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German Pages 169 Year 1980
MARTIN
LIPP
Die Bedeutung des Naturrechte für die Ausbildung der Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts
Schriften
zur
Rechtstheorie
Heft 88
Die Bedeutung des Naturrechts für die Ausbildung der Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts
Von
Dr. Martin Lipp
D U N C K E R
& H U M B L O T /
B E R L I N
Alle Redite vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei Richard Schröter, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 046021
Meinen Eltern in Dankbarkeit
Vorwort Die Arbeit hat i m Sommersemester 1979 der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation vorgelegen. Sie wurde von Herrn Professor Dr. Hans Schlosser betreut, dem ich für die zahlreichen H i n weise und die m i r auch sonst entgegengebrachte Unterstützung besonderen Dank schulde. Z u danken habe ich ferner dem Korreferenten, Herrn Professor Dr. Suhr, der Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg e. V. für die Bereitstellung eines großzügigen Druckkostenzuschusses sowie Herrn Professor Dr. Broermann für die Aufnahme der Schrift i n die Reihe ,Schriften zur Rechtstheorie*. Günzburg/Augsburg, i m September 1979 Martin
Lipp
Inhaltsverzeichnis Einleitung
* Erster
15 Abschnitt
Stand der Forschung und Präzisierung des Forschungsgegenstandes vor dem Hintergrund europäischer Kodifikationsmodelle I. Der gegenwärtige Meinungsstand u n d das Anliegen der A r b e i t
17 17
1. Die historische Verschüttung des Problems
17
2. Neues Problembewußtsein der jüngeren Privatrechtsgeschichte . .
22
I I . Die Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts i m K o n t e x t der europäischen Kodifikationsfamilie
24
1. Thematische Präzisierung
24
2. Die Sonderstellung der deutschen Allgemeinen Privatrechtslehren a) Allgemeine Lehren i n außerdeutschen Gesetzesbüchern b) Die Allgemeinen Lehren i m Allgemeinen Teil: Ausdruck der Idee des logisch „geschlossenen" Rechtssystems
25 25
c) Methodologische Konsequenzen Zweiter
28 33
Abschnitt
Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
38
I. Der Allgemeine T e i l i m System des Bürgerlichen Gesetzbuches
38
1. Die sogenannte „Kreuzeinteilung" des Bürgerlichen Gesetzbuches
39
2. Das Prinzip der „Ausklammerung"
40
3. Der Allgemeine T e i l i m Spiegel der modernen Logik: die W a h r heit des klassenlogischen K a l k ü l s
43
I I . Die S t r u k t u r der Allgemeinen Privat rechtslehren
46
1. A u f der Suche nach dem „inneren" System
46
2. Methodologische Ironie: die naturrechtliche γένος, das T o r zum „inneren" System
μετάβασις εις αλλο
3. Die metasprachliche Hypostasierung der Allgemeinen rechtslehren
Privat-
50 54
a) Sprachlogischer Exkurs
55
b) Das Abgleiten i n das „äußere" System
58
10
Inhaltsverzeichnis Dritter
Abschnitt
Scholastisches Naturrecht und mittelalterliche Jurisprudenz I. Das scholastische Naturrecht u n d seine Stellung zur Jurisprudenz i m Mittelalter
62
63
1. Aurelius Augustinus
65
2. Thomas v o n A q u i n
67
3. Scholastische Methode
70
I I . „Genus" u n d „species" — dialektische Argumentationstopoi des mos Italicus 1. Die Glosse
71 73
a) Der formallogische Charakter der Prädikabilien
74
b) Objektsprachliches genus u n d metasprachliche Lehren
76
c) Naturrechtliche Ansätze i m Denken der Glosse?
78
2. Die Konsiliatoren
89
a) Bartolus de Saxoferratis: genus u n d species i n der Lehre vom dominium
91
b) Baldus philosophus
94
Vierter
Abschnitt
Exkurs: mos Gallicus und Usus modernus Pandectarum, Epochen humanistisch-juristischer Entkrampfung I. Humanistische Jurisprudenz
98
1. Humanismus u n d römisches Recht 2. Die systematischen Ansätze Rechtswissenschaft
im
99 Wirken
der
humanistischen
I I . Usus modernus Pandectarum
Fünfter
96
100 104
Abschnitt
Die Schule von Salamanca I. Naturrecht u n d Jurisprudenz: die naturrechtliche E n t w i c k l u n g der μετάβασις εις άλλο γένο ς u n d ihre Einführung i n die Rechtswissenschaft
107
108
1. Johannes Duns Scotus u n d das voluntaristische Naturrecht
109
2. Der Nominalismus des W i l h e l m v o n Ockham
112
3. Die Lehre v o m natürlichen Recht i n der Theologie der spanischen Spätscholastik: Gabriel Vasquez
114
Inhaltsverzeichnis 4. Die natürliche Rechtfertigung Vasquez de Menchaca
juristischer
Lehren:
Fernando
a) Das System des natürlichen Rechts
119
b) Die μετάβασις είς όλλο γένο ς, moralphilosophisches u n d privatrechtliche Ordnung
Postulat
I I . Die Vertragslehre der spanischen Spätscholastik: keine einer Allgemeinen Lehre
Ansätze
Sechster
119
124
126
Abschnitt
Modernes Vernunftrecht und natürliches Privatrecht I . Der dogmatische Neuansatz i m Vertragsrecht: die Lehre v o m Versprechen bei Hugo Grotius 1. Das Programm eines natürlichen Privatrechts
133 135
2. Die Lehre v o m Versprechen a) Die Grundlage des Grotianischen Versprechens: rechtliche Evidenzen
130
136 vernunft-
136
b) Dogmatische Neubesinnung: die Allgemeinen K r i t e r i e n des Vertrages
139
I I . Die Begründung eines Systems der Allgemeinen Vertragsrechtslehre durch Samuel Pufendorf
141
1. Resolutiv-kompositive Methode u n d Allgemeine Vertragsrechtslehren: die Begründung eines Systems
142
2. Entia physica u n d entia moralia, die beiden Genera der μετάβασις είς όλλο γένο ς
147
Schluß
149
Literaturverzeichnis
153
Personenregister
163
Sachwortregister
165
Abkürzungen A. a. Ο. ABGB AcP ARSP BGB Boehmer, Einführung Boehmer, Grundlagen Coing, Handbuch Denkschrift DJZ Ders. FS Horn, Aequitas JZ Larenz, A T Larenz, Methodenlehre Motive MwH NJW
A m angeführten Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch f ü r die deutschen Erblande v o m Ol. 06.1811 (Österreich) A r c h i v f ü r civilistische Praxis Archiv f ü r Rechts- und Sozialphüosophie Bürgerliches Gesetzbuch v o m 18. 08.1896 Gustav Boehmer, Einführung i n das Bürgerliche Recht (2. Aufl. 1965) Gustav Boehmer, Grundlagen des Bürgerlichen Rechts (1951) H e l m u t Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen u n d L i t e r a t u r der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bde. I, I I / l , II/2 (1973 - 1977) Denkschrift zum E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1896 Deutsche Juristenzeitung Derselbe Festschrift Norbert Horn, Aequitas i n den Lehren des Baldus (1968) Juristenzeitung K a r l Larenz, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts (4. Aufl.), 1977 K a r l Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (4. Aufl.), 1979 Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das Deutsche Reich, 1896 M i t weiteren Hinweisen Neue Juristische Wochenschrift österreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht
östZöffR
Gerhard Otte, D i a l e k t i k u n d Jurisprudenz, 1971
Otte, D i a l e k t i k
Obligationenrecht v o m 14.06.1881 (Schweiz)
OR
Protokolle der Kommission f ü r die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1899
Protokolle
Georg Friedrich Puchta, Cursus der Institutionen (5. Aufl.), 1856 Friedrich Carl v o n Savigny, V o m Beruf unserer Zeit f ü r die Gesetzgebung u n d Rechtswissenschaft (1814)
Puchta, Cursus Savigny, Beruf
Abkürzungen Savigny, Geschichte
Savigny, System Stolleis, Staatsdenker SZ Germ SZ Rom Troje, Wissenschaftlichkeit Unger, E n t w u r f Welzel, Naturrecht Wieacker, P r G N ZGB zit. ZPrivöffR ZSR
13
Friedrich Carl von Savigny, Geschichte des römischen Rechts i m Mittelalter Bde. 1 - 7 (3.Ausg., 1956; u n veränderter Nachdruck der 2. Ausg. 1834 - 1851) Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Reclits Bde. 1 - 8 (1840 - 1849) Michael Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker i m 17. u n d 18. Jahrhundert, 1977 Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte. Romanistische A b t e i l u n g Hans Erich Troje, Wissenschaftlichkeit und System i n der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, 1969 Joseph Unger, Der revidierte E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Königreich Sachsen, 1861 Hans Welzel, Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit (4. Aufl.), 1962 Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl.), 1967 Zivilgesetzbuch v o m 10.12.1907 (Schweiz) zitieft Zeitschrift f ü r das private u n d öffentliche Recht Zeitschrift f ü r Schweizerisches Recht
Einleitung Die vorliegende Arbeit wurde durch die Tatsache angeregt, daß sich zum Gegenstand dieser Schrift ein Meinungsstand 1 herausgebildet hat, der i n immer stärkerem Maße dazu tendiert, die Allgemeinen Lehren des privaten Rechts und den Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, den zivilrechtlichen Systemgedanken und das Programm stringenten juristischen Schließens i m Erbe der naturrechtlichen Jurisprudenz anzusiedeln. Die jüngere und jüngiste Privatrechtsgeschichte nimmt damit zu einem Forschungskomplex Stellung, der sich noch weithin unbearbeitet zeigt. Bislang glaubte man, diesen Problemkreis unter der zeitgenössischen Forderung der Vernunftrechtler bündig und treffend eingeordnet zu haben: Es gehe u m den Versuch, den rechts wissenschaftlichen Stoff „more geometrico" darzustellen 2 . M i t dem Vordringen dieser Ansicht mußte eine Frage, die früherer Zeit keine Schwierigkeiten bereitet hat, neu gestellt werden: die Frage nach dem Verhältnis der Naturrechtsepoche zur Pandektenwissenschaft des 19. Jh.s unter dem Aspekt einer systemorientierten Rechtswissenschaft. Verläuft die geschichtliche Entwicklungslinie vom Werk Samuel Pufendorfs über Christian Wolff i n einer kontinuierlichen Bahn weiter zu Friedrich Carl von Savigny und Georg F. Puchta? Oder erarbeiten Historische Rechtsschule und Begriff s jurisprudenz einen neuen genetischen Strang rechtawissenschaftlichen Denkens? Erste Versuche, den Problemkreis zu fassen und scheinbare Gegensätze zu entwirren, haben stattgefunden 3 . Für den Verfasser w a r es vor diesem Hintergrund nun ein besonderer Reiz, die i m einzelnen noch kaum verifizierte Meinung von den naturrechtlichen Bausteinen unseres Privatrechtssystems anhand eines konkreten Beispieles, nämlich der Allgemeinen Lehren, zu überprüfen. 1 Z u m gegenwärtigen Meinungsstand der Privatrechtsgeschichte ausführlich nachfolgend i m Ersten Abschn. unter I. 2 Wieacker, PrGN, S. 275 f. ; Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S. 45; Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, S. 129. 3 Vgl. dazu unten i m Ersten Abschn. I 2.
16
Einleitung
Dabei galt es ein weiteres zu berücksichtigen. Neueste Veröffentlichungen insbesondere außer juristischer Disziplinen 4 geben Anlaß, den vermeintlich zweifelsfreien Begriff des „mos geometricus" differenzierter zu betrachten. Daraus könnten sich auch Folgen für die rechtshistorische Zuordnung des einen oder anderen Denkers ableiten lassen, was i m Ergebnis zu einer korrekteren Sicht und eindeutigeren Abstufung innerhalb der „geometrischen Jurisprudenz" führen würde. Schließlich ein drittes: Es häufen sich die Anstrengungen, die moderne Logik der Rechtswissenschaft fruchtbar zu machen. Die Tragfähigkeit dieser Versuche ist mitnichten ausdiskutiert. Trotzdem glaubte der Verfasser die Erkenntnisse der Logiker dort zu Rate ziehen zu dürfen, wo allem Anschein nach juristische Methodologie und logisches K a l k ü l konvergieren. Auch auf diesem Felde der zeitgenössischen Jurisprudenz scheint sich zu bewahrheiten, daß nicht extreme Positionen neue Dimensionen der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis öffnen, sondern daß das kritische aber offene Verständnis zu abgewogeneren, wenn freilich auch bescheideneren Ergebnissen führt 5 . So hat sich i m Verlauf der Arbeit herausgestellt, daß die gegenwärtige Privatrechtsgeschichte das Problem des naturrechtlichen Beitrages zu den heutigen Allgemeinen Privatrechtslehren unter zweierlei Gesichtspunkten verengt zeichnet. Einmal berührt dies den Forschunjgsgegenstand selbst: Es bedarf deshalb vor den historischen Bemühungen einer methodologischen Analyse der Allgemeinen Lehren. Z u m anderen scheint es vonnöten, die „naturrechtliche Bandbreite", i n die gemeinhin unser Anliegen verortet wird, zu dehnen, d. h., die Verantwortung des naturrechtlichen Denkens für die Allgemeinen Lehren nicht erst bei den „Systematikern" zu suchen, sondern auch deren Vorfeld, die späte Scholastik, i n die Überlegungen mit einzubeziehen. Damit k l ä r t sich auch die Leistung des vergangenen Jahrhunderts soweit das vorgestellte Thema betroffen ist. Es ist nicht Aufgabe dieser Untersuchung, ein solches näher zu beleuchten und darzustellen, immerhin aber mögen die Grenzen für den Wirkkreis der Juristen des 19. Jh.s nach der Abklärung des naturrechtlichen Ertrages deutlicher hervortreten und so die Arbeit jener Männer i n präziserem Licht erscheinen lassen. 4 Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 10 ff. ; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 283. 5 Hierzu die anregende Studie v o n Bucher, Überlegungen zu Logistik und Logik f ü r den Juristen, i n : ZSR Bd. 96 n F (1977), S. 127 ff.
Erster
Abschnitt
Stand der Forschung und Präzisierung des Forschungsgegenstandee vor dem Hintergrund europäischer Kodifikationsmodelle I . D e r gegenwärtige Meinungsstand und das A n l i e g e n der A r b e i t 1. Die historische Verschüttung des Problems Der heutige Stand der privatrechtsgeschichtlichen Forschung zur Frage der B e d e u t u n g des N a t u r r e c h t s f ü r d i e A u s b i l d u n g d e r A l l g e m e i n e n Z i v i l r e c h t s l e h r e n s t e l l t sich ausgesprochen a m b i v a l e n t d a r . I m Spektrum Aspekte:
der
Meinungen
beobachtet
man
vorwiegend
zwei
E i n e r s e i t s i s t es die P a n d e k t e n w i s s e n s c h a f t des 19. Jh.s, die i n besonderem Maße f ü r die E n t w i c k l u n g unserer A l l g e m e i n e n privatrechtlichen Lehren i n die Verantwortung genommen w i r d 1 . G l e i c h z e i t i g f i n d e n w i r eine genetische V e r b i n d u n g z u r N a t u r r e c h t s l e h r e des 17. u n d 18. Jh.s a n g e d e u t e t u n t e r B e t o n u n g d e r D e n k e r Samuel Pufendorf u n d Christian Wolff 9' 4.
1 Aus dem reichen Schrifttum seien genannt: Wieacker, PrGN, S. 354, 367 ff., 430 ff., 458 ff.; Schlosser, S. 75 ff.; Wesenberg/Wesener, S. 166; Boehmer, E i n führung, S. 74 ff. ; Larenz, A T , S. 13; ders., Methodenlehre, S.20ff.; Zweigertl Kötz, Einführung i n die Rechtsvergleichung I , S. 177 ff. 2 1632 bis 1694, 5 1679 bis 1754. 4 V o n der Vielzahl der Autoren, die eine Verbindung von Allgemeinen L e h ren u n d Naturrecht erwägen, sei hingewiesen auf Wieacker, PrGN, S. 276, 309 et passim; Schlosser, S. 47 ff., 75 f.; Wesenberg/Wesener, S. 134; Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I , 1, S. 14; Boehmer, E i n f ü h rung, S. 70 f.; ders., Grundlagen I I , 1, S. 72 f.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 533; Gysin, Rechtsphilosophie u n d Grundlagen des Privatrechts, S. 237 f. ; Thieme, Das Naturrecht u n d die europäische Privatrechtsgeschichte, S. 42; ders., N a t u r recht u n d römisches Recht, S. 103 f., i n : L a formazione storica del diritto m o derno i n Europa, S. 95 £f.; Coing, Savigny u n d die deutsche Privatrechtswissenschaft, i n : N J W 1979, 2018 £f.; Wilhelm, Z u r juristischen Methodenlehre i m 19. Jahrhundert, S. 61 ff.; v. Stephanitz, Exakte Wissenschaft u n d Recht, S. 94 ff.; Denzer, Moralphilosophie u n d Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 58; Schlossmann, Willenserklärung u n d Rechtsgeschäft, i n : Festgabe f ü r A l b e r t
2 Lipp
18
1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
Dies mag auf den ersten Blick ungereimt erscheinen. Denn schließlich wurde über Jahrzehnte hinweg die fundamentale Zäsur i n den Vordergrund gerückt, die von der Rechtswissenschaft des 19. Jh.s gegenüber der Epoche des Naturrechts gefällt worden war. Wie soll unter diesen Voraussetzungen ein und dasselbe Rechtsphänomen beiden Schulen zugeordnet werden können? I n der Tat scheint diese allenthalben apostrophierte Unversöhnlichkeit zwischen naturrechtlichem Denken und historischem Programm die Privatrechtsgeschichte maßgeblich daran gehindert zu haben, das dieser Arbeit zugrunde gelegte Thema als Problem zu formulieren und i h m eine nähere Untersuchung zu widmen. Es kommt hinzu, daß der zeitliche und programmatische Konnex zwischen Historischer Rechtsschule und dem Entstehen der Allgemeinen Teile i n Lehr- und Gesetzesbüchern den Gedanken einer Teilhabe des Naturrechts weitgehend verdrängte: Die Darstellungsweise der Pandekten i n der Form eines Systems, das m i t der Konzeption eines Allgemeinen Teils bestimmte Rechtsinstitute „vor die Klammer" zieht, setzt sich i n der Rechtswissenschaft zu einer Zeit durch, da sich die Historische Rechtsschule zu formieren beginnt und unter der Führung Savignys ihrem Höhepunkt zustrebt. Aus dieser Entwicklung geht der „wissenschaftliche Rechtspositivismus" 5 hervor. Für i h n war u m die Jahrhundertmitte der Allgemeine Teil eine nicht mehr hinweg zu denkende Errungenschaft beim Versuch, den Bereich des zivilen Rechts wissenschaftlich zu ordnen und einer systematischen Darstellung zuzuführen®. Beobachtet man den Weg der Entstehung des Allgemeinen Teils, der von Hugo 7 über Heise 8 und Savigny 9 zu Windscheid 10 führt, dessen beHänel, S. 48 ff.; ein ähnliches B i l d hinsichtlich des Zivilprozeßrechtes zeichnet Nörr, Naturrecht u n d Zivilprozeß, S. 53. Bestritten w i r d dies v o n Bohnert, Über die Rechtslehre Georg Friedrich Puchtas (1798-1846), S. 125ff.; vgl. i n diesem P u n k t die — w i e sich zeigen w i r d — berechtigte K r i t i k Wickerts, SZ Rom Bd. 93 — 1976 —, S. 502 ff. 5 Hierzu i m m e r noch grundlegend Wieacker, PrGN, § 23. β Wie sehr die Idee eines Allgemeinen Teils bei der Darstellung des Pandektenrechts Fuß gefaßt hatte, w i r d auch daraus ersichtlich, daß bereits die Vorschläge der Vorkommission z u m E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches v o m 15. 04.1874 einen Allgemeinen T e i l beinhalten, der i m weiteren Fortgang der Kodifizierung von den Redaktoren nie ernsthaft i n Frage gestellt wurde. V o n den zeitgenössischen Pandektendarstellungen sei auf die Werke v o n Dernburg, Pandekten, S. V I I ff., Vangerow, Lehrbuch der Pandekten, S. X I I I ff., Regelsberger, Pandekten, S. I X ff., Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, S. X ff., hingewiesen 7 Hugo, Institutionen des heutigen Römischen Rechts, §§ 3 6 - 4 4 ; hier v o n einem Allgemeinen T e i l zu sprechen, erschiene indessen als zu hoch gegriffen (im übrigen erfuhr diese Passage i n späteren Auflagen eine Änderung). — Vgl. dazu auch Hugo, Beyträge zur zivilistischen Bücherkenntniß I, S. 520 f.
I. Der gegenwärtige Meinungsstand und das Anliegen der Arbeit
19
stimmende Gestalt i h n endgültig i n die Lehrbücher und Systeme des geltenden gemeinen Rechts eingegliedert hat 1 1 , so stößt man immer wieder auf Juristen, die die Historische Rechtsschule getragen haben, bzw. sich i n deren Nachfolge sahen. Die Urheberschaft des 19. Jh.s für die Allgemeinen Lehren scheint demnach plausibel und nächstliegend. Auch der Gesetzgeber bedient sich zu Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte der Möglichkeit, Allgemeine Rechtslehren i n Abstraktion zum übrigen Rechtsstoff darzustellen. So findet sich zum ersten M a l i m Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 die Vorwegnahme Allgemeiner Lehren angedeutet 12 und schließlich i m Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch zu einem ersten Allgemeinen Teil verdichtet 13 . Ihren reifsten Ausdruck erhält diese Tradition schließlich i m Ersten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 18. 08.1896. W i r stellen fest, daß dem äußeren Erscheinungsbild nach die Zeit, in der sich die Lehre vom Allgemeinen Teil v o l l Geltung verschafft, m i t derjenigen zusammenfällt, die i m Zeichen der „Erneuerung" der Rechtswissenschaft durch die Historische Rechtsschule steht. Ein Teilaspekt des Programms dieser Schule, nämlich die Forderung nach Systematisierung 1 4 des Rechtsstoffs, w i r d so durch die Entwicklung des Allgemeinen Teils eindrucksvoll dokumentiert und erfährt — weitergetragen von Pandektologie und „Begriffsjurisprudenz" — i n Wissenschaft und gesetzgeberischer Praxis eine jahrzehntelange Bestätigung.
Z u Hugos Werk v o r einer Gesamtschau der Problematik des Rechtspositivismus, bzw. des Naturrechts vgl. Eichengrün, Die Rechtsphilosophie Gustav Hugos. Differenzierend zur dort vorgetragenen Ansicht (S. 112 f.) wollen w i r Hugo als einen Wegbereiter (Wieacker, PrGN, S. 378 ff.) der Historischen Rechtsschule festhalten. Tieferen Bedenken begegnet die Stellungnahme zum Rechtspositivismus, S. 11 ff.; dazu später. 8 Heise, Grundriß eines Systems des Gemeinen Civilrechts zum Behuf v o n Pandecten-Vorlesungen, §§ 3 ff., insbes. §§ 106 ff. 9 Savigny, System Bd. I, S. 389 ff. 10 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, §§ 37 ff., bes. §§ 69 ff. 11 Vgl. dazu Boehmer, Grundlagen, S. 73, der bei Hugo zu Recht eine erste lehrsystematische Einführung Allgemeiner Lehren sieht; ebenso Wieacker, PrGN, S. 373. V o n dieser Meinung weichen Wesenberg/Wesener, S. 163, ab, die i n Savigny den ersten Juristen sehen, der einen Allgemeinen T e i l i n die privatrechtlichen Darstellungen eingeführt habe (widersprüchlich insoweit S. 190). 12 Das allgemeine deutsche Handels-Gesetzbuch f ü r das Großherzogthum Baden, bes. A r t . 271 ff. („Von den Handelsgeschäften i m Allgemeinen"). 18 Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch v o n 1865; vgl. dazu Unger, E n t w u r f ; zum Allgemeinen T e i l dort, S. 7 ff. 14 Savigny, System, Vorrede, S. X X X V I ff.; dersBeruf, S. 125 f.
2·
20
1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
So scheint es denn, als betone auch heute noch m i t gutem Grund die ganz herrschende rechtsgeschichtliche Literatur die Bedeutung des 19. Jh.s für die Ausbildung der Allgemeinen Privatrechtsinstitute und -lehren. Dabei fällt ins Auge, daß die Literatur die Entwicklung von Allgemeinen Lehren i n enger Anlehnung an deren Aufbereitung i n der Darstellungsform eines Allgemeinen Teils sieht. Neben dieser zeitlichen und programmatisch-methodischen Verzahnung, die die Rechtswissenschaft des vorigen Jahrhunderts m i t der Ausbildung der Allgemeinen Rechtslehren verbindet, läuft die schon genannte radikale Verwerfung naturrechtlichen Gedankengutes durch die Historische Rechtsschule parallel 1 5 . Dieser Grundkonsens der führenden Persönlichkeiten jener Zeit hat den Blick für das uns vorliegende Problem nachhaltig getrübt. Cum ira et studio wurde diese Auseinandersetzung geführt, die überall die Brücken abzubrechen versuchte, wo die sog. Historische Rechtsschule doch selbst auf dem Boden der Tradition stand. Seinen locus classicus hat dieses Kampfgetöse i n jenem Urteil Friedrich Carl von Savignys gefunden, m i t dem er das Preußische Allgemeine Landrecht vom Tisch der Wissenschaft fegte: „ . . . D u hast gut reden, die Juristen sollen unsere Gesetze erklären . . . aber woher soll zu diesem Geschäft Lust und M u t h und auch nur Möglichkeit kommen, da eben diese Gesetzgebung i n Form und Materie solche Sudeley i s t 1 6 , 1 7 . " Und schließlich konstatiert Bernhard Windscheid i n der zweiten Hälfte des Jahrhunderts m i t überlegenem Anspruch: „Der Traum des Naturrechts ist ausgeträumt 18 ." Angesichts der Abschottung gegenüber den vermeintlich hohlen Spekulationen des Vernunftrechts erscheint es unserer heutigen Sicht erstaunlich, daß sich ein Denker wie Puchta ohne weiteres i n der Tradition der Historischen Rechtsschule sehen konnte 1 9 . Knüpfte seine „Genealo15 Vgl. dazu Wieacker, PrGN, S. 353 ff., u n d die kurze Skizzierung bei Bohnert, S. 1 ff. 16 Savigny, B r i e f an seinen Schwager Arnim aus dem Jahre 1816, zit. nach Wolf, S. 522. 17 Ob diese scharfe Zurückweisung naturrechtlicher Gedanken letzten persönlichen Überzeugungen Savignys entsprochen hat, oder ob sich hier eher die Früchte einer philosophischen „Entsagung" u n d „Kasteiimg" zeigen, ist bislang noch nicht hinreichend geklärt. Vgl. dazu Kantorowicz, Savignys M a r burger Methodenlehre, i n : SZ R o m Bd. 53 — 1933 —, S. 465 ff. 18 Windscheid, Recht u n d Rechtswissenschaft, Leipziger Rektoratsrede von 1854, S. 23. 19 Puchta, Cursus I, S. 35: „ . . . Die einzelnen Rechtssätze, die das Recht eines Volkes bilden, stehen i n einem organischen Zusammenhang untereinander, der sich zuvörderst durch i h r Hervorgehen aus dem Geist des Volkes erklärt, indem die Einheit dieser Quelle sich auf das durch sie Hervorgebrachte erstreckt."
I. Der gegenwärtige Meinungsstand und das Anliegen der Arbeit
21
gie der Begriffe" und die Forderung an den zeitgenössischen Juristen, „ . . . die Abstammung eines jeden Begriffes durch alle Mittelglieder, die an seiner Bildung Antheil haben auf- und abwärts zu verfolgen, die Herkunft eines jeden Rechts bis hinauf zum Begriff des Rechts schlechth i n sich zum Bewußtsein bringen und von diesem obersten Rechtsbegriff wieder hinab zu jedem einzelnen Rechte . . ." 2 0 , nicht an die Auswüchse des naturrechtlichen Logizismus Christian Wolffs an? Daß diesem Wissenschaftler und seiner Lehre vom „Product der wissenschaftlichen Deduction" keine kritischen Zweifel kamen, wo doch sein Lehrer Savigny gegen das Naturrecht, das die Rechtsbegriffe aus allgemeinen Prinzipien deduzieren wollte, als „völlig unerleuchteten Bildungstrieb" 2 1 und als „bodenlosen Hochmuth" 2 2 zu Felde gezogen war, kann man eigentlich nur verwundert zur Kenntnis nehmen 23 . Trotzdem: Die Vertreter der historischen Richtung wähnten sich fern jeder Beziehung zu naturrechtlichem Denken. Die beiden Tatsachen {feindseliges Selbstverständnis des 19. Jh.s gegenüber dem Naturrecht und durchschlagende Systematisierungserfolge der Pandektenwissenschaft) waren bis i n unsere Zeit hinein das Hindernis, einen w i r k l i c h geschichtlichen, problemorientierten Blick auf die Allgemeinen Lehren zu werfen. Erst jüngere Forschungsergebnisse lassen immer deutlicher werden, daß i n der strikten Absage der Historischen Rechtsschule und ihrer Nachfahren gegenüber dem naturrechtlichen Vermächtnis nicht viel mehr liegt als eine programmatische Äußerung und daß die Historische 20
Puchta, Cursus I , S. 101. Savigny, Beruf, S. 100. 22 Savigny, Beruf, S. 100. 23 Daß das Selbstzeugnis Puchtas eine ganz andere Sprache spricht, übersieht diese Darstellung freilich nicht: Das organisch gewachsene Recht soll gerade nicht naturrechtlich deduzierend, sondern i n u n d durch die „ A n schauung" der Rechtsinstitute erfahren werden. Ob darin allerdings ein erschöpfender Erklärungstatbestand gesehen werden k a n n (so Bohnert, S. 154 ff.), muß bezweifelt werden (ebenso Rückert, S. 508); v i e l eher w i r d hier das Dilemma von Theorie u n d Praxis erst m a r k a n t skizziert: Trotz der Lehre v o m Volksgeist u n d trotz rechtsphilosophischer „Anschauung", die scheinbar die Bewährung der Rechisbegriffe als „lebendige", materiale Faktoren gewährleisten, gleitet historisches Denken i n begriffsjuristische Konstruktionen ab. Raum u n d Thema lassen eine nähere Auseinandersetzung m i t dem Ergebnis Bohnerts an dieser Stelle nicht zu. N u r soviel: Die Vorstellung, daß „ A n schauung u n d Begriff nicht unterschieden" seien — eine Grundprämisse der Sichtweise v o n Bohnert (S. 155) —, k a n n unter Beachtung der modernen E r kenntnisse v o n Sprachtheorie u n d - l o g i k (dazu später) nicht unbesehen aufrecht erhalten werden. Die begriffliche Ebene einer Sprache u n d die „anschauliche" sind zwei streng zu trennende semantische Sprachschichten, die auch mittels einer vorweg geführten Definition („Volksgeist" als Katalysator beider Ebenen) nicht zu einer einzigen verschmolzen werden können. 21
22
1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
Rechtsschule w o h l nur m i t Abstrichen als eine historische Rechtsschule verstanden werden darf. 2. Neues Problembewußtsein der jüngeren Privatrechtsgeschichte
M i t dieser Neuorientierung gegenüber der sog. Historischen Rechtsschule wurde auch der Zugang zum vorliegenden Problem geebnet. Insbesondere die Forschungsanstöße von Wieackei M und Böckenförde 25' 2 6 sind geeignet, einer Sichtweise den Weg zu bahnen, die einen möglichen Beitrag der Naturrechtsdoktrin zur Genese der Allgemeinen Lehren bejaht, ohne gleichzeitig den Anteil, der vom 19. Jh. getragen wird, verleugnen zu müssen. Einerseits hat sich durch diese K r i t i k der Privatrechtsgeschichte unserer Zeit das bis vor Jahren gängige B i l d der Historischen Rechtsschule bemerkenswerte Korrekturen gefallen lassen müssen. Das aber hat zugleich den Sinn geschärft, die methodischen und systematischen Leistungen des 19. Jh.s kritisch zu hinterfragen, und schon bald stieß man auf das naturrechtliche Erbe, das die Pandektenwissenschaft i m vorigen Jahrhundert angetreten hatte". Freilich sollte man nicht übersehen, daß nicht erst unsere Tage die ungewisse Nähe der Rechtswissenschaft des vorigen Jahrhunderts zum Naturrecht verspürt haben 28 . 24
Wieacker, Wandlungen i m B i l d der Historischen Rechtsschule. Böckenförde, Die Historische Rechtsschule u n d das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts. 26 Z u r unhistorischen Sicht der Historischen Rechtsschule i n Österreich, Ogris, Die Wissenschaft des gemeinen römischen Rechts u n d das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, S. 170 f., i n : Wissenschaft u n d Kodifikation des Privatrechts i m 19. Jahrhundert Bd. I , S. 153 ff. 27 Über das Zivilrecht hinaus vgl. zu diesem Problem Welzel, Naturrecht u n d Rechtspositivismus, i n : FS Niedermeyer, S. 280: „Dadurch w u r d e es offenbar, daß der ganze Rechtspositivismus des 19. u n d 20. Jahrhunderts trotz seiner gegenteiligen Behauptimg i n Wahrheit auf einer breiten naturrechtlichen Basis aufruhte u n d daß er v o n einer unverbrauchten sittlichen Substanz zehrte, die n u n plötzlich weggezogen wurde." 25
28 Jung, V o n der „logischen Geschlossenheit" des Rechts, i n : FS f ü r Dernburg, S. 155, i n Auseinandersetzung m i t Bergbohm: „ . . . so stoßen w i r a u d i hier auf die merkwürdige Tatsache, daß jene Bergbohmschen Aufstellungen, die darauf gerichtet sind, das Naturrecht zu seinem letzten Schlupfwinkel zu verfolgen u n d m i t Stumpf u n d Stiel auszurotten, selber zu typisch-naturrechtlichen, rationalistischen Auffassungsweisen kommen; zur Negation des Entwicklungsbegriffs"; hierzu vgl. auch Manigk, Savigny u n d der Modernismus i m Recht, S. 135, der der Bergbohmschen These v o n der Historischen Rechtsschule als einer „uneigentlich geschichtlichen Theorie" zustimmt u n d ebenso darin, daß Savigny k e i n „konsequenter" Rechtshistoriker s e i
I. Der gegenwärtige Meinungsstand und das Anliegen der A r b e i t 2 3 A l l e i n erst Α. B. Schwarz hat m i t seinem Aufsatz 29 einen fundierten Denkanstoß zum Problem geliefert. M i t dieser Schrift war er der erste, der darauf aufmerksam gemacht hat, der Allgemeine Teil sei auch ein K i n d des Naturrechtszeitalters 30 . Die heutige Privatrechtsgeschichte hat sich seine Auffassung zu eigen gemacht, wonach der Allgemeine Teil unseres Bürgerlichen Gesetzbuches hinausweise über die Pandektenwissenschaft und seine Wurzeln i n den Werken der Naturrechtler finde. Diesem Aufsatz haben die jüngeren und jüngsten Untersuchungen zur Historischen Rechtsschule eine erneute Aktualität gegeben. Dies scheint Anlaß genug, i h n zum Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen zu machen, die vom Plafond des derzeitigen Meinungsstandes aus die Frage nach der Herkunft der Allgemeinen Lehren unserer Privatrechtsordnung erneut stellen wollen. Dabei steht ein Gedanke i m Vordergrund, den die bisherige Auseinandersetzung m i t diesem Thema vermissen läßt: Bevor die rechtshistorisch-genetischen Wurzeln der Allgemeinen Privatrechtslehren freigelegt werden können, muß eine methodologische Analyse dieser Lehren vonstatten gehen, die erlaubt, die einzelnen Elemente dieser Rechtsfiguren zu fassen und geschichtlich differenziert zu verfolgen. Diesem rechtsgeschichtlichen Teil der nachfolgenden Arbeit ist es anheimgegeben, der Frage nach der naturrechtlichen Komponente der A l l gemeinen Privatrechtslehren i n ihrer historischen Entwicklung nachzugehen. Dies soll i m Rahmen der gesamteuropäischen Rechtstradition geschehen. Das bedeutet, daß nicht nur das Vernunftrecht des 17. und 18. Jh.s i n die Untersuchung einbezogen, sondern auch zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft und der scholastischen Naturrechtstradition Stellung genommen wird. Keinesfalls w i r d dabei der Anspruch erhoben, zu einer abschließenden Beurteilung der gestellten Problematik zu kommen. Vielmehr geht es darum, den „historischen Faden" unter Zugrundelegung des vorgefundenen Diskussionsstandes aufzunehmen und zu versuchen, i n kritischem Abstand zum Thema den Fragen nachzugehen, die m i t den oben genannten Ergebnissen der neueren Forschung aufgetaucht sind. Es sollen die Querverbindungen, die zwischen Naturrechtslehre u n d der Genese 29 Andreas Bertalan Schwarz, Z u r Entstehung des modernen Pandektensystems, i n : SZ Rom Bd. 42 — 1921 —, S. 578 ff. 30 Entsprechendes g i l t f ü r das Zivilprozeßrecht: Nörr, S. 18 ff. u n d 51 ff. k o m m t zum Ergebnis, daß sich nach der Grundlegung des Begriffes „Prozeßhandlung" durch Daniel Nettelbladt die Allgemeinen Teile i n den zivilprozeßrechtlichen Darstellungen bis etwa 1800 herausbilden.
1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
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der Allgemeinen Zivilrechtslehren vermutet werden, näher konturiert werden. Und schließlich soll auch die Frage i m Auge behalten werden, inwieweit die Ausbildung und Konstruktion der Allgemeinen Lehren unseres Privatrechts tatsächlich als eine spezifisch juristische Leistung angesprochen werden kann. Dieses Ziel versucht die Arbeit eher i n der Form eines problemorientierten Aufrisses zu erreichen als i n der Wendung zur rein dogmengeschichtlichen Vertiefung.
Π . Die Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts im Kontext der europäischen Kodifikationsfamilie 1. Thematische Präzisierung
Die Beschäftigung m i t den Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts legt es nahe, den sog. Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches i m Mittelpunkt der Überlegungen zu sehen. Diese vom Wortlaut mitgetragene, zwanglose Anknüpfung an den Allgemeinen Teil entspringt der w e i t h i n und m i t Selbstverständlichkeit geübten Formulierung, als die Allgemeinen Lehren unseres bürgerlichen Rechtssystems jene anzusprechen, die das Erste Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches zusammenfassend darstellt 8 1 . Der Begriff der Allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts erscheint somit wenig problematisch und sich der Allgemeine T e i l — soweit der Gesetzgeber einen solchen konzipiert hat — als sedes materiae dieser Rechtsregeln geradewegs aufzudrängen. A l l e i n die K r i t i k an den so dargestellten Allgemeinen Lehren ist nicht zu überhören 32 , und es kann heute kaum noch bestritten werden, daß das Erste Buch unseres Bürgerlichen Gesetzbuches seinem Namen und seiner systematischen Funktion lediglich beschränkt gerecht w i r d 8 8 . S1
Z u m Beispiel Larenz, A T , S. 25; Zweigert/Kötz, S. 177 ff. Den Versuchen der deutschen Rechtswissenschaft, eine privatrechtliche Kodifikation ohne Allgemeinen T e i l zu konzipieren, w a r bisher allerdings k e i n Erfolg beschieden. Z u m (vergeblichen) Bemühen, i h n durch „ G r u n d regeln" abzulösen, vgl. die aufschlußreichen „vorläufigen Probestücke aus der Werkstatt" der Akademie f ü r Deutsches Recht: Hedemann, Das Volksgesetzbuch der Deutschen. E i n Bericht, S. 28 ff., 46. 33 Z u r K r i t i k vgl. Boehmer, Einführung, S. 73, der i h n ein „ m i x t u m compositum heterogener Elemente" nennt; w e i t e r h i n Wieacker, PrGN, S. 486 ff. m. w. H., u n d Zweigert/Kötz, S. 178. Z u bemerken ist jedoch, daß sich der Gesetzgeber durchaus über die beklagten Mängel i m klaren war. Insoweit gingen Zweckmäßigkeitserwägungen der systematischen Reinheit v o r ; vgl. dazu die Denkschrift, S. X I I ; zu diesem Problem bereits Savigny, System I, S. 389 f. Z u r Verteidigung des Allgemeinen Teüs sei statt aller auf Heck, Der A l l gemeine T e i l des Privatrechts. E i n W o r t der Verteidigung, hingewiesen. 32
II. Allgemeine Privatrechtslehren in europäischen Kodifikationen
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Dennoch: Die Literatur ist sich darin einig, daß i n der Lehre vom Rechtsgeschäft w i r k l i c h Allgemeine Lehren des zivilen Rechts grundgelegt sind 34 . A u f diese Allgemeinen Lehren der vertraglichen Obligation und des einseitigen Rechtsgeschäfts beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung und grenzt insbesondere die allgemeinen Regeln und Gedanken zur Auslegung und Interpretation rechtsgeschäftlichen Handelns (§§ 133, 157 BGB) aus. Ebensowenig sollen allgemein gefaßte Prinzipien und Leitgedanken, die das Rechtssystem gleichsam als tragende Maximen überwölben (§§ 138, 242 BGB), Gegenstand der methodologischen und historischen Erörterungen sein. Und schließlich dürfen auch nicht jene allgemeinen Theorien über die Lehre von den Rechtsquellen i n die Nähe unserer Allgemeinen Privatrechtslehren gebracht werden 3 5 . Die Bezeichnung der „Allgemeinen Lehren" bleibt also allein den Regeln über das Rechtsgeschäft vorbehalten. Nach dieser begrifflichen Klarstellung bedarf es noch einiger Anmerkungen zur Frage, weshalb gerade die deutschen Allgemeinen Lehren des zivilen Rechts i n den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt werden. Neben einer beschränkenden Funktion dieser Auswahl sind es — wie zu zeigen sein w i r d — genetische Gründe, die eine Abschichtung der A l l gemeinen Privatrechtslehren des Bürgerlichen Gesetzbuches von jenen verlangen, die sich i n außerdeutschen Gesetzbüchern finden. 2. Die Sonderstellung der deutschen Allgemeinen Privatrechtslehren
a) Allgemeine Lehren in außerdeutschen Gesetzesbüchern Es ist hinlänglich bekannt, daß dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch innerhalb des Kreises der europäischen Kodifikationsfamilie durch die Formulierung eines Allgemeinen Teils eine besondere Stellung zu34
Wieacker, PrGN, S. 486 ff.; Boehmer, Einführung, S. 73. Diese, wie sich noch zeigen w i r d , sehr wesentliche Abgrenzung lassen die älteren Lehrdarstellungen fast durchgehend vermissen. U n t e r dem Begriff der „Allgemeinen Lehren" werden sowohl Fragen der Rechtsquellenlehre, der Auslegung w i e die der Rechtsgeschäftslehre verstanden. Vgl. die i n Fußnote 6 genannten Autoren, m i t Ausnahme v o n Bekker; des weiteren ζ. B. Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts Bd. I, S. I I I ff. ; Endemann, L e h r buch des Bürgerlichen Rechts Bd. I, S. I X ff. A b e r auch moderne Darstellungen unterscheiden i n dieser Hinsicht nicht genügend, vgl. ζ. B. Homann, Die Verwendung Allgemeiner Teile oder allgemeiner Vorschriften i n der neueren Gesetzgebung, i n : Theorie der Gesetzgebung, S. 328 ff. A u f den parallelen Bef u n d i n den Allgemeinen Teilen des Zivilprozeßrechts stößt Nörr, S. 52 ff. 35
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1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
kommt. Demgegenüber sind die einleitenden Bestimmungen der Gesetzesbücher unserer Nachbarn gerade von den o. g. allgemeinen Maximen der Rechtsanwendung und Rechtsfindung geprägt, auf die der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches weit geringeren Wert gelegt hat. Bei der Einordnung unseres Gegenstandes i n ein größeres, europäisches Bezugsfeld stoßen w i r so auf die Frage, ob m i t den Allgemeinen Zivilrechtslehren und ihrer gesetzestechnischen Darbietung i m Ersten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Materie angesprochen wird, die anderen Gesetzbüchern fremd ist. Genauer: Finden unsere deutschen Allgemeinen Privatrechtslehren ihre Eigenart nur i n der Form der äußeren, redaktionellen Darstellung 86 ? Oder müssen w i r die rein technisch anmutende Differenz gegenüber anderen Privatrechtsbüchern vor einem substantiellen Hintergrund sehen87? Für die Erörterung dieses Gedankens lassen zwei Gründe den Vergleich m i t dem schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) 3 8 als besonders geeignet erscheinen: Einmal vermochte Eugen Huber, der Schöpfer dieses großartigen Gesetzes, selbst i n der Diskussion m i t dem wissenschaftlichen Positivismus stehend, eine bewußte Entscheidung für oder wider den Allgemeinen Teil zu fällen. Dies und der knappe Zeitraum der A u f einanderfolge des Inkrafttretens von Bürgerlichem Gesetzbuch und Zivilgesetzbuch verbürgen die aktuelle Sicht i n der Auseinandersetzung u m einen Allgemeinen Teil. Z u m zweiten überragt die Kodifikation Hubers jene anderen europäischen Gesetze, die unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Allgemeinen Teils, w o h l aber der Formulierung von allgemeinen Maximen, dem Bürgerlichen Gesetzbuch gegenüber zu stellen sind: A r t . I ZGB darf i n seiner Verquickung von striktem Imperativ zur gesetzestreuen Auslegung und dem gesetzgeberischen Zugeständnis an den Richter zur selbständigen Norm- und Regelbildung 39 i n seiner Diktion als die wohl weitherzigste und kraftvollste Norm dieser A r t bewertet werden: „Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. K a n n dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der 88 Z u r Geschichte der Gliederung des Bürgerlichen Gesetzbuches i n seine f ü n f Bücher, grundlegend Schwarz, Fn. 29. 87 Es versteht sich von selbst, daß bei der hier gebotenen Kürze diese rechtsvergleichenden Perspektiven notwendig bruchstückhaft bleiben müssen. 38 I n K r a f t getreten am Ol. Ol. 1912. 80 Eingehend zu dieser Frage Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, insbes. S. 26 ff. ; vgl. dazu auch Egger, K o m m e n t a r zum schweizerischen Z i v i l gesetzbuch, S. 60 f.
II. Allgemeine Privatrechtslehren in europäischen Kodifikationen
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Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung 40 ." Freilich, die Fassung einer derartigen Norm sagt für sich allein noch nichts Unmittelbares aus über das Vorhandensein von Allgemeinen Lehren i m Zivilrecht 4 1 . Es verdient zudem Beachtung, daß der Verzicht Eugen Hubers auf einen Allgemeinen Teil auch aus Gründen mitgetragen wurde, die der spezifisch schweizerischen Situation zur Zeit der Gesetzgebung entstammten 42 . Hinzu kommt, daß das schweizerische Obligationenrecht, i n K r a f t getreten am Ol. Ol. 1883, bereits Normen über die Entstehung von Schuldverhältnissen, über ihre Wirkung und ihr Erlöschen 43 enthielt. So hat sich aufgrund des bereits vorgefundenen gesetzlichen Materials eine Verweisung i m Rahmen des neu zu schaffenden Zivilgesetzbuches (Art. 7 ZGB) sicherlich i n viel stärkerem Maße angeboten, als es ohne die Regeln des Obligationenrechts der Fall gewesen wäre. Für die Frage nach Allgemeinen Lehren spielt dies hingegen zunächst jedenfalls eine durchaus sekundäre Rolle; denn das Interesse richtet sich vorab weniger auf die Frage der legislatorischen Technik, d.h. ob i m Wege der „Ausklammerung" oder mittels einer Verweisung das Problem der Allgemeinen Rechtsinstitute behandelt wird, sondern darauf, ob die Allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts vergleichbar sind m i t den Allgemeinen Rechtsgeschäftslehren des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dann nämlich bedürfte es einer tieferen Begründung, weshalb hier der Akzent auf die deutschen Allgemeinen Privatrechtslehren gelegt wird. U m späteren Erörterungen, die sich genauer m i t der Struktur A l l gemeiner Lehren befassen, nicht vorzugreifen, wollen w i r uns an dieser Stelle m i t der Darstellung der ganz herrschenden Literatur begnügen, die den o. g. Allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts eine genuine Verwandtschaft zu den entsprechenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches zuerkennt. Wie dort finden sich die Rechtsprobleme auch hier i n abstracto abgehandelt, d. h. am Rechtsinstitut des Vertrages „als solchem" und nicht i m Zusammenhang m i t einem be40 Diese Vorschrift aus dem schweizerischen Recht findet Parallelen i n § 7 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) u n d i n art. 12 des italienischen Codice civile. 41 Gleichwohl gibt sie natürlich den H i n t e r g r u n d des ganzen Problems zu erkennen: das Kodifikationsverständnis des einzelnen Gesetzgebers, das i n seiner gesamtheitlichen Konzeption maßgeblichen Einfiuß auf unseren U n t e r suchungsgegenstand ausübt. Dazu anschließend i m T e x t 42 Vgl. Huber, System u n d Geschichte des schweizerischen Privatrechts. S. 39 ff. 43 A r t . 1 bis 40 u n d 68 bis 142 des Obligationenrechts (OR).
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1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
stimmten Vertragstypus dargestellt 44 . Gmür spricht von diesen allgemeinen Hegeln als „äußersten Abstraktionen" 4 5 und betont, daß es nicht kantonale Überlieferung war, an die der Entwurf Munzingers sich angelehnt hat. Vielmehr sei es, neben Code civil und österreichischem A l l gemeinen Gesetzbuch, die Korrespondenz m i t der deutschen Pandektenwissenschaft gewesen, aus der heraus er entstanden ist. „Jedenfalls also" hat sich das schweizerische Obligationenrecht „an juristische Systeme" angeschlossen, „die auf Grund einer wissenschaftlichen Durchdringung des römischen Rechts und des Naturrechts entwickelt worden w a r e n " 4 8 , 4 7 . Nach einem ersten vorläufigen Resümee darf also keineswegs aus einem fehlenden Allgemeinen Teil auf den Mangel an Allgemeinen Rechtslehren geschlossen werden 4 8 . Daß trotzdem ein nicht zu übersehender Unterschied zwischen den Allgemeinen Zivilrechtslehren des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches und jenen des schweizerischen Zivilgesetzbuches bzw. Obligationenrechts besteht, soll i m folgenden näher dargelegt werden. Dabei geht es jetzt u m das Problem der A l l gemeinen Lehren i m Allgemeinen Teil. b) Die Allgemeinen Lehren im Allgemeinen Teil: Ausdruck der Idee des logisch „geschlossenen" Rechtssystems Den Ansatzpunkt zur Auflösung der beobachteten Normzusammenhänge (Allgemeine Lehren hier wie dort, dagegen ein Allgemeiner Teil i m deutschen, die Favorisierung allgemeiner Maximen i m schweizerischen und österreichischen Recht) glauben w i r i m bereits angesprochenen „Vorverständnis" des Gesetzgebers erkennen zu können. 44 Allerdings darf m a n das schweizerische OR eine Abstraktionsstufe tiefer angesiedelt sehen, da die Allgemeinen Lehren am I n s t i t u t des Vertrages u n d nicht des Rechtsgeschäftes abgehandelt werden. Das gleiche gilt f ü r das A B G B , dort §§ 861 ff. m i t der Verweisung auf das einseitige Rechtsgeschäft i n § 876 A B G B . 45 Gmür, Das schweizerische Zivilgesetzbuch verglichen m i t dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, S. 152. 46 Gmür, S. 153. 47 Z u r „Ersatzfunktion" des A r t . 7 Z G B i. V. m. den gen. Bestimmungen des OR, Gmür, S. 52; auch die kritischen Stimmen gegenüber dem Allgemeinen T e i l bestreiten nicht, daß die allgemeinen Bestimmungen des OR denen des Allgemeinen Teils entsprechen, w e n n auch die Abstraktionshöhe nicht i n jeder Hinsicht die gleiche sei; vgl. Wieacker, PrGN, S. 491 f. 48 Das güt i n gleicher Weise f ü r das A B G B : vgl. o. Fn. 44. Wenn auch die heutige Fassung auf die Änderungen der Teilnovellen v o n 1914 bis 1916 zurückgehen u n d sich darin unter dem Einfluß Ungers die Auswirkungen der deutschen Pandektistik breit machen, so ist doch zu beachten, daß bereits der U r - E n t w u r f zum A B G B i n seinem dritten T h e i l (§§ 1 bis 48) allgemeine V o r schriften „ V o n Verträgen überhaupt" enthielt; vgl. Ofner, Der U r - E n t w u r f u n d die Berathungs-Protokolle des Oesterreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches Bd. 1.
II. Allgemeine Privatrechtslehren in europäischen Kodifikationen
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U m was es dabei geht, ist die klare Trennung von bloßer Existenz der Hechtsinstitute und ihrer funktionalen Aussagekraft als ein Baustein i n der Kodifikation. N u r vor diesem Hintergrund läßt sich über eine gefällige, aber triviale Polarisierung, die allein die Frage der Existenz eines Allgemeinen Teils i m Auge hat, hinaus erkennen, daß es dabei um zwei streng zu trennende Fragen geht. Die eine, die sich m i t den Allgemeinen Lehren beschäftigt, läßt sich nicht eo ipso m i t der nach der Ausbildung eines A l l gemeinen Teils beantworten 49 . Ebensowenig darf aber die Existenz des Allgemeinen Teils bei der Bewertung dieser Allgemeinen Lehren unberücksichtigt bleiben 50 . Denn das nämliche Rechtsinstitut kann (und muß), i n einen je und je verschiedenen Kontext eingebunden, unter dem Eindruck dieses Hintergrundes auch verschieden interpretiert und verstanden werden. Wie die Rechtsfigur des Kaufvertrages sowohl dem geltenden Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches als auch dem römischen als emptio venditio bekannt war, so ist gleichwohl unbestritten, daß ein Kaufvertrag, hier als klassisches Anwendungsbeispiel der Lehre vom Rechtsgeschäft, und die emptio venditio, dort als eine Obligation i m numerus clausus der Vertragstypen, einen aus diesem Systembezug fließenden, verschiedenen Stellenwert einnehmen müssen. Ähnlich das Problem der Allgemeinen Lehren i n der Korrespondenz eines Allgemeinen Teils oder i n der Ausgestaltung nach schweizerischem und österreichischem Vorbild. Mag man das „Ob" der Allgemeinen Lehren von der wissenschaftlichen Höhe und Leistungsfähigkeit der Rechtswissenschaft abhängig machen und ist diese für beide Rechtsbücher gleichermaßen zu bestätigen, so spielt sich das „Wie" der Verarbeitung i m Gefüge redaktioneller Entscheidungen ab. Hier zeigt sich aber der einschneidende Unterschied zwischen deutschem Bürgerlichem Gesetzbuch und schweizerischem Zivilgesetzbuch (bzw. dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch). Das Selbstverständnis der Redaktoren und des Gesetzgebers ist das maßgebende Moment, das i m deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch den 40 Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung erhellt ganz besonders, w e n n m a n sich· v o r Augen hält, daß beispielsweise die Kommentierung bei Meier-Hayoz, Berner K o m m e n t a r 1/1, Rdnr. 351 ff. fast w ö r t l i c h die Gedanken des § 1, Satz 2 des ersten Entwurfs zum B G B zeigt, obwohl A r t . I Z G B u n d der gen. § 1 des Entwurfs zum B G B entscheidend voneinander abweichen. D a zu folgend i m Text. 50 Demgegenüber erachtet Thieme, Das Naturrecht u n d die europäische Privatrechtsgeschichte, S. 42, die Tatsache des Allgemeinen Teils f ü r das V e r ständnis der Allgemeinen Lehren als unmaßgeblich.
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1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
Allgemeinen Teil formuliert, i m schweizerischen Zivilgesetzbuch die Betonung auf die allgemeinen Maximen und Auslegungsregeln legt und den bewunderungswürdigen A r t . I Z G B geschaffen hat. Aus dieser Rückkoppelung von der so oder so getroffenen redaktionellen Entscheidung lassen sich die je und je vorhandenen Allgemeinen Lehren sachgerecht bewerten: Kommen i n ihnen einerseits Praktikabilitäts- und Zweckmäßigkeitserwägungen einer hochstehenden juristischen Dogmatik zum Ausdruck 51 , so verkörpern sie andererseits die Utopie der deutschen Pandektistik des 19. Jh.s: das i n sich selbst ruhende und aus sich selbst vollständig interpretierbare logisch „geschlossene" System des zivilen Rechts. Die Materialien des Bürgerlichen Gesetzbuches erweisen sich hierzu höchst aufschlußreich: Während der Allgemeine Teil des Ersten Entwurfes von 1888 i n seinem § l 5 2 noch eine allgemeine Auslegungsregel normierte, wurde diese Vorschrift i n Entwurf I I aus folgender Überlegung gestrichen: „ . . , vermöge der Einheit des Rechts und des Lebens versteht es sich aber von selbst, daß für die nicht eigens normierten Verhältnisse die Normen über verwandte Verhältnisse m i t den durch die Verschiedenheit beider gebotenen Beschränkungen gelten, und eine positive Vorschrift hat hier nur Sinn, wenn sie für bestimmte Verhältnisse die analoge Anwendung der Normen über bestimmte andere Verhältnisse vorschreibt..."." Die i n sich geschlossene Einheit des Rechts macht es also entbehrlich, die allgemein geltenden Auslegungsregeln i n Vorschriften zu fassen. Die Vorstellung, daß es überhaupt Sachverhalte geben könnte, die sich nicht aus der Einheit der Rechtsordnung heraus beurteilen ließen 54 , war aber nicht erst den Verfassern des I I . Entwurfes fremd. I n bemerkenswertem Gegensatz zu A r t . I ZGB, der i n seinem Absatz 2 von einer Gesetzeslücke ausgeht, die mittels Auslegung nicht mehr geschlossen werden kann, sah § 1 des Ersten Entwurfes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vor, daß dort, wo die Analogie nicht Platz greifen könne, die 51 Das steht nicht i m Gegensatz zu Fn. 33, denn dort ging es u m die asystematischen Bestandteile, während es hier u m den „reinen" Allgemeinen Teil geht, den Savigny durch einen „ G r u n d innerer Notwendigkeit" gefordert sieht (System I, S. 390). 52 „ A u f Verhältnisse, f ü r welche das Gesetz keine Vorschriften enthält, finden die f ü r rechtsähnliche Verhältnisse gegebenen Vorschriften entsprechende Anwendung. I n Ermangelung solcher Vorschriften sind die aus dem Geiste der Rechtsordnung sich ergebenden Grundsätze maßgebend." 63 Holder, K o m m e n t a r zum Allgemeinen T e ü des Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 21. 54 Treffend beschreibt Meier-Hayoz diese Vorstellung: „ l e x semper loquit u r " (Der Richter als Gesetzgeber, S. 27).
II. Allgemeine Privatrechtslehren in europäischen Kodifikationen
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„aus dem Geist der Hechtsordnung sich ergebenden Grundsätze" für die Lösung des Rechtsfalles bereitstünden 55 . Diese Grundsätze, die sich „aus dem Geist der Rechtsordnung" ergeben, sind aber nicht m i t A r t . I ZGB oder § 7 A B G B vergleichbar. Aus dem Primat dieser „logischen Auslegung" 5® folgt, daß ein Sachverhalt, der sich auch nicht unter Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze und Lehren dem Bereich des Normativen zuordnen läßt, kein rechtlich relevanter Sachverhalt sein kann 5 7 . Hier gibt sich der deutsche Gesetzgeber als i n der Nachfolge des wissenschaftlichen Rechtspositivismus stehend zu erkennen. Die Geschlossenheit seiner Kodifikation w i r d i h m zum ureigenen Anliegen: M i t dem Bürgerlichen Gesetzbuch sollte ein Gesetzeswerk geschaffen werden, das den Anspruch erheben konnte, als „geschlossenes" Rechtssystem i n der Lage zu sein, alle denkbaren Rechtsfälle einer Entscheidung zuzuführen 58 . Die Aufgabe eines Allgemeinen Teils als systematisch-funktionales Element eines solchen Systems geht über die bloße Zusammenfassung Allgemeiner Lehren hinaus und w i r d zur Manifestation des pandektologischen Ordnungs- und Systemgedankens: Weil das Gesetz i n sich geschlossen ist, vermag m i t der Konzeption eines Allgemeinen Teils die logische Stringenz der Materie demonstriert und unterstrichen zu werden 59 . Das hat sich i m „Grund innerer N o t w e n d i g k e i t " bei Savigny angebahnt, setzt sich i n der (de facto formal-logischen) Rechts„anschauung" Puchtas fort und erreicht i n der naturhistorischen Methode des jüngeren Jhering seine Spitze: „System ist gleichbedeutend m i t innerer Ordnung der Sache selbst und daher immer ganz individuell; diesem Rechte ist ein anderes System eigentümlich als jenem. Bei dem Rechte besteht nun das Unterscheidende der systematischen Tätigkeit darin, daß dadurch nicht bloß wie bei jeder anderen Wissenschaft das einzelne an seine richtige Stelle gebracht wird, sondern, daß dieser f o r m a l e Prozeß eine m a t e r i e l l e Rückwirkung auf den Stoff ausübt, daß durch diese Prozedur m i t den 65
Gemeint ist hier die sog. Rechtsanalogie; vgl. Motive Bd. I , S. 16. Dernburg, S. 1 6 1 ; Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts I. Bd., S. 99 ff.; Holder, S. 21. 57 Das klassische Beispiel dieser Sicht der Geschlossenheit einer Kodifikat i o n ist die Verneinung einer Regelungsbedürftigkeit des fast gesamten K o m plexes des heute anerkannten individuellen Arbeitsrechts. H i e r lag, worauf Germann, Probleme u n d Methoden der Rechtsfindung, S. 309, zu Recht h i n weist, ein „rechtsleerer Raum" vor. 58 Z u dieser Zielvorgabe des Bürgerlichen Gesetzbuches vgl. Planck, Bürgerliches Gesetzbuch I , S. 16, 33 f.; Dernburg, Das Bürgerliche Recht des deutschen Reiches I, S. 85; Crome, S. 51 ff, 99 f.; Endemann, S. 2,31,42; Denkschrift, S. X I ; Motive, S. 16 f. A u s dem neueren Schrifttum: Wieacker, PrGN, S. 430, 433 f., 436 f., 475; Germann, S. 309; ZweigertlKötz, S. 177. 59 Motive, S. 17; Dernburg, Das bürgerliche Recht, S. 5; Crome, S. 51 f.; Boehmer, Einführung, S. 74. 56
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1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
Rechtsätzen eine innere Umwandlung vor sich geht. D i e sätze t r e t e n gewissermaßen in einen h ö h e r e n gatzustand...60'β1."
RechtAggre-
Den leidenschaftlichsten Verfechter des Dogmas von der Lückenlosigkeit des Gesetzes finden w i r i n dem ausschließlich rechtspositivistisch orientierten Karl Bergbohm 62. „ . . . Gänzlich unerlaubt ist es, das stets lückenhaft bleibende Wissen des Einzelnen u m das Recht m i t dem nie lückenhaften Rechtskörper selbst zu verwechseln. Die ganze Vorstellung von den Rechtslücken sollte endlich einmal aufgegeben werden. Ein Recht, und wenn es fast nichts an geregelten Stoffen umfaßt, ist etwas allemal i n lückenloser Ganzheit Dastehendes. Wer dürfte es auch komplettieren, ohne sich zur Rechtsquelle aufzuwerfen? Es bedarf niemals der Ausfüllung von außen her, denn es ist jeden Augenblick voll, weil seine innere Fruchtbarkeit, seine logische Expansionskraft i m eigenen Bereich jeden Augenblick den ganzen Bedarf an Rechtsurteilen deckt. Das ist keine ,absurde Fiktion', sondern eine nicht wegdenkbare Thatsache .. . β 3 , e 4 ." Hier nun w i r d der wesentliche Unterschied zu A r t . I, Abs. 2 ZGB markant, der den Richter i n die Pflicht eines Gesetzgebers stellt. Dieses Gesetz geht also von der Regelungsbedürftigkeit weiterer Sachverhalte aus und bekennt sich deshalb ganz entschieden zur „Offenheit" des Gesetzbuches65. Auch das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch — i n K r a f t getreten am Ol. Ol. 1812 — und der französische Code 60
Jhering, Geist des römischen Rechts I, S. 37. Z u r Gesamtentwicklung der Methode i m 19. Jh. vgl. Wilhelm, Fn. 4. M Wenn Bergbohm auch eine gewisse Außenseiterrolle zukommt, so ist die Forderung nach Vollständigkeit u n d Geschlossenheit eines Gesetzbuches doch seit Savigny programmatische Forderung der Historischen Rechtsschule. A l l e r dings geht es dem 19. Jh. nicht u m kasuistisches Ausschöpfen, sondern u m das „Herausfühlen der leitenden Grundsätze" (vgl. Savigny, Beruf, S. 110 f.). 68 Bergbohm, Jurisprudenz u n d Rechtsphilosophie Bd. I, S. 383 ff.; vgl. dort auch S. 90 ff. u n d 118. 64 Dazu aus zeitgenössischer Sicht: Jung, oben Fn. 28, u n d Manigk, Savigny u n d der Modernismus i m Recht, S. 127,134 ff.; vgl. auch Eichengrün, S. 11. 65 Z u r gewollten Lückenhaftigkeit des schweizerischen Z G B : Liver, Berner Kommentar 1/1, Einleitung, Rdnr. 117, 125ff.; Meier-Hayoz, ebenda, A r t i , Rdnr. 288 f.; ders., Der Richter als Gesetzgeber, S. 27 ff.; Egger, Allgemeine Einleitung, Rdnr. 32 f. ; Tuor/Schnyder, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, § 3 1 a 2; Germann, S. 312. Ob m a n m i t Larenz, A T , S. 20 f., die D i k t i o n des Z G B einen „Richtlinienstil" nennen sollte, erscheint zweifelhaft: E i n m a l spiegelt dieser Begriff nicht die wichtige Frage nach der normativen Bedeutung dieser Richtlinien wider, z u m anderen rückt die Terminologie (ohne klarstellenden Hinweis) bedenklich nahe an jenen „neuen Gesetzgebungsstil" der „Leitsätze", m i t denen verschiedene Rechtswahrer i n den Jahren nach 1933 das „ n o r m a tivistische" B G B abzulösen versuchten (vgl. Schmitt, Kodifikation oder Novelle?). Daß m i t dieser Methode S t i l u n d Intention des Z G B auch nicht das Entfernteste gemein haben, verdient hervorgehoben zu werden. 01
II. Allgemeine Privatrechtslehren in europäischen Kodifikationen
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vom 21.03.1804 sind sich der Unvollständigkeit ihrer Regelung bewußt 8 6 , ®7. (Allerdings darf diese Gemeinsamkeit keineswegs zum Anlaß genommen werden, die recht differenzierte Stellung dieser Gesetzbücher untereinander und i n ihrem jeweiligen Gegenüber zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu verwischen. So atmen Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch und Code civil den Geist der sich neigenden Naturrechtsepoche, während das Zivilgesetzbuch die gesamte Pandektenwissenschaft verarbeiten konnte. Trotzdem muß man das Bekenntnis zur Lückenhaftigkeit methodologisch parallel bewerten wie historisch der nämlichen Quelle zuweisen 68 .) Die tiefere Bedeutung dieses Unterschiedes geht über die Tatsache hinaus, daß das Bürgerliche Gesetzbuch dem Laien nur sehr schwer verständlich ist, während das Werk Eugen Hubers durch seine volkstümliche Einprägsamkeit Schule gemacht hat. Erst dann w i r d man das Gewicht dieser Differenz ermessen können, wenn man die daraus resultierenden Folgen für das je und je zugrundeliegende methodische Verständnis zieht. Da eine halbwegs fundierte Auseinandersetzung m i t diesem Problem den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen würde, seien lediglich mögliche Konsequenzen angedeutet. c) Methodologische
Konsequenzen
Identifiziert man sich m i t der Erkenntnis, daß aus Seinsverhältnissen normatives Sollen nicht ableitbar ist, w i r d man zugestehen müssen: Das Bürgerliche Gesetzbuch bleibt i m Ansatzpunkt methodisch korrekt. ββ Darauf weist zutreffend Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, S. 31, Fn. 5, hin. Allerdings darf gerade bei den „Grundsätzen" des § 7 A B GB der geschichtliche Wandel keinesfalls übersehen werden; dazu ausführlich Schott, „Rechtsgrundsätze" u n d Gesetzeskorrektur, S. 97 ff. 67 Z u §7 A B G B u n d seiner naturrechtlichen H e r k u n f t v o r allem Schott, ebenda; daneben Wellspacher, Das Naturrecht u n d das A B G B , i n : FS J a h r hundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Erster Teil, S. 173 ff. Gschnitzer, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, S. 33; Krainz, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts Bd. I, § 16; Stubenrauch, Commentar zum österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, § 7 I V ; Wolff, i n : Klang/Gschnitzer, Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, S. 106 f.; Schey, ebendort, S. 2 u n d 11. Vgl. i n diesem Zusammenhang auch Landsberg, Z u r ewigen Wiederkehr des Naturrechts, i n : A R S P Bd. 18 — 1924/25 —, S. 347 ff., i m Hinblick auf die italienische Regelung alter Fassung. 68 Vgl. Schott, S. 97. Das scheinbare Paradoxon, daß der naturrechtliche A n spruch, ein vollständiges Gesetzbuch zu schaffen (Kommentierungsverbot, référé législatif) i n der Freiheit des Richters, nach „allgemeinen Grundsätzen" zu entscheiden, endete, hat Schott, S. 26 ff., am Beispiel des A B G B erörtert u n d i n seiner historischen Entwicklung nachvollzogen. Z u diesem Problem beim Allgemeinen Preußischen Landrecht (§§ 46 ff. Einl. A L R ) vgl. Wagner, Die Wissenschaft des gemeinen römischen Rechts u n d das Allgemeine L a n d recht f ü r die Preußischen Staaten, S. 146 ff., i n : Wissenschaft u n d Kodifikation des Privatrechts i m 19. Jahrhundert Bd. I, S. 119 ff.
3 Lipp
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1. Abschn.: Forschungsstand u n d Forschungsgegenstand D e n n a u ß e r h a l b des n o r m a t i v - g e s c h l o s s e n e n Systems s i e h t es k e i n e
Sollensbestimmungen
u n d l ä ß t Seinstatsachen, sofern sie sich n i c h t
m i t t e l s A u s l e g u n g u n t e r die N o r m e n s u b s u m i e r e n lassen, jenseits j u r i stischer R e l e v a n z 6 9 ,
70
. D e r F o r d e r u n g nach M e t h o d e n r e i n h e i t k o m m t es
also w e i t g e h e n d entgegen. D e m g e g e n ü b e r i m p l i z i e r t d i e „ O f f e n h e i t " 7 1 eines Gesetzes d e n B r u c h d e r M e t h o d e u n d w i r f t h i n s i c h t l i c h d e r S y s t e m t r e u e B e d e n k e n auf. D e n n i n d e m d e r Gesetzgeber N o r m e n f i x i e r t , zugleich aber a n e r k e n n t , daß a u ß e r h a l b dieses K r e i s e s Lebenssachverhalte r u h e n , d i e l e d i g l i c h d e r Aktualisierung durch einen konkreten F a l l bedürfen, u m i h r n o r m gebundenes E l e m e n t i n E r s c h e i n u n g t r e t e n z u lassen, s a n k t i o n i e r t e r die A b l e i t b a r k e i t d e r N o r m e n aus gesellschaftlichen u n d psychologischen Seinsverhältnissen72. E r verlagert insoweit die n o r m a t i v w i r k e n d e K r a f t d e m p o s i t i v e n Gesetz v o r u n d sieht sie i n d e n D i n g e n selbst liegend. N i c h t d e r Gesetzgeber b e s t i m m t d i e z u n o r m i e r e n d e M a t e r i e , s o n d e r n die Lebenssachverhalte t r a g e n gleichsam eine l a t e n t e N o r m a t i v i t ä t i n sich, d i e d e r R i c h t e r l e d i g l i c h e r k e n n t u n d b e r ü c k s i c h t i g t 7 3 , 7 4 . 69 Eine ganz andere Frage ist, ob eine unter dem Gesichtspunkt der Methodenreinheit korrekte Sicht auch f ü r die Methodologie einer Normwissenschaft fruchtbar ist. 70 Auch § 7 A B G B wurde i m Gefolge der Historischen Rechtsschule durch Joseph Unger entwertet: „ V o m Standpunkt der Historischen Interpretation müssen jene Auslegungsversuche des § 7 entschieden zurückgewiesen werden; m a n k a n n jedoch m i t dieser Zurückweisung u m so ruhiger zu Werke gehen, als sich i n der T a t niemals ein F a l l ereignen kann, i n welcher zu jener subsidiären Quelle recurrirt werden müßte. Denn die Rechtsanalogie ist v o l l kommen ausreichend, u m jeden sich ergebenden F a l l i m Geist des bestehenden Rechts zu lösen, u n d i n der Aufstellung des Naturrechts i m § 7 des bürgerlichen Gesetzb. ist nichts anderes als die Befriedigung eines r e i n theoretischen Dranges der Verfasser des bürgerlichen Gesetzbuches zu sehen." (System I, S. 71). Die Vorstellung eines „geschlossenen" Systems scheint deutlich durch. Z u m Einbruch der historischen Richtung durch die Thun-Hohensteinsche Reform, vgl. Ogris, S. 161 ff.; zu § 7 A B G B i m besonderen, S. 168. 71 Vgl. dazu Canaris, Systemdenken u n d Systembegriff i n der Jurisprudenz, S. 61 - 73. Ob allerdings das Problem der Rechtsquellen — u n d damit jenes der „Offenheit" — f ü r den Systemgedanken bedeutungslos ist (S. 65 f.), erscheint sehr zweifelhaft. Denn die Kohärenz zwischen System u n d Rechtsquelle ist letztlich entscheidend, ob das System ein autonomes Normensystem abbildet. 72 Daß dies der Hintergrund des A r t . I Z G B ist, k a n n nach den Ausführungen v o n Germann, S. 36, u n d jenen Eugen Hubers, Recht u n d Rechtsverwirklichimg, S. 281, auf die sich Germann bezieht, k a u m bezweifelt werden. H i n sichtlich §7 A B G B sei auf Dniestrzânski, Die natürlichen Rechtsgrundsätze (§ 7 ABGB), S. 16 ff., i n : FS Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Zweiter Teil, S. 1 ff., hingewiesen. 75 Dieses Problem hat bereits Savigny i n seiner K r i t i k an den NaturrechtsGesetzbüchern erkannt; Beruf, S. 110: „Die Rechtspflege w i r d scheinbar durch das Gesetzbuch, i n der T h a t aber durch etwas anderes, was außer dem Gesetzbuch liegt, als der w a h r h a f t regierenden Rechtsquelle, beherrscht werden." Vgl. dazu Ogris, S. 155 f., sowie Caroni, Savigny u n d die Kodifikation, S. 151 ff., i n : SZ Germ Bd. 86 — 1969 —, S. 97 ff. U n k l a r bleibt, weshalb Eichengrün, S. 15 (vgl. schon oben Fn. 7) zu dem entgegengesetzten Ergebnis k o m m t : „es
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Die so beschriebene Diskrepanz i m Methodischen spiegelt sich wider i m Verständnis der Argumentationsfigur von der „Natur der Sache". Meier-Hayoz 75 anerkennt diesen Topos als einen sachlogisch begründeten, geht von i h m aus als einer außerhalb des positiven Rechts liegenden Rechtsquelle. Letztendlich w i r d naturrechtlich argumentiert: Denn hinter dieser Sicht steht die typisch naturrechtliche μετάβασις εις αλλο γένος, die — methodisch fragwürdig — Sollen aus dem Sein gewinnt. Ganz anders die „Natur der Sache" bei der Redaktion des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches. Dernburg 76 sieht i n ihr eine „Quelle der Gesetzgebung", nicht eine Quelle des Rechts. Das heißt aber, die Natur der Sache findet nur innerhalb der positiven Rechtsordnung ihren Niederschlag. Denn erst dann, wenn für den Gesetzgeber (der bei Dernburg nicht der Richter ist), die „Natur der Sache" zum Anlaß einer normativen Regelung geworden ist, sprich: positives Recht geschaffen wurde, w i r d sie für den Rechtsanwendenden eine zu berücksichtigende Argumentationsstruktur. Z u Unrecht n i m m t deshalb Egger 77 die Äußerungen Dernburgs zur „Natur der Sache" i n Anspruch, u m sie als Beleg für die Möglichkeit der selbständigen richterlichen Regelbildung i m deutschen Recht anzuführen. bleibt dennoch Tatsache, daß der Positivismus nicht methodenrein zu Ende zu denken ist, daß sich vielmehr jenseits von allem Positivismus ein Restproblem auftut, das m i t den methodischen Möglichkeiten des Positivismus nicht zu bewältigen ist." Gerade w e i l das v o n Eichengrün so genannte „transpositivistische Restproblem" (die inhaltliche Begründung der Normen) v o m Positivismus nicht zu bewältigen ist, bleibt er methodenrein. Denn unter dieser Voraussetzung ist das Sein v o m Sollen streng getrennt. So bestätigt denn auch das v o n i h m angezogene Z i t a t Horvâths ( „ . . . dann muß der Positivismus die Konsequenz ziehen, daß die Grundnorm eine reine F i k t i o n i s t . . . " ) gerade, was Eichengrün damit widerlegt sehen möchte: die Methodenreinheit streng positivistischen Denkens. Denn n u r dann, w e n n die Grundnorm rein hypothetisch, fiktiv bleibt u n d nicht stillschweigend ins T a t sächliche verlagert w i r d , ist die Reinheit der Methode gewahrt, die erkenntnistheoretische Autonomie einer Norm-Disziplin gewährleistet. 74 Dazu i m H i n b l i c k auf § 7 A B G B aufschlußreich Dniestrzànski, S. 6, Fn. 21 u n d 7, m i t Zitaten v o n Mayr u n d des OHG v o m 04. 03.1902. Aus letzterem sei folgende Passage wiedergegeben: „Jedes Rechtsverhältnis ist nach der k o n kreten Lage des Falles zu beurteilen, u n d läßt sich ein Fall, insbesondere wegen der abnormen Verhältnisse, weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so ist nach Vorschrift des §7 A B G B vorzugehen. Es ist demnach der Richter nicht gezwungen, einen Rechtsf a l l nach gesetzlichen Normen zu entscheiden, gegen deren A n w e n d u n g w i c h tige Bedenken obwalten u n d f ü r welche weder der klare Wortlaut, noch die Absicht des Gesetzgebers spricht." 75 Berner Kommentar 1/1, S. 85. 78 Das bürgerliche Recht I , S. 85. 77 A. a. O., A r t . 1, Rdn. 40.
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1. Abschn.: Forschungsstand und Forschungsgegenstand
Eine vollends eindeutige Sprache sprechen die Motive: „ . . . Die Berücksichtigung der sog. Natur der Sache ist dabei nicht ausgeschlossen, aber die Entscheidung darf nicht aus Momenten genommen werden, welche außerhalb des positiven Gesetzes liegen; die faktische Natur des betreffenden Verhältnisses muß ergründet und letzteres derjenigen Norm unterstellt werden, welche sich aus den allgemeinen, dem positiven Recht zugrunde liegenden Prinzipien und der i n ihrer Eigenart erkannten thatsächlichen Gestaltung m i t logischen Konsequenzen ergibt .. . 7 8 ." Den gleichen Gedanken halten die Protokolle zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches fest: „ . . . Die Natur der Sache könne gleichfalls nicht als maßgebend herangezogen werden, da — abgesehen von der großen Unsicherheit darüber, was die Natur der Sache sei — auf diesem Wege keine eigentlichen Rechtssätze abgeleitet, sondern nur Anhaltspunkte für die gesetzgeberische oder gewohnheitsrechtliche Ausgestaltung des Rechts gewonnen werden könnten 7 9 ." Nichts anderes aber hat der später weggefallene § 1 des Ersten Entwurfes unter Bezugnahme auf die „sich aus dem Geist der Rechtsordnung ergebenden Grundsätze" aussagen wollen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen geschlossenem positivem Normgebäude und der Vorstellung, daß Tatsachen und Lebensverhältnisse aus sich selbst heraus normative W i r k u n g auslösen, kommt i n der Kodifikationsgeschichte durch kaum etwas so zum Ausdruck, wie durch ein „Ja" oder „Nein" zu einem Allgemeinen Teil. Die Vorstellung, daß dort idealiter das allgemeine, nicht erweiterungsbedürftige und -fähige Substrat der Rechtsmasse vereinigt sei, nämlich die Allgemeinen Privatrechtslehren, charakterisiert unserem Dafürhalten nach auch das entscheidende Kriterium, das die Sonderstellung der deutschen Privatrechtslehre ausmacht. Die vorstehenden Gedanken zeigen, daß die Begriffe „Allgemeine Lehren", „Allgemeiner Teil" und „geschlossenes System" i n einem „inneren" Konnex stehen, dessen Bloßlegung sicherlich weiterer wissenschaftlicher Grundlagenforschung bedarf. Für den hier interessierenden Zusammenhang liefern sie jedoch genug, um den Gegenstand der Untersuchung, nämlich die Allgemeinen Zivilrechtslehren des Bürgerlichen Gesetzbuches, abzugrenzen und insbesondere gegenüber allgemeinen Maximen und Prinzipien der Auslegung abzusetzen. Der Grund dafür, daß entscheidend auf die deutsche Rechtsentwicklung abgestellt wird, liegt nicht darin, daß anderen Rechtsordnungen 78 78
Motive, S. 17. Protokolle Bd. V I , S. 3.
II. Allgemeine Privatrechtslehren in europäischen Kodifikationen
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Allgemeine Lehren fremd wären. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber aus seiner historischen Verflechtung 80 heraus die Allgemeinen Rechtslehren und -institute i m Zusammenwirken m i t dem Allgemeinen Teil ganz spezifisch geprägt, als Ausdruck stringenten System- und Methodenbewußtseins. Ob sich dieses Strukturverständnis des historischen Gesetzgebers auch der Sache nach als begründet erweist, w i r d die Analyse der Allgemeinen Privatrechtslehren zeigen.
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Dazu Savigny, System I, S. 390 f.: „ W e n n w i r es versuchen, die einzelnen Rechtsinstitute i n dem lebendigen Zusammenhang ihrer Theile, also v o l l ständig darzustellen, so kommen w i r dabey nothwendig auf manche Seite ihres Wesens, die bey anderen Instituten gleichfalls erscheinen, wenngleich vielleicht m i t einigen Modificationen . . . U n d so erscheint es denn v o n allen Seiten gerathen, dieses w i r k l i c h Gemeinsame auszuziehen u n d dem System der besonderen Rechtsinstitute voran zu stellen, u m dann bey jedem einzelnen die Modificationen, die f ü r dasselbe gelten, an jene gemeinsame G r u n d lage anknüpfen zu können."
Zweiter
Abschnitt
Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren I. Der Allgemeine Teil im System des Bürgerlichen Gesetzbuches Die A n t w o r t auf die Frage, ob die naturrechtlichen Systeme als die Wurzeln unserer heutigen Allgemeinen Privatrechtslehren i n Anspruch genommen werden dürfen, verlangt vorab die Klärung, was Allgemeine Lehren sind. Dabei geht es darum, die genuine Eigenschaft und die spezifischen Merkmale zu erfassen, die gerade die Allgemeinen Rechtslehren auszeichnen. M i t anderen Worten: Worin liegt das „Allgemeine" der Allgemeinen Privatrechtslehren? Dieses Bemühen hat auf dem Boden der oben gewonnenen Ergebnisse aufzubauen; dann nämlich erkennt man, daß ein zweiseitiges Bedürfnis die Bloßlegung dieser Allgemeinen Strukturen fordert: Einmal steht die analysierende Aufklärung darüber an, welcher systembeherrschende Gedanke es ist, der als rein technisch-redaktionelles Vorgehen den Gesetzgeber veranlaßt, die Allgemeinen Bestimmungen über das Rechtsgeschäft „auszuklammern". Davon unberührt bleibt das Problem, das der Formulierung eines Allgemeinen Teils vorgelagert ist; nämlich: auf welche Weise und unter Zuhilfenahme welcher gedanklicher Operationen gelingt es der Rechtswissenschaft, aus der Fülle des Stoffs Allgemeine Lehren zu „destillieren", sie überhaupt erst als solche zu erkennen und zu fassen. Die Darstellungsform i m Sinne des fünfgliedrigen Pandektensystems m i t dem Allgemeinen Teil vorweg erscheint dann nur als eine praktische Anwendung der Erkenntnis von den Allgemeinen Lehren 1 . 1 Diese beiden Probleme, i n denen sich die i m Ersten Abschnitt gefundene Erkenntnis widerspiegelt, daß nämlich die Frage nach Allgemeinen Lehren nicht m i t der nach dem Vorhandensein eines technisch ausgeformten A l l g e meinen Teils vermengt werden darf, werden bereits v o n Schwarz, S. 588, scharf getrennt.
I. Der Allgemeine Teil im System des Bürgerlichen Gesetzbuches
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Anhand dieser Analyse w i r d dann das rechtsgeschichtliche Quellenmaterial daraufhin zu überprüfen sein, ob die gefundenen Strukturelemente i n den Vorstellungen und Werken der naturrechtlichen Philosophen und Juristen gewirkt haben und uns dort wieder begegnen.
1. Die sogenannte „Kreuzeinteilung" des Bürgerlichen Gesetzbuches
I m Anschluß an die Ausführungen von Schwarz 2 w i r d der Allgemeine Teil i n seiner Funktion als selbständiger Gliederungskomplex des Pandektenrechts den systematischen Bemühungen des Naturrechts zugeschrieben. I n der Beurteilung der Herauslösung des Familienrechts aus dem Zusammenhang des Personenrechtes und der Abspaltung des Erbrechts zu einer eigenständigen Regelungsmaterie 8 trifft sich Schwarz i m Ergebnis m i t der Stellungnahme Zitelmanns 4, die von einer „Kreuzeinteilung" des fünfgliedrigen modernen Pandektensystems ausgeht. Dieser Ansicht zufolge sind die Elemente der Systembildung heterogener A r t : Während m i t der Scheidung i n Schuld- und Sachenrecht an die römische Rechtstradition der Gaianischen Institutionen angeknüpft w i r d und damit ein begrifflicher Bezugspunkt die Abgrenzung trifft 5 , soll der Gliederung i n Familien- und Erbrecht „eine gegenständlichere Betrachtung zusammenhängender Lebensvorgänge" zugrunde liegen®. Über diese äußere Gliederung des Systems geht Schwarz jedoch nicht hinaus 7 . So findet sich auch kein Hinweis auf die Hintergründe und funktionalen Beziehungen des Ineinandergreifens von Allgemeinem Teil und Besonderen Büchern des Bürgerlichen Gesetzbuches. Uns kommt es aber gerade auf die Feststellung der Struktur dieser „Ausklammerung" an. 1
Schwarz, S. 578 ff. Schwarz, S. 603. 4 Zitelmann, Der W e r t eines „Allgemeinen Teils" des bürgerlichen Rechts, i n : ZPrivöffR, Bd. 33, S. 1 ff., 11. 6 Zugrunde liegt die begriffliche Scheidung der „res corporales" (Sachenu. Erbrecht) v o n den „res incorporales" (Schuldrecht). Vgl. hierzu Käser, Römische Rechtsgeschichte, S. 175, 192 f., u. Wieacker, Z u m System des deutschen Vermögensrechts, S. 26 ff. 6 Wieacker, PrGN, S.474; bemerkenswert ist aber, daß — so Schwarz — diese Verselbständigung des F a m i l i e n - u n d Erbrechts ebenfalls v o n n a t u r rechtlichen Gesichtspunkten geleitet wurde. 7 Das ist des beschränkten Rahmens wegen, den er seiner A r b e i t gesteckt hat, berechtigt (S. 596); da aber f ü r die Einteilung i n Schuld-, Sachen-, F a m i lien» u n d Erbrecht jeweils Gründe genannt werden, vermißt m a n doch eine ähnliche Erörterung hinsichtlich des Allgemeinen Teils. 3
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren 2. Das Prinzip der „Ausklammerung 1 '
Wissenschaftssystematisch hat das Prinzip der „Ausklammerung" seinen originären Standort durchaus nicht i m Bereich spezifisch juristischen Denkens. Vielmehr ist es als Ausfluß des Gedankens eines „geschlossenen" Systems ausschließlich i m Felde logischer Kategorien angesiedelt und damit formaler Natur 8 . Das durch die „Ausklammerung" implizierte, oft gerügte® Wechselspiel der gesetzlichen Bestimmungen aus Allgemeinem Teil und Besonderen Büchern baut auf einem bestimmten, logisch quantifizierbaren Stufenverhältnis der Normen zueinander auf. Das soll i m folgenden nachgewiesen werden. Die ältere Literatur 1 0 widmet dem hier angesprochenen Komplex i m großen und ganzen nicht viel mehr als bescheidene Hinweise auf die Notwendigkeit einer logisch exakten Darstellung der Rechtsmaterie. Da die Grundprinzipien des Rechtsstoffes i n toto erfaßbar seien, biete sich die Zusammenfassung dieser Rechtssätze an, um immer wieder notwendig werdende Verweisungen zu vermeiden 11 . Neuere und neueste juristische Methodenlehre bemühen sich hingegen vertieft u m die Strukturen des „Ausklammerungsprinzips". Eine besonders eingehende, aber auch kritische Dichte hat die Bearbeitung dieses Problems bei Karl Larenz 12 erfahren. Seine analysierenden Untersuchungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß das Problem um den Allgemeinen Teil sich nur i n seiner engen Verflechtung mit dem „Systemgedanken" erklären läßt. Ausgehend von einer prinzipiellen Dichotomie 18 i m Bereich systematischen Denkens, sieht er die Vertreter des einen Zweiges sich bemühen, 8 Vgl. hierzu Engisch, Aufgaben einer L o g i k u n d Methodik des juristischen Denkens, i n : S t u d i u m Generale 1959, Heft 2, S. 76 ff. „ . . . Gehen w i r aber v o r erst dem Problem der Begründung eigentlich w a h r e r juristischer Sollensurteile nach, so stoßen w i r auf den Unterschied formaler u n d materialer Beg r ü n d u n g . . .", ebenda, S. 79; Esser, Grundsatz u n d N o r m i n der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 6: „ . . . Die Prinzipien der Wertung u n d Ordn u n g . . . sind jeweils an einer bestimmten Problematik entdeckt u n d bewährt, u n d das Problem, nicht das »System4 i m rationalen Sinne, bleibt auch das Zentrum juristischen Denkens." 0 Boehmer, Einführung, S. 76 f. 10 Vgl. ζ. B. Dernburg, Das Bürgerliche Recht des deutschen Reiches I, S. 5; Crome, S. 51 f. 11 Z u m Beispiel Savigny, System I, S. 390 f. 12 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 13 Diese Unterscheidung wurde erstmals v o n Heck, Begriffsbildung u n d Interessenjurisprudenz, §§11 ff., getroffen.
I. Der Allgemeine Teil im System des Bürgerlichen Gesetzbuches
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die Ausarbeitung eines „äußeren" 14 oder abstrakt-begrifflichen Systems zu bewerkstelligen. Dieses gibt sich m i t der rein formalen Gliederung einer Materie zufrieden. I n Abgrenzung hierzu macht es sich das andere Verständnis systemorientierten Vorgehens zur Angelegenheit, ein „inneres" System 15 des zu ordnenden Stoffes aufzufinden. Als verbindende Glieder zwischen gehaltvollem „inneren" und sinnentleertem „äußeren" System bieten sich für Latenz sog. „funktionsbestimmte" 1 6 Rechtsbegriffe an. „ . . . A u f dem begrifflichen System b e r u h t . . . vor allem aber der A l l gemeine Teil des B G B . . . 1 7 ." „ . . . Dieses System beruht darauf, daß aus den Tatbeständen, die Gegenstand einer Regelung sind, bestimmte Elemente ausgesondert und verallgemeinert werden. Aus ihnen werden Gattungsbegriffe gebildet, die i n der Weise geordnet werden, daß durch die Hinzufügung oder Weglassung einzelner artbestimmender Merkmale Begriffe verschiedener Abstraktionshöhe gebildet werden . . . Die Frage nach der zutreffenden Wertung w i r d . . . i n einem solchen System, solange man i n seinem Rahmen bleibt, durch die nach der zutreffenden Subsumtion verdrängt; die formale Logik t r i t t an die Stelle der Teleologik und der Rechtsethik 18 ." Diesen Ausführungen Latenz' ist vorbehaltlos zuzustimmen. Die vom Gesetzgeber getroffene Gliederung i n Allgemeinen Teil und Besondere Bücher läßt sich i n der Tat als eine Schlußweise rein funktionaler Provenienz belegen, deren Richtigkeitsgewähr unabhängig vom jeweils zugrunde liegenden materiellen Gegenstand ist. So ist der kodifikatorischen Anordnung zufolge dem Gesetzbuch selbst eine Argumentationsfigur inhärent, die auf einen Modus rein formaler Logik hinausläuft. Ein einfaches Beispiel soll dafür stehen, diese formallogische Struktur des damit angesprochenen Schlusses vom Allgemeinen zum Besonderen, das Deduzieren aus der allgemeinen Norm zum Ausdruck zu bringen: Welcher Argumentation bedient sich die „juristische" Lösung eines Falles, bei dem es u m das rechtliche Schicksal eines Kaufvertrages geht, den ein Sechsjähriger geschlossen hat? A u f den ersten Blick ist erkennbar, daß dahinter nichts anderes steckt, als der durch und durch bekannte (und i m Munde der K r i t i k 1 9 als die 14
Larenz, Methodenlehre, S. 429 ff. ; zum „äußeren" System vgl. den Beitrag von Engisch, Begriffseinteilung u n d Klassifikation i n der Jurisprudenz, i n : FS K a r l Larenz, S. 125 ff. 15 Larenz, Methodenlehre, S. 458 ff. 16 Larenz, Methodenlehre, S. 466 ff. 17 Larenz, Methodenlehre, S. 430, Fn. 2. 18 Larenz, Methodenlehre, S. 430. 19 Z u r historischen Wurzel des „Subsumtionsautomaten" Hattenhauer, Zwischen Hierarchie u n d Demokratie, Rdn. 282.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
Technik von „Subsumtionsautomaten" geschmähte) Justizsyllogismus, der aus bekannten Prämissen {Obersatz) bei angegebenem Sachverhalt (Untersatz) eine conclusio (Schlußsatz) zieht. A u f unser Beispiel angewandt, ließe sich diese Schlußfigur, die zur rechtlichen Lösung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch führt, etwa folgendermaßen durch zwei Subsumtionen darstellen: I. 1. A l l e Rechtsgeschäfte eines Sechsjährigen sind nichtig. 2. A l l e Kaufverträge eines Sechsjährigen sind Rechtsgeschäfte (eines Sechsjährigen). 3. A l l e Kaufverträge eines Sechsjährigen sind nichtig. II. 1. Wenn ein Sechsjähriger einen Kaufvertrag schließt, dann ist dieser Kaufvertrag nichtig. 2. A ist sechsjährig u n d hat einen Kaufvertrag geschlossen. 3. Also ist dieser K a u f v e r t r a g nichtig.
Dieser Rechtsfall ist entschieden, ohne daß es dabei auf eine Erörterung der angezogenen Begriffe ankommt, also losgelöst von inhaltlichen Aussagen über das „Rechtsgeschäft" oder den „Vertrag". A l l e i n das logische Element w i r d zum entscheidenden Subsumtionskriterium. Zur näheren Beobachtung hat sich das Hauptaugenmerk auf den Schluß I zu richten: Er vollzieht sich i m Bereich des Sollens, d. h. sowohl Ober- wie Untersatz sind Normen, und er läßt deshalb notgedrungen die conclusio — den für den konkreten Fall (II.) anzuwendenden Obersatz — wieder als eine Rechtsnorm erkennen 20 . Dabei stellt man fest, daß der Untersatz nicht als eine positiv-gesetzliche Norm ausgestaltet ist, sondern zu den Allgemeinen Lehren der Rechtsgeschäftslehre zählt, deren Selbstverständlichkeit dem Gesetz vorgelagert ist. I m Hinblick auf dieses Allgemeine Rechtsinstitut des „Rechtsgeschäftes", das als solches niemals i m Gesetz noch i m täglichen Leben i n Erscheinung t r i t t , trifft der Gesetzgeber i n § 105 BGB eine positive Norm. Daß nun dieselbe für den Kaufvertrag, ebenso wie für jedes andere Rechtsgeschäft ihre Gültigkeit hat und es ihrer Anwendung bedarf, sagt der Untersatz. Diesen bringt die Kodifikation mittelbar dadurch zum Ausdruck, daß sie die sich auf das „Rechtsgeschäft" beziehenden Normen „ausklammert". Das oben genannte Stufenverhältnis erhellt demzufolge als eine verschieden stark vorangetriebene Abstraktion, durch die allein das logische 20 Es handelt sich demnach u m die semantische Kategorie der Normsätze; hierzu u n d zur Notwendigkeit der Feststellung der jeweiligen semantischen Kategorie, Weinberger, Rechtslogik, S. 28 f., 33 f., 128; ders., Studien zur Normenlogik u n d Rechtsinformatik, S. 2 ff.
I. Der Allgemeine Teil im System des Bürgerlichen Gesetzbuches
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Verhältnis des allgemeinen „Rechtsgeschäftes" zum speziellen „Kaufvertrag" ausgedrückt wird. Das läßt sich anhand der Möglichkeiten, diesen „juristischen" Schluß i n einer kalkülisierten, also rein formalen Sprache (der Logik) darzustellen, exakt nachweisen. 3. Der Allgemeine Teil i m Spiegel der modernen Logik: die Wahrheit des klassenlogischen Kalküls
Was als die unterschiedliche Abstraktionshöhe bezeichnet wird, die die Beziehung zwischen Allgemeinen Lehren und speziellen Rechtssätzen charakterisiert, ist i n der wissenschaftssystematisch hier einschlägigen Sprache der formalen Logik eine sog. klassenlogische Beziehung. M i t den Worten der modernen Logik können w i r als Ergebnis der Strukturanalyse zum gegenwärtigen Zeitpunkt folgendes festhalten: Die beiden Prämissen der ersten Subsumtion, eines sog. Barbara, geben zwei universell bejahende Urteile (in der Form eines Subjekt-PrädikatSatzes) wider, die als klassenlogische atomare Normsätze aufgefaßt werden können 21 . Das bedeutet, und darauf kommt es entscheidend an, daß i m Untersatz die extensionale (umfangslogische) Beziehung der Begriffe „Rechtsgeschäft" und „Kaufvertrag" beschrieben wird. Die Festsetzung der praemissae minoris ordnet die Klasse der „Kaufverträge" der Klasse „Rechtsgeschäfte" a priori i n der Weise zu, daß jene als ein Element dieser erscheint. Gerade diese extensionale Erkenntnis ist es, die — wie oben aufgeführt — der Gesetzgeber nirgends explizit geregelt hat, viel eher voraussetzt. Vor diesem Hintergrund ergibt sich klar, daß das Verhältnis von A l l gemeinem Teil zu den besonderen Regelungen des Gesetzes nichts anderes beschreibt als die rein formallogische Klassenbeziehung zwischen dem umfangslogisch weiteren Begriff des Rechtsgeschäfts und den extensional enger gefaßten Elementen dieser Klasse. Die Allgemeinen Lehren der §§ 104 ff. BGB weisen i m Kontext m i t dem Bürgerlichen Gesetzbuch das „Allgemeine" also darin auf, daß sie Eigenschaften eines extensional umfassenderen Begriffes beschreiben, nämlich des Rechtsgeschäftes. 21 Daß hier auf die semantische Kategorie der Aussagesätze verwiesen w i r d , ist wegen der insoweit bestehenden Gemeinsamkeiten erlaubt, vgl. Weinberger, Rechtslogik, S. 34; zum Problem der Übertragung von Erkenntnissen aus der aussagen- i n die normenlogische Ebene siehe auch Wagner/Haag, Die moderne L o g i k i n der Rechtswissenschaft, S. 17 f.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
Für die so erkannte Argumentationsfigur des Modus barbara, eine Schlußweise des kategorischen Syllogismus 22 , spielt die inhaltliche Aussage der jeweils i n Ansatz gebrachten Prämissen keinerlei Rolle; denn — wie die Möglichkeit, dieses Argumentationsschema nach Maßgabe des logischen Kalküls darzustellen, beweist — liegt i n i h m eine formallogische Operation, die ihren Wahrheits- bzw. Unwahrheitsgehalt 2 3 nicht i n bezug auf einen wie auch immer gearteten Inhalt trägt, sondern i n der rein syntaktischen Beziehung zwischen den Begriffen 24 . Als Ergebnis der logischen Analyse des Prinzips „Ausklammerung" bestätigt sich das von Larenz Vorgetragene: kein eigenes auf individuelle Rechtserkenntnis gerichtetes Begreifen des Gesetzes, sondern syllogistische Subsumtion i m Rahmen des formallogischen Schließens. Unter dem Eindruck dieser Schlußfolgerung ist der Gedankengang erneut auf das Problem des „Allgemeinen" der Allgemeinen Lehren zu richten. K a n n vom Aspekt der freigelegten formallogischen Struktur aus etwas über den Gehalt des „Allgemeinen" der Rechtsgeschäftslehre gesagt 22 Demgegenüber läßt sich (was oft verkannt w i r d ) der Schluß I I nicht m i t den aristotelischen Syllogismen (Barbara) erklären, vielmehr handelt es sich hier u m einen hypothetischen Schluß i n der F o r m des Modus ponens, der erst i n der postaristotelischen E n t w i c k l u n g v o n den Megariern u n d der Stoa form u l i e r t wurde. 23 Z u r Frage, ob sich f ü r die Normenlogik überhaupt sinnvollerweise v o n Wahrheit bzw. U n w a h r h e i t sprechen läßt, vgl. Weinberger, Rechtslogik, S. 33, 195; ders., Studien zur Normenlogik, S. 3 ff. 24 Nach Klug, Juristische Logik, S. 70, könnte der gen. Schluß (als Modus barbara I) etwa folgendermaßen i n das aussagenlogische K a l k ü l umgewandelt werden: 1. I m m e r dann, w e n n alle Kaufverträge Rechtsgeschäfte sind, u n d w e n n 2. i m m e r alle Rechtsgeschäfte eines Sechsjährigen nichtige Rechtsgeschäfte sind, sind 3. alle Kaufverträge eines Sechsjährigen nichtig. M i t der formallogischen, kalkülisierten Sprache der modernen L o g i k läßt sich dieser Satz i n folgender Weise ausdrücken:
[{αφ
& (ßcy)]
y («cy)
(Klug bedient sich i n seiner A b h a n d l u n g des L o g i k k a l k ü l s v o n Hilbert/Ackermann, vgl. S. 20); zur A b l e i t u n g des Modus barbara I u. I I u n d zum Beweis seiner logischen Richtigkeit, vgl. Klug, S. 49 ff. i m Rahmen des Prädikatenkalküls. Richtigerweise läßt sich dann aber nicht mehr v o m Barbara sprechen, sondern v o m Modus ponens; der Modus barbara beschreibt n u r kategorische Syllogismen, nicht hypothetische; ein Barbara k a n n deshalb k o r r e k t n u r klassenlogisch nach dem bekannten Muster dargestellt werden: M a Ρ S a M S a Ρ
I. Der Allgemeine Teil im System des Bürgerlichen Gesetzbuches
45
werden? Zwar erscheint das Rechtsgeschäft i m o. g. Deduktionsschluß. Dies jedoch lediglich i m Zusammenhang m i t einer allgemein behauptenden Prämisse, die den abstrakt-formalen Begriff „Rechtsgeschäft" zur Verfügung stellt. Irgendwelchen Aufschluß darüber, weshalb nun das Rechtsgeschäft i m Hinblick auf den Kaufvertrag das allgemeinere Rechtsinstitut ist, vermag diese Prämisse nicht zu geben. Diese Frage nach der Begründung und dem „Woher" des „Allgemeinen" richtet sich auf eine inhaltsbezogene Argumentation, die eben gerade nicht m i t dem Netz der formalen Logik erfaßt werden kann. Was umfangslogisch i m Beispielsfall ohne weiteres nachvollziehbar war, w e i l es lediglich u m ein In^bezug-Setzen der a priori gegebenen begrifflichen Reichweiten ging, bedeutet auf der Ebene der inhaltlichen Begründung, eine Reihe von schwierigen Erwägungen und Entscheidungen zu treffen. Diese, der Schlußfigur des Modus barbara vorgelagerten Erwägungen sagen dann möglicherweise etwas über die Verbindlichkeit und die normative Herkunft der postulierten Prämissen, sprich Allgemeinen Lehren aus. U m diesen Schnittpunkt von Allgemeinem Teil und den Allgemeinen Lehren 2 5 geht es auch Larenz m i t seiner Formulierung des „funktionsbestimmten" Begriffs des Rechtsgeschäftes. Über die Bildung abstrakter Begriffe und die damit zusammenhängende verschiedengradige Abstraktionshöhe der rechtlichen Institute sagt er: „ . . . Sie geht aber auf Kosten einer Sichtbarmachung derjenigen Sinnzusammenhänge, die sich aus den der Regelung zugrunde liegenden Wertmaßstäben und rechtlichen Prinzipien ergeben und für das Verständnis der Regelung unentbehrlich sind . . . Das aber überschreitet bereits den Rahmen des abstrakt-begrifflichen Systems, das nur eine logische Über- und Unterordnung von Begriffen, nicht aber das ,Zusammenspier von Prinzipien kennt. Noch einmal muß hier auf die Unfähigkeit des abstrakt-begrifflichen Denkens hingewiesen werden, Zwischenformen und »Mischgebilde4 zu erfassen, die sich dem vorgegebenen Schema nicht restlos einfügen lassen.. . 2 β ." N u r diese Sinnzusammenhänge, das „Zusammenspiel" von Prinzipien führt auf den Grund der Allgemeinen Lehren, deren Analyse uns nun beschäftigen muß.
25 Hier darf nochmals auf die grundsätzlich verschiedene, n u n sich auch i m methodischen Bereich abzeichnende Stellung v o n Allgemeinem T e i l u n d A l l gemeinen Lehren hingewiesen werden. 26 Larenz, Methodenlehre, S. 438; den Larenzsdien „funktionsbestimmten" Begriffen entspricht die von Engisch geforderte „materiale L o g i k " : „Was w i r jedoch innerhalb der juristischen L o g i k als einer materialen L o g i k klären müssen, ist die A r t u n d Weise, w i e die Prämissen als solche Zustandekommen ...", vgl. S. 83 ebenso S. 85.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren Π . Die Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren 1. Auf der Suche nach dem „inneren" System
Bevor eigenen Gedanken zur Struktur der Allgemeinen Lehren nachgegangen wird, sollen jene Autoren zu Wort kommen, die für die Ausund Weiterbildung der Allgemeinen Privatrechtslehren gemeinhin i n Anspruch genommen werden. Was einen hoffen läßt, auf die Spur einer näheren methodischen Darlegung zu stoßen, ist die immer wieder ausgesprochene Uberzeugung, dem Hechtsstoff wohnten bestimmte Elemente inne, aus deren Kenntnis sich „das System" gewinnen ließe. Dabei besteht nach den bisherigen Ausführungen darüber kein Zweifel: Allenfalls das „innere" System birgt die Chance, der Struktur der Allgemeinen Lehren näher zu kommen. Auch i n diesem Punkte zeigt sich die fragwürdige Trennung zwischen Naturrecht und der Historischen Hechtsschule, denn jenes Streben, die systembildenden Momente ans Licht zu bringen, liegt gleichermaßen klar bei Vertretern jener wie dieser Richtung zutage: „ . . . A l l e i n es giebt allerdings eine solche Vollständigkeit i n anderer A r t , wie sich durch einen Kunstausdruck der Geometrie klar machen läßt. I n jedem Dreyeck nämlich giebt es gewisse Bestimmungen, aus deren Verbindung zugleich alle übrigen m i t Nothwendigkeit folgen: durch diese, zB. durch zwey Seiten und den dazwischenliegenden Winkel, ist das Dreyeck gegeben. A u f ähnliche Weise hat jeder Theil unseres Rechts solche Stücke, wodurch die übrigen gegeben sind: w i r können sie die leitenden Grundsätze nennen. Diese heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den inneren Zusammenhang und die A r t der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen, gehört eben zu den schwersten Aufgaben unserer Wissenschaft, ja es ist eigentlich dasjenige, was unserer Arbeit den wissenschaftlichen Charakter g i e b t . . . 2 7 ." Ähnliches lesen w i r bei Pufendorf 8: „ . . . omnia, quae ad disciplinam juris naturalis pertinent, complecterer, et i n ordinem non hiulcum aut salebrosum digererem 29 ." „ . . . Caeterum ejus disciplinae, de qua nunc 27 Savigny , Beruf, S. 110; vgl. dort a u d i S. 125: „ . . . u m jeden Begriff u n d jeden Satz i n lebendiger Verbindung u n d Wechselwirkung m i t dem Ganzen anzusehen." 28 Daß beide Juristen gegenteilige Folgen aus der Vorstellung v o m V o r handensein allgemeiner, sinntragender Grundsätze u n d Strukturen i n der rechtlichen Materie ziehen, w i r d nicht übersehen; nach der hier vertretenen Auffassung — i m näheren dazu später — geht es dabei auch nicht u m eine verschiedenartige S t r u k t u r der allgemeinen Sätze i n methodischer Hinsicht, sondern u m die Frage der „ L e g i t i m i t ä t " , d . h . der A b l e i t u n g von leitenden Prinzipien: dort die ratio humana, hier die historisch legitimierende Quelle. 29 Pufendorf, Erls scandica, S. 127.
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
sermo est, duae videntur instituendae partes. I n priori agendum de fundamentis juris naturalis, ubi consideranda venit natura entium moralium i n genere, moralitas animarum, impositio, imputatio, qualitates et quantitates personarum et rerum, obligatio, imperium, lex, meritum, poena et simila. Inde systema aliquod componendum, i n quo specialia juris capita ex dictis fundamentis demonstrantur 80 ." Diese Zitate spiegeln die Vorstellung wider, für die Ausformung eines Rechtssystems müßten die „leitenden Grundsätze" oder die „fundamenta juris" fruchtbar gemacht werden. Fraglich ist freilich, ob diese „Grundprinzipien" gerade die Allgemeinen Lehren ansprechen, auf die hier Bezug genommen w i r d und nicht etwa jene allgemeinen Maximen, u m deren Abgrenzung es den einleitenden Ausführungen gegangen ist. Immerhin gibt der Hinweis auf die „juristischen Begriffe" gewissen Anlaß, die Erwägung nicht a limine abzuweisen, hier könnte sich die wissenschaftliche Suche auf die Prinzipien richten, die i n ihrer weiteren Ausgestaltung zu den Allgemeinen Lehren des Zivilrechts geführt haben 81 . Diese Überlegung bedarf an dieser Stelle jedoch keiner Vertiefung, da jedenfalls das konkrete Anliegen, nämlich die konstitutiven Elemente und die methodologischen Strukturen der Allgemeinen Privatrechtslehren transparent zu machen, von den Schriftstellern nicht i n Angriff genommen w i r d : Eher verstärkt sich der Eindruck einer beschreibenden Darstellung denn eines analysierenden Vorgehens. Auch wissenschaftliche Äußerungen, die sich i n späteren Jahren m i t dem ersten Allgemeinen Teil eines Gesetzbuches auseinandersetzen, legen zwar als selbstverständlich den Begriff der Allgemeinen Lehren zugrunde, gelangen aber über umschreibende, formelhafte Wendungen nicht hinaus. So schreibt Unger 32 vom Allgemeinen: „ . . . Das Allgemeine ist die Substanz, die Idee, das Prinzip, das Besondere, der Modus, die Erscheinungsform, die Realisierung: Das Allgemeine kommt i m Besonderen zu seiner Verwirklichimg und das Besondere ist nur eine eigentümliche Erscheinungsform des Allgemeinen . . . " Auch die moderne Literatur zum materiellen Recht des Allgemeinen Teils gibt nicht viel mehr, als allenfalls Hinweise, i n welcher Richtung sie die Allgemeinbegriffe des privaten Rechts gedeutet wissen w i l l . 80
Pufendorf, Brief Boineburg v. 1663, S. 163 f. (zit. nach Denzer, S. 57). Auch die o. g. Zitate Pufendorf s lassen diesen Gedanken durchaus zu: M a n beachte, daß den „fundamentis juris naturalis" die f ü r das zivile Recht maßgeblichen Lehren v o n „qualitates et quantitates personarum et r e r u m " sowie die „obligatio" zugerechnet werden. 32 Unger , Entwurf, S. 8. 31
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
So verortet Larenz 33 das „Rechtsgeschäft" i n eine Reihe, dem Z i v i l recht vorgegebener, apriorisch-rechtlicher Sinnbegriffe; er n i m m t damit i n kritischer Anmerkung zu Flume u Stellung, der i m Begriff des Rechtsgeschäftes „ . . . die Abstraktion aller i n der Rechtsordnung formierten Aktstypen" sieht, „die nach ihrem Inhalt, so wie i h n die Rechtsordnung festgelegt hat, auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses i n Selbstbestimmung des einzelnen . . . durch das Setzen einer Regelung gerichtet sind". A u f ein tieferes Eingehen zu dieser Abstraktion verzichtet Flume an dieser Stelle. Wenden w i r uns der Grundlagenliteratur zum geltenden bürgerlichen Recht zu: Boehmer 35 findet die Genese der Allgemeinen Lehren i m induktiven Schließen: „ . . . bemühte man sich, auf induktivem Wege von den einzelnen i m Leben bestätigten Rechtsfiguren zu immer höheren Allgemeinbegriffen aufzusteigen, die nur noch der juristischen Gedankenwelt angehören. So entwickelte man i m Kontraktsrecht einen Oberbegriff nicht nur ,des' obligatorischen Vertrages, sondern ,des* Vertrages überhaupt, ja sogar ,des' Rechtsgeschäfts,...". Die weiteren Ausführungen machen deutlich, wo i h m der Ursprung der Allgemeinen Lehren gelegen ist: „Das entscheidende Moment liegt nun darin, daß man diesen auf induktivem Wege gefundenen Allgemeinbegriffen die Eigenschaft denknotwendiger selbständiger ,Rechtskörper 4 zuschrieb, die, losgelöst von ihrem psychogenetischen Ausgangspunkt, dem empirischen A n schauungsmaterial der »Szenerie der menschlichen Gesellschaft 4 (Beyerle), einer eigengesetzlichen logischen,Existenz' teilhaftig seien." I m Verfolg dieses Hinweises auf den „psychogenetischen Ausgangspunkt" der Allgemeinen Rechtsbegriffe w i r d sich herausstellen, daß hier die entscheidende Weichenstellung liegt, die von der gesetzestechnischen Fassung dieser Normen zum Verständnis ihrer Herkunft und ihrer Strukturen führt. Doch sei die Frage, was man sich unter dem psychogenetischen Charakter vorzustellen habe und wie dieser methodologisch zu begreifen sei, noch zurückgestellt. Einstweilen macht man die Erfahrung, daß Boehmer m i t seiner A n nahme nicht allein steht, sondern beachtliche Stimmen seinem Standpunkt nahekommen. So stellt Gysin i n seinem Aufsatz „ Z u r Theorie des Rechtsgeschäfts" 36 bei Erörterung des Rechtsfolgewillens als Tatbestandsmerkmal des Begriffes „Rechtsgeschäft" fest: „ . . . u m m i r das Bewußtsein von der,naturrechtlichen 4 Bedeutsamkeit eines Tatbestandes bilden zu können, muß 33 34 35 38
Larenz, A T , S. 272 Fn. 1. Flume, Allgemeiner T e i l des bürgerlichen Rechts I I , S. 23 f. Boehmer, Grundlagen, S. 72 f. Gysin, i n : Rechtsphilosophie und Grundlagen des Privatrechts, S. 236 f.
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
ich schon i m Tatbestande selbst verpflichtende Gründe finden . . . Sie übersieht, daß das ethische und psychologische Verhältnis zwischen Tatbestand und Rechtsfolgebewußtsein nur dann erfaßt werden kann, wenn man das Rechtsfolgebewußtsein als ein den A k t begleitendes, aus i h m resultierendes Phänomen erkennt. W i l l man dagegen umgekehrt..., so entfällt jeder ethische und psychologische Sinn, der dem Verständnis zrwischen Tatbestand und Rechtsfolgebewußtsein innewohnt: Denn der ethische Sinn des Tatbestandes ist es ja eben, kraft seiner Eigenart verpflichtend zu wirken, und m i t h i n auch Pflichtüberzeugungen veranlassen zu können 37 ." Auch hier also eine psychologisch-ethische Ebene, der entscheidender Einfluß — w o h l als normativierendes Element — beigemessen wird. Bevor man diese Überlegungen m i t den Ergebnissen der modernen Methodenlehre konfrontiert, erscheint es ausgesprochen interessant, unter dem so gewonnenen Aspekt einer psychologisch-ethischen Sicht ein zweites M a l auf die historischen Autoren zurückzukommen. Zwar waren keine strukturanalytischen Ausführungen zu finden, aufschlußreich ist aber das von ihnen geübte Verständnis, m i t dem sie an die Erklärung Allgemeiner Begriffe gehen 38 . Savigny führt i n seinem „System" 3 9 zur allgemeinen Natur des Rechtsverhältnisses, des vielleicht allgemeinsten juristischen Begriffes aus: „ . . . A l l e i n die genauere Betrachtung überzeugt uns, daß diese Form eines logischen Urtheils nur durch das zufällige Bedürfniß hervorgerufen ist, und daß sie das Wesen der Sache nicht erschöpft, sondern selbst einer tieferen Grundlage bedarf. Diese nun finden w i r i n dem Rechtsverhältnis, von welchem jedes einzelne Recht nur eine besondere, durch A b straction ausgeschiedene Seite darstellt, so daß selbst das Urtheil über das einzelne Recht nur insofern wahr und überzeugend seyn kann, als es von der Gesamtanschauung des Rechtsverhältnisses ausgeht. Das Rechtsverhältniß aber hat eine organische N a t u r . . . " Diese „organische Natur" aufnehmend fährt Savigny fort, nun das Rechtsinstitut i n seiner Allgemeinheit zu besprechen 40 : „ . . . Denn auch die Rechtsregel, sowie deren Ausprägung i m Gesetz, hat ihre tiefere Grundlage in der A n schauung des Rechtsinstituts, und auch dessen organische Natur zeigt sich sowohl i n dem lebendigen Zusammenhange der Bestandtheile, als i n seiner fortschreitenden Entwicklung. Wenn w i r also nicht bey der 87 Gysin, S. 251; beachtenswert dort, S. 238 f. Fn. 8 bis 12, die von i h m referierten Definitionen des Rechtsgeschäftes v o n Tevenar über Boehmer zu Savigny u n d Windscheid. 88 Die naturrechtlichen Denker sollen an dieser Stelle ausgespart bleiben, ihnen sind hierfür eigene K a p i t e l gewidmet, vgl. unten, Vierter u n d Fünfter Abschnitt. 89 System I , S. 7. 40 System 1, S. 9.
4 Lipp
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
unmittelbaren Erscheinung stehen bleiben, sondern auf das Wesen der Sache eingehen, so erkennen w i r , daß i n der That jedes Rechtsverhältniß unter einem entsprechenden Rechtsinstitut, als seinem Typus, steht, und von diesem auf gleiche Weise beherrscht wird, wie das einzelne Rechtsurtheil von der Rechtsregel." Daran anknüpfend schließt er später den Gedankengang: „ . . . Von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus erscheint uns jedes einzelne Rechtsverhältniß als eine Beziehung zwischen Person und Person, durch eine Rechtsregel bestimmt . . . Daher lassen sich i n jedem Rechtsverhältniß zwey Stücke unterscheiden: erstlich ein Stoff, das heißt jene Beziehung an sich, und zwey tens die rechtliche Bestimmung dieses Stoffes. Das erste Stück können w i r als das materielle Element des Rechtsverhältnisses, oder als die bloße Thatsache i n demselben bezeichnen: das zweyte als ihr formelles Element, das heißt als dasjenige, wodurch die thatsächliche Beziehung zur Rechtsform erhoben w i r d 4 1 . " Bedeutet aber das „materielle Element" eines Rechtsverhältnisses nicht die Rückführung des „Wesens" — unter diesem Gesichtspunkt handelt es Savigny ab — auch auf eine Seinstatsache, eine psychologische oder faktische Kohärenz 42 ? Zusammenfassend läßt sich sagen, daß allenthalben davon ausgegangen w i r d : Der Begriff des „Allgemeinen" kann m i t rein formallogischem Instrumentarium nicht beherrscht werden, vielmehr deutet alles auf ein materielles K r i t e r i u m hin, auf eine Verantwortlichkeit, die psychologische, ethische, tatsächliche Qualität genießt. 2. Methodologische Ironie: die naturrechtliche μεχάβασις είς άλλο γένος, das Tor zum „inneren" System
Daß der Weg, die Allgemeinen Lehren aus ihrer Verwendbarkeit als rechtstechnische „Bausteine" und als fungible Prämissen i m Schluß des Modus barbara zu erklären, nicht geeignet ist, ihre „Natur" sichtbar zu machen, wurde ausgeführt und darüber besteht kein Streit 4 3 . Fraglich bleibt nur, wie man den „psychogenetischen" Grund, die „materiale Logik" oder das „innere System" m i t seinen „funktions41
System I, S. 333. Z u diesem Problem, insbes. der Trennung von Rechtsverhältnis u n d Rechtsinstitut, siehe Wilhelm, S. 46 ff., insbes. S. 50 ff.; Stühler, Die Diskussion u m die Erneuerung der Rechtswissenschaft v o n 1780-1815, S. 33 ff. sowie Coing, Erster Abschn., Fn. 4. 43 Vgl. z.B. Larenz, Methodenlehre, S.459: „ . . . so ist ohne weiteres klar, daß es sich dabei u m k e i n deduktives System handeln k a n n . " ; Flume, S. 48: „ . . . I n W i r k l i c h k e i t hat es gar keinen Sinn, den W i l l e n als Moment der Willenserklärung zu dem Zweck zu zergliedern, u m festzustellen, dieser oder jener Willensteil gehöre zum Wesen 1 der Willenserklärung." 42
II. Die Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
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bestimmten" Begriffen methodisch verdeutlichen und präziser fassen kann. Es geht dabei u m die Aufhellung der paradox anmutenden Beobachtung, daß w i r bei den Allgemeinen Privatrechtslehren einesteils Rechtsbegriffe vorfinden, auf die sich gerade die äußere Systembildung und die logische Stringenz des Gesetzes stützen; andererseits — denken w i r an das Institut des Rechtsgeschäftes als Ausdruck der Privatautonomie — soll über diese Allgemeinbegriffe der materiale und ethische Gehalt der Rechtssätze bestimmt werden. Versuchen w i r zunächst, dem zweiten Gedanken methodologisch auf die Spur zu kommen. Daß die herrschende Doktrin tatsächlich von diesem „Doppelleben" der Allgemeinbegriffe ausgeht, wird, u m das Beispiel des Rechtsgeschäfts wieder aufzunehmen, durch die Lehrmeinungen zu diesem Institut klar. Ganz unabhängig davon, ob den einzelnen Ausführungen die Lehre der „Willenstheorie", der „Erklärungstheorie" oder der „Geltungstheorie" zugrunde gelegt wird, i n einem Punkt treffen sich sämtliche Ansichten: i n der A r t und Weise des methodischen Vorgehens bei der Begründung des „Wesens" des Rechtsgeschäftes. Das „Wesen" dieses Rechtsinstituts w i r d letztendlich nicht aus normativen Sollensbestimmungen hergeleitet, sondern es sind psychologische, außerrechtliche Strukturen ethischer und faktischer Provenienz, die zum Mittelpunkt der Argumentation u m die „Natur" des Rechtsgeschäfts werden. „ . . . Entscheidend für das Wesen der Willenserklärung ist, daß sie Rechtsgestaltung i n Selbstbestimmung i s t . . . Das Nichtigkeitsdogma der Willenstheorie beruht auf dem Verständnis und der materiellen Wertung der Willenserklärung als eines Aktes der Selbstbestimmung . . . Die Willenserklärung ist als A k t der Gestaltung von Rechtsverhältnissen nicht nur auf den Erklärenden bezogen, sondern ein Sozialakt, der andere angeht. Aus dem Wesen der Willenserklärung als Gestaltung von Rechtsverhältnissen ergibt sich das Problem, wer das Risiko einer Verfehlung der Selbstbestimmung zu tragen hat 4 4 ." Die Erklärung des Wesens der Willenserklärung — und damit auch des Rechtsgeschäfts — aus der Möglichkeit selbstverantwortlicher, autonomer Rechtsgestaltung bedeutet aber, philosophische und ethische Kategorien i n die (juristische) Argumentation einzuführen: Ließe sich noch der Grundsatz der Privatautonomie als juristische Norm allgemeinster Natur begreifen, so müssen w i r doch sogleich erkennen, daß das wirkliche Problem sich nicht i n der Formulierung des Grundsatzes der Privatautonomie erschöpft, sondern i n der Begründung dieses Rechtssatzes liegt. 44
4*
Flume , S. 60 f.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
„Die Privatautonomie ist ein Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen. Dieses Prinzip ist nach dem Grundgesetz als ein der Hechtsordnung vorgegebener und i n ihr zu verwirklichender Wert durch die Grundrechte anerkannt 4 5 ." Der Normsatz der autonomen Rechtsgestaltung i m Bereich des privaten Rechts ist nach alledem Ausfluß eines ganz bestimmten Menschenbildes, das nicht logisch erfaßbar ist, sondern zu dem man sich allenfalls bekennen kann 4 8 . Für die Ableitung des Allgemeinen Zivilrechtsinstitutes „Rechtsgeschäft" werden also außerrechtliche Schichten herangezogen, denen eo ipso normative Wirkweise zugeschrieben wird. Denselben Befund erkennen w i r i n den Überlegungen von Larenz; gerade hierin liegt ja der ureigene Sinn des „funktionsbestimmten" Begriffs, der die Rückkoppelung auf den sozialen Sinngehalt der Normen ermöglichen soll. Dieser verbirgt sich hinter dem rechtstechnischen Begriff ebenso „wie er durch i h n doch noch hindurchscheint". Er scheint durch i h n hindurch, w e i l eben auch noch der rechtstechnische Begriff der „Willenserklärung" erkennen läßt, daß es sich dabei prinzipiell u m einen A k t privater Rechtsgestaltung handelt 4 7 . Man erkennt, das Problem der Allgemeinen Lehren kreist u m die Auseinandersetzung zwischen rechtstechnisch-abstrakten Begriffen und den ihnen gleichwohl zukommenden sinntragenden Elementen. Diese sinnerfüllten Konstituanten weisen i m Verbund m i t dem von ihnen i n Bezug genommenen Prinzip hinaus „über sich . . . auf ein anderes hin, i n dem sie sich erfüllen oder gegründet sind" 4 8 . Diese erstaunliche Übereinstimmung i n der methodischen Herleitung Allgemeiner Privatrechtsbegriffe aus Seinstatsachen und psychologischphilosophischen Kategorien — sei es unter dem Namen einer „organischen Natur" des Instituts oder seines „funktionsbestimmten" Charakters — findet man, soweit ersichtlich, nirgends bei ihrem wirklichen Namen genannt, unter dem diese Figur der klassischen Logik längst bekannt ist: Es handelt sich u m eine grandiose μετάβασις είς αλλο γένο ς, die dem gesamten Privatrecht vorgelagert ist. Das bedeutet aber nichts anderes als einen eminent logischen Bruch, der dadurch entsteht, daß die juristische Beweisführung, die auf Klärung eines rechtlichen Problems (nämlich die Allgemeinen zivilen Rechts45 46 47 48
Flume, S. 1. Z u m ganzen innerhalb des Systems, vgl. Canaris, S. 20 ff. Larenz, Methodenlehre, S. 470. Larenz, Methodenlehre, S. 471.
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
lehren) ausgerichtet ist, ihren juristisch-normativen Gegenstand verläßt und ihre „letzte" Aussage i m psychologisch-ethischen Bereich findet 49,50. Die so viel gerühmte und weit über Deutschland hinaus bewunderte Leistung der deutschen Jurisprudenz des 19. Jh.s, die Ausbildung der Allgemeinen Privatrechtslehren, wurzelt i n einem methodischen Argument, das — wie festgestellt — als eine Form der μετάβασις εις αλλο γένος zu den logischen Fehlschlüssen gehört 51 . Vor diesem Ergebnis mutet es wie eine Ironie der Methodologie an, daß ausgerechnet die deutsche Pandektistik i n ihrem Streben nach logischer Geschlossenheit des Systems dem logischen Scheinargument der μετάβασις εις αλλο γένο ς verfallen ist. Auch die vermeintlich methodenreine Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches hat sich als eine scheinbare herausgestellt. Denn wenn sich auch der deutsche Gesetzgeber verschweigt, wo A r t . I ZGB und § 7 A B G B eine deutliche Sprache sprechen, so mindert das nicht die Erkenntnis, daß die naturrechtliche μετάβασις52 dem Gesetz als Allgemeine Lehre vorgelagert ist. Freilich: Diese Einsicht als einen Fortschritt der juristischen Dogmatik und Rechtsquellenlehre zu begrüßen und wissenschaftlich aufzubereiten, daran hindert uns auch heute noch die Erbschaft des wissenschaftlichen Rechtspositivismus. „Denn m i t der Bewunderung dafür, ,Wie stark ein geltendes Recht bis i n alle seine Verästelungen hinein von Grundsätzen durchdrungen ist', rettet man sich nicht vor der Verwunderung, woher diese Grundsätze jenseits der Gesetzgebung und ihrer vermeintlich alleinigen Verbindlichkeit denn plötzlich ihre Legitimation erhalten. Hier beginnt die terra incognita naturrechtlicher Anschauung ohne feste Begriffe.. , 5 3 ."
49 Es darf wiederholt werden (vgl. schon unten i m Ersten Abschnitt I I 2 c), daß diese Ausführungen unter dem Satz stehen: Seinsverhältnisse lassen eo ipso keine Sollensschlüsse zu. Z u dieser These neuestens Otte, Asymmetrie zwischen Sein u n d Sollen. Bemerkungen zur Begründung der deontischen Logik, i n : Gedächtnisschrift f ü r Jürgen Rödig, S. 162 ff. 50 Vgl. zur μετάβασις είς όλλο γένο ς, Schneider, L o g i k f ü r Juristen, S. 238 ff. 51 D a m i t soll vorderhand keine K r i t i k verbunden sein. Vielmehr muß es u m eine vorurteilsfreie Analyse des Argumentierens i n einer normgebundenen Wissenschaft gehen, d. h. dem „Sollen u n d Sein als grundsätzlich gleichwertigen Beiträgen" des Rechts — Fikentscher, Methoden des Rechts Bd. I V , S. 8 — ihre spezifische Stellung i m Rahmen einer juristischen Methodenlehre zugewiesen werden. 52 Das sollte bei der ganzen Diskussion u m ein „Naturrecht" v i e l deutlicher werden: Ob es „ e i n Naturrecht" gibt, w i r d stets streitig sein, daß es aber ein naturrechtliches Argumentieren, nämlich die μετάβασις είς άλλο γένο ς gibt, ist sicher, methodologisches Vorgehen u n d inhaltliche A u f f ü l l u n g müssen s t r i k t getrennt werden. 53 Esser, S. 9; ähnlich Kaufmann, Die „ipsa res iusta", i n : FS K a r l Larenz, S. 27 ff., 33.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren 3. Die metasprachliche Hypostasierung der Allgemeinen Privatrechtslehren
Haben w i r nun den Bereich der Allgemeinen Lehren analysiert, i n dem der Aufbau eines „inneren" Systems vonstatten geht und als das bestimmende methodologische K r i t e r i u m eine alogische Struktur erkannt, so gilt es i m folgenden auch die andere „Seite" des „Wesens" i n die Überlegungen einzubeziehen. Es geht den — soweit ersichtlich — noch nirgends unternommenen Versuch zu wagen, jenen Grund auszuloten, der trotz Rückgriffs i m Wege der μετάβασις είς αλλο γένο ς die Gefahr i n sich birgt, daß die ethisch fundierten Lehren i n ein starres, begriffliches System abgleiten. Verdeutlichen w i r uns den Ausgang der Gedankenführung: Die obersten Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre — wie der Grundsatz der Privatautonomie — sind philosophisch intendierte Aussagen. Hieraus folgert die Rechtswissenschaft die Notwendigkeit, i m Verfolg der apriorischen Natur dieser Erkenntnisse begriffliche Institute anzubieten, die dem Postulat der Privatautonomie gerecht werden; sie stellt das Rechtsgeschäft als Rechtsbegriff zur Verfügung, deren konstitutives Element — die Willenserklärung — die Verbindung zu außerrechtlichen Erwägungen spannt. „Die Privatautonomie erfordert begrifflich die Rechtsordnung als Korrelat 5 4 ." Die Willenserklärung, die als A x i o m über der ganzen Rechtsgeschäftslehre thront, kann, wie nun schon mehrmals angesprochen, i n zweifachem Sinn bedeutsam werden: Einmal „nach oben", als „funktionsbestimmter" Begriff Larenzscher Prägung. Dort vermittelt sie als sinntragendes Element den Bezug zu außerrechtlichen Größen. Darüber hinaus vermag sie i n ihrer begrifflich-dogmatischen Fassung als die „abstrakte" Willenserklärung „nach unten" wirken; sie „funktioniert" dann i n begriffstechnischer Manier als dogmatischer Baustein i n der ausgefeilten Rechtsgeschäftslehre, von der sie i n einen subjektiven und objektiven Tatbestand gespalten, der subjektive Part wiederum i n Handlungs- und Erklärungsbewußtsein dividiert wird, etc. Dieses Phänomen der „Doppelbödigkeit" möglichst exakt zu analysieren, ist notwendig, um die gegenwärtige Diskussion über „äußeres" und „inneres" System, über „funktionsbestimmte" Begriffe und materiale Gesichtspunkte aus dem diffusen Bereich zu führen, i n dem statt analytischer Prägnanz mehr oder weniger deskriptives Vorgehen herrscht. Der Ausgangspunkt für die Gewinnung jenes Standortes, der die Weichen i n Richtung „äußeres" oder „inneres" System stellt, liegt i n der 54
Flume , S. 1.
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
schlichten Beobachtung, daß ein und dasselbe Wort „Willenserklärung" zwei ganz verschiedene Perspektiven eröffnet: begriff s juristisches System und Ausdruck autonomer Rechtsgestaltung. Diese Feststellung liegt i m Vorfeld der Rechtswissenschaft, nämlich auf der Ebene der Sprache. Sie, d.h. der Sprechende vermag je nach Bezug und Kontext ein und das nämliche Wort m i t ganz verschiedenem Inhalt zu belegen. Setzt das einerseits die Fixierung verschiedener Bedeutungsinhalte für das Wort voraus, so muß dem die Fähigkeit der Sprache korrespondieren, m i t den entscheidenden, stets gleichbleibenden Buchstaben diese Vielzahl der Bedeutungen auszudrücken; die Sprache selbst muß so organisiert und aufgebaut sein, daß sie m i t identischem Vokabular differenzierte Inhalte zum Ausdruck bringen kann. Nun haben juristische wie philosophische Argumentation diese semantische Vielschichtigkeit einer Sprache seit eh und je genützt, u m rhetorisch zu glänzen und dem Zuhörer Probleme und Scheinprobleme vorzuführen 55 , erst allmählich aber beginnt man bei der Analyse der hierdurch bedingten Konsequenzen auch w i r k l i c h dort anzusetzen, .woraus dieselben münden, nämlich bei den sprachtheoretischen und sprachlogischen Implikationen. Wenn i m folgenden dieser Gedanke der verschiedenen Ebenen eines Sprachkomplexes fruchtbar gemacht werden soll, so ist sich dieser Vorschlag seines Versuchscharakters durchaus bewußt. Die Schwierigkeit, die dann erwächst, wenn m i t dem Maßstab strenger sprachlogischer Kategorien eine Wissenschaftssprache (Rechtssprache) gemessen wird, die auf weit weniger strengen und exakten Fundamenten aufruht, darf nicht übersehen werden; die Gefahr der Überzeichnung taucht auf. Gleichwohl möchte diese Darstellung den nachfolgenden sprachtheoretischen Erörterungen eine entscheidende Bedeutung beimessen: freilich nicht i n der Vorstellung, die Jurisprudenz nunmehr nach strengen sprachlogischen Kategorien zu trimmen, sondern i n der Uberzeugung, daß diese Sprachstudien dem Juristen eine tiefere Einsicht von der A r t und Weise seiner Argumentation zu vermitteln imstande sind. a) Sprachlogischer
Exkurs
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Die sprachtheoretische Erklärung jener Beobachtung, daß ein und das nämliche Wort durchaus verschiedenen Sinn haben kann, basiert auf der Erkenntnis, daß eine Sprache sich durch eine Vielschichtigkeit aus55 M a n denke an die berühmte A n t i n o m i e des Kreters Epimenides: Wenn ein K r e t e r sagt: „ A l l e Kreter lügen", lügt dieser Kreter? 56 Den damit angesprochenen Fragenkomplex ist die Rechtswissenschaft erst dabei zu erschließen, vgl. ζ. B. Podlech, Die juristische Fachsprache u n d die Umgangssprache, S. 31 ff.; Hätz, Rechtssprache u n d juristischer Begriff
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
zeichnet, die erst die Gegenwart dabei ist wissenschaftlich zu erforschen. I n unserem Zusammenhang genügt es, sich der fundamentalen Trennung von Objekt- und Metasprache bewußt zu werden. Dem Exkurs sei i m folgenden das Wort „Willenserklärung" zugrunde gelegt. Die Sprachen, i n denen w i r von „Willenserklärung" sprechen werden, sind die deutsche Umgangssprache, eine natürliche Sprache und eine zweite, eine künstlich gebildete; möge sie „Rechtssprache" 57 genannt sein. I m Sinne der Sprachtheorie ist sie als eine Objektsprache der deutschen Umgangssprache aufzufassen 58 : Es w i r d i n der Umgangssprache über juristische Begriffe und Bedeutungen (die Rechtssprache) gesprochen, sie w i r d zum Objekt der Umgangssprache, die ihrerseits die Rolle einer sog. Metasprache einnimmt. Über eine Willenserklärung kann i n ganz unterschiedlicher Weise gesprochen werden: 1) Eine Willenserklärung ist „ e i n A k t zwischenmenschlicher, sozialer K o m munikation"59. 2) Eine Willenserklärung ist „nicht n u r eine Mitteilung, sondern Geltungserklärung, u n d als solche i n den Regelfällen auch schon V e r w i r k l i c h u n g des i n i h r sich zur Geltung bringenden Rechtsfolgewillens" 6 0 . 3) Eine Willenserklärung gliedert sich i n zwei Tatbestände: einen objekt i v e n u n d einen subjektiven Tatbestand. 4) „Willenserklärung" besteht aus 16 Buchstaben. 5) „Willenserklärung" ist ein Hauptwort.
A l l e fünf Sätze enthalten Aussagen über die „Willenserklärung". Ohne weiteres w i r d deutlich, daß dieses Wort „Willenserklärung" hier teils als Element der Rechtssprache gebraucht wird, teils u m „tägliches Leben" zu beschreiben, teils „abstrakt" und teils „konkret". Gesetzt den Fall, es gelänge nun diese einzelnen Bedeutungen des Wortes „Willenserklärung" verschiedenen, exakt zu bestimmenden semantischen Sprachschichten zuzuordnen, dann ließen sich die Eigenschaften „abstrakt" und „konkret" mittels sprachtheoretischer Fixierung sehr viel prägnanter fassen. Die Bedeutung dieses Ergebnisses für die Qualifizierung eines Systems zeichnet sich ab: Insofern die Rechtswissenschaft als eine besondere Fachsprache an grundlegenden sprachwissenschaftlichen Koordinaten (wie die Differenzierung i n Objekt« und Metasprache) partizipiert, könnte m i t eben diesen sprachtheoretischen Indikatoren ein Rechtssystem als ein abstrakter oder konkreter Entwurf erkannt werden. Mehr noch: Es ließe sich formaloder einführend Strömholm, Allgemeine Rechtslehre, S. 26 ff., bes. 31. Des besonderen Hinweises bedarf es auf die Arbeiten von Suhr, der die hier angedeuteten Möglichkeiten über das sprachtheoretische Fundament hinaus wesentlich vertieft, so bes. i n : Die kognitiv-praktische Situation. 57 Vgl. dazu Lampe, Juristische Semantik, S. 18 ff., 22. 58 Z u m ganzen Weinberger, Rechtslogik, S. 61 ff. 59 60 Larenz, A T , S. 292. Larenz, A T , S. 291.
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
juristisches, abstraktes Argumentieren von vorneherein vermeiden, indem darauf geachtet wird, daß die Auseinandersetzung auf eben jener sprachlichen Ebene geführt wird, auf der sich die Begriffe als konkrete geben. Die Zuordnung der o. g. jeweiligen Sätze zu einer bestimmten, streng zu beachtenden semantischen Sprachschicht gelingt, wenn man sich zunächst darüber klar wird, daß zu unterscheiden ist zwischen dem „Namen" Willenserklärung und dem sich hinter diesem Namen verbergenden Gegenstand, dem sog. Denotat®1. So ist offensichtlich, daß die Aussage des Satzes 1) nicht den Namen „Willenserklärung", sondern den m i t diesem Namen angesprochenen Ausschnitt des sozialen Lebens anspricht, also über das Denotat prädiziert 6 2 . Den Gebrauch einer Sprache (hier der Umgangssprache als einer sozialwissenschaftlichen Fachsprache) i n der Weise, daß sich die Aussage auf die Denotate der i m Satz vorkommenden Namen richtet, nennt die Sprachtheorie objektsprachlich, oder man spricht vom Prädizieren der objektsprachlichen Aussagesätze (oder Normsätze) einer Sprache S über die Denotate der Namen von S, hier also der Aussagesätze der deutschen Sprache über die durch die Namen dieser Sprache versinnbildlichten Gegenstände. I m objektsprachlichen Argumentieren spiegelt sich, wie zu sehen ist, also immer ein konkretes Denken wider, es w i r d ein Seins-Ausschnitt beschrieben. Die Sätze 4) und 5) weisen sich augenfällig als solche einer ganz anderen, zweiten semantischen Sprachebene aus, derjenigen der sog. Metasprache. Von metasprachlichem Gebrauch einer Sprache geht die Sprachtheorie und Logik aus, wenn die Aussage des Satzes nicht auf die Denotate der Namen Bezug nimmt, sondern die Namen selbst Objekte der dargestellten Aussagen sind. Dabei ist es selbstverständlich, daß eine Metasprache S', die die Namen der Sprache S beschreibt, selbst wiederum Namen für die Ausdrücke von S enthält. I m Gegenüber zu S' stellt dann S ihrerseits die Denotate, die Objekte zur Verfügung. Unzweifelhaft kommt das metasprachliche Verständnis i n Satz 4) zum Ausdruck: Das Objekt der Aussage bildet der Name „Willenserklärung" der Sprache S (deutsche Hochsprache). Werden, wie i n diesem Fall, über den Aufbau und die Gliederung einer Sprache S Beobachtungen gemacht, nennt man die Sprache S' syntaktische Metasprache i m Gegensatz zu einer Metasprache, die die Bestimmung der Bedeutung der objektsprachlichen Ausdrücke auf sich nimmt 6 8 . Dann hat man eine semantische Metasprache vor sich, Satz 5). Während die Metasprache i m ersteren Sinne zu rein abstrakten, funktionalen Aussagen gerinnt, ver61 62
Weinberger, Ebd., S. 62.
Rechtslogik, S. 35. 83
Ebd., S. 62.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
mag die semantische Metasprache Bedeutung zu vermitteln: Sie bezieht sich a) auf die besprochene Sprache („Hauptwort" als grammatikalisches Element der Sprache) und zugleich b) auf deren Denotate („Hauptwort" als bedeutungsträchtiger Terminus). I n den bisherigen Beispielen 4) und 5) war Gegenstand der metasprachlichen Betrachtung die deutsche Sprache i n einer bestimmten Hinsicht (orthographisch, grammatikalisch, metabedeutsam). I n gleicher A r t können metasprachliche Aussagen über eine künstliche Sprache getroffen werden. Diese künstliche Rechtssprache t r i t t uns als die Verbindung spezifisch juristischer Begriffe entgegen, die von Rechtswissenschaft und Gesetzgeber nach bestimmten Regeln zueinander i n Verbindung gebracht wurden. Aussagen über die Namen dieser Sprache — „Willenserklärung" — sind, weil hier Aussagen über eine (künstliche) Sprache getroffen werden, der metasprachlichen Schicht zuzuordnen. I m metasprachlichen Gebrauch wird, wie oben ausgeführt, die Rechtssprache selbst zum Objekt. Die Metasprache S' ist i n diesem Fall die deutsche Umgangssprache. Es ist nicht schwer, entsprechend den Sätzen 4) und 5) i n Satz 3) die metasprachliche Bearbeitung der Rechtssprache i n syntaktischer Hinsicht zu erkennen und i n Satz 2) daneben auch ein semantisches Verständnis auszumachen. Was aber sind die rechtsdogmatischen Folgen dieser sprachlogischen Erwägungen? b) Das Abgleiten
in das „äußere"
System
Bedeutung für die Erklärung des rein begrifflichen Systems erlangt insbesondere das metasprachliche Verständnis wie es Satz 3) zum Ausdruck bringt. Es spricht die Willenserklärung als einen Rechtsfaktor an. Seine Aussage widmet sich vorwiegend der formalen, syntaktischen Bedeutung dieses Begriffes i n der Rechtssprache. Semantische Komponenten, die auf den psychogenetischen Objektbereich zielen, treten völlig i n den Hintergrund. Mag auch die Darbietung z.B. eines subjektiven Tatbestandes die Existenz eines erklärenden Individuums mitschwingen lassen, so bleibt doch i m Rahmen dieser metasprachlichen Erkenntnisse der spezifische Sinn der Erklärung — Geltungserklärung, vgl. Satz 2) — verborgen; es könnte sich bei Beschränkung auf diese metasprachliche Ebene genauso gut u m eine Mitteilung handeln, die eben nicht Ausfluß einer autonom verstandenen Persönlichkeit ist. Wie nun Satz 4) lediglich eine formale Gliederung i n Elemente der deutschen Umgangssprache (Buchstaben) zum Gegenstand hat, trifft Satz 3) eine ähnlich formal aus-
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
gerichtete Aussage über die syntaktischen Elemente einer Willenserklärung nach formal-begrifflichem Muster. Erst i n Verbindung m i t Satz 2) — entsprechend Satz 5) für die deutsche Sprache — werden inhaltliche und bedeutungsrelevante Komponenten i m Sinne eines o. g. semantisch orientierten metasprachlichen Verständnisses ausgeführt. Allerdings — und dies erscheint i n unserem Zusammenhang fundamental —, diese inhaltsbezogene Aussage beschränkt sich auf eine metasprachliche: Die inhaltliche Bedeutung dieser Namen w i r d durch die bereits bestehende Rechtssprache vermittelt, die ihrerseits schon den Charakter einer Metasprache besitzt. Das hat zur Folge, daß die aus ihr geschöpften Begriffe lediglich Namen und nicht die objektsprachlichen Detonate selbst sind 64 . Zur Frage des „äußeren" Systems zurückkehrend schließt sich hier der Gedankengang: Das Problem, daß die Allgemeinen Lehren und Begriffe einerseits inhaltsbestimmend, zum anderen aber Ausgangspunkt inhaltsleerer Deduktionen sind, löst sich, wenn man auf den sprachlichen Gebrauch, bzw. die sprachliche Ebene sieht, i n der die Rechtsinstitute Verwendung finden. Der „funktionsbestimmte" Begriff, der die Willenserklärung objektsprachlich erkennt und für die Rechtswissenschaft auf der Ebene der semantischen Metasprache fruchtbar macht, wandert unversehens i n jenen syntaktisch funktionierenden Sprachbereich ab, wo das sinntragende Element weiterhin verloren geht und abstraktes, formales Denken Platz greift. Zugleich stoßen w i r an der Nahtstelle von Objektsprache und semantischer Metasprache erneut auf die μετάβασις εις αλλο γένο ς, die objektsprachliche, konkrete Aussagen über die Seinswelt transformiert i n bedeutungsbezogene (semantische) Begriffe der künstlichen Metasprache „Rechtswissenschaft". So geschieht es, daß das A x i o m „Willenserklärung" nach oben über sich hinausweisend Bezug auf den Menschen als autonome Persönlichkeit nimmt und zugleich die Spitze einer Begriffspyramide darzustellen vermag, die auf der syntaktischen Ebene der Rechtssprache ins abstrakte System abdriftet. Entscheidend für das „konkrete" juristische System ist sonach jene semantische Metaebene, die zwar normativ befrachtet, aber noch sinnerfüllt ist. Wenn gesagt wird, „,Sollen 4 und ,Sein' stehen semantisch unverbunden nebeneinander" 6 5 , so vermag dies nicht i n jeder Hinsicht zu überzeugen. I n der von der Sprachtheorie zweifellos anerkannten semantischen Metasprache konvergieren Sollen und Sein, hier scheint jenes Sprachmedium zu liegen, i n dem konkretes, objektsprachliches Denken (Satz 1) i n rechts64 65
So Strömholm, Lampet S. 24.
S. 72.
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2. Abschn. : Strukturanalyse der Allgemeinen Privatrechtslehren
wissenschaftliche, sinntragende Namen und Definitionen adaptiert werden kann (Satz 2). Noch einen Schritt weiter beginnt das Feld der syntaktischen Metasprache, der inhaltsleeren Deduktion. Das Kestproblem freilich, vor dem w i r auch hier angelangt sind und das sich i m Rahmen der Dogmatik einer Beantwortung entzieht, ist immer noch immens: Es geht um die Legitimität der naturrechtlichen 66 μετάβασις εις δλλο γένος. A m Ende dieses Versuchs einer Strukturanalyse der Allgemeinen Lehren steht die Einsicht, daß dieselben bei Beachtung strikter Begründungszusammenhänge i n methodisch bedenklicher Weise gewonnen werden. Das Programm der Pandektistik hält also nicht, was es versprochen hat: Die Axiome der Allgemeinen Privatrechtslehren werden unter Inkaufnahme eines logischen Widerspruches abgeleitet. Das bedeutet, daß ihre „axiomatische" Stellung i m Grunde eine durchaus abgeleitete ist. Denn i n der μετάβασις είς δλλο γένο ς w i r d auf eine außer juristische Begründung rekurriert, wo der strikten Theorie nach nichts zu begründen wäre. Dieser methodologische Mangel spiegelt sich i n einem Wechsel der sprachlichen Argumentationsebenen wider: i n der objektsprachlichen Ableitung der Allgemeinen Lehren und ihrer metasprachlichen Verwertung i m System 67 . 86 I n diesen Fragen bemerkenswert sensibel u n d konsequent erscheinen i m m e r wieder die Stimmen der schweizerischen Rechtswissenschaft Vgl. neben den zu A r t . I Z G B bereits Genannten auch Jäggi, Positives u n d n a t ü r liches Recht, i n : FS Gutzwiller, l u s et lex, S. 639 ff., „ m a n muß sich nämlich bewußt sein, daß das gegenwärtige Rechtsdenken an inneren Widersprüchen leidet, w e n n es sich der alten Begriffssprache bedient. So ist es ein Widerspruch, sich i m m e r wieder auf vorpositive Werte u n d allgemeine Rechtsgrundsätze zu berufen — w i e namentlich auf den Eigenwert der Persönlichkeit —, aber diese Kategorie des Vorpositiven dennoch aus dem Bereich des Rechtlichen auszuschließen", (ebenda, S. 645). 67 Die durchgeführte Analyse der Allgemeinen Lehren t r i f f t sich i n dem, was Fikentscher, S. 6 f., das „Recht als gedachte Gerechtigkeit" nennt. „ A u s dieser f ü r das Recht typischen Verbindung v o n Gerechtigkeit u n d Denken entsteht dann notwendig die Polarität v o n recht u n d Recht, just u n d law, juste u n d droit. Die Gerechtigkeit hat es m i t dem, was recht, just, juste ist, zu tun. Durch das Denken über Gerechtigkeit oder, w e n n m a n w i l l , auf Gerechtigkeit hin, entsteht, gedacht u n d meist auch gesprochen, das Recht, law, droit." Danach verkörpert die μετάβασις είς δλλο γένο ς jene Elemente, die das Rechtens-Sein konstituieren u n d das metasprachliche Denken das Recht. Vieles spricht dafür, i n der Unterscheidung v o n Meta- u n d Objektsprache die allenthalben anzutreffenden „ z w e i Seiten" des Systems zu erkennen. Vgl. hierzu ζ. B. Canaris, S. 13: „Dabei sind stets zwei A r t e n oder besser zwei Seiten des Systems zu unterscheiden: das System der Erkenntnisse einerseits . . . , u n d das System der Gegenstände der Erkenntnisse andererseits..."
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Struktur der Allgemeinen Privatrechtslehren
Damit scheint der methodologische Boden unseres Themas so weit aufbereitet, daß nunmehr die historische Genese der Allgemeinen Lehren näher untersucht werden kann. M i t den Kriterien der μετάβασις είς αλλο γένος und dem Abschweifen i n ein metasprachliches System glauben w i r jene elementaren Bedingungen gefunden zu haben, die, dem historischen Material gegenübergestellt, eine begründete Aussage zur rechtsgeschichtlichen Herkunft der Allgemeinen Privatrechtslehren erlauben.
Dritter
Abschnitt
Scholastisches Naturrecht und mittelalterliche Jurisprudenz Soweit die bisherige Auseinandersetzung m i t den Allgemeinen Lehren des privaten Rechts die Sprache auf das „Naturrecht", die „Naturrechtsepoche" oder die „Naturrechtler" gebracht hat, war es fraglos, daß damit jener Abschnitt der europäischen Rechtskultur angesprochen wurde, i n dem „Rechts- und Gesellschaftsphilosophie des Abendlandes (,Naturrecht') . . . unmittelbaren Einfluß auf Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und Rechtspflege . . . gewann" 1 , also die Zeit von etwa 1600 bis zum Ausgang des 18. Jh.s. U m diese Zeitspanne, die man gemeinhin als das „Zeitalter der Vernunft" umschreibt und die i n der Rechtsgeschichte m i t dem Begriff der „Naturrechtsepoche" verbunden ist, als Ausgangspunkt des historischen Teils dieser Untersuchung zu gewinnen, hätte es keines weiteren Hinweises bedurft, als eben die Betonung auf die Tatsache, des „unmittelbaren Einflusses" zu legen. Denn wenn i n der Tradition naturrechtlichen Denkens ein Abschnitt der Ausbildung Allgemeiner Privatrechtslehren i m besonderen förderlich gewesen sein sollte, so w i r d man sich ohne langes Zögern sicherlich jenem Zeitalter am ehesten zuwenden dürfen, das nach allgemeiner und unwidersprochener Ansicht seine charakteristische Prägung i m gegenseitigen Durchdringen von positivem und „natürlichem" Recht gefunden hat 2 . So nimmt es denn auch nicht wunder, daß bislang das Zeitalter der Vernunft das einzige naturrechtliche Argument i n der Auseinandersetzung um die Entstehung der Allgemeinen Lehren ist. Wie die nachfolgenden Abschnitte zeigen werden, ist diese Restriktion auf die Epoche des modernen, vernünftigen Naturrechts nicht gerechtfertigt. Wohl kommt ihr eine maßgebliche Bedeutung zu, nicht aber eine ausschließliche.
1 5
Wieacker, PrGN, S. 248. Vgl. Schlosser, 45 f.; Wesenberg [Wesener,
S. 128.
I. Scholastisches Naturrecht und mittelalterliche Jurisprudenz
63
U m dies darlegen und begründen zu können, ist es notwendig, den naturrechtlichen Bogen weiter zu spannen und i m Verfolg dessen die Nahtstellen aufzuspüren, an denen Naturrecht und fachdisziplinäre Jurisprudenz einander berühren. Selbstverständlich geschieht dies immer nur i m Hinblick auf eine mögliche Relevanz für die Allgemeinen Lehren. So rechtfertigt es sich, das folgende Kapitel dem scholastischen Naturrecht und seinen (fehlenden) Bezügen zum Rechtsdenken des M i t t e l alters zu widmen: Es sollen einmal die Abgrenzungskriterien des nachantiken, christlichen Naturrechts gegenüber dem Vernunftrecht scharf gefaßt und aus dem Gegenüber von scholastischem und neuzeitlichem Denken gewonnen werden. Zweitens gibt die Tatsache, daß die Begriffe „Allgemeines" und „Besonderes" durchaus nicht Eigenheiten neuzeitlichen Rechtsdenkens sind, Anlaß, die Frage nach dem Verständnis aufzuwerfen, das die vorvernunftrechtliche Jurisprudenz diesen Figuren entgegengebracht hat. „Genus" und „species" werden i n diesem Zusammenhang ein Drittes deutlich werden lassen: Wenn auch Wechselbeziehungen zwischen Naturrechtslehre und Privatrechtswissenschaft i n der Weise, daß die eine befruchtend auf die andere einwirkt, nicht festgestellt werden können, so w i r d doch eine Parallelität ans Licht kommen, die sowohl das dogmatische Instrumentarium von Glosse und Theologie betrifft, als sich auch i n der Geisteshaltung und dem Selbstverständnis der mittelalterlichen Denker beider Fakultäten widerspiegelt 3 . Was den Theologen als „ordo Dei" vorschwebt, jenes Konzept, das die Welt als Manifestation göttlichen Willens (oder der göttlichen Vernunft) auffaßt, das das menschliche Leben hineinstellt i n den Heilsplan Gottes und damit unverrückbare Zäsuren i n die Hierarchie der Rechtsquellen setzt, das ist dem Juristen dieser Zeit die „ratio scripta" 4 der Quellen des wieder entdeckten Justinianischen Rechts: War schon nicht daran zu denken, diese tradierten Rechtswahrheiten zu bezweifeln, so w i r d zu zeigen sein, daß es bereits am rechtsdogmatischen Standort und damit an Rechtsfiguren mangelte, die eine kritische Auseinandersetzung m i t dem römischen Recht erlaubt hätten. I. Das scholastische Naturrecht und seine Stellung zur Jurisprudenz im Mittelalter Die Naturrechtslehre der Scholastik hat auf die Zivilrechtswissenschaft ihrer Zeit nicht gewirkt 5 . Der Grund hierfür liegt darin, daß von 8 4
Vgl. Schlosser, S. 10 ff.; Wesenberg/Wesener, S. 37. Vgl. hierzu Schlosser, S. 43; Wieacker, PrGN, S. 56.
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
einer „Naturrechtsdisziplin" während dieser Zeit kaum gesprochen werden kann. Selbstverständlich gibt es naturrechtliche Fragen und Problemstellungen i n Fülle, diese erscheinen aber nicht als solche des Naturrechts i m Sinne einer fachspezifischen Lehre, sondern als ein Teilaspekt der Theologie. Der Streit und die Auseinandersetzung u m ein „natürliches Recht" werden auf dem Wissenschaftsgebiet der Moraltheologie ausgetragen. Während so neben dem Trivialunterricht der Artistenfakultät (Grammatik, Rhetorik, Logik) und der Theologie das Studium civile zu Bologna einen eigenständigen Lehrbetrieb findet, bleibt die Naturrechtsdiskussion ganz dem Bereich der Theologie verhaftet®. Uns scheint nun die spätere Verselbständigung der Naturrechtslehre und die damit einhergehende Ausklammerung theologischer Gesichtspunkte als zu fundamental, u m die eingangs vorgestellte Problemsituation: „Naturrecht und Jurisprudenz", unbesehen ins Mittelalter hinein auszudehnen und zu übertragen. Vielmehr muß von vornherein klar sein, daß es während dieses Zeitraumes nur darum gehen kann, sich der Auswirkungen von theologischer Lehre auf die Rechtswissenschaft und umgekehrt bewußt zu werden. Unter dieser Voraussetzung steht die These, daß sich scholastisches Naturrechtsdenken nicht i n der Rechtswissenschaft niederschlagen konnte. Das bedeutet aber nicht, daß deshalb jenseits des spezifisch naturrechtlich-moraltheologischen Sachverhalts Wirkungen auf die Jurisprudenz verkannt werden, die allerdings dem gesamttypischen Charakter der Theologie entwachsen. Dies w i r d i m folgenden zu belegen sein. Konsequenz dieser Feststellung ist es denn auch, daß sich der Übergang vom antiken zum mittelalterlichen Naturrechtsdenken i n der theologischen Lehre vollzieht. 5 Vgl. Weimar, Die legistische L i t e r a t u r der Glossatorenzeit, i n : Coing, Handbuch I . S. 145; dieses Nebeneinander v o n Theologie u n d Rechtswissenschaft g i l t jedenfalls f ü r den Bereich der Legistik, auf die sich diese A r b e i t beschränkt. Einen bemerkenswerten Denkanstoß zur Frage, inwiefern den Kanonisten des Hochmittelalters das Denken i n Allgemeinen Begriffen zugänglich war, gibt Otte, Über geschichtliche W i r k u n g e n des christlichen Naturrechts, i n : Naturrecht i n der K r i t i k , S. 61 ff., insbes. S. 71 f. β Vgl. hierzu Grabmann. Das Naturrecht der Scholastik von Gratian bis Thomas v o n A q u i n , i n : A R S P Bd. 16 — 1922/23 —, S. 12 ff., 15 ff., 18. „ . . . I n der Scholastik hat die Naturrechtstheorie eine über die Jurisprudenz w e i t hinausgreifende Behandlung, Weiterbildung u n d Ausgestaltung gefunden. Sie ist, w e n n a u d i die juristischen Definitionen noch weiter gebraucht werden, zu einem organischen Bestandteil der scholastischen philosophisch-theologischen Spekulationen geworden."
I. Scholastisches Naturrecht und mittelalterliche Jurisprudenz
65
Die Entwicklung erreicht während der Zeit der Patristik i n Aurelius Augustinus (354 bis 430) einen Höhepunkt und erfährt i n der Summa theologica des Thomas von Aquin (1226 bis 1274) ihre scholastische Vollendung. 1. Aurelius Augustinus
M i t i h m erhält das christliche Naturrecht seine fundamentale Grundlegung. Wenn auch die tiefwirkende Spannung zwischen griechischem Intellektualismus und christlichem Voluntarismus bei Augustinus noch i n der Schwebe bleibt und schließlich von Thomas von Aquin zugunsten des ersteren entschieden wird 7 , so ist es doch der Bischof von Hippo, der die Funktion des Naturrechts i m christlichen Denken und seinem Argumentationsgehalt nach festgeschrieben hat 8 . Diese Stellung blieb i h m unangefochten während der ganzen Scholastik und i m Bereich der christlichen Lehre darüber hinaus. Aus i h r heraus w i r d verständlich, daß das Naturrecht der mittelalterlichen Theologie keinen Ansatzpunkt i m profanen Bereich finden konnte und finden wollte 9 . Der grandiose Entwurf Augustinus 9 übernimmt die antike stoische Dichotomie zwischen lex naturalis und der lex humana, die überwölbt werden vom „finalen Determinismus" 1 0 stoischen Denkens: der lex aeterna als der griechischen ειμαρμένη oder des lateinischen fatums. Er erweitert sie zu einer Dreiteilung der Hechtsquellen, absteigend von der lex divina zur lex naturalis, h i n zu der lex humana. Während i n der Lehre der Stoa 11 der vernunftbegabte Mensch als unmittelbarer Ausdruck und wesensmäßige Erscheinung der allumfassenden ratio mundi gedeutet wird, führt die Augustinische Sicht des ordo ordinans (lex divina) und des ordo ordinatus (die geschaffene Welt) h i n zu einer qualitativen Stufung zwischen ewigem Recht und Naturgesetz: Das (theologische) Faktum des Sündenfalls w i r d methodisch i n der Lehre des Naturrechts verarbeitet 12 . Alles überragend, unwandelbar und Antriebskraft allen Daseins ist der ordo ordinans, das jus divinum: göttliches Recht, das dem Menschen — nicht mehr partizipierend an der 7
Welzel, Naturrecht, S. 48 - 56. Dazu Schilling, Die Rechtsphilosophie bei den Kirchenvätern, i n : A R S P Bd. 16 — 1922/23 —, S. 1. 9 Das betont auch Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 23. 10 Welzel, Naturrecht, S. 39. 11 Z u deren Fortentwicklung i m christlichen Naturrechtsdenken u. a. Schilling, S. 1 f. 12 Die staatstheoretischen Konsequenzen des Sündenfalls führen zur Postulierung der weltlichen Staatsgebilde als den civitates terrenae i m Gegensatz zur Gemeinschaft der Seligen, der citivas Dei. 8
5 Lipp
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3. Abschn.: {Scholastisches Naturrecht
Allvernunft, sondern imago Dei — seit Adam unmittelbar zu erkennen versagt ist. Naturrecht ist es, das dem Menschen das göttliche Recht unter A n wendung der Vernunft erahnen und erkennen läßt: durch die Offenbarung Gottes i n der Schöpfung, geführt durch die Lehre der Kirche. Das Naturrecht ist jener Abglanz des jus divinum, von dem Augustinus sagt: „Proinde quoniam lex est etiam i n ratione hominis, qui iam utitur arbitrio libertatis, naturaliter i n corde conscripta est.. . 1 8 ." „ . . . sicut imago ex annulo i n ceram transit et annulum non r e l i n q u i t . . , 1 4 ." Dem Menschen ins Herz geschrieben wie der Abdruck eines Siegelringes i m Wachs verrät das Naturrecht dem Menschen das göttliche Gebot, das die geschaffene Natur i n ihrer umfassenden Rangordnung, aufsteigend vom leblosen Sein über Pflanzen und Tiere h i n zu den Menschen offenbart. Das Naturrecht der Scholastik erhält hier von Augustinus seine Transmissionswirkung, seine Hinordnung auf das göttliche Gesetz, aus der es erst das Vernunftrecht zu lösen vermag. Naturrecht verkörpert hier nicht nur das „natürliche Recht" des Menschen, sondern verblaßte Strukturen göttlicher Satzung; die Berufung auf das Naturrecht heißt nicht, die Stimme erheben i m Namen des Rechts der Menschen, sondern bedeutet die Argumentation m i t transzendenten Inhalten, m i t göttlicher Rechtsvorstellung. Das gilt es festzuhalten: I n der „civitas Dei" w i r d uns ein Naturrecht vorgestellt, das es ermöglicht, die civitas terrena, das Teufelswerk, erträglich zu machen. Das w i r d gelingen, wenn die Menschen entsprechend der lex naturalis erkennen und begreifen, daß ihr Zweck auf Erden die Erlangung des ewigen Heils ist und sie ihr Streben hierauf richten. Die Aufgabe des weltlichen Staates als der „Notanstalt Gottes" 1 5 ist ganz auf eine jenseitige Sichtweise orientiert, das Naturrecht i n seiner beschriebenen Funktion also um und um moraltheologisch befrachtet. Die lex naturalis ist gegenüber der lex humana der ordo ordinans: Der Gesetzgeber hat sich bei der Festlegung seiner Satzungen an i h m auszurichten. „Conditor tarnen legum temporalium si v i r bonus est et sapiens, illam ipsam consulit aeternam, de qua n u l l i animae iudicare datum est, ut secundum eius incommutabiles régulas, quid sit pro tempore iubendum vetandumque, discernât 16 ." Diese dem „conditor legum" auferlegte Pflicht gestattet jedoch nicht, daß die lex naturalis, die zwar einerseits die moraltheologischen Ein18 14 15 16
Augustinus, Epistula 157, c. 3, no. 15. Augustinus, De trinitate, Buch 14, no. 21. Wieacker, PrGN, S. 261. Augustinus, De vera religione, c. 31, no. 58.
I. Scholastisches Naturrecht und mittelalterliche Jurisprudenz
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sichten vermittelt, unmittelbar „durchschlägt" auf die Gesetzgebung hic et nunc. Denn der Gesetzgeber trifft seine Regeln „pro tempore" 1 7 , d. h. je und je den Zeitläuften angepaßt und verändert. Die Konkretisierung des natürlichen Rechts verbleibt den Fürsten und Königen; die lex naturalis vermag hierfür lediglich einen wenig aussagekräftigen Rahmen abzustecken 18 ; was i n der geschichtlichen Situation Rechtens sei, die normative Entscheidung i n der kontingenten Entwicklung zu fällen, das überantwortet das scholastische Naturrecht der staatlichen Obrigkeit. Diese Verklammerung des Naturrechtsgedankens m i t nur moralisierender und theologischer Intention 1 9 und der gleichzeitige Verzicht auf die strikte Ausgestaltung und Konkretisierung bindender (!) naturrechtlicher Sätze nimmt dem scholastischen Naturrecht schon i n seiner methodischen Einbettung die Möglichkeit i n den profanen Bereich gestaltend auszustrahlen 20 . M i t Augustinus stehen w i r also bereits mitten i n jener Phase der Naturrechtsentwicklung, deren Zentrum sowohl unter inhaltlichem wie methodischem Aspekt (dazu später) ein rein theologisches Anliegen ist und nicht von der Absicht getragen wird, fortbildend auf das positive Recht Einfluß zu nehmen. A n dieser metaphysischen Sichtweise der Naturrechtslehre ändert sich auch nichts, als Thomas von Aquin die Augustinische Trichotomie übernimmt und die Doktrin der lex naturalis m i t folgenschweren Konsequenzen verankert. 2. Thomas von Aquin
Die Fortschreibimg des Naturrechtsdenkens unter Thomas erhält ihren entscheidenden Impuls durch die Rezeption der Aristotelischen Entelechie-Lehre 21 . Sie w i r d wiedergeboren i n der Statuierung der 17 Insbesondere dieses Z i t a t dient der herrschenden Meinung dazu, bei Augustinus ein dynamisch wirkendes Naturrecht anzunehmen, vgl. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 64; ders., Statisches u n d dynamisches Naturrecht, S. 23; Bloch, Naturrecht u n d menschliche Würde, S. 7 ff. Eine kritische Beleuòhtung erfährt dieses geschichtlich-dynamische N a t u r rechtsdenken, das sich bei Thomas von Aquin fortsetzt, bei Böckenförde, Kirchliches Naturrecht u n d politisches Handeln, i n : Naturrecht i n der K r i t i k , S. 96 ff. 18 Den einzigen, stets bindenden Leitsatz, den die lex naturalis dem ius d i v i n u m entnimmt, nennt Augustinus, Contra Faustum, Buch 22, c. 27/28: „ l e x vero aeterna est ratio divina v e l voluntas dei ordinem naturalem conservari iubens, p e r t u r b a i ! vetans . . . est autem i l l i c i t u m quod lex i l l a prohibet qua naturalis ordo servatur." 19 Schilling, S. 6 f. 20 Das w i r d besonders deutlich am I n s t i t u t der Sklaverei. „Unzweifelhaft erscheint die Sklaverei als I n s t i t u t i o n des sekundären Naturrechts, soweit sie als notwendiges H e i l m i t t e l w i d e r Sünde u n d sittliche Versunkenheit betrachtet w i r d " , Schilling, S. 9. 21 Vgl. dazu Grabmann, S. 48 ff. 5*
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
„Finalität" alles Seienden, der Ausrichtung auf das von Gott der Gesamtschöpfung vorgegebene Ziel hin: „omne agens agit propter finem, qui habet rationem boni 2 2 ." Diese Finalität des menschlichen Lebens ist angesiedelt i m letzten Grund des Daseins, dem „bonum commune" 23 , dem der ganzen Menschheit intendierten Zweck. „Die Hinordnung zu Gott führt die Kreatur hinaus über das i m Universum innewohnende bonum commune. Denn Gott selbst ist das höchste bonum commune totius universi et partium eius.. . 2 4 ." Die Erkenntnisquelle, den geistigen „Brückenschlag" zum bonum commune bildet das Thomistische Naturrecht, das sich als Ausfluß der Verknüpfung der creatio m i t der lex divina 2 5 , dem heilsgeschichtlichen Gesetz Gottes, i n den „inclinationes naturales" widerspiegelt: „Inest enim primo inclinatio homini ad bonum secundum naturam i n qua communicat cum omnibus substantiis: prout scilicet quaelibet substantia appétit conservationem sui esse secundum suam naturam. Et secundum hanc inclinationem, pertinent ad legem naturalem ea per quae vita hominis conservatur, et contrarium impeditur. — Secundo inest homini inclinatio ad aliqua magis specialia, secundum naturam i n qua communicat cum ceteris animalibus. Et secundum hoc, dicuntur ea esse de lege naturali quae natura omnia ammalia docuit, ut est coniunctio maris et feminae, et educatio liberorum, et similia. — Tertia modo inest homini inclinatio ad bonum secundum naturam rationis, quae est sibi propria: sicut homo habet naturalem inclinationem ad hoc quod veritat u m cognoscat de Deo, et ad hoc i n societate vivat 2 6 ." Die Indienstnahme des Naturrechts nach der beschriebenen A r t und Weise hat i m Verbund m i t den Kernbegriffen Thomistischen Naturrechtsdenkens, nämlich der „analogia entis" 2 7 und dem „Bonum commune" endgültig die Eingliederung des mittelalterlichen Naturrechts i n die Moraltheologie zur Folge 28 . 22
Thomas von Aquin, Summa theol., 1, 2, qu. 94 art. 2. „ . . . b o n u m commune est finis singularum personarum i n communitate existentium, sicut bonum totius finis est cuiuslibet partium. B o n u m autem unius personae singularis non est finis alterius." Thomas von Aquin, Summa theol., 2, 2, qu. 58, art. 9. 24 Leisching, Der Begriff des bonum commune bei Thomas von Aquino, i n : ö s t Z ö f f f i Bd. X I — 1961 —, S. 15 ff. 25 Vgl. Böckle, Natürliches Gesetz als göttliches Gesetz, i n : Naturrecht i n der K r i t i k , S. 165, 28 Thomas von Aquin, Summa theol., 1, 2, qu. 94, art. 2; vgl. dazu auch Schmölz, Die menschliche Gesellschaft bei Thomas v o n A q u i n , i n : östZöffR Bd. X I I I , S. 52 ff., 55; ebenso Welzel, Naturrecht, S. 60 f. 27 Da die Schöpfung Gottes, das Sein, gut ist („ens et bonum convertuntur"), gestattet der sichtbare ordo den Rückschluß auf das Gesetz Gottes. 23
I. Scholastisches Naturrecht und mittelalterliche Jurisprudenz
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Hinzu kommt die Wendung des Aquinaten zur intellektuellen Sicht, die i n der Vernunft Gottes, nicht i n seinem unergründlichen Willen den Sitz der Schöpferkraft sieht 29 . War bei Aurelius Augustinus das Naturgesetz noch ins Herz des Menschen geschrieben, so schreibt es Thomas dem Verstand zu, die ferneren Naturrechtssätze zu finden. Lediglich die drei oben genannten inclinationes, die obersten Prinzipien werden von allen Menschen begriffen 30 . I m übrigen aber bewirkt die ungleiche Verteilung der Verstandesgaben: „Veritatem autem omnes aliqualiter cognoscunt, ad minus quant u m ad principia communia legis naturalis; i n aliis vero quidam plus et quidam minus participant de cognitione veritatis; et secundum hoc etiam plus vel minus cognoscunt legem aeternam . . . Uniusque cognoscit pro sua capacitate 31 ." Müßig die Frage zu stellen, wessen capacitas es ist, die genügend geschult erscheint, u m die Lehre und die Normen des Naturrechts dem Volk nahezubringen. Aus der Unvollkommenheit der Menschen resultiert die Notwendigkeit der leges humanae, die am Naturrecht ausgerichtet sein müssen, u m nicht der Qualifikation als „legis corruptio" zu verfallen. Dreifach mag die Ableitung des postitiven Hechts gewonnen werden: — per modum conclusionis — per modum determinationis — per modum additionis 32 . Scheint so ein nachprüfbarer Bezug und eine inhaltliche Kontrolle der positiven Gesetze möglich und das Naturrecht m i t der Ausprägung eines Widerstandsrechts zumindest eine Fernwirkung auf die Rechtsetzung ausüben zu können, so erweist sich diese Waffe i m Kampf gegen naturrechtswidrige Gesetze und Tyrannis als nur zu stumpf: „ . . . propter vitandum scandalum vel turpationem" 5 8 muß auch den ungerechten Ge28 "Worauf es bei der moraltheologischen Betrachtung zivilrechtlicher Probleme ankommt, legt Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m V e r sprechen, S. 4 ff., insbes. S. 10 ff. dar. F ü r Thomas v. Aquin ist die Versprechenslehre keine zivilrechtsdogmatische Angelegenheit, sondern ein „ d e b i t u m morale", dessen Nichterfüllung sündhaftes Handeln bedeutet. Vgl. dazu Steuer, Studien über die theoretischen Grundlagen der Zinslehre bei Thomas v. A q u i n , S. 30 ff. 29 Hierzu bes. Welzel, Naturrecht, S. 60. 30 Welzel, ebenda, S. 63, m i t dem Hinweis auf die beiden Phänomene „synderesis" u n d „conscientia", die den Begriff des Gewissens aus scholastischer Sicht beschreiben. Diese beiden Begriffe tauchen bereits bei Bonaventura (gest. 1274) auf, allerdings bedeutet dort die Synderesis einen Habitus des Willens (Nachweise bei Grabmann, S. 27). 31 Thomas von Aquin, Summa theol., 1, 2, qu. 93, art. 2. 32 Vgl. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 77. 33 Näheres bei Leisching, S. 26.
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
setzen Gehorsam entgegengebracht werden. Denn nichts anderes ist ja ihr Anliegen, als die „ordinatio rationis ad bonum commune" 84 . So zeichnet sich das scholastische Naturrecht weiterhin durch seine moraltheologische Fundamentierung aus, die i h m aus den genannten Gründen ein Engagement i n anderen Wissenschaftszweigen verbietet, vielmehr dieselben ganz i n den Dienst der Theologie stellt 8 5 . 3. Scholastische Methode
Legt dieses mangelnde „Einsatzvermögen" der Naturrechtslehre es schon von vornherein nahe, das scholastische Naturrecht nicht i n Verbindung mit den Allgemeinen Zivilrechtslehren zu bringen, so läßt sich dies auch an den spezifischen Begriffen des „Allgemeinen" und „Besonderen", des „genus" und der „species" erhärten. Es geht dabei u m die methodische Kehrseite der inhaltlichen Ausrichtung des Naturrechtsgedankens auf die Theologie: die sog. scholastische Methode. „Die scholastische Methode w i l l durch Anwendung der Vernunft, der Philosophie auf die Offenbarungswahrheiten möglichste Einsicht i n den Glaubensinhalt gewinnen, u m so die übernatürliche Wahrheit dem denkenden Menschengeiste inhaltlich näher zu bringen, eine systematische, organisch zusammenfassende Gesamtdarstellung der Heilswahrheiten zu ermöglichen und die gegen den Offenbarungsinhalt vom Vernunftstandpunkte aus erhobenen Einwände lösen zu können. I n allmählicher Entwicklung hat die scholastische Methode sich gleichsam versinnlicht und verleiblicht 8 ®." Eine solche methodische „Versinnlichung", „Verleiblichung" oder schlichtweg Erstarrung lernen w i r beispielsweise dort kennen, wo Thomas von Aquin nach dem „gut-sein" von menschlichen Handlungen fragt. Unter vierfachem Aspekt läßt sich hierauf eine A n t w o r t geben: „Sic igitur i n actione humana bonitas quadruplex considerari potest. Una quidem secundum genus, prout scilicet est actio: quia quantum habet de actione et entitate, tantum habet de bonitate, ut dictum est. A l i a vero secundum speciem: quae accipitur secundum obiectum conveniens. Tertia secundum circumstantias, quasi secundum accidentia 84 Leisching, S. 25; vgl. auch Thomas v. Aquin , Summa theol., 1, 2, qu. 90, art. 3: „Intentio legislatoris est u t inducat hominem ad v i r t u t e m " ; kritisch hierzu äußert sich Böckenförde, Kirchliches Naturrecht u n d politisches H a n deln, S. 107 ff. 35 Die ungebrochene A u t o r i t ä t der Kirche u n d der Theologie zeigt sich i n der scholastischen Hierarchie der Wissenschaften: sie alle sind die ancillae Theologiae. M Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode Bd. I, S. 36/37; zu Augustinus ebenda, S. 125 ff.
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
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quaedam. Quarta autem secundum finem, quasi secundum habitudinem ad causam bonitas 87 ." M i t diesen vier loci, die als „Raster" an das menschliche T u n angelegt, Aufschluß darüber geben, i n welchem Maße „gut" der einzelne A k t w a r und ist, ist unverkennbar die Prädikabilienlehre des Aristoteles angesprochen, die m i t ihren „quinque voces" (genus, differentia, species, proprium, accidens) über die Isagoge des Porphyrios (233 bis 304)38 Eingang i n die Fakultät der artes liberales gefunden und von hier aus das mittelalterliche Denken sowohl der Theologie als auch der Rechtswissenschaft beeinflußt hat. Hier liegt der Einfluß und die Bedeutung der mittelalterlichen Theologie für die Jurisprudenz: i n der Vermittlerrolle der mittelalterlichen Methode. Es ist also nicht genuin naturrechtliches Denken, das später auf die Glosse w i r k t , sondern die methodischen Grundlagen, die Topoi und loci, deren sich die mittelalterliche Jurisprudenz bedienen wird, werden zunächst für die Theologie gewonnen und zur scholastischen Methode aufbereitet 8®, bevor sich ihrer die Jurisprudenz bemächtigt.
Π . „Genus" und „species" — dialektische Argumentationstopoi des mos Italicus Schon bei den frühesten Schriftstellern der nachantiken europäischen Rechtswissenschaft stoßen w i r auf die Begriffe des „Allgemeinen" und „Besonderen" („genus" und „species"). Die Argumentation m i t „Allgemeinbegriffen" und der Versuch, den Rechtsstoff entsprechend dieser Muster zu ordnen 40 kann nach den uns heute vorliegenden Forschungsergebnissen 41 keineswegs auf die neuzeitliche Jurisprudenz beschränkt werden. Die Frage ist nur: Liegen diesen Ausführungen i n Verwendung des „genus" und der „species" w i r k l i c h Ansätze jener Denkstruktur zugrunde, die oben als die für die Allgemeinen Lehren typischen erachtet wurden?
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Thomas von Aquin, Summa theol., 1, 2, qu. 18, a r t 4. Vgl. Otte , Dialektik, S. 43. 39 Z u r Bedeutung, die ganz besonders Boethius (480 bis 525) hierbei zukommt, vgl. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode Bd. I, S. 148 ff.; vgl. dazu auch Fikentscher, Methoden des Rechts I, S. 381. 40 Z u r Frage nach dem systematischen Charakter der Glossen-Literatur: Otte, D i a l e k t i k u n d Jurisprudenz, S. 14 m w N . 41 Otte, Dialektik, S.41ff.; Wieacker, PrGN, S. 57 f.; Schlosser, S. 11; Stephanitz, S. 129 ff.; Coing, Die juristische F a k u l t ä t u n d i h r Lehrprogramm, i n ; Coing, Handbuch I , S. 69 ff. 88
72
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
Die dogmatische Verwertung von „Allgemeinem" und „Besonderem" begegnet dem Leser bereits i n den Schriften des Irnerius 42, der i n seiner Person als „Magister i n artibus" noch den genetischen Zusammenhang zwischen neubegründetem Studium civile 4 3 und der frühmittelalterlichen Artistenfakultät demonstriert: so beispielsweise i m Versuch, die Gerechtigkeit definitionsmäßig zu erfassen, indem ihre Stellung als species gegenüber dem genus beschrieben w i r d : „ . . . Iustitia est habitus mentis bene constitute tribuens ius suum unicuique. Istud solum est diffinitio propria iustitie. Huius speciei virtus est genus, v i r t u s enim quatuor principales habet species: iustitia, prudentia, fortitudo, temperantia.. .44".
Die virtus als Allgemeiner Begriff und die iustitia als besondere Form? Diese Fragen münden unmittelbar i n jene nach dem methodischen Vorgehen der Glosse ein, das eine umfassende Bearbeitung i n der Untersuchung „Dialektik und Jurisprudenz" von Gerhard Otte erfahren hat 4 5 . A u f dieses Werk darf deshalb hier i m besonderen verwiesen werden, zumal es auch für die Sicht dieser Darstellung maßgebend ist. Die logischen Denkfiguren und Leistungen, auf die es uns i n diesem Abschnitt ankommt, entstammen nach dem Befund Ottes nicht mehr den Schuldarstellungen der artes liberales 4®. Viel eher scheint die Uberwindung dieser Lehrstruktur entscheidenden Einfluß auf die frühe Rechtswissenschaft und ihre Methode ausgeübt zu haben. Otte nennt „das Uberschreiten dieser Schwelle 47 conditio sine qua non" 4 8 für die Erträge und Ergebnisse der Glosse. Gerade i n der wissenschaftlichen 42 Z u Irnerius vgl. Kantorowicz, Studies i n the Glossators of the Roman Law, S. 33 ff. ; Savigny, Geschichte des Römischen Rechts i m Mittelalter Bd. I V , S. 9 ff. ; daneben sei auch die Miszelle v o n Nörr, Z u r H e r k u n f t des Irnerius, i n : SZ Rom, Bd. 82 — 1965 —, S. 327 f. vermerkt. 43 Vgl. dazu Weimar, S. 132 ff. 44 Zit. nach Otte, Dialektik, S. 23, Fn. 28. 45 Hingewiesen sei auch auf Sbriccoli, L'interpretazione dello statuto. 46 Lehrer der Artistenfakultät waren beispielsweise Martianus Capella (5. Jh.), Cassidor (ca. 490 bis 580) oder Isidor von Sevilla (ca. 570 bis 636); Isidor von Sevilla umreißt i n Etymologiae sive Origines, liber I , I I den L e h r gegenstand dieser F a k u l t ä t : „De Septem liberalibus disciplinis. Disciplinae liberalium a r t i u m Septem sunt. P r i m a grammatica, i d est loquendi peritia. Secunda rhetorica, quae propter nitorem et copiam eloquentiae suae m a x i m e i n civilibus quaestionibus necessaria existimatur. Tertia dialectica cognomento logica, quae disputationibus subtilissimis vera secernit a falsis. Quarta a r i t h metica, quae continet numerorum causas et divisiones. Quinta musica, quae i n carminibus cantibusque consistit. Sexta geometrica, quae mensuras terrae dimensionesque complectitur. Septima astronomia, quae continet legem astror u m . " ; zit. nach Hattenhauer/Buschmann, Textbuch zur Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 29; vgl. auch Coing, Einleitung, i n : Coing, Handbuch I, S. 21 ff. 47 Gemeint ist die eben genannte Artistenfakultät. 48 Otte, Dialektik, S. 22.
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
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Arbeit m i t den dialektischen Formen sieht er die Verantwortung für den klassifizierenden Zug ihres Denkens 49 . Ihre Rezeption zieht sich über einen Zeitraum etwa vom 8. bis 13. Jh. hin, i n dem sie Eingang i n die Philosophie 50 , Theologie und die Jurisprudenz finden. Seit Anbeginn der Bologneser Schule gehört m i t h i n die Dialektik und die durch sie vermittelten Lehren 5 1 zum dogmatischmethodischen Repertoire der Zivilrechtswissenschaft. Diese damals bekannten Quellen der Antike über die Logik, die sog. „vetus logica" faßt Peter Abaelard (1079 bis 1142) i n seiner Dialectica zusammen: „ . . . Aristotelis enim duos . . P r a e d i c a m e n t o r u m scilicet et Periemenias libros . . . , P o r p h y r i i vero u n u m q u i videlicet De quinque vocibus conscriptus . . . , Boethi autem q u a t t u o r . . . , L i b r u m videlicet Divisionum et T o p i corum c u m Syllogismis t a m Catégoriels quam Hypotheticis 5 2 ."
Unter dem Einfluß dieser Schriften 53 übernimmt die Glosse auch das Begriffspaar „genus" und „species" und vermittelt es i n der Bedeutung, die i h m die vetus logica zugelegt hat, weiter an die Kommentatoren und die Vertreter des Usus modernus Pandectarum. 1. Die Glosse
Genus und species, Gattung und A r t , allgemeiner Begriff und spezieller Modus traten i n der Literatur der Glosse i m Zusammenhang m i t der Lehre von den Prädikabilien auf. Diese fünf antiken Topoi (genus, differentia, species, proprium, accidens) wurden als die Grundbegriffe aristotelischer Logik durch die Isagoge des Porphyrios 54 der Wissenschaft des Mittelalters zugänglich gemacht und waren den Glossatoren als die „quinque res" oder „quinque voces" bekannt 5 5 . 49
„ D i a l e k t i k " w i r d hier i m aristotelischen Sinne ( = Logik) gebraucht; vgl. Otte , Dialektik, S. 9. 50 Die entscheidende Vermittlerrolle k o m m t hier Boethius zu, der durch eine erste zusammenfassende Darstellung dieser Werke i n bes. Maße ihre V e r breitung angeregt hat; Otte, Dialektik, S. 17 ff. u n d oben Fn. 39. 51 Es handelt sich i m wesentlichen u m das Aristotelische Organon, das etwa bis zur M i t t e des 12. Jh.s vollständig bekannt w a r . 52 Dialectica, p. 146, zit. nach Otte, Dialektik, S. 20. 53 Otte, Dialektik, S. 2 2 - 2 7 ; Horn, Philosophie i n der Jurisprudenz der Kommentatoren Baldus philosophus, i n : lus commune I , S. 104 ff., 124 ff. 54 Es handelt sich u m eine Einführung i n die Kategorienlehre des Aristoteles. 55 Vgl. oben S. 71; Otte, Dialektik, S. 43. Z u „genus" u n d „species" vgl. die grundlegende Schrift v o n Talamanca: L o schema „genus — species" nelle sistematiche dei giuristi romani, die m i r i n großzügiger Weise v o m Verfasser zugänglich gemacht wurde. Leider w a r es infolge der fortgeschrittenen Drucklegung nicht mehr möglich, dieses W e r k i m einzelnen zu berücksichtigen.
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht a) Der formallogische
Charakter der Prädikabilien
Ihren Standort und ihre Aufgabe findet die Lehre von den Prädikabilien i m Bereich des rein formalen Denkens und Ordnens. I n ihrer Verwendung kommt das Bemühen zum Ausdruck, allen Begriffen, m i t der die Rechtswissenschaft arbeitet, eine Einteilung nach formalen Gesichtspunkten zu geben, besser: eine nach rein logischen Bezügen — i m Sinne der formalen Logik — ausgerichtete Katalogisierung und Systematisierung zu finden 58. Dies geschieht, wie Otte gezeigt hat, zuweilen auf dem Wege einer intensionalen, also einer am Inhalt des Rechtsinstitutes ausgerichteten Sicht, bald i n der extensionalen, umfangsmäßigen Summierung von Begriffen unter einen Oberbegriff. Wie auch immer, beide Arten von Systematisierungsversuchen verlaufen i m Gebiet rein formalen Denkens; einmal erwächst die Zuordnung verschiedener Elemente zu einer Klasse unter Berücksichtigung des Umfangs des Namens, das andere M a l nach Maßgabe seines Inhaltes 57 ' 5 8 . Das Schema der fünf Prädikabilien w i r k t also gleichsam wie ein Sieb, das jeden Rechtsbegriff zunächst einmal ohne Beachtung seines konkreten Inhalts einem dieser loci zuordnet. Als „genus" oder „proprium" erfährt es dann eine vertiefte, inhaltsbezogene Erfassung und Bearbeitung anhand der zehn Kategorien 59 . Den extensionalen Gebrauch des genus und der species erläutert das eingangs erwähnte Zitat des Irnerius: „ . . . Huius speciei virtus est genus, virtus enim quatuor principales habet species: iustitia, prudentia, fortitudo, temperantia." 56 Dem entspricht die praktische A n w e n d u n g dieser Methode i m Unterricht, w o der Rechtstext entweder i n sog. Divisionen (eine lediglich an der T e x t quelle u n d dem Begriff ausgerichtete Harmonisierung) oder Distinktionen (an einem praktischen Beispielfall orientiert) erläutert w u r d e ; vgl. dazu insbes. Weimar, S. 140 ff., u n d Wieacker, PrGN, S. 68, m i t dem Z i t a t des Mopha: „ p r o mitto, scindo, summo casumque figuro prolego, do causas, connoto, objicio." 67 Vgl. Weinberger, Rechtslogik, S. 36. 58 Zweifelhaft erscheint die Zuordnung Ottes, Dialektik, S. 45, w o die Klassenlogik als die extensionale u n d die Prädikatenlogik als die intensionale Sicht beschrieben w i r d . Klassenlogik k a n n sowohl umfangs- w i e inhaltslogisch aufgefaßt werden. Entscheidend f ü r den Unterschied zwischen Prädikatenu n d Klassenlogik ist, daß die Klassenlogik sich m i t einstelligen, die Prädikatenlogik m i t mehrstelligen Prädikaten beschäftigt. Insofern ist die Prädikatenlogik k e i n Gegensatz, sondern ein Ausbau der Klassenlogik. Das Gegensatzpaar ist vielmehr Prädikatenlogik u n d Aussagenlogik: die Aussagenlogik berücksichtigt nämlich den inneren A u f b a u eines Satzes nicht. Vgl. dazu Weinberger, Rechtslogik, S. 82 ff., 118 ff., 138 ff. 59 Otte, Dialektik, S. 59 ff.
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
75
Der Begriff der virtus erfährt i n dieser „Definition" keinesfalls eine Beschreibung seines „Wesens", seiner essentiellen Kriterien und Bedingungen, sondern es werden lediglich die vermeintlich vier abschließenden Erscheinungsmodi dieser Eigenschaft aufgezählt, die als Elemente der Klasse „virtus" diesen Begriff umfangslogisch abdecken. I n einem solchen klassenlogisch {sei es extensional oder intensional) formulierten und damit formallogischen Verständnis erschöpft sich nach den neuesten Privatrechtsforschungen die Bedeutung des „Allgemeinen" zur Zeit der Scholastik 80 . N u n hat die Analyse der Allgemeinen Lehren gezeigt, daß rein formallogische Strukturen ihren Charakter nicht zu erklären imstande sind. Allenfalls die bereits Allgemeine Lehren voraussetzende Beziehung zwischen Allgemeinem Teil und den Besonderen Büchern eines Gesetzes ließ sich unter Zuhilfenahme formaler Gesichtspunkte auf ein klassenlogisches Verständnis reduzieren. M i t anderen Worten: Die formallogischen Ordnungsversuche der Glosse können bestenfalls dem nahekommen, was als „äußeres System" zwar eine gewisse Ordnung des Stoffes bewirkt, den funktionalen, materialen Gehalt des Rechtsbegriffes aber außer acht läßt. M i t dieser Erwägung, daß die Prädikabilien und damit das genus und die species formallogische, von außen an die Rechtsbegriffe herangetragene Strukturen i m Sinne topischen Rechtsverstehens sind®1 und daß sich auf dieser Grundlage die Allgemeinen Lehren nicht befriedigend klarlegen lassen, könnte auf ein weiteres Eingehen dieser dialektischen Methode verzichtet werden. Es würde quasi i m negativen Schluß feststehen: Die Glossatoren können keine Allgemeinen Lehren gekannt haben, w e i l i h r „genus" über ein formallogisches Verständnis nicht hinauskam. I m folgenden soll es jedoch unternommen werden, auch positiv den entscheidenden Grund nachzuweisen, der es nicht erlaubt, die Allgemeinen Lehren auf die Stufe des irnerischen genus zu stellen. Das Problem soll an einem Beispiel schrittweise aufgezeigt und gelöst werden: Ausgehend vom intensionalen 62 Gebrauch der Prädikabilien 60 Otte , Dialektik, S. 57: „ . . . Die Isagoge geht davon aus, daß das A l l g e meine stets von den darunter fallenden I n d i v i d u e n ausgesagt werde. Sie entspricht damit ganz der Vorstellung, die m a n sich seit dem Niedergang der Scholastik u n d dem dadurch bedingten Absterben der Suppositionslehre bis heute gemeinhin v o n der Begriffslehre der formalen L o g i k macht, daß sie nämlich das Allgemeine n u r als Klasse kennt." 61 Vgl. Coing , Die juristische F a k u l t ä t u n d i h r Lehrprogramm, i n : Coing, Handbuch I, S. 69 f.; Neusüß, S. 18 ff. 62 Besonders hinzuweisen ist i n diesem Zusammenhang auf die Glosse „paratum inesse" zu D. 32, 47, 1 (zit. nach Otte , Dialektik, S. 6), w o das intensionale u n d extensionale Verständnis M i t t e l p u n k t der Auseinandersetzung ist:
76
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
w i r d der Versuch, ein entsprechendes paralleles Beispiel unter Heranziehung der Allgemeinen Lehren zu finden, zeigen, daß ein solches schlechthin nicht denkbar ist. Der Grund dieser Unmöglichkeit w i r d uns exakt zu jenem Merkmal führen, das die entscheidende Entwicklung zu den Allgemeinen Lehren ausmacht und i m dialektischen Begreifen von genus und species noch nicht angelegt ist. b) Objektsprachliches
genus und metasprachliche
Lehren
Als ein Beispiel des intensionalen klassenlogischen Denkens führt Otte 6 3 ein Zitat aus der Lectura Institutionum 6 4 an: „Postquam . . . de singulis contractibus dictum est, de eorum communionibus et differentiis dicamus, omnes i g i t u r u n i subiciuntur generi: omnes enim sunt contractus . . . huic tarnen generi I I I I accedunt differentie, que I I I I species constituunt. et prima quidem species, idest obligatio que nascit u r ex re, eo ipso differt a ceteris quia re contrahitur, et est iuris gentium, cum stipulatio et l i t t e r a r u m obligatio originem habeant a iure civili, quarta vero species, idest obligatio consensu, i n eo differt a ceteris quod cum i n illis consensus desideratur, et aliis tamen amminiculis indigeant, iste solo consensu perficiuntur."
Fast ist man versucht, Allgemeine Lehren, bzw. ein Allgemeines Institut i n nuce annehmen zu wollen: „ . . . omnes enim sunt contractus ..." Das freilich würde voraussetzen, daß der „contractus" und der „Vertrag" sich auf ein und der nämlichen Abstraktionsebene begegnen. Gerade das aber muß entschieden i n Abrede gestellt werden. M i t der uns heute zu Gebote stehenden Rechtssprache ist der „contractus" schlechterdings nicht adäquat zu übersetzen: Während nämlich „genus inest speciei, n a m si est emptum, est paratum: sed non convertitur . . . E t species inest generi per continentiam: quia i n genere species c o n t i n e t u r . . . " Graphisch ließe sich die aufs erste widersprüchliche Behauptung „genus inest speciei" u n d „species inest generi" etwa folgendermaßen darstellen: species
species
species
species
genus
„species inest generi"
genus species
„genus inest speciei"
63
Otte, Dialektik, S. 49. 64 Eine anonyme, wahrscheinlich aus der Schule des Martinus S c h r i f t Nachweise bei Otte, Dialektik, S. 49, Fn. 42 u n d Fn. 43.
stammende
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
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ein „Vertrag" als „solcher", d.h. als Allgemeines Rechtsinstitut nicht realiter existiert, beschreibt der contractus das jeder Erscheinungsform des Vertrages eigentümliche Kontraktieren, das reale Sich-einig-Sein, also den bei jedem Vertragsmodus zu beobachtenden (und notwendig vorausgesetzten) Lebenssachverhalt des Übereinstimmens von Willenserklärung hinsichtlich ganz bestimmter Rechtsfolgen. Damit konvergiert die Glosse noch ganz m i t der römischen Rechtstradition. „Auch für den Vertrag, die erklärte Einigung zweier oder mehrerer Personen über einen angestrebten Rechtserfolg, haben die Römer weder einen technischen Namen noch eine Theorie. Weder pactum (pactio) noch conventio noch contrahere, contractus sind technische Bezeichnungen für den Vertrag geworden. Contractus ist allmählich zu einer Bezeichnung für die wichtigste Gruppe der schuldrechtlichen Verträge erstarrt 6 5 ." Der Kernpunkt der Auseinandersetzung liegt, wie sich hier abzeichnet, gar nicht auf der Ebene des formallogischen Denkens und Argumentierens. Denn es w i r d schwerlich zu bestreiten sein, daß auch der Begriff des Vertrages i m Zusammenhang m i t der Rechtsgeschäftslehre klassenlogisch gebraucht wird® 6. Der Umfang des Vertragsbegriffes, d. h. die Ausdehnung der Klasse „Verträge" w i r d sowohl extensional als auch unter Bezugnahme auf die inhaltlichen Komponenten beschrieben, die der Gesamtheit der species, sprich: dem Kaufvertrag, dem Mietvertrag etc., eigen sind. Hier wie dort herrscht also klassenlogisches Verständnis. Dagegen verlangt unsere ganze Aufmerksamkeit die Tatsache, daß der contractus „existiert", der Vertrag dagegen nur als ein „solcher", d. h. als technischer Begriff von Bedeutung ist. Der entscheidende Schritt, der das pactum oder den contractus von seiner realen Verknüpfung zum „reinen" Rechtsbegriff transformieren würde, läge i m Übergang vom stark semantischen Verständnis (ja fast objektsprachlichen Gebrauch) zu einer metasprachlichen Fassung funktionaler Sicht. Die Glossatoren verwenden die Rechtsbegriffe, die sie dem Topos des genus subsumieren, i m großen und ganzen unter einem objektsprachlichen Blickwinkel: Das Denotat, bzw. die Designate des sprachlichen Ausdrucks sind immer ganz bestimmte Lebenssachverhalte. Während der contractus das faktische Einigsein als genus ausweist, als ein allgemeines, i n sämtlichen Modi von Verträgen immer wieder vorzufinden65 Käser, Römisches Privatrecht, § 5, I I ; § 38, I ; ders., Gaius u n d die Klassiker, i n : SZ Rom, Bd. 70 — 1953 —, S. 127 ff., insbes. S. 135 ff., 138 f. 66 Vgl. oben i m Zweiten Abschn. unter I 3.
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
des und daher konstitutives Element anerkennt und damit eine objektsprachlich verstandene Klasse beschreibt, hat der „Vertrag" nur eine sprachliche Existenz, nur auf der Ebene der Rechtssprache als Metasprache dient er i n Form einer rechtstechnischen Bezeichnung. Der contractus ist nur denkbar i n einer bestimmten A r t , als emptio venditio oder als locatio conductio oder wie auch immer (er gewinnt hier zwar als Rechtsausdruck auch metasprachlichen Charakter, jedoch m i t starkem semantischen Bezug); einen contractus als „solchen" kennt die Glosse hingegen nicht. Der „Vertrag" ist an eine bestimmte Verwirklichung i n der oder jener Form nicht gebunden; logischerweise kann er dies auch gar nicht sein, denn seine Natur als „reiner Begriff" macht i h n von der Verifizierung i m ontischen Bereich vollständig unabhängig. So ist es theoretisch ohne weiteres möglich, daß es den „Vertrag" oder ein anderes Allgemeines Rechtsinstitut als metasprachlichen Namen zwar gibt, d.h. die Metasprache (Rechtssprache) über dieses oder jenes Rechtsverhältnis diskutiert, die reale Rechtswirklichkeit ein solches aber nicht kennt (ζ. B. w e i l die Rechtsordnung i h m die Anerkennung versagt). Dies leuchtet nach dem o. a. sprachlogischen Exkurs 6 7 auch ein: Denn die Designate der Metasprache sind die Namen einer weiteren Sprachschicht (Objektsprache) und nicht reale Gegenstände oder die Handlungen der Menschen. Was die Allgemeinen Lehren des Bürgerlichen Gesetzbuches von den allgemeinen Begriffen der Glosse unterscheidet, ist die semantische Ebene der Sprache, i n der sie jeweils angesiedelt sind. Während die Glossatoren ganz i n der Nähe einer objektsprachlichen Verwendung der Rechtsfiguren bleiben, zeichnen sich die abstrakten Allgemeinen Z i v i l rechtslehren durch ihren metasprachlichen Standort aus. c) Naturrechtliche
Ansätze
im Denken
der
Glosse?
Daß es aufgrund des oben gefundenen Kriteriums geboten ist, genus und Allgemeine Rechtslehren auseinanderzuhalten, schließt nicht aus, daß hinsichtlich des zweiten Merkmals, nämlich der naturrechtlichen μετάβασις είς δλλο γένο ς, der Weg zur Entwicklung der Allgemeinen Privatrechtslehre schon i n einem früheren Stadium abzweigt. Haben w i r zwar eine fundamentale Disparität zur Glosse und ihrem dialektischen genus bereits gefunden, so bleibt den folgenden Ausführungen die Prüfung vorbehalten, ob es sich insoweit um den einzig trennenden Punkt handelt, oder ob auch die Ableitung von Normen aus dem Ontischen den Glossatoren unbekannt war. 67
Vgl. oben, Zweiter Abschn., I I 3 a.
. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
79
I n seiner abschließenden Bewertung der Prädikabilienlehre betont Otte 6 8 die „Verbindung von Logik und Ontologie". Dies läßt immerhin die Annahme einer μετάβασις εις αλλο γένο ς vom methodischen Standpunkt aus als möglich erscheinen. Gleichwohl sind die entsprechenden Ausführungen Ottes 69 wohl dahin zu interpretieren, daß er der Bejahimg einer μετάβασις είς αλλο γένος fernsteht: „ . . . das Wesen des Menschen spielt — anders als i n der scholastischen Naturrechtslehre — i n den Argumentationen der Glossatoren keine R o l l e . . . " Soweit Otte 7 0 m i t den angeführten Beispielen nachzuweisen versucht, „daß die Lehre von den substantialia und accidentalia contractus nur äußerlichen Gebrauch von der ontologischen Terminologie macht", ist dem voll zuzustimmen. Allerdings, und soweit bedarf es einer Differenzierung, gilt dies — unter Berücksichtigung des von Otte vorgelegten Materials — uneingeschränkt sicher nur nach einer Richtung: nämlich soweit es u m die Überprüfung der Argumentation geht, die bereits m i t inhaltlich fixierten Prädikabilien ausgetragen wird. So, wenn es ζ. B. u m die Rechtsfolgen geht, die i m Hinblick auf einen Mangel bei den substantialia des Kaufes (pretium, res, consensus) zu sichern sind. Pretium, res, consensus sind die notwendigen Bestandteile dieser species; das liegt auf einer ähnlichen Ebene, wie dieselbe Forderung des modernen Vertragsrechts, das für die Einigung beim Kaufvertrag zwei Willenserklärungen verlangt, die sich bezüglich der Parteien, der Leistung und der Gegenleistung decken müssen. Über diese Voraussetzungen für einen wirksamen Kaufvertrag ist nicht mehr zu befinden, wenn die Argumentation auf die Prädikabilien zurückgreift. Deshalb kann auch die nun anschließende Diskussion über ein fehlerhaftes Zustandekommen des Vertrages den „logischen Gehalt der Lehre von den Prädikabilien" 7 1 ganz i n den Vordergrund rücken. Das „Wesen" des Vertrages reicht i n diese Auseinandersetzung nicht hinein, sondern w i r d an einer anderen Stelle „abgeleitet". Dort erst stellt sich die Frage nach einer ontologischen Sicht- und Denkweise, die den Inhalt der Normen möglicherweise nach naturrechtlichem Muster gewinnt. Tatsächlich beobachtet man, daß die Juristen der Glosse das Nebeneinander von Sein und Rechtsnorm i n der Weise betonen, daß das eine 68 69 70 71
Otte, Otte , Otte, Otte,
Dialektik, S. 56. ebenda, S. 53 f. ebenda, S. 54. ebenda, S. 54.
80
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
d e m a n d e r e n entsprechen m u ß : Das Recht h a t das S e i n z u r K e n n t n i s z u n e h m e n u n d die tatsächlichen, i n d e r N a t u r des M e n s c h e n b e g r ü n d e t e n V e r h ä l t n i s s e z u n o r m i e r e n . A u s o n t o l o g i s c h e n S t r u k t u r e n h a b e n rechtsv e r b i n d l i c h e K o n s e q u e n z e n z u f o l g e n oder besser, sie f o l g e n eo ipso, sie s i n d vorgegeben. N i c h t anders w o l l e n die G e d a n k e n des Rogerius über das „ W e s e n " d e r V e r t r ä g e erscheinen: „Sepe euenit, u t i n ius uocati transigant seu alias paciscantur. eaque ratione de pactis i n generali nomine subsistentibus dicit. Pactum uero est consensus duorum seu p l u r i u m i n idem . . . s u m i t u r quidem hoc nomen ad actione pacis: pactum enim d i c i t u r pacis actum, non a percussione u t a n t i q u i dicebant . . . hoc enim u a r i i et inconstantis hominis est, quia quod semel nobis placuit, i d postea displicere n o n debet, t u m fides que ab uno p r o m i t t i t u r (et) ab altero speratur, hoc suadet, et ea que complacita sunt seruentur, cum ueritati hoc debemus ne fallamur, et hoc naturaliter i n nobis inest u t uerum dicamus. I t e m prêtons auctoritate n i t u n t u r , quia pretor sit „pacta seruabo". n o n tarnen sine delectu: spectatur enim t a m ratio facti quam iuris. Factum quidem est, u t unus p r o m i t t a t et alter promittentis fidem sequatur. et hoc fit, sive expressim conuenit sive tacite, n a m propter r e i aequitatem quedem tacite presumuntur et custodiantur, u e l u t i si plures i n solidum teneantur et ab uno pars exigitur. I n iure uero hoc animaduertend u m est, u t pactum a d m i t t a t u r et admissum seruetur. u t autem a d m i t t i possit, merito delectus habetur t u m i n personis, t u m i n rebus, t u m m i x t i m . . . set i d quod p r o m i t t i t u r neque naturae, u t inpossibilia, neque i u r i scripto aduersari debet, nisi forte de iure tuo remit(t)as ita u t publica utilitas ex hoc non ledatur, nec etiam equitati seu bonis moribus, u t pactum de hereditate futura . . . 7 2 " . W i e k a n n m a n das „ W e s e n " des consensus, die B e g r ü n d u n g des s u b s t a n t i a l i u m „ a b actione p a c i s " anders verstehen, als d u r c h eine n a t u r rechtliche A b l e i t u n g i m W e g e d e r μετάβασις είς αλλο γένος g e w o n n e n : „ . . . et hoc n a t u r a l i t e r i n n o b i s i n e s t u t u e r u m d i c a m u s . " Daß n a c h dieser V o r s t e l l u n g die N o r m d e m S e i n f o l g t u n d ontologisch b e g r ü n d e t w i r d , l ä ß t sich v o r d e r h a n d k a u m z u r ü c k w e i s e n : „ . . . s p e c t a t u r e n i m t a m r a t i o f a c t i q u a m i u r i s . . . I n i u r e u e r o hoc anima(d) u e r t e n dum est..." E i n e n ä h n l i c h e n Versuch, d i e V e r t r a g s t r e u e aus d e r „ N a t u r der Sache" z u b e g r ü n d e n , finden w i r b e i Irnerius, dessen A r g u m e n t a t i o n a u f die „equitas" rekurriert: „(Dig. 2, 14) y. Pacta seruare equitàtis est, non eius que pro loco et tempore prout res postulat conveniens dicitur, set eius que natura dictante semper et inconcusse optinet. Namque ipsum genus eius naturale est, i d est fidem prestare. Fides autem est eorum que dicta sunt constantia et ueritas. Dictât
72 Fitting, Summa codicis des Irnerius, I I , 3: „De pactis" (S. 25). Daß es sich hier u m ein W e r k des Rogerius handelt, hat Kantorowicz, S. 35, 152 ff. nachgewiesen. Z u m Streitstand über die H e r k u n f t der Summa Trecensis vgl. Weimar, S. 198 f.
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
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uero p a r t i m racio sola, p a r t i m noster consensus et si cogimur seruare supeiiorem partem, quanto magis inferiorem 7 8 ."
Der Verpflichtungsgrund der pacta, die vertragliche Bindung, ist als Ausfluß der equitas ihrem Charakter und ihrer genuinen Prägung nach durch die Natur selbst bedingt: „ . . t Namque ipsum genus eius naturale est, i d est fidem prestare." So scheint es i n der Tat angemessen, i m Hintergrund der Lehre von den Prädikabilien eine Naturrechtsdoktrin der Glossatoren zu vermuten, die der materiellen Auffüllung der formallogisch gebrauchten Topoi dient. Hier möchte man das Einfallstor für den i n unserem Zusammenhang bedeutsamen Schritt der μετάβασις εις αλλο γένος sehen. Z u diesem Ergebnis gelangt auch eine Untersuchung jüngeren Datums von Rudolf Weigand, der — soweit ersichtlich — bislang als einziger versucht hat, den Nachweis einer (wenn auch i m einzelnen recht differenzierten) Naturrechtslehre bei den Glossatoren zu führen 7 4 . Seine eher aus theologischem denn juristischem Ansatz betriebenen Ausführungen haben Eingang i n neueste Veröffentlichungen zur Privatrechtsgeschichte gefunden 75 , so daß — erinnert man sich an die bündige Ablehnung Ottes — die Frage nach naturrechtlichen Quellen und Überwölbungen i m Denken der Legistik als streitig und bisher ungeklärt angesehen werden darf. Dies hängt nicht zuletzt daran, daß neben der Auswertung des historischen Materials eine methodologisch ausgerichtete Untersuchung größeren Umf angs noch aussteht. I m Rahmen dieser Arbeit muß daher dahingehend Stellung genommen werden, ob die o. a. Zitate als Ausdruck einer von der Glosse i m 12. und 13. Jh. gepflegten Naturrechtslehre verstanden werden dürfen. Z u r Beantwortung steht dabei allein das Problem u m die spezifisch naturrechtliche μετάβασις i m Zusammenhang m i t der Ausbildung der A l l gemeinen Lehren an. Es geht insbesondere darum: Darf von einer Naturrechtslehre, d. h. von einem Verständnis gesprochen werden, das „lehrmäßig" der Vermittlung zivilrechtlicher Normen aus ethisch-moralischen Kategorien das Wort redet, m i t h i n : W i r d die Ableitung von Normen aus Seinsbeständen oder psychologisch fixierten Standorten als dogmatisches Prinzip des Zivilrechts anerkannt (oder zumindest zugrundegelegt), wenn die juristische Gedankenführung der Glosse sich bei der Begründung der Vertragstreue an „natürlichen" Einsichten ausrichtet? 73 Zit. nach Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten u n d Dekretisten von Irnerius bis Accursiue u n d v o n Gratian bis Johannes Teutonicus, S. 20 f. 74 Vgl. Fn. 73. 75 Insbes. bei Horn, Aequitas i n den Lehren des Baldus; dieser verweist über weite Strecken auf Weigand; vgl. ζ. B. dort, § 2, Fn. 23,24; § 7 Fn. 1,2,11, 23, 25, 26 etc. ; ebenso Wesenberg/Wesener, S. 39.
6 Lipp
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
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Weigands Anliegen ist es, die Erkenntnis zu vermitteln, „ . . . wie stark das Naturrecht i n manchen seinen Einzelfragen stets umstritten war, trotz aller grundsätzlicher Anerkennung des Naturrechts selbst" 76 . Seiner Meinung nach muß davon ausgegangen werden, daß eine — schließlich als Lehre ausgeformte — Naturrechtsdiskussion die Glosse beherrscht hat, die nicht n u r h i n und wieder den Begriff „Naturrecht" anzieht, u m der oder jenen Diskussion das vom Legisten gewünschte Ergebnis als plausibles Argument entnehmen zu können 7 7 . Zusammenfassend w i r d man seine Ausführungen dahin zu interpretieren haben, daß als „die" Naturrechtslehre der Glosse das scholastische, moraltheologisch fundierte Naturrechtsdenken vorherrscht. Ein solches verdeutlicht sich dem Leser zunächst durch seine Bewertung der justinianischen Quellen: „ . . . Das Naturrecht w i r d jetzt bewußt auf Grund der christlichen Spekulation als ein übernationales allen Völkern gemeinsames göttliches Recht aufgefaßt 78 ." Allerdings k o m m t auch Weigand zu dem Ergebnis, daß die „neue Naturrechtsauffassung" n u r i n unvollständiger Konsequenz i m Corpus iuris civilis berücksichtigt und nicht immer frei von zweifelhaften K o l l i sionen m i t anderen Quellennachweisen ist 7 9 . Den beschriebenen Grundtenor der Arbeit setzt die Würdigung der legistischen L i t e r a t u r fort, so beispielsweise die Stellungnahme zu Irnerius: „ . . . I n der Natur sieht Irnerius die Form für das richtige Verhalten grundgelegt . . . Diese N o r m oder Richtlinie, die zugleich eine natürliche Neigung ist, wurde von Gott i n die Natur und damit auch i n den Menschen hineingelegt . . . Das menschliche Recht ist die (immer unvollkommene) „Ubersetzung" der natürlichen gerechten Ordnung i n konkrete Rechtsbefehle.. . 8 0 ." 76
Weigand, S. 7. Vgl. Fn. 76 sowie Weigand, S. 16: „Jedenfalls hat die Aufnahme der verschiedenen Naturrechtsdefinitionen i n das Corpus iuris civilis . . . sie gezwungen (die Glossatoren), ihre ganze Geisteskraft einzusetzen, u m zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis zu kommen." 78 Weigand, S. 15; ähnlich Archi, „ L e x " e „natura" nelle istitutioni d i Gaio, i n : FS Flume, 3 ff., 22: „ N e l paragrafo giustiniano . . . si viene come a creare una situazione gerarchica: da una parte, fuori della storia, g l i tura naturalia sorrastano nella loro i m m u t a b i l i t a assoluta. Dall' altra parte gli iura civilia, a proposito dei quali si introduce l'espressione di iuris nomen, assumono i l carattere d i essenze l a b i l i . . è u 79 So dient i h m die Stelle Inst. 1, 2, 11 zum Nachweis „der Verankerung des Naturrechts i n Gott und seiner Vorsehung" (S. 15); „Sed naturalia quidem 77
iura, quae apud omnes gentes..., divina quadam Providentia constituta...",
während i n Inst. 2, 1, 11 „ . . . das Naturrecht n u r auf die Natur der Dinge zurückgeführt und m i t keinem Wort die Verankerung i n Gott erwähnt" w i r d . 80 Weigand, S. 23. Dieser Sichtweise, die einen anscheinend nahtlosen Übergang von den Byzantinern zu den Glossatoren annimmt, kann nicht beigetreten werden: Was für die von griechischem Geist beeinflußten Byzantiner
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
83
So w i r d die aequitas zur naturrechtlichen Formel, i n der — das gilt nach Meinung des Autors für Irnerius und die folgenden Glossatoren 81 — „die i n den Dingen selbst gelegene objektive Norm" zum Vorschein kommt. Dieser, gegenüber der iustitia abzugrenzenden aequitas mißt Weigand i n den für i h n entscheidenden Zitaten „genau die Bedeutung" zu, „wie w i r sie heute mit dem Wort Naturrecht verbinden" 8 2 . Wenn auch die Entwicklungslinie der beschriebenen Naturrechtslehre bei der nachirnerischen Generation „einige deutliche Nuancen" 8 3 annimmt, dann aber bei Azo und ähnlich bei Accursius wieder abklingt und sich i n der fünffachen Auffächerung des Naturrechtsbegriffes nivelliert 8 4 , so kommt Weigand am Ende des Überblicks über die Legistik doch zu dem Schluß: „Der umfassendste Ausdruck für das ideale Recht schlechthin ist für die Legisten jedoch mindestens i n der ersten Zeit, noch stärker als i n den Quellen des römischen Rechts, das Wort a e q u i tas." Es bleibt zu konstatieren: Die Glosse bedient sich der aequitas als der Trägerin und Vermittlerin sittlich-ethischer Komponenten, die i n der Verzahnung m i t dem göttlichen Recht eine Färbung katholisch-moraltheologischer Provenienz erlangen. Diese Auffassung Weigands vermag nicht i n jeder Hinsicht zu überzeugen. Insbesondere erscheint die Theorie einer Naturrechts lehre, die i n der aequitas eine außerhalb des Corpus iuris stehende Rechtsquelle (das nämlich bedeutet „Naturrechtslehre") sehen möchte und die sie damit i n die Funktion eines Korrektivs gegenüber „falschen" 85 Gesetzesbestimmungen der justinianischen Kompilation (für die Glossatoren immerhin die ratio scripta abendländischer Rechtskultur), drängt, als überbewertet und so die Bedeutung der aequitas innerhalb der auf Harmonisierung der Texte angelegten Arbeitsweise der Glosse zweifelhaft gewichtet 86 . Weigand setzt sich i n diesem Punkt nicht m i t der einschlägigen rechtshistorischen Literatur auseinander; so hätte es vor allem nahe gelegen, gelten mag, auf die sich Archi beschränkt (hierzu bes. Pringsheim, lus aequum u n d ius strictum, SZ Rom Bd. 42 — 1921 —, S. 643 ff.), hat f ü r die Glosse — w i e zu zeigen sein w i r d — keine Aussagekraft. 81 Weigand, S. 21. 82 Weigand, S. 21. 83 Weigand, S. 38. 84 Weigand, S. 51 ff., 58 f., 61. 85 Verstanden als einen Widerspruch zu moraltheologisch intendierten F o r derungen. 86 Diese K r i t i k beschränkt sich auf den rechtshistorischen Aspekt.
6*
84
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
Hermann Langes erweiterten Habilitationsvortrag „lus aequum und ius strictum bei den Glossatoren" 87 m i t i n die Erörterung einzubeziehen. Dies um so mehr, als Weigand unter Heranziehung und Auswertung ganz ähnlicher Gedanken und Quellen 88 zu durchwegs differierendem Befund gelangt. Ausgang für eine korrekte historische Beurteilung der Frage nach der naturrechtlichen Qualität der o.g. Glossenzitate muß nach unserem Dafürhalten die unbestrittene Tatsache sein: „ . . . Die . . . Autorität war für alles Rechtsdenken zufolge des heilsgeschichtlichen Ursprungs des Reichs das justinianischen Corpus Iuris, und es ist mehr als ein Spiel m i t Worten, wenn man sagt, es habe über das mittelalterliche Rechtsbewußtsein die Gewalt einer Rechtsoffenbarung gehabt. Der mittelalterliche Geist hat es sich nicht i n einem A k t freier Entscheidung zugeeignet, wie spätere mündige Zeiten, sondern als heiligen Text einer immer gegenwärtigen Ordnung des eigenen Seins angenommen 89 ." N u r vor diesem Hintergrund ist die scholastische Methode der Glossatoren, die ihre typischen Deiikfiguren i n Distinktion und der Division hat, als konsequente und immittelbar von der überwältigenden A u t o r i tät getragene Auseinandersetzung m i t den Rechtstexten zu verstehen. Sie ist ganz und gar nicht darauf angelegt, i n kritischer Rüge zum Corpus iuris neues Recht zu schaffen, sondern w i r d beseelt von dem Drang, den Nachweis der Richtigkeit und des nur scheinbaren Widerspruches einzelner Quellen zu erbringen 90 . Wenn deshalb Weigand die Glosse des Irnerius vor einem geistigen Habitus zeichnet, der das menschliche Recht — und hierzu zählt das Corpus iuris — als „die (immer unvollkommene) ,Übersetzung' der natürlichen gerechten Ordnung" 9 1 betrachtet, so kann dieser Meinung schon aus dem Grund kaum gefolgt werden, w e i l es dann vollkommen unver87
Abgedruckt i n SZ Rom, Bd. 71 — 1954 —, S. 319 ff. Besonders deutlich w i r d dies, w o Weigand, S. 30, Fn. 21, auf das Fragm e n t u m Pragense zu sprechen k o m m t u n d der anschließende T e x t — S. 31 — die Topica des Cicero (4,23) e r w ä h n t ; vgl. insoweit Lange, S. 321 f., i. V. m. Fn. 11. 89 Wieacker, PrGN, S. 50. 90 Wieacker, PrGN, S. 54 ff.; Wesenberg/Wesener, S. 28; interessant ist i n diesem Zusammenhang auch ein Blick auf das Prozeßrecht, w o trotz der spürbaren Unzulänglichkeiten der actio an diesem Begriff festgehalten w i r d . „Denn er w a r j a Bestandteil der justinianischen Quellen, denen das M i t t e l a l t e r — w i e der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern u n d den Werken v o n Aristoteles — eine unbezweifelte A u t o r i t ä t beimaß." (Kaufmann, Z u r Geschichte des aktionsrechtlichen Denkens.) 91 Weigand, S. 23. 88
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
85
ständlich bliebe, weshalb ausgerechnet dieses römische Recht, das spätere abendländische Kaiserrecht zur Zeit der Glosse tatsächlich eine derart unangefochtene Stellung eingenommen hat; unverständlich bliebe, weshalb das gesamte literarische Repertoire dieser Zeit (Distinktion und Division) darauf aus war, durch immer feinere Zergliederung und Spaltung der Begriffe gerade die vermeintliche „Unvollkommenheit" des Gesetzbuches, der schriftlich festgehaltenen Vernunft, als nicht existierend darzulegen 92 . Ähnliche Zweifelsfragen werden laut, wenn Weigand i m Zusammenhang m i t dem Institut der Sklaverei fortfährt: „Diese ganzen Überlegungen machen deutlich, wie sehr ein Großteil der Glossatoren den Text einfach und ganz richtig erklärte, auch i n die richtigen Zusammenhänge einordnete, aber auf die sich anbahnende Wandlung der Zeitanschajuung und Umweltverhältnisse zunächst keine Rücksicht nahm. Es ist nicht zu leugnen, daß die Wiederentdeckung des römischen Rechts ein retardierendes Moment i n der Rechtsentwicklung war. Neben den unbestreitbaren Vorteilen, welche die Entdeckung des Corpus iuris civilis m i t sich brachte, dürfen diese Nachteile nicht übersehen werden." Soll damit gesagt sein, daß die Glosse, beeinflußt von der Autorität des römischen Rechts, aber durch die moraltheologische Befrachtung des Naturrechts aufgeklärt, „zunächst" sich noch der Tradition anschloß, später aber zu besserer Einsicht gelangte? (Dann müßte erwähnt werden, daß es erst und gerade das Naturrecht als Vernunftrecht war, das die Bindungen an die römisch-rechtlichen Vorstellungen löste und nicht das Naturrecht der Hochscholastik.) Weigand selbst bestreitet nicht die nirgends vorzufindende Ablehnung der Sklaverei 98 . Es bleibt dann aber zu fragen: Hätte es unter dem Einfluß der aequitas-Lehre, die nach Weigand bei Martinus beispielsweise durch die Identifikation m i t Gott selbst 94 „unangreifbar" gemacht werden sollte, nicht nahe gelegen, i n Opposition zur römischen Rechtsauffassung zu treten 95 ? Es zeigt sich, daß die von Weigand vertretene Ansicht einer Naturrechtslehre, wie w i r sie heute verstehen 98 , kaum m i t der ganz herrschen92
Dazu noch einmal Weimar, S. 140 ff. A.a.O., S. 78. 94 A.a.O., S. 30. 95 Zuzugeben ist freilich, daß es der katholischen Theologie trotz der Lehre von der göttlichen Ebenbüdlichkeit des Menschen selbst i n späterer Zeit n o d i recht schwergefallen ist, Vorbildlichkeit i n diesen Fragen zu demonstrieren; zu verweisen ist dabei vor allem auf Thomas v. Aquin, Summa contra gentiles L i b . I I I , cap. 81; K o m m e n t a r zu Aristoteles* P o l i t i k I, lect. 1. 96 Daß diese „Naturrechtslehre" i m Grunde eben keine rechtliche Relevanz zeitigte, sagt Weigand selbst sogar i m Hinblick auf die Kanonisten i n einem späteren Beitrag: Die Rechtslehre der Scholastik, bei den Dekretisten u n d Dekretalisten, S. 68: „Die Kanonisten ziehen aus der v o n ihnen . . . vertretenen 98
86
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
den rechtshistorischen Sicht zu vereinbaren ist und darüber hinaus Konsequenzen artikuliert, die angesichts der gesetzten Voraussetzungen zumindest fragwürdig bleiben. Der Weg zur Erklärung der aequitasLehre der Glossatoren muß nicht weniger i m Anschluß an die unbedingte Richtigkeitsgewähr der römischen Rechtstradition gesucht werden. Das römische Recht war für die Glosse „Naturrecht kraft geschichtlicher Würde und metaphysischer Autorität und nahm i m Gesamtentwurf des mittelalterlichen Rechtsdenkens den Rang einer allgemein verbindlichen Moral ein" 9 7 . Nur von diesem Ansatzpunkt aus läßt sich die Lehre der aequitas sachgerecht erschließen, nämlich eingebettet i n die scholastische Methode als Distinktion: hic de aequitate — i b i de stricto iure 9 8 . I n dieser Funktion sehen die Glossatoren die aequitas als eine aequitas scripta, also als eine nicht neben dem Gesetz stehende Rechtsquelle, sondern als eine, die i m Corpus iuris selbst begründet ist. „Sie (die Glossatoren) haben vielmehr, zuweilen weit über die justinianischen Texte hinausgehend angenommen, daß dem Corpus iuris zu einem guten Teil ein System von Entscheidungen nach dem strengen Recht und Entscheidungen nach aequitas zugrunde l i e g t . . . " . " Daß diese textbezogene aequitas auch für Martinus Gültigkeit und Verbindlichkeit besitzt, hat Lange ausdrücklich hervorgehoben 100 : „Er stützt sie aber auch n i c h t . . . , auf einen i h m unterstellten Anspruch auf freie Rechtsfindung, sondern auf die aequitas scripta und die durch die Annahme eines Gegensatzes von ius aequum scriptum und ius strictum scriptum gewonnene Interpretationsfreiheit 1 0 1 ." Hier dringt wohl der Versuch ans Licht, über die Exegese hinaus die Interpretation der Quellen voranzutreiben, aber — und das ist höchst bemerkenswert — die Legitimation dieser extensiven Auslegung und
Meinung, daß alle Menschen auf G r u n d des Naturrechts frei geboren w u r d e n oder werden, keine praktische Konsequenz, w e i l die soziale Ordnung ihrer Zeit eine ganz andere war. Sie harmonisieren vielmehr die (zivil)rechtlich zugestandene u n d geregelte Sklaverei m i t der Freiheit aller Menschen k r a f t N a t u r r e c h t s . . . " Ganz deutlich setzt sich also das römische ius gentium gegenüber einer naturrechtlichen μετάβασις είς άλλο γένος durch. 97 Wieacker, PrGN, S. 51 ; ganz ähnlich Troje, Wissenschaftlichkeit u n d System i n der Jurisprudenz des 16. Jh.s, S. 65, wenn auch i n anderem Zusammenhang, i n : Philosophie u n d Rechtswissenschaft, S. 63 ff. 98 Lange, S. 333. 99 Lange, S. 333; vgl. auch 323 u n d 331 f. 100 A.a.O., S. 328 f. 101 A.a.O., S. 337; vgl. auch S. 338.
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
87
Ergänzung w i r d i m Corpus iuris selbst (und nicht durch eine angebliche Naturrechtslehre außerhalb desselben) gesucht (und gefunden) 102 . So muß uns die Lehre der aequitas, ebenso wie die Gewinnung von Rechtsvorschriften aus der „Natur" eher als ein Topos erscheinen, der — nicht anders als sonst — der Harmonisierung, Auffüllung und Ergänzung der Quellen dient oder i m Anklang an das klassische Verständnis schlichtweg bedeutet, „daß die Fallentscheidung so und nicht anders lauten müsse" 103 . Der toposhafte Charakter der „Natur der Sache" erhellt i n besonderer Weise dort, wo der inhaltlichen Aussage nach nicht mehr und nicht weniger i n der Glosse erscheint, als bereits i m Corpus iuris civilis fixiert ist. Hier schlägt, wie Franz Wieacker es genannt hat 1 0 4 , die Vorstellung durch, daß das römische Recht „Naturrecht kraft geschichtlicher Würde und geschichtlicher Autorität" ist. Ebenso verfehlt wäre es, jene Rechtsfolgen, die sich einer „natürlichen" Betrachtungsweise als selbstverständlich aufdrängen, die durch die natura angezeigt sind, einer anderen Rechtsquelle als jener zuzuweisen, aus der auch das ius scriptum fließt; es würde bedeuten, diese ü b e r g r e i f e n d e K o n v e r g e n z z u übersehen.
Unter diesem Aspekt müssen auch die o. g. Zitate gesehen werden, so jenes des Rogerius 105: „ . . . Persona ea esse debet, ut consentire possit et suarum rerum administrationem habeat et neque natura neque iure excludatur. furiosum quidem natura excludit. pupilli uero et h i i quibus bonorum administratio a pretore interdicta est iure r e p e l l u n t u r . . . . . . set i d quod promittitur neque naturae, u t inpossibilia, neque i u r i scripto aduersari d e b e t . . . " Daß dem furiosus die Geschäftsfähigkeit „natürlicherweise" mangelt, ist ein seit alters anerkannter Rechtssatz und das Institut der cura furiosi 1 0 6 belegt, daß es sich dabei nicht um ein 102 M a n muß deshalb richtigerweise diese Probleme als solche der I n t e r pretation u n d Auslegung der Quellen sehen u n d nicht als eine naturrechtliche Neubegründung v o n Normen entgegen dem römischen Recht. V ö l l i g zu Recht weist Sbriccoli, S. 86, darauf hin, daß die mittelalterliche Rechtsepoche dem Begriff der Interpretation einen w e i t breiteren Raum zugerechnet hat als u n sere Zeit dies tut. „Mentre per n o i cioè, interpretazione significa presa d i coscienza del valore d i i m a norma ai f i n i della sua applicazione, per i giuristi intermedi i l concetto andava oltre: accanto al quelle attività, sostanzialmente creative d i nuovo diritto, volte alla elaborazione dei concetti e dei precetti giuridici ai f i n i del loro accrescimento." I n dieser Richtung w o h l auch Weigand, Fn. 96, S. 73: „ M i t einer ,Interpretation 4 k a n n gegebenenfalls sehr viel erreicht werden, w e n n sie n u r großzügig genug gehandhabt w i r d ! " 103 Lange, S. 324. 104 Vgl. oben Fn. 97. 105 Fitting , S. 25 f. 108 Dig. 27,10: De curationibus furioso . . .
3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
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naturrechtliches Problem i n dem Sinne handelt, daß ius scriptum und die natura zueinander i n Divergenz geraten; sondern es geht allenfalls insofern um ein naturbedingtes Phänomen, als durch die organische Vorgegebenheit ein bestimmtes Ergebnis i n rechtlicher Dimension unabweisbar ist. Selbstredend w i r d diese Norm von der ratio scripta römischen Rechts gedeckt 107 . Diese Verwendung der Topoi „natura" und „aequitas" hat Weigand zwar auch gesehen 108 , sie jedoch unter Hinweis auf die aequitas rudis allzu sehr i n ihrer Bedeutung vernachlässigt 109 . W i r kommen so zu dem Ergebnis, daß bei der Argumentation der Glossatoren aus der „Natur der Sache" heraus nicht eine Naturrechtslehre i m Sinne einer außerpositiven Rechtsquellentheorie anklingt, sondern zwar ontologische Strukturen m i t i n die rechtliche Würdigung einfließen, diese aber stets i m Rahmen der von der ratio scripta gezogenen Grenzen ihre Ausprägung finden: sei es, daß das ius scriptum explizite Äußerungen enthält, sei es, daß über den Weg der Distinktion „eine Quellenstelle gegen die andere ausgespielt" w i r d 1 1 0 . Zusammenfassend kann gesagt werden: Der Lehre der Prädikabilien wächst i m rechtstechnischen Umgang eine durch und durch formallogische Aufgabe zu. Die Frage nach dem „warum", nach dem Inhalt dieser dialektischen loci w i r d scheinbar auch nach dem Vorbild vermeintlich fest geprägter ontologischer Muster beantwortet. Bei näherem Zusehen stellt sich jedoch heraus, daß sich dahinter kein naturrechtliches Argumentieren verbirgt, sondern ein weiterer Topos der scholastischen loci-Methode Fuß faßt. N u r i m Rahmen der quellenmäßigen ratio scripta kommt der „Natur der Sache" Relevanz zu, nicht aber als einer außerjuristischen Rechtsquelle. Die Aufgabe der Glosse w a r nicht die kritische Auseinandersetzung m i t den Quellen, sondern die Harmonisierung scheinbarer Widersprüche i n den Texten 1 1 1 .
107
So auch Horn, Aequitas, S. 8/9. Weigand, S. 26. 109 Daß auch die aequitas rudis nicht den v o n Weigand gezogenen Konsequenzen gerecht w i r d , hat Lange, S. 331 f. nachgewiesen. 110 So Lange, S. 340, i m Zusammenhang m i t der actio u t i l i s ex aequitate. F ü r die Zeit der Konsiliatoren bestätigt Horn, Aequitas, S. 66, diese A u f fassung zu Recht, w e n n er schreibt: „ . . . Der materielle I n h a l t des ius naturale w i r d weitgehend durch die justinianischen Quellentexte bestimmt, i n denen eine Reihe von Rechtsgrundsätzen dem ius naturale zugerechnet werden." 111 Z u den quaestiones legitimae vgl. Weimar, S. 142. 108
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
89
Von daher war die Fortsetzung des römischen objektsprachlichen Denkansatzes schon angebahnt. Das Bestreben, de lege ferenda Normen oder Rechtsinstitute zu schaffen, die i n diesem Stadium notwendig metasprachlich hätten formuliert werden müssen, war nicht das Anliegen der Glosse, bzw. wurde über die Interpretation gewonnen. Solange die Prädikabilienlehre (und so auch das genus und die species) i n dieser Tradition der formallogischen Klassifizierung dienten, war nicht zu erwarten, daß ein entscheidender Anstoß zur Ausbildung Allgemeiner Lehren geliefert wurde. Diesen geistigen Hintergrund, der zu damaliger Zeit ein kritisches Rechtsdenken nicht zuließ, könnte man i n Abwandlung des Wortes von Thomas von Aquin „ens et bonum convertuntur" beschreiben: ens et ius (Romanum) convertuntur. Von den beiden konstitutiven Merkmalen Allgemeiner Zivilrechtslehren ist dem mos Italicus zur Zeit der Bologneser Schule weder die naturrechtliche Ableitung rechtlicher Aussagen aus tatsächlichen Vorgegebenheiten bekannt, noch vermag die Glosse den Schritt vom objektsprachlichen Ausgangspunkt zum funktional-metasprachlichen Rechtsdenken zu vollziehen. A n dieser Stelle ist weder Raum noch Zeit, den tieferen Konsequenzen des gefundenen Ergebnisses nachzugehen und die Frage nach einem „System" der Glossatoren auf zuwerf en 112 . Eines jedenfalls scheint sicher: Der Dogmatik des mos Italicus fehlen i n jenen Gründer jähr en der Glosse die unabdingbaren Konstitutiva, ohne die die Ausbildung eines Systems nach Maßgabe Allgemeiner Lehren nicht denkbar ist. 2. Die Konsiliatoren
I n der Bindung an die römischen Quellen und unter verstärkter H i n wendung zur Auseinandersetzung m i t praktischen Problemen vollzieht sich die weitere Entwicklung des mos Italicus. Gegen die Mitte des 13. Jh.s mündet der Abschluß der glossa ordinaria i n das Schaffen der Konsiliatoren ein, die m i t den ihnen eigenen Literaturgattungen des Kommentars und des consilii 1 1 3 die Vollrezeption 1 1 4 des römischen Rechts ins Rollen bringen 1 1 5 . 112 Vgl. oben Fn. 40; fraglich i n seiner apodiktischen A r t Seckel, Die A n fänge der europäischen Jurisprudenz i m 11. u n d 12. Jh., i n : SZ Rom, Bd. 45 — 1925 — S. 391 ff. 118 Dazu Horn, Die legistische L i t e r a t u r der Kommentatoren u n d der A u s breitung des gelehrten Rechts, i n : Coing, Handbuch I , S. 261 ff., insbesondere S. 321 ff. u. 336 ff.; ders., Die juristische L i t e r a t u r der Kommentatorenzeit, i n : l u s commune I I , S. 83 ff. 114 Z u r modernen Sicht des Rezeptionsvorganges vgl. Molitor/Schlosser, S. 26 ff. m w N . 115 Z u r Bedeutung der Konsiliatoren i m allgemeinen vgl. Wieacker, PrGN, S. 8 0 - 9 6 ; Wesenberg/Wesener, S. 41 - 57.
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
Dabei w i r d allenthalben an die dogmatischen Leistungen der Glosse, die i n ihrer wissenschaftlichen Handhabung w o h l verfeinert und modifiziert, ihrer methodischen Grundtendenz nach jedoch keinem Strukturwandel unterworfen werden, angeknüpft, so daß „ . . . als allgemeines Kennzeichen des Denkstils der Kommentatoren . . . schließlich die bewegliche, nicht durch systematische Richtlinien eingeschränkte (topische) Verwendung von einzelnen Quellenaussagen i n der juristischen Argumentation" 1 1 8 hervortritt. Das bedeutet: Es w i r d der formallogische Charakter der juristischen loci und damit auch ein Verständnis von Allgemeinem und Besonderem beibehalten, das uns ausführlich bereits i m Rahmen der Prädikabilienlehre und deren Bedeutung für die Glossatoren beschäftigt hat. Soweit ist sich die gegenwärtige rechtshistorische Literatur 1 1 7 einig: Die Konsiliatoren nehmen die der Dialektik entstammende Methode der Glosse auf, ohne daß sie zu einem genuinen Neuansatz methodologischdogmatischen Arbeitens finden. I m vorliegenden Zusammenhang mag es deshalb genügen, die kontinuierliche Entwicklung lediglich an einzelnen, zeitgenössischen Rechtsproblemen beispielhaft aufzuzeigen, um so die Fortführung der formallogischen Argumentation i n ihrer objektsprachlichen Fassung zu belegen. 116
Horn, Die legistische L i t e r a t u r der Kommentatoren u n d der Ausbreitung des gelehrten Rechts, S. 261 ff., S. 263/264; zum fließenden Übergang v o n der Glosse zu den „Postglossatoren", ders., ebenda, S. 261 f., u. Otte, Dialektik, S. 8 ; vgl. auch Wesenberg/Wesener, S. 44, i Z m der Eigentumslehre u n d Weimar, Die legistische L i t e r a t u r der Glossatorenzeit, S. 139. 117 H i e r i n liegt ein wichtiges Ergebnis der Legistik-Forschung dieses Jh.s, das kritische Modifikationen am vorher üblichen B i l d der Konsiliarepoche notwendig gemacht hat; dort w a r die Sicht Savignys bestimmend, der den dialektischen Einfluß erst bei Jacobus de Ravanis u n d Raimundus Lullus ansetzt (Geschichte des römischen Rechts, Bd. V, S. 605, 609; vgl. dazu Genzmer, K r i tische Studien zur Mediaevistik I, i n : SZ Rom, Bd. 61 — 1941 — S. 276 ff., insbes. 294 ff.). A u f ein näheres Eingehen der Arbeiten Lulls (um 1235 bis 1315) w i r d verzichtet, da sein Werk, insbes. die A r s j u r i s particularis, auf die Rechtswissenschaft nachweislich keinen Einfluß ausgeübt hat (vgl. Stephanitz, S. 36; Savigny, Geschichte, Bd. V, S. 618/619). Es darf jedoch der Meinung Stephanitz die Lull als einen „einsamen Vorläufer einer späteren methodischen Richtung der Rechtswissenschaft, die sich an der Mathematik orientierte" (S. 36), einordnet, kritisch begegnet werden. Das Grundlagenwerk seiner A r s magna, die Logica nova (1303), k a n n durchaus nicht m i t der Arbeitsweise späterer Wissenschaftler, die etwa „more geometrico" das Recht zu deduzieren suchten, v e r glichen werden. Sein „arbor naturalis et logicalis" spiegelt doch noch (ebenso w i e das ganze i n sieben Distinktionen angelegte Werk) ganz massiv aristotelisches Verständnis der Prädikabilien- u n d Prädikamentenlehre wider. Z u m genus u n d zur species darf auf die Distinctio I I verwiesen u n d hieraus, u m die Nähe zur Glosse zu demonstrieren, folgendes Z i t a t genommen werden: Glosse „species a genere" zu Inst. 1, 2, 4: „Est autem genus, quod praedicatur de pluribus differentibus specie: u t
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a) Bartolus de Saxoferratis 118: genus und species in der Lehre vom dominium Eine bereits zu Zeiten der Glosse i n Gang gekommene Auseinandersetzung betraf das Verständnis der Quellen D. 7,1, 4 und D. 50,16, 25. Beide Textstellen beziehen sich auf die Frage, i n welchem Verhältnis zueinander usus fructus und dominium stehen. Ihre juristischen Aussagen scheinen widersprüchlich: „Usus fructus i n multis casibus pars dominii e s t , . . ( D . 7,1, 4) „ . . . quia usus fructus non dominii pars est, sed servitutis s i t . . (D. 50, 16, 25) Diese Diskrepanz nimmt Bartolus auf und entwickelt i m zähen Ringen u m die Harmonisierung der Quellen seine Lehre vom dominium 1 1 9 , wobei er stets an die Erkenntnisse der Glossatoren anschließt. (Immer wieder dokumentiert sich der fließende Ubergang von der vergangenen Epoche der Rechtsentwicklung zur jeweils gegenwärtigen 120 ). U m den Widerspruch der zitierten Digestenstellen als einen scheinbaren zu entlarven, bedient sich Bartolus einer Argumentation, die unsere Aufmerksamkeit schon früher i n Anspruch genommen hat 1 2 1 ; die Auflösung w i r d durch die Koppelung zweier logischer Distinktionen erreicht, wobei einmal ein extensionaler Standpunkt eingenommen wird, das andere Mal eine inhaltslogische Sicht herrscht. Zur Erklärung der Stelle D. 50, 16, 25 w i r d ein extensional umfassender Begriff apostrophiert: dominium als ein ius i n re, das sowohl das Sacheigentum, als auch ein Recht an unkörperlichen Gegenständen beschreibt 122 . Der Text spricht i n D. 50, 16, 25 aber lediglich das dominium als Recht an körperlichen Sachen i m Sinne des Sacheigentums an m i t der Folge, animalium aliud rationale, aliud irrationale . . . species autem est, quae praedicatur de pluribus differentibus numero: u t h o m i n u m alius Titius, alius S e i u s . . . " (zit. nach Otte, Dialektik, S. 45) Lullus, Logica nova, S. 19 u n d 22: „Genus quid est? Genus est ens consideratum et valde confusum, quod praedicatur de pluribus specie differentibus: u t animal de homine, leone, anquilla . . . Species quid est? Species est ens quod praedicatur de p l u r i bus individuis numero differentibus: u t de sorte, de Piatone etc. q u i sub humana specie continentur." 118 1314 bis 1357. 119 Dazu ausführlich Coing, Z u r Eigentumslehre des Bartolus, i n : SZ Rom, Bd. 70 — 1953 — S. 348, 371. 120 Coing, ebenda, S. 349; vgl. ferner S. 355, 357 f. 121 Gl. „ p a r a t u m inesse" zu D. 32, 47,1; oben Fn. 62. 122 Coing, ebenda, S. 349.
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht
daß dieses, ebenso wie der usus fructus als einzelne species zwar jeweils dem genus des ius i n re untergeordnet und m i t h i n „pars domimi" sind, i n ihrer Beziehung zueinander aber als besondere Erscheinungsformen des genus auf logisch gleichrangiger Ebene stehen. Diese Gleichordnung ist für die Auslegung maßgebend: „ . . . Usus fructus non dominn pars est..." Zugleich wäre auch D. 7, 1, 4 erklärt, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Quelle dort das dominium als jenes extensional umfassende ius i n re versteht. Da die bartolinische Auffassung den usus fructus aber auch als einen Teil des umfangslogisch engeren Sacheigentums ausweisen möchte 123 , wendet sie die Distinktion ins Intensionale und begreift das dominium (Sacheigentum) als ein „totum integrale". Die dialektische Korrelation ist das ius i n re, das dominium i n der Vorstellung eines „totum universale". Das Sacheigentum — i n seiner Funktion als intensionales totum integrale — wandert an die Spitze der Distinktion, i n die Stellung des genus. Dieses inhaltslogisch orientierte dominium spaltet Bartolus i n das bloße Nutzungsrecht, den usus fructus und i n eine nuda proprietas. Die Distinktion behandelt den usus fructus neben der nuda proprietas specialiter, was möglich macht, denselben nun als pars dominii aufzufassen, während sich i m genus „Sacheigentum" sowohl das „nackte Eigentum" als auch das Nutzrecht zum „dominium plenum" verdichten 124 . Damit erweist sich D. 7, 1, 4 auch dann als richtig, wenn dort das dominium i n der Form des Sacheigentums verstanden wird. Es zeigt sich, daß die Konsiliatoren, nicht anders als die Juristen der Glosse, sich der formallogischen Argumentationstopoi der Prädikabiliensprache bedienen; das Allgemeine und Besondere sind als dialektische genus und species auf dieser Stufe der Rechtsentwicklung nach wie vor der scholastischen Tradition verhaftet, die — wie oben gezeigt — den Weg zu den Allgemeinen Lehren nicht findet 126. Die objektsprachliche Provenienz der angesprochenen dominium-Begriffe machen die weiteren Ausführungen Coings deutlich. Vergebens
1 M
Coing, ebenda, S. 350 ff. Auch hier geht es u m ein formales logisches Argumentieren, w e n n auch i n der F o r m der inhaltsbezogenen Begründung; anders bei Coing, ebenda, S. 351. 125 Vgl. oben I I 1 £f.; zur Verwendung v o n „genus" u n d „species" bei Baldus de Ubäldis vgl. Horn, Philosophie i n der Jurisprudenz der Kommentatoren. Baldus philosophus, S. 115 ff., insb. 115/116. 124
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
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sucht man nach einem umfassenden Eigentumsbegriff, der i n abstracto die Wesenszüge des dominii herausstellen würde. Die Lehre des Bartolus w i r d angeregt durch die Disharmonie der Quellen und die Lösungsvorschläge der Glosse 126 . Beide Male erkennt man den Kodifikations- hzw. den Diskussionsansatz dort, wo es u m die juristische Qualifizierung einer ganz realen, als regelungsbedürftig erkannten Form der Herrschaftsausübung geht: Ist es nur der Grundherr, dem das dominium zusteht, oder müssen auch die emphyteuticarii i n die Hechtsposition des „Eigentümers" gerückt werden 127 ? Wie bemißt sich das Recht desjenigen, der per praescriptionem longi temporis ersessen hat, und wie hat man die Stellung der Ehefrau bezüglich der dos nach Auflösung der Ehe zu bestimmen? Durchweg ist es also ein objektsprachlich verstandener, durch die Texte des Corpus iuris intendierter Anlaß das „dominium" i n eine verwirrende Zersplitterung von Begriffen aufzulösen: Bartolus scheidet das „dominium directum" vom „dominium utile" 1 2 8 , denen er der actio Publiciana wegen ein „quasi dominium" zur Seite stellt: „ . . . tria sunt dominia, directum et utile et quasi dominium, quod competit ei qui habet Publicianam 1 2 9 ." I m objektsprachlichen Bemühen, die Aussagen der Quellen zu vereinheitlichen, hat uns Bartolus bisher immerhin schon acht modi des „dominium" vorgelegt: das dominium directum, utile und das quasi dominium; ein dominium als ius i n re, als Sacheigentum, als usus fructus; ein dominium plenum und eine nuda proprietas. Ebensowenig wie der mittelalterlichen Jurisprudenz ein abstrakter, metasprachlicher Begriff des contractus bekannt war, kennt sie einen solchen des „dominium". Dies beruht auf dem objektsprachlichen Verständnis der Zeit, das die Rechtswissenschaft daran hindert, über die Bewertung einzelner Tatbestände hinaus zu Allgemeinen Begriffen vorzudringen 130 .
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Coing , ebenda, S. 358. Coing , ebenda, S. 355 ff. 128 Coing , ebenda, S. 355 ff. 129 Coing , ebenda, S. 365. 130 Es sei i n diesem Zusammenhang auf die Habilitationsschrift Hermann Dückers hingewiesen, Die Theorie der Leistungsstörung bei Glossatoren, Kommentatoren u n d Kanonisten (dort S. 17 - 19), w o „genus" u n d „species" i n gewohnter extensionaler Verwendung als Gliederungstopoi der culpa herangezogen werden. Daß Dilcher hier „die innere Einheit der Anrechnungstatbestände dogmatisch herausgearbeitet" sieht, w i r d m a n nicht zu hoch zu bewerten haben, denn er stellt w e n i g später fest: „ D a m i t hatte das Systemstreben der Kommentatoren seinen Höhepunkt erreicht." 127
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3. Abschn.: Scholastisches Naturrecht b) Baldus philosophus 1* 1
Um den kurzen Blick auf die Leistungen der Kommentatoren abzurunden, soll die Frage aufgegriffen werden, ob die mittelalterliche Philosophie ihren Einfluß auf die Jurisprudenz — neben den erörterten methodologischen Verzahnungen — i m Sinne einer Vermittlerrolle von außerjuristischen, materialen, ethischen Positionen zu Zeiten der Kommentatoren verstärken konnte. Aus zwei Gründen gilt das Interesse dabei i m besonderen Maße der Person des Baldus de Ubaldis 132: Er steht i m Ruf, der Philosoph unter den Konsiliatoren gewesen zu sein, dessen Werk zum zweiten bislang wohl die breiteste Untersuchung zum Problem des Nebeneinanders von mittelalterlicher Rechtswissenschaft und Philosophie erfahren hat 1 3 3 . Die Forschungen Horns 134 weisen einen vierfachen Einfluß der Philosophie i m juristischen Wirken des Baldus nach: i n den allgemeinen Rechtslehren, der Methode, Dogmatik und den Beweisfragen. Die schwierige Frage nach einer eventuellen (naturrechtlich begründeten) Rechtsquelleneigenschaft ethischer und ontologischer Muster siedelt Horn i m Umkreis der allgemeinen Lehren an, auf die sich deshalb der vorliegende Gedankengang beschränkt. Sein Urteil fällt angesichts der Fülle des Stoffes und des noch vielerorts unbearbeiteten Forschungsmaterials entsprechend behutsam und vorsichtig aus: „Die praktische Auswirkung dieser allgemeinen Lehren, die sich i n wesentlichen Zügen schon bei den Glossatoren finden, ist schwer abzuschätzen. Sie sind wahrscheinlich i n einer schrittweisen selbständiger werdenden Haltung gegenüber den Quellen und bei Baldus i n einer größeren Wirksamkeit ethischer Argumentation i n der Jurisprudenz zu sehen 135 ." Sicher würde es zu weit gehen, Horn dahin verstehen zu wollen, die Philosophie vermittle i n einer „Wirksamkeit ethischer Argumentation" der Rechtswissenschaft die Figur der μετάβασις είς δλλο γένος. A n anderer Stelle 1 3 6 qualifiziert er die Verwertung der philosophischen Eindrücke i n den rechtswissenschaftlichen Werken des Baldus als „ I l l u stration" und „zeitgemäßes Bedürfnis nach bildhafter Darstellung". Wenngleich er diesen Querverbindungen zur Philosophie eine tiefere und weiterführende Bedeutung zuerkennt 1 3 7 , so w i r d man i m Rahmen 131
I m Anschluß an Horn, Fn. 125, S. 104 - 149. 1327 bis 1400. 133 Insbes. sind hier die Schriften Horns zu nennen, Fn. 75 u n d Fn. 125. 134 Horn, Philosophie i n der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, S. 142. 135 Horn, ebenda, S. 143. 136 Horn, ebenda, S. 142. 132
II. Dialektische Topoi: „genus" und „species"
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seiner Ausführungen den Akzent doch auf die Legitimationsfunktion der philosophischen Zitate zu setzen haben, deren Hintergrund es ist, Philosophie und Jurisprudenz als eine auf scholastischem Grund gewachsene, homogene Einheit darzustellen. Hier gewinnen die bereits genannten Ausführungen Horns 138 zur aequitas A k t u a l i t ä t , deren Stell u n g als philosophisch-juristischer Topos ebenfalls nur i m K o n t e x t m i t der Unverbrüchlichkeit der Quellen und der ratio scripta des römischen Rechts richtig gesehen werden kann. Hier wie dort w i r d man das Bedürfnis des Baldus, durch eine philosophische Hinterfragung der Rechtstexte den juristischen Ausführungen erhöhte Plausibilität, bzw. der Bewältigung der quaestiones legitimae besondere A u t o r i t ä t zu verleihen, i n den Vordergrund stellen müssen. Insoweit bestätigend fügen sich die Feststellungen Horns zur Frage ein, wie Baldus bei einem Widerstreit von philosophischer und rechtswissenschaftlicher Ansicht verfährt. Dort, wo die Jurisprudenz (Quellen und Glosse) m i t aristotelischen und thomistischen Gedanken nicht i n Einklang zu bringen ist, w i r d die juristische Lehrmeinung niemals völlig verworfen und die Abgrenzung der beiden Wissenschaften Philosophie und Jurisprudenz geltend gemacht 1 3 9 . Gerade hier aber fände die μετάβασις εις αλλο γένο ς erst ihre eigentliche Aufgabe und Funktion, w e i l sie i n der Argumentation m i t wissenschaftssystematisch nicht beschränkten Gesichtspunkten die Grenzlinie der wissenschaftlichen Zweige unberücksichtigt läßt. Das w i l l nun Baldus nach den angegebenen Zitaten durchaus verhindern und impliziert damit die Forderung nach nur systemimmanenter K r i t i k 1 4 0 . Fassen w i r zusammen, so haben w i r die Betonung auf die Tatsache zu legen, daß die mittelalterliche Philosophie ihren Einfluß auf die Rechtswissenschaft hauptsächlich durch die V e r m i t t l u n g der aus der Spätantike übernommenen dialektischen Formen geltend macht. I m Bereich materialer Korrekturansätze hingegen muß der Philosophie eine eigenständige Rolle abgesprochen werden 1 4 1 , die etwa zur Neubegründung oder Änderung rechtlicher Inhalte geführt hätte. 137
Horn, ebenda. oben Fn. 107 und 110; hierzu auch Horn, Philosophie i n der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, S. 107. 139 Horn, ebenda, S. 136 f. 140 Troje, Wissenschaftlichkeit und System i n der Jurisprudenz des 16. Jh.s, S. 66, spricht sehr plastisch von einer „corpus-iuris-immanenten Rechtstheorie", die für den mittelalterlichen Juristen maßgebend war. 141 Z u beachten bleibt dabei immer, daß es die Theologie ist, i n deren K o m petenz man die Erörterung philosophischer Probleme sieht; das betont auch Horn, Philosophie i n der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, S. 133. 138
Vierter
Abschnitt
Exkurs: mos Gallicus und Usus modernus Pandectarum, Epochen humanistisch-juristischer Entkrampfung Läßt sich bis ins Hochmittelalter hinein die Entwicklung der Rechtswissenschaft i n den Bahnen des mos Italicus als ein auf dem breiten Fundament mittelalterlich-scholastischer Überzeugung ruhendes Band ohne tiefere Brüche aufrollen, so findet man am Ende dieses Zeitalters den aus der Bologneser Schule hervorgegangenen Strang rechtswissenschaftlichen Denkens nur mehr aufgefächert wieder. Die Nahtstelle des 16. und 17. Jh.s, die einerseits noch mittelalterliches Gedankengut der Neuzeit tradiert 1 , aber doch schon den Blick freigibt auf ganz gewaltige neue Umbrüche, lenkt den Rechtshistoriker auf drei Schwerpunkte 2 geistes- und rechtswissenschaftlicher Einflußnahme: Von den Doctores ultramontani 8 w i r d i m 12. und 13. Jh. ein Zug europäischer Rechtswissenschaft geschaffen, der, zunächst i m regen Austausch m i t den oberitalienischen Universitäten stehend, sich später in frankophoner Reserviertheit zum Reich 4 verselbständigt. Nachdem die Gestalt des Bartolus i m 14. Jh. den norditalienischen Konsiliatoren eine Führungsrolle innerhalb der europäischen Jurisprudenz zukommen läßt, erwächst i m 15. u n d 16. Jh. der „französischen Linie" durch die Gründung der Schule von Bourges (Alciat, 1492 bis 1550) neues Leben; die unter dem Eindruck des Humanismus aufblühende französische Elegante Jurisprudenz 5 führt diesen mos Gallicus
1 Dies v o r allem i m Rahmen des Usus modernus u n d der spanischen Spätscholastik; z u m ersteren Söllner, Z u den L i t e r a t u r t y p e n des deutschen Usus modernus, i n : l u s commune I I , S. 167 ff.; ders., Die L i t e r a t u r z u m gemeinen u n d partikularen Recht i n Deutschland, Österreich, den Niederlanden u n d der Schweiz, i n : Coing, Handbuch I I / l , S. 501 ff. 2 Der Verfasser ist sich der Simplifizierung bewußt, die aber gerade deshalb einem orientierenden Überblick dienlich erscheint. 3 Die Größen i h r e r Zeit w a r e n Jacobus de Ravanis ( t 1296 als Bischof v. Verdun) u n d Petrus de Bellapertica ( t 1308 als Bischof v. Auxerre); beide unterrichteten i n Toulouse u n d Orléans, die neben der Universität v o n M o n t pellier die Zentren der damaligen frz. Rechtswissenschaft waren; vgl. hierzu Wieacker, PrGN, S. 63 ff. 4 Zu den Gründen Schlosser, S. 22, u n d WesenbergfWesener, S. 63.
4. Abschn.: Exkurs: mos Gallicus u n d Usus modernus i m 16. J h . z u e i n e r g l ä n z e n d e n H ö h e rechtswissenschaftlicher F r u c h t b a r keit® u n d m a c h t die U n i v e r s i t ä t v o n B o u r g e s z u m „ m o d e r n e n B e r y t " 7 , 8 . Diese J u r i s t e n g e n e r a t i o n e n t r a g e n i n i h r e r K r i t i k u n d D i s t a n z z u r ü b e r f r a c h t e t e n Glosse u n d d e m i t a l i e n i s c h e n K o m m e n t a r n i c h t u n w e s e n t l i c h z u r W e g b e r e i t u n g des „ m o d e r n e n " Verständnisses v o m r ö m i schen Hecht bei, d e m Usus m o d e r n u s P a n d e c t a r u m 9 . E i n e z w e i t e , i n i h r e r B e d e u t u n g f ü r die neuzeitliche J u r i s p r u d e n z n o c h keineswegs v o l l g e w ü r d i g t e Q u e l l e 1 0 s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e r Rechtsk u l t u r i s t d i e sogenannte spanische S p ä t s c h o l a s t i k 1 1 . I h r s t e h t das gesamte E r b e des mos I t a l i c u s i n seiner d i a l e k t i s c h e n V e r f l e c h t u n g m i t P h i l o s o p h i e u n d T h e o l o g i e z u r V e r f ü g u n g 1 2 . I n der A u f b e r e i t u n g dieser F r u c h t scholastischer H o c h k u l t u r g e l i n g t es dieser Schule, b e d e u t u n g s volle Konsequenzen u n d Grundlagen zu formulieren, deren wissenschaftliche E r t r ä g n i s s e erst d u r c h d i e N e u z e i t z u gesamteuropäischem K u l t u r g u t werden. 5 Z u r Entwicklung Wieacker, PrGN, S. 63 ff., 88 ff.; vgl. auch Troje, Die L i t e r a t u r des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, i n : Coing, Handbuch I I / l , S. 615 ff. β Die bedeutendsten Vertreter waren Budaeus (1468 bis 1540), Cuiacius (1522 bis 1590) u n d Donellus (1527 bis 1591). 7 Troje, Praelectiones Cuiacii, i n : l u s commune I, S. 181 ff., 188. 8 Den K a m p f zwischen mos Gallicus u n d mos Italicus schildert Kisch am Beispiel der Universität Basel: Bartolus u n d Basel, S. 20 ff. Es sei i n diesem Zusammenhang jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß die Antithese mos Gallicus X mos Italicus besonders i n ihrer deutschen Überlieferung eines kritischen Gebrauchs bedarf, u m sie nicht als „sächsisches Mißverständnis" fortzuführen; vgl. dazu Troje, Z u r humanistischen Jurisprudenz, i n : FS H e r m a n n Heimpel I I , S. 110 ff., 119. 9 So genannt nach einem gleichnamigen W e r k v o n Samuel Stryk (1640 bis 1710), das zwischen 1690 u n d 1712 erschienen ist; w e n n hier der humanistische Akzent des Usus modernus besonders betont w i r d , so soll selbstverständlich keineswegs aus dem Auge verloren werden, daß er sich — m i t anderer Gewichtsverlagerung — auch als Fortsetzimg des mos Italicus bewerten läßt. Z u m Problem dieser Abgrenzung vgl. auch Holthöfer, L i t e r a t u r t y p e n des frühneuzeitlichen mos Italicus, i n : l u s commune I I , S. 130 ff., 134 ff., 149, 158; zur F o r t w i r k u n g dogmatischer Leistungen der humanistischen Jurisprudenz zurückhaltend Hübner, Jurisprudenz u n d Wissenschaft i m Zeitalter des Humanismus, i n : FS Larenz, S. 60 f. 10 M i t vollem Recht hat hierauf neuerdings wieder Hans Thieme hingewiesen, Naturrecht u n d römisches Recht, i n : L a formazione storica del d i r i t t o moderno i n Europa, S. 95 f., 110. 11 Dazu ausführlich i m Fünften Abschnitt. 12 So, w e n n auch i n Kürze Coing, Die juristische F a k u l t ä t u n d i h r L e h r programm, i n : Coing, Handbuch I I / l , S. 14: „Das bedeutendste Beispiel f ü r diese Verschmelzung bieten wahrscheinlich die spanischen Universitäten des „Siglo de oro". I n Salamanca etwa finden w i r das S t u d i u m der scholastischen Philosophie i n Thomismus u n d Scotismus m i t demjenigen lateinischer u n d griechischer Dichter u n d Historiker ebenso vereint w i e m i t dem der Astronomie nach Kopernicus, m i t Weltgeographie u n d M u s i k u n d alles i m Rahmen der freien Verfassung einer mittelalterlichen Studentenuniversität."
7 Lipp
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4. Abschn.: Exkurs: mos Gallicus und Usus modernus
Und schließlich drängt das profane, vernunftgebundene Recht der menschlichen Natur an der Schwelle des 17. Jh.s i n alle Zweige der Wissenschaft hinein. Die Initiatoren dieser irreparablen Zäsur menschheitsgeschichtlicher Dimension haben zur Jurisprudenz keine Verbindung; vielmehr sind es Philosophen und Physiker, die m i t Fallgesetz 13 und dem Prinzip des Zweifels 14 die scholastisch-verkrusteten Grundlagen erschüttern. Die den skizzierten Strömungen einhergehende Ablösung der für uns kaum vorstellbaren Autoritäten des mos Italicus 1 5 läßt erwarten, daß i n der wissenschaftlichen Auseinandersetzung neue Gesichtspunkte auf der Suche nach den Grundlagen der Allgemeinen Lehren i n den Vordergrund rücken. Ob damit zugleich jeweils ein genetischer Neuansatz verbunden ist, bleibt abzuwarten. Das nachfolgende Kapitel widmet sich der „Allianz zwischen Jurisprudenz und Humanismus" 1 6 . Daß dies i n der Form eines exkursorischen Ausblicks i m Anschluß an den (älteren) mos Italicus geschieht, rechtfertigt sich nach der Ansicht des Verfassers daraus, daß die Bedeutung des humanistischen Einflusses durchaus streitig ist und noch keineswegs i m Sinne einer opinio communis abgeklärt erscheint. A u f der Basis des uns heute vorliegenden Forschungsstandes 17 w i r d man davon ausgehen dürfen, daß die Folgen des Humanismus zwar eine graduell veränderte Sichtweise zum mos Italicus und dem römischen Recht bewirkt, dagegen keine tiefgreifende materielle Neubegründung der Methode veranlaßt haben. I. Humanistische Jurisprudenz 18 Den Meinungsstand, der sich zum Einfluß des Humanismus auf die Jurisprudenz gebildet hat, stellt Guido Kisch i n seinen Studien zur humanistischen Jurisprudenz 19 umfassend dar. 13
V o n Galileo Galilei (1564 bis 1642) i m Jahre 1609 gefunden. René Descartes (1596 bis 1650): „cogito, ergo sum"; bahnbrechend sein Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences (1637); vgl. hierzu die W ü r d i g u n g v o n Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, S. 451 ff. 15 M a n denke n u r daran, daß der Lehrmeinung des Bartolus i n Spanien Gesetzeskraft zukam. 16 Schlosser, S. 26. 17 Den gegenwärtigen Stand der Forschung umreißt Troje, Die L i t e r a t u r des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, S. 615 ff. 18 Z u Recht betonen Wesenberg/Wesener, daß m a n sich hierunter durchaus keine homogene Stilrichtung vorzustellen hat (S. 65). 14
I. Humanistische Jurisprudenz
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Die Hauptprobleme, die die Beschäftigung m i t den HumanistenJuristen aufwirft, lassen sich auf zwei Fragen reduzieren: Erstens:
Welches Verständnis bringt der Humanimus dem römischen Hecht entgegen und welche möglichen Folgen resultieren hieraus für den Vorgang der Rezeption 20 ?
Zweitens: Wie hat man die auch von kritischen Stimmen geäußerte A n sicht zu verstehen, nach der sich der mos Gallicus i n seiner humanistischen Bindung durch den „Willen zum inneren System" 2 1 auszeichnet22? 1. Humanismus und römisches Redit Daß die herbe und zum Teil bissige K r i t i k 2 3 der humanistisch gebildeten Juristen an Glosse und den Konsiliatoren sich mitnichten i n derselben Form gegen das römische Recht selbst gerichtet hat, ist heute eine unbestrittene Erkenntnis 2 4 . I m Gegenteil: Das Bestreben jener Wissenschaftler zielte dahin, die Quellen vom Ballast der Glossenapparate und der Kommentarliteratur zu befreien und sie als unverfälschte Lehrgegenstände m i t dem Glanz der antiken Aureole den „studia humanitatis" zuzuführen 25 . Daraus resultieren erste textkritische Anmerkungen und Anstöße zur Interpolationsforschung 2 ®. Beides dokumentiert die Stellung des römischen Rechts als Geschichtsquelle ersten Ranges. Das sich durch die Humanisten-Juristen anbahnende neue Verständnis des römischen Rechts kann man als eine Entwicklung begreifen, die von einer beinahe glaubensmäßigen Verehrung der Texte i m Sinne einer
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Kisch, Studien zur humanistischen Jurisprudenz, S. 17 - 61. I m folgenden bleibt die Rezeptionsproblematik unerörtert; dazu Kisch, Studien zur humanistischen Jurisprudenz, S. 21 ff. 21 Wieacker, PrGN, S. 164/165. 22 Vgl. dazu auch Troje, Die L i t e r a t u r des gemeinen Rechts unter dem E i n fluß des Humanismus, S. 615 ff., 741. 23 Zasius (1461 bis 1535): „Bartolus summat imperfecte."; vgl. auch die Zitate bei Kisch, Bartolus u n d Basel, S. 23 f.; Johannes Apel d. Ältere (1485 bis 1536): „der Schüler fliehe die Glosse w i e einen giftigen Rauch oder w i e schädlich K r a u t oder w i e ein Schiffer die Brandung" (zit. nach Wieacker, PrGN, S. 162). 24 Vgl. z. B. Schaffstein, Z u m rechtswissenschaftlichen Methodenstreit i m 16. Jahrhundert, i n : FS Hans Niedermeyer, S. 195 ff., 204. 25 Vgl. Troje, Z u r humanistischen Jurisprudenz, S. 111, „Iurisprudentiam pristino suo n i t o r i restituere". 26 Dazu umfassend die Habilitationsschrift Trojes, Graeca leguntur, dort insbes. der erste Teil. 20
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4. Abschn.: Exkurs: mos Gallicus u n d Usus modernus
„Rechtsoffenbarung" 27 h i n f ü h r t zu einer kritisch-historischen Hochschätzung als e i n e m F u n d a m e n t ü b e r z e i t l i c h e r R e c h t s w a h r h e i t e n 2 8 . H i n z u t r i t t e i n e m i n e n t pädagogisch-didaktisches 2 9 A n l i e g e n des H u manismus, n ä m l i c h die zeitgebundene F o r d e r u n g nach der V e r w i r k l i c h u n g des B i l d u n g s i d e a l e s , das d i e i t a l i e n i s c h e Renaissance des Q u a t t r o c e n t o als j e n e n s c h i l l e r n d e n C h a r a k t e r des „ u o m o u n i v e r s a l e " entworfen hat30. A u f diese h i s t o r i s i e r e n d e V e r e h r u n g d e r H u m a n i s t e n 3 1 f ü r die r ö m i schen R e c h t s q u e l l e n h a t Kisch u n t e r a n d e r e m a m B e i s p i e l Melanchthons n a c h d r ü c k l i c h a u f m e r k s a m gemacht. I n durchaus scholastisch-theologischer V e r k l a m m e r u n g p r e i s t dieser d e n C o r p u s i u s c i v i l i s als die „ b o n a c o n s e q u e n t i a " des i n g ö t t l i c h e r V e r n u n f t w u r z e l n d e n N a t u r r e c h t s : „ R o m a n a e leges e x n o t i c i i s n a t u r a l i b u s , quae s u n t r a d i i sapientiae d i v i nae, i n decalogo b r e v i t e r c o m p r e h e n s i , b o n a consequentia ductae s u n t 3 2 . " 2. Die systematischen Ansätze I m Wirken der humanistischen Rechtswissenschaft H a t t e d i e r ö m i s c h - r e c h t l i c h e K u l t u r i h r e V e r b i n d l i c h k e i t also k e i n e s f a l l s v e r l o r e n , so m u ß t e sich diese Tatsache — v e r b u n d e n m i t d e n V o r 27
Wieacker, o. Fn. 90 i m D r i t t e n Abschn. Thieme, Naturrecht u n d römisches Recht, S. 97: „ . . . erst bei den H u m a nisten findet sich der Gedanke, daß das römische Recht, wie m a n es als kaiserliches Recht vermöge der politischen u n d kulturellen Romidee rezipierte u n d das natürliche Recht weitgehend ein- u n d dasselbe seien. . . . Das Erbe der A n t i k e w u r d e als ein schlechthin Vollkommenes hypostasiert." 29 Z u m Zusammenhang zwischen didaktischen Bedürfnissen u n d der V e r such, den juristischen Lehrstoff systematisch darzustellen vgl. Hübner, S. 41 ff. 30 Z u diesem, i n seiner originalen Bedeutung w o h l n u r f ü r die italienische Renaissance des Quattrocento zutreffenden Bildungsideal, das die Sonette der „ v i t a nuova" genauso umfaßt w i e die „ v i r t ù " Macchiavellis u n d die k a l t blütige Gewaltherrschaft der Condottieri, vgl. i m m e r noch den unübertroffenen E n t w u r f Jacob Burckhardts von der K u l t u r der Renaissance i n Italien (dort S. 167 ff.). A u f dieses Anliegen der humanistischen Jurisprudenz, n ä m lich die V e r v o l l k o m m n u n g des Menschen, weist auch Troje h i n ; vgl. Z u r h u manistischen Jurisprudenz, S. 121 : „Statt solcher Isolierung, fordern H u m a nisten die Konstituierung einer Rechtswissenschaft, welche die Aufgabe einer V e r v o l l k o m m n u n g des Menschen u n d seiner Bedingungen u n d Beziehungen nicht aus dem Auge verlieren." 31 Vgl. auch die (überraschende) Lobpreisung von Glosse u n d K o m m e n t a r : Melanchthon, De Irnerio et Bartolo (zit. bei Kisch, Melanchthons Rechts- u n d Soziallehre, S. 136 ff. u n d 214 ff.); zur Entwicklung bei Cantiuncula: Kisch, Claudius Cantiuncula, S. 71 ff.; ders. Bartolus u n d Basel, S. 20 ff., 22. H ä l t m a n diesen Äußerungen jene eines Johannes Apel (Fn. 23) entgegen oder die Überwerfung des Alciat m i t den italienischen Kommentatoren, so bestätigt sich sicherlich die Meinung Wesenbergj Wesener s (Fn. 18), wonach innerhalb der Juristen-Humanisten k e i n einheitliches B ü d geherrscht hat. Dazu auch Kisch, Gestalten u n d Probleme aus Humanismus u n d Jurisprudenz, S. 36 ff., sowie Troje, Z u r humanistischen Jurisprudenz, S. 138 f. 32 Zit. nach Kisch, Melanchthons Rechts- u n d Soziallehre, S. 118. 28
I. Humanistische Jurisprudenz
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bildern der antiken Autoren — selbstredend i n Unterrichtsmethode und Literaturtypus niederschlagen: Das Studium des Rechts soll seinen Anfang bei den Quellen selbst nehmen und Kommentar wie wissenschaftliche Lehrmeinungen beiseite lassen 33 . Z u diesem Zweck legt i m Jahre 1520 Claudius Cantiuncula 34 eine i n die Rechtswissenschaft einführende Schrift vor, die „e puris legum fontibus" konzipiert ist und dem Titel „Topica" 3 5 trägt. Die Bezeichnung verrät Inhalt und methodisches Anliegen des Verfassers: Es geht um die Fortschreibimg der Aristotelischen loci-Lehre unter humanistischer Akzentuierung, u m nichts anderes als — wie Guido Kisch es formuliert hat 3 8 — die systematische Übertragung der Grundsätze der Logik und Rhetorik nach dem Vorbild Ciceros und anderer auf die juristische Argumentation 3 7 . Anhand dieses Befundes, der die Methode der Beweisführung nach Maßgabe der Lehre von Topoi und loci geradezu als die Originalität der Humanisten-Juristen ansieht, w i r d das Werk der humanistischen Jurisprudenz wohl kaum als ein fundamentaler Neuansatz i m methodologischen Bereich qualifiziert werden dürfen 38 . Es scheint, als würde auch für die humanistische Strömung innerhalb der Rechtswissenschaft der methodische „Spielraum" durch die Verbindlichkeit des ius Romanum (als Rechts- und Geschichtsquelle) umgrenzt. Seit dem Erstehen der europäischen Jurisprudenz waren m i t dem römischen Recht die dialektischen Topoi i n die rechtswissenschaftliche Methodenlehre eingedrungen, die i n gewisser Hinsicht unter dem Eindruck der Forderung nach humanistischer Bildung und Lebensführung noch verstärkt (in „reiner Form") sich Raum verschaffen konnten. Eine Rechtswissenschaft, die sich selbst i n der Nachfolge römischer Tradition und als Sachwalterin antiken Kulturgutes verstand, vermochte es aus eigenem Selbstverständnis nicht, der juristischen Methodologie grundlegend Neues zu vermitteln.
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Vgl. Kisch, Studien zur humanistischen Jurisprudenz, S. 35. E t w a 1490 bis 1549. 35 Zitate nach Kisch, Studien zur humanistischen Jurisprudenz, S. 34. 36 Kisch, ebenda, S. 34 f. 37 Ebenso Kisch i n : Claudius Cantiuncula, S. 57 ff. „Das Ziel ist m i t anderen Worten das S t u d i u m des dialektischen Syllogismus." 38 Die Ansicht Kischs bedarf insofern einer K o r r e k t u r , als er Cantiuncula dafür verantwortlich macht, „die bis dahin n u r i n der Philosophie verwendete dialektische u n d logische Methode sozusagen ins Juristische" übertragen zu haben (S. 34) ; vgl. dazu n u r Otte, D i a l e k t i k u n d Jurisprudenz. 34
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4. Abschn.: Exkurs: mos Gallicus und Usus modernus
So liefen auch die Versuche, ein „System" i n der Masse des Rechtsstoffs zu finden, darauf hinaus, die Distinktionen und Divisionen zwar zu vereinfachen, sie aber nicht zu ersetzen, den ermüdenden Subdivisionen zu Leibe zu rücken, aber nur i m Tausch gegen die „recta divisio" 89 . Quellentexte, die man als „generaliores iuris traditionis" empfand, wurden nicht zu systemtragenden Strukturen aufbereitet, sondern als loci gelehrt 40 . Die dialektische Grundlegung w i r d i n der humanistischen Jurisprudenz immer wieder sichtbar 41 . Wie hat man sich unter diesen Voraussetzungen das Streben nach einem „inneren System" vorzustellen? Soweit ersichtlich, sind es die Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, die die jüngsten Forschungsergebnisse i n dieser Richtung widergeben 42 . Sie untermauern jene Meinung, die der humanistischen Rechtswissenschaft „das Bestreben, das quellenmäßig vorgegebene Recht i n ein von der Legalordnung unabhängiges System zu bringen" 4 8 , zuschreibt. Zugleich zeigen diese Forschungen aber, daß das Systemtrachten der H u manisten nicht i m Sinne einer Darstellungsform aufgefaßt werden darf, die von obersten (materiell fundierten) Grundsätzen aus versucht, die untergeordneten Rechtssätze abzuleiten. Dem mos Gallicus und seinen humanistischen Ausläufern geht es darum: Anstelle einer parallel den Quellen der Legalordnung des Corpus iuris orientierten Explikation, die aus diesem Grunde inhaltlich gleiche oder ähnliche Rechtsfragen immer wieder von neuem aufzunehmen hat, treten „sachbezogene Erörterungseinheiten" 44 , die bestimmte Rechts89 I m „ arbor super interesse" des Rebuff us (gest. 1557) f ü h r t Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 30, ein anschauliches Beispiel vor, gegen das sich die humanistische K r i t i k gerichtet hat (dort S. 32). 40 Kisch, Studien zur humanistischen Jurisprudenz, S. 35. 41 Vgl. auch Wieacker, PrGN, S. 165, der zu R e d i t auf die „sachfremdformalistische D i a l e k t i k " v o n genera u n d species aufmerksam macht; aufschlußreich gerade dafür auch der Aufsatz Merzbachers, Johann Apels dialektische Methode der Rechtswissenschaft, i n : SZ Rom, Bd. 75 — 1958 — S. 364 ff. 42 Holthöfer, L i t e r a t u r t y p e n des mos Italicus i n der europäischen Rechtsl i t e r a t u r der frühen Neuzeit, i n : l u s commune I I , S. 130 ff.; der T i t e l darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das tatsächliche Ineinandergreifen der einzelnen Rechtsströmungen (mos Italicus, mos Gallicus, Humanismus) auch U n t e r suchungen zum frühneuzeitlichen mos Italicus f ü r unser Thema fruchtbar macht; i m Zusammenhang m i t dem Typus des Kommentars w i r d dies von Holthöfer ausdrücklich hervorgehoben, vgl. S. 149; ebenso schon Fn. 9. 48 Holthöfer, L i t e r a t u r t y p e n des mos Italicus i n der europäischen Rechtsliteratur der frühen Neuzeit, S. 133. 44 Holthöfer, ebenda, S. 138; ders., Die L i t e r a t u r zum gemeinen u n d p a r t i kularen Recht i n Italien* Frankreich, Spanien u n d Portugal, i n : Coing, Hand-
I. Humanistische Jurisprudenz
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gebiete — obwohl quellenmäßig gestreut — zusammenfassend abhandeln. So kommt es zu Problemkreisen wie der „materia successionis seu materia ultimarium voluntatem" oder der „materia matrimonialis" etc. 45 . Diese gegenstandsbezogene Systematisierungstendenz basiert aber immer noch auf den (humanistisch-juristisch entkrampften) Literaturtypen des mos Italicus: der quaestio, dem consilium, der decisio etc. 48, 4 7 . Zusammenfassend läßt die Privatrechtsgeschichte etwa folgenden Gedanken zum Einfluß des Humanismus auf die Rechtswissenschaft erkennen: Das bleibende Verdienst dieser Wissenschaftler (insbesondere jener der französischen Prägung des Humanismus) ist i h r neues Selbstverständnis dem römischen Recht gegenüber, das hilft, die Schwerfälligkeiten und Kritiklosigkeit vergangener Zeit abzubauen. Zugleich werden die „gereinigten" spätantiken Texte als hervorragendes Bildungsmaterial für die studia humaniora gewonnen. Methodisch-didaktisch geht ein gegenständliches, sachbezogenes Bearbeiten der Quellen einher, das erstmals Ansätze zum „freisystematischen Lehrbuch" 4 8 zeigt. Dieses Abrücken von der Legalordnung darf nicht mißverstanden werden als ein Versuch, nach Allgemeinen Grundsätzen zu deduzieren, sondern muß unter gliederungs- und ordnungsbedingten Kriterien 4 9 gesehen werden. buch I I / l , S. 103ff., zu Frankreich insbes. S. 145 ff.; Coing, Die juristische F a k u l t ä t u n d i h r Lehrprogramm, ebendort, S. 33 ff. I n diesem P u n k t setzen die Differenzen innerhalb der frz. Schule zwischen Cuiacius u n d Donellus an: vgl. Troje, Praelectiones Cuicacii, S. 188; m i t etwas anderer Akzentuierung Hübner, S. 50. 45 Holthöfer, ebenda, S. 139; Schaff stein, S. 198 u n d 202, der die thematisch zusammenhängende A b h a n d l u n g hervorhebt. 4e Holthöfer, ebenda. 47 A n neuen, dem jüngeren mos Italicus w i e der humanistisch orientierten Richtimg zukommenden Literaturtypen sind zu nennen: die kasuistischforensiche Literatur, der T r a k t a t u n d die Dissertation (Holthöfer, ebenda, S. 139 ff., 155ff., 148 ff.); i n diesem Rahmen bewegt sich w o h l auch der System a t i k e r Donellus, vgl. Hübner, S. 51 f.; Wieacker, PrGN, S. 167 f. 48 Holthöfer, ebenda, S. 148. 49 Vgl. dazu schon Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft I, S. 139 ff., der zu Recht weniger v o n einer „systematischen" als einer synthetischen A r b e i t der Humanisten spricht, die er (ebenso w i e die neuesten Forschungen) i m Abrücken v o n der justinianischen Titelordnung sieht, ebendort, S. 143; so auch Hübner, S. 55 f., der richtig die geleistete Systembildung nicht i m Sinne einer „sachlogischen S t r u k t u r " qualifiziert, sondern sie letztendlich i n der H i n f ü h r u n g auf die Institutionengliederung sieht. Vgl. zu diesem P u n k t auch den Diskussionsbeitrag v o n Diemer zu Troje, Wissenschaftlichkeit, S. 93, der das „System" als K o m p e n d i u m u n d „System" als „Einheit des Begründungszusammenhanges" scheidet. Diese Überlegungen haben auch unter Einbeziehimg der sog. ramistischen Methode zu gelten, vgl. Hübner, S. 54 ff.; Stintzing, S. 145 ff.; Troje, Wissenschaftlichkeit, S. 78, 84ff.; dem Fehlen der Allgemeinen Lehren i m System-
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Eine genetische Bedeutung für die Ausbildung Allgemeiner Lehren anzunehmen, läßt der gegenwärtige Stand der Forschung nicht zu 50 . Π . Usus modernus Pandectarum Privatrechtsgeschichtliche Forschungen der Gegenwart bestätigen das für die Elegante Jurisprudenz gefundene Ergebnis auch für die Zeit des Usus modernus, soweit es u m die hier interessierenden methodischen Fragen geht. So hat die Untersuchung von Söllner 51 zu den Literaturtypen des Usus modernus als zusammenfassende Aussage die Fortentwicklung der „aristotelisch-scholastischen Methode des mos I t a l i c u s " 5 2 , 5 8 hervorgehoben. Für ihn machen die folgenden Beobachtungen die Charakteristika des Usus modernus aus: „1. Die Beibehaltung der aus dem Mittelalter überkommenen Methode und Darstellungsweise, wenngleich eine freiere Handhabung der überlieferten Schemata nicht übersehen werden darf, 2. die weitgehende Lösung vom Text des Corpus iuris und teilweise auch von seiner Gliederung.. , 5 4 ." Diese, den allgemeinen Eindruck der gegenwärtigen Literatur referierende Ansicht trifft sich m i t Ergebnissen, die von Arbeiten über einzelne Schriftsteller des Usus modernus herrühren.
denken geht einher der Mangel des Allgemeinen als ein dogmatischer Begriff: zum abstrakten Vertragsbegriff ausdrücklich Hübner, S. 56 f. ; zur Frage einer „Rechtsgeschäftslehre" bei Donellus, ders., S. 57. Allerdings sieht Troje, oben S. 85, bei Ramus einen „ w i r k l i c h Allgemeinen T e i l " ausgebildet; dies kann, w i e die dort folgende Diskussion zeigt, sicherlich n u r i m Sinne eines Systems als „Ordnung des vorhandenen Rechtsstoffes" (so Coing i n seinem Diskussionsbeitrag, ebenda, S. 89) verstanden werden u n d nicht als Ansatzpunkt Allgemeiner Lehren, die i n axiomatischer A b l e i t u n g einem inneren Begründungszusammenhang folgen; vgl. dazu die Replik Trojes auf Kiefner, ebendort, S. 94. 50 Vgl. zum ganzen Troje, Wissenschaftlichkeit, insbes. S. 71 ff., 76 ff., 82 ff.; interessant auch sein Hinweis auf die „Systemlosigkeit" der Humanisten, i n : Z u r humanistischen Jurisprudenz, S. 122. 51 Söllner, Z u den Literaturtypen des deutschen Usus modernus, i n : lus commune I I , S. 167 ff. 52 Derselbe, ebenda, S. 169; vgl. auch S. 180. 53 Auch i m Beitrag Söllners w i r d das Problem der Abgrenzung deutlich, w e n n es u m die Frage geht, inwiefern der Usus modernus dem mos Italicus bzw. dem mos Gallicus entwächst: S. 171, 1741, 177; dazu Wieacker, PrGN, S. 208, 211, 214. 54 Söllner, ebendort, S. 174; ders., Die L i t e r a t u r zum gemeinen u n d p a r t i kularen Recht i n Deutschland, Österreich, den Niederlanden u n d der Schweiz, S. 503, 513 f. ; Kunkel, Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Bespr.), i n : SZ Rom, Bd. 71 — 1954 —, S. 509 ff., 533.
II. Uses modernus Pandectarum
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I n den Werken Carpzovs (1595 bis 1666) hat Heine 55 „typisches scholastisches Lehrgut" 5 ® nachgewiesen, das beispielsweise i n der Verwendung der quattuor causae57 zum Ausdruck kommt. Besondere Erwähnung verdienen die Ausführungen Heines zum „System" i n den Carpzovschen Schriften 58 : „ . . . Indes fehlt sie (zu ergänzen: die systematische Eingliederung) i n allen drei Werken. Ein allgemeiner Teil ist nirgends entwickelt; Probleme, die man heute i n den Allgemeinen Teilen einstufen würde, werden bei irgendwelchen Spezialfragen geprüft 5®." So beschränkt sich das System Carpzovs auf ein „System der Anordnung"®0, also auf eine Darstellungsform i n sachbezogener Manier, wie es der humanistisch beeinflußten Jurisprudenz bereits geläufig war. Ein weiteres Beispiel des topischen Gebrauchs scholastischer Denkkategorien i m Wirken des Usus modernus führt Neuäüß 61 i m Zitat des „Discursus de Cambiis absolvitur conspectu" von Georg Adam Struve (1619 bis 1692) vor. Fragen des Wechselrechts versucht der A u t o r unter topischer Handhabung eines Konglomerates von Anleihen aus Prädikabilienlehre (Universali vel Particulari quo sistitur; forma est vel Essentialis ./. Accidentialis), aristotelischem Kategorienverständnis (materia est v e l . . . I n qua, ubi de subjecto ./. circa quam, ubi de objecto) und den schon genannten quattuor causae (causa materialis, causa efficiens, causa formalis, causa finalis) zu lösen. Schließen w i r den Exkurs: Die mittelalterlich-scholastische Jurisprudenz w i r k t methodisch sowohl i n der Eleganten Rechtswissenschaft wie dem Usus modernus entscheidend nach 62 . Immer wieder sind es die aristotelischen Argumentationstopoi der Dialektik, m i t denen versucht wird, einen „systematischen" Zug i n der Fülle des Stoffes zu finden. Dieses eher synthetische denn systematische 55 Heine, Z u r Methode i n Benedikt Carpzovs zivilrechtlichen Werken, i n : SZ Rom, Bd. 82 — 1965 — S. 227 ff. 56 Heine, S. 241 u n d ff. 57 Heine, S. 243. 58 Heine, S. 244. 50 Z u den Allgemeinen Lehren ebenso Wieacker, PrGN, S. 228 ff. Heine, S. 244. 61 Neusüß, S. 22. 62 Hier sei auf Coing, Bartolus u n d der Usus modernus Pandectarum i n Deutschland, i n : Bartolo da Sassoferrato, Studi e documenti per i l v i centenario, S. 25 ff., hingewiesen; der A u t o r macht an mancherlei Beispielen die inhaltliche Bedeutung der mittelalterlichen Jurisprudenz — hier i n der Gestalt des Bartolus — f ü r den Usus modernus deutlich, vgl. dort S. 35 ff.
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4. Abschn. : Exkurs : mos Gallicus und Usus modernus
Verständnis vermag die Rechtswissenschaft nicht zu den Allgemeinen Privatrechtslehren zu führen. Parallel breitet sich das nach wie vor bedeutsame römische Recht als das gelehrte Recht aus, wenngleich sich die Einstellung zu den römischen Quellen m i t der Einflußnahme humanistischen Gedankengutes und (später) der Leistung Conrings 63 nicht unwesentlich ändert.
68 I n seiner Schrift „De origine Juris Germanici" (1643) entkräftet Conring (1606 bis 1681) die sog. Lotharische Legende, wonach Lothar von Supplinburg i m Jahre 1135 durch Reichsgesetz das l u s Romanum übernommen habe.
Fünfter
Abschnitt
Die Schule von Salamanca D i e v o n d e m D o m i n i k a n e r Francisco de Vitoria (1480 b i s 1546) geg r ü n d e t e Schule v o n S a l a m a n c a g e h ö r t i n d i e R e i h e j e n e r L e h r t r a d i t i o n e n , w i e w i r sie m e i s t n u r i m K u l m i n a t i o n s p u n k t e i n e r geisteswissenschaftlichen E n t w i c k l u n g antreffen: S i e schöpfen n o c h e i n m a l d e n F u n d u s d e r L e i s t u n g e n d e r i h n e n vorausgegangenen Epoche aus u n d entwerfen i m Ringen u m die Probleme i h r e r Gegenwart Lösungsm o d e l l e , die i h r e r s e i t s z u e i n e r B r ü c k e f ü r d i e n a c h f o l g e n d e n G e n e r a t i o n e n w e r d e n , u m d e n Wissenschaften neue I d e e n u n d G e d a n k e n z u erschließen. So g l e i c h e r m a ß e n i n die V e r g a n g e n h e i t b l i c k e n d u n d i n d i e Z u k u n f t w i r k e n d , w a r e n es die T h e o l o g e n u n d J u r i s t e n v o n S a l a m a n c a , d i e i n m i t t e n v o n Reformation u n d Gegenreformation 1 einen T e i l der G r u n d l a g e n geschaffen h a b e n , a u f d e n e n d i e N e u z e i t i h r V e r n u n f t r e c h t a u f und weiterbauen konnte2. 1 Der Standort der salamatizensischen Gelehrten i n der Gegenreformation darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß i h r Arbeitsbereich sich w e i t i n außertheologische Gebiete erstreckt; es sei hier n u r an Vitorias Beitrag zu den Problemen des Kolonialismus u n d der Sklaverei erinnert, den der Theologe m i t seiner Schrift „De Indis" leistete u n d an die Fortentwicklung seiner V ö l k e r rechtslehre durch den Jesuiten Suärez. Vgl. dazu die, soweit ersichtlich, neueste Publikation zur spanischen Spätscholastik von Bergfeld, Katholische Moraltheologie u n d Naturrechtslehre, i n : Coing, Handbuch I I / l , S. 999 ff., 1017; Eschweiler, Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des 17. Jahrhunderts, i n : Gesammelte Aufsätze zur K u l turgeschichte Spaniens, 1928, S. 251 ff., 263 f., Höffner, Kolonialismus u n d Evangelium, S. 43 ff. 2 Während Kaltenborn, Die Vorläufer des Hugo Grotius, bes. S. 185 ff. (ebenso schon früher Schmauß, Neues Systema des Rechts der Natur, S. 193) die spanische Spätscholastik als r e i n mittelalterlich-scholastisch beurteilt u n d i h r keinerlei Einfluß auf die tragenden Strömungen ibeimißt, die zum modernen N a t u r - u n d Völkerrecht führen, geht die heutige Forschung v o n einem zum T e i l nicht unwesentlichen Beitrag dieser Schule f ü r das Vernunftrecht des 17. Jh.s aus; dazu Wieacker, PrGN, S. 284 f.; zurückhaltend WesenbergI Wesener, S. 129; Welzel, Naturrecht, S. 89 ff.; neuestens Hof mann, Hugo Grotius, i n : Stolleis, Staatsdenker, S. 51 ff., 64, 73 f.; Lieberwirth, Die historische E n t w i c k l u n g der Theorie v o m vertraglichen Ursprung des Staates u n d der Staatsgewalt, S. 24ff.; vgl. auch Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 86 ff. u. 92 ff.; das Verdienst, die rechtshistorische Meinung des letzten Jh.s einer kritischen Überprüfung zugeführt zu haben, k o m m t den Aufsätzen v o n Kohler, Die spanischen Naturrechtslehrer des 16. u n d 17. Jahr-
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca
I m Bereich unseres zivilrechtlichen Anliegens stößt man auf eine breite Lücke i n der rechtsgeschichtlichen Forschung 8 ; um so schwieriger mag es erscheinen, auf die Frage nach den methodengeschichtlichen Hintergründen der Allgemeinen Privatrechtslehren eine befriedigende A n t w o r t zu geben. Wenn gleichwohl i m folgenden der Versuch unternommen wird, den Nachweis zu erbringen, daß es die spanischen Theologen und Juristen des ausgehenden Mittelalters waren, die der Rechtswissenschaft jene genetischen Strukturen vermittelt haben, die dieser später die Ausbildung der Allgemeinen Lehren ermöglichten, so fühlt sich der Verfasser hierzu deshalb ermutigt, w e i l er glaubt, m i t den K r i terien der μετάβασις είς δλλο γένος und dem metasprachlichen Verständnis der Rechtsinstitute Merkmale gewonnen zu haben, die auch ohne eine den Rahmen dieser Arbeit sprengende dogmengeschichtliche Forschung erlauben, eine begründete Aussage zu treffen. Freilich müßten weitere Studien dogmatischer A r t folgen, u m die Bedeutung der Schule von Salamanca für das Privatrecht näher auszuleuchten und den ihr gebührenden Platz auch i n der Geschichte des Zivilrechts näher bestimmen zu können 4 .
I. Naturrecht und Jurisprudenz: die naturrechtliche Entwicklung der μετάβασις εις άλλο γένος
und ihre Einführung in die Rechtswissenschaft Die μετάβασις εις δλλο γένο ς lag der bisherigen Untersuchung als ein Beweisfehler der klassischen Logik zugrunde, bei welchem statt des stringenten Beweises eine Aussage behauptet (und eventuell bewiesen) wird, die jedoch einem anderen Gegenstands- oder Wissenschaftsbereich integriert ist als das zu beweisende Problem. Es werden, ausgehend von ontischen, ethischen oder theologischen Beobachtungen Theoreme gewonnen, die dann als sog. Naturrechtssätze apostrophiert, dazu dienen, auch der juristischen Argumentation die Weihe der Unangreifbarkeit zu geben. hunderts, i n : A R S P Bd. 10 — 1916/17 —, S. 235 £f. u n d insbes. jenem von Thieme, Natürliches Privatrecht u n d Spätscholastik, i n : SZ Germ, Bd. 70 — 1953 — S. 230 if. zu; i n diesem Rahmen n i m m t eine besondere Stellung die Schrift Reibsteins, Die Anfänge des neueren N a t u r - u n d Völkerrechts, ein. 3 Dem privatrechtlichen Anliegen haben sich näher gewidmet Kohler, Thieme, beide Fn. 2; Otte, Das Privatrecht bei Francisco de V i t o r i a ; vgl. auch Krause, Naturrechtler des 16. Jahrhunderts, sowie Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius zum Versprechen, S. 4 if., 82 ff., 106 ff., 120 ff., u n d neuestens Seelmann, Die Lehre des Fernando Vasquez de Menchaca v o m dominium. 4 Eine die hier vorgelegte methodengeschichtliche Studie vertiefende rechtsdogmatische A r b e i t über die Allgemeinen Privatrechtslehren ist v o m V e r fasser f ü r einen späteren Zeitpunkt geplant.
I. Naturrechtliche μετάβασις und juristische Lehre
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Der logische Fehler liegt selbstredend darin, daß diese „Naturrechtssätze" als eben nur physikalische, moralische und theologische Grundsätze keinen juridischen Gehalt auf weisen, den sie i n eine rechtliche Beweisführung einbringen könnten. M i t einem Wort: Aus dem Sein w i r d Sollen abgeleitet. Die methodische Basis, die conditio sine qua non einer solchen μετάβασις είς αλλο γένο ς ist die Erkenntnis, daß Sein und Sollen, physische und psychische Natur und ethischer Anspruch, moralische Verpflichtung und juristische Norm einer je und je genuin zu trennenden Materie zuzuweisen sind. Unter Zugrundelegung dieser Vorüberlegungen w i r d sich nun zeigen und nachweisen lassen, daß die scholastische Naturrechtslehre thomistischer Prägung schon aus methodologischen Gründen i m Sinne unseres Themas unfruchtbar bleiben mußte. Es ist Johannes Duns Scotus (1270 bis 1308), der erstmals die Voraussetzungen der μετάβασις naturrechtstheoretisch begründet; wenig später werden seine Ansätze von seinem jüngeren Ordensbruder Wilhelm von Ockham {1290 bis 1349) aufgenommen und aufs schärfste akzentuiert. Den rationalistischen Gegenstoß zur voluntaristisch-nominalistischen Lehre führen die spanischen Spätscholastiker der Schule von Salamanca, die, wenn sie auch i m Ergebnis dem Thomismus zum Siege zu verhelfen suchen, nicht mehr hinter Duns und Ockham zurückkehren 5 . Sie sind die ersten, die schließlich der Jurisprudenz m i t der Krücke der μετάβασις είς αλλο γένος zu Hilfe kommen, um den Rechtssätzen eine neue, allgemeinverbindliche Autorität zu verleihen, die sich auf die recta ratio humana stützt. 1. J o h a n n e s D u n s S c o t u s und das voluntaristische Naturrecht
Der Fundamentalsatz des Doctor angelicus zur Beziehung von Sein und Sollen lautet i n seiner klassischen Prägnanz: „bonum enim et ens convertuntur®." Diese Aussage ist die Konsequenz des ordo-Gedankens, demzufolge alles Sein überflutet w i r d von der ordnenden Vernunft Gottes, der ratio divina, die dem Menschen i n und durch die Natur als die lex aeterna i m 5 Vgl. zum ganzen Welzel, Naturrecht, S. 66 -107, sowie Verdross, A b e n d ländische Rechtsphilosophie, S. 83 ff.; anders Seelmann, S. 21 ff., der dieser geistesgeschichtlichen Fortschreibung des Naturrechtsgedankens keine Bedeutung beimißt. 6 Summa theol., 1, 2, qu. 18, art. 1.
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca
Wege der analogia entis offenbart w i r d 7 . Der ordo Dei spiegelt so die Teilhabe der gesamten Schöpfung am göttlichen Wesen wider. I n der Tat vermag nichts anderes als diese existentielle Kongruenz von Sein und Sollen die analogia entis zu begründen. Denn nur unter dieser Bedingung kann die Natur dem Menschen über naturwissenschaftliche Erkenntnisse hinaus auch die moraltheologischen Einsichten i n den Heilsplan Gottes vermitteln und i h m damit den Weg zum bonum commune weisen. G i l t aber der Satz „ens et bonum convertuntur", ist eine μετάβασις είς αλλο γένο ς von vornherein und unbedingt ausgeschlossen, denn sowohl die Norm als auch die Natur werden als ein Teilaspekt desselben γένο ς interpretiert, nämlich hier der Theologie, i m besonderen der Moraltheologie. Ein argumentatives „Hinüberwechseln" auf ein zweites Sachgebiet ist ex definitione nicht denkbar. Ein solches wurde erst dadurch möglich, daß Duns Scotus dem thomistischen Dogma von der Herrschaft der göttlichen Vernunft 8 (an die Gott selbst gebunden ist 9 ) den Primat der voluntas Dei entgegensetzt: „ista voluntas Dei, qua v u l t hoc producit pro nunc, est immediata prima causa, cuius non est aliqua alia causa quaerenda; sicut enim non est ratio quare voluit naturam humanam i n hoc individuo esse, et esse possibile et contingens, ita non est ratio quare hoc voluit nunc et non tunc esse; sed tantum quia voluit hoc esse, ideo bonum fuit i l l u d esse; et quaerere huius propositionis, licet contingentis, immediate causam, est quaerere causam sive rationem cuius non est ratio quaerenda 10 ." Der K e r n der Scotischen Naturrechtslehre sind das Bekenntnis zum freien Willen des Schöpfergottes 11 und zur Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen; beide sind nicht durch eine dem Willensentschluß
7 Summa theol., 1, 2, qu. 93, art. 1 : „ D e u s . . . per suam sapientiam conditor est universarum rerum, ad quas comparatur sicut artifex ad artificata . . . Est etiam gubernator o m n i u m actuum et motionum, quae i n v e n i u n t u r i n singulis creaturis . . . E t secundum hoc, lex aeterna n i h i l aliud quam ratio divinae sapientiae, secundum quod est directiva o m n i u m actuum et motionum." Vgl. dazu auch Fikentscher, Methoden des Rechts I , S. 376. 8 Summa theol., 1, qu. 82, art. 3: „ . . . secundum se et simpliciter intellectus sit altior et nobilior voluntate." • Vgl. dazu z. B. Welzel, Naturrecht, S. 62 f. 10 Johannes Duns Scotus, Opus Oxoniense I I , d. 1, qu. 2, Schol. n. 9; zum Primat des Willens vgl. Stratenwerth, Die Naturrechtslehre des Johannes Dims Scotus, S. 21 - 30 u n d 49 - 58, u n d Seeberg, Die Theologie des Johannes Duns Scotus, i n : Studien zur Geschichte der Theologie u n d der Kirche, Bd. V, S. 86 ff. 11 Allerdings ist die voluntas D e i bei Duns an den Satz v o m Ausschluß des Widerspruchs gebunden; dazu später.
I. Naturrechtliche μετάβασις und juristische Lehre
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vorausgehende intellektuelle Einsicht determiniert 1 2 . Erst i n der Möglichkeit, seinen Willen frei entscheiden zu lassen, erwächst dem Menschen die Basis für ethisch und moralisch wertvolles Handeln 1 3 . Ist aber die gestaltete Welt nicht Ausfluß einer immerwährenden göttlichen Vernunft, die selbst den Schöpfungsakt Gottes i n den Rahmen einer potentia ordinata Dei 1 4 bindet, sondern beruhen alles Sein und alle Werte auf einzelnen kontingenten Willensentscheidungen Gottes 16 , so sind die für den Menschen erkennbaren Dinge, die seine Wertschätzung erlangen, nicht Werte per se, die i m Erkennen der Natur selbst schon begriffen werden, „sondern sind Werte nur, w e i l der göttliche Wille die Brücken zwischen dem summum bonum und ihnen geschlagen hat" 1 6 . Was hat nun dieser Teilausschnitt aus der Scotischen Naturrechtslehre m i t der μετάβασις είς αλλο γένος zu schaffen? Wenn es der Wille Gottes ist, der jene Handlung als verwerflich, diese als ethisch wertvoll qualifiziert, also ein außerhalb der natura nata liegendes Moment entscheidenden Einfluß auf die Normsetzung nehmen muß, um dieser einen Wert beizumessen, dann w i r d „jene Verbindungslinie von der naturhaften Neigung zum sittlichen Wert radikal durchgeschnitten" 17 . Nicht die Natur verkörpert eo ipso die sittlichen Werte, sondern Gott hat das und jenes als einen solchen gewollt. Damit werden Sein und Sollen aus ihrer thomistischen Identität gelöst und als zwei verschiedene Erkenntnisbereiche anerkannt 18 . Hier liegt die Grundvoraussetzung der μετάβασις είς αλλο γένο ς. Erst jetzt w i r d die Behauptung einer Norm m i t dem Argument, die Natur sei so oder so und hieraus folge der oder jener Rechtssatz zum logischen Fehlschluß. Denn das Sein verhält sich gegenüber einer Rechtsordnung — sei sie moralischer oder juristischer A r t — neutral und unverbindlich.
12 W i l l e u n d V e r n u n f t erscheinen beide als Teilursachen einer Handlung. Z u r Fortsetzung dieser Lehre bei Wilhelm ν . Ockham vgl. Hochstetten Viator mundi, i n : Franziskanische Studien, Bd. 32 — 1950 — S. 1 ff., 4, 6 ff., 11 ff. 13 Seeberg, S. 86 ff., bes. 90 f. 14 Vgl. dazu Summa theol., 1, qu. 21. art. 1. 15 Duns, Opus Oxoniense I, d. 8, qu. 5, Schol. m. 24: „quare voluntas voluit hoc, n u l l a est causa, nisi quia voluntas est voluntas."; I I , d. 25, Schol. n. 22: „ n i h ü aliud a voluntate est causa totalis volitionis i n voluntate." Ebenso i n Reportata Parisiensia, I, d. 10, qu. 3, n. 4: „ n o n est alia causa quare voluntas vult, nisi quia voluntas est voluntas." ie Stratenwerth, S. 57; vgl. auch S. 21. 17 Welzel, Naturrecht, S. 68. 18 Vgl. hierzu Binkowski, Die Wertlehre des Duns Scotus, S. 10 ff.
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca 2. Der Nominalismus des W i l h e l m v o n
Ockham
Ein Restbestand ideellen Naturrechtsverständnisses war bei Duns Scotus noch verblieben: das Verbot des Gotteshasses, das sich aus dem Wesen des Höchsten selbst notwendigerweise ergeben soll 19 . Gott ist das bonum per se und diese bonitas gehe seiner Willenssetzung voran. Gibt die wesenhafte Güte Gottes einerseits dem Menschen die Gewißheit, daß die voluntas Dei nicht i n eine willkürliche Satzung ausartet, so leitet sich hieraus ebenso das einzige wirkliche Naturgesetz 20 ab, nämlich das Verbot, Gott zu hassen. Denn Gott ist seiner eminenten Güte wegen das bonum volibile per se 21 . Auch dieses letzte natürliche Gesetz stellt nun Wilhelm von Ockham i n Abrede: „Deus potest praecipere, quod voluntas creata odiat eum. Igitur voluntas creata potest hoc facere. Praeterea omne quod potest esse actus rectus i n via: ergo i n patria; sed odire Deum potest esse actus rectus i n via, puta si precipiatur a deo: ergo et i n patria 2 2 !" M i t dem Fall des Verbotes, Gott zu hassen, war die Voraussetzung für einen Wertrelativismus geschaffen 23, dessen Fortsetzung Welzel i n den Werken von Thomas Hobbes sieht 24 . Endgültig war jeder menschlichen Handlung ein „an sich Gutes" oder das „an sich Verwerfliche" genommen. „Quod bonitas moralis et malicia connotant quod agens obligatur ad i l l u m actum vel eius oppositum. Ita potest totaliter causare actum odiendi deum sine omni malicia morali propterea dei causam.. . 2 5 ." Ein ethischer Wert eignet dem menschlichen Handeln nicht mehr als ein Konstituens desselben, sondern als eine von außen durch den Willen Gottes veranlaßte Bewertung. Ließ sich nicht einmal mehr aus dem A k t des Gotteshasses das Verwerfliche des Tuns eo ipso ableiten und einsehen, so war die moraltheologische Einheit von Sein und Sollen bis ins letzte gesprengt. Die 19
Welzel, Naturrecht, S. 68; ebenso S. 77. Welzel, ebenda, S. 74 ff. 21 Z u r Lehre v o n der Scotischen „Konsonanz" vgl. Welzel, ebenda, S. 79 f.; ders., Naturrecht u n d Rechtspositivismus, S. 284 f., w o Welzel i m Konsonanzprinzip den ersten Ansatz einer Theorie des Positivismus erkennt. 22 Ockham, Sentenzenkommentar zu Petrus Lombardus, I V , qu. 14, D ; vgl. hierzu auch Kölmel, Das Naturrecht bei W i l h e l m Ockham, i n : Franziskanische Studien, Bd. 35 — 1953 — S. 39 ff., 58 ff., der i n der Lehre v o m Gotteshaß keine systembestimmende Aussage sieht. 23 Abweichend Hochstetter, S. 14, der i n der Liebe zu Gott jenes K r i t e r i u m sieht, das dem Denken Ockhams einen bleibenden Standort jenseits aller Relativität verleiht; ähnlich Kölmel, S. 67 ff., unter bes. Hervorhebung der „ aequi tas naturalis". 24 Welzel, Naturrecht, S. 84. 25 Ockham , I I , q. 19, P. 20
I. Naturrechtliche μετάβασις und juristische Lehre
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Idee einer lex aeterna, die bei Duns Scotus noch in der radizierten Form des Satzes vom Ausschluß des logischen Widerspruchs und des Verbotes, Gott zu hassen, durchschimmert, w i r d von Wilhelm von Ockham endgültig über Bord geworfen 26 . Ewig (und gut) ist nur noch der Gesetzgeber, der heute zum Gesetz erheben kann, was gestern untersagt war. Was die Menschen als „Verbrechen" bezeichnen, ist i n Wirklichkeit neutrales Handeln, das nur durch den Willen Gottes zum Ge- oder Verbot w i r d : „Quia ista nomina significant tales actus non absolute, sed connotando vel dando intelligere, quod faciens tales actus per preceptum divinum obligatur ad oppositum . . . Si autem caderent sub precepto divino, tunc faciens tales actus non obligaretur ad oppositum et per consequens tune non nominaretur furtum, adulterium etc. 27 ." Man steht vor einem einigermaßen paradoxen Ergebnis: Führt Ockham die Trennung von Wissen und Glaube, von Sein und Sollen i n einer bis dahin nicht gekannten Schärfe durch, und legt er so die theoretische Voraussetzung für alle folgenden Naturrechtsmodelle, die Basis für die μετάβασις είς δλλο γένος auf breitester Ebene, so verabschiedet er i m selben Moment die Idee des Naturrechts und proklamiert eine positivistische Moral- und Rechtslehre 28 . Das ist die Folge der Verbannung sämtlicher objektiver Werte aus der dem Menschen zugänglichen Welt. Hand i n Hand m i t der globalen Negierung unumstößlicher Wertstrukturen bahnt sich der Nominalismus seinen Weg, der den Allgemeinbegriffen die platonisch-thomistische ideelle Realität abspricht und sie nur als Erzeugnisse menschlichen Denkens anerkennt 29 . M i t der Spaltung der thomistisch-rationalen Einheit von Sein und Sollen und der implizit formulierten methodischen Voraussetzung der naturrechtlichen μετάβασις keimt i m Voluntarismus-Nominalismus der Franziskaner Duns und Ockham jener Strang der Naturrechtstradition auf, der zum Vernunftrecht der Neuzeit führt. Zur Zeit jener ersten Erschütterungen innerhalb des christlichen Naturrechts beschränkte sich die Diskussion freilich noch ihrem gesamten Umfange nach auf das Gebiet der Theologie, und es kann keine Rede davon sein, daß m i t den Genannten sich bereits eine verringerte Bindung der Lehre vom natürlichen Recht an die Moraltheologie anbahnt. So vermochte diese Auseinandersetzung auch nicht auf die Rechtswissenschaft auszustrahlen: Der Legistik stand das Zeitalter des Bartolus 26 Z u den Widersprüchlichkeiten i m W e r k Ockhams vgl. Welzel, Naturrecht, S. 85 ff. 27 Ockham, I I , qu. 19, O. 28 Stratenwerth, S. 67. 29 Z u m Konzeptualismus innerhalb des Universalienstreites später, S. 152 Fn. 9.
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noch bevor, und diesen Autoren war das römische Recht und die gerechte Ordnung noch eins 30 . Erst i m Bestreben, die gegensätzlichen Lehren zum Ausgleich zu bringen und inmitten der Glaubensspaltung einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, gewinnt die Spätscholastik den Gedanken vom überzeitlichen, natürlichen Recht i n einer neuen Form wieder und löst ihn soweit aus seiner moraltheologischen Verquickung, daß er auch für die Jurisprudenz zum Tragen kommen konnte. 3. Die Lehre vom natürlichen Recht in der Theologie der spanischen Spätscholastik: G a b r i e l V a s q u e z
Unter den Theologen von Salamanca war es Gabriel Vasquez 91, ein Mitglied der Societas Jesu, der i m Widerstreit von ratio und voluntas Dei das Naturrecht am weitesten von seiner mittelalterlich-theonomen Basis entfernte und damit der Bahn des Vernunftrechtes am nächsten kam 3 2 . Seinem Werk w i r d man wohl nur dann gerecht werden können, wenn man es eingebettet sieht, i n die Fortführung des Streites zwischen Dominikanern und Franziskanern, der zum Zentralproblem der mittelalterlichen Moraltheologie geworden war; ein Streit, der sich über Thomas, Duns, Ockham , Gregor von Rimini hinzieht und über Peter d'Ailly, Johannes Gerson und Gabriel Biel auf Francisco de Vitoria zukommt. Damit steht ein Grundanliegen der Schule von Salamanca von Anfang an fest: entgegen der voluntaristisch-nominalistischen Demontage objektiver sittlicher Werte und Normen das menschliche Leben wieder an den Maßstäben eines natürlichen und unabänderlichen Rechts auszurichten. Die Lehre des Gabriel Vasquez kann deshalb nicht i n jeder Hinsicht als ein originaler Entwurf gewertet werden. Schon sein Mitbruder Francisco Suàrez weist i n seinem Tractatus de legibus seu legislatore Deo auf den Einfluß Vitorias hin 3 3 . A n diesen knüpft Vasquez an, dessen Erkenntnisse führt er weiter, faßt sie schärfer und gelangt schließlich m i t der Darlegung seiner Naturrechtslehre zu einer Position, die dem rationalen Naturrecht des 17. Jh.s näher steht als thomistischem und voluntaristisch-nominalistischem Gedankengut. 30
Vgl. oben S. 89. 1551 bis 1601. 32 Z u i h m Welzel, Naturrecht, S. 94 ff. ; Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 86 ff.; von Garssen, Die Naturrechtslehre des Gabriel Vasquez, S. 27 ff., 99 ff.; Stratenwerth, S. 116. 33 Dort, lib. I I , c. 5, n. 2. 31
I. Naturrechtliche μετάβασις und juristische Lehre
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Die Vorstellung eines wie immer gearteten Naturrechts steht und fällt m i t dem Postulat überzeitlicher, dem Wandel nicht unterworfener Prinzipien, Normen oder Dingen. Wollten die salamatizensischen Theologen zu einer Neubegründung 34 der Naturrechtslehre beitragen, so konnte dies nur m i t einer Wende h i n zum Rationalismus eingeleitet werden. Der Voluntarismus Duns' und vollends die nominalistische Haltung Ockhams konnten hierfür den Boden nicht abgeben. So kam es nicht von ungefähr, daß die intellektuelle Sicht des Aquinaten zum Ausgangspunkt der spanischen Theologen wird 3 5 . Bei Thomas lebt die lex naturalis von der Annahme, durch den Schöpfungsakt Gottes nähmen die Dinge und der Mensch als wesenhaft m i t der ratio divina verbundene Kreatur A n t e i l an der Unveränderlichkeit und Unvergänglichkeit göttlicher Existenz. Die stufenartige Ausbreitung des ordo Dei führt die i n der Natur verkörperten Ideen i n ihren essentiae auf die eine göttliche Vernunft zurück, die m i t ihrer Unwandelbarkeit auch die Beständigkeit der i n der Schöpfung innewohnenden Ideen und m i t h i n des Naturrechts verbürgt: „ . . . quod Deus secundum essentiam suam est similitudo omnium rerum. Unde idea i n Deo n i h i l est aliud, quam Dei essentia 36 ." Das Naturrecht erhält seine Geltung a priori also allein und ausschließlich aus seiner Verankerung i n Gott. Bereits Vitoria schlägt auf dem breiten Wege des Rationalismus eine Richtung ein, die die Lehre des Thomas von Aquin i n ihrer unbedingten Bindung der Natur an die essentia Dei aufweicht. Wohl eigne den Dingen ein unabänderliches Wesen und den menschlichen Handlungen ein Wert bzw. Unwert per se. Die essentiae rerum finden w i r aber i n den Dingen selbst liegend als deren unmittelbare Natur: „Nam primum omnium multae sunt proprietates et aptitudines rerum, quae secundum communem opinionem, non conueniunt rebus per aliquas qualitates superadditas, sed immediate per suas essent i a s . . . 3 7 ." Dem Gedanken der essentia immediata rerum 3 8 fügt Vitoria 84 F ü r die spanische Spätscholastik ging es aus ihrer Sicht eher u m die Fortführung der Lehre von Thomas von Aquin, vgl. Otte, Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 23 ff. 35 Vgl. dazu Bergfeld, S. 1016 ff. 86 Summa theol, 1, qu. 15, art. 1. 87 Vitoria, Relectiones theologicae X , de hom., n. 4; dies muß als der w i r k lich wesentliche Unterschied zwischen Thomas u n d der spanischen Spätscholastik erkannt werden. Die K r i t i k Ottes, Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 25, Fn. 7, t r i f f t deshalb nicht den Kern. Auch Welzel, Naturrecht, S. 98, sieht i n der A u s w e i t i m g des Naturrechts i n die Schlußfolgerungen n u r eine Verstärkung der i m angef. Z i t a t gen. „rationalistischen S t r u k t u r des spätscholastischen Naturrechts" ; ähnliches gilt f ü r v. Garssen, S. 27 - 45. Daß f ü r Francisco de Vitoria die Rechtslehre noch nach Materie, Methode und Darstellungsform i n die hochscholastische F o r m eingebunden bleibt, soll
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den thomistisch-rationalen Satz der Bindung des göttlichen Willens an seine Vernunft hinzu, die Bindung des Schöpfers an die Gesetze der Logik und damit die Charakterisierung der potentia Dei als eine potentia ordinata, welcher die essentiae rerum vorangehen. „Quamuis deus species quidem rerum et essentias variare non potuerit, neque enim potuit aut hominem aut bouem alterius speciei facere, quam fecit, potuit tarnen proprietates, et inclinationes naturales immutare, potuit (inquam) ignem frigidum naturaliter facere, et aquam calidam, ac rursum nigram niuem, et album co ru um 3 9 ." Genau diesen Gedanken Vitorias nimmt Gabriel Vasquez auf und wenn bei jenem noch eher die Gebundenheit Gottes an die logischen Gesetze i m Vordergrund stehen denn die Loslösung der essentiae rerum von der essentia Dei, so w i r d er bei Vasquez fortentwickelt und steht nun apodiktisch i m Mittelpunkt seiner Naturrechtslehre: „Deus pro voluntatis arbitrio non potest naturas rerum variare, ac proinde ex eius voluntatis praecepto non pendet i n iis, quae suapte natura mala, et contraria sunt, rem unum alteri contrariam, seu disconvenientem esse, sed hoc ex se habent res, aut actu existentes, aut possibiles 40 ." Könnte man annehmen, es würde m i t der These der Bindung des Intellekts (und selbstverständlich des Willens) an logische Notwendigkeit und an die Ideen als den essentiae rerum von Gabriel Vasquez nichts anderes novelliert als die Lehre des Thomas von der ratio divina, so w i r d bei näherem Zusehen recht deutlich, daß sich in Wirklichkeit eine nicht mehr zu schließende K l u f t zwischen den Naturrechtsmodellen beider Denker aufgetan hat 4 1 . Z u diesem fundamentalen Neuansatz i n der Naturrechtslehre der katholischen Gegenreformation führt die Abtrennung der essentiae rerum vom ordo Dei. Waren die Dinge bei Thomas ihrer Natur nach m i t Gott verbunden, die ratio divina Erkenntnis-, Erschaffens- und Ordnungsgrund i n einem, so löst Gabriel Vasquez die Natur der Dinge nunmehr von der Natur des Schöpfers. Er durchschneidet das Band des ordo Dei. Die ratio damit keineswegs bestritten werden; vgl. Otte, Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 9 ff. 38 Ob diese Formulierung allerdings dahin verstanden werden darf, daß die „unmittelbare N a t u r " der Dinge ihre Unvergänglichkeit i n sich selbst trägt oder doch aus der Unendlichkeit Gottes schöpft, ist zweifelhaft; vgl. auch hier Otte, Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 25. 39 Vitoria, Relectiones theologicae X , de hom., n. 4. 40 Gabriel Vasquez, K o m m e n t a r zur Summa theologica I, I I , disp. 97, cap. 3,
η. 6.
41 Darauf weist zu Recht v. Garssen, S. 40 f., hin, entgegen der Ansicht Reibsteins, wonach das Naturrechtsdenken Vitorias unmittelbar auf Thomas fuße; vgl. Fn. 196 auf S. 40 bei v. Garssen.
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schafft das Wesen der Dinge nicht, sondern das (geschaffene Sein) trägt selbst Essenz i n sich, die der Intellekt ex post erkennt 4 2 . Das gilt für das Erkenntnisvermögen des Menschen nicht anders wie für die ratio divina; die Konsequenz: Die Natur der Dinge hängt nicht mehr von ihrer Wahrnehmung durch Gott ab, diese sind auch der göttlichen Vernunft wie seinem Willen vorgelagert: „Quare si alias Deus esset, etiamsi non cognosceret, per locum tarnen (ut aiunt) intrinsecum, creaturae essent possibiles, hoc est, ex se ipsis non implicarent contradictionem, talis, aut talis naturae esse, possentque i n tempore produci, si alio modo quam cognitione, et voluntate Deus esset omnipotens: prius igitur est nostro modo intelligendi, rem esse possibilem, hoc est, ex se implicare contradictionem, quam intelligi ab intellectu diuino 4 3 ." Verneint Vasquez die übernatürliche Abhängigkeit der Natur der Dinge von der Vernunft Gottes, so lehnt er nicht weniger die Vorstellung der Voluntaristen ab, wonach die essentiae je und je dem Belieben Gottes unterworfene kontingente Willensakte seien. „Deus voluntatis arbitrio non potest naturas rerum variare 4 4 ." Nur der denkbar geringste Konnex zwischen dem Schöpfer und der Natur bleibt bestehen. Als „amor efficax" entscheidet das Wollen Gottes über das „Ob" einer Existenz. Hierin ist Gott keiner vorgegebenen Struktur unterworfen. Die Verwirklichung dieses Entschlusses, die Konkretisierung jenes Wollens, m i t h i n das „Wie" der Welt bestimmt sich nach der ureigenen Natur der Dinge selbst. Insofern ist der Wille Gottes ein lediglich zustimmender. „Ego vero existimo cum S o t o . . . , i n principio distinctione opus esse: aut enim sermo est de amore simplicis conplacentiae tantum, qui dici solet simplex affectus, et hoc amore v u l t Deus omnes creaturas possibiles non libere, sed necessario; aut loquimur de voluntate, et
42 Gab. Vasquez, K o m m e n t a r zur Summa theologica I, I I , disp. 97, cap. 3, η. 6: „Probatur autem praedicta sententia p r i m u m , quia i n opinione nostra m a l i t i a moralis consistit i n relatione ü l a oppositionis cum natura rationali, quaedam autem i t a ex se sunt mala, hoc est, i t a inconuenientia naturae rationali, sicut est calor aquae, u t facta cum i l l i s circumstantiis, natura sua i d habeant non voluntate Dei prohibente, aut intellectu Dei, essentiae r e r u m non implicant contradictione, u t supra dicebamus, et etiam odium Dei, et periur i u m ex se non ex intellectu, aut voluntate Dei disconuenientia sunt h o m i n i : ergo non omnia ideo sunt peccata, quia prohibita, u t enim optime notavit Victoria relectione i l l a de homicidio numero 4." 43 Ebenda, I, disp. 104, cap. 3, η . 9 - 10. 44 Gab. Vasquez, oben Fn.40; vgl. dort auch I , I I , disp. 179, cap. 2, η. 17: „ . . . eodem modo opera aliqua dicuntur suapte natura mala, non quia Deus voluit ea, u t mala prohibere. sed quia ex se ipsis naturae rationali quatenus rationalis est disconuenientia sunt, et contraria. C u m i g i t u r Deus non possit pro voluntate sua variare naturas r e r u m . . . "
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca
amore efficaci, quo v u l t creaturis dare existentiam, et eas producere; et hoc amore diligit creaturas possibiles non necessario, sed libere .. . 4 5 ." Die entscheidende Fortschreibung der Naturrechtslehre i m Werk briel Vasquez' finden w i r demnach i n der Befreiung der „Natur Sache" von ihrer Gebundenheit i n die göttliche Vernunft bzw. Willen Gottes. Statt dessen versenkt er sie i n die Dinge selbst und diesen damit eine Eigenwertigkeit a priori 4®.
Gader den gibt
Der Ausbau dieser Gedanken zu einer umfassenden Lehre konnte nur bedeuten, daß auch für die Natur des Menschen i n ihrer spezifischen Anlage die theologische Verschränkung fallen mußte und sie zu einer Form an sich und aus sich erwuchs. A n dieser autonomen Substanz der Natur des Menschen erfährt nun auch als konsequente Folge jegliches menschliche T u n seine moralische Bewertung: „consequens fit, ut ante omne imperium, ante omnem voluntatem, imo ante omne iudicium sit régula quaedam harum actionum, quae suapte natura constet, sicut res omnes suapte natura contradictionem non implicant: haec autem non potest alia esse quam ipsamet rationalis natura ex se non implicans contradictionem, cui tanquam regulae, et i u r i naturali bonae actiones conueniunt, et adaequantur; malae autem dissonant, et inaequales sunt; quamobrem et illae bonae, haec autem malae dicuntur. Prima igitur lex naturalis i n creatura rationali est ipsamet natura, quatenus rationalis, quia haec est prima régula boni et mali 4 7 ." M i t dem Bekenntnis, daß die erste Norm des Naturrechts die Natur des Menschen selbst sei, war das scholastisch-thomistische Naturrechtsdenken theoretisch überwunden 48 . Die Abhängigkeit der Schöpfung vom amor efficax Dei t r i t t für das Naturrecht völlig i n den Hintergrund, denn die inhaltlichen Aussagen werden aus der Natur des Menschen gewonnen und nicht als Offenbarung des Heilsplans Gottes erfahren. Nach zweitausend Jahren, so scheint es, kommt der Gedanke des Protagoras , geläutert durch eine ebenso lange Naturrechtstradition, wieder ans Licht: Πάντων χρημάτων μέτρο ν άνθρωπος. Wenn „richtig" und „falsch", „gut" und „schlecht" sich nicht mehr nach Kategorien messen lassen, die der Vernunft oder dem Willen Gottes entspringen, dann ist der Augenblick gekommen, wo das Naturrecht sich 45
Gab. Vasquez , I, disp. 79, cap. 2, n. 6. So auch Bergfeld, S. 1020. 47 Gab. Vasquez, I I , I, disp. 150, cap. 3, n. 22/23. 48 Z u m Versuch Gab. Vasquez*, seiner Lehre durch die Anerkennung einer „ l e x naturalis p r i m a r i a " u n d einer „ l e x naturalis secundaria" die Spitze zu nehmen, vgl. Welzel, Naturrecht, S. 96 f., u n d v. Garssen, S. 41 ff. 46
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dem Zugriff der Theologen entziehen w i r d und als natürliches Recht des Menschen sich zum Lehrgegenstand einer Moralphilosophie konstituiert. Die Erkenntnisse dieses profanen Wissenschaftszweiges haben den Verlust der mittelalterlichen Einheit aufzuwiegen; dies geschieht, indem ihre Ergebnisse i m Laufe der Zeit ausstrahlen und von anderen Disziplinen rezipiert werden. Diesen Schritt als erster für die Jurisprudenz vollzogen und damit die μετάβασις είς αλλο γένος, d. h. eine juristische „Beweisführung" unter I n anspruchnahme moralphilosophischer Aussagen, der Rechtswissenschaft zugänglich gemacht zu haben, ist das Verdienst eines zweiten Gelehrten von Salamanca, des Juristen Fernando Vasquez de Menchaca. 4. Die natürliche Rechtfertigung juristischer Lehren: F e r n a n d o V a s q u e z de M e n c h a c a
Der Spanier Fernando Vasquez 49 ist der erste Jurist, der die μετάβασις είς δλλο γένο ς i m Rahmen rechtswissenschaftlicher Begründungszusammenhänge fruchtbar macht: Er schichtet positive Satzung und natürliches Recht strikt voneinander und beruft sich zur Rechtfertigung der positivrechtlichen Institute auf das Naturrecht: „ . . . quod nulla lex humana habet effectualiter v i m legis, nisi iusta sit . . . iusta autem ut sit, necesse est, quod derivetur a principiis iuris naturalis.. . 5 0 ." I n seinen Werken schneidet sich die Naturrechtslehre Ockhams und das Postulat der recta ratio humana: Während die recta ratio das A b gleiten i n einen Rechts- und Moralpositivismus Ocfchamscher Prägung verhindert, erhält sich als Folge der voluntaristisch-nominalistischen Grundhaltung 5 1 die Ablehnung einer Identifikation von Sein und Sollen. a) Das System des natürlichen Rechts Die Naturrechtslehre des Fernando Vasquez kennt zwei qualitative Stufungen des Rechts: das göttliche Recht und die positive Satzung. Vasquez' genialer Gedanke 52 liegt nun darin, das Naturrecht zwar als göttliches Recht anerkannt, es gleichzeitig aber der Zuständigkeit der 49 Geb. 1512, gest. 1569; ausführlich zu i h m insbes. Reibstein, a.a.O., sowie Seelmann, S. 25 ff. 50 Fernando Vasquez, Controversiae illustres, Lib. I, 29, § 21 ; vgl. auch Reibstein, S. 97. 51 I n diesem P u n k t unterscheidet er sich grundlegend v o n seinem Namensvetter Gabriel Vasquez, weshalb Wieacker zu Recht v o r einer früher oft geübten Verwechslung warnt, PrGN, S. 285, Fn. 18. 52 Die Leistung dieses Juristen vermag n u r v o r dem realpolitischen H i n t e r grund seiner Zeit angemessen bewertet werden, dazu Reibstein, S. 56, u n d Lieberwirth, Fn. 48.
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca
Theologen entführt und als Moralphilosophie i n ein rechtsdogmatisches Verhältnis zum positiven Recht gebracht zu haben 53 . Dies gelingt i h m durch eine begriffliche Abspaltung der einzelnen Rechtskreise: scholastische Methode i m Dienste ihrer eigenen Überwindung. Das Naturrecht, so Fernando Vasquez, sei i n seiner Gesamtheit göttliches Recht. „ . . . omne jus naturale est jus d i v i n u m . . . 5 4 ." Den unmöglichen Versuch, diese Aussage zu verifizieren oder zu beweisen, unternimmt Vasquez erst gar nicht. So können w i r kaum feststellen, wo für den Juristen Vasquez die Grenze verläuft zwischen der Annahme einer Partizipation des Naturrechts am göttlichen Recht als einem persönlichen A k t des Glaubens und der — wie Reibstein es genannt hat — unitas i n necessariis 55 , die von einem Denker i m Zentrum der Gegenreformation eine Verknüpfung zwischen natürlichem und göttlichem Recht verlangte, wollte er eine Zurückweisung seiner Idee nicht a limine riskieren. I m Zusammenhang m i t der Begründung seiner „profanen" Naturrechtsidee scheint der zweite Gesichtspunkt gewichtiger zu sprechen. Denn wie er den Theologen m i t dem Zugeständnis des göttlichen U r sprungs des natürlichen Rechts entgegenkommt, entzieht er ihnen m i t einer wahrhaft meisterlichen scholastischen Wende die Lehrkompetenz für das natürliche Recht i n seiner Anwendung auf die positiven Gesetze: „ . . . licet ex diverso non omne jus divinum sit naturale 5 6 ." Dort aber, wo das göttliche Recht nicht als natürliches, sondern als ein übernatürliches sich gibt, liegt der ureigene Bereich der Theologie, während das Naturrecht der Moralphilosophie anheimfällt. Man hat sich die logischnbegriffliche Interdependenz zwischen jus divinum, dem natürlichen Recht und dem übernatürlichen als das Verhältnis zwischen genus und species vorzustellen, wobei das göttliche Recht die 53 Ebenso w e n n auch i n anderem Zusammenhang, Lieberwirth, S. 28 f., u n d insbes. Reibstein, a.a.O. 64 Fern. Vasquez , I, 29, § 14. 55 Vgl. Reibstein, S. 42; hier scheint Krause, S. 22, den V o r t r a g Vasquez 9 überzubewerten „Vides ergo, u t quod iurisconsulti dixerunt a natura omnia ius naturale edocta fuisse, i d Poetae et Philosoph! declarent esse a Deo: sicque hoc casu Deum et n a t u r a m pro eodem sumi" (Controversiae illustres, L i b . I, 29, 14). Eher sollte der Voluntarismus Vasquez 9 betont werden, der freilich Gott als den Urheber des Naturrechts anerkennt u n d deshalb zwanglos zu einer Gleichsetzimg von Naturrecht u n d göttlichem Recht kommen k a n n ; die fehlende Gebundenheit des Naturrechts an vorgegebene Werte richtet aber die obersten Normen an der recta ratio humana u n d damit am Prinzip der U t i l i t ä t aus. Deshalb t r i t t die Gleichsetzung v o n jus d i v i n u m u n d jus naturale v ö l l i g i n den Hintergrund; vgl. später i m Text. 58 Fern. Vasquez, I , 29, § 14. Dieser Trennung m i ß t Krause, S. 18, eine zu geringe Bedeutung bei.
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Gattung, Naturrecht und übernatürliches Recht die Arten beschreibt. „ . . . cum i n multis sit supernaturale (quale est i n cunctis sacramentis ecclesiae), sicque jus divinum et naturale differunt inter se tamquam genus et species 57 ." M i t der begrifflichen Zergliederung des göttlichen Rechts i n das jus naturale und das jus supernaturale steckt Fernando Vasquez die Grenze zwischen Moraltheologie und profaner Moralphilosophie dezent und unaufdringlich ab. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß er es ist, der schon sechzig Jahre vor Alberico Gentili m i t den Figuren der Scholastik selbst theoretisch vollzieht, was jener später vehement fordern sollte: „Silete Theologi i n munere alieno 58 !" Verzweigt sich an der Spitze der Vasquezschen Rechtspyramide das göttliche Recht i n natürliche und übernatürliche Vorschriften, so setzt sich das genus-species-Verhältnis innerhalb des Naturrechts weiter fort. Die Gattung der natürlichen Normen sind die „natürlichen Gesetzmäßigkeiten", d. h., das Naturrecht überspannt die Natur in toto: „per leges naturales intelligendum est, tarn per illas quas rebus irrationabilibus ingenuit: ut mari et ventis quam per illas quas indidit hominibus 5 9 ." Erst innerhalb der „leges naturales" findet sich der technische Ausdruck des jus naturale als Bezeichnung für die natürlichen Normen der Lebewesen. „Nam naturale jus dicitur, quod omnibus animantibus tarn brutis, quam ratione utentibus commune est 60 ." Den Sektor des Naturrechts, der die obersten Normen für die Menschen enthält, nennt Vasquez das „jus gentium naturale vel primaevum". „jus vero gentium naturale, vel primaevum dicitur, quod solis hominibus non etiam reliquis brutis animantibus competit;..." „ . . . hoc jus gentium naturale vel primaevum a jure naturali simpliciter prolato differt, ut genus, a sua specie 81 ." Dieses jus gentium primaevum ist m i t der Menschheit entstanden 62 und der Sitz jener moralphilosophischen Forderungen, die bei der Setzung des jus humanum den Gesetzgeber zu leiten haben. Das Anliegen Vasquezden Naturrechtsgedanken der Rechtswissenschaft wirklich nutzbar und zugänglich zu machen und sie nicht bloß m i t 57 58 59 M 61 62
Ebenda. Alberico Gentili i m Jahre 1612. Fern. Vasquez , I, 21, § 8. Fern. Vasquez, I I , 89, § 24. Ebenda. „ab ipsa nativitate et origine humano generi", I, 27, § 11.
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5. Abschn. : Die Schule von Salamanca
der spekulativen Sphäre eines naturrechtlichen Schleiers zu überwölben, kommt i n der naturrechtlichen Qualifizierung einzelner, bestimmender ziviler Rechtsinstitute zum Ausdruck. Es sind nicht nur die bekannten inhaltsleeren Sätze wie „Tue das Gute und meide das Böse", die de facto der Jurisprudenz nichts zutragen, m i t denen uns Vasquez naturrechtliches Wirken nahe bringen w i l l , nicht die Erörterung moralphilosophischer Prinzipien, sondern die unmittelbare Zuwendung auch i n der naturrechtlichen Diskussion zur Dogmatik. Dem jus gentium naturale vel primaevum als dem letzten Ausläufer des jus divinum steht das jus gentium secundarium, positives Recht der einzelnen Staaten gegenüber. „Jus autem gentium secundarium est, quod non simul cum ipso genere humano proditum fuit, sed labentibus temporibus a plerisque earum gentium, quae moribus et legibus reguntur, nec r i t u aut more ferarum sylvestrem vitam agunt, receptum reperitur 6 3 ." Diese i n der Naturrechtshierarchie letztfolgende Stufe vermittelt nun jenen Übergang, der aus der moralphilosophischen Ebene i n das Gebiet der Jurisprudenz führt. Während diese Form des Naturrechts als „jus gentium" noch am moralphilosophischen Postulat ihrer Zeit Anteil hat, d. h. als Ausfluß der recta ratio Allgemeingültigkeit beansprucht, w i r d es als „secundarium" materiell ausschließlich m i t juridischen Inhalten konkretisiert, wie den „rerum dominia, emptiones, venditiones, locationes, mandatum" 6 4 . I n dieser letztgenannten Position als sekundäres Naturrecht partizipiert es am positiven Rechtsleben des jus civile und kann nach Maßgabe des einzelstaatlichen Souveräns normiert und modifiziert werden, während es als Ausdruck des übernationalen jus gentium vom Willen des Herrschers unabhängig und deshalb auch ohne staatlichen Rechtssetzungsakt verbindlich ist 6 5 . M i t der Verortung privatrechtlicher, seit jeher unbestrittener Rechtsmaterien i n das jus gentium secundarium legt Fernando Vasquez das Fundament, auf dem Huigh de Groot das jus belli ac pacis, sein Völkerrecht konzipiert. Ohne an dieser Stelle näher auf den „Vater des modernen Natur- und Völkerrechts" einzugehen, sei doch des Zusammenhanges wegen darauf verwiesen, daß es i n der grotianischen Völkerrechtslehre der Vertrag sein wird, der durch seine naturrechtliche Untermauerung zum zentralen Pol der Argumentation wird 6 6 . 63
Fern. Vasquez, I I , 89, § 25. Fern. Vasquez, I I , 89, § 25. 65 M i t dieser Naturrechtstheorie, die insbesondere die privatrechtlichen I n stitute aus dem positiven Satzungsbelieben des Souveräns n i m m t u n d ihnen i m jus gentium secundarium ein übernationales, naturrechtliches aber gleichw o h l bindendes Gewicht zulegt, legt Vasquez den Grundstein einer Theorie des internationalen Privatrechts; zum jus-gentium-Begriff ausführlich Reibstein, S. 67 ff. 64
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Zwei Positionen der hochmittelalterlich-scholastischen Naturrechtslehre sind nach unserem Dafürhalten von Fernando Vasquez überwunden worden: Die Autorität der Moraltheologen wurde auf das „übernatürliche Naturrecht" beschränkt und damit die unmittelbare Folge eingeleitet, daß die leges naturales ihre heilsgeschichtliche Finalität verloren haben. Soweit sie als jus gentium secundarium für die Menschen von Bedeutung sind, werden sie m i t konkreten, juristischen Inhalten belegt. Stellt man sich abschließend die Frage, ob Fernando Vasquez ein profanes Naturrechtssystem entwickelt hat, so w i r d man dies verneinen müssen. Denn es ist die unerforschliche voluntas Dei, i n der auch das Naturrecht igründet. Freilich ist der Abstand zum wirklich profanen Naturrecht nur noch hauchdünn: Die voluntaristisch-nominalistische 67 Sicht läßt auch die Rückkoppelung auf Gott i m Sinne des amor efficax hinter sich, so daß die Notwendigkeit, gleichwohl überzeitliche, objektive Normen zu konkretisieren, die recta ratio humana zum praktisch einzigen Maßstab erhebt. Für das uns hier interessierende juristische System des Naturrechts ist das voluntaristische Relikt (fast) bedeutungslos. Denn die recta ratio erlaubt es Vasquez, das jus gentium als jus gentium naturale der Moraltheologie zu entfremden und als jus gentium secundarium durch und durch i n Form eines prof an-juristischen Naturrechts zu gestalten, u m hieraus die ihm notwendig erscheinenden Schlüsse für das positive Recht zu ziehen 68 . 88
Vgl. Hofmann, S. 68. „ E t u t hoc ius naturale, quo ü t i m u r , quoque interdum abutimur, bonum est, quia a Deo i n f i x u m nobis est: i t a si contrarium nobis dederit, eo ipso quod ipse dederit, bonum erit." (I, 27, § 6). Vgl. hierzu die abweichende I n t e r pretation Seelmanns, S. 24; seiner Meinung nach liegt die Bedeutung dieser Passage i n der dort angesprochenen Vorzeitigkeit ( „ . . . s i . . . d e d e r i t . . . bonum erit."), unserer Ansicht nach i n dem auch v o n i h m angenommenen „ w e n n Gott es . . . gewollt hätte" (Hervorhebung v o m Verf.). 68 Hiergegen wendet sich die kritische Stellungnahme v o n Seelmann, S. 106 ff., der v ö l l i g zu Recht darauf aufmerksam macht, daß sich die V o r stellung eines gegliederten jus-gentium-Begriffs (in ein jus gentium primaev u m u n d ein temporal später wirkendes jus gentium secundarium) schon bei den Kommentatoren nachweisen läßt. Trotzdem vermag die hier vertretene Ansicht dieser K r i t i k Seelmanns (vgl. S. 130) nicht v ö l l i g beizutreten. U m was es Reibstein m i t dem „juristisch formulierten organischen Zusammenhang" geht, ist doch w o h l jener Versuch Fern. Vasquezmit der Qualifizierung des jus gentium einerseits als Naturrecht (genus-species-Verhältnis zwischen jus naturale u n d jus gentium primaevum) u n d der gleichzeitig formulierten B i n dung des jus gentium (wenn auch i n der F o r m des secundarium) i n das positive Recht erstmals ein theoretisches u n d systematisches Nebeneinander zweier bislang geschiedener Rechtsquellen zu erreichen. Daß dieser Versuch i n m a n 87
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca b) Die μετάβασις είς αλλο γένος, moralphilosophisches Postulat und privatrechtliche Ordnung
Die positivrechtlichen Satzungen der Staaten sind Werke der Menschen. Als solche teilen sie nicht die Qualität göttlicher Rechtssatzung und ebensowenig ist es ihr Sinn und Zweck, den Menschen den Weg zum bonum commune zu weisen, wie es die Lehre des Aquinaten war 6 9 . Das naturrechtliche Telos des positiven Rechts findet seine V e r w i r k lichung i n dieser Welt. Auch hier zeigt sich die „prof anisierende" Tendenz des Naturrechts bei Fernando Vasquez. Wie aber sieht dieses Ziel bei i h m aus? A n welchem Maßstab läßt sich die lex humana orientieren und wo findet sie ihre Rechtfertigung? Von den beiden γένερα der μετάβασις ist das eine klar: das positive, zivile Recht. Das zweite ist (begriffsnotwendig) nicht juristischer Natur, sondern hier moralphilosophischer A r t . A u f dieser Ebene entwickelt Vasquez die Gedanken, m i t denen das menschliche Recht i n seiner beschränkenden Funktion gerechtfertigt werden kann 7 0 . „Lex enim scriptura non est. quinimo fraus legi fit, quando insequimur eius verba aut scriptura relieta mente. Voluntas ergo et mens legis etiamsi coniecturis tantum collecta sit posthabitis ipsius verbis, aut scriptura, insequenda est 71 ." Die mens legis aber spiegelt nichts anderes wider als den moralphilosophischen Hintergrund des positiven Rechts, nämlich die Forderung nach einer „evidens utilitas" 7 2 . „Nec dubium est, quin principatus tarn legum quam principium sit creatus ad meram civium utilitatem. Unde chem u n k l a r bleibt, insbesondere die genaue qualitative Erfassung des jus gentium secundarium (einerseits die Teilhabe am jus gentium, andererseits vermißt m a n die k a u m zufällig unterbliebene Abschichtung dieser Rechtsmasse v o m jus gentium p r i m a e v u m i m Verhältnis v o n genus u n d species), darf nicht übersehen werden. Das sollte jedoch auch nicht die Originalität des Denkers verwischen: Während sich i m Bereich der Rechtswissenschaft der jus-gentium-Begriff i n strenger A n l e h n u n g an das jus civile entwickelt hat u n d das Naturrecht als jenes Recht, das die N a t u r allen Lebewesen lehrt, fachspeziflsch i m Grunde unfruchtbar blieb, vermochte auch die innerhalb der Moraltheologie geführte Naturrechtdiskussion aus den gen. Gründen nicht zu einer juristischen Naturrechtslehre zu führen. Erst die V e r b i n d i m g dieser beiden Rechtsquellen i n einem juristischen Begründungszusammenhang löste die maßgeblichen Impulse der Naturrechtslehre auch f ü r die Rechtswissenschaft aus. Aus dieser Problemstellung erwächst denn auch f ü r Vasquez jene Schwierigkeit, die „Veränderung von einem ,ius gentium 4 zum anderen begreiflich" zu machen (Seelmann, S. 131, der damit der hier akzentuierten Sicht w o h l nicht so w e i t entfernt steht, wie es zunächst scheinen möchte). 69 Vgl. oben Fn. 23 i m D r i t t e n Abschn. 70 Vgl. Reibstein, S. 36 ff. 71 Fern. Vasquez, I, 46, § 5.
I. Naturrechtliche μετάβασις und juristische Lehre
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ad eorum perniciem converti minime debet; sicque ut lex simul ac i n communi incipit esse noxia, cessât eius effectus et executio quoad omnes. ita et cum incipit esse noxia respectu unius, aut quorundam civium i n aliquo casu particulari, i n ilio casu carebit executione, ne ea lex ad proficiendum lata nocere incipiat 7 8 ." M i t der „utilitas" w i r d allerdings nur die naturrechtliche „Leerformel" an die Hand gegeben, denn welche Gesetze dem Menschen nützlich seien, das haben die Philosophen seit jeher m i t größtem Unterschied beantwortet. W i r müssen deshalb noch einen Schritt weitergehen, u m die μετάβασις bei Vasquez «genau zu analysieren und das αλλο γένος zu finden. Und i n der Tat finden w i r jenen Punkt sehr klar und deutlich, von dem aus das moralphilosophische Naturgesetz der utilitas gewonnen w i r d : „Cum ergo homo simul ac nascitur ac generatur, habeat semina innata virtutum, quinimo non solum homo, sed etiam ea omnia quae a natura creata sunt, optima sint, par est ut bona fides et bonitas i n homine praesumatur, quamdiu contrarium non p r o b a t u r . . , 7 4 ." Die — ( gute — Natur des Menschen ist es, die das naturrechtliche Gebot der utilitas folgen läßt und damit i m Wege der μετάβασις είς αλλο γένος verbindlich w i r d für den menschlichen Gesetzgeber. Es entsteht hier vor uns erstmals eine Naturrechtslehre, die w i r k l i c h die Elemente einer Lehre 7 5 i n sich trägt: Die Ableitung der positiven Normen aus einer außerpositiven Rechtsquelle w i r d zur tragenden methodischen Einrichtung. U m die Bedeutung und die fortgeschrittene Sicht dieser Vasquezsckien Naturrechtslehre zu ermessen, sollten w i r uns vor Augen halten: Es ist die menschliche Natur, die i m Mittelpunkt der Argumentation steht. Und wenn die Erkenntnis des Naturrechts nur durch unsere eigene recta ratio möglich ist, die uns kraft unseres Menschseins eignet, so ist es w o h l kaum noch ein Schritt, bis die letzte Hürde auf dem Weg zum „Vernunftrecht" fällt. „Jus enim naturale n i h i l aliud esse, quam rectam rationem ab ipsa nativitate et origine humano generi an Deo innatam supra edocti sumus. 72 Vgl. Thieme, Natürliches Privatrecht u n d Spätscholastik, S. 252; beachtenswert dort auch das Z i t a t : „Omnes leges positivae, si non sint utiles, non possuntnon e s s e n o x i a e . . . " 73 Fern. Vasquez, I, 46, § 5. 74 Fern. Vasquez, I I , 70, § 7. 75 H i e r w i r d der Unterschied zu einer angeblichen Naturrechtslehre der Glossatoren überdeutlich (vgl. oben D r i t t e r Abschn., I I 1 c).
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5. Abschn.: Die Schule von Salamanca
Ergo si ipsemet Deus contrariam rationem a nostra origine mentibus nostris imbuerit, i d similiter erit jus naturale 7®." Π . D i e Vertragslehre der spanischen Spätscholastik: keine Ansätze einer Allgemeinen Lehre
W i r haben es als die Leistung der spanischen Spätscholastik angesehen, die Basis für das Naturrecht neu formuliert und m i t der Begründung der „Natur der Sache" aus der Natur der Dinge die Lehre vom natürlichen Recht soweit enttheologisiert zu haben, daß die Rechtswissenschaft i m Wege der μετάβασις είς αλλο γένος naturrechtliches Denken zu ihrem Anliegen machen konnte. Daß diese erste Komponente unserer Allgemeinen Struktur noch keineswegs den zweitenSchritt, nämlich Systemdenken und Metasprache nach sich ziehen muß, braucht nicht besonders betont zu werden. Trotzdem liegt es nahe, die Vertragslehre der spanischen Spätscholastik daraufhin zu überprüfen, ob nicht neben dem ersten auch das zweite K r i terium der Allgemeinen Lehren grundgelegt ist, zumal ein nicht unbedeutender Teil der Literatur jedenfalls die materielle Verwobenheit der Vertragslehren eines Grotius und Pufendorf m i t jenen der Spätscholastiker betont 77 . Fernando Vasquez de Menchaca, dem w i r bereits maßgebliche Bedeutung zugemessen haben, hat sich nicht näher m i t dem Problem des Verlagsrechtes auseinandergesetzt 78 . Gleichwohl lassen seine Ausführungen zum Naturrecht Schlüsse zu, die es erlauben, bei i h m den methodischen Ansatz zu einer Allgemeinen Vertragslehre zu verneinen. Entscheidend dafür ist, daß sich seine Leistung darauf beschränkt, das Naturrecht (jus gentium secundarium) zwar unter fach juristischen Ge76 Fern. Vasquez, I, 27, § 11; a. A . Krause, S. 24, der zu stark auf die t h o m i stische T r a d i t i o n bei Fern. Vasquez abstellt; auf dessen voluntaristisch-nominalistische Prägung k o m m t er nicht zu sprechen. 77 V o r allem Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 2, 4 ff., 51 ; ders., Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 15, bes. S. 61/62-63 et passim; Wenn, Das Schuldrecht Pufendorfs, S. 8 ff., sieht auch hinsichtlich des Systemprinzips die spanische Spätscholastik als Quelle des Grotianischen u n d Pufendorfschen Werkes an; dagegen Diesselhorst, Zum Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 50, Fn. 110; vgl. auch Wieacker, Contractus u n d Obligatio i m Naturrecht zwischen Spätscholastik u n d A u f klärung, i n : L a seconda scolastica nella formazione del d i r i t t o privato moderno, S. 223 ff., 227, 232, 237; ders., Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftsrechts, i n : FS Welzel, S. 7 ff., 11, 16 ff.; ebenso weist bereits Schmauß, S. 213,215 f., auf die Verbindung v o n Spätscholastik u n d Grotius hin. 78 Vgl. dazu auch Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 34, Fn. 12.
II. Die Vertragslehre der spanischen Spätscholastik
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sichtspunkten zu konkretisieren 70 , diese Materie aber — soweit sie das Zivilrecht berührt — aus der Tradition des gemeinen römischen Rechts nimmt. Als naturrechtlich begründet gehen aus seiner Argumentation die römisch-rechtlichen Vertragsformen hervor, die emptio venditio, die locatio conductio, das mandatum etc., nicht aber stößt er zu einem A l l gemeinen Begriff des Vertrages durch. Für unseren Zusammenhang gewinnt die Arbeit des Fernando Vasquez also nur unter dem einen Gesichtspunkt, hier allerdings ausschlaggebende Bedeutung: Er begründet die Geltung des gemeinen römischen Rechts neu, indem er die Autorität der ratio scripta ablöst und die zivilrechtlichen Institute dem Naturrecht unterstellt 8 0 . Der Lehre vom Versprechen und Vertrag hat sich unter dein salamatizemsischen Denkern insbesondere Luis de Molina 81 gewidmet. A u f ihn und Leonhardus Lessius 82 greift Hugo Grotius bei der Entwicklung seiner Vertragslehre vielfältig zurück 8 3 , 8 4 . Nach der überzeugenden Darstellung von Diesselhorst, dessen Ergebnisse i m folgenden nur punktuell unter dem Blickwinkel der Allgemeinen Vertragslehren herangezogen werden 85 , vermochte Molina 88 und mit ihm das spätmittelalterliche Vertragsbild nicht den Übergang zum modernen Allgemeinen System der Verträge zu finden. U m den entscheidenden Punkt klar herauszustellen: Eine Vertragslehre konnte erst dann als eine Allgemeine begriffen und ausgebildet werden, wenn das römisch-rechtliche pactum nudum nicht mehr nur eine „negativ-abgrenzende" Funktion 8 7 hatte, sondern positiv gewendet als bloße conventio zum rechtsverbindlichen Grundbaustein der Vertragslehre wurde. 79
Vgl. oben S. 121 f. u n d insbes. Fn. 63. A u f eine ganz ähnliche E n t w i c k l u n g bei der Ausbildung Allgemeiner Zivilprozeßlehren stößt Nörr bei Boehmer (1674 bis 1749) u n d Cocceji (1679 bis 1755). „Fassen w i r das Ergebnis f ü r Boehmer u n d Cocceji zusammen, so halten sie letztlich geltendes Prozeßrecht f ü r Naturrecht, Boehmer den summarischen, Cocceji sogar den ordentlichen P r o z e ß . . . " ; vgl. Naturrecht u n d Prozeßrecht, S. 15. 81 1535 bis 1600. 82 1554 bis 1623; zur Naturrechtslehre dieses holländischen Jesuiten vgl. Krause, S. 64 ff. ; zu seinem Vertragsrecht Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 4 ff. 88 Diesselhorst, ebenda, S. 34 ff. 84 Die Lehre v o m Versprechen entwickelt Grotius i n : De jure b e l l i ac pacis, l i b r i très, I I , X I . 85 Diesselhorst, ebenda, S. 4 ff. 88 Dasselbe gilt mutatis mutandis f ü r Lessius. 87 Diesselhorst, ebenda, S. 55 und 16. 80
128
5. Abschn.: Die Schule von Salamanca
Dies w a r aber solange unmöglich, als das dogmatische K r i t e r i u m für die Verbindlichkeit eines Vertrages das vestimentum war und nicht der Grundsatz, die persönliche Autonomie verleihe eo ipso dem Versprechen die rechtssetzende Kraft. Z u diesem Punkte konnte sich die spätscholastische Vertragslehre nicht durchringen: „Quod i n meris finibus conventionis consistit, omni alio firmamento carens 88 ." Besonders deutlich w i r d die Verwurzelung der juristischen Dogmatik i n den römisch-rechtlichen Kategorien dort, wo das Problem der A b grenzung zwischen der civilis obligatio und der naturalis obligatio diskutiert w i r d 8 9 . Explizit w i r d hier auf den römischen Typenzwang Bezug genommen und das „juris Privilegium" angezogen, wo ausnahmsweise doch einem pactum nudum Rechtsverbindlichkeit zukommen soll: kein Hinweis auf den selbstgestaltenden Willen der individuellen Person. Nichts anderes igilt, wo die Frage der Möglichkeit eines pactum nudum jure canonico ansteht. Zwar verpflichte das bloße Versprechen nach kanonischem Recht, denn nicht der Regelung zivilrechtlicher Angelegenheiten diene dieses, sondern der Rettung der Seele. Aber selbst hier bedarf es einer causa, d. h. eines vom römischen Recht zur Verfügung gestellten Vertragstypus, um Rechtsverbindlichkeit zu erzeugen 90 . Man sieht also, daß die Allgemeine Form des Vertrages, die conventio, aus der zivilrechtlichen Dogmatik ausgeklammert w a r und i n der Gestalt des pactum nudum jenen Bereich des Vertragsrechts beschrieb, dem Rechtsbedeutung nicht zukam. Den Grund dafür hat man i m Festhalten am römisch-rechtlichen Typenzwang der vertraglichen Obligationen zu sehen, der das Vertragsrecht phänomenoloigisch widerspiegelt, i n seiner Exklusivität aber den Zugang zum Allgemeinen System und Begriff versperrt 91 . Versucht man die Leistung der spanischen Spätscholastiker i m Rahmen der Ausbildung Allgemeiner Privatrechtslehren zu würdigen und sich i m Streit der Meinungen um den Einfluß jener Denker auf die moderne Vertragslehre eine eigene Stellungnahme zu erarbeiten, so 88 Lessius, De justitia et de jure ceterisque v i r t u t i b u s cardinalibus l i b r i quattuor, dub. 33, Nr. 17, S. 197 (zit. nach Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 7). 89 Diesselhorst, ebenda, S. 8. 90 Diesselhorst, ebenda, S. 9; vgl. dazu auch Thieme, Natürliches Privatrecht u n d Spätscholastik, S. 256. 91 Z u Recht charakterisiert Diesselhorst das Bemühen der Spätscholastiker als „juristisch-moraltheologische Konkordanzen des Vertragsrechtes", ebenda, S. 4.
II. Die Vertragslehre der spanischen Spätscholastik
129
sehen w i r die Notwendigkeit, die Allgemeinen Lehren i n ihre konstitutiven Elemente zu zergliedern, bestätigt 92 . Nur unter dem Eindruck der deutlichen Trennung von naturrechtlicher μετάβασις είς αλλο γένος und metasprachlichem System läßt sich der A n t e i l der Schule von Salamanca abwägen: Ihr Verdienst war es, den voluntaristisch-realistischen Streit des Mittelalters auf die Natur der Dinge gelenkt und damit die moraltheologische Bindung des Naturrechtsdenkens stark i n den Hintergrund gedrängt zu haben 93 . Naturrechtliches Denken war nicht nur geeignet, neben voluntas und ratio Dei ein neues, objektives Wertgefüge moraltheologischer Provenienz zu errichten, sondern auch innerhalb der Jurisprudenz vermochte es den Rechtssätzen eine überprüfende Autorität zu sein, die Ausfluß der ratio humana und nicht mehr der ratio scripta war. Damit wurde die Rechtswissenschaft erstmals m i t einer Naturrechtslehre vertraut, deren Kern die Ableitung von Normen aus außerjuristischen Quellen ist. Insoweit w i r bei den Allgemeinen Privatrechtslehren die μετάβασις είς αλλο γένο ς bejiahen, liegt hierin der Beitrag der Schule von Salamanca zu unserer heutigen Rechtsgeschäftslehre 94. Hingegen vermögen w i r nicht der Meinung jener beizupflichten, die den spätmittelalterlichen spanischen Juristen und Theologen auch in dogmatischer Hinsicht bereits maßgeblichen Einfluß auf die Ausbildung der Allgemeinen zivilrechtlichen Lehren zuerkennt 95 oder die Folgezeit eines Grotius gar gänzlich i m Wirken der Salamatizenser aufgehen läßt 98 . I n den Werken gerade dieses Niederländers vermeinen w i r den ersten Ansatz zum „Allgemeinen" der Vertragslehre erkennen zu können 97 , das metasprachliche System dagegen erst i n der Rechtstheorie des 19. Jh.s mit ihrer Lehre von der Willenserklärung. 92 Unter diesem Mangel leidet besonders die Darstellung Kaltenborns, vgl. dort z. B. S. 186. 93 Dazu die wesentlich abweichende Meinung Kaltenborns, S. 186 ff., die allerdings aufgrund der neueren Forschungen als überholt u n d zu global urteilend gelten muß. 94 Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß dieser Beitrag i m Ringen u m die Allgemeinen Lehren entstanden ist; die Motive sind differenziert u n d oft nicht juristischer Natur. H i e r geht es u m die historisch-genetische Quelle der i n den Allgemeinen Lehren wieder erscheinenden methodischen Figur. 95 So w o h l Wenn, a.a.O., u n d — w e n n auch zurückhaltend — Otte , Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 19, i m Hinblick auf Molina. 96 So Sauter , Die philosophischen Grundlagen des Naturrechts, S. 91 ff., u n d Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, S. 71 ff.; dagegen Thieme, Das Naturrecht u n d die europäische Privatrechtsgeschichte, S. 19; ebenso Welzel, Naturrecht, S. 123. 97 Vgl. auch Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftrechts, S. 11.
9 Lipp
Sechster Abschnitt
M odernee Vernunftrecht und natürliches Privatrecht U m den Zugang zu den Wurzeln der Allgemeinen Vertragslehre zu finden, scheint es vonnöten, sich des methodischen Vorganges bewußt zu werden, der dem Bemühen zugrunde liegt, eine solche Lehre als eine Allgemeine zu entwickeln. Diesem methodischen Verständnis hat sich der Zweite Abschnitt dieser Arbeit selbst unterworfen: Der Versuch, die einzelnen, konstitutiv wirkenden Elemente unserer Allgemeinen Privatrechtslehren zu analysieren, geht gleichsam ex post die Stufen der Entwicklung zu den Allgemeinen Lehren hinauf und verrät hierbei das nämliche methodische Vorgehen, das zum System der Allgemeinen Rechtsgeschäftslehre führt: den mos geometrica i n der Form seiner resolutiv-kompositiven Anwendung 1 . Das gilt jedoch mit Einschränkungen. Der autonome Entwurf eines resolutiv-kompositiv konzipierten Systems kann nur bis an die Schwelle der μετάβασις είς δλλο γένος reichen. M i t der naturrechtlichen Begründung einer juristischen Aussage w i r d der resolutiv-kompositive Rahmen gesprengt. Die Axiome unserer Rechtsgeschäftslehre sind keine rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern ethische Postulate, die aus der Natur des Menschen als eines selbstverantwortlichen Individuums abgeleitet werden 2 . Dieser Begründungszusammenhang verläßt den resolutiv-kompositiven Aufbau, der sich m i t nicht zu verifizierenden Hypothesen axiologischer S t r u k t u r als den Grundprinzipien eines Systems zufrieden gäbe3. 1 Z u dieser Methode, die durch Galileo Galilei als die „analytische" i n die Naturwissenschaften eingeführt wurde (er unterscheidet zwei Aspekte seiner Analyse: „metodo risolutivo" u n d „metodo compositivo"), vgl. neuestens die kritische W ü r d i g u n g v o n Rod, i n : Geschichte der Philosophie, Bd. V I I , S. 38 ff. (Hrsg.: Rod); daneben sei auf Dijksterhuis, S. 261 ff. verwiesen. 1 Vgl. oben Zweiter Abschn., I I 2. A u f das äußerst schwierige Problem des Verhältnisses v o n E t h i k u n d (positivem) Recht sei hier n u r hingewiesen. Die Einsicht, daß es hier w i e dort u m Normen geht, läßt den genuinen U n t e r schied zwischen E t h i k (moralischer Anspruch) u n d Recht (unter Zwang durchsetzbarer Rechtsanspruch) nicht h i n f ä l l i g werden, so daß auch die Herleitung juristischer Regeln aus moralischen Normen einer μετάβασις εις δλλο γένο ς entspricht. Hierzu Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, S. 66 - 93, insbes. 88/89; Zippelius, Das Wesen des Rechts, S. 33ff., insbes. 40 ff.; Engisch, A u f der Suche nach Gerechtigkeit, S. 82 ff., insbes. 91 ff.
6. Abschn. : Modernes Vernunftrecht u. natürliches Privatrecht
131
Gerade i n dieser hypothetischen Formulierung systemtreuer Axiome lag die revolutionierende W i r k u n g des mos geometricus i n den Naturwissenschaften zu Beginn der Neuzeit: „Die nach geometrischer' Methode verfahrenden Disziplinen wurden erkenntnistheoretisch autonom 4 ." Während nun die Untersuchung i m Vorangegangenen sich besonders u m die Genese jener Figur bemüht hat, die dem System den „Uberbau" vermittelt, also u m den Schnittpunkt von Methodenreinheit und dem Bestreben nach umfassender Systematisierung, u m die naturrechtliche μετάβασις also, geht es i m folgenden u m das juristische System der A l l gemeinen Lehren nach dem resolutiv-kompositiven Vorbild. Vorab bedürfen zwei Punkte der Klärung: Einmal, inwieweit ist es gerechtfertigt, i n einer Arbeit, die sich die Bedeutung des Naturrechts zum Thema stellt, auf den mos geometricus, insbesondere die resolutivkompositive Methode einzugehen? M i t anderen Worten: Gibt es eine kausal-genetische Verbindung von Naturrecht und mos «geometricus? Zweitens: Worin liegt — das w i r d für den Fortgang hilfreich sein — der Unterschied zwischen euklidischer und resolutiv-kompositiver Methode? Das Bestreben des 17. und 18. Jh.s, die wissenschaftlichen Disziplinen more geometrico zu deduzieren, stellt sich nach der hier vertretenen Auffassung nicht als ein Kausalkonnex zur Lehre vom Naturrecht der Aufklärung dar. V i e l eher ist es die typische Methode der modernen Naturwissenschaften, die unter der Führung solchen Forschungsverständnisses zu ihren glänzenden und bestechenden Ergebnissen gelangten 5 . I n dem Maße, wie sich nun das Naturrecht von der Moraltheologie zu lösen wußte, adaptierte es die Methode der Naturwissenschaften, den mos geometricus. 3 Das bedeutet nicht, daß neben der methodischen Lösung eines Problems i m Wege der resolutiv-kompositiven Methode die empirische Überprüfung des Ergebnisse ausgeschlossen oder überflüssig wäre. Methodisch sind aber beide Wege streng zu trennen, insbesondere bedeutet der Versuch, i m Rahmen der resolutiv-kompositiven K l ä r u n g empirisch-experimentelle Verifikat i o n bzw. Falsifikation geltend zu machen, einen Bruch i m Sinne der μετάβασις είς δλλο γένο ς. 4 Rod , Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 8. 5 Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 10 ff. ; ders., Geschichte der Philosophie, o. Fn. 1; Wieacker, PrGN, S. 254f., 307 ff.; ders., Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftrechts, S. 15; ders., Contractus u n d Obligatio i m Naturrecht zwischen Spätscholastik u n d Aufklärung, S. 238 f. ; Schlosser, S. 38; Wesenberg/Wesener, S. 129. 9*
132
6. Abschn. : Modernes Vernunftrecht u. natürliches Privatrecht
Was blieb, war der naturrefchtliche Anspruch, allgemeingültige, für jeden einsehbare Naturgesetze zu lehren, allerdings: Nicht mehr die alten Autoritäten verbürgten die Wahrheit der prima principia, sondern diese geometrische Methode, die vor dem Forum der Vernunft stringente Ergebnisse zu präsentieren wußte. Insofern stellen w i r zwar eine Parallelität zwischen mos geometricus und dem Vernunftrecht fest, jedoch keinen genetischen Verbund zwischen beiden Erscheinungen. Trotzdem darf eine Untersuchung über das Naturrecht die resolutivkompositive Methode nicht außer acht lassen, denn i n der Verbindung von Naturrechtstradition und mos geometricus finden w i r einen jener spezifischen Teilaspekte des Zeitalters, das man das des Vernunft- oder Naturrechtes schlechthin nennt. Uber eines muß man sich jedoch nach Gesagtem i m klaren sein: Soweit w i r die Allgemeinen Lehren i n der Folge resolutiv-kompositiven Verstehens finden, sind sie auch unter methodischen Anleihen aus dem Bereich der naturwissenschaftlichen Disziplinen zustande gekommen. Den Weg nachzuzeichnen, den die resolutiv-kompositive Methode* von den Naturwissenschaften ausgehend, über die Philosophie zur Jurisprudenz genommen hat, wollen w i r uns hier versagen®. Es kommt i n diesem Zusammenhang nur darauf an, dieses neue Methodenbewußtsein seiner wissenschaftsgeschichtlichen Herkunft nach korrekt einzuordnen und das moderne Naturrecht ganz wesentlich als einen „Transformator" zu begreifen, der den mos geometricus i n die juristische Fachdisziplin eingeführt hat 7 . Der mos geometricus, dessen rigide Anwendung das axiomatische System 8 liefert, muß dabei differenziert gesehen werden: Während die so6 Dazu Rod, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 10 ff.; Denzer, S. 282 f.; Wieacker, PrGN, S. 301, 307 f. 7 Die methodische Abhängigkeit der Vernunftrechtler, insbes. hinsichtlich der Person Pufendorfs, verneint nunmehr Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 103. Dieses Ergebnis vermag nicht zu überzeugen: Diesselhorst selbst postuliert zu Beginn seiner Untersuchung die maßgebliche E i n w i r k u n g des methodischen Programmes Descartes * auf Pufendorf, ebenso den Einfluß seitens Hobbes'. Daß aber Descartes über Geometrie und Mathematik zu seiner Methode fand, dürfte nachweisbar sein (dazu bes. sein Discour de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences); vgl. auch Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 88; ders., Geschichte der Philosophie, S. 49; Denzer, S. 290 f., 294; Wieacker, PrGN, S. 307 ff.; Welzel, Naturrecht, S. 131, u n d schließlich Pufendorf selbst, Eris scandica, S. 141. 8 Dazu Ott, Der Rechtspositivismus, S. 112ff.; allerdings halten w i r dafür, daß methodengeschichtlich „der entscheidende Bedeutungswandel" des Wortes „ A x i o m " nicht erst dem 19. Jh. anheimfällt, sondern m i t der modernen N a t u r wissenschaft u n d ihrer resolutiv-kompositiven Methode anzusetzen ist. Daß
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I. Dogmatischer Neuansatz: Hugo Grotius
genannte euklidische Methode auf Axiomen aufbaut, die dem menschlichen Vorstellungsvermögen als räumliche und begriffliche Evidenzen 9 , also unmittelbar einsichtig und zugänglich sind, verzichtet die resolutivkompositive A r t auf diese Evidenz ihrer Grundannahmen. Sie findet, ein bestimmtes Phänomen i n seine einzelnen Teile und Bedingungen auflösend, zu Lehrsätzen und schließlich zu axiomiatischen Begriffen, die i m Gegensatz zu jenen Euklids keineswegs als immittelbar transparente Prinzipien erscheinen, sondern bereits dann ihrer systemtragenden Funktion gerecht werden, wenn sich aus ihnen mittels stringenter Deduktion der beobachtete Sachverhalt reorganisieren läßt 1 0 . I . D e r dogmatische Neuansatz i m Vertragsrecht: die Lehre v o m Versprechen bei H u g o G r o t i u s
Die folgenden Überlegungen versuchen, sich auf den dogmatischen Ansatzpunkt zu besinnen, der die mittelalterliche Vertragslehre zu einer Allgemeinen Lehre geführt hat. Selbstverständlich kann dies bei Grotius und Pufendorf vor dem Kontext ihrer Naturrechtslehre geschehen.
immer nur
Dogmatische Fortentwicklung und naturrechtliches Selbstverständnis sind nicht voneinander zu trennen 11 . Nachdem aber das typisch naturrechtliche Element Allgemeiner Lehren, die μετάβασις είς αλλο γένο ς ihrer historischen Wurzel nach bereits bestimmt ist, rückt die damit einhergehende Fragestellung 12 i n den Hintergrund, u m den Aspekt des Systementwurfes näher hervortreten zu lassen. Es ändert sich also nicht die Materie, sondern der Blickwinkel. Hinzukommt, daß die heute w o h l ganz herrschende Ansicht nicht mehr jenen viel genannten Satz Grotius„Et haec q u i d e m . . . locum alider endgültige Nachweis nichteuklidischer Systeme erst m i t den Arbeiten der von Ott, S. 117 f., Genannten gesichert wurde, steht dem nicht entgegen. 9 Euklidische Geometrie entspricht der Planimetrie u n d hinsichtlich r ä u m licher Figuren bleibt sie i n den dreidimensionalen Raum gebunden; vgl. h i e r zu aber auch Franz, E u k l i d aus der Sicht der mathematischen u n d der n a t u r wissenschaftlichen W e l t der Gegenwart, insbes. S. 7 ff. 10 Vgl. Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 10, u n d sich anschließend Denzer, S. 283. 11 Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des V e r n u n f t rechts, S. 8: „Das Vernunftrecht wurde damit zum Stapelplatz f ü r den beständigen Austausch zwischen Philosophisch-Allgemeinem u n d dem DogmatischPraktischen . . . " 12 Z u m Grotianischen Naturrecht sei auf Welzel, Naturrecht, S. 123 ff., Wolf, Große Rechtsdenker, S. 253 ff., Ottenwälder, Z u r Naturrechtslehre des Hugo Grotius, Hofmann, Hugo Grotius u n d Holzel, Grundlagen des Rechts- u n d Staatsdenkens bei Hugo Grotius verwiesen.
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6. Abschn. : Modernes Vernunftrecht u. natürliches Privatrecht
quem haberent, etiamsi daremus, quod sine summo scelere dari nequit, non esse Deum, aut non curari ab eo negotia humana" 1 8 als dessen ureigenen Beitrag zum Naturrechts denken i n Anspruch nimmt, sondern erkannt hat, daß Hugo Grotius hierin die scholastische Problemstellung, die i n dieser Weise erstmals Gregor von Rimini kontrastiert hat, lediglich fortsetzt und so einen Schritt auf dem Weg der Säkularisierung des Naturrechts weiter geht 14 . So richtet sich denn das Augenmerk auf die Vertragslehre des Grotius selbst, die er — wenn auch auf mittelalterlich-scholastischem Lehrgut aufbauend 15 — als erster Jurist zu dem Punkte führt, von wo aus sich eine Allgemeine Lehre erst entwickeln konnte: Grotius formuliert die theoretische Überwindung des römisch-rechtlichen Typenzwanges i m Hecht der vertraglichen Obligationen: „ N a m jurisconsultorum dicta de pacis nudis respiciunt id, quod Romanis legibus erat introductum, quae deliberati animi signum certum constituerunt stipulationem. Neque negamus similes esse i n aliis populis leges . . . Possunt autem naturaliter deliberati animi alia esse signa praeter stipulationem, aut si quid ei simile ad actionem pariendam lex civilis postulat. Quod autem fit animo non deliberato, i d nos quoque ad v i m obligandi non credimus pertinere 16 ." I n der Relativierung der stipulatio fließen naturrechtliches Ergebnis und dogmatischer Fortschritt zusammen. Denn der letztere setzt die Isolierung jenes Kriteriums voraus, das Grotius über die Formel der stipulatio 1 7 hinweghilft. Das aber ist der autonome Wille des Individuums, das Kernerlebnis seines naturrechtlichen Denkens und die darausfließende abstrahierende Fassimg der stipulatio als signum. Solchen dogmatischen Fragen möchte dieser Abschnitt unter dem Blickwinkel der resolutiv-kompositiven Methode nachgehen, denn m i t dem Anspruch, das Naturrecht ebenso klar und einsichtig darzulegen, wie die Mathematiker i n ihrer Disziplin die wissenschaftlichen Erträge vorzulegen vermögen, treten seit Hugo Grotius alle Vernunftrechtler an: „ I n j u r i a m m i h i faciet, si quis me ad ullas nostri saeculi controversias, aut natas, aut quae nasciturae praevideri possunt, respexisse arbitratur. Vere enim profiteor, sicut mathematici figuras a corporibus se-
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Grotius, De j u r e b e l l i ac pacis, Prol. § 11. Vgl. dazu Welzel, Naturrecht, S. 127 ff. ; Wieacker, Die vertragliche O b l i gation bei den Klassikern des Vernunftrechts, S. 9, u n d Contractus u n d O b l i gationen i m Naturrecht zwischen Spätscholastik u n d Aufklärung. S. 224. 15 Diesselhorst u n d Wieacker, jeweils S. 126, Fn. 77. 16 Grotius, I I , X I , § 4, Ziff. 2/3. 17 Stipulator: „Sestertium decern m i l i a m i h i dari spondesne?" Promissor: „Spondeo"; Beispiel nach Käser, Rom. Privatrecht, § 7, I I I . 14
I. Dogmatischer Neuansatz: Hugo Grotius
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motas considérant, i t a me i n jure tractando ab omni singulari facto abduxisse animum 1 8 ." 1. Das Programm eines natürlichen Privatrechts
Die zentrale Aussage des Grotianischen Naturrechts bleibt die Lehre vom Versprechen. Diese entwickelt er i n seinem naturrechtlichen Hauptwerk „De jure belli ac pacis l i b r i très". Die Darbietung dieser Materie als naturrechtliches Problem stößt uns auf die schon angedeutete Verschränkung von naturrechtlicher Argumentation und dogmatischer Leistung. Ihrem naturrechtlich-übergreifenden Charakter nach vermag die Hechtsfigur des Versprechens sowohl für privates wie öffentliches wie auch für jenen Rechtsbereich Geltung zu erlangen, der die rechtlichen Beziehungen zwischen den Völkern regeln soll. Sehr zu Recht nennt Hasso Hofmann 19 diesen Zug die „einheitliche A r t " des Grotianischen Naturrechts: „ E i n System des natürlichen Privatrechts bildet die Grundlage aller, auch der staatsrechtlichen und der zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen." Damit w i r d angesprochen, was f ü r die Fortentwicklung einer Allgemeinen Lehre entscheidend ist: die Ausbildung eines „natürlichen Privatrechts"; igenau darin fußt die dogmatische Begründung des Rechtsinstitutes vom Versprechen, ohne Rücksicht auf die formalen Kautelen des gemeinen römischen Rechts, ja entgegen dessen Regeln „aus sich selbst heraus". N u r wenn Grotius dies gelang, konnte er Hoffnung haben, sein politisches Anliegen einer Lösung zuzuführen, die Überwindung des rechtsunsicheren Raumes i n zwischenstaatlicher Hinsicht. Dieses Zusammenwirken von politischer Motivation, naturrechtlichem Geist und dogmatischem Verständnis t r i t t i n der Auseinandersetzung m i t Franciscus Connanus sehr deutlich hervor: „Verum haec sententia 2 0 , i t a generaliter u t ab ipso effertur accepta, consistere non potest. P r i m u m enim sequitur inde inter reges et populos diversos, pactorum, quamdiu n i h i l ex iis praesitum est, v i m esse nullam, praesertim iis i n locis u b i nulla certa forma foederum aut sponsionum reperta est. T u m vero ratio nulla reperiri potest, cur leges, . . . , obligationem pactis possint adder e ; voluntas autem cujusque, hoc omni modo agentis ut se obliget, idem non possit, praecipue ubi lex civilis impedimentum non 18
Grotius, Prol. 58. Hofmann, Hugo Grotius, S. 68. 20 Z u r Vertragslehre des Connanus (1508 bis 1551): Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 31 - 34 u n d ausführlich Bergfeld, F r a n ciscus Connanus, S. 174 ff. 19
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6. Abschn. : Modernes Vernunftrecht u. natürliches Privatrecht
affert. Adde quod, voluntate sufficienter significata, transferri rei dom i n i u m potest, ut ante diximus; quidni ergo possit transferri et jus in personam, aut ad transferendum dominium (quod jus ipso dominio minus est) aut ad aliquid agendum, quippe cum i n actiones nostras par jus habeamus atque i n res nostras? 21 " 2. Die Lehre vom Versprechen
Die Ankündigung Hugo Grotius sein Werk nach A r t der Mathematiker darstellen zu wollen, w i r d von der rechtshistorischen Forschung nicht ernst genommen und als zeitgebundene „Phrase" gewertet 22 . Dem kann sich der nachfolgende Text nicht i n jeder Hinsicht anschließen. Er glaubt zeigen zu können, daß bescheidene Fragmente geometrischen Argumentierens auch i n der Versprechenslehre von Grotius zu erkennen sind, und daß die Bedeutung dieses holländischen Juristen, der nicht ermessen kann, der unter dem Eindruck des äußeren Bildes der i n der Tat überreichlichen antiken und mittelalterlichen Zitate sein methodisches Vorgehen als „loci-Methode" begreift 23 . a) Die Grundlage des Grotianischen Versprechens: vernunftrechtliche Evidenzen Das Phänomen, dessen Struktur und Axiome i m Wege des resolutiven Auflösens zu gewinnen sind und das es aus diesen Grundprinzi«
Grotius, I I , X I , § 1, 3. Hof mann, S. 69, Fn. 64; Wieacker, PrGN, S. 290 f. 23 Hoffmann-Loerzer, Studien zu Hugo Grotius, S. 71 ff. Bei der Bewertung der Zitate ist w o h l i n stärkerem Maße auf die humanistische Prägung Grotius' abzustellen; das bedeutet, daß besonders die A n t i k e als hervorragendes B i l dungsgut begriffen w i r d , nicht aber als unumstößliche Gewähr f ü r die Richtigkeit der von i h r vertretenen Ansicht. Z u Unrecht n i m m t deshalb HoffmannLoerzer Grotius, De jure b e l l i ac pacis, Prol. §§ 46 u. 40 f ü r seine Thesen i n Anspruch. Insbesondere macht Prol. § 40 deutlich, daß der Grund, aus dem heraus argumentiert w i r d , nicht die Texte der antiken Schriftsteller sind, sondern die Dinge selbst, die k r a f t kritischer (vgl. Prol. § 61) V e r n u n f t erkannt werden: „Usus sum etiam ad juris h u jus probationem testimoniis philosophorum, historicorum, poetarum, postremo et oratorum: non quod illis i n discrete credendum sit; . . . sed quod u b i m u l t i diversis temporibus ac locis idem pro certo affirmant, i d ad causam universalem referri debeat. Quae i n nostris quaestionibus alia esse non potest, quam aut recta illatio ex naturae principiis procedens, aut communis aliquis consensus; i l i a jus naturae indicat, hic jus gentium: quorum discrimen non quidem ex ipsis testimoniis, . . . sed ex materiae qualitate intelligendum est." Diese „Schlußfolgerung, w i e sie sich aus der N a t u r der Sache ergibt", ist der beweisende A k t , nicht das Z i t a t ; so k o m m t der, w e n n auch höchst aufschlußreichen Summierung der grotianischen Gewährsleute (Hoffmann-Loerzer, S. 94 - 100) doch w o h l nicht die v o m A u t o r i n Anspruch genommene Bedeut u n g zu. 22
I. Dogmatischer Neuansatz: Hugo Grotius
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pien wieder konstruktiv zu begründen gilt, ist das Grotianische Rechtsinstitut des „vollkommenen Versprechens" 24 . Das bedeutet unter rechtsdogmatischem Aspekt: Die römisch-rechtliche Figur des pactum nudum ist als das rechtsverbindliche Grundmuster der Vertragslehre zu gewinnen. Dieses Ziel erreicht Grotius mit der Übernahme spätscholastischen Gedankengutes und dessen dogmatisch-konsequenter Durchformung. Die grotianische Gleichsetzung von mos geometricus und eigener Darstellungsweise ist dort zu Recht auf weitgehende K r i t i k gestoßen, wo es u m den resolutiven Part eines Aufbaus nach geometrischem Vorbild geht. I n der Tat suchen w i r bei Hugo Grotius vergeblich nach Passagen, wo das Problem isoliert wird, u m dann i n einer autonomen Zergliederung auf die einzelnen konstitutiven Elemente zurückgeführt zu werden. .Seine Versprechenslehre widmet sich lediglich dem konstruktiven Anliegen einer Begründung, wogegen er sich m i t den Grundsätzen, auf die er i n seinen Ausführungen rekurriert, nirgends explizit und kritisch auseinandersetzt. Diese leuchten einem jeden Menschen bei richtigem Gebrauch seiner Verstandesgabe ein. Den Grund für diese methodische Unausgereiftheit muß man i m A n knüpfen Grotius' an die spätscholastische Morallehre vom Versprechen erkennen. Diesselhorst 25 hat den Zusammenhang zwischen Grotius einerseits und den Spätscholastikern Molina, Lessius und Soto andererseits nachgewiesen. Seine Ausführungen bestätigen, daß der grotianische Gedanke vom Versprechen nur i n der Fortsetzung der spätmittelalterlichen Lehre vom Schenkungsversprechen verstanden werden kann. Dort aber findet Grotius die Idee des „vollkommenen Versprechens" als die letzte Stufe i n einer Abfolge von Willensäußerungen vorgeformt, die i n der persönlichen Bindung des Handelnden einen immer stärkeren Grad erreichen 26 . Indem sich Grotius maßgeblich von dieser Lehre leiten ließ, war er des resolutiven Zurückgehens auf die Elemente seines „vollkommenen Versprechens" enthoben. Der Aufbau seiner Versprechenslehre ergab sich für i h n deshalb nicht als ein konsequentes Ableiten aus resolutiv gefundenen ersten Prinzipien, sondern stand mit der Übernahme der spätscholastischen Versprechenslehre bereits phänomenologisch i n seiner dreistufigen Gliederung fest. Dementsprechend steht bei Hugo Grotius nicht die Suche nach voraussetzungslosen Axiomen i m Vordergrund und die Deduktion eines 24 25 26
Grotius, I I , X I , § 4. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 39 if. Vgl. Diesselhorst, ebenda, S. 16 ff.
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6. Abschn. : Modernes Vernunftrecht u. natürliches Privatrecht
stringenten Systems, sondern das Bemühen, die rezipierten drei Erscheinungsmodi des Versprechens juristisch darzustellen und naturrechtlich zu begründen. Aus diesem „Mangel" 2 7 heraus vermag Grotius nicht ein funktionales System von Axiomen u n d Theoremen zu entwickeln, sondern ersetzt den resolutiven Teil des Begründungszusammenhanges i m Anklang an die euklidische Form 2 8 des mos geometricus: Er appelliert an die Vernunft des Menschen, die durchdringende Evidenz seiner Sätze zu begreifen und zu akzeptieren. „Prima m i h i cura haec fuit, ut eorum quae ad jus naturae pertinent probationes referrem ad notiones quasdam tam certas ut eas nemo negare possit, nisi sibi v i m inferat. Principia enim eius juris, si modo animum recte advertas, per se patent atque evidentia sunt, ferme ad modum eorum quae sensibus externis percipimus; qui et ipsi bene conformatis sentiendi instrumentis, et si caetera necessaria adsint, non fallunt 2 ®." Die Anspielung auf die „sinnlichen Gegenstände" zeigt, daß Grotius das Spezifikum der axiomatischen Methode, nämlich die Wahrheit i n der Funktion, der deduktiven Ableitung zu sehen, nicht erkennt. I h m geht es u m die materielle Plausibilität seiner Grundsätze, nicht u m das formal-funktionale Ineinandergreifen der Ableitungszusammenhänge 30 . Das ist auch der Grund dafür, weshalb die grotianische Grundkonzeption jene eigentümliche Ambivalenz nicht abzulegen vermag, die ihr aus der Stellung zwischen der „etiamsi-daremus"-Formel einerseits und der Versenkung der Argumentation i n die von Gott geschaffene vernünftige Natur andererseits erwächst. „Unde sequitur, ut promissa praestentur venire ex natura immutabilis justitiae, quae Deo et omnibus his qui ratione utuntur, suo modo communis e s t . . . 3 1 ." Resolutives Verständnis würde nicht die „Natur der unveränderten Gerechtigkeit" in Anspruch nehmen, sondern hypothetisch formulieren: Es soll gelten: Das vernünftige Wesen des Menschen 27 Bei der K r i t i k an Grotius sollte bedacht werden, daß rigide Methodenreinheit f ü r ein normatives System nicht erstrebenswert ist. Was unter diesem Gesichtspunkt als Mangel erscheint, könnte zugleich einer, bestimmten Werten verpflichteten Normwissenschaft zum notwendigen K r i t e r i u m erwachsen. 28 So auch Denzer, S. 283; i n dieser Richtung auch Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 70 ff. 29 Grotius, Prol., § 39. 30 D a r u m hat sich besonders Thomas Hobbes bemüht, der die resolutivkompositive Methode i n die Geisteswissenschaften eingeführt hat. Vgl. dazu ausführlich Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 10 - 56; Diesselhorst, Ursprünge des modernen Systemdenkens bei Hobbes, S. 10, u n d Welzel, Naturrecht, S. 114 ff. 31 Grotius, I I , X I , § 4, 1.
I. Dogmatischer Neuansatz: Hugo Grotius
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bedingt das Streben nach Gerechtigkeit. Dabei spielt es i n einem axiomatischen Normentwurf keine Rolle, ob diese Annahme die Realitäten widerspiegelt: ein Zug des stringenten Systems, der gerade i n der μετάβασις είς αλλο γένος vermieden wird. Gleichwohl kommt der Grundgedanke der Grotianischen Versprechenslehre doch so deutlich zum Ausdrude, daß w i r i h n zu fassen vermögen und für unsere Zwecke als einen Lehrsatz formulieren können: Die Rechtsverbindlichkeit einer Erklärung entspringt der freien autonomen Persönlichkeit des Menschen 32 . Dieser Gedanke markiert zugleich den dogmatischen Neuansatz auf dem Weg zu einer Allgemeinen Vertragslehre. b) Dogmatische Neubesinnung: die Allgemeinen Kriterien des Vertrages A u f dem Postulat der autonomen Persönlichkeit baut Grotius seine Lehre auf, die nicht mehr auf die sozialtypischen 83 , durch das römische Recht intendierten Vertragsgestaltungen abstellt, sondern kompositiv gefaßt ist 3 4 , d. h. die Prämisse der Autonomie logisch konsequent ausschöpft. Das Ergebnis ist zugleich der Ansatz des modernen Vertragssystems: die Rechtsverbindlichkeit des pactum nudum 3 5 . Gleich zu Beginn der Darstellung der drei Arten des Versprechens nennt Grotius seinen fundamentalen Kernsatz, der seine ureigene Leistung ausdrückt: „Primus gradus est assertio explicans de futuro anim u m q u i nunc est: et ad hanc, ut vitio careat, requiritur Veritas cogitationis pro tempore praesenti, non autem u t i n ea cogitatione perseveretur. Habet enim animus humanus non tantum naturalem potentiam mutandi consilium, sed et jus. Quod si i n mutatione sententiae Vitium sit aliquod, aut accedit, i d non est intrinsecum mutationi, sed ex materia, puta quia prior sententia erat melior 3 6 ." Der wichtigste Gedanke dieser Passage sind drei Worte: „ . . . sed et j u s . . G r o t i u s ist der erste Denker, der i n solcher Schärfe und Konsequenz die menschliche Persönlichkeit als eine Rechtsquelle auffaßt, der die Autonomie des Menschen als eine naturrechtliche Struktur aufgreift u n d hieraus die Rechtssetzungsbefugnis, die rechtliche Gestaltungsbef ugnis des Individuums ableitet. 32 Vgl. dazu auch Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius v o m Versprechen, S. 51 ff. 33 Diesselhorst, ebenda, S. 34, et passim. 34 Diesselhorst, ebenda, S. 50 ff. 35 Diesselhorst, ebenda, S. 55. 38 Grotius, I I , X I , § 2.
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6. Abschn.: Modernes Vernunftrecht u. natürliches Privatrecht
Grotius erkennt und formuliert mit dem Grundmuster des Versprechens, das natürliches „Können" und naturrechtliches „Dürfen" vereinigt, erstmals jenes Prinzip, das w i r die Privatautonomie nennen. Der A k t des Wollens ist nicht n u r Ausdruck von Macht, sondern w i r d zugleich zum legitimen rechtsgestaltenden Faktor. I n der Fortentwicklung seiner Versprechenslehre gewinnt neben dem Willensmoment als dem Grund der Rechtsgeltung die zweite Komponente des späteren „vollendeten Versprechens" Konturen: Der Wille muß von einem „signum" begleitet sein. „Secundus gradus est, cum voluntas se ipsam pro futuro tempore determinat, cum signo sufficiente ad indicandam perseverandi necessitatem. Et haec pollicitatio dici potest, quae seposita lege c i v i l i obligat quidem, aut absolute, aut sub conditione, sed jus proprium alteri non dat. Multis enim casibus evenit, ut obligatio sit i n nobis, et n u l l u m jus i n alio 8 7 ." A u f der zweiten Versprechensebene, der pollicitatio, w i r d der Wille, eine künftige Leistung zu erbringen, von einer entsprechenden Manifestation begleitet. Deshalb erwächst für den Versprechenden eine absolute oder bedingte Pflicht aus seiner Erklärung. Dagegen mangelt es an jenem Willen, dem Versprechensempfänger auch ein Forderungsrecht auf das versprochene Verhalten einzuräumen, ebenso wie ein dahingehendes signum fehlt. Erst der dritte Modus des Versprechens ergänzt Wille und Erklärung i n solcher Weise: „Tertius gradus est, ubi ad determinationem talem accedit signum volendi jus proprium alteri conferre: quae perfecta promissio est, similem habens effectum qualem alienatio dominii 3 8 ." Die nun folgende Begründung kehrt den Grundgedanken seiner Versprechenslehre deutlicher als je hervor: „Est enim aut via ad alienationem rei, aut alienatio particulae cuiusdam nostrae libertatis. Illuc pertinent promissa dandi, hue promissa faciendi 39 ." I m Versprechen einer Leistung begeben w i r uns also eines Partikels unserer Freiheit. Und über diese Freiheit zu verfügen, haben w i r nicht 37
Grotius, I I , X I , § 3. Grotius, I I , X I , § 4, 1. 39 Grotius, I I , X I , § 4, 1. Wie sehr dieser naturrechtliche Gedanke auch i m Systemstreben des 19. Jh.s i n den Vordergrund t r i t t , zeigt die Entwicklung der Lehre v o n der abstrakten Obligation. Die causa eines obligatorischen V e r trages liegt danach i n der Absicht, „ein Stück meiner Willensfreiheit aus meiner Rechtssphäre heraus i n die eines Anderen hinüberzutragen . . ( G n e i s t , Die formellen Verträge des neueren römischen Obligationenrechts, 1845, zit. bei Kiefner, Der abstrakt obligatorische Vertrag i n Praxis u n d Theorie des 19. Jahrhunderts, i n : Wissenschaft u n d Kodifikation des Privatrechts i m 19. Jahrhundert I I , S. 74 ff., 81). 38
II. Die Begründung eines Systems: Samuel Pufendorf
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nur die Macht, sondern auch das Recht: „ . . . sed et j u s . . ." 4 0 . Dieses aus materiellem Naturrechtsdenken gewonnene Ergebnis w i r d von Grotius umgemünzt i n eine dogmatisch-juristische Überwindung des gemeinrechtlichen Obligationensystems. Sein Beitrag und seine Leistung zu einer Allgemeinen Vertragsrechtslehre liegen i n der Erkenntnis des Ineinandergreifens von Willensakt als dem Ausdruck persönlicher (naturrechtlich verankerter) Freiheit und Autonomie und der Notwendigkeit der Kundbarmachung dieses Willens gegenüber der Umwelt 4 1 . Wille und Erklärung aus den sozialtypischen Vertragsmodellen abstrahiert, sie als die Komponenten eines jeden Versprechens apostrophiert zu haben, das bedeutet den dogmatischen Wendepunkt, an dem angelangt, Grotius die römisch-rechtliche Stipulationslehre hinter sich lassen kann. „Nam Jurisconsultorum dicta ds pactis nudis respiciunt id, quod Romanis legibus erat introductum, quae deliberati animi signum certum constituerunt stipulationem Possunt autem maturaliter deliberati animi alia esse signa praeter stipulationem, aut si quid ei simile ad actionem pariendaim lex civilis postulat 42 ." Diese eminenten Neuansätze i n der zivilrechtlichen Dogmatik des Vertragsrechtes, die bei Grotius noch i m schillernden Licht des Überganges von spätscholastischer Moraltheologie zum modernen Vernunftrecht des mos geometricus stehen, baut der Systematiker Samuel Pufendorf zu einem autonomen Gefüge von rechtlichen Normen aus. Von ihm, so meinen wir, erhält die Allgemeine Privatrechtslehre ihren letzten, genetisch wirkenden Impuls aus naturrechtlichen Quellen. I I . D i e Begründung eines Systems der Allgemeinen Vertragsrechtslehre durch S a m u e l P u f e n d o r f
War uns i n Hugo Grotius ein Denker begegnet, dessen Typizität jene des Übergangs ist, dessen Leistung und W i r k k r a f t man weder gerecht wird, wenn man ihn als den „Vater des modernen Natur- und Völkerrechts" dem Zeitalter des Vernunftrechts vorbehalten w i l l , noch wenn man versucht, ihn ganz aus der spätscholastisch-humanistischen Tradition heraus interpretieren zu wollen 4 3 , so t r i t t i n Samuel Pufendorf* 4 40
Vgl. oben Fn. 36. Dies ist w o h l der dogmatische Ausfluß des Grundsatzes der Soziabilität des Menschen; vgl. De jure belli ac pacis, Prol. § 7. 42 Vgl. oben Fn. 16. 43 Es ist bedauerlich, daß eklektischem Arbeiten oftmals von vornherein ein negativer Anstrich gegeben w i r d . Eine solche Sichtweise w i r d sich überaus schwer tun, die Gestalt des Hugo Grotius objektiv zu würdigen; eines jedenfalls scheint sicher: Es ist die beste Tradition des Naturrechts, die von Hugo Grotius der neuzeitlichen Jurisprudenz vermittelt w i r d . 44 1632 bis 1694. 41
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ein Jurist, Philosoph, Historiker und Politiker auf, dessen Geist nunmehr entscheidend von der Lehre des Naturrechts als dem Recht der vernünftigen, aufgeklärten Natur des Menschen geprägt ist. Diesen Mann, auf dessen Initiative h i n i m Jahre 1661 i n Heidelberg der erste Lehrstuhl für Naturrecht errichtet wurde 4 5 , zählt die Rechtsgeschichte als klassischen Naturrechtler zu den Systematikern des Vernunftrechtes 4®. Unter diesem Aspekt gewinnt er auch für die Allgemeinen Privatrechtslehren seine besondere Bedeutung. Zugleich darf er für sich i n Anspruch nehmen, das Naturrecht letzter heilsgeschichtlicher Bestimmungen entfremdet und es auf dem Boden einer vorgegebenen, empirisch faßbaren anthropologischen Struktur neu konzipiert zu haben 47 . Lebt das systematische Element seines Werkes vor allem aus dem Versuch, das Naturrecht more geometrico, also resolutiv-kompositiv darzustellen, so scheint der zweite, typisch naturrechtliche Gesichtspunkt die Resultante der Differenzierung von entia physica und entia moralia zu sein. 1. Resolutiv-kompositive Methode und Allgemeine Vertragsrechtslehren: die Begründung eines Systems
I m Gegensatz zu Grotius steht Pufendorf das moderne Methodenideal eines resolutiv-kompositiven Aufbaus k l a r vor Augen: „Postquam constitutum m i h i fuerat, jus naturale i n justae formam disciplinae redigere, cujus partes inter se bene cohaerent, et ex se evidenter fluerent; Prima cura fuit circa constituendum idoneum fundamentum, seu propositionem fundamentalem, quae videlicet omnis ejusdem praecepta compendio complecteretur, et ex qua ista facili et perspicua subsumptione deduci, i n eamque resolvi possent. Quae quidem, si congruere debebat scopo nostro, quo earn disciplinam ad captum universi generis humani attemperare, et supra controversias circa peculiarem cultum divini Numinis elevare studemus, debebat talis esse; ut non solum caetera praecepta per evidentem consequentiam inde fluerent, sed et ut ejusdem Veritas ex solo rationis lumine explendesceret; adeoque ad eandem agnoscendam omnes homines perspicuis demonstrationibus 45 Z u r Entstehung u n d Ausbreitimg des Universitätsfachs „Naturrecht" vgl. Denzer, S. 317 ff. 46 Statt aller Wieacker, PrGN, S. 301 ff. 47 Diesen Gedanken hebt besonders Wieacker hervor; vgl. PrGN, S. 307; Contractus u n d Obligation i m Naturrecht zwischen Spätscholastik u n d A u f klärung, S. 225, 230; Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des V e r nunftrechts, S. 8.
II. Die Begründung eines Systems: Samuel Pufendorf
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adigi possent, quacumque de modo propitiandi Numinis haberent opinionem. Neque enim opus erat, ut isthaec propositio esset ex earum numero, quae communiter natura notae vocantur, seu quarum evidentia citra ratiocinationem intellectui sese approbat. Sed sufficiebat eam ex ejusmodi extructam observationibus, quas ipsa natura rerum et hominis suppediat, et quae a nullo sanae rationis compote i n dubium vocari possunt. Haec porro propositio licet eundem i n disciplina juris naturalis usum praebeat, quem i n physicis et astronomicis exhibent hypotheses; eadem tarnen hypothesis proprie dicta non est, ideo quod non duntaxat tanquam vera supponatur, non definitio, u t r u m revera cum natura rerum congruat, an minus; sed ejus Veritas et exsistentia mamifestis et certis demonstrationibus utique subnitatur 4 8 ." Die Frage, inwieweit Pufendorf dieses methodische Programm i n die Tat umgesetzt hat 4 9 , ist für diese Untersuchung sekundär. Einmal haben w i r selbst dargelegt, daß ein Element der Allgemeinen Lehren gerade i m Bruch m i t der methodischen Stringenz besteht. Z u m anderen ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, die Methodenreinheit bei Pufendorf i m Sinn resolutiv-kompositiven Vorgehens zu überprüfen, sondern es i n teressieren die dogmatischen Folgen der (im einzelnen umstrittenen, aber sicher vorhandenen) Ansätze des mos geometricus als ein Beitrag des Naturrechts zur Ausbildung der Allgemeinen Zivilrechtslehren 50 . Versuchen w i r die Pufendorfsche Sichtweise gegenüber der eines Grotiiis abzuschichten, so stellen w i r fest, daß der Heidelberger Naturrechtslehrer das geometrische Methodenbewußtsein insbesondere u m die resolutive Komponente weitet. Diese Privation 5 1 führt i h n auf die ersten Prinzipien seiner Naturrechtsdoktrin: die socialitas und die imbecillitas. Ihren Charakter als resolutive Kernstrukturen beziehen diese Begriffe durch ihre Isolierung i m Wege bewußt methodischen Vorgehens und sind nicht mehr wie bei Grotius a priori einsehbare, eo ipso geltende Naturrechtssätze. Pufendorf analysiert den „bedeutendsten moralischen Körper", den Staat, und unterwirft damit seine Argumentation nicht einer vorgeblichen Evidenz, sondern der Korrektur der Vernunft: Man hat sich, u m diese Zusammenhänge zu gewinnen, den Staat i n seine Teile zerlegt vorzustellen. Ist die Resolution weit genug vorangetrieben, der 48
Pufendorf, Eris scandica, S. 141. Dazu v o r allem Denzer, S. 288 ff., u n d Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 81 ff.; vgl. auch Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 51. 50 Diese Motivationsfunktion sieht auch Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 51. 51 Z u m methodischen Vorgehen Pufendorfs eingehend Welzel, Die N a t u r rechtslehre Samuel Pufendorfs, S. 9 ff. 49
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einzelne Mensch schließlich außerhalb der Gesellschaft fingiert und bar aller menschlichen Hilfsmittel und Einrichtungen, so zeigt dieser „status naturalis i n se" 52 jene Prinzipien, die zur Gründung von Staaten führen, sehr klar; nicht weniger die natürlichen Rechte und Pflichten der Menschen. „Qui circa corporum naturalium constitutionem investigandam soliciti fuerunt, non satis habuere, faciem eorum exteriorem et quae primo statim obtutu i n oculos incurrunt, adspexisse; sed et eadem penitius rimari, et i n partes, ex quibus componuntur, resolvere praecipuus labor fuit. Quin et demum quicquid est corporum ad primam quandam materiam reducere visum, quae ab omnibus particulalibus formis abstracta conciperetur... Eandem viam institere, queis indolem nobilissimi corporis moralis, civitatis nimirium, curatius perscrut a r i cordi fuit; quibus non externam tantum eiusdem administrationem ac magistratuum varietatem ac vocabula classesque populi evolvere suf fecit; sed et intrinseca velut ipsius dispositio... perspecta; . . . Quirn ad disciplinae illius perfectionem insigniter facere judicatum, omnes societates velut transcendere et mente concipere conditionem atque statum hominum, qualis alle extra societatem et ab omnibus artibus et institutis humanis vacuus intelligi potest. Inde enim liquido demum cernere licet, quae nécessitas ac ratio fuerit societatum civilium combinandarum, quid potestatis aut obligationis ex earundem natura promanet, quid commoditatis denique ac peculiaris habitudinis inter homines ex iis dem proveniat 5 8 ." I n dieser hypothetischen Vereinsamung des Menschen, i n der Fiktion der Robiinsonade, erkennt Pufendorf das „Wesen" des Menschen: die imbecillitas. Das ist die natürliche Unfähigkeit des Menschen, sich als singuläres Individuum seinen Anlagen gemäß zu entwickeln. Dem korrespondiert ein zweites: das unbändige und stete menschliche Verlangen, die eigene Existenz zu erhalten 54 . „Nobis nulla via proprior videtur, et magis adposita, ad investigandum jus naturale, quam ipsam hominis naturam, conditionemque, et inclinationes accuratius contemplari . . . Praeter hunc amorein sui, studiumque seipsum omnibus modis conservando deprehenditur quoque inhomine summa imbecillitas, atque naturalis indigentia, ut si homo solus absque ullo auxilio, per alios homines accedente, i n hoc orbe destitutus concipiatur, vita ipsa i n poenam data videri possit. Manifestum quoque est, post divinum Numen homini non plus subsidii atque solatìi posse accedere, quam ab aliis hominibus 55 ." 52
Welzel, ebenda, S. 28. Pufendorf, Dissertatio de statu h o m i n u m naturali, § I, S. 582 f. 54 Pufendorf, De jure naturae et gentium, I I , I I I , § X V : „ . . . animal sui conservandi studiosissimum..." 55 Pufendorf, ebenda, I I , I I I , § X I V . 53
II. Die Begründung eines Systems: Samuel Pufendorf
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Diesen, i m Urzustand den Charakter der menschlichen Natur prägenden Zug der imbecillitas nützt Pufendorf nunmehr als methodischfunktionale Figur, u m i n einem negativen Schluß eine zweite natürliche Eigenschaft des Menschen zu implizieren: die socialitas. Dieser positiv gewendete Aspekt der imbecillitas bildet die Grundlage der Puf endorfschen Komposition naturrechtlicher Sätze: „ E x hisce positis facile est fundamentum legis naturalis invenire. Scilicet manifesto adparet, hominem esse animal sui conservandi studiosissimum per si egenum, sive sui similium auxilio servari ineptum, ad mutua commoda promovenda maxime idoneum, idem tamen saepe malitiosum, petulans et facile irritabile, ac ad noxam inferendam promtum, ac v a l i d u m . . . Inde fundamentalis lex naturae isthaec erit: Cuilibet homini, quant u m i n se, colendam et conservandam esse pacificam adversus alios socialitatem, indoli et scopo generis humani i n universum congruent u m . . . Sed per socialitatem innuimus eiusmodi dispositionem hominis erga quemvis hominem, per quam ipsi benevolentia, pace et capitale, mutuaque adeo obligatione coniunctus i n t e l l i g i t u r . . . Diximus autem, cuilibet homini socialitatem colendam, et actu exercendam quantum i n s e . . . Ex quo consequitur, quia qui obligat ad finem, simul obligare intelligitur ad media, sine quibus finis non potest obtineri; omnia, quae ad istam socialitatem necessario faoiunt, iure naturali praecepta, quae eandem turbant aut abrumpunt, vetita intelligi. Isthanc viam eruendo i u r i naturali non planissimam solum esse patet; sed et eandem maxime genuinam, et propriam plerique sapientum magno consensu agnoscuntM." Diese socialitas w i r d zur Initialformel für den Systementwurf Pufendorfs, der — obwohl er i m einzelnen an Grotius anschließt 57 — damit den Allgemeinen Gesichtspunkt eines Vertragsrechtes aus der empirisch erfahrbaren Natur des Menschen gewinnt 5 8 . Die dogmatische, nicht spekulative Hinordnung des vertraglichen Institutes auf die socialitàs halten w i r i m Gegensatz zu Diesselhorst 5® für wichtig genug, u m von einer Allgemeinen Vertragslehre sprechen zu dürfen. Ganz anders als die aristotelisch-scholastische Einteilung mittels der Topoi von „genus" u n d „species", die auf eine Klassifizierung bekannter Vertrags58
Pufendorf, ebenda, I I , I I I , § X V . Dazu besonders Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel P u fendorfs, S. 22, et passim. 58 Vgl. Wieacker, Contractus u n d Obligatio i m Naturrecht zwischen Spätscholastik u n d Aufklärung, S. 230 f.; Welzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, S. 31 ff., bes. S. 41 ff.; siehe auch die Systemübersicht bei Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 44 f. u n d S. 6 ff. 59 Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 59, 61, 73. 57
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typen hinauslief, erhalten bei Pufendorf die Allgemeinen Aussagen über die Verträge ihren Stellenwert aus der teleologischen Rückführung bzw. Herleitung des Vertragsinstituts, welches i m Pufendorf sehen System eine Schlüsselfunktion einnimmt: Es bringt die imbecillitas des Naturzustandes und die natürliche Autonomie i n der finalen Deutung auf die socialitas h i n zum Ausgleich: „Etsi autem, quae et qualia pacta a singulis hominibus ineantur, i n cuiusvis est arbitrio; ut tarnen aliqua inter homines existent, i n genere et indefinite ius naturae hactenus praeeipit, quiatenus sine illis socialitas et pax inter homines servari nequit80'el." I n dieser Rückbesinnung auf die Elementarfunktion des Vertrages und dessen juristisch-dogmatischer Begründung aus der Natur des I n dividiums 8 2 liegt die systemweitende Fortführung des grotianischen Ansatzes 6 '. Aus der resolutiven Festlegung der obersten Naturrechtsnormen und der Ableitung des Vertragszweckes und damit des gesamten Rechtsinstitutes aus diesen Vorgegebenheiten findet auch die Einordnung dieser Allgemeinen Gedanken i n „De Jure Naturae et Gentium" ihren systemgerechten Standort 8 4 . Das Verdienst Pufendorf s ist die finale Erhellung des ganzen Vertragsverständnisses. Dies ist die Frucht der Verbindung von Naturrechtsdenken und mos geometricus, insbesondere seines resolutiven Zugehens auf die imbecillitas und die socialitas: das „Systema socialitatis". „ Z u der Zeit meiner ersten Jugend, i n den Jahren 1705 und 1706, da ich das Recht der Natur zu studiren "angefangen habe, war fast durchgehends auf Gymnasiis und Universitäten des berühmten Pufendorfii Werckgen de officio hominis et civis Mode. Außer einigen Theologis, die bey den scholastischen Lehren geblieben sind, haben wenige Pro-
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Pufendorf, De jure naturae et gentium, I I I , I V , § 1. Vgl. auch Pufendorf, De jure naturae et gentium, I I I , V I , § 1: „ C u m per promiss a et pacta regulariter libertas nostra constringatur, nobisque aliquod onus concilietur, d u m necessario i a m est praestandum, quod antea i n nostro erat arbitrio positum, facere an omittere vellemus. N u l l a proprior ratio est, quare quis de eiusmodi onere deineeps sustinendo recte conqueri nequeat, quam quia i n i l l u d u l t r a consensit, suoque sibi arbitrio arcessivit, quod repudiare penes ipsum erat." 62 Freilich w i r d die μετάβασις είς όλλο γένο ς hier überdeutlich; dazu näher unten i m Text. 63 Dies bedingt das auf observatio u n d deduetio gegründete Abrücken v o m Sozialtrieb, bzw. den thomistischen inclinationes naturales u n d das Verständnis der sozialen N a t u r des Menschen als anthropologisches Element. 84 Pufendorf, De jure naturae et gentium, I I I , I V bis I I I , I X . 61
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testanten gezweifelt, daß Systema socialitatis das rechte lus naturae begreiffe 65 ." Das „Systema socialitatis" scheint für die Ausbildung der Allgemeinen Lehren fundamental und gewichtig genug, um demgegenüber die Fortführung grotianisch-spätscholastischen Gedankengutes 66 zurücktreten zu lassen. W i r glauben, i n Samuel Pufendorf den ersten Rechtswissenschaftler gefunden zu haben, der zur Ausgliederung Allgemeiner Lehren und Rechtsgedanken über die vertragliche Bindung 6 7 , zu einer ersten Vorform des Allgemeinen Teils privatrechtlich-naturrechtlicher Systeme findet 68. I h n als den „Vater des Allgemeinen Teils" zu feiern, erscheint wohl verfrüht, i h n jedoch als ersten Denker anzusehen, der wirklich Allgemeine Lehren erkannt hat, ist nach unserem Dafürhalten kaum zu bezweifeln. 2. Entia physica und entia moralia, die beiden Genera der μετάβασις είς άλλο γένος
Warum es Pufendorf gelungen ist, der Naturrechtslehre als einer normgebundenen Disziplin i n weit stärkerem Maße als das der Vergangenheit möglich war, eine autonome Stellung zu verschaffen, hängt m i t der Scheidung von entia physica und entia moralia zusammen 69 . Damit zeigt er zu Beginn seines Werkes die Notwendigkeit auf, Sein und Sollen zu trennen 70 . Der i m Anschluß an diese Vorüberlegungen konzipierte Naturrechtsentwurf bedarf daher prinzipiell nicht mehr der Begründung aus Seinstatsachen, seine ersten Prinzipien könnten voraussetzungslose Normen sein: „Porro utimodus originarius producendi entia physica est creatio; ita modum, quo entia moralia producuntur, v i x melius possis exprimere, quam per vocabulum impositionis. Scilicet quia ilia non ex principiis intrinsecis substantiae rerum proveniunt, sed rebus iam existentibus et physice perfectis, eorundemque effectibus 65
Schmauß, Vorrede. Wenn, Das Schuldrecht Pufendorfs, dehnt die Bedeutung der Spätscholastik zu weit, insbes. w o er einen Zusammenhang zwischen Molina u n d Pufendorf i n systematischer Hinsicht (S. 10 ff.) annimmt. Dagegen auch Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 15, Fn. 1. 67 Pufendorf, De j u r e naturae et gentium, I I I , V u n d V I . 68 Vgl. Diesselhorst, Z u m Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 51; Wieacker, PrGN, S. 309, 373. 69 Dazu ausführlich Welzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, S. 19 bis 30. 70 Anderer Ansicht Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 81. 68
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naturalibus sunt superaddita ex arbitrio entium intelligentium, adeoque unice per eorundem determinationem existentiam nanciscuntur 71 ." Wie immer man die „impositio" übersetzen mag, feststeht, daß damit ein A k t bezeichnet wird, der den ihrer physischen (und psychischen72) Natur nach vollendeten Dingen und Handlungen als wertindifferenten Strukturen von außen her ( „ . . . quia ilia non ex principiis intrinsecis substantiae r e r u m . . . " ) ein normatives, nämlich moralisches Muster auferlegt. Darin finden w i r auch den Grund, weshalb Pufendorf den Grotianischen „appetitus socialis" 73 seiner triebhaften Natur entledigen und i n der „socialitas" und „imbecillitas" auf die obersten Prinzipien i m Sinne einer Anthropologie stoßen konnte. Freilich erleidet er an dieser Stelle das methodische Dilemma der μετάβασις είς αλλο γένο ς: socialitas und imbecillitas spiegeln als Ergebnis seiner Analyse anthropologische Vorgiegebenheiten, also entia physica wider. Die Komposition seiner juristischen Lehre wendet m m die Einsicht i n diese Grundmuster menschlicher Existenz ins Normative, d. h. socialitas und imbecillitas stellen nicht nur ein empirisches Sosein dar, sondern werden i m Übergang von der Resolution zur Reorganisation Ausdruck des Seinsollens, m i t h i n entia moralia. Die Ursache für diesen Bruch in der Pufendorfsehen Argumentation liegt wohl i n seinem Glauben, das normative Element müsse sich i r gendwie empirisch verifizierbar niederschlagen: „ . . . Er ist freilich keine Hypothese i m eigentlichen Sinne des Wortes, weil eben nicht als wahr angenommen wird, wovon doch nicht definitiv sicher ist, ob es mit der Natur der Dinge übereinstimmt oder nicht. Vielmehr ist seine Wahrheit und Existenz durch feste u n d sichere Beweise gestützt 74 ." Das systematische Verdienst Pufendorfs vermag diese Ungereimtheit nicht zu schmälern, zumal es scheint, als seien auch die Perfektionisten des Systems und die Genealogen des Begriffs letzthin ohne μετάβασις nicht ausgekommen 75 . 71
Pufendorf, De jure naturae et gentium, I, I, § I V . Vgl. Welzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, S. 21. 73 Grotius, De j u r e b e l l i et pacis, Prol. § 7. 74 Vgl. oben Fn. 48. 75 Das betonen zu Recht Molitor/Schlosser, Grundzüge der Neueren P r i v a t rechtsgeschichte (2. Aufl.), S. 43, f ü r die Person Christian Wolffs ; ebenso Wieacker, PrGN, S. 319. 72
Schluß Die vorgelegte Untersuchung über den naturrechtlichen B e i t r a g zur A u s b i l d u n g der deutschen A l l g e m e i n e n P r i v a t r e c h t s l e h r e n b r i c h t i n d e r H o c h z e i t des e u r o p ä i s c h e n V e r n u n f t r e c h t s ab. Das scheint, m i t e i n e m B l i c k a u f d e n l e t z t e n umfassenden S y s t e m a t i k e r dieser Epoche, Christian Wolff 1, v o r e i l i g . A l l e i n , dieser P h i l o s o p h e n - J u r i s t v e r m a g der n a t u r r e c h t l i c h e n A n t w o r t a u f die F r a g e nach d e n A l l g e m e i n e n L e h r e n nichts Neues h i n z u zufügen. M a t e r i e l l l e h n t e r sich a n GrotiiLs u n d Pufendorf an, f o r m e l l erstarrt sein System i m dogmatischen Syllogismus5. So b l e i b t h i e r noch i n K ü r z e die F r a g e a u f z u w e r f e n , ob n i c h t gerade das syllogistische Schließen, ausgehend v o n Wolffs R e a l - u n d N o m i n a l d e f i n i t i o n e n 4 , die W e n d u n g z u m m e t a s p r a c h l i c h e n S y s t e m , z u m Rechtsb e g r i f f „ a l s solchem" e i n l e i t e t . W i r m e i n e n , n e i n ; d e n n b i s z u Wolff u n d seinen N a c h f a h r e n s i n d G e g e n s t a n d des V e r t r a g s r e c h t s n u r die V e r kehrsgeschäfte, die aus i h r e r w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e n K o n z e p t i o n heraus die o b j e k t s p r a c h l i c h e F a s s u n g v e r m i t t e l n 5 . 1
1679 bis 1754.. Vgl. die Nähe zu Grotius hinsichtlich des Eigentumserwerbes, i n : I n s t i t u tiones j u r i s naturae et gentium, I I 1 - 5 u n d jene zu Pufendorf bezüglich des Schuldrechts, ebenda, I I , 6 - 2 0 ; dazu Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftrechts, S. 15; ders., Contractus u n d Obligation i m Naturrecht zwischen Spätscholastik u n d Aufklärung, S. 223, 237; Wesenberg/Wesener, S. 134; Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 117, betont ebenfalls stärker die Abhängigkeit Wolffs von Grotius u n d Pufendorf als von Leibniz. 3 Vgl. dazu die Analyse des Wolff sehen Rechtsdenkens bei Stupp, Mos geometricus oder Prudentia als Denkform der Jurisprudenz, S. 61 ff. 4 Z u seiner Methode: Stupp, S. 6 - 60; Rod, Geometrischer Geist u n d N a t u r recht, S. 117 ff., bes. 122 ff.; Bachmann, Die naturrechtliche Staatslehre C h r i stian Wolffs, S. 57 ff.; Wieacker, PrGN, S. 319 f.; Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, i n : SZ Germ, Bd. 56 — 1936 —, S. 202 ff., 222 ff.; hingewiesen sei auch auf die bündige Biographie bei KleinheyerlSchröder, Deutsche Juristen aus f ü n f Jahrhunderten, S. 305 ff., Wunner, Christian Wolff u n d die Epoche des Naturrechts sowie auf den Beitrag von Thomann, Christian Wolff, i n : Stolleis, S. 248 ff. 5 Eine Ausweitung h i n zum Rechtsgeschäft deutet sich bei Nettelbladt (1719 bis 1791), Systema elementare universae iurisprudentiae positivae, Bd. I §§ 63 ff., an, der die Fachausdrücke „actus juridicus" u n d „negotium j u r i d i cum" i n die juristische Fachdisziplin einführt. A u f dessen Beitrag zur A u s bildung des Begriffs der „Prozeßhandlung" w u r d e schon hingewiesen. Auch Nörr, Naturrecht u n d Zivilprozeß, S. 18 ff., scheint i m besonderen die formal2
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Schluß
W a s d u r c h Wolff u n d seine S c h ü l e r angeregt w u r d e , w a r die l o g i zistische V e r h ä r t u n g des Z i v i l r e c h t s s y s t e m s , die sich i n der f u n k t i o n a l e n „ A u s k l a m m e r u n g s t e c h n i k " des A l l g e m e i n e n T e i l s offenbart, n i c h t h i n g e g e n v e r m o c h t e er die Genese der A l l g e m e i n e n L e h r e n o r i g i n ä r z u beeinflussen 8 . D a r a u f h a t schon Α . B . Schwarz 7 h i n g e w i e s e n , als e r d i e E p i g o n e n Wolffs l e d i g l i c h f ü r d i e technische A u s w e r t u n g A l l g e m e i n e r L e h r e n i m S i n n e e i n e r syllogistischen V o r a b r e g e l u n g i n A n s p r u c h genommen hat. D a ß aber syllogistisches D e n k e n die A l l g e m e i n e n P r i v a t r e c h t s l e h r e n n i c h t z u erschließen v e r m a g , g l a u b e n w i r nachgewiesen z u h a b e n . D e r l e t z t e A s p e k t des v o r l i e g e n d e n Forschungsgegenstandes, die m e tasprachlichen Begriffe, b l e i b e n d e m V e r s t ä n d n i s d e r h i e r v o r g e l e g t e n U n t e r s u c h u n g n a c h der P a n d e k t i s t i k des 19. Jh.s v o r b e h a l t e n , so ganz besonders die L e h r e v o n d e r W i l l e n s e r k l ä r u n g 8 . M i t der E n t w i c k l u n g dieser D o k t r i n k o m m t die historisch-genetische A u s b i l d u n g d e r A l l g e m e i n e n L e h r e n z u m A b s c h l u ß : N u n m e h r losgelöst v o n j e d e m o b j e k t sprachlichen V e r s t ä n d n i s w i r d die „ W i l l e n s e r k l ä r u n g als solche" dogm a t i s c h b e g r ü n d e t , die w e d e r m i t der E r k l ä r u n g des K ä u f e r s oder des M i e t e r s oder sonst e i n e r q u a n t i f i z i e r b a r e n j u r i s t i s c h e n L e h r e u n d A n logische Leistung Nettelbladts herausstellen zu wollen: „ A n die Stelle des traditionellen Aufreihens der einzelnen Prozeßstücke soll eine Gliederung treten, die i n den Erscheinungen die jeweiligen Gemeinsamkeiten u n d A b leitungszusammenhänge beachtet. Hierher gehört die B i l d u n g v o n Gattungsbegriffen zugunsten des Systems. So geht v o n Nettelbladt der Begriff der Prozeßhandlung aus . . . Z w a r besitzt der Begriff bei Nettelbladt noch wenig Gehalt, er soll aber später ein Grundbegriff der Prozeßrechtswissenschaft werden." (S. 19). 6 Dies betonen auch Wieacker, PrGN, S. 320, u n d Thieme, Zeit des späten Naturrechts, S. 229. Z u m selben Ergebnis hinsichtlich der Staatslehre von Wolff k o m m t Rod, Geometrischer Geist u n d Naturrecht, S. 117; ebenso Stupp, oben Fn. 3. 7 Α. B. Schwarz, Z u r Entstehung des modernen Pandektensystems, S. 588. 8 Z u r Geschichte des „Rechtsgeschäfts" vgl. Flume, Rechtsgeschäft I I , S. ?8 ff. Verantwortlich f ü r die metasprachliche Ausformung erscheint Puchta. W ä h rend Savigny seinem Programm nach noch u m eine „organische" Verbindung des Rechts zur gesellschaftlichen Realität bemüht war, beginnt Puchta sich hiervon vollständig zu lösen. Die A b l e i t u n g der rechtlichen Regeln als „ P r o duct der wissenschaftlichen Deduktion" (Cursus d. Inst. I, 36), die Entwicklung aus dem Begriff selbst ohne Rücksicht auf die Überzeugung u n d Gebräuche des Volkes machen die Metasprache aus. H i e r zeigt sich, daß die Denotate der Namen nicht m e h r reale gesellschaftliche Beziehungen widergeben, sondern reine Begrifflichkeiten, die i n der Genealogie der Begriffe i h r intellektuelles Sein erfahren. „ D a m i t w a r die Entfremdung der Rechtswissenschaft von der gesellschaftlichen, politischen u n d moralischen W i r k l i c h k e i t des Rechts endgültig geworden . . . " (Wieacker, PrGN, S. 401); vgl. dort auch S. 433: „Eine gegebene Rechtsordnung ist stets ein geschlossenes System v o n Institutionen u n d Rechtssätzen, u n d zwar unabhängig v o n der sozialen Realität der durch die Institutionen u n d Rechtssätze geregelten Lebensverhältnisse." Das ist das metasprachliche System.
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schauung identisch ist und trotzdem a l l diese Fälle i n abstracto umfaßt: metasprachliche Argumentation reinster Provenienz. Versuchen wir, Bilanz zu ziehen, so scheinen folgende Gedanken wert, am Ende dieser Arbeit die Würdigung des Naturrechts bei der Ausbildung der Allgemeinen deutschen Zivilrechtslehren zu beschließen: Die gegenwärtige Diskussion u m die Allgemeinen Lehren und den Allgemeinen Teil unseres Privatrechtssystems kann i n ihrer Polarisierung (Naturrecht oder Pandektistik) nicht den Weg zu einer geschichtlich korrekten Sicht finden. Es bedarf sowohl der methodologischen wie historischen Vertiefung des Problems. Ausgangspunkt dafür ist die Analyse der Allgemeinen Privatrechtslehren. Über sie vermögen w i r die konstituierenden Elemente der A l l gemeinen Lehren zu fassen: die μετάβασις εις αλλο γένο ς, deduktives System und metasprachliche Fassung. Der rechtsgeschichtlich-genetische Rückgang auf die Quellen dieser drei Strukturen nötigt zu einer differenzierten Stellungnahme: Naturrechtliches Denken i n der methodischen Problemfigur der μετάβασις είς δλλο γένο ς der Jurisprudenz vermittelt zu haben, ist das Verdienst der Schule von Salamanca. M i t ihr kommt die fundamentale Spannung zwischen Sein und Sollen zum Tragen, die der voluntaristisch-nominalistischen Tradition naturrechtlichen Denkens entwächst. M i t der Ableitung von Normen aus moralphilosophischen Postulaten stellt der Jurist Fernando Vasquez de Menchaca der Autorität der ratio scripta erstmals ein methodologisch grundgelegtes Gegengewicht entgegen. Insoweit w i r k t ein Beitrag spätmittelalterlichen Naturrechtsdenkens. Die Ausbildung zu einem System der Lehren ist die Leistung des Vernunftrechts. W i r erkennen i n Hugo Grotius und Samuel Pufendorf die Männer, die ein natürliches Privatrecht geschaffen und so den Boden dogmatisch bereitet haben, u m den römisch-rechtlichen numerus clausus der Vertragstypen zu überwinden. Dabei spielt eine ganz erhebliche Rolle der Ehrgeiz dieser Epoche, die Naturrechtslehren und -systeme nach A r t der Mathematiker more geometrico demonstrieren zu wollen. Diese beiden Stufen der Genese — μετάβασις und Systemdenken — w i r d man dem Naturrecht zuweisen dürfen.
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Der dritte Aspekt, das System als Ausdruck metasprachlichen Verständnisses kann dagegen nicht in der Tradition des Naturrechts angesiedelt werden 9 . M i t diesem Befund hofft der Verfasser einen Beitrag i n der Auseinandersetzung u m den sogemannten Allgemeinen Teil und die Allgemeinen Lehren geleistet zu haben, der neben einigen neuen Gesichtspunkten eine alte Erfahrung bestätigt: Die geschichtliche Wahrheit schrumpft i n den seltensten Fällen auf die Gestalt eines Denkers, einer Generation oder einer ganzen Epoche. So sehr w i r gezwungen sind, bei historischen Darstellungen m i t Zäsuren zu arbeiten, so sehr verstärkt sich das Bewußtsein, daß die Geschichte selbst diese Schnittlinien kaum jemals anerkennt, sondern i m zähen Hingen mit dem Strom der Tradition das alte Problem immer wieder neu entdeckt: „Alles Gescheite mag schon siebenmal gedacht worden sein. Aber wenn es wieder gedacht wurde, i n anderer Zeit und Lage, war es nicht mehr dasselbe 10 ."
• Interessant u n d aufschlußreich erschiene, der Frage des metasprachlichen Denkens geschichtlich nachzugehen. Einiges spricht dafür, die Weichenstellung f ü r diese A r t der Argumentation i m Naturrecht des Hochmittelalters zu suchen, nämlich i n dessen voluntaristisch-nominalistischem Strang: M i t der Vorstellung, die Begriffe seien lediglich sprachliche Gebilde ohne jeglichen Rückhalt i n der Realität, taucht (soweit ersichtlich) erstmals ein metasprachliches Denken auf. 10 Ernst Bloch, Avicenna u n d die Aristotelische Linke, S. 9.
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Personenregister Abaelard 73 Accursius 83 A l c i a t 96,100 31 Apel, Joh. d. Ä. 99 23 , 100 31 Aristoteles 71 Augustinus 65 ff., 69 Azo 83 Baldus de Ubaldis 92 1 2 5 , 94 ff. Bartolus de Saxoferratis 91 ff., 96, 98 15 , 113 Bergbohm 22 28 , 32 B i e l 114 Böckenförde 22 Boehmer, G. 48 Boehmer, J . H . 49 37 , 127 80 Boethius 71 39 , 73 50 Bonaventura 69 30 Budaeus 97e Burckhardt lOO30 Cantiuncula 100 31 ,101 Capella 72 46 Carpzov 105 Cassidor 72 4e Cocceji 127 80 Connanus 135 Conring 106 Cuiacius 97e, 102 44 Dernburg 35 Descartes 98 14 , 1327 Diesselhorst 127,132 7 , 137, 145 Donellus 97e, 102 44 , 1 0 3 4 7 , 4 9 Duns 109 ff., 112 f., 114 Egger 35 Eichengrün 34 73 Engisch 45 2e Epimenides 55 55 E u k l i d 133
Gerson 114 G m ü r 28 Gregor v. R i m i n i 114, 134 Grotius (de Groot) 122, 126 f., 129, 133 ff., 142 f., 145, 149, 151 Gysin 48 Heine 105 Heise 18 Hilbert/Ackermann 44 24 Hobbes 112,132 7 , 138 30 Hoffmann-Loerzer 136 23 Hof mann 135 H o r n 94 f. Huber 26 f., 33 Hugo 18 Irnerius 72, 74, 80, 82 f., 84 Isidor v. Sevilla 72 4e Jacobus de Ravanis Jhering 31
90 1 1 7 , 963
Kisch 98,100 f. Krause, O.-W. 120 55 Lange, H. 84, 86 Larenz 40 f., 44 f., 48, 52, 54 Leibniz 1492 Lessius 127 f., 137 Lothar v. Supplinburg 106 63 L u l l u s 90 1 1 7 Macchiavelli 100 30 Martinus 76 64 , 85 f. Meier-Hayoz 35 Melanchthon 100,100 31 M o l i n a 127, 137, 147 ββ Mopha 74s* Munzinger 28
Flume
48,511
Nettelbladt 23 30 , 1495 Neusüß 105
Galilei Gentiii
98 1 3 ,130 1 121
Ockham 109, 111 12 ,112 ff., 115,119 Otte 72 f f , 76, 79, 115 37
164
Personenregister
Peter d ' A i l l y 114 Petrus de Bellapertica 963 Porphyrios 71,73 Protagoras 118 Puchta 15, 20, 31,150 8 Pufendorf 15, 17, 46, 126, 133,141 if., 149, 151
Tevenar 49 37 Thomas v. A q u i n 65, 67 17 , 67 if., 70, 89, 114,115 f. Thun-Hohenstein 34 70
Ramus 103 49 Rebuffus 102 39 Rogerius 80, 87
Vasquez, F. 119 ff., 151 Vasquez, G. 114 ff., 119 51 V i t o r i a 107, 114 if.
Savigny 15, 18, 20, 21, 31, 34 73 , 46, 49 37 , 49 f., 90 1 1 7 , 1508 Schwarz, A . B. 23, 39, 150 Söllner 104 Soto 137 Struve 105 S t r y k 979 Suârez, F. 107 1 ,114
Weigand 81 ff. Welzel 168 Wieacker 22, 87 Windscheid 18, 20, 49 37 Wolff 15, 17, 21, 148 75 , 149 f.
Unger
28 48 , 34 70 , 47
Zasius 99 23 Zitelmann 39
Sachwortregister A B G B 27 40 , 2844>48, 29, 31 ff., 33 β7 > 68 , 3470,72,74^ 53 actio publiciana 93 actus juridicus 1495 A D H G B 19 aequitas 80, 83 ff., 95 — rudis 88 — scripta 86 Allgemeinbegriffe 635, 71, 103 49 , 113, 127; s. auch Rechtsbegriffe Allgemeine Lehren (Privatrecht) 15 f., 17 ff., 22 f., 24 ff., 38 ff., 62 f., 70 f., 75 f., 78, 89, 98, 103, 105 59 , 106, 108, 126 ff., 130 ff., 139 ff., 141 ff., 149 ff. — Analyse 16, 37, 46 ff., 151 — Auslegung 25 f., 30 f., 36; s. auch Auslegung — Leitgedanken u n d M a x i m e n 25 f., 28, 30, 36, 47 — metasprachliche Hypostasierung 54 ff. — Rechtsquellen 25, 35, 53; s. auch Rechtsquellen — System 141 ff. Allgemeiner T e i l 15,18 ff., 23 ff., 28 ff., 38 ff., 43 ff., 47, 103 49 , 105, 147 — „Ausklammerung" 27, 38, 40 ff., 44, 75,150 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (österr.) s. A B G B Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch s. A D H G B Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten s. A L R A L R 20,33 6 8 amor efficax 117 f., 123 analogia entis 68,110 ancilla Theologiae 70 35 A n t i n o m i e 55 55 artes liberales 71 f. ; s. auch Artistenfakultät Artistenfakultät 64, 72, 72 4e Auslegung (logische) 31 ; s. auch Rechtsanalogie u. Allgemeine Lehren
Aussagenlogik s. L o g i k A x i o m s. System Begriffsjurisprudenz 15, 19, 21 2 3 ; s. auch Pandektenwissenschaft BGB 19, 23 ff. 26 f., 29, 31, 33 ff., 38 ff., 43, 53, 78 — Erster E n t w u r f 29 49 , 30, 36 — Kreuzeinteilung 39 ff. Bologna (Schule v.) 64, 73, 89, 96 bonum commune 68 f., 70,110, 124 Bourges (Schule v.) 96 Bürgerliches Gesetzbuch (deutsches) s. B G B — sächsisches 19 civitas Dei 65 12 , 66 — terrena 65 12 , 66 Code c i v i l (frz.) 28, 32 f. Codice civile (ital.) 27 40 contractus 76 ff. Corpus iuris civilis 63, 82 ff., 93, 100, 102, 104; s. auch Römisches Recht corruptio legis 69 Deduktion 41 ff., 59 f., 133,137 f., 151 Denotat 57 f., 77, 1508 Designat 77 f. D i a l e k t i k 71 ff.; s. auch Scholastik u. scholastische Methode D i s t i n k t i o n 74 5e , 84 ff., 91, 102 Division 74 5e , 84 f., 102 Doctores ultramontani 96 d o m i n i u m 91 ff., 122 είμαρμένη 65 Elegante Jurisprudenz 96, 104 f. emphyteuticarius 93 emptio venditio 29, 78,122, 127 entia — moralia 142,147 f. — physica 142, 147 f. Entelechie (-lehre) 67 Erklärungstheorie 51 Euklidische Methode s. mos. geometricus
166
oregister
Gaianische Institutionen 39 Gegenreformation 107 1 ,120 Geltungstheorie 51 Genealogie (der Begriffe, Puchta) 20, 148 genus 63, 70, 71 ff., 145 Gesetzeslücke 32, 32 65 , 34; s. auch geschlossenes System u. rechtsleerer Raum glossa ordinaria 89 Glossatoren s. Glosse Glosse 63, 72, 73 ff., 90, 94, 97, 99, 100 31 ,125 75 Grundgesetz 52 Historische Rechtsschule 22f., 34 70 , 46 Humanismus 96, 98 ff.
15,
18 ff.,
imago Dei 66 imbecillitas 143 ff. inclinationes naturales 68 f., 14663 Intellektualismus (griech.) 65 Interpolationen 99 ius — d i v i n u m 65 f., 120 ff. — gentium naturale v e l primaevum 121 ff. — gentium secundarium 122 f., 126 — naturale 120 ff., 125 — supernaturale 121 Jurisprudenz — Fachdisziplin 63, 71,73,119,121 f., 123®8,129, 132 — humanistische 96 ff. — mittelalterl. s. Legistik Kalkül — aussagenlogisches 44 2 4 ; s. auch L o g i k — klassenlogisches s. Logik — Prädikaten- 44 24 Kanonistik 635, 85 96 , 128 Kategorien — aristotelische 74,105 — semantische 42 20 , 43 21 — sprachlogische 55 Kaufvertrag 29, 41 ff., 43 ff., 79 Klassenlogik s. L o g i k Kolonialismus 1071 Kommentatoren 73, 88 1 1 0 , 89 ff., 96, 99,100 31 Konsiliatoren s. Kommentatoren
Konsonanz 112 21 Konzeptualismus 11329, 1529 Legistik 635, 63 f., 81 ff., 90 1 1 7 , 113; s. auch Glosse u. Kommentatoren lex — aeterna 109, 113 — divina 65, 68 — humana 65 f., 69,124 — naturalis 65 ff., 115 — naturalis primaria 118 48 — naturalis secundaria 118 48 locatio conductio 78, 122,127 loci 71, 74 ff., 90, 101 ff., 136 Logik 16, 40 ff. — Aussagen- 43 21 , 44 23 , 74 58 — extensionale 43, 74 ff., 91 ff. — formale 41 ff., 43 ff., 74 ff. — intensionale 74 ff., 91 ff. — k a l k ü l 16, 43 ff. — Klassen- 43 ff., 74 58 , 74 ff. — klassische 52, 108 — materiale 45 2β , 50 — moderne 16, 43 ff. — Normen- 43, 44 23 — Prädikaten- 74 58 — Sprach- 21 23 , 55 ff. Logizismus (naturrechtlicher) 21, 150 mandatum 122, 127 Megara 44 22 μετάβασις είς άλλο γένο ς 35, 50, 52 f., 54, 59 ff., 78 ff., 108 ff., 119 ff., 124 ff., 130 f., 133, 139, 147 f., 151 Metasprache 55 ff., 76 ff., 89, 93, 108, 126, 129, 149 ff. — semantische 57 ff. — synthetische 57 ff., 76 ff. Methodenreinheit 34 6 9 . 7 3 , 131, 143 modus barbara 43 f., 45, 50 — ponens 44 22 » 24 Moralphilosophie 119 ff., 124 ff., 151 Moraltheologie s. Theologie mos Gallicus 96 ff., 104 53 mos geometricus 15 f., 90 1 1 7 , 130 ff., 151 — euklidische F o r m 131 ff., 138 — resolutiv-kompositive F o r m 130 ff., 142 ff. mos Italicus 71 ff., 96, 978, 98, 103 f. N a t u r der Sache 35 f., 80, 88,126 Natürliches Privatrecht 130, 135 ff.
Sachwortregister Nàturrecht 15, 17 ff., 20, 22 f., 28, 33, 33 68 , 39, 46, 53 52 , 62 f., 100,151; s. auch Vernunftrecht — antikes 64 — christliches s. scholastisches — dynamisches 67 17 — scholastisches 23, 63 ff., 68 ff., 78 ff., 109, 118, 123; s. auch Scholastik — Systematiker des -s 16,142 — voluntaristisches 109 ff. Naturwissenschaft (moderne) 131 ff. negotium j u r i d i c u m 1495 Nominaldefinition 149 Nominalismus 109, 112 ff., 115, 151, 152» Normlogik s. Logik Normsatz (atomarer) 43 numerus clausus s. Typenzwang Objektsprache 56 ff., 76 ff., 89, 92 f., 149 f. obligatio — civilis 128 — naturalis 128 Obligationenrecht (Schweiz.) s. OR OR 27 f. ordo — Dei 63, 68 27 , 109 f., 115 f. — ordinans 65 f. — ordinatus 65 Organon (Arist.) 73 51 pactum nudum 127 f., 137,139 Pandekten (Wissenschaft) 15 f., 17 ff., 21, 22 f., 28, 28 48 , 30, 53, 60,150 f. — system 18, 23 29 , 38 f. Pandektistik s. Pandektenwissenschaft Pandektologie s. Pandektenwissenschaft Patristik 65 pollicitatio 140 positives Recht 119 f., 122 f., 124 f. Positivismus s. Rechtspositivismus Prädikabilien 71, 73 ff., 79 ff., 89 f., 92,105 Prädikatenlogik s. L o g i k Privatautonomie 51 f., 54,140 Privation 143 f. quaestiones legitimae Quattrocento 100 quattuor causae 105
88 1 1 1 , 95
167
quinque res s. quinque voces quinque voces 71, 73 ff. ratio — divina 109,115 ff. — humana 46 28 ,109, 119,123, 129 — m u n d i 65 — scripta 63, 83, 88, 95, 127, 129, 151 Realdefinition 149 Rechtsanalogie 31 55 Rechtöbegriff — abstrakter 52, 54 — allgemeiner 45, 48 f., 51 ff., 54 ff. — extensionaler 51 f. — funktionsbestimmter 41,45, 50 ff., 54, 59 — psycho-genetischer Charakter 48 f., 50 Rechtsgeschäft 42 ff., 48, 51 ff., 1495 — Lehre v o m 25, 54, 77,103 49 ,129 f. Rechtspositivismus 18, 26, 31, 34 73 , 53, 112 21 , 113,119 Rechtsleerer Raum 31 57 Rechtsquellen 34 7 1 . 7 3 , 35, 63, 65, 83, 86 ff., 94, 123 e8 , 125, 139 Rechtssprache s. Sprache Référé législatif 33 e8 Reformation 107 Renaissance 100 res — corporales 395 — incorporales 395 Resolutiv-kompositive Methode s. mos geometricus Rezeption 89, 99 Richterrecht 26 f., 32 Römisches Recht 28, 63, 77, 85 ff., 89, 97 f., 99 ff., 114, 127, 135, 137, 139, 141; s. auch Corpus iuris civilis Sächsisches B G B s. Bürgerliches Gesetzbuch Salamanca (Schule v.) 97 12 , 107 ff., 114 ff., 151 Scholastik 16, 134; s. auch Dialektik u. scholastische Methode Scholastische Methode 70 ff., 84, 86, 104 f., 120; s. auch D i a l e k t i k Semantik 21 23 , 55, 78 Siglo de oro 97 12 signum 134,140 f. Sklaverei 67 20 , 85,107 1 socialitas 143,145 ff.
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oregister
Spanische Spätscholastik 961, 97, 114 ff., 137 species 63, 70, 71 ff., 145 Sprache — semantische Ebenen 56 ff., 78 — Rechts- 55 ff., 58, 76 ff., — Ebenen der- 55 ff. — logik s. L o g i k stipulatio 134, 141 Stoa 44 22 , 65 studia humanitatis 99 Studium civile 64, 72 Subsumtionsautomat 41 19 Syllogismus 42 ff., 149 — aristotelischer 44 22 , 101 37 — hypothetischer 44 24 — kategorischer 44 Synderesis 69 30 System (-gedanke i m Privatrecht 15, 22, 24 f., 31, 40, 46, 89, 93 1 3 0 , 100 29 , 100 ff., 105, 126, 130 ff., 140 39 , 141 ff. — abstraktes s. äußeres — äußeres 39, 41, 45, 51, 54, 58 ff., 75 — autonomes 34 71 — axiomatisches 60, 103 49 , 131, 1328, 133, 137 f. — begriff s juristisches 55; s. auch äußeres — des natürlichen Rechts 119 ff. — geschlossenes 22 28 , 28, 30 ff., 34 70 , 36, 40, 53 — gegenstandsbezogenes (Hum.) 102 f., 105 — inneres 41, 46 ff., 50 ff., 54, 99, 102 — naturrechtliches 38, 119 ff., 141 ff. — offenes s. Gesetzeslücke — Pandekten- s. Pandekten — treue 34
Theologie (mittelalterl.) 63, 64 ff., 71, 73, 95 141 ,113,114 ff., 120 — Moral- 64, 66 f., 69 f., 85, 110, 114, 121 ff., 131, 141 Topos 71 ff., 145; s. auch Dialektik u.loci Typenzwang (röm.-rechtl.) 29, 128, 134, 151 Universalienstreit 113 29 uomo universale 100 ususfructus 91 ff. Usus modernus Pandectarum 97, 104 ff.
73,96 1 ,
Vernunftrecht 62, 66, 85, 98, 107, 114, 125, 130 ff., 141 ff., 149, 151; s. auch Naturrecht Versprechen (Grot.) 133 ff., 136 ff. — vollkommenes 137 Vertrag (Allgemeinbegriff) 76 ff., 126 ff., 139 ff., 141 ff. — K a u f - s. Kaufvertrag vestimentum 128 vetus logica 73 Völkerrecht 1071,2 Volksgesetzbuch 24 32 Voluntarismus 65, 117, 119, 120 55 , 123,151,152 9 ; s. auch Naturrecht volntas Dei 186 f., 196; s. auch V o luntarismus Widerstandsrecht 69 Willenserklärung 52, 54 f., 56 ff., 129 Willensfreiheit 165 f. Willenstheorie 51 Z G B 26, 28 47 , 29 49 , 29 ff., 32, 34 72 , 53 Zivilgesetzbuch (Schweiz.) s. Z G B