einwand von Fabricius, man mache die rechtliche Erheblichkeit des Schweigens von einer Pflichtverletzung und nicht vom Willen des Schweigenden abhängig und verlasse damit den Bereich der Privatautonomie389, lässt sich entgegenhalten, dass die Widerspruchspflicht, richtig verstanden, nur ein Indiz für die Konkludenz des Verhaltens ist, nicht aber der eigentliche Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolgen einer Untätigkeit.390 Weiter ist einzuwenden, dass auch die, ohnehin etwas vage bleibende und nur für einzelne Fälle entwickelte391, These von einem „privaten Sozialrecht“ genauso wenig zu rechtfertigen mag, weshalb ein Verstoß gegen etwaige sich daraus ergebende Verhaltenspflichten zu einer Erfüllungshaftung führen sollte.392 Zuzustimmen ist freilich der Aussage, dass es angesichts zunehmender Rationalisierung für ein funktionierendes modernes Privatrecht in bestimmten Fällen sinnvoll ist, über den individuellen Willen hinwegzusehen, wenn dieser nicht nach außen zu Tage tritt und soweit für den Betroffenen Schutzmechanismen wie die Anfechtungsmöglichkeit hinsichtlich des ungewollten Vertrages bestehen.393 Auch von der italienischen Rechtswissenschaft wird beobachtet, dass eine zunehmende Tendenz besteht, den Vertrags387 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 81; ebenso Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler 2014, E Rn. 38; ähnlich Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 205 ff. 388 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 79 f. 389 So Fabricius, Stillschweigen als Willenserklärung, in: JuS 1966, 49, 58. 390 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 241 f.; vgl. ebenso die oben genannten italienischen Quellen (§ 3 II. 6. c) cc)). 391 Vgl. Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 290 f., wonach eine nähere Prüfung hinsichtlich der Gleichbehandlung aller Fälle des Schweigens noch aussteht. 392 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 85. 393 Vgl. Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S.15 f.
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abschlussmechanismus durch neue Technologien zu rationalisieren.394 Warum aber nicht auch bei einer solchen Betonung der Verkehrsinteressen gegenüber dem subjektiven Willen des Schweigenden dennoch von einer nach allgemeinen Regeln anfechtbaren Willenserklärung auszugehen ist, wird gerade auch in der italienischen Rechtswissenschaft kritisch hinterfragt.395 Zweifelhaft ist schon, ob sich die für die Bewältigung bestimmter Rechtsgeschäfte im modernen Massenverkehr bzw. der Daseinsvorsorge entwickelte Rechtsfigur des sog. faktischen Vertrags auf individuell ausgestaltete Vertragsverhältnisse übertragen lässt.396 Vor allem aber spricht gegen die Lehre vom faktischen Vertragsschluss und die sog. Schuldverhältnisse aus sozialtypischem Verhalten, dass die Konstrukte entbehrlich sind, weil der Vertragsschluss auf andere Weise zu erklären ist: die Inanspruchnahme der gegenüber der Allgemeinheit oder einem Einzelnen angebotenen Leistung lässt sich als konkludente Annahmeerklärung werten, auf deren Zugang gegebenenfalls nach § 151 BGB verzichtet wird.397 Damit liegt im Übrigen schon kein Schweigen, also eine reine Passivität vor, sondern eine aktive Handlung. Nimmt aber jemand eine Leistung, beispielsweise Elektrizität, in Anspruch und erklärt gleichzeitig, mit dem jeweiligen Preis nicht einverstanden zu sein, so handelt es sich um ein unbeachtliches, widersprüchliches Verhalten seinerseits, eine protestatio facto contraria.398 Das Verhalten desjenigen, der eine bestimmte, im Massenverkehr oder im Bereich der Daseinsvorsorge angebotene Leistung annimmt, lässt regelmäßig auf ein Bewusstsein und einen Willen des Handelnden hinsichtlich des Erlangens der Leistung schließen, wodurch unstreitig alle Tatbestandsmerkmale einer Willenserklärung erfüllt sind: so will zum Beispiel derjenige, der sein Kraftfahrzeug auf einem kostenpflichtigen Parkplatz abstellt, dort auch parken, wer in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigt, will befördert werden und wer Strom oder Wasser bezieht, wird in der Regel ohnehin zuvor einen Vertrag unterschreiben.399 Diese Bewältigung über die allgemeinen Vertragsabschlussregeln und die Auslegung sind vorzugswürdig, da so das Prinzip der Privatautonomie gewahrt bleibt und sachgerechte Ergebnisse bereits durch die Anwendung allgemeingültiger Regeln ohne den Umweg über die Konstruktion des sozialtypischen Verhaltens erzielt werden können.400 Dementsprechend gilt 394 Vgl. Irti, Scambi senza accordo, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 347, 360; vgl. auch Irti, „È vero, ma …“ (Replica a Giorgio Oppo), in: Riv. dir. civ. 1999, I, 273, passim. 395 So etwa von Oppo, Disumanizzazione del contratto?, in: Riv. dir. civ. 1998, I, 525, passim. 396 Vgl. (zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben) Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 135. 397 Vgl. Bamberger/Roth/H.‑W.Eckert, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 145 Rn. 45. 398 RG 29.9.1925 – VI 182/25, in: RGZ 111, 310, 312. 399 Vgl. Lehmann, Faktische Vertragsverhältnisse, in: NJW 1958, 1, 4. 400 Vgl. Lehmann, Faktische Vertragsverhältnisse, in: NJW 1958, 1, 4; Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 145 Rn. 40 m. w. N.
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die Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen mittlerweile auch zurecht als überwunden.401 Nicht zuletzt zeigt der überwiegend ablehnende italienische Blick auf den deutschen Ansatz der faktischen Vertragsverhältnisse, wie wenig dieser überzeugt.402 Auch Vertragsschlüsse mittels moderner Technologien lassen sich überdies in das klassische Schema von Angebot und Annahme einbetten.403
b) Fazit: Beredtes Schweigen als Erscheinungsform einer echten Willenserklärung Dass ein beredtes Schweigen als Willenserklärung anzusehen ist, folgt aber nicht nur daraus, dass Einwände gegen alle oben beschriebenen Ansichten erhoben werden können. Vielmehr sprechen die besseren Argumente sowohl aus deutscher Sicht als auch unter Einbeziehung der rechtsvergleichenden Perspektive auf das italienische Zivilrecht für eine einheitliche Einordnung innerhalb der Rechtsgeschäftslehre. Dem Bürgerlichen Gesetzbuch selbst ist – ebenso wie dem italienischen Codice civile – keine ausdrückliche Entscheidung zu entnehmen, ob Willenserklärungen durch beredtes Schweigen denkbar sind. Jedoch wird die Thematik in den Motiven des Bürgerlichen Gesetzbuches behandelt. Dort ist immerhin die Rede davon, dass das „Unterlassen des Widerspruches eine stillschweigende Willenserklärung“ sei und „die Fälle der Äußerung durch bloßes Schweigen und diejenigen der stillschweigenden Willenserklärungen nicht selten ineinander übergehen“.404 Der Gesetzgeber scheint also durchaus von der Möglichkeit einer Willenserklärung durch Schweigen ausgegangen zu sein405, auch wenn er zugunsten einer als interessensgerechter erachteten Einzelfallentscheidung von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung absah, „inwieweit das Schweigen zu einem Vorgange eine schlüssige Tatsache für die Annahme einer Willensbetätigung bildet“.406 Freilich finden sich die eben zitierten Erwägungen im Rahmen einer klarstellenden Regelung, wonach Willenserklärungen sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend erfolgen können und die letztlich keinen Eingang in das Gesetzbuch gefunden hat, sodass zweifelhaft bleibt, ob diese Motive des Entwurfs auch unter der endgültigen Fassung des Gesetzes unver401
Simitis, Die Bedeutung von System und Dogmatik – dargestellt an rechtsgeschäftlichen Problemen des Massenverkehrs, in: AcP 172 (1972), 131, 138; Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 145 Rn. 40 m. w. N.; Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 10. 402 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 75 ff., 210 f. 403 Vgl. Chinè/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Auflage 2017/18, S. 1187. 404 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 154. 405 A. A. Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 236. 406 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 154.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
ändert fortgelten.407 Dennoch lässt sich ihnen entnehmen, dass die Vorstellung, auch das bloße Schweigen könne eine schlüssige Willenserklärung darstellen, dem Gesetzgeber jedenfalls nicht unbekannt war und er dieser dennoch in seiner endgültigen Gesetzesfassung nicht entgegengetreten ist. Die Tatsache, dass nur in einigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine ausdrückliche Vereinbarung gefordert wird (z. B. in §§ 244 Abs. 1, 700 Abs. 2 BGB), weist ebenso darauf hin, dass im Grundsatz auch andere Formen wie ein konkludentes Verhalten oder eben ein Schweigen für die Willenskundgabe genügen.408 Auch im italienischen Recht stellt das Fehlen einer allgemeingültigen Normierung der verpflichtenden Rechtsfolgen eines Schweigens im Codice civile keine Hürde dafür dar, im beredten Schweigen (silenzio circostanziato) seit langer Zeit anerkanntermaßen einen Unterfall des konkludenten Verhaltens (comportamento concludente) zu sehen und dem entsprechend beredten Schweigen damit die Qualität einer konkludenten Willensäußerung (manifestazione tacita di volontà) zu verleihen. Sowohl das italienische als auch das deutsche Privatrecht weisen dem Schweigen zudem, wie bereits gesehen (oben § 3 II. 2. und § 4 II. 2.), in zahlreichen Vorschriften rechtlichen Bedeutungsgehalt zu. Da es für beide Rechtsordnungen selbstverständlich ist, dass auch im Schweigen eine Willenserklärung liegen kann, wurde also wohl eine gesetzliche Niederlegung dieses Grundsatzes nicht für notwendig gehalten. Dass einem Schweigen nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Willens entnommen werden kann409, trifft zwar zu, doch gilt dieser Unsicherheitsfaktor auch für alle anderen Willenserklärungen durch konkludentes Verhalten, deren Existenz in der Systematik des deutschen wie italienischen Zivilrechts aber nicht bezweifelt werden kann.410 Der deutsche Gesetzgeber ging in diesem Zusammenhang von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit von ausdrücklich und konkludent erfolgenden Willensäußerungen aus.411 Dem schlossen sich in der Folge auch Rechtsprechung und Literatur an412, was auch der Rechtslage in 407 Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 154 (§ 72). 408 Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS für Claus-Wilhelm Canaris, Band 1, 2007, S. 871, 871 f. 409 So Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 241. 410 Vgl. so zum deutschen Recht auch Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 241; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 56; zum italienischen Recht bereits oben § 3 II. 5. 411 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S. 153. 412 Vgl. statt vieler aus der Rechtsprechung: RG 8.3.1919 – I 231/18, in: RGZ 95, 122, 123 f.; BGH 18.6.1980 – VIII ZR 119/79, in: NJW 1980, 2245, 2246 und aus der Literatur: Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 7 und Staudinger/ Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 58.
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Italien entspricht. Die Ermittlung des Willens bei einer reinen Untätigkeit mag zwar schwieriger sein als bei einem aktiven Verhalten, doch stellt dies noch keinen Grund dar, die Möglichkeit einer Erklärung durch Schweigen gänzlich auszuschließen.413 Auch ein Kopfnicken oder eine bestimmte Handbewegung gewinnen schließlich erst durch bestimmte weitere Umstände, die auf eine zustimmende Äußerung schließen lassen, eine Erklärungsbedeutung und werden so zur schlüssigen Willenserklärung.414 Selbst bei ausdrücklichen Äußerungen müssen – so explizit auch die Argumentation in der italienischen Literatur415 – im Rahmen der Auslegung oft genug erst die ihnen zugrundeliegenden Umstände herangezogen werden, um ihren wahren Erklärungsgehalt zu erfassen. Diese Vorgehensweise ist vom deutschen Gesetzgeber nach §§ 133, 157 BGB, wonach nicht am Wortlaut einer Erklärung zu haften ist, auch ausdrücklich gewünscht. Zurecht wird in der italienischen Literatur vorgebracht, dass ein konkludentes Verhalten in mancher Hinsicht sogar sicherer als ein ausdrückliches sein kann, da es sich auf die kaum widerlegbare soziale Bewertung des Verhaltens stützt.416 Der Tatsache, dass bei einer reinen Untätigkeit einer Person der Rückschluss auf ihren Äußerungswillen in Ermangelung jeglicher nach außen sichtbarer aktiver Handlung unsicherer sein mag als bei sonstigen konkludenten Erklärungen, kann man gegebenenfalls Rechnung tragen, indem man strengere Anforderungen an die Umstände stellt, welche die Schlüssigkeit begründen.417 Letztlich handelt es sich damit um einen nur quantitativen und nicht um einen qualitativen Unterschied zu anderen Willenserklärungen418: je weniger eine nach außen hervortretende Handlung feststellbar ist, desto mehr wird man die Umstände, unter denen das (Nicht-)Handeln einer Person geschieht, für das Verständnis ihres Verhalten heranziehen müssen, je mehr man aber ausdrückliche oder sonstige positive Handlungen als Anhaltspunkte hat, desto mehr kann man sich bei der Interpretation des Geschehens auch hierauf verlassen und braucht die Umstände der Erklärung nur ergänzend oder gar bestätigend miteinzubeziehen. Gerade das italienische Privatrecht, das vom Vertrauensgrundsatz ( principio d’affidamento) geprägt ist, zeigt, dass für die Bewertung des Erklärungsgehaltes eines Schweigens maßgeblich die allgemeine Verkehrsanschauung und das Vertrauen des Rechtsverkehres miteinzubeziehen sind (oben § 3 II. 6. b) bb)). Die Schwierigkeiten hinsichtlich der Deutung eines Schweigens sind also durch Anwendung der allgemeinen, zu den Willenserklärungen ent413 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78; vgl. auch Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 241. 414 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78 f.; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 54 f. 415 La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 543. 416 Garofalo, Le regole costitutive del contratto, 2018, S. 195. 417 Vgl. Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, 55. 418 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 78.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
wickelten Methodik im deutschen wie italienischen Zivilrecht überwindbar und es besteht keine Notwendigkeit für eine besondere Behandlung des Schweigens. Schließlich stellt es auch kein Hindernis für eine rechtsgeschäftliche Einordnung des Schweigens als Willenserklärung dar, dass dem Verhalten erst nachträglich durch die Tätigkeit von Juristen eine bestimmte Rechtsqualität verliehen wird, da eine Willenserklärung ein Rechtsbegriff ist, der daher auch von der Rechtsordnung frei bestimmt werden kann.419 Ein Blick in die Rechtsgeschichte, etwa auf das römischrechtliche pactum tacitum (dazu oben § 2 II. 2.) zeigt, dass Juristen von jeher zur Erzielung vernünftiger Ergebnisse auf die Deutung eines Verhaltens und das Hineinlesen eines bestimmten Willens in dieses angewiesen sind und waren.420 Zudem ist schon seit der Antike anerkannt, dass ein Schweigen in einem bestimmten juristischen oder auch alltäglichen Kontext ebenso beredt sein kann wie ein Sprechen (oben § 2 I. und II.). Dem Argument, dass ohne Vorliegen eines Erklärungsbewusstseins eine rechtsgeschäftliche Willensbetätigung des Untätigen fingiert werde, die tatsächlich mangels eines entsprechenden Willens gar nicht vorliege und somit in das Selbstbestimmungsrecht des Schweigenden eingegriffen werde421, lässt sich entgegenhalten, dass es nicht überzeugt, Fälle des Schweigens, die – nach hier vertretener Auffassung – qualitativ nichts anderes als konkludente Willenserklärungen sind, anders als andere Willenserklärungen zu behandeln422 und so durch das konstitutive Erfordernis eines Erklärungsbewusstseins eine Art Sonderdogmatik zu schaffen.423 Das Erklärungsbewusstsein ist nach der Rechtsprechung des BGH424 und mittlerweile herrschender Auffassung in der Literatur425 419 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 79; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 57 (Fn. 22). 420 Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 91 (1974) 251, 279 f. 421 Vgl. Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn. 7; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 252 ff.; vgl. auch die Kritik bei Flume, Das Rechtsgeschäft und das rechtlich relevante Verhalten, in: AcP 161 (1962), 52, 74. 422 Vgl. so auch Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 79, der jedoch eine a. A. hinsichtlich der Notwendigkeit eines Erklärungsbewusstseins vertritt. 423 Vgl. so auch BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, in: NJW 2002, 3629, 3631 m. w. N.; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 240, 246. 424 Vgl. nur BGH 7.6.1984 – IX ZR 66/83, in: NJW 1984, 2279, 2279 f.; BGH 2.11.1989 – IX ZR 197/88, in: NJW 1990, 454, 456; BGH 14.5.2002 – XI ZR 155/01, in: NJW 2002, 2325, 2327; BGH 30.10.2013 – V ZB 9/13, in: NJW 2014, 1242, 1243. 425 Vgl. nur Herberger u. a./Illmer, jurisPK-BGB Band 1, 9. Auflage 2020 (Stand 6.7.2020), § 116 Rn. 5 m. w. N.; Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 850; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 219 ff.; Merkt, Die dogmatische Zuordnung der Duldungsvollmacht zwischen Rechtsgeschäft und Rechtsscheintatbestand, in: AcP 204 (2004), 638, 647 ff., 652.
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nämlich gerade kein notwendiges Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung. Vielmehr wird das sogenannte potenzielle Erklärungsbewusstsein des Erklärenden als ausreichend erachtet. Die Möglichkeit einer Anfechtung wegen Erklärungsirrtums nach § 119 Abs 1 2. Alt. BGB zeigt, dass Erklärungen, die in fahrlässiger Weise abgegeben werden, nach dem Willen des Gesetzgebers zunächst dennoch dem Erklärenden zugerechnet werden und zumindest vorläufig gültig sind.426 Auch § 157 BGB lässt sich entnehmen, dass der im Rechtsverkehr Handelnde (oder eben Schweigende) unabhängig von seinem nicht geäußerten Willen sein Verhalten so gegen sich gelten lassen muss, wie es im Rechtsverkehr aufgefasst wurde.427 §§ 119, 157 BGB belegen damit, dass einer Willenserklärung nicht nur das Prinzip der Selbstbestimmung innewohnt, sondern auch Aspekte des Verkehrsschutzes und des Vertrauensschutzes eine maßgebliche Rolle spielen und dazu führen können, dass Handlungen ohne Erklärungsbewusstsein aufgrund des normativen Verständnisses der Willenserklärung in einer Bindung münden.428 Bereits das Reichsgericht war für das Handelsrecht, aber auch das Bürgerliche Recht, der Auffassung, dass „jedermann seine Handlungen gegen sich gelten zu lassen hat, nicht nur so, wie er sie nach seinem inneren, nicht geäußerten Willen gemeint hat, sondern so, wie sie von der Verkehrssitte d. i. von den Verkehrsanschauungen aufgefasst werden“.429 Diese Formulierung kommt dem herrschenden principio d’affidamento in Italien nahe. Zudem sind Vertrauensschutz und Privatautonomie eng miteinander verknüpft, da die Kehrseite der zugestandenen Selbstbestimmung deren selbstverantwortliche Ausübung ist.430 Dies kommt auch in Italien durch das principio di autoresponsabilità (Prinzip der Selbstverantwortung) zum Ausdruck. Letztlich kann nur durch eine Sanktion der Rechtsordnung dahingehend, dass eine Willenserklärung tatbestandlich auch bei einer unbewussten, aber vom Rechtsverkehr als solcher wahrgenommenen Erklärung vorliegt, erreicht werden, dass sich die Beteiligten entsprechend bemühen, keine von ihnen unerwünschte Erklärungen abzugeben.431 Der Blick in das italienische Recht, in dem das principio di affidamento und principio di autoresponsabilità seit langem gelten, belegt, dass auch ohne das konstitutive Erfordernis eines Erklärungsbewusstseins für eine Willenserklärung 426 Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 241; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 279. 427 Vgl. RG 8.3.1919 – I 231/18, in: RGZ 95, 122, 124. 428 Vgl. BGH 7.6.1984 – IX ZR 66/83, in: NJW 1984, 2279, 2280 (mit ablehnender Anmerkung von Canaris); vgl. auch Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 28; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 225 f. 429 RG 8.3.1919 – I 231/18, in: RGZ 95, 122, 124. 430 Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 28; vgl. auch S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 511 („Der Grundsatz der Vertragstreue ist unmittelbar mit demjenigen der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie verbunden“). 431 Leenen, Ist das so richtig? – Typen von Defiziten der Zivilrechtsdogmatik, in: JuS 2008, 575, 580.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
einleuchtende Ergebnisse erzielt werden können. Der italienische Umgang mit der Problematik überzeugt, denn nur durch eine Einbeziehung von Vertrauensaspekten lässt sich ein hinreichender Schutz des Gegenübers und des Rechtsverkehres erzielen. In Italien kann das Fehlen des Erklärungsbewusstseins nur selten zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen, wobei sogar die Anfechtbarkeit der Erklärung wegen des Erfordernisses der Erkennbarkeit strenger als im deutschen Recht gehandhabt wird. Dem Argument, der Verzicht auf das Vorliegen eines Erklärungsbewusstseins führe zu einer „Objektivierung“, einer Verkennung der eigentlichen Funktion und des zugrundeliegenden Selbstbestimmungsprinzips von Willenserklärungen432, lässt sich entgegnen, dass dem Grundsatz der Privatautonomie durch die Anfechtungsmöglichkeit bei bestimmten Willensmängel genüge getan ist. Die Privatautonomie ist – so wird im Übrigen auch in der italienischen Rechtswissenschaft argumentiert – so lange gewahrt, wie der Einzelne die zumindest tatsächliche Möglichkeit hat, die von ihm gewünschten Rechtsfolgen durch Willensäußerungen herbeizuführen oder zu verhindern.433 Die Rechtsordnung kann daher auch ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Rechtsfolgewillens an einen nach außen hin sichtbaren Vorgang anknüpfen, der nach allgemeiner Erfahrung auf den entsprechenden Willen schließen lässt, solange sie nur dem Betroffenen die Möglichkeit einräumt, seinen abweichenden Willen geltend zu machen.434 Auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen überzeugt es, im Schweigen bei Vorliegen entsprechender Indizien eine konkludente Willenserklärung zu sehen: Die §§ 104 f. und 116 ff. enthalten ein ausdifferenziertes System, das im Falle des Auseinanderfallens von Willen und Erklärung Lösungen bereithält, welche sowohl die Verkehrsschutzinteressen als auch die Privatautonomie des Erklärenden berücksichtigen. Diese Vorschriften sind aber, dogmatisch genau gesehen, auch nur dann anwendbar, wenn man vom Vorliegen einer Willenserklärung bereits dann ausgeht, wenn rein objektiv gesehen und ohne Rücksicht auf den subjektiven Willen eine solche gegeben ist.435 Etwaige bei einem Schweigen notwendig werdende Veränderungen im Vergleich zu anderen Willenserklärungen bei der Zulassung einer Anfechtung (dazu § 4 II. 10.) können durch handelsrechtliche Besonderheiten und Verkehrsschutzinteressen begründet werden, 432 Vgl. Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 152; vgl. auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 430. 433 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 127; dem zustimmend S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 219; ablehnend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 135 ff. 434 Ebenso F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 127 f. 435 Dazu eingehend Leenen, Ist das so richtig? – Typen von Defiziten der Zivilrechtsdogmatik, in: JuS 2008, 575, 579 ff.
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ohne dass dem Schweigen bei fehlendem Erklärungsbewusstsein generell die Qualität einer Willenserklärung abzusprechen ist.436 Dies hat den Vorteil, dass keine Sonderdogmatik für die Bedeutung eines Schweigens im Privatrecht entwickelt werden muss. Eine Differenzierung wie bei Flume zwischen „normalen“ rechtsgeschäftlichen Erklärungen und solchen durch konkludentes Verhalten hinsichtlich des Erfordernisses eines Erklärungsbewusstseins erscheint erst recht nicht überzeugend, da beide ihren Rechtswirkungen nach grundsätzlich gleichgestellt sind.437 Nach der gesetzlichen Konzeption wird eine Erklärung, die nach der Verkehrsauffassung als solche zu verstehen war – sei sie ausdrücklich oder konkludent erfolgt – dem Handelnden auch gegen seinen Willen zunächst einmal zugerechnet, erst danach kann er sich unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB wieder von ihr lösen. Das Vertrauen des Erklärungsempfängers, der aus dem nach außen erkennbaren Verhalten und den Umständen Rückschlüsse auf das Vorliegen eines rechtsgeschäftlichen Willens zieht, ist bei ausdrücklichen und konkludenten Erklärungen nämlich gleichermaßen schutzwürdig.438 Auch ist die Grenze zwischen ausdrücklichen und schlüssigen Willenserklärungen oft fließend und erstere bedürfen häufig ebenso einer Auslegung, wie sowohl die italienischen als auch die deutsche Literatur betonen.439 Eine Unterscheidung bei der Abgrenzung und Behandlung der Phänomene erscheint daher unter praktischen Gesichtspunkten kaum durchführbar. Auch im italienischen Recht überwiegen, wenn auch nicht unumstritten, die Stimmen, die sich für eine Gleichbehandlung konkludenter und ausdrücklicher Willenserklärungen aussprechen. Im Ergebnis überzeugt es daher, das Schweigen einer Person – freilich nur unter hinreichenden Umständen, die seine Konkludenz begründen – als Unterfall einer schlüssigen Willenserklärung anzusehen. Dabei ist hinsichtlich des Erfordernisses eines Erklärungsbewusstseins nicht zwischen konkludenten und ausdrücklichen Willenserklärungen zu unterscheiden, wobei der Auffassung zu folgen ist, die auf das Vorliegen eines Erklärungsbewusstseins als konstitutives Merkmal einer rechtsgeschäftlichen Erklärung verzichtet. Außerhalb dieser Fälle sollte nur ein Ausgleich im Weg der Schadensersatzhaftung erfolgen. Dies entspricht der Unterscheidung im italienischen Recht, wo das Schweigen als Ursache einer bloßen Schadensersatzhaftung einerseits und das Schweigen als konkludente Willenserklärung bei Vorliegen entsprechender Umstände anderer-
436 Vgl. Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 250; Säcker/ Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 41. 437 Vgl. RG 8.3.1919 – I 231/18, in: RGZ 95, 122, 123 f.; BGH 18.6.1980 – VIII ZR 119/79, in: NJW 1980, 2245, 2246. 438 Ebenso Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 7. 439 Vgl. La Torre, Silenzio (dir. priv.), in: Enciclopedia del Diritto, 1990, Band 42, S. 543 und Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 237.
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seits als unterschiedliche Phänomene – beispielsweise im Bereich des Stellvertretungsrechts – koexistieren.440
9. Stellungnahme zum normierten Schweigen als Willenserklärung Auch beim sogenannten normierten Schweigen stellt sich wie im italienischen Recht die Frage, ob die gesetzliche Fiktion dem Schweigen den Charakter einer Willenserklärung verleiht oder nicht und ob in der Folge die Vorschriften über Willenserklärungen direkt oder nur entsprechend anzuwenden sind (unten § 4 II. 10. b)).441
a) Hierzu vertretene Auffassungen im deutschen Recht Teilweise wird vorgebracht, dass eine Fiktion nur die Überbrückung eines fehlenden Tatbestandsmerkmals bewirkt und damit letztlich nichts über den inneren Geltungsgrund eines Rechtssatzes aussagt, welcher in anderen Geltungsgründen wie dem Vertrauensschutz, der Rechtsscheinhaftung oder dem Berufsrecht zu suchen ist.442 Dem ist zu entgegnen, dass, wie schon beim beredten Schweigen, die ratio legis allein – wie beispielsweise der Vertrauensschutz – wiederum nicht genügt, um die Rechtsfolgen eines normierten Schweigens dogmatisch hinreichend zu begründen.443 Wenn hinreichende Indizien für den Willen des Schweigenden fehlen, darf sein Gegenüber zudem auch nicht auf die zustimmende Wirkung des Schweigens vertrauen, sodass eine alleinige Erklärung der Fiktion über Vertrauensschutzaspekte scheitert.444 Es ist daher zu unterscheiden zwischen der Art, wie das Gesetz etwas anordnet – was im Folgenden zu klären ist – und warum es dies tut (etwa aus Gründen des Verkehrs- oder Vertrauensschutzes).445 Während sich beim beredten Schweigen aufgrund der fehlenden Regelung die Frage nach einer dogmatischen Begründung stellt, erfolgt beim 440 Vgl. nur Rolli, Antiche e nuove questioni sul silenzio come tacita manifestazione di volontà, in: Contr. impr. eur. 2000, 206, 226 f.; sowie bereits Nicolò, La c. d. procura apparente (Anm. zu Corte d’Appello di Milano, 27.12.1934), S. 380, in: Nicolò, Raccolta di Scritti, Band 1, 1980. 441 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 52. 442 Vgl. Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 1 („ohne jeglichen dogmatischen oder teleologischen Geltungswert“); Diederichsen, Der „Vertragsschluss“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: JuS 1966, 129, 135; Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978) 161, 191; Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 613 f und 645 ff. 443 Vgl. etwa zum normierten Schweigen Grunewald/Schmidt, K., MüKo HGB, Band 5, 4. Auflage 2018, § 346 Rn. 166; Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 97; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 681 ff. 444 Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 72; vgl. zum Normzweck auch Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 681, wonach § 362 HGB Verkehrsschutz, nicht Rechtsscheinschutz bezwecke. 445 Vgl. eingehend Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 681 ff.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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normierten Schweigen bereits durch das Gesetz eine ausdrückliche und einzelfallunabhängige Anordnung der Rechtsfolgen. Deshalb sind diejenigen Auffassungen abzulehnen, die versuchen, über diese explizite gesetzliche Regelung hinaus noch andere Geltungsgründe wie die Sanktionierung einer Obliegenheitsverletzung bei § 149 Satz 2 BGB oder eine Rechtsscheinhaftung (wie etwa bei § 362 HGB aber auch dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben [oben § 4 II. 5. c)]) zu konstruieren.446 Aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Anordnung ist im Folgenden einzig noch der Frage nachzugehen, ob die vom Gesetz angeordnete Wirkung tatsächlich – sei es nun immer oder nur in bestimmten Fällen – eine echte Willenserklärung ist oder zum Zweck der Herbeiführung der gewünschten Rechtsfolgen nur als solche gilt. Eine Auffassung ordnet das normierte Schweigen unter allen Aspekten als Willenserklärung ein und differenziert sodann nur hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen.447 Mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Ablehnung fingiert werde bzw. im Falle von § 377 HGB (unten § 4 III. 1.) sei es letztlich bedeutungslos, ob eine normierte oder normale Willenserklärung vorliege, da es sich nur um unterschiedliche Erscheinungsformen einer rechtsgeschäftlichen Erklärung handle; in beiden Fällen stellten sich die gleichen Fragen nach einer Anfechtbarkeit, wobei aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Verkehrssicherheit bei einem normierten Schweigen unter Umständen im Einzelfall Einschränkungen derselben möglich seien.448 Eine weitere Ansicht bezeichnet die Fälle des normierten Schweigens zwar als unwiderlegbar vermutete bzw. sogenannte unechte Willenserklärungen, die aber letztlich doch Willenserklärungen seien.449 Dieser Ansatz entspricht der in Italien überwiegenden Auffassung zum normierten Schweigen (silenzio con valore legale), welche, soweit es sich nicht um einen Rechtsverlust infolge eines Schweigens (decadenza) handelt, eine Zuordnung zur Willensäußerung (manifestazione di volontà) weitgehend befürwortet (oben § 3 II. 9.). Von der ganz herrschenden Auffassung in Deutschland wird hingegen vertreten, dass es sich bei gesetzlichen Fiktionen schon tatbestandlich nicht um wirkliche Willenserklärungen handelt, da die Rechtsfolgen des Schweigens allein auf der gesetzlichen Anordnung basieren.450 Teilweise wird angenommen, 446 Wie hier Grunewald/Schmidt, K., MüKo HGB, Band 5, 4. Auflage 2018, § 346 Rn. 166; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 681 ff.; vgl. ähnlich Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 5 (S. 67); vgl. auch grundlegend (und teils abweichend) zu den Geltungsgründen eines sog. „unbewussten Schweigens“ Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 106 ff. 447 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 74. 448 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 81 f. 449 Zunft, Anfechtbarkeit des Schweigens auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: NJW 1959, 276, 276 f. 450 Vgl. nur Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 197;
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
dass bei gesetzlich normierten Tatbeständen wie § 362 HGB immer eine Haftung ex lege vorliegt: selbst wenn ein Erklärungswille des Schweigenden gegeben ist, treten die Rechtsfolgen demnach doch stets von Gesetzes wegen ein.451 Die Rede ist bisweilen auch von einem bloßen „rechtlich relevanten Verhalten“, dessen Erklärungswert vom Gesetz bestimmt wird.452 Auch in Italien wird teils angenommen, dass das silenzio con valore legale keine Willenserklärung ist und seine Rechtsfolgen allein auf der gesetzlichen Anordnung beruhen (oben § 3 II. 8.). Allerdings wird insoweit von Norm zu Norm differenziert mit dem Ergebnis, dass letztlich doch häufig wieder ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert befürwortet wird. Die herrschende Meinung in Deutschland steht somit im Gegensatz zur wohl überwiegenden Ansicht in Italien, wo ein Verständnis des silenzio con valore legale als Willenserklärung häufig sogar generell, zumindest aber für die meisten Fälle befürwortet wird. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen dem normierten und beredten Schweigen im italienischen Recht jedoch auch stärker als im deutschen.
b) Argumente für eine differenzierende Auffassung Möglicherweise lässt sich aber für das deutsche Recht unter Einbeziehung der italienischen Ansichten zum normierten Schweigen eine überzeugende Position zwischen den beiden extremen Standpunkten finden. Der Gesetzeswortlaut allein ist für die dogmatische Zuordnung freilich wenig ergiebig: so fingiert das Gesetz, wie etwa der Wortlaut von § 516 Abs. 2 Satz 2 BGB zeigt, zwar das Bestehen einer Willenserklärung. Bei näherer Betrachtung deutet dies aber nicht zwingend auf das Vorliegen einer wirklichen Willenserklärung hin, hat der Gesetzgeber doch die Worte „gilt als angenommen“ und nicht „ist angenommen“ gewählt. Aufgrund dieser sprachlichen Differenzierung könnte man auch davon ausgehen, dass dogmatisch ein Unterschied zwischen solchen Handlungen und Unterlassungen besteht, die nur von Gesetzes wegen als etwas gelten und solchen, die tatsächlich etwas sind.453 Das italienische Recht formuliert übrigens ebenfalls sehr neutral in Art. 1333 Abs. 2 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 117); Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, 2. Auflage 1969, S. 59 ff.; Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 613; Oetker/Maultzsch, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 362 Rn. 4; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 107; Schopp, Schweigen im Rechtsverkehr, insbesondere im Handelsverkehr, in: RPfleger 1982, 321, 323; Bamberger/Roth/Wendtland, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 133 Rn. 12. 451 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 118, 120). 452 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 113 ff.); im Anschluss daran auch Staudinger/Dilcher, BGB 1980, Einl. zu §§ 104–185 Rn. 24 ff. und Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 41 ff. 453 Vgl. Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 107.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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Satz 2 c. c., dass der Vertrag in Ermangelung eines Widerspruchs geschlossen ist: „In mancanza di tale rifiuto il contratto è concluso.“ Gegen ein pauschales Verständnis des normierten Schweigens als rechtsgeschäftlichem Erklärungsakt spricht zunächst, dass seine Wirkungen zumindest nicht immer aus dem Willen des Schweigenden resultieren, sondern erst das Gesetz dem Schweigen aus Verkehrsschutzinteressen die Bedeutung einer Erklärung verleiht und es in diesem Fall an einer rechtsgeschäftlichen, privatautonom herbeigeführten Bindung mangelt.454 Kennzeichnend für letztere ist nämlich ein Mindestmaß an Privatautonomie, an der es im Einzelfall bei einem normierten Schweigen fehlen kann: Anders als bei den Fällen beredten Schweigens liegt es nicht unbedingt in der Hand des Schweigenden oder seines Gegenübers, den Erklärungsgehalt zu bestimmen, da es für die Fiktion stets sowohl irrelevant ist, wie das Verhalten gemeint war als auch, wie es den Umständen nach vom Rechtsverkehr verstanden werden konnte.455 Die Rechtsfolgen treten in jedem Fall ganz unabhängig vom tatsächlichen Rechtsfolgewillen des Schweigenden und von den Umständen des Einzelfalles ein, sodass jedenfalls nicht immer vom Vorliegen einer konkludenten Willenserklärung ausgegangen werden kann. Auch wenn man also auf das Erklärungsbewusstsein des Schweigenden verzichtet und für das Vorliegen einer Willenserklärung auf den objektiven Empfängerhorizont abstellt, kann es Konstellationen geben, in denen kein privatautonomer Gestaltungsakt vorliegt, wie etwa dann, wenn der Schweigende zu einer Willensäußerung außerstande war.456 Dies übersehen die insbesondere im italienischen Recht bestehenden Ansätze, die generell alle Fälle des normierten Schweigens als konkludente Willenserklärung verstehen wollen. Dennoch zeigt sich, dass zwar nicht immer, aber doch in vielen Fällen eine rechtsgeschäftliche Erklärung des normierten Schweigens überzeugt: So spricht hierfür zunächst, dass der Passivität des Schweigenden, wie oben gesehen, überwiegend gerade deshalb Rechtsfolgen zugeordnet werden, weil diese im Normalfall auch seinem Willen und Interesse entsprechen – etwa aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit, man denke nur an den contratto a carico del solo proponente (Vertrag zu Lasten des Anbietenden) bzw. die deutsche Schenkung, aber auch weil so Rechtssicherheit für beide Parteien erzielt werden kann (etwa 454 Vgl. so auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 197; Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, § 362 Rn. 1; Oetker/Maultzsch, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 362 HGB Rn. 4; Bamberger/ Roth/Wendtland, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 133 Rn. 12. 455 Vgl. Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 118); Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 72.; Bamberger/Roth/Wendtland, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 133 Rn. 12. 456 Vgl. Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, in: AcP 183 (1983), 608, 613; vgl. auch Schmidt, K., Handelsrecht, 4. Auflage 1994, S. 682.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
bei der relocatio tacita).457 Der Gesetzgeber orientiert sich bei seiner Normierung gerade an der Verwirklichung des Parteiinteresses.458 Diese Anknüpfung an einen regelmäßig bestehenden Willen des Schweigenden deutet auf das Vorliegen eines echten rechtsgeschäftlichen Erklärungsaktes hin.459 Soweit vorgebracht wird, dass die Grundlage der Rechtsfolgen allein die Tatsache des Schweigens sei, ohne dass es auf ein Erklärungsbewusstsein des Schweigenden ankomme460, ist dem entgegenzuhalten, dass letzteres nach hier vertretener Auffassung ohnehin kein konstitutives Merkmal für eine Willenserklärung ist, sondern ein potentielles Erklärungsbewusstsein ausreicht. Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont wäre aber wegen der vorteilhaften Rechtsfolgen und der im Vorfeld bestehenden Geschäftsbeziehungen regelmäßig auch ohne die Normierung von einer im Schweigen liegenden konkludenten Zustimmung des Begünstigten auszugehen. Für ein weitgehend rechtsgeschäftliches Verständnis des normierten Schweigens lässt sich zudem anführen, dass der Untätige zumeist durch eine entsprechende Gestaltung seines Verhaltens eine unerwünschte Deutung ausschließen oder zumindest durch Ablehnung und Widerspruch den Eintritt der nicht gewollten Rechtsfolgen verhindern kann.461 Dies betonen auch Vertreter der italienischen Rechtswissenschaft überzeugend. Wenn aber eine privatautonome Gestaltungsmöglichkeit für den Schweigenden verbleibt, wie es bei den normierten Fällen des Schweigens mit Verpflichtungswirkung im italienischen und deutschen Recht regelmäßig der Fall ist, handelt es sich letztlich bei der Normierung mehr um eine typisierte Wertung des Verhaltens, die der Betroffene durch sein Tätigwerden vermeiden kann, als um eine bloße Rechtsfolge ex lege. Schließlich wandeln sich manche Fälle eines ursprünglich beredten Schweigens auch im Laufe der Zeit durch Kodifikation oder Richterrecht in solche eines normierten Schweigens (zur Rechtsgeschichte oben § 2 III. 1.), sodass ihr historischer Ausgangspunkt privatautonom war. Die richterrechtliche Deutung eines Schweigens oder sonstigen Verhaltens als konkludente Willenserklärung 457 Vgl. Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 12; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 74. 458 Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 90. 459 So F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 72; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, 15. Auflage 1960, S. 947 ff.; vgl. auch Zunft, Anfechtbarkeit des Schweigens auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: NJW 1959, 276, 276 f., der freilich von einer „unechten Willenserklärung“ spricht. 460 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004, § 28 Rn. 77; ähnlich auch Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Auflage 2020, § 31 Rn. 20; vgl. auch Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, § 362 Rn. 4. 461 Dazu F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 127 f.
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stellt rechtshistorisch oft die Vorstufe zu einer gesetzlichen Regelung bzw. Fiktion dar.462 Auch im italienischen Recht findet sich der Gedanke, dass die ursprüngliche Erforderlichkeit einer privatautonomen Zustimmung im Laufe der Zeit vom Gesetzgeber aufgegeben und durch eine schwächere Form der Zustimmung („consenso più debole“) in Gestalt eines Schweigens bzw. fehlenden Widerspruchs ersetzt wurde.463 Die Dynamik des Prozesses zeigt sich rechtsgeschichtlich, aber auch rechtsvergleichend beispielhaft am kaufmännischen Bestätigungsschreiben: so galten die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht von Anfang an. Während die Wirkung des Schweigens gegenüber einem solchen Schreiben im deutschen Recht mittlerweile gewohnheitsrechtlich so verfestigt ist, dass es einem normierten Schweigen gleichsteht, kann es im italienischen Recht nur im Einzelfall bei Vorliegen entsprechender Umstände als silenzio circostanziato Bedeutung erlangen. Auch Art. 1333 Abs. 2 c. c. zeigt, dass der Gesetzgeber Fälle normieren kann, die in einer anderen Rechtsordnung häufig über die Annahme eines konkludenten Schweigens (ggf. in Verbindung mit Mechanismen wie § 151 BGB) gelöst werden können, wobei das Ergebnis – nämlich der Abschluss eines Vertrages infolge der Untätigkeit des Begünstigten – gleichbleibt. Jedenfalls sollte man daher, wenn der Schweigende durch sein Verhalten ganz bewusst seinen Willen zum Ausdruck bringen wollte und der Geschäftspartner dies so verstehen durfte, auch von einer Willenserklärung im Sinne eines beredten Schweigens, also einem rechtsgeschäftlichen Gestaltungsakt ausgehen.464 In den Fällen, in denen nämlich jemand nachweisbar mit dem Willen der Zustimmung schweigt – möglicherweise sogar in Rechtskenntnis, man denke an eine Schenkung zwischen zwei juristisch versierten Menschen – erscheint die Ablehnung einer Willenserklärung wenig überzeugend. Aber auch dann, wenn sich der Erklärungsgehalt des Schweigens nur aus den Umständen ergibt, sollte zunächst geprüft werden, ob eine Einordnung als konkludente Willenserklärung erfolgen kann. Freilich mag sich die Feststellung eines solchen Konkludenz im Einzelfall schwierig gestalten, doch können hierfür die gesetzlichen Regeln wie § 362 HGB einen Anhaltspunkt bilden, da sie eine gesetzliche Typisierung darstellen, welche darauf schließen lässt, dass der 462 Vgl. Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 91 (1974) 251, 283. 463 Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, I Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 152 f. und Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, II Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 166 sowie Bonfante, Il silenzio nella conclusione dei contratti, III Studio, in: Scritti giuridici vari, Band 3, Obbligazioni, 1926, S. 182. 464 So auch Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 245; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 74 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, 119, a. A. Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 118, 120).
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
Schweigende mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen bestimmten Willen aufweist.465 Soweit ein entsprechender konkludenter Wille des Schweigenden vorliegt, ist kein Grund ersichtlich, nur wegen des Vorliegens einer gesetzlichen Normierung eine Willenserklärung abzulehnen. Die gesetzlichen Fiktionen erfüllen demnach vorrangig den Zweck, im Interesse der Rechtsklarheit und der Verkehrssicherheit Erklärungswirkungen in bestimmten Fällen ex lege einzelfallunabhängig generell zuzurechnen, auch wenn es im konkreten Fall an einer für die Annahme einer echten Willenserklärung hinreichenden Konkludenz des Schweigens mangelt.466 Soweit freilich anhand der Indizien ein Wille des Schweigenden zur Herbeiführung der Rechtsfolge nicht zu ermitteln ist, erfolgt die Zurechnung allein im Interesse der Rechtssicherheit und kann damit auch nicht rechtsgeschäftlich, sondern nur aufgrund der gesetzlichen Anordnung erklärt werden.467 Nur für diese (Rest-)Fälle, in denen es an der notwendigen Konkludenz und einem Vertrauen des Geschäftspartners fehlt, sollte von einer Zurechnung ex lege ausgegangen werden, während für die wohl meisten Fälle gilt, dass auch im normierten Schweigen ein beredtes Schweigen und damit eine Willenserklärung liegt. Für eine Unterteilung des normierten Schweigens im deutschen Privatrecht in Fälle, in denen die Rechtsfolgen auf einem Willen des Schweigenden basieren und solche, in denen allein das Gesetz die Rechtswirkungen anordnet, spricht schließlich auch der Blick ins italienische Recht: dieses unterscheidet nämlich weniger nach der äußeren Form als nach dem Regelungsgehalt der Norm (oben § 3 II. 8.): Lassen sich die angeordneten Rechtswirkungen auf den konkludent durch die Untätigkeit zum Ausdruck gebrachten Willen des Schweigenden zurückführen, wie dies wohl für die Mehrheit der Fälle des normierten Schweigens (silenzio con valore legale) zutrifft, geht die überwiegende Auffassung überzeugend von einer rechtsgeschäftlichen Verortung aus. Letztlich ist die Funktion des gesetzlich normierten Schweigens damit eine doppelte: dort, wo keine privatautonom gestaltete Willenserklärung vorliegt, fingieren sie eine Willenserklärung und führen so im Interesse des Verkehrsschutzes einzelfallunabhängig zu einer bestimmten Rechtsfolge. Dort, wo eine echte rechtsgeschäftliche Erklärung vorliegt, ermöglichen sie hingegen durch ihre typisierende Wirkung deren Ermittlung.468 Der Vorteil dieser differenzierenden Lösung zeigt sich nicht zuletzt auf der sogleich zu thematisierenden 465 Vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S. 231; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 74 f.; Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, § 362 Rn. 4. 466 Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 245; Staudinger/ Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 72. 467 Vgl. so auch Oetker/Maultzsch, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 362 HGB Rn. 4; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 72. 468 Vgl. Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 74.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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Rechtsfolgenseite, wo eine Begründung der analogen Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen in weiten Teilen entbehrlich wird.
10. Stellungnahme zur Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf das Schweigen Eng mit der Entscheidung über die dogmatische Einordnung verknüpft ist die praktisch sehr relevante Frage, welche Rechtsvorschriften auf das Schweigen angewandt werden können, insbesondere, ob und wann ein Schweigen anfechtbar ist und der Schweigende sich von der ungewollten Rechtsfolge befreien kann, aber auch, ob beispielsweise eine Geschäftsfähigkeit des Schweigenden erforderlich ist. Diejenigen, die eine Einordnung des Schweigens als Willenserklärung gänzlich oder teilweise ablehnen, können, ähnlich wie im italienischen Recht, allenfalls eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen erwägen. Soweit sie beispielsweise die Rechtsfolgen des Schweigens mit einem Rechtsschein begründen (oben § 4 II. 7. c)), ist eine Anfechtbarkeit kaum denkbar, da eine Berücksichtigung von Willensmängeln dem bezweckten Vertrauensschutz zuwiderliefe.469 Teilweise werden die Vorschriften dennoch entsprechend mit dem Argument herangezogen, dass sie die allgemeine Frage der Relevanz eines Willensmangels beträfen, welche nicht nur bei Rechtsgeschäften, sondern auch bei Rechtsscheintatbeständen auftreten könne.470 Aber auch, wenn man dem beredten Schweigen wie nach hier vertretener Auffassung unabhängig vom Vorliegen eines Erklärungsbewusstseins die Qualität einer Willenserklärung zuerkennt, ist damit noch nicht geklärt, ob ein normiertes Schweigen gleich einem beredten behandelt werden kann und ob hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeit einer Untätigkeit möglicherweise in bestimmten Fällen andere Regeln als bei ausdrücklichen oder durch aktives Verhalten konkludent getätigten Willenserklärungen gelten.
a) Rechtslage beim beredten Schweigen aa) Geltende Rechtslage Unter der – hier vertretenen – Prämisse, dass das Schweigen bei Hinzutreten gewisser Umstände eine Willenserklärung sein kann, ergibt sich in Rechtsprechung und Literatur, soweit sie diese Auffassung ebenfalls befürworten, folgendes Bild: Soweit eine konkludente Willenserklärung in Gestalt des Schweigens vorliegt, können auch die Vorschriften über Willenserklärungen direkte Anwendung 469 470
Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 157 ff. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 35.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
finden.471 Es gelten nämlich, zumindest nach mittlerweile ganz überwiegender Auffassung im deutschen Recht, im Vergleich zu ausdrücklichen und konkludenten Willenserklärungen grundsätzlich keine Besonderheiten in der Behandlung, da auch das Schweigen in Verbindung mit bestimmten weiteren Umständen nichts anderes als eine konkludente Willenserklärung darstellt.472 Demnach verhindert die Geschäftsunfähigkeit die Wirksamkeit einer im Schweigen liegenden Erklärung und der Schweigende kann sich grundsätzlich bei einem Irrtum mittels einer Anfechtung von den Folgen seiner Passivität befreien. Dies entspricht im Wesentlichen der in Italien geltenden Rechtslage (oben § 3 II. 9.), wobei freilich Unterschiede im Bereich der Geschäftsunfähigkeit bestehen, die in Italien nicht zur Nichtigkeit der Erklärung führt, sondern eigens geltend zu machen ist. Die Gleichbehandlung von konkludenten und ausdrücklichen Willenserklärungen war in Italien zwar ebenso lange umstritten, wird im Grundsatz aber nun weitgehend bejaht. Eine Anfechtbarkeit scheidet nach ganz überwiegender Auffassung in Deutschland aber dann aus, wenn gerade ein Irrtum über die Bedeutung des Schweigens vorliegt (sogenannter Schlüssigkeitsirrtum).473 Nur vereinzelt wird vertreten, dass auch ein Schlüssigkeitsirrtum durch Anfechtung geltend gemacht werden kann, wenn die Erklärungswirkung nicht auf einer Parteivereinbarung, sondern der Konkludenz des Schweigens im Einzelfall beruht.474 Vom Schlüssigkeitsirrtum sind Situationen zu unterscheiden, in denen das Schweigen auf einer bloßen Tatsachenunkenntnis beruht, beispielsweise, weil der Schweigende im Falle einer Vereinbarung über das Schweigen als Erklärungszeichen vom Antrag gar keine Kenntnis hat.475 In beiden Fällen fehlt dem Untätigen jedoch das Erklärungsbewusstsein. Auch das italienische Recht lehnt eine Geltendmachung des Irrtums über den Bedeutungsgehalt des Schweigens überwiegend ab, sei es, weil ein solcher Irrtum als unerheblicher Rechtsirrtum verstanden wird, sei es, weil dem Schweigenden im Rahmen der Selbstverant471 Vgl. statt vieler RG 5.11.1931 – VIII 344/31, in: RGZ 134, 195, 197; Säcker/Kramer, MüKo BGB, Band 1, 5. Auflage 2006, Vor 116 Rn. 41; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Auflage 2020, § 31 Rn. 15. 472 Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 77 ff.; eingehend Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS Canaris, Band 1, 2007, S. 871, 871 ff. 473 Statt vieler BGH 7.7.1969 – VII ZR 104/67, in: NJW 1969, 1711, 1711; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 202; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 135; Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 119 Rn. 69; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 12; Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 67; a. A. Hager/Rehberg, BeckOGK BGB, Stand 1.9.2021, § 116 Rn. 103.1. 474 Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 250. 475 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 188 f.: Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 249.
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wortung (autoresponsabilità) weitgehende Sorgfaltspflichten auferlegt werden und das Vertrauen des Gegenübers als überwiegend angesehen wird.
bb) Rechtsvergleichende Bewertung Die grundsätzliche Gleichstellung des beredten Schweigens mit anderen konkludenten sowie ausdrücklichen Willenserklärungen in der Behandlung überzeugt und steht im Einklang mit der italienischen Handhabung des beredten Schweigens (silenzio circostanziato): Für die unterschiedslose Behandlung von konkludenten Willenserklärungen durch beredtes Schweigen und ausdrücklichen Willenserklärungen spricht, dass beide die gleiche Bindungswirkung und die gleichen Rechtsfolgen entfalten und der deutsche, aber auch der italienische Gesetzgeber, wie oben ausgeführt, die verschiedenen Erklärungsformen hinsichtlich ihrer Zulässigkeit gleichgestellt haben, woraus auch eine prinzipielle Gleichbehandlung folgen muss.476 Bloße Unterschiede im objektiven Tatbestand bzw. eine bestimmte Form des Erklärungsmittels können nicht allein Unterschiede in der Behandlung des subjektiven Tatbestands ein und desselben Rechtsinstituts, nämlich einer Willenserklärung, nach sich ziehen, sondern eine abweichende Behandlung kann nur durch eine abweichende Interessenlage gerechtfertigt werden.477 Die dogmatisch stringente Gleichbehandlung aller Willenserklärungen unabhängig von der jeweiligen äußeren Form ist auch deshalb erforderlich, weil es Grenzfälle gibt, in denen kaum zu unterscheiden ist, ob eine konkludente oder ausdrückliche Erklärung vorliegt oder ob – speziell beim Schweigen – die Untätigkeit aufgrund einer diesbezüglichen Vereinbarung nicht sogar zu einer im Rechtssinne ausdrücklichen Willenserklärung wird. Auch in der italienischen und deutschen Literatur wird immer wieder betont, dass ausdrückliche Äußerungen ebenso auslegungsbedürftig sind wie konkludente, was zeigt, dass die Sinnhaftigkeit einer generellen Unterscheidung zwischen beiden Phänomenen zu bezweifeln ist. Die grundsätzliche Gleichstellung des beredten Schweigens mit anderen Willenserklärungen überzeugt auch wertungsmäßig, da anderenfalls ein Schweigender schlechter stünde als ein sich ausdrücklich Erklärender, während sein Gegenüber sich paradoxerweise stärker auf ein beredtes Schweigen als eine ausdrückliche Willenserklärung verlassen dürfte.478 In Italien wird zwar teils eine unterschiedliche Behandlung von ausdrücklichen und konkludenten Willenserklärungen hinsichtlich einzelner Aspekte be476 Vgl. (auch zu anderen Rechtsordnungen) Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS Canaris, Band 1, 2007, S. 871, 872. 477 Ebenso Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 249 f.; Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS Canaris, Band 1, 2007, S. 871, 879 und 900. 478 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 54; Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS Canaris, Band 1, 2007, S. 871, 885 f.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
fürwortet, doch stellt sich diese bei näherer Betrachtung eher als bloße Korrektur, insbesondere im Bereich des Erklärungsbewusstseins heraus, die nicht die grundsätzliche Gleichbehandlung in Frage stellt und die nur aufgrund einer bestimmten Interessenlage vorgenommen wird. Letzteres ist aber gerade auch ein Ansatzpunkt für eine punktuell unterschiedliche Behandlung von konkludenten Erklärungen nach deutschem Recht, wie sie unter anderem von Canaris vorgeschlagen wird und welche auch überzeugt. Hinsichtlich des als eine solche Besonderheit thematisierten sogenannten Schlüssigkeitsirrtums ist zu beachten, dass schon vorab im Wege der Auslegung Fälle herausgefiltert werden können, in denen der Schweigende vernünftigerweise nicht mit einer Zurechnung als Erklärungsbedeutung rechnen musste und es daher gar nicht erst zu einer Bindung infolge des Schweigens kommt.479 Dies entspricht auch der in Italien praktizierten Herangehensweise, wonach es ausreichend, aber auch notwendig ist, dass der Erklärende anhand der Umstände erkennen konnte, dass seinem Verhalten eine rechtliche Bedeutung zukommt.480 Dabei sollte hinsichtlich der Geltendmachung des Schlüssigkeitsirrtums auch nicht, wie vereinzelt vorgeschlagen, zwischen Fällen vereinbarten Schweigens und solchen, bei denen sich die Konkludenz aus anderen Umständen ergibt, differenziert werden481: Wie bereits beschrieben, gestalten sich nämlich die Übergänge zwischen beiden Phänomenen fließend, da eine Vereinbarung über die Erklärungsbedeutung des Schweigens auch konkludent getroffen werden kann. Für die verbleibenden Fälle eines Irrtums über den Erklärungsgehalt des Schweigens gilt, dass nach hier vertretener Ansicht das Fehlen des Erklärungsbewusstseins im deutschen Recht grundsätzlich die Anfechtbarkeit der Willenserklärung nach sich zieht, wobei es der Schweigende gegebenenfalls schwer haben wird, mit seiner Behauptung durchzudringen, er habe nicht um die Bedeutung seines Verhaltens gewusst, wenn sich ihm die Konkludenz seiner Untätigkeit geradezu aufdrängen musste.482 Auch der letztgenannte Aspekt findet sich in der italienischen Rechtswissenschaft wieder, wenn das Erklärungsbewusstsein mit einer Obliegenheit zur Kenntnisnahme vom Bedeutungsgehalt ersetzt wird, welche überdies an die Stellung des Schweigenden im Rechtsleben, wie etwa seine Kaufmannseigenschaft, anknüpft.483 Wie im italienischen Recht (oben § 3 II. 6. b) bb)) sollte damit im Interesse des Vertrauensschutzes des Rechtsverkehrs über die Anfechtbarkeit wegen fehlender Kennt479 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 205 f.; Mota Pinto, Über Willensmängel bei schlüssigem Verhalten, in: FS Canaris, Band 1, 2007, S. 871, 886. 480 Vgl. Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 190. 481 So aber Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 250. 482 Vgl. (mit abweichender Ansicht hinsichtlich der Rechtsfolgen fehlenden Erklärungsbewusstseins) Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 80. 483 So bei Betti, Teoria generale del negozio giuridico, 2. Auflage 1952 (Nachdruck), S. 140 (Fn. 5) und 144 f.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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nis der Schlüssigkeit des Schweigens entscheiden, ob den Schweigenden eine Kenntnisnahmeobliegenheit hinsichtlich des Bedeutungsgehalts seines Verhaltens trifft. Dies ermöglicht nämlich auch eine Berücksichtigung besonderer Verkehrskreise sowie handelsrechtlicher Besonderheiten. Unterschiede ergeben sich im Vergleich von italienischem und deutschem Recht hinsichtlich der Rechtsfolge: Aufgrund der im italienischen Recht geforderten Wesentlichkeit und Erkennbarkeit des Irrtums dürfte es in Italien bei einem beredten Schweigen deutlich seltener zu einer Anfechtbarkeit infolge von Fehlern bei der Willensbildung kommen. Zudem führt im italienischen Recht, anders als im deutschen Recht, die Geschäftsunfähigkeit nicht notwendig zur Unwirksamkeit oder zumindest schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, sondern nur zur Vernichtbarkeit des betroffenen Aktes.484 Auch das fehlende Erklärungsbewusstsein hindert zumeist nicht die Wirksamkeit der Erklärung. Das Vertrauen der Gegenseite in die Wirksamkeit der im Schweigen liegenden Willenserklärung genießt damit in Italien einen deutlich stärkeren Schutz als in Deutschland. Dass dies durchaus überzeugt, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Art. 151 des Europäischen Vertragsgesetzbuches für die Anfechtung dem italienischen Ansatz der Erkennbarkeit des Irrtums gefolgt ist (unten § 6 I. 2.).
b) Rechtslage beim normierten Schweigen aa) Geltende Rechtslage Es hängt auch im deutschen Recht von der dogmatischen Einordnung des normierten Schweigens ab, ob die Anfechtungsregeln direkt oder nur analog angewandt werden:485 Vereinzelt wird eine unterschiedslose Geltung der eben beschriebenen Regeln für das beredte Schweigen auch für das normierte Schweigens befürwortet, wenn der Schweigende bei letzteren ein Erklärungsbewusstsein aufwies und damit – so diese Auffassung – in Wirklichkeit eine „echte“ Willenserklärung vorliegt.486 Ein „Schweigen mit Annahmewillen“ stellt demzufolge nämlich einen rechtsgeschäftlichen Gestaltungsakt und keine von Gesetzes wegen erfolgende Bindung dar, sodass die Vorschriften über Willenserklärungen, wie insbesondere die §§ 119 ff. BGB direkt angewandt werden können.487 Im italienischen Recht ist diese Auffassung deutlich stärker verbreitet und dürfte sogar 484 Die
bis zur Volljährigkeit nach Art. 2 Abs. 1 und 2 c. c. fehlende Geschäftsfähigkeit (capacità di agire) führt nicht zur Nichtigkeit des Vertrages ipso iure, sondern muss durch eine Gestaltungsklage (Artt. 1425, 1441 ff. c. c.) geltend gemacht werden. 485 Vgl. dazu Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 690 f. 486 Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 134 ff. 487 Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979, S. 74 ff.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
als vorherrschend bezeichnet werden, wobei freilich teilweise je nach Norm und der Art des normierten Schweigens differenziert wird. Soweit beim normierten Schweigen nicht vom Vorliegen einer Willenserklärung ausgegangen wird, kann allenfalls eine entsprechende Anwendung der für diese geltenden Vorschriften erwogen werden.488 Eine Auslegung nach § 133 BGB kann bei einer Fiktion, anders als bei einem konkludenten Verhalten, nicht in Betracht kommen, da ansonsten die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge wieder entkräftet werden könnte, was der Intention der gesetzlichen Typisierung zuwider liefe.489 Dass jedoch zumindest die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit wegen der gleich gelagerten Interessenlage auch auf ein normiertes Schweigen mit verpflichtender Wirkung entsprechende Anwendung finden, ist insgesamt anerkannt.490 So sei eine Bindung dann abzulehnen, wenn der Schweigende gar nicht die Möglichkeit hatte, eine entgegenstehende Willenserklärung abzugeben, etwa weil er geschäftsunfähig ist oder unverschuldet keine Erklärung abgeben konnte.491 Auch im italienischen Recht plädieren diejenigen, die im normierten Schweigen keine Willenserklärung sehen wollen, überwiegend für eine analoge Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen. Umstrittener ist die Rechtslage hinsichtlich der Frage, ob und in welchen Fällen der Schweigende sich durch Anfechtung von den unerwünschten Folgen seiner Untätigkeit befreien kann: Einigkeit besteht mittlerweile, soweit ersichtlich, nur insoweit, dass ein Irrtum über die Bedeutung des Schweigens jedenfalls nicht zur Anfechtung berechtigt.492 Nach einer in der Vergangenheit vertretenen Auffassung ist aber auch eine Anfechtung aus anderen Gründen im Falle normierten Schweigens stets ausgeschlossen.493 Auch die Rechtsprechung ging teilweise davon aus, dass eine Anfechtung das Vorliegen einer Willenserklärung voraussetzt und für sie im Falle einer Rechtswirkung, die nicht auf einer Willensäußerung basiert, kein Raum ist.494 Nach anderer Auffassung soll eine Anfechtungsmöglichkeit im Falle arglistiger Täuschung (entsprechend § 123 488 Vgl. Oetker/Maultzsch, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 362 HGB Rn. 4; Staudinger/Dilcher, BGB 1980, Einl. zu §§ 104–185 Rn. 26. 489 Vgl. nur Säcker/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 133 Rn. 38; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 106. 490 Vgl. Schubert/Armbrüster, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 12; Westermann u. a./Arnold, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, Vor § 116 Rn. 11; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 280. 491 Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 119). 492 Vgl. statt vieler BGH 27.10.1953 – I ZR 111/52, in: BeckRS 1953, 30373959; Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 9. Auflage 2019, § 7 Rn. 16; Koller u. a./Roth, HGB, 9. Auflage 2019, § 362 Rn. 11; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Auflage 2014, S. 690 f; Zunft, Anfechtbarkeit des Schweigens auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: NJW 1959, 276, 277 jeweils m. w. N.; a. A. noch RG 20.1.1922 – II 360/21, in: RGZ 103, 401, 405. 493 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 108; wohl auch Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 80. 494 BGH 27.10.1953 – I ZR 111/53, in: NJW 1954, 105, 106; offen gelassen in BGH 7.7.1969 – VII ZR 104/67, in: NJW 1969, 1711, 1711.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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BGB), aber auch bei einem sonstigen Irrtum des Schweigenden bestehen. Freilich gilt dies nicht für den Rechtsfolgenirrtum über die gesetzlich bestimmten Konsequenzen seiner Untätigkeit.495 Wegen des gesteigerten Verkehrsschutzbedürfnisses werden überdies im Handelsrecht besondere Regeln erwogen: So schließt eine Auffassung ein Anfechtungsrecht bezüglich eines Tatsachenirrtums dann aus, wenn der Irrtum des schweigenden Kaufmannes verschuldet war496, während von einer anderen Auffassung die Wertung des § 130 BGB fruchtbar gemacht wird, sodass eine Anfechtungsmöglichkeit dann ausscheidet, wenn dem Schweigenden die Kenntnisnahme möglich und zumutbar war.497 Andere stellen dagegen im Falle von § 362 HGB oder von einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben auf das kaufmännische Organisationsrisiko ab: So soll, wenn der Kaufmann keine Kenntnis vom Antrag bzw. Schreiben hat und dies nicht in seinem kaufmännischen Betriebsrisiko liegt, das Schweigen schon gar nicht zugerechnet werden.498 Daneben wird auch ein gänzlicher Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeit beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben angenommen; selbst bei Unkenntnis vom Zugang des Schreibens soll wegen der darin liegenden Sorgfaltspflichtverletzung eine Anfechtung ausscheiden.499 Diese Tendenz ist im italienischen Recht, wie schon mehrfach erwähnt, etwa auch bei Betti zu beobachten.
bb) Rechtsvergleichende Bewertung Die italienische Rechtslage mit ihrer Fülle an Auffassungen und Differenzierungen zur Einordnung und Behandlung des normierten Schweigens (silenzio con valore legale) erweist sich als wesentlich unübersichtlicher als die deutsche. Dennoch finden sich aber gerade im italienischen Recht überzeugende Aspekte zur Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf das normierte Schweigen: Das italienische Recht differenziert bereits bei der dogmatischen Einordnung des silenzio con valore legale und knüpft dabei maßgeblich daran an, ob eine Willenserklärung des Schweigenden naheliegt (oben § 3 II. 8.). In 495 So etwa Schubert/Busche, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 147 Rn.10; Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 119); Petersen, Schweigen im Rechtsverkehr, in: Jura 2003, 687, 689. 496 Vgl. so etwa Westermann u. a./Arnold, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, Vor § 116 Rn. 11; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 250; Flume, BGB AT, Band 2, 4. Auflage 1992, § 10 2. (S. 119). 497 Vgl. Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 253 f. (allgemein, nicht nur zum Handelsrecht). 498 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 202 ff., 209 ff. und Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 92 f. 499 Zunft, Anfechtbarkeit des Schweigens auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in: NJW 1959, 276, 277.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
der Folge bejaht sie, wenn dies der Fall ist, dogmatisch stringent auch die Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen. Daher sollte auch im deutschen Recht, soweit bei den Fällen normierten Schweigens ein entsprechender Wille des Schweigenden positiv ermittelt werden kann und damit – nach hier vertretener Auffassung – eine Willenserklärung vorliegt, kein Unterschied zur Behandlung eines beredten Schweigens gelten. Dies hat zur Folge, dass auch die Vorschriften über Willenserklärungen wie insbesondere die Anfechtungsregeln unmittelbar anwendbar sind. Auf den ersten Blick erscheint es zweifelhaft, ob auch auf die Fälle normierten Schweigens, in denen es allein aufgrund der gesetzlichen Anordnung und ohne Vorliegen eines entsprechenden Willens zu einer Verpflichtung kommt, Vorschriften, die für rechtsgeschäftliches Handeln entwickelt wurden, anwendbar sind. So lässt sich der Auffassung, die zwar von einem objektiv-gesetzlichen Tatbestand ausgeht, aber dennoch die Vorschriften über Willenserklärungen für die Fälle eines normierten Schweigens analog heranziehen will, entgegengehalten, dass es inkonsequent ist, auf einen von Gesetzes wegen Rechtsfolgen zeitigenden Tatbestand Vorschriften heranzuziehen, die für rechtsgeschäftliches Verhalten entwickelt wurden.500 Dies wird auch in der italienischen Rechtswissenschaft kritisiert. Wie schon bei der dogmatischen Einordnung des normierten Schweigens dargelegt, weisen die Tatbestände normierten Schweigens aber gerade eine große Nähe zu jenen des beredten Schweigens auf, wobei die Grenze zwischen beiden oft fließend ist, wie etwa beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Insofern überzeugt es, die Vorschriften über Willenserklärungen mit einigen Einschränkungen zumindest entsprechend auf sie anzuwenden. Aus rechtsvergleichender Sicht lässt sich zudem argumentieren, dass auch in Italien die Möglichkeit einer Geltendmachung von Willensmängeln überwiegend befürwortet wird, weil die Widerspruchsmöglichkeit des Schweigenden eine Gleichstellung mit einer privatautonomen Willenserklärung bzw. Zustimmung rechtfertigt.501 Diejenigen, die nicht ohnehin im silenzio con valore legale eine Willenserklärung sehen, berücksichtigen zumindest etwaige Willensmängel. Die entsprechende Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen kann jedoch nicht lückenlos gelten: verstirbt beispielsweise jemand im Zustand der Geschäftsunfähigkeit, ohne testiert zu haben, so kann die fehlende Geschäftsfähigkeit sicherlich nicht der infolge seines Schweigens eintretenden gesetzlichen Erbfolge entgegengehalten werden. Zudem ist, ähnlich wie schon beim beredten Schweigen, für den praktisch bedeutsamen Fall, dass gerade deshalb angefochten werden soll, weil die Bedeutungswirkung des Schweigens 500 F. Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 77. 501 Vgl. etwa Torrente/Schlesinger, Manuale di
diritto privato, 23. Auflage 2017, S. 544 („[…] per la perfezione del contratto è sufficiente il contegno omissivo del destinatario […]“); in der Rechtsprechung: Cass. civ. 26.6.1995, Nr. 7216.
II. Schweigen als Verpflichtungsgrund
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verkannt wurde, erst recht beim normierten Schweigen eine Ausnahme zu machen, da die gesetzlichen Fiktionen anderenfalls in weiten Teilen leerliefen und der Rechtsverkehr nicht hinreichend geschützt wäre.502 Auch die gewohnheitsrechtlich anerkannten Folgen eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens als Unterfall eines normierten Schweigens würden zunichte gemacht, wenn man eine Anfechtung wegen eines Schlüssigkeitsirrtums über das Schweigen zuließe.503 Anders als beim beredten Schweigen können Schlüssigkeitsirrtümer beim normierten Schweigen infolge der fehlenden Konkludenzprüfung sogar noch leichter behauptet werden.504 Die Bindung rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass die Rechtsfolge gesetzlich normiert oder, beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Sinn und Zweck dieser Normierung ist gerade der Schutz des Vertrauens von Erklärungsempfänger und Rechtsverkehr in die Bedeutung des Schweigens als Annahme505, wie zurecht auch von Teilen der italienischen Literatur eingewandt wird (oben § 3 II. 9. b)). Im Handelsverkehr besteht zudem unstreitig ein gesteigertes Verkehrsschutzbedürfnis, sodass durchaus zu überlegen ist, ob dem Kaufmann eine Anfechtung dann versagt werden sollte, wenn seine Unkenntnis vom Eingang eines Antrags (sogenannte Tatsachenunkenntnis) oder sein sonstiger Irrtum auf fehlender Sorgfalt oder mangelhafter Betriebsorganisation beruht.506 Gegen eine besondere Behandlung des Schweigens unter Kaufleuten spricht jedoch das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Annahme, dass Mängel in der kaufmännischen Betriebsorganisation zu einem Anfechtungsausschluss führen können.507 Das hinsichtlich der Anfechtungsregeln auch für den Handelsverkehr geltende Bürgerliche Gesetzbuch stellt nicht auf das Verschulden beim Irrtum oder auf gesteigerte Sorgfaltspflichten ab508 und das Kriterium der kaufmännischen Sorgfalt bräche überdies auch die Gefahr mangelnder Vorhersehbarkeit einer (richterlichen) Entscheidung mit sich. Soweit der Empfänger das Schreiben überhaupt nicht liest, ist eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums schon deshalb nicht möglich, weil er gar keine hinreichend bestimmte Vorstellung hinsichtlich des Inhalts des Schreibens aufweisen wird.509 Für den praktisch wichtigen Fall, dass ein Kaufmann sich über die Übereinstimmung des kaufmännischen Bestätigungsschreibens mit den vorausgegangenen Verhandlungen irrt, ergibt sich überdies die fehlende Anfechtungsmöglich502 Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 67; ebenso Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 202. 503 Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 250. 504 Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 67. 505 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 206. 506 Vgl. dazu Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, in: Jura 1984, 235, 249. 507 Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 70. 508 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 211. 509 Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 Rn. 39.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
keit bereits unproblematisch aus den allgemeinen Grundsätzen: der Kaufmann erklärt in diesem Fall mit seinem Schweigen das, was er erklären will, nämlich sein (vermeintliches) Einverständnis. Dass letztlich keine Übereinstimmung vorliegt, stellt einen bloßen Motivirrtum dar, welcher nicht zur Anfechtung berechtigt.510 Hinzu kommt, dass es gerade Sinn und Zweck des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist, dem Schweigenden die Einwendung abzuschneiden, dass der Inhalt des Schreibens von den vorausgegangenen Verhandlungen abweicht, solange sich die Abweichung innerhalb bestimmter Grenzen (oben § 4 II. 5. c) aa)) bewegt.511 Ließe man aber eine Anfechtung wegen der fehlenden Übereinstimmung von Bestätigungsschreiben und vorherigen Verhandlungen zwischen den Parteien zu, so könnte der bezweckte Vertrauensschutz des Vertragspartners, der sich ja gerade darauf verlassen soll, dass sein Gegenüber das Bestätigungsschreiben prüft und Widerspruch äußert, wenn es nicht einverstanden ist, nicht gewährleistet werden.512 Für eine strenge Handhabung der Geltendmachung von Willensmängeln, vor allem im Verhältnis von Kaufleuten zueinander, spricht sich auch das italienische Schrifttum wie insbesondere Betti aus.
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes Das Schweigen kann nach dem deutschen Privatrecht nicht nur Verpflichtungsgrund, sondern auch Ursache eines Rechts- oder Anspruchsverlustes sein. Dies ist, ebenso wie im italienischen Recht (§ 3 III.) sogar sehr häufig der Fall, denn auch die Verjährung beruht auf dem Gedanken, dass eine längerdauernde Untätigkeit zum Verlust eines Anspruchs führen kann. Rechtshistorisch (§ 2 II. 2. und III. 2.) aber auch rechtsvergleichend zeigt sich, dass die einzelnen privatrechtlichen Institute (Verjährung, Präklusion, Verwirkung), die zu einem Rechtsverlust führen können, teils eng miteinander verwandt sind. In dieser Arbeit soll das Hauptaugenmerk jedoch nicht auf der Verjährung, sondern auf den gesetzlichen Fiktionen liegen, aufgrund deren das Schweigen unmittelbar einen Rechtsverlust nach sich zieht. Daneben sind Fälle der Verwirkung und des konkludenten Verzichts zu thematisieren.
510
Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 211. BGH 27.10.1953 – I ZR 111/53, in: NJW 1954, 105, 105 f.; BGH 7.7.1969 – VII ZR 104/67, in: NJW 1969, 1711, 1712; ebenso Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 211. 512 Vgl. BGH 7.10.1971 – VII ZR 177/69, in: NJW 1972, 45, 45. 511 Vgl.
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes
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1. Rechtsverlust durch Schweigen infolge gesetzlicher Fiktionen Häufiger als gesetzliche Vorschriften, die dem Schweigen eine positive Wirkung beilegen, finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch Regelungen, die ihm negative Konsequenzen zuschreiben.513 Auch wenn der Verlust einer Rechtsposition für den Betroffenen misslich sein mag, handelt es sich dennoch um eine Rechtsfolge, die im Vergleich zum eben behandelten Schweigen mit Verpflichtungswirkung weniger gravierend ist, da sie letztlich keine Ausnahme von der Regel, dass Schweigen im Grundsatz ein rechtliches nullum ist, darstellt und damit auch keinen Eingriff in die negative Vertragsabschlussfreiheit und die Privatautonomie:514 Durch die Vorschriften werden nämlich lediglich die Möglichkeit der Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung bzw. die dem Schweigenden zustehenden Rechte zeitlich begrenzt.515 Dabei wird aber keine neue Verpflichtung durch das Schweigen geschaffen. Die Fiktion bezweckt lediglich die Beseitigung eines rechtlichen Schwebezustands (so z. B. im Falle der schwebenden Unwirksamkeit eines durch einen beschränkt Geschäftsfähigen geschlossenen Vertrags) oder den Ausschluss eines Gestaltungsrechts (so z. B. im Fall von § 377 HGB).516 Letzlich schützen die Vorschriften das Selbstbestimmungsrecht sogar, da sie das Gegenüber vor der Unsicherheit über den Willen des Schweigenden und den davon abhängenden Erfolg des Geschäfts bewahren.517 Auch im italienischen Recht werden die Fälle des gesetzlich normierten Rechtsverlustes infolge eines Schweigens als bloße Nichtbeachtung einer Obliegenheit bezeichnet, die zum Schutz des Rechtsverkehrs den Verlust einer Rechtsposition nach sich zieht. Beide Rechtsordnungen bewerten damit im Vergleich zu den Verpflichtungswirkungen eines Schweigens die Rechtsfolgen als weniger einschneidend. Zu bedenken ist allerdings, dass die Zuordnung des Schweigens zur einen oder anderen Gruppe im Vergleich zum deutschen Recht im italienischen Recht deutlich stärker umstritten ist (bereits oben § 3 II. 2.), wie sich auch im Folgenden zeigen wird.
513 Vgl. Kolbe, Schweigen auf einseitige Preiserhöhungen, in: BB 2010, 2322, 2324; a. A. Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 117, wonach die Fälle der Verpflichtungswirkung überwiegen, wobei der Autor nur Regelungen im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss untersucht. 514 Vgl. Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 80; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 118. 515 Westermann u. a./Arnold, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, Vor § 116 Rn. 10. 516 Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 116, 118. 517 Vgl. so Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 118.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
a) Beispiele des Rechtsverlusts durch Schweigen im bürgerlichen Recht aa) Verjährung Zunächst kann ein langanhaltendes Schweigen zur Verjährung eines Anspruchs führen (§ 194 BGB). Von den Ausschlussfristen unterscheidet sich die Verjährung vor allem auch hinsichtlich der Rechtsfolge: während bei Ausschlussfristen das betroffene Recht untergeht, begründet die – zudem nur Ansprüche, nicht aber absolute Rechte und Gestaltungsrechte betreffende – Verjährung lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 214 BGB) und muss als Einrede geltend gemacht werden.518 Im Gegensatz zur deutschen Verjährung bewirkt die prescrizione nach italienischem Verständnis, jedenfalls wenn man nach dem Gesetzeswortlaut geht, ebenso wie eine decadenza (i. e. der Rechtsverlust infolge einer Ausschlussfrist) das Erlöschen eines Rechts (oben § 3 III. 1. a)), dort auch zur prescrizione presuntiva) und zeitigt damit einschneidendere Rechtsfolgen als ihre deutsche Entsprechung. Dabei ist sie jedoch ebenfalls nicht von Amts wegen beachtlich, sondern den Begünstigten trifft die Obliegenheit der Geltendmachung. Daneben unterscheiden sich im deutschen519 wie italienischen Recht, das jedoch immerhin über einige allgemeine Regelungen zu den Modalitäten der decadenza verfügt, Verjährung und Ausschlussfristen dadurch, dass für letztere keine allgemeine Regelung besteht, sondern der Rechtsverlust im Einzelfall gesetzlich (oder gegebenenfalls auch richterlich oder vertraglich) angeordnet wird. Auch wenn die Wirkungen von prescrizione und Verjährung sich unterscheiden, weisen sie damit doch Gemeinsamkeiten in der Regelungstechnik und der Art ihrer Geltendmachung auf. Gute Gründe sprechen daher für ein Verständnis auch der prescrizione als peremptorische Einrede und nicht als Erlöschenstatbestand. Freilich kann auch die decadenza nur einredeweise geltend gemacht werden, sodass die Unterscheidung beider Phänomene im italienischen Recht in der Tat nicht immer klar erscheint. Der Vorteil der deutschen Lösung ist damit, dass stets scharf zwischen Verjährung und Rechtsverlust infolge einer Ausschlussfrist unterschieden wird, während der italienische Rechtsanwender einzelfallabhängig entscheiden muss, welches der teils nicht immer klar abzugrenzenden oder sogar im Gesetz falsch bezeichneten Phänomene vorliegt.520 Dass die oft nur schwer vorzunehmende Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute misslich ist, ist der italienischen Rechtswissenschaft seit langem bewusst, wobei teils explizit auf das deutsche Recht als mögliches Vorbild für eine bessere Regelung verwiesen wurde.521 518 Bamberger/Roth/Henrich, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 194 Rn. 5 m. w. N. 519 Dazu etwa Schubert/Grothe, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 194 Rn. 10. 520 Vgl. Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 48. Auflage 2017, S. 285. 521 Modica, Teoria della decadenza nel diritto civile italiano, Band 1, 1906, S. 265.
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes
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Relativiert wird diese Strenge der Unterscheidung im deutschen Recht etwas durch die nicht ganz ausgeschlossene Möglichkeit, Verjährungsvorschriften unter Umständen auch auf Ausschlussfristen anzuwenden. Hinsichtlich der analogen Anwendung von Vorschriften über die Verjährung wie der Hemmung auf eine Präklusionsvorschrift ist zwar Zurückhaltung geboten. Dabei ist jedoch einzelfallabhängig zu entscheiden, ob auf den konkreten Auschlusstatbestand seinem Sinn und Zweck nach einzelne Verjährungsvorschriften angewandt werden können oder nicht.522 Eine Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften auf die decadenza wird dagegen gänzlich abgelehnt bzw. sogar durch das Gesetz (Art. 2964 c. c.) ausgeschlossen (oben § 3 III. 1. a))), sodass, wenn einmal eine Einordnung als decadenza getroffen wurde, im italienischen Recht eine recht unflexible und strenge, dafür aber andererseits auch rechtssichere, da gesetzlich explizit festgelegte Behandlung erfolgt. Die eher unübersichtliche deutsche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit von Hemmungsvorschriften auf einzelne Ausschlussfristen zeigt demgegenüber, dass die grundsätzlich zu befürwortende, an die jeweilige Regelung angepasste Flexibilität zu Lasten der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gehen kann.523 Im Zuge des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes setzte sich für die Verjährung im deutschen Recht eine grundsätzliche Subjektivierung des Fristbeginns durch: So stellt § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ab. Auf den ersten Blick besteht somit ein grundlegender Unterschied dieses „gemischt subjektiv-objektiven“524 Regimes zu den italienischen Verjährungsregeln, für die die Möglichkeit der Geltendmachung, mithin ein objektiver Umstand, ausschlaggebend ist. Da die italienische Rechtsprechung jedoch über den Umweg der faktischen Unmöglichkeit letztlich auch subjektive Elemente wie die Kenntnis vom Anspruch miteinbezieht, rückt der italienische Ansatz im Ergebnis doch wieder in die Nähe der deutschen Lösung. Freilich dürfte eine entsprechende Normierung wie im deutschen Recht im Gegensatz zum Richterrecht den Vorteil größerer Rechtssicherheit bieten. Bemerkenswert ist, dass das deutsche Verjährungsrecht mit seiner ausdrücklichen Normierung von italienischer Seite nicht nur als 522 BGH 24.2.1970 – VI ZR 123/68, in: NJW 1970, 940, 941; BGH 15.12.1978 – I ZR 59/77, in: NJW 1979, 651, 651 f.; Schubert/Grothe, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, Vor § 194 Rn. 11 f. m. w.N; Bamberger/Roth/Henrich, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 194 Rn. 7. 523 Vgl. etwa, eine Anwendung von §§ 202 ff. BGB ablehnend RG 2.11.1942 – II 73/42, in: RGZ 170, 155, 158 (zu § 377 Abs. 1 HGB) und KG 3.5.2006 – 25 U 11/05, in: NJOZ 2006, 3698, 3699 f. (zur Grundbuchberichtigung); eine Anwendung befürwortend BGH 15.12.1978 – I ZR 59/77, in: NJW 1979, 651, 651 f. (zu § 89b Abs. 4 Satz 2 HGB); BGH 8.12.2017 – V ZR 16/17, in: NJW-RR 2018, 394, 395 f. (zu § 40 I SchlHNachbG); s. hierzu den Überblick bei Schubert/Grothe, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 194 Rn. 11. 524 So Rinaldi, Francesco, Verwirkung, ritardato esercizio del diritto e giudizio di buona fede (Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240), in: Nuova giur. civ. comm. 2005, I, 448, 453 („un sistema cd. misto ‚soggettivo ed oggettivo‘“).
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
prägendes Vorbild für die Berücksichtigung subjektiver Elemente im Rahmen der prescrizione525, sondern auch im Rahmen der decadenza526 genannt wird. Die größere Flexibilität und geringere Strenge der deutschen Verjährungsvorschriften zeigt sich auch daran, dass rechtsgeschäftliche Vereinbarungen über eine Abänderung der gesetzlichen Fristen nach dem deutschen Recht, anders als nach dem italienischen, in den Grenzen von § 202 BGB möglich sind. Neben der Verjährung als Ursache eines Rechtsverlusts existiert in Deutschland ebenso wie in Italien die sogenannte praescriptio acquisitiva, also der Rechtserwerb des Besitzenden infolge Zeitablaufs wie bei der Ersitzung (§§ 937 ff. BGB).527 Wie schon erwähnt, zeigt sich in der Begrifflichkeit nicht nur der rechtshistorische Ursprung, sondern auch, wie nahe sich diese beiden Rechtsfolgen einer Untätigkeit stehen und wie schwer die Abgrenzung im Einzelfall fallen kann: was einerseits einen Rechtsverlust für eine Person darstellt, stellt andererseits gleichzeitig einen Rechtserwerb für eine andere dar. Hierauf wird auch in Italien zurecht hingewiesen (§ 3 III. 1. a)). Viele südeuropäische Rechtsordnungen vollziehen die deutsche Unterscheidung daher nicht nach und ältere Kodifikationen regelten die Ersitzung zusammen mit der Verjährung (oben § 2 III. 2.). Freilich ist ihre Bedeutung gegenüber dem gutgläubigen Erwerb nach § 932 ff. BGB nur noch gering. Ähnlich sind auch die Regelungen beider Rechtsordnungen zum Eigentumserwerb an bestimmten Tieren: so werden Bienenschwärme herrenlos, wenn der Eigentümer sie nicht unverzüglich verfolgt oder die Verfolgung aufgibt. Das deutsche Recht ist insofern strenger als das italienische, welches dem Eigentümer nach Art. 924 c. c. immerhin zwei Tage zur Verfolgung einräumt. Bei gefangenen wilden Tieren gilt ebenso, dass sie herrenlos werden, wenn der Eigentümer sie nicht unverzüglich verfolgt, bei gezähmten wilden Tieren tritt diese Rechtsfolge allerdings, insoweit anders als im italienischen Recht, unabhängig von der Untätigkeit des Eigentümers bereits dann ein, wenn sie die Gewohnheit ablegen, an den ihnen bestimmten Ort zurückzukehren.
bb) Ausschlussfristen Daneben bestehen im deutschen Recht häufig dort, wo sich das italienische Recht einer decadenza bedient, Ausschlussfristen. Teilweise haben die beiden Rechtsordnungen allerdings auch eine grundlegend andere Herangehensweise gewählt, wie die beiden folgenden Regelungen zeigen: 525
Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 152 ff. 526 Roselli, Decadenza (diritto e procedura civile), in: Enciclopedia del Diritto, Band 11, 1961, S. 309. 527 Gaier/Baldus, MüKo BGB, Band 8, 8. Auflage 2020, § 937 Rn. 1 ff. m. w. N. auch zur Rechtsvergleichung.
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So begegnet das Schweigen als Ursache eines Rechtsverlusts etwa in § 108 Abs. 2 Satz 2 BGB. Demnach gilt die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters eines Minderjährigen hinsichtlich eines ohne die erforderliche Einwilligung erfolgten Vertragsschlusses als verweigert, wenn sie nicht binnen zwei Wochen nach Empfang der Aufforderung des Geschäftspartners hierzu erklärt wird. Im italienischen Recht besteht keine Notwendigkeit für eine entsprechende Regelung, da Vertragsschlüsse durch einen Minderjährigen aufgrund dessen fehlender Geschäftsfähigkeit nicht gültig (invalidi) und durch Gestaltungsklage vernichtbar sind.528 Ebenso zeigt sich eine unterschiedliche Herangehensweise im Bereich der Anfechtungsfristen: Auch ohne ausdrückliche Normierung führt die Versäumung der Anfechtungsfrist nach § 121 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB zu einem Verlust des Anfechtungsrechts und einer endgültigen Bindung an das Erklärte, wodurch der Zustand der Ungewissheit über die Gültigkeit der Erklärung beendet wird. Italien löst dies zwar über eine andere Konstruktion – die Nichtigkeit infolge von Willensmängeln ist ebenso wie jene infolge fehlender Geschäftsfähigkeit mittels Klage geltend zu machen – im Ergebnis führt aber auch dort die Untätigkeit zum Verlust der klageweisen Geltendmachung, freilich nach wesentlich längerer Zeit als in Deutschland, wo eine unverzügliche Anfechtung erforderlich ist. Hinzu kommt, dass die Anfechtbarkeit (annullabilità), anders als in Deutschland, auch nach Verstreichen der Fünfjahresfrist als Einrede im Prozess vom Beklagten erhoben werden kann. Das italienische Recht schützt damit Minderjährige und Irrende stärker als das deutsche Recht. Zumindest bei Letzteren wird der zeitlich starke Schutz durch deutlich höhere Anforderungen an das Vorliegen einer Anfechtung etwas kompensiert. Problematisch bleibt, dass eine fünfjährige Klagemöglichkeit in Verbindung mit einer unbegrenzten einredeweisen Geltendmachung auch dann, wenn man einbezieht, dass der Anfechtungsgegner wegen der Erkennbarkeit des Irrtums im italienischen Recht nicht sehr schutzwürdig erscheint, auf Seiten des Anfechtungsgegners zu langer Rechtsunsicherheit führt und es dem Irrenden zumutbar ist, auch binnen kürzerer Zeit sein Recht zur Vernichtung des Rechtsgeschäfts auszuüben. Freilich gilt die lange Geltendmachung im italienischen Recht nur in den Fällen, in denen es noch nicht zur Vertragsdurchführung gekommen ist. Wortlautgleich zu § 108 Abs. 2 Satz 2 BGB fingiert im Vertretungsrecht § 177 Abs. 2 Satz 2 BGB beim Vertragsschluss durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht die Verweigerung der Genehmigung durch den Vertretenen und damit letztlich das Nichtzustandekommen des Vertrages, wenn der Vertretene auf die Aufforderung des Vertragspartners hin über zwei Wochen schweigt. Dies entspricht auch der italienischen Regelung in Artt. 1398, 1399 Abs. 4 c. c., wo, wenn auch ohne starre zweiwöchige Frist, ein Ausschluss (decadenza) des Rechts zur Genehmigung angeordnet wird. 528 Sacco/De Nova/Sacco, Il contratto, Band 1, 3. Auflage 2004, S. 413; Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Auflage 2008, S. 167.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
§ 323 Abs. 1 BGB räumt dem Gläubiger im Falle der Nichterfüllung des Schuldners ein Rücktrittsrecht ein, das an den fruchtlosen Ablauf der Frist zur Leistung anknüpft und trifft so im Gläubigerinteresse eine ähnliche Regelung wie Art. 1454 c. c., der freilich keine Rücktrittserklärung fordert, sondern nur die Aufforderung zur Leistung binnen angemessener Zeit, nach deren Verstreichen der Vertrag als aufgelöst gilt. Nach § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt ein Werk als abgenommen, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. Die entsprechende Norm im italienischen Recht, Art. 1665 Abs. 3 (und ähnlich Abs. 4) c. c., wird hingegen überwiegend als Schweigen gewertet, das positive Rechtsfolgen in Gestalt einer Verpflichtung nach sich zieht. Auch hieran zeigt sich, dass man je nach Blickwinkel ein Schweigen als Rechtsverlust oder Verpflichtungsgrund interpretieren kann. Ein Bürge, der eine zeitlich begrenzte Bürgschaft übernommen hat, wird gemäß § 777 Abs. 1 BGB nach Ablauf der für die Bürgschaft bestimmten Zeit frei, wenn der Gläubiger nicht unverzüglich gegen ihn vorgeht. Die italienische Rechtsordnung verfügt mit Art. 1957 Abs. 2 und 3 c. c. ebenfalls über eine Regelung, die die Befreiung des zeitlich beschränkt haftenden Bürgen von der Untätigkeit des Gläubigers abhängig macht, wobei allerdings kein unverzügliches Tätigwerden erforderlich ist. Auch im Erbrecht verliert nach § 1943 a. E. BGB der Erbe, der nicht binnen der Frist nach § 1944 BGB (also regelmäßig binnen sechs Wochen, § 1944 Abs. 1 BGB) ausschlägt, das Recht zur Ausschlagung. Teilweise wird vertreten, dass § 1943 a. E. BGB als ein Unterfall der positiven Rechtsfolgen eines Schweigens anzusehen sei, nämlich der Begründung eines Rechtsverhältnisses in Gestalt der Erbenstellung.529 Schon dem Wortlaut nach steht jedoch der Verlust des Ausschlagungsrechts gegenüber der Annahmefiktion im Vordergrund. Vor allem aber überzeugt diese Auffassung deshalb nicht, weil die Erbschaft bereits nach § 1922 Abs. 1 BGB unmittelbar und von selbst mit dem Erbfall erworben wurde und der Erbe damit ohnehin bereits Rechtsnachfolger des Erblassers ist, ohne dass es der Fiktion des § 1943 a. E. BGB überhaupt bedarf.530 Der Schwebezustand zwischen der zunächst nur vorläufigen und der endgültigen Erbenstellung wird bei fehlender Annahme im Interesse des Rechtssicherheit und einer zügigen Nachlassabwicklung durch die Fiktion beendet.531 Die Bedeutung der Norm erschöpft sich damit letztlich in der Regelung, wann der 529
So etwa Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr, 1968, S. 30.
530 Ebenso Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhal-
ten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459. 531 Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 1943 Rn. 1; KessalWulf/Leipold, MüKo BGB, Band 11, 8. Auflage 2020, § 1943 Rn. 1.
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Erbe endgültig Erbe ist und sich von der Erbschaft auch nicht mehr durch Ausschlagung befreien kann, wobei es hierfür gesetzestechnisch nicht unbedingt der Fiktion einer Annahme bedurft hätte, da auch durch das Erlöschen der Ausschlagungsberechtigung klargestellt wäre, dass der bereits auf den Erben übergegangene Nachlass bei diesem verbleibt.532 Im italienischen Recht bedarf die Erbschaft im Gegensatz zum deutschen Ansatz einer Annahme, sodass sich ein Vergleich insoweit nicht anbietet. Die Diskussion um eine Einordnung als konkludente Annahme infolge eines silenzio oder als bloßer Verlust des Verzichts- bzw. Ausschlagungsrechts (decadenza) wird jedoch in Italien in noch schärferer Form im Rahmen des Vermächtnisses geführt (oben § 3 III. 1. b)). Anders als im deutschen Recht erwirbt der Begünstigte dort nämlich das Vermächtnis mit dem Tod des Erblassers unmittelbar (Art. 649 c. c.), während ihm nach § 2174 BGB nur ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Beschwerten zusteht. Auch im italienischen Recht wird mit dem Argument des Gesetzeswortlauts ganz überwiegend vertreten, dass das Verstreichenlassen der Erklärungfrist zum Rechtsverlust durch Verzicht führt, nicht aber eine konkludente Annahmeerklärung darstellt. Dabei ist der Wortlaut im Codice civile sogar klarer als der deutsche, der eine Annahme fingiert und damit – dies zeigt gerade auch die Rezeption in der italienischen Rechtswissenschaft533 – die Gefahr der irrtümlichen Hypothese eines in Wirklichkeit erst infolge des Verstreichenlassens der Frist eintretenden Rechtserwerbs birgt. Die Funktion des Fristablaufs liegt also in beiden Rechtsordnungen allein darin, die Endgültigkeit des zuvor jedoch schon eingetretenen Rechtserwerbs zu markieren und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Nach § 2307 Abs. 2 Satz 2 BGB kann sich der mit einem Vermächtnis an einen Pflichtteilsberechtigten beschwerte Erbe durch Fristsetzung Gewissheit über die Annahme des Vermächtnisses verschaffen, wobei das Vermächtnis mit Ablauf der Frist als ausgeschlagen gilt.534 Teilweise wird auch § 2307 Abs. 2 Satz 2 BGB als positive Rechtsfolge eingeordnet535, doch steht auch hier, mehr noch als bei § 1943 a. E. BGB der Verlust einer Rechtsposition, nämlich des schuldrechtlichen Anspruchs auf das Vermächtnis, im Vordergrund. Der mit der fingierten Ausschlagung einhergehende Erwerb des Rechts, den Pflichtteil zu verlangen, ergibt sich hingegen erst aus § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB, sodass es sich bei § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB um den Verlust einer Rechtsposition infolge eines Schweigens handelt. Die negativen Folgen für den Pflichtteilsberechtig532 So auch Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459. 533 Vgl. Ferri, Rinunzia e rifiuto nel diritto privato, 1960, S. 73 f., der die deutsche Differenzierung zwischen Verzicht und Ausschlagung nachvollziehen will, wobei er hinsichtlich letzterer von einem noch nicht erworbenen Recht ausgeht. 534 Vgl. dazu Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2307 Rn. 33. 535 So Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144 Rn. 63; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 123 ff.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
ten, dessen Ausschlagung fingiert wird, sind gering, denn er kann infolge der Ausschlagung seinen Pflichtteil verlangen. Dagegen erscheint der Erbe schutzwürdig, weil er in Ermangelung einer grundsätzlichen Ausschlagungsfrist für Vermächtnisse unter Umständen jahrelang im Ungewissen schweben würde und überdies im Falle eines pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmers aufgrund von § 2307 Abs. 1 BGB jederzeit mit der Ausschlagung des zugewendeten Vermächtnisses und dem Verlangen nach dem Pflichtteil konfrontiert sein kann.536 Den entgegengesetzten Weg schlägt die italienische Rechtsordnung ein, welche einen ipso-iure-Erwerb des Vermächtnisses und nach Art. 650 c. c. den Verlust der Ausschlagungsmöglichkeit anordnet, was den Vorteil größerer Rechtssicherheit für den Erben mit sich bringt, der dem Vermächtnisnehmer nicht eigens eine Frist zur Erklärung setzen muss. Bei den genannten Vorschriften handelt es sich damit im deutschen wie im italienischen Recht um Tatbestände, die beabsichtigen, unbillige Schwebezustände bei Rechtsgeschäften in jenen Fällen zu beenden, in denen die andere Vertragspartei ihre Erklärung trotz einer Aufforderung verweigert, verzögert oder untätig bleibt.537 In einigen Fällen, wie im Minderjährigen- und Vertretungsrecht wird dabei nicht nur Rechtssicherheit für den Vertragspartner geschaffen, sondern der Schweigende wird zudem vor einer Verpflichtung geschützt. Auch der bereits vom Schweigen als Verpflichtungsgrund her bekannte Gedanke der Vorteilhaftigkeit für den Schweigenden spielt eine Rolle: So lässt sich die Rechtsfolge des § 1943 a. E. BGB ähnlich wie die italienische Regelung zum Vermächtnis in Art. 650 c. c. vor dem Hintergrund rechtfertigen, dass eine unterlassene Erbschaftsausschlagung zumindest in den meisten Fällen Vorteile in Gestalt der Erbenstellung für denjenigen mit sich bringt, der nicht ausschlägt.538 Freilich kann dies bei einem überschuldeten Nachlass auch gänzlich anders liegen, doch bewertet das deutsche Erbrecht den Schutz des Rechtsverkehrs und Dritter durch eine rasche Nachlassabwicklung und -zuordnung höher als den Schutz des Erben und dessen Überlegungsfrist. Daraus resultierende Nachteile werden zumindest ein wenig durch das Recht auf Anfechtung des Verstreichenlassens der Ausschlagungsfrist nach § 1956 BGB abgemildert. Anders verfährt das italienische Recht, das grundsätzlich eine positive Erbschaftsannahme der solange ruhenden Erbschaft fordert und zudem die Möglichkeit einer Erbschaftsannahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung einräumt.
536 Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2307 Rn. 33 f. 537 Vgl. Kolbe, Schweigen auf einseitige Preiserhöhungen, in: BB 2010,
2322, 2324. Wacke, Keine Antwort ist auch eine Antwort. Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit, JA 1982, 184, 185. 538
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b) Beispiele des Rechtsverlusts durch Schweigen im Handelsrecht § 377 Abs. 2 HGB sieht vor, dass der Käufer, der seiner in Absatz 1 festgelegten Untersuchungs- und Rügepflicht nicht nachkommt, das Recht verliert, einen Mangel geltend zu machen, weil die Ware – vorbehaltlich nicht erkennbarer Mängel – infolge der fehlenden Rüge als genehmigt gilt. Die Norm gilt sowohl für Kaufverträge als auch nach § 381 Abs. 2 HGB für Werklieferungsverträge539, wobei häufig auch bei Werkverträgen mittels AGB ein entsprechendes Rügeerfordernis aufgestellt wird540. Im Interesse der Rechtssicherheit und Schnelligkeit im Handelsverkehr wird dem regelmäßig sachkundigen und erfahrenen und daher wenig schutzbedürftigem Käufer auferlegt, binnen kurzer Zeit Mängel anzuzeigen. Im Vordergrund steht dabei der Schutz des Verkäufers, der rasch wissen soll, ob er mit Beanstandungen der Ware zu rechnen hat und der vor dem Nachschieben von Mängeln aus anderen Gründen, wie der nachträglichen Unvorteilhaftigkeit des Geschäfts für den Käufer, bewahrt werden soll.541 Da der Schwerpunkt der Rechtsfolge im Verlust der Rügemöglichkeit und dem folgenden Ausschluss der Rechtsbehelfe des Käufers zu sehen ist, stellt die Norm, auch wenn sie auf den ersten Blick eine positive Rechtsfolge in Gestalt der Genehmigung auszusprechen scheint542, einen Unterfall des Rechtsverlustes infolge eines Schweigens dar.543 Das Schweigen ist nämlich nicht konstitutiv für das Zustandekommen des – ja bereits bestehenden – Vertrags, sondern zieht nur einen Ausschluss der zuvor gegebenen Rügemöglichkeit nach sich. Auch das italienische Recht regelt in Art. 1495 Abs. 2 c. c. eine Rügeobliegenheit des Käufers – freilich unabhängig vom Vorliegen der Kaufmannseigenschaft oder eines Handelskaufs – und versteht dies als Fall der decadenza. Dabei wird, anders als im deutschen Recht in § 377 Abs. 1 HGB, zwar keine explizite Untersuchungsobliegenheit aufgestellt, doch ist die Rechtsfolge die gleiche, nämlich der Verlust der Möglichkeit der Geltendmachung des Mangels. Die starre Frist von acht Tagen zur Geltendmachung ab der Untersuchungsmöglichkeit bzw. Entdeckung dürfte im Einzelfall deutlich länger als „unverzüglich“ wie in der deutschen Variante sein, bringt aber den Vorteil größerer Rechtssicherheit aufgrund der Berechnungsmöglichkeit. Das italienische Recht handhabt damit die Geltendmachung von Mängeln strenger als das deutsche, da es nicht an die Kaufmannseigenschaft des Käufers anknüpft. Hinsichtlich der auch 539
Vgl. dazu BGH 14.7.1993 – VIII ZR 147/92, in: NJW 1993, 2436, 2437. Asam, Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit bei deutsch-italienischen Kaufverträgen, in: Jahrbuch für Italienisches Recht 29 (2016) 137, 139. 541 Grunewald/Grunewald, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 377 Rn. 3 m. w. N. 542 So aber Bamberger/Roth/Wendtland, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 133 Rn. 12. 543 Ebenso Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 114; Koller u. a./Roth, HGB, 9. Auflage 2019, § 377 Rn. 22. 540
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nach der Verjährung möglichen Einrede der Mangelhaftigkeit (Art. 1495 Abs. 3 c. c.) drängt sich ein Vergleich zu § 438 Abs. 4 Satz 2 BGB auf, wonach der beklagte Käufer die Kaufpreiszahlung auch nach der Verfristung seines Rücktritts- oder Minderungsrechts verweigern kann. An dieser Vorschrift wird kritisiert, dass der deutsche Gesetzgeber – im Gegensatz zum italienischen – diese Einrede eben nicht an eine vorherige Rüge oder Anzeige des Mangels geknüpft hat.544 Auch insoweit erweist sich das italienische Recht als strenger gegenüber dem Käufer und vorteilhafter für den Verkäufer. Des Weiteren fingiert § 386 Abs. 1 HGB eine Genehmigung der Abweichung von der Preisbestimmung, wenn der Kommissionär unter dem ihm gesetzten Preis verkauft oder den ihm für den Einkauf gesetzten Preis überschritten hat, und der Kommittent nicht unverzüglich auf die Anzeige von der Ausführung des Geschäfts dieses als nicht für seine Rechnung abgeschlossen zurückweist. Die Fiktion folgt dabei der Regelungstechnik von § 377 Abs. 2 HGB und verkürzt nur die Möglichkeit zur Abgabe einer Erklärung, sodass es sich richtigerweise um den Fall eines Rechtsverlusts durch Schweigen, nicht aber eine erst aus der Untätigkeit resultierende Verpflichtung handelt.545 Ganz ähnlich regelt Art. 1712 Abs. 2 c. c. (oben § 3 III. 1. a)), wenn auch nicht nur für handelsrechtliche Geschäfte, den Verlust der Möglichkeit der Zurückweisung des durchgeführten Auftrags. Auch im italienischen Recht ist dabei umstritten, ob der Schwerpunkt der Norm auf einer decadenza oder aber einer verpflichtenden Wirkung des Schweigens liegt, wobei die besseren Argumente für ersteres sprechen.
c) Möglichkeit der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen und dogmatische Einordnung Die Frage der Anwendbarkeit der Vorschriften über Willenserklärungen auf die Fälle des Rechtsverlusts infolge eines Schweigens stellt sich vor allem, wenn der Schweigende beispielsweise nach Zugang der Aufforderung zur Erklärung geschäftsunfähig wird, oder wenn er hinsichtlich der Bedeutung seines Schweigens Willensmängeln unterliegt und seine Ablehnung oder seinen Rügeverzicht deshalb nicht gelten lassen will. Eng damit einher geht die Frage nach der dogmatischen Einordnung des Phänomens, dass Schweigen zu einem Rechtsverlust führen kann. Nach herrschender Auffassung sind die Einwendungen, die gegenüber Willenserklärungen bestehen, hinsichtlich der Fälle, in denen das Gesetz eine Ab544 Vgl.
Bamberger/Roth/Faust, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 438 Rn. 53.1. 545 Häublein/Hoffmann-Theinert/Baer, BeckOK HGB, 33. Edition (Stand 15.7.2021), § 386 Rn. 9; Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht, 1986, S. 113 ff.; dies verkennend wohl Grunewald/Häuser, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 386 Rn. 16.
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes
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lehnung durch Schweigen fingiert, abgeschnitten bzw. die Vorschriften über Willenserklärungen sollen gar nicht anwendbar sein.546 Dem entspricht auch die in Italien herrschende Auffassung zum Schweigen im Rahmen einer prescrizione (Verjährung) und decadenza (Verfall). Hierfür spricht in der Tat, dass diese Folgen des Schweigens unvermeidbar selbst dann eintreten, wenn ein vom Schweigenden erklärtes „Nein“ nichtig oder anfechtbar ist. Auch eine Nichtigkeit oder Anfechtung des „Nein“ kann noch kein „Ja“ des Schweigenden bedeuten, sondern ein solches erst ermöglichen, wofür es aber aufgrund des Fristablaufs schon zu spät ist.547 Dabei sind die Folgen eines Schweigens im Fall der Ablehnungsfiktion, anders als bei einer Zustimmungsfiktion, nicht besonders nachteilig.548 Freilich kann es im Einzelfall auch sein, dass dem Schweigenden infolge der Fiktion ein günstiges Geschäft entgeht549, doch dürfte es in der Regel für den Schweigenden weniger einschneidend sein, dass er ein einzelnes Recht verliert, als dass er umfassenden vertraglichen Pflichten ausgesetzt ist wie bei den positiven Rechtsfolgen eines Schweigens. Bei den Vorschriften, die nach Ablauf einer bestimmten Frist eine Verweigerung der Genehmigung fingieren und auch im Fall des § 377 Abs. 2 HGB lässt sich zudem feststellen, dass die Fiktion an sich überflüssig ist, weil die Rechtsfolgen des Schweigens auch ohne sie eintreten würden:550 Würde man beispielsweise in § 108 Abs. 2 BGB den Satzteil, welcher die Fiktion anordnet, streichen, so bliebe dennoch die gesetzliche Festlegung, dass die Genehmigung nur binnen zwei Wochen nach Aufforderung erteilt werden kann, bestehen und der Inhalt der Norm damit gleich.551 Dies ist ein Argument, das auch für italienische Normen wie Art. 1399 c. c. greift und entsprechend in der Literatur vorgebracht wird. Auch in Italien wird zurecht argumentiert, dass die Rechtsposition des Schweigenden bei einer decadenza letztlich unverändert bleibt und er höchstens die Möglichkeit verliert, einen Vorteil zu erlangen, sodass das Interesse der weiteren Beteiligten an Rechtssicherheit überwiegt. Erst 546 Vgl. nur F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73; Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 224; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 53; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Vor § 116 Rn. 12; Schulze/Dörner, BGB, 11. Auflage 2021, § 108 Rn. 4. 547 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 53. 548 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 224 m. w. N.; a. A. F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73. 549 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73. 550 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73. 551 Vgl. F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
recht gilt dieser Vorrang der Rechtssicherheit im Bereich der Verjährung bzw. der prescrizione: auch die Einbeziehung einzelner subjektiver Elemente ändert nichts daran, dass es sich nicht um einen rechtsgeschäftlichen Akt, etwa in Gestalt eines konkludenten Verzichts, handelt, wie auch überzeugend von italienischer Seite vorgebracht wird.552 Folge des Mangels an normativem Gehalt muss daher, anders als beim Schweigen als Verpflichtungsgrund, die Unanwendbarkeit der Vorschriften über Willenserklärungen auf die Fälle eines Rechtsverlustes infolge von Schweigen sein.553 Schutzlücken bei fehlender Geschäftsfähigkeit bestehen schon wegen § 131 BGB nicht, weil es zu dem, etwa in § 108 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelten Rechtsverlust nur dann kommen kann, wenn die Erklärung dem gesetzlichen Vertreter zugegangen ist.554 Außerdem handelt es sich bei einem Willensmangel hinsichtlich der Bedeutung des Schweigens regelmäßig um einen ohnehin unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum.555 Würde man einen Rechtsverlust aufgrund normierten Schweigens qualitativ als Willenserklärung einordnen, wäre zudem die eigens erfolgte Anordnung der Anfechtbarkeit der Fristversäumung bei einer Ausschlagung nach § 1956 BGB nicht zu erklären oder zumindest überflüssig. In der bloßen Fristversäumung, wie sie bei den Fällen des Rechtsverlusts infolge von Schweigen gegeben ist, liegt damit keine Willenserklärung.556 Ansätze, in § 1956 BGB einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu sehen, wonach auch das Unterlassen einer Erklärung oder der Fristablauf anfechtbar sind, haben sich daher zurecht nicht durchgesetzt, auch vor dem Hintergrund, dass die Norm eine – überdies auch wegen der mit ihr einhergehenden Rechtsunsicherheit und Verzögerung kritisierte – erbrechtliche Besonderheit darstellt.557 Es überrascht daher, dass Segni (unter Verweis auf Flume) § 1956 BGB als Unterlassen (omissione) auffasst, das rechtsgeschäftlichen Charakter habe und nicht in Konsequenz der von ihm entwickelten Überlegungen zum gesetzlich normierten Schweigen als Unterfall eines nicht rechtsgeschäftlich zu erklärenden Verfalls (decadenza).558 552
Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 154. 553 Vgl. ebenso Westermann u. a./Arnold, Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 16. Auflage 2020, Vor § 116 Rn. 11; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73. 554 Hanau, Objektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung – Ein Beitrag zur Kritik der „stillschweigenden und schlüssigen Willenserklärungen“, in: AcP 165 (1965), 220, 249; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Auflage 2019, § 4 Rn. 53. 555 Säcker/Spickhoff, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 108 Rn. 30. 556 Vgl. ebenso F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 73; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 118; (zu § 1956 BGB) Kessal-Wulf/Leipold, MüKo BGB, Band 10, 8. Auflage 2020, § 1956 Rn. 7. 557 Vgl. Kessal-Wulf/Leipold, MüKo BGB, Band 10, 8. Auflage 2020, § 1956 Rn. 1 f. m. w. N.; Müller-Engels/Heinemann, BeckOGK BGB, Stand 15.7.2021, § 1956 Rn. 5 f. 558 Segni, Autonomia privata e valutazione legale tipica, 1972, S. 339.
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2. Rechtsverlust infolge eines Schweigens mit Erklärungswert Ein Schweigen kann daneben ebenso wie im italienischen Recht auch konkludent einen Verzicht des Untätigen auf ein ihm zustehendes Recht zum Ausdruck bringen. So wird beispielsweise vorgeschlagen, das Schweigen auf einen AGBHinweis bei einem telefonischen Vertragsschluss als konkludenten individualvertraglichen Verzicht des Kunden auf Einsichtnahme der AGB zu deuten.559 Hierfür spricht, dass es höchst unpraktikabel wäre, die gesamten AGB am Telefon vorzulesen oder zu vereinbaren, dass der Vertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Aushändigung der AGB zustande komme.560 Die Problematik ergibt sich in ähnlicher Weise bei Verträgen mit Mobiltelefonen und ähnlichen, verhältnismäßig kleinen Geräten (sog. M-Commerce), bei denen kaum von der Zumutbarkeit der Kenntnisnahme längerer AGB auf dem entsprechenden Gerät auszugehen ist; auch hier wird ein konkludenter Verzicht durch Schweigen erwogen.561 Grundsätzlich werden an einen Verzicht durch Schweigen im deutschen Recht aber hohe Anforderungen gestellt.562 Das italienische Recht neigt demgegenüber schneller zur Annahme eines solchen: zwar wird auch dort von der Rechtsprechung betont, dass ein Verzicht durch Schweigen nicht Gegenstand von Vermutungen sein dürfe (oben § 3 III. 3. a)), doch kompensiert der konkludente Verzicht (rinuncia tacita) in der Praxis häufig die im italienischen Recht fehlende Verwirkung (dazu sogleich). Dabei stellt sich die Frage, ob ein Verzicht durch Schweigen ein entsprechendes Bewusstsein über die Rechtsfolge voraussetzt, sodass etwa beim elektronischen Vertragsschluss regelmäßig ein konkludenter Verzicht ausscheiden dürfte563, oder ob nicht auch hier die gleichen Regeln wie bei einem Schweigen als Grundlage einer Verpflichtung gelten sollten. Auch ein durch ein Schweigen, etwa auf einen AGB-Hinweis, zum Ausdruck kommender Verzicht stellt dogmatisch gesehen eine konkludente Willenserklärung dar. Daher sollten an ein Schweigen als Verzichtserklärung auch keine höheren Anforderungen gestellt werden als an ein Schweigen als Verpflichtungsgrund, wie dies auch überzeugend im italienischen Recht gehandhabt wird: soweit der Schweigende die Bedeutung seines Verhaltens erkennen konnte und musste und es aus Sicht des Erklärungsempfängers konkludent war, wird es ihm zugerechnet.564 Als Kehr559 Krüger/Basedow,
MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 305 Rn. 73; krit. hierzu Janal, Die AGB-Einbeziehung im „M-Commerce“, in: NJW 2016, 3201, 3203 f. m. w. N. 560 Vgl. Krüger/Basedow, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 305 Rn. 73. 561 Krüger/Basedow, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 305 Rn. 76. 562 BGH 16.11.1993 – XI ZR 70/93, in: NJW 1994, 379, 380; BGH 29.11.1995 – VIII ZR 293/94, in: NJW 1996, 588, 588; BGH 22.6.1995 – VII ZR 118/94, in: NJW-RR 1996, 237; Canaris/Schilling/Ulmer/Canaris, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Band, 2004, Anhang § 362 Rn. 17 m. w. N. 563 So Janal, Die AGB-Einbeziehung im „M-Commerce“, in: NJW 2016, 3201, 3203, 3204; vgl. auch Schulze/Schulze, BGB, 11. Auflage 2021, § 242 Rn. 44. 564 Vgl. bereits Manigk, Das Problem der Verwirkung, in: DJZ, 1936, 358 f.
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seite steht dem Betroffenen gegebenenfalls die Anfechtung seiner ohne Erklärungsbewusstsein abgegebenen Verzichtserklärung zu.
3. Verwirkung infolge Zeitablaufs Im BGB ist ebensowenig wie im Codice civile normiert, dass ein Recht auch verwirkt werden kann, doch ist dies im deutschen, anders als im italienischen Recht allgemein anerkannt.565 Dabei soll an dieser Stelle nur die Verwirkung infolge des Zeitablaufs bzw. einer längeren Untätigkeit behandelt werden, nicht aber jene aufgrund eines widersprüchlichen aktiven Verhaltens.566 Auch die Verwirkung infolge Zeitablaufs lässt sich nämlich auf eine Untätigkeit bzw. das Schweigen einer Person zurückführen; man kann insoweit auch von „Verschweigung“ sprechen.567 Da eine ausführliche Darstellung des Rechtsinstituts den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten würde, werden im Folgenden nur die wesentlichen Aspekte skizziert. Durch die Schuldrechtsreform wurden die Verjährungsfristen nicht nur an subjektive Gesichtspunkte geknüpft, sondern auch deutlich verkürzt. Die Bedeutung der Verwirkung wurde infolge der kürzeren Regelverjährung deutlich zurückgedrängt, aber keinesfalls aufgehoben.568
a) Voraussetzungen und Rechtsfolge der Verwirkung Auch wenn das deutsche Rechtsinstitut der Verwirkung jedenfalls „noch nicht“569 Eingang in das italienische Recht gefunden hat, wird es dort dennoch intensiv rezipiert und teils auch befürwortet (oben § 3 III. 3.). Eine eigenständige und vergleichbar stark ausgeprägte und differenzierende Dogmatik und Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Verwirkung wie im deutschen Recht findet sich im italienischen Recht dementsprechend nicht, vielmehr übernehmen diejenigen italienischen Autoren, die die Verwirkung thematisieren, die Kriterien, die von der deutschen Rechtsprechung und Literatur entwickelt wurden570, sodass ein direkter Vergleich insoweit nicht möglich ist. Der Grundgedanke je565
Vgl. etwa Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 369 ff. Unterscheidung etwa Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 242 Rn. 90; Gsell/Kähler, BeckOGK BGB, Stand 1.8.2021, § 242 Rn. 1644 f. 567 Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 215; vgl. auch Stürner/Mansel, Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage 2018, § 242 Rn. 60 m. w. N.; Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 399 f.; krit. zu diesem Begriff aber Manigk, Das Problem der Verwirkung, in: DJZ 1936, 350, 352 f. 568 Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 24 f. 569 So explizit Cian/Trabucchi/Viglione, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 2934 VI 1. („non ancora“). 570 So etwa Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603 ff.; Patti, Verwirkung, in: Digesto, Band 19, 4. Auflage 2000, S. 722 ff.; Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 220 ff.; Rinaldi, Frances566 Zur
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doch, nämlich, dass es einem Rechtsinhaber, der sich treuwidrigerweise untätig verhält, verwehrt werden soll, sich später auf sein Recht zu berufen, findet sich auch im italienischen Recht im Rahmen der tolleranza (Duldung) und rinuncia tacita (konkludenter Verzicht), die damit möglicherweise funktional an die Stelle der Verwirkung treten. Dabei werden auch im Rahmen der tolleranza – soweit diese befürwortet wird – ganz ähnliche Voraussetzungen wie bei der Verwirkung gefordert, wobei die Verwirkung die Entwicklung des Rechtsinstitutes der tolleranza beeinflusst haben mag. Das deutsche Rechtsinstitut der Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (sog. venire contra factum proprium) setzt voraus, dass der Berechtigte bezüglich seines Rechts über längere Zeit untätig bleibt und der Verpflichtete sich bei objektiver Betrachtung darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass das Recht auch künftig nicht mehr geltend gemacht werden wird; die Rede ist insoweit von einer „illoyalen Verspätung der Rechtsausübung“.571 Erforderlich sind damit sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment, die den Schluss auf eine Verwirkung eines Rechts zulassen und in einem Verhältnis der Wechselwirkung stehen.572 Freilich ist all dies einzelfallabhängig zu prüfen.573 Die tolleranza des italienischen Rechts basiert ebenso wesentlich auf den Gesichtspunkten von Treu und Glauben (buona fede) und der Pflicht zum widerspruchsfreien Verhalten (dovere di coerenza). Aber auch für die rinuncia tacita wird auf diese Grundsätze zurückgegriffen. Für die Annahme einer Untätigkeit im Rahmen der Verwirkung kann es bereits ausreichen, dass ein Berechtigter zunächst sein Recht geltend macht, dann aber auf den Widerspruch seines Gegenübers schweigt, sodass der Eindruck entsteht, er wolle auf seinem Recht nicht weiter bestehen.574 Auch bestimmte Vorfälle, auf die hin mit einer Reaktion des Rechtsinhabers zu rechnen ist, lasco, Verwirkung, ritardato esercizio del diritto e giudizio di buona fede (Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004 Nr. 5240), in: Nuova giur. civ. comm. 2005, I, 448. 571 Vgl. BGH 27.6.1957 – II ZR 15/56, in: NJW 1957, 1358, 1358; BGH 22. 11. 1979 – VII ZR 31/79, in: NJW 1980, 880, 880; BGH 20.10.1988 – VII ZR 302/87, in: NJW 1989, 836, 838; Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 242 Rn. 87; Haertlein, Die Verwirkung von Ansprüchen, in: FS Schilken, 2015, S. 35 m. w. N.; eingehend Siebenhaar, Der Begriff der Verwirkung, in: JR 1962, 88, passim; krit. zur dogmat. Verankerung Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 223 ff.; krit. zu letzterer Bezeichnung Patti, Verwirkung, in: Digesto, Band 19, 4. Auflage 2000, S. 728; dem folgend Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 223; von einem „ritardo sleale nell’esercizio del diritto“ im Zusammenhang mit der deutschen Verwirkung spricht dagegen auch Cian/Trabucchi/ Viglione, Commentario breve al Codice Civile, 14. Auflage 2020, Art. 2934 VI 1. 572 BAG 25.4.2001 – 5 AZR 497/99, in: NJW 2001, 2907, 2908; Bamberger/Roth/Sutschet, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 242 Rn. 145. 573 BGH 20.10.1988 – VII ZR 302/87, in: NJW 1980, 880, 880. 574 LAG Schleswig-Holstein 31.5.1976 – 3 Ta BV 5/76, in: BB 1976, 1418; Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 400.
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sen diesen Schluss zu, beispielsweise, wenn ein Nachbar keine Einwände gegen ein in der Ausführung begriffenes Bauvorhaben erhebt575 – ein Fall, der schon im römischen Recht begegnet (oben § 2 II. 2.) – oder wenn eine Partei eine Vertragsstrafe bei der Abrechnung nicht geltend macht, sondern den Werklohn vorbehaltlos zahlt576. Keine Untätigkeit liegt hingegen vor, wenn der Rechtsinhaber ein Verhalten an den Tag legt, das darauf schließen lässt, dass er auf seinem Recht beharrt.577 Unerheblich sind dabei grundsätzlich subjektive Elemente auf Seiten des Rechtsinhabers, wie sein gegebenenfalls entgegenstehender Wille und gar seine (Un-)Kenntnis von dem Recht.578 Wenn der Rechtsinhaber sich so verhält, dass es das Vertrauen des anderen begründet, er werde nicht mehr in Anspruch genommen – ähnlich also einem konkludenten Verzicht579 – setzt dies jedenfalls die erforderliche Zeitdauer herab580. Die alleinige, unter Umständen sogar aufgrund schutzwürdiger eigener Interessen an den Tag gelegte Passivität eines Rechtsinhabers rechtfertigt allerdings noch keine Verwirkung seines Anspruchs, vielmehr müssen hierfür weitere Faktoren hinzutreten.581 Im italienischen Recht wird für die tolleranza dagegen in Abgrenzung zur bloßen Untätigkeit (inerzia) eine bewusste Duldung der Rechtsverletzung verlangt, welche in einer Kenntnis des Rechtsinhabers hinsichtlich seines Rechts und des Verhaltens des Anderen besteht. Anders als bei der rinuncia tacita ist aber ebenso wie bei der deutschen Verwirkung gerade kein Verzichtswille des Untätigen erforderlich. Die Dauer des erforderlichen Zeitmoments richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Stärke des vom Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes sowie die Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten miteinzubeziehen sind.582 Auch insoweit zeigt sich die eben bereits erwähnte Wechselwirkung zwischen Zeit- und Umstandselement. Eine gewisse Richtschnur für die erforderliche Zeitspanne kann bei Ansprüchen die Verjährungsfrist darstellen, wobei bei einer 30-jährigen Verjährungsfrist im Regelfall zumindest um die acht Jahre verstrichen sein müssen, andererseits aber auch bei einer bereits vergangenen Zeitspanne von 25 Jahren nicht ohne hinreichende Prüfung des Umstandsmoments von einer Verwirkung auszugehen ist, um nicht die gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfristen 575 (Zum Verwaltungsrecht) BVerwG 25.4.2001 – 5 AZR 497/99, in: NJW 1974, 1260, 1260 f. 576 OLG Köln 5.12.1967 – 3 U 117/67, in: OLGZ 1968, 257, 257. 577 Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 401; Bamberger/ Roth/Sutschet, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 242 Rn. 147. 578 Letzteres ist str., vgl. a. A. OLG München 16.12.2004 – 19 U 4075/00, in: BeckRS 2005, 00218 m. w. N.; BGH 27.6.1957 – II ZR 15/56, in: NJW 1957, 1358, 1358; Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 402. 579 So explizit OLG München 16.12.2004 – 19 U 4075/00, in: BeckRS 2005, 00218. 580 Vgl. BGH 16.3.1979 – V ZR 38/75, in: WM 1979, 644, 646 f. 581 Haertlein, Die Verwirkung von Ansprüchen, in: FS Schilken, 2015, S. 35, 37 f. 582 Bamberger/Roth/Sutschet, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 242 Rn. 145.
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auszuhöhlen.583 Bei Gestaltungsrechten kann die Verwirkung hingegen häufig schon relativ bald, eventuell sogar nach wenigen Monaten oder Wochen eintreten, wenn Treu und Glauben es gebieten, dass der Berechtigte im Interesse der anderen Vertragspartei zeitnah und ohne unnötiges Zögern Klarheit darüber schafft, ob er beabsichtigt, sein Gestaltungsrecht auszuüben, wobei auch dies stets einzelfallabhängig zu prüfen ist.584 Ist der Schweigende an der Geltendmachung seines Rechts verhindert, etwa aufgrund höherer Gewalt, aber auch regelmäßig vor der Fälligkeit eines Anspruchs, so ist eine Verwirkung ausgeschlossen.585 Auch für die Annahme einer Duldung (tolleranza) muss eine über eine gewisse Zeitspanne fortwährende Untätigkeit des Rechtsinhabers trotz der Möglichkeit des Einschreitens bestehen, wobei die Zeitspanne sich ebenfalls an den gesetzlichen Fristen orientieren kann. Zusätzlich zur Untätigkeit des Berechtigten und zum Zeitmoment ist jedoch auch ein Umstandsmoment auf Seiten des Gegenübers erforderlich. Dieser muss in seinem Vertrauen auf die nicht mehr erfolgende Rechtsausübung schutzwürdig sein und die verspätete Geltendmachung durch den Rechtsinhaber muss ihm darüber hinaus unzumutbar sein.586 Voraussetzung ist, dass sich die Ausübung des Rechts als illoyal darstellt, sodass der Berechtigte über seine bloße Untätigkeit hinaus ein Verhalten an den Tag legt, das ein entsprechendes Vertrauen der Gegenseite begründen kann.587 Nach der Prüfung, ob der Betroffene vernünftigerweise nicht mehr mit der Geltendmachung rechnen musste588, ist insbesondere auch zu untersuchen, ob von ihm Vermögensdispositionen getroffen wurden, angesichts derer die Rechtsausübung eine unbillige Härte darstellen würde589. Infrage kommen daneben aber auch andersartige Vertrauensdispositionen, also Dispositionen, die zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf das Vermögen haben, aber dennoch die Rechtsposition des Berechtigten verschlechtern, wobei ebenso zu prüfen ist, ob die Rechtsausübung wegen der aus der Stärke der Disposition resultierenden Schutzwürdigkeit unzumutbar erscheint.590 Für die tolleranza wird ebenso ein schutzwürdiges Vertrauen des Gegenübers auf die nicht mehr erfolgende Geltendmachung des Rechts gefordert. Gegenstand der Verwirkung können dabei nur subjektive und relative, nicht aber absolute, gegenüber jedermann wirkende Rechte wie z. B. das Eigentum 583 Krüger/Schubert,
MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 395. 18.10.2001 – I ZR 91/99, in: NJW 2002, 669, 669; Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 397. 585 Vgl. Gsell/Kähler, BeckOGK BGB, Stand 1.8.2021, § 242 Rn. 1675 f.; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, S. 216. 586 Stürner/Mansel, Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage 2018, § 242 Rn. 61 f. 587 So Haertlein, Die Verwirkung von Ansprüchen, in: FS Schilken 2015, S. 35, 39 u. 42. 588 RG 4.6.1937 – VII 321/36, in: RGZ 155, 148, 152. 589 BGH 17.3.1994 – X ZR 16/93, in: NJW-RR 1995, 106, 109; Bamberger/Roth/Sutschet, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 242 Rn. 151. 590 Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen, 1995, S. 192 ff., insbes. S. 195. 584 BGH
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sein, weil nur bei den erstgenannten die Ausübung zur längerdauernden Nichtausübung in Widerspruch stehen kann und damit ein entsprechendes schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite angenommen werden kann.591 Aus dem Eigentum folgende Ansprüche (z. B. auf Herausgabe) können freilich verwirken; ebenso unterliegen nach ganz herrschender Auffassung auch Gestaltungsrechte wie das (Verbraucher-)Widerrufsrecht der Verwirkung592. Rechtsfolge der Verwirkung ist eine als Einwendung – dies ist umstritten, wird aber überwiegend bejaht – von Amts wegen zu beachtende zeitliche Schranke, wobei diskutiert wird, ob das betroffene Recht nur nicht mehr geltend gemacht werden kann, aber fortbesteht593 oder ob es erlischt594. Freilich ist das praktische Ergebnis in beiden Fällen, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werden kann595, was auch erklärt, dass bei der Rezeption des Instituts durch die italienische Literatur nicht immer scharf abgegrenzt wird596. Durch diese Berücksichtigung von Amts wegen und das eben dargelegte Umstandsmoment unterscheidet sich die Verwirkung von der Verjährung, welche nur einen Zeitablauf voraussetzt und durch Einrede geltend gemacht werden muss.597 Als Rechtsfolge wird bei der tolleranza davon ausgegangen, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werden kann. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen gleicht also am ehesten die tolleranza (Duldung) und nicht die rinuncia tacita, also der konkludente Verzicht, der deutschen Verwirkung: Die rinuncia tacita erfordert als rechtsgeschäftliche Willenserklärung naturgemäß mehr als die Verwirkung, nämlich das Vorliegen eines entsprechenden Verzichtswillens seitens des Rechtsinhabers. Dieser ist, wie eben gesehen, aber gerade nicht für die Annahme einer Verwirkung erforderlich, für die es nicht auf Willenselemente, sondern neben der Untätigkeit des Rechtsinhabers auf das Zusammenspiel von Zeit- und Umstandselement ankommt. Nach Ansicht von Ranieri bejahten allerdings deut591 Statt vieler OLG Schleswig 17.4.2018 – 11 U 121/17, in: NJW 2018, 2500, 2501; Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 358. 592 Vgl. Duchstein, Die Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehen, in: NJW 2015, 1409, 1409 m. w. N. auch zu europarechtlichen Bezügen; OLG Karlsruhe, 28.08.2002 – 6 U 14/02, in: BeckRS 2002, 30279773. 593 Hierfür etwa BGH 23.11.2012 – BLw 12/11, in: BeckRS 2013, 02148; BGH 30.4.1993 – V ZR 234/91, in: NJW 1993, 2178, 2178 f.; Schubert/Grothe, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 194 Rn. 13; Stürner/Mansel, Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage 2018, § 242 Rn. 63. 594 Hierfür etwa Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 389; vgl. auch Bamberger/Roth/Sutschet, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), § 242 Rn. 153. 595 Vgl. Stürner/Mansel, Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage 2018, § 242 Rn. 63 („[…] inhaltliche Begrenzung des Rechts […], die iE einem Rechtsverlust gleichkommt […].“); Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen, 1995, S. 212. 596 Vgl. nur die Nachweise hierzu bei Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 89 Fn. 51. 597 So Schubert/Grothe, MüKo BGB, Band 1, 9. Auflage 2021, § 194 Rn. 13.
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sche Gerichte eine Verwirkung nur dann, wenn auch im italienischen Recht eine rinuncia tacita vorläge, sodass die Ergebnisse in beiden Rechtsordnungen häufig gleich ausfielen.598 In der Tat bedienen sich deutsche Gerichte teils sogar der Argumentation, dass ein Verhalten, das einem konkludenten Verzicht ähnelt, die für eine Verwirkung erforderliche Zeitdauer herabsetzt599, während sich manche italienische Entscheidungen umgekehrt dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass sie einen Verzicht bloß fingierten600. Indes dürften sich aus den strengeren Voraussetzungen eines rechtsgeschäftlichen Verzichts regelmäßig höhere Hürden für die Annahme einer rinuncia tacita nach italienischem Recht als für die Bejahung einer Verwirkung nach deutschem Recht ergeben.601 Überdies könnte möglicherweise die gerade in jüngerer Zeit in Entscheidungen der Corte di Cassazione zum Ausdruck kommende Haltung, dass ein Verzicht das tatsächliche Vorliegen eines rechtsgeschäftlichen Willens verlangt, zu einer noch restriktiveren Handhabung der bisweilen einer Fiktion gleichkommenden rinuncia tacita führen. Die tolleranza übernimmt damit in funktionaler Hinsicht am ehesten die Rolle der Verwirkung und gleicht ihr auch hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen.
b) Dogmatische Einordnung: Erklärung über einen konkludenten Verzichtsvertrag oder über § 242 BGB Fraglich ist, ob das deutsche Rechtsinstitut der Verwirkung wie die italienische rinuncia tacita rechtsgeschäftlich erklärt werden kann oder ob es, ähnlich wie die tolleranza, auf dem Prinzip von Treu und Glauben beruht.
aa) Hierzu vertretene Auffassungen Nach einer Mindermeinung soll das Institut der Verwirkung rechtsgeschäftlich über die Annahme eines konkludenten Verzichtsvertrags zu erklären sein.602 In der Vergangenheit wurde teilweise auch von der Rechtsprechung aus dem Schweigen gegenüber einer Erfüllungsverweigerung auf einen Willen zur Vertragsaufhebung geschlossen oder sogar die Untätigkeit des Schweigenden dahingehend ausgelegt, dass er dem Wunsch seines Vertragspartners, eine Be598
Ranieri, Rinucia tacita e Verwirkung, 1971, S. 46, 83 ff. OLG München 16.12.2004 – 19 U 4075/00, in: BeckRS 2005, 00218. Krit. dazu Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 622 f.; Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, S. 52. 601 Vgl. Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 623; a. A. Ranieri, Rinucia tacita e Verwirkung, 1971, S. 46. 602 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 184 ff.; zumindest in funktionaler Hinsicht in diese Richtung Ranieri, Rinuncia tacita e Verwirkung, 1971, S. 44 ff., 122; weitgehend auch Manigk, Das Problem der Verwirkung, in: DJZ 1936, 350, 358; von einem „gesetzlichen Verzicht“ spricht Siebenhaar, Der Begriff der Verwirkung, in: JR 1962, 88, 90 ff.; Wieling, Venire contra factum proprium und Verschulden gegen sich selbst, in: AcP 176 (1976), 334, 335. 599 600
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stellung aufzuheben, zugestimmt habe und diese Zustimmung durch sein Schweigen geäußert habe.603 Die Verwirkung ist nach dieser Auffassung nichts anderes als eine stillschweigende Verzichtserklärung, die nur – zumindest in der Regel – nicht anfechtbar ist.604 Dieser Gedanke begegnet auch bei der italienischen rinuncia tacita. Nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur handelt es sich bei der Verwirkung dagegen nicht um einen Fall des konkludenten Verzichts und damit eine Willenserklärung des Schweigenden, sondern alleinige Rechtsgrundlage für die Folgen der Untätigkeit ist § 242 BGB, wobei die Verwirkung einen Unterfall des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) darstellt.605 Ob die Verwirkung dabei direkt auf § 242 BGB basiert, ist im Einzelnen umstritten, anerkannt ist jedoch, dass sie jedenfalls auf der Wertung der Norm beruht.606 Die Verwirkung knüpft nach dieser Auffassung nicht an einen rechtsgeschäftlichen privatautonomen Akt, sondern an eine gesetzliche Wertung von Umständen an, sodass auch unverzichtbare Rechte wie beispielsweise Trennungsunterhaltsansprüche verwirken können.607 Von einem konkludent erklärten Verzicht unterscheidet sich die Verwirkung demnach dadurch, dass dieser als rechtsgeschäftliche Erklärung einen Verzichtswillen im Sinne von Kenntnis und bewusster Nichtausübung des Rechts voraussetzt.608 Dies ähnelt der dogmatischen Begründung der tolleranza. Daneben wird auch erwogen, die Verwirkung als eigene Fallgruppe von Treu und Glauben über ein enttäuschtes Vertrauen angesichts einer bestehenden Handlungsobliegenheit zu erklären; es handle sich um einen obliegenheitsbezogenen Vertrauenstatbestand.609
bb) Stellungnahme: Keine rechtsgeschäftliche Erklärung möglich Zwar ist zuzugeben, dass ein Rückgriff auf die in hohem Maße konkretisierungsbedürftige Generalklausel des § 242 BGB und die damit einhergehende 603 Vgl.
395 ff.
ROHG 6.10.1874 – Rep. 557/74, in: Entscheidungen des ROHG 14 (1874), 393,
604 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 185 ff. 605 Vgl statt vieler RG 4.12.1931 – II 135/31, in: RGZ 134, 262, 270; BGH 27.6.1957 – II ZR 15/56, in: NJW 1957, 1358, 1358; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 223 ff.; Staudinger/Olzen/Looschelders, BGB 2019, § 242 Rn. 300; gegen eine Einordnung als Verzichtserklärung (rinuncia tacita) auch Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, S. 122. 606 Dazu m. w. N. Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen, 1995, S. 35 ff. 607 Vgl. BGH 16.6.1982 – IV b ZR 709/80, in: NJW 1982, 1999, 1999; BGH 12.7.2016 – XI ZR 564/15, in: NJW 2016, 3512, 3516. 608 Schulze/Schulze, BGB, 11. Auflage 2021, § 242 Rn. 44. 609 Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 57 ff., S. 121 ff.
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes
265
Außerkraftsetzung der Verjährungsvorschriften, aber auch rechtsgeschäftlicher Grundsätze, auf den ersten Blick bedenklich erscheint.610 Auch bei einem Rechtsgeschäft sind zudem, wie oben gesehen, häufig nicht nur der Wille, sondern auch Vertrauensschutzaspekte dafür maßgeblich, ob eine Verpflichtung begründet wird, sodass sich Rechtsgeschäft und Verwirkung nahe zu stehen scheinen.611 Für die zweitgenannte Auffassung spricht jedoch, dass die Rechtsfolgen der Verwirkung unabhängig vom und gegebenenfalls auch gegen den subjektiven Willen des Berechtigten eintreten.612 Dabei bietet die Annahme eines konkludenten Verzichtsvertrags für jene Fälle, in denen es nicht nur am Erklärungsbewusstsein – das nach hier vertretener Ansicht gerade kein konstitutives Tatbestandsmerkmal ist –613, sondern bereits an jeglichen objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Willenserklärung fehlt, keine Erklärung für die Rechtsfolgen des Schweigens.614 Der Schluss, dass jemand ein Recht nicht mehr geltend machen wird, lässt sich häufig nämlich bereits aus dem bloßen Verstreichen einer Zeitspanne oder auch aus anderen Umständen, die mit dem Verhalten des Schweigenden nichts zu tun haben, ziehen, sodass es schon am objektiven Tatbestand einer Willenserklärung mangelt.615 Einen konkludenten Verzicht des Rechtsinhabers in Konstellationen zu unterstellen, in denen ein Rechtsirrtum dahingehend vorliegt, dass der Vertrauende davon ausgeht, selbst Rechtsinhaber zu sein, überzeugt nicht, da sich das Verhalten aus Sicht des Vertrauen den in diesen Fällen schon gar nicht als konkludenter Verzicht darstellen kann.616 Auch erscheint es bei einem bloßen Vergessen, einer Gleichgültigkeit oder einer Gefälligkeit des Gläubigers zu weit hergeholt, einen konkludenten Rechtsverzicht zu konstruieren.617 Gegen eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Verwirkung spricht zudem, dass sonst Normen, die einem ausdrücklichen Verzicht entgegenstehen, ein Eingreifen des Rechtsinstituts verhindern könn610 Vgl. Koziol, Glanz und Elend der deutschen Zivilrechtsdogmatik. Das deutsche Zivilrecht als Vorbild für Europa?, in: AcP 212 (2012) 1, 57. 611 Vgl. Kegel, Verwirkung, Vertrag und Vertrauen, in: FS Pleyer, 1986, S. 513, 532 („[…] nicht Fremde, sondern Geschwister.“) und 538. 612 RG 4.12.1931 – II 135/31, in: RGZ 134, 262, 270; BGH 27.6.1957 – II ZR 15/56, in: NJW 1957, 1358, 1358. 613 Zu diesem Argument Wieling, Venire contra factum proprium und Verschulden gegen sich selbst, in: AcP 176 (1976), 334, 335; vgl. bereits Manigk, Das Problem der Verwirkung, in: DJZ 1936, 350, 358. 614 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 93 f. (Fn. 66). 615 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 93 f. (Fn. 66); Flume, Das Rechtsgeschäft und das rechtlich relevante Verhalten, in: AcP 161 (1962), 52, 72. 616 Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 228. 617 Vgl. Canaris, Schweigen im Rechtsverkehr als Verpflichtungsgrund, in: FS Wilburg, 1975, S. 77, 93 f. (Fn. 66).
266
§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
ten:618 So hat bereits das Reichsgericht entschieden, dass § 221 HGB in der Fassung von 1.1.1900 bis 1.10.1937, wonach die Aktionäre von bestimmten Leistungen nicht befreit werden konnten, sowohl einem ausdrücklichen, als auch einem stillschweigenden Verzicht entgegenstand, während eine Verwirkung der Ansprüche nach § 242 BGB möglich war.619 Auch nach der Rechtsprechung des BGH können unverzichtbare Rechte wie der zukünftige Trennungsunterhalt (§§ 1614 Abs. 1 BGB, 1361 Abs. 4, 1360a Abs. 3 BGB) deshalb verwirkt werden, weil die Verwirkung gerade nicht an eine ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärung anknüpft, sondern an eine gesetzliche Wertung anderer Umstände.620 Die Verwirkung stellt eine nur im Fall unbilliger Härte eingreifende Korrekturnorm aus Vertrauensschutzaspekten dar, die, auch wenn gesetzliche Wertungen in die Abwägung über ihre Anwendung miteinfließen, nicht aufgrund starrer gesetzlicher Vorschriften ausgeschlossen sein sollte. Schließlich steht sie aufgrund ihrer Wirkung, aber auch ihres Wirkmechanismusses – nämlich dem Ausschluss der Geltendmachung einer Rechtsposition – den Situationen des Schweigens, in denen es aufgrund gesetzlicher Fiktionen zu einem Rechtsverlust kommt, sowie den Verjährungsvorschriften nahe.621 Auch diese Fiktionen sind aber keine konkludenten Verzichtserklärungen. Verwirkung und konkludenter Verzicht durch ein Schweigen stehen vielmehr als unabhängige Rechtsinstitute nebeneinander – ein Befund, der auch nicht im Widerspruch zum italienischen Recht steht: Auch dort wird nämlich zunehmend eine pauschale Anwendung des konkludenten Verzichts abgelehnt und zwischen einer tolleranza (Duldung) einerseits und einer rinuncia tacita (konkludenter Verzicht) andererseits unterschieden. Gegen den relativ neuen Ansatz, die Verwirkung über eine Handlungsobliegenheit zu erklären, lassen sich im Falle eines Rechtsverlusts durch Schweigen die oben (§ 4 II. 8. a) bb)) vorgebrachten Argumente nicht wiederholen. Während das Entstehen einer Verpflichtung nicht überzeugend mit der Verletzung einer Obliegenheit zu begründen ist, ist eine Sanktionierung durch den Verlust eigener Rechte gerade ureigenste Folge der Obliegenheitsverletzung (vgl. § 377 HGB). Allerdings führt das Verständnis der Verwirkung als obliegenheitsbezogener Vertrauenstatbestand durch das einseitige Abstellen auf eine zurechenbare Obliegenheitsverletzung und ein schutzwürdiges Vertrauen zu einem Verzicht auf das Zeitmoment und zur fehlenden Mitberücksichtigung der Verkehrsanschauung bei der Bewertung des Verhaltens, was der bei der Verwirkung vorzunehmenden Gesamtabwägung aller Umstände widerspricht.622 Das 618
RG 4.12.1931 – II 135/31, in: RGZ 134, 262, 270; vgl. auch BGH 6.6.1982 – IV b ZR 709/80, in: NJW 1982, 1999, 1999 (Trennungsunterhalt). 619 RG 4.12.1931 – II 135/31, in: RGZ 134, 262, 270. 620 BGH 6.6.1982 – IV b ZR 709/80, in: NJW 1982, 1999, 1999. 621 Vgl. Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 227. 622 Krüger/Schubert, MüKo BGB, Band 2, 8. Auflage 2019, § 242 Rn. 371.
III. Schweigen als Ursache eines Rechts- bzw. Anspruchsverlustes
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Zeitmoment als irrelevant einzustufen623, überzeugt nicht, weil gerade durch die wechselseitige Beeinflussung von Zeit- und Umstandsmoment in der Praxis überzeugende Ergebnisse erzielt werden. Anders als im deutschen Recht überwiegt demgegenüber in der italienischen Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur in Konstellationen, bei denen eine nach langer Untätigkeit erfolgende Geltendmachung einer Rechtsposition als gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen wird, zumindest bislang eine rechtsgeschäftliche Konstruktion: um die als unbillig empfundene Rechtsausübung zu vermeiden, wird zumeist von einer rinuncia tacita ausgegangen oder eine solche fingiert. Eine Zurückführung auf den allgemeinen Grundsatz der buona fede (Treu und Glauben), wie bei der tolleranza, wird demgegenüber seltener, wenn auch zunehmend, befürwortet.624 Auch wenn die italienische Rechtsprechung und Teile der Literatur einer Anwendung der buona fede im Bereich des Rechtsverlustes durch eine Untätigkeit eher ablehnend gegenüber stehen und daran festhalten, dass Generalklauseln nicht das ius strictum aushebeln können625, deutet sich insgesamt doch eine gewisse Öffnung an: Der Rückgriff auf die rinuncia tacita wird seltener und, wie eben schon beschrieben, von der Rechtsprechung zunehmend eingeschränkt, während häufiger auf der Basis von Treu und Glauben argumentiert wird.626 Insbesondere in der Literatur mehren sich Stimmen, die Lösungen über die tolleranza oder gar die Verwirkung befürworten. Die von Teilen der deutschen Literatur geäußerte Einschätzung, dass das italienische Recht über die rinuncia tacita die gleichen Ergebnisse erziele wie das deutsche Recht über die Verwirkung627, kann also nicht uneingeschränkt geteilt werden. Vielmehr verfügt auch das italienische Recht über nicht rechtsgeschäftliche Mechanismen zur Bewältigung der Problematik. Ein Vorteil des in Italien häufig vertretenen Ansatzes der rinuncia tacita im Vergleich zur deutschen Verwirkung mag zwar in dem geringeren tatrichterlichen Ermessen liegen, welches auf den ersten Blick größere Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für die Parteien mit sich zu bringen scheint. So wird von italienischer Seite kritisiert, dass die deutschen Entscheidungen zur Verwirkung trotz des letztlich zustimmungswürdigen Ergebnisses eine genaue Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung ver623
Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 66 f. So von Patti, Verwirkung, in: Digesto, Band 19, 4. Auflage 2000, S. 727; dem folgend Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 226. 625 Vgl. neben der zit. Entscheidung auch ähnlich Busnelli, Note in tema di buona fede ed equità, in: Riv. dir. civ. 2001, 556; Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 188 f.; zum Ganzen Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603 ff. m. w. N. 626 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, 1978, S. 122. 627 So Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB 2019, § 242 Rn. 1189. 624
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missen lassen und an deren Stelle allgemeine Billigkeitserwägungen setzen.628 Andererseits haben sich in der deutschen Rechtsprechung fest umrissene Fallgruppen bzw. Voraussetzungen herausgebildet, in denen eine Verwirkung infolge einer Untätigkeit bzw. eines Schweigens bejaht wird. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung wie die rinuncia tacita hat tendenziell strengere Voraussetzungen als eine auf Treu und Glauben fußende wie die Verwirkung, sodass sie seltener zu Zuge kommt629 und so möglicherweise Gerechtigkeitslücken entstehen können. In der italienischen Literatur, teils aber auch in der Rechtsprechung, mehren sich daher mittlerweile Stimmen, die für die entsprechenden Konstellationen eine nicht rechtsgeschäftliche Konstruktion, sei es als tolleranza630, sei es sogar aufgrund einer direkten Anerkennung der deutschen Verwirkung631, zumindest aber eine Öffnung gegenüber der Generalklausel von Treu und Glauben632 befürworten. Die der Verwirkung zugrunde liegenden Erwägungen auf der Grundlage von Treu und Glauben sind also auch dem italienischen Recht inhärent.633 Recht zu geben ist der Kritik von italienischer Seite jedoch insoweit, als allgemeine Billigkeitserwägungen keinesfalls eine saubere Subsumtion unter die anerkannten Voraussetzungen der Verwirkung und die ihr zugrundeliegenden Wertungen ersetzen können. Nur auf diese Weise kann ein vorschneller Rückgriff auf das Rechtsinstitut, der gerade auch im internationalen Verkehr zur Verunsicherung bei ausländischen Vertragsparteien führen kann (dazu unten § 5 III. 3.), vermieden werden. Eine solche fundiert begründete und damit Rechtssicherheit bietende Handhabung der Verwirkung ist aber der Fiktion eines rechtsgeschäftlichen Verzichts vorzuziehen.
c) Anwendbarkeit der Vorschriften über Willenserklärungen Auch bei der Verwirkung stellt sich, ähnlich wie schon bei der Verjährung und anderen Fällen des Rechtsverlustes, die Frage, ob die Vorschriften über Willenserklärungen direkte oder entsprechende Anwendung finden können. Fraglich ist insbesondere, ob beispielsweise derjenige, der sein Recht verwirkt und über diesen Umstand irrt, den Rechtsverlust durch eine Anfechtung verhindern 628 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 626; krit. auch Rinaldi, Francesco, Verwirkung, ritardato esercizio del diritto e giudizio di buona fede (Anm. zu Cass. civ. 15.3.2004, Nr. 5240), in: Nuova giur. civ. comm. 2005, I, 448, 453. 629 Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 623 f. 630 Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, Neapel 1978; ebenso Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75. 631 Tescaro, Decorrenza della prescrizione e autoresponsabilità, La rilevanza civilistica del principio contra non valentem agere non currit praescriptio, 2006, S. 227. 632 So auch Astone, Ritardo nell’esercizio del credito, Verwirkung e buona fede, in: Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 628 ff. 633 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 96.
IV. Zusammenfassender Vergleich und Bewertung
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kann. Die Auffassung, die einen konkludenten Verzichtsvertrag annimmt, will grundsätzlich auch eine Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 119 ff. BGB belassen.634 Wegen der Verkehrssicherheit und der durch den zunehmenden Zeitablauf erschwerten Rekonstruktion von Vertrauensschäden soll aber, so Bydlinski, eine Anfechtung nur dann möglich sein, wenn die Ermittlung eines Vertrauensschadens i. S. v. § 122 BGB im konkreten Einzelfall trotz des Zeitablaufs ohne besondere Schwierigkeiten möglich ist.635 Der Gesichtspunkt von Treu und Glauben wird damit von der Tatbestandsseite auf die Rechtsfolgenseite verlagert.636 Soweit eine rechtsgeschäftliche Erklärung für die Verwirkung, wie von der ganz herrschenden Auffassung, abgelehnt wird, scheidet eine direkte Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen aus. Aber auch eine entsprechende Heranziehung scheitert, weil es an einer zu einer rechtsgeschäftlichen Erklärung vergleichbaren Interessenlage fehlt und der von der Verwirkung bezweckte Vertrauensschutz durch das Zugestehen eines Anfechtungsrechts stets unterlaufen werden könnte. Für eine Anwendung der Vorschriften zu Anfechtbarkeit auf die Verwirkung besteht schon deshalb kein Bedarf, weil im Rahmen der stets zu prüfenden Zurechenbarkeit der Untätigkeit Elemente wie die fehlende Möglichkeit oder Zumutbarkeit der Geltendmachung des betroffenen Rechts Berücksichtigung finden können.637 Der Verpflichtete wird bereits durch diese besondere Prüfung der Zurechenbarkeit hinreichend geschützt.638 Wenn die Vorschriften über Willenserklärungen schon bei den oben genannten Fällen des Rechtsverlustes infolge von gesetzlichen Fiktionen keine Anwendung finden, muss dies erst recht für das Rechtsinstitut der Verwirkung gelten, bei welchem Gesichtspunkte wie das schutzwürdige Vertrauen des Gegenübers eine besondere Rolle spielen. Auch für die italienische tolleranza gelten die Vorschriften über Willenserklärungen nicht, woran sich erneut ihre Nähe zur deutschen Verwirkung zeigt.
IV. Zusammenfassender Vergleich und Bewertung Die bereits in den sechziger Jahren von Schlesingers Study of the Common Core of Legal Systems formulierte These, dass Rechtsordnungen, wenn auch auf ver634 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 189. 635 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 188 f. 636 So treffend Salzmann, Die zivilrechtliche Verwirkung durch Nichtausübung, 2015, S. 33 f. 637 Vgl. Stürner/Mansel, Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage 2018, § 242 Rn. 60. 638 Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 228.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
schiedenen Wegen unter bestimmten, überwiegend gleichen Voraussetzungen zur Gleichstellung eines Schweigens mit einer zustimmenden Willenserklärung gelangen639, bestätigt sich auch bei einem näheren Blick auf das aktuelle italienische und deutsche Recht.640
1. Gesetzlich nicht geregelte Fälle Eine weitgehende Anerkennung der Erklärungsbedeutung des Schweigens, sei es als Zustimmung, sei es als Ablehnung, vermag die Schnelligkeit des Abschlusses und der Abwicklung von Verträgen insbesondere im Handelsverkehr zu begünstigen.641 Andererseits kann vor allem das beredte Schweigen bzw. silenzio circostanziato zu einem Unsicherheitsfaktor werden, wenn die Voraussetzungen bzw. Umstände, die ihm Erklärungsbedeutung verleihen, nicht hinreichend klar definiert sind. Sowohl die italienische als auch die deutsche Rechtswissenschaft haben vor diesem Hintergrund Fallgruppen herausgebildet, in denen dem Schweigen ausnahmsweise Erklärungsbedeutung zukommen soll. Rechtsvergleichend zeigen sich im italienischen und deutschen Recht in allen Konstellationen beredten Schweigens folgende wiederkehrende „Konkludenzindizien“, die den Schluss auf einen entsprechenden Willen des Schweigenden zulassen642: In beiden Rechtsordnungen ist zunächst die Vorteilhaftigkeit oder zumindest fehlende Nachteilhaftigkeit der Rechtsfolgen für den Schweigenden nach dem Vorbild von Art. 1333 c. c. (contratto a carico del solo proponente) bzw. § 516 Abs. 2 BGB (Schenkung) ein maßgeblicher Faktor.643 Angedacht wird für das beredte Schweigen sogar eine Gesamtanalogie zu den Fällen normierten Schweigens und eine hierauf basierende Fallgruppenbildung, um zu entscheiden, ob das Schweigen in einem bestimmten Fall zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit nur als Zustimmung verstanden werden kann.644 Daneben werden auch ein 639 Schlesinger, General Report, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 1, 1968, S. 131 ff. 640 Vgl. hierzu auch zustimmend Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile, Commentario, 2018, S. 407 f.; allgemein zur sog. praesumtio similitudinis: Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, 3. Auflage 1996, S. 39. 641 So auch Rossi, Silenzio e contratto, 2001, S. 83 f. 642 Vgl. dazu Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144, Rn. 76 m. w. N.; allgemein für eine Fallgruppenbildung infolge des Rechtsvergleichs W. Lorenz, Rechtsvergleichung als Methode zur Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze des Rechts, in: JZ 1962, 269, 274. 643 Vgl. OLG Frankfurt, 3.4.1986 – 6 U 24/85, in: NJW-RR 1986, 1164, 1164 f.; BGH 12.10.1999 – XI ZR 24/99, in: NJW 2000, 276, 277; Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 418. 644 Vgl. so für das Handelsrecht: Grunewald/Welter, MüKo HGB, Band 5, 5. Auflage 2021, § 362 Rn. 4; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 222 ff.
IV. Zusammenfassender Vergleich und Bewertung
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zu Lasten des Schweigenden bestehender Kontrahierungszwang645 oder die vorherige Zustimmungserteilung durch den Untätigen wie im Fall der verspäteten Annahmeerklärung646 bzw. vorausgegangener Vertragsverhandlungen647 einbezogen. Prägnanter noch als im deutschen wird dabei im italienischen Recht auf die Rolle hingewiesen, die den im Vorfeld zwischen den Parteien bestehenden Geschäftsverbindungen und vorausgehenden Verhandlungen zukommt. Damit dürfte in der Sache aber kaum ein Unterschied verbunden sein, da sich bei näherer Betrachtung zeigt, dass auch im deutschen Recht fast immer ein bestehender Geschäftskontakt Voraussetzung für die Annahme einer Konkludenz des Schweigens ist. Die Auffassung, nach der im italienischen Recht das kaufmännische Bestätigungsschreiben nicht anerkannt sei, kann in dieser Form nicht geteilt werden: Zum einen kennt die italienische Rechtspraxis sehr wohl die lettera di conferma (Bestätigungsschreiben) und ähnliche Rechtsinstitute wie die fattura (Rechnung) oder conferma d’ordine (Auftragsbestätigung). Zum anderen ist die Erzielung ähnlicher oder gleicher Ergebnisse wie im deutschen Recht über die auch im italienischen Recht erfolgende Anerkennung des Beweiswertes einer lettera di conferma sowie über die Rechtsfigur des beredten Schweigens (silenzio circostanziato) denkbar. Beiden Rechtsordnungen gemein ist zudem die Regel, dass im handelsrechtlichen Kontext aufgrund der Erfahrenheit der Beteiligten leichter eine Zustimmung infolge eines Schweigens angenommen werden kann, während die Hürden hierfür bei Nichtkaufleuten höher liegen. Die mit einer Erklärungsbedeutung eines Schweigens einhergehende faktische Auferlegung von Widerspruchspflichten gegenüber ungewollten Verpflichtungen erscheint auf den ersten Blick unbillig und nicht mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit vereinbar. Der europäische Gesetzgeber hat dieses Risiko zumindest für Verbraucher durch den Erlass entsprechender Richtlinien und deren Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber minimiert (vgl. Art. 66 quinquies c. cons. und § 241a BGB). Ein wirkliches Bedürfnis für diese Regelung auf europäischer Ebene bestand allerdings weder aus Sicht des italienischen noch des deutschen Rechtes, da beide Rechtsordnungen einer einseitigen Oktroyierung von Rechtsfolgen ablehnend gegenüberstehen. Die Fälle des beredten Schweigens zeichnen sich gegenüber einer solchen dadurch aus, dass qualifizierende Umstände hinzutreten müssen, wie im Vorfeld bestehende Geschäftsbeziehungen, die Vorteilhaftigkeit des Rechtsgeschäftes für den Schweigenden, gesteigerte Sorgfaltspflichten oder Gesichtspunkte von Treu 645
Beispiel bei Staudinger/Singer, BGB 2017, Vorbem. zu §§ 116–144, Rn. 76: § 5 Abs. 2 S. 1 PflVG. 646 Vgl. BGH 31.1.1951 – II ZR 46/50, in: NJW 1951, 313, 313. 647 Vgl. BGH 14.2.1995 – XI ZR 65/94, in: NJW 1995, 1281, 1281; Conte, La formazione del contratto, Art. 1326–1330 e 1333–1335, in: Schlesinger/Busnelli, Il Codice Civile Commentario, 2018, S. 418.
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
und Glauben, die das einfache Schweigen erst zum beredten Schweigen machen. Die in beiden Ländern – in Deutschland freilich vehementer – geführte dogmatische Diskussion um die Begründung der Rechtsfolgen eines beredten Schweigens mit Verpflichtungswirkung weist deutliche Parallelen auf. Dabei zeigt sich, wie insbesondere die italienische Rechtswissenschaft seit längerem herausgearbeitet hat, dass die Zurückführung des beredten Schweigens mit Verpflichtungswirkung auf eine Willenserklärung (dichiarazione/manifestazione di volontà) mehr überzeugt als aufwändige dogmatische Sonderkonstruktionen zur Begründung seiner Erklärungswirkungen, denen in beiden Rechtsordnungen berechtigte Einwände entgegengehalten werden. Über eine rechtsgeschäftliche Einordnung des Schweigens können zudem ohne weiteren Begründungsaufwand die Vorschriften über Willenserklärungen zur Anwendung kommen. Dabei können die in der Vergangenheit entwickelten Ansätze zur Erklärung der verpflichtenden Rechtsfolgen eines Schweigens vielfach bei der Ermittlung der Konkludenz eines Verhaltens eine wertvolle Hilfestellung bieten. Auch wenn nämlich beispielsweise ein Rückgriff auf Treu und Glauben oder eine Widerspruchspflicht für sich genommen dogmatisch keine befriedigende Erklärung des Vertragsschlusses infolge eines Schweigens bieten, können diese Gesichtpunkte in die Interpretation eines Verhaltens als konkludente Willenserklärung einfließen. Anders verhält es sich beim nicht normierten Schweigen, das einen Rechtsverlust nach sich zieht: hier unterscheiden sich italienisches und deutsches Recht deutlich, da ersteres die Verwirkung im Sinne des deutschen Rechtsinstituts nicht kennt, sondern nach überwiegender Auffassung eine rechtsgeschäftliche Lösung der Problematik in Gestalt der rinuncia tacita (konkludenter Rechtsverzicht) gewählt hat. Allerdings verfügt auch das italienische Recht mit der tolleranza (Duldung) über ein verwirkungsähnliches, nicht rechtsgeschäftlich erklärbares und auf den Prinzipien von Treu und Glauben basierendes Rechtsinstitut. Zudem mehren sich in der italienischen Rechtswissenschaft die Stimmen, die nicht nur die Verwirkung rezipieren, sondern auch explizit ihre Übernahme ins italienische Recht befürworten.
2. Gesetzlich geregelte Fälle Beim normierten Schweigen, ob als Ursache einer Verpflichtung oder eines Rechtsverlusts, fällt auf, dass der italienische und der deutsche Gesetzgeber nahezu in den gleichen Fällen ein Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung gesehen haben. Teilweise bestanden, wie beim Mietvertrag, insoweit sogar schon entsprechende Regelungen im römischen Recht (sog. relocatio tacita). Ein markanter Unterschied zeigt sich allerdings bei den für den Schweigenden vorteilhaften
IV. Zusammenfassender Vergleich und Bewertung
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Rechtsgeschäften: Hier verfolgt das italienische Recht im Vergleich zum deutschen nicht nur einen anderen Ansatz im Bereich der Schenkung, wo gerade keine Annahme durch Schweigen möglich ist, sondern hat auch mit Art. 1333 c. c., dem Vertrag zu Lasten des Anbietenden (contratto a carico del solo proponente), eine begrüßenswerte Kodifikation der Wirkungen eines Schweigens geschaffen. Obwohl die letztgenannte Norm sowie ihre Vorgängernorm seit langer Zeit Gegenstand lebhafter dogmatischer Diskussion sind, bringt die Regelung im Vergleich zum deutschen Recht, das der Problematik einzelfallbezogen über § 151 BGB begegnet, den Vorteil größerer Rechtssicherheit durch ihre Allgemeingültigkeit mit sich. In beiden Rechtsordnungen ist eine Diskussion um die dogmatische Einordnung des normierten Schweigens mit Verpflichtungswirkung sowie die Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf es entbrannt. Dabei sprechen gute Gründe für eine weitgehende Gleichstellung zum beredten Schweigen: wie die oben genannten Beispiele (§ 3 II. 2. und § 4II. 2.) zeigen, ist es häufig nur eine Frage des Zufalls oder der Zeit, ob und wann eine Normierung erfolgt. Die Annahme einer konkludenten Willenserklärung stellt oft einen ersten Schritt hin zu einer immer stärkeren Anerkennung eines Grundsatzes im Rechtsverkehr und schließlich einer Normierung desselben dar.648 Zudem lassen sich die Tatbestände normierten Schweigens, wie bereits ausgeführt, überwiegend auf Konstellationen zurückführen, in denen die Rechtsfolgen für den Schweigenden positiv, oder doch wenig belastend sind. Diese lassen somit den Schluss auf eine konkludente Erklärung zu und greifen auch nicht gravierend in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ein. Problematisch ist, wie insbesondere die Untersuchung des italienischen Rechts zeigt, dass die Grenze zwischen einem normierten Schweigen mit Verpflichtungswirkung und einem gesetzlich verankerten Schweigen, das einen Rechtsverlust nach sich zieht, im Einzelfall verschwimmt bzw. stark von der Perspektive abhängt. Die Zuordnung zur einen oder anderen Gruppe hat aber erhebliche Konsequenzen auf der Rechtsfolgenseite: Während auf das normierte Schweigen mit Verpflichtungswirkung die Vorschriften über Willenserklärungen im italienischen wie deutschen Recht direkt oder zumindest analog angewandt werden, ist dies beim normierten Schweigen als Ursache eines Rechtsverlusts nicht der Fall. Die Vorschriften zum Rechtsverlust infolge eines Schweigens erfüllen als Ausschlussfristen nämlich nur eine klarstellende Funktion und weisen keinen eigenen Regelungsgehalt auf, sodass nicht von einer Willenserklärung gesprochen werden kann. Die Abgrenzung wird damit im Zweifel auch von der Rechtsfolgenseite vorgenommen werden können: will der Gesetzgeber eine Lösung von den Konsequenzen eines Schweigens vermeiden, 648 Vgl. Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli, Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, in: SZ (RA) 91 (1974) 251, 283: „Denn die Figur der stillschweigenden Willenserklärung hat nicht selten gesetzesvertretende Regelungsqualität.“
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§ 4 Das Schweigen im deutschen im Vergleich zum italienischen Privatrecht
konstruiert er die entsprechende Norm als bloßen Rechtsverlust des Schweigenden infolge des Ablaufs einer Ausschlussfrist. Aufgrund der umstrittenen Einordnung mancher Fälle und der damit einhergehenden unsicheren Rechtsfolgen wäre daher eine gesetzgeberische Klarstellung wünschenswert, ob mit dem Schweigen ein Rechtsverlust oder eine Verpflichtung einhergeht.
§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr I. Einführung – Problematik des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr Obwohl viele Rechtsordnungen die Rechtsfolgen eines Schweigens im Zivilrecht ähnlich bewerten, kann es im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zu Friktionen kommen: Ein schweigender Beteiligter kann nämlich schutzwürdig in seinem Vertrauen auf die fehlenden Rechtswirkungen seiner Untätigkeit sein, wenn sein Aufenthaltsrecht und das davon abweichende Sachstatut insoweit unterschiedliche Rechtsfolgen anordnen. So erkennen beispielsweise viele Rechtsordnungen, darunter auch weitgehend die italienische (oben § 3 II. 5. a)), nicht derart weitreichende Rechtsfolgen des Schweigens gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben an, wie die deutsche Rechtsordnung dies tut. Auch im Erbrecht bestehen oft – so auch im italienischen und deutschen Recht– abweichende Regelungen hinsichtlich der Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Erwerbsmodus und der Ausschlagung einer Erbschaft. Zwar entschärft sich die Problematik in Teilbereichen des Zivilrechts deutlich durch die Anwendung von Einheitsrecht wie dem CISG (unten § 5 III. 6. b)), doch verbleiben Konstellationen sowohl im internationalen Vertragsrecht (sogleich), als auch in anderen Rechtsgebieten wie dem internationalen Erbrecht (unten § 5 III. 2.), in denen sich die Frage stellt, wie das Schweigen eines Beteiligten kollisionsrechtlich zu bewerten ist.
II. Die Rolle des Schweigens in der Rom I‑VO Neben der Einräumung einer konkludenten Rechtswahlmöglichkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 2. Var. Rom I‑VO, wonach eine Rechtswahl der Vertragsparteien sich auch „eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben“ und damit aus einem beredten Schweigen bzw. silenzio circostanziato resultieren kann1, begegnet das Schweigen in der Rom I-Verordnung insbesondere in Gestalt einer kollisionsrechtlichen 1 Vgl.
zur konkludenten Rechtswahl Franzina, La scelta tacita della legge applicabile al
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
Zumutbarkeitsregel: Nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO kann sich eine Partei für die Behauptung, sie habe dem Vertrag oder einer Vertragsbedingung nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung ihres Verhaltens nach dem anwendbaren Vertragsstatut zu bestimmen. Dies stellt eine Sonderanknüpfung gegenüber dem grundsätzlich auf Fragen des Zustandekommens und der Wirksamkeit (Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO) sowie die Vertragswirkungen (Art. 12 Rom I‑VO) anwendbarem Vertragsstatut dar. Zugeschnitten ist die Norm insbesondere – aber nicht ausschließlich, so findet sie etwa auch auf das Sprachrisiko Anwendung2 – auf die Problematik, ob das Schweigen, vor allem auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, als Erklärungstatbestand gewertet werden kann.3 Ein weiterer typischer Anwendungsfall ist die Einbeziehung von allgemeinen Geschäftsbedingungen im internationalen Unternehmensverkehr, beispielsweise wenn der Hinweis auf die Geltung der AGB des deutschen Verwenders gegenüber seinem italienischen Vertragspartner unwidersprochen geblieben ist.4 Vertragsabschlüsse zwischen zwei Unternehmen bzw. beiderseitige Handelsgeschäfte dürften dabei als am häufigsten vorkommende internationale Verträge das Hauptanwendungsfeld der Sonderanknüpfung darstellen, gefolgt von Verträgen zwischen einem (Groß-) Unternehmer und einem Verbraucher, während grenzüberschreitende Verträge zwischen kleinen und mittelständischen Unternehmen und einem Verbraucher oder gar nur unter Beteiligung von zwei Privatleuten wohl wesentlich seltener vorkommen.5 Zu beachten ist auch, dass für Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher häufig schon wegen Art. 6 Rom I‑VO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers gelten wird, sodass gar contratto secondo il Regolamento Roma I, in: Cuadernos de Derecho Transnacional, Band 8, Nr. 2, 2016, 221. 2 Vgl. dazu etwa Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 212 ff. 3 Vgl. dazu nur Bortolotti, Manuale di diritto commerciale internazionale, Band 1, Diritto dei contratti internazionali, 2. Auflage 2001, S. 241 f.; Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 805 f.; De Cesari, Diritto internazionale privato dell’Unione europea, 2011 S. 389; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 205; Mosconi, Diritto internazionale privato e processuale, 1996, S. 180 (zur Vorgängervorschrift); Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 5; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 46; Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 2, 14 m. w. N. 4 Piltz, UN-Kaufrecht/CISG – Was spricht dagegen?, in: ZVertriebsR 2017, 138, 140 m. w. N. 5 Vgl. DNotV, Grünbuch der Kommission: Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen KOM (2010) 348 endg., Stellungnahme vom 30.01.2011, abrufbar unter .
II. Die Rolle des Schweigens in der Rom I‑VO
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kein Bedarf für ein Eingreifen von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO besteht. Wegen Art. 6 Rom I‑VO sowie weiterer, der Rom I‑VO inhärenten Schutzvorschriften scheidet auch eine – zwischenzeitlich erwogene6 – Anwendung der Norm auf das Bestehen von Widerrufs-, Kündigungs- und Rücktrittsrechten aus.7 Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs ergibt sich zudem dadurch, dass für Kaufverträge zwischen Handelsleuten mit Auslandsbezug zumeist das Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationales Warenkauf vom 11. April 1980 (sog. CISG bzw. UN-Kaufrecht)8 gilt. Dieses bestimmt auch viele handelsrechtliche Fälle im Verhältnis Deutschland-Italien. Soweit jedoch die Parteien wirksam seine Anwendung ausgeschlossen haben oder kein Kauf einer beweglichen Sache im Raum steht, ist eine Anwendung der Sonderanknüpfung denkbar.
1. Entstehungsgeschichte des Art. 10 Rom I‑VO Die nun in Art. 10 Rom I‑VO getroffene Regelung war in den zuvor geltenden nationalen Kollisionsrechten nicht in vergleichbarer Weise allgemein anerkannt oder kodifiziert, sondern wurde zunächst richterrechtlich von der deutschen Rechtsprechung entwickelt. Selbst die einheitliche Anknüpfung des Vertrags wurde nicht überall vertreten: So wurde teilweise, wie übrigens schon von Bartolus de Saxoferrato9, zwischen Abschluss- und Wirkungsstatut unterschieden.
a) Vorgängerregelungen zur Anknüpfung des Schweigens im nationalen Kollisionsrecht Das italienische Kollisionsrecht knüpfte vor der Reform des internationalen Privatrechts von 199510 und dem Inkrafttreten des europäischen Schuldvertragsübereinkommens (sog. EVÜ)11 für die aus einem Vertrag resultierenden 6 So etwa LG Gießen 14.2.1994 – 4 O 528/93, in: NJW 1995, 406, 406; LG Koblenz 23.5.1995 – 4 HO 158/94, in: NJW-RR 1995, 1335, 1335; LG Aachen 21.12.1990 – 6 S 267/90, in: NJW 1991, 2221, 2221 f. 7 Vgl. BGH 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, in: NJW 1997, 1697, 1700; ebenso (zu verbraucherschützenden Erwägungen) Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 50 u. 69 m. w. N.; Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 382 u. 386; vgl. auch Mankowski, Unwirksame Vereinbarung englischen Rechts zwischen deutschen Anlegern und ausländischem Terminbroker (Anm. zu OLG Düsseldorf 14.1.1994 – 17 U 129/93, in: RIW 1994, 420 f.), in: RIW 1994, 421, 422. 8 United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (im Weiteren: CISG). 9 Bartolus ad. C.1.1.1. Nr. 15: „[…] his quae oriuntur secundum ipsius contractus naturam tempore contractus, aut de his quae oriuntur ex post facto propter neglegentiam vel moram […]“; dazu Ferid, Internationales Privatrecht, JA-Sonderheft, 1975, S. 125. 10 Legge 31. maggio 1995, n. 218 (Riforma del sistema italiano di diritto internazionale privato). 11 Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
Verpflichtungen nach Art. 25 Satz 1 der dem Codice civile vorangestellten Disposizioni sulla legge in generale (Bestimmungen über das Gesetz im Allgemeinen) an das gemeinsame Staatsangehörigkeitsrecht der Vertragsparteien sowie, in Ermangelung eines solchen, an das Recht des Vertragsabschlussortes an. Der Anwendungsbereich von Art. 25 erstreckte sich neben den Gültigkeitsvoraussetzungen einer Einigung (nicht jedoch Geschäftsfähigkeits- und Formfragen) auch auf die Frage, welcher Wert einem Schweigen – etwa nach Art. 1333 Abs. 2 c. c. (Vertrag zu Lasten des Anbietenden) – beim Vertragsschluss zukommt.12 Das italienische Recht lehnte damit eine Aufspaltung in Abschluss- und Wirkungsstatut ab und unterwarf auch das auf den Prozess des Vertragsschlusses anwendbare Recht der lex causae.13 Über eine Sonderanknüpfung wie Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO verfügte das italienische internationale Privatrecht allerdings nicht. Etwas anderes galt für die nach Art. 25 Satz 2 bestehende Rechtswahlmöglichkeit für die Parteien: Die lex causae regelte insoweit nach überwiegender, wenn auch nicht unumstrittener Auffassung nur das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahl, während ihre Gültigkeit sich nach der lex fori beurteilte.14 In Deutschland war das internationale Vertragsrecht vor der Reform des internationalen Privatrechts im Jahr 1986, anders als in Italien, nicht kodifiziert, doch galt richter- und gewohnheitsrechtlich ebenfalls das sog. Einheitsstatut, also der Grundsatz, dass das Vertragsstatut umfassend den Inhalt, die Wirkungen und den Abschluss eines Vertrages regelt.15 Über lange Zeit heftig umstritten war jedoch, ob und wie von diesem Grundsatz unter Umständen Ausnahmen gemacht werden sollten, wenn es nicht gerechtfertigt erschien, an das Verhalten einer Person, insbesondere das Schweigen Rechtsfolgen zu knüpfen16: Nach einer Auffassung sollte in Abweichung vom im Übrigen geltenden Vertragsstatut über die Frage, ob dem Schweigen einer Partei Erklärungswert zukommt, stets das Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsrecht entscheiden, wobei nur für den Fall, dass der Schweigende sich nicht darauf verlassen durfte, dass sein Verhalten nach seinem Heimatrecht beurteilt würde, eine Rückausnahme von diesem Grundsatz gemacht wurde.17 Eine andere Ansicht wollte hingegen die alleinige 12 Venturini, Diritto internazionale privato, Diritti reali ed obbligazioni, 1956, S. 151 f.; dem folgend Vitta, Diritto internazionale privato, Band 3, 1975, S. 284. 13 Vgl. Venturini, Diritto internazionale privato, Diritti reali ed obbligazioni, 1956, S. 151; ebenso Ferid, Internationales Privatrecht, JA-Sonderheft, 1975, S. 125; a. A. jedoch Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 1. 14 Vgl. krit. Vitta, Diritto internazionale privato, Band 3, 1975, S. 250 ff. 15 Vgl. bereits RG 11.3.1919 – II 392/18, in: RGZ 95, 164, 165; Ferid, Internationales Privatrecht, JA-Sonderheft, 1975, S. 125; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 1 m. w. N. 16 Zum Meinungsstand eingehend Linke, Sonderanknüpfung der Willenserklärung? Auflösungstendenzen im internationalen Schuldvertragsrecht, in: ZVglRW 79 (1980) 1, 2 ff. 17 BGH 13.7.1973 – I ZR 72/72, in: NJW 1973, 2154, 2155; Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978) 161, 184 ff.;
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Maßgeblichkeit des Vertragsstatus nicht durchbrechen und nur auf materiellrechtlicher Ebene gegebenenfalls eine Korrektur vornehmen.18 Teilweise wurde in Ermangelung einer Rechtswahl auch das Recht am Schwerpunkt des Vertrags als entscheidend angesehen: die Bewertung eines Schweigen unterlag demnach bereits dem Vertragsstatut, wenn der Schweigende in Vertragsverhandlungen eingetreten sei, wofür ein Untätigbleiben gegenüber Anbahnungsversuchen der anderen Partei nicht ausreiche.19 Schließlich wurde auch dafür plädiert, dass die grundsätzliche Geltung des Vertragsstatuts eine Einschränkung zugunsten des Wohnsitzrechts der schweigenden Person dann erfahren sollte, wenn diese nach ihrem Heimatrecht nicht damit rechnen musste, dass ihr Verhalten als rechtsgeschäftlich relevant qualifiziert wurde.20 Der Berücksichtigung des Wohnsitzrechts kam somit die bloße Rolle eines „Vetorechts“ gegenüber dem eigentlich geltenden Vertragsstatut zu.21 Dieser – freilich in verschiedenen Facetten vertretene – deutsche Ansatz einer Sonderanknüpfung des Schweigens sollte sich letzlich auf europäischer Ebene durchsetzen.22
b) Diskussion um die Anknüpfung des Schweigens bei Verhandlungen und EVÜ Auch während der Verhandlungen über die Vereinheitlichung des europäischen Vertragskollisionsrechts dauerte zunächst der bereits auf nationaler Ebene in den einzelnen Mitgliedstaaten geführte Streit um die kollisionsrechtliche Anknüpfung eines Schweigens an.23 Da eine Einigung nicht zu erzielen war, wurden im Vorentwurf des EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht von 1972 zwei unterschiedliche Vorschläge zur Behandlung eines Schweigens aufgenommen: so wurde einerseits angeregt, die Bedeutung eines Schweigens zunächst dem Aufenthaltsrecht des Schweigenden zu unterwerfen, hiervon aber unter bestimmten Umständen wie bei einer hinreichenden Konkludenz des Schweigens oder bei offen gelassen in BGH 18.6.1971 – I ZR 83/70, in: NJW 1971, 2126, 2127 m. abl. Anm. Schmidt-Salzer; weitere Nachweise zu Unterauffassungen bei v. Hoffmann, Vertragsannahme durch Schweigen im internationalen Schuldrecht, in: RabelsZ 36 (1972) 510, 512 f. 18 So etwa Linke, Sonderanknüpfung der Willenserklärung? Auflösungstendenzen im internationalen Schuldvertragsrecht, in: ZVglRW 79 (1980) 1, 56; Ungnade, Die Geltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kreditinstitute im Verkehr mit dem Ausland, in: WM 1973, 1130, 1133. 19 v. Hoffmann, Vertragsannahme durch Schweigen im internationalen Schuldrecht, in: RabelsZ 36 (1972) 510, 521 u. 524 f. 20 Vgl. BGH 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, in: NJW 1972, 391, 394 m. Anm. Geimer und Schmidt-Salzer und w. N. 21 Vgl. hierzu Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 4 m. w. N. 22 Vgl. Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 211. 23 Vgl. dazu die Nachweise bei Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 5.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
Kenntnis oder Kennenmüssen entsprechender internationaler Handelsbräuche abzurücken, während andererseits vorgeschlagen wurde, dass dem Schweigen überhaupt nur im Falle einer aus den vorhergehenden Verhandlungen folgenden Schlüssigkeit oder entsprechender internationaler Handelsbräuche Bedeutung zukomme.24 Der letztgenannte Ansatz wäre also über eine bloß kollisionsrechtliche Regelung hinausgegangen und hätte materiellrechtliche Aspekte der Bewertung eines Schweigens als Zustimmung zu einem Vertrag europaweit einheitlich geregelt.25 Auch hinsichtlich der Rolle eines Schweigens bei der Rechtswahl waren die Meinungen gespalten, sodass ähnliche Varianten wie die eben genannten Vorschläge hierzu in Art. 2 des Entwurfes aufgenommen wurden.26 Abweichend hiervon wurde jedoch schließlich in Art. 8 Abs. 2 EVÜ geregelt, dass das Aufenthaltsrecht der betroffenen Partei nur auf der Grundlage einer Interessenabwägung im Einzelfall neben dem Vertragsstatut zu berücksichtigen sei.27 Die Bewertung, wann und ob eine vertragliche Bindung aufgrund eines Schweigens im internationalen Kontext gerechtfertigt erscheint, blieb damit dem Ermessen der mitgliedstaatlichen Gerichte überlassen. Der heutige Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO entspricht wortlautgleich dem Art. 8 Abs. 2 EVÜ sowie dem hierauf beruhenden Art. 31 Abs. 2 EGBGB in der bis zur Geltung der Rom I‑VO ab 17. Dezember 2009 bestehenden Fassung. Die zu Art. 8 Abs. 2 EVÜ und Art. 31 Abs. 2 EGBGB entwickelte Rechtsprechung und Literatur kann daher auch hinsichtlich Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO weiterhin herangezogen werden.28
2. Vertragsbegriff der Rom I‑VO Der Vertragsbegriff der Rom I‑Verordnung ist autonom auszulegen und umfasst nicht nur zwei- und gegenseitige Verpflichtungen.29 Erfasst sind auch einseitig verpflichtende Rechtsinstitute, bei denen bereits ein Schweigen des Begünstigten als Zustimmung genügt, wie der italienische contratto a carico del solo proponente (Vertrag zu Lasten des Anbietenden, Art. 1333 Abs. 2 c. c.; oben § 3 24 Lando, The EC Draft Convention on the Law Applicable to Contractual and Non-Contractual Obligations, Introduction and Contractual Obligations, in: RabelsZ 38 (1974), 6, 39 f. 25 Vgl. hierzu Kühne, Choice of Law and the Effects of Silence, in: Lando/von Hoffmann/ Siehr, European Private International Law, 1975, S. 122 f. 26 Lando, The EC Draft Convention on the Law Applicable to Contractual and Non-Contractual Obligations, Introduction and Contractual Obligations, in: RabelsZ 38 (1974), 6, 22. 27 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 5. 28 Statt vieler Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 6 m. w. N.; Ubertazzi, La legge applicabile alle obbligazioni contrattuali nel Regolamento „Roma I“, in: Bonomi, Diritto internazionale privato e cooperazione giudiziaria in materia civile, 2009, S. 398; implizit statt vieler Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 5 (Fn. 13). 29 v. Hein/Martiny, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 1 Rom I‑VO Rn. 7.
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II. 2. a)) und die deutsche Schenkung (§ 516 Abs. 2 BGB; oben § 4 II. 2. a)).30 Im italienischen internationalen Privatrecht verweist Art. 56 des Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 199531 für das Schenkungsstatut freilich auf das Staatsangehörigkeitsrecht des Schenkenden zum Zeitpunkt der Schenkung und regelt damit Schenkungen getrennt von sonstigen Verträgen. Allerdings erfasst das europäische Vertragskollisionsrecht seinem Anwendungsbereich nach auch Schenkungen, sodass insoweit die Regelungen des EVÜ und nunmehr der Rom I‑VO, auf die auch Art. 57 des Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 199532 verweist, in Italien als loi uniforme auch gegenüber Drittstaaten vorgehen. Art. 56 des Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 1995 war damit zwischenzeitlich nur mehr auf güterund erbrechtliche Schenkungen anwendbar33, wobei mittlerweile auch insoweit europäisches Kollisionsrecht gilt. Obgleich grundsätzlich die Freiwilligkeit der eingegangenen Verpflichtung für den Vertragsbegriff der Rom I‑VO maßgeblich ist, fallen auch unter Kontrahierungszwang geschlossene Verträge unter die Verordnung.34 Unabhängig von der umstrittenen nationalen dogmatischen Einordnung der Rechtsfolgen eines Schweigens ist dieses damit im zivil- und handelsrechtlichen Kontext von der Verordnung erfasst.
3. Normzweck von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO Die Sonderanknüpfung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO an das Aufenthaltsrecht rechtfertigt sich deshalb, weil die europäischen Mitgliedsstaaten nach wie vor die Art und Weise des Zustandekommens einer vertraglichen Einigung, insbesondere die Bedeutung eines Schweigens, unterschiedlich ausgestalten.35 Besonders das deutsche Sachrecht ist hinsichtlich der Annahme von Rechtswirkungen eines Schweigens im kaufmännischen Rechtsverkehr im Vergleich zu vielen anderen Rechtsordnungen wesentlich offener (vgl. oben § 4 II. 5., zum italienischen Sachrecht § 3 II. 5.).36 So kann es geschehen, dass das nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO auch auf die Modalitäten des Vertragsschlusses anwendbare deutsche Vertragsstatut zu dem Ergebnis kommt, dass das Schweigen einer Partei – insbesondere gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschrei30 Vgl.
Mosconi, Diritto internazionale privato e processuale, 1996, S. 180. 31. maggio 1995, n. 218 (Riforma del sistema italiano di diritto internazionale
31 Legge
privato). 32 Eingehend zu dieser Verweisung Galgano/Marrella, Diritto e prassi del commercio internazionale, 2010, S. 323 ff. 33 Vgl. Ballarino, Diritto internazionale privato italiano, 7. Auflage 2011, S. 219 f. 34 v. Hein/Martiny, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 1 Rom I‑VO Rn. 7. 35 Vgl. zum deutschen und italienischen Sachrecht oben (§ 3 II. und § 4 II.); zum französischen (und englischen) Sachrecht Schmidt, J., S. 735 f.; zum österreichischen Sachrecht Rothermel/Dahmen, Schweigen ist Silber, in: RIW 2018, 179, 185. 36 Vgl. Mäsch, Gran Canaria und kein Ende – Zur Sonderanknüpfung vorkonsensualer Elemente im internationalen Vertragsrecht nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: IPRax 1995, 371, 372.
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ben, aber auch der Beilage vertragsändernder allgemeiner Geschäftsbedingungen – als Zustimmung zu werten ist und so zu einer rechtlichen Bindung führt.37 Wenn nun aber das Recht am Aufenthaltsort des Betroffenen dem Schweigen keinerlei rechtliche Bedeutung zumisst, stellt sich die Frage, ob es zumutbar ist, den Schweigenden unter allen Umständen nach den Regeln des Vertragsstatuts an dem für ihn überraschenden Vertrag festzuhalten. Zwar dient das durch Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Rom I‑VO verwirklichte einheitliche Vertragsstatut der Rechtssicherheit und dem Ordnungsinteresse an der einheitlichen Anknüpfung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes38 und verwirklicht auch den inneren Entscheidungseinklang in den Mitgliedsstaaten. Eine kollisionsrechtliche Aufspaltung (dépeçage) des zusammenhängenden Sachverhaltes in ein Vertragsabschluss- und ein Vertragswirkungsstatut ist daher im Grundsatz unerwünscht.39 Da es sich jedoch bei der Entscheidung, ob und wie eine Einigung überhaupt zustande gekommen ist, genau genommen um die Beurteilung eines Verhaltens noch im Vorfeld eines Vertrages handelt, erscheint es andererseits nicht angemessen, hierfür bereits ausschließlich das Vertragsstatut heranzuziehen, ohne dabei jegliche Rücksicht auf Besonderheiten des Aufenthaltsrechts des Betroffenen zu nehmen, zumal das Vertragsstatut möglicherweise noch gar nicht feststeht.40 Um es angelehnt an Savigny41 zu formulieren: Der Sitz des Rechtsverhältnisses hinsichtlich der Bewertung eines bestimmten Verhaltens als Vertragsabschlusstatbestand ist nicht nur im Sachrecht belegen, das auf den Vertrag Anwendung findet, sondern (zumindest bei einem entsprechend schutzwürdigen Vertrauen) auch im Aufenthaltsrecht desjenigen, der eine bestimmte Verhaltensweise an den Tag legt. Die Sonderanknüpfung an das Aufenthaltsrecht beruht damit auf dem Prinzip der engsten Verbindung42, die die Bewertung eines Schweigens als Konsens zum Recht des Staates des 37 Vgl. Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 217. 38 Vgl. Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 12; Weller, M.‑P., Stillschweigende Einbeziehung der AGB-Banken im internationalen Geschäftsverkehr?, in IPRax 2005, 428, 429. 39 Mäsch, Gran Canaria und kein Ende – Zur Sonderanknüpfung vorkonsensualer Elemente im internationalen Vertragsrecht nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: IPRax 1995, 371, 372; ebenso Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 2 („[…] there seems to be the ‚desire‘ of the EU law-maker to assess all the possible elements by the lex contractus […]“); vgl. für eine einheitliche Anknüpfung auch Vitta, Diritto internazionale privato, Band 3, 1975, S. 251. 40 Vgl. Ferid, Internationales Privatrecht, JA-Sonderheft, 1975, S. 126; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 217; Villani, La Convenzione di Roma sulla legge applicabile ai contratti, 2. Auflage 2000, S. 187. 41 Vgl. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1849, Band 8, S. 28: „[…] dass bei jedem Rechtsverhältnis dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältnis seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist.“ 42 Dutta, Kollidierende Rechtswahlklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen, in: ZVglRW 104 (2005), 461, 478.
II. Die Rolle des Schweigens in der Rom I‑VO
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gewöhnlichen Aufenthalts einer schutzwürdigen Partei hat. Durch die Einräumung der Möglichkeit einer einzelfallabhängigen Betrachtung in Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO wird ein Kompromiss geschaffen zwischen dem durch das Einheitsstatut geförderten inneren Entscheidungseinklang und dem Interesse der Partei an der Anwendung des für sie nächsten Rechts, auf die sie billigerweise vertrauen durfte.
4. Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO In räumlicher und persönlicher Hinsicht gilt Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO als allseitige Kollisionsnorm gleichermaßen sowohl für inländische als auch ausländische Vertragsparteien.43 Damit kann sich beispielsweise auch eine in Italien ansässige Vertragspartei vor einem deutschen Gericht darauf berufen, dass ihr vom deutschen Vertragsstatut als rechtserheblich eingestuftes Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach ihrem Aufenthaltsrecht keine vertragliche Bindung nach sich zieht, soweit nicht auch das italienische Recht im konkreten Fall ein beredtes Schweigen (silenzio circostanziato) annimmt. Die Norm setzt dabei nicht voraus, dass sich die Parteien im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses am gleichen Ort befunden haben.44 Freilich ist im Rahmen der Interessenabwägung (unten § 5 II. 5. d)) einzubeziehen, dass eine Partei, die einen Vertrag außerhalb ihres Aufenthaltsstaates abschließt, wesentlich mehr mit der Geltung eines für sie fremden Rechtes rechnen muss als eine, die ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort für den Vertragsschluss nicht verlässt.45 Während sich der räumliche Anwendungsbereich der Norm damit relativ unproblematisch gestaltet, ist ihr sachlicher Anwendungsbereich im Einzelnen umstritten. Im Zusammenhang mit einem Schweigen von besonderem Interesse ist insbesondere die Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf den Vertragsabschlussmechanismus, auf die Vertragswirksamkeit, auf das Erklärungsbewusstsein sowie auf die Willensmängel. Praktischer Hauptanwendungsfall der auf Schuldverträge anwendbaren Regelung dürfte die Bewertung des Schweigens einer Person als Erklärungstatbestand sein, wie etwa beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben oder der Einbeziehung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, wobei sie daneben aber ebenso auch aktives Verhalten erfasst.46 Die Reichweite des sachlichen Anwendungsbereichs ist unter Zugrundelegung eines europäisch-autonomen Begriffsverständnisses zu klären, wobei insbesondere auch der Bericht Giuliano/La43 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 252; ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 56. 44 Ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 56. 45 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 253. 46 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 46 f.; Villani, La Convenzione di Roma sulla legge applicabile ai contratti, 2. Auflage 2000, S. 187; vgl. Giuliano/Lagarde BT-Drs. 10/503, S. 60.
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garde eine Interpretationshilfe darstellt.47 Zu berücksichtigen ist dabei stets, dass die Norm als Ausnahme gegenüber dem einheitlichen Vertragsstatut nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO eng auszulegen ist.48 Art.10 Abs. 2 Rom I‑VO findet in sachlicher Hinsicht jedenfalls nicht nur auf den schuldrechtlichen Hauptvertrag, sondern nach Art. 3 Abs. 5 Rom I‑VO auch auf den Rechtswahlvertrag der Vertragsparteien Anwendung.49 Auch Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen bei Schuldverträgen sind von ihm erfasst, soweit keine vorrangigen Regelungen wie beispielsweise in Art. 25 Brüssel Ia-VO bestehen.50 Ob die Norm daneben trotz ihres schuldrechtlichen Zuschnittes auch analog für dem nationalen oder europäischen Kollisionsrecht unterliegende familien- und erbrechtliche Sachverhalte, in denen dem Schweigen Bedeutung zukommt, herangezogen werden kann, ist umstritten51 und Gegenstand eines eigenen Kapitels dieser Arbeit (unten § 5 III.). Dort ist auch zu thematisieren, ob die Sonderanknüpfung auf die ebenfalls in dieser Arbeit behandelte Bindung infolge einer Untätigkeit durch eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht angewandt werden kann.52 Gegen eine Erstreckung der Norm auch auf einseitige Willenserklärungen (z. B. Kündigungen) oder die Ausübung geschäftsähnlicher Handlungen53, die den Vertrag zum Erlöschen bringen, spricht, dass solche Erklärungen nur im Rahmen bestehender vertraglicher Beziehungen abgegeben werden können und damit nach Art. 12 Abs. 1 lit. d 1. Alt. Rom I‑VO dem Vertragsstatut unterliegen.54 Überlegungen, die Behandlung eines Schweigens als Frage der formellen Gültigkeit im Sinne von Art. 11 Rom I‑VO aufzufassen, wurde eine klare Absage erteilt; die Problematik ist von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO erfasst, auch wenn sie bei Formfragen i. S. v. Art. 11 Rom I‑VO eine Rolle spielen kann.55
47 Vgl. (zur Rolle des Berichts für die Interpretation der Verordnung in UK nach dem Contracts Applicable Law Act 1990) McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, 2015, Rn. 1.114 f. 48 Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 18. 49 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 236. 50 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 235. 51 Befürwortend: Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 44; ablehnend: v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 238. 52 Ablehnend Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 14; befürwortend Bamberger/Roth/Mäsch, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), Art. 8 EGBGB Rn. 59. 53 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 234. 54 Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 17. 55 Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 4.
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a) Vertragsabschlussmechanismus erfasst Anders als Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO, der ausdrücklich sowohl Fragen des Zustandekommens als auch der Wirksamkeit dem hypothetischen Vertragsstatut unterwirft, erfasst Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nur den äußeren Vertragsabschlussmechanismus, also vor allem Fragen des Zustandekommens, nicht aber der Wirksamkeit einer Einigung (dazu unten § 5 II. 4. b)).56 Dies ergibt sich bereits aus dem im Verhältnis zu Absatz 1 („Das Zustandekommen und die Wirksamkeit […]“) engeren Wortlaut der Norm („[…] für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt“) und aus ihrer eben beschriebenen Entstehungsgeschichte sowie der systematischen Stellung als Sonderanknüpfung. Aufgrund des Wortlauts sind aber auch nicht jedwede Fragen im Zusammenhang mit dem Zustandekommen einer vertraglichen Einigung erfasst: so ist eine Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bezüglich der Problematik, ob eine Willenserklärung zugegangen ist, nicht möglich, da die Zugangsproblematik zwar das Zustandekommen einer Einigung, nicht aber die allein von der Norm erfasste Zustimmung zum Vertrag im Sinne des rechtsgeschäftlichen Erklärungswertes eines Verhaltens betrifft.57 Eine Berufung darauf, dass aus Sicht des Aufenthaltsrechts die Regelung des § 151 BGB überraschend ist, dürfte daher nicht möglich sein, weil die Norm nach überwiegender Ansicht (oben § 4 II. 1. a)) gerade keinen Fall des Vertragsschlusses durch ein rechtserhebliches Schweigen darstellt, sondern nur die Entbehrlichkeit des Zuganges regelt. Derjenige, der in Übereinstimmung mit seinem Umweltrecht davon ausgeht, dass nur eine dem Antragenden zugegangene Annahme den Vertrag zustande bringen kann, hat freilich regelmäßig schon gar keine Annahmehandlung im Sinne von § 151 BGB getätigt, sodass für die Anwendung der Ausweichklausel keine Notwendigkeit besteht. In deutsch-italienischen Fällen schiede zudem eine Berufung auf ein abweichendes Sachrecht am Aufenthaltsort zumeist deshalb aus, weil zum einen Art. 1327 c. c. und § 151 BGB ähnliche Regelungen treffen und zum anderen Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. und § 151 BGB häufig zum gleichen Ergebnis kommen (oben § 4 II. 2. a)). Freilich wäre es andererseits zu formalistisch, dem Wortlaut entsprechend nur Angebot und Annahme unter die Regelung zu fassen; vielmehr sollten nach der gesetzgeberischen Intention durch die Norm gerade Fragen wie jene nach 56 Statt vieler BGH 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, in: NJW 1997, 1697, 1699 f.; Ferrari/ Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 18 m. w. N.; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 231 und 246; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 45. 57 Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 19; Mäsch, Gran Canaria und kein Ende – Zur Sonderanknüpfung vorkonsensualer Elemente im internationalen Vertragsrecht nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: IPRax 1995, 371, 372 f.; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 53; Budzikiewicz u. a./Weller, M., BeckOGK BGB, Stand 1.2.2020, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 51.
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der Erklärungsbedeutung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens oder der Einbeziehung von allgemeinen Geschäftsbedingungen geklärt werden und damit neben vertragsbegründendem auch vertragsergänzendes und nachkonsensuales Verhalten erfasst werden.58 So unterfallen der Norm auch die Fälle der Verlängerung einer Verpflichtung infolge eines Schweigens wie die relocatio tacita.59 Insgesamt ist somit unter der „Wirkung des Verhaltens“ oder, nach der italienischen Version, dem „effetto del comportamento“ nur die Frage nach dem positiven Erklärungswert des Verhaltens einer Person zu verstehen, also, ob überhaupt eine auf den Vertragsschluss gerichtete Erklärung durch die Partei existiert.60 Von der Regelung umfasst sind daher Normen mit verhaltenssteuernder Funktion wie jene des normierten Schweigens, beispielsweise also Art. 1333 Abs. 2 Satz 2 c. c. und Art. 1712 Abs. 2 c. c. oder § 149 BGB und § 362 HGB sowie als praktisch wohl wichtigster Fall das kaufmännische Bestätigungsschreiben (zu dessen Einordnung als Unterfall des normierten Schweigen oben § 4. II. 5. c) bb)).61 Ob daneben jedoch auch das beredte Schweigen unter Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO zu fassen ist, ist umstritten: während eine Auffassung dies bejaht62, möchte eine andere die Problematik bereits weitgehend auf der Ebene des nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO anwendbaren Sachrechts lösen63. Dem allgemein gehaltenen Normwortlaut und den Erwägungsgründen der Verordnung lässt sich keine Entscheidung zu dieser Frage entnehmen. Da im Rahmen der dem Vertragsstatut unterliegenden Auslegung des Verhaltens zu berücksichtigen ist, ob das Schweigen auch für einen ausländischen Vertragspartner hinreichend konkludent war, er also mit einer Bindungswirkung rechnen musste, spricht in der Tat viel dafür, dass beim konkludenten Schweigen in der Regel kein Bedarf für ein Eingreifen von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO besteht. Bereits auf sachrechtlicher Ebene lässt sich nämlich miteinbeziehen, dass eine Partei möglicherweise wegen der fehlenden Vertrautheit mit den Gepflogenheiten und Regeln des 58 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 241; Sandrock, Die Bedeutung des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts für die Unternehmenspraxis, in: RIW 1986, 841, 849 (noch zu Art. 31 Abs. 2 EGBGB); vgl. auch Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 38. 59 Vgl. Budzikiewicz u. a./Weller, M., BeckOGK BGB, Stand 1.2.2020, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 63.2. m. w.Bsp. 60 Vgl. Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 20; Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 4; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 213; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 45 m. w. N. 61 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 243 u. 247; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 53. 62 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 46. 63 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 244.
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Vertragsstatuts nicht von einer Bewertung ihres Schweigens als konkludentem Erklärungsverhalten ausgehen musste.64 Allerdings sollte, wenn eine zuerst erfolgte Auslegung zu dem Ergebnis kommt, dass das Schweigen an sich hinreichend konkludent war, dennoch Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO als Auffangnorm zur Anwendung kommen. Zum einen ist nämlich denkbar, dass eine nach deutschem – und ähnlich nach italienischem – Recht vom objektiven Empfängerhorizont des inländischen Vertragspartners aus vorzunehmende Auslegung die Perspektive eines schweigenden ausländischen Gegenübers nicht hinreichend zu berücksichtigen vermag: An die Auslegung des Schweigens eines ausländischen Vertragspartners sind zwar grundsätzlich andere Maßstäbe als bei inländischen Sachverhalten anzulegen, doch setzt dies voraus, dass der Erklärungsempfänger zumindest erkennen konnte, dass sich sein Vertragspartner an ausländischem Sachrecht oder Gepflogenheiten orientiert.65 Grenzen der Berücksichtigung der fehlenden Inländereigenschaft ergeben sich außerdem daraus, dass die Entwicklung einer Sonderdogmatik im materiellen Recht nur für Rechtsgeschäfte, an denen ausländische Parteien beteiligt sind, die Gefahr von fehlender Vorhersehbarkeit der Entscheidungen und Ungleichbehandlungen gleich gelagerter Fälle birgt.66 Eine kollisionsrechtliche Korrektur erscheint daher gegenüber fremdenrechtlichen Erwägungen vorzugswürdig.67 So hat der Bundesgerichtshof bereits die Ablehnung einer gesonderten Berücksichtigung der Ausländereigenschaft auf der Ebene des Sachrechts angedeutet.68 Zum anderen mögen andere Vertragsstatute als das deutsche die im Sachrecht vorzunehmende Auslegung anders handhaben und die fehlende Vertrautheit eines Vertragspartners mit bestimmten Regeln nicht in sie einbeziehen.69 Das italienische Recht etwa beurteilt den Erklärungsgehalt eines Verhaltens zwar ebenfalls aus Sicht eines objektiven Empfängers, betont aber besonders den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (tutela dell’affidamento) und der Selbstverantwortung (autoresponsabilità), sodass es möglicherweise auch dann zu einer vertraglichen Bindung kommen kann, wenn das deutsche Aufenthaltsrecht eine solche verneinen würde. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass sich bei der Auslegung ein national geprägtes Vorverständnis von der Bedeutung eines Verhaltens durchsetzt. Auch lässt sich 64 Vgl. ebenso v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 17 f., 244, 260. 65 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 260. 66 Kritisch daher Buchmüller, Geltung der Spediteurbedingungen bei Vertrag mit einer ausländischen Firma (Anm. zu BGH 7.7.1976 – I ZR 51/75, in: NJW 1976, 2075), in: NJW 1977, 501, 501. 67 Vgl. Hepting, Die ADSp im internationalen Speditionsverkehr, in: RIW 1975, 457, 460 f. u. 464. 68 BGH 13.7.1973 – I ZR 72/72, in: NJW 1973, 2154, 2154; befürwortend Hepting, Die ADSp im internationalen Speditionsverkehr, in: RIW 1975, 457, 460. 69 Vgl. so auch v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 260.
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der Ausgestaltung des Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO als Einrede entnehmen, dass es dem Betroffenen möglich sein soll, privatautonom zu entscheiden, ob sein konkludentes Verhalten bzw. Schweigen eine Bindung nach sich zieht oder nicht; ein solcher Verzicht auf die Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO wäre ihm aber abgeschnitten, wenn dem Schweigen bereits im Wege der Auslegung durch den Rechtsanwender stets eine Rechtserheblichkeit abgesprochen würde. Schließlich zeigen auch die oben genannten Beispiele aus dem deutschen und italienischen Recht, dass oft der Zufall über eine Kodifizierung entscheidet und zudem umstrittene Grauzonen zwischen normiertem und beredtem bzw. konkludentem Schweigen verbleiben. So beurteilen Rechtsordnungen unter Umständen eine Rechtsfigur unterschiedlich: während das kaufmännische Bestätigungsschreiben beispielsweise nach herrschender Auffassung in der deutschen Rechtswissenschaft ein Unterfall des normierten Schweigens ist, behandelt das italienische Recht es teils als silenzio circostanziato (oben § 3 II. 5. a) und § 4 II. 5. c)). Eine dogmatische Durchdringung der nationalen Rechtsordnungen in der erforderlichen Tiefe wird aber dem Rechtsanwender, der sich mit der Anwendung eines ihm fremden Vertragsstatuts konfrontiert sieht, in der Praxis kaum zuzumuten sein. Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO sollte daher gleichermaßen auf das normierte wie das beredte Schweigen angewandt werden.
b) Vertragswirksamkeit nicht erfasst Fragen der materiellen Vertragswirksamkeit unterfallen ausweislich Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO allein dem nach Art. 4 ff. Rom I‑VO zu bestimmenden Vertragsstatut.70 Auch aufgrund der möglicherweise national divergierenden Zuordnung ist freilich zu klären, was unter solchen Regelungen zur Vertragswirksamkeit zu verstehen ist. Die Abgrenzung zwischen dem von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO erfassten äußeren Vertragsabschlusstatbestand und den von der Norm nicht erfassten inneren Tatbeständen ist dabei im Wege autonomer europäischer Auslegung vorzunehmen.71 Zu klären ist daher, welche bei einem Vertragsschluss auftretenden Probleme unter Zugrundelegung eines autonomen und nicht nationalen Verständnisses als den inneren Abschlusstatbestand betreffend charakterisiert werden können und welche hingegen als bloße äußere Tatbestandsmerkmale einer Einigung einzuordnen sind. Wie bereits dargestellt, will Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nämlich nur die Beurteilung eines bestimmten Verhaltens als Zustimmung erfassen, also bei Regelungen mit verhaltenssteu70 Vgl. statt vieler Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 22; Stone, On Private International Law in the European Union, 4. Auflage 2018, S. 465; bereits zu Art. 8 EVÜ: BGH 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, in: NJW 1997, 1697 m. w. N. und zustimmend dazu Villani, La Convenzione di Roma sulla legge applicabile ai contratti, 2. Auflage 2000, S. 187. 71 Herberger u. a./Limbach, jurisPK-BGB Band 6, 9. Auflage 2020 (Stand 1.3.2020) Art. 10 Rom I‑VO Rn. 6.
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ernder Wirkung im Vorfeld eines Vertrages korrigierend eingreifen.72 Auf das Bestehen von Widerrufs- und Rücktrittsrechten ist Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO, wie oben bereits erwähnt, nicht anwendbar; zu untersuchen bleibt aber, auf welche Konstellationen, in denen das Schweigen einer Partei eine Rolle spielt, sie möglicherweise Anwendung findet.
aa) Erklärungsbewusstsein Problematisch ist zunächst die Behandlung des bei einem Schweigenden regelmäßig fehlenden Erklärungsbewusstseins, welches im deutschen Recht nach herrschender Auffassung zur Anfechtung unter analoger Anwendung der Anfechtungsregeln berechtigt, während sein Fehlen im italienischen Recht vielfach unbeachtlich ist, unter Umständen aber auch direkt zur Nichtigkeit der Willenserklärung führt.73 Das Erklärungsbewusstsein mag zwar typischerweise in den von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO erfassten Fällen fehlen, doch schützt die Norm, anders als vom Bundesgerichtshof zumindest missverständlich formuliert, nicht „vor dem Fehlen des Erklärungsbewusstseins“74 schlechthin.75 Vielmehr kann das Erklärungsbewusstsein auch aus gänzlich anderen Gründen als der Unkenntnis des anwendbaren fremden Rechts fehlen, sodass eine Bindung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO zwar angemessen erscheint, aber eine Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins nach dem anwendbarem nationalen Sachrecht dennoch möglich ist. Dies ist zumindest vorstellbar, wenn der Maßstab von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO und jener des nationalen Rechts hinsichtlich der Erkennbarkeit der rechtlichen Bedeutung eines Verhaltens auseinanderfallen: Beispielsweise mag der in Italien ansässige Vertragspartner zwar grundsätzlich um die Bewertung seines Schweigens durch das deutsche Vertragsstatut gewusst haben, aber im speziellen Fall hätte er gar nicht erkennen und vermeiden können, dass sein Verhalten vom Empfänger nach der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden konnte, etwa weil für ihn nicht ersichtlich war, dass er sich in einer Situation befand, die einen Widerspruch erforderte. Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO und das Fehlen eines Erklärungsbewusstseins sind daher nicht stets gleich zu setzen.76 Auch das Risiko fehlender Sprachkenntnis soll nicht auf den Vertragspartner über die Sonderanknüpfung abgewälzt werden; Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bezweckt damit nur einen Schutz beim Fehlen des Erklärungsbewusstseins aus 72 Vgl. Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 45; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 247. 73 Oben § 3 II. 5. b) bb) und § 4 II. 5. c); zum Verhältnis der Anfechtung zur Sonderanknüpfung sogleich § 5 II. 4. b) bb). 74 BGH 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, in: NJW 1997, 1697, 1700. 75 Vgl. kritisch auch Herberger u. a./Limbach, jurisPK-BGB Band 6, 9. Auflage 2020 (Stand 1.3.2020) Art. 10 Rom I‑VO Rn. 6. 76 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 248.
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rechtlichen, nicht aber aus tatsächlichen Gründen.77 Festzuhalten ist daher, dass Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO die von der deutschen Rechtswissenschaft als „Fehlen des Erklärungsbewusstseins“ bezeichneten Fälle zwar häufig erfasst, nämlich dann, wenn eine Partei gerade wegen der Anwendung fremden Sachrechts nicht mit einer Bindung rechnen musste. Wegen der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung führt aber nicht jedes Fehlen eines Erklärungsbewusstseins bei einem Vertragsschluss auch zur Anwendung. Irreführend ist es zudem, – wenn auch zugespitzt – zu formulieren, dass Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nur die Frage erfasst, „ob eine Willenserklärung vorliegt“78, denn ob und wann das Schweigen eine (echte) Willenserklärung darstellt und ob vertragliche Bindungen nicht auch aus nicht rechtsgeschäftlichem Handeln resultieren können, ist, wie oben ausführlich untersucht (§ 3 II. 6. bis 9. und § 4 II. 6. bis 9.), auf mitgliedstaatlicher Ebene stark umstritten. Insbesondere will die Sonderanknüpfung gerade die Fälle normierten Schweigens sowie das praktisch wichtige kaufmännische Bestätigungsschreiben als Unterfall des normierten Schweigens erfassen, welche aber nach überwiegender Ansicht, anders als die Fälle beredten Schweigens, im nationalen Sachrecht nicht zwingend echte Willenserklärungen darstellen, sondern Rechtsfolgen ex lege zeitigen (oben § 3 II. 8. und § 4 II. 9.). Um alle denkbaren Phänomene einer rechtlichen Bindung eines Schweigens im Privatrecht über die Sonderanknüpfung zu erfassen, sollte ihr Anwendungsbereich daher möglichst abstrakt und frei von nationalen Vorstellungen formuliert werden. Mit innerstaatlichen Vorstellungen aufgeladene Begriffe wie „Willenserklärung“ oder „Erklärungsbewusstsein“ verleiten hingegen, die gebotene europäisch-autonome Auslegung des Instruments außer Acht zu lassen.
bb) Willensmängel Umstritten ist zudem insbesondere, ob Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auch die Bedeutung von Willensmängeln wie Inhalts- und Erklärungsirrtum oder die Rechtsfolgen einer Täuschung bzw. Drohung regelt79 oder dies allein dem Vertragsstatut nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO obliegt.80 77
Freitag, Sprachenzwang, Sprachrisiko und Formanforderungen im IPR, in: IPRax 1999, 142, 145. 78 So aber zur Vorgängernorm in Art. 31 Abs. 2 EGBGB Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 385. 79 So Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 5 m. w. N. 80 So etwa Hüßtege/Mansel/Leible, NK-BGB, Band 6, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 29 m. w. N.; Schulze/Staudinger, BGB, 11. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 8; aus der Rechtsprechung Lupofresh v. Sapporo Breweries Ltd. [2013] EWCA Civ 948, krit. dazu Plender/Wilderspin, The European Private International Law of Obligations, 2014, S. 440 (Fn. 146).
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Gegen eine Erfassung von Willensmängeln und dem daraus folgenden Anfechtungsrecht spricht, dass es einen Unterschied macht, ob eine Erklärung – wenn auch mit Willensmängeln behaftet – zunächst zustande kommt und anschließend vernichtet wird oder ob sie von vorneherein nie zur Existenz gelangt ist.81 Dass es sich bei der Frage des auf die Vertragsnichtigkeit anwendbaren Rechts für die Mitgliedstaaten um einen international-privatrechtlich sensiblen Bereich handelt, zeigte sich bereits in der Vergangenheit: so hatte das italienische Recht unter Geltung des EVÜ einen Vorbehalt nach Art. 22 EVÜ hinsichtlich der Anwendung des Vertragsstatuts auf die Frage der Nichtigkeit eines Vertrages erklärt: Da aus Sicht des italienischen Sachrechts ein nichtiger Vertrag gar kein Rechtsgeschäft ist, qualifizierte das italienische internationale Privatrecht dessen Rechtsfolgen auch als außervertraglich.82 Unabhängig von der nationalen Ausgestaltung des Rechtsinstituts betrifft die Anfechtung die Wirksamkeit einer Erklärung, nicht aber ihr Zustandekommen: Damit etwas durch eine Anfechtung wieder beseitigt werden kann, muss es zunächst überhaupt in der Welt sein.83 Die Anfechtung erfordert damit nach der (anfechtbaren) ersten Erklärung einen nachfolgenden zweiten Erklärungsakt mit dem Inhalt, dass die zuvor abgegebene Erklärung angefochten werden soll.84 Dieser zweite Erklärungsakt betrifft aber die Wirksamkeit einer zuvor zumindest einmal zustande gekommenen Einigung der Parteien und unterliegt damit schon dem Wortlaut nach dem Vertragsstatut gemäß Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO, nicht aber der nur das „Ob“ eines Vertragsschlusses regelnden Sonderanknüpfung gemäß Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO. Auch handelt es sich bei den Vorschriften zur Anfechtung von Willenserklärungen nicht um verhaltenssteuernde Normen, nach denen die Parteien ihr Verhalten ausrichten.85 Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO verhilft also nicht den Regelungen des Aufenthaltsrechts über Willensmängel zum Durchbruch.86 Für den Fall des Schweigens bedeutet dies, dass eine Berufung auf das Umweltrecht hinsichtlich der Frage, ob es zu einem Vertragsschluss gekommen ist, möglich ist, während ausschließlich das Vertragsstatut nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO darüber entscheidet, ob sich der Schweigende von der Bindungswirkung seines Verhaltens infolge eines Willensmangels (oder ggf. eines fehlenden Erklärungsbewusstseins) lösen kann. Schweigt beispielsweise ein in Italien ansässiger Käufer auf das Vertragsangebot eines in Deutschland ansässigen Verkäufers hin und war sein Schweigen nach dem (hier unterstellt) gel81 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 384 zum Widerruf und 387 zur Anfechtung. 82 Conetti, Legge regolatrice del contratto, in: Conetti, Questioni di diritto internazionale privato e processuale, 2004, S. 189 f. 83 Vgl. ebenso Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 384 u. 387. 84 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 387. 85 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 52. 86 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 52.
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tenden deutschen Vertragsstatut als Annahme zu werten, so kann er sich für die Behauptung, er habe dem Vertrag nicht zugestimmt, nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf italienisches Recht berufen. Wies das Schweigen nach dem italienischen Sachrecht keine Erklärungsbedeutung auf, so spielt die Frage der Anfechtbarkeit gar keine Rolle, da es ohnehin zu keiner Einigung gekommen ist. Bestätigt hingegen das italienische Recht im konkreten Fall die Rechtserheblichkeit des Schweigens, so ist – entsprechende Willensmängel vorausgesetzt – allenfalls noch eine Anfechtung nach den Regeln des deutschen Vertragsstatuts denkbar. Das deutsche Recht lässt freilich, wie oben ausgeführt (§ 4 II. 9.), keine Anfechtung mit der bloßen Begründung zu, der Schweigende habe sich über die Erklärungsbedeutung seines Schweigens geirrt. Da die Anfechtbarkeit die Wirksamkeit der Einigung betrifft und nicht die zeitlich vorausgehende und für das Zustandekommen einer Einigung konstitutive Erklärungswirkung des Verhaltens einer Person, spielt eine etwaige andere – ohnehin kaum gegebene (oben § 3 II. 9.) – Beurteilung der Anfechtungsmöglichkeiten durch das italienische Sachrecht keine Rolle. Dies ist auch gerechtfertigt, denn das durch Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bewirkte Entgegenkommen an den Schweigenden bezweckt nur, ihn vor einer rechtlichen Bindung zu bewahren, wenn eine solche aufgrund seines Aufenthaltsrechts nicht gerechtfertigt erscheint, nicht aber, ihm zusätzliche Lösungsmöglichkeiten von einer einmal zustande gekommenen Einigung zu verschaffen. Ließe man letzteres zu, so käme es für die andere Vertragspartei zu einer kaum überschaubaren Vielfalt von auf den Vertrag anwendbaren Sachnormen zweier Statute und damit zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit, die zudem einseitig zugunsten des Schweigenden wirken würde. Dies würde letztlich auch die Kosten und das Risiko internationaler Transaktionen erhöhen und so zum Hemmnis für den europäischen Binnenmarkt, aber auch den internationalen Handel mit Drittstaaten werden. Man verlangt zwar nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nicht im Vorfeld vom Schweigenden, sich hinsichtlich der Wirkung seiner Untätigkeit über das angestrebte (und möglicherweise noch nicht vorhersehbare) Vertragsstatut kundig zu machen. Spätestens ab dem Zustandekommen einer Einigung wäre es aber eine unangemessene Belohnung seines passiven Verhaltens, wenn er sich je nach Günstigkeit aussuchen könnte, ob und nach welchem Recht er sich von der Einigung durch Anfechtung löst oder nicht.
5. Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO a) Auseinanderfallen von Vertragsstatut und gewöhnlichem Aufenthalt Eine Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO erübrigt sich, wenn das Vertragsstatut gleichzeitig auch das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der Ver-
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tragspartei ist, welche sich auf ihre fehlende Zustimmung zum Vertrag beruft.87 Der gewöhnliche Aufenthalt ist für Gesellschaften, juristische Personen und Vereine der Ort ihrer Hauptverwaltung (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Rom I‑VO) und für natürliche Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit handeln, der Ort ihrer Hauptniederlassung (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Rom I‑VO). Die berufliche Tätigkeit ist dabei als untechnische Negativabgrenzung zu verstehen, sodass alles, was nicht in die Privatsphäre fällt, dem beruflichen Bereich zuzuordnen ist.88 Der gewöhnliche Aufenthalt von Privatpersonen wird hingegen nicht von der Verordnung definiert; abzustellen ist unter Zugrundelegung eines autonomen Begriffsverständnisses auf den sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebenden Ort, an dem eine natürliche Person ihren tatsächlichen Daseinsmittelpunkt für eine gewisse Dauer angelegt hat.89 Nach Art. 19 Abs. 3 Rom I‑VO ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes der des Vertragsschlusses. Nicht zuzulassen ist im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO jedenfalls eine Berufung auf das Aufenthaltsrecht zum Zeitpunkt der Klageerhebung (anders aber z. B. Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO, dazu unten § 5 III. 1. a)) oder der Geltendmachung der Einrede, da sonst der sich auf ihr Aufenthaltsrecht berufenden Partei Manipulations- und Missbrauchsmöglichkeiten durch eine Verlegung des Aufenthaltsortes in ein ihr „günstiges“ Rechtssystem eröffnet würden.90 Soweit, wie im Falle des Schweigens, streitig ist, ob überhaupt eine Einigung zustande gekommen ist, wird man für die Bestimmung des maßgeblichen Aufenthaltsrechts wohl auf den behaupteten Zeitpunkt einer solchen Einigung infolge eines Schweigens abstellen müssen. Anders als bei einer aufschiebenden Bedingung, bei der der Konsens in Gestalt von Angebot und korrespondierender Annahme als entscheidender Zeitpunkt angenommen wird, obwohl der Vertrag noch keine Wirkungen entfaltet91, liegt nämlich bei einem Schweigen regelmäßig erst nach dem Verstreichen einer gewissen Zeitspanne, nach der der Vertragspartner von einem Einverständnis ausgehen darf, überhaupt eine Einigung vor (vgl. nur im deutschen Recht die von Canaris herangezogene „Erwirkung“). Dies gilt auch für die Fälle des normierten Schweigens wie Art. 1333 Abs. 2 c. c., wenn man mit der wohl herrschenden Auffassung davon ausgeht, dass der Vertragsschluss erst infolge des fehlenden Widerspruchs bzw. des Schweigens 87 Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 10. 88 v. Hein/Martiny, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 19 Rom I‑VO Rn. 9. 89 Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 19 VO (EG) 593/2008 Rn. 15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 90 Vgl. Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 19. 91 Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 19 Rn. 7.
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und nicht bereits mit Erhalt des Angebots erfolgt.92 Da der eben beschriebene gewöhnliche Aufenthalt eine gewisse Dauerhaftigkeit voraussetzt, dürften Manipulationen aber auch bei der erst zeitverzögert zum Angebot eintretenden Bindungswirkung infolge eines Schweigens nahezu ausgeschlossen sein.
b) Wirksamer Vertrag Bei der Feststellung eines wirksamen Vertragsschlusses nach dem Vertragsstatut ist im Rahmen der Auslegung des Verhaltens im materiellen Recht zu berücksichtigen, dass ein ausländischer Vertragspartner mit den Gepflogenheiten des Geschäftsstatuts in der Regel nicht hinreichend vertraut ist und sein Verhalten daher meist den Regeln des für ihn vertrauten Aufenthaltsrechts entsprechen wird.93 Freilich ist eine solches Zugeständnis an die Regeln des Aufenthaltsrechts nur beim beredten Schweigen möglich, da ein normiertes Schweigen einer Auslegung nicht zugänglich ist. Eine Auslegung wird aber auch nicht in allen Fällen beredten Schweigens zum Ergebnis führen, dass eine wirksame Bindung zu verneinen ist, sodass für die Einrede gemäß Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auch nach einer Auslegung des Verhaltens nach den Regeln der lex causae Raum bleibt. Aus der bloßen Veto-Funktion von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO folgt, dass zunächst immer zu prüfen ist, ob der Vertrag überhaupt nach dem gemäß Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO auf ihn anwendbaren Vertragsstatut wirksam ist.94 Die Sonderanknüpfung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO hat nämlich lediglich destruktive bzw. defensive Wirkung: Eine schon nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO gar nicht zustande gekommene Einigung der Parteien kann durch sie niemals konstruiert werden.95 Nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen also jene Fälle, in denen das Schweigen nur eine decadenza bzw. einen Rechtsverlust nach sich zieht (oben § 3 III. und § 4 III.), wie Art. 1399 Abs. 4 c. c. oder § 177 Abs. 2 BGB, da Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO den Schweigenden nur vor einer ungewollten Bindung schützen, nicht jedoch einen nie zustande gekommenen Vertrag ins Leben rufen will. Fälle eines Schweigens, das infolge eines Fristablaufs zu 92 Vgl. Bonomi, Le garanzie bancarie a prima richiesta nel diritto internazionale privato (con particolare riguardo alla Convenzione di Roma del 19 giugno 1980) (Anm. zu Corte d’Appello di Milano 12.6.1991), in: Banca Borsa 1992, II, 1991, 675, 680. 93 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 59. 94 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 232; ebenso statt vieler Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 214. 95 Bericht Giuliano/Lagarde BT-Drs. 10/503, S. 60; ebenso statt vieler Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 806; Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 383; McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, 2015, Rn. 16.17 m. w. N.; a. A. im Bereich der Rechtsscheinvollmacht allerdings Fischer, Rechtsscheinhaftung im internationalen Privatrecht, in: IPRax 1989, 215, 216.
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einem Rechtsverlust führt, unterfallen ebenso wie die prescrizione bzw. Verjährung eines Anspruchs infolge eines langanhaltenden Schweigens Art. 12 Abs.1 lit. d 2. Alt. Rom I‑VO und damit dem Vertragsstatut (zur Verwirkung unten § 5 III. 3.). Umstritten ist hingegen, wie mit einem anfechtbaren oder auch durch Rücktritt oder Widerruf vernichtbaren, also einem nur bedingt wirksamen Vertrag umzugehen ist: Nach einer Auffassung gilt der Grundsatz des Vorrangs der Anfechtung, d. h. der Betroffene muss, wenn ihm dies möglich ist, zunächst nach den Regeln des Vertragsstatus anfechten oder widerrufen, bevor er sich auf eine fehlende Bindung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO beruft.96 Auch aus italienischer Perspektive wird eine Anwendung der Sonderanknüpfung nur dann befürwortet, wenn es darum geht, das fehlende Vorliegen (esistenza del contratto) eines Vertrages geltend zu machen, nicht aber für die Fälle, in denen ein Vertrag zwar vorliegt, aber unwirksam ist (invalidità del contratto).97 Nach anderer Ansicht steht dem Irrenden hingegen ein Wahlrecht zu, ob er sich unmittelbar auf den nach seinem Aufenthaltsrecht fehlenden Vertragsschluss beruft oder ob er die Erklärung nach dem Vertragsstatut anficht oder widerruft.98 Für den letztgenannten Ansatz spricht, dass auch bei einem anfechtbaren Vertrag zunächst einmal eine Wertung des Verhaltens bzw. Schweigens als Zustimmung vorliegt und damit zumindest dem Wortlaut nach der Anwendungsbereich der Sonderanknüpfung eröffnet ist.99 Problematisch ist zum einen aber, dass die Begriffe der Wirksamkeit und Anfechtbarkeit einer Willenserklärung nicht von allen Rechtordnungen gleich beurteilt werden: So unterscheiden manche Rechtsordnungen wie die französische gar nicht zwischen verstecktem Dissens und Erklärungs- bzw. Inhaltsirrtum.100 Auch im deutschen Recht geht beispielsweise die herrschende Meinung von einer bloßen Anfechtbarkeit wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins aus, während eine andere Auffassung sich für eine Nichtigkeit der ohne Erklärungsbewusstsein abgegebenen Äußerung ausspricht (oben § 4 II. 6. c)). Von dieser oft sogar im nationalen Recht umstrittenen Zuordnung einzelner Willensmängel oder Nichtigkeitsgründe sollte aber 96 So v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 249. 97 Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 806; Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 20 (freilich englischsprachig: „[…] shall not be applicable […] to prove that the consent was given, but is invalid.“ 98 So Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 58. 99 So Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 3. Auflage 2011, Art. 10 Rom I‑VO, Rn. 18; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 58; dem folgend Budzikiewicz u. a./Weller, M., BeckOGK BGB, Stand 1.2.2020, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 48. 100 Dazu Herberger u. a./Limbach, jurisPK-BGB Band 6, 9. Auflage 2020 (Stand 1.3.2020) Art. 10 Rom I‑VO Rn. 6.
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nicht die Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO abhängen.101 Zu bedenken ist auch, dass eine solche Handhabung zu einem recht weitreichenden Wahlrecht des Betroffenen und daher erheblicher Rechtunsicherheit, aber auch erhöhten Kosten für die Ermittlung fremden Rechts führen würde: So ist denkbar, dass das Aufenthaltsrecht bestimmte Willensmängel mit einer Unwirksamkeit des ganzen Vertrags sanktioniert, während das Vertragsstatut lediglich eine Anfechtungsmöglichkeit bezüglich der betroffenen Erklärung vorsieht. Wäre das Aufenthaltsrecht Vertragsstatut, wäre damit eine Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO schon gar nicht möglich, da keine rechtsgeschäftliche Bindung vorliegt, während der Betroffene wegen des von seinem Aufenthaltsort abweichenden Vertragsstatuts nicht nur selbst über die Gültigkeit seiner Erklärung durch Anfechtung oder Unterlassen einer solchen entscheiden, sondern auch zwischen der Vernichtung seiner Erklärung mittels einer Anfechtung oder mittels einer Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO wählen könnte. Dies kann jedoch nicht überzeugen; vielmehr ist dem Betroffenen zuzumuten, dass er erst sein nach dem Vertragsstatut bestehendes Anfechtungsrecht ausübt, welches regelmäßig dazu führen wird, dass es eines Eingreifens von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO gar nicht bedarf, weil er nicht (mehr) rechtsgeschäftlich gebunden ist.102 Für denjenigen, der sich ohne nachteilige Konsequenzen von der vertraglichen Bindung durch Anfechtung, Rücktritt oder Widerruf nach dem Vertragsstatut lösen kann, liegt schon keine Unzumutbarkeit der Bewertung seines Verhaltens als Zustimmung vor. Soweit das Lösungsrecht jedoch immerhin eine finanzielle Bindung an den Vertrag in Gestalt eines Schadensersatzanspruchs nach sich zieht (wie etwa der deutsche § 122 BGB), während das Aufenthaltsrecht dies verneint, greift die Sonderanknüpfung ein.103 Die durch ein Auseinanderfallen von Vertragswirkungsstatut und Vertragsabschlussstatut entstehenden und nach der gesetzgeberischen Intention durch die grundsätzliche Geltung eines einheitlichen Vertragsstatuts zu vermeidenden Friktionen werden durch den Vorrang einer Anfechtung (oder sonstigen Beseitigung des Vertrags durch Rücktritt oder Widerruf ) auf ein Mindestmaß beschränkt. Die Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO sollte nur ultima ratio sein. Immerhin bedeutet die Sonderanknüpfung eine Aufgabe des inneren Entscheidungseinklanges und zieht die Aufspaltung eines in sich abgestimmten Regelungszusammenhangs des nationalen Sachrechts nach sich.104 101 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 249. 102 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 249; so nun auch Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 19. 103 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 250; so nun auch Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 19. 104 Vgl. schon insgesamt kritisch zur Sonderanknüpfung Linke, Sonderanknüpfung der
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c) Fehlender Vertragsabschluss nach dem Recht des Aufenthaltsortes Erforderlich ist des Weiteren, dass das Aufenthaltsrecht im Gegensatz zum nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO eigentlich anwendbaren Vertragsstatut das Verhalten nicht als Zustimmung zum Vertragsschluss oder der vertraglichen Bestimmung wertet, da sonst die Berufung auf die Ausweichklausel keinen Erfolg hat.105 Sowohl das italienische Recht106 (man denke nur an die allgemeine Regel in Art. 1333 Abs. 2 c. c.) als auch das deutsche Recht107 scheinen dabei im Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen bei der Annahme eines Vertragsschlusses auch durch unbewusstes Verhalten oder Schweigen teils recht großzügig zu sein. Kann eine Partei zwar nach dem Geschäftsstatut anfechten, aber muss sie dennoch Schadensersatz leisten (z. B. nach § 122 BGB), ist eine Berufung auf das Aufenthaltsrecht möglich, wenn dieses eine Lösung vom Vertrag ohne Schadensersatzansprüche vorsieht.108 Bereits eine im Verhältnis zur lex causae schwächere Bindung durch das Recht am Aufenthaltsort, etwa in Gestalt einer bloßen Anfechtbarkeit des zunächst wirksamen Rechtsgeschäfts oder einer Schadensersatzpflicht, führt allerdings zum Scheitern der Einrede, da Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nur dann schützend eingreift, wenn nach dem Aufenthaltsrecht überhaupt keine Bindung gegeben wäre.109 Eine in Italien ansässige Vertragspartei kann sich also nicht per se darauf berufen, dass sie nicht damit rechnen musste, dass ihr Schweigen gegenüber dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben der deutschen Vertragspartei nach dem deutschen Vertragsstatut als Zustimmung zum Vertrag gewertet wurde. Zunächst ist nämlich zu prüfen, ob das Schweigen nicht auch nach dem italienischen Aufenthaltsstatut eine Zustimmung darstellt, was allerdings nicht wie im deutschen Recht gewohnheitsrechtlich der Fall ist. Auch im italienischen Recht wird dies aber bejaht, wenn ein silenzio circostanziato (beredtes Schweigen), beispielsweise aufgrund entsprechender früherer Vertragsabschlüsse oder Geschäftsbeziehungen oder aufgrund von Treu und Glauben vorliegt.110 Dabei Willenserklärung? Auflösungstendenzen im internationalen Schuldvertragsrecht, in: ZVglRW 79 (1980) 1, 24 f. 105 Vgl. als Beispielsfälle nur KG 2.2.2006 – 2 U 101/01, in: BeckRS 2006, 9026 (deutsches und marokkanisches Recht); OLG Koblenz 9.1.1981 – 2 U 1266/77, in: IPRax 1982, 20. 106 Gorla, Report on Italian Law, Acceptance by Silence, in: Schlesinger, Formation of Contracts, A Study of the Common Core of Legal Systems, Band 2, 1968, S. 1192. 107 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 252. 108 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 250, so nun auch Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 19. 109 Str., so v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 232, 250, 256 f.; ebenso Ubertazzi, Il regolamento Roma I sulla legge applicabile alle obbligazioni contrattuali, 2008, S. 98; a. A. Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 58. 110 Vgl. etwa auch zum luxemburgischen Recht Ferid, Internationales Privatrecht, JASonderheft, 1975, S. 127.
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verfährt die italienische Rechtsprechung, wie die oben betrachteten Entscheidungen zeigen, teils durchaus großzügig. Wenn dies nicht der Fall ist, stellt sich die Frage, ob nach italienischem Recht immerhin eine Schadensersatzpflicht bejaht wird. In diesem Fall scheitert die Berufung auf die Sonderanknüpfung ebenfalls. Weist das nach deutschem Recht konstitutive Bestätigungsschreiben nach italienischem Recht keine oder nur eine die Beweislast umkehrende Wirkung auf (oben § 3 II. 5. a) dd)), so ist die Sonderanknüpfung anwendbar, wenn der Partei diese Beweislastregeln nicht zumutbar sind (dazu sogleich).111 Allerdings muss der in Italien ansässige Schweigende dann auch beweisen, dass die entsprechenden Vereinbarung – jedenfalls so – nicht getroffen wurde.112 Ähnliches gilt auch für andere Regelungen, die am Aufenthaltsort keine direkte Entsprechung haben, wie etwa Art. 1333 Abs. 2 c. c. oder § 362 HGB.
d) Unzumutbarkeit der Bindung Auch wenn die bislang genannten, bereits recht strengen Voraussetzungen für ein Eingreifen von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO vorliegen, bedeutet dies noch nicht, dass der Betroffene mit seiner Einrede durchdringt: Die Norm erfordert nämlich ausdrücklich, dass es nach den Umständen „nicht gerechtfertigt“ („non […] ragionevole“) wäre, die Wirkung eines Verhaltens nach dem in Absatz 1 der Norm bezeichneten Vertragsstatut zu bestimmen. Um zu einer Anwendung des Aufenthaltsrechts zu kommen, muss also eine umfassende, einzelfallabhängige richterliche Interessenabwägung zur Rechtfertigung einer solchen Sonderanknüpfung vorgenommen werden.113 Keinesfalls allein ausreichend ist es daher, dass das Aufenthaltsrecht das Schweigen anders als das Vertragsstatut bewertet, vielmehr muss diese Bewertung nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, ja unzumutbar für den solchermaßen Gebundenen erscheinen.114 Richtlinie für die Zumutbarkeit der vertraglichen Bindung muss, ganz im Sinne der Savigny’schen Lehre vom „Sitz des Rechtsverhältnisses“, die Frage sein, ob 111 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 290; Bortolotti, Manuale di diritto commerciale internazionale, Band 1, Diritto dei contratti internazionali, 2. Auflage 2001, S. 241 f. 112 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 289 f. 113 Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 806; Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 35; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 205; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 61 m. w. N.; Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 12; zu Art. 31 Abs. 2 EGBGB bereits Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 383. 114 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 263 f.; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 405.
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der Vertragsschluss trotz des abweichenden Vertragsstatuts so eng mit dem Aufenthaltsrecht einer Vertragspartei verbunden ist, dass diese sich redlicherweise auf dessen Geltung verlassen durfte und nicht mit der Anwendung des für sie fremden Vertragsstatuts rechnen musste.115 Dabei hat das befasste Gericht die Prüfung und Beurteilung der Unzumutbarkeit unter Anlegung nicht nationaler, sondern europäisch-autonomer Maßstäbe so vorzunehmen, wie sie auch von jedem anderen mitgliedstaatlichen Gericht erwartet werden kann.116 In die Abwägung, ob das Vertrauen einer Partei auf die Anwendung ihres Aufenthaltsrechtes kollisionsrechtlich mehr schützenswert ist als das Interesse des Rechtsverkehrs an einer, auch von Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO grundsätzlich vorgesehenen, möglichst einheitlichen Anknüpfung von Schuldverträgen, sind alle Umstände vor und im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss einzubeziehen.117 Teilweise wird eingewandt, dass die Interessen des Rechtsverkehrs oder der anderen Partei, namentlich das Vertrauen in den Fortbestand des Vertrages bzw. eine einheitliche Anknüpfung des Vertrages, im Rahmen der Abwägung nicht zu berücksichtigen seien, sondern allein die Sicht der gebundenen Partei ausschlaggebend sei.118 Dem weiten Normwortlaut („Ergibt sich jedoch aus den Umständen […]“) lässt sich entnehmen, dass der Rechtsanwender alle Umstände des Sachverhalts zu berücksichtigen hat und dabei nicht nur auf jene Umstände abstellen darf, unter denen die sich auf die Sonderanknüpfung berufende Partei gehandelt hat.119 Daraus folgt, dass nicht nur das Interesse des Schweigenden an der Geltung seines Aufenthaltsrechts, sondern auch die Sichtweise der schützenswerten anderen Vertragspartei sowie das Verkehrsinteresse an einer einheitlichen Anknüpfung des Vertrags zu würdigen ist.120 Auch in rechtsvergleichender Hinsicht schützt wohl jede Rechtsordnung im materiellen Vertragsrecht die 115 Vgl. Mäsch, Gran Canaria und kein Ende – Zur Sonderanknüpfung vorkonsensualer Elemente im internationalen Vertragsrecht nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: IPRax 1995, 371, 373; vgl. zustimmend zur bisherigen deutschen Rechtsprechung auch Damascelli, Le materie regolate dalla lex contractus e la disciplina internazionalprivatistica degli effetti reali del contratto, in: Fondazione Italiana per il Notariato, Il nuovo diritto europeo die contratti: dalla Convenzione di Roma al Regolamento „Roma I“ (Atti del convegno), 2007, S. 141. 116 McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, 2015, Rn. 16.19. 117 Vgl. Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 61 und Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 383. 118 So v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 281. 119 Giuliano/Lagarde BT-Drs. 10/503, S. 60; dem folgend (statt vieler) McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, 2015, Rn. 16.16. 120 In diesem Sinne ausdrücklich Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 71 m. w. N.; Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 27 (zu beiderseitigen internationalen Handelsverträgen); Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 214; Buchmüller, Geltung der Spediteurbedingungen bei Vertrag mit einer auslän-
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Gegenseite, beispielsweise über die Auslegung nach Art. 1362 c. c., §§ 133, 157 BGB. Dieser Gedanke ist für das Vertragsrecht so zentral, dass er auch auf kollisionsrechtlicher Ebene eine Rolle spielen muss. Bei Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO handelt es sich um eine restriktiv auszulegende Sondervorschrift, weil der Grundsatz des einheitlichen Vertragsstatuts nach Art. 10 Abs. 1 Rom I‑VO aufgrund der schützenswerten Interessen der Gegenpartei nur im Ausnahmefall durchbrochen werden soll.121 Diese Vorstellung wohnt auch dem nach allen Auffassungen unumstritten zu prüfendem Kriterium der Kenntnis oder Erkennbarkeit des Auslandsbezugs inne. Das Verkehrsinteresse an einer grundsätzlich einheitlichen Anknüpfung des gesamten Vertrags spielt also unterschwellig für die Abwägung, ob einer Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO stattzugeben ist, eine maßgebliche Rolle: je mehr ein Auslandsbezug erkennbar ist, desto weniger schutzbedürftig ist derjenige, der dennoch auf die Anwendung seines Aufenthaltsrechts vertraut und desto schutzwürdiger ist im Gegenzug das Interesse seines Vertragspartners am Fortbestand der Einigung nach den Regeln des Vertragsstatuts. Der Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes in Gestalt des Vertrauens der anderen Partei auf das Fortbestehen der Einigung ist damit untrennbar mit der einzelfallbezogenen Entscheidung verknüpft, ob dem Schweigenden eine vertragliche Bindung infolge seines Verhaltens zuzumuten ist oder nicht. Er muss daher auch in die vorzunehmende Abwägung miteinfließen. Die Präzisierung des Unzumutbarkeitskriteriums ist aufgrund des generalklausel-artigen Zuschnitts von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nicht abschließend zu verstehen. Rechtsprechung und Literatur haben aber sowohl in Deutschland als auch Italien Anhaltspunkte herausgearbeitet, die in der Regel darauf hinweisen, dass eine Bindung des Schweigenden nach dem Vertragsstatut nicht angemessen wäre oder die umgekehrt eine Sonderanknüpfung nicht gerechtfertigt erscheinen lassen.122 Sowohl in objektiver Hinsicht als auch in subjektiver Hinsicht wurden Kriterien entwickelt, die in die Beurteilung der (Un-)Zumutbarkeit einer rechtlichen Bindung durch ein bestimmtes Verhalten einfließen können. Dabei kann neben der Literatur und Rechtsprechung zu Art. 8 Abs. 2 EVÜ auch die deutsche Rechtsprechung zur früheren Rechtslage vor dem EVÜ weiterhin herangezogen werden, da diese eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Norm spielte (oben § 5 II. 1. b)).123 Auch die Wertungen internadischen Firma (Anm. zu BGH 7.7.1976 – I ZR 51/75, in: NJW 1976, 2075), in: NJW 1977, 501; Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 383 f. 121 Vgl. (zur alten Rechtslage) BGH 13.7.1973 – I ZR 72/72, in: NJW 1973, 2154, 2155. 122 Vgl. Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 807; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 263 f. 123 Lagarde, Le nouveau droit international privé des contrats après l’entrée en vigueur de la Convention de Rome du 19 juin 1980, in: Rev. crit. dr. int. pr. 1991, 287, 327; W. Lorenz, Vom alten zum neuen internationalen Schuldvertragsrecht, in: IPRax 1987, 269, 274.
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tionalen Einheitsrechts wie des CISG (dazu noch § 5 III. 6. b)) und die Beurteilung anderer europäischer Verordnungen wie der Brüssel Ia-VO (dazu ebenfalls noch § 5. III. 6. a)) sind in die Interessenabwägung einzubeziehen.124 Projekte zu einer europäischen Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Vertragsrechts wie der Draft Common Frame of Reference (im Weiteren: DCFR, dazu unten § 6 I. 1.) können hingegen jedenfalls, solange sie nur akademische Qualität haben und keine „Toolbox“ für das nationale Sachrecht darstellen, auch im Bereich des europäischen internationalen Privatrechts in Ermangelung einer Rechtsverbindlichkeit oder allgemeinen Anerkennung kaum eine Hilfestellung für die Auslegung bieten.125
aa) Berücksichtigung von Irrtümern bezüglich des anwendbaren Rechts Hinsichtlich der Berücksichtigung von Irrtümern einer Partei, die zu einer Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO führen können, ist zunächst zwischen dem kollisionsrechtlichen Irrtum hinsichtlich des internationalen Privatrechts und dem sachrechtlichen Irrtum über den Inhalt des vom Internationalen Privatrecht berufenen materiellen Rechts (z. B. die Rechtserheblichkeit eines Schweigens) zu unterscheiden. Während der Betroffene im ersten Fall bereits eine kollisionsrechtliche Frage falsch beantwortet und daher sein Verhalten am falschen Sachrecht ausrichtet oder von der Gültigkeit seines eigenen Rechts ausgeht, mangelt es ihm im zweiten Fall an der Kenntnis der ausländischen Regeln zum materiellen Vertragsrecht. Bezüglich des kollisionsrechtlichen Irrtums ist umstritten, ob dieser überhaupt ein Eingreifen der Sonderanknüpfung rechtfertigen kann.126 Gegenstand weiterer Diskussion ist innerhalb der Auffassung, die dies bejaht, ob nur ein Irrtum über ein fremdes Kollisionsrecht die Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nach sich ziehen kann127, oder ob auch eine falsche Vorstellung vom „eigenen“, also am Aufenthaltsort des Schweigenden geltenden Kollisionsrecht eine Berufung auf die Sonderanknüpfung ermöglicht128. Freilich gilt die Rom I‑VO EU-weit und wegen Art. 2 und 20 Rom I‑VO vor europäischen Gerichten auch als loi uniforme gegenüber Drittstaaten unter Ausschluss von Rück- und Weiterverweisungen, sodass zumindest ein Irrtum über fremdes Kol124 Staudinger/Hausmann,
BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 62. Vgl. hierzu Zoll, The Draft Common Frame of Reference as an Instrument of the Autonomous Qualification in the Context of the Rome I Regulation, in Ferrari/Leible, Rome I Regulation, 2009, 17 ff. 126 Befürwortend Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 66; ablehnend Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 19 VO (EG) 593/2008 Rn. 27. 127 In diese Richtung v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 270. 128 Befürwortend Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 66. 125
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lisionsrecht für Vertragsschließende, die sich in einem Mitgliedstaat aufhalten, nicht denkbar ist. Der Wortlaut der Norm gibt insoweit keine Hilfestellung, da nur allgemein von „Umständen“ die Rede ist, aufgrund deren es „nicht gerechtfertigt“ erscheint, das Verhalten nach dem Vertragsstatut zu beurteilen. Gegen eine Berücksichtigung kollisionsrechtlicher Irrtümer, gleich welcher Art, spricht zwar, dass eine Partei, die sich bereits über das Kollisionsrecht Gedanken macht, den möglichen Auslandsbezug erkannt hat und entsprechend Rechtsrat einholen kann bzw. muss.129 Andererseits ist die fehlende Erkennbarkeit des Auslandsbezugs unstrittig ein potenzieller Anwendungsfall von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO.130 Ob aber nun die Annahme, es handle sich um ein Geschäft, das den am Aufenthaltsort geltenden Regelungen unterliegt, darauf beruht, dass die Kollisionsnormen falsch angewandt werden oder darauf, dass letztere mangels Erkennbarkeit der Internationalität des Sachverhaltes überhaupt nicht herangezogen werden, kann keinen Unterschied machen. Letztlich irrt die Partei in beiden Fällen über das anwendbare Vertragsstatut, entweder, weil sie sich überhaupt keine Gedanken über das Kollisionsrecht macht oder weil sie es fehlerhaft anwendet. Auch dürfte es in der Praxis kaum nachprüfbar sein, welcher Form von Irrtum die Partei unterliegt bzw. im Zweifel dürfte sie argumentieren, dass sie einem von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO erfassten Irrtum unterlegen sei und sich nur in sachrechtlicher Hinsicht über den Inhalt des fremden Rechts geirrt habe. Im Ergebnis haben Irrtümer hinsichtlich des Auslandsbezugs und des Kollisionsrechts die gleiche Folge wie Fehlvorstellungen hinsichtlich des Sachrechts: der Schweigende geht davon aus, dass sein Schweigen keine Zustimmung darstellt, weil dies nach seinem Aufenthaltsrecht so ist. Aus welchen Gründen er an die Anwendung seines Aufenthaltsrechts glaubt und sich daran orientiert, sollte keinen Unterschied machen. Auch kollisionsrechtliche Irrtümer sollten daher von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO ohne Unterschied zu sachrechtlichen Irrtümern erfasst sein. Dies sollte auch für die falsche Anwendung der Kollisionsregeln des eigenen Rechts gelten, da selbst bei Juristen oft Unsicherheit auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts herrscht und internationale Fälle komplexe Probleme aufweisen können. Für die Berücksichtigung kollisionsrechtlicher Irrtümer spricht schließlich auch, dass eine Partei, die aufgrund der fehlenden Erkennbarkeit des Auslandsbezugs oder der falschen Anwendung eigenen oder fremden Kollisionsrechts von der Anwendung ihres Aufenthaltsrechts ausgeht, im Einzelfall sogar schützenswerter erscheinen kann als eine solche, die positiv um die Anwendung fremden Rechts weiß, es aber dennoch unterlässt, sich über 129 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 269 f. 130 Vgl. nur Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 25; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 268.
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die Regeln des fremden Vertragsstatuts zu informieren (zu diesem sachrechtlichen Irrtum sogleich). Beim in der Praxis wohl relevanteren sachrechtlichen Irrtum stellt sich indes die Frage, inwieweit eine Partei, die um die Anwendung ausländischen Rechts weiß, gehalten ist, sich über dessen Inhalt zu informieren. Im Grundsatz besteht zwar keine Obliegenheit für den Betroffenen, sich umfassend über die Regelungen des fremden Sachrechts hinsichtlich der Bewertung eines Verhaltens wie beispielsweise eines Schweigens als Zustimmung zu einem Vertrag zu erkundigen; sein Irrtum über das fremde Sachrecht kann entschuldbar sein.131 So muss beispielsweise ein italienischer Unternehmer, auch wenn er erkennt, dass auf den Vertrag deutsches Recht anwendbar sein wird, grundsätzlich noch keine Nachforschungen zu dessen Inhalt vornehmen. Dies überzeugt, denn ansonsten bestünde die Gefahr des Entstehens massiver Handelshemmnisse, da die Parteien bei internationalen Verträgen entweder erhebliche Rechtsberatungskosten zur Ermittlung des ausländischen Sachrechts zu tragen hätten oder möglicherweise aus Unsicherheit lieber von internationalen Verträgen Abstand nähmen. Ein Rechtsirrtum ist zwar nach nationalem Recht kein Grund für eine irrtumsbedingte Lösung vom Vertrag (oben § 3 II. 9. a) und § 4 II. 10. a)), sondern eine Partei ist grundsätzlich gehalten, Rechtsrat einzuholen. Jedoch stellt sich die Ermittlung ausländischen Sachrechts gegenüber der inländischen Rechtslage regelmäßig als wesentlich komplexer und kostenintensiver dar. Andererseits erscheint eine Partei, die die Bewertung ihres Verhaltens durch das fremde Recht als Zustimmung fahrlässig verkennt, nicht schutzwürdig im Sinne von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO.132 Hinsichtlich des Fahrlässigkeitsbegriffes hat eine einheitliche autonome Auslegung zu erfolgen, für die ein Rückgriff auf Art. 13 Rom I‑VO erwogen wird.133 Dieser Vorschrift, sowie der Rechtsgeschäftslehre der Mitgliedstaaten im Allgemeinen, ist der Grundgedanke zu entnehmen, dass die Zurechnung eines Verhaltens an eine Person als rechtsgeschäftliche Erklärung nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn sie bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die jeweilige Bedeutung hätte erkennen und vermeiden können. Es drängt sich dabei eine Parallele zum nationalen Sachrecht mit dem italienischen Konzept der autoresponsabilità (Selbstverantwortung) und der deutschen Erklärungsfahrlässigkeit auf. Damit 131 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 65; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 272; a. A. (Verkennung des Inhalts des fremden Sachrechts rechtfertigt nicht Anwendung des Aufenthaltsrechts) Ferrari/ Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 19 VO (EG) 593/2008 Rn. 29. 132 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 67; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 261. 133 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 273; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 215; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art.10 Rom I‑VO Rn. 64.
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im Einklang steht auch die oben skizzierte Entstehungsgeschichte von Art. 10 Rom I‑VO: Der Bundesgerichtshof stellte schon vor Geltung des EVÜ darauf ab, ob eine Partei mit der Qualifikation ihres Verhaltens als Zustimmung „nicht zu rechnen brauchte“.134 Eine den Fahrlässigkeitsvorwurf begründende Obliegenheit, sich nach dem Inhalt des anwendbaren Sachrechts zu erkundigen, wird in der Regel bei einer Partei bestehen, die ohnehin hinsichtlich des Vertrags rechtlich beraten wird.135 Auch ist bei einer Kaufmannseigenschaft bzw. Unternehmerstellung wegen der damit verbundenen Geschäftsgewandtheit ein strengerer Sorgfaltsmaßstab als bei Verbrauchern anzulegen, bei denen man regelmäßig keine Erkundigung über das Sachrecht erwarten kann.136 Ebenso kann die wirtschaftliche Bedeutung des Geschäfts dazu führen, dass eine fehlende Erkundigung über die Regeln des Vertragsstatuts fahrlässig erscheint.137 Schließlich kann auch ein individuell vereinbarter Gerichtsstand im Ausland Indiz für den Auslandsbezug sein.138 Im Folgenden werden solche Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene die Anwendung fremden Rechts und gegebenenfalls dessen Bewertung seines Verhaltens erkannte oder erkennen musste, also Indizien für eine Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Geltung eines Vertragsstatuts, näher erläutert.
bb) Abschluss- und Verhandlungsort In objektiver Hinsicht feststellbar und im Rahmen der Abwägung bedeutsam ist zunächst der Ort, an dem es zum Vertragsschluss gekommen ist: Finden der Vertragsabschluss und die vorausgehenden Verhandlungen im Aufenthaltsstaat einer Vertragspartei statt, wird sich diese Partei auch regelmäßig auf die Anwendung ihres Aufenthaltsrechts für den Vertragsabschluss verlassen dürfen, wohingegen ihr Vertragspartner kaum in seinem Vertrauen auf die Geltung des Rechts an seinem eigenen Aufenthaltsort schützenswert erscheint.139 Der Auslandsbezug ist nämlich für letzteren klar erkennbar, sodass er in der Regel 134 BGH 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, in: NJW 1972, 391, 394; vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 1. 135 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 384. 136 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 68; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 277. 137 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 68; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 278. 138 Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 35. 139 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 383; Schmidt-Salzer, Entscheidung über Gültigkeit von Erfüllungsorts- und Gerichtsstandsklausel bei Kaufpreisklage eines deutschen Unternehmers gegen seinen französischen Vertragshändler (Anm. zu BGH 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, in: NJW 1972, 391), in: BGH NJW 1972, 394, 394.
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nur noch fehlende Kenntnis des materiellen ausländischen Rechts vorbringen kann, nicht aber, dass ihm nicht bewusst war, dass der Vertrag möglicherweise einem anderen Recht als dem seines Aufenthaltsortes unterliegt.140 Bei einem solchen reinen „Inlandsgeschäft“ (aus Sicht des Vertragspartners) spricht also eine erste Vermutung gegen die Anwendung der Sonderanknüpfung zugunsten des Schweigenden. Das Gleiche gilt regelmäßig für einen Vertragsschluss in einem Drittstaat, da auch hier das Vertrauen auf die Anwendung des eigenen Rechts wegen des Verlassens des Aufenthaltsortes nicht schützenswert erscheint. Anders formuliert wird man für einen Ausschluss der Anwendung der Sonderanknüpfung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO in der Regel mindestens fordern müssen, dass der Betroffene von sich aus den Kontakt ins Ausland gesucht und so einen internationalen Vertrag angebahnt hat.141 Während von einem sich bloß passiv Verhaltenden nämlich eher nicht erwartet werden kann, dass er sich mit der möglichen Geltung fremden Rechts auseinandersetzt, kann ein solchermaßen aktiv Handelnder, der sich freiwillig ins Ausland begibt, im Allgemeinen erkennen, dass möglicherweise ein anderes Recht als das seines Aufenthaltsortes auf den von ihm angebahnten Vertrag Anwendung findet. Erhält beispielsweise jemand unaufgefordert ein Angebotsschreiben aus einem Land, in dem ein Schweigen hierauf, anders als nach dem Aufenthaltsrecht, als Zustimmung gewertet wird, so wird eine Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO in der Regel erfolgreich sein.142 Anderes kann jedoch wiederum bei speziellem nationalen Sachrecht am Aufenthaltsrecht wie § 663 BGB oder § 362 HGB gelten, wenn sich der Unternehmer auch gegenüber dem Ausland öffentlich zur Erbringung einer bestimmten Leistung erboten hat.143 Dies bedeutet aber noch keinesfalls, dass bei einem aktiven internationalen Tätigwerden oder Verlassen des Aufenthaltsortes in jedem Fall die Anwendung der Sonderanknüpfung ausgeschlossen ist; vielmehr kann die auf die Geltung ihres Aufenthaltsrechts vertrauende Partei besondere Umstände darlegen, die ihr Vertrauen rechtfertigen.144 Umgekehrt entfaltet auch bei Vertragsschlüssen am Aufenthaltsort Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO seine Schutzwirkung möglicherweise dann nicht, wenn die betroffene Partei um den Auslandsbezug wusste. Im Ergebnis sind damit stets subjektive Gesichtspunkte und das Kriterium der 140 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 266. 141 Ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 63; Bamberger/ Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 12. 142 Linke, Sonderanknüpfung der Willenserklärung? Auflösungstendenzen im internationalen Schuldvertragsrecht, in: ZVglRW 79 (1980) 1, 35; ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 63 und v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 265. 143 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 265. 144 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 72.
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Zumutbarkeit ausschlaggebend für die Anwendung der Sonderanknüpfung und können die aus dem Vorliegen des objektiven Kriteriums des Vertragsabschlussortes zunächst folgende Vermutung wieder entkräften. Ein Automatismus dahingehend, dass beispielsweise eine Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO allein deshalb erfolgreich ist, weil man das Land des gewöhnlichen Aufenthalts für den Vertragsschluss nicht verlassen hat, ist der Sonderanknüpfung dagegen fremd.145 Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, wie mit den immer häufiger auf elektronischem Weg erfolgenden Vertragsschlüssen umzugehen ist, bei denen die Parteien in der Regel ihren Aufenthaltsort ebenfalls nicht verlassen. Während eine Ansicht davon ausgeht, dass Internetgeschäfte potentiell stets international sind und daher in Ermangelung einer Beschränkung auf Inlandskunden durch einen entsprechenden Disclaimer mit einem Auslandsbezug zu rechnen ist146, wird man auch hier auf die Umstände des Einzelfalls, wie den (erkennbaren) Sitz des Vertragspartners oder Hinweise auf einen Auslandsbezug wie die Sprache der Internetseite abstellen müssen.147 Wer im Internet surft, muss sich noch nicht generell auf die Geltung eines fremden Rechts einstellen, wer hingegen bewusst Websites ausländischer Anbieter aufsucht, ist möglicherweise nicht schutzwürdig in seinem Vertrauen auf die Geltung seines Aufenthaltsrechts.148 Ein Online-Händler, der seine Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I‑VO auf den Staat ausrichtet, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, muss auch mit der Anwendbarkeit des dortigen Rechts auf den Vertrag rechnen.149 Aber auch im Verhältnis von Unternehmer zu Unternehmer überzeugt im Rahmen von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO eine Heranziehung der zu Art. 6 Abs. 1 Rom I‑VO entwickelten Kriterien, da der Unternehmer durch ein solches Ausrichten seiner Tätigkeit gezielt den Kontakt ins Ausland sucht und kaum schutzbedürftig in seinem Vertrauen auf die Anwendung des Heimatrechts erscheint. Allgemein sind damit auf bestimmte Länder ausgerichtete Marketingstrategien ein starkes Indiz dafür, dass auch mit der Geltung des dortigen Rechts zu rechnen ist, sodass von einer Parallelisierung der Wertungen im Bereich des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes und des Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO gesprochen werden kann.150 Bei privaten Nutzern von Internetplatt145 Ebenso v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 253; a. A. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht, 1990, S. 346. 146 Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO, 22; dem folgend auch Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 35 („foreseeable“). 147 Vgl. so v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 268; ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 64. 148 Gounalakis/Pfeiffer, Rechtshandbuch Electronic Business, 2003, § 12 Rn. 64; Spindler/ Schuster/Bach, Recht der elektronischen Medien, 4. Auflage 2019, Art. 10 Rom I VO Rn. 7. 149 Kaufhold, Internationale Webshops – anwendbares Vertrags- und AGB-Recht im Verbraucherverkehr, in: EuZW 2016, 247, 249. 150 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 383 f.
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formen wird hingegen ausschlaggebend sein, ob anhand von der Ausrichtung oder Beschränkung der Plattform auf bestimmte Länder und der Geschäftserfahrung der Nutzer (vgl. dazu noch § 5 II. 5. d) dd)) mit einem Auslandsbezug des Vertrags gerechnet werden musste oder nicht.151 In der Praxis dürften die im Internethandel vorgesehenen sog. Checkboxen, die bei automatisierten Vertragsschlüssen eine ausdrückliche Zustimmung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen und dem Vertrag in Form des Anklickens erfordern, dazu führen, dass sich zumindest das Problem eines Vertragsschlusses durch ein bloßes Schweigen für typische Bestellungen bei OnlineVersandhändlern schon kaum stellt.152 Im Bereich des von der Europäischen Union durch die VerbRRL harmonisierten mitgliedsstaatlichen Sachrechts ist die Bestellsituation nach Art. 8 Abs. 2 VerbRRL vom Unternehmer so zu gestalten, dass der Verbraucher bei der Bestellung auf eine Schaltfläche o. ä. mit einem Hinweis auf die Zahlungspflichtigkeit des Geschäfts klicken muss, sodass ein versehentlicher Vertragsschluss durch Schweigen ausgeschlossen ist. Denkbare Anwendungsfelder für Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bei elektronischen Vertragsschlüssen bleiben jedoch – freilich mit wenig Unterschied zu einem „normalen“, nicht digital erfolgenden Vertragsschluss – etwa Verhandlungen zwischen dem Kunden und Händler per E‑Mail, in deren Folge Streit darüber entsteht, ob es infolge eines Schweigens zu einer Einigung oder einer Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gekommen ist. Wie schon im materiellen Privatrecht153 zeigt sich auch im internationalen Privatrecht, dass neue Technologien häufig mit den bestehenden Rechtsinstrumenten zu bewältigen sind. Auch wenn Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO damit vor allem bei internationalen Distanzgeschäften zum Tragen kommt, ist zusätzlich zu diesem objektiven Kriterium aus Gründen der Privatautonomie stets in subjektiver Hinsicht eine fehlende Kenntnis oder Vorhersehbarkeit des Umstandes zu prüfen, dass ein fremdes Vertragsstatut anwendbar ist, welches ein Verhalten des Betroffenen anders als sein Aufenthaltsrecht beurteilt.154 Kriterien für die Annahme einer 151 Vgl.
Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 3, 4. Auflage 2016, Art. 10 Rom I‑VO, 22. 152 Vgl. zum Vertragsschluss und der Zustimmung zu AGB und Gerichtsstandsklauseln durch sog. „point&click“ Finocchiaro, Il perfezionamento del contratto on line: opportunità e criticità, in: Dir. com. e scambi internaz., fasc. 1–2/2018, 187, 198 ff.; zur Rechtswahl Kaufhold, Internationale Webshops – anwendbares Vertrags- und AGB-Recht im Verbraucherverkehr, in: EuZW 2016, 247, 249. 153 Hierzu eingehend Oppo, Disumanizzazione del contratto?, in: Riv. dir. civ. 1998, I, 525, passim; Paulus/Matzke, Smart Contracts und das BGB – Viel Lärm um nichts?, in: ZfPW 2018, passim; Schurr, Anbahnung, Abschluss und Durchführung von Smart Contracts im Rechtsvergleich, ZVglRW 118 (2019), passim; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der allgemeinen materiellrechtlichen Regelungen des Zivilrechts auf online-Verträge auch Finocchiaro, Il perfezionamento del contratto on line: opportunità e criticità, in: Dir. com. e scambi internaz., fasc. 1–2/2018, 187, 192 ff. 154 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 267; ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 64.
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solchen Vorhersehbarkeit in subjektiver Hinsicht werden im Folgenden erläutert.
cc) Gepflogenheiten und Gebräuche Als Umstände, die ein kollisionsrechtlich schützenswertes Interesse des Schweigenden an der Anwendung seines Aufenthaltsrechts entfallen lassen, sind des Weiteren zwischen den Parteien bislang bestehende Geschäftsbeziehungen und von ihnen befolgte Gepflogenheiten zu nennen.155 So kann beispielsweise eine Partei nicht auf die Geltung ihres Aufenthaltsrecht vertrauen und wird die Regeln des fremden Sachrechts kennen müssen, wenn die Parteien bei laufenden Geschäftsbeziehungen bislang stets ausdrücklich oder konkludent ihre Verträge einem bestimmten Vertragsstatut unterstellt haben.156 In einer laufenden Geschäftsbeziehung kann darüber hinaus auch ohne Rechtswahl grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Parteien wissen, welches Recht auf den Vertrag anwendbar ist und wie dieses ein bestimmtes Verhalten bei Vertragsschluss bewertet.157 Wählt eine Partei blind ein ihr unbekanntes Recht, so dürfte ihr regelmäßig Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unkenntnis des Inhalts des fremden Sachrechts vorzuwerfen sein, was ebenso zum Ausschluss der Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO führt.158 Auch die Kaufmannseigenschaft und die damit zusammenhängende Kenntnis bestimmter international üblicher Gebräuche kann eine rechtliche Bindung nach dem Vertragsstatut gerechtfertigt erscheinen lassen.159 Dies ergibt sich auch aus den Wertungen von Art. 9 CISG und Art. 25 Abs. 1 Satz 3 lit. b und c Brüssel Ia-VO, welche jeweils festlegen, dass den zwischen den Parteien bestehenden Gepflogenheiten sowie Handelsbräuchen, die den Parteien bekannt sind oder bekannt sein mussten und die in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein bekannt sind und regelmäßig beachtet werden, Bindungswirkung zukommt.160 Wenn beispielsweise die Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen bei bestimmten Branchen grenzüberschreitend üblich ist, wird der 155 Giuliano/Lagarde BT-Drs. 10/503, S. 60; ebenso Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 807; Memmo, Il consenso contrattuale, in: Galgano, Trattato di diritto commerciale, Band 47, 2007, S. 205. 156 Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978) 161, 186; Lagarde, Le nouveau droit international privé des contrats après l’entrée en vigueur de la Convention de Rome du 19 juin 1980, in: Rev. crit. dr. int. pr. 1991, 287, 327. 157 Vgl. Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 35. 158 Ebenso Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 28. 159 OLG Hamburg 23.2.1995 – 6 U 252/94, in: RIW 1997, 70; im Anschluss hieran Ferrari/ Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 19 VO (EG) 593/2008 Rn. 30; ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 61. 160 Vgl. ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 62; für eine
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Einwand, man habe auf die Regeln des Aufenthaltsrechts vertraut und daher nicht um die Bedeutung seines Schweigens gewusst, nicht durchgreifen können.161 Hinsichtlich des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist einzubeziehen, dass es sich in der Regel um ein nachkonsensuales Verhalten handelt, für das das Vertragsstatut bereits feststeht162: Der Bestätigende geht davon aus, dass ein Vertrag mit einem bestimmten Inhalt bereits geschlossen wurde, sodass es grundsätzlich zumutbar erscheint, das Vertragsstatut über eine Bindung entscheiden zu lassen, da sich die Parteien auf die Geltung von diesem einstellen konnten. Selbst wenn faktisch noch keine Einigung erzielt wurde, sind die Verhandlungen jeweils so weit gediehen, dass an eine Unzumutbarkeit der Bindung relativ hohe Anforderungen zu stellen sind.
dd) Erfahrung und Professionalität Generell gilt, dass das Vertrauen in die Anwendung des Aufenthaltsrechts umso weniger schützenswert erscheint, je mehr eine Partei rechtlich erfahren ist und professionell auftritt. Der im Einzelfall einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab verschiebt sich also mit der zunehmenden Geschäftserfahrung eines Vertragspartners nach oben.163 Zum einen gilt dies, wenn er beim Vertragsabschluss Rechtsberater hinzuzieht: Wird dabei kein Rechtsrat eingeholt hinsichtlich des anwendbaren Vertragsstatuts und dessen sachrechtlicher Regeln, etwa zur rechtlichen Relevanz eines Schweigens, so wird man zu seinen Lasten von einer Obliegenheitsverletzung ausgehen können.164 Zum anderen kann aber auch die persönliche Erfahrung zur Zumutbarkeit der Anwendung des Vertragsstatuts führen: Wenn beispielsweise die rechtliche Bedeutung eines Schweigens in den Vertragsverhandlungen zur Sprache kam, auf sie explizit hingewiesen wurde oder sie der Partei aufgrund früherer Vertragsschlüsse bekannt ist, besteht kein Grund, eine Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO zuzulassen.165 Auch die Vereinbarung einer internationalen Zuständigkeit im In- oder Ausland kann den Betroffenen dafür sensibilisieren, dass möglicherweise fremdes Recht zur Anwendung kommt, sodass die Berufung Analogie zu Art. 23 VO (EG) 44/2001 (nun Art. 25 Brüssel Ia-VO) Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 807 Fn. 16. 161 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 74 m. w. N. 162 Vgl. Budzikiewicz u. a./Weller, M., BeckOGK BGB, Stand 1.2.2020, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 65. 163 Vgl. Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 35. 164 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 384. 165 Mankowski, Widerrufsrecht und Art. 31 Abs. 2 EGBGB, in: RIW 1996, 382, 384 m. w. N.; Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 73 f.; ähnlich zum schweizerischen IPR Siehr, Gemeinsame Kollisionsnormen für das Recht der vertraglichen und ausservertraglichen Schuldverhältnisse, in: FS Moser, 1987, S. 101, 102.
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auf das Aufenthaltsrecht nicht durchgreift.166 Freilich mag das Vertrauen auf die Anwendung eigenen Rechts im Einzelfall dennoch schutzwürdig sein, etwa weil schon in vorhergehenden Verträgen so verfahren wurde und dennoch kein fremdes Vertragsstatut galt. Auch wenn die Regelung insbesondere natürlichen Personen als typischerweise schwächeren und weniger erfahrenen Marktteilnehmern zu Gute kommt, ist eine Anwendung auf juristische Personen vom Wortlaut der Norm her jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen und somit bei Vorliegen eines schützenswerten Vertrauens denkbar.167 Dass in der Regel gerade bei juristischen Personen und Kaufleuten die Schwelle für die Anwendung der Sonderanknüpfung besonders hoch liegt, rechtfertigt sich – ähnlich wie schon im Sachrecht – aufgrund deren besonderer Erfahrenheit und der damit einhergehenden, zu vermutenden Kenntnis internationaler Gebräuche. Verfügt ein Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung, kann sogar positive Kenntnis des fremden Rechts erwartet werden.168 Auch die Unternehmensstruktur, namentlich die Stellung als ausländische Tochterfirma einer im Land des Vertragsstatuts ansässigen gleichnamigen Firma, kann dazu führen, dass die Schutzbedürftigkeit entfällt und erwartet werden kann, dass sich die Tochterfirma auf die Geltung fremden Rechts einstellt.169
ee) Folgen des Rechtsgeschäfts Für die Beurteilung, ob die Bindung des Annehmenden unzumutbar erscheint, sind zudem auch, ähnlich wie schon im nationalen Sachrecht, die Folgen des Vertrages miteinzubeziehen: Beinhaltet das Rechtsgeschäft für den Schweigenden rein vorteilhafte Rechtsfolgen, so wirkt sich dies auch auf die Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Sonderanknüpfung aus.170 So wird eine Berufung auf das abweichende Aufenthaltsrecht nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO im Fall des contratto a carico del solo proponente (Vertrag zu Lasten des Anbietenden) oder einer deutschen Schenkung regelmäßig daran scheitern, dass das Festhalten am Vertrag nicht unzumutbar für den Annehmenden erscheint. Die Interessen des Vertragspartners und des Rechtsverkehres an Rechtssicherheit überwiegen insoweit über den Schutz vor einer ungewollten vertraglichen Bindung. 166 Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 10 VO (EG) 593/2008 Rn. 26. 167 Magnus/Mankowski/Queirolo, European Commentaries on Private International Law, Vol. II, 2017, Art. 10 Rome I Regulation, Rn. 22 f., 27. 168 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 275. 169 Hanseatisches OLG Hamburg 24.1.2003 – 11 Sch 06/01, in: SchiedsVZ 2003, 284, 287. 170 Budzikiewicz u. a./Weller, M., BeckOGK BGB, Stand 1.2.2020, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 62.
II. Die Rolle des Schweigens in der Rom I‑VO
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Ein weiteres, in die Abwägung einzubeziehendes Kriterium kann auch die wirtschaftliche Bedeutung eines Rechtsgeschäfts sein: So wird man bei wirtschaftlich besonders bedeutenden oder umfangreichen Geschäften erwarten können, dass Informationen zum anwendbaren Recht eingeholt werden.171
6. Rechtsfolgen Die Sonderanknüpfung an das Aufenthaltsrecht ist als vom Betroffenen zu erhebende Einrede, nicht als Rechtswirkung ipso iure, ausgestaltet und wird vom Richter daher nicht von Amts wegen berücksichtigt.172 Ausreichend ist für die Erhebung der Einrede, dass die Partei hinreichend deutlich macht, dass ihr Verhalten, wie beispielsweise ihr Schweigen, nicht als Zustimmung zum Vertrag zu verstehen war, Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO muss sie dabei nicht erwähnen.173 Die Gegenseite kann sich zur Beseitigung eines für sie ungünstigen Vertrags hingegen nie auf Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO berufen.174 Die Rechtsfolgen eines infolge der fehlenden Erklärungswirkung eines Schweigens gescheiterten bzw. nie erfolgten Vertragsschlusses richten sich bei Eingreifen der Sonderanknüpfung nach dem Aufenthaltsrecht gemäß Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO und nicht nach dem Vertragsstatut. Auch Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I‑VO (Nichtigkeitsfolgen) setzt nämlich voraus, dass zumindest dem äußeren Anschein nach zunächst ein Vertrag zustande gekommen ist, was aufgrund der fehlenden Einigung jedoch nicht der Fall ist.175 Andere wollen zwar grundsätzlich für die Rückabwicklung an das Vertragsstatut anknüpfen, soweit das Aufenthaltsrecht eine Besserstellung des Betroffenen vorsieht, aber dieses anwenden.176 Die erste Lösung dürfte praktikabler sein, da so ein Vergleich der beiden Rechtsordnungen mit unter Umständen komplexen Ermittlungen zu mindestens einer fremden Rechtsordnung vermieden werden kann. Das für das vertragliche Schuldverhältnis maßgebliche Recht entscheidet nach Art. 18 Abs. 1 Rom I‑VO auch über die Beweislast und eventuelle Vermutungsregelungen.
171 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art.10 Rom I‑VO Rn. 278. 172 Cortese, Art. 10 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 804, 806; Villani, La Convenzione di Roma sulla legge applicabile ai contratti, 2. Auflage 2000, S. 188 (zu Art. 8 EVÜ); Herberger u. a./Limbach, jurisPK-BGB Band 6, 9. Auflage 2020 (Stand 1.3.2020) Art. 10 Rom I‑VO Rn. 21 m. w. N. 173 OLG Düsseldorf 20.6.1997 – 7 U 196/95, in: RIW 1997, 780; Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 13; ebenso Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 60. 174 Calliess/Schulze, Rome Regulations, Commentary, 2. Auflage 2015, Art. 10 Rome I, Rn. 32 m. w. N. 175 Staudinger/Hausmann, BGB 2016, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 55. 176 Budzikiewicz u. a./Weller, M., BeckOGK BGB, Stand 1.2.2020, Art. 10 Rom I‑VO Rn. 59.
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7. Zusammenfassender Überblick zur Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO Kommt es zu einer Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO, weil der Schweigende einwendet, dass er nach seinem Aufenthaltsrecht nicht gebunden sei, so erwartet den Rechtsanwender eine sehr komplexe Prüfung: Zum einen hat er eine umfassende IPR-immanente Abwägung vorzunehmen, ob eine Unzumutbarkeit der vertraglichen Bindung vorliegt. Dabei zeigt sich, dass der Anwendungsbereich und die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift im Einzelnen teils stark umstritten sind und die einzelfallbezogene Abwägung der Zumutbarkeit der Anwendung eines vom Aufenthaltsstatut abweichenden Rechts die Einbeziehung objektiver wie subjektiver Gesichtspunkte erfordert. Zum anderen muss der Rechtsanwender aber bereits in einem ersten Schritt klären, ob nach dem Vertragsstatut ein wirksamer Vertrag vorliegt, während nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Schweigenden gerade kein solcher besteht. Hiermit ist ein vertieftes Eintauchen in mindestens eine dem Rechtsanwender fremde Rechtsordnung verbunden, was eine beträchtliche Gefahr birgt, diese falsch zu interpretieren. So kann man sich beispielsweise nicht mit der Feststellung zufriedengeben, dass das italienische Recht die Figur des kaufmännischen Bestätigungsschreibens als gewohnheitsrechtlichen Rechtssatz nicht kennt, sondern muss prüfen, ob nicht im Einzelfall ein silenzio circostanziato bejaht werden würde. Dies setzt eine intensive Auseinandersetzung mit der italienischen Rechtspraxis und Literatur voraus. Aber auch umgekehrt wird ein italienisches Gericht sich etwa mit der keineswegs banalen Frage auseinandersetzen müssen, wie das deutsche Recht Fälle löst, die in Italien unter Art. 1333 Abs. 2 c. c. gefasst werden und ob nicht auch das deutsche Recht trotz des Fehlens einer entsprechenden Normierung eine verpflichtende Wirkung des Schweigens annähme. Im deutsch-italienischen Rechtsverkehr ist dabei allerdings zu konstatieren, dass der Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO angesichts der weitgehenden Übereinstimmungen in der Behandlung des Schweigens als Verpflichtungsgrund im vertragsrechtlichen Kontext (dazu oben § 3 II. und § 4 II.) insgesamt recht gering sein dürfte.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 313
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf weitere Gebiete des Kollisionsrechts Die in Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO getroffene Regelung wurde teilweise in weitere EU-Verordnungen übernommen. Aber auch dort, wo dies nicht geschehen ist, wird im nationalen wie europäischen Kollisionsrecht eine Diskussion um eine entsprechende Anwendung der Norm geführt.
1. Die Rolle des Schweigens im internationalen Familienrecht Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO war zunächst Vorbild für mehrere Regelungen im Bereich des internationalen Familienrechts, genauer im Bereich der dort eröffneten Rechtswahlmöglichkeiten für die Ehepartner.
a) Rom III-VO So übernimmt der auf Rechtswahlen bei Scheidungen anwendbare Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (im Weiteren: Rom III-VO) die Regelung fast wortlautgleich für die Beurteilung des Verhaltens eines Ehegatten als Zustimmung zu einer Rechtswahlvereinbarung. Nicht überzeugend ist daran zunächst, dass, anders als bei Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO, nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen im Zeitpunkt der Vereinbarung, sondern im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts abgestellt wird.177 Jemand der aufgrund seines Schweigens oder sonstigen Verhaltens von einer Vereinbarung überrascht wird, ist nämlich gerade nur deshalb schutzbedürftig, weil er sich auf sein Aufenthaltsrecht im Zeitpunkt der Vereinbarung und dessen Bewertung seines Verhaltens verlässt; über das Recht des Aufenthaltsortes, den er vielleicht später bei einer eventuellen Anrufung eines Gerichts haben wird, wird er sich keine Gedanken machen.178 Hinzu kommt, dass damit grundsätzlich auch einer missbräuchlichen Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes vor der Anrufung eines Gerichts Tür und Tor geöffnet wäre und daher immer im Rahmen der Zumutbarkeit der Bindung geprüft werden müsste, ob die Aufenthaltsverlegung nur dem Zweck der Erlangung eines 177 Bamberger/Roth/Heiderhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021) VO (EU) 1259/2010 Art. 6 Rn. 9; Biagioni, Art. 6 reg. UE n. 1259/2010, in: Le nuove leggi civili commentate 2011, 1484, 1486 f.; Franzina, L’autonomia della volontà nel regolamento sui conflitti di leggi in materia di separazione e divorzio, in: Riv. dir. int., 2011, 488, 493 f. (dort wird die Regelung irrtümlich als Art. 7 bezeichnet). 178 Vgl. ebenso Biagioni, Art. 6 reg. UE n. 1259/2010, in: Le nuove leggi civili commentate 2011, 1484, 1487; Franzina, L’autonomia della volontà nel regolamento sui conflitti di leggi in materia di separazione e divorzio, in: Riv. dir. int., 2011, 488, 494.
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günstigeren Rechts diente.179 Schon deshalb wird eine zurückhaltende Anwendung der Norm befürwortet.180 Darüber hinaus ist zu bezweifeln, ob die Norm in der Praxis überhaupt einen Anwendungsbereich hat:181 Art. 7 Abs. 1 Rom III-VO verlangt nämlich mindestens die Unterzeichnung der schriftlichen Vereinbarung durch beide Ehegatten, sodass letztlich kein vorstellbarer Raum für ein konkludentes Verhalten oder gar ein Schweigen eines Ehegatten bleibt, das auf seine Zustimmung zur Rechtswahl schließen lässt.182 Zusätzlichen Formanforderungen an die Rechtswahl nach dem teilnehmenden Mitgliedsstaat des gewöhnlichen Aufenthalts von einem oder beiden Ehegatten ist überdies nach Art. 7 Abs. 2 bis 4 Rom III-VO Geltung zu verleihen. Eine Rechtswahl durch ein reines Schweigen ist damit nicht möglich. Denkbar wäre aber immerhin eine unbemerkte „Mitwahl“ des Scheidungsstatuts im Rahmen eines Ehevertrags oder einer Scheidungsfolgenvereinbarung, wenn sich aus dem Vereinbarungskontext entnehmen lässt, dass die Ehegatten von der Anwendbarkeit eines bestimmten Sachrechts auf die etwaige spätere Scheidung ausgingen. Gegen die Zulässigkeit einer solchen konkludenten Rechtswahl, bei der Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO Wirkung entfalten könnte183, spricht, dass eine solche, auch wenn sie äußerlich den Formerfordernissen an eine Rechtswahl genügen mag184, dem Normzweck von Art. 7 Rom III-VO zuwider läuft. Auch die Erwägungsgründe 17 bis 19 stützen diese Auffassung, unterstreichen sie doch die Bedeutung der Information und Aufklärung der Ehegatten über die rechtlichen und sozialen Folgen einer Rechtswahl.185 Dass die Rom III-VO, anders als die Rom I‑VO in Art. 3 Abs. 1 S. 2 1. Var. 179 Vgl. Hausmann/Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Auflage 2018, Art. 6 Rom III-VO Rn. 401. 180 Biagioni, Art. 6 reg. UE n. 1259/2010, in: Le nuove leggi civili commentate 2011, 1484, 1487. 181 Zurecht v. Hein/Winkler v.Mohrenfels, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 6 Rom III-VO Rn. 8; Winkler v. Mohrenfels: Die Rom III-VO, in: ZEuP 2013, 699, 711; ebenso Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Art. 6 Rom III-VO Rn. 2; zweifelnd auch Biagioni, Art. 6 reg. UE n. 1259/2010, in: Le nuove leggi civili commentate 2011, 1484, 1486 („[…] rilevanza […] evidentemente assai attenuata […]“); a. A. Hausmann/Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Auflage 2018, Art. 6 Rom III-VO Rn. 399. 182 Ebenso Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 4. Auflage 2017, Rn. 79 m. w. N.; OLG Hamm 22.4.2016 – 3 UF 262/15, in: BeckRS 2016, 12325; vgl. auch Biagioni, Art. 6 reg. UE n. 1259/2010, in: Le nuove leggi civili commentate 2011, 1484, 1486. 183 Befürwortend Gruber, Scheidung auf Europäisch – die Rom III-Verordnung, in: IPRax 2012, 381, 387; Hausmann/Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Auflage 2018, Art. 6 Rom III-VO Rn. 399; für einen (wenn auch geringen) Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO auch Rösler, Rechtswahlfreiheit im internationalen Scheidungsrecht der Rom III-Verordnung, in: RabelsZ 78 (2014), 155, 179. 184 So v. Hein/Winkler v.Mohrenfels, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 6 Rom III-VO Rn. 6; a. A. Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Art. 6 Rom IIIVO Rn. 2. 185 Ebenso Helms, Reform des internationalen Scheidungsrechts durch die Rom III-Verordnung, in: FamRZ 2011, 1765, 1768.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 315
oder die Rom II-VO in Art. 14 Abs. 1 S. 2 1. Var. nicht die Ausdrücklichkeit der Rechtswahl erwähnt, bedeutet noch nicht, dass deshalb selbstverständlich von der Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl auszugehen ist: Aufgrund der in Art. 7 Rom I‑VO aufgestellten Formerfordernisse dürfte der Gesetzgeber angenommen haben, dass eine Klarstellung hinsichtlich der Ausdrücklichkeit überflüssig ist. Hinzu kommt, dass die Wahl des Scheidungsstatuts wesentlich längerfristige und schwerwiegendere Folgen haben kann als die bloße Rechtswahl für einen einzelnen Schuldvertrag oder ein einzelnes außervertragliches Schuldverhältnis und schon aus diesem Grund eine beiläufige konkludente Wahl des Rechts ausgeschlossen sein sollte. Selbst wenn man aber eine solche konkludente Rechtswahl zulässt, dürfte kaum ein praktischer Anwendungsbereich für die Vorschrift bestehen: bei Einhaltung der Formvorschriften nach Art. 7 Rom III-VO ist die Anwendung des hypothetischen Scheidungsstatuts auf die Vereinbarung nämlich kaum unzumutbar186, da man hierfür, ähnlich wie bei Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO, auch auf die Erkennbarkeit der Anwendung eines fremden Rechts wird abstellen müssen und die Unterschrift unter der schriftlichen Vereinbarung insoweit hinreichende Warnfunktion entfaltet. Auch aus einem weiteren Grund dürfte der Ehepartner kaum mit dem Einwand nach Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO durchdringen: Die konkludente Wahl eines Vertragsstatuts nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 2. Var. Rom I‑VO muss sich eindeutig aus den Vertragsbestimmungen oder Umständen des Einzelfalles ergeben – die Wahl des Scheidungsstatuts, die ja den Formerfordernissen des Art. 7 Rom III-VO genügen muss, könnte sich damit allenfalls aus den Bestimmungen des Ehevertrages o. ä. ergeben, nicht aber aus den Umständen. Um von einer konkludenten Rechtswahl ausgehen zu können, müsste sich dabei die Zugrundelegung eines bestimmten Scheidungsstatuts durch Bezugnahme auf nationale Regelungen und Rechtsinstitute so unzweideutig aus der Vereinbarung ergeben, dass der Einwand, man habe unwissentlich zugestimmt, ins Leere gehen dürfte. Problematisch ist, dass die faktische Überflüssigkeit der Vorschrift dazu verleiten könnte, beispielsweise eine Rechtswahl ohne hinreichende Aufklärung als „Verhalten“ im Sinne der Norm zu werten, wodurch die Verlässlichkeit einer Rechtswahl beeinträchtigt würde.187 Einer solch extensiven Auslegung der als Ausnahmeregelung gedachten Vorschrift ist mit dem Argument entgegenzutreten, dass für sie aufgrund anderer Schutzmechanismen und der Konzeption der Rom III-VO kein Bedarf besteht: sobald die in Art. 7 Rom III-VO niedergelegten Formvorschriften erfüllt sind, ist die Vereinbarung zumindest zustande ge186 So etwa Bamberger/Roth/Heiderhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021) VO (EU) 1259/2010 Art. 6 Rn. 9 m. w. N.; Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, Art. 6 Rom III-VO Rn. 2. 187 Krit. daher Rieck, Möglichkeiten und Risiken der Rechtswahl nach supranationalem Recht bei der Gestaltung von Ehevereinbarungen, in: NJW 2014, 257, 261.
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kommen: Ob sie inhaltlich wirksam ist, bemisst sich allein danach, ob die Ehegatten ein Recht aus dem Kreis der nach Art. 5 Abs. 1 Rom III-VO wählbaren Rechte gewählt haben und ob die Rechtswahl der Kontrolle durch die allgemeine ordre public-Klausel des Art. 12 Rom III-VO standhält sowie einer Überprüfung durch die besonderen Vorbehaltsklauseln in Art. 10 und 13 Rom III-VO. Ebenso wie Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bezieht sich Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO damit nur auf den äußeren Abschlussmechanismus, nicht aber die Wirksamkeit einer Vereinbarung188, freilich mit dem Unterschied, dass aufgrund der Formvorschriften in Art. 7 Rom III-VO letztlich kein praktischer Anwendungsbereich für die auf ein Schweigen oder sonstiges konkludentes Verhalten zugeschnittene Ausweichklausel erkennbar ist. Auch hinsichtlich des Scheidungsstatuts besteht mangels denkbarer Anwendungsfälle für eine analoge Heranziehung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO keine Notwendigkeit: Europäische Rechtsordnungen wie die italienische und deutsche setzen für eine Scheidung die aktive Mitwirkung beider Ehegatten sowie ein gerichtlich oder zumindest hoheitlich189, teils auch kirchengerichtlich190 geordnetes Verfahren voraus. Aber auch außerhalb des europäischen Kulturkreises sind kaum Scheidungen infolge eines Schweigens denkbar: Während es für eine sog. muslimische talaq-Scheidung wegen der fehlenden Empfangsbedürftigkeit oder zumindest der fehlenden Widerspruchsmöglichkeit191 der Ehefrau schon nicht auf deren Schweigen ankommt, gilt beim jüdischen Scheidungsbrief, der get, dass das Rabbinatsgericht, wenn die Ehefrau die Annahme des Briefes verweigert, dem Ehemann eine Befreiung erteilen kann, was zur Folge hat, dass dieser entweder vom Verbot der Polygamie befreit ist oder die Ehe gegen den Willen der Ehefrau geschieden werden kann192. Eine solche Privatscheidung stellt jedoch weniger eine international-privatrechtlich problematische, da überraschende Anknüpfung an ein Unterlassen (keine Annahme des Briefes) dar als wegen der mit ihr einhergehenden Benachteiligung der Ehefrau einen Anwendungsfall des speziellen ordre-public-Vorbehalts in Art. 10 Rom III-VO193. 188 So auch Hausmann/Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Auflage 2018, Art. 6 Rom III-VO Rn. 398. 189 Dazu Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2008, S. 7 ff. 190 Vgl. für Italien der Lateranvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 27.5.1929 in der Fassung vom 18.2.1984. 191 v. Hein/Winkler v.Mohrenfels, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 17 EGBGB Rn. 15; Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2008, S. 63; Pauli, Islamisches Familien- und Erbrecht und ordre public, 1994, S. 20 m. w. N. 192 Weller, M.‑P./Hauber/Schulz, Gleichstellung im Internationalen Scheidungsrecht – talaq und get im Licht des Art. 10 Rom III-VO, in: IPRax 2006, 123, 125. 193 Eingehend zu Normzweck, Anwendungsfällen und Rechtsfolgen Bamberger/Roth/ Heiderhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021) VO (EU) 1259/2010 Art. 10 Rn. 1 ff.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 317
b) Güterkollisionsrecht Soweit eine analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bislang für Rechtswahlen im Bereich des internationalen Güterrechts von Ehen und Partnerschaften angedacht wurde, erübrigt sich die Diskussion für Fälle ab der Geltung der Verordnungen Nr. 1215/2012 (im Weiteren: EuGüVO) und der Verordnung (EU) Nr. 1104/2016 (im Weiteren: EuPartVO) am 29. Januar 2019. Art. 24 Abs. 2 EuGüVO sowie Art. 24 Abs. 2 EuPartVO treffen nämlich, anders als noch der Vorschlag für die EuGüVO vom 16. März 2011 (KOM 126 endg.) und der Vorschlag für die EuPartVO vom 16. März 2011 (KOM 127 endg.), die noch keine Rechtswahlmöglichkeit vorsahen, eine dem Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO entsprechende Regelung für Rechtswahlvereinbarungen. Die in die Endfassung der Verordnungen aufgenommene Ausweichklausel für Rechtswahlvereinbarungen im Güterkollisionsrecht ist, ebenso wie Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO, Gegenstand von Kritik, da ein sinnvoller Anwendungsbereich für sie in der Rechtspraxis nicht erkennbar sei.194 In der Tat ist es auch hier angesichts der Formanforderungen für eine Rechtswahl im Bereich des internationalen Güterrechts kaum denkbar, durch ein Schweigen „versehentlich“ einer Rechtswahlvereinbarung zuzustimmen. Art. 23 Abs. 1 EuGüVO und Art. 23 Abs. 1 EuPartVO sehen als Mindestanforderung nämlich, ebenso wie Art. 7 Rom III-VO, neben der Schriftform und Datierung eine Unterschrift der Ehegatten bzw. Partner vor. Die folgenden Absätze in Art. 23 der Verordnungen machen die Beachtung zusätzlicher Formvorschriften des mitgliedsstaatlichen Aufenthaltsrechts (Abs. 2) und des Güterstatuts (Abs. 3) erforderlich. Soweit die Zulässigkeit einer konkludenten Wahl des Güterkollisionsrechts im Rahmen eines Ehevertrags angedacht werden sollte, ist auch hier zu entgegnen, dass dies zu einem Unterlaufen des Normzwecks von Art. 23 EuGüVO bzw. EuPartVO führen würde, was auch durch einen Blick in den Erwägungsgrund 47 untermauert wird. Dieser fordert nämlich ausdrücklich, dass hinsichtlich der Formgültigkeit Schutzvorkehrungen getroffen werden, die sicherstellen, dass die Ehegatten sich der Tragweite ihrer Rechtswahl bewusst werden. Dies wäre nicht gewährleistet, ließe man eine unbemerkte Rechtswahl innerhalb eines Ehevertrages zu. Dieses Argument wiegt umso schwerer, als die Wahl eines Güterstatuts erhebliche nachteilige vermögensrechtliche Konsequenzen für die betroffenen Ehegatten nach sich ziehen kann. Auch Art. 24 Abs. 2 EuGüVO und EuPartVO verfügen damit, ebenso wie Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO und im Gegensatz zu ihrem Vorbild in Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO, über keinen praktischen Anwendungsbereich. 194 Hilbig-Lugani, Parteiautonomie im Zusammenspiel des neueren Europäischen Kollisionsrechts, in: DNotZ 2017, 739, 756 m. w. N.; zweifelnd auch Schulze/Kemper, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Auflage 2021, Art. 24 EuGüVO Rn. 24.
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2. Die Rolle des Schweigens im internationalen Erbrecht Wesentlich wichtiger erscheint hingegen schon aufgrund der weitreichenden Konsequenzen eines Eintritts in die Rechtsstellung des Erblassers eine Regelung des Schweigens im internationalen Erbrecht. Umso überraschender mutet es an, dass eine solche kollisionsrechtliche Regelung, anders als im Bereich des Familienrechts, zumindest nicht ausdrücklich getroffen wurde. Freilich stellt sich die Problematik einer analogen Anwendung des Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf Rechtswahlvereinbarungen im Erbrecht nicht, da der der Erblasser bereits verstorben ist und der Erbe keine Person ist, dessen Vertrauen auf die Anwendung des Aufenthaltsrechts des Erblassers schutzwürdig ist.195 Konstellationen, in denen der Erblasser selbst schutzwürdig hinsichtlich der Rechtsfolgen seines Schweigens erscheint, sind nur schwer vorstellbar. Jedoch kann die Bewertung des Verhaltens eines (potentiellen) Erben entscheidend sein für dessen Eintritt in die Rechtsnachfolge oder den Verlust seines Ausschlagungsrechts.
a) Problem: National differierende Regelungen Das Schweigen begegnet nicht nur im oben vorwiegend thematisierten vertragsrechtlichen Kontext, sondern auch im Bereich der Ausschlagung oder Annahme einer Erbschaft (dazu bereits oben § 3 III. 1. b) und § 4 III. 1. a) bb)). Ein sich an seinem Aufenthaltsrecht orientierender Erbe kann sich möglicherweise aufgrund seines Schweigens überraschenden Rechtsfolgen gegenübersehen: Zwar erkennen alle europäischen Rechtsordnungen im Gegensatz zum römisch-rechtlichen heres necessarius an, dass der Betroffene privatautonom entscheiden kann, ob er das Erbe antritt oder nicht, unterscheiden sich aber in wesentlichen Details196: Dies betrifft zunächst die grundlegende Frage, ob eine Annahme der Erbschaft zum Erbschaftserwerb überhaupt erforderlich ist: so sieht das italienische Recht grundsätzlich die Annahme als erforderlich an, sei es in der Gestalt einer auch konkludent möglichen accettazione pura e semplice (schlichte Annahme) oder einer formbedürftigen accettazione col beneficio d’inventario (Annahme unter Vorbehalt der Inventarerrichtung). Daneben besteht freilich die praktisch sehr relevante Möglichkeit eines Erbschaftserwerbs infolge der fehlenden Inventarerrichtung, wenn der Erbe bereits in Besitz eines Erbschaftsgegenstandes ist. Andere Rechtsordnungen wie Deutschland (§ 1922 Abs. 1 BGB) gehen hingegen vom Erwerb der Erbschaft ipso iure aus. Wieder andere erachten eine staatliche Einweisung in die Erbschaft als erforderlich, wie das österreichische 195 196
Vgl. v. Hein/Dutta, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 22 EuErbVO Rn. 20. Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 455.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 319
Recht (§ 797 Abs. 1 ABGB) mit der sog. Einantwortung durch das Gericht, die auf die Annahmeerklärung folgt. Zudem differieren die nationalen Regelungen aber auch deutlich hinsichtlich der Frist, binnen derer eine Ausschlagung erklärt werden kann. Das französische Erbrecht sieht etwa in Art. 780 Abs. 1 des französischen Code civil eine Frist von zehn Jahren für die Entscheidung vor, ob man das Erbe ausschlagen will. Im materiellen deutschen Erbrecht kommt § 1944 Abs. 3 BGB hingegen einem sich im Ausland aufhaltenden Erben im Vergleich nur sehr geringfügig entgegen, indem es die eigentlich vorgesehene Ausschlagungsfrist von sechs Wochen gemäß § 1944 Abs. 1 BGB auf sechs Monate anhebt. Gemildert wird dies zwar durch die Möglichkeit der (freilich wiederum fristgebunden) Anfechtung des Versäumens der Frist zur Ausschlagung nach § 1956 BGB, wenn der Erbe über den Eintritt oder die Wirkung des Fristablaufs in Unkenntnis war und nicht den Willen hatte, die Erbschaft endgültig zu behalten.197 Dennoch ist die relativ kurze Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 1 BGB Gegenstand von Kritik, da die Gefahr besteht, dass Erben angesichts der geringen Zeitspanne unüberlegte Entscheidungen treffen und es faktisch zu einem „Annahmedruck“ kommt.198 Auch im italienischen Recht kann es infolge des Fristablaufes für eine entsprechende Erklärung zum Verlust der Möglichkeit der Erbschaftsannahme unter Inventarerrichtung kommen, sodass der Erbe aufgrund seines Schweigens erede puro e semplice wird. Schließlich betrifft die Frage der Bewertung eines Schweigens als Annahme oder Verzicht auf ein Ausschlagungsrecht auch den Übergang eines Vermächtnisses auf den Vermächtnisnehmer. Letztere erfolgt im italienischen Recht unmittelbar aufgrund des Todes des Erblassers, wobei der Begünstigte durch sein Schweigen das Recht zum Verzicht auf das Vermächtnis verlieren kann. Diese Rechtsfolge seiner Untätigkeit mag für einen deutschen Vermächtnisnehmer, dem aus seiner Rechtsordnung nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf das Vermächtnis bekannt ist, überraschend sein. Die einzelnen Rechtsordnungen korrigieren ihre Grundentscheidung hinsichtlich des Ablaufs eines Erbschaftserwerbs in einzelnen Punkten zugunsten eines hierdurch überraschend zum Erben oder Vermächtnisnehmer Gewordenen durch gewisse, bei Auslandsbezug mitunter auch verlängerte, Zeiträume zur Ausschlagung oder durch Anfechtungsmöglichkeiten. Dennoch bestehen insbesondere in internationalen Erbfällen Schutzlücken für denjenigen, der sein Verhalten an seinem Aufenthaltsrecht ausrichtet. Gerade weil es sich bei der Erbenstellung um eine im Vergleich zu einer schuldrechtlichen Bindung ungleich schwerer wiegenden Rechtsnachfolge mit unter Umständen gravierenden vermögensrechtlichen Konsequenzen handelt, besteht möglicherweise ein Bedarf, 197 Kessal-Wulf/Leipold, MüKo BGB, Band 11, 8. Auflage 2020, § 1956 Rn. 9. 198 Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, Gutachten A zum 68. Deutschen
tag, 2010, A 48.
Juristen-
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts schützend einzugreifen. Unter Geltung des nationalen deutschen Erbkollisionsrechts (Art. 25 EGBGB a. F.) wurde daher teilweise eine Analogie zu Art. 31 Abs. 2 EGBGB a. F. bzw. Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO erwogen.199
b) Neuerungen durch die EuErbVO Die für Erbfälle ab dem 17. August 2015 geltende Verordnung (EU) Nr. 650/2012 (sog. EuErbVO) bestimmt in Art. 23 Abs. 2 lit. e, dass dem Erbstatut insbesondere „der Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, Rechte und Pflichten auf die Erben und gegebenenfalls die Vermächtnisnehmer, einschließlich der Bedingungen für die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft oder eines Vermächtnisses und deren Wirkungen“ unterfallen. Der Erwerbsmodus und insbesondere auch die Frage, ob und wie lange eine Annahme oder Ausschlagung durch ein Schweigen oder konkludente Handlungen erfolgen kann, unterliegen also dem Erbstatut.200 Einen Schutz des durch ein bloßes Schweigen möglicherweise überraschend zum Erben oder Vermächtnisnehmer Gewordenen nach dem Vorbild des Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO sieht die EuErbVO hingegen jedenfalls nicht in ausdrücklicher Form vor. Sie trifft jedoch immerhin Regelungen zur Form einer Ausschlagung (Art. 28 EuErbVO) sowie zur Zuständigkeit für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärung und von anderen Erklärungen betreffend die Erbschaft (Art. 13 EuErbVO). Nach Art. 28 EuErbVO ist eine Annahme oder Ausschlagung bereits wirksam, wenn sie entweder den Formerfordernissen des Erbstatuts (Art. 28 lit. a EuErbVO) oder denen des Staates, in dem der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 28 lit. b EuErbVO), genügt. Damit wird in kollisionsrechtlicher Sicht ein favor negotii etabliert, der insbesondere im Zusammenspiel mit Art. 13 EuErbVO nach der Intention der Verordnung (vgl. Erwägungsgrund 32) dem Erben die Abgabe seiner Ausschlagungserklärung erleichtern soll.201 In verfahrensrechtlicher Hinsicht ermöglicht zudem Art. 13 EuErbVO eine Abgabe der Annahme- oder Ausschlagungserklärung oder Erklärung zur Haftungsbegrenzung nicht nur gegenüber dem für die Rechtsnachfolge von Todes wegen 199 Befürwortend: Staudinger/Dörner, BGB 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 115; ablehnend: Sonnenberger/Birk, MüKo BGB, Band 11, 5. Auflage 2010, Art. 25 EGBGB Rn. 236; Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459. 200 Bonomi/Wautelet/Wautelet, Le droit européen des successions, Commentaire, 2. Auflage 2016, Art. 23 Rn. 57; Damascelli, Diritto internazionale privato delle successioni a causa di morte, 2013, S. 16. 201 Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 458; Davì/Zanobetti, Il nuovo diritto internazionale privato europeo delle successioni, 2014, S. 129; für eine Berücksichtigung auch der lex loci actus: Damascelli, Diritto internazionale privato delle successioni a causa di morte, 2013, S. 108.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 321
zuständigen Gericht, sondern auch gegenüber dem Gericht des Mitgliedsstaats, in dem der (Pflichtteils-)Erbe oder Vermächtnisnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit diese Erklärungen nach dem Rechts des Mitgliedsstaates vor einem Gericht abgegeben werden können. Dabei ist umstritten, ob hierdurch bloß ein besonderer Gerichtsstand geschaffen wurde202 oder ob es sich um einen fristwahrenden Substitutionstatbestand handelt, wodurch mit Abgabe der Erklärung beim Gericht des Aufenthaltsstaates die vom Erbstatut vorgesehene Frist zur Abgabe gewahrt ist203. Für letzteres spricht, dass ansonsten ein Anwendungsbereich von Art. 13 EuErbVO kaum ersichtlich ist und zudem nur auf diese Weise die angestrebte Vereinfachung internationaler Erbfälle erreicht werden kann. Die kurz bemessene Frist zur Ausschlagung von 6 Wochen bzw. 6 Monaten nach deutschem Recht (§ 1944 BGB) wird hierdurch also zumindest ein wenig abgemildert. Allerdings bietet Art. 13 EuErbVO erst dann Schutz, wenn der Erbe zumindest irgendwie positiv tätig wird; für ein rein passives Verhalten mit Erklärungsbedeutung ergibt sich hieraus keine Lösung. Möglicherweise könnte die Zulässigkeit eines Schweigens als Erbschaftsannahme oder konkludenter Verzicht auf die Ausschlagung als Formfrage im Sinne von Art. 28 EuErbVO behandelt werden.204 Auch wenn dies noch nicht notwendig aufgrund des Wortlautes von Art. 28 EuErbVO („declaration“, „Erklärung“, „dichiarazione“) ausgeschlossen ist205, da nach dem mitgliedstaatlichen Sachrechten möglicherweise auch ein Schweigen eine (Willens-)Erklärung sein kann (oben § 3 II. 6. b) und § 4 II. 8. b)), ergibt sich jedoch aus dem Zuschnitt der Norm auf die Erleichterung der Einhaltung von Formvorschriften, dass nur mehr oder weniger formelle, mindestens aber ausdrückliche Erklärungen gemeint sind. Die Frage einer Erbschaftsannahme oder des Verlusts eines Ausschlagungsrechts durch ein Schweigen oder konkludentes Verhalten bleibt dagegen dem Erbstatut unterworfen.206 Bei einer Anwendung von Art. 28 lit. b EuErbVO auf nicht amtsempfangsbedürftige Annahmeerklärungen bestünde 202 So Eichel, Die Grenzen der Ersetzung inländischer Ausschlagungserklärungen durch ihre Abgabe im Ausland gem. Art. 13 EuErbVO, in: ZEV 2017, 545, 550; Hausmann/Odersky/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Auflage 2017, § 15 Rn, 384. 203 So v. Hein/Dutta, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 13 EuErbVO Rn. 10; Lange/Holtwiesche, Die Erbausschlagung eines im Ausland lebenden Erben unter Berücksichtigung der ErbVO, in: ZErb 2016, 29, 33; Rauscher/Hertel, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Kommentar, Band 5, 4. Auflage 2016, Art. 13 EuErbVO Rn. 12. 204 So wohl für die Annahme (wenn auch im Ergebnis ablehnend) Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459; ablehnend auch v. Hein/Dutta, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 28 EuErbVO Rn. 5. 205 So aber Calvo Caravaca/Davì/Mansel/Zanobetti, The EU Succession Regulation, A Commentary, 2016, Art. 28 Rn. 6. 206 Ebenso Bonomi/Wautelet/Wautelet, Le droit européen des successions, Commentaire, 2. Auflage 2016, Art. 28 Rn. 10; Calvo Caravaca/Davì/Mansel/Zanobetti, The EU Succession Regulation, A Commentary, 2016, Art. 28 Rn. 6.
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zudem die Gefahr, dass vom Erbstatut wohlüberlegte und dem Übereilungsschutz dienende Formanforderungen durch geringere Anforderungen des Aufenthaltsrechts unterlaufen würden.207 Beide Vorschriften mögen zwar damit die Abwicklung internationaler Erbfälle für den Erben erleichtern, ein unmittelbarer Schutz vor den Rechtsfolgen eines Schweigens oder rein passiven Verhaltens ist dadurch jedenfalls nicht gewährleistet. Fraglich und umstritten bleibt daher, ob eine analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO im Rahmen der EuErbVO für die Fälle einer überraschenden Erbschaftsannahme oder Ausschlagung infolge eines Schweigens vorgenommen werden sollte.208 Die Übernahme des Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO in weitere EU-Verordnungen spricht – unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit – in der Tat dafür, dass die Berücksichtigung des Ortsrechts hinsichtlich der Bewertung eines Schweigens mittlerweile ein auf europäischer Ebene kollisionsrechtlich anerkanntes Prinzip ist. Freilich hat der europäische Gesetzgeber, obgleich er sich, wie Art. 13 und 28 EuErbVO zu entnehmen ist, zumindest bis zu einem gewissen Grad der Problematik im Zusammenhang mit der Ausschlagung bewusst war, die Regelung gerade nicht in die EuErbVO übernommen, sodass am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zu zweifeln ist. Hinzu kommen Bedenken, dass eine Korrektur der vom Erbstatut vorgesehenen Regelung durch das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO analog das fein austarierte System des Erwerbsmodus im materiellen Erbrecht aus dem Gleichgewicht bringen könnte.209 Wie oben gesehen, liegt den Erwerbsmodi im nationalen Erbrecht nämlich eine gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, welche Interessen höher bewertet werden – eine rasche Nachlassabwicklung oder eine Überlegungszeit des Erben, Rechtssicherheit für Dritte wie beispielsweise weitere Erben und Nachlassgläubiger oder der Schutz des Erben. Von dieser grundlegenden Weichenstellung hängen wiederum weitere Entscheidungen der jeweiligen Rechtsordnung ab, etwa Regelungen zur Anfechtung des eingetretenen Erwerbs oder der Haftungsbeschränkung. Anders als im Vertragsrecht, wo auch international gesehen der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse gilt, sind beim Erbschaftserwerb zudem zahlreiche Rechte Dritter wie die der Nachlassgläubiger oder Pflichtteilsberechtigten tan207 So
auch Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 461; a. A. jedoch Hausmann/Odersky/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Auflage 2017, § 15 Rn. 383. 208 Befürwortend v. Hein/Dutta, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 23 EuErbVO Rn. 24; ablehnend Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459; offen gelassen wohl von Bonomi/Wautelet/Wautelet, Le droit européen des successions, Commentaire, 2. Auflage 2016, Art. 23 Rn. 57. 209 Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459.
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giert.210 Die Interessenlage im internationalen Erbrecht ist damit eine andere als im internationalen Vertragsrecht, wo das nationale Sachrecht den Eingriff durch das fremde Sachrecht des Aufenthaltsortes hinsichtlich des Vertragsschlusses leichter verschmerzen kann – Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO führt gegebenenfalls eben dazu, dass ein Vertrag nicht zustande gekommen ist, doch betrifft dies unmittelbar nur die Parteien des vermeintlichen Vertrags und keinen Dritten. Für den bloßen Verlust einer Rechtsstellung infolge eines Schweigens wie im Falle des § 1943 a. E. BGB oder des italienischen Art. 650 c. c. (dazu oben § 3 III. 1. b) und § 4 III. 1. a) bb)) kann eine Analogie zu Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO schließlich aber schon deshalb keine Hilfe bieten, weil die Norm auch in direkter Anwendung nur destruktive Wirkung hat. Demnach kann eine Anwendung des Rechtsgedankens allenfalls dann angedacht werden, wenn es durch ein Schweigen positiv zu einem Erbschafts- oder Vermächtniserwerb kommt, nicht aber, wenn dieser ohnehin schon eingetreten ist und nur das Ausschlagungsrecht durch Fristablauf verloren geht.
3. Eigenes Verwirkungsstatut? Zwischenzeitlich angedacht, aber de lege lata nicht umgesetzt, wurde auch, die Verwirkung, ähnlich dem Schweigen im vorkonsensualen Bereich einem eigenen Sonderstatut zu unterstellen oder zumindest das Umweltrecht eigens zu berücksichtigen.211 Die Verwirkung vertraglicher Rechte wird zwar in Art. 12 Rom I‑VO nicht eigens erwähnt, unterfällt aber nach einhelliger Auffassung als Rechtsverlust durch Fristablauf wie die Verjährung und decadenza212 Art. 12 Abs. 1 lit. d 2. Alt. Rom I‑VO.213 Dies gilt ebenso in anderen kollisionsrechtlichen Bereichen: Nach Art. 15 lit. h) Rom II-VO regelt das Deliktsstatut auch die „Bedingungen für das Erlöschen von Verpflichtungen und die Vorschriften über die Verjährung und die Rechtsverluste“ und damit auch die Verwirkung als Unterfall des Rechtsverlusts.214 Dementsprechend wird auch bei weniger deutlich formulierten Regelungen angenommen, dass das jeweilige Statut 210 Schmidt, J. P., Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EuErbVO, in: ZEV 2014, 455, 459. 211 Hierzu Will, Verwirkung im internationalen Privatrecht, in: RabelsZ 42 (1978), 211, 219 ff.; allgemein für eine Sonderanknüpfung bei der Beurteilung von Schweigen und anderem Verhalten Reinmüller, Das Schweigen als Vertragsannahme im deutsch-französischen Rechtsverkehr unter besonderer Berücksichtigung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1976, S. 314. 212 Leandro, Art. 12 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 817, 828. 213 Statt vieler Ferrari/Kieninger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Auflage 2018, Art. 12 VO (EG) 593/2008 Rn. 24 m. w. N.; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 292 f. 214 Vgl. v. Hein/Junker, MüKo BGB, Band 13, 8. Auflage 2021, Art. 15 Rom II-VO Rn. 25.
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die Verwirkung erfasst, so z. B. für das Unterhaltsstatut nach Art. 11 lit. c des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (HUP)215. Unabhängig hiervon erscheint aber auch eine Sonderanknüpfung der Verwirkung de lege ferenda nicht überzeugend: Zwar mag es für den Anspruchssteller überraschend sein, dass sein Recht nach dem Geschäftsstatut, anders als nach seinem Umweltrecht, bereits verwirkt ist, doch ist die Interessenlage eine andere als im Falle von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO: Zum einen besteht bei der Verwirkung, anders als bei einem vorkonsensualen Verhalten bereits im Vorfeld ein rechtliches Verhältnis zwischen den Beteiligten, sodass sie sich auf die Anwendbarkeit eines bestimmten Rechts einstellen können und müssen. Zum anderen ist angesichts der Tatsache, dass das Verhalten beider Parteien bei der Verwirkung in die Gesamtabwägung einzubeziehen ist, fraglich, welches Umweltrecht unbillige Rechtsfolgen abmildern kann: Soweit das Verhalten beider Parteien in einem anderen Land als dem Wirkungsstatut zu verorten ist, mag eine Anknüpfung der Verwirkung an dieses gemeinsame Umweltrecht noch möglich sein. Soweit die Parteien sich aber in verschiedenen Rechtsordnungen befinden, ist fraglich, ob der Schutz des Beklagten vor der treuwidrigen Geltendmachung eines Rechts überwiegt oder der Schutz des Klägers hinsichtlich des Fortbestandes seines Rechts.216 Hinzu kommt, dass im nationalen Recht die Abgrenzung von konkludentem Verzicht bzw. rinuncia tacita einerseits und – soweit überhaupt bekannt – der Verwirkung bzw. funktional vergleichbarer anderer Rechtsinstrumente wie beispielsweise der tolleranza andererseits oft umstritten ist (vgl. oben § 3 III. 3. c) und § 4 III. 3.). Der Verzicht auf ein Recht unterliegt unstrittig aber keinem Sonderstatut, sondern der jeweils auf das Recht anwendbaren Rechtsordnung, wie z. B. dem Vertragsstatut nach Art. 12 Abs. 1 lit. d 1. Alt. Rom I‑VO. Unsicherheiten bei der Abgrenzung fremder Rechtsinstitute durch nationale Rechtsanwender zögen bei einer Sonderanknüpfung an das Umweltrecht damit massive Konsequenzen nach sich. Daneben sprechen auch allgemeine Erwägungen wie die aus einer Zersplitterung des einheitlichen und in sich abgestimmten Geschäftsstatus möglicherweise resultierenden Anpassungsprobleme gegen eine Sonderanknüpfung der Verwirkung an das Umweltrecht.217 So hat der EuGH im Zusammenhang mit den Verjährungsvorschriften jüngst entschieden, dass diese grundsätzlich keine ein Abweichen vom anwendbaren Recht rechtfertigende Eingriffsnormen im Sinne von Art. 16 Rom II-VO darstellen, wenn nicht das angerufene Gericht auf der Grundlage einer ausführlichen Analyse des Wortlauts, der allgemeinen Systematik, des Telos sowie des Entstehungszusammenhangs dieser Vorschrift feststellt, dass ihnen 215 216
v. Hein/Staudinger, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 11 HUP Rn. 81. Will, Verwirkung im internationalen Privatrecht, in: RabelsZ 42 (1978), 211, 220 ff. 217 Ebenso Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 292.
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in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine derartige Bedeutung zukommt.218 Auch dadurch wird deutlich, dass die Aufspaltung eines einheitlichen Vorgangs in zwei Statute im Grundsatz nicht gewollt ist.
4. Stellvertretungsstatut Auch im internationalen Stellvertretungsrecht wird eine Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts erwogen, wobei dies insbesondere im Bereich der Rechtsscheinvollmachten diskutiert wird. Ein Bedürfnis hierfür kann sich beispielsweise ergeben, wenn das Aufenthaltsrecht keine Bindung oder nur eine Haftung aus c. i.c. annimmt, weil es eine Rechtsscheinvollmacht nicht anerkennt, während das Stellvertretungsstatut eine vertragliche Verpflichtung infolge des gesetzten Rechtsscheins anordnet. So befürwortet zumindest ein Teil der italienischen Literatur eine bloße Haftung des Vertretenen aus Art. 1337 c. c., während die herrschende Meinung im deutschen Recht zumindest für die Duldungsvollmacht von einem Erfüllungsanspruch ausgeht (oben § 3 II. 3. b) bb) und § 4 II. 3. b) bb)), sodass eine vertragliche Bindung für den italienischen Vertretenen überraschend sein kann. Freilich ist die Rechtslage in beiden Rechtsordnungen so umstritten, dass man an einem schützenswerten Vertrauen auf eine fehlende Bindung zweifeln kann. Eine europäische Vereinheitlichung des internationalen Stellvertretungsrechts ist jedenfalls bislang nicht erfolgt, ebensowenig besteht insoweit vorrangiges Einheitsrecht.219 Zwar hat Italien am 16. Juni 1986 das Genfer Übereinkommen über die Stellvertretung bei internationalen Kaufverträgen von 1983220 ratifiziert, doch tritt das Übereinkommen nach seinem Art. 33 Abs. 1 erst dann in Kraft, wenn zehn Staaten es ratifizieren oder ihm beitreten, was bislang nicht der Fall ist. Auch die Haager Konvention über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht vom 14. März 1978221 wurde weder von Italien noch Deutschland ratifiziert. Das internationale Stellvertretungsrecht wird daher nach wie vor von den Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Kollisionsrecht geregelt. In Italien bestimmt Art. 60 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Reform des internationalen Privatrechts vom 31. Mai 1995, Nr. 218 (im Weiteren L. 218/95), dass die gewillkürte Stellvertretung dem Recht am Ort der Niederlassung des 218
EuGH v. 31.1.2019 – C-149/18, EuZW 2019, 134, 136. De Bellis, Rappresentanza volontaria, in: Baratta, Diritto internazionale privato, 2010, S. 336 f.; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 8. 220 Convention on Agency in the International Sale of Goods vom 17. Februar 1983: Art. 14 Abs. 2 des Übereinkommens trifft, anders als etwa das italienische und deutsche Sachrecht sogar eine Regelung zur Rechtsscheinvollmacht: Nevertheless, where the conduct of the principal causes the third party reasonably and in good faith to believe that the agent has authority to act on behalf of the principal and that the agent is acting within the scope of that authority, the principal may not invoke against the third party the lack of authority of the agent. 221 Convention of 14 March 1978 on the Law Applicable to Agency. 219 Dazu
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Vertreters unterliegt, wenn dieser gewerbsmäßig handelt und der Niederlassungsort für den Dritten bekannt oder erkennbar ist.222 Soweit dies nicht zutrifft, findet nach Satz 2 das Recht des Staates Anwendung, in dem der Vertreter im konkreten Fall hauptsächlich seine Vertretungsmacht ausübt. Art. 60 L. 218/95 bezieht sich jedenfalls nur auf die gewillkürte und nicht auf die gesetzliche oder organschaftliche Stellvertretung.223 Bei einem Arbeitnehmer tendiert die Literatur zur Anknüpfung an das Recht der Niederlassung des Arbeitgebers.224 Eine ausdrückliche Regelung zur rappresentanza apparente wird weder im italienischen Sachrecht (oben § 3 II. 3. b) bb)) noch im internationalen Privatrecht getroffen. In der Literatur finden sich kaum Belege zur kollisionsrechtlichen Rolle der rappresentanza apparente, wobei diese, sofern sie thematisiert wird, teils ebenfalls dem nach Art. 60 l. 218/95 zu bestimmenden Statut für die gewillkürte Stellvertretung unterworfen wird, welches umfassend die Fragen der Existenz, Auslegung, Grenzen und Dauer der Vollmachtserteilung regelt.225 Umstritten ist jedenfalls, wie die Haftung eines falsus procurator zu qualifizieren ist: Während ein Teil der Literatur diese ebenfalls Art. 60 L. 218/1995 unterwirft226, wollen andere sie vom Anwendungsbereich des Vertretungsstatuts ausnehmen und zumeist dem Geschäftsstatut unterstellen227. Das auf eine gewillkürte Stellvertretung anwendbare internationale Privatrecht in Deutschland ist erst seit relativ kurzer Zeit durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht vom 11. Juni 2017228 sehr detailliert in Art. 8 EGBGB kodifiziert worden, wobei die Norm im Wesentlichen der bisher herrschenden Meinung 222 Zur umstrittenen Anknüpfung bei wechselnden oder mehreren Niederlassungen De Bellis, Rappresentanza volontaria, in: Baratta, Diritto internazionale privato, 2010, S. 338 f.; zur umstrittenen Rechtslage vor der Reform des italienischen internationalen Privatrechts vgl. eingehend Starace, La rappresentanza nel diritto internazionale privato, 1962, passim und Luther, Kollisionsrechtliche Vollmachtsprobleme im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, in: RabelsZ 38 (1974), 421 passim. 223 Eingehend Trombetta-Panigadi, Rappresentanza volontaria e diritto internazionale privato, 2003, S. 195 ff. u. 205 ff. 224 De Bellis, Rappresentanza volontaria, in: Baratta, Diritto internazionale privato, 2010, S. 339. 225 So Ballarino, Diritto internazionale privato italiano, 7. Auflage 2011, S. 292; unklar Trombetta-Panigadi, Rappresentanza volontaria e diritto internazionale privato, 2003, S. 173 ff., wo die rappresentanza apparente zwar als direkte Rechtswirkung zulasten des Vertretenen erwähnt wird, dann aber nicht klargestellt wird, ob diese dem Vollmachtsstatut unterfällt; zumindest wird sie nicht bei den davon ausgeschlossenen Punkten (S. 195 ff.) erwähnt. 226 Ballarino, Diritto internazionale privato italiano, 7. Auflage 2011, S. 292. 227 De Bellis, Rappresentanza volontaria, in: Baratta, Diritto internazionale privato, 2010, S. 340; wohl auch Conetti, Rappresentanza, in: Conetti, Questioni di diritto internazionale privato e processuale, S. 212 f.; zur Rechtslage vor der Reform De Bellis/Starace, Rappresentanza (dir. intern. priv.), in: Enciclopedia del diritto, Band 38, 1987, S. 498 und Starace, La rappresentanza nel diritto internazionale privato, 1962, S. 125. 228 BGBl. 2017 I 1607.
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entspricht.229 In Ermangelung einer Rechtswahl (Abs. 1) findet bei einem unternehmerisch tätigen Vertreter (Abs. 2) oder einem Arbeitnehmer (Abs. 3) bei Erkennbarkeit für den Dritten das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Vertreters Anwendung; greifen die genannten Absätze nicht, so gilt bei entsprechender Erkennbarkeit das Recht des Ortes des gewöhnlichen Gebrauchs (Abs. 4), in Ermangelung einer dauerhaften Vollmacht grundsätzlich des konkreten Gebrauchs (Art. 5) der Vollmacht. Die italienische und die deutsche Regelung dürften damit wegen der nur geringfügig abweichenden Anknüpfungskriterien in der Praxis häufig zum gleichen Ergebnis kommen. Für Rechtsscheinvollmachten stellte die deutsche Rechtsprechung teils auf den „Ort, an dem der Rechtschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat“ ab230, was aufgrund der Unbestimmtheit der Formel Gegenstand von Kritik seitens der Literatur war231. Diese Anknüpfung wird unter Geltung von Art. 8 EGBGB für nicht mehr brauchbar gehalten.232 Auch wenn die nun mit Art. 8 EGBGB erfolgte deutsche Regelung dem Wortlaut nach nur rechtsgeschäftlich erteilte Stellvertretungen erfasst, wird in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung233 ähnlich wie im italienischen Recht überwiegend eine Erstreckung auch auf Rechtsscheinvollmachten befürwortet.234 Freilich muss zunächst die vorgelagerte Frage, ob Rechtsscheinvollmachten überhaupt dem eben beschriebenen nationalen Vollmachtsstatut oder aber der vorrangigen Rom II-VO unterliegen, nicht aus nationaler Perspektive, sondern europäisch-autonom beantwortet werden.235 Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht hat eine Stellungnahme zur Anwendung des neu geschaffenen Art. 8 EGBGB auf die Rechtsscheinvollmachten auch wegen der bestehenden und vom EuGH zu klärenden Abgrenzungsprobleme zum europäischen IPR unterlassen.236 Ähnlich wie im Sachrecht (hierzu § 4 II. 3. b) bb)) setzt sich nämlich auf kollisionsrechtlicher Ebene der Streit um die Erklä229
Rn. 2.
230
Bamberger/Roth/Mäsch, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), Art. 8 EGBGB
BGH 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, in: NJW 1965, 487, 489. Ganzen v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 153 ff. m. w. N. 232 Staudinger/Magnus, BGB 2019, Art. 8 EGBGB Rn. 148; dem folgend v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 155. 233 Etwa OLG München 10.12.2008 – 20 U 2798/08, in: NJOZ 2009, 1213, 1214 ff. (Anscheinsvollmacht); OLG Hamburg 2.7.2009 – 9 U 253/08, in: NJW-RR 2009, 1717 (Duldungsvollmacht). 234 Statt vieler Kindler/Brüggemann, Die kollisionsrechtliche Anknüpfung kaufmännischer Vollmachten nach Art. 8 EGBGB, in: RIW 2018, 473, 474; Bamberger/Roth/Mäsch, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), Art. 8 EGBGB Rn. 10; v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 148 u. 150. 235 Spickhoff, Kodifikation des Internationalen Privatrechts der Stellvertretung, in: RabelsZ 80 (2016), 481, 524. 236 Vgl. v. Hein, Beschluss der Zweiten Kommission des Deutschen Rats für Internationales Privatrecht zu dem auf die Vollmacht anwendbaren Recht, in: IPRax 2015, 578, 580; vgl. 231 Zum
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rung der Rechtsfolgen von Duldungs- und Anscheinsvollmacht fort: Während sie teils vertraglich qualifiziert werden, wollen andere sie als außervertragliche Phänomene oder Haftung aus c. i.c. verstehen. In letzterem Falle würden die Rechtsscheinvollmachten möglicherweise Art. 12 Rom II-VO unterliegen, eine vertragliche Qualifikation führt hingegen wegen des Ausschlusses der Stellvertretung vom Anwendungsbereich der Rom I‑VO in Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I‑VO zur Anwendung nationalen Kollsionsrechts.237 Nach dem Vertragsbegriff des EuGH liegt ein Vertrag dann vor, wenn eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung freiwillig eingegangen ist.238 Auch wenn aus dieser Perspektive sowie vor dem Hintergrund von Art. 12 Rom II-VO die Haftung aus c. i.c. außervertraglich zu qualifizieren ist und teilweise eine Parallele hierzu für den Bereich der Rechtsscheinvollmachten gezogen wird239, spricht viel für eine Erfassung durch das Vertretungsstatut: Gegen eine außervertragliche Qualifikation der Materie lässt sich zunächst anführen, dass das Stellvertretungsrecht ursprünglich sogar in der Rom I‑VO geregelt werden sollte, dann aber ausgenommen wurde, weil eine Einigung ähnlich wie schon im Vorfeld beim EVÜ240 nicht zu erzielen war.241 Eine Unterscheidung in explizit erteilte Vollmachten und Duldungsvollmachten dürfte schon aufgrund der verschwimmenden Grenzen beider Phänomene und der unterschiedlichen Auffassungen hierzu im nationalen Sachrecht kaum praktikabel sein. Auch geht es zumindest bei der Duldungsvollmacht gerade um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch als Resultat des Handelns des (Schein-)Vertreters, während es sich bei der c. i.c. um die Haftung für die Verletzung bloßer vorvertraglicher Pflichten handelt. Bei der Anscheinsvollmacht liegt nach hier vertretener Ansicht im nationalen materiellen Recht zwar eine bloße Haftung aus c. i.c. vor, was für eine Qualidazu auch Rademacher, Kodifikation des internationalen Stellvertretungsrechts – Zum Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, in: IPRax 2017, 56, 57 m. w. N. 237 Bach, Zurück in die Zukunft – die dogmatische Einordnung der Rechtsscheinvollmacht im gemeineuropäischen IPR, in: IPRax 2011, 116, 121; vgl. zum falsus procurator die Nachweise bei Trombetta-Panigadi, Rappresentanza volontaria e diritto internazionale privato, 2003, S. 184. 238 Vgl. zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ: EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 (Réunion), EuZW 1999, 59, 60 und EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91, BeckRS 2004, 75771. 239 So Bach, Zurück in die Zukunft – die dogmatische Einordnung der Rechtsscheinvollmacht im gemeineuropäischen IPR, in: IPRax 2011, 116, 118 f.; für eine Beantwortung der Qualifikationsfrage durch den EuGH Spickhoff, Kodifikation des Internationalen Privatrechts der Stellvertretung, in: RabelsZ 80 (2016), 481, 524. 240 Eingehend zu den Gründen des Ausschlusses: Trombetta-Panigadi, Rappresentanza volontaria e diritto internazionale privato, 2003, S. 39 ff. 241 Hierzu Franzina, La legge applicabile alla rappresentanza volontaria secondo la proposta di Regolamento „Roma I“, in: La legge applicabile ai contratti nella proposta di Regolamento „Roma I“, Atti della giornata di studi, 2006, S. 82 ff.; ders., Art. 1 reg. CE n. 593/2008, in: Le nuove leggi civili commentate 2009, 586, 587 f.; Spellenberg, Vertreterverträge, in: Ferrari/Leible, Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa – Der Vorschlag für eine Rom I‑Verordnung, 2007, 151 ff.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 329
fikation als außervertragliche Haftung und damit eine Anwendung von Art. 12 Rom II-VO sprechen könnte.242 Hiergegen lässt sich jedoch anführen, dass eine trennscharfe Abgrenzung der Duldungs und Anscheinsvollmacht im Sachrecht kaum möglich ist und ihre Existenz nicht nur in den einzelnen Rechtsordnungen stark umstritten ist, sondern zudem auch erhebliche Unterschiede in der Ausgestaltung der Rechtsscheinvollmachten zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. Daher sollten kollisionsrechtlich nicht nur Duldungs-, sondern auch Anscheinsvollmachten vom Vollmachtsstatut erfasst sein.243 Eine direkte Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO auf die Vollmachtserteilung scheidet wegen des Ausschlusses der Materie vom Anwendungsbereich der Rom I‑VO jedenfalls aus. Diskutiert wird aber, ob die Sonderanknüpfung zumindest entsprechend für Fälle herangezogen werden sollte, in denen beispielsweise eine Rechtsscheinhaftung nach den Regeln des Aufenthaltsrechts des Vertretenen nicht gegeben wäre und dieser nicht von der Anwendung fremden Rechts ausgehen musste.244 Teilweise wird mit dem gleichen Ergebnis, nämlich der Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts des Vertretenen, auch ein Rückgriff auf Art. 31 Abs. 2 EGBGB a. F. oder eine direkte Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO nicht auf die Vollmachtserteilung, sondern direkt auf das Stellvertretergeschäft, erwogen.245 Für eine entsprechende Anwendung der Sonderanknüpfung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO im Stellvertretungsrecht spricht, dass das Handeln des Vertreters ebenso eine vertragliche Bindung nach sich zieht wie eigenes Verhalten. Auch besteht im schuldvertraglichen Kollisionsrecht mit der deutschen Rechtsprechung sowie in der Folge Art. 8 Abs. 2 EVÜ bzw. den darauf basierenden nationalen Kollisionsnormen und nun Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO eine gewisse Tradition, das Aufenthaltsrecht bei der Bewertung der Zustimmung zu einem Vertrag miteinzubeziehen, sodass durchaus von einem allgemeinen „Prinzip der internationalen Rechtsgeschäftslehre“246 gesprochen werden kann. Ob nun aber 242 So
sogar für die Duldungsvollmacht Bach, Zurück in die Zukunft – die dogmatische Einordnung der Rechtsscheinvollmacht im gemeineuropäischen IPR, in: IPRax 2011, 116, 120; a. A. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 168. 243 So auch Spickhoff, Kodifikation des Internationalen Privatrechts der Stellvertretung, in: RabelsZ 80 (2016), 481, 523 f.; für eine umfassende Erfassung der Rechtsscheinvollmachten etwa auch Budzikiewicz u. a./Mankowski, BeckOGK BGB, Stand 1.10.2019, Art. 8 EGBGB Rn. 276 m. w. N. 244 Ablehnend Bamberger/Roth/Spickhoff, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 14; befürwortend die h. M., etwa Bamberger/Roth/Mäsch, BeckOK BGB, 59. Edition (Stand 1.8.2021), Art. 8 EGBGB Rn. 59; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 1728 m. w. N.; in der Vergangenheit bereits Fischer, Rechtsscheinhaftung im internationalen Privatrecht, in: IPRax 1989, 215, 216 f. 245 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 159. 246 So v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 160.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
ein Vertrag unmittelbar infolge eines Schweigens zustande kommt, wie in den Fällen, in denen Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO unstreitig direkte Anwendung findet, oder über den Umweg eines Vertreterhandelns, das schweigend toleriert wird, sollte für die Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts des Schweigenden bei der vertraglichen Bindung keinen Unterschied machen. Die vertragliche Bindung infolge des Auftretens des (Schein-)Vertreters kann nämlich in beiden Fällen letztlich auf die eigene Untätigkeit bzw. das eigene Schweigen zurückgeführt werden. Freilich dürfte der Anwendungsbereich für eine solche Sonderanknüpfung nur sehr begrenzt sein247: Die Berufung auf das Aufenthaltsrecht im Bereich der gewillkürten Stellvertretung in entsprechender Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bzw. wird regelmäßig daran scheitern, dass die Bindung für denjenigen, der immerhin einen Vertreter bevollmächtigt hat, nicht unzumutbar ist.248 Zweifelhaft ist auch, wann die Sonderanknüpfung in Fällen der Rechtsscheinvollmachten zum Tragen kommen kann: Bei einer rappresentanza tollerata bzw. Duldungsvollmacht kannte der Vertretene nämlich tatbestandsmäßig das Auftreten des Vertreters, sodass regelmäßig schon nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vorliegen (zur Unzumutbarkeit der Bindung § 5 II. 5. d)).249 Soweit man hinsichtlich der rappresentanza apparente bzw. der Anscheinsvollmacht von einer bloßen vorvertraglichen Haftung ausgeht, ist schon fraglich, ob eine für eine analoge Anwendung entsprechende Interessenlage gegeben ist: Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO bezweckt nämlich im Ausgangspunkt nur den Schutz vor einer vertraglichen Erfüllungshaftung (oben § 5 II. 3.), während Art. 12 Rom II-VO die c. i.c. als außervertragliche Verpflichtung ansieht. Indes knüpft auch die letztgenannte Norm akzessorisch an das Vertragsstatut an, sodass eine entsprechende Anwendung der Sonderanknüpfung für den Fall denkbar erscheint, dass das Aufenthaltsrecht eine Bindung (sei es vertraglicher Art oder aufgrund von c. i.c.) gänzlich ablehnt, während das auf die Anscheinsvollmacht anwendbare Statut zumindest eine vorvertragliche Haftung bejaht. Freilich werden auch bei einer Anscheinsvollmacht wegen des Fahrlässigkeitsvorwurfs und der erforderlichen Dauer des Vertreterhandelns hohe Hürden für die Annahme einer Unzumutbarkeit der Bindung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO analog zu setzen sein.
247 So
auch Budzikiewicz u. a./Mankowski, BeckOGK BGB, Stand 1.10.2019, Art. 8 EGBGB Rn. 287 m. w. N. 248 v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 162. 249 Vgl. v. Hein/Spellenberg, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art. 8 EGBGB Rn. 162; Spickhoff, Kodifikation des Internationalen Privatrechts der Stellvertretung, in: RabelsZ 80 (2016), 481, 520.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 331
5. Zwischenergebnis: Keine entsprechende Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO Vor dem Hintergrund, dass europäische Verordnungen wie etwa in Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO teils die gleiche Regelung wie Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO treffen, wofür keine Notwendigkeit bestünde, wenn der europäische Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass der Sonderanknüpfung ohnehin ein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke innewohnt, dürfte eine analoge Anwendung der Sonderanknüpfung auf andere Rechtsgebiete, zumindest außerhalb des nationalen Kollisionsrechts, ausscheiden. Auch gibt es jedenfalls bislang gerade keinen „Allgemeinen Teil“ des europäischen Kollisionsrechts, etwa in Gestalt einer „Rom O-VO“, aus dessen Fundus man sich zur Bewältigung von allgemeinen und in verschiedenen Rechtsgebieten gleichermaßen auftretenden Problemen auf dem Gebiet des Kollisionsrechts bedienen könnte. Freilich besteht, wie auch die obige rechtsvergleichende Analyse der Bewertung eines Schweigens durch das italienische und das deutsche Recht zeigt, auch über die explizit vom europäischen Kollisionsrecht geregelten Bereiche hinaus ein Bedürfnis, den Schweigenden in seinem Vertrauen auf das Umweltrecht zu schützen. Gerade dort, wo aufgrund größerer Diskrepanzen im materiellen Recht ein erhöhtes Regelungsbedürfnis zur Abfederung unbilliger Ergebnisse besteht, wie im Erbrecht oder bei einem Rechtsverlust infolge einer Untätigkeit, existiert damit de lege lata keine Möglichkeit der kollisionsrechtlichen Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts nach dem Vorbild von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO. Bei der Entscheidung, ob das Schweigen eine Verpflichtung oder einen Rechtsverlust nach sich zieht, sollte daher neben dem anwendbaren Recht auch den Normen und anerkannten Verhaltensanforderungen des Umweltrechts des Schweigenden im Rahmen einer Auslegung und Abwägung im materiellen Sachrecht Rechnung getragen werden. Ein denkbarer Kompromiss könnte insoweit sein, statt einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung Verhaltensnormen des Umweltrechts bei der Bewertung eines Schweigens einzelfallabhängig zu berücksichtigen oder auf materiellrechtlicher Ebene als local data einzubeziehen. Dies wurde bereits für die Verwirkung vorgeschlagen.250 Aber auch außerhalb dessen kennt das deutsche Kollisionsrecht die Berücksichtigung ausländischen Sachrechts bei der Auslegung einer Willenserklärung.251 Das europäische Kollisionsrecht bezieht ebenfalls nach Art. 17 Rom II-VO die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort des haftungsbegründenden 250
Will, Verwirkung im internationalen Privatrecht, in: RabelsZ 42 (1978), 211, 225; im Ergebnis wohl auch Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 292. 251 Vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Rechtsnormen, Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: GS Ehrenzweig, 1976, S. 36, 44 f. m. Fn. 40.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
Ereignisses bei der Beurteilung des Verhaltens der haftenden Person mit ein. De lege ferenda könnte sich insoweit eine klarstellende Regelung ähnlich wie in Art. 17 Rom II-VO empfehlen. Richtschnur für die zurückhaltend einzusetzende Berücksichtigung statutsfremder Vorschriften und gegebenenfalls Verhaltensnormen kann dabei wiederum das Kriterium der Unzumutbarkeit nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO (oben § 5 II. 5. d)) sein, sodass der Vorhersehbarkeit der Anwendbarkeit fremden Rechts wesentliche Bedeutung zukommt. Sowohl nach dem Erwägungsgrund 34 der Rom II-VO als auch dem Wortlaut „soweit angemessen“ dient Art. 17 Rom II-VO dem Interessenausgleich der beteiligten Parteien. Dabei handelt es sich um keinen Automatismus, vielmehr wird dem Rechtsanwender ein einzelfallabhängiger Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Berücksichtigung fremden Sachrechts eingeräumt.252 Anders als eine starre Sonderanknüpfung nach dem Prinzip „alles oder nichts“ vermag die wesentlich weichere Berücksichtigungsmöglichkeit statutsfremden Rechts im Einzelfall eine unbillige Bindung oder einen Rechtsverlust infolge eines Schweigens zu vermeiden, ohne das Einheitsstatut stets umfassend und einzelfallunabhängig zu unterlaufen.253 Zudem kann die Berücksichtigung des Umweltrechts gerade dort ansetzen, wo eine direkte oder analoge Anwendung eines Sonderstatus nach dem Vorbild von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO versagt, weil diese, wie oben (§ 5 II. 5. b)) ausgeführt, nur destruktive, nicht aber konstruktive Wirkung entfaltet. Ausländische Regelungen würden somit Teil des zu beurteilenden Lebenssachverhalts und damit in die Subsumtion unter inländische Normen miteinfließen, wobei eine Berücksichtigung des Umweltrechts auch zu erhöhten Aufklärungspflichten im nationalen Sachrecht führen könnte.254 Denkbar wäre es damit, zumindest bei gesetzlich nicht starr festgelegten Fristen wie bei der Verwirkung oder tolleranza, aber etwa auch bei § 377 Abs. 2 HGB, miteinzubeziehen, dass das Verhalten des Normadressaten von seinem Aufenthaltsrecht geprägt ist.
6. Behandlung des Schweigens in weiteren international gültigen Regelwerken Auch außerhalb des kollisionsrechtlichen Bereichs wirft das Schweigen in grenzüberschreitenden Fällen Probleme auf. 252 Vgl. statt vieler v. Hein/Junker, MüKo BGB, Band 12, 8. Auflage 2021, Art. 17 Rom II-VO Rn. 27 m. w. N.; Will, Verwirkung im internationalen Privatrecht, in: RabelsZ 42 (1978), 211, 224. 253 Will, Verwirkung im internationalen Privatrecht, in: RabelsZ 42 (1978), 211, 223 ff.; ebenso Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Rechtsnormen, Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: GS Ehrenzweig, 1976, S. 36, 49. 254 Jayme, Sprachrisiko und internationales Privatrecht beim Bankverkehr mit ausländischen Kunden, in: FS Bärmann, 1975, S. 509, 520.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 333
a) Das Schweigen im internationalen Zivilprozessrecht So muss sich zunächst das internationale Zivilprozessrecht mit der Bedeutung des Schweigens auseinandersetzen. Zum einen betrifft dies die Vereinbarung der Parteien über die internationale Zuständigkeit von Gerichten: Eine mit dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben nicht vergleichbare Funktion hat zunächst die, als bloßes Formerfordernis zu verstehende schriftliche Bestätigung der mündlich bereits getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 lit. a) 2. Alt. Brüssel Ia-VO255, gegenüber der das Schweigen des Empfängers unerheblich ist und die nach überwiegender Ansicht auch durch einen Widerspruch nicht unwirksam wird.256 Die Corte di Cassazione hat sich bereits mehrfach mit der Problematik einer solchen schriftlichen Bestätigung (conferma scritta) auseinandergesetzt: So verneinte sie in einer Entscheidung das Vorliegen einer schriftlichen Bestätigung wegen fehlender Bezugnahme auf einen zuvor mündlich geschlossenen Vertrag257, während sie in einem anderen Fall trotz der fehlenden Unterschrift des Empfängers einer Auftragsbestätigung (conferma d’ordine) angesichts langjähriger kaufmännischer Geschäftskontakte, während derer die Klausel regelmäßig vereinbart und beachtet wurde, eine Prorogation als gegeben ansah, um eine unnötige Förmelei im internationalen Handelsverkehr zu vermeiden258. Nicht nur eine zwischen den Parteien etablierte Übung (Art. 15 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO), sondern auch Handelsbräuche können dem Schweigen einer Partei Bedeutungsgehalt verleihen: Der EuGH entschied zu Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ a. F. zwar noch im Jahr 1976, dass das Schweigen des Käufers auf eine schriftliche Bestätigung des Verkäufers nicht für die Annahme einer formwirksamen Vereinbarung über das zuständige Gericht ausreicht.259 Nach seiner Rechtsprechung seit 1997 kann aber eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dadurch getroffen werden, dass eine Partei gegenüber einer Bestätigung, welche einen Hinweis auf den Gerichtsstand enthält, schweigt oder Rechnungen mit einem solchen Hinweis vorbehaltlos bezahlt260. Freilich setzt dies voraus, dass „dieses Verhalten einem Handelsbrauch in dem Bereich des internationalen Handelsverkehrs entspricht, in dem die Parteien tätig sind“ und „dieser Brauch ihnen bekannt ist oder als ihnen bekannt angesehen werden muß“.261 Mittlerweile ist dieser acquis der Rechtsprechung zugunsten größerer Rechts255
Früher Art. 17 Abs. 1 lit. a) 2. Alt. EuGVÜ. Addis, Lettera di conferma e silenzio, 1999, S. 161 ff, S. 170 ff.; Vorwerk/Wolf/Gaier, BeckOK ZPO, 42. Edition (Stand 1.9.2021), Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 38 m. w. N. 257 Cass. civ. 9.6.1995, Nr. 6499, in: Foro it. 1997, I, 562 mit kritischer Anmerkung Silvestri. 258 Cass. civ. 26.4.1995, Nr. 4625. 259 EuGH v. 14.10.1976 – Rs. 29/76, NJW 1977, 489, 490. 260 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95 (Mainschiffahrts-Genossenschaft), NJW 1997, 1431, 1431; vgl. auch BGH 16.6.1997 – II ZR 37–94, in: NJW-RR 1998, 755. 261 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95 (Mainschiffahrts-Genossenschaft), NJW 1997, 1431, 256
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sicherheit in Art. 25 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO kodifiziert: Demnach genügt für die Vereinbarung des Gerichtsstandes eine Form, die einem Handelsbrauch entspricht, welchen die Parteien kannten oder kennen mussten und welchen Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.262 Wie oben (§ 3 II. 5. a) aa)) schon erwähnt, hat dies die italienische Rechtsprechung veranlasst, auch hinsichtlich der nationalen Vorschrift in Art. 4 Abs. 2 l. 218/1995263, die dem Wortlaut nach eine schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung fordert, in Einklang mit der europäischen Vorschrift dem konkludenten Verhalten oder Schweigen der Parteien Bedeutung beizumessen, wenn insoweit ein international beachteter Handelsbrauch besteht.264 Die Corte di Cassazione hat jedoch präzisiert, dass für eine Prorogation ein Abdruck der Vereinbarung auf der fattura in Verbindung mit einer widerspruchslosen Bezahlung gerade nicht ausreicht, da ein solcher Brauch international nicht anerkannt ist.265 Der zustimmenden Aufnahme dieser Entscheidung zur Ablehnung eines sog. „Fakturengerichtsstandes“ in der italienischen266 und deutschen Literatur267 ist auch aus Sicht des hier durchgeführten deutsch-italienischen Rechtsvergleichs beizupflichten. Insoweit besteht nämlich kein hinreichend etablierter Handelsbrauch, der den Schluss auf ein Einverständnis erlauben würde, vielmehr entfaltet das Schweigen allenfalls im Einzelfall zustimmende Wirkung (vgl. oben § 3 II. 5. a)). Auch der EuGH wies jüngst erneut darauf hin, dass stets das Bestehen einer entsprechenden Gepflogenheit zwischen den Parteien (lit. b) sowie die etwaige Kenntnis oder das Kennenmüssen eines Handelsbrauchs (lit. c) zu prüfen sind.268 Der Frage, ob ein Handelsbrauch existiert, wonach ein Schweigen, beispielsweise gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben, als Zustimmung gewertet werden kann, ist dabei vom mitgliedstaatlichen Gericht nachzugehen.269 Letztlich 1431; eingehend dazu S. Carbone, Autonomia privata e commercio internazionale, 2014, S. 170 ff. 262 Guzzi, La proroga di giurisdizione per volontà delle parti nel regolamento (UE) n. 1215/2012. Nuove prospettive, in: Dir. com. e scambi internaz, fasc. 1–2/2018, 131, 136. 263 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Norm Salerno, Deroga alla giurisdizione e costituzione, in: Riv. dir. int. 2001, 33 passim. 264 Dazu Errico, L’interpretazione evolutiva dell’art. 4, 2° comma, della legge n. 218 del 1995: la rilevanza degli usi del commercio internazionale (Anm. zu Cass. civ. 17.1.2005 Nr. 731), in: Giur. It., 2006, 2, 269, passim; Guzzi, La proroga di giurisdizione per volontà delle parti nel regolamento (UE) n. 1215/2012. Nuove prospettive, in: Dir. com. e scambi internaz., fasc. 1–2/2018, 131, 134. 265 Cass. civ. 27.9.2006, Nr. 20877, in: Giust. civ. 2007, I, 1393, 1395 f. m.Anm. Ferrari. 266 Barel/Armellini, Manuale breve – Diritto internazionale privato, 2019, S. 377 f. 267 Etwa Dostal, Zur internationalen Zuständigkeit für Klagen aus grenzüberschreitenden Vertriebsverträgen, in: EuZW 2018, 944, 950; Rüfner, Inkrafttreten der EuGVVO, Zuständigkeitsvereinbarung und Zuständigkeit am Erfüllungsort (Anm. zu Cass. 27.9.2006 Nr. 20877), in: ZEuP 2008, 165, 172. 268 EuGH 8.3.2018 – C-64/17, BeckRS 2018, 2562. 269 BGH 26.4.2018 – VII ZR 139/17, in: ZVertriebsR 2018, 261, 264; Cass. civ. 15.2.2005,
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führt Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO damit nur zu Form- und Beweiserleichterungen und bewirkt keinen Verzicht auf das Vorliegen einer tatsächlichen Einigung der Parteien über den Gerichtsstand.270 Auch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort (Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO), die, soweit sie nicht allein der Veränderung der Zuständigkeit dient, nicht an Art. 25 Brüssel Ia-VO zu messen ist271, kann die Frage nach der Bedeutung eines Schweigens aufwerfen. Diese ist nach der lex causae zu beantworten, sodass eine Sonderanknüpfung an das Aufenthaltsstatut nach Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO denkbar ist, wenn eine Anwendung des Vertragsstatuts nicht gerechtfertigt erscheint. In einem deutsch-italienischen Fall hat das OLG Karlsruhe etwa eine Berufung auf das Aufenthaltsrecht der italienischen Käuferin abgelehnt, da die AGB mit der Erfüllungsortvereinbarung auch nach italienischem Recht wirksam einbezogen waren.272 Die Corte di Cassazione hat in einem ebenfalls deutsch-italienischen Sachverhalt andererseits einer unwidersprochen gebliebenen Erfüllungsortvereinbarung nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ a. F., die nach Ansicht des Gerichts allein darauf zielte, eine Verschiebung der Zuständigkeit zu erreichen, bereits wegen Nichterfüllung der Formvorschrift in Art. 17 EuGVÜ a. F. die Wirksamkeit versagt.273 Zum anderen betrifft die Frage der Bedeutung eines Schweigens aber auch die Abgrenzung zwischen dem Gerichtsstand eines Vertrags (Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) und jenem einer unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO): Der Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache C-196/15 (Granarolo/Ambrosi Emmi France) entschieden, dass eine Schadensersatzklage wegen plötzlichen Abbruchs langjähriger Geschäftsbeziehungen keine unerlaubte Handlung oder einer solchen gleichgestellte Handlung bzw. Ansprüche hieraus im Sinne der Verordnung betrifft, wenn zwischen den Parteien eine stillschweigende vertragliche Beziehung bestand, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.274 Der Nachweis des Vorliegens einer solchen stillschweigenden vertraglichen Beziehung soll nach dem Urteil „auf einem Bündel übereinstimmender Indizien beruhen, zu denen unter anderem das Bestehen langjähriger Geschäftsbeziehungen, Treu und Glauben zwischen den Parteien, die Regelmäßigkeit der Transaktionen und deren in Menge und Wert ausgedrückte langfristige Entwicklung, etwaige Absprachen zu den in Rechnung gestellten Preisen und/oder Nr. 2983, in: Riv. dir. int. priv. proc. 2005, 1077; S. Carbone, Autonomia privata e commercio internazionale, 2014, S. 172. 270 S. Carbone, Autonomia provata e commercio internazionale, 2014, S. 170. 271 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95 (Mainschiffahrts-Genossenschaft), NJW 1997, 1431, 1433. 272 OLG Karlsruhe 11.2.1993 – 4 U 61/92, in: RIW 1994, 1046, 1047. 273 Cass. civ. 22.1.2002, Nr. 718; s. dazu auch die Anmerkung von Poggio, Clausole di proroga di giurisdizione, usi del commercio internazionale, onere ed oggetto della prova, in: Giur. It., 2002, 2279 passim. 274 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 (Granarolo), NJW 2016, 3087.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
zu den gewährten Rabatten sowie die ausgetauschte Korrespondenz gehören können“.275 Damit zieht der Gerichtshof für die Abgrenzung von Vertrag zu Delikt nicht mehr wie in den vorhergehenden Entscheidungen die Freiwilligkeit der Schaffung des Anspruchsgrundes276 oder die Unerlässlichkeit der Vertragsauslegung für die Feststellung einer Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Handelns277 heran, sondern etabliert ein neues Kriterium.278 Bemerkenswert ist auch, dass der Europäische Gerichtshof neben der systematischen und teleologischen Interpretation der Rechtsvergleichung im Rahmen seiner autonomen Auslegung der Brüssel Ia-VO eine entscheidende Rolle einräumt:279 Er stützt sich wesentlich darauf, dass in vielen Mitgliedstaaten langjährige Geschäftsbeziehungen auch ohne schriftlichen Vertrag „grundsätzlich als Bestandteil einer stillschweigenden vertraglichen Beziehung angesehen werden [können], deren Verletzung zu einer vertraglichen Haftung führen kann“280. Der Europäische Gerichtshof begründet also mit seiner Entscheidung eine europäische Rechtsgeschäftslehre zum konkludenten Vertragsschluss für den Bereich der Brüssel Ia – Verordnung.281 In der Literatur stieß die Entscheidung auf Kritik wegen der mit ihr verbundenen Gefahr, dass sich bei der Ermittlung des Vorliegens eines konkludenten Vertrags in der Praxis letztlich das nationale – und teilweise sehr unterschiedliche – Vorverständnis des mitgliedstaatlichen Rechtsanwenders durchsetzen könnte.282 Zumindest für das italienische und deutsche Recht dürfte diese Gefahr nach der oben durchgeführten Untersuchung freilich als gering einzustufen sein. Die Entscheidung des EuGH erscheint auch deshalb wichtig und richtig, weil der bisherige, auf die Freiwilligkeit gestützte Vertragsbegriff die Gefahr barg, dass Sachverhalten, in denen es dem Betroffenen an Erklärungsbewusstsein fehlte, die Vertragsqualität abgesprochen wurde und eine außervertragliche Qualifikation erfolgte.283 Das nationale Sachrecht erachtet jedoch das Erklärungsbewusstsein, wie diese Untersuchung rechtsvergleichend für den Bereich des Schweigens im italienischen 275
EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 (Granarolo), NJW 2016, 3087. so etwa EuGH v. 27. 10.1998 – C-51/97 (Réunion européenne), EuZW 1999, 59, 60 u. EuGH v. 17.9.2002 C-334/00 (Tacconi), EuZW 2002, 655, 656. 277 So EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12 (Brogsitter), EuZW 2014, 383, 384. 278 Vgl. Hübner/Pika, Vertrauensschutz im Vertriebsrecht, in: ZEuP 2018, 32, 35; und Stadler/Klöpfer, EuGH-Rechtsprechung zur EuGVVO aus den Jahren 2015 und 2016, in: ZEuP 2017, 890, 909 f. 279 Hübner/Pika, Vertrauensschutz im Vertriebsrecht, in: ZEuP 2018, 32, 36; a. A. wohl Landbrecht, EuGVVO: Besonderer Gerichtsstand bei Abbruch einer Geschäftsbeziehung (Anm. zu C-196/15 [Granarolo/Ambrosi Emmi France]), in: EuZW 2016, 750, 751. 280 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 (Granarolo), NJW 2016, 3087, 3088. 281 So Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2016: Brexit ante portas!, in: IPRax 2017, 1, 14. 282 Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2016: Brexit ante portas!, in: IPRax 2017, 1, 14. 283 So etwa Bach, Zurück in die Zukunft – die dogmatische Einordnung der Rechtsscheinvollmacht im gemeineuropäischen IPR, in: IPRax 2011, 116, 118 (Fn. 21). 276 Vgl.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 337
und deutschen Privatrecht gezeigt hat, nicht unbedingt als konstitutiv für eine vertragliche Bindung. Auch wenn die Auslegung europäischen Kollisionsrechts und europäischen internationalen Zuständigkeitsrechts autonom zu erfolgen hat, kommt, wie nun auch der EuGH selbst betont, der rechtsvergleichenden Interpretation im Rahmen dieser Auslegung eine entscheidende Rolle zu. Würde man dies anders sehen, käme es letztlich zu einer nicht überzeugenden Auseinanderentwicklung des Verständnisses von Rechtsbegriffen im materiellen Recht der Mitgliedstaaten einerseits und in den europäischen Verordnungen andererseits.
b) Schweigen im CISG Das CISG trifft ebenso Regelungen zum Umgang mit einem Schweigen im Privatrecht. Dass die Erklärungsbedeutung eines Schweigens international keineswegs selbstverständlich anerkannt ist, zeigt das Beispiel des Haager Einheitlichen Kaufrechts von 1964284, das in Art. 2 vorsah, dass ein „Akt“ der Annahme, also eine positive Handlung für den Vertragsschluss erforderlich und eine Vereinbarung, wonach Schweigen eine Annahme darstellt, ungültig war.285 Auch das CISG als Nachfolgeregelung steht einer Erklärungsbedeutung des Schweigens auf den ersten Blick ablehnend gegenüber: So regelt Art. 18 Abs. 1 Satz 2 CISG im Gegensatz zum Codice civile und zum BGB bzw. HGB ausdrücklich, dass das Schweigen oder eine Untätigkeit alleine keine Annahme eines Angebots darstellen. Der Formulierung von Art. 18 Abs. 1 CISG („silence or inactivity […] in itself“) ist jedoch zu entnehmen, dass dem Schweigen bei Hinzutreten entsprechender Umstände durchaus Erklärungswert zukommen kann.286 So können Handelsbräuche und Gepflogenheiten nach Art. 9 Abs. 1 und 2 CISG und ein entsprechendes Verhalten (Art. 8 Abs. 2 und 3 CISG), das Bestehen früherer Geschäftsbeziehungen oder eine Vereinbarung der Vertragsparteien eine abweichende Bewertung des Schweigens einer Partei nach sich ziehen.287 Nach Art. 19 Abs. 2 CISG führt zudem ein Schweigen gegenüber nicht wesentlichen Änderungen in einer Annahmeerklärung dazu, dass 284 Convention relating to a Uniform Law on the Formation of Contracts for the International Sale of Goods vom 1. Juli 1964; das Uniform Law on the Formation of Contracts for the International Sale of Goods findet sich im Anhang 1 des Übereinkommens. 285 Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 229 m. w. N. 286 Ferrari/Rizzieri, Le convenzioni di diritto del commercio internazionale, 2. Auflage, 2002, S. 62; Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 229. 287 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 624 m. w. N.; Westermann/Gruber, MüKo BGB, Band 4, 8. Auflage 2019, Art. 18 CISG Rn. 21; Ferrari/Rizzieri, Le convenzioni di diritto del commercio internazionale, 2. Auflage, 2002, S. 62.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
diese Vertragsinhalt werden, was letztlich der nationalen Wertung als beredtes Schweigen bzw. silenzio circostanziato (dazu oben § 3 II. 3. und § 4 II. 3.) entspricht.288 Dabei ist umstritten, ob – wie ausnahmsweise auch im italienischen und deutschen Recht – das Schweigen des Anbietenden gegenüber der Annahmeerklärung unter Änderungen den Vertrag zustande bringt oder der Vertrag unmittelbar infolge der nicht wesentlich abändernden Annahmeerklärung entsteht, also ein Vertrag unter der auflösenden Bedingung des Widerspruchs des Erstofferenten geschlossen wird.289 Das Problem dürfte praktisch wenig Relevanz haben, da als Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach Art. 23 CISG jedenfalls der Zugang der Annahme gilt.290 Die Auflistung in Art. 19 Abs. 3 CISG von Änderungen, die als wesentlich gelten, führt freilich dazu, dass der Anwendungsbereich der von Art. 19 Abs. 2 CISG getroffenen praxisnahen Regelung ganz erheblich eingeschränkt wird.291 Umstritten ist, wie das Schweigen gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 1 und 2 CISG, wonach die Parteien an die zwischen ihnen vereinbarten Gebräuche und entstandenen Gepflogenheiten sowie internationale Bräuche gebunden sind, zu bewerten ist.292 Das kaufmännische Bestätigungsschreiben selbst findet trotz seiner praktischen Relevanz im CISG, ebenso wie im CESL, und anders als in Art. 2:210 PECL bzw. Art. – II. 4:210 a. F. DCFR und Art. 2.1.12 UNIDROIT-Principles keine Erwähnung293, sodass der Vertreter Italiens bereits im Rahmen der Verhandlungen den Fall des kaufmännischen Bestätigungsschreibens als Beispiel für eine Lücke des Übereinkommens aufgriff.294 Ob dies tatsächlich zutrifft, und ob diese gegebenenfalls bestehende Lücke über das nach dem Kollisionsrecht bestimmte Sachrecht zu schließen ist oder über das CISG selbst, ist umstritten.295 288 Frignani/Torsello, Il contratto internazionale, Diritto comparato e prassi commerciale, 2. Auflage 2010, S. 226 f. 289 Dazu Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 625 f.; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Kommentar zum UN-Kaufrecht (CISG), 7. Auflage 2019, Art. 19 Rn. 58 jeweils m. w. N. 290 Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 626; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Kommentar zum UN-Kaufrecht (CISG), 7. Auflage 2019, Art. 19 Rn. 58. 291 Bortolotti, Manuale di diritto commerciale internazionale, Band 1, Diritto dei contratti internazionali, 2. Auflage 2001, S. 241. 292 Vgl. dazu Fogt, Konkludente Vertragsannahme und grenzüberschreitendes kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach CISG (Anm. zu LG Kiel, 27.7.2004 – 16 O 83/04), in: IPRax 2007, 417, passim; eingehend Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, passim; Reithmann/Martiny/ Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 503 m. w. N. 293 Erstaunt ob der Nichtregelung Azzarri, Il silenzio come accettazione, in: Nuova giur. civ. comm. 2015, 615, 629. 294 Esser, Die letzte Glocke zum Geleit?, in: ZfRV 29 (1988), 167, 181. 295 Vgl. hierzu die Übersicht bei Esser, Die letzte Glocke zum Geleit?, in: ZfRV 29 (1988), 167, 182.
III. Ähnliche Regelungen und analoge Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO 339
Gegen die Annahme einer solchen Lücke und die Anwendung unvereinheitlichten Sachrechts spricht, dass das CISG das Verfahren des Vertragsschlusses abschließend regelt.296 Angesichts der eindeutigen Regelung zum Schweigen in Art. 18 CISG und der fehlenden Aufnahme entsprechender Vorschläge in den Text des Übereinkommens297 kann auch nicht von einer allgemeinen Akzeptanz des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ausgegangen werden.298 Denkbar ist allerdings, dass beide Vertragsparteien in Staaten ihre Niederlassung haben, in denen es jeweils nach den Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben zu einem Vertragsschluss käme, sodass insoweit ein im jeweiligen Handelszweig bekannter und regelmäßig beachteter Handelsbrauch nach Art. 9 Abs. 2 CISG besteht, wobei das jeweils strengere Recht hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der vertragskonstitutiven Wirkung zur Anwendung kommen soll.299 Insoweit erlangt die oben (§ 3 II. 5. a)) erörterte Frage nach der Anerkennung des kaufmännischen Bestätigungsschreibens in Italien zentrale Bedeutung. Da nach italienischem Recht aber nur je nach dem konkreten Fall von einem silenzio circostanziato ausgegangen wird, wird im deutsch-italienischen Rechtsverkehr das Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs im Sinne von Art. 9 Abs. 2 CISG abzulehnen sein. Nicht überzeugend ist daher etwa die Entscheidung des OLG Saarbrücken, das bei einem Vertrag zwischen einem italienischem Hersteller und einem deutschen Händler ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem CISG oder dem Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs nach italienischer Rechtslage das Schweigen gegenüber einem Bestätigungsschreiben als Zustimmung wertete.300 Neben einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien (Art. 6 CISG) besteht die Möglichkeit, dass sich zwischen den Parteien eine entsprechende Übung im Sinne von Art. 9 Abs 1 CISG etabliert hat, wonach das Schweigen gegenüber einem Bestätigungsschreiben als Zustimmung gilt.301 Daneben kann es freilich auch unter 296 So die h. M.; vgl. Westermann/Gruber, MüKo BGB, Band 4, 8. Auflage 2019, Art. 18 CISG Rn. 24; für eine über das Kollisionsrecht zu schließende interne Lücke Fogt, Konkludente Vertragsannahme und grenzüberschreitendes kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach CISG (Anm. zu LG Kiel, 27.7.2004 – 16 O 83/04), in: IPRax 2007, 417, 421. 297 Vgl. United Nations Commission on International Trade Law, Yearbook IX. (1978), 1981, Nr. 213 ff. (S. 76 ff.), insbes. Nr. 228 (S. 78). 298 Westermann/Gruber, MüKo BGB, Band 4, 8. Auflage 2019, Art. 18 CISG Rn. 24 m. w. N.; a. A. Reinhart, Zum Sprachenproblem im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr (Anm. zu OLG Frankfurt, 28.4.1981 – 5 U 119/80), in: IPRax 1982, 226, 227 f., der von der Geltung der nationalen deutschen Rechtsgrundsätze auch im CISG ausgeht. 299 Westermann/Gruber, MüKo BGB, Band 4, 8. Auflage 2019, Art. 18 CISG Rn. 25; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, 6. Auflage 2019, S. 112 f. 300 OLG Saarbrücken 14.2.2001 – 1 U 324/99, in: BeckRS 2001, 17692. 301 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, 6. Auflage 2019, S. 112 f.; eingehend Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 463 ff.; Patti, Silenzio, inerzia e comportamento concludente nella convenzione di Vienna sui contratti di vendita internazionale di beni mobili, in: Silloge in onore di Giorgio Oppo, Vol. I, 1992, 227, 234.
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§ 5 Die Behandlung des Schweigens im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr
Geltung des CISG durch ein konkludentes Verhalten nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 CISG zu einem Vertragsschluss kommen, wenn eine Auslegung des Verhaltens nach Art. 8 CISG einen entsprechenden Schluss zulässt. Viele Fälle des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben dürften sich schon auf diese Weise lösen lassen, ohne in die wesentlich kompliziertere und vielfach negativ ausfallende Prüfung302 eintreten zu müssen, ob ein in beiden Niederlassungsstaaten geltender und im jeweiligen Handelszweig beachteter Handelsbrauch nach Art. 9 Abs. 2 CISG vorliegt.303 Zudem kommt dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben auch unter Geltung des CISG ganz erhebliche Bedeutung als Beweismittel zu, sodass es häufig gar nicht auf die Frage ankommt, ob es konstitutive Wirkung entfaltet.304 Angesichts der zahlreichen Ausnahmen vom Grundsatz der Bedeutungslosigkeit eines Schweigens für den Vertragsschluss im CISG ergibt sich somit trotz der zunächst streng anmutenden Regelung in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 letztlich in Vielem eine Übereinstimmung zum nationalen italienischen und deutschen Recht. Daneben ist auch dem CISG bekannt, dass eine Untätigkeit aus Vertrauensschutzgesichtspunkten ähnlich wie bei der Verwirkung oder tolleranza gegebenenfalls zum Rechtsverlust führen kann: Nach Art. 29 Abs. 2 CISG kann eine Partei aufgrund ihres Verhaltens davon ausgeschlossen sein, sich auf eine Schriftformklausel zu berufen, soweit sich die andere Partei auf dieses Verhalten verlassen hat. Ähnlich schützt Art. 16 Abs. 2 lit. b) CISG das vernünftige Vertrauen auf die Unwiderruflichkeit eines Angebots. Auch dem CISG ist damit der Gedanke des schutzwürdigen Vertrauens auf eine bestimmte Rechtslage inhärent.305 Darüber hinaus stellt der Grundsatz von Treu und Glauben ein allgemeines Prinzip des internationalen Handelsrechts dar.306 So hat das Tribunale di Rimini etwa das Verbot des venire contra factum proprium auch zur Lückenschließung im Rahmen des CISG herangezogen.307
302 Vgl.
die Nachweise zur Rechtsprechung bei Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 452 ff. 303 Krit. daher auch Fogt, Konkludente Vertragsannahme und grenzüberschreitendes kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach CISG (Anm. zu LG Kiel, 27.7.2004 – 16 O 83/04), in: IPRax 2007, 417, 419. 304 So auch Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 461 f. 305 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 94 f. 306 Imbruglia, La regola di tolleranza, in: Riv. dir. priv. 2019, 75, 94 f. 307 Trib. Rimini 26. November 2002, Nr. 3095, in: Giur. it. 2003, 896, 902 ff. m. Anm. Ferrari.
§ 6 Ausblick und Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtsvereinheitlichung auf rechtsvergleichender Basis Die vorliegende Untersuchung der deutschen und italienischen Rechtslage zeigt, dass eine international einheitliche Regelung der Rechtsfolgen des Schweigens möglich und wünschenswert ist.
I. Ausblick: Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung Die verschiedenen Projekte zur Vereinheitlichung des Vertragsrechts mussten sich bereits der Frage nach den Rechtswirkungen des Schweigens stellen.
1. Schweigen im Draft Common Frame of Reference, in den Principles of European Contract Law und den UNIDROIT-Principles So stellt Art. II-4:204 Abs. 2 des DCFR klar, dass ein Schweigen oder eine Untätigkeit allein keine Annahme darstellt („Silence or inactivity does not in itself amount to acceptance.“).1 Diese Regelung findet sich auch wortlautgleich in Art. 2:204 Abs. 2 PECL, was nicht verwundert, da das Regelwerk des DCFR unter anderem auf jenem der PECL basiert2. Freilich ist anerkannt, dass Gebräuche, ein Rahmenvertrag oder zwischen den Parteien bestehende Gewohnheiten hiervon abweichend dazu führen können, dass das Schweigen die Wirkung einer Annahme hat.3 Insgesamt entspricht die Regelung damit dem schon jetzt geltenden nationalen Recht (oben § 3 II. 3. und § 4 II. 3.).4 Art. II-4:208 DCFR trifft zwar ähnliche Regelungen zur abändernden Annahme wie das CISG, verzichtet aber, ebenso wie Art. 2:208 PECL und im Gegensatz zu Art. 19 Abs. 3 CISG auf eine Auflistung der als we1 v. Bar/Clive/Schulte-Nölke, Principles, definitions and model rules of European private law, Draft Common Frame of Reference, 2009, S. 198. 2 Dazu Veneziano, Conclusion of the Contract, in: Schulze/Stuyck, Towards a European Contract Law, 2011, 81, 82. 3 Peleggi, in: Antoniolli/Veneziano, Principles of European Contract Law and Italian Law, 2005, S. 120. 4 So für das italienische Recht Peleggi, in: Antoniolli/Veneziano, Principles of European Contract Law and Italian Law, 2005, S. 122.
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§ 6 Ausblick und Ergebnis
sentlich angesehenen Änderungen, was eine überzeugende einzelfallabhängige Bewertung ermöglicht.5 Anders als im CISG fand sich mit Art. II-4:210 DCFR (bzw. Art. 2:210 PECL) eine ausdrückliche Regelung zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben, wonach zusätzliche oder abweichende in der Bestätigung enthaltene Bestimmungen Vertragsbestandteil werden sollten, wenn diese nicht erheblich die Vertragsbestimmungen änderten oder der Empfänger widersprach. Allerdings wurde die Bestimmung mittlerweile mit dem Argument aus dem DCFR gestrichen, dass eine solche Regelung nicht in allen europäischen Rechtsordnungen anerkannt sei und das Kriterium der Erheblichkeit zuviel Streitstoff biete.6 Der Vorteil einer solchen Regelung gegenüber der in Deutschland nur gewohnheitsrechtlich und in Italien nur im Einzelfall als silenzio circostanziato (beredtes Schweigen) anerkannten Wirkung eines Schweigens gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben läge in der größeren Rechtssicherheit. Zweifellos besteht nämlich in der kaufmännischen Praxis ein Bedürfnis nach Bestätigungsschreiben und ihren Wirkungen.7 Die UNIDROIT Principles of International Contract Law, eine Sammlung von vor allem durch Rechtsvergleichung gewonnenen Grundregeln des internationalen Vertragsrechts, die unter anderem zur Lückenschließung im Rahmen des CISG herangezogen werden8, treffen in Art. 2.1.6 Abs. 1 Satz 2 zum Schweigen als Annahme wortlautgleich dieselbe Regelung wie der DCFR und die PECL. Auch ihre Regelung zur Annahme unter Änderungen in Art. 2.1.11 Abs. 2 entspricht den Bestimmungen der letztgenannten. Mit Art. 2.1.12 verfügen sie zudem über eine Norm hinsichtlich der Wirkungen eines Schweigens gegenüber einem Bestätigungsschreiben: Dieses kann zur Modifikation eines bereits geschlossenen Vertrags führen. Im Vergleich zum deutschen Recht, wo es infolge des Schweigens auch zum Vertragsschluss kommen kann, gehen die Rechtswirkungen damit weniger weit.9 Freilich kann die Modifikation eines bereits bestehenden Vertrages im Einzelfall gravierender sein als der Vertragsschluss selbst, worauf die italienische Rechtswissenschaft zurecht hinweist (oben § 3 II. 3. b)).
5 Vgl.
Frignani/Torsello, Il contratto internazionale, Diritto comparato e prassi commerciale, 2. Auflage 2010, S. 227; Veneziano, Conclusion of the Contract, in: Schulze/Stuyck, Towards a European Contract Law, 2011, 81, 82 Fn. 4 m. w. N. 6 Dazu Veneziano, Conclusion of the Contract, in: Schulze/Stuyck, Towards a European Contract Law, 2011, 81, 93 f. 7 Krit. hinsichtliche der Streichung daher auch Veneziano, Conclusion of the Contract, in: Schulze/Stuyck, Towards a European Contract Law, 2011, 81, 93 f. 8 Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 484 f. m. w. N. 9 Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 485 f.
I. Ausblick: Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung
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Bezüglich des Rechtsverlustes infolge einer Untätigkeit des Rechtsinhabers setzt sich die bereits im nationalen Recht zu beobachtende Tendenz zur Beachtung subjektiver Elemente in allen drei Regelwerken fort10: Sowohl Art. III-7:301 DCFR (Suspension in case of ignorance) als auch Art. 14:301 und 14:303 PECL sowie Art. 10.2 Abs. 1 UNIDROIT-Principles knüpfen im Rahmen der Verjährung an die Kenntnis des Rechtsinabers an. Mit Art. 1.8 UNIDROIT-Principles (Inconsistent behaviour) besteht zudem eine Regelung, unter die auch Fälle der Verwirkung gefasst werden können11, während etwa in Art. 2.105 Abs. 4 und Art. 2.106 Abs. 2 PECL nur Einzelfälle treuwidrigen Verhaltens geregelt sind.
2. Schweigen im Entwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch Von der von Giuseppe Gandolfi koordinierten Accademia dei Giusprivatisti Europei, der Akademie europäischer Privatrechtswissenschaftler, wurde schließlich das erste Buch des Code européen des contrats entworfen, das vom Obligationenrecht des Codice civile inspiriert ist.12 Anders als die PECL und UNIDROIT-Principles, die sich in der Rolle von wählbaren oder auch zur Auslegung und Lückenfüllung oder bei Gesetzesvorhaben heranziehbaren Grundsätzen des Vertragsrechts sehen, beabsichtigt der Entwurf tatsächlich die Formulierung eines europäischen Gesetzbuches.13 Art. 16 Abs. 3 dieses Entwurfs für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch regelt im Gegensatz zum Codice civile und zum BGB ausdrücklich die Rechtsfolgen eines Schweigens im Bereich der Vertragsannahme14: Schweigen und Untätigkeit stehen demnach einer Annahme nur dann gleich, wenn dies von den Parteien vereinbart wurde oder wenn dies aus dem Bestehen zwischen ihnen eingegangener Verbindungen, den Umständen oder der Verkehrssitte hervorgeht (lit. a) oder der Antrag auf den Abschluss eines Vertrages zielt, der nur Verpflichtungen des Antragenden beinhaltet (lit. b). Nach Absatz 4 der Norm kann der Adressat im Falle des Absatzes 3 lit. b) den Antrag innerhalb einer nach der Natur des Geschäfts oder den Verkehrssitten angemessenen Frist ablehnen. Ohne eine solche Ablehnung gilt der Vertrag als geschlossen. Lit. b) der Vor10 Dazu Patti, Inerzia e prescrizione nel pensiero di Alberto Auricchio, in: Riv. trim. dir. proc. civ. 2019, 143, 153 f. 11 Vgl. die Beispiele in International Institute for the Unification of Private Law (UNIDROIT), UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts, 2016, S. 21 ff. 12 Dazu Kindler, Von Pavia über Tucumán nach Brüssel – Anregungen aus der Neuen Welt für das gemeinsame Europäische Kaufrecht, JZ 2012, 712, passim; Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuches der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler – ein Meilenstein, in: RIW 2001, 409, 410. 13 Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuches der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler – ein Meilenstein, in: RIW 2001, 409, 410. 14 Der Entwurf ist in verschiedenen Sprachfassungen abrufbar unter und .
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§ 6 Ausblick und Ergebnis
schrift ist damit klar von Art. 1333 Abs. 2 c. c. inspiriert, während weder die Unidroit-Principles noch das PECL eine dem Art. 1333 Abs. 2 c. c. vergleichbare Norm enthalten.15 Mit Art. 24 enthält der Entwurf zudem, anders als das geltende italienische und deutsche Recht eine Bestimmung für konkludente Handlungen: Vorbehaltlich der vorangehenden Bestimmungen kann ein Vertrag demnach durch konkludente Handlungen geschlossen werden, wenn daraus alle Bestandteile des abzuschließenden Vertrages hervorgehen, wobei auch frühere Vereinbarungen und Vertragsbeziehungen, der eventuelle Versand von Preislisten, öffentliche Angebote, Gesetze, Verordnungen und die Verkehrssitte zu berücksichtigen sind. Im Wesentlichen kodifiziert der Entwurf damit in Art. 16 und 24 die bislang nicht normierten, von der italienischen und deutschen Rechtswissenschaft entwickelten Kriterien, welche nach der hier durchgeführten Untersuchung dafür maßgeblich sind, ein Schweigen circostanziato bzw. beredt und damit zu einer konkludenten Willenserklärung zu machen. Auch wenn sich faktisch kaum Abweichungen zur bisherigen Rechtslage ergeben dürften, sorgt die Vorschrift, gerade auch vor dem Hintergrund der teils etwas vage anmutenden Formulierungen der nationalen Rechtsprechung für mehr Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit. Aus der Gesamtschau von Art. 24 ergibt sich zudem, insoweit übereinstimmend mit der vorherrschenden Ansicht in beiden hier untersuchten Rechtsordnungen, dass ein Erklärungsbewusstsein wohl nicht konstitutiv für das Vorliegen einer Willenserklärung sein soll.16 Positiv ist wegen ihres Warneffektes und der Herstellung von Rechtssicherheit auch die Schaffung einer allgemeingültigen Norm nach dem Vorbild des italienischen Rechts zum Schweigen bei für den Untätigen vorteilhaften Rechtsgeschäften zu bewerten. Zu befürchten steht freilich, dass, sollte es zu einer Übernahme oder Einführung der Regelungen kommen, die aus dem nationalen italienischen Recht zu Art. 1333 Abs. 2 c. c. bekannte Diskussion um die dogmatische Einordnung auf europäischer Ebene fortgeführt wird. Dies gilt umso mehr, als die Regelung in einer Norm enthalten ist, die in lit. a) auch Fälle regelt, die im nationalen italienischen und deutschen Recht nicht als normiertes, sondern beredtes Schweigen verstanden werden. Die im nationalen Recht umstrittene Duldungs- und Anscheinsvollmacht werden durch das Vertragsgesetzbuch einer begrüßenswerten gesetzlichen Lösung zugeführt: Nach Art. 61 kommt der Vertrag zwischen dem scheinbar Vertretenen und dem Dritten als der anderen Vertragspartei zustande, wenn eine Person zwar nicht bevollmächtigt ist, im Namen und im Interesse eines anderen zu handeln, aber dennoch das Verhalten dieses anderen einen Dritten zum Vertragsschluss veranlasst, indem es den Dritten in dem berechtigten Glauben 15 Vgl. Gabrielli/Gallo, Commentario del Codice civile, Dei contratti in generale, Band 1 (Artt. 1321–1349 c. c.), 2011, S. 389. 16 So auch Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuches der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler – ein Meilenstein, in: RIW 2001, 409, 411.
I. Ausblick: Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung
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lässt, dass die nicht bevollmächtigte Person Vertretungsmacht hat. Damit ist im Vergleich zum geltenden Recht, wo nicht nur die dogmatische Grundlage und der Geltungsbereich, sondern auch die Reichweite der Rechtsscheinvollmachten umstritten ist, mehr Klarheit gewonnen. Auch im Bereich des Rechtsverlustes infolge eines Schweigens trifft der Entwurf überzeugende Regelungen: Hinsichtlich der Verjährung haben sich die Projektbeteiligten in Art. 134 für die italienische Lösung entschieden und gehen von einem Ausschluss des vertraglichen Rechts nach Verstreichen der Frist aus. Darüber hinaus regelt der Entwurf des Europäischen Vertragsgesetzbuches wohl ebenfalls nach italienischem Vorbild allgemein die decadenza bzw. den Verfall (in der deutschen Fassung freilich missverständlich als „Verwirkung“ bezeichnet) und die auf ihn anwendbaren Vorschriften in Art. 135. Diese Kodifikation des Rechtsinstituts führt zu mehr Rechtssicherheit im Vergleich zur bislang teils umstrittenen deutschen Rechtslage. Wünschenswert wäre darüber hinaus allerdings auch eine Regelung zur Verwirkung bzw. tolleranza gewesen, da der Rechtsverlust infolge eines treuwidrigen Schweigens, wie auch die vorliegende rechtsvergleichende Untersuchung gezeigt hat, eine zentrale und dogmatisch gerade auch zwischen den einzelnen Rechtsordnungen umstrittene zivilrechtliche Problematik darstellt.
3. Aktuelle Rolle der genannten Ansätze Freilich bleiben alle genannten Ansätze bloße Vorschläge für eine (europäische) Privatrechtsvereinheitlichung, deren Umsetzung zumindest in näherer Zeit unwahrscheinlich erscheint. Nicht nur der Widerstand der nationalen Gesetzgeber, sondern auch die Bedenken in der Rechtswissenschaft, etwa hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch den europäischen Gesetzgeber, stehen einem gemeinsamen europäischen Zivilgesetzbuch bislang entgegen.17 Bedauerlich ist dies insbesondere für den Entwurf des Europäischen Vertragsgesetzbuches, dessen Regelungen zur Rolle des Schweigens im Privatrecht auch vor dem Hintergrund des in der vorliegenden Arbeit durchgeführten Rechtsvergleichs überzeugen. Jedenfalls solange der Bekanntheitsgrad der Vorschläge nur begrenzt ist, dürfte auch ein Rückgriff auf sie, um etwa das Bestehen eines Handelsbrauches wie des kaufmännischen Bestätigungsschreibens zu belegen, kaum möglich sein.18 Die entwickelten Prinzipien können aber zumindest als rechtsvergleichend geschaffener, ausgewogener Kompromiss zwischen den nationalen Regelungen neben ihrer Rolle als von den Parteien wählbares
17 Dazu Sirena, La scelta dei Principles of European Contract Law (PECL) come legge applicabile al contratto, in: Riv. dir. civ. 2019, 3, 608, 615. 18 Vgl. dazu Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, in: RabelsZ 67 (2003), 448, 492 f.
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§ 6 Ausblick und Ergebnis
Recht als Inspirationsquelle bei der Modernisierung nationalen Rechts dienen und haben dies in der Vergangenheit auch getan.19
II. Ergebnis 1. Die objektive Erklärungsbedeutung eines Schweigens ist im italienischen wie deutschen Privatrecht maßgeblich. Sowohl das Sachrecht im italienischen Codice civile und dem deutschen BGB als auch die kollisionsrechtliche Wertung in Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO und vergleichbare Regelungen verfolgen bezüglich des Schweigens als Ursache eines Verpflichtungsgrundes eine objektivierte Betrachtung des Willens: sie bewerten zunächst das nach außen in Erscheinung getretene und ein Vertrauen der Gegenseite hervorrufende Verhalten höher als den subjektiven Willen des Schweigenden. Erst im Anschluss hieran wird in – relativ engen – Grenzen dem Schweigenden eine Möglichkeit zur Befreiung von der Verpflichtung eingeräumt, etwa über die Anfechtung oder, kollisionsrechtlich, über eine Berufung auf das Aufenthaltsrecht. Das zumindest vorläufige Zustandekommen ungewollter Verträge wird daher aus Verkehrs- und Vertrauensschutzaspekten sowohl auf der Ebene des materiellen Rechts als auch des Kollisionsrechts in Kauf genommen.20 2. Das italienische und deutsche Privatrecht treffen weitgehend parallele und zustimmungswürdige Regelungen zum Schweigen mit Verpflichtungswirkung. Dabei überzeugt in beiden Rechtsordnungen eine dogmatische Verankerung des beredten Schweigens als Willenserklärung. Die Fälle des normierten Schweigens mit Verpflichtungswirkung gleichen sich im italienischen und deutschen Recht. Weder das italienische noch das deutsche Recht verfügen hingegen über eine explizite, gesetzlich verankerte und allgemeingültige Festlegung der Wirkungen eines silenzio circostanziato bzw. beredten Schweigens im Privatrecht. Indessen zeigt der Blick in Rechtssysteme, die über eine solche verfügen, wie etwa das CISG und den DCFR, dass mit einer solchen allein noch nicht viel gewonnen ist. Die zahlreichen normierten und auf den Umständen, Handelsbräuchen u. a. beruhenden Ausnahmen von der prinzipiellen Neutralität des Schweigens können nämlich kaum abschließend geregelt werden. Zu vielgestaltig und einzelfallabhängig sind die Erscheinungsformen des Schweigens, sodass es Aufgabe der Rechtsprechung und Literatur bleiben muss, in einem dynamischen Prozess handhabbare und hinreichend vorhersehbare Regeln zu entwickeln. 19 Sirena, La scelta dei Principles of European Contract Law (PECL) come legge applicabile al contratto, in: Riv. dir. civ. 2019, 3, 608, passim. 20 Vgl. die Analyse zum deutschen Recht von S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 516.
II. Ergebnis
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Dass dies trotz der dem Schweigen innewohnenden Ambiguität überwiegend sehr gut gelingt, zeigt die Analyse des italienischen und deutschen Rechts: Beide Rechtsordnungen treffen, von der Grundregel der rechtlichen Neutralität eines Schweigens ausgehend, in den allermeisten Fällen die gleiche Entscheidung, wobei insbesondere im handelsrechtlichen Kontext recht weitgehend eine verpflichtende Wirkung des Schweigens anerkannt wird. Eine Regelung hinsichtlich der Wirkungen eines Schweigens gegenüber einem kaufmännischem Bestätigungsschreiben wie im DCFR empfiehlt sich hingegen möglicherweise für das nationale deutsche Recht, da dies insbesondere für den ausländischen Rechtsanwender oder Vertragspartner zu mehr Rechtssicherheit beitragen und eine Warnfunktion erfüllen könnte. Dabei hat sich zumindest für das beredte Schweigen im italienischen wie deutschen Recht überwiegend eine dogmatische Einordnung als Willenserklärung durchgesetzt, welche auch vor dem Hintergrund der Granarolo-Entscheidung des EuGH überzeugt, in dem dieser explizit von der Möglichkeit eines durch ein Schweigen geschlossenen Vertrags ausgeht. Dies bedeutet, dass auch im internationalen Rechtsverkehr die Vorhersehbarkeit der Rechtsfolgen eines Schweigens weitgehend gewahrt bleibt und so das Bedürfnis für das Eingreifen von Art. 10 Rom I‑VO jedenfalls im deutsch-italienischen Rechtsverkehr relativ gering sein dürfte. Selbst dort, wo die beiden Rechtssysteme aber dogmatisch unterschiedliche Wege einschlagen, wie beim Schweigen gegenüber einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben, das im deutschen Recht gewohnheitsrechtlich anerkannt ist, während es im italienischen Recht unter Umständen als silenzio circostanziato Wirkung entfaltet, kommen sie doch in der Praxis häufig zur gleichen Entscheidung. 3. Die Regelungen des Rechtsverlustes durch Schweigen im italienischen und deutschen Privarecht gestalten sich demgegenüber teils problematisch. Hinsichtlich des Rechtsverlustes infolge eines Schweigens ist ebenfalls zu beobachten, dass die italienischen und deutschen Regelungen weitgehend parallel verlaufen. Auch hinsichtlich der Verwirkung zeichnet sich eine Annäherung der beiden Rechtsordnungen ab, da sich auch in der italienischen Rechtswissenschaft Stimmen häufen, die eine nicht rechtsgeschäftliche Erklärung des Phänomens, etwa als tolleranza, befürworten. Problematisch erscheint jedoch, dass das Schweigen als Verpflichtungsgrund einerseits und das Schweigen als Ursache eines Rechtsverlusts andererseits dogmatisch und hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen, insbesondere der Anfechtungsregeln, in beiden Rechtsordnungen unterschiedliche Behandlung erfahren. Da die Zuordnung einzelner Fälle des Schweigens zu der ersten oder zweiten Gruppe teilweise stark umstritten ist und vom Blickwinkel und der Regelungstechnik des Gesetzgebers abhängt, sind die
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Rechtsfolgen einer Untätigkeit für den Betroffenen somit nur schwer abzusehen. Hinzu kommt, dass die Zuordnung des Schweigens als Verpflichtungsgrund oder Ursache eines Rechtsverlusts auch über die Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 2 Rom I‑VO und vergleichbarer Regelungen entscheidet. Neben der – wohl ein Wunschdenken bleibenden – Schaffung von Klarheit im nationalen Recht ist daher in grenzüberschreitenden Fällen zumindest die eingeschränkte Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts auf materiellrechtlicher Ebene für Fälle des Schweigens anzudenken, die einen Rechtsverlust nach sich ziehen. 4. Die bisherigen Regelungen behalten auch für neue Technologien ihre Gültigkeit. Eine Rechtsvereinheitlichung erscheint möglich und sinnvoll, wobei der Codice civile Vorbildwirkung haben kann. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl der Codice civile als auch das BGB, obwohl lange vor der Entstehung neuer Technologien konzipiert, über ein wirksames Instrumentarium zur Bewältigung moderner Phänomene im Zusammenhang mit dem Schweigen wie dem zunehmend durch Computer automatisierten Vertragsschluss im Internet oder bei Massenverträgen verfügen. Mit Spannung bleibt zu verfolgen, ob der italienische Gesetzgeber im Zuge der geplanten Reform21 des Codice civile die Notwendigkeit sieht, insoweit neue Regelungen zu schaffen. Insbesondere im Vertragsrecht dürften angesichts der ganz überwiegend übereinstimmend beurteilten Rolle des normierten und beredten Schweigens als Verpflichtungsgrund aus Sicht des italienischen und deutschen Rechts keine unüberwindbaren Hindernisse für eine etwaige Rechtsvereinheitlichung bestehen. Aber auch im Bereich des Schweigens als Ursache eines Rechtsverlustes zeichnet sich nicht nur bei normierten Fällen wie der decadenza, sondern auch für die auf Treu und Glauben fußende tolleranza bzw. Verwirkung eine zunehmende Annäherung zwischen italienischem und deutschen Recht ab. Einer einheitlichen Regelung der Problematik des Schweigens dürfte damit zumindest im Bereich des Vertragsrechts aus deutsch-italienischer Sicht kaum etwas entgegenstehen. Dabei könnten, wie die hier durchgeführte rechtsvergleichende Untersuchung zeigen sollte, die überzeugenden Regelungen des italienischen Codice civile – wie übrigens auch schon im Rahmen des Code européen des contrats22 – aber auch die hierzu bestehende italienische Literatur und Rechtsprechung weitgehend Vorbild oder zumindest Ausgangspunkt für eine einheitliche Regelung sein. 21 Vgl.
Disegno di legge recante delega al governo per la revisione del Codice civile, abrufbar unter ; vorgesehen sind u. a. Änderungen im Bereich des Vertragsrechts. 22 Dies befürwortend etwa De los Mozos, Il codice italiano come „modello“ per la codificazone europea, in: Stein, Incontro di studio su il futuro codice europeo dei contratti, 1993, 113, 118 u. 122; Medicus, Comunicazione di Dieter Medicus, in: Riv. dir. civ. 1991, 792, 795.
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Die Übersetzungen der italienischen Normen stammen von der Autorin.
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Normen des Codice civile Art. 428 Atti compiuti da persona incapace d’intendere o di volere Gli atti compiuti da persona che, sebbene non interdetta, si provi essere stata per qualsiasi causa, anche transitoria, incapace d’intendere o di volere al momento in cui gli atti sono stati compiuti, possono essere annullati su istanza della persona medesima o dei suoi eredi o aventi causa, se ne risulta un grave pregiudizio all’autore. L’annullamento dei contratti non può essere pronunziato se non quando, per il pregiudizio che sia derivato o possa derivare alla persona incapace d’intendere o di volere o per la qualità del contratto o altrimenti, risulta la malafede dell’altro contraente. L’azione si prescrive nel termine di cinque anni dal giorno in cui l’atto o il contratto è stato compiuto. Resta salva ogni diversa disposizione di legge.
Art. 457 Delazione dell’eredità L’eredità si devolve per legge o per testamento. Non si fa luogo alla successione legittima se non quando manca, in tutto o in parte, quella testamentaria. Le disposizioni testamentarie non possono pregiudicare i diritti che la legge riserva ai legittimari.
Art. 467 Nozione La rappresentazione fa subentrare i discendenti nel luogo e nel grado del loro ascendente, in tutti i casi in cui questi non può o non vuole accettare l’eredità o il legato. Si ha rappresentazione nella successione testamentaria quando il testatore non ha provveduto per il caso in cui l’istituto non possa o non voglia accettare la eredità o il legato, e sempre che non si tratti di legato di usufrutto o di altro diritto di natura personale.
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Art. 428 Handlungen einer geschäftsunfähigen Person Die Handlungen einer Person, von der nachgewiesen wird, dass sie, wenn auch nicht entmündigt, zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlungen aus irgendeinem, auch vorübergehendem Grund, geschäftsunfähig gewesen ist, können auf Antrag der betroffenen Person selbst oder ihrer Erben oder Rechtsnachfolger für nichtig erklärt werden, wenn sich aus ihnen ein schwerer Nachteil für den Handelnden ergibt. Die Nichtigerklärung der Verträge kann nur ausgesprochen werden, wenn sich aus dem Nachteil, der dem Geschäftsunfähigen erwachsen ist oder erwachsen kann, oder aus der Art des Vertrages oder auf sonstige Weise die Bösgläubigkeit der anderen Vertragspartei ergibt. Der Klageanspruch verjährt binnen einer Frist von fünf Jahren ab dem Tag, an dem die Rechtshandlung vorgenommen oder der Vertrag abgeschlossen worden ist. Jegliche abweichenden gesetzlichen Bestimmungen bleiben unberührt.
Art. 457 Erbeinsetzung Die Erbschaft wird von Gesetzes wegen oder aufgrund eines Testaments übertragen. Die gesetzliche Erbfolge tritt nur ein, wenn die testamentarische Erbfolge ganz oder teilweise fehlt. Die testamentarischen Verfügungen können die Rechte nicht beeinträchtigen, die das Gesetz den Pflichterben vorbehält.
Art. 467 Begriff Der Eintritt bewirkt, dass die Nachkommen in all den Fällen an die Stelle und in den Grad ihres Vorfahren treten, in denen dieser die Erbschaft oder das Vermächtnis nicht annehmen kann oder will. Der Eintritt erfolgt bei der testamentarischen Erbfolge, wenn der Testator nichts für den Fall vorgesehen hat, dass der Eingesetzte die Erbschaft oder das Vermächtnis nicht annehmen kann oder will, vorausgesetzt, dass es sich nicht um das Vermächtnis eines Nießbrauchs oder eines anderen Rechts persönlicher Art handelt.
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Art. 470 Accettazione pura e semplice e accettazione col beneficio d’inventario L’eredità può essere accettata puramente e semplicemente o col beneficio d’inventario. L’accettazione col beneficio d’inventario può farsi nonostante qualunque divieto del testatore.
Art. 480 Prescrizione Il diritto di accettare l’eredità si prescrive in dieci anni. Il termine decorre dal giorno dell’apertura della successione e, in caso d’istituzione condizionale, dal giorno in cui si verifica la condizione. In caso di accertamento giudiziale della filiazione il termine decorre dal passaggio in giudicato della sentenza che accerta la filiazione stessa. Il termine non corre per i chiamati ulteriori, se vi è stata accettazione da parte di precedenti chiamati e successivamente il loro acquisto ereditario è venuto meno.
Art. 481 Fissazione di un termine per l’accettazione Chiunque vi ha interesse può chiedere che l’autorità giudiziaria fissi un termine entro il quale il chiamato dichiara se accetta o rinunzia all’eredità. Trascorso questo termine senza che abbia fatto la dichiarazione, il chiamato perde il diritto di accettare.
Art. 484 Accettazione col beneficio d’inventario L’accettazione col beneficio d’inventario si fa mediante dichiarazione, ricevuta da un notaio o dal cancelliere del tribunale del circondario in cui si è aperta la successione, e inserita nel registro delle successioni conservato nello stesso tribunale. Entro un mese dall’inserzione, la dichiarazione deve essere trascritta, a cura del cancelliere, presso l’ufficio dei registri immobiliari del luogo in cui si è aperta la successione. La dichiarazione deve essere preceduta o seguita dall’inventario, nelle forme prescritte dal codice di procedura civile. Se l’inventario è fatto prima della dichiarazione, nel registro deve pure menzionarsi la data in cui esso è stato compiuto.
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Art. 470 Vorbehaltlose Annahme und Annahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung Die Erbschaft kann vorbehaltlos oder unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung angenommen werden. Die Annahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung kann trotz jeden Verbots des Testators erfolgen.
Art. 480 Verjährung Das Recht zur Erbschaftsannahme verjährt in zehn Jahren. Die Frist läuft vom Tag der Erbschaftseröffnung und im Fall der bedingten Einsetzung vom Tag des Bedingungseintritts an. Im Fall der gerichtlichen Feststellung der Abstammung läuft die Frist vom Tag an, an dem das Urteil, das die Abstammung selbst feststellt, rechtskräftig wird. Die Frist läuft nicht für die nachfolgend Berufenen, wenn eine Annahme durch zuvor Berufene erfolgt und deren Erbschaftserwerb nachträglich entfallen ist.
Art. 481 Setzung einer Frist zur Annahme Jeder, der ein Interesse daran hat, kann beantragen, dass die gerichtliche Behörde eine Frist festsetzt, innerhalb derer der Berufene zu erklären hat, ob er die Erbschaft annimmt oder verzichtet. Ist diese Frist abgelaufen, ohne dass der Berufene die Erklärung abgegeben hat, verliert er das Recht zur Annahme.
Art. 484 Annahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung Die Annahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung erfolgt durch eine Erklärung, die von einem Notar oder vom Kanzleibeamten des Landesgerichts, in dessen Bezirk die Erbfolge eröffnet worden ist, entgegengenommen und in das bei demselben Landesgericht geführte Register über die Erbschaften eingetragen wird. Innerhalb eines Monats ab der Eintragung ist die Erklärung auf Veranlassung des Kanzleibeamten bei dem Grundbuchamt des Ortes einzutragen, an dem die Erbfolge eröffnet worden ist. Der Erklärung hat die Errichtung des Inventars nach den von der Zivilprozessordnung vorgeschriebenen Förmlichkeiten vorauszugehen oder zu folgen. Wenn das Inventar vor der Erklärung errichtet wurde, ist im Register auch der Tag seiner Errichtung anzugeben.
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Se l’inventario è fatto dopo la dichiarazione, l’ufficiale pubblico che lo ha redatto deve, nel termine di un mese, far inserire nel registro l’annotazione della data in cui esso è stato compiuto.
Art. 485 Chiamato all’eredità che è nel possesso di beni Il chiamato all’eredità, quando a qualsiasi titolo è nel possesso di beni ereditari, deve fare l’inventario entro tre mesi dal giorno dell’apertura della successione o della notizia della devoluta eredità. Se entro questo termine lo ha cominciato ma non è stato in grado di completarlo, può ottenere dal tribunale del luogo in cui si è aperta la successione una proroga che, salvo gravi circostanze, non deve eccedere i tre mesi. Trascorso tale termine senza che l’inventario sia stato compiuto, il chiamato all’eredità è considerato erede puro e semplice. Compiuto l’inventario, il chiamato che non abbia ancora fatto la dichiarazione a norma dell’art. 484 ha un termine di quaranta giorni da quello del compimento dell’inventario medesimo, per deliberare se accetta o rinunzia all’eredità. Trascorso questo termine senza che abbia deliberato, è considerato erede puro e semplice.
Art. 490 Effetti del beneficio d’inventario L’effetto del beneficio d’inventario consiste nel tener distinto il patrimonio del defunto da quello dell’erede. Conseguentemente: 1) l’erede conserva verso l’eredità tutti i diritti e tutti gli obblighi che aveva verso il defunto, tranne quelli che si sono estinti per effetto della morte; 2) l’erede non è tenuto al pagamento dei debiti ereditari e dei legati oltre il valore dei beni a lui pervenuti; 3) i creditori dell’eredità e i legatari hanno preferenza sul patrimonio ereditario di fronte ai creditori dell’erede. Essi però non sono dispensati dal domandare la separazione dei beni, secondo le disposizioni del capo seguente, se vogliono conservare questa preferenza anche nel caso che l’erede decada dal beneficio d’inventario o vi rinunzi.
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Wenn das Inventar nach der Erklärung errichtet wurde, so hat die Amtsperson, die es ausgefertigt hat, binnen Monatsfrist im Register den Vermerk des Tages, an dem es errichtet wurde, eintragen zu lassen.
Art. 485 Zur Erbschaft Berufener, der im Besitz von Erbschaftsgütern ist Der zur Erbschaft Berufene, der aus irgendeinem Rechtsgrund im Besitz von Erbschaftsgütern ist, muss das Inventar innerhalb von drei Monaten ab dem Tag der Eröffnung der Erbschaft oder ab der Benachrichtigung vom Anfall der Erbschaft errichten. Hat er es innerhalb dieser Frist begonnen, aber war er nicht in der Lage, es abzuschließen, so kann er vom Landgericht, in dessen Bezirk die Erbfolge eröffnet worden ist, eine Fristverlängerung erhalten, die außer bei Vorliegen schwerwiegender Umstände drei Monate nicht übersteigen darf. Wenn diese Frist ohne Errichtung des Inventars verstrichen ist, wird der zur Erbschaft Berufene als vorbehaltloser Erbe angesehen. Nach Errichtung des Inventars steht dem Berufenen, der die Erklärung gemäß Art. 484 noch nicht abgegeben hat, eine Frist von vierzig Tagen ab der Errichtung des Inventars zu, um zu entscheiden, ob er die Erbschaft annimmt oder verzichtet. Wenn diese Frist verstrichen ist, ohne dass er sich entschieden hat, wird er als vorbehaltloser Erbe angesehen.
Art. 490 Wirkungen des Vorbehalts der Inventarerrichtung Die Wirkung des Vorbehalts der Inventarerrichtung besteht darin, dass das Vermögen des Verstorbenen von jenem des Erben getrennt gehalten wird. Folglich: 1) behält der Erbe gegenüber der Erbschaft alle Rechte und alle Verpflichtungen, die er gegenüber dem Verstorbenen hatte, mit Ausnahme derjenigen, die infolge des Todes erloschen sind, 2) ist der Erbe nicht verpflichtet, über den Wert der ihm zugekommenen Güter hinaus Erbschaftsschulden und Vermächtnisse zu erfüllen, 3) haben die Erbschaftsgläubiger und die Vermächtnisnehmer hinsichtlich des Erbschaftsvermögens den Gläubigern des Erben gegenüber Vorrang. Sie sind jedoch nicht von der Verpflichtung befreit, die Teilung der Güter gemäß den Vorschriften des folgenden Abschnittes zu beantragen, wenn sie diesen Vorrang auch für den Fall bewahren wollen, dass der Erbe das Recht auf Inventarerrichtung verlieren oder darauf verzichten sollte.
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Art. 534 Diritti dei terzi L’erede può agire anche contro gli aventi causa da chi possiede a titolo di erede o senza titolo. Sono salvi i diritti acquistati, per effetto di convenzioni a titolo oneroso con l’erede apparente, dai terzi i quali provino di avere contrattato in buona fede. La disposizione del comma precedente non si applica ai beni immobili e ai beni mobili iscritti nei pubblici registri, se l’acquisto a titolo di erede e l’acquisto dall’erede apparente non sono stati trascritti anteriormente alla trascrizione dell’acquisto da parte dell’erede o del legatario vero, o alla trascrizione della domanda giudiziale contro l’erede apparente.
Art. 649 Acquisto del legato Il legato si acquista senza bisogno di accettazione, salva la facoltà di rinunziare. Quando oggetto del legato è la proprietà di una cosa determinata o altro diritto appartenente al testatore, la proprietà o il diritto si trasmette dal testatore al legatario al momento della morte del testatore. Il legatario però deve domandare all’onerato il possesso della cosa legata, anche quando ne è stato espressamente dispensato dal testatore.
Art. 650 Fissazione di un termine per la rinunzia Chiunque ha interesse può chiedere che l’autorità giudiziaria fissi un termine entro il quale il legatario dichiari se intende esercitare la facoltà di rinunziare. Trascorso questo termine senza che abbia fatto alcuna dichiarazione, il legatario perde il diritto di rinunziare.
Art. 702 Accettazione e rinunzia alla nomina L’accettazione della nomina di esecutore testamentario o la rinunzia alla stessa deve risultare da dichiarazione fatta nella cancelleria del tribunale nella cui giurisdizione si è aperta la successione, e deve essere annotata nel registro delle successioni.
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Art. 534 Rechte Dritter Der Erbe kann auch gegen die Rechtsnachfolger desjenigen klagen, der als Erbe oder ohne einen Rechtsgrund Besitzer ist. Unberührt bleiben die Rechte, die auf Grund entgeltlicher Vereinbarungen mit dem Scheinerben von Dritten erworben wurden, welche beweisen, dass sie den Vertrag in gutem Glauben geschlossen haben. Die Bestimmung des vorhergehenden Absatzes ist nicht auf unbewegliche und in öffentliche Register eingetragene bewegliche Sachen anwendbar, wenn der Erwerb als Erbe und der Erwerb vom Scheinerben nicht vor der Eintragung des Erwerbs seitens des wahren Erben oder Vermächtnisnehmers oder vor der Eintragung der gerichtlichen Klage gegen den Scheinerben eingetragen worden sind.
Art. 649 Erwerb des Vermächtnisses Das Vermächtnis wird ohne die Notwendigkeit einer Annahmeerklärung erworben, vorbehaltlich der Möglichkeit des Verzichts. Wenn der Gegenstand des Vermächtnisses das Eigentum an einer bestimmten Sache oder ein anderes dem Testator zustehendes Recht ist, geht das Eigentum oder das Recht vom Testator zum Zeitpunkt des Todes des Testators auf den Vermächtnisnehmer über. Der Vermächtnisnehmer muss jedoch vom Beschwerten den Besitz des Vermächtnisgegenstandes verlangen, auch wenn er hiervon vom Testator ausdrücklich entbunden wurde.
Art. 650 Festsetzung einer Frist zum Verzicht Jeder, der ein Interesse daran hat, kann verlangen, dass die gerichtliche Behörde eine Frist festsetzt, binnen derer der Vermächtnisnehmer erklärt, ob er die Absicht hat, von der Möglichkeit des Verzichts Gebrauch zu machen. Wenn diese Frist verstrichen ist, ohne dass er irgendeine Erklärung abgegeben hat, verliert der Vermächtnisnehmer das Recht zum Verzicht.
Art. 702 Annahme oder Ausschlagung der Ernennung Die Annahme der Bestellung zum Testamentsvollstrecker oder der Verzicht hierauf muss aus einer Erklärung hervorgehen, die in der Kanzlei des Landgerichts, in dessen Bezirk die Erbfolge eröffnet wurde, abgegeben worden ist, und sie muss im Erbschaftsregister vermerkt werden.
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L’accettazione non può essere sottoposta a condizione o a termine. L’autorità giudiziaria, su istanza di qualsiasi interessato, può assegnare all’esecutore un termine per l’accettazione, decorso il quale l’esecutore si considera rinunziante.
Art. 769 Definizione La donazione è il contratto col quale, per spirito di liberalità, una parte arricchisce l’altra, disponendo a favore di questa di un suo diritto o assumendo verso la stessa un’obbligazione.
Art. 7812 Donazione tra coniugi I coniugi non possono, durante il matrimonio, farsi l’uno all’altro alcuna liberalità, salve quelle conformi agli usi.
Art. 782 Forma della donazione La donazione deve essere fatta per atto pubblico, sotto pena di nullità. Se ha per oggetto cose mobili, essa non è valida che per quelle specificate con indicazione del loro valore nell’atto medesimo della donazione, ovvero in una nota a parte sottoscritta dal donante, dal donatario e dal notaio. L’accettazione può essere fatta nell’atto stesso o con atto pubblico posteriore. In questo caso la donazione non è perfetta se non dal momento in cui l’atto di accettazione è notificato al donante. Prima che la donazione sia perfetta, tanto il donante quanto il donatario possono revocare la loro dichiarazione.
Art. 785 Donazione in riguardo di matrimonio La donazione fatta in riguardo di un determinato futuro matrimonio, sia dagli sposi tra loro, sia da altri a favore di uno o di entrambi gli sposi o dei figli nascituri da questi, si perfeziona senza bisogno che sia accettata, ma non produce effetto finché non segua il matrimonio. L’annullamento del matrimonio importa la nullità della donazione. Restano tuttavia salvi i diritti acquistati dai terzi di buona fede tra il giorno del matrimo2
Norm verfassungswidrig nach dem Urteil Corte cost. 27.6.1973, Nr. 91.
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Die Annahme kann keiner Bedingung oder Befristung unterworfen werden. Die gerichtliche Behörde kann auf Antrag eines jeden, der ein Interesse daran hat, dem Vollstrecker eine Frist zur Annahme setzen, nach deren Ablauf angenommen wird, dass der Vollstrecker verzichtet.
Art. 769 Definition Die Schenkung ist der Vertrag, durch den eine Partei aus Freigiebigkeit die andere bereichert, indem sie zu Gunsten von dieser über eines ihrer Rechte verfügt oder gegenüber derselben eine Verpflichtung übernimmt.
Art. 781 Schenkung unter Ehegatten Die Ehegatten können sich während der Ehe keine unentgeltlichen Zuwendungen zukommen lassen, außer solche, die nach den Gebräuchen üblich sind.
Art. 782 Form der Schenkung Die Schenkung muss durch öffentliche Urkunde erfolgen, anderenfalls ist sie nichtig. Wenn sie bewegliche Sachen zum Gegenstand hat, ist sie nur für diejenigen Sachen gültig, die unter Angabe ihres Wertes in der Schenkungsurkunde selbst bezeichnet sind oder in einem gesonderten Schriftstück, das vom Schenkenden, vom Beschenkten und vom Notar unterzeichnet worden ist. Die Annahme kann in derselben Urkunde oder mit einer späteren öffentlichen Urkunde erfolgen. In diesem Fall kommt die Schenkung erst in dem Augenblick zustande, in dem die Annahmeerklärung dem Schenkenden zugestellt wird. Bevor die Schenkung zustande gekommen ist, können sowohl der Schenkende als auch der Beschenkte ihre Erklärung widerrufen.
Art. 785 Schenkung im Hinblick auf eine Eheschließung Die Schenkung, die in Hinblick auf eine bestimmte zukünftige Eheschließung entweder von den Brautleuten untereinander oder von anderen zugunsten des Bräutigams oder der Braut oder auch beider Brautleute oder ihrer ungeborenen Kinder vorgenommen wird, kommt zustande, ohne dass es einer Annahme bedarf, aber erzeugt keine Wirkung, bis die Eheschließung erfolgt. Die Nichtigerklärung der Ehe führt zur Nichtigkeit der Schenkung. Jedoch bleiben die Rechte unberührt, die Dritte in gutem Glauben zwischen dem Tag
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nio e il passaggio in giudicato della sentenza che dichiara la nullità del matrimonio. Il coniuge di buona fede non è tenuto a restituire i frutti percepiti anteriormente alla domanda di annullamento del matrimonio. La donazione in favore di figli nascituri rimane efficace per i figli rispetto ai quali si verificano gli effetti del matrimonio putativo.
Art. 924 Sciami di api Il proprietario di sciami di api ha diritto d’inseguirli sul fondo altrui, ma deve indennità per il danno cagionato al fondo; se non li ha inseguiti entro due giorni o ha cessato durante due giorni d’inseguirli, può prenderli e ritenerli il proprietario del fondo.
Art. 925 Animali mansuefatti Gli animali mansuefatti possono essere inseguiti dal proprietario nel fondo altrui, salvo il diritto del proprietario del fondo a indennità per il danno. Essi appartengono a chi se ne è impossessato, se non sono reclamati entro venti giorni da quando il proprietario ha avuto conoscenza del luogo dove si trovano.
Art. 936 Opere fatte da un terzo con materiali propri Quando le piantagioni, costruzioni od opere sono state fatte da un terzo con suoi materiali, il proprietario del fondo ha diritto di ritenerle o di obbligare colui che le ha fatte a levarle. Se il proprietario preferisce di ritenerle, deve pagare a sua scelta il valore dei materiali e il prezzo della mano d’opera oppure l’aumento di valore recato al fondo. Se il proprietario del fondo domanda che siano tolte, esse devono togliersi a spese di colui che le ha fatte. Questi può inoltre essere condannato al risarcimento dei danni. Il proprietario non può obbligare il terzo a togliere le piantagioni, costruzioni od opere, quando sono state fatte a sua scienza e senza opposizione o quando sono state fatte dal terzo in buona fede. La rimozione non può essere domandata trascorsi sei mesi dal giorno in cui il proprietario ha avuto notizia dell’incorporazione.
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der Eheschließung und dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils über die Nichtigerklärung der Ehe erworben haben. Der gutgläubige Ehegatte ist nicht verpflichtet, die vor der Erhebung der Klage auf Nichtigerklärung der Ehe erlangten Früchte herauszugeben. Die Schenkung zugunsten ungeborener Kinder bleibt den Kindern gegenüber wirksam, bei denen die Wirkungen der Putativehe eintreten.
Art. 924 Bienenschwärme Der Eigentümer von Bienenschwärmen hat das Recht, sie auf dem Grundstück eines anderen zu verfolgen, aber er schuldet für den am Grundstück entstandenen Schaden Ersatz; wenn er sie nicht innerhalb von zwei Tagen verfolgt hat oder zwei Tage lang aufgehört hat, sie zu verfolgen, kann sie der Grundstückseigentümer an sich nehmen und behalten.
Art. 925 Gezähmte Tiere Gezähmte Tiere können vom Eigentümer auf dem Grundstück eines anderen verfolgt werden, unbeschadet des Rechtes des Grundstückseigentümer auf Ersatz für den Schaden. Sie gehören demjenigen, der an ihnen Besitz ergriffen hat, wenn sie nicht innerhalb von zwanzig Tagen herausverlangt werden, nachdem der Eigentümer Kenntnis vom Ort erlangt hat, an dem sie sich befinden.
Art. 936 Werke, die von einem Dritten mit eigenen Materialien hergestellt wurden Wenn die Anpflanzungen, Baulichkeiten oder Werke von einem Dritten mit seinen Materialien geschaffen worden sind, hat der Eigentümer des Grundstücks das Recht, sie zu behalten oder denjenigen, der sie geschaffen hat, zu verpflichten, sie zu entfernen. Wenn der Eigentümer es bevorzugt, sie zu behalten, muss er nach seiner Wahl den Wert der Materialien und den Preis der Arbeit oder die am Grundstück eingetretene Werterhöhung zahlen. Wenn der Grundstückseigentümer ihre Entfernung verlangt, müssen sie auf Kosten desjenigen, der sie geschaffen hat, entfernt werden. Dieser kann außerdem zum Schadenersatz verurteilt werden. Der Eigentümer kann den Dritten nicht verpflichten, die Anpflanzungen, Baulichkeiten oder Werke zu entfernen, wenn sie mit seinem Wissen und ohne Widerspruch geschaffen worden sind oder wenn sie vom Dritten in gutem Glauben geschaffen worden sind. Die Entfernung kann nicht verlangt werden, wenn sechs Monate ab dem Tag verstrichen sind, an dem der Eigentümer Kenntnis von der Verbindung erhalten hat.
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Art. 1144 Atti di tolleranza Gli atti compiuti con l’altrui tolleranza non possono servire di fondamento all’acquisto del possesso.
Art. 1158 Usucapione dei beni immobili e dei diritti reali immobiliari La proprietà dei beni immobili e gli altri diritti reali di godimento sui beni medesimi si acquistano in virtù del possesso continuato per venti anni.
Art. 1175 Comportamento secondo correttezza Il debitore e il creditore devono comportarsi secondo le regole della correttezza.
Art. 1183 Tempo dell’adempimento Se non è determinato il tempo in cui la prestazione deve essere eseguita, il creditore può esigerla immediatamente. Qualora tuttavia, in virtù degli usi o per la natura della prestazione ovvero per il modo o il luogo dell’esecuzione, sia necessario un termine, questo, in mancanza di accordo delle parti, è stabilito dal giudice. Se il termine per l’adempimento è rimesso alla volontà del debitore, spetta ugualmente al giudice di stabilirlo secondo le circostanze; se è rimesso alla volontà del creditore, il termine può essere fissato su istanza del debitore che intende liberarsi.
Art. 1189 Pagamento al creditore apparente Il debitore che esegue il pagamento a chi appare legittimato a riceverlo in base a circostanze univoche, è liberato se prova di essere stato in buona fede. Chi ha ricevuto il pagamento è tenuto alla restituzione verso il vero creditore, secondo le regole stabilite per la ripetizione dell’indebito.
Codice civile
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Art. 1144 Duldungshandlungen Die Handlungen, die mit der Duldung eines anderen vorgenommen werden, können nicht Grundlage für den Erwerb des Besitzes sein.
Art. 1158 Ersitzung von unbeweglichen Sachen und von dinglichen Rechten an Sachen Das Eigentum an unbeweglichen Sachen und die anderen dinglichen Nutzungsrechte an diesen Sachen werden bei einem fortgesetzten Besitz über zwanzig Jahre erworben.
Art. 1175 Redliches Verhalten Der Schuldner und der Gläubiger müssen sich nach den Grundsätzen der Redlichkeit verhalten.
Art. 1183 Zeitpunkt der Erfüllung Wenn die Zeit nicht bestimmt ist, zu der die Leistung erbracht werden muss, kann sie der Gläubiger sofort fordern. Wenn jedoch, in Anbetracht der Gebräuche oder wegen der Art der Leistung oder wegen der Weise oder des Ortes der Ausführung ein Zeitpunkt nötig ist, wird dieser in Ermangelung einer Einigung der Parteien vom Gericht festgesetzt. Wenn der Zeitpunkt der Erfüllung im Belieben des Schuldners steht, obliegt es gleichfalls dem Gericht, ihn nach den Umständen zu bestimmen; wenn er im Belieben des Gläubigers steht, kann der Zeitpunkt auf Antrag des Schuldners, der sich von der Schuld befreien will, festgesetzt werden.
Art. 1189 Zahlung an den Scheingläubiger Der Schuldner, der die Zahlung an denjenigen leistet, der nach den eindeutigen Umständen berechtigt erscheint, sie zu erhalten, wird befreit, wenn er nachweist, dass er in gutem Glauben gewesen ist. Wer die Zahlung erhalten hat, ist gegenüber dem wahren Gläubiger nach den Regeln der Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung zur Herausgabe verpflichtet.
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Normanhang
Art. 1236 Dichiarazione di remissione del debito La dichiarazione del creditore di rimettere il debito estingue l’obbligazione quando è comunicata al debitore, salvo che questi dichiari in un congruo termine di non volerne profittare.
Art. 1321 Nozione Il contratto è l’accordo di due o più parti per costituire, regolare o estinguere tra loro un rapporto giuridico patrimoniale.
Art. 1325 Indicazione dei requisiti I requisiti del contratto sono: 1) l’accordo delle parti; 2) la causa; 3) l’oggetto; 4) la forma, quando risulta che è prescritta dalla legge sotto pena di nullità.
Art. 1326 Conclusione del contratto Il contratto è concluso nel momento in cui chi ha fatto la proposta ha conoscenza dell’accettazione dell’altra parte. L’accettazione deve giungere al proponente nel termine da lui stabilito o in quello ordinariamente necessario secondo la natura dell’affare o secondo gli usi. Il proponente può ritenere efficace l’accettazione tardiva, purché ne dia immediatamente avviso all’altra parte. Qualora il proponente richieda per l’accettazione una forma determinata, l’accettazione non ha effetto se è data in forma diversa. Un’accettazione non conforme alla proposta equivale a nuova proposta.
Codice civile
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Art. 1236 Erklärung des Schulderlasses Die Erklärung des Gläubigers, die Schuld zu erlassen, bringt die Verbindlichkeit zum Erlöschen, sobald sie dem Schuldner mitgeteilt wird, es sei denn, dass dieser innerhalb einer angemessenen Frist erklärt, dies nicht in Anspruch nehmen zu wollen.
Art. 1321 Begriff Der Vertrag ist die Einigung zweier oder mehrerer Parteien, untereinander ein vermögensrechtliches Rechtsverhältnis zu begründen, zu regeln oder zum Erlöschen zu bringen.
Art. 1325 Angabe der Voraussetzungen Die Voraussetzungen des Vertrags sind: 1) die Einigung der Vertragsparteien; 2) der Rechtsgrund; 3) der Vertragsgegenstand; 4) die Form, wenn diese vom Gesetz mit der Sanktion der Nichtigkeit vorgeschrieben ist.
Art. 1326 Vertragsschluss Der Vertrag ist zu dem Zeitpunkt geschlossen, in dem derjenige, der das Angebot abgegeben hat, Kenntnis von der Annahme der anderen Partei hat. Die Annahme muss dem Anbietenden innerhalb der Zeit zugehen, die dieser bestimmt hat oder die regelmäßig nach der Natur des Rechtsgeschäfts oder den Gebräuchen notwendig ist. Der Anbietende kann die verspätete Annahme für wirksam erachten, wenn er dies unmittelbar der anderen Partei mitteilt. Wenn der Anbietende für die Annahme eine bestimmte Form verlangt, hat die Annahme keine Wirkung, wenn sie in einer anderen Form erfolgt. Eine Annahme, die nicht mit dem Angebot übereinstimmt, gilt als neues Angebot.
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Normanhang
Art. 1327 Esecuzione prima della risposta dell’accettante Qualora, su richiesta del proponente o per la natura dell’affare o secondo gli usi, la prestazione debba eseguirsi senza una preventiva risposta, il contratto è concluso nel tempo e nel luogo in cui ha avuto inizio l’esecuzione. L’accettante deve dare prontamente avviso all’altra parte dell’iniziata esecuzione e, in mancanza, è tenuto al risarcimento del danno.
Art. 1328 Revoca della proposta e dell’accettazione La proposta può essere revocata finché il contratto non sia concluso. Tuttavia, se l’accettante ne ha intrapreso in buona fede l’esecuzione prima di avere notizia della revoca, il proponente è tenuto a indennizzarlo delle spese e delle perdite subite per l’iniziata esecuzione del contratto. L’accettazione può essere revocata, purché la revoca giunga a conoscenza del proponente prima dell’accettazione.
Art. 1333 Contratto con obbligazioni del solo proponente La proposta diretta a concludere un contratto da cui derivino obbligazioni solo per il proponente è irrevocabile appena giunge a conoscenza della parte alla quale è destinata. Il destinatario può rifiutare la proposta nel termine richiesto dalla natura dell’affare o dagli usi. In mancanza di tale rifiuto il contratto è concluso.
Art. 1335 Presunzione di conoscenza La proposta, l’accettazione, la loro revoca e ogni altra dichiarazione diretta a una determinata persona si reputano conosciute nel momento in cui giungono all’indirizzo del destinatario, se questi non prova di essere stato, senza sua colpa, nell’impossibilità di averne notizia.
Art. 1337 Trattative e responsabilità precontrattuale Le parti, nello svolgimento delle trattative e nella formazione del contratto, devono comportarsi secondo buona fede.
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Art. 1327 Ausführung vor der Antwort des Annehmenden Wenn auf Verlangen des Anbietenden oder wegen der Natur des Geschäftes oder nach den Gebräuchen die Leistung ohne vorherige Antwort durchgeführt werden muss, ist der Vertrag zu dem Zeitpunkt und an dem Ort geschlossen, an dem die Ausführung begonnen worden ist. Der Annehmende muss unverzüglich der anderen Partei den Beginn der Ausführung mitteilen und ist, tut er dies nicht, zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Art. 1328 Widerruf von Angebot und Annahme Das Angebot kann widerrufen werden, bis der Vertrag geschlossen ist. Wenn jedoch der Annehmende im guten Glauben die Ausführung begonnen hat, bevor ihm der Widerruf mitgeteilt wurde, hat der Anbietende ihn hinsichtlich der Ausgaben und Verluste zu entschädigen, die er wegen der begonnenen Ausführung des Vertrags erlitten hat. Die Annahme kann widerrufen werden, soweit der Widerruf vor der Annahme zur Kenntnis des Anbietenden gelangt.
Art. 1333 Vertrag mit Verpflichtungen nur des Anbietenden Das Angebot, das darauf gerichtet ist, einen Vertrag zu schließen, aus dem nur für den Anbietenden Verpflichtungen erwachsen, ist unwiderruflich, sobald es zur Kenntnis der Partei gelangt, für die es bestimmt ist. Der Empfänger kann das Angebot binnen der Zeit, die nach der Natur des Geschäfts oder den Gebräuchen erforderlich ist, zurückweisen. In Ermangelung einer solchen Zurückweisug ist der Vertrag geschlossen.
Art. 1335 Vermutung der Kenntnis Das Angebot, die Annahme, ihr Widerruf und jede andere Erklärung, die an eine bestimmte Person gerichtet ist, werden als zu dem Zeitpunkt bekannt angesehen, zu dem sie an die Adresse des Empfängers gelangen, wenn dieser nicht beweist, dass es ihm ohne sein Verschulden unmöglich war, von ihnen Kenntnis zu erlangen.
Art. 1337 Verhandlungen und vorvertragliche Haftung Die Parteien müssen sich bei den Verhandlungen und dem Vertragsschluss gemäß Treu und Glauben verhalten.
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Art. 1338 Conoscenza delle cause d’invalidità La parte che, conoscendo o dovendo conoscere l’esistenza di una causa d’invalidità del contratto, non ne ha dato notizia all’altra parte è tenuta a risarcire il danno da questa risentito per avere confidato, senza sua colpa, nella validità del contratto.
Art. 1340 Clausole d’uso Le clausole d’uso s’intendono inserite nel contratto, se non risulta che non sono state volute dalle parti.
Art. 1341 Condizioni generali di contratto Le condizioni generali di contratto predisposte da uno dei contraenti sono efficaci nei confronti dell’altro, se al momento della conclusione del contratto questi le ha conosciute o avrebbe dovuto conoscerle usando l’ordinaria diligenza. In ogni caso non hanno effetto, se non sono specificamente approvate per iscritto, le condizioni che stabiliscono, a favore di colui che le ha predisposte, limitazioni di responsabilità, facoltà di recedere dal contratto o di sospenderne l’esecuzione, ovvero sanciscono a carico dell’altro contraente decadenze, limitazioni alla facoltà di opporre eccezioni, restrizioni alla libertà contrattuale nei rapporti coi terzi, tacita proroga o rinnovazione del contratto, clausole compromissorie o deroghe alla competenza dell’autorità giudiziaria.
Art. 1346 Requisiti L’oggetto del contratto deve essere possibile, lecito, determinato o determinabile.
Art. 1350 Atti che devono farsi per iscritto Devono farsi per atto pubblico o per scrittura privata, sotto pena di nullità: 1) i contratti che trasferiscono la proprietà di beni immobili;
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Art. 1338 Kenntnis der Ungültigkeitsgründe Die Vertragspartei, die, obwohl sie das Bestehen eines Grundes für die Ungültigkeit des Vertrags kannte oder kennen musste, nicht die andere Partei hiervon benachrichtigt hat, ist verpflichtet, dieser den Schaden zu ersetzen, den diese erlitten hat, weil sie ohne ihr Verschulden auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut hat.
Art. 1340 Gebräuchliche Klauseln Die gebräuchlichen Klauseln gelten als in den Vertrag aufgenommen, wenn sich nicht ergibt, dass sie von den Parteien nicht gewollt sind.
Art. 1341 Allgemeine Vertragsbedingungen Die durch eine der Vertragsparteien im Voraus aufgestellten allgemeinen Vertragsbedingungen sind gegenüber der anderen wirksam, wenn diese sie zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses kannte oder bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt kennen hätte müssen. In jedem Fall haben, wenn ihnen nicht besonders schriftlich zugestimmt worden ist, diejenigen Bedingungen keine Wirkung, die zugunsten desjenigen, der sie im Voraus aufgestellt hat, Haftungsbeschränkungen, die Befugnis zum Rücktritt vom Vertrag oder zur Aussetzung der Vertragsausführung festsetzen oder die zu Lasten der anderen Vertragspartei einen Rechtsverlust, Beschränkungen der Befugnis zur Erhebung von Einwendungen, die Einschränkung der Vertragsfreiheit in den Beziehungen zu Dritten, die stillschweigende Verlängerung oder Erneuerung des Vertrages, Schiedsklauseln oder Änderungen der Zuständigkeit der Gerichte verhängen.
Art. 1346 Voraussetzungen Der Gegenstand des Vertrags muss möglich, erlaubt und bestimmt oder bestimmbar sein.
Art. 1350 Handlungen, die die Schriftlichkeit erfordern Durch öffentliche Urkunde oder Privaturkunde sind bei sonstiger Nichtigkeit zu schließen: 1) Verträge, die das Eigentum an unbeweglichen Sachen übertragen,
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2) i contratti che costituiscono, modificano o trasferiscono il diritto di usufrutto su beni immobili, il diritto di superficie, il diritto del concedente e dell’enfiteuta; 3) i contratti che costituiscono la comunione di diritti indicati dai numeri precedenti; 4) i contratti che costituiscono o modificano le servitù prediali, il diritto di uso su beni immobili e il diritto di abitazione; 5) gli atti di rinunzia ai diritti indicati dai numeri precedenti; 6) i contratti di affrancazione del fondo enfiteutico; 7) i contratti di anticresi; 8) i contratti di locazione di beni immobili per una durata superiore a nove anni; 9) i contratti di società o di associazione con i quali si conferisce il godimento di beni immobili o di altri diritti reali immobiliari per un tempo eccedente i nove anni o per un tempo indeterminato; 10) gli atti che costituiscono rendite perpetue o vitalizie, salve le disposizioni relative alle rendite dello Stato; 11) gli atti di divisione di beni immobili e di altri diritti reali immobiliari; 12) le transazioni che hanno per oggetto controversie relative ai rapporti giuridici menzionati nei numeri precedenti; 13) gli altri atti specialmente indicati dalla legge.
Art. 1352 Forme convenzionali Se le parti hanno convenuto per iscritto di adottare una determinata forma per la futura conclusione di un contratto, si presume che la forma sia stata voluta per la validità di questo.
Art. 1372 Efficacia del contratto Il contratto ha forza di legge tra le parti. Non può essere sciolto che per mutuo consenso o per cause ammesse dalla legge. Il contratto non produce effetto rispetto ai terzi che nei casi previsti dalla legge.
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2) Verträge, die das Nießbrauchsrecht an unbeweglichen Sachen, das Überbaurecht, das Recht des Verpächters und des Erbpächters begründen, abändern oder übertragen, 3) Verträge, die eine Gemeinschaft an den in den vorhergehenden Ziffern bezeichneten Rechten begründen, 4) Verträge, die Grunddienstbarkeiten, das Gebrauchsrecht an unbeweglichen Sachen und das Wohnrecht begründen oder abändern, 5) Verzichtsleistungen auf die in den vorhergehenden Ziffern bezeichneten Rechte, 6) Verträge über die Ablösung des Erbpachtgrundes, 7) Verträge über das Nutzungspfandrecht 8) Mietverträge über unbewegliche Sachen für eine Dauer von über neun Jahren, 9) Gesellschaftsverträge oder Verträge zur Gründung einer Vereinigung, durch die die Nutzung unbeweglicher Sachen oder anderer dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen für eine Dauer von über neun Jahren oder auf unbestimmte Zeit übertragen wird, 10) Handlungen, die dauerhafte Renten oder Leibrenten begründen, vorbehaltlich der Bestimmungen über die Staatsrenten, 11) Teilungshandlungen an unbeweglichen Sachen und anderen dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen, 12) Vergleiche, die Streitigkeiten zum Gegenstand haben, welche die in den vorhergehenden Ziffern genannten Rechtsverhältnisse betreffen, 13) die übrigen durch das Gesetz besonders bezeichneten Handlungen.
Art. 1352 Vereinbarte Form Wenn die Parteien schriftlich vereinbart haben, eine bestimmte Form für den zukünftigen Abschluss eines Vertrages zu verwenden, wird vermutet, dass die Form für die Gültigkeit des Vertrages gewollt ist.
Art. 1372 Wirksamkeit des Vertrags Der Vertrag hat Gesetzeskraft zwischen den Parteien. Er kann nur durch wechselseitiges Einverständnis oder wegen gesetzlich zugelassener Gründe aufgelöst werden. Der Vertrag entfaltet keine Wirkung gegenüber Dritten außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen.
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Art. 1374 Integrazione del contratto Il contratto obbliga le parti non solo a quanto è nel medesimo espresso, ma anche a tutte le conseguenze che ne derivano secondo la legge, o, in mancanza, secondo gli usi e l’equità.
Art. 1375 Esecuzione di buona fede Il contratto deve essere eseguito secondo buona fede.
Art. 1392 Forma della procura La procura non ha effetto se non è conferita con le forme prescritte per il contratto che il rappresentante deve concludere.
Art. 1398 Rappresentanza senza potere Colui che ha contrattato come rappresentante senza averne i poteri o eccedendo i limiti delle facoltà conferitegli, è responsabile del danno che il terzo contraente ha sofferto per avere confidato senza sua colpa nella validità del contratto.
Art. 1399 Ratifica Nell’ipotesi prevista dall’articolo precedente, il contratto può essere ratificato dall’interessato, con l’osservanza delle forme prescritte per la conclusione di esso. La ratifica ha effetto retroattivo, ma sono salvi i diritti dei terzi. Il terzo e colui che ha contrattato come rappresentante possono d’accordo sciogliere il contratto prima della ratifica. Il terzo contraente può invitare l’interessato a pronunziarsi sulla ratifica assegnandogli un termine, scaduto il quale, nel silenzio, la ratifica s’intende negata. La facoltà di ratifica si trasmette agli eredi.
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Art. 1374 Ergänzung des Vertrags Der Vertrag verpflichtet die Parteien nicht nur zu dem, was in ihm ausdrücklich vereinbart ist, sondern auch zu allen Folgen, die daraus von Gesetzes wegen oder in Ermangelung dessen nach den Gebräuchen und der Billgkeit entstehen.
Art. 1375 Ausführung nach Treu und Glauben Der Vertrag muss gemäß Treu und Glauben ausgeführt werden.
Art. 1392 Form der Vertretung Die Vertretung hat keine Wirkung, wenn sie nicht unter Beachtung der Formvorschriften erteilt wird, die für den Vertrag vorgeschrieben sind, den der Vertreter zu schließen hat.
Art. 1398 Vertretung ohne Vertretungsmacht Derjenige, der einen Vertrag als Vertreter geschlossen hat, ohne die Macht dazu zu haben oder indem er die Grenzen der ihm verliehenen Vertretungsmacht überschritten hat, haftet für den Schaden, den der Dritte als Vertragspartner deswegen erlitten hat, weil er ohne sein Verschulden auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut hat.
Art. 1399 Genehmigung Im vom vorhergehenden Artikel vorgesehenen Fall kann der Vertrag von demjenigen, der daran ein Interesse hat, unter Beachtung der für den Abschluss von demselben vorgesehenen Formvorschriften genehmigt werden. Die Genehmigung hat Rückwirkung, wobei aber die Rechte Dritter unberührt bleiben. Der Dritte und der, der als Vertreter gehandelt hat, können vor der Genehmigung einvernehmlich den Vertrag auflösen. Der Dritte als Vertragspartner kann denjenigen, der ein Interesse daran hat, auffordern, sich über die Genehmigung zu äußern, wobei er eine Frist bestimmt, nach deren Ablauf bei einem Schweigen die Genehmigung als verweigert gilt. Die Möglichkeit der Genehmigung wird auf die Erben übertragen.
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Art. 1425 Incapacità delle parti Il contratto è annullabile se una delle parti era legalmente incapace di contrattare. È parimenti annullabile, quando ricorrono le condizioni stabilite dall’art. 428, il contratto stipulato da persona incapace d’intendere o di volere.
Art. 1427 Errore, violenza e dolo Il contraente, il cui consenso fu dato per errore, estorto con violenza o carpito con dolo, può chiedere l’annullamento del contratto secondo le disposizioni seguenti.
Art. 1428 Rilevanza dell’errore L’errore è causa di annullamento del contratto quando è essenziale ed è riconoscibile dall’altro contraente.
Art. 1429 Errore essenziale L’errore è essenziale: 1) quando cade sulla natura o sull’oggetto del contratto; 2) quando cade sull’identità dell’oggetto della prestazione ovvero sopra una qualità dello stesso che, secondo il comune apprezzamento o in relazione alle circostanze, deve ritenersi determinante del consenso; 3) quando cade sull’identità o sulle qualità della persona dell’altro contraente, sempre che l’una o le altre siano state determinanti del consenso; 4) quando, trattandosi di errore di diritto, è stato la ragione unica o principale del contratto.
Art. 1431 Errore riconoscibile L’errore si considera riconoscibile quando, in relazione al contenuto, alle circostanze del contratto ovvero alla qualità dei contraenti, una persona di normale diligenza avrebbe potuto rilevarlo.
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Art. 1425 Geschäftsunfähigkeit der Parteien Der Vertrag ist vernichtbar, wenn eine der Vertragsparteien von Gesetzes wegen unfähig zum Vertragsschluss war. Ebenso ist, wenn die von Art. 428 festgelegten Voraussetzungen vorliegen, der Vertrag vernichtbar, der von einer Person geschlossen wurde, die geschäftsunfähig ist.
Art. 1427 Irrtum, Zwang und Arglist Der Vertragsschließende, dessen Einverständnis irrtümlich erteilt, gewaltsam erzwungen oder vorsätzlich erschlichen wurde, kann die Nichtigerklärung des Vertrags nach den folgenden Vorschriften verlangen.
Art. 1428 Erheblichkeit des Irrtums Der Irrtum ist Ursache für die Nichtigerklärung des Vertrags, wenn er wesentlich und für den anderen Vertragsteil erkennbar ist.
Art. 1429 Wesentlichkeit des Irrtums Der Irrtum ist wesentlich: 1) wenn er die Natur oder den Gegenstand des Vertrags betrifft; 2) wenn er die Identität des Gegenstands der Leistung oder eine Eigenschaft von derselben betrifft, die nach allgemeiner Anschauung oder in Bezug auf die Umstände als ausschlaggebend für die Einigung angesehen werden muss; 3) wenn er die Identität oder die Eigenschaften der Person des anderen Vertragsschließenden betrifft, vorausgesetzt, dass das eine oder andere für die Einigung ausschlaggebend gewesen ist; 4) wenn er, bei einem Rechtsirrtum, der einzige oder hauptsächliche Grund für den Vertrag gewesen ist.
Art. 1431 Erkennbarer Irrtum Der Irrtum wird als erkennbar angesehen, wenn eine durchschnittlich sorgfältige Person ihn in Bezug auf den Inhalt, die Umstände des Vertrags oder die Eigenschaften der Vertragsschließenden hätte erkennen können.
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Normanhang
Art. 1433 Errore nella dichiarazione o nella sua trasmissione Le disposizioni degli articoli precedenti si applicano anche al caso in cui l’errore cade sulla dichiarazione, o in cui la dichiarazione è stata inesattamente trasmessa dalla persona o dall’ufficio che ne era stato incaricato.
Art. 1435 Caratteri della violenza La violenza deve essere di tal natura da fare impressione sopra una persona sensata e da farle temere di esporre sé o i suoi beni a un male ingiusto e notevole. Si ha riguardo, in questa materia, all’età, al sesso e alla condizione delle persone.
Art. 1439 Dolo Il dolo è causa di annullamento del contratto quando i raggiri usati da uno dei contraenti sono stati tali che, senza di essi, l’altra parte non avrebbe contrattato. Quando i raggiri sono stati usati da un terzo, il contratto è annullabile se essi erano noti al contraente che ne ha tratto vantaggio.
Art. 1441 Legittimazione L’annullamento del contratto può essere domandato solo dalla parte nel cui interesse è stabilito dalla legge. L’incapacità del condannato in istato di interdizione legale può essere fatta valere da chiunque vi ha interesse.
Art. 1442 Prescrizione L’azione di annullamento si prescrive in cinque anni. Quando l’annullabilità dipende da vizio del consenso o da incapacità legale, il termine decorre dal giorno in cui è cessata la violenza, è stato scoperto l’errore o il dolo, è cessato lo stato d’interdizione o d’inabilitazione, ovvero il minore ha raggiunto la maggiore età. Negli altri casi il termine decorre dal giorno della conclusione del contratto.
Codice civile
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Art. 1433 Irrtum bei der Erklärung oder bei der Übermittlung Die Bestimmungen der vorhergehenden Artikel sind auch für den Fall anzuwenden, dass der Irrtum die Erklärung betrifft oder die Erklärung ungenau von der Person oder Einrichtung übermittelt wurde, die damit beauftragt war.
Art. 1435 Merkmale des Zwangs Der Zwang muss von solcher Art sein, dass er auf eine besonnene Person Eindruck macht und sie befürchten lässt, sich oder ihre Güter einem rechtswidrigen und erheblichen Übel auszusetzen. Dabei ist auf das Alter, das Geschlecht und die Verhältnisse der Personen Rücksicht zu nehmen.
Art. 1439 Arglist Die Arglist ist Grund für die Nichtigerklärung des Vertrags, wenn die von einem der Vertragsschließenden vorgenommenen Täuschungshandlungen so beschaffen sind, dass die andere Vertragspartei ohne diese den Vertrag nicht eingegangen wäre. Wenn die Täuschungshandlungen von einem Dritten vorgenommen worden sind, ist der Vertrag vernichtbar, wenn diese dem Vertragspartner bekannt waren, der hieraus Vorteil gezogen hat.
Art. 1441 Berechtigung Die Nichtigerklärung des Vertrags kann nur von dem Teil erklärt werden, in dessen Interesse sie vom Gesetz festgelegt ist. Die Geschäftsunfähigkeit des Verurteilten, der kraft Gesetzes entmündigt ist, kann von jedem geltend gemacht werden, der daran ein Interesse hat.
Art. 1442 Verjährung Die Klagefrist zur Nichtigerklärung verjährt in fünf Jahren. Wenn die Nichtigerklärung auf einem Willensmangel oder der Geschäftsunfähigkeit beruht, läuft die Frist ab dem Tag, an dem der Zwang geendet hat, der Irrtum oder die Arglist entdeckt wurden, der Zustand der vollen oder teilweisen Entmündigung aufgehört hat oder der Minderjährige die Volljährigkeit erlangt hat. In den anderen Fällen läuft die Frist ab dem Tag des Vertragsschlusses.
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Normanhang
L’annullabilità può essere opposta dalla parte convenuta per l’esecuzione del contratto, anche se è prescritta l’azione per farla valere.
Art. 1454 Diffida ad adempiere Alla parte inadempiente l’altra può intimare per iscritto di adempiere in un congruo termine, con dichiarazione che, decorso inutilmente detto termine, il contratto s’intenderà senz’altro risoluto. Il termine non può essere inferiore a quindici giorni, salvo diversa pattuizione delle parti o salvo che, per la natura del contratto o secondo gli usi, risulti congruo un termine minore. Decorso il termine senza che il contratto sia stato adempiuto, questo è risoluto di diritto.
Art. 1469 Contratto aleatorio Le norme degli articoli precedenti non si applicano ai contratti aleatori per loro natura o per volontà delle parti.
Art. 1495 Termini e condizioni per l’azione Il compratore decade dal diritto alla garanzia, se non denunzia i vizi al venditore entro otto giorni dalla scoperta, salvo il diverso termine stabilito dalle parti o dalla legge. La denunzia non è necessaria se il venditore ha riconosciuto l’esistenza del vizio o l’ha occultato. L’azione si prescrive, in ogni caso, in un anno dalla consegna; ma il compratore, che sia convenuto per l’esecuzione del contratto, può sempre far valere la garanzia, purché il vizio della cosa sia stato denunziato entro otto giorni dalla scoperta e prima del decorso dell’anno dalla consegna.
Art. 1520 Vendita con riserva di gradimento Quando si vendono cose con riserva di gradimento da parte del compratore, la vendita non si perfeziona fino a che il gradimento non sia comunicato al venditore.
Codice civile
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Die Vernichtbarkeit kann von der Partei, die zur Durchführung des Vertrages beklagt ist eingewandt werden, auch wenn die Frist zur Geltendmachung mit einer Klage verjährt ist.
Art. 1454 Aufforderung zur Vertragserfüllung Die andere Vertragspartei kann die nicht erfüllende Partei per Einschreiben auffordern, innerhalb angemessener Frist zu erfüllen mit der Erklärung, dass der Vertrag, wenn diese Frist fruchtlos verstrichen ist, ohne weiteres als aufgelöst gilt. Die Frist darf nicht weniger als fünfzehn Tage betragen, vorbehaltlich abweichender Vereinbarung durch die Parteien oder aber, dass eine geringere Frist aufgrund der Natur des Vertrags oder nach den Gebräuchen angemessen erscheint. Verstreicht die Frist, ohne dass der Vertrag erfüllt worden ist, ist dieser von Gesetzes wegen aufgelöst.
Art. 1469 Glücksspielvertrag Die Vorschriften der vorhergehenden Artikel sind nicht auf Verträge anzuwenden, die nach ihrer Art oder nach dem Willen der Parteien Glücksspielverträge sind.
Art. 1495 Frist und Bedingungen für die Klage Der Käufer verliert das Recht auf Garantie, wenn er die Mängel dem Verkäufer nicht innerhalb von acht Tagen nach der Entdeckung anzeigt, vorbehaltlich der von den Parteien oder dem Gesetz abweichend bestimmten Frist. Die Anzeige ist nicht notwendig, wenn der Verkäufer die Existenz des Mangels gekannt oder sie verborgen hat. Die Unmöglichkeit verjährt in jedem Fall ein Jahr nach Lieferung; der Käufer, der auf Vertragserfüllung verklagt wird, kann jedoch stets die Garantie geltend machen, wenn der Mangel der Sache binnen acht Tagen nach Entdeckung und vor Ablauf eines Jahres seit der Lieferung geltend gemacht wurde.
Art. 1520 Kauf unter dem Vorbehalt der Billigung Wenn Sachen unter dem Vorbehalt der Billigung des Käufers verkauft werden, ist der Kauf nicht vollendet, bis die Billigung dem Verkäufer mitgeteilt worden ist.
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Se l’esame della cosa deve farsi presso il venditore, questi è liberato, qualora il compratore non vi proceda nel termine stabilito dal contratto o dagli usi, o, in mancanza, in un termine congruo fissato dal venditore. Se la cosa si trova presso il compratore e questi non si pronunzia nel termine sopra indicato, la cosa si considera di suo gradimento.
Art. 1574 Locazione senza determinazione di tempo Quando le parti non hanno determinato la durata della locazione, questa s’intende convenuta: 1) se si tratta di case senza arredamento di mobili o di locali per l’esercizio di una professione, di un’industria o di un commercio, per la durata di un anno, salvi gli usi locali; 2) se si tratta di camere o di appartamenti mobiliati, per la durata corrispondente all’unità di tempo a cui è commisurata la pigione; 3) se si tratta di cose mobili, per la durata corrispondente all’unità di tempo a cui è commisurato il corrispettivo; 4) se si tratta di mobili forniti dal locatore per l’arredamento di un fondo urbano, per la durata della locazione del fondo stesso.
Art. 1596 Fine della locazione per lo spirare del termine La locazione per un tempo determinato dalle parti cessa con lo spirare del termine, senza che sia necessaria la disdetta. La locazione senza determinazione di tempo non cessa, se prima della scadenza stabilita a norma dell’art. 1574 una delle parti non comunica all’altra disdetta nel termine fissato dalle norme corporative o, in mancanza, in quello determinato dalle parti o dagli usi.
Art. 1597 Rinnovazione tacita del contratto La locazione si ha per rinnovata se, scaduto il termine di essa, il conduttore rimane ed è lasciato nella detenzione della cosa locata o se, trattandosi di locazione a tempo indeterminato, non è stata comunicata la disdetta a norma dell’articolo precedente.
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Wenn die Prüfung der Sache beim Verkäufer vorzunehmen ist, ist dieser befreit, wenn der Käufer diese nicht innerhalb der vertraglich oder nach den Gebräuchen festgelegten Frist oder, in Ermangelung einer solchen, innerhalb einer angemessenen vom Verkäufer festgesetzten Frist vorgenommen wird. Wenn die Sache sich beim Käufer befindet und dieser sich nicht innerhalb der oben genannten Frist äußert, wird die Sache als von ihm gebilligt angesehen.
Art. 1574 Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit Wenn die Parteien die Dauer des Mietverhältnisses nicht bestimmt haben, wird vermutet, dass diese vereinbart ist: 1) wenn es sich um unmöblierte Häuser oder Geschäftsräume zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, eines Gewerbes oder eines Handelsgewerbes handelt, für ein Jahr, vorbehaltlich örtlicher Gebräuche; 2) wenn es sich um Zimmer oder möblierte Wohnungen handelt, für die Dauer einer Zeitspanne, für die das Entgelt bemessen ist; 3) wenn es sich um bewegliche Sachen handelt, für die Dauer einer Zeitspanne, für die das Entgelt bemessen ist; 4) wenn es sich um bewegliche Sachen handelt, die vom Vermieter für die Einrichtung eines städtischen Grundstücks zur Verfügung gestellt werden, für die Dauer der Vermietung des Grundstücks selbst.
Art. 1596 Ende des Mietverhältnisses wegen Fristablaufs Das Mietverhältnis auf bestimmte Zeit endet mit Ablauf der Frist, ohne dass eine Kündigung notwendig ist. Das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit endet nicht, wenn nicht vor Ablauf der in Artikel 1574 festgesetzten Frist eine der Parteien der anderen die Kündigung in der von den Ständischen Vorschriften oder bei Fehlen von solchen von den Parteien oder von den Gebräuchen festgesetzten Frist mitteilt.
Art. 1597 Konkludente Vertragserneuerung Das Mietverhältnis gilt als erneuert, wenn der Mieter nach seinem Ablauf im Besitz der vermieteten Sache verbleibt oder gelassen wird oder, wenn es sich um ein zeitlich unbefristetes Mietverhältnis handelt, die Kündigung gemäß dem vorhergehenden Artikel nicht mitgeteilt wird.
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Normanhang
La nuova locazione è regolata dalle stesse condizioni della precedente, ma la sua durata è quella stabilita per le locazioni a tempo indeterminato. Se è stata data licenza, il conduttore non può opporre la tacita rinnovazione, salvo che consti la volontà del locatore di rinnovare il contratto.
Art. 1657 Determinazione del corrispettivo Se le parti non hanno determinato la misura del corrispettivo né hanno stabilito il modo di determinarla, essa è calcolata con riferimento alle tariffe esistenti o agli usi; in mancanza, è determinata dal giudice.
Art. 1665 Verifica e pagamento dell’opera Il committente, prima di ricevere la consegna, ha diritto di verificare l’opera compiuta. La verifica deve essere fatta dal committente appena l’appaltatore lo mette in condizione di poterla eseguire. Se, nonostante l’invito fattogli dall’appaltatore, il committente tralascia di procedere alla verifica senza giusti motivi, ovvero non ne comunica il risultato entro un breve termine, l’opera si considera accettata. Se il committente riceve senza riserve la consegna dell’opera, questa si considera accettata ancorché non si sia proceduto alla verifica. Salvo diversa pattuizione o uso contrario, l’appaltatore ha diritto al pagamento del corrispettivo quando l’opera è accettata dal committente.
Art. 1709 Presunzione di onerosità Il mandato si presume oneroso. La misura del compenso, se non è stabilita dalle parti, è determinata in base alle tariffe professionali o agli usi; in mancanza è determinata dal giudice.
Codice civile
383
Das neue Mietverhältnis wird von denselben Bedingungen wie das vorhergehende geregelt, aber seine Dauer ist jene, die für das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit vorgesehen ist. Wenn die Kündigung erklärt wurde, kann der Mieter die konkludente Erneuerung nicht einwenden, außer wenn der Wille des Vermieters besteht, den Vertrag zu erneuern.
Art. 1657 Bestimmung des Lohns Wenn die Parteien nicht die Bemessung des Lohns bestimmt haben oder die Art und Weise der Bestimmung, wird diese unter Bezugnahme auf bestehende Tarife oder Gebräuche vorgenommen; in Ermangelung solcher wird sie vom Gericht bestimmt.
Art. 1665 Prüfung und Zahlung des Werks Der Besteller hat vor der Entgegennahme des Werks das Recht, das vollendete Werk zu überprüfen. Die Prüfung muss vom Empfänger vorgenommen werden, sobald der Werkunternehmer ihn in die Lage versetzt, sie durchführen zu können. Wenn der Besteller es trotz der Aufforderungen des Werkunternehmers ohne berechtigte Gründe unterlässt, die Prüfung vorzunehmen oder wenn er ihr Ergebnis nicht innerhalb kurzer Zeit mitteilt, wird das Werk als angenommen angesehen. Wenn der Besteller ohne Vorbehalt die Lieferung des Werks entgegennimmt, wird dieses als angenommen angesehen, auch wenn die Prüfung nicht durchgeführt wurde. Vorbehaltlich abweichender Vereinbarung oder eines entgegenstehenden Brauchs hat der Werkunternehmer ein Recht auf Zahlung des Werklohns, wenn das Werk vom Besteller angenommen worden ist.
Art. 1709 Vermutung der Entgeltlichkeit Die Entgeltlichkeit des Auftrags wird vermutet. Die Bemessung der Vergütung wird, wenn sie nicht von den Parteien bestimmt ist, auf Grundlage der beruflichen Tarife oder der Gebräuche bestimmt; in Ermangelung solcher wird sie vom Gericht bestimmt.
384
Normanhang
Art. 1712 Comunicazione dell’eseguito mandato Il mandatario deve senza ritardo comunicare al mandante l’esecuzione del mandato. Il ritardo del mandante a rispondere dopo aver ricevuto tale comunicazione, per un tempo superiore a quello richiesto dalla natura dell’affare o dagli usi, importa approvazione, anche se il mandatario si è discostato dalle istruzioni o ha ecceduto i limiti del mandato.
Art. 1733 Misura della provvigione La misura della provvigione spettante al commissionario, se non è stabilita dalle parti, si determina secondo gli usi del luogo in cui è compiuto l’affare. In mancanza di usi provvede il giudice secondo equità.
Art. 1747 Impedimento dell’agente L’agente che non è in grado di eseguire l’incarico affidatogli deve dare immediato avviso al preponente. In mancanza è obbligato al risarcimento del danno.
Art. 1755 Provvigione Il mediatore ha diritto alla provvigione da ciascuna delle parti, se l’affare è concluso per effetto del suo intervento. La misura della provvigione e la proporzione in cui questa deve gravare su ciascuna delle parti, in mancanza di patto, di tariffe professionali o di usi, sono determinate dal giudice secondo equità.
Art. 1767 Presunzione di gratuità Il deposito si presume gratuito, salvo che dalla qualità professionale del depositario o da altre circostanze si debba desumere una diversa volontà delle parti.
Codice civile
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Art. 1712 Mitteilung des ausgeführten Auftrags Der Beauftragte muss ohne Verzögerung dem Auftraggeber die Ausführung des Auftrags mitteilen. Die Verspätung des Auftraggebers bei der Antwort, nachdem er eine solche Mitteilung erhalten hat, über eine Zeitspanne, die jene, die aufgrund der Natur des Geschäfts oder der Gebräuche erforderlich ist, übersteigt, führt zur Zustimmung, auch wenn der Auftraggeber von den Anweisungen abgewichen ist oder die Grenzen des Auftrags überschritten hat.
Art. 1733 Bemessung der Provision Die Bemessung der Provision, die dem Kommissionär zusteht, wird, wenn sie nicht von den Parteien festgesetzt ist, nach den Gebräuchen des Orts bestimmt, an dem das Geschäft abgeschlossen worden ist. In Ermangelung von Gebräuchen bestimmt sie das Gericht nach Billigkeit.
Art. 1747 Verhinderung des Agenten Der Agent, der nicht in der Lage ist, den ihm anvertrauten Auftrag auszuführen, muss den Geschäftsherren unmittelbar benachrichtigen. Tut er dies nicht, ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Art. 1755 Provision Der Vermittler hat Anspruch auf die Provision gegen jede der Vertragsparteien, wenn das Geschäft aufgrund seines Zutuns zustande gekommen ist. Die Bemessung der Provision und des Anteils, mit dem diese auf jeder der Vertragsparteien liegen muss, werden in Ermangelung eines Vertrags, beruflicher Tarife oder Gebräuche vom Gericht nach Billigkeit bestimmt.
Art. 1767 Vermutung der Unentgeltlichkeit Die Unentgeltlichkeit der Hinterlegung wird vermutet, außer wenn aus der beruflichen Eigenschaft des Verwahrers oder aus anderen Umständen ein abweichender Wille der Parteien entommen werden muss.
386
Normanhang
Art. 1817 Termine per la restituzione fissato dal giudice Se non è fissato un termine per la restituzione, questo è stabilito dal giudice, avuto riguardo alle circostanze. Se è stato convenuto che il mutuatario paghi solo quando potrà, il termine per il pagamento è pure fissato dal giudice.
Art. 1823 Nozione Il conto corrente è il contratto col quale le parti si obbligano ad annotare in un conto i crediti derivanti da reciproche rimesse, considerandoli inesigibili e indisponibili fino alla chiusura del conto. Il saldo del conto è esigibile alla scadenza stabilita. Se non è richiesto il pagamento, il saldo si considera quale prima rimessa di un nuovo conto e il contratto s’intende rinnovato a tempo indeterminato.
Art. 1832 Approvazione del conto L’estratto conto trasmesso da un correntista all’altro s’intende approvato, se non è contestato nel termine pattuito o in quello usuale, o altrimenti nel termine che può ritenersi congruo secondo le circostanze. L’approvazione del conto non preclude il diritto di impugnarlo per errori di scritturazione o di calcolo, per omissioni o per duplicazioni. L’impugnazione deve essere proposta, sotto pena di decadenza, entro sei mesi dalla data di ricezione dell’estratto conto relativo alla liquidazione di chiusura, che deve essere spedito per mezzo di raccomandata.
Art. 1835 Libretto di deposito a risparmio Se la banca rilascia un libretto di deposito a risparmio, i versamenti e i prelevamenti si devono annotare sul libretto. Le annotazioni sul libretto, firmate dall’impiegato della banca che appare addetto al servizio, fanno piena prova nei rapporti tra banca e depositante. È nullo ogni patto contrario.
Codice civile
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Art. 1817 Vom Gericht festgesetzte Frist zur Rückgabe Wenn keine Frist zur Rückgabe festgelegt ist, wird diese vom Gericht bestimmt, wobei die Umstände berücksichtigt werden. Wenn vereinbart worden ist, dass der Darlehensempfänger erst zahlt, wenn er kann, wird die Frist zur Zahlung dennoch vom Gericht festgesetzt.
Art. 1823 Begriff Das Kontokorrent ist der Vertrag, durch den die Parteien sich verpflichten, in einer Rechnung die Forderungen, die aus wechselseitigen Leistungen stammen, zu vermerken, wobei sie sie bis zum Abschluss der Rechnung als nicht fällig und verfügbar ansehen. Der Saldo deer Rechnung ist zum vereinbarten Ablauf fällig. Wenn keine Zahlung verlangt wird, ist der Saldo als erste Gutschrift auf eine neue Rechnung anzusehen und der Vertrag gilt als auf unbestimmte Zeit erneuert.
Art. 1832 Genehmigung des Kontoauszugs Die von einem Kontokorrentinhaber dem anderen zugesandte Rechnung gilt als genehmigt, wenn sie nicht innerhalb der vereinbarten oder der üblichen Frist oder sonst innerhalb jener Frist bestritten wird, die nach den Umständen als angemessen erachtet werden kann. Die Genehmigung der Rechnung schließt nicht das Recht aus, diese wegen Schreib- oder Rechenfehlern, Auslassungen oder Doppelungen anzufechten. Die Anfechtung muss, um nicht das Recht hierzu verlieren, innerhalb von sechs Monaten ab dem Datum des Erhalts der Rechnung hinsichtlich der Schlussabrechnung erfolgen, wobei diese mittels Einschreiben zugesandt werden muss.
Art. 1835 Sparbuch Wenn die Bank ein Sparbuch herausgibt, müssen die Überweisungen und Abbuchungen im Buch vermerkt werden. Die Vermerke im Buch, welche vom Bankangestellten, der offenbar mit dem Dienst betraut ist, unterschrieben sind, erbringen vollen Beweis bezüglich der Rechtsverhältnisse zwischen Bank und Einleger. Jede gegenteilige Abmachung ist nichtig.
388
Normanhang
Art. 1892 Dichiarazioni inesatte e reticenze con dolo o colpa grave Le dichiarazioni inesatte e le reticenze del contraente, relative a circostanze tali che l’assicuratore non avrebbe dato il suo consenso o non lo avrebbe dato alle medesime condizioni se avesse conosciuto il vero stato delle cose, sono causa di annullamento del contratto quando il contraente ha agito con dolo o con colpa grave. L’assicuratore decade dal diritto d’impugnare il contratto se, entro tre mesi dal giorno in cui ha conosciuto l’inesattezza della dichiarazione o la reticenza, non dichiara al contraente di volere esercitare l’impugnazione. L’assicuratore ha diritto ai premi relativi al periodo di assicurazione in corso al momento in cui ha domandato l’annullamento e, in ogni caso, al premio convenuto per il primo anno. Se il sinistro si verifica prima che sia decorso il termine indicato dal comma precedente, egli non è tenuto a pagare la somma assicurata. Se l’assicurazione riguarda più persone o più cose, il contratto è valido per quelle persone o per quelle cose alle quali non si riferisce la dichiarazione inesatta o la reticenza.
Art. 1926 Cambiamento di professione dell’assicurato I cambiamenti di professione o di attività dell’assicurato non fanno cessare gli effetti dell’assicurazione, qualora non aggravino il rischio in modo tale che, se il nuovo stato di cose fosse esistito al tempo del contratto, l’assicuratore non avrebbe consentito l’assicurazione. Qualora i cambiamenti siano di tale natura che, se il nuovo stato di cose fosse esistito al tempo del contratto, l’assicuratore avrebbe consentito l’assicurazione per un premio più elevato, il pagamento della somma assicurata è ridotto in proporzione del minor premio convenuto in confronto di quello che sarebbe stato stabilito. Se l’assicurato dà notizia dei suddetti cambiamenti all’assicuratore, questi, entro quindici giorni, deve dichiarare se intende far cessare gli effetti del contratto ovvero ridurre la somma assicurata o elevare il premio. Se l’assicuratore dichiara di voler modificare il contratto in uno dei due sensi su indicati, l’assicurato, entro quindici giorni successivi, deve dichiarare se intende accettare la proposta.
Codice civile
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Art. 1892 Unrichtige Erklärungen und Verschweigen mit Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit Die unrichtigen Erklärungen und das Verschweigen des Versicherungsnehmers in Bezug auf solche Umstände, dass der Versicherer sein Einverständnis nicht oder nicht zu denselben Bedingungen bei Kenntnis des wahren Sachverhalts erteilt hätte, sind Grund für die Nichtigerklärung des Vertrages, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Der Versicherer verliert das Recht, den Vertrag anzufechten, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten von dem Tag an, an dem er von der Unrichtigkeit der Erklärung oder der Verschweigung der Tatsachen erfahren hat, dem Vertragspartner gegenüber erklärt, die Anfechtung ausüben zu wollen. Der Versicherer hat ein Recht auf die Prämien hinsichtlich des laufenden Versicherungszeitabschnitts, in dem er die Nichtigerklärung verlangt hat, und in jedem Fall auf die für das erste Jahr vereinbarte Prämie. Wenn der Schadensfall vor Ablauf der im vorhergehenden Absatz bezeichneten Frist eintritt, ist er zur Zahlung der Versicherungssumme nicht verpflichtet. Wenn die Versicherung mehrere Personen oder Sachen betrifft, ist der Vertrag für diejenigen Personen oder Sachen gültig, auf die sich die unrichtige Erklärung oder das Verschweigen nicht bezieht.
Art. 1926 Berufswechsel des Versicherten Die Änderungen des Berufes oder der Beschäftigung des Versicherten führen nicht zur Beendigung der Wirkungen der Versicherung, sofern sie nicht das Risiko derart erhöhen, dass der Versicherer, wenn der neue Sachverhalt zur Zeit des Abschlusses des Vertrages bestanden hätte, der Versicherung nicht zugestimmt hätte. Wenn die Änderungen von solcher Art sind, dass der Versicherer, wenn der neue Sachverhalt zur Zeit des Vertrages bestanden hätte, der Versicherung gegen eine höhere Prämie zugestimmt hätte, ist die Zahlung der Versicherungssumme in dem Verhältnis zu kürzen, in dem die vereinbarte Prämie zu jener steht, die sonst festgesetzt worden wäre. Wenn der Versicherte die vorgenannten Änderungen dem Versicherer meldet, muss dieser innerhalb von fünfzehn Tagen erklären, ob er die Wirkungen des Vertrages beenden, die Versicherungssumme herabsetzen oder die Prämie anheben will. Wenn der Versicherer erklärt, den Vertrag nach einer der beiden oben genannten Möglichkeiten abändern zu wollen, muss der Versicherte innerhalb der folgenden fünfzehn Tage erklären, ob er den Antrag annehmen will.
390
Normanhang
Se l’assicurato dichiara di non accettare, il contratto è risoluto, salvo il diritto dell’assicuratore al premio relativo al periodo di assicurazione in corso e salvo il diritto dell’assicurato al riscatto. Il silenzio dell’assicurato vale come adesione alla proposta dell’assicuratore. Le comunicazioni e dichiarazioni previste dai commi precedenti possono farsi anche mediante raccomandata.
Art. 1931 Compensazione dei crediti e debiti In caso di liquidazione coatta amministrativa dell’impresa del riassicuratore o del riassicurato, i debiti e i crediti che, alla fine della liquidazione, risultano dalla chiusura dei conti relativi a più contratti di riassicurazione, si compensano di diritto.
Art. 1936 Nozione È fideiussore colui che, obbligandosi personalmente verso il creditore, garantisce l’adempimento di un’obbligazione altrui. La fideiussione è efficace anche se il debitore non ne ha conoscenza.
Art. 1957 Scadenza dell’obbligazione principale Il fideiussore rimane obbligato anche dopo la scadenza dell’obbligazione principale, purché il creditore entro sei mesi abbia proposto le sue istanze contro il debitore e le abbia con diligenza continuate. La disposizione si applica anche al caso in cui il fideiussore ha espressamente limitato la sua fideiussione allo stesso termine dell’obbligazione principale. In questo caso però l’istanza contro il debitore deve essere proposta entro due mesi. L’istanza proposta contro il debitore interrompe la prescrizione anche nei confronti del fideiussore.
Codice civile
391
Wenn der Versicherte erklärt, dies nicht anzunehmen, ist der Vertrag aufgehoben, vorbehaltlich des Anspruchs des Versichers auf die Prämie für den laufenden Versicherungszeitabschnitt und vorbehaltlich des Anspruchs des Versicherten auf Befreiung. Das Schweigen des Versicherten gilt als Annahme des Antrags des Versicherers. Die von den vorhergehenden Absätzen vorgesehenen Mitteilungen und Erklärungen können auch mit Einschreiben erfolgen.
Art. 1931 Aufrechnung der Forderungen und Schulden Im Fall der Zwangsliquidation im Verwaltungsweg des Unternehmens des Rückversicherers oder des Rückversicherten werden die Schulden und die Forderungen, die sich bei Abschluss der Liquidation aus den für mehrere Rückversicherungsverträge erstellten Endabrechnungen ergeben, von Gesetzes wegen aufgerechnet.
Art. 1936 Begriff Bürge ist, wer die Erfüllung einer fremden Verpflichtung garantiert, indem er sich persönlich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet. Die Bürgschaft ist auch dann wirksam, wenn der Schuldner von ihr keine Kenntnis hat.
Art. 1957 Fälligkeit der Hauptverbindlichkeit Der Bürger haftet auch nach der Fälligkeit der Hauptverbindlichkeit weiter, wenn der Gläubiger innerhalb von sechs Monaten seine Anträge gegen den Schuldner geltend gemacht und mit Sorgfalt weiterbetrieben hat. Die Bestimmung findet auch auf den Fall Anwendung, dass der Bürge ausdrücklich seine Bürgschaft auf die Laufzeit der Hauptverbindlichkeit beschränkt hat. In diesem Fall muss der Antrag gegen den Schuldner jedoch innerhalb von zwei Monaten gestellt werden. Der gegen den Schuldner gestellte Antrag unterbricht auch die Verjährung gegenüber dem Bürgen.
392
Normanhang
Art. 1958 Effetti del mandato di credito Se una persona si obbliga verso un’altra, che le ha conferito l’incarico, a fare credito a un terzo, in nome e per conto proprio, quella che ha dato l’incarico risponde come fideiussore di un debito futuro. Colui che ha accettato l’incarico non può rinunziarvi, ma chi l’ha conferito può revocarlo, salvo l’obbligo di risarcire il danno all’altra parte.
Art. 1987 Efficacia delle promesse La promessa unilaterale di una prestazione non produce effetti obbligatori fuori dei casi ammessi dalla legge.
Art. 2034 Obbligazioni naturali Non è ammessa la ripetizione di quanto è stato spontaneamente prestato in esecuzione di doveri morali o sociali, salvo che la prestazione sia stata eseguita da un incapace. I doveri indicati dal comma precedente, e ogni altro per cui la legge non accorda azione ma esclude la ripetizione di ciò che è stato spontaneamente pagato, non producono altri effetti.
Art. 2043 Risarcimento per fatto illecito Qualunque fatto doloso o colposo, che cagiona ad altri un danno ingiusto, obbliga colui che ha commesso il fatto a risarcire il danno.
Art. 2046 Imputabilità del fatto dannoso Non risponde delle conseguenze dal fatto dannoso chi non aveva la capacità d’intendere o di volere al momento in cui lo ha commesso, a meno che lo stato d’incapacità derivi da sua colpa.
Codice civile
393
Art. 1958 Wirkungen des Kreditauftrages Wenn sich eine Person einer anderen gegenüber verpflichtet, die ihr den Auftrag dazu erteilt hat, einem Dritten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Kredit zu gewähren, haftet die Person, die den Auftrag erteilt hat, als Bürge für eine künftige Verbindlichkeit. Derjenige, der den Auftrag angenommen hat, kann diesen nicht mehr kündigen, aber derjenige, der den Auftrag erteilt hat, kann ihn widerrufen, vorbehaltlich der Pflicht, der anderen Partei den Schaden zu ersetzen.
Art. 1987 Wirksamkeit von Versprechen Das einseitige Versprechen einer Leistung zeitigt außer in den vom Gesetz zugelassen Fällen keine verpflichtenden Wirkungen
Art. 2034 Naturalobligationen Die Rückforderung dessen, was aus freien Stücken zur Erfüllung sittlicher oder sozialer Pflichten geleistet worden ist, ist unzulässig, sofern die Leistung nicht von einem Geschäftsunfähigen erbracht worden ist. Die im vorhergehenden Absatz bezeichneten Pflichten und jede sonstige Pflicht, hinsichtlich derer das Gesetz keinen Klageanspruch vorsieht, sondern die Rückforderung dessen ausschließt, was aus freien Stücken gezahlt worden ist, erzeugen keine weiteren Wirkungen.
Art. 2043 Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung Jegliche vorsätzliche oder fahrlässige Handlung, die anderen einen rechtswidrigen Schaden zufügt, verpflichtet denjenigen, der die Handlung begangen hat, dazu, den Schaden zu ersetzen.
Art. 2046 Zurechenbarkeit der schädigenden Handlung Für die Folgen der schädigenden Handlung haftet nicht, wer zu dem Zeitpunkt, in dem er sie begangen hat, unzurechnungsfähig gewesen ist, sofern die Unzurechnungsfähigkeit nicht auf sein Verschulden zurückgeht.
394
Normanhang
Art. 2105 Obbligo di fedeltà Il prestatore di lavoro non deve trattare affari, per conto proprio o di terzi, in concorrenza con l’imprenditore, né divulgare notizie attinenti all’organizzazione e ai metodi di produzione dell’impresa, o farne uso in modo da poter recare ad essa pregiudizio.
Art. 2106 Sanzioni disciplinari L’inosservanza delle disposizioni contenute nei due articoli precedenti può dar luogo all’applicazione di sanzioni disciplinari, secondo la gravità dell’infrazione e in conformità delle norme corporative.
Art. 2188 Registro delle imprese È istituito il registro delle imprese per le iscrizioni previste dalla legge. Il registro è tenuto dall’ufficio del registro delle imprese sotto la vigilanza di un giudice delegato dal presidente del tribunale. Il registro è pubblico.
Art. 2225 Corrispettivo Il corrispettivo, se non è convenuto dalle parti e non può essere determinato secondo le tariffe professionali o gli usi, è stabilito dal giudice in relazione al risultato ottenuto e al lavoro normalmente necessario per ottenerlo.
Art. 2233 Compenso Il compenso, se non è convenuto dalle parti e non può essere determinato secondo le tariffe o gli usi, è determinato dal giudice, sentito il parere dell’associazione professionale a cui il professionista appartiene. In ogni caso la misura del compenso deve essere adeguata all’importanza dell’opera e al decoro della professione. Sono nulli, se non redatti in forma scritta, i patti conclusi tra gli avvocati ed i praticanti abilitati con i loro clienti che stabiliscono i compensi professionali.
Codice civile
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Art. 2105 Treuepflicht Der Arbeitnehmer darf nicht auf eigene Rechnung oder auf Rechnung Dritter im Wettbewerb mit dem Unternehmer Geschäfte abschließen oder Informationen verbreiten, die die Organisation und die Produktionsverfahren des Unternehmens betreffen oder von ihnen in einer Weise Gebrauch machen, dass dem Unternehmen daraus ein Nachteil erwachsen kann.
Art. 2106 Disziplinarmaßnahmen Die Nichtbeachtung der in den beiden vorhergehenden Artikeln enthaltenen Bestimmungen kann entsprechend der Schwere des Verstoßes und in Übereinstimmung mit den körperschaftlichen Vorschriften zur Anwendung von Disziplinarmaßnahmen führen.
Art. 2188 Unternehmensregister Das Unternehmensregister wird für die vom Gesetz vorgesehenen Eintragungen eingerichtet. Das Register wird vom Unternehmensregisteramt unter der Aufsicht eines vom Präsidenten des Landesgerichts beauftragten Richters geführt. Das Register ist öffentlich.
Art. 2225 Entgelt Das Entgelt wird, wenn es nicht von den Parteien vereinbart wurde und nicht nach den Tarifen für die Berufsgruppen oder den Gebräuchen bestimmt werden kann, vom Gericht entsprechend dem erzielten Ergebnis und der normalerweise zu seiner Erzielung erforderlichen Arbeit bestimmt.
Art. 2233 Vergütung Die Vergütung wird, wenn sie nicht von den Parteien vereinbart wurde und nicht nach den Tarifen für die Berufsgruppen oder den Gebräuchen bestimmt werden kann, vom Gericht nach Einholung der Stellungnahme der Berufsvereinigung, der der Berufstätige angehört, bestimmt. In jedem Fall muss die Höhe der Vergütung der Bedeutung des Werkes und dem Ansehen des Berufs angemessen sein. Vereinbarungen zwischen Anwälten und zugelassenen Referendaren mit ihren Mandanten, welche die berufliche Vergütung festlegen, sind nichtig, wenn sie nicht schriftlich abgefasst werden.
396
Normanhang
Art. 2301 Divieto di concorrenza Il socio non può, senza il consenso degli altri soci, esercitare per conto proprio o altrui un’attività concorrente con quella della società, né partecipare come socio illimitatamente responsabile ad altra società concorrente. Il consenso si presume, se l’esercizio dell’attività o la partecipazione ad altra società preesisteva al contratto sociale, e gli altri soci ne erano a conoscenza. In caso d’inosservanza delle disposizioni del primo comma la società ha diritto al risarcimento del danno, salva l’applicazione dell’art. 2286.
Art. 2732 Revoca della confessione La confessione non può essere revocata se non si prova che è stata determinata da errore di fatto o da violenza.
Art. 2733 Confessione giudiziale È giudiziale la confessione resa in giudizio. Essa forma piena prova contro colui che l’ha fatta, purché non verta su fatti relativi a diritti non disponibili. In caso di litisconsorzio necessario, la confessione resa da alcuni soltanto dei litisconsorti è liberamente apprezzata dal giudice.
Art. 2934 Estinzione dei diritti Ogni diritto si estingue per prescrizione, quando il titolare non lo esercita per il tempo determinato dalla legge. Non sono soggetti alla prescrizione i diritti indisponibili e gli altri diritti indicati dalla legge.
Art. 2935 Decorrenza della prescrizione La prescrizione comincia a decorrere dal giorno in cui il diritto può essere fatto valere.
Codice civile
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Art. 2301 Wettbewerbsverbot Der Gesellschafter kann ohne die Einwilligung der anderen Gesellschafter nicht auf eigene oder fremde Rechnung eine Tätigkeit ausüben, die zu jener der Gesellschaft im Wettbewerb steht und er kann sich auch nicht als unbeschränkt haftender Gesellschafter an einer anderen Gesellschaft im Wettbewerb beteiligen. Die Einwilligung wird vermutet, wenn die Ausübung der Tätigkeit oder die Beteiligung an der anderen Gesellschaft bereits vor dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags vorlag und die anderen Gesellschafter hiervon Kenntnis hatten. Im Falle der Nichtbeachtung der Bestimmungen des ersten Absatzes hat die Gesellschaft vorbehaltlich der Anwendung von Art. 2286 Anspruch auf Ersatz des Schadens.
Art. 2732 Widerruf des Geständnisses Das Geständnis kann nur dann widerrufen werden, wenn bewiesen wird, dass es auf einem Tatsachenirrtum oder Zwang beruht.
Art. 2733 Gerichtliches Geständnis Das in einem Gerichtsverfahren abgegebene Geständnis ist ein gerichtliches Geständnis. Es begründet vollen Beweis gegen denjenigen, der es abgegeben hat, sofern es sich nicht auf Tatsachen bezieht, die Rechte betreffen, über die nicht verfügt werden kann. Im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft wird das nur von einigen der Streitgenossen abgegebene Geständnis vom Gericht frei gewürdigt.
Art. 2934 Erlöschen von Rechten Jedes Recht erlischt durch Verjährung, wenn es der Berechtigte während der vom Gesetz bestimmten Zeit nicht ausübt. Diejenigen Rechte, über die nicht verfügt werden kann, sowie die sonstigen vom Gesetz bezeichneten Rechte unterliegen nicht der Verjährung
Art. 2935 Verjährungsbeginn Die Verjährung beginnt von dem Tag an zu laufen, an dem das Recht geltend gemacht werden kann.
398
Normanhang
Art. 2936 Inderogabilità delle norme sulla prescrizione È nullo ogni patto diretto a modificare la disciplina legale della prescrizione.
Art. 2938 Non rilevabilità d’ufficio Il giudice non può rilevare d’ufficio la prescrizione non opposta.
Art. 2954 Prescrizione di sei mesi Si prescrive in sei mesi il diritto degli albergatori e degli osti per l’alloggio e il vitto che somministrano, e si prescrive nello stesso termine il diritto di tutti coloro che danno alloggio con o senza pensione.
Art. 2964 Inapplicabilità di regole della prescrizione Quando un diritto deve esercitarsi entro un dato termine sotto pena di decadenza, non si applicano le norme relative all’interruzione della prescrizione. Del pari non si applicano le norme che si riferiscono alla sospensione, salvo che sia disposto altrimenti.
Art. 2965 Decadenze stabilite contrattualmente È nullo il patto con cui si stabiliscono termini di decadenza che rendono eccessivamente difficile a una delle parti l’esercizio del diritto.
Art. 2966 Cause che impediscono la decadenza La decadenza non è impedita se non dal compimento dell’atto previsto dalla legge o dal contratto. Tuttavia, se si tratta di un termine stabilito dal contratto o da una norma di legge relativa a diritti disponibili, la decadenza può essere anche impedita dal riconoscimento del diritto proveniente dalla persona contro la quale si deve far valere il diritto soggetto a decadenza.
Codice civile
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Art. 2936 Unabdingbarkeit der Verjährung Jede Vereinbarung, die auf eine Abänderung der gesetzlichen Verjährungsregelung abzielt, ist nichtig.
Art. 2938 Fehlende Beachtlichkeit von Amts wegen Das Gericht kann eine nicht eingewendete Verjährung nicht von Amts wegen beachten.
Art. 2954 Sechsmonatige Verjährung Der Anspruch der Gast- und Schankwirte für die Unterkunft und Bewirtung verjährt in sechs Monaten und in derselben Frist verjährt der Anspruch all derer, die sonst mit oder ohne eine Verpflegung eine Unterkunft gewähren.
Art. 2964 Nichtanwendbarkeit der Verjährungsvorschriften Wenn ein Recht innerhalb einer bestimmten Frist ausgeübt werden muss, um es nicht zu verlieren, finden die Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung keine Anwendung. Ebenso finden jene Vorschriften keine Anwendung, die sich auf die Hemmung beziehen, sofern nichts anderes bestimmt ist.
Art. 2965 Vertraglich vereinbarter Rechtsverlust Eine Vereinbarung, mit der Ausschlussfristen festgelegt werden, die für eine der Parteien die Rechtsausübung übermäßig erschweren, ist nichtig.
Art. 2966 Gründe, welche den Rechtsverlust hindern Der Rechtsverlust wird nur durch die Vornahme der vom Gesetz oder vom Vertrag vorgesehenen Handlung gehindert. Wenn es sich jedoch um eine Frist handelt, welche in einem Vertrag oder in einer gesetzlichen Vorschrift, die sich auf disponible Rechte bezieht, festgelegt ist, kann der Rechtsverlust auch durch die Anerkennung des Rechts gehindert werden, wenn sie von der Person ausgeht, der gegenüber das dem Rechtsverlust unterliegende Recht geltend gemacht werden muss.
400
Normanhang
Art. 2967 Effetto dell’impedimento della decadenza Nei casi in cui la decadenza è impedita, il diritto rimane soggetto alle disposizioni che regolano la prescrizione.
Art. 2968 Diritti indisponibili Le parti non possono modificare la disciplina legale della decadenza né possono rinunziare alla decadenza medesima, se questa è stabilita dalla legge in materia sottratta alla disponibilità delle parti.
Art. 2969 Rilievo d’ufficio La decadenza non può essere rilevata d’ufficio dal giudice, salvo che, trattandosi di materia sottratta alla disponibilità delle parti, il giudice debba rilevare le cause d’improponibilità dell’azione.
Normen des Codice del consumo Art. 66 quinquies 1. Il consumatore è esonerato dall’obbligo di fornire qualsiasi prestazione corrispettiva in caso di fornitura non richiesta di beni, acqua, gas, elettricità, teleriscaldamento o contenuto digitale o di prestazione non richiesta di servizi, vietate dall’articolo 20, comma 5, e dall’articolo 26, comma 1, lettera f ), del presente Codice. In tali casi, l’assenza di una risposta da parte del consumatore in seguito a tale fornitura non richiesta non costituisce consenso. 2. Salvo consenso del consumatore, da esprimersi prima o al momento della conclusione del contratto, il professionista non può adempiere eseguendo una fornitura diversa da quella pattuita, anche se di valore e qualità equivalenti o superiori.
Normen des Codice di commercio von 1882 Art. 36 [… (Abs. 1 bis 3)] 4. Nei contratti unilaterali le promesse sono obbligatorie appena giungano a notizia della parte cui sono fatte.
Codice del consumo / Codice di commercio
401
Art. 2967 Wirkung der Hinderung des Rechtsverlusts In den Fällen, in denen der Rechtsverlust gehindert ist, bleibt das Recht den Bestimmungen, die die Verjährung regeln, unterworfen.
Art. 2968 Indisponible Rechte Die Parteien können die gesetzliche Regelung über den Rechtsverlust nicht abändern und auch nicht auf den Rechtsverlust selbst verzichten, wenn dieser durch das Gesetz in einer Angelegenheit vorgesehen ist, über welche die Parteien nicht verfügen können.
Art. 2969 Beachtlichkeit von Amts wegen Der Rechtsverlust kann durch das Gericht nicht von Amts wegen beachtet werden, es sei denn, das Gericht hat bei der Behandlung einer Angelegenheit, über welche die Parteien nicht verfügen können, die Gründe für die Nichterhebbarkeit des Klageanspruchs zu beachten.
Art. 66 quinquies 1. Der Verbraucher ist von der Verpflichtung entbunden, jegliche Gegenleistung zu erbringen im Fall einer unbestellten Lieferung von Gütern, Wasser, Gas, Elektrizität, Fernwärme oder digitalen Inhalten oder unbestellten Lieferungen von Diensten, die von Art. 20 Absatz 5 und von Art. 26 Absatz 1, Buchstabe f) des vorliegenden Codice verboten sind. In solchen Fällen stellt das Fehlen einer Antwort seitens des Verbrauchers in der Folge einer solchen unbestellten Lieferung kein Einverständnis dar. 2. Vorbehaltlich des Einverständnisses des Verbrauchers, welches vor oder im Moment des Vertragsschlusses zu erklären ist, darf der Unternehmer nicht erfüllen, indem er eine von der vereinbarten abweichende Lieferung erbringt, auch wenn diese vom Wert und der Qualität gleich oder höher ist.
Art. 36 [… (Abs. 1 bis 3)] 4. Bei einseitigen Verträgen sind Versprechen verpflichtend, sobald sie der Partei, gegenüber der sie abgegeben worden sind, zugehen.
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Sachregister accettazione tacita 108 ff., 125 acquiescenza 8 f., 52 ff., 127, 137 f. affidamento 28, 90 f., 103 ff., 223 ff. Anfechtung 67, 92 f., 112 ff., 117 ff., 161, 176 ff., 225 f., 235 ff., 239 ff., 241 ff., 268 f., 289 ff. apparenza 64 ff., 103 ff., 207, 214 Aufenthaltsrecht 278 ff., 292 ff., 297 f., 298 ff., 304 ff., 313, 317, 318 ff., 329 ff., 335 Auftragsbestätigung 80 f., 185, 193 ff., 333 Ausschlussfrist 120 ff., 246 ff., autoresponsabilità 65, 91, 120, 225, 287, 303 beredtes Schweigen 56 ff, 145 ff., 165 ff., 192 ff., 221 ff., 210 ff. buona fede 58, 65, 97, 102 ff., 134 ff., 141, 207, 214 ff., 259, 267 conferma dʼordine 80 f., 185, 333 contratto a carico del solo proponente 43 ff., 117 ff., 158 f. contratto unilaterale 96 ff. culpa in contrahendo 170, 177 f., 215 f., 330 decadenza 8 f., 31, 50 ff., 120 ff., 124 ff., 246 ff., 323, 345 dichiarazione di volontà 8, 79, 81 ff., 108 ff., 112 ff., 129 f., 138 Duldung s. tolleranza Erbschaft (Erwerb) 124 ff., 250 ff., 318 ff. Erbstatut 318 ff. Erfüllungshaftung 64, 104, 174 f., 178, 206 f., 212 ff. 330
Erklärungsbewusstsein 89 ff., 102, 113 ff., 289 f., 295 Erklärungsirrtum 114 f., 118, 235 f., 240 ff., 290 ff. Erwirkung 207, 213 ff. fattura 78 ff., 185, 194 f., 271, 334 inerzia 7 ff., 35, 94, 103 ff., 120 f., 129 Irrtum (Kollisionsrecht) 301 ff. kaufmännisches Bestätigungsschreiben 69 ff., 181 ff., 241, 243 f., 283, 333, 338 ff., 342 ff. lettera di conferma 69 ff., 115 f., 181 ff, 218, 271, 333 Mietvertrag (Verlängerung durch Schweigen) 19 ff., 53 f., 161 ff. normiertes Schweigen 43 ff, 145 ff., 151 ff., 188 ff., 228 ff., 239 ff. prescrizione 120 ff., 246 ff., 323 proroga 42 f., 53 ff., 57, 62, 167, 173 rappresentanza (apparente/tollerata) 63 ff., 136, 174 f., 206 f., 214 ff., 325 ff., 330 Rechtsfolgenirrtum 114, 118, 235 f., 240 ff., 256 Rechtsschein(haftung) 106 ff., 179, 187, 206 f., 214 ff., 228, 235, 325 ff. Rechtsverlust (infolge von Schweigen) 8 f., 31, 50 ff., 120 ff., 124 ff., 244 ff., 323, 345 reticenza 7, 66 ff., 87, 114, 176 f.
422
Sachregister
rinuncia tacita 8 f., 31 ff., 52, 120, 124 ff., 129 f., 131 f., 133 f., 139 f., 257, 262 ff., 321, 324 Schadensersatz 7, 43, 49, 51, 66 ff., 101 f., 154 f., 176 ff., 212, 215 f., 227, 297 f. Schenkung (Annahme durch Schweigen) 19, 44 f., 48, 56, 114, 156 ff., 270, 273, 281, 310 silenzio circostanziato 37 f., 56 ff., 75, 85 ff., 112 ff., 131, 140 f., 145 ff. silenzio con valore legale 37 f., 43 ff., 108 ff., 117 ff., 140 f., 145 ff. Sonderanknüpfung 276 f., 281 ff., 290, 294 ff., 305 f., 311, 324, 329 ff., 331 f. tolleranza 8 f., 31, 63 ff., 103 f., 135 ff., 141, 207, 259 ff., 323 f., 332 Treu und Glauben 58, 65, 97, 102 ff., 134 ff., 141, 168 ff., 206 f., 213 ff., 263 ff., 272, 335, 340 Verfall s. Rechtsverlust Verjährung 120 ff., 246 ff., 323
Verlängerung 20 f., 42 f., 53 ff., 57, 62, 161 ff. Verschweigen 7, 66 ff., 87, 114, 176 ff. Vertragsstatut (Reichweite) 276 ff., 281 ff., 285 ff, 290 ff. Vertrauensschutz 28, 90 f., 103 ff., 206 ff., 223 ff., 235 ff. Verwirkung 32 f., 323 f. Verzicht (durch Schweigen) 8 f., 24 ff., 31 ff., 120, 131 ff, 133 f., 257 f., 262 f., 263 ff., 321, 324 Vertretung (Duldungs-/Anscheinsvollmacht) 63 ff., 136, 174 f., 206 f., 214 ff., 325 ff. Vertretungsstatut (Duldungs-/Anscheinsvollmacht) 325 ff. Willensmangel 92 f., 112 ff., 117 ff., 290 ff. Willenserklärung (durch Schweigen) 81 ff., 108 ff., 112 ff., 129 f., 138, 195 ff., 210 ff. Untätigkeit s. inerzia