Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen: Ein Beitrag zur Frage der Germanisierung des Christentums [Reprint ed.] 353400681X, 9783534006816

Sonderausgabe. 1., unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Darmstadt 1959. Erstmals erschienen in: 'Di

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German Pages 54 [58] Year 1962

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Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen: Ein Beitrag zur Frage der Germanisierung des Christentums [Reprint ed.]
 353400681X, 9783534006816

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W A LTER BAETKE D IE A U F N A H M E DES C H R IS T E N T U M S D U R C H D IE G E R M A N E N

W ALTER B A ETK E

DIE AUFNAHME DES CHRISTENTUMS D U R C H DIE GERM ANEN Ein Beitrag zur Frage der Germanisierung des Christentums

SO N DERAU SGABE M C M L X II

WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT DARMSTADT

H erau sgegeb en von der W is s e n s c h a ftlic h e n B u c h g e s e lls c h a ft , D a r m s ta d t, in d e r R e i h e » L i b e l l i « BAND

X L V IÏI

i., unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Darmstadt 1959 Druck : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Einband : Dingeidein, Darmstadt-Arheilgen Printed in Germ any

Erstmals erschienen in: »Die Welt als Geschichte« Heft 4/6, 1943 (IX. Jahrgang), Seiten 143-166

Es ist in mehr als einem Sinne nötig, zwischen der An­ nahme und der Aufnahme des Christentums in der Ger­ manenbekehrung zu unterscheiden; wir verstehen dabei unter Annahme den äußeren Vorgang, die Christianisierung als historisch feststellbares und ungefähr auch datierbares Ereignis, unter Aufnahme dagegen die innere Aneignung des Christentums, die Art und Weise, wie die Germanen es verstanden und sich seine Gedankenwelt zu eigen gemacht haben. Es liegt im Sinne dieser Ausdrücke, daß der An­ nahme des Christentums, die in der Regel durch den Tauf­ akt geschieht, die Aufnahme des neuen Glaubens, also die Bekehrung im eigentlichen Sinne, voraufgeht, jene also durch diese bedingt ist. Tatsächlich ist das aber keineswegs immer der Fall gewesen. Man hat das Christentum oft genug in ganz äußerlicher Weise, aus Gründen, die mit dem reli­ giösen Glauben nichts zu tun hatten, angenommen, sei es infolge eines äußeren Druckes oder Zwanges, sei es, weil man sich von der Annahme irgendeinen Nutzen versprach. Es liegt aber auch nicht so einfach, daß wir bloß zwischen solcher rein äußerlichen und einer auf wirklicher Glaubens­ überzeugung beruhenden, echt christlichen Annahme zu unL terscheiden hätten. Der Bekehrungsvorgang ist in Wirklich­ keit viel verwickelter gewesen; zwischen jenen beiden Ex­ tremen gibt es mannigfache Übergänge und Zwischenstufen. Vor allem ist zwischen inneren und äußeren Beweggründen nicht immer so reinlich zu scheiden, wie wir das vom christlichen Standpunkt aus tun zu können glauben. Ein Motiv, das uns als ein äußerliches erscheint, kann für den heidnischen Germanen selbst stark religiösen Charakter gehabt oder sich mit religiösen Antrieben verbunden haben. 7

Dies gilt namentlich für die politischen Entscheidungen der Könige und Häuptlinge; bei der innigen Verbindung zwi­ schen Religion und Politik, die das staatliche und kulturelle Leben der antiken Völker kennzeichnet, fallen religiöse und politische Gründe weithin zusammen. Auf der andern Seite war auch die Aufnahme des Christentums bei vielen von denen, die ihm innerlich zuneigten, nur unvollkommen; das Verständnis, das sie für die Lehren der neuen Religion auf­ brachten, war eigentlich ein Mißverständnis, so daß auch bei ihnen, recht betrachtet, die Annahme der wirklichen Aufnahme des Christentums voraufging. Gerade dies ist ein für die Beurteilung des Bekehrungsvorgangs sehr wich­ tiger Gesichtspunkt. Christwerden bedeutet für jeden aus einer heidnischen Religion Kommenden einen radikalen Bruch mit seiner Vergangenheit, für sein Denken und Füh­ len wie für sein sittliches Handeln. Aber bei wie vielen Germanen hat ein solcher Bruch wirklich stattgefunden? Die meisten sind leichten Fußes von der einen Religion in die andere hinübergegangen; sie sind sich dessen, daß es sich um eine von ihrer eigenen wesentlich verschiedene Religion handelte, gar nicht bewußt gewesen. Es ist klar, daß hier gerade die unzulängliche Weise, in der man das Christen­ tum aufnahm, die Annahme bedingte; sie wäre bei vollem Verständnis für den Inhalt des neuen Glaubens wahrschein­ lich unterblieben. Andererseits mußte aber der so vollzogene Übertritt sich wieder auf die nachträgliche Aneignung aus­ wirken. Das gilt natürlich erst recht für den Fall, daß Unbekehrte durch Gewalt oder Verlockungen äußerer Art zur Annahme der Taufe veranlaßt wurden; auch sie waren ja dann „Christen“ und blieben es meistens; aber die Art und Weise, wie sie es wurden, konnte auf die Art ihres Christen­ tums nicht ohne Einfluß bleiben. Beide, die halb und die noch gar nicht Bekehrten, bemächtigten sich des neuen Glaubens mit Hilfe ihrer eigenen, der alten Religion ent­ stammenden Vorstellungen und zogen ihn so in ihre religiöse 8

Gedankenwelt hinein1*3. Es war eine Frage der kirchlichen Erziehung, ob und wieweit dieses heidnische Denken nach­ träglich überwunden wurde. Es liegt aber zutage, daß von solcher Art der Bekehrung weitreichende Nachwirkungen auf das germanische Christentum ausgegangen sind, Wirkun­ gen, die sich durch die Jahrhunderte, zum Teil bis in die Gegenwart erstrecken. Die Geschichte lehrt uns, daß die Christianisierung der einzelnen germanischen Volker und Stämme nicht nur zu verschiedenen Zeiten, sondern auch in sehr verschiedener Weise erfolgte; sie war wesentlich durch die geschichtliche Situation bestimmt, in der sie dem Christentum begegneten. Für die Frage nach der Aufnahme der neuen Lehre ist es vor allem wichtig, wieweit echte, auf die Gewinnung ein­ zelner Seelen gerichtete Mission am Werke gewesen ist. Mit Sicherheit finden wir sie in den Anfängen der Germanen­ bekehrung bei den Westgoten. Aus dem Kreise der aus ur­ sprünglichen Kriegsgefangenen gebildeten Hörigen hat sich dort das Christentum durch Wortverkündigung und Bei­ spiel zuerst über die unteren Schichten des gotischen Volkes ausgebreitet, um schon bald in die höheren Kreise einzu­ dringen — zu einer Zeit, als das Heidentum als offizielle Religion des Volkes noch in voller Geltung stand. Die Echt­ heit des Glaubens dieser ersten germanischen Christenge­ meinde hat sich in den wiederholten Verfolgungen bewährt, denen sie ausgesetzt war; die gotischen Blutzeugen unter Athanaridi und Atharid reihen sich den römischen Mär­ 1 Dieser Vorgang wäre nicht möglich gewesen, ohne daß er von der Kirche grundsätzlich sanktioniert worden wäre. Er hat zur Voraussetzung den hierarischen Kirchenbegriff und die damit zusammenhängende Auffassung der Taufe, wie sie sich seit dem 3 Jh. herausgebildet hatten. Durch sie hatte sich die Kirche des Urchristentums, die „Gemeinde der Heiligen“, zur Massenkirche gewandelt; man wurde jetzt „Christ“ schon durch die Zugehörig­ keit zur Kirche, die als unerläßliche Vorbedingung des Heils galt.

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tyrern unter Decius· und Diokletian würdig an. Aber sdion zu Wulfilas Lebzeiten beginnen politische Erwägungen und Absichten auf den Vorgang der Gotenbekehrung Einfluß zu gewinnen. Daß Fritigerns Bekehrung mit der Waffen­ hilfe, die er vom Kaiser Valens gegen Athanarich erbat, ursächlich zusammenhängt, darf als sicher gelten. Ob er bloß dem römischen Herrscher zuliebe den Glauben wech­ selte — wie Sokrates zu verstehen gibt — oder ob er sich des Beistandes der göttlichen Macht, die im Bunde mit den römischen Waffen war, versichern wollte, ist schwer aus­ zumachen. Jedenfalls hatte, nachdem er mit römischer Hilfe in seine Heimat zurückgekehrt war, der christliche Glaube, wie Heinrich Rückert es treffend ausdrückt, jetzt „auch eine politische Existenz in der Mitte eines deutschen (d. h. germanischen) Volkes gewonnen“ 2. Unter denen, die seinem Beispiel folgten, sei es sofort, sei es nach dem Übergang über die Donau im Jahre 376, waren gewiß nicht wenige, die dazu durch die aus der politischen Lage sich ergebenden Momente bestimmt wurden, so daß hier von jener inneren Umwandlung, die die ersten Gotenbekehrungen kennzeich­ net, schon nicht mehr die Rede ist. Dieser Prozeß setzt sich dann durch die ganze germanische Bekehrungsgeschichte hindurch in verschiedenen Abwandlungen fort. Auf die Frage, wie die übrigen ostgermanischen Stämme zum Christentum gekommen sind, verweigern die Quellen uns leider die Auskunft. Ohne Zweifel hat die Missions­ tätigkeit der westgotischen, auf Wulfila zurückgehenden und von seinem Missionsgeist erfüllten Kirche daran Anteil gehabt; sie ist uns in einzelnen, allerdings wenigen Fällen auch direkt bezeugt. Mit ihr allein aber den großen Prozeß der Christianisierung aller auf römischem Reichsboden wan­ dernden, siedelnden und Reiche gründenden Völker — den2 2 Kulturgeschichte des deutschen Volkes in der Zeit des Über­ ganges aus dem Heidentum ins Christentum, I. Teil 1853, S. 208.

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ostgermanischen schließen sich auch die westgermanischen Sueben und Langobarden an — zu erklären, scheint mir un­ möglich. Daß einige Stämme — wie die Ostgoten und die Gepiden — offenbar schon vor ihrem Übertritt ins römische Reich christlich geworden sind, schließt zwar nicht aus, daß westgotische Missionare unter ihnen tätig gewesen sind. Jordanes behauptet dies bekanntlich. Aber auch wenn seine Angabe auf wirklicher Überlieferung beruht und nicht eine bloße Vermutung ist3, werden wir sie nicht ohne weiteres verallgemeinern dürfen. Während alle Nachrichten für die von Wulfila geführten Westgoten, die später sogenannten „Kleingoten“, christlichen Geist und christliches Leben be­ zeugen, macht das Christentum der später bekehrten Stäm­ me z. T. einen sehr fragwürdigen Eindruck. Heidnische Sitten und Anschauungen herrschten unter ihnen noch vielfach fort und mischten sich mit christlichen Formen und Vorstellungen. Lebensführung und Haltung der Christen unterschied sich weithin nur wenig von der der Heiden; hier ist von Früch­ ten echter Mission kaum etwas zu spüren. Gerade auch der Umstand, daß das Heidentum bei diesen Völkern z. T. noch lange fortbestand, muß zu denken geben. Ihr Christentum hatte offenbar nicht die Kraft, die heidnische Religion unter den eigenen Landsleuten zu überwinden. Es kann auch aus diesem Grunde mit dem der Wulfilaschen Kleingoten nicht auf eine Stufe gestellt werden. Um so mehr muß es auf­ fallen, daß das Gros dieser Stämme so plötzlich und wider­ standslos den Übergang zu der neuen Religion vollzogen hat. Wenn man bedenkt, wie langsam später bei den westund nordgermanischen Stämmen die Mission vorangekom­ men ist, wenn diese auf sich allein angewiesen war, fällt es schwer zu glauben, daß der Geist so kriegerischer Völker wie der Goten, Gepiden und Wandalen sich dem Evan­ gelium durch die bloße Verkündigung so schnell erschlossen 8 Vgl. Heinrich Rückert, a. a. O. S. 225. 11

haben soll. Es ist auch von vornherein nicht wahrscheinlich, daß die politischen Gesichtspunkte, die sich schon bei der Bekehrung der Westgoten geltend machten, bei den andern Völkern keine Rolle gespielt haben sollen. Zwar war die Lage in dem Augenblick, wo sie ins römische Reich eintraten, nicht bei allen die gleiche; für alle aber war dieser Schritt doch von folgenschwerer Bedeutung. Auch für die Frage, wie ihr überraschend schneller Glaubenswechsel zu erklären ist, kann der Vorgang ihrer Eingliederung ins römische Reich nicht außer Betracht gelassen werden. Man hört oft das Argument: sie seien den Römern als Sieger entgegengetre­ ten, niemand habe die Macht besessen, ihnen Bedingungen vorzuschreiben, also sei ihr Übertritt zum Christentum allein der Werbekraft des christlichen Glaubens zuzuschrei­ ben. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Zunächst haben weder die Goten noch die andern Völker daran gedacht, sich das Reich zu unterwerfen und die Römer zu vernichten oder zu versklaven. In der Verfassung, in der sie sich an­ fangs zumeist befanden, wären sie dazu auch nicht im­ stande gewesen; denn von geschlossenen Völkerschaften mit umfassender politischer und militärischer Organisation war anfangs noch kaum die Rede. Oft waren es mehr oder minder lose Scharen und Heerhaufen, die den Übertritt vollzogen. In den Wirren des 4. und 5. Jhs. hat sich das Band staatlicher Ordnung bei vielen Völkern noch mehr gelockert, und die einzelnen Volksteile haben nicht selten gegeneinander gekämpft. Ganze Kontingente haben ihre Kraft im römischen Solddienst verbraucht. Erst Führerge­ stalten wie Alarich und Theoderich ist es dann gelungen, die zerstreuten Glieder wieder zu sammeln und zur Einheit zusammenzuschließen. Sie haben dadurch diese Völker erst zu politischem Handeln befähigt. Anfangs fehlten ihnen dazu die Voraussetzungen. Auch war ihr Wille zunächst gar nicht auf eine Eroberung gerichtet. Wohl haben sie von An­ fang an eine dauernde Besitzergreifung römischen Bodens 12

im Auge gehabt, aber sie suchten neben und unter den Rö­ mern eine gesicherte und gleichberechtigte Existenz. Dieses Ziel haben sie teils auf friedlichem Wege, durch Verhand­ lungen, teils mit Waffengewalt zu erreichen gesucht. Ob aber ganze Völker oder einzelne Scharen die Grenzen überschrit­ ten, ob ein kriegerischer Einfall voraufging oder nicht, schließlich erfolgte die Aufnahme ins Reich fast immer auf Grund eines Vertrages mit dem Kaiser. Die Bedingungen waren je nach den Verhältnissen verschieden; einige leisteten Abgaben, meistens verpflichteten sie sich den Römern — als foederati — zur Stellung eines Truppenkontingents; dafür erhielten sie Siedlungsland oder Subsidien, in der Regel bei­ des, zugesichert. Kurzum: die Germanen kamen ins römi­ sche Reich als Heischende, als Fordernde, oft genug als Bit­ tende; sie waren die Nehmenden, die Römer die Gebenden. Auch nach der Bildung eigener Reiche haben die Herrscher der Gotenvölker die Ansprüche ihrer Stellung aus den Ver­ trägen mit dem Kaiser abgeleitet, haben seine Oberhoheit anerkannt und sich in ihrem Herrschaftsgebiet de iure als seine Statthalter betrachtet. Das Gefühl, als Eindringlinge im fremden Lande, unter einem fremden Volke zu wohnen, hat die Germanen unter diesen Verhältnissen nie verlassen. Sie waren peregrini — in politischer und rechtlicher Bezie­ hung. Dazu kam der Eindruck der von der ihrigen grund­ verschiedenen, ihnen wesensfremden, aber doch in vielem überlegenen römischen Kultur. Das alles mußte ihr nationa­ les Bewußtsein in der Tiefe angreifen und umwandeln. Auch ihre Religion konnte davon nicht unberührt bleiben — ist doch eine heidnische Religion in gewissem Sinne immer auch Ausdruck des Nationalgefühls. Es kam freilich hinzu, daß sie schon längst in ihren Grundfesten erschüttert war. Die Loslösung von dem heimatlichen Boden, die lange Wande­ rungszeit und die Berührung mit den östlichen und südlichen Kulturen hatten die alten religiösen Bindungen gelockert und entkräftet. Um so weniger konnten die die Grenzen 13

überschreitenden jungen Völker sich dem machtvollen An­ spruch des Christentums, das ihnen zuerst als die Religion des Imperators, später als die anerkannte Religion des römischen Reiches entgegentrat, entziehen; es mußte ihnen, nachdem sie selbst in dieses Reich eingefügt waren, so oder so zum Schicksal werden. Die Götter, denen sie bisher ver­ traut hatten, waren die Götter der sich selbst genügenden, in sich abgeschlossenen völkischen Existenz, aus der sie jetzt heraustraten, um — wenn auch zunächst noch unbewußt — die ihnen zufallende geschichtliche Aufgabe zu übernehmen. Diese Götter hatten in der neuen Welt kein Herrschafts­ recht mehr; sie mußten dem neuen Gott in dem Augenblicke weichen, wo sich das Schicksal der Germanen mit der Ge­ schichte des Reiches verband. Vor ein besonderes Problem, das von dem der Christiani­ sierung zu trennen ist, stellt uns der germanische Arianis­ mus. Auch hier sind wieder mehrere Fragen zu unter­ scheiden. Es herrscht wohl im allgemeinen Einmütigkeit darüber, daß es der Zufall der geschichtlichen Stunde war, der die Westgoten Arianer werden ließ. Bis zum Tode des Kaisers Valens genoß der Arianismus im oströmischen Reich offizielle Geltung; die Vertreter dieser Partei saßen im Orient in den wichtigsten Stellungen; Konstantinopel war 380, als Theodosius den arianischen Bischof absetzte, fast ganz arianisch. Wulfila hatte sich auf der antiochenischen Synode von 341 der Lehre des Eusebius, der ihn zum Bischof weihte, angeschlossen. Diese wich zwar in wesentlichen Punkten von dem Bekenntnis des Arius ab, leugnete aber das Dogma von der Wesenseinheit von Gott und Christus und schied sich dadurch von dem orthodoxen Athanasianismus als „arianische“ Ketzerei. Fritigern nahm mit den Seinen 369 den arianischen Glauben, den sein Protektor, der Kaiser Valens, vertrat, an, und seinem Beispiel folgte die Masse der Westgoten, die vor und nach dem Übertritt ins römische Reich (376) christlich wurden; an ihrer Bekeh­ 14

rung hatte vielleicht Wulfila noch unmittelbaren Anteil. Gewiß hat die so hergestellte Verbindung zum Arianismus sich mit dem Schwergewicht der Tradition auf die folgen­ den Generationen ausgewirkt; und diese Tradition hat auch die übrigen Stämme, die in der Folge zum Christentum übertraten, in ihren Bann gezogen. Dazu kam die Tätigkeit der westgotischen Missionare, die die Saat des Arianismus bis zu den Westgermanen getragen haben. Gleichwohl aber bleibt die Frage: Warum haben die Westgoten am Arianis­ mus festgehalten und haben die am Ende des 4. und 5. Jhs. übertretenden Stämme sich ihnen angeschlossen, nachdem die Kirche und das Reich sich endgültig gegen diese Kon­ fession entschieden hatten? Warum haben sich die Germanen der von Theodosius und seinen Nachfolgern herbeigeführ­ ten kirchlichen Einigung verschlossen? Das läßt sich wieder mit der wulfilanischen Tradition und der Mission der Klein­ goten allein nicht erklären. Die Situation hatte sich seit 381 doch völlig verändert. Hier müssen tiefere Gründe Vorgelegen haben. Sind sie vielleicht in einer Vorliebe der Germanen für die arianische Lehre zu suchen? Das ist eine verlockende Annahme; sie hat früher und auch neuerdings wieder lebhafte Fürsprecher gefunden. Herwegen meinte das Wesen der germanischen Geistigkeit im Gegensatz zur griechischen dahin bestimmen zu können, daß für sie das Nahe und Greifbare die größte Wirklichkeit besessen habe4*, und daraus haben er und andere mit ihm geschlossen, daß die einseitige Betonung der Menschheit Christi und die Lehre von der Unterordnung des Sohnes unter den Vater ihnen besonders zugesagt habe6. Diese Auffassung übersieht aber, daß Wulfila die Geschöpflichkeit Christi und damit 4 D. Dr. Ildefons Herwegen, Antike, Germanentum und Chri­ stentum, S. 26. 6 So z. B. H elm ut Lother, Die Christusauffassung der Ger­ manen, 1937, S. 18 f.

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seine Menschlichkeit im Gegensatz zu Arius ablehnte; für ihn war der Vater dem Sohn homoios nach der Schrift; er bekannte ihn als unigenitum solum ex solo patre, Deum ex Deo. Und blickt man in die frühchristliche Literatur der West- und Nordgermanen, so tritt uns auch hier eine Auf­ fassung entgegen, für die nicht die Menschheit, sondern gerade die Gottheit Christi im Vordergründe steht, die man daher eher als doketisch bezeichnen muß. Christus ist im Heliand, in der angelsächsischen Dichtung und im Norden vor allem der Schöpfer und der Herr der Welt®, der Him­ melskönig, der All walten de und Mächtige; sein menschliches Leben und Leiden tritt dahinter ganz zurück7. Auch daß das germanische Vater-Sohn-Verhältnis für die wulfilanische Christologie bestimmend gewesen sei, wie K. D. Schmidt nach dem Vorgang Helfferichs vermutet8, findet in den Quellen keine Stütze. Nirgends ist auf die Sohnschaft Christi 1 Rikr Kristr skôp alla ver old (der mächtige Christ schuf die ganze Welt), singt der isländische Skalde Skapti Thoroddsson (Finnur Jónsson, Skjaldedigtning B I, S. 291). 7 Georg Baesecke, Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums I, S. 160, scheint zu meinen, daß der Arianismus auf die Christusauffassung der germanischen und deutschen Dichtung eingewirkt habe. Das ist jedoch völlig unhaltbar. Wenn er schreibt: „Erst jene Lösung Christi von G ott macht ihn zum Täter seiner Taten, zum Leider seiner Leiden, zu einem über­ menschlich-menschlichen Helden, der kämpft, im Kampfe sich selbst überwindet und vollendet, wie nur ein Held unserer epischen Lieder“, so sind darin die Voraussetzungen ebenso ver­ kehrt wie die Folgerungen. Statt von einer Lösung von G ott muß man vielmehr von einem Aufgehen Christi in G ott sprechen; auch sein Kämpfen und Leiden ist göttliches Tun; von einer Selbstüberwindung und gar von einer Selbst Vollendung im Sinne menschlichen Heldentums kann überhaupt nicht gesprochen werden. 8 K. D. Schmidt, Die Bekehrung der Germanen zum Christen­ tum Bd. I, S. 275.

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ein besonderer Ton gelegt; vielmehr wird seine Herrschaft überall in einer Weise hervorgehoben, daß sie die H err­ schaft Gottvaters fast ganz verdeckt. Es ist übrigens bezeich­ nend, daß andere aus dem Bekenntnis Wulfilas eine von jenen Thesen ganz abweichende, ja ihr entgegengesetzte Folgerung gezogen haben. So möchte z. B. Giesecke gerade in der Transzendenz und Unfaßbarkeit Gottes das eigent­ liche Anliegen des germanischen Arianismus sehen; sie habe — wie er im Hinblick auf das 9. Kapitel der Germania des Tacitus meint — der germanischen Gottesauffassung ent­ sprochen9. Das zeigt schon, wie willkürlich alle solche Schlüsse sind. Die eine Annahme ist wahrscheinlich sowenig berechtigt wie die andere. Man soll nicht vergessen, daß die arianische Lehre ja nicht germanischer, sondern klein­ asiatisch-griechischer Provenienz ist. Und wenn Wulfila selbst — der übrigens nur Halbgermane war — an den theologischen Auseinandersetzungen der Zeit äußeren und inneren Anteil nahm, so bildete er in dieser Beziehung eine große Ausnahme. Von den übrigen Germanen, die im Laufe des 4. Jhs. und später zum Christentum übertraten, ist nicht anzunehmen, daß sie für die christologische Frage viel In­ teresse oder auch nur Verständnis aufbrachten; dazu fehlten bei ihnen schon die sprachlichen Voraussetzungen. Nein, daß der Arianismus — wie gesagt, in einer von der Lehre des Arius sehr abweichenden Form — die lex gotica wurde, das beruhte nicht auf einer inneren Verwandtschaft zwischen ihm und der germanischen Denk- und Glaubensart; für diese war auch das Wesen der Gottheit, wie wir noch sehen werden, gar keine zentrale Frage. Der Grund lag überhaupt nicht auf dogmatischem, sondern auf politischem Gebiet. Die Tatsache, daß seit dem Übertritt der Westgoten im Jahre 376 die Aufnahme der ostgermanischen Völker in den 9 Hans Eberhardt Giesecke, Die Ostgermanen und der Arianis­ mus, 1934, S. 57 f.

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Reichs verband ohne Auflösung ihres National verbandes erfolgte10, war auch in dieser Beziehung von weitreichenden böigen. Sic isolierte den Stamm politisch, aber auch kirchlich von den Römern. Die Entwicklung der Verhältnisse ver­ tiefte dann den Gegensatz zu diesen. Die Goten — West­ goten wie Ostgoten — wurden es müde, sich im Dienst der römischen Sache verbrauchen zu lassen. Der Nationalgedanke wuchs und führte schließlich zum Zusammenschluß der zer­ streuten Stammesgruppen. Je weiter diese Entwicklung fortschritt, desto mehr mußte den Germanen die ohne ihr Zutun in der Kirche entstandene Spaltung als eine natürliche und willkommene erscheinen. Das Reich selbst hatte sich durch den Übergang zum athanasianischen Dogma konfes­ sionell von ihnen geschieden. Es hat auch nur schwache Ver­ suche gemacht, sie in die kirchliche Einigung einzubeziehen. Sie zum Anschluß zu zwingen, lag nicht im Bereich der kaiserlichen Macht. Es wäre außerdem auch schwer gewesen, in die kirchliche Reichsorganisation, in der kirchliche und bürgerliche Gemeinde, kirchliche und städtische Diözese zu­ sammenfielen, die germanischen Militärgemeinden einzuglie­ dern. Diese selbst aber hatten keinen Anlaß, den Ruf nach kirchlicher Einigung auf sich zu beziehen. Die Verbindung der katholischen Kirche mit dem römischen Staat übertrug den Gegensatz, in den ihr Nationalgefühl sie zu diesem stellte, folgerichtig auf ihr Verhältnis zur Kirche. Sollten sie sich in Abhängigkeit von der unter der Leitung des Kaisers stehenden Reichskirche bringen? Auch ohne die kon­ fessionelle Scheidung drängte hier alles zu einer kirchlichen Trennung hin. Dazu kam — und dies ist ein zweites gewich­ tiges Moment —, daß auch das Verständnis der Kirche bei ihnen von vornherein ein anderes war als bei den Römern. Denn ihre Hinwendung zum Christentum bedeutete nicht 10 Hans von Schubert, Staat und Kirche in den arianischen Königreichen und im Reiche Chlodwigs, 1912, S. 44.

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ohne weiteres auch ein Ja zum Wesen der katholischen Kirche. Alles spricht dafür, daß die Germanen von Anfang an einen eigenen, stark national gefärbten Kirchenbegriff bei sich entwickelten; er wurde bestimmt durch das Verhältnis der Korrelation, in dem nach ihrer Auffassung die politische und die religiöse Ordnung zueinander standen. Die Religion war an den staatlich organisierten Verband, den Stamm oder das Volk gebunden. Den Führern der politischen Ein­ heit lag auch die Pflege des öffentlichen Kultes ob11. Das Bewußtsein einer die Stammesgrenzen überschreitenden religiösen Zusammengehörigkeit, wie es den Katholizismus beherrschte, konnte sich darum bei ihnen nur schwach ent­ wickeln, was einer Verbindung mit dem Gesamtkörper der Kirche entgegenwirken mußte. Die in den einzelnen Völkern sich bildende kirchliche Organisation wurde von vornherein eng an das völkische Leben und seine Ordnungen ange­ schlossen. Die Ausbildung einer solchen eigenen Kirchenform mußte dann noch mehr gefördert werden, als die Stämme sich um die Jahrhundertwende wieder auf die Wanderung begaben. Bei dem wandernden und kämpfenden Volke war, wie Hans von Schubert sagt, ein geordnetes Religionswesen überhaupt nur denkbar im engsten Anschluß an die im Leben des Stammes selbst liegenden Formen und Kräfte. Während das Reich mit dem Christentum um seines über­ nationalen Charakters willen den Bund einging, fügte der germanische Staatsverband die Kirche dem völkischen Leben ein und drückte ihr einen nationalen Stempel auf. Es war, 11 Daß auf die Ausbildung des germanischen Staatskirchentums die Stellung, die der germanische Herrscher in der heidnischen Zeit in Sachen der Religion und des Kultes hatte, eingewirkt habe, haben Hans v. Schubert (Staat und Kirche in den arianisdien Königreichen und im Staate Chlodwigs, S. 69) und Karl Voigt (Staat und Kirche von Konstantin dem Großen bis zum Ende der Karolingerzeit, S. 118) vermutet.

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geschichtlich betrachtet, ein Zufall, daß diese kirchliche Son­ derbildung mit einer konfessionellen Absonderung zusam­ menfiel; aber sie hat diese natürlich vertieft und zu einem bewußten Glaubensgegensatz ausgeweitet. — Welchen Anteil die ostgermanischen Führer und Könige an der Bekehrung ihrer Volker gehabt haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Nur bei Fritigern ist deutlich, daß sein Übertritt den eines großen Teiles der Westgoten nach sich zog. Für die west- und nordgermanischen Stämme sehen wir in dieser Beziehung klarer; bei ihnen ist die Christianisie­ rung — von Ausnahmen abgesehen — den Weg von oben nach unten, von den Führern zu den Völkern gegangen. Die Kirche selbst hat diesen Weg für den günstigsten gehalten, und sie hat ihn selten ohne Erfolg beschritten. Im Hinblick auf die Mission des Urchristentums muß dieses Verfahren verwundern. Worin lag es begründet? Die Bedeutung des Königtums für die Bekehrung der Germanenvölker darf gewiß nicht überschätzt werden. Sie aber, wie man das neuerdings versucht h a t12, zu bestreiten oder doch auf ein Minimum herabzudrücken, geht schwerlich an. Gewiß, es ist bei diesen Völkern auch echte Mission getrieben worden. Sowohl in den angelsächsischen Reichen wie unter den Friesen und Sachsen, bei den Alemannen, Thüringern und Hessen haben Missionare in schwerer und aufopfernder Arbeit für die Sache des Evangeliums gewirkt, ehe die H err­ scher den entscheidenden Schritt vollzogen, den die Kirchen­ geschichte als den offiziellen Übertritt dieser Stämme zum Christentum zu verzeichnen pflegt. Auch darf man nicht meinen, daß die Könige und Häuptlinge, nachdem sie für das Christentum gewonnen waren, ihren Völkern die neue Religion aufgezwungen oder sich selbst für die Mission aktiv eingesetzt hätten. Das haben nur die beiden Olafs in 12 Vgl. Hans Kuhn, König und Volk in der Germanenbekeh­ rung, Zeitsdir. f. deutsches Altertum Bd. 77 (1940), S. 1 ff.

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Norwegen getan; im übrigen ist nur in ganz vereinzelten Fällen, z. B. im Frankenreich, Gewalt angewendet worden. Kuhn hat mit Recht betont, daß die Könige im allgemeinen weder die Befugnis noch die tatsächliche Macht besaßen, um in Sachen der Religion einen Zwang auf ihr Volk auszu­ üben. Nach der in den Grundzügen demokratischen Ver­ fassung der germanischen Stämme lag die Entscheidung in allen wichtigen politischen Fragen nicht beim König, son­ dern beim Thing, der Versammlung der freien, waffenfähigen Männer; wir sehen denn auch, daß überall die Könige die Frage der Annahme des neuen Glaubens seinem Votum unterwerfen13. Darin, daß das Thing über diese Frage ent­ schied und die Könige meist auch ihren eigenen Übertritt von dieser Entscheidung abhängig machten, zeigt sich in­ dessen schon, daß man sie als politische Frage betrachtete. Das hatte seinen tieferen Grund darin, daß auch die Reli­ gion ein Politikum, eine res publica war; die Thinggemeinde fiel mit der Kultgemeinde zusammen. Als Kultgemeinde hatte das Thing auch über die sacra zu entscheiden. Der Zu­ sammenhang der politischen mit der religiösen Ordnung mußte aber dem Glaubenswechsel der Könige ganz von selbst eine nicht geringe öffentliche Bedeutung verleihen. Sie haben auch diesen Schritt nie als ihre Privatangelegenheit betrachtet, sondern das Für und Wider vorher stets eingehend mit ihren Ratgebern und den Großen ihres Volkes erwogen. Der sakrale Charakter des germanischen Königtums ist umstritten; es ist aber wahrscheinlich, daß zum mindesten in den Stämmen mit alter Königsverfassung das Königtum als sakrale Institution galt und dem Inhaber des Thrones auch eine führende Stellung im Kult zukam. In diesem Falle 13 So Chlodwig (Gregor v. Tours, Hist. Franc, lib. II., c. 31), der northumbrische König Edwin (Beda, Hist. eccl. gentis Angl, lib. IL, c. 13), der schwedische König Olaf (Vita Anskarii c. 26) und andere.

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mußte sein Obertritt zu dem neuen Glauben sich auf die religiösen Verhältnisse unmittelbar auswirken. Bei vielen germanischen Völkern freilich war das Königtum in den Zeiten ihrer Bekehrung im wesentlichen ein Heerkönigtum, ohne sakrale Grundlage. Hier fiel das religiöse Motiv wohl weg; andererseits hat die Beliebtheit, deren sich ein sieg­ reicher Herrscher bei seinen Kriegern erfreute, denen er Ruhm und Beute verschaffte, ihm auch bei einem Schritte, wie es der Glaubens Wechsel war, eine große Gefolgschaft gesichert. Im Falle Chlodwigs ist das nach dem Berichte Gregors von Tours14 zweifellos der Fall gewesen. Mag auch die Treuepflicht ihre Grenzen gehabt haben — daß sie in der Germanenbekehrung ein gewichtiges Motiv war, läßt sich durch zahlreiche Beispiele belegen. Oft spielten gewiß auch weniger ideale Beweggründe mit: man wollte sich die Gunst des Königs erwerben oder erhalten, um durch sie bestimmte Vorteile politischer oder materieller Art zu erlangen. Das zeigt aber wiederum, daß den Königen ihre Stellung man­ cherlei Mittel an die Hand gab, um ihren Willen auch in den Fragen des Glaubenswechsels durchzusetzen. Im übrigen dürfen wir bei der Frage nach der religiösen Bedeutung des politischen Führeramtes nicht bloß an die Großkönige der frühmittelalterlichen Völker und Reiche denken. Dieses Königtum war in vielen Fällen erst jung. In allen germanischen Völkerschaften aber, sowohl in denen mit Königs- wie in denen mit Prinzipatsverfassung, gab es von jeher die sogenannten Kleinkönige, die an der Spitze der kleineren politischen Einheiten standen, wie in Norwe­ gen die fylkiskonungar oder hersir; sie entsprechen den principes regionum oder paganorum, von denen Caesar im „Bellum gallicum“ spricht. In den Händen dieser Häupt­ linge, die die Zentralbeamten der betreffenden Landschaft waren, lag in der Regel auch die Leitung des mit dem 14 Hist. Franc, lib. II, c. 31. 22

Staatswesen eng verbundenen öffentlichen Kultes. Das Hauptheiligtum des Gaues stand meist im Eigentum der führenden Familie; der Kleinkönig leitete die gemeinschaft­ lichen Opfer und zog die Tempelabgaben ein. Durch die Beziehung dieser Häuptlinge zum Kultwesen, auf der nicht zuletzt die Autorität ihrer Stellung beruhte, war ihr In­ teresse eng an das Fortbestehen der alten Religion geknüpft, was sie notwendig in Gegensatz zu etwaigen Christianisie­ rungsbestrebungen des Großkönigs bringen mußte. Der Widerstand, den die norwegischen Jarle und Hersen Hakon dem Guten und den beiden Olafs leisteten, hat hierin seine Wurzel. Aber die Großen haben doch nicht immer diese Haltung eingenommen; es gab Gründe genug, die einzelnen ein Entgegenkommen gegen die Wünsche des Königs geraten erscheinen ließen. Auch anfänglich Widerstrebende haben später eingelenkt. Die Könige haben ihrerseits kein Mittel unversucht gelassen; sie haben mit Überredung, mit Ver­ sprechungen und Drohungen gearbeitet, um die Führenden zu gewinnen. Sie wußten, warum sie sich so bemühten. Wenn der Widerstand der Häuptlinge gebrochen und sie für den neuen Glauben gewonnen waren, mußte das gerade wegen der Stellung, die sie im Kultwesen einnahmen, außer­ ordentlich viel bedeuten. Wir hören selten, daß die Bauern darnach dem König noch ernstliche Schwierigkeiten bereitet hätten, mochten sie für sich auch noch an den alten Kulten festhalten. So hat sich in vielen Fällen der neue Glaube gerade durch die Zustimmung des Adels durchgesetzt. Da­ hinter aber stand der Wille des Herrschers. So führt jede Betrachtung zu dem Ergebnis, daß dem Übertritt des Königs in der germanischen Welt entscheidende Bedeutung zu­ kommt. Er ist niemals bloß „Episode“ gewesen. Mag es oft auch noch Jahrzehnte, in einzelnen abgelegenen Gegenden noch ein Jahrhundert oder länger gedauert haben, bis das ganze Volk für das Christentum gewonnen war: es war das dann doch immer nur eine Frage der Zeit; die Entscheidung 23

über die zukünftige Religion des Volkes war mit dem Über­ tritt der Herrschenden gefallen. Vor allem hatte von da an die Mission in dem betreffenden Lande meist freie Hand, und es hing wesentlich von ihrem Einsatz und ihrem Ge­ schick ab, wie lange es bis zur endgültigen Christianisierung des Volkes noch dauerte. Aber es hing freilich nicht allein davon ab. In dem langen und schweren Ringen zwischen Heidentum und Christentum, als das die Germanenbekehrung sich uns dar­ stellt, ist die Mission ja nur die eine Partei gewesen. Wir dürfen über ihrer Arbeit die Gegenseite nicht vergessen: die Widerstandskraft, die das germanische Heidentum gegen den Angriff der Kirche aufzubringen hatte, war ein für den Fortschritt der Bekehrung nicht minder wichtiger Faktor. Anders als die griechische ist die germanische Religion als Volksreligion in den Kampf gegen die Weltreligion des Christentums eingetreten; darum hat sich die Auseinander­ setzung mit ihr unter anderen Bedingungen vollzogen als die Mission in den ersten drei Jahrhunderten im Römerreich. Dort hatten die Mysterienkulte und die hellenistische Phi­ losophie dem Christentum den Weg bereitet. Etwas Ent­ sprechendes gab es in der germanischen Welt nicht. Zwar war die alte Religion nicht mehr bei allen germanischen Stämmen intakt, aber es ist unberechtigt, gewisse Erschei­ nungen, wie sie uns in der nordischen Religion der Spätzeit entgegentreten, zu verallgemeinern und es so hinzustellen, als ob die Religion der Germanen, als diese dem Christen­ tum begegneten, schon in voller Auflösung gewesen sei. Hier besteht vor allem zwischen den seßhaften und den Wanderstämmen ein großer Unterschied. Sosehr wir für die Ostgermanen die zerstörenden Einflüsse der Fremde in Rechnung stellen müssen: bei den west- und nordgermani­ schen Völkern, die in ihren Sitzen verblieben waren oder — wie die Franken — doch den Zusammenhang mit dem Mutterland bewahrten, lagen die Verhältnisse wesentlich 24

anders. Hier strömten der alten Religion aus dem heimat­ lichen Boden, in dem sie wurzelte, immer neue Kraft zu; das Christentum stieß auf einen noch ungeschwäditen Geg­ ner, und es hat — wie in Friesland oder in Schweden — Jahrhunderte gedauert, bis es mit ihm fertig wurde. Diese Widerstandskraft der heidnischen Religion ist natür­ lich auf die Aufnahme des neuen Glaubens nicht ohne Ein­ fluß geblieben. Im skandinavischen Norden sowohl wie in Deutschland ist das Christentum vielfadi zu Zugeständnis­ sen gezwungen worden, und so hat sich in jenen Übergangs­ zeiten ein germanisch-christlicher Synkretismus entwickelt, der zwar z. T. später wieder überwunden wurde, teilweise aber sich konsolidierte und eine weitgehende Germanisierung des Christentums zur Folge hatte. Fragt man nach der inneren Aneignung des Christentums, so wird es gerade darauf ankommen, Art und Umfang dieses Vermischungs­ und Umformungsprozesses festzustellen. Es ergibt sich aus dem Gesagten, daß wir bei dieser Frage immer beide Seiten ins Auge fassen müssen: das Vorgehen der Mission, ihre Methoden, Art und Inhalt der Verkündi­ gung, und die Reaktion auf seiten der Germanen, die durch ihre eigene Religiosität bestimmt wurde. Leider ist es nur wenig, was wir über die Missionspraxis der Kirche und die Art der Verkündigung erfahren; die Bekehrerviten geben darüber ebensowenig Auskunft wie die nordischen Berichte; mit am aufschlußreichsten sind noch die Briefe, die die Päpste an die Missionare und die germanischen Könige gerichtet haben. Nimmt man die zerstreuten Angaben zusammen, so tritt eins mit ziemlicher Deutlichkeit heraus: daß nämlich in der Verkündigung der erste Artikel, d. h. die Predigt von dem allmächtigen Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erden, ganz im Vordergründe stand; die Macht und H err­ lichkeit des einen Gottes wird der Nichtigkeit und Ohn­ macht der heidnischen Götter entgegengestellt. Damit ver­ band sich die Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen 25

und von Gottes Riditeramt, vom Jüngsten Gericht, das die Ungläubigen in die Hölle verdammt, und den Freuden des Himmelreichs, die denen zuteil werden, die die Lehren der Kirche annehmen und ihre Gebote befolgen. Hinter diesen Lehrpunkten tritt die Verkündigung von Christus als dem Erlöser und seinem Kreuzestod ganz zurück. Man wird darin nicht nur eine missionarische Anpassung zu sehen haben — natürlich fehlten bei den Germanen für das Ver­ ständnis der Erlösung zunächst die Voraussetzungen —, sondern es ergàkrich das einfach aus der inzwischen ausge­ bildeten Lehre von der Kirche. Allein schon durch die Zugehörigkeit zu ihr und den Gehorsam gegen ihre Gesetze war ja dem Gläubigen das Heil verbürgt; auch die Gnaden­ wirkung des Opfertodes Christi wurde ihm durch die von der Kirche verwalteten Sakramente zuteil. Zugrunde liegt der Verkündigung in der Germanenbekehrung die Theologie Augustins, aber in der vergröberten Form, die sie durch Gregor I. erhalten hatte. Der Einfluß dieses Papstes, des Urhebers der westgermanischen (und indirekt auch der nordischen) Mission, kann gar nicht hoch genug angeschlagen werden. Man begegnet ihm auf Schritt und Tritt; es ist be­ zeichnend, daß Papst Honorius in seinen Briefen an Edwin von Northumbrien (Beda II, 17) und an den Bischof Honorius (Beda II, 18) beide Empfänger auf die Schriften des heiligen Gregor verweist. In der Theologie Gregors nimmt der Tod Christi bekanntlich nur eine periphere Stellung ein; er weiß eigentlich nichts Rechtes mit ihm anzu­ fangen. Unter der Erlösung versteht er vor allem die Erlö­ sung aus der Gewalt des Teufels und der Sünde. Es findet sich der Gedanke, daß dem Teufel die Menschen, auf die er durch den Sündenfall ein Recht erlangt hatte, durch Christi Tod abgekauft wurden. Das Hauptgewicht aber wird auf das Leben Jesu, vor allem seine Lehre und sein Beispiel, gelegt. Durch Lehre und Beispiel befreit Christus die Men­ schen von der Blindheit und Unwissenheit des Geistes und 26

öffnet ihnen den Blick für ihre Sündhaftigkeit und für das himmlische Vaterland, dem sie sich entfremdet hatten15. Das ist im wesentlichen die Lehre der Kirche, wie sie uns in den missionarischen Urkunden, aber auch noch in Werken der christlichen Frühzeit in Deutschland und England, in denen die Verkündigung der Missionszeit gleichsam nach­ hallt, entgegentritt. Man wird nun zunächst fragen: Wie haben die Germanen auf diese Lehre reagiert? Wie haben sie die Verkündigung aufgenommen und verarbeitet? Das ist auch gewiß be­ rechtigt, nur darf man darin nicht das ganze Problem der Bekehrung, auch nicht einmal seine wichtigste Seite sehen. Die rein theologische, dogmen- oder glaubensgeschichtliche Behandlung dieser Frage führt leicht zu Kurzschlüssen, die dann ein völlig falsches Bild von dem Vorgang ergeben. Man sucht bei uns ein Bild von der Germanisierung des Christentums meist aus Werken wie dem Heliand oder den frühesten angelsächsischen Dichtungen zu gewinnen, weil man in ihnen Zeugnisse arteigener germanischer Religiosität zu haben meint. Aber das ist nur in sehr bedingtem Sinne berechtigt. Diese Werke sind nicht Schöpfungen sächsischer Volksfrömmigkeit. Es sind geistliche Dichtungen, die nicht nur biblische Stoffe zum Inhalt haben, sondern auch kirch­ liche Zwecke verfolgen und der Theologie der Zeit, deren Werke sie benutzen, Ausdruck geben. Das gilt gerade auch für den Heliand, das volkstümlichste dieser Gedichte. Wir haben in ihm das Werk eines Geistlichen, der wahrscheinlich in höherem Aufträge das Leben Jesu auf Grund der nach Tatian benannten Evangelienharmonie in seiner Mutter­ sprache und im Stil des weltlichen Epos poetisch bearbeitet hat. Es ist eine Leistung der Seelsorge, nicht die Schöpfung eines sächsischen Volkssängers, der seiner Frömmigkeit spon­ 15 Vgl. R. Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte Bd. III4, S 39 f. und 44 ff.; Lau, Gregor d. Gr. 1845, S. 429 ff. und 440 ff.

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tanen Ausdruck verleiht. Wir können aus ihm wie aus den übrigen Gedichten dieser Art viel mehr über die Theologie der Zeit, wie sie sich in den Köpfen der Weltgeistlichen ausnahm, als für die Volksfrömmigkeit lernen. Man hat seit Vilmars berühmter Heliand-Interpretation1· sich immer wieder bemüht, die altsächsische Messiade zu einem Denk­ mal deutscher Frömmigkeit zu stempeln, hat in ihr altger­ manisches Glaubensgut, deutsches Gottgefühl, nordische Schicksalsfrömmigkeit und wer weiß was alles gesucht und zu finden gemeint. Und mit der angelsächsischen Dichtung ist man ähnlich verfahren. Man hat dabei aber nicht nur alles mögliche in diese Werke hineininterpretiert, was ihren Verfassern ganz fern gelegen hat, man ist auch von falschen Vorstellungen über die Religion der alten Sachsen und die germanische Religion im allgemeinen ausgegangen. So ist z. B. das meiste, was man über den Schicksalsglauben in diesen Dichtungen geschrieben hat, unhaltbar. Wir wissen ja über den germanischen Schicksalsglauben überhaupt sehr wenig. Ob wir den Fatalismus, der uns in einigen eddischen Heldenliedern und in gewissen Sagas entgegentritt, zurück­ datieren und in ihm einen Wesenszug germanischer Fröm­ migkeit sehen dürfen, ist zum mindesten fraglich. So haben wir auch über eine Schicksalsgläubigkeit der heidnischen Sachsen keine direkten Zeugnisse; sie aus dem starren Prä­ destinationsglauben des Mönches Gottschalk zu erschließen, wie man das verschiedentlich versucht hat, geht schon des­ halb schwerlich an, weil die Haltung dieses Priesters eine vereinzelte Erscheinung ist, auch von seinen Landsleuten nicht geteilt wurde; sie findet im übrigen ihre ausreichende Begründung in der Theologie Augustins, auf den sich Gott­ schalk selbst immer wieder berufen hat; er nahm ja für seine Lehre in Anspruch, daß sie den wahren Augustin aufie A. F. C. Vilmar, Deutsche A ltertüm er im altsächsischen Heliand, Marburg 1845.

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gedeckt habe. Im Heliand selbst kann von einem wirklichen Schicksalsglauben nicht die Rede sein. Zwar findet sich eine Anzahl Ausdrücke, die man mit „Schicksal" übersetzen kann: wurd, wurdigiscapu, metod, metodogiscapu, reganogiscapu; aber sie werden entweder in objektivem Sinne ge­ braucht, bezeichnen also nur das tatsächliche Geschehen, das Schicksal, das der Mensch erleidet17, oder, sofern sie auf eine das Schicksal lenkende oder bestimmende Gewalt, eine Schicksalsmacht gehen, wird diese deutlich als Macht und Wille Gottes gekennzeichnet18; wo wurd (761, 2189, 3633), wurdegiscapu (3354), reganogiscapu (3347) oder metodigisceftie (2210) einmal subjektiv gebraucht werden, sind sie gleichbedeutend mit Todesschicksal, Tod. Einen eigentlichen, vom Gottesglauben losgelösten Schicksalsglauben bezeugt keine dieser Stellen; denn auch der Tod wird natürlich von Gott verhängt (vgl. 512). Ähnlich steht es mit dem soge­ nannten „Freundgottglauben", den man ebenfalls in den Heliand hat übertragen wollen, obgleich wir ihn nur aus Zeugnissen der Wikingerzeit kennen und uns fragen müssen, ob er nicht erst in der Übergangszeit — vielleicht sogar unter christlichen Einflüssen — als spätes Reis am Stamme der nordischen Völksreligion erwachsen ist. Abgesehen da­ von ist es schon aus methodischen Gründen nicht zulässig, das innige persönliche Verhältnis zwischen Jesus und seinen Jüngern aus dem heidnischen Fulltrui-Verhältnis abzuleiten. Als ob dieser Zug nicht in den Evangelien selbst, der Quelle des Heliand, voll und ganz enthalten wäre! Hier auf den 17 So z. B. V. 197, 1331, 2593, 3692, 4827 u. ö. 18 Entweder direkt {godes giscapu 336, 547), durch Paralleli­ sierung {tbiu wurd nâhida thuo, mâri mäht godes 5394), {lêstun thiu berhton giscapu, waldendes willion 778), durch Gleichset­ zungen wie thiu berhtun giscapu endi mäht godes 367 (vgl. 127) oder direkte Aussage wie 4778: thiu wurd is at handun that so gigangen scal so it god fader gimarcode mahtig.

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Freundgottglauben der Sachsen, von dem wir gar nichts wissen, zurückzugreifen, heißt Bekanntes mit Unbekanntem erklären wollen. Noch beliebter ist es von jeher gewesen, den im Heliand sich aussprechenden Christusglauben unter dem Gesichts­ punkt des germanisdien GefolgschaftsVerhältnisses zu be­ greifen. Darin wollten und wollen heute noch viele die Eigenart der germanischen Christusauffassung sehen: daß gegenüber „der mystisch-magischen Teilnahme an der Lebens­ kraft des Gott-Logos auf griechischem Boden und der äußer­ lich-pflichtmäßigen Befolgung der im römischen Gottesstaat geltenden Gesetze das persönliche unmittelbare Verhältnis wieder zu seinem Recht kommt unter dem Bilde des Gefolg­ schaftsverhältnisses des himmlischen Scharführers und seiner Mannen“ 19. Demgegenüber hat schon Hulda Göhler in ihrem wichtigen Aufsatz „Das Christusbild in Otfrids Evangelienbuch und im Heliand“20 geltend gemacht, daß Christus im Heliand nicht als der irdische, sondern als der himmlische König erscheint und daß die Vorstellung von Christi Königtum schon der alten Kirche durchaus geläufig war. Daß sich der Helianddichter das Königtum Christi als ein germanisches vorstellt und sein Bild mit entsprechenden Zügen ausgestaltet, ist nur selbstverständlich. Das bedeutet aber keineswegs, wie seit Vilmar immer wieder behauptet wird, daß Christus als der „Gefolgsherr“ und das Verhältnis der Menschen zu ihm unter dem Bilde des Gefolgschafts Ver­ hältnisses aufgefaßt ist. Man hat diese Ansicht einerseits mit dem Ausdruck drohtin begründet, den man mit „Gefolgs­ herr“ übersetzte, andererseits mit gewissen Heliandstellen, in denen vermeintlich ein solches Gefolgschafts Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern dargestellt werde. Nun ist zwar drohtin ein häufiges, aber keineswegs das einzige Prädikat,10 10 Lother, a. a. O. S. 40. 10 Zs. f. d. Phil. 59 (1934/35), S. 1 ff.

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mit dem Jesu Stellung zu seinen Jüngern und den Menschen überhaupt bezeichnet wird; er heißt auch kuning, hebankuning, thiod-kuning, tbiodan, hêrro, frôho usw. Im übrigen aber trifft es auch nicht zu, daß drohtin im Heliand „Gefolgsherr“ bedeute und ein Gefolgschaftsverhältnis zum Aus­ druck bringe. Das ist nicht der Sinn des Wortes; droht, ahd. druht, trübt, ags. dryht, ahn. drótt ist die Kriegerschar, drohtin, ahd. truhtin, ags. dryhten, ahn. dróttinn der Führer einer solchen Schar, also Anführer, Herzog, Heerkönig oder Kriegsherr; diese Bedeutung hat sich aber früh zu »König“, »Herrscher“, »Herr“ erweitert. In diesem Sinne ist das Wort in der ags. christlichen Dichtung (zuerst bei Kädmon) als Übersetzung von lat. dominus auf Gott angewandt und in derselben Verwendung ins Deutsche und Nordische über­ nommen worden21. Es ist auch zu beachten, daß der Dichter so gut wie ausnahmslos das Wort nur für Gott und Christus verwendet22. Für ihn hat sich offenbar die Vorstellung eines Gefolgschaftsverhältnisses überhaupt nicht mehr mit diesem Titel verbunden, was schon daraus hervorgeht, daß er ihn 81 In der liturgischen Sprache der Kirche war Deus dominus eine stehende Verbindung; ihr entspricht im Norden god dróttinn, das sich u. a. in der Olafs dräpa helga des Skalden Sigvat (ca. 1040) Str. 22 (Skjaldedigtning B. I 244) und auf einem dänischen Runenstein des 11. Jhs. (Wimmer-Jakobsen N r. 149) findet. Daß dróttinn auch sonst gern zur Übersetzung von domi­ nus verwandt wird, zeigt Kahle, Acta germanica I, S. 378. 22 Es ist kaum eine Ausnahme, wenn V. 3424 der H err des Weinbergs (im Gleichnis von den Arbeitern) als erlo drohtin bezeichnet wird, da ja G ott selbst damit gemeint ist. Wenn aber Vers 1200 der H err, dem Matthäus, bevor er Christi Ruf folgte, diente, mandrohtin genannt wird, so handelt es sich um eine Zu­ sammensetzung, die die Bedeutung des Simplex »himmlischer H err“ in gewissem Sinne bestätigt; sie steht in deutlichem Gegen­ satz zu jises drohtines (man)", V. 1198, womit wieder Christus gemeint ist.

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auch auf Gott-Vater anwendet; er verstand ihn nur noch in der allgemeinen und abgeblaßten Bedeutung „H err“. Sie allein paßt auf alle Belege, ob sie nun einer Bibelstelle mit dominus entsprechen oder freie Zutat des Dichters sind. Dieser hat gewiß nichts anderes in das Wort hineinlegen wollen, als was in lat. dominus enthalten war. Aber wird denn nicht tatsächlich das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern als das eines Gefolgsherrn zu seinen Mannen dargestellt? Auch hier muß wieder die selbstverständliche, aber nie genügend beachtete methodische Forderung erhoben werden, daß man sich nicht auf Vorgänge und Äußerungen beziehen darf, die, wie die Berufung der Jünger, die MalchusSzene, die Thomasworte oder das Gelöbnis Petri, in den Evangelien stehen. Daß Jesus sich seine Jünger erwählt, ist einfach biblisch und hat mit einem germanischen Gefolg­ schaftsverhältnis gar nichts zu tun; daß auch er von ihnen — wie ein germanischer Gefolgsherr von seinen Mannen — gewählt werde, wie man behauptet hat, trifft nicht zu23. Wenn es von einem — Matthäus — im Anschluß an Matth. 9, 9 (Luk. 5, 28) — heißt: cos im . . . Crist te herran (V. 1199), so ist das keine „Wahl“ in jenem Sinne; Christus hatte ihn vorher erwählt (V. 1190). Die Malchus-Szene hat 23 Bei Vilmar, dem H aupturheber der Gefolgschaftstheorie, ist sie z. T. auf eine falsche Interpretation der Stellen gegründet. V. 1188 ff. erklärt er so, daß die Jünger sich Krist zum H errn erwählen, „dessen Hilfe ihnen nötig war, um ihm zu dienen, wie jeder thegan und wer dieser Welt zu tun pflegt“ (a. a. O. S. 55); in Wirklichkeit steht da: so ist jedermann in dieser Welt diese Hilfe nötig! V. 1202 ff. und 1217 ff. erläutert V. (a. a. S. 56) so: „Und nun eilen von allen Burgen ringsherum, zwischen denen der König hindurchzieht, die Mannen zur Heeresgefolgschaft herbei; große Scharen aus mancherlei Stämmen kommen zusam­ men“ usw. — ein schönes Bild eines Mannen sammelnden Ge­ folgschaftsführers. Aber im Text steht nichts davon. Es heißt vielmehr, daß die Leute in den Burgen davon erfuhren, daß sich

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der Dichter mit offenbarem Behagen an dem Schwertstreich des Petrus ausgemalt, und so hat er ihm auch bei der Wie­ dergabe seines Gelöbnisses (Matth. 26, 33, Luk. 22, 33) kriegerische Gedanken untergeschoben; das beweist gewiß etwas für seine Lust am „Waffenspiel“, aber nichts für ein germanisches GefolgschaftsVerhältnis. Wenn der Dichter das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern als ein Verhältnis der Treue und Judas’ Tat als Treulosigkeit kennzeichnet, so kann man auch darin kaum eine Germanisierung sehen; es ist doch in den Evangelien der Sache nach das gleiche; Judas wird hier als Verräter gebrandmarkt, und die Jünger sind über den von Jesus geäußerten Verdacht entsetzt. Vor allem aber ist es ganz irreführend, von den Jüngern als von einer „Kriegerschar“ zu sprechen, die »sich freiwillig an ihren Gefolgsherrn binde, um auf Gedeih oder Verderb mit ihm zu stehen oder zu fallen“ 24. Man kann ihr Verhältnis zu Jesus überhaupt nicht als „Kampfgemeinschaft“ auffassen. Jesus Gefährten (Jünger) gewählt und manches Zeichen getan hatte. Als die Menschen dann von seinen Heilungswundern hör­ ten, strömte ihm viel Volks zu, einige, weil sie von ihm Speise und Trank erwarteten, andere, um ihm zu schaden, wieder andere, um seiner Lehre zu lauschen und sie zu befolgen. (Es ist die Wie­ dergabe von Matth. 4, 25.) Von einem Heeresaufgebot ist gar keine Rede. Noch irreführender ist es, wenn Vilmar (S. 56) die Verse 1272 ff. so ausdeutet, daß „die bewährten Helden“ m it ihrem H errn „den Kriegszug beraten, welcher für das gesamte Menschengeschlecht wider den bösen Feind begonnen werden soll“, während an dieser Stelle lediglich gesagt wird, daß die Jünger sich zur geheimen Unterredung um Christus versammeln, der allen Menschen, die die liebliche Lehre, die er ihnen nun zu verkünden gedachte, befolgen würden, wider den Höllenzwang helfen wolle. Also nicht ein Heerkönig, der einen Feldzug vor­ bereitet, sondern ein weiser Lehrer, der die Seelen der Menschen retten will, steht dem Dichter vor Augen. 24 Lother, a. a. O. S. 35 ; vgl. audi Arno Mulot, Frühdeutsches Christentum, 1935, S. 36 f.

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Allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz muß festge­ stellt werden, daß der Kampf kein das Christusbild des Heliand bestimmter Zug ist25. Wo kämpft Jesus, und wo kämpfen die Jünger mit ihm oder für ihn? Man kann dafür kaum etwas Positives anführen, außer der — biblischen — Maldius-Szene, und auch hier fehlt Christi strafender Befehl nicht, das Schwert in die Scheide zu stecken; ja er wird noch verschärft durch die Worte: „Wir wollen über ihren Angriff nicht erzürnen“ und: „Wir sollen dulden, was uns dies Volk Bitteres bringt“ (V. 4894 fF.). Wenn man bedenkt, daß der Kampf Christi gegen Teufel und Dämonen in der Theologie der damaligen Zeit (wie schon in der alten Kirche) eine zentrale Stellung einnahm, muß man sich wundern, daß dieser Gedanke im Heliand so wenig hervortritt. Hätte der Dichter sich wirklich, wie man von ihm glaubt, von seinem germanischen Empfinden leiten lassen, so hätte er dieses Motiv gewiß in ganz anderer Weise ausgestaltet. In Wirk­ lichkeit behandelt er es mit größter Zurückhaltung. Davon, daß der Kampf Christi mit dem Teufel, wie man wohl gemeint hat, die Sachsen am Christentum besonders ange­ zogen habe, merkt man im Heliand nichts. Eine Haupt­ schlacht im Kampf gegen den Teufel wird nach der Lehre der alten Kirche bei der Versuchung Jesu geschlagen; der Heliand nennt den Satan hier zwar fîund, gestaltet aber den Vorgang im übrigen gar nicht im Sinne eines Kampfes aus, sondern hält sich ganz an den Bibeltext. Auch vom Tode Jesu, was noch schwerer ins Gewicht fällt, redet er nicht als von einem Siege über den Teufel, wie es sogar Otfrid nach dem Vorgang der Kirchenväter tut (IV, 12, 61); 25 G. Ehrismann weist in seiner „Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters“ (Bd. I, S. 167) darauf hin, daß im Heliand Christus nicht die heldischen Attribute, von denen die mhd. Dichtung so reichen Gebrauch macht (wie z. B. der küene, der snelle, der starke) beigelegt werden.

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er sagt zwar, daß, als Christus auferstand, die Riegel von den Toren der Hölle entheftet wurden und den Menschen­ kindern das Licht erschlossen wurde (V. 5772), aber von einer Höllenfahrt des Herrn, einem Kampf mit dem Teufel und einer Überwindung desselben erwähnt er nichts, geht auffallend schnell über dieses Kernstück der alten Kirchen­ lehre hinweg. Wohl rühmt er von Christus, daß er den Seinen helfen und sie gegen den „Haß der Feinde“ (V. 52) und den „Höllenzwang“ (V. 1275) schützen, auch daß er sie aus der Hölle in den Himmel holen wolle (V. 4922); aber das ist geistlich gemeint und entspricht der kirchlichen Lehre26. Die Jünger andererseits treten nirgends als eine Gefolgschaft auf, die für ihren Herrn in den Kampf zieht; auch Thomas fordert die andern nicht auf, mit Jesus zu kämpfen, sondern mit ihm zu dulden (thuolian mid usson thiodne) und zu sterben (3996 ff.), so wie es im Evangelium steht: moriamur cum eo; nur der Gedanke an den Nach­ ruhm ist hier germanisch. Christus fordert auch nicht von den Jüngern „den Kampf gegen die Gottesfeinde“27 oder das Böse in der Welt, sondern die Befolgung seiner Lehre und den Gehorsam gegen seine Gebote. Auf diese Seite seiner Wirksamkeit wird das ganze Gewicht gelegt; fast jede Seite des Heliand legt davon Zeugnis ab; Christus ist vor allem der Lehrer; er verkündet die göttliche Wahrheit und zeigt den Jüngern, wie sie leben und handeln sollen. Dieses Lehramt ist nicht als das eines Gesetzgebers aufgefaßt und von seinem Königsamt abgeleitet, wie H. Göhler meint, 26 Böhmer verweist „Theol. Studien u. Kritiken" Jg. 1913, S. 260, für die Gedanken, daß Christus „gegen den Teufel und alle bösen Geister siegreich zu Felde zog und endlich zur Hölle selbst hinabstieg, um den Vorsprecher der Dämonen mit Feuer­ banden zu binden“, u. a. auch auf Heliand V. 50 ff., 1220 ff., 4918 ff., 5391 ff., 5769 ff.; aber in alle diese Stellen muß man jene Gedanken erst hineinlegen; es steht nichts davon da. 27 Mulot, a. a. O. S. 36.

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sondern es ist damit die wichtigste Seite von Christi irdischer Wirksamkeit bezeichnet, während sein Königtum mehr die göttliche Seite seiner Person betrifft. Das Verhältnis zu seinen Jüngern und zu den Menschen überhaupt ist vor­ nehmlich durch seine Lehrtätigkeit bestimmt. Auch hierin folgt die Christusauffassung des Heliand der Theologie Gregors und der von ihm abhängigen Kommentare, soweit er nicht einfach das Bild der Evangelien, die Jesus als den Lehrenden und Predigenden zeigen, wiedergibt. So wie diese erweisen sich auch andere Gedanken, die man als germanische Glaubensvorstellungen im Heliand ausge­ geben hat, als christlicher Herkunft, während der germani­ sche Einschlag anderswo liegt. Heinrich Böhmer in seinem bekannten Aufsatz über „Das germanische Christentum“ im Jahrgang 1913 der „Theologischen Studien und Kritiken“ erklärte für die beiden hervortretendsten Merkmale der ger­ manischen Religiosität eine rettungslose Gebundenheit an die Willkür der Geister und eine ebenso quälende Unsicher­ heit über das Schicksal der Seele nach dem Tode28. Er ent­ nimmt beides aus der frühchristlichen Dichtung. Aber beides ist falsch. Die germanische Religion war kein Animismus. Wohl spielen in dieser Dichtung Dämonen eine große Rolle; es sind die Geister, die die Menschen knechten und am Ende von Christus besiegt werden. Aber sie stammen nicht aus der germanischen, sondern aus der christlichen Mythologie. Man muß die Dialoge Gregors lesen, nicht die Edda oder die Sagas, wenn man ihre Herkunft feststellen will. In Un­ gewißheit über das Schicksal der Seele nach dem Tode aber sind die Germanen schon deshalb nicht gewesen, weil sie eine Seelenvorstellung dieser Art nicht hatten; sie haben sich denn auch über ihr Schicksal nach dem Tode keine Sorgen gemacht. In dem, was wir über die Jenseits Vorstellungen der Germanen wissen, finden wir nichts, was auf eine solche *8 a. a. O. S. 206.

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Besorgnis hinwiese. Man hat eine vereinzelte Äußerung wie die jenes northumbrischen Edlen, der das Leben der Men­ schen mit einem die winterliche Halle durchfliegenden, aus dem Dunkel kommenden und ins Dunkel zurückkehrenden Sperling vergleicht2930, in diesem Sinne deuten und daraus ein Charakteristikum der angelsächsischen Frömmigkeit ma­ chen wollen80. Das ist schon deswegen bedenklich, weil man in die geschichtliche Zuverlässigkeit dieses etwas legendarisch anmutenden Berichts einige Zweifel setzen darf. H at der Mann aber wirklich so gesprochen, so war dabei gewiß schon christlicher Einfluß im Spiele. Heidnisch-germanisch ist ein solcher Gedanke nicht. Wohl ist der Hinweis berech­ tigt, daß die angelsächsischen Dichter außer der Welt­ schöpfung (Genesis) besonders gern solche Stoffe behandeln, die mit den letzten Dingen Zusammenhängen: Christi Ein­ bruch in das Reich des Satans, seinen Sieg über Tod und Teufel, das Jüngste Gericht, die Freuden der Erlösten im Himmelreich, und daß sie das Leben und Leiden Christi daneben vernachlässigen. Aber das hat seinen Grund nicht darin, daß schon der Blick der heidnischen Angelsachsen auf das Jenseits gerichtet war, sondern es waren dies die Stoffe, die auch die abendländische Theologie vornehmlich beschäf­ tigten — im Gegensatz zu der alten Kirche, für die Christi Person und Werk und sein Verhältnis zum Vater im Vorder­ gründe standen. Es mag immerhin sein, daß jene Gegen­ stände für die neubekehrten Germanen besondere Anzie­ hungskraft besaßen, auch von den frühesten althochdeutschen Gedichten hat ja das Wessobrunner Gebet den Anfang der Welt, Muspilli das Schicksal der Seele nach dem Tode und das Ende der Welt zum Inhalt. Das lag aber nicht an einem ihnen eigenen eschatologischen Interesse, son­ dern an ihrem mythisch bestimmten Denken. Jene Stoffe 29 Beda, Hist. eccl. gentis Angl. lib. II, c. 13. 30 So Lother a. a. O. S. 28 f.

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sind die großen Themen des christlichen Mythus; für sie mußte der Sinn der Germanen in ganz anderer Weise auf­ geschlossen sein als für die dogmatischen Fragen und auch für Jesu Erdenwandel (der Heliand, der ja keine freie Dich­ tung, sondern eine poetische Wiedergabe der Evangelien ist, beweist nichts dagegen; auch bei ihm macht sich übrigens das mythologische Interesse in nicht geringem Maße geltend). Zu jenen Themen finden sich auch in der nordischen Mytho­ logie Entsprechungen. Die Fragen der Weltentstehung und des Weltuntergangs haben auch das Denken der Germanen — wie das der Inder und der Griechen — beschäftigt. Auch der Kampf Christi mit dem Teufel hatte ein Gegenstück in Thors Kampf gegen die Riesen, nur daß es sich hier nicht um den Gegensatz zwischen Gut und Böse handelt. Es be­ deutet aber doch wohl eine unzulässige Modernisierung, wenn man der mythischen Gedankenwelt der Germanen eine Sorge um die „Bedrohtheit“ der Welt oder des existenziellen Seins unterlegt. Auch die „Schicksalsangst“, von der Böhmer sprach und von der auch neuerdings viel die Rede ist, beruht auf einer unzutreffenden Auslegung der nordischen Quellen. Der nordische Schicksalsglaube ist keine Sdiicksalstfngsf; er ist aufs innigste verknüpft mit dem, was wir den germa­ nischen Heroismus nennen; das Heldentum der Eddalieder und der Sagas ist Bewährung angesichts eines drohenden und vernichtenden Schicksals. Erst im Lichte der christlichen Ver­ kündigung ist die Wurd — mitsamt den Geistern und Dä­ monen — zu einer menschen- und gottfeindlichen Macht ge­ worden und hat sich dem Gefolge des Satans eingereiht. Man muß hier also in jedem Falle sorgfältig scheiden und sich hüten, aus den Zeugnissen des germanischen Früh­ christentums falsche Rückschlüsse auf die germanische Re­ ligion zu ziehen, darf aber auch umgekehrt dieses Christen­ tum nicht mit Hilfe unzutreffender Vorstellungen von der germanischen Religion interpretieren. Insbesondere sind alle Versuche verfehlt, den Germanen eine Erlösungssehnsucht 38

— sei es nun auf Grund einer sie beherrschenden Schicksals­ oder Dämonenangst oder einer Besorgtheit um das Leben nach dem Tode — zuzuschreiben, um auf diese Weise eine Prädisposition, eine Angelegtheit auf das Evangelium hin zu gewinnen. Das Verhältnis des Christentums zur germa­ nischen Religion wird verkehrt, wenn man in ihm eine Er­ füllung oder Vollendung der im heidnischen Glauben selbst schon vorhandenen Anlagen sieht. Das Christentum gab nicht Antworten auf Fragen, die sich die Germanen selbst schon gestellt hatten; das, was man für diese Ansicht anzu­ führen pflegt, sind fast alles schon Vorstellungen, die sich erst in der Übergangszeit unter dem Einfluß christlicher Ge­ danken herausgebildet haben oder durch sie umgeprägt wor­ den sind. Die Fragen nach dem Sinn des Todes, nach dem Jenseits und dem Schicksal der Seele nach dem Tode, die Vorstellungen von Sünde, Erlösung und Gericht, das alles war ihrer Religion fremd und ist ihnen erst durch das Christentum gebracht worden — also nicht nur in den Ant­ worten, sondern schon in den Fragen lag das Neue. Es ist insofern etwas Richtiges daran, wenn man gesagt hat, das Christentum habe die Germanen erst erlösungsbedürftig machen müssen, um ihnen die Erlösung bringen zu können; nur darf man daraus keine falschen Folgerungen ziehen. Jedenfalls hat die germanische Religion der christlichen Mis­ sion für diese Lehre keinen Anhaltspunkt geboten. — Nun ist es aber, abgesehen von der falschen Einschätzung der frühchristlichen Dichtung, auch grundsätzlich verfehlt, wenn man bei der Frage nach der Aufnahme der neuen Religion durch die Germanen sich vorwiegend an die christ­ lichen Lehren, die Glaubensvorstellungen, hält. Das Christentum trat ihnen ja keineswegs nur in der Form der Evangeliumsverkündigung entgegen — dies wieder im Un­ terschied zur Mission der ersten drei Jahrhunderte —, son­ dern als eine in festen hierarchischen Formen ausgeprägte Institution mit Lehre (Dogma), Kult und Gesetz. Es ist 39

wichtig, sich diese Komplexität des Christentums, wenn man so sagen darf, vor Augen zu halten. Man begreift dann leicht, daß die Germanen gewissermaßen eine Auswahl trafen, indem sie aus der neuen Religion zunächst das ihnen Gemäße übernahmen, das was auf der Ebene ihrer eigenen Religion lag. Der Katholizismus präsentierte sich ihnen in erster Linie als Kult- und Gesetzesreligion; von diesen Sei­ ten haben sie ihr Bild zuerst in sich aufgenommen, sowohl im Ausland als auch in der eigenen Heimat. Es ist uns mehr als eine Äußerung überliefert, die von dem Eindruck, den der katholische Gottesdienst auf die Heiden machte, Zeugnis ablegt. Er hat manche empfindsamen Gemüter durch seine Schönheit überwältigt; andern allerdings flößte er abergläu­ bische Furcht und Scheu ein. Und so haben auch die kirch­ lichen Sitten und Gebräuche teils Staunen und Bewunderung, teils Befremden bei ihnen erregt; sie haben sie auch, wo sie die eigene gewohnte Lebensordnung zu gefährden schienen, bekämpft. Grundsätzlich aber war ihnen der Gedanke, daß die Religion in das soziale Leben eingriff und an die Men­ schen bestimmte praktische Forderungen stellte, daß es also so etwas wie ein religiöses Gesetz gab, durchaus zugänglich. Es führte gerade in diesem Punkte eine Brücke des Verständ­ nisses von der alten zu der neuen Religion hinüber, denn Kult und Gesetz prägen auch das Wesen der heidnischen Re­ ligion. Hinter dem Gottesdienst und dem Christengesetz trat die christliche Lehre zunächst ganz in den Hintergrund. Sie war von den Erscheinungsformen des Christentums das Innerste und Abstrakteste und darum dem Außenstehenden von vornherein am wenigsten Zugängliche. Sie hatte auch in der germanischen Religion keine unmittelbare Entspre­ chung, denn das Heidentum kennt kein die Gläubigen ver­ pflichtendes Dogma. Überhaupt aber nehmen die religiösen Vorstellungen in ihm nicht die zentrale Stellung ein, die wir ihnen zuzuweisen pflegen. Die kirchengeschichtliche Betrach­ tung der Germanenbekehrung ist immer in Gefahr, sie im 40

Lichte der Mission in der hellenistischen Antike zu sehen. Für den philosophisch denkenden Griechen stand die Gottes­ frage im Vordergrund, und zwar als die Frage nach dem Sein und Wesen Gottes, denn für die Philosophie ist die Gottesfrage immer eine ontologische. Die Areopagrede des Apostels Paulus, ob er sie nun so gehalten hat, wie die Acta sie überliefern, oder nicht, ist doch insofern missionsge­ schichtlich wichtig, als sie zeigt, wie sehr es dort auf diesen Punkt ankam. An dem ontologischen Interesse hat sich ja auch der christologische Streit entzündet. Kommt man von dorther zur Germanenmission, so liegt es nahe, die Frage so zu stellen: Wie war die Gottes- und Christusauffassung der Germanen, durch welche religiösen Vorstellungen ihrer eigenen Religion war sie bestimmt?, und in dieser Frage das Zentralproblem der Bekehrung zu sehen. Man verkennt da­ bei aber, daß die germanische Religion von wesentlich an­ derer Art und Struktur war als die hellenistische Gnosis. Es war keine philosophische Religion, sondern eine nationale Kultreligion und als solche das, was Augustin im „Gottes­ staat“ im Unterschied zur „mythischen“ und „natürlichen“ (oder „philosophischen“) eine „politische* Religion nennt, mit einer zu ihr gehörigen völkischen Lebensordnung. Das hat man bisher meist verkannt; man hat das Wesen der germanischen Religion entweder von der Mythologie her zu bestimmen gesucht oder sie im Sinne der romantischen Re­ ligionswissenschaft als „Naturreligion“ charakterisiert, wozu dann neuerdings noch die philosophische Deutung (H. N au­ mann, M. Ninck) getreten ist, die aber auch wieder haupt­ sächlich an den Mythen orientiert ist. Aber alle diese Auf­ fassungen verfehlen ihren eigentlichen Charakter. Die ger­ manischen Götter waren weder Naturgötter noch ethische Ideale, sondern Staatsgötter wie die römischen und die Göt­ ter der griechischen Polis. Die germanische Religion war Sache der politischen Gemeinschaft und stand mit dem recht­ lichen, staatlichen und sozialen Leben in engstem Zusam­ 41

menhang. Der staatliche Verband jeder politischen Einheit, der größten wie der kleinsten, war an den Kult eines Gottes geknüpft. Die politisch-soziale Gemeinschaft war zusam­ mengeschlossen im „Frieden“, um den man in den Kultfeiern die Götter anging. Am Kult hing gleichsam die Existenz, die — wie in der ganzen vorchristlichen Welt — wesentlich als politische Existenz verstanden wurde. Das durch ihn ver­ mittelte und ständig erneuerte Heil floß der politischen Ge­ meinschaft, die zugleich Kultgemeinschaft war, zu 31. In einer solchen Religion ist Inhalt des Glaubens nicht das Sein der Götter (dieses ist so selbstverständlich wie das Sein der Welt), auch nicht ihr Wesen, sondern ihr Wirken, und zwar nicht im kosmischen, sondern im politischen Sinne, ihr Wirken für das „Wir“ des Kult- und Staatsverbandes. Von dem Boden dieser Religion aus haben sich die Germanen mit dem Christentum auseinandergesetzt. Es ist von vorn­ herein anzunehmen, daß ihre prinzipielle Einstellung zu ihm dadurch wesentlich bestimmt wurde. Die Zeugnisse da­ für muß man freilich nicht in der frühchristlichen Dichtung, die im Dienste kirchlicher Interessen und unter dem Einfluß kirchlicher Theologie stand, suchen, sondern in den Nach­ richten, die uns über die unmittelbare Reaktion der heid­ nischen Germanen auf die Begegnung mit dem Christentum unterrichten; sie schärfen uns den Blick, um den Nieder­ schlag dieser Auffassung dann auch in den literarischen Quellen wiederzuerkennen. Am deutlichsten tritt sie uns in der Bekehrungsgeschichte des Nordens entgegen, weil die Art der isländischen Berichte uns überhaupt besseren Einblick in die Motive des Glaubens­ wechsels gestattet als die südlichen Quellen. Es ist in diesem Zusammenhang schon von Bedeutung, daß die Norweger und Isländer das Christentum als „das neue Gesetz“ oder81 81 Vgl. hierzu mein Buch „Das Heilige im Germanischen“, Tübingen 1942, besonders die Seiten 139, 152 und 220.

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„die neue Sitte“ im Gegensatz zur „alten Sitte“, dem Hei­ dentum, bezeichneten und den Bekehrerkönigen Norwegens vorwarfen, daß sie „das alte Gesetz“ zerstörten. Als Hakon der Gute, Norwegens erster christlicher König, auf dem Frostathing mit der Forderung hervortrat, alle sollten an einen Gott, nämlich Christus, Mariens Sohn, glauben, von den Opfern und den heidnischen Göttern lassen und jeden siebenten Tag fasten, da erhob sich lautes Murren unter den Bauern darüber, daß der König ihnen ihre Arbeit nehmen wolle und daß sie nichts essen dürften; so könnten sie das Land nicht bebauen 8182. Der Widerstand richtet sich also nicht gegen den neuen Gott, der ihnen verkündet wird, sondern gegen die neuen Sitten, die der christliche Glaube mit sich bringt und die die alte Lebensordnung umzustürzen drohen. Noch aufschlußreicher ist die Haltung, die die isländischen Bauern auf dem Allthing des Jahres 1000 einnahmen. Auf dieser Versammlung wurde bekanntlich auf den Vorschlag des Gesetzessprechers Lhorgeir die Einführung des Christen­ tums gesetzlich beschlossen. Der sehr merkwürdige Spruch Thorgeirs, dem beide Parteien — die Christen und die Hei­ den — die Entscheidung übertragen hatten, lautete dahin: alle Leute auf Island sollten getauft werden und an einen Gott glauben, aber wegen der Kindesaussetzung und des Pferdefleischessens sollten die alten Gesetze beibehalten wer­ den; opfern sollte man weiter heimlich, wenn man wollte, doch sollte die geringe Acht darauf stehen, wenn Zeugen dafür beigebracht würden83. Worein man also bedingungs­ los willigt, das ist zunächst nur die Anerkennung des neuen Gottes; dagegen auf dem Gebiet des Kultes und der Sitte werden den Heiden weitgehende Zugeständnisse gemacht, 81 Snorri Sturluson, Heimskringla, hrsg. von Finnur Jónsson, Kopenhagen 1893—1901, Bd. I S. 189 (übers. Thule Bd. 14, S. 151). 88 Kristnisaga c. 12 (Altn. Saga Bibi. 11, S. 42; übers. Thule Bd. 23, S. 183).

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um ihnen die Annahme des Christentums zu ermöglichen. Thorgeir, der übrigens selbst Heide war, begründete seine Entscheidung damit, daß es vor allem darauf ankomme, daß alle ein Gesetz und eine Sitte (und das heißt eine Religion) behielten, »denn“ — so fügte er hinzu — »wenn wir das Gesetz zerreißen, zerreißen wir den Frieden Das sind inhaltsschwere Worte. Man kann ihr Gewicht nur ermessen, wenn man bedenkt, daß der „Friede“ für den Germanen nicht nur ein politisch-sozialer Zustand, sondern ein religiöses Gut war. Man opferte für gutes Jahr und Frieden (til árs ok fridar). Der Friede war also wie die Ernte ein donum sacrum; er umschloß die heiligen Bindungen, die das Leben der Gemeinschaft — im Friedensverbande — trugen. Die Worte Thorgeirs besagen also, daß diesen Männern das Wichtigste nicht die Götter, nicht der Glaube an sie war, sondern das Gesetz und der durch es geschützte Friede, auf dem das geordnete und gesittete Le­ ben im Staate beruhten. Diesen zu wahren, war beim Über­ tritt ihre größte, ja einzige Sorge. Das Wort für „glauben“ ist im Altnordischen tria à, eigentlich: vertrauen auf; ihr „Glaube“ war also im wesentlichen ein Vertrauen auf die Macht der Gottheit. Nimmt man alles zusammen, so schält sich als das Motiv, das der Annahme der neuen Religion zugrunde liegt, der Gedanke heraus, daß an Stelle der Göt­ ter, denen bisher der Friede anvertraut war, nun der neue Gott tritt, daß man also jetzt auf ihn das Vertrauen setzt, die heiligen Ordnungen — den nomos — zu wahren. So kann trotz des Glaubens Wechsels, der eigentlich nur ein Götterwechsel ist, doch das Wesentliche, der Friede, der Gott­ heit und Staatsverband umschließt und aus dem alles Heil kommt, gerettet werden. Diese Auffassung hat sich noch in den ältesten christlichen Gesetzen des Nordens niederge­ schlagen. Opferte man in der heidnischen Zeit den Göttern til ars ok fridar, so bestimmen die ältesten Gulathingslög, „daß wir uns sollen nach Osten neigen und beten zu dem 44

heiligen Christ um gutes Jahr und Frieden und darum, daß uns bewahrt bleibe unser Wohnland usw.“ 34. Die gleichen Gesetze ordnen an, daß man zu Allerheiligen und zu Weih­ nachten ein bestimmtes Maß Bier brauen und weihen soll „Christus zum Dank und der heiligen Maria für gutes Jahr und Frieden“ 35. Hier ist also sogar das heilige Kultgetränk der Opferfeiern in die christlichen Gesetze übernommen wor­ den, Die Einstellung zum Christentum, die sich in diesen Zeugnissen ausspricht, ist ganz deutlich: man versteht den christlichen Kult nach Analogie der heidnischen Religion als Heilsveranstaltung im Sinne des politischen Heils, das Christentum also als politische Religion. Das wirkte sich auf die Christusauffassung in dem Sinne aus, daß man zunächst gar nicht nach dem Wesen des neuen Gottes — wie der Grieche —, sondern nach seiner Macht und Wirksamkeit fragte. Nicht auf die Seins- oder Personenfrage kam es dem Germanen an — wir hören darum eigentlich auch niemals etwas von einem Widerstand gegen das christliche Dogma. Das hat die Germanen gar nicht so sehr beschäftigt; ihr Interesse war vielmehr darauf gerichtet, was von dem neuen Gott zu erwarten war, welche Macht und Wirkungskraft er hatte. Auch Christus wird so zunächst als der Gott des Volkes und Staates ergriffen, dem das Heil der politi­ schen Gemeinschaft anvertraut ist. Das Christentum tritt an die Stelle der alten Religion in den Dienst der politi­ schen Selbstbehauptung 3e. Diese Auffassung ist nun aber keineswegs auf den N or­ den beschränkt; sie ist charakteristisch für die Haltung der germanischen Welt. Dem an den nordischen Quellen geschul­ ten Blick begegnet sie überall in den fränkischen, angelsädi-84* 84 Gulathingslog I, Norges Garnie Love Bd. I, S. 3. 35 Gui. 6 und 7, N. G. L. Bd. I, S. 6. 38 Vgl. W. Kamlah, Christentum und politische Selbstbehaup­ tung, Frankfurt a. Μ., 1940.

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sisdien und deutschen Berichten, besonders natürlich dort, wo politisch verantwortliche Persönlichkeiten vor die Frage des Glaubenswechsels gestellt wurden. Wenn Könige und Häupt­ linge dem Drängen der Missionare mit dem Einwand be­ gegnen, sie könnten das, was sie mit ihrem Volke bisher heilig gehalten hätten, nicht so ohne weiteres preisgeben87, so steht hinter solcher Äußerung das Gefühl der Verantwort­ lichkeit für die Gemeinschaft und der Glaube, daß deren Heil an den Kult der alten Götter gebunden ist. Eben in diesem Glauben liegt auch der tiefere Grund dafür, daß die Fürsten die Entscheidung einer solchen Frage dem Thing zu­ zuweisen pflegten (s. o. S. 21). Aber auch ein anderes be­ kanntes Motiv der Bekehrungsgeschichte fügt sich in diesen Zusammenhang. Es geschieht öfter, daß ein germanischer König seinen Obertritt davon abhängig macht, daß Christus ihm in einem Kriege, in den er verwickelt ist oder der ihm bevorsteht, den Sieg verleiht. Das bekannteste Beispiel ist das uns von Gregor von Tours überlieferte Gebet Chlod­ wigs in der Alemannenschlacht: „Ich flehe Dich demütig an um Deinen mächtigen Beistand. Gewährst Du mir jetzt den Sieg über diese meine Feinde und erfahre ich so jene Macht, die das Volk, das Deinem Namen sich weiht, an Dir erprobt zu haben rühmt, so will ich an Dich glauben und mich tau­ fen lassen auf Deinen Namen“ 8889. Die epochemachende Be­ deutung dieses Vorgangs, an dessen Geschichtlichkeit zu zwei­ feln kein Grund vorliegt8®, ist bekannt. Er hat seine zwar 87 So der kentisdie König Aethelbert (Beda, Hist. eccl. gentis Angl. lib. I, c. 26), der schwedische König Olaf (Vita Anskarii c. 26) Sigurd Hlödvesson, Olafssaga Tryggvasonar c. 23 u. a. 88 Hist. Franc, lib. II, c. 30 vgl. auch Beda, Hist. eccl. gentis Anglorum lib. Π, c. 9: Der König (Edwin) versprach, den Götzen zu entsagen und Christ zu dienen, wenn derselbe ihm Leben und Sieg verleihe im Kampfe wider den König Cuichelm. 89 Vgl. K. D. Schmidt, Die Bekehrung der Germanen zum Christentum, Bd. II, S. 16.

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nicht vollkommene, aber darum nicht minder illustrative Parallele in der alten Kirchengeschichte, nämlich in dem Moment, wo der römische Staat es für gut fand, den Bund mit dem Christentum zu schließen. Auch Konstantin war es um das Heil des römischen Staates zu tun. Seiner Anerken­ nung des Christentums lag die Überzeugung zugrunde, daß die salus publica, der Bestand und die Wohlfahrt des Rei­ ches, bei dem Gott der Christen besser aufgehoben sei als bei den alten Göttern. Wenn man den Bericht von der Schlacht an der Milwischen Brücke der Legende entkleidet, so bleibt doch die Tatsache, daß der Sieg über Maxentius dem Kaiser die endgültige Gewißheit gab, daß er im Zei­ chen des Kreuzes siegen würde. Es ist derselbe Glaube, der Chlodwig nach seinem Siege über die Alemannen be­ stimmte, den Gott der Römer zu dem seinen zu machen und die Sache der fränkischen Herrschaft in Gallien in seine Hände zu legen. Beide Herrscher begreifen das Christentum als politische Religion und begründen auf diese Auffassung den Bund des Staates mit der Kirche. Aber es war, wie ge­ sagt, ein Unterschied dabei. Konstantin vollzog seinen Übertritt zu dem neuen Gott der Christen von der Gottes­ idee aus, die die griechische Philosophie in Abkehrung von der mythischen Religion herausgebildet hatte. Christus trat an die Stelle des *9·εόζ der hellenistischen Gnosis, der ein kosmischer und daher übernationaler Gott war. Diesem Gotte war das Reich ideenmäßig zugeordnet. Konstantin suchte ja für das wankende Imperium nach einer Religion, die in entsprechender Weise wie das Reich die Menschheit für sich beanspruchte. Indem Chlodwig Christ wurde, ging er zwar zu dem Gott des römischen Reiches, der ihm gegen die Alemannen, die Anbeter Wodans, geholfen hatte, über. Aber in ihm selbst lebte die Gottesvorstellung der heidni­ schen Volksreligion; das zeigen die Äußerungen, die er nach Gregor von Tours vor der Taufe zu seiner Gattin getan 47

h a t40. Er hat diese Auffassung infolge seiner unvollkom­ menen Bekehrung auf den neuen Gott übertragen und ihn so — wie die arianischen Herrscher — in die Enge des Nationalgedankens hineingezogen. Christus war nun „der Gott, der die Franken liebte“ — wie es das Vorwort der lex salica mit naiver Zuversichtlichkeit ausspricht. Dieselbe Urkunde sagt auch, was man von ihm erwartete: er be­ wahre ihr Reich, er erfülle ihre Lenker mit dem Licht seiner Gnade; er beschütze das Heer, gewähre dem Glauben Schutz; Freude, Friede41 und glückliche Zeiten schenke in Gnaden der Herr der Herrscher Christus Jesus! Und diese Vorstellung lebt fort; sie bricht in der Literatur des Mittelalters, sosehr sich im übrigen die christlichen An­ schauungen im Laufe der Jahrhunderte wandeln, immer wieder durch, und zwar dort, wo ein politisches Thema, ins­ besondere der Kampf des Reiches gegen das Heidenvolk, auftaucht. Ein klassisches Zeugnis dieser nationalpolitischen Christusauffassung ist das fränkische Ludwigslied. Christus selbst ruft hier den König zum Kampf gegen die Heiden auf: „Ludwig, mein König, hilf meinem Volk!“ Und dieser gehorcht dem Befehl, indem er alle godes holdon zur Gefolgschaft entbietet. Mit einem „Kyrie eleison“ reiten sie in den Kampf, in dem sich Ludwig vor allen auszeichnet. Er erringt den Sieg. „Gelobt sei die Kraft Gottes“ — ruft der Dichter aus — „und allen Heiligen Dank!“ So hilft Christus hier dem Karolinger siegen, wie er einst dem Merowinger bei Zülpich geholfen hatte. Derselbe Ton klingt uns aus dem Rolandslied des Pfaffen Lamprecht entgegen — auch hier wieder das Thema des Kreuzzuges: owole ir guoten knechte, weit ir einmuote sin, ja hilvet in selbe mm drehtin; sie ha40 Vgl. Hist. Franc, lib. II, c. 29. 41 Zu dieser Stelle hat schon K. D. Schmidt (a. a. O. S. 62) an die heidnische Formel til fridar erinnert.

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bent then tô t an there hant — redet Oliver vor der Schlacht gegen die Sarazenen die Streiter an (V. 3860 ff.). Und in einer ähnlichen Situation, um nur noch ein Beispiel anzu­ führen, läßt Wolfram im „Willehalm“ den Markgrafen die Helden auf die Hilfe Christi verweisen (der k u m t uns w o l ze tröste; I, 17, 18). Es ist unverkennbar, daß sich in dieser Verherrlichung als Siegesgott mit der Politisierung eine Mythisierung Christi im Geist des heidnischen Germanentums verbindet. Denn wie die Germanen den Göttern til árs o k fridar opferten, so opferten sie ihnen auch zum Siege, til sigrs, erkundeten vor der Schlacht ihren Willen und weihten ihnen die getöteten und gefangenen Feinde42. Ja, sie glaubten, daß die Götter selbst im Kampfe anwesend seien (Tac. Germ. 7) und den Sieg verliehen. „Siegesgott, Siegesherr“ sind Beinamen Odins, des nordischen Kriegsgottes. Audi für die südgerma­ nischen Stämme ist Wodan als Kriegsgott bezeugt, und wenn im Heliand sigidrohtin als Benennung für Gott (Vater) vor­ kommt, so geht das auf diese alte Vorstellung zurück. Daß an die Stelle dieses Gottes nun Christus tritt, ist ein Vor­ gang, der helles Licht auf die Folgen wirft, die eine unter politischen Auspizien sich vollziehende Bekehrung für die Aufnahme des Christentums, vor allem in den politisch füh­ renden Kreisen, haben mußte. Die Tragweite dieses Vor­ gangs für die deutsche Glaubensgeschichte muß sehr hoch eingeschätzt werden. Man darf freilich nicht verkennen, daß der Versuch einer Mythisierung Christi den Mythus selbst aus den Angeln heben mußte. Christus konnte in den völkischen Mythus nicht eingehen, ohne ihn zu sprengen. Denn der Mythus ist an die geschichtslose Welt des in sich ruhenden völkischen Nomos gebunden; auch der heidnische Gott des Sieges führt nicht über diese Welt hinaus, sondern

42 Vgl. Walter Baetke, Die Religion der Germanen in Quellen­ zeugnissen, 2. Aufl., S. 20 ff. 49

will sie in ihrer Abgeschlossenheit bewahren. Der Gott, zu dem Chlodwig überging, war nicht ein Gott der völkischen „Wir-Welt“, sondern der Gott der Völker, und nicht nur das, er war der Gott des Reiches und damit der Gott der Geschichte. Indem man auf diesen Gott den germanischen Mythus übertrug, wandelte sich der Mythus selbst zur Ge­ schichtsidee. Wie die antike Philosophie bei den Griechen, so durchstößt bei den Germanen das Christentum den H o­ rizont der mythischen Welt. Indem — als Folge von Chlod­ wigs Übertritt zum katholischen Christentum — der ger­ manische Volksstaatsgedanke sich zum Reichsgedanken er­ weiterte, trat, im Gefolge dieser Verbindung, an die Stelle des völkischen Mythus die christliche Geschichtsphilosophie des Abendlandes. Aber auch in ihr bleibt die politische Got­ tesauffassung des Germanentums in Kraft: man knüpft das Heil des Reiches und später des Nationalstaates an Christus und seine Kirche48. Diese Auffassung hat, zu manchen Zei­ ten aus urchristlichen Glaubenskräften scheinbar überwun­ den, fortgelebt und fortgewirkt bis in die neueste Zeit. Sie hat durch die Erstarkung des Nationalgefühls in den euro­ päischen Völkern jeweils eine natürliche Belebung erfahren. In dem „deutschen Gott“ der Romantik, „dem Herrn der Heerscharen“ usw. lebt der Gott Chlodwigs und des Lud­ wigsliedes fort. Zumal die Idee des Reiches ist — durch 49 Daß sich in der mittelalterlichen Reidistheologie die Idee der Kirchenväter von einem christlich-römischen Gottesstaat fo rt­ setzt (ob diese nun auf Augustin oder — wie Kamlah meint — auf Eusebius zurückgeht), braucht deswegen nicht bestritten zu werden. Wie in andern Fällen (man vergleiche z. B., was Bern­ heim, Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung, S. 113, über den m ittelalter­ lichen Begriff des „Friedens“ sagt), haben sich auch in diesem Ge­ danken antik-christliche und germanische Elemente verbunden. Man ist aber im allgemeinen, indem man die von dem alten fränkischen Königtum herüberwirkende Tradition unterschätzte,

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allen Wandel der Geschichte — mit ihm verbunden geblie­ ben. Aber die Wirksamkeit dieses Gedankens hat sich nicht auf das Reich der Ideen beschränkt; sie hat die geschicht­ liche Welt gestalten helfen. Die politische Auffassung des Christentums ist der tragende Grund für die Verbindung des Staates mit der Kirche gewesen. Es geht eine Linie von den arianischen Nationalkirchen und der fränkischen Reichs­ kirche über das christliche Imperium des Mittelalters bis zu den lutherischen Staats-, Volks- und Landes-Kirchen. Dies ist die germanische Konstante in der Kirchengeschichte. Auch heute bedeutet diese Verbindung nicht nur ein Herrschafts­ recht des Staates über die Kirche — die echte Volkskirche lebt aus dem Gedanken, daß sie für das Volksganze verant­ wortlich ist und das Wohl desselben an der Kirche hängt. Das (in einigen germanischen Ländern fast verwirklichte) Ideal ist: die politische Gemeinschaft zugleich Glaubens­ und Kultgemeinschaft. Dieser Ausblick hat uns nur scheinbar von unserm Thema abgeführt. Die Erkenntnis der Politisierung und Mythisierung der Christusgestalt ist gerade für die Bekehrungsge­ schichte von größter Bedeutung. Sie erst schafft die Voraus­ setzung auch für eine gültige Auswertung der literarischen Zeugnisse. Wir müssen da durchaus die germanisch-mythische Schicht von der christlich-theologischen unterscheiden. Ge­ dern germanischen Einschlag, in dem zweifellos die eigentliche Triebkraft zu suchen ist, nicht gerecht geworden. Das hat seinen Grund, wie Bernheim a. a. O. S. 178 hervorgehoben hat, z. T. darin, daß in der germanischen Geisteswelt das gewohnheitsrecht­ lich Überkommene nicht zu systematischem Bewußtsein erhoben wurde, dies vielmehr erst in der Sphäre der christlichen Ideenwelt geschah, die daher auf die Anschauungen der Historiker den größeren Einfluß gewann. Vgl. aber Lilienfein, Die Anschauun­ gen von Staat und Kirche im Reich der Karolinger, 1902, S. 66, und Karl Voigt, Staat und Kirche von Konstantin dem Großen bis zum Ende der Karolingerzeit, S. 238 f. und 289. 51

wiß sind beide in den Quellen selbst nicht immer reinlich getrennt; aber gerade in ihrer Vermischung liegt für die glaubensgeschichtliche Forschung eine wichtige Aufgabe. Die Kriterien für die Scheidung können wir freilich nur unserm eigenen Verständnis des Christentums — besser gesagt des Evangeliums — entnehmen. Ohne einen allgemeinen Kon­ sensus hierüber vorauszusetzen, wird man doch wohl so­ viel sagen können: die eigentliche christliche Wende in der Bekehrung vollzieht sich in der Frage nach dem Heil. Es ist die Wende von dem politischen Heil, dem Heil des Reiches und Staates, zum Heil der einzelnen Seele. Wo dies als der eigentliche Inhalt des Evangeliums verstanden wurde, mußte ein radikaler Wandel des Gottesverhältnisses und zugleich eine Theologisierung des Reichsgedankens die Folge sein. Vor allem aber: erst wo diese Erkenntnis durch­ brach, war die Voraussetzung für ein Erfassen des zweiten Glaubensartikels: der Person und des Werkes Christi, der Erlösung, gegeben. Es ist nun keineswegs so gewesen, daß dieses tiefere Verständnis Christi erst erwachte, nachdem das politische überwunden war. Schon in den ersten Zeiten der Bekehrung ist es überall geweckt worden, wo echte seelsorgerliche Mission getrieben wurde, und es fehlt nirgends ganz — wenn es sich auch oft auf lange Strecken den Blicken entzieht. Es bildet gleichsam die untere, tiefere Schicht des frühdeutschen Christentums. Und es hat — neben dem po­ litisch-mythischen Verständnis — doch auch seinerseits früh dokumentarischen Ausdruck gefunden. Denn es ist eben diese Seite des Christusglaubens, die den eigentlichen Inhalt der frühchristlichen Dichtung bildet, von der wir oben gespro­ chen haben, insbesondere des Otfridschen Krist, des Heliand und der angelsächsischen Gedichte44. Ihr Thema ist die 44 S. 153 f.; hierher gehören u. a. noch das althochdeutsche Petruslied und das Georgslied (firliez er wereltnhhi, giwan er bimilnhhi, V. 5).

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Heilsgeschichte, nun nicht im Sinne des politischen Heils, wie es Chlodwig und seine Nachfolger verstanden, sondern im Sinne des Seelenheils. Das Reich, von dem diese Dich­ tungen handeln und als dessen König sie Christus preisen, ist das Reich Gottes, das Himmelreich; nach ihm zu trachten und die Gerechtigkeit, die in ihm gilt, zu erlangen, ist die Aufgabe, die sie ihren Hörern und Lesern ans Herz legen. Danach, wie sie beides — das Gottesreich und seine Gerech­ tigkeit — verstanden haben, sind diese Dichtungen zu be­ fragen, nicht nach der germanischen Religiosität. Ihre Inter­ pretation gehört in die Geschichte des deutschen Christen­ tums, aber nicht eigentlich mehr in die Bekehrungsgeschichte. Denn hier war die innere Aufnahme des neuen Glaubens im entscheidenden Punkte vollzogen.