Die Bedeutung Friedrich Carl v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches [1 ed.] 9783428453504, 9783428053506


124 22 21MB

German Pages 229 Year 1983

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Bedeutung Friedrich Carl v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches [1 ed.]
 9783428453504, 9783428053506

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

HORST HAMMEN

Die Bedeutung F. C. v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 29

Die Bedeutung Friedrich earl v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches

Von

Dr. Horst Rammen

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Hammen, Horst: Die Bedeutung Friedrich Carl v[on] Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches / von Horst Hammen. Berlin : Duncker und Humblot, 1983. (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 29) ISBN 3-428-05350-8

NE: GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05350 8

Vorwort Die Arbeit hat dem Fachbereich Rechtswissenschaften der PhilippsUniversität zu Marburg im Wintersemester 1981/82 als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript wurde im August 1982 abgeschlossen. Die Anregung zu dieser Arbeit ging von Herrn Professor Dr. Ernst Wolf aus. Ihm schulde ich besonderen Dank für die ständige hilfreiche Betreuung. Der Studienstiftung des deutschen Volkes, die durch das mir gewährte Promotionsstipendium beträchtlichen Anteil am Zustandekommen dieser Arbeit hat, sowie Herrn Professor Dr. Bernd Diestelkamp, Herrn Professor Dr. Klaus Luig und Herrn Professor Dr. Dr. Herbert Wagner, die mich bei der Anfertigung der Arbeit beraten haben, bin ich zu Dank verpflichtet. Herrn Professor Dr. Johannes Broermann danke ich für die Aufnahme der Untersuchung in sein Verlagsprogramm. Marburg, im Februar 1983 ROTst Rammen

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung

I. Gegenstand der Untersuchung ..... . ...... . ........... . . . .... . ... II. Methode der Untersuchung ......................................

13 17

§ 2 Savignys Lehre vom System

I. Der Begriff System ............................................. A. Einleitung ................................................... B. Geschichte des Systembegriffs ................................ C. Der Systembegriff Savignys .................................. a) Der Begriff ............................... . .............. b) Die Bestandteile des Systems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Das Merkmal Widerspruchsfreiheit ........................ d) Das Merkmal Ordnung ....................................

24 24 26 30 30 34 38 39

II. Die Methoden der Ermittlung des Systems aus dem römischen Rechtsstoff ..................................................... A. Die Methode der Gesetzesauslegung .......................... B. Die Methode der Reduktion .................................. C. Die Lehre von der Analogie ................. . ................

40 41 44 45

III. Gesamtwürdigung ..............................................

49

§ 3 Savignys Stellung zu Gesetz und Kodifikation

I. Die Rechtsentstehungslehre der Marburger Methodologie II. Die Rechtsentstehungslehre im "Beruf" .......................... A. Die Volksgeistlehre ........................................ . . B. Die dogmatische Kritik der Naturrechtskodifikationen ........ C. Savignys praktische Gründe für seine Ablehnung von Gesetzbüchern ..................................................... III. Savignys Rechtsentstehungslehre in der Zeit nach dem "Beruf" .. IV. Gesamtwürdigung ..............................................

52

54 54 58 59 62 67

§ 4 Die Lehre von den "juristischen Tatsachen"

I. II. I11. IV. V. VI.

Das Schrifttum vor Savignys "System" .......................... Die Lehre Savignys ............................................ Das Schrifttum nach Savigny ............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Rechtsprechung .................... . ........................ Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ...................... . ..... Zusammenfassung ..............................................

69 70 74 77 77 78

Inhaltsverzeichnis

8

§ 5 Die Lehre vom Rechtsgeschäft

I. Die naturrechtliche Lehre ............... . .............. . . . ...... a) Hugo Grotius ................................................ b) Das Allgemeine Landrecht ...................................

79 79 80

II. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" .............. III. Die Lehre Savignys ............................................. a) Die im "System" vertretene Lehre ............................ b) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre ........... . . . ......

81 82 82 84

IV. V. VI. VII. VIII.

Das Schrifttum nach Savigny .................................... Die Rechtsprechung ........................ . . . .................. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ........................... Zusammenfassung

85 86 87 88 90

§ 6 Die Lehre vom Vertrag

I. Die Naturrechtslehre .... . ....................................... a) Hugo Grotius ................................................ b) Das Allgemeine Landrecht ................... . ...............

91 91 93

II. Gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" ........... . ...... III. Die Lehre Savignys ............................................. a) Die im "System" vertretene Lehre ............................ b) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre ....................

94 95 95 98

IV. V. VI. VII. VIII.

Das Schrifttum nach Savigny .................................. Die Rechtsprechung ............................................. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf ........................ Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ..................... . . . .... Zusammenfassung ............................ . .................

100 100 103 104 107

§ 7 Der Tatbestand der Anfechtbarkeit wegen Irrtums und seine Wirkungen

I. Die naturrechtliche Lehre ....................... . ............... 108 a) Hugo Grotius ................................................ 108 b) Das Allgemeine Landrecht ................................... 109 11. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" .............. III. Die Lehre Savignys ............................................. a) Die im "System" vertretene Lehre .......... . . . ........... . ... b) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre .................... IV. V. VI. VII. VIII.

Das Schrifttum nach Savigny ............ . .................. . .. Die Rechtsprechung ............................... . .... . .... . ... Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf ........................ Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ............................ Zusammenfassung ....................................... . ......

109 111 111 119 120 125 126 128 132

Inhal tsverzeichnis

9

§ 8 Die Lehre von der Stellvertretung

I. Die naturrechtliche Lehre .......................... . ............ 133 a) Hugo Grotius ................................................ 133 b) Das Allgemeine Landrecht ................................... 134 11. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" .............. 111. Die Lehre Savignys ............................................. a) Die in "System" und "Obligationenrecht" vertretene Lehre .... b) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre .................... IV. V. VI. VII. VIII.

Das Schrifttum nach Savigny .................... . ............. Die Rechtsprechung ............................................ Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf ........................ Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ............................ Zusammenfassung ..............................................

135 137 137 139 140 142 143 144 145

§ 9 Die Lehre von den Verfügungen

I. Die naturrechtliche Lehre ..... . ................................. 146 a) Hugo Grotius ................................................ 146 b) Das Allgemeine Landrecht ................................... 146 11. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" .... . . . .... . .. 111. Die Lehre Savignys ............................................. a) Die Lehre von der rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung 1. Die naturrechtliche Lehre ................................ aa) Hugo Grotius ......................................... bb) Das Allgemeine Landrecht ............................ 2. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" ........ 3. Die Lehre Savignys ...................................... aa) Die in "System" und "Obligationenrecht" vertretene Lehre ................................................ bb) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre .............. 4. Das Schrifttum nach Savigny .............................. 5. Die Rechtsprechung ...................................... 6. Sächsisches BGB, Dresdener Entwurf und das Preußische Eigentumserwerbsgesetz von 1872 ......................... 7. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ...................... b) Die Lehre von der rechtsgeschäftlichen Bestellung von Belastungen ..................................................... 1. Das Allgemeine Landrecht ................................ 2. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" ........ 3. Die Lehre Savignys ...................................... 4. Das Schrifttum nach Savigny .............................. 5. Die Rechtsprechung ...................................... 6. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf ................. 7. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ..................... c) Ergebnis ................................... . .... . ...........

147 149 150 150 150 151 151 152 152 155 156 156 158 160 162 162 162 164 165 166 167 167 168

IV. Das Schrifttum nach Savigny .................................. 169 V. Die Rechtsprechung ............................................ 169

10

Inhaltsverzeichnis

VI. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf 170 VII. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ............................ 171 VIII. Zusammenfassung .............................................. 172 § 10 Die Lehre von den abstrakten Schuld verträgen

I. Das Allgemeine Landrecht ...................................... 174 II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" .... . . . ....... Die Lehre Savignys ............................................. Das Schrifttum nach Savigny .................................... Die Rechtsprechung ............................................ Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf ..................... . .. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch .......... . . . . . . . . . . . . . . . . .. Zusammenfassung ......................... . ............... . . . ..

174 176 178 179 181 182 183

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

I. Die naturrechtliche Lehre ......................... . ............. 184 a) Die ältere Naturrechtslehre ............. . .................... 184 b) Das Allgemeine Landrecht ................................... 185 11. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" ..... . ........ III. Die Lehre Savignys ............................................ a) Die im "System" vertretene Lehre ........................... 1. Der allgemeine Bereicherungstatbestand ........... . . . .... 2. Das Merkmal Vorteilsverschiebung ........................ 3. Das Merkmal "Fehlen des rechtlichen Grundes" ............ 4. Die Fehler der Lehre Savignys ............................ b) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre .................... IV. V. VI. VII.

Das Schrifttum nach Savigny ............ . . . ........ . . . . . . . . . . . .. Die Rechtsprechung ............................................. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf ........... . ............ Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ............. . ........ . . . . .. a) Der allgemeine Bereicherungstatbestand ...................... b) Das Merkmal Vorteilsverschiebung ..........................

186 187 187 187 189 192 194 196 198 200 202 204 204 206

VIII. Zusammenfassung .............................................. 208 § 12 Ergebnis der Untersuchung

I. Die Lehren Savignys, die für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des BGB Bedeutung erlangt haben ........................ 209 11. Der Entstehungszeitpunkt dieser Lehren ............... . . . ...... 212 III. Die übernahme der Lehren Savignys ................... . ........ 213

Literaturverzeichnis

.................. . ............................... 214

Abkfuzungsverzeichnis

ABGB AcP ADB ADHGB AG ALR Arch. f. bürg. R. Aufl. Bd. BGB BOHG Civ.Mag. ders. Diss. DJZ Dres.Entw. Entw. Fn. FS Gruchot

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 Amtsgericht Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Archiv für bürgerliches Recht Auflage Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesoberhandelsgericht Civilistisches Magazin derselbe Dissertation Deutsche Juristenzeitung Dresdener Entwurf Entwurf Fußnote Festschrift Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts begründet von J. A. Gruchot

hrsg. JherJb

herausgegeben Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen romlschen und deutschen Privatrechts hrsg. von Rudolf v. Jhering und Joseph Unger

JW JuS JZ Krit. Viertelj. Schr.

Juristische Wochenschrift Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

LG NJW OAG

Landgericht Neue Juristische Wochenschrift Oberappellationsgericht (OAG Kassel = Neue Sammlung bemerkenswerter Entscheidungen des OberAppellations-Gerichtes Cassel, Bd. 1 - 8, Cassel 1842 bis 1852)

12

Abkürzungsverzeichnis

Oberst. Ger. f. Bayern

Oberster Gerichtshof für Bayern (Sammlung von Entscheidungen des obersten Gerichtshofes für Bayern in Gegenständen des Civilrechtes und Civilprozesses, Bd. 1 - 11, Erlangen 1872 - 1888)

OLG

Oberlandesgericht (OLG Dresden = Annalen des Königl. Sächs. Oberlandesgerichts zu Dresden, Bd. 1 bis 40, Leipzig 1880 - 1920)

OTr. Pr.E.G.

Obertribunal Preußisches Gesetz über den Eigentumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke, Bergwerke und selbständigen Gerechtigkeiten v. 5. Mai 1872

Pr.Otr.

Preußisches Obertribunal (Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals, Bd. 1 - 83, Berlin 1837 bis 1879; Archiv für Rechtsfälle aus der Praxis der Rechts-Anwälte des Königlichen Ober-Tribunals, Herausgegeben von den Ober-Tribunals-Rechts-Anwälten und redigirt von Theodor Striethorst, Bd. 1 bis 100, Berlin 1851 - 1880)

RG

Reichsgericht (Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen, Bd. 1 - 172, Berlin, Leipzig 1880 - 1945)

ROHG

Reichsoberhandelsgericht (Entscheidungen des ReichsOberhandelsgerichts, herausgegeben von den Räthen des Gerichtshofes, Bd. 1 - 25, Erlangen Stuttgart 1873 bis 1880)

sächs.BGB Sav.Z.Germ.Abt.

sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung

Sav.Z.Rom.Abt.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Romanistische Abteilung

Seuff.A.

Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten hrsg. von 1. A. Seuffert und E. A. Seuffert

u.B.a.Sav. Univ.-Bibl.

unter Bezugnahme auf Savigny Universitätsbibliothek vom vergleiche zum Beispiel Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik

v.

vgl. z.B. ZHR zit. ZRP

§ I Einleitung I. Gegenstand der Untersuchung Savignys Gelehrtenleben war produktiv wie selten ein anderes. Sein rechtswissenschaftliches Werk umfaßt über 20 Bände. Savigny war Mitglied des preußischen Staatsrates und Richter am Revisions- und Kassationshof für die rheinischen Gebiete. Er arbeitete im Spruchkolleg der juristischen Fakultät in Berlin und in einer Gesetzesrevisionskommission. Schließlich war er von 1842 bis 1848 preußischer Gesetzgebungsminister1 . Seine Korrespondenz mit zahlreichen Zeitgenossen, die auch Einfluß auf die rechtswissenschaftIiche Literatur gehabt hat, umfaßt mehrere tausend Briefe. Savigny war einer der Mitbegründer der monumenta germanica historia2 und hat in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin das Corpus Inscriptionum Latinarum geförderfl. Nicht zuletzt war er ein großer akademischer Lehrer, durch dessen Vorlesungen fast 10000 Studenten gegangen sind 4 und zu dessen Privatschülern auch Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Max H. von Bayern gehörten5 • Die Werke seiner Schüler hat Savigny in vielfältiger Weise gefördert6 • Die Zeit für eine umfassende Würdigung des Lebens und Wirkens v. Savignys ist noch nicht reif. Der größte Teil des Savignynachlasses, 1 Zur Biographie Stoll, Friedrich Karl v. Savigny, Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe, Erster Band, Der junge Savigny, Berlin 1927; Zweiter Band, Professorenjahre in Berlin 1810 - 1842, Berlin 1929; Dritter Band, Ministerzeit und letzte Lebensjahre, Berlin 1939; zur Savignyliteratur vgl. Luig / Dölemeyer, Alphabetisches Verzeichnis der neueren Literatur über Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861), Quaderni Fiorentini 8 (1979) S. 501 ff. und Erik Wolf, Große Rechtsdenker, S. 537 ff. l! Vgl. sein Gutachten abgedruckt bei G. H. Pertz, Das Leben des Ministers Freiherr von Stein, 6. Bd. 2. Hälfte, Berlin 1855, Beilage 20, S. 101 ff.; vgl. auch den wahrscheinlich an Eichhorn gerichteten und an Stein weitergegebenen Brief Savignys vom 15.3. 1816 (Stein - A.C. 1/14 a), in dem dieser einen kurzen Plan der monumenta entwirft (Freiherr von Stein, Briefe und amtliche Schriften, 5. Bd., neu bearbeitet von Manfred Botzenhart, Stuttgart 1964, S.476 Fn.2 und 5. 3 Schwarz, AcP 161, 483. 4 Erik Wolf, Große Rechtsdenker, S. 517. 5 Landsberg, 3. Abt. 2. Halbband, S. 106 Fn. 1l. 6 So hat er z. B. für Bethmann-Hollweg eine handschriftliche Kritik zu dessen "Handbuch des Civilprozesses" verfaßt (Bethmann-Hollweg, Der römische Zivilprozeß, Bd. 1, Bonn 1864, S. VII Fn. 1).

14

§ 1 Einleitung

der sich jetzt in der Universitätsbibliothek Marburg befindet, wird gerade erst katalogisiert7 und ist bisher erst ansatzweise ausgewertet wordens. In seinem Beitrag "Der unbekannte Savigny" hat Rückert weitere bedeutsame Lücken in unserer Savignykenntnis aufgezeigt9 • Diese Lücken bestehen insbesondere hinsichtlich der dogmatischen Arbeit Savignys l0. Sein rechts dogmatisches Werk ist bisher noch nicht zusammenhängend gewürdigt wordenl l , obwohl die Zahl der Arbeiten, die sich mit einzelnen dogmatischen Lehren Savignys befassen, im Zunehmen begriffen ist l2 . Eine umfassende Würdigung von Savignys dogmatischem Werk und dessen Bedeutung für das BGB würde den Rahmen einer Dissertation sprengen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich daher auf die Untersuchung der Bedeutung Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dieses Unternehmen konnte nur durchgeführt werden, weil es dem Verfasser möglich war, auf viele Vorarbeiten im Schrifttum zurückzugreifen. Bei der Untersuchung müssen außer Betracht bleiben: a) Seine nichtdogmatischen Arbeiten auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte und der Rechtsphilosophie, soweit sie nicht für seine Rechtsdogmatik von unmittelbarer Bedeutung waren b) seine Arbeiten auf dem Gebiet des Strafrechts13 und des Prozeßrechts14 7 Oberhessische Presse Nr.50 v. 28.2.1981, S.4; Marburger Universitätszeitung Nr. 125 v. 15.1. 1981, S. 4. S Vgl. etwa Johann Nepomuk Ringseis, Erlebnisse aus der bayrischen Erweckungsbewegung, herausgegeben und eingeleitet von Herbert Kadel, Marburg 1981. 9 Rückert, Quaderni Fiorentini 9 (1980), S. 401 ff. 10 Rückert, Quaderni Fiorentini 9 (1980), S. 407. 11 Caroni, Sav.Z.Germ.Abt.86 (1969), S. 102; Kunkel, JZ 1962, 458; Coing, Anales de la catedra Francisco Suarez 18 - 19 - 1978 - 1979, S. 85. 12 Vgl. z. B. die Beiträge in lus Commune Bd. 8 (1979). 13 De concurso delictorum formali dissertatio, Marburg 1800 (VS IV, S. 74 ff.); Lorenz, F. C. v. Savigny und die preußische Strafgesetzgebung, Diss. Münster 1957; Gesetz-Revision, Als Manuskript gedruckt (Berlin 1827 - 48), Pensum I, Strafgesetzbuch von 1843. 1845 Unter Savignys Leitung durch Bischoff bearbeitet. 8. Band. Votum des Justiz-Ministers v. Savigny die Einführung des Strafgesetzbuchs in den Rheinprovinzen betreffend v. 13. März 1847. 14 Gesetz-Revision, Als Manuskript gedruckt (Berlin 1827 - 48), Pensum V, Civilprozess resp. Novelle v. 21. Juli 1846, 14. Band, Votum des Justiz-Ministers v. Savigny, die Revision der Civil-Prozess-Ordnung betr. (v. 25. Febr. 1844); Nachträgliches Votum des Justiz-Ministers v. Savigny, die Revision der Civil-Prozess-Ordnung betr. Zur Ergänzung u. Modifik. des unt. 25. Febr. eingereicht. Voti bestimmt; Pensum 11, Strafprozeßordnung, 10. Band, Die Prinzipienfragen in Beziehung auf eine neue Strafprozessordnung 1846. Die Vorrede ist gez. von v. Savigny 3. März 1846.

I. Gegenstand der Untersuchung

15

c) seine Arbeiten auf dem Gebiet des Internationalprivatrechts16 sowie seine Anmerkungen zu ausländischen Gesetzbüchern (ABGB, code civil)16, soweit sie nicht für das deutsche Recht Bedeutung erlangt haben d) seine Arbeiten auf dem Gebiet heute außerhalb des BGB liegender Materien privatrechtlichen Inhalts 17 sowie seine auf spezielle privatrechtliche Materien bezogenen Lehren 18 , soweit sie nicht eine allgemeine Bedeutung erlangt haben. In der vorliegenden Arbeit wird also nur die Bedeutung Savignys für die allgemeine Dogmatik des BGB untersucht. Die Auseinandersetzung mit dem gestellten Thema setzt zunächst die Erklärung voraus, was die Dogmatik eines Gesetzbuchs ist und welches die allgemeinen Grundlagen des BGB sind. Die Dogmatik eines Gesetzbuchs ist dessen wissenschaftliche Systematik. Ein System ist die den Gegenständen entsprechende logische Ordnung aller wissenschaftlich erkannten Begriffe, Gesetze und Regeln. Logische Ordnung ist das Verhältnis der wissenschaftlich erkannten Begriffe, Gesetze und Regeln entsprechend ihrer Allgemeinheit19. Eine Kodifikation ist die systematische Gesamtregelung der rechtlichen Verhältnisse einer Gattung durch einen Akt staatlicher Gesetzgebung. Durch die systematische Gesamtregelung der rechtlichen Verhältnisse einer Gattung unterscheidet sich eine Kodifikation von einer Kompilation20 • Im BGB wird der logischen Ordnung der Gesetze dadurch Rechnung getragen, daß die den speziellen Rechtsgebieten allgemeinen Vorschriften in einem allgemeinen Teil geregelt sind. Diese Lehre von System und Kodifikation vertraten auch die Verfasser des BGB. Sie führten aus, das BGB enthalte ein Rechtssystem. Es bestehe nicht aus einer toten Masse nebeneinandergestellter Rechtssätze, sondern sei ein organisches Gefüge innerlich zusammenhängen16 Gutzwiller, Der Einfluß Savignys auf die Entwicklung des Internationalprivatrechts, 1923. 16 Caroni, Der unverstandene Meister? Savignys Bemerkungen zum österreichischen ABGB in: FS Balt, 1978, S. 107 ff.; Demelius, Drei Pandektisten über das österreichische ABGB, FS Schönbauer, 1965, S. 8 ff. 17 Vgl. die Materialien der Wechselrechtskommission, in der Savigny mitgearbeitet hat (unten § 10 IIl). 18 Vgl. z. B. Hütter, Savignys Geldlehre, Diss. Münster 1970; Wollschläger, Die Entwicklung der Unmöglichkeitslehre, Köln 1970, aus dem Familienrecht: Schenk, Der Familienrath und Savigny, Krit. Viertelj. Schr. 5 (1863), S. 376 ff.; Buchholz, Savignys Stellungnahme zum Ehe- und Familienrecht, lus commune 8 (1980), S. 148 ff. 19 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S.31; die Definition des Begriffs logische Ordnung ist von Ernst Wolf, Marburg, übernommen. 20 Wolf, FS Müller, S. 870.

16

§ 1 Einleitung

der Normen21 • Dem Grundsatz der Kodifikation entspreche deren Vollständigkeit, Geschlossenheit und Ausschließlichkeit22 • Das System des BGB folge im wesentlichen der neue ren Doktrin des gemeinen Rechts, der neueren Zivilgesetzbücher und Entwürfe2 3 • Schon die Vorkommission war der Auffassung, ein allgemeiner Teil sei nicht zu entbehren. Sie empfahl, die für den allgemeinen Teil bestimmten Rechtssätze durch allmähliches Ausscheiden des Allgemeinen aus dem Besonderen aus zuscheiden24 • Die Aufnahme eines Allgemeinen Teils wurde am 23. 9.1874 beschlossen26 • Die vorwiegend im Allgemeinen Teil geregelten Grundlagen des BGB sind: eine einheitliche Systematik der Rechtsgeschäfte einschließlich der Verträge sowie die damit zusammenhängenden Lehren vom Irrtum, der Stellvertretung und den Verfügungs geschäften; weiterhin - zusammenhängend mit der Lehre vom Vertrag - die Lehre von den abstrakten Schuldverträgen und - zusammenhängend mit der Lehre von den Verfügungen - das Bereicherungsrecht. Allen genannten Gegenständen ist die Lehre vom Tatbestand gemeinsamlMl • Gegenstand der nachfolgenden Erörterung sollen daher sein: -

die die die die die die die die

Lehre vom Tatbestand Lehre vom Rechtsgeschäft Lehre vom Vertrag Lehre vom Irrtum und seinen Wirkungen Lehre von der Stellvertretung Lehre von der Verfügung Lehre von den abstrakten Schuldverträgen Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

21 Mugdan I, S.365; der hier gebrauchte Ausdruck "organisches Gefüge innerlich zusammenhängender Rechtsnormen" beruht auf dem Einfluß der Lehren Savignys und Kants; eine andere Herkunft kommt historisch nicht in Frage. Rein sprachlich handelt es sich dabei um eine der idealistischen Philosophie entsprechende ("organologische") Ausdrucksweise. Daß die Verfasser des BGB eine solche idealistische Bedeutung gemeint haben sollten, kann nach ihren sonstigen Äußerungen und der positivistischen Denkweise ihrer Zeit mit Sicherheit ausgeschlossen werden; vgl. weiter Mugdan I, S.883: "Der Entwurf bemüht sich", "bestimmte klare präzise Rechtssätze aufzustellen und zu einem geschlossenen System" "zu verbinden" . 22 Mugdan I, S. 16. 23 Schubert, Materialien, S. 176, 216. 24 Schubert, Materialien, S.176; vgl. auch Mugdan I, S.823: "Das 1. Buch ,Allgemeiner Teil' enthält solche Vorschriften, die allen folgenden Büchern oder mehreren von ihnen gemeinsam sind". 25 Schubert, Materialien, S. 214. 26 Vgl. Wolf, FS Müller, S. 870 f.

11. Methode der Untersuchung

17

Die Gegenstände dieser Lehren sollen nicht isoliert, sondern im Hinblick auf ihren inhaltlichen Zusammenhang in den Bestimmungen des BGB behandelt werden. Es wird daher besonderes Gewicht darauf gelegt werden, die Stellung des jeweiligen Gegenstandes in System und Kodifikation aufzuzeigen. Dagegen tritt die Behandlung spezieller Fragen zurück. Die besondere Bedeutung, die der Untersuchung der Stellung aller zu behandelnden Gegenstände in System und Kodifikation zukommt, macht es erforderlich, Savignys Auffassungen von System und Kodifikation in zwei einleitenden Kapiteln zu untersuchen. Bei der Behandlung von Savignys Systembegriff bietet sich die Gelegenheit, die im Savignynachlaß befindlichen Manuskripte zur Methodenvorlesung von 1803 und 1809, sowie die "Berliner Notizen" zu berücksichtigenl!7. Der Erörterung von Savignys Systembegriff schließt sich eine Erörterung der Methoden Savignys an, mittels derer er zu seinem System der Rechtssätze und Rechtsbegriffe gelangte. Die Behandlung von Savignys Stellung zur Kodifikation führt zu der Erkenntnis, daß Savigny seine im "Beruf" geäußerten rechtsphilosophischen Bedenken gegen die Kodifikation später der Sache nach zurückgenommen hat.

11. Methode der Untersuchung Der Name Savignys findet sich in den Motiven und Protokollen zum BGB bei den zu behandelnden Gegenständen nur an wenigen Stellen. Das liegt wohl an dem großen zeitlichen Abstand zwischen dem Erscheinen des "Systems" und den Beratungen zum BGB - über dreißig Jahre - sowie daran, daß die Verfasser des BGB sich auf neue re Lehrbücher mit zum Teil verbesserten Lehren stützen konnten. Deshalb wird zunächst festzustellen sein, inwieweit Savigny bezüglich der zu untersuchenden Gegenstände eine eigenständige Bedeutung hatte. Dieser Feststellung dient eine Darstellung der vor dem Erscheinen des "Systems" zu diesen Gegenständen vertretenen naturrechtlichen und gemeinrechtlichen Lehrenl!8. Eine erschöpfende Darstellung des Schrifttums vor Savigny würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb wird aus dem Bereich der 27 Auf diese Manuskripte hat mich Dr. KadeIlMarburg aufmerksam gemacht; vgl. auch Kadel, 1ntervento, Quaderni Fiorentini 9 (1980), S. 397 ff. l!8 Vgl. Coing, Jus 1979, 88 Fn. 19: "Das Verhältnis von Savignys Lehren zur Rechtswissenschaft der unmittelbar vorhergehenden Epoche bedarf noch der Klärung"; Coing, Anales de la catedra Francisco Suarez 18 - 19 - 1978 1979, S. 83 ff.: "Es fehlt vor allem an einer genaueren Untersuchung des Zustandes der Privatrechtswissenschaft, wie sie Savigny entwickelt hatte. Die Frage, wo Savigny in seinen Einzellehren etwa über den vorhandenen Theoriebestand hinausgegangen ist, läßt sich heute nur bruchstückweise beantworten".

2 Hammen

18

§

1 Einleitung

naturrechtlichen Lehren als deren Anfangspunkt die Lehre des Grotius dargestellt, und zwar, da sein Werk "Inleidinge tot de Hollandsche Rechtsgeleerdheid" noch zum usus modernus gehört29 , anhand seines Werkes "De jure belli ac pacis". Als Endpunkt der naturrechtlichen Epoche wird das Allgemeine Landrecht behandelt, dies nicht zuletzt deshalb, weil Savigny selbst über das Landrecht wiederholt Vorlesungen gehalten30 , an seiner Revision mitgewirkt und es in seinen Werken oft berücksichtigt hat. Daran schließt sich eine Darstellung der in der gemeinrechtlichen Lehrbuchliteratur von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Erscheinen des "Systems" vertretenen Lehren an. Der Erörterung der gemeinrechtlichen Lehren folgt die Darstellung der Lehre Savignys. Diese Darstellung ist in zwei Abschnitte untergliedert. Zunächst wird die Lehre Savignys so behandelt, wie er sie durch sein "System" und sein "Obligationenrecht" der juristischen Öffentlichkeit vorgestellt hat. Wie Felgentraeger festgestellt hat, haben aber schon Savignys Vorlesungen auf das Schrifttum einen großen Einfluß ausgeübt. Einige seiner Lehren sind bereits vor dem Erscheinen des "Systems" von einigen seiner Schüler in eigenen Publikationen vorgestellt wordens1 . Daß Savignys Schüler dabei auf seinen Lehren aufbauten, war im Schrifttum bekannt32. Sein System der Institutionen war schon von Pernice bekannt gemacht worden33 • Deswegen soll im zweiten Abschnitt die Entwicklung der Lehre Savignys in den Vorlesungsnachschriften skizziert werden. Aufgrund jüngster Nachforschungen konnte eine große Anzahl von Nachschriften und eigenen Vorlesungsmanuskripten von Savignys Vorlesungen ermittelt werden34 • Aus der Fülle der nunmehr bekannten Nachschriften und eigenen Manuskripten werden der vorliegenden Untersuchung die Manuskripte -

-

Pandekten, nach Heises Grundriß Heidelberg 1807 (Univ.-BibI. Marburg, Ms 925 M 8 Einleitung, Allg. T., Sachenrecht, M 19 Obligationenrecht M 7 e Obligationenrecht Bes. Teil) (Vorlesungsmanuskript Savignys) Savignys Pandecten WS 181811819 nachgeschrieben v. Blume (Univ.BibI. Bann S 786)

29 Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S.130; U. Müller, Stellvertretung, S.125. 30 Strauch, FS Hippel, S. 250 Fn. 38. 31 Felgentraeger, S.37. 32 Vgl. z. B. Puchta, Pandekten, S. 289 Fn. f. 33 Stahl, Rechtsphilosophie, Bd. 1, S. 575. 34 Diese Nachschriften werden demnächst in einem Quellenrepertorium von Rückert und Kadel nachgewiesen; vgl. Rückert, Sav.Z.Germ.Abt.97 (1980), S.482.

11. Methode der Untersuchung

19

Pandekten nach Prof. Savigny/Berlin im Wintersemester 1824/25 (Univ.-Bibl. Bonn S 2659) - Pandekten von Savigny, gez. C. G. Goeriz (um 1830), im Besitz von Prof. Zwilgmeyer, Braunschweig - Pandekten vorgetragen vom Geheimen Revisionsrath v. Savigny im Wintersemester 1837/38 in Berlin (Univ.-Bibl. Frankfurt Handschriftlicher Katalog Rothschild 4° Nr.3) zugrundegelegt. Bei der Auswertung der Vorlesungsnachschriften sind folgende drei Punkte zu beachten: 1. Savigny hielt die Vorlesung Pandekten zwar in durchschnittlich 200 Stunden im Semester. Gleichwohl umfaßte sie den gesamten Bereich des heute im BGB geregelten Zivilrechts. In einer solchen Vorlesung konnte Savigny nicht auf jedr'n einzelnen Gegenstand so ausführlich eingehen, wie er es im "System" und im "Obligationenrecht" getan hat. Daran ändert auch niC'.hts, daß Savigny eine vorbereitende Institutionenvorlesung abhielt. In ihr wurden zwar einige "Rechtsinstitute" kurz behandelt, sie diente aber hauptsächlich der "äußeren" und "inneren" Rechtsgeschichte einschließlich der des Zivil- und Strafprozesses. 2. Es ist davon auszugehen, daß Savigny in den Nachschriften vielfach nicht in wörtlicher Rede wiedergegeben ist 36 • Auch aus der mehr oder weniger gründlichen Mitschrift der Vorlesung können sich Fehlerquellen ergeben. So umfaßt die Nachschrift von 1824 über 700 Seiten, die von 1837/38 dagegen nur 407 Seiten. Es wäre verfehlt, aus Weglassungen eines Hörers auf Unvollständigkeiten und Fehler im Vortrag Savignys zu schließen. 3. Die Pandektenvorlesung und das "System" hatten nach Savignys Plan eine unterschiedliche Zielrichtung. Die Vorlesungen seien für Unkundige bestimmt, der Schriftsteller dagegen arbeite für den Kundigen und setze bei ihm den Besitz der Wissenschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt voraus36 • Eine umfassende Analyse der Vorlesungsnachschriften, die diese Punkte abschließend klärt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Deshalb beschränkt sich die Untersuchung auf die Darstellung der grundlegenden Entwicklungen in den Vorlesungsnachschriften. Die gen aue Erforschung der Entwicklung von Savignys Lehren in den Vorlesungsnachschriften sollte angesichts der großen 36

Vgl. die unterschiedlichen Mitschriften der Brüder Grimm (Institutionen

36

System I, S. XLVIII.

1803/04) zit. bei Felgentraeger, S. 27 ff, und die Nachschrift "Erläuterungen und Zusätze", S. 59: "Nach Savignys Ansicht sollte man ..."

20

§ 1 Einleitung

Zahl der Manuskripte einer eigenen Untersuchung vorbehalten bleiben. Das gilt insbesondere für das sehr umfangreiche Vorlesungsmanuskript "Pandekten" von Savignys eigener Hand. In den ursprünglichen Text hat Savigny später viele Zusätze eingefügt. Die Datierung und Auswertung dieser Zusätze bedarf einer textkritischen Arbeit, die in der Edition der Savignyquellen geleistet werden soll. Der vorliegenden Arbeit liegt als Beleg für die frühen Lehren Savignys nur der ursprüngliche Text des Manuskripts zugrunde. Die Frage, ob und inwieweit die Lehren Savignys Bedeutung für das BGB erlangt haben, kann nicht all eine dadurch beantwortet werden, daß eine Gleichheit der von Savigny entwickelten und der dem BGB zugrunde liegenden Lehren festgestellt wird. Solche übereinstimmungen können, wie sich im Laufe der Arbeit zeigen wird, zufällig sein. Die Motive und Protokolle nehmen zwar nicht auf Savigny, wohl aber auf Lehrmeinungen Bezug, die in Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung vertreten wurden37 • Die Frage, ob Savigny Bedeutung für das BGB erlangte, läßt sich daher mittelbar dadurch beantworten, daß festgestellt wird, ob und inwieweit er für Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung Bedeutung erlangt hat38. Dementsprechend schließen sich an das Kapitel über die Lehre Savignys drei Kapitel über Lehrmeinungen, Rechtsprechung und Gesetzgebungsbestrebungen vor dem Inkrafttreten des BGB an. Daß dabei nicht jede Meinung und nicht jedes Urteil berücksichtigt werden kann, liegt auf der Hand. Für den Nachweis der Bedeutung Savignys genügt es festzustellen, daß seine Lehren sich in Wissenschaft, Rechtsprechung und Gesetzgebung durchgesetzt oder doch wenigstens Gewicht erlangt haben, weil die Verfasser des BGB alle bedeutenden Lehren zu einem Gegenstand erwogen haben. Aus den Gesetzgebungsarbeiten wurden die Lehren des sächsischen BGB und des Dresdener Entwurfs ausgewählt. Das sächsische BGB deswegen, weil es im 19. Jahrhundert die vor dem BGB einzige in Kraft getretene Kodifikation war, die von den Zeitgenossen bezeichnenderweise "der kleine Savigny" genannt wurde 39 • Der Dresdener Entwurf, 37 Nach den Vorschlägen der Vorkommission sind die Gesetzgebungsarbeiten "neben der Theorie und übung des gemeinen Rechts als Bausteine des deutschen Gesetzbuchs zu verwerten" (Gutachten der Vorkommission vom 15.4.1874 in Schubert, Materialien - Einführung, S. 172). 38 Auf die Bedeutung der Frage, wie Savigny auf seine Nachfolger gewirkt hat, weist Coing, Ius commune 8 (1979), S. 15 hin; vgl. auch Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechtsschule, S.8: Savignys Einwirkung auf du: Praxis sei noch fast unerforscht. 39 Boehmer, AcP 151, 305; zur Bedeutung des sächsischen BGB vgl. Buschmann, JuS 1980, 553.

11. Methode der Untersuchung

21

weil er dem Schuldrecht des BGB zugrundelag4o • Zwischen diesen beiden Arbeiten und dem BGB besteht ein personeller Zusammenhang. Der Redaktor des sächsischen BGB, Siebenhaar, wirkte als Vertreter Sachsens am Dresdener Entwurf mit41 • Außerdem wirkte v. Kübel sowohl am Dresdener Entwurf als auch bei den Gesetzgebungsarbeiten zum BGB mit42 • Bemerkenswert ist schließlich, daß auch Vertreter Österreichs am Dresdener Entwurf mitgearbeitet und alle dogmatischen Verbesserungen des Dresdener Entwurfs gegenüber dem ABGB mitgetragen haben. Im Fortgang der Untersuchung schließt sich die Darstellung der in den Arbeiten zum BGB vertretenen Lehren an. Für die rechtsgeschichtliche Forschung wird in Zukunft die von Schubert und Jakobs besorgte Edition aller Materialien zumBGB von größter Bedeutung sein. Da es in der vorliegenden Arbeit aber nicht darum geht, allen jemals in den Gesetzgebungsarbeiten zu dem betreffenden Gegenstand vertretenen Auffassungen nachzugehen, sondern darum, Savignys Bedeutung für die Regelungen des BGB darzustellen, werden nur diejenigen Materialien berücksichtigt, die für die Abfassung der Regelungen des BGB von unmittelbarer Bedeutung waren, also die Motive und die Protokolle. Das Kapitel über die in den Gesetzgebungsarbeiten vertretenen Lehren schließt mit der Feststellung, ob und inwieweit Savignys Lehre für den jeweiligen im BGB geregelten Gegenstand Bedeutung hatte. Feststellungen darüber, ob die Lehren Savignys in Rechtswissenschaft, Rechtsprechung und Gesetzgebung unmittelbar Eingang gefunden haben, bereiten besondere Schwierigkeiten, da die Beweggründe früher vertretener Rechtsauffassungen aus heutiger Sicht meist nicht mehr exakt zu rekonstruieren sind 43 • Dieses Problem stellt sich lediglich in den Fällen nicht, in denen Savignys Lehre ausdrücklich übernommen wurde. Als allgemeines Indiz für die Einflußnahme kommt in Betracht, daß eine Vielzahl der Schüler Savignys als Lehrbuchverfasser, Richter oder an der Gesetzgebung Beteiligte tätig waren, weshalb der Gedanke naheliegt, daß von ihnen die Lehren Savignys fortgeführt wurden. So kommen als Lehrbuchverfasser in Betracht u. a. Arndts, Windscheid, Keller und Rönne. In der Rechtsprechung wirkten unter anderem folgende Savignyschüler mit: Blume am GAG Lübeck von

40 Nach v. Mayr, Der Bereicherungsanspruch des deutschen bürgerlichen Rechts, S.24 macht sich auch im Dresdener Entwurf der EinflußSavignys vielfach geltend. 41 Huwyler, Zession, S. 173. 42 Schubert, Sav.Z.Rom.Abt. 92 (1975), S. 230. 43 Vgl. Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechtsschule, S. 13.

22

§ 1 Einleitung

1833 - 1843 44, Bornemann am Preußischen Obertribunal von 1848 - 186446 , Förster am OAG Greifswald 46 , Gneist am Preußischen Obertribunal47 , Homeyer am Preußischen Obertribunal ab 184548 , Delbrück am Appellationsgericht Greifswald 49 , Leonhardt am OAG Celle 50 , Meibom am Reichsoberhandelsgericht und am Reichsgericht von 1875 - 1887 61 sowie Zimmern 1827 als akademischer Rat am OAG Jena 52 • Savignyschüler, die in der Gesetzgebung arbeiteten, waren: Arndts in der bayerischen Gesetzgebungskommission63 , Bornemann an der Wechselordnungfi4, Dollmann am Entwurf für ein Bayrisches Gesetzbuch55 , Förster in der Kommission für das Pr.E.G. v. 1872 58 , Leonhard an der Wechselordnung und am Pr.E.G. v. 187257 , Meibom am Dresdener Entwurf&8, nicht zuletzt Windscheid am 1. Entwurf zum BGBli9. Von großer Bedeutung war auch Savignys außergewöhnlicher Ruf, den er als Gelehrter besaß. Für das Bayrische Oberlandesgericht war Savigny eine "gewichtige Autorität"Go. Das Preußische Obertribunal lehnte in einem Fall eine Lehrmeinung auch deswegen ab, weil sie nicht die Autorität v. Savignys habe61 • Die Feststellung, daß ein Lehrbuchverfasser, Richter oder Mitglied einer Gesetzgebungskommission ein Schüler Savignys war, darf jedoch nicht zu der Annahme führen, daß die Lehrmeinungen Savignys unbesehen übernommen worden wären. Viele seiner Schüler haben abweichende und neue Lehren vertreten. Ein wichtiges Indiz dafür, daß eine Lehre Savignys übernommen wurde, ist gegeben, wenn hierfür seine Werke zitiert wurden. Wesenberg hat vorgeschlagen, den Einfluß Savignys auf die Rechtsprechung der Obergerichte anhand dieser Zitate zu 45 ADB 3, 173. ADB 2, 735. 47 ADB 49,403. ADB 48, 664. 48 ADB 13,45. 49 Windscheid, Krit. Viertelj. Schr. 10 (1868), S.292. 50 ADB 18, 303. 51 ADB 52, 285. 62 ADB 45, 302. 63 ADB 46, 41. 55 ADB 5, 320. 54 ADB 3, 174. 57 ADB 18,303. 56 ADB 48, 666. 59 ADB 43, 423. 58 ADB 52, 284. 60 Oberst. Ger. f. Bayern Bd.3, S.397. 61 Pr.Otr.37, 11; vgl. auch OAG Rostock v. 16.5.1859 Seuff. A. XVI Nr.90 S. 158: "und" "dies auch von Savigny" "anerkannt wird"; verschiedentlich haben die Gerichte jedoch auch Savignys Lehren schroff abgelehnt, vgl. OAG Oldenburg v. 21. 5. und 27.9.1850 Seuff. A. V Nr.117 S. 136 f.: "Savignys Ansicht, daß aus bloßem Stillschweigen nur in den verschiedenen Fällen, welche das corpus iuris enthält, ohne Zulassung irgend einer Anwendung auf ähnliche Fälle, eine Einwilligung entnommen werden könne", "entspricht weder der Natur der Sache, noch einer richtigen Interpretation der Gesetze". "Savignys Aufzählung der in den Quellen vorkommenden Fälle ist auch nicht vollständig".

44

46

II. Methode der Untersuchung

23

ermitteln62 • Der Anregung von Kunkel, diesen Ansatz über den begrenzten Rahmen von Wesenbergs Abhandlung hinaus fortzusetzen63 , wird dadurch Rechnung getragen, daß bei den in der folgenden Untersuchung zitierten Literaturstellen jede Bezugnahme auf Savigny vermerkt werden wird. Die eingehenden wörtlichen Zitate ermöglichen es dem Leser, die betreffenden Lehren und ihre Entwicklung anhand der oft nur schwer tugänglichen Quellen zu überprüfen.

62 63

Wesenberg, Sav.Z.Rom.Abt. 67 (1950), S.465. Kunkel, Sav.Z.Rom.Abt.75 (1958), S.512.

§ 2 Savignys Lehre vom System I. Der Begriff System A. Einleitung Die in den Werken v. Savignys enthaltenen methodologischen Ausführungen sind sämtlich von seiner Rechtsentstehungslehre beeinflußt. In der Marburger Methodologie lehrte Savigny: "Der Inhalt des Systems ist die Gesetzgebung, also Rechtssätze"l. Gegenüber dieser, wie noch zu zeigen sein wird, gesetzespositivistischen Auffassung vertrat Savigny im "System des heutigen römischen Rechts"2 die Ansicht, das "System des positiven Rechts einer Nation" bestehe aus nur durch "Anschauung" erkennbaren Rechtsinstituten. Daneben existiere ein System von Rechtsbegriffen und Rechtsregeln, die "ihre tiefere Grundlagen in der Anschauung des Rechtsinstituts" haben, das "organischer Natur" sei. Denn "die Gestalt ... , in welcher das Recht in dem gemeinsamen Bewußtsein des Volkes lebt, ist nicht die der abstrakten Regel, sondern die lebendige Anschauung der Rechtsinstitute in ihrem organischen Zusammenhang"3. Für die hier zu untersuchende Frage, ob Savignys Lehre vom System den Gesetzen der Logik entspricht, kommt es allein auf sein System der Rechtsregeln oder Rechtssätze sowie der Rechtsbegriffe an. Logik ist die Lehre vom erkenntnismethodisch richtigen Denken. Für die gestellte Frage kommt es daher nur auf Denkinhalte an. Von der Untersuchung wird Savignys "System der Rechtsinstitute"4 nicht erfaßt. Das bedarf der Erläuterung. Es kann m. E. als sicher davon ausgegangen werden, daß Savigny als romanistischer Rechtshistoriker die Ausdrücke "Rechtsinstitut" und "Institut" in der Bedeutung gebraucht hat, in der 1 Meth. (1802) (= Juristische Methodenlehre nach der Ausarbeitung des Jakob Grimm, hrsg. von Gerhard Wesenberg, Stuttgart 1951), S. 37. 2 Der Ausdruck "heutiges römisches Recht" geht wohl auf Pütter zurück (Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. UI, S. 53). 3 System I, S. 9, 16. 4 Der Ausdruck "System der Rechtsinstitute" (vgl. System I, S. 10) stellt eine unzulässige übertragung des Begriffs System, der die logische Ordnung von Begriffen und Urteilen bedeutet, auf Nichtbegriffliches dar. Diese übertragung resultiert daraus, daß in Savignys "Rechtsinstitut" die "reiche lebendige Wirklichkeit" mit den Allgemeinbegriffen vermengt ist.

I. Der Begriff System

25

der Ausdruck "Institutiones" im römischen Recht (Gaius) üblicherweise verwendet wurde. Savigny faßt unter den Begriff des Rechtsinstituts sowohl tatsächliche Einrichtungen und Beziehungen des gesellschaftlichen Lebens, als auch juristische Allgemeinbestimmungen5 • Der Begriff des Rechtsinstituts "schillert" bei Savigny "zwischen einer material-soziologischen und einer begrifflichen Auffassung"6. Das Wesen des Rechtsinstituts ist "organisch"7. Nach Savigny gehören die Rechtsinstitute "der reichen lebendigen Wirklichkeit" an. Um sie zu erkennen, bedarf es der Rechtssätze und Rechtsbegriffe. Die systematische Behandlung besteht darin, "die Bestandteile" der Rechtsverhältnisse "zu vereinzeln, um sie successiv in unser Bewußtsein aufzunehmen und Anderen mitzuteilen". Die Ordnung, in die diese Bestandteile zu stellen seien, sei durch die "in der Wirklichkeit vorhandenen Verwandtschaft bestimmt"8. Auch wenn Savigny ausführt, die Rechtsinstitute bestünden aus den ihnen angehörenden Rechtssätzen, unterscheidet er daher doch begrifflich zwischen Rechtsinstituten, die der reichen lebendigen Wirklichkeit angehören, und den Rechtssätzen und Begriffen9 • Nur diese gehören zum Denkinhalt: "Das Gesetz" solle "einen auf ein Rechtsverhältnis" "sich beziehenden Gedanken aussprechen"IO. Da sich "in der Mannigfaltigkeit der im Leben erscheinenden Rechtsverhältnisse" "eine Gemeinsamkeit von Regeln und Grundsätzen" zeige, "die selbst wieder sich in ein System verbinden", "ist es gerade" "die Aufgabe der Wissenschaft", "diesen systematischen Faden, der sich durch die Rechtsverhältnisse hindurchzieht, darzulegen"l1. Daher spricht Savigny in der Lehre von den juristischen Tatsachen und ihren Untergliederungen, die als allgemeinste Lehre allen speziellen Teilen des Rechtssystems gemeinsam ist, nicht von einem auf Rechtsinstitute, sondern auf Rechtsregeln bezogenen allgemeinen Teip2. "Systembildend ist" bei Savigny, wie Larenz gesagt hat, "nicht der ,organische' Zusammenhang der Institute, sondern der logische Zusammenhang der Begriffe"13.

Stühler, Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft, S. 35. Coing, Anales de la catedra Francisco Suarez, 18 - 19 - 1978 - 1979, S. 96. 7 System I, S. 9. 8 System I, S. XXXVII. 9 Vgl. auch Wilhelm, Savignys überpositive Systematik, S. 128: nach Savigny sei das Rechtsinstitut nicht nur die Summe der ihm angehörenden Rechtsregeln. 10 Nachschrift Goeriz, S. 10, Hervorhebung von dem Verfasser. 11 Nachschrift Goeriz, S. l. 12 System 111, S. 3. 13 Larenz, Methodenlehre, S. 15. 5

6

26

§ 2 Savignys Lehre vom System

Für den Gang der Untersuchung ist auch unerheblich, ob sich das System der Rechtsregeln und Rechtsbegriffe, wie in der Methodologie gelehrt wird, auf vom Staat gesetztes Recht oder, wie im "System" ausgeführt wird, auf Rechtsinstitute bezieht, die im Volksgeist gewachsen sind. Die Frage, ob der Inhalt eines Urteils oder eines Gesetzes in einem Gegenstand begründet, ob das Urteil oder Gesetz also wahr ist, kann die Logik nicht entscheidenl4 . Daher wird in diesem Kapitel nur untersucht, ob der Systembegriff Savignys den logischen Gesetzen, insbesondere dem vom ausgeschlossenen Widerspruch, sowie dem darauf gründenden Begriff des Systems entspricht oder nicht. B. Gesehirhte des Systembegriffs

Der Gedanke, Rechtsbegriffe und Rechtsregeln systematisch zu erfassen, war nicht neu. Savigny war der Ansicht, daß die Römer im Besitz der "leitenden Grundsätze" des Rechts gewesen seien l5 , daß sie mit den Rechtsbegriffen gerechnet hättenl~. Wie jedoch die rechtshistorische Forschung gezeigt hat1 7 , bestanden bei den Römern lediglich Ansätze zu einer Systematisierung. Der Systemgedanke ist dem alten römischen Recht fremd. Er hat seinen Ursprung in der griechischen Philosophie. Erst durch die der Unterwerfung Griechenlands folgende geistige Beeinflussung Roms fand er Eingang in die wissenschaftliche Arbeit der römischen Juristen. So findet sich in den Institutionen des Gaius, dem einzigen römischen juristischen Lehrbuch, das bekannt ist, schon ein einheitlicher Begriff des obligatorischen Vertrages. Jedoch darf auch Savigny nicht dahin verstanden werden, als sei er der Ansicht gewesen, die Römer hätten Systeme wie etwa das BGB besessen. Vielmehr lehrte er: "Ein großer Teil der Pandekten und des Codex besteht aus ganz speziellen Entscheidungen, die aber nur dastehen, um eine allgemeine Regel auszusprechen. Der eigentliche Inhalt einer solchen Stelle für uns, insofern sie als Teil der Gesetzgebung ... dasteht, ist demnach jene Regel, entkleidet von diesen speziellen Bestimmungen, die nur zum scheinbaren Inhalt der Stelle gehören" 18. "Die Forderung systemati14 VgI. insoweit die Kritik von Wolf, Grundlagenkritik, S.66; zum Zusammenhang der Lehre Savignys, die Rechtsregeln und Rechtsbegriffe seien mittels Anschauung der Rechtsinstitute zu ermitteln (System I, S.9), mit den Lehren Kants und Hegels, vgI. Wolf, Grundlagenkritik, S.59; Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, S. 68. 15 Beruf, S. 149. 16 Beruf, S. 114. 17 Coing, Systemgedanke, S. 31. 18 Meth. (1809) (= Methologie Zweyter Versuch, Sommer 1809 [als Einleitung der Pandecten] [Univ. BibI. Marburg (Ms 925, M 14]), foI. 5; vgI. auch Nachschrift "Erläuterungen und Zusätze", S.58: "in allen diesen Fällen

I. Der Begriff System

27

scher Behandlung des Rechts ist übrigens neu; denn nirgendwo findet sie sich im Römischen Recht vor"19. Entstanden war diese Forderung unter dem Einfluß der mathematischen Methode ("more geometrico"), der in der Zeit nach der Rezeption vorherrschend war20. Pufendorf entwarf nach philosophischen Vorarbeiten von Hobbes und Spinoza ein System des Rechts21 . Methodisch vollzieht sich der Aufbau dieses Systems des Rechts durch streng deduktive Schlüsse als Ableitungen von Axiomen, die in der Vernunft gegründet sind22 • Dieser Aufbau geschieht losgelöst vom römischen Recht23. Die naturrechtliche Lehre wurde vor allem von Kant angegriffen. Nach Kant ist "dasjenige", "was gemeine Erkenntnis allererst zur Wissenschaft, d. i. aus einem bloßen Aggregat derselben ein System macht" , "die systematische Einheit". "Unter einem Systeme" versteht er "die Einheit der mannigfachen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese" sei "der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl als die Stelle der Teile untereinander apriori bestimmt" werde. "Das Ganze" sei "also gegliedert" "und nicht gehäuft"; es könne "zwar innerlich, nicht aber äußerlich" wachsen, "wie ein tierischer Körper". "Der scientifische Vernunftbegriff enthalte also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben" kongruiere2 4 • - Diese Umschreibungen sind organologisch und teleologisch, also idealistisch. Sie sind auch deshalb angreifbar, weil "Einheit unter einer Idee" gleichbedeutend mit logisch widersprüchlich ist. Diesen sich bei einer Kritik der Philosophie Kants ergebenden Bedenken steht gegenüber, daß nach Kant "dem Satz des Widerspruchs" "nichts zuwider sein" "darf"!5. Der Absicht nach wollte Kant also von der Logik nichts nachlassen. Folglich kann auch für Savigny daraus, daß er organologische sprachliche Wendungen Kants übernahm, nicht geschlossen werden, daß er damit die Gesetze der Logik aufgeben wollte. konnten nur allgemeine Regeln angewandt werden. Viele Fälle waren aber einzeln, noch nicht auf Prinzipien reduziert" . 19 Nachschrift Rotschild, Nr.3, S. 1. 20 Zur Herkunft des Wortes System vgl. Schlossmann, Willenserklärung und Rechtsgeschäft (aus: Festgabe für Albert Hänel, 1907), S. 66 Fn. 1. Das älteste als Systema bezeichnete juristische Werk ist nach Schlossmann von Seb. Naevius: Systema super pandect. et cod. et feudal. Francof. 1608. 21 Vgl. Wie acker, Privatrechtsgeschichte, S.254. 22 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S.254. 23 Coing, Systemgedanke, S.37. 24 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S.557; vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 223. 25 Kant, Prolegomena, S. 15 f.

28

§ 2 Savignys Lehre vom System

Nach Kant ist Recht nur im Staat möglich: "Etwas äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlichgesetzgebenden Gewalt, d. i. im bürgerlichen Zustande möglich"2iI. Dem entspricht die Bestimmung des Begriffs Staat als der "Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen"27. Während die Naturrechtslehrer Rechtssysteme aus "materiellen" Axiomen deduzierten, gebrauchte Kant seine aprioristischen Sätze, den kategorischen Imperativ, lediglich "formal" dazu, die vom Staat gesetzten Rechtssätze auf ihre übereinstimmung mit den höchsten Prinzipien der Sittlichkeit hin zu untersuchen28 • Die naturrechtliche Systematik wurde beibehalten, ihr Gegenstand in der Naturrechtslehre - die in der Vernunft gründenden Axiome - wurden mit dem weitgehend auf dem römischen Recht beruhenden positiven Recht vertauscht29 • In der Folgezeit beschäftigte sich die Rechtswissenschaft mit dem gegebenen, dem positiven Recht. So übernahm Hugo die kantische Lehre in die Jurisprudenz: Zum positiven Recht "gehören ... auch Begriffe und Sätze apriori, Metaphysik, allein diese entscheiden nichts als die Form, welche an und für sich durchaus auf alles paßt oder vielmehr völlig leer ist"; der Inhalt müsse aus Erfahrung und Geschichte genommen werden30 • Damit war die Lehre vom Naturrecht aufgegeben. Schon Pütter hatte in seinem "Versuch einer juristischen Enzyklopädie und Methodologie" (1767) für die Darstellung des römischen Rechts unter Abkehr vom Legalsystem, das den Rechtsstoff nach der Ordnung der Digestentitel behandelt, systematische Ordnung und Grundlegung durch Aufstellung eines allgemeinen Teils gefordert3 1 . Hugo stellte in seinen "Institutionen des heutigen römischen Rechts" (1789) erstmals das moderne Pandektensystem auf. Die Besonderheit dieses Systems besteht darin, daß es zunächst nach römischem Vorbild Sachenrecht und Schuld recht in besonderen Teilen behandelt, woran sich als Folge der naturrechtlichen Systematik Familien- und Erbrecht anschließen. Diesen vier Teilen ist, ebenfalls in der naturrechtlichen Systematik gründend, ein allgemeiner Teil vorangestellt32. Das Pandektensystem bestimmte auch die stoffliche Ordnung des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit dem Unterschied, daß im BGB das Sachenrecht dem Schuldrecht nachfolgt. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 58. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 119. 28 Landsberg, 3. Abt. 1. Halbbd., S. 509. 29 Larenz, Methodenlehre, S. 15; Caroni, Sav.Z.Germ.Abt. 86 (1969), S. 115; Thieme spricht vom geheimen Fortleben naturrechtlicher Systematik (DJZ 1936, Sp. 156). 3Q Hugo, Lehrbuch des Naturrechts, § 48. 31 Schwarz, Sav.Z.Rom.Abt.42 (1921), S.589; Landsberg, 3. Abt., 2. Halbbd., S.94. 32 Schwarz, Sav.Z.Rom.Abt.42 (1921), S.609. 26 27

I. Der Begriff System

29

In der Folge sahen sich immer mehr Gelehrte veranlaßt, ihren Pandektenvortrag von der legalen auf die systematische Ordnung umzustellen33 . Heise begründete sein System mit der Unterscheidung der Gegenstände der Rechte. Er unterschied Rechte gegen eine Sache, gegen eine Person auf eine einzelne Leistung sowie auf allgemeine Unterordnung einer Person unter eine andere. Er teilte ein in dingliche Rechte, Obligationen und Familienrecht34 • Daran sei wegen der besonderen Bestimmung des Erbrechts durch die Art seiner Erwerbung das Erbrecht als eigenes Buch anzufügen36 . Auf die logische Ordnung stellen die Ausführungen von Thibaut ab: "Das System soll dem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Es soll das Ungleichartige trennen, aber dabei auch das Gleichartige soviel als möglich zu vereinigen suchen"36. Mackeldey begründete seinen Aufbau mit der "in der Natur eines wissenschaftlichen Vortrags unabänderlich begründeten Regel, vom Allgemeinen auf das Besondere überzugehen"a1. Schweppe führte schließlich aus: "Im Ganzen ist die Ordnung die nämliche, welche im Grundrisse von Reise befolgt ist" und "die Auctorität eines von Savigny für sich hat"38. Lediglich Weber hielt an der legalen Ordnung fest, um "den Studierenden ... zur vergleichenden Benutzung der erwähnten Lehrmethode Gelegenheit zu geben", obwohl auch er den Vorteil eines "vollständigen, in sich zusammenhängenden Ganzen" nicht übersah!l9. Das sog. Pandektensystem ist kein ursprüngliches System des römischen Rechts, sondern ein an dessen Material entwickeltes vernünftiges Sachsystem. Seine endgültige Festlegung fand dieses System in Heises "Grund riß eines Systems des gemeinen Civilrechts zum Behufe von Pandecten-Vorlesungen" (1. Ausg. 1807)40. Diesen Grundriß hat Savigny seinen Vorlesungen in Landshut 41 und Berlin42 zugrundegelegt. Die späteren Grundriß-Ausgaben hat er vielfach beeinflußt43 • 33 Vgl. z. B. Glück, Handbuch zum systematischen Studium des neuesten römischen Privatrechts, S. V; Thibaut, Bd. 1, Vorrede S. 1. 34 Heise, S. IX f., S. 16 Fn. 5. 36 Heise, S.157 Fn.1; Heise hat versucht, die in seinem System enthaltene Verschieden artigkeit der Quellen dadurch zu überwinden, daß er nach dem Vorbild Kants (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre § 22) das vierte Buch seines Grundrisses nicht mit "Familienrecht" , sondern mit "Dinglichpersönliche Rechte" überschrieb. Dieser Versuch mußte an der verfehlten dogmatischen Vermengung von vermögensrechtlichen und personenrechtlichen Verhältnissen scheitern. 36 Thibaut, Versuche, Bd. 1, S. 71. 31 Mackeldey, Vorrede, S. XIII. 38 Schweppe, Vorrede, S. VII; Seuffert, Bd. 1, S. VII orientiert sich an Heise und Schweppe. 39 Weber, Erläuterungen der Pandekten, Vorrede S. IV f. 40 Vgl. Flume, Allg. T., Bd. 2, S. 28. 41 Lenel, Briefe Savignys an Heise, Sav.Z.Rom.Abt.36 (1915), Nr. 17 v. 13.4. 1810 (S. 116). 42 Lenel, Sav.Z.Rom.Abt.36 (1915), Nr.24 v. 26. 10. 1812 (S. 128 f.); vgl. auch

30

§ 2 Savignys Lehre vom System

C. Der Systembegriff Savignys a) Der Begriff

Savigny hatte schon sehr früh den Plan gefaßt, ein System des römischen Rechts zu verfassen44 • Die Auffassung, dieser Plan könne sich nicht auf das erst 1840 erschienene "System" bezogen haben, möglicherweise seien nur die beiden ersten Bände der Geschichte des römischen Rechts gemeint 45 , wird dadurch widerlegt, daß Savigny in einem Brief an Hufeland schrieb, zur Durchführung dieses Planes sei ein erneutes Studium der Hufelandschen Pandekten erforderlich46 • Da, wie noch zu zeigen sein wird, zu dieser Zeit viele Lehren noch nicht durchgearbeitet waren, ist jedoch davon auszugehen, daß mit "System" das damals neu aufgekommene Pandektensystem gemeint war. Savigny lernte dieses System durch Hugos Institutionen, Berlin 1798, kennen47 • Er übernahm das Pandektensystem, wenngleich er "eine scheinbare Verwandtschaft der Familie mit den Obligationen" wegen "völliger Ungleichartigkeit" dieser "Institute" verwarf48 • Die Einteilung in die drei "Hauptklassen der Rechte": Familienrecht, Sachenrecht und Obligationenrecht entwikkelte Savigny aus der Definition des Rechtsverhältnisses als eines Gebietes "unabhängiger Herrschaft des individuellen Willens". Die "drei Hauptgegenstände der Willensherrschaft" seien "die eigene Person, die unfreie Natur, fremde Personen"49.

die überschrift von Savignys Pandektenmanuskript (UB Marburg M 8): "Pandekten nach Heises Grundriß"; Institutionen und Rechtsgeschichte hat er dagegen nach Hugo gelesen (Landsberg, 3. Abt. 2. Halbbd., S. 189); vgl. auch die Vorlesungsmitschrift "Erläuterungen und Zusätze zu Hugos Lehrbuch" WS 1808/09 (UB München Cod. Msc. 8914°). 43 Lenel, Sav.Z.Rom.Abt.36 (1915), Nr. 17 v. 13.4. 1810 (S. 116); Nr.24 v. 26.10. 1812 (S. 128 f.); Nr.26 v. 2. 1. 1814 (S. 133 f.); Nr.40 v. 27.5.1818 (S. 155 f.); Heise, 3. Aufl. 1819, Vorrede S. VII, XII. 44 Brief an Bang v. 13.4.1810, Stoll, Bd. 1, Nr.215, S.415; Brief an Hufeland v. 9.4.1811, Stoll, Bd.2, Nr.234, S.72; Lenel, Sav.Z.Rom.Abt.36 (1915), Nr. 17 v. 13.4.1810 (S. 117). 45 Stoll, Bd. 1, S. 416 Fn. 1; Bd. 2, S. 72 Fn. 1. 46 Brief an Hufeland v. 9.4. 1811, Stoll, Bd.2, Nr.234, S.72; vgl. auch System I, S. XLVIII: "Der Stoff zu dem vorliegenden Werk ist allmählich in Vorlesungen gesammelt und verarbeitet worden". 47 System I, S. 405 f. Fn. s. 48 System I, S.387; in der Nachschrift Rothschild Nr.3, WS 1837/38 ist das Familienrecht jedoch noch mit "Dinglich-persönliche Rechte" überschrieben (S.359). 49 System I, S. 334 f.

1. Der Begriff System

31

Das Pandektensystem war nur eine neuartige Einteilung des überlieferten Stoffes, die die systematischen Ansätze der Römer zum Ausdruck brachte. Savigny kam es darauf an, diese Ansätze durch fortschreitende Systematisierung auszubauen, weil vollständige Einsicht nur erworben werden könne durch die "Erkenntnis und Darstellung des inneren Zusammenhangs", "wodurch die einzelnen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verbunden werden"50. Die "innere Vollendung dieses Systems" geschehe "im Interesse der Sicherheit des Rechts selbst"51, also nicht nur aus didaktischen Gründen der Darstellung. In der Landshuter Methodenlehre führte er aus: "Aufgabe des Systems" ist es, "den inneren Zusammenhang", die "Verwandtschaft der Begriffe und Sätze darzustellen". "Diese Aufgabe" "wird meist verkannt und vernachlässigt"62. Nach der Konzipierung der Volksgeistlehre leitete Savigny die Forderung nach Systematisierung durch die Rechtswissenschaft aus der Rechtsentstehungslehre ab. Da nach seiner Auffassung das Recht als "Gewohnheitsrecht" "aus innerem Bedürfnis" entsteht, "so muß es einen inneren Zusammenhang haben, ein vollständiges Ganzes bilden". Daher sei der "Charakter" "der Rechtswissenschaft" "notwendig bestimmt durch die eben beschriebene Entstehung des Rechts - sie ist ein systematisches Ganzes, weil nur dann die innere Einheit ausgesprochen wird, welche dem Recht innewohnt"lI3. Wie die Lehre seines Vorgängers Hugo war auch Savignys systematische Lehre von Kant beeinflußt. In der Marburger Methodologie hatte er noch gelehrt, es gebe "Versuche, die über das System sich erheben, d. h. eine Einheit suchen, worin das Mannigfaltige selbst nicht mehr enthalten ist". Der "allgemeine Charakter" sei "im Verhältnis zur wahren Methode" "Willkür". Sie schleiche "sich ein, und zwar auf dem Wege der Form". Der "Begriff der Form oder des formellen Bestandteils des Systems" sei "das logische Medium der Erkenntnis des Inhalts - der Inhalt sind Rechtssätze"54. Im "System" heißt es dagegen: "Die Form", mit der der "Rechtsstoff"55 zu bearbeiten sei, "ist die systematische"56. Dem entspricht es, wenn Savigny in Bezug System I, S. XXXVI. 51 System I, S. 87 f. 62 Meth. (1809), fol. 10. lI3 Berliner Notizen (1812) (= Nachträge zum zweyten Versuch der Methodologie, benutzt bei dem Pandektenvortrag [Univ.-Bibl. Marburg Ms 925 M 14]), fol. 2. M Man. (1802) (= Methodologie 1802 [Univ.-Bibl. Marburg Ms 925 M 14]), fol. 6. 55 System I, S. XXX. 56 System I, S. XXXVI. 50

32

§ 2 Savignys Lehre vom System

auf die Gesetzgebung von "Form und Materie" spricht51 und vom Allgemeinen Landrecht behauptet, es sei aus dem zur Zeit seiner Entstehung vorhandenen Recht neu geformt worden58 • Mit der "Form" begründet Savigny in seiner Rechtsquellenlehre auch das "wissenschaftliche Recht" als dritte Rechtsquelle neben dem Gewohnheits- und dem Gesetzesrecht. Nach seiner Auffassung entsteht durch die dem Stoff gegebene wissenschaftliche Form, "welche seine innewohnende Einheit zu enthüllen und zu vollenden strebt, ein neues organisches Leben, welches bildend auf den Stoff selbst zurückwirkt, so daß auch aus der Wissenschaft als solcher eine neue Art der Rechtserzeugung unaufhaltsam hervorgeht"59. Mit den Ausdrücken "innewohnende Einheit" und "neues organisches Leben" umschreibt Savigny eine absolute dynamische Identität im Sinne der idealistischen Philosophie. Wie wenig dieser Idealismus für seine dogmatische Arbeit methodisch maßgeblich war, zeigt sich darin, daß die systematisch zu bearbeitende "Materie" für Savigny fast ausschließlich das römische Recht war. Die Vorliebe für das römische Recht mag auf den Einfluß seines Marburger Lehrers Weis und auf ein Bedürfnis, den "juristischen Brotgelehrten" in die glanzvolle Position des römischen Juristen zu hebentlO , zurückzuführen sein. Er selbst begründete sein Interesse am römischen Recht, das "auch über die Zeit seiner praktischen Geltung fortdauern" könne, wie folgt: "Der eine Grund: die Begriffe und Grundsätze des römischen Rechts liegen mehr oder weniger allen neu entstandenen Rechtsformen (z. B. unserem Landrecht) zum Grunde, so daß für dieselben eine wissenschaftliche Kenntnis durchaus nur auf dem Gebiet des römischen Rechts erworben werden kann. - Der zweite Grund: das Privatrecht ist bei den Römern zu einer Ausbildung und Vollendung gelangt, wie bei keiner anderen Nation, weshalb in den klassischen Werken der römischen Juristen auch für den gegenwärtigen Juristen ein Grad der Bildung zu gewinnen ist, der durch keine andere Schule ersetzt werden kann"61. Brief an Arnim v. 22. 11. 1816, Stoll, Bd. 2, Nr. 319, S. 210. Einleitung zur Landrechtsvorlesung, Sommer 1832, Mat. 20 fol. 54. Zur übernahme des Formbegriffs aus der Kantischen Philosophie vermutlich durch die Vermittlung Hugos vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S.371 Fn. 78; zur Kritik des Kantiscnen Formbegriffs vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 49 ff., 133 ff., 203 f., 214. 59 System I, S. 46 f. 60 Caroni, Sav.Z.Germ.Abt.86 (1969), S. 105 f.; Bender, Die Rezeption des römischen Rechts im Urteil der deutschen Rechtswissenschaft, S. 60. 61 Berliner Notizen, Winter 1824/25, fol. 3; diese Äußerung könnte die Quelle für Friedrich Engels' positive Einstellung zum römischen Recht (vgl. Wagner, Studien zur allgemeinen Rechtslehre des Gaius, S. 20 f.) sein. 51

58

I. Der Begriff System

33

Für Savigny ist das System des Rechts das Ergebnis der Anwendung einer bestimmten rechtswissenschaftlichen Methode. Die hierauf gründenden Lehren, die er zum ersten Mal in der Marburger Methodenlehre vorgetragen hat, hat Savigny nur leicht verändert noch im "System" beibehalten62 • Nach der Marburger Methodenlehre ist die Rechtswissenschaft "historisch" und "philosophisch"63 und "beide müssen vollständig zugleich sein"M. In der historischen Methode sind Elemente der späteren historischen Rechtsauffassung begründet. Der historische Charakter der Bearbeitung ist nach Savigny "durchaus unentbehrlich ... ; denn jede Gesetzgebung ist doch gewissermaßen mehr oder weniger das Resultat der früheren Geschichte der Gesetzgebung". "Man muß das System im ganzen nehmen und es sich als fortschreitend denken, d. h. als Geschichte des Systems der Jurisprudenz im ganzen ... "65. Aus diesen Ausführungen darf jedoch nicht auf die später von Savigny vertretene Rechtsentstehungslehre geschlossen werden. Schon aus den Worten "historische Bearbeitung" geht hervor, daß es um eine bestimmte Methode der Erkenntnis vom Recht, nicht um dessen Entstehung geht. Ganz deutlich wird dies, wenn es in dem Manuskript zur Methodenvorlesung vom Winter 1802 heißt: "Die Jurisprudenz ist eine historische Wissenschaft ... Sie ist eine philosophische Wissenschaft ... Dritter Grundsatz. Verbindung des exegetischen (!!) und systematischen Elements: in dieser Verbindung ist die juristische Methode vollendet"oo. Die historische Bearbeitung diente nur der Ermittlung des Rechtsstoffes67 • Die historisch-exegetische Methode sollte der Tatsache gerecht werden, daß das corpus iuris civilis Gesetze aus vielen Jahrhunderten enthielt68. Mit der historischen Methode ist nach Savigny die systematische Bearbeitung der Jurisprudenz zu verbinden. Er bezeichnete es als eigentliche Aufgabe der Wissenschaft, dieses System aufzusuchen69 • Das Sy-

62

S.6.

Wesenberg, Savignys Marburger Juristische Methodenlehre, Vorwort,

Gleichbedeutend mit systematisch vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 11. Meth. (1802), S. 14; ähnlich Man. (1802), fol. 1 f.; Meth. (1809), fol. 2. 65 Meth. (1802), S. 32; vgl. auch Man. (1802), foI. 2; System I, S. XIV f. 00 Man. (1802), foI. 1. 67 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S.370. 68 Meth. (1809), fol. 3 f. 69 Meth. (1809), foI. 10; in dieser Zeit wurde die Jurisprudenz erstmals als Rechtswissenschaft bezeichnet (Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S.370 Anm. 76, im Anschluß an Koschaker, Europa und das römische Recht, S.210). 63

64

3 Hammen

34

§ 2 Savignys Lehre vom System

stem hat Savigny in der Methodenvorlesung vom Winter 1802 wie folgt beschrieben: "Der Inhalt des Systems ist die Gesetzgebung, also Rechtssätze"70. "Jeder Text soll einen Teil der ganzen Gesetzgebung aussprechen ... Die Konstruktion des Ganzen ist Aufgabe des Systems". "System = Einheit des Mannigfaltigen, was die Interpretation verarbeitete". Dabei werde die "Anordnung" "der einzelnen Sätze" "gewöhnlich System genannt"7!. In der Methodenlehre von 1809 heißt es: "Danach besteht das System aus den Resultaten der Interpretation, diese Resultate aber nicht mehr einzeln betrachtet, sondern in ihrem inneren und notwendigen Zusammenhang - das also ist die eigentliche Aufgabe des Systems, diesen inneren Zusammenhang, diese Verwandtschaft der Begriffe und Sätze darzustellen, aufzuzeigen, wie ein Begriff oder Satz aus dem anderen entsteht, wie einer durch den anderen bestimmt wird"72. Im "System" lehrte Savigny schließlich: "Ich setze das Wesen der systematischen Methode in die Erkenntnis und Darstellung des inneren Zusammenhangs oder der Verwandtschaft, wodurch die einzelnen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verbunden werden" 73.

b) Die Bestandteile des Systems Nach Savigny besteht das System aus Begriffen und Rechtssätzen oder Rechtsregeln. Was ein Begriff ist, hat er nicht definiert. Anhaltspunkte für seine Vorstellungen hierzu finden sich im "System", wenn er ausführt: "Die angegebenen" "allgemeinen" "Merkmale lassen sich in folgendem Begriff zusammenfassen ...". Mit dem Begriff wird das "Wesen" eines Gegenstandes "bestimmt"74. Damit hat Savigny seinen dogmatischen Ausführungen den herkömmlichen Begriff des Begriffs zugrundegelegt, den das Wörterbuch der philosophischen Begriffe von Eisler wie folgt definiert: "Begriff ist das bei einem Wort Gedachte, die Zusammenfassung VOn Merkmalen, die in gewisser Beziehung zueinander stehen und durch die das ... ,Wesen' eines Gegenstandes ... bestimmt wird"75. Den Begriff Rechtssatz hat Savigny ebenfalls nicht definiert. Neben der Bezeichnung "Rechtssatz" gebraucht er die Bezeich-

70 Meth. (1802), S.37.

Man. (1802), fol. 3, 6. Meth. (1809), fol. 10. 73 System I, S. XXXVI. 74 System III, S. 307 ff.; gleichbedeutend mit dem Wort Merkmal gebraucht Savigny das Wort Moment (System III, S. 122). 75 Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd.1, S.175; auch Savigny unterschied zwischen Ausdruck und Begriff, System I, S. XLIII, 65. 71

72

I. Der Begriff System

35

nungen "Regel"76, "Rechtsregel" 77, "allgemeine Regel" und "gesetzliche Vorschrift"78. Nach Savigny enthält auch das Gesetz eine RechtsregeF9. Den "allgemeinen Regeln"80 stehen bei ihm die "Grundsätze"81 gleich. Neben diesen Regeln existieren für ihn "leitende Grundsätze"82, "Prinzipien"83 und "allgemeine Maximen"84. Sein Wortgebrauch ist uneinheitlich; so werden in der Lehre von den Kondiktionen die Bezeichnungen Prinzip, Regel, Rechtssatz und Grundsatz gleichbedeutend gebrauchtß5. Die im corpus iuris civilis enthaltenen rechtlichen Gesetze sind überwiegend sehr spezieller Art. Savigny dagegen legte schon im "Beruf" das Hauptgewicht auf die Ermittlung "leitender Grundsätze"86. Mithin erhebt sich die Frage, ob diese Grundsätze, Rechtssätze, Prinzipien und Regeln als auf einen Fall nicht direkt anwendbare "materiale Rechtsgedanken" im Sinne einer idealistischen Rechtslehre, die alogisch gebildet werden87 , oder als aus den Quellen erschlossene und darum direkt anwendbare Rechtsgesetze zu beurteilen sind. Sicher ist, daß auch Savigny allgemeinste Prinzipien im Sinne der idealistischen Philosophie kannte. Die drei iuris praecepta: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere 88 waren für ihn "keine Rechtsregeln" , "sondern vielmehr sittliche Vorschriften" oder "sittliche Gebot(e)", "worin Rechtsregeln" "ihre Grundlage" haben89 • Die Ausdrücke Prinzip, Grundsatz und Rechtssatz sind zentrale Ausdrücke der idealistischen Philosophie90 . Die in den Werken Savignys enthaltenen Aussagen über diese Ausdrücke reichen, anders als beim Begriff des Begriffs, nicht für ein Urteil darüber aus, ob Savigny diese Ausdrücke in der idealistischen oder einer anderen Bedeutung gebraucht hat. Eine Bestimmung seines Sprachgebrauchs ist daher nur 73 und bekannte sich zu der Ansicht, die Anerkennung der Schuld sei auch ohne Angabe ihrer causa schon genügend, um die Constitutsklage zu begründen. Die Einigung über den Bestand der Schuld trage einen Verpflichtungswillen in sich, welcher in dem Wollen der Schuld bestehe54 • Besonderer Wert wurde darauf gelegt, mit dem Wort Vertrag zu verdeutlichen, daß der Anerkenntnisvertrag einen selbständigen Verpflichtungsgrund bilde55 • Dementsprechend lautete Art. 922 Dres. Entw.: "Erkennt der Schuldner durch Vertrag mit dem Gläubiger ein zwischen ihnen stehendes Schuldverhältnis an (Schuldanerkenntnisvertrag), so wird der Schuldner auf Grund des Anerkenntnisses zur Erfüllung der anerkannten Schuld verpflichtet". Die Frage, ob ein bloßes Versprechen kondiziert werden kann, wurde in Art. 925 Dres. Entw. Kiefner, Der abstrakte obligatorische Vertrag, S. 75. OG Wolfenbüttel v. 3.11. 1868 Seuff. A. XXIII Nr.118 S.188; ROHG 3, 432; vgl. auch ROHG 11, 277; 15, 280; 16, 126; RG 2, 337 ff. 51 Siebenhaar / Pöschmann, Kommentar § 1397, S.347; Motive 1861, S.827. 52 Motive 1861, S. 827 f. l>3 Protokolle Dres. Entw., S. 3389. 54 Protokolle Dres. Entw., S.3388. 55 Protokolle Dres. Entw., S. 3389 f. 49

50

182

§ 10 Die Lehre von den abstrakten Schuldverträgen

dahingehend entschieden, daß der Schuldner "den Schuldanerkennungsvertrag anfechten" kann, "wenn" "die Voraussetzungen für die Rückforderung einer Leistung wegen ungehöriger Bereicherung vorhanden sind". VII. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch Die Mitglieder der 1. Kommission vertraten die Auffassung, das Schuldversprechen gehöre zu den abstrakten Verträgen und bilde als solches einen selbständigen Verpflichtungsgrund. Die Frage, ob dies durch das Prinzip der Vertragsfreiheit zu begründen sei, wurde offengelassen. Die Kommission sah bei mündlichen Schuldversprechen die Gefahr schwerwiegender Übelstände. Sie legte deshalb fest, dem abstrakten Schuldversprechen könne Wirksamkeit nur beigelegt werden, wenn der Wille des Schuldners, sich abstrakt zu verpflichten, zweifellos feststehe. Der Entwurf erkannte daher den abstrakten obligatorischen Vertrag nur an, wenn das Versprechen vom Schuldner in schriftlicher Form erteilt ist56 • Das abstrakte Schuldversprechen begründet nach dem 1. Entwurf eine Verpflichtung, welche nach dem Willen des Versprechenden von dem das Versprechen veranlassenden Schuldverhältnis losgelöst sein soll. Jedoch könne der Versprechende das gegebene Versprechen nach den allgemeinen Grundsätzen über die Kondiktionen zurückfordern 67 • Dementsprechend lautet § 683 1. Entw.: "Ist in einem von dem Gläubiger angenommenen Versprechen einer Leistung oder in einem von dem Gläubiger angenommenen Anerkenntnisse, zu einer Leistung verpflichtet zu sein, ein besonderer Verpflichtungsgrund nicht angegeben", "so ist das Versprechen oder Anerkenntnis nur dann gültig, wenn es von dem Schuldner in schriftlicher Form erteilt ist". Der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch sowie die Bereicherungseinrede gegen ein rechtsgrundlos erteiltes Anerkenntnis waren in § 684 Abs. 1 1. Entw. geregelt. Die 2. Kommission beriet zunächst darüber, ob im BGB das abstrakte Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis überhaupt geregelt werden solle. Dies wurde für das Anerkenntnis mit der Begründung bejaht, im Verkehr bestehe ein Bedürfnis, daß dem Gläubiger und dem Schuldner die Möglichkeit geboten werde, "das Ergebnis aus einem Schuldverhältnis zu ziehen"S8. Für eine gesetzliche Regelung des Schuldversprechens spreche, daß der Gläubiger damit einen leicht zu verwertenden Anspruch erhalte, der Ähnlichkeit mit dem Wechsel habe69 • Darüber 56

58

Mugdan II, S.384. Mugdan II, S. 1040.

57

59

Mugdan II, S.387. Mugdan II, S. 1041.

VIII. Zusammenfassung

183

hinaus zeige sich das starke Bedürfnis für die Anerkennung abstrakter Schuldverhältnisse an der rechtsgeschichtlichen Entwicklung im gemeinen Recht60 • Außerdem würde, übergehe man das abstrakte Schuldverhältnis im Gesetz, der Streit um die Anerkenntnisse neu entfacht und damit die Rechtssicherheit auf das äußerste gefährdet werden. Die in den Beratungen vertretene Auffassung, das Anerkenntnis sei nicht materiellrechtlich, sondern lediglich prozeßrechtlich von seiner causa gelöst, es lege dem Schuldner den Beweis des Mangels der causa auf°!, setzte sich nicht durch. In ihrer Mehrheit hielt die Kommission daran fest, Anerkenntnis und Versprechen seien unabhängig von ihrer causa wirksam, beim Fehlen der causa stehe dem Schuldner die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung zu62 • § 684 1. Entw. wurde bis zur Beratung der Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung ausgesetzt63, und dann als § 737 Abs.2 2. Entw. ("Als Leistung gilt auch die Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses") und als § 745 2. Entw. ("Ist Jemand ohne rechtlichen Grund eine Verbindlichkeit eingegangen, so kann er die Erfüllung auch nach der Verjährung des Anspruchs auf Befreiung von der Verbindlichkeit verweigern") ins Bereicherungsrecht aufgenommen. In der Endfassung wurden von der Redaktionskommission beide Vorschriften nur geringfügig in der Formulierung geändert (§§ 812 Abs. 2, 821 BGB).

VIII. Zusammenfassung

Savignys Bedeutung für die Lehre von den abstrakten Schuldverträgen liegt in der Vorbereitung der für diese Verträge grundlegenden Theorie von Bähr. Savigny selbst hat zwar keine allgemeine Theorie der abstrakten Schuldverträge entwickelt, er hat aber Lehren zu Einzelfällen abstrakter Schuldverträge aufgestellt, die Bähr seiner eigenen Lehre zugrunde legte. Schon im Pandektenmanuskript lehrte Savigny, ein Anerkenntnisvertrag könne jedes denkbare rechtliche Verhältnis betreffen, seine Anfechtung sei nur unter den Bedingungen der condictio indebiti möglich. Die im preußischen Staatsrat unter Savignys Mitwirkung abgegebene Begründung der unbeschränkten Wechselfreiheit mit der "Dispositionsfreiheit" war für die Begründung der abstrakten Schuldverträge mit der rechtsgeschäftlichen Freiheit beispielhaft. Die auf diese Voraussetzungen aufbauende Lehre Bährs ist von Schrifttum, Rechtsprechung und Gesetzgebung fast einstimmig übernommen worden. 60 62

Mugdan II, S. 1041. Mugdan II, S. 1041.

61 63

Mugdan H, S. 1044. Mugdan H, S. 1046.

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung I. Die naturrechtliche Lehre a) Die ältere Naturrechtslehre

In der Naturrechtslehre 1 galt der Grundsatz, daß niemand sich mit dem Schaden eines anderen bereichern dürfe. Dieser Grundsatz wurde aus einem der allgemeinsten axiomatisch vorausgesetzten Sätze deduziert, wonach "der Mensch verbunden ist", "zur Vollkommenheit des anderen" "beizutragen"2. Die Naturrechtslehrer wandten ihn auf die Fälle an, in denen jemand mehr hat, als er vor dem tatbestandsmäßigen Ereignis hatte, er also bereichert ist. Wolff führte aus, daß niemand einen anderen durch Vorsatz oder Versehen schädigen solle. Er folgert, da der Schaden aus dem "Verlust des Seinigen" bestehe, dürfe sich auch niemand mit dem Schaden des anderen, mit dessen Sache oder aus dessen Sache bereichern. Weil ein verursachter Schaden zu ersetzen sei, sei daher derjenige, der aus der Sache eines anderen bereichert sei, verpflichtet, Ersatz in der Höhe zu leisten, in der er bereichert worden ist3 • Im Kapitel "Quasikontrakte" erörterte Wolff drei Fälle einer Rückleistungspflicht. Nach dem Grundsatz, daß sich niemand mit dem Schaden eines anderen bereichern solle, müsse der, welcher aus einem Irrtum dem anderen etwas zahlt, was er ihm nicht schuldig ist, von diesem das Gezahlte wiederbekommen. Ebenso bestehe eine Rückleistungspflicht, wenn etwas um einer Ursache willen geleistet werde und die Ursache nicht eintrete. Schließlich müsse auch das ohne Ursache Angenommene zurückgegeben werden4 . Die Bereicherungslehre des Naturrechts kannte damit zwar einen "Grundsatz", über die Fallgruppen des römischen Rechts gelangten die Naturrechtslehrer systematisch jedoch noch nicht hinaus. Einen allgemeinen vom Schadensersatzrecht abgegrenzten Bereicherungstatbestand haben sie nicht entwickelt. Grotius hat sich zum Bereicherungsrecht nicht geäußert. Wolff, Gesammelte Werke 1. Abt. Bd. 19, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, S. 86 f. 3 Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, S. 167 f. 4 Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, S. 477 ff. 1

:2

I. Die naturrechtliche Lehre

185

b) Das Allgemeine Landrecht Im ALR finden sich Vorschriften über die "Verrückung" von "Vermögensverhältnissen" , "deren Ausgleichung billiger Weise nicht versagt werden kann"s. Im Anschluß an Pomp. D. 50, 17, 2066 begründet das ALR die Ausgleichsansprüche wie folgt: "Doch darf sich niemand die Vorteile fremder Sachen oder Handlungen ohne besonderes Recht zueignen und sich also mit dem Schaden des Anderen bereichern" (ALR I 13 § 230). In den Lehrbüchern des preußischen Rechts wird unter der Überschrift "Ungerechtfertigter Vermögensverlust" neben den Kondiktionen zunächst die Verwendungsklage erörtert7. Schon nach römischem Recht konnte man in Fällen, die heute unter den Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung fallen, neben den Kondiktionen mit der actio de in rem verso vorgehen. Danach haftete der Hausvater auf Herausgabe, wenn und soweit durch das Geschäft eines seiner GewaItunterworfenen etwas in sein Vermögen gelangte. Nachdem dieser Tatbestand auch auf Gewaltunabhängige ausgedehnt worden war, wurde die actio de in rem verso schließlich in allen Fällen angewandt, in denen etwas aus dem Vermögen des einen in das des anderen verwendet worden wars. Für diese der condictio sine causa angenäherte Versionsklage des ALR galt daher: "Derjenige, aus dessen Vermögen etwas in den Nutzen eines Anderen verwendet worden ist, ist dasselbe entweder in Natur zurück- oder für den Wert Vergütung zu fordern berechtigt" (ALR I 13 § 262). Die Versionsklage betraf nur Fälle, in denen etwas durch eine Handlung eines anderen erlangt wurde9 • Neben der Versionsklage enthält das ALR unter der Überschrift "Von der Zahlung" Vorschriften "Von der Rückforderung einer aus Irrtum geleisteten Zahlung" (ALR I 16 §§ 166 ff.), "Von der Rückforderung geleisteter Zahlungen, wenn das, wofür sie geschehen sind, nicht erfolgt" (ALR I 16 §§ 199 ff.) und "Von Zahlungen zu einem unerlaubten Zwecke" (ALR I 16 §§ 205 ff.). Die condictio sine causa wurde im ALR nicht ausdrücklich genannt. Sie wurde aber von dem Savignyschüler Rönne in bezug auf das ALR als "Prinzip" der Kondiktionen bezeichnet, das als "abstractum" aller Förster / Eccius, Preußisches Privatrecht Bd. 2 § 147, S. 450. "Iure naturae aequum est neminem cum alterius detrimento et iniuria fieri locupletiorem". 7 Dernburg, Preußisches Privatrecht Bd.2 § 284, S.870, § 287 S.876; vgl. auch Staudinger / Seufert, Vorbem. vor § 812 Rn. 2. 8 Dernburg, Preußisches Privatrecht Bd. 2 § 287, S. 878. , Dernburg, Preußisches Privatrecht Bd. 2 § 288, S. 879. 5

6

186

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

Kondiktionen diejenigen Fälle umfasse, in denen "jemand reicher geworden ist aus der Sache eines anderen ohne gehörigen Rechtsgrund"lO. 11. Die gemeinrechtliche Lehre vor Savignys "System" Die Lehre von den Kondiktionen wurde in der gemeinrechtlichen Literatur vor Savigny uneinheitlich und meist nur sehr knapp behandelt. Bei Hugo findet sich lediglich die Bemerkung, unter den "vermischten Fällen" gebe es einige, "die mit einem Vertrag Ähnlichkeit haben", z. B. die "Entrichtung von Etwas, was man nicht schuldig ist"ll. Mackeldey behandelte unter dem Titel "Obligationen aus verschiedenen anderen Gründen" die condictio indebiti als Quasikontrakt12 , die übrigen Kondiktionen dagegen als Untergruppe mit der überschrift "Verschiedene andere Obligationen", "für welche sich kein allgemeines Prinzip aufstellen läßt"13. Seuffert führte die einzelnen Kondiktionen ohne eine weitere Einteilung als "vermischte Fälle" auf14 . Bezüglich der condictio sine causa vertrat er die Auffassung, sie umfasse "in dieser allgemeinen Wirksamkeit auch die Sphäre der anderen" "Kondiktionen" und diene "zur Ergänzung derselben"15. Schweppe faßte in der Abteilung "Vermischte Fälle" die "Kondiktionen" unter dem Titel "Von der Verbindlichkeit zur Zurückgabe von Sachen, welche der Empfänger nicht behalten kann" zusammen16 . Lediglich v. Wenig-Ingenheim stellte der Erörterung der einzelnen Kondiktionen eine "allgemeine Einteilung" voran, die folgenden Grundsatz enthielt: "Wenn jemand aus dem Vermögen eines anderen etwas ohne einen dem Civilrecht nach gültigen Grund (causa) erhält oder behält, so daß er es zum Eigentum haben soll", "tritt eine Obligation zur Zurückgabe ein, worauf eine" "condictio gerichtet ist". Wie das übrige Schrifttum begründete auch v. Wenig-Ingenheim die Kondiktionen mit dem römischrechtlichen Grundsatz, wonach das "Fundament dieser condictio in einem Haben ohne Grund" liege, "wodurch sich jemand zum Schaden eines anderen bereichern würde"17.

10 Rönne / Rönne, System des preußischen Civilrechts Bd. 1 § 469, S.434 Fn.2. 11 Hugo, § 238, S.296. 12 Mackeldey, §§ 679 ff., S. 641 ff. 13 Mackeldey, § 687, S.646, §§ 692 f., S. 651 f., ebenso Thibaut, Bd.2 § 968, S. 353, §§ 972 ff., S. 357 ff., § 986, S. 367. 14 Seuffert, Bd.2 §§ 436 ff., S. 360 ff. 15 Seuffert, Bd.2 § 439, S. 370 f. 16 Schweppe, § 614, S.508. 17 v. Wenig, Bd. 2 § 291, S. 288.

111. Die Lehre Savignys

187

Allen genannten Autoren ist gemeinsam, daß sie der römischrechtlichen Kasuistik verhaftet waren. So bezieht sich z. B. der Grundsatz v. Wenig-Ingenheims nicht auf jede nur denkbare Vorteilsverschiebung, sondern nur darauf, daß jemand etwas erhält, "so daß er es zum Eigentum haben SOIl"18.

III. Die Lehre Savignys a) Die im "System" vertretene Lehre 1. Der allgemeine Bereicherungstatbestand

Entgegen der in der Lehre vor Savigny vertretenen Ansicht, für die Kondiktionen lasse sich kein allgemeiner Grundsatz aufstellen, unternahm es Savigny, die Kondiktionen des römischen Rechts auf ein allgemeines einheitliches Prinzip zurückzuführen l9 • Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das römische Klagensystem mit seiner Unterscheidung von actiones stricti iuris und bonae fidei action es. Das Aktionenrecht beruht nach Savigny auf der Möglichkeit von Rechtsverletzungen, d. h. auf der Möglichkeit der Beschränkung der Freiheit eines Menschen in der Rechtsordnung20 • Die civiles actiones in personam teilte Savigny in solche aus Rechtsgeschäft (Kontrakt und Quasikontrakt), die stricti iuris sind (condictiones) und solche, die bonae fidei sind21 • Als Ausgangsfall aller Kondiktionen behandelte Savigny den Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens. Er vertrat die Auffassung, im Gegensatz zum Mietzinsanspruch, einem Fall bonae fidei, sei bei einem hingegebenen Darlehen nicht lediglich eine auf die Erklärung eines anderen gestützte Erwartung gefährdet, "sondern das ursprüngliche Vermögen bleibend vermindert". Dies führe eine größere Gefahr mit sich und gebe daher einen Anspruch auf den strengen richterlichen Schutz der condictio. Nach Savigny reihen sich an diesen Ausgangsfall "in natürlicher Entwicklung" "andere verwandte Fälle an", nämlich die condictio indebiti, sine causa usw.22 • Die römische Einteilung der Kla18 v. Wenig, Bd.2 § 291, S.288; ähnlich Thibaut, Bd.2 § 986, S.367 zur condictio sine causa: "Ist" "die Sache" "übertragen"; Mackeldey, § 692, S. 651 zur condictio sine causa: "Ist jemandem eine Sache gegeben worden". 19 System V, S.483, 511; vgl. Batsch, Vermögensverschiebung, S. 24; J. Wolf, Der Stand der Bereicherungslehre, S. 3. 20 System V, S. 1 f. 21 System V, S. 106. 22 System V, S. 109 f.

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

188

gen ist nach Savigny gewohnheits rechtlich entfallen23 • Den einheitlichen Gesichtspunkt, der nach seiner Lehre unausgesprochen dem römischen Kondiktionenrecht zugrunde liegt, versuchte er mit der Fragestellung: "Welches sind die Bedingungen zulässiger Condiktionen?" aufzufinden24. Die Regel, daß sich niemand durch den Schaden eines anderen bereichern soll, hielt Savigny hierfür für ungeeignet. Sie sei so allgemeiner und unbestimmter Natur, daß sie eine unmittelbare Anwendung auf die Beurteilung praktischer Rechtsfragen nicht zulasse. Nach dieser Regel wäre jeder Ka.uf, bei dem der Verkäufer einen großen Gewinn mache, anfechtbar, weil "durch ihn der Verkäufer mit dem Schaden des Käufers reicher" werde. Damit wäre "die Sicherheit eines lebendigen Verkehrs, die auf der Möglichkeit des Gewinns und Verlustes durch freien Austausch beruht", beseitigt25 • Mit der Erkenntnis, daß das Merkmal Schaden für den Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung keine Bedeutung hat, vollzog Savigny die Trennung von Schadensersatz- und Bereicherungsrecht. Entsprechend der Ordnung der Digestentitel begann Savigny seine Untersuchung des Prinzips der Kondiktionen mit der Analyse der Darlehenskondiktion. Nach seiner Lehre ist der Grund dieser condictio "die höhere Gefahr, der sich der Darlehensgeber" "unterwirft", wenn er das Eigentum an der Darlehenssache hingibt und damit den Schutz der Vindikation aufgibt28 • Auf das Vertrauen stützt Savigny auch die Fälle der Kondiktionen, in denen "dem Anderen eine Sache ohne Übertragung des Eigentums anvertraut worden ist, er aber das Eigentum des Gebers eigenmächtig zerstört und sich dadurch bereichert hat"27. Er nennt als Beispiel das Depositum, das Commodat und das Pfand28 . Als weitere Entwicklung des Prinzips der Kondiktionen bezeichnet Savigny die Fälle der condictio indebiti, ob causam datorum, sine causa und ob injustam causam. Als Grund dieser Kondiktionen nimmt er statt des dem Darlehen zugrundeliegenden Vertrauens den Irrtum an29 • Hierdurch wird als "ganz neue Entwicklung" der Anwendungsbereich der Kondiktionen vom Eigentum auf alle anderen Arten von Vermögensrechten und anderes - als Beispiel nennt Savigny die Arbeit - ausgedehnt, soweit es sich auf einen Geldwert zurückführen läßflo. Der Tatbestand der Kondiktionen umfaßt nach Savigny nicht nur die Fälle, in denen der Bereicherte durch eine Handlung des Entreicherten 23 25 27 29

System System System System

V, S. 138. IH, S. 451 f. V, S.518. V, S. 52l.

24 System V, S. 507 ff. 26

System V, S.514.

30

System V, S. 522.

28 System V, S. 519.

III. Die Lehre Savignys

189

bereichert wird, sondern auch die, in denen etwas aus dem Vermögen des Entreicherten anders als durch seinen Willen in fremdes Eigentum übergeht, sei es, daß der andere durch seine Handlung oder durch zufällige Umstände auf Kosten des Entreicherten bereichert wird31 • Das Gemeinsame aller Kondiktionen sieht Savigny in der "Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines anderen Vermögens, die entweder stets ohne Grund war, oder ihren ursprünglichen Grund verloren hat"3:2. Diesen Tatbestand bezeichnet er als "grundlose Bereicherung" aus fremden Vermögen33 • Damit hatte Savigny aus den römischrechtlichen Vorschriften das "einfache gemeinschaftliche Prinzip"34 verallgemeinert, wonach derjenige, der aus dem Vermögen eines anderen grundlos bereichert ist, die Bereicherung wieder rückgängig zu machen hat3 5 • Bei diesem "Prinzip" handelt es sich nicht um eine allgemeine Billigkeitsregel, sondern um den einheitlichen Bereicherungstatbestand. Das ergibt sich daraus, daß nach Savigny "die einzelnen, durch die Entstehungsgründe bezeichneten Kondiktionen" "nicht als verschiedene Klagen zu betrachten" sind, "also auch nicht verschiedenes Recht mit sich führen"36. Die von ihm vorgenommene Reduktion aus der römischen Kasuistik erbrachte den einheitlichen Tatbestand der grundlosen Bereicherung37. 2. Das Merkmal Vorteilsverschiebung Bei der Ermittlung des einheitlichen Bereicherungstatbestands reduzierte Savigny aus den Tatbeständen der einzelnen Kondiktionen Merkmale, die allen Kondiktionen gemeinsam sind. Während die Lehre vor Savigny als möglichen Bereicherungsgegenstand hauptsächlich Rechte an einer Sache behandelte, konnten nach seiner Lehre Gegenstand einer Bereicherung neben dem Eigentum jedes andere vermögensrechtliche Verhältnis und darüber hinaus auch Vorteile, wie die Erlangung einer Arbeitsleistung sein. Den Vorgang, durch den Bereicherung und Entreicherung miteinander verknüpft sind38, beschrieb Savigny mit den Worten, es sei "nötig, System V, S.523. 32 System V, S. 525. System V, S.526. 34 System V, S. 507,511, 547. 35 System V, S.564. 36 System V, S. 614; vgl. auch System V, S. 608. 37 Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S.19; Batsch, Vermögensverschiebung, S. 24 f.; Wolf, SchR II § 19 B V, S.448 Fn. 102. 38 Für den Vorgang, durch den Bereicherung und Entreicherung miteinander verknüpft sind, hat Savigny noch keine besondere Bezeichnung. Für diesen Vorgang wurde später der Ausdruck Vermögensverschiebung gebräuch31

33

190

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

das Dasjenige, welches dem Anderen zur Bereicherung diente, vorher schon wirklich einmal zum Vermögen dessen gehört habe, welcher darauf eine Kondiktion gründen will" 39. Aus dieser Bemerkung ist im Schrifttum geschlossen worden, Savigny stehe in dem überkommenen Dogma der dinglichen Vermögensverschiebung 40 • Nach diesem Dogma muß ein dinglicher Vermögens gegenstand aus dem Vermögen des Entreicherten in das des Bereicherten gelangen41 • Die Unmöglichkeit der Begründung der condictio durch das Dogma der dinglichen Vermögensverschiebung in den Fällen des Gebrauchs und der Veräußerung von Vermögensgegenständen glichen die Römer durch einen erweiterten Fruchtbegriff und den Surrogationsgedanken aus 42 • Die Lehre von der dinglichen Vermögensverschiebung ist eine historische Vorstufe der Lehre von der Vorteilsverschiebung. Sie hängt mit der römischrechtlichen Fixierung auf die Sache im Bereicherungsrecht zusammen. Das Merkmal dingliche Vermögensverschiebung ist nicht für die Bestimmung des Bereicherungstatbestandes ungeeignet. Sein systematischer Mangel besteht lediglich darin, daß es sich nur auf einen Teil der Anwendungsfälle der ungerechtfertigten Bereicherung, nämlich auf die Fälle, bei denen der verschobene Vorteil vorher als Vermögensrecht beim Entreicherten vorhanden war, bezieht. Savignys oben zitierte Bestimmung ist nicht dahin zu verstehen, daß nach seiner Lehre das, was dem Bereicherten zugekommen ist, vorher im Vermögen des Entreicherten gewesen sein müsse 43 • Die Bemerkung von Jakobs, er wisse nicht, wie man die Bestimmung Savignys anders verstehen solle 44, hat Wilhelm mit eingehender Begründung an Hand der Schriften Savignys widerlegt4 5 • Nach Wilhelm ist Savigny wörtlich zu nehmen und kommt es danach nur darauf an, daß der Vermögensgegenstand des Entreicherten zur Bereicherung diente, d. h. daß der anlich. Ernst Wolf (JuS 1965, S.34) hat die Bezeichnung Vorteilsverschiebung eingeführt und damit die Erkenntnis verbunden, daß jede Vorteilsverschiebung eines Erwerbsgrunds bedarf und diese Erwerbsgrundbedürftigkeit es ist, die mit der Wendung Abstraktheit der Vorteilsverschiebung ausgedrückt wird. 39 System V, S. 526 f. 40 Jakobs, Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung, S.49; Batsch' Vermögensverschiebung, S.25. 41 Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsanspruches, S.4; vgl. Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S. 26. 42 Vgl. Flume, FS Niedermeyer, S.106; Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S.27; Paul. D. 12.6.15. 43 Arndts, § 340, S.662 Ziff.3. 44 Jakobs, Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung, S.49 Fn.134. 45 Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S.32.

III. Die Lehre Savignys

191

dere sich mit Hilfe von Vermögensgegenständen des Entreicherten bereicherte. Mit Hilfe eines Vermögensgegenstandes bereichert sich auch jemand, der die Gebrauchsvorteile des Gegenstandes erhält. Dem scheint zwar die von Savigny gebrauchte Wendung zu widersprechen, das Gemeinte müsse "schon wirklich einmal zum Vermögen dessen gehört" haben, "welcher darauf eine Kondiktion gründen" wolle. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß Savigny, wie bereits erwähnt, die Arbeit, soweit sie sich auf einen Geldwert zurückführen läßt, in den Anwendungsbereich der Kondiktionen einbezieht. Das kann nur dahin verstanden werden, daß Savigny einerseits die empfangene Arbeit, andererseits die Fähigkeit Arbeit zu leisten als Vermögensgegenstände auffaßt, soweit sie sich auf einen Geldwert zurückführen lassen. Bei Berücksichtigung dieser Auffassung Savignys, die für die Möglichkeit, Gebrauchsvorteile zu ziehen, entsprechend gilt, bedeutet die Wendung "wirklich einmal zum Vermögen gehört" in seinem Sprachgebrauch nicht, daß im Vermögen des einen ein in das Vermögen des anderen übergegangener dinglicher Gegenstand vorhanden gewesen sein muß. Das Merkmal der dinglichen Vermögensverschiebung gebraucht Savigny lediglich im Schenkungsrecht. Dort beschrieb Savigny das Merkmal Veräußerung wie folgt: "Es muß nämlich erstens etwas aus einem Vermögen ausscheiden und in das andere hinübergehen und es muß zweitens der letzte Erfolg dieser Veränderung darin bestehen, daß der Totalwert des einen Vermögens vermindert, des anderen vermehrt wird"46. Das erste Merkmal beschränkte Savigny auf die Leistungskondiktion. Nur das letzte Merkmal wandte er auf alle Kondiktionen an 47 • Das gemeinsame Merkmal aller Kondiktionen beschrieb er als "die Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines anderen Vermögens"48. Nach dieser Bestimmung ist es nicht erforderlich, daß ein Vermögensgegenstand übergeht, vielmehr kommt es darauf an, daß der Vermögensgegenstand zur Entstehung der Bereicherung diente. Savigny hat sich damit von dem am Begriff Sache orientierten Begriff Vermögensverschiebung gelöst49 • Da es nach Savigny nicht darauf ankommt, daß der Gegenstand der Verschiebung zum dinglichen Vermögen des Entreicherten gehörte, hat er der Sache nach zu dem im Schenkungsrecht benutzten Merkmal der dinglichen Vermögensverschiebung einen allgemeineren Begriff gefunden und damit den Bereicherungstatbestand ohne dingliche Beschränkungen bestimmt. 46 System IV, S. 23 f. 47 Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S. 30. 48 System V, S. 525. 49 Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S. 32.

192

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

Diese Lösung hat Savigny allerdings noch nicht klar formuliert und restlos durchgeführt. Sie ist bei ihm noch mit dem Fehler belastet, daß "die Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines anderen Vermögens" auf die Gesamtvermögen der Beteiligten bezogen ist. Diesen Fehler hat Ernst Wolf mit der Lehre ausgeräumt, daß zu einer bereicherungsrechtlichen Vorteilsverschiebung50 nur ein einzelner Vorteil auf seiten des Bereicherten und ein einzelner Nachteil auf seiten des Entreicherten gehören und daß ein Nachteil auch dann vorliegt, wenn einem Menschen ein Vorteil entgeht, der ihm zwar nicht gehört, aber rechtlich gebührt51 . 3. Das Merkmal "Fehlen des rechtlichen Grundes" Als ein allen Kondiktionen gemeinsames Merkmal stellte Savigny das Merkmal "Fehlen des rechtlichen Grundes" auf, wobei er die Auffassung vertrat, auf die Gründe für das Fehlen des rechtlichen Grundes komme es nicht an. Das allgemeine Merkmal der Rechtsgrundlosigkeit deduzierte er aus dem römischen Aktionensystem. Die Begründung des Kondiktionsanspruchs liegt nach Savigny in einer Störung der Rechtsordnung. Nach seiner Auffassung wird die Rechtsordnung vielfach durch "Gegenwirkung gestört"52. Das so verletzte Recht erscheine dann im "Zustand der Verteidigung". Aus einer derartigen Rechtsverletzung entstehe eine actio. Dies gelte auch für die Fälle der Kondiktionen63 • Mit der Begründung des Kondiktionsanspruchs durch eine Störung der Rechtsordnung ist der Sache nach zutreffend erkannt, daß der Bereicherungstatbestand zusammen mit dem Deliktstatbestand zu einer einheitlichen Gruppe gehört. Savignys Bereicherungsanspruch ist deshalb im Schrifttum als "Rechtsverletzungsanspruch"54 bezeichnet worden. Diese Bezeichnung ist allerdings unzutreffend, weil danach sprachlich das Erfordernis einer widerrechtlichen Handlung naheliegt, das nach Savigny nicht erforderlich ist. Die Ausführungen Savignys tragen vielmehr der Erkenntnis Rechnung, daß eine bereicherungsrechtliche Verschiebung unabhängig davon stattfinden kann, ob zwischen den daran Beteiligten ein rechtliches Verhältnis bezüglich dieser Verschiebung besteht. Als Beispiel 50 Wolf, SchR II § 19 All, S. 412 ff.

51 Zum Gebühren eines Vorteils vgl. Wolf, SchR II § 19 A II, S.414; BGB AT § 15 eIl, S. 627. 52 System V, S. 1. 53 System V, S. 111. 54 Vgl. Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S.22.

1Ir. Die Lehre Savignys

193

führt er zutreffend die selbständige Wirksamkeit dinglicher Verträge an, ohne die z. B. die condictio indebiti undenkbar sei,,5. Die dogmatische Lösung liegt nach der Lehre von Ernst Wolf darin, daß es nicht nur widerrechtliche Handlungen (und Unterlassungen), sondern auch Sachverhalte der Unrechtmäßigkeit gibt, die unpersönliche Vorgänge, z. B. Erwerbsvorgänge oder Zustände sein können. Ein solcher Sachverhalt besteht, wenn ein Mensch einen Vorteil inne hat, der einem anderen gehört oder rechtlich gebührt. Dann ist für den Bereicherten eine Herausgabepflicht gegenüber dem Entreicherten begründet. Der Erwerbsgrund hat den Inhalt und die Wirkung, diese Herausgabepflicht auszuschließen. Die im Schrifttum so genannte Abstraktheit der Vorteilsverschiebung besteht nach Ernst Wolf darin, daß jede Vorteilsverschiebung eines Erwerbsgrunds zugunsten des Bereicherten gegenüber dem Entreicherten bedarf56 . Diese Erkenntnisse Wolfs sind dahin zu ergänzen, daß der Erwerbsgrund nicht nur die Herausgabepflicht ausschließt, sondern primär den Inhalt hat, die Unrechtmäßigkeit der Innehabung der Bereicherung gegenüber dem Entreicherten auszuschließen. Diese Lehren sind in Savignys durch Reduktion aus den römischrechtlichen Kondiktionen auf einen allgemeinen Bereicherungstatbestand gefundenen Einsichten vorbereitet. Im Schrifttum vor Savigny wurde die Leistungskondiktion als "Quasikontrakt" klassifiziert 57 • Die Erweiterung der Leistungskondiktion auf eine Kondiktion wegen jeder denkbaren Vorteilsverschiebung erlaubte es Savigny nicht mehr, die Kondiktion als Quasikontrakt einzuteilen58 • Mit der Erkenntnis, daß der Bereicherungstatbestand ein Tatbestand der Unrechtmäßigkeit ist, hat Savigny der Sache nach dem Bereicherungsrecht anstelle der überholten Einteilung der Tatbestände in solche aus Vertrag und Delikt, sowie aus Quasikontrakt und Quasidelikt, die richtige Einteilung in rechtsgeschäftliche und nichtrechtsgeschäftliche sowie Tatbestände der Rechtmäßigkeit und der Unrechtmäßigkeit zugrunde gelegt. Damit hat Savigny den in den römischrechtlichen Kondiktionen enthaltenen Bereicherungstatbestand im wesentlichen zutreffend erkannt59 •

System 111, S.356. Wolf, SchR 11 § 19 A 11 f., S. 415. 57 Vgl. Wendt, § 288, S. 677 f. und v. Mayr, Der Bereicherungsanspruch des deutschen bürgerlichen Rechts, S.3. 58 Vgl. Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S. 25 Fn. 41. 59 J. Wolf, Der Stand der Bereicherungslehre, S. 3. 55 56

13 Hammen

194

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

4. Die Fehler der Lehre Savignys Bei der Abfassung seiner Lehre unterliefen Savigny jedoch eInIge Fehler. So behandelte er auch den Darlehensrückgewährungsanspruch als Kondiktion, weil nach der Kündigung des Darlehens der rechtliche Grund wegfalle. Diese Auffassung entspricht zwar den römischen Quellen, ist aber aus folgenden Gründen verfehlt. Wäre der Darlehensrückgewähranspruch ein Bereicherungsanspruch, müßte der Schuldner, wenn er das Geld nicht ausgegeben hätte, dieses wieder zurückübertragen. Nach der Definition des Begriffs Darlehen schuldet er jedoch nur Sachen gleicher Art, weshalb die Darlehensrückgewährpflicht eine Gattungsschuld ist. Daher fällt auch der rechtliche Grund bei der Kündigung nicht weg, es entsteht lediglich ein im Wesen des Darlehens gegründeter Rückgewähranspruch. Schließlich gibt es beim Darlehen auch nicht die Möglichkeit der Entreicherung. Weiterhin lehrte Savigny, die Kondiktion sei ein Ersatz für die Vindikation und daher nur anwendbar, wenn eine Vindikation nicht vorliegeilo • Diese Auffassung ist zu einseitig an Fällen orientiert, in denen Eigentum übergeht. Bei allen anderen Vermögensvorteilen ist eine Vindikation nicht denkbar. Das Wegfallen des rechtlichen Grundes, also der Grund der Bereicherungshaftung, tritt unabhängig davon ein, ob das Eigentum übergegangen ist oder nicht. Daher können Bereicherungsansprüche und dingliche Herausgabeansprüche nebeneinander bestehen61 . Schließlich lehrte Savigny, die Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines anderen Vermögens bestehe darin, daß der Totalwert des einen Vermögens vermindert, der des anderen vermehrt werde. Diese Auffassung hängt mit Savignys durch die idealistische Einheitslehre beeinflußten Vermögensbegriff zusammen. Savigny faßte das Vermögen als "Totalität", als "Einheit" der Vermögensgegenstände auf62 • Er lehrte, man könne in der allgemeinen Betrachtung des individuellen Vermögens von der Beschaffenheit der einzelnen Rechte abstrahieren. Durch diese Abstraktion verwandle es sich in eine reine Quantität von gleichartigem Gehalt. Da auch Schulden als Bestandteile des Vermögens anzusehen seien, könne die Totalität des Vermögens bald ein Plus, bald ein Minus darstellen. Diese rein quantitative Behandlung des Vermögens werde durch den Begriff des System V, S. 514. Wolf, JuS 1961, S. 159. 62 System I, S.375, 383; zu Ansätzen einer Gesamtvermögensbetrachtung im älteren deutschen und römischen Recht vgl. Windscheid, Bd. 2 § 42, S. 108 Fn.2 und Kahler, Arch. f. bürg. R. 22, S. 3. 60 61

III. Die Lehre Savignys

195

Wertes vermittelt, welcher äußerlich durch das Geld dargestellt werde63 • Geld sei "ein abstraktes Mittel zur Auflösung aller Vermögensstücke in bloße Quantitäten". Geld habe so die höhere "Funktion als selbständiger Träger der Vermögensmacht"64. Wert und Geldwert seien für den juristischen Sprachgebrauch gleichbedeutende Ausdrücke. Daher eigneten sich Handlungen, "für welche die Verwandlung in Geldsummen völlig undenkbar sein würde", nicht als Gegenstand für eine Obligation, also für ein Vermögensrecht%. Folgerichtig ist nach Savigny kein bereicherungs rechtlicher Vermögensvorteil, was keinen Geldwert hat66. Der Vermögensbegriff Savignys ist verfehlt, weil ein Vermögen nicht ein Ganzes, sondern eine Gruppe dinglicher Rechtsgegenstände ist. Das zeigt sich z. B. dar an, daß man ein Vermögen nicht als Ganzes übertragen kann67 • Savignys Vermögensbegriff ist auch deshalb verfehlt, weil er für die nichtgeldwerten Vorteile einen rechtlosen Zustand herbeiführt und deren Inhaber, da bezüglich eines solchen Vorteils dann weder bereicherungs- noch schadensersatzrechtliche Ansprüche entstehen können, faktisch enteignet. Im neue ren Schrifttum wird die Auffassung vertreten, Savigny habe die römischrechtliche Denkweise der konkreten Bestimmung des Bereicherungsgegenstandes nicht in Frage gestellt. Seine Feststellung, alle Bereicherungsfälle hätten miteinander gemein die Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines anderen Vermögens, dürfe nicht im Sinne einer Gesamtvermögensbetrachtung mißverstanden werden68 • Hierbei wird übersehen, daß Savigny die gegenständliche Betrachtungs-

System I, S. 376. ObI. R. I, S. 405 ff. tlS System I, S. 375 ff. 00 System V, S.522; möglicherweise beruht das Merkmal Vermögenswert auch auf dem römischen Recht. Art. 5 der Vorlage des vorbereitenden Ausschusses zum Dresdener Entwurf lautete: "Ein Schuldverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, vermöge dessen eine Person" "eine einen Vermögenswert in sich schließende Leistung" "zu fordern berechtigt" "ist" (Protokolle Dres. Entw., S.44). Gegen diese Fassung wurde in den Beratungen angeführt, sie widerstrebe der heutigen Rechtsanschauung und hänge mit dem römischen Prozeßrecht zusammen. Das römische Recht stelle als Erfordernis für die Gültigkeit einer Obligation auf, daß die schuldige Leistung sich auf einen Vermögens- oder Geldwert veranschlagen lasse. Dies habe seinen Ursprung in dem römischen Prozeßrechtsgrundsatz, demzufolge die Exekution, wenn es zu einer condemnatio gekommen sei, auf die Erstattung eines der geschilderten Leistung entsprechenden Geldbetrages gerichtet worden, d. h. die Obligation nur in Geld oder durch Umsatz in Geld erzwingbar gewesen sei (Protokolle Dres. Entw., S. 19 f.). 67 VgI. Wolf, BGB AT § 2 HIlI, S. 169; SchR I § 2 D, S. 104 f. 68 J. Wolf, Der Stand der Bereicherungslehre, S. 9. 63

M

13*

196

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

weise mit dem idealistischen Vermögensbegriff vermischte, was zur Folge hatte, daß nach seiner Lehre nichtgeldwerte Vermögensvorteile nicht Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs sein konnten. Die Bestimmung einer Bereicherung auf dem Umwege über eine Veränderung der gesamten Vermögenslage scheitert schon daran, daß nicht jedes Mal zur Feststellung eines Bereicherungsanspruchs eine Vermögensbilanz erstellt werden kann. Durch die Vornahme eines Vergleichs von Vermögenslagen zur Feststellung einer Bereicherung wird die Methode der Schadensfeststellung fehlerhaft mit der Methode der Feststellung einer Bereicherung gleichgesetzt69 •

b) Die in den Vorlesungen vertretene Lehre Unter der überschrift "Obligationen auf ein Zurückgeben" behandelte Savigny im Pandektenmanuskript die Kondiktionen entsprechend dem Stand der damaligen Lehre. Er erörterte die einzelnen Kondiktionen, ohne grundsätzliche Ausführungen voranzustellen, zusammen mit der actio quod metus causa und der Spolienklage. Die condictio furtiva bezeichnete er als eine Obligation auf ein Zurückgeben aus einer unerlaubten Handlung 71l • Seine Darstellung der Kondiktionen ging über die römischrechtliche Kasuistik nicht hinaus. Nach seiner Auffassung standen lediglich die condictio sine causa und die condictio indebiti in einem systematischen Zusammenhang. Die condictio indebiti bezeichnete er als Ausnahme vom Fall der condictio sine causa71 • Auch in der Vorlesung von 1818/19 trennte Savigny noch systematisch zwischen den einzelnen Kondiktionen. Während er die condictio furtiva und die condictio ob turpem causa unter der überschrift "unerlaubte Handlungen" behandelte, wählte er für die übrigen Kondiktionen die überschrift "andere Fälle"72. Ohne eine allgemeine Vorbemerkung handelte Savigny nacheinander die condictio ob causam datorum, die condictio indebiti und die condictio si ne causa ab. Die condictio sine causa faßte er dabei als "das abstractum der condictio indebiti" auf73 • 69 J. Wolf, Der Stand der Bereicherungslehre, S. 11. Es ist kein Zufall, daß Savigny auch im Schadensersatzrecht mit einer Gesamtvermögensbetrachtung arbeitete: "Schaden" ist "jede unfreiwillige Vermögensverminderung" (Pandektenmanuskript fol. 129). Auf dieser Lehre dürfte die Gesamtvermögensdifferenztheorie Mommsens beruhen (vgl. dazu Burkhard Wilk, Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes, Dissertation Marburg, erscheint demnächst). Auch die bereicherungsrechtliche Saldotheorie beruht auf einer Gesamtvermögensbetrachtung. 70 Pandektenmanuskript fol. 719. 71 Pandektenmanuskript fol. 749. 72 Nachschrift Blume, S.391. 73 Nachschrift Blume, S.395.

IH. Die Lehre Savignys

197

Schon in der Vorlesung von 1818/19 klang die Gesamtvermögensbetrachtung und deren Durchführung durch eine Geldwertbestimmung an. Savigny stellte die Frage, ob die Kondiktion auch da gelte, wo die Leistung ein Tun sei. Er bejahte diese Frage, da das Tun schätzbar und auf einen Geldwert reduzierbar sei. Daher könne, "wenn man gearbeitet" habe, "so daß der andere reicher geworden" sei, "der Wert zurückgefordert werden"74. Die Hinwendung zum allgemeinen Bereicherungstatbestand wurde in der Vorlesung von 1824 vollzogen. Zwar erörterte Savigny die Kondiktionen wie in der Vorlesung von 1818119 zusammen mit anderen Klagen75 , grenzte sie jedoch durch die Überschrift "Von der Zurückforderung ex causa"76 ab. In einer "Allgemeinen Einleitung" lehrte Savigny: "Das Gemeinsame der Kondiktionen seit der Aufhebung der legis actiones besteht in dem Hinübergehen eines Teils des Vermögens des einen in das des anderen" 77. Die unterschiedlichen Merkmale der einzelnen Kondiktionen verloren dagegen bei Savigny an Bedeutung. Er vertrat die Auffassung, "die einzelnen Arten dieser condictio" seien zwar von den römischen Juristen unterschieden worden, diese Unterscheidung sei aber nicht als zwingend aufgefaßt worden, weil sie nur zu einem wissenschaftlichen Zweck erfunden worden sei18. Als "Grundlage der condictio" bezeichnete Savigny das dare. Das datum faßte er sehr allgemein auf. Es könne nicht nur Eigentum, sondern jedes Vermögensrecht betreffen, wovon auch geleistete Arbeit umfaßt werde. Die "juristische causa" für das datum könne dabei eine causa jeder Art sein79 • In der Vorlesung von 1830 legte Savigny dem Bereicherungstatbestand der Sache nach das Merkmal Vermögensverschiebung zugrunde. Er bezeichnete es als Voraussetzung einer Kondiktion, "daß ursprünglich etwas von dem einen Vermögen in das andere gekommen ist, was wiedergegeben werden soll". Für das Vorliegen einer Vermögensverschiebung sei es unerheblich, ob sie aufgrund eines Vertrages oder eines anderen Entstehungsgrundes einer Obligation erfolgt sei. Wie im "System" betonte Savigny in der Vorlesung von 1830 das Folgeverhältnis von Vindikation und Kondiktion. Wenn das "starke 74. Nachschrift Blume, S. 391 f. 75 Nachschrift 1824, S.459. 76 Nachschrift 1824, S.463. 77 Nachschrift 1824, S.464. 78 Nachschrift 1824, S.465; vgI. Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht, S.46: Die Gliederung nach Tatbeständen habe nur systematischen Wert und didaktische Bedeutung gehabt. 79 Nachschrift 1824, S. 464 f.

198

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

Mittel der Vindikation" deshalb weggefallen sei, weil der Vermögensgegenstand in das Vermögen des anderen übergegangen sei, trete ein "anderes strenges Mittel" der Rückforderung, die Kondiktionen einso. In der Vorlesung von 1837/38 erwähnte Savigny zwei weitere wichtige Bestandteile seiner Bereicherungslehre. Den später im "System" aufgestellten Grundsatz der Kondiktionen bezeichnete er schon in der genannten Vorlesung inhaltgleich als "Regel der Zurückforderung" . In genannten Vorlesung inhaltgleich als "Regel der Zurückforderung"81. In Vermögenserweiterung" gerichtet82 • Dieser Gedanke wurde von ihm im "System" insoweit fortentwickelt, als er das Merkmal Vorteilsverschiebung mit einer Gesamtvermögensbetrachtung vermischte.

IV. Das Schrifttum nach Savigny Savignys Lehren vom Bereicherungsrecht breiteten ein "neues Licht über die ganze Lehre"83. Im Anschluß an seine Lehre wurde es in der Rechtswissenschaft üblich, den Ausführungen über die Einzelkondiktionen einen Abschnitt über den "Grundsatz" derselben voranzustellen84 • Die Aufstellung eines Grundsatzes wurde mit der Forderung begründet, die Kondiktionen seien in Lehre und Gesetzgebung systematisch zu vereinigen, weil sie gemeinsame Voraussetzungen hätten86 • Über die Durchführbarkeit dieser Forderung gingen jedoch die Ansichten auseinander. Windscheid war der Meinung, man werde darauf verzichten müssen, auf die Frage, wann eine Bereicherung aus fremden Vermögen eine ungerechtfertigte Bereicherung sei, mit einer allgemeinen Formel zu antworten86 • Gegen Windscheid wandte sich Wendt mit der Auffassung, völlige Einsicht in das Wesen der einzelnen Kondiktionen sei nur zu gewinnen, wenn durch einen Vergleich aller überlieferten Fälle das Gemeinschaftliche und Allgemeine ermittelt werde. Nur so könne man den Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung verstehen und begründen87 • Entsprechend der Lehre Wendts vertrat Sintenis die Auffassung, "da die Tatsache des habere si ne causa der

80

Nachschrift Goeriz, S. 315 f.

81 Nachschrift Rothschild, S. 304.

Nachschrift Rothschild, S.303. Mühlenbruch, § 378, S. 367 Fn .•. 84 Vgl. Baron, § 280, S.462; Arndts, § 340, S.659 ("vgl. vorzüglich Savigny" S.660 Anm.1); Dernburg, Bd.2 § 138, S.362; Windscheid, Bd.2 § 421, S.530; Sintenis, Bd.2 § 109, S. 524 ff. 85 Arndts, § 340, S. 660 und S. 661 Fn. 1 a. 86 Windscheid, Bd. 2 § 422, S. 534. 87 Wendt, § 288, S.679. 82

83

IV. Das Schrifttum nach Savigny

199

Entstehungsgrund der Kondiktionsobligation" sei, "so ist die Art der Ursache dieser Folge gleichgültig". Daher seien die Kondiktionen "nicht als verschiedene Klagen zu betrachten, sondern als eine und dieselbe"88. Das wohl führende Lehrbuch von Windscheid formulierte den allgemeinen Bereicherungstatbestand wie folgt: "Die Tatsache, daß jemand aus fremdem Vermögen in ungerechtfertigter Weise bereichert worden ist, erzeugt für ihn die Verpflichtung, dem Benachteiligten herauszugeben, worum er reicher geworden ist"89. Mit diesen Lehren war der natur rechtliche Billigkeitssatz nicht mehr zu vereinbaren. Der früher nach Pomp. D. 12.6.14 vertretenen Auffassung, daß "die Tatsache der Bereicherung aus fremdem Vermögen als solche eine Verpflichtung zur Ausgleichung des dadurch dem anderen entstandenen Nachteils begründe", hielt man nun den Grundsatz von Ulp. D. 12.7.1.3 und Masci. D. 25.2.25 entgegen, wonach "id demum posse condici alicui, quod vel non ex iusta causa ad eum pervenit, vel redit ad non iustam causam"lIO. Die Erkenntnis, daß zur Begründung einer Kondiktion die Bereicherung eines Menschen mit dem Nachteil eines anderen Menschen nicht ausreicht, vielmehr "der Vermögensübergang, obwohl formal vollendet", "materiell ungerechtfertigt sein" muß, führte Windscheid dazu, den Kondiktionen die Bezeichnung "ungerechtfertigte Bereicherung" zu geben9t . Unter Abwendung von der römischrechtlichen Orientierung der Kondiktion an der Sache folgte Windscheid Savignys Bestimmung der Vorteilsverschiebung. Nach seiner Ansicht ist die Bereicherung auch dann eine Bereicherung aus fremdem Vermögen, "wenn sie durch Mittel des fremden Vermögens" "bewirkt worden ist"92. Die Gegenposition zu die88 Sintenis, Bd. 2 § 109, S. 525 f. Fn. 1 (u.B.a.Sav.). 89 Windscheid, Bd.2 § 421, S.530.

90 Windscheid, Bd.2 § 421, S.531 Fn.1; ähnlich Baron, § 280, S.462 und Dernburg, Bd. 2 § 138, S. 364 Fn. 14. 91 Windscheid, Bd.2 § 421, S. 530 ff.; vgl. Dernburg, Bd. 2 § 138, S. 364 Fn. 13. 92 Windscheid, Bd.2 § 421, S.533; vgl. Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S. 40 ff.; anders legt Diesselhorst, Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle verfolgt an der Rechtsprechung zur Saldotheorie, S. 44, 57 die Lehre Windscheids aus; Wilhelm hat die Auslegung von Diesselhorst jedoch durch den Vergleich der Lehre Windscheids mit der Wittes widerlegt (S.42 f.). Besonders deutlich wird dies aus der Rezension Windscheids von Wittes, Die Bereicherungsklagen des gemeinen Rechts Halle 1859, in Krit. Viertelj. Schr. I (1859), S. 115 ff. Witte lehrte, der Satz, daß jede Bereicherung zurückgefordert werden könne, welche sich bei dem Bereicherten ohne rechtfertigenden Grund befinde, finde auf den Fall keine Anwendung, daß jemand durch Umsatz oder Verzehr einer fremden Sache einen Gewinn gezogen habe; denn dieser Gewinn habe nie zu des Eigentümers Vermögen gehört (S. 295). Dagegen wendet sich Wind scheid mit der Frage: "Ist deswegen Jemand weniger aus fremden Vermögen bereichert, weil das ihm Zugegangene in derjenigen Gestalt, in welcher es ihm zugegangen ist, sich bei dem Verlierenden nicht befunden hat?" (S.116).

200

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

ser Auffassung, die der damals herrschenden Lehre entsprach, vertrat Witte, der die condictio nur bei der Verschiebung der Sache oder des Rechts kannte. Nach Witte war daher eine unmittelbare Anwendung der condictio auf den Gewinn aus fremder Sache ausgeschlossen93 • Die Einteilung der Kondiktionen als Quasikontrakte wurde aufgegeben. Die Kondiktionen wurden als "Zustandsobligationen" bezeichnet94 • Mit der Lehre, in den Fällen der Kondiktionen liege objektiv ein Unrecht vor95 , der Erwerb beruhe auf rechtswidrigem Grund 96 , wurde die Kondiktion zutreffend als Tatbestand der Unrechtmäßigkeit aufgrund eines unrechtmäßigen Zustands eingeteilt. Anhand des Merkmals der Ungerechtfertigtheit der Bereicherung, also deren Unrechtmäßigkeit, wurde der Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung nun von der actio de in rem verso streng unterschieden97 • Auch die preußische Zivilrechtswissenschaft hat den allgemeinen Bereicherungstatbestand übernommen. Nach der Ansicht Kochs ist die Systematik des "Instituts" der ungerechtfertigten Bereicherung im ALR unklar, weil die Gesetzesverfasser es nicht "als Ganzes aufgefaßt" hätten. Dem Landrecht liege jedoch das gemeinsame Fundament aller Kondiktionen zugrunde, daß das Vermögen des Einen durch Verminderung des Vermögens des Anderen erweitert worden ist, und zwar entweder ganz ohne Grund oder aus einem ursprünglich vorhandenen Grund, welcher wieder weggefallen ist98 •

v.

Die Rechtsprechung

Die Rechtsprechung zum Bereicherungsrecht war zunächst uneinheitlich. Viele Gerichte hingen lange den alten Lehrmeinungen an. Noch 1864 beschränkte das GAG Dresden die condictio sine causa auf die Leistungskondiktion. Das wird aus den Gründen eines Urteils vom 10. 6. 1864 deutlich, wonach "die condictio sine causa" im allgemeinen stattfinde, wenn "eine Leistung" "ohne einen rechtsgenügenden Grund geschehen" sei99 • Diese Ansicht hängt mit der älteren Auffassung zu93 Witte, Die Bereicherungsklagen des gemeinen Rechts, S. 41, 289, 295, 325; vgl. Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S.42. 94 Wendt, § 288, S.678. 95 Dernburg, Bd. 2 § 138, S. 364. 96 Arndts, § 340, S. 571. 97 Windscheid, Bd.2 § 421, S.531 Fn.2; Krit. Viertelj. Schr. Bd.l (1859), S.126. 98 Koch, Allg. Landrecht, Kommentar, Bd. 2, S. 394 Fn. 20. 90 OAG Dresden v. 10.6.1864 Seuff. A. XIX Nr. 153 S.427.

V. Die Rechtsprechung

201

sammen, eine condictio indebiti könne nicht mit einer condictio sine causa alternativ kumuliert werden. Das OAG Jena begründete diese Ansicht damit, von keiner Gesetzgebung dürfe vorausgesetzt werden, daß die Eigentümlichkeiten der speziellen Kondiktionen nutzlos vom Gesetzgeber bestimmt seien Hlo • Die Kondiktionen wurden auf den Grundsatz "der natürlichen Billigkeit, nach welcher Niemand mit eines anderen Schaden sich bereichern soll", gestützt101 . Das Oberste Gericht für Bayern schloß sich hingegen alsbald der Bereicherungslehre Savignys an. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1878 erörterte das Gericht den allgemeinen Bereicherungstatbestand. In Anlehnung an Windscheid bestimmte es die gesetzlichen Voraussetzungen der "sogenannten Bereicherungsklagen" mit dem Hinweis, "daß etwas aus dem Vermögen des einen in das Vermögen des anderen gekommen ist und daß für die hierdurch zum Nachteile des einen eingetretene Vermögensmehrung ein rechtlicher Grund nicht besteht"102. Nach der Meinung des Preußischen Obertribunals hatte der allgemeine Bereicherungstatbestand auch für das ALR eine eigenständige Bedeutung. Das Gericht führte aus, "das Rechtsmittel der Kondiktionen" sei zwar im Allgemeinen Landrecht nicht zusammenhängend dargestellt, sei jedoch mit seinen allgemeinen Grundsätzen darin enthalten. Insbesondere sei das Prinzip, "daß dasjenige, was jemand aus dem Vermögen eines anderen" "erhalten hat", "zurückgegeben werden muß, wenn der Rechtsgrund wegfällt", im ALR "anerkannt"l«!. Nach der Ansicht der eben genannten Gerichte gründete sich der allgemeine Bereicherungstatbestand also auf den Wegfall des Grundes für den Empfänger, den Gegenstand zu behalten104. Die Lehre vom allgemeinen Bereicherungstatbestand hat die Gerichte jedoch nicht daran gehindert, entsprechend dem alten Kondiktionensystem zwei Kondiktionen nebeneinander anzuwenden106.

100 OAG Jena v. 7.7.1825 Seuff. A. VIII Nr. 142 S. 202. 101 OAG Wolfenbüttel v. 4.2. 1845 Seuff.A.X Nr. 55 S.69; vgl. auch OAG Kiel v. 26. 1. 1850 Seuff. A. X Nr. 172 S. 232. 102 Oberst. Ger. f. Bayern Bd.7, S.355; vgl. auch LG Gräfenthal, Blätter für Rechtspflege in Thüringen Bd. 15 (1868) S.244; OAG Rostock v. 14.4. 1864 Seuff. A. XIX Nr. 152, S. 246; AG Eisenach v. 6.3. 1865, Blätter für Rechtspflege in Thüringen Bd. 13 (1866), S.91 (u.B.a.Sav.). 103 Pr.Otr. Bd. 30, S. 81 f.; ebenso Pr.Otr. Bd. 16, S. 172, wo allerdings die actio de in rem verso und die condictio sine causa vermischt werden; Pr.Otr. Strieth. Arch. 48, 361; ROHG 25,135. 104 Mit diesen Worten bezeichnet das AG Eisenach, Blätter für Rechtspflege in Thüringen, Bd. 19 (1862), S.355 den rechtlichen Grund. 105 Oberst. Ger. f. Bayern Bd.8, S.117.

202

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

Aus der neuen Lehre vom allgemeinen Bereicherungstatbestand folgerten einige Gerichte die gleichzeitige Anwendbarkeit von Vindikation und Kondiktion lO6 . Diese allerdings bestrittene Ansicht wurde mit dem Argument begründet, eine condictio sine causa setze nicht einen Eigentumsübergang aus dem einen Vermögen in das andere voraus. Entscheidend sei vielmehr der Gesichtspunkt einer grundlosen Bereicherungl07 . Während das OAG Rostock das Merkmal Vorteilsverschiebung noch mit "Übergang" "eines Vermögensobjektes" "aus einem Vermögen in das andere" umschrieblos, schloß sich das Oberste Gericht für Bayern der Formulierung Savignys an und führte aus, es gehöre zum Wesen der condictio sine causa, "daß dasjenige, was dem anderen zur Bereicherung diente, vorher wirklich schon zum Vermögen des Kondizierenden gehört habe"109. Es sei nicht erforderlich, daß dasjenige, "was der andere" "erhielt, früher zum Vermögen des Kondizierenden gehörte", es genüge vielmehr, daß er es zu fordern berechtigt war 11O •

VI. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf Im Gegensatz zum Hessischen Entwurf aus dem Jahre 1853, der in Art. 640 bereits einen einheitlichen Bereicherungstatbestand enthielt l11 , folgte das sächsische BGB im Kapitel "Forderungen aus verschiedenen Gründen" in der Einteilung der Kondiktionen als Rückforderung wegen Leistung einer Nichtschuld (§§ 1519 - 1533), des unter Voraussetzung eines zukünftigen Ereignisses Geleisteten (§§ 1534 - 1539), wegen unsittlichen oder unrechtlichen Grundes (§§ 1540 - 1546) und wegen Mangels jeden Grundes (§§ 1547 - 1550) der Kasuistik der Quellen112 . Aus §§ 1519,

106 OAG Kassel v. 22.9. 1849 Seuff. A. III Nr. 117, S.201; OAG Kassel Bd.5, S.656; a. A. Oberst. Ger. f. Bayern Bd.2, S.198 (u.B.a.Sav.); LG Gräfenthal, Blätter für Rechtspflege in Thüringen Bd. 15 (1868), S.244; so wohl auch Pr.Otr. Bd. 66, S. 61. 107 Appellationsgericht in H. v. 13.4. 1865, Blätter für Rechtspflege in Thüringen Bd. 15 (1868), S.244. 108 OAG Bayern v. 9. 1. 1846 Seuff. A. II Nr. 57, S. 65. 109 OAG Rostock v. 14.4.1864 Seuff. A. XIX Nr. 152, S. 246. 110 Oberst. Ger. f. Bayern Bd.3, S. 182; OAG für Bayern v. 9. 1. 1846 Seuff. A. II Nr. 57, S. 64. 111 "Kommt etwas aus dem Vermögen des einen in das Vermögen des anderen, während es der für den letzteren auf Kosten des ersteren eingetretenen Vermögensvermehrung an einem rechtlichen Grunde gebricht, so ist der Berechtigte, in Ermangelung anderweitiger, näherer gesetzlicher Bestimmungen, zur Zurückgabe beziehungsweise zur Erstattung dessen, um was er sich zur Zeit der Klage noch bereichert befindet, verpflichtet". 112 v. Mayr, Der Bereicherungsanspruch des deutschen bürgerlichen Rechts, S.22 f.

VI. Sächsisches BGB und Dresdener Entwurf

203

1526, 1534, 1547 ergibt sich jedoch, daß nach dem sächsischen BGB der Grund der Bereicherungsansprüche das Haben ohne einen rechtlichen Grund war113 .

Im übrigen schlossen sich die Verfasser des sächsischen BGB der herrschenden Lehre und Praxis an. Dies ergibt sich aus den Gesetzgebungsprotokollen, in denen zum Ausdruck gebracht wird, die Einführung der §§ 1547 -1550 über die Rückforderung wegen Mangels jeden Grundes bedürfe "keiner besonderen Rechtfertigung"114. Wie das sächsische BGB folgte auch der Dresdener Entwurf mit der Regelung der Kondiktionen unter den Titeln "Rückforderung wegen irrtümlicher Leistung einer Nichtschuld" (Art. 976 ff.), "Rückforderung wegen Nichteintrittes der Voraussetzung" (Art. 988 ff.), "Rückforderung wegen verwerflichen Empfanges" (Art. 993 ff.) und "Rückforderung wegen grundlosen Habens" (Art. 998 ff.) der Kasuistik der Quellen 1l6 • Im Gegensatz jedoch zum sächsischen BGB, welches die Kondiktionen unter dem Titel "Forderungen aus verschiedenen Gründen" behandelte, bezeichnete der Dresdener Entwurf die Kondiktionen mit der überschrift "Schuldverhältnisse aus ungehöriger Bereicherung". In den Protokollen findet sich schon die moderne Bezeichnung "ungerechtfertigte Bereicherung"lUl. Abgesehen davon, daß der Charakter der Kondiktionen als Bereicherungsklagen besonders hervorgehoben wurde117 , enthalten die Motive des Dresdener Entwurfs ebenso wie die des sächsischen BGB zum Bereicherungsrecht jedoch keine grundlegenden Ausführungen. Einen allgemeinen Bereicherungstatbestand kannte der Dresdener Entwurf nicht, die condictio sine causa wurde lediglich als "Supplement" der condictio indebiti aufgefaßt118. Als Grund der condictio indebiti wurde in den Protokollen das "grundlose Haben" einer Bereicherung bezeichnet. Dieser Grund folge jedoch nach der Ansicht der Entwurfsverfasser aus der Billigkeitsregel, "daß sich niemand mit dem Schaden eines anderen bereichern solle"119. Das Merkmal der Vorteilsverschiebung wurde in Art. 1003 mit der Formulierung "aus dem Vermögen eines anderen" "zugekommen" umschrieben.

113 v. Mayr, Der Bereicherungsanspruch des deutschen bürgerlichen Rechts, S.23. 114 Motive 1861, S. 845. 115 v. Mayr, Der Bereicherungsanspruch des deutschen bürgerlichen Rechts, S.26. tHI Protokolle Dres. Entw., S.3729. 117 Protokolle Dres. Entw., S. 3730. 118 Protokolle Dres. Entw., S.3589. 119 Protokolle Dres. Entw., S. 3563.

204

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

VII. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch a) Der allgemeine Bereicherungstatbestand Im ersten Entwurf werden die Kondiktionen unter der überschrift "Einzelne Schuldverhältnisse aus anderen Gründen" erörtert. Seine Verfasser lehnten den naturrechtIichen und römischrechtlichen Billigkeitssatz als Grund des Bereicherungsrechts ab. Sie hoben die große Bedeutung der Abstraktheit dinglicher Verträge für die Kondiktion hervor und schlossen sich der "herrschenden Anschauung" und der Begründung des Teilentwurfs über das Bereicherungsrecht v. Kübels 120 an, wonach "die Kondiktionen persönliche Ansprüche auf Rückgängigmachung desjenigen an sich nach den maßgebenden Vorschriften eingetretenen Rechts- und Vermögenserwerbes sind, welcher eines Rechtsgrundes entbehrt". Auf der Verschiedenheit der für den Mangel des rechtlichen Grundes relevanten Umstände baut die im Entwurf enthaltene Klassifizierung der Kondiktionen auf121 • Zu einem allgemeinen Tatbestand kam es daher nicht. Jedoch wurde die Kasuistik des von v. Kübel vorgelegten Teilentwurfs über das Bereicherungsrecht, der 28 Bestimmungen umfaßte, zum Teil auf Initiative Windscheids l22 auf fünf Tatbestände beschränkt. Dagegen stellte der 2. Entwurf unter Hinweis auf die gleiche Behandlung des Deliktsrechts den "allgemeinen Grundsatz" des Bereicherungsrechts an die Spitze der diesbezüglichen Bestimmungen. Als Grund gaben die Verfasser des 2. Entwurfs an, dadurch gewönnen die Vorschriften des Bereicherungsrechts wesentlich an Klarheit und übersichtlichkeit. Auch systematisch sei es richtiger, das allgemeine, die ganze Lehre beherrschende Prinzip an die Spitze zu stellen. Bezüglich der Formulierung des "Grundsatzes" wurde beschlossen, "zur größeren Verständlichkeit des Gesetzes" den § ades Gegenentwurfs l23 , der der Beratung der 2. Kommission statt des 1. Entwurfs zugrundelag l24 , "durch Hinzufügung der auf dem rechtsgeschäftlichen Gebiete liegenden Hauptanwendungsfälle der Leistungen zu verdeutIichen"l25. 120 v. Kübel, Begründung des Teilentwurfs über das Bereicherungsrecht hrsg. von Schubert, Recht der Schuldverhältnisse Teil 3, Besonderer Teil II, S. 663; vgl. auch Schubert, Sav.Z.Rom.Abt. 92 (975), S. 192 Fn.33. 121 Mugdan II, S. 463. 122 Vgl. Schubert, Sav.Z.Rom.Abt.92 (1975), S. 225. 123 "Hat Jemand aus dem Vermögen eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, so ist er dem anderen zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet" (Mugdan II, S. 1169). 124 Mugdan II, S. 1170. 125 Mugdan II, S. 1174.

VII. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch

205

Damit führte die 2. Kommission den allgemeinen umfassenden Bereicherungstatbestand ins BGB ein. Die Verfasser des BGB haben dabei in § 812 Abs.2 BGB auch der Erkenntnis Rechnung getragen, daß abstrakte Schuldverträge rechtsgrundbedürftig sind. Zwar spricht § 812 Abs.2 BGB nur vom Anerkenntnis. Der allgemeine Bereicherungstatbestand umfaßt jedoch auch das Schuldversprechen. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß ein Schuldversprechen ein "etwas" im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB ist, zum anderen aus der Formulierung von § 817 BGB, wonach Leistung auch das Eingehen einer Verbindlichkeit sein kann l26 • Der allgemeine Bereicherungstatbestand wurde allerdings dadurch verwässert, daß von §§ 812 ff. BGB mitumfaßte Fälle als Rechtsgrundverweisungen spezialgesetzlich geregelt wurden (vgl. z. B. §§ 528, 951 BGB). Diese Vorschriften sind bei konsequenter Anwendung von §§ 812 ff. BGB überflüssig. Die Ausführungen der 2. Kommission zu § ades Gegenentwurfs, der in seiner endgültigen Formulierung § 812 BGB inhaltlich entspricht, sind für den im Schrifttum wieder aufgekommenen Streit über die Frage, ob § 812 BGB einen allgemeinen Bereicherungstatbestand enthalte 127 oder nicht von großer Bedeutung. Diese Streitfrage kann nur im Wege der Auslegung des die Rechtswissenschaft bindenden § 812 BGB entschieden werden. Im Schrifttum wird dazu die Auffassung vertreten, nach dem Wortlaut des § 812 BGB gebe es zwej128 oder mehrere Tatbestände 129 der ungerechtfertigten Bereicherung (sog. moderne Bereicherungslehre). Diese Auffassung scheitert schon an der grammatikalischen Gesetzesauslegung, wonach "durch Leistung oder in sonstiger Weise" in jeder Weise bedeutet13o. Ferner scheitert diese Auffassung aber auch an der historischen Auslegung von § 812 BGB131. Den Gesetzesverfassern ging es nach ihrer ausdrücklichen Erklärung gerade nicht darum, zwei oder 12'6 Neubecker, Arch. f. bürg. R. 22, S. 79 Fn.23. 127 So die bei Wolf, SchR II § 19 B V, S.445 Fn.92 Genannten, sowie Wolf, SchR II § 19 B V, S.445; J. Wolf, Der Stand der Bereicherungslehre, S.183; Molitor, Schuldrecht II § 28, S. 162. 128 Larenz, SchR II § 68, S. 523. 129 Fikentscher, Schuldrecht § 98, S. 574 ff. 130 Wolf, SchR II § 19 B V, S. 447. 131 Bei der historischen Auslegung eines Gesetzes oder Gesetzentwurfs sind geschichtliche Tatsachen nur zu berücksichtigen, soweit sie den Inhalt des Gesetzes im Zeitpunkt seines Erlasses objektiv bedingen. Zu diesen Tatsachen gehören z. B. Auffassungen, die sich die Mehrheit des Parlaments zu eigen gemacht hat, oder wenn das Parlament eine Bestimmung ohne Diskussion angenommen und sich daher mit dem Vorschlag der Entwurfsverfasser einverstanden erklärt hat, die Auffassungen der Entwurfsverfasser (Wolf, Aussperrung, S. 12 f., 15, 23).

206

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

mehrere Bereicherungstatbestände im Gesetz anzudeuten, sondern "zur größeren Verständlichkeit des Gesetzes" den ,,§ a" "durch Hinzufügung der auf dem rechtsgeschäftlichen Gebiete liegenden Hauptanwendungsfälle zu verdeutlichen". Auch der ausdrückliche Hinweis darauf, daß gleich dem Deliktsrecht ein allgemeiner Grundsatz voranzustellen sei, wird von der modernen Bereicherungslehre nicht beachtet. Die methodische Konsequenz aus der Auflösung des allgemeinen Bereicherungstatbestandes in zwei oder mehrere Tatbestände, die Auflösung des allgemeinen Deliktstatbestandes in mehrere auf jedes einzelne in § 823 BGB genannte Recht bezogene Tatbestände, hat keiner der Vertreter der "modernen Bereicherungslehre" gezogen. Auch im Wege der historischen Auslegung sollte man daher dem Hinweis der Gesetzesverfasser folgend die umgekehrte Konsequenz ziehen und zum allgemeinen Bereicherungstatbestand zurückkehren. Da der allgemeine Bereicherungstatbestand des BGB das römischrechtliche Kondiktionensystem überwunden hat, paßt auch der weit verbreitete Gebrauch des Wortes Kondiktion nicht mehr l 3:2. Dieses Wort kommt im BGB nicht vor. Wissenschaft und Rechtsprechung sollten daher dem Sprachgebrauch des BGB folgen.

b) Das Merkmal Vorteilsverschiebung Während der 1. Entwurf das Merkmal der Vorteilsverschiebung mit den Worten "aus dessen Vermögen" "ein anderer bereichert worden ist" (§ 748 1. Entw.) beschrieb, wählte der 2. Entwurf die Formulierung "auf dessen Kosten" "erlangt" (§ 737 2. Entw.). Damit sollte klargestellt werden, "daß das Objekt der Bereicherung, ohne bereits in das Vermögen des Kondiktionsberechtigten übergegangen zu sein, seinen Vermögensstand nur zu berühren braucht"133. Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht wurde von der 2. Kommission mit dieser Formulierung gegenüber dem 1. Entwurf eine inhaltliche Erweiterung der möglichen Erwerbsfälle herbeigeführt. Der Meinung von Batsch, der geänderten Formulierung liege eine inhaltliche Erweiterung nicht zugrunde 134 , hält J. Wolf entgegen, nach dem Wortlaut des 1. Entwurfs könnten nur die Fälle eines gegenständlichen Vermögensübergangs erfaßt sein, da es widersprüchlich sei, anzunehmen, es könne etwas aus dem Vermögen eines Menschen erlangt sein, was noch nicht in seinem Vermögen ge13:2 A. A. Heck, Schuldrecht § 140, S. 148 nach dem trotz der Erkenntnis, daß der Ausdruck condictio sich auf eine römische Prozeßform bezog, die auch auf den Darlehensrückzahlungsanspruch Anwendung fand, diese Bezeichnung "wegen ihrer Kürze und Genauigkeit" beizubehalten ist. 133 Mugdan 11, S. 1171. 134 Batsch, Vermögensverschiebung, S.24 Fn.99.

VII. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch

207

wesen sei 13s• Diese Auslegung von § 748 1. Entw. ist jedoch nicht zwingend. Der 1. Entwurf sprach nicht davon, daß etwas aus dem Vermögen erlangt sei, sondern von jemandem, "dessen Vermögen aus dem Vermögen eines anderen bereichert ist" . Auch die Begründung des Teilentwurfs durch v. Kübel und die Ausführungen der Motive stehen im Widerspruch zu der erwähnten Auslegung von § 748 1. Entw. Zwar kann man die Formulierung von § 27 des Teilentwurfs ("Derjenige, aus dessen Vermögen ohne seinen Willen etwas in das Vermögen eines anderen gekommen ist") dem Wortlaut nach im Sinne des Dogmas der Vermögensverschiebung deuten. Wilhelm hat jedoch gezeigt, daß sowohl nach der Auffassung des Redaktors v. Kübel als auch nach der Auffassung der Motive mit den Worten "aus dem Vermögen" nicht nur die Fälle des überganges eines Vermögensgegenstandes, sondern auch die Fälle, in denen das Vermögen des Entreicherten lediglich der Bereicherung diente, erfaßt sein sollten 136 • Schließlich ergibt sich die Richtigkeit der Auslegung von Batsch aus einer Bemerkung der Protokolle, wonach der 1. Entwurf der Bestimmung der Vorteilverschiebung Windscheids folgte 131 • Es erscheint ausgeschlossen, daß derselbe Windscheid, der sich in der bereits erwähnten Rezension auf das entschiedenste gegen das von Witte vertretene Dogma der Vermögensverschiebung ausgesprochen hatte, bei den Beratungen zum BGB die übernahme dieses Dogmas empfohlen hat. Dies folgt zudem aus §§ 27,28 seines Gegenentwurfs zum Entwurf v. Kübels, der folgenden Wortlaut hat: "Hat Jemand eine Vermögensminderung nicht kraft seines Willens erlitten, so ist er berechtigt, von demjenigen, dessen Vermögen durch diese Vermögensminderung vermehrt worden ist, die Herausgabe der Vermögensmehrung zu fordern, wenn für dieselbe ein rechtfertigender Grund nicht vorliegt" 138. Die hiervon abweichende Fassung des 1. Entwurfs ("dessen Vermögen aus dem Vermögen eines anderen bereichert ist") wählte man lediglich, um die Unmittelbarkeit der Vorteilsverschiebung auszudrücken139 • Daher lag es auch nicht in der Absicht der Verfasser des 2. Entwurfs, den Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung bezüglich der Vorteilsverschiebung zu verändern, es ging vielmehr lediglich darum, den Ausdruck neu zu fassen. Im Anschluß an Windscheid wird in den Protokollen ausgeführt, jemand müsse das, was er erlangt habe, nicht

135 136 137 138 139

J. Wolf, Der Stand der Bereicherungslehre, S. 5 Fn. 15.

Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung, S. 45 ff., 53 ff. Mugdan II, S. 117l. Zit. nach Schubert, Sav.Z.Rom.Abt. 92 (1975), S. 226. Schubert, Sav.Z.Rom.Abt.92 (1975), S.227.

208

§ 11 Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung

lediglich dann herausgeben, wenn der andere dies verloren habe, der Vermögensvorteil also aus dem Vermögen des Benachteiligten an ihn gelangt sei. Der Ausdruck "aus dem Vermögen", den der 1. Entwurf diesem Grundsatz gegeben habe, sei mißlungen, weil er auf das Gegenteil hinweise. Man entschied sich daher für die Fassung "auf Kosten eines anderen" (§ 797 2. Entw., vgl. § 812 BGB)140. Durch die Verbindung des "Prinzips" des Bereicherungsrechts mit der schon vom 1. Entwurf vertretenen Lehre von der Vorteilsverschiebung gelangten die Verfasser des 2. Entwurfs zum allgemeinen und umfassenden Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung des § 812 BGB. VIII. Zusammenfassung Der Lehre Savignys verdankt die deutsche Rechtswissenschaft die Befreiung der Bereicherungslehre vom römischrechtlichen Aktionensystem sowie die Lehre vom allgemeinen Bereicherungstatbestand. Savigny erkannte als erster, daß den römischrechtlichen Kondiktionen die Regel zugrundelag, daß, wenn eine Verschiebung im Vermögensbereich ohne Rechtsgrund stattgefunden hat, die Bereicherung an den Entreicherten herauszugeben ist. Das Merkmal Verschiebung im Vermögensbereich bestimmte Savigny dabei nicht nach dem engeren am römischen Recht orientierten Dogma der Vermögensverschiebung, sondern so, daß davon jeder Vermögensvorteil erfaßt wurde, gleichgültig, ob er zuvor bereits im Vermögen des Entreicherten dinglich vorhanden war oder diesem in anderer Weise entgangen war. Der Sache nach faßte Savigny den allgemeinen Bereicherungstatbestand als Tatbestand der Unrechtmäßigkeit auf. Wie die Untersuchung gezeigt hat, hat sich Savignys Lehre vom allgemeinen Bereicherungstatbestand in Lehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung weitgehend durchgesetzt. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hat die genannten Errungenschaften Savignys vollständig übernommen.

140

Mugdan II, S. 1171.

§ 12 Ergebnis der Untersuchung Mit den dargestellten Lehren Savignys erschöpft sich seine Bedeutung für die Rechtswissenschaft und die allgemeinen Vorschriften des BGB bei weitem nicht. So findet sich z. B. der Begriff negatives Interesse erstmals bei Savigny l. Auch seine Unterscheidung der Unmöglichkeit in Fälle, in denen die Unmöglichkeit in der Natur der Handlung an sich, und in Fälle, in denen die Unmöglichkeit in den besonderen Verhältnissen des Schuldners gegründet ist, war bis dahin unbekannt2. Der Begriff des Dissenses wurde wohl von Savigny geprägtll. Auch die Lehre vom gegenseitigen Vertrag hat er vorbereitet4. I. Die Lehren Savignys, die für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des BGB Bedeutung erlangt haben über die Lehren Savignys, die für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des BGB Bedeutung erlangt haben, läßt sich zusammenfassend folgendes sagen: 1. a) Seinen dogmatischen Arbeiten hat er ungeachtet organologischer Formulierungen der Sache nach den Begriff System als eine logisch geschlossene Ordnung wissenschaftlich erkannter Begriffe, Gesetze oder Regeln zugrundegelegt. Erst die durchgehende Systematisierung ermöglichte die Ausbildung des Pandektensystems nicht nur nach stofflichen Erfordernissen, sondern auch gemäß den Gesetzen der Logik, d. h. wissenschaftlich.

In der Konsequenz des Systems liegt als Auswirkung des Merkmals logische Ordnung die Ausbildung eines Allgemeinen Teils. Savigny hat an dieser Ausbildung dadurch wesentlichen Anteil gehabt, daß er viele Gegenstände, wie die Verträge, die Stellvertretung, den Irrtum und die Unterscheidung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit als erster in den Allgemeinen Teil einordnete. 1 v. Buchka, Vergleichende Darstellung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich und des Gemeinen Rechts, S. 31 Fn.5. 2 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 130. 3 Haupt, Irrtum, S.17. 4. Schwarz, AcP 161, S. 195.

14 Hammen

§ 12 Ergebnis der Untersuchung

210

b) Bei der Ausbildung des Systems wandte Savigny drei Methoden an: aal Die Methode der Gesetzesauslegung; hier hat Savigny die heute noch gültige Unterteilung der Auslegung in einen grammatikalisch-logischen, einen systematischen und einen historischen Bestandteil formuliert. bb) Die Methode der Abstraktion und Reduktion, die es ermöglichte, Begriffe, die allen Rechtsgebieten gemeinsam sind, in den Allgemeinen Teil aufzunehmen. ce) Die Methode der Analogie; hier hat Savigny als einer der ersten Gesetzes- und Rechtsanalogie unterschieden. Die analoge Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung war nach seiner Lehre unter den heute noch anerkannten Bedingungen möglich, daß für alle Fälle einer besonderen Art eine gesetzliche Regelung nicht besteht, der tatbestandsmäßige Grund einer bestehenden gesetzlichen Regelung auf die nicht geregelten Fälle zutrifft und ein rechtlicher Grund für eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Beurteilung der nicht geregelten Fälle nicht besteht. 2. In seiner Auseinandersetzung mit der Kodifikationsfrage hat Savigny den Begriff System auf die Kodifikation angewandt ("sanktioniertes Rechtssystem und damit als erster das Wesen der Kodifikation zutreffend erkannt. U

)

3. Auf Savigny geht die Erkenntnis zurück, daß allen rechtsgeschäftlichen und nichtrechtsgeschäftlichen Tatbeständen ein allgemeiner Begriff zukommt. Mit der Kennzeichnung dieses Allgemeinbegriffs als juristische Tatsache hat Savigny die Verbindung zur allgemeinen Ontologie hergestellt. 4. Die Bedeutung Savignys für die Rechtsgeschäftslehre liegt in seiner systematischen Behandlung der Rechtsgeschäfte. Durch die Unterscheidung von Rechtsgeschäften und nichtrechtsgeschäftlichen Tatbeständen hat Savigny die römischrechtliche Einteilung in Delikte und Kontrakte, Quasidelikte und Quasikontrakte überwunden. Mit seiner Behandlung der Rechtsgeschäfte als juristische Tatsachen besonderer Art und als Gattung der Verträge und einseitigen Rechtsgeschäfte hat er die Rechtsgeschäftslehre erstmals geschlossen dargestellt. 5. Auf dem Gebiet des Vertragsrechts hat Savigny als erster die besondere Bedeutung der dinglichen Verträge erkannt. Die Erkenntnis, daß die Verträge in allen Rechtsgebieten vorkommen, führte ihn dazu, den Begriff Vertrag im Allgemeinen Teil zu erörtern. 6. Es ist Savignys Verdienst, die Wirkungen des Irrtums einheitlich mit der Willenstheorie begründet und die Irrtumslehre vollständig im

I. Die für das BGB grundlegenden dogmatischen Lehren Savignys

211

Allgemeinen Teil erörtert zu haben. Als erstem gelang ihm die richtige Unterscheidung von Erklärungs- und Motivirrtum und die zutreffende Beurteilung des letzteren. Auf ihn geht die zusammenfassende Behandlung des wesentlichen Eigenschaftsirrtums unter Zugrundelegung des Merkmals Verkehrs anschauung zurück. Aus dem Begriff der Willenserklärung folgerte er, daß beim Irrtum ein Verschulden unbeachtlich ist. Er hat als erster die Unterscheidung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im Allgemeinen Teil getroffen. 7. Die unbeschränkte Zulässigkeit der Stellvertretung hat Savigny im Allgemeinen Teil begründet. Im Gegensatz zu der vor ihm herrschenden Lehre hat er die Auffassung vertreten, die Wirkungen eines von einem Vertreter getätigten Rechtsgeschäftes träfen den Geschäftsherrn unmittelbar.

8. Die Lehre von den Verfügungsgeschäften hat Savigny durch seine Lehre von der abstrakten Eigentumsübertragung und der abstrakten Bestellung von Belastungen durch einen dinglichen Vertrag vorbereitet. Durch die Verknüpfung des Begriffs Veräußerung mit der Tradition trug er zu der im BGB vorausgesetzten Lehre von der selbständigen Bedeutung der Verfügungsgeschäfte entscheidend bei. 9. Die Lehre von den abstrakten Schuldverträgen hat Savigny ebenfalls vorbereitet. Seine Lehre von der Wechselfreiheit war beispielhaft für die Begründung der abstrakten Schuldverträge mit der rechtsgeschäftlichen Freiheit. 10. Savigny hat als erster den allgemeinen und umfassenden Bereicherungstatbestand herausgearbeitet und ihn als Tatbestand der Unrechtmäßigkeit erkannt. Die Lehre vom Rechtsgeschäft, dem Vertrag, vom Irrtum, von der Stellvertretung, von der abstrakten Eigentumsübertragung und der Belastung sowie die Lehre von den abstrakten Schuldverträgen hat Savigny mit der auch dem BGB zugrundeliegenden rechtsgeschäftlichen Freiheit begründet. Die Freiheit des Willens war für Savigny der Grund der Rechtsordnung 5 • Wie Kiefner gezeigt hat, finden sich bei Savigny bezüglich des Freiheitsbegriffs viele Übereinstimmungen mit der Freiheitslehre Kants6 . Es ist jedoch anzumerken, daß Savigny seinen Freiheitsbegriff nicht philosophisch verstanden wissen wollte. Er bemerkte dazu: "Mit den spekulativen Schwierigkeiten des Freiheitsbegriffs haben wir im Rechtsgebiet nichts zu schaffen"7. System V, S. 1 ff. Kiefner, Der Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, S. 7 ff. 7 System III, S. 99; vgl. Wendt, § 41, S. 97. 5

6

212

§ 12 Ergebnis der Untersuchung

11. Der Entstehungszeitpunkt dieser Lehren

Alle Lehren, die in der vorliegenden Untersuchung besprochen wurden, hat Savigny in seinen Vorlesungen, teilweise aber auch erst im "System" und "Obligationenrecht" nach und nach herausgearbeitet. Soweit eine Untersuchung anhand einiger weniger Vorlesungsnachschriften ein zuverlässiges Bild bieten kann, lassen sich für die Entstehung der jeweiligen Lehre etwa folgende Zeiten angeben: 1. Die Lehre von den "juristischen Tatsachen" hat Savigny erst im "System" aufgestellt.

2. Seine Leistung auf dem Gebiet der Rechtsgeschäftslehre, die systematisch geschlossene Behandlung der Rechtsgeschäfte, hat er ebenfalls erstmalig im "System" durchgeführt. 3. Schon in der ersten Fassung seines Pandektenmanuskripts vertrat Savigny die Auffassung, der Vertragsbegriff sei in allen Bereichen des Rechtssystems anwendbar. In der Vorlesung von 1818119 nennt Savigny die Verträge des Sachenrechts dingliche Verträge. Die Konsequenz aus dieser Lehre, nämlich die Verträge in den Allgemeinen Teil aufzunehmen, zog Savigny erst im "System". 4. Savignys epochemachende Irrtumslehre beruht im wesentlichen auf der von ihm begründeten Lehre von der Willenserklärung, die er erstmalig im "System" di'lrgestellt hat. Die Lehre vorn wesentlichen Eigenschaftsirrtum hat er schon in der Vorlesung von 1824 begründet. Die Unterscheidung von Erklärungsirrtum und Motivirrtum hat er im Jahre 1837/38 in den Allgemeinen Teil aufgenommen. 5. Die Erörterung der Stellvertretungslehre im Allgemeinen Teil geht auf das "System" zurück. Seine Begründung für die Zulässigkeit der Stellvertretung mit der Lehre, der Stellvertreter "bringe als Bote die Entschließung" des Vertretenen, formulierte Savigny in Ansätzen schon im Pandektenmanuskript, ausdrücklich dann in der Vorlesung von 1824. 6. Savignys Lehre von der abstrakten Übereignung war 1824 endgültig formuliert. Die Lehre, die belastenden Verträge seien dingliche Verträge, findet sich schon in der ersten Fassung des Pandektenmanuskripts. 7. Die von Savigny entwickelten Ansätze zu einer Lehre vorn abstrakten Schuldversprechen sind bereits in der ersten Fassung des Pandektenmanuskripts erkennbar. 8. Den allgemeinen Bereicherungstatbestand hat Savigny der Sache nach erstmals in der Vorlesung von 1824 vertreten. Das umfassende Merkmal der Vorteilsverschiebung und die Einteilung des allgemeinen

IH. Die übernahme der Lehren Savignys

213

Bereicherungstatbestandes als Tatbestand der Unrechtmäßigkeit hat er jedoch erst aufgrund seiner ausführlichen Untersuchungen im "System" entwickelt. III. Die Vb ern ahme der Lehren Savignys Auf allen genannten Gebieten sind Savignys Forschungsergebnisse übernommen worden. Eine Bezugnahme auf Savigny läßt sich recht häufig nachweisen. Die Übernahme seiner Lehren geschah jedoch in sehr unterschiedlichen Zeiträumen. In einigen Bereichen, wie etwa der Übereignungslehre und der Frage, ob es für die Beachtlichkeit des Irrtums auf seine Entschuldbarkeit ankommt, waren die Meinungen irr. Schrifttum und insbesondere in der Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des BGB kontrovers. In anderen Bereichen wurde die Übernahme erst vom BGB selbst vollzogen, so die Behandlung des Vertrags im Allgemeinen Teil. Im übrigen bürgerten sich Savignys Lehren häufig sehr rasch ein, so z. B. seine Beurteilung des wesentlichen Motivirrtums, seine Trennung von Erklärungs- und Motivirrtum und die Aufnahme der Stellvertretung in den Allgemeinen Teil. Bei anderen Lehren Savignys, wie der Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung und der Lehre von den juristischen Tatsachen dauerte es bis etwa in die Mitte der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, bis sich die herrschende Meinung in Wissenschaft und Rechtsprechung seiner Lehre angeschlossen hatte. Seinen Ruf als der größte Rechtsgelehrte des 19. Jahrhun