Die außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung bei einzel- und tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmern [1 ed.] 9783428496228, 9783428096220

Aufgabenstellung dieser Dissertation war es herauszufinden, ob die Eigenschaft der tarif- bzw. einzelvertraglichen orden

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German Pages 242 Year 1998

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Die außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung bei einzel- und tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmern [1 ed.]
 9783428496228, 9783428096220

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KATHARINA VON KOPPENFELS

Die außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung bei einzel- und tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmern

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 164

Die außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung bei einzel- und tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmern

Von Katharina von Koppenfels

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Koppenfels, Katharina von: Die außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung bei einzel- und tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmern I von Katharina von Koppenfels. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 164) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09622-3

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09622-3 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1998 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von Mai 1998. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer, danke ich rur die Themenanregung, die stets interessierte und engagierte Betreuung der Arbeit und die fortwährende Bereitschaft zur intensiven fachlichen Diskussion. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Dr. h.c. (F) Wilfried Schlüter rur die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Münster, im Juni 1998 Katharina von Koppen/eis

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung

19

Zweites Kapitel Überblick über das Dauerschuldverhiltnis und die Kündigungsrechte

22

A. Das Dauerschuldverhältnis ....................................................................................... 22 I. Wesen und allgemeine Merkmale ...................................................................... 22 11. Interessenkollision im Dauerschuldverhältnis .................................................... 24 I. Beendigungsinteresse im Dauerschuldverhältnis ......................................... 24 2. Bestandsinteresse im Dauerschuldverhältnis ............................................... 26 3. Kollision dieser Interessen ........................................................................... 27 III. Bedeutung der Vertragstreue im Dauerschuldverhältnis .................................... 28 B. Begründung für die Existenz von Kündigungsrechten im Dauerschuldverhältnis ... 30 I. Das Kündigungsrecht als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des einzeinen ................................................................................................................. 30 11. Rechtsnatur der Kündigung ............................................................................... 32 III. Ausprägungen des Kündigungsrechts ................................................................ 33 I. Das Recht zur ordentlichen fristgebundenen Kündigung ............................ 34 2. Das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung ............................... 35 3. Dogmatische Ableitung eines außerordentlichen Kündigungsrechts bei Dauerschuldverhältnissen ............................................................................ 39 IV. Begriff und Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit ................................................. 41 C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis ..................................................... .44 I. Das Recht zur ordentlichen Kündigung im Arbeitsverhältnis ........................... .44 II. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung gern. § 626 ......................... ........ .46 I. Allgemeines ................................................................................................. 46 2. Der wichtige Grund zur außerordentlichen Kündigung .............................. .46 3. Rechtsfolge der außerordentlichen Kündigung ........................................... .48 III. Das Recht zur Änderungskündigung im Arbeitsverhältnis ............................... .49 IV. Das Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung ......... 50

10

Inhaltsverzeichnis

D. Resume .................................................................................................................... 56

Drittes Kapitel

Die außerordentliche Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer

58

A. Das Verhältnis zwischen Kündigungsgrund und Vertragsdauer .............................. 58

B. Die außerordentliche Kündigung aus minder wichtigem Grund .............................. 60 I. Darstellung der Meinungen zur außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund ............................................................................................... 60 11. Kritik seitens der h.M. und Darstellung des eigenen Standpunktes ................... 61 C. Lösungsansatz der Rechtsprechung ......................................................................... 63 I. Der rur die Interessenabwägung relevante Zeitpunkt ........................................ 63 11. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit aufTatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung .................................................................................... 65 111. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Rechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung ........................................................................... 67 IV. Bewertung dieses Lösungsansatzes ................................................................... 67

D. Lösungsansätze in der Literatur ............................................................................... 69 I. Lösungsansatz der herrschenden Literatur.. ....................................................... 69 I. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit aufTatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung ..................................................................... 69 2. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Rechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung ..................................................................... 71 3. Bewertung dieses Lösungsansatzes ............................................................. 72 11. Lösungsansatz RudolfWengs ............................................................................ 73 I. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung ..................................................................... 73 2. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Rechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung ..................................................................... 74 3. Bewertung dieses Lösungsansatzes ............................................................. 76

Viertes Kapitel

Eigener Lösungsvorschlag

78

A. Schutzzweck einer tarif- bzw. einzelvertraglichen Unkündbarkeitsklausel ............. 78

Inhaltsverzeichnis

11

B. Anforderungen an den wichtigen Grund unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von Kündigungsbeschränkungen ................................................................. 80 I. Der strenge Maßstab .......................................................................................... 80 1. Allgemeine Anforderungen an den wichtigen Grund gern. § 626 1.. ............ 80 2. Strenger Maßstab bei allen Kündigungsgründen? ....................................... 84 3. Vereinbarkeit dieser Anforderungen mit dem Grundsatz, daß das Recht zur außerordentlichen Kündigung uneinschränkbar und unabdingbar ist.. .. 87 11. Schwierigkeiten bei der Umsetzung des strengeren Maßstabes ......................... 89 1. Betriebsbedingte Kündigungsgründe ........................................................... 89 2. Personenbedingte Kündigungsgründe ......................................................... 90 a) Vereinbarkeit der vorgeschlagenen praktischen Umsetzung mit den Kriterien flir den strengen Maßstab ....................................................... 91 b) Vereinbarkeit mit dem Prognoseprinzip ................................................ 92 3. Verhaltensbedingte Kündigungsgründe ....................................................... 94 a) Qualität und Gewicht der Pflichtverletzung........................................... 94 b) Häufigkeit der Pflichtverletzungen und Verschuldensgrad ................... 96 4. Unmöglichkeit als Kilndigungsgrund .......................................................... 99 a) Bestehen eines Lösungsrechts? ............................................................ 100 aa) Vertrauensschutzprinzip ................................................................ 101 (1) Strukturmerkmale des Vertrauensschutzprinzips .................... 102 (2) Auswirkungen des Vertrauensschutzprinzips im Kündigungsrecht ............................................................................... 103 bb) Recht auf Arbeit ............................................................................ 106 cc) Parallele zum allgemeinen Beschäftigungsanspruch bzw. zum Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsprozesses .................................................................................................. 109 dd) Bestandsschutz und Vertragstreue gegenüber Vertragsbeendigungs- bzw. Kündigungsfreiheit.. .................................................. 115 ee) Unzumutbarkeit ............................................................................. 122 fl) Wegfall der Geschäftsgrundlage .................................................... 125 gg) Interessenabwägung ...................................................................... 130 hh) Zwischenergebnis: Unmöglichkeit als Kündigungsgrund ............. 134 b) Ordentliches oder außerordentliches Kilndigungsrecht? ..................... 136 aa) Eingreifen der ordentlichen Kündigung ........................................ 137 (1) Fortbestand des ordentlichen Kündigungsrechts wegen Unwirksamkeit der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeitsklausel. 137 (2) Recht zur ordentlichen Kündigung analog § 15 IV KSchG .... 140 (3) Auslegung der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeitsklauseln .. 143 bb) Eingreifen der außerordentlichen Kündigung ............................... 147 (I) Außerordentliche Kündigung als Sanktion ............................. 147 (2) Vereinbarkeit mit dem Stufenverhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung ................................... 149

12

Inhaltsverzeichnis cc) Zwischenergebnis ......................................................................... 151 111. Ergebnis zur Frage der Berücksichtigung der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeit aufTatbestandsebene ........................................................................... 153

c.

Andere Lösungsmöglichkeiten ............................................................................... 155 I. Abfindungen als finanzieller Ausgleich ........................................................... 157 11. Kündigungsfristen als zeitlicher Ausgleich ..................................................... 160 1. Vereinbarkeit mit dem Schutzzweck von Kündigungsfristen .................... 161 a) Schutzzweck von Kündigungsfristen .................................................. 161 aal Rechtsnatur der Kündigung .......................................................... 162 bb) Wesen des Arbeitsverhältnisses .................................................... 163 cc) Konsequenzen für den Schutzzweck von Kündigungsfristen ....... 165 (1) Dispositionsschutzfunktion ..................................................... 166 (2) Kündigungsschutzfunktion ..................................................... 170 (3) Bestandsschutzfunktion .......................................................... 173 (4) Nachteilige Auswirkungen von Kündigungsfristen ................ 177 b) Ergebnis: Vereinbarkeit des besonderen Schutzzwecks von Fristen bei (tarif-)vertraglicher Unkündbarkeit mit den dargestellten allgemeinen Funktionell von Kündigungsfristen ........................................ 178 2. Vereinbarkeit mit dem Wortlaut des § 626 I ............................................. 180 a) Rechtsnatur der Kündigungsfrist im Falle (tarif-)vertraglicher Unkündbarkeit ......................................................................................... 181 b) Die Befristungspflicht bei der außerordentlichen Kündigung im Wandel der Rechtsprechung ................................................................ 183 aal Entwicklung der Rechtsprechung zur Befristungspflicht bei § 6261 ........................................................................................... 183 bb) Bewertung der Rechtfertigungsversuche seitens der Rechtsprechung ............................................................................................ 186 c) Befristungspflicht bei § 626 I im Wege richterlicher Rechtsfortbildung .................................................................................................... 189 aal Einleitung: Problemstellung .......................................................... 189 (I) Definition und Legitimation der Rechtsfortbildung ................ 189 (2) Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht... ....................................... 190 (3) Grundsätzliche Bedenken gegen Rechtsfortbildung ............... 191 bb) Methoden bzw. Abstufungen der Rechtsfortbildung..................... 193 (1) Die Befristungspflicht bei der außerordentlichen Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer als Ergebnis einer Rechtsfortbildung secundum legern? ............................. 194 (2) Die Befristungspflicht bei der außerordentlichen Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer als Ergebnis einer Rechtsfortbildung praeter legern? .................................. 197 (a) Regelungslücke ................................................................. 198

Inhaltsverzeichnis

13

(b) Mittel der Rechtsfortbildung praeter legern: Analogie und teleologische Reduktion ............................................. 202 (c) Zwischenergebnis ............................................................. 207 (3) Die Befristungsptlicht bei der außerordentlichen Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer - keine Rechtsfortbildung extra oder contra legern ........................................ 208 cc) Rechtfertigung und Begründung der Rechtsfortbildung bei § 626 I ........................................................................................... 210 d) Ergebnis: Außerordentliche Kündigung mit zwingender Kündigungsfrist als Resultat einer teleologischen Reduktion des § 626 I .............. 2 I 6 3. Länge der Kündigungsfrist ........................................................................ 2 I 8 a) Allgemeine Kriterien, die für die Länge einer Kündigungsfrist maßgeblich sind .......................................................................................... 218 aa) Kriterien im Gesetz........................................................................ 218 bb) Kriterien in Tarifverträgen ............................................................. 221 cc) Kriterien in Einzelarbeitsverträgen ................................................ 222 dd) Übertragung dieser Kriterien auf die außerordentliche Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer ...................... 222 b) Zusätziiche, aus dem Wesen der Unkündbarkeit entspringende Kriterien, die die Kündigungsfristlänge bei (tarif-)vertraglich unkündbaren Arbeitnehmern mitbestimmen .................................................... 225 c) Ergebnis ............................................................................................... 227 Fünftes Kapitel Zusammenfassung der Ergebnisse

229

Literaturverzeichnis ................................................................................................... 232

Sachregister ................................................................................................................. 239

Abkürzungsverzeichnis a.A.

Abs. Abschn. AbuR AcP a.F. AG AGBG allg. Anm. AöR AP AR-Blattei ArbPISchG Art. AT Aufl. BAG BAT BB BBiG Bd. Beil. bes. BetrVerf BetrVG BGB BGBI. BGH BGHZ BI.

anderer Ansicht Absatz Abschnitt Arbeit und Recht (Zeitschrift) Archiv flir civilistische Praxis alter Fassung Amtsgericht Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen allgemein Anmerkung Archiv für öffentliches Recht (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsrecht-Blattei (Loseblattsammlung) Arbeitsplatzschutzgesetz i.d.F. vom 14.4.1980 Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bundesarbeitsgericht Bundesangestelltentarifvertrag Betriebsberater (Zeitschrift) Berufsbildungsgesetz vom 14.8.1969 Band Beilage besonders Die Betriebsverfassung (Zeitschrift) Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Blatt

Abkürzungsverzeichnis BIStSozArbR BMin BMJ BVerfD BVerfDE bzw. ca. DB ders. d.h. Diss. DJT DRdA DVBl. Einl. etc. EzA f.

tT. Fn. FS gern. GewO GG ggf. Grds. grds. HGB h.L. h.M. Hrsg. Ld.F. Ld.R. LE.

i.e. i.e.S. insbes. LS.v. LV.m.

JA

15

Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung, Arbeitsrecht (Zeitschrift) Bundesminister Bundesminister der Justiz Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise circa Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe das heißt Dissertation Deutscher Juristentag Das Recht der Arbeit (österreichische Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Einleitung et cetera Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgende fortfolgende Fußnote Festschrift gemäß Gewerbeordnung i.d.F. vom 1.1.1978 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 gegebenenfalls Grundsätze grundsätzlich Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber in der Fassung in der Regel im Ergebnis im einzelnen im engeren Sinne insbesondere im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter

16

181 JherJb. JR Jura JUS JW JZ Kap.

KO KR

KSchG LAG LAGE LG Lit. lit. m.a.W. m.E. Mio. MDR MTV MüKo m.w.N. n.F. NJW Nr. NZA o.a. RAG RdA Rdnr. RG RGRK-BGB RGZ Rspr. S. s.o. sog. str. teilw.

Abkürzungsverzeichnis Juristische Blätter (österreichische Zeitschrift) Jhcrings Jahrbücher Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristen-Zeitung Kapitel Konkursordnung i.d.F. vom 10.5.1898 Becker, Friedrich u.a., Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 3. und 4. Auflage Kündigungsschutzgesetz vom 25.8.1969 Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Landgericht Literatur litera mit anderen Worten meines Erachtens Millionen Monatsschrift für Deutsches Recht Manteltarifvertrag Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht oben angegeben Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Randnummer Reichsgericht Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtsprechung Seite siehe oben sogenannt streitig teilweise

Abkürzungsverzeichnis TV TV AI 11 TVG u.a. Urt. usw. u.U. vgl. Vorbem. VVG WEG

WM

ZAP z.B. ZfA ZHR ZitI ZIP z.T. zust. zutr. ZVG

Z.Z.

2

VOD

Koppenfels

17

Tarifvertrag Tarifvertrag fIlr die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Tarifvertragsgesetz vom 25.8.1969 unter anderem (und andere) Urteil und so weiter unter Umständen vergleiche Vorbemerkung Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30.5.1908 Wohnungseigentumsgesetz vom 15.3.1951 Wertpapiermitteilungen Zeitschrift fIlr die Anwaltspraxis zum Beispiel Zeitschrift fIlr Arbeitsrecht Zeitschrift fIlr das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zum Teil zustimmend zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz vom 20.5.1898 zur Zeit

Erstes Kapitel

Einleitung Das ordentliche Kündigungsrecht ist bei Arbeitsverträgen nachgiebiges Recht, es kann also abbedungen werden. Klauseln, die das Recht zur ordentlichen Kündigung zumeist rur den Arbeitgeber ausschließen, finden sich hauptsächlich in Einzelarbeits- und Tarifverträgen. Man spricht insoweit unscharf von sogenannten altersgesicherten oder unkündbaren Arbeitnehmern. Das Kündigungsverbot erfaßt jedoch nur ordentliche Beendigungs- und Änderungskündigungen, da das Recht zur außerordentlichen Kündigung unabdingbar ist. I In der Praxis ist die Vereinbarung von Kündigungsausschlüssen im EinzeIarbeitsvertrag eher die Ausnahme. Vor allem der an bestimmte Altersgrenzen oder Betriebszugehörigkeiten gekoppelte Ausschluß der ordentlichen Kündigung seitens des Arbeitgebers ist überwiegend im Tarifvertrag geregelt. 2 Eine Tarifauswertung des Bundesministeriums rur Arbeit und Sozialordnung zum 31.12.1993, die mehr als 550 Tarifbereiche mit rund 23,7 Mio. Arbeitnehmern umfaßte, hat ergeben, daß Ende 1993 rur 54% der erfaßten Arbeitnehmer in Tarifverträgen die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber rur ältere Arbeitnehmer ausgeschlossen war. Dabei differierten die tariflichen Anforderungen an Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit erheblich: Voraussetzung rur den Eintritt der Unkündbarkeit war je nach Tarifvertrag ein Mindestalter von 40 bis 55 Jahren und eine Betriebszugehörigkeit von 3 bis 20 Jahren. 3

BAG EZA Nr. 3 zu § 2 KSchG; KRJHillebrecht § 626 Nr. 37. KaniaiKramer RdA 95, 288. HalbachlPalandiSchwedeslWlotzke Übersicht über das Arbeitsrecht 1994 Nr. 2/365; Nr. 2/ 478. Zur Entwicklung von Unkündbarkeitsklauseln in Tarifvertragen: 1974 waren erst 32% aller Arbeitnehmer tariflich unkündbar, 1976 bereits 46% und 1978 50%. Eine Tarifauswertung des BMin f. Arbeit und SozialO zum 31.12.1990, die mehr als 430 Tarifvertrage mit rund 18,4 Mio. Arbeitnehmern umfaßte, ergab, daß fur 66% der Arbeitnehmer die ordentliche Kündigung ausgeschlossen war (Quellen: RdA 76, S. 255; RdA 78, S. 114; HalbachlPalandlSchwedes/Wlolzke Übersicht über das Arbeitsrecht 1991 Nr. 2/365; 2/478).

20

Erstes Kapitel: Einleitung

Beispiel rur eine derartige tarifliche Regelung ist § 53 III BAT. Nach dieser Vorschrift ist ein Angestellter im öffentlichen Dienst nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres unkündbar ist. Angesichts der Größe dieses Personenkreises überrascht es, daß Rechtsprechung und Literatur auf die Frage, weIche Auswirkungen die ordentliche Unkündbarkeit auf das dann verbleibende Recht zur außerordentlichen Kündigung hat, nur kurz und oberflächlich eingehen4 und nicht belegen, wie sie zu ihren Ergebnissen kommen. Allenfalls findet sich in den Begründungsansätzen von Rechtsprechung und Literatur ein kurzer Hinweis auf die ansonsten beim Arbeitgeber eintretende Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. 5 Daher stellt sich rur die hier vorliegende Arbeit die Aufgabe zu ermitteln, ob die ordentliche Unkündbarkeit überhaupt Auswirkungen auf die dann allein mögliche außerordentliche Kündigung hat und wenn ja, in weIcher Weise: Bewirkt der (tarif-)vertragliche Ausschluß der ordentlichen Kündigung ein Ansteigen der Anforderungen an den wichtigen Grund, oder sind die Maßstäbe dann gerade herabgesetzt? Gelten die Modifizierungen des wichtigen Grundes im Falle ordentlicher Unkündbarkeit bei allen KündigungsgrUnden, oder sind hier Differenzierungen vonnöten? Die gefundenen Resultate sind - im Unterschied zu den bisherigen Ansätzen in Rechtsprechung und Literatur, die sich mit der Frage der ordentlichen Unkündbarkeit befaßt haben, - hinreichend und unter besonderer Berücksichtigung des Schutzzwecks von Unkündbarkeitsklauseln zu begründen und zu belegen. Sollte es gänzlich unmöglich sein, der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung, also im Rahmen des wichtigen Grundes, Rechnung zu tragen, müssen Alternativlösungen in Erwägung gezogen werden. Die Frage nach anderen Lösungswegen stellt sich auch dann, wenn eine Berücksichtigung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung zwar theoretisch möglich ist, die Umsetzung bei verschiedenen KündigungsgrUnden in der Praxis aber Probleme bereitet oder ganz scheitert.

4 Z. B. "die Anforderungen an den wichtigen Grund steigen", "es ist ein strenger Maßstab anzulegen", "die außerordentliche Kündigung ist mit einer Frist zu versehen" EZA Nr. 96, 141 zu § 626; Stahlhacke Nr. 429, 457; KRiHillebrecht § 626 Nr. 205 ff.

5

121 b.

BAG AP Nr. 86 zu § 626; EZA Nr. 144,96 zu § 626; KRiHillebrecht § 626 Nr. \05, 313,

Erstes Kapitel: Einleitung

21

In der arbeitsrechtlichen Praxis wird das Problem der außerordentlichen Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer beispielsweise oft über Abfindungszahlungen entschärft. Zu untersuchen ist des weiteren, ob der ordentlichen Unkündbarkeit gegebenenfalls auch auf Rechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung, also im Rahmen der Kündigungsfrist, Rechnung getragen werden kann. Dabei verdient die Frage der Vereinbarkeit mit dem entgegenstehenden Wortlaut des § 626 16, der eine entfristete außerordentliche Kündigung vorsieht, sowie die Frage nach der Länge der u.U. einzuhaltenden Frist besondere Beachtung. Die Frage der Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer wirft somit vielfliltige Probleme auf, deren Behandlung Aufgabe dieser Arbeit ist. Zum besseren Verständnis der auftretenden Probleme bei ordentlicher Unkündbarkeit und zur Systembildung soll zunächst in einem ersten Abschnitt ein allgemeiner Überblick über das Dauerschuldverhältnis sowie Herleitung, Legitimation und Ausprägungen des Kündigungsrechts allgemein bei Dauerschuldverhältnissen gegeben werden. Danach wird auf die Kündigungsmöglichkeiten in einem speziellen Dauerschuldverhältnis, dem Arbeitsverhältnis, eingegangen. Inhalt des zweiten Abschnitts ist die Darstellung und Bewertung der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Lösungsansätze zur Frage der Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer. Daran schließt sich der eigene Lösungsansatz an, der zunächst die Möglichkeiten der Berücksichtigung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung in Theorie und Praxis untersucht und dann auf die Frage eingeht, inwieweit der ordentlichen Unkündbarkeit auch auf Rechtsfolgenebene, also über die Gewährung einer Kündigungsfrist, Rechnung getragen werden kann und wie sich dies gegebenenfalls mit dem entgegenstehenden Wortlaut des § 626 I dogmatisch korrekt vereinbaren läßt.

6

Alle §§ ohne Angabe sind solche des 8GB.

Zweites Kapitel

Überblick über das Dauerschuldverhältnis und die Kündigungsrechte Dieses einführende Kapitel gibt einen kurzen Überblick über das Dauerschuldverhältnis mit seinen charakteristischen Regelungsinteressen sowie über die allgemein im Dauerschuldverhältnis und speziell im Arbeitsverhältnis existierenden verschiedenen Kündigungsrechte und deren dogmatische Ableitung.

A. Das Dauerschuldverhältnis I. Wesen und allgemeine Merkmale

Der Begriff des Dauerschuldverhältnisses ist dem BGB unbekannt, hat sich aber seit Dtto v. Gierke l in der Zivilrechtsdogmatik eingebürgert. Gesetzlich erwähnt ist der Begriff des Dauerschuldverhältnisses im AGBG, wobei § 11 Nr. 12 eine Definition enthält: Dauerschuldverhältnisse sind Vertragsverhältnisse, die die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand haben. Charakteristisches Merkmal der Dauerschuldverhältnisse ist ihr Zeitmoment; so ist der Faktor Zeit bei dieser Art von Schuldverhältnissen nicht nur eine der Modalitäten der Leistungserbringung, sondern auch ein essentielles Element der Leistungspflicht selbst. 2 Die zeitliche Dimension ist damit bei Dauerschuldverhältnissen konstitutives Element des Leistungsinhalts. 3 Dies bedeutet, daß der Leistungsumfang bei Vertragsabschluß noch unbestimmt ist und daher aus-

Von Gierke JherJb 64, 355, 411. 2

Larenz SchuldR Bd 1 § 2 VI; EsserlSchmidt SchuldR 1 § 15 11 4.

3

Horn S. 559.

A. Das Dauerschuldverhältnis

23

schließlich durch die Vertragsdauer, also durch das Element "Zeit" bestimmt werden kann. 4 In Abgrenzung zu den vorübergehenden Schuldverhältnissen ist rur Dauerschuldverhältnisse kennzeichnend, daß diese nicht durch Erftlllung bzw. Zweckerreichung erlöschen, sondern daß im Zeitablauf ständig neue Leistungspflichten entstehen und einzelne Leistungsaustauschhandlungen die Schuld nicht gänzlich tilgen. 5 Das Schuldverhältnis dauert vielmehr trotz einzelner Erfilllungshandlungen an, behält denselben Umfang und ist nach Bewirken der einzelnen Ansprüche noch genau so befähigt, immer neue, auf Weitererhaltung zielende Anspruche zu erzeugen. Typischer Leistungsinhalt ist somit eine dauernde Leistungspflicht. In Anbetracht der fortlaufend entstehenden neuen Leistungspflichten bezeichnete Herschel 6 das Dauerschuldverhältnis daher gleichnishaft als rechtlichen Organismus. Nach Esser/Schmidf ist das Zeitelement nicht das alleinige Kennzeichen des Dauerschuldverhältnisses. Konstitutives Element rur Dauerschuldverhältnisse sei vielmehr auch eine ständige Pflichtenanspannung. Damit meinen sie die dauernde Anstrengung zu pflichtgemäßer Leistung, die stets erbracht werden mUsse, ohne daß damit das Schuldverhältnis als Ganzes seine Erfilllung im Sinne der Beendigung flinde. Da Dauerschuldverhältnisse nicht automatisch durch Bewirken der geschuldeten Leistung erlöschen, sondern permanent neue Leistungspflichten entstehen, kann das Dauerschuldverhältnis seiner Idee nach zeitlich unbegrenzt gedacht werden. Da sich die Parteien häufig nicht ewig binden wollen, muß jedem Dauerschuldverhältnis eine zeitliche Begrenzung quasi von außen gesetzt werden; Kündigungsrecht und Befristung gewinnen daher bei Dauerschuldverhältnissen eine besondere Bedeutung. 8 Alle diese Merkmale treffen auf Dienst- und Arbeitsverträge zu; sie sind damit als Dauerschuldverhältnisse ausgewiesen. 9

4

Oelker S. 86; KRiWolfGrds. Nr. 107,97.

6

Hersehel MDR 83, 900.

7

EsserlSehmidl SchuldR Bd I § 15 11 4.

Von Gierke JherJb 64, 359; Nehm S. 9; Larenz SchuldR Bd 1 § 2 VI.

MüKo/Kramer Einl. § 241 Nr. 84 ff; Nehm S. 19 f; Wiese FS Nipperdey S. 37; Gernhuber "Das Schuldverhaltnis" § 16 11 4 (S. 390). 8

9

Von Gierke JherJb 64, S. 398 f; Horn S. 561.

24

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

11. Interessenkollision im Dauerschuldverhältnis

Im Dauerschuldverhältnis, das durch ein besonderes Zeitmoment geprägt ist, treffen zwei gegenläufige Interessen aufeinander: Beendigungs- und Bestandsinteresse. 1. Beendigungsinteresse im Dauerschuldverhältnis

Bei allen längerfristigen Vertragsbindungen kann sich in besonderer Weise ein Bedürfuis nach Auflösung oder Umgestaltung der einst eingegangenen Verpflichtungen ergeben. Dauerschuldverhältnissen ist somit ein spezifisches Beendigungsinteresse immanent, welches durch die besonderen Probleme hervorgerufen wird, die sich aus dem Zeitelement der Leistung bei Dauerschuldverhältnissen oder dem besonderen Merkmal der Langfristigkeit ergeben. 10 Diese aus dem filr Dauerschuldverhältnisse charakteristischen Zeitelement resultierenden Regelungsprobleme und Risikopotentiale hängen zum einen mit der bereits teilweise vollzogenen Vertragsdurchfilhrung, zum anderen mit der noch filr die Zukunft bestehenden Vertragsbindung und zumeist mit Veränderungen, die seit Vertragsschluß eingetreten sind, zusammen. 11 Zunächst kann die künftige lange Vertragsbindung selbst eine besondere Belastung bedeuten. 12 Wegen der sich in eine undurchschaubare und daher unkalkulierbare Zukunft erstreckenden langen und starken rechtlichen Bindung bestehen besondere Gefahren filr die persönliche Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Vertragspartner. 13 Bereits von Savigny!4 erkannte die Gefahr, daß die fortwährende Bindungskraft im Dauerschuldverhältnis eine Herrschaft über die Person im Ganzen zu konstituieren vermag. Dies ist insbersondere dann der Fall, wenn sich nicht zwei gleich starke und gleichberechtigte Partner, wie beispielsweise im Arbeitsverhältnis, gegenüber stehen. Das filr Dauerschuldverhältnisse charakteristische Zeitmoment kann zu weiteren spezifischen Problemen filhren. So kann ein Vertrauenstatbestand zwischen den Vertragsparteien geschaffen sein, teils aufgrund bereits länger erfolgter Durchfilhrung des Vertrages, teils im Hinblick auf die vertraglich in

10

Paschke S. 136.

11

Horn S. 557; Haarmann S. 121 ff.

12

Preis "Grundfragen" S. 31; Horn S. 560.

13

Sleininger FS f. Wilburg S. 376; Wallmeyer S. 151.

14

Von Savigny Obligationenrecht Bd. 11 S. 7.

A. Das Dauerschuldverhältnis

25

Aussicht genommene künftige Vertragsdurchruhrung. 15 Störungen, die im Laufe der langen und engen Zusammenarbeit unvermeidbar eintreten, wiegen aufgrund der Ausbildung spezifischen Vertrauens zwischen den Vertragspartnern schwerer, das gesamte Schuldverhältnis wird durch Hinzutreten des Vertrauenselements empfindlicher und störungsanflilliger. 16 Schließlich ist das besondere Beendigungsinteresse bei Dauerschuldverhältnissen die typische Folge des durch die Länge der zeitlichen Bindung erhöhten Vertragsrisikos. 17 Vertragsrisiko meint, daß sich wegen der gegenseitigen Bindung der Vertragspartner in der Zeit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts oder erheblicher Auswirkungen veränderter Umstände proportional zum Zeitablauf erhöht und daher ein verstärktes Bedürfnis der gebundenen Vertragspartner besteht, auf diese Veränderungen zu reagieren. Beispielsweise kann dann ein Bedilrfnis der Vertragsparteien nach Auflösung oder Umgestaltung ihrer engen Bindung bestehen, um so widrigen Konsequenzen rur das Selbstbestimmungsrecht in wirtschaftlichen bzw. persönlichen Angelegenheiten entgehen zu können. 18 Die Dauerschuldverhältnisse konstituierende Bindung der Vertragspartner in der Zeit ist somit der zentrale Verursacher von Problemen im DauerschuldverhäItnisrecht; daher ergibt sich bei allen längerfristigen Vertragsbindungen häufiger das Bedürfnis nach einer Auflösung dieser Bindung. Dieses Beendigungsinteresse kann bei Dauerschuldverhältnissen umso stärker sein, je mehr der Vertrag den persönlichen Einsatz eines Vertragspartners fordert, wie beispielsweise beim Arbeits- oder Gesellschaftsvertrag, je enger die Kooperation ist und je länger die zukünftige noch verbleibende Vertragsbindung nach dem (ursprilnglichen) Vertrag andauern soll.19 Rechtliche Anerkennung findet das Beendigungsinteresse durch das rur Dauerschuldverhältnisse typische Kilndigungsrecht, das später noch zu behandeln sein wird.

15

Horn S. 560; Haarmann S. 122.

16

Vgl. Gernhuber "Das Schuldverhältnis" § 1611 2.

17

Paschke S. 136 f; Schlechtriem SchuldR AT Nr. 14.

18 19

Steininger FS Wilburg S. 376; Haarmann S. 122. Horn S. 564.

26

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

2. Bestandsinteresse im Dauerschuldverhältnis

Dem Interesse an einer Beendigung oder Auflösung des Dauerschuldverhältnisses ist das Interesse der anderen Vertragspartei am Fortbestand des Vertrages in der Regel entgegengesetzt. Dieses rur Dauerschuldverhältnisse charakteristische Bestandsinteresse ist wie das Beendigungsinteresse die Konsequenz aus dem Wesen des Dauerschuldverhältnisses. Zum einen handelt es sich bei den typischen Dauerschuldverhältnissen um Rechtsverhältnisse, die tUr zumindest eine Vertragspartei von existentieller Bedeutung sind. Sie sichern die wirtschaftliche Existenz oder die Versorgung einer Partei in Grundbedürfuissen: Arbeit und Einkommen, Altersversorgung, Wohnraum, Wasser, Strom, Gas, Fernwärme. 20 Die Bedeutung des langfristigen Vertrages als Existenzgrundlage begründet das Interesse der abhängigen und unterlegenen Vertragspartei, diese Rechtsverhältnisse aufrecht zu halten, deren Bestand zu sichern und vor gegenläufigen Beendigungsinteressen verstärkt zu schützen. Dauerschuldverhältnissen ist somit ein besonderes Bestandsinteresse immanent. Zum anderen folgt aus der langfristigen Bindung bei Dauerschuldverhältnissen regelmäßig die Ausbildung eines verstärkten Vertrauenstatbestandes, der ebenfalls ein schutzwürdiges Bestandsinteresse hervorruft. Die Tatsache, daß ein Vertrag bereits längere Zeit bestanden hat und durchgefllhrt worden ist, weckt die Erwartung, daß dies auch in Zukunft so sein wird. Der durch die langfristige Bindung hervorgerufene Vertrauenstatbestand bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen schafft somit spezifische Kontinuitäts- und Perpetuierungserwartungen und damit ein besonderes Bestandsinteresse. 21 Rechtlich verwirklicht bzw. umgesetzt wird das Bestandsinteresse durch die Einschränkung der Möglichkeiten der Vertragsbeendigung, z. B. dadurch, daß man die Beendigungsmöglichkeit, namentlich die Kündigung, an besondere materiellrechtliche oder prozessuale Voraussetzungen bindet oder besondere Gegenrechte zum Kündigungsschutz gewährt, so beim Arbeitsverhältnis durch den Begründungszwang des § 102 II BetrVG und die nach § 1 KSchG erforderliche soziale RechtfertigungY

20

Horn S. 565.

21

Paschke S. 137, 144.

22

Horn S. 566.

A. Das Dauerschuldverhältnis

27

Im Recht zur außerordentlichen Kündigung kommen die Bestandsschutzinteressen dadurch zur Geltung, daß die Gründe rur eine Beendigung gegenüber diesen Interessen abzuwägen sind, wie § 626 I ausdrücklich anordnet. 3. Kollision dieser Interessen Bestands- bzw. Beendigungsinteressen können sich rur alle Vertragsbeteiligten ergeben. Sie können aber auch als Interesse nur einer Partei mit den gegenläufigen Interessen des Vertragspartners in Konflikt geraten. Bestands- und Beendigungsinteresse stehen sich dann nicht selten als unversöhnliche Größen gegenüber, da die Durchsetzung der einen notwendig die Zurücksetzung der anderen bedeutet und umgekehrt. Die rigide Alternative, das Dauerschuldverhältnis entweder zu beenden oder aufrechtzuerhalten, kann dadurch gelockert werden, daß eine Anpassung des Rechtsverhältnisses an die veränderten Umstände ermöglicht wird. 23 Im Widerstreit der gegenläufigen Bestands- und Beendigungsinteressen ist es Aufgabe der Interessenabwägung, die Schwelle zu bestimmen, bei deren Überschreitung das durch den Grundsatz der Vertragstreue rechtlich geschützte Bestandsinterese dem Beendigungs- oder Anpassungsinteresse weichen muß. Diese Schwelle wird hauptsächlich mit dem Begriff der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit umschrieben. 24 Besondere Probleme im Konflikt zwischen Beendigungs- und Bestandsinteressen ergeben sich dann, wenn in diese spezifischen Interessenlagen individualoder kollektivvertraglich eingegriffen wird. So ruhrt der im Arbeitsvertragsrecht häufig anzutreffende einzel- bzw. kollektivvertragliche Ausschluß der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit in der Regel zu einer deutlichen Verschiebung der jeweiligen Regelungsinteressen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, denn aufgrund seiner (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeit hat der Arbeitnehmer ein besonders starkes und schutzwürdiges Bestandsinteresse. Im Rahmen der rur die Lösung des Konflikts zwischen Bestands- und Beendigungsinteressen zuständigen Interessenabwägung ist diese einzel- bzw. kollektivvertragliche Manipulierung der Regelungsinteressen zu berücksichtigen, da hierdurch möglicherweise die Schwelle der Zumutbarkeit bzw. Unzumutbar23

Paschke S. 137.

Horn S. 569; Haarmann S. 34 ff. 57 ff; Auf die Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit wird im folgenden noch eingegangen. 24

28

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

keit nach oben oder unten verschoben wird. Dieses Problem wird im folgenden zu behandeln sein. I1I. Bedeutung der Vertragstreue im Dauerschuldverhöltnis

Der Grundsatz der Vertragstreue ist kein Spezifikum von Dauerschuldverhältnissen. Der aus ihm entwickelte Rechtssatz pacta sunt servanda beansprucht allgemeine Geltung im Recht der Schuldverhältnisse. Dennoch gewinnt er im Zusammenhang mit Dauerschuldverhältnissen besondere Bedeutung; er bildet eine der Wertungsgrundlagen rur die Ordnung im Dauerschuldverhältnis. 25 Vertragstreue bedeutet das wechselseitige Festhalten der Vertragspartner an einer eingegangenen Verpflichtung, das Stehen zum gegebenen Wort. 26 Der Grundsatz der Vertragstreue ist zwar kein Bestandteil der geschriebenen Privatrechtsordnung, er wird aber von den Vorschriften des BGB als selbstverständlich vorausgesetzt und stellt eine wesentliche Grundlage rur ein funktionierendes, die Äquivalenz gegenseitiger Leistungen sicherndes Vertragsrechtssystem darY Die Rechtsordnung - hier in Gestalt des Grundsatzes pacta sunt servanda bindet die Parteien an ihr Wort, um Rechtssicherheit und Verläßlichkeit im Privatrechtsverkehr zu gewährleisten. Nur wenn sich die jeweiligen Erklärungsemptanger auf die Verbindlichkeit des abgegebenen Leistungsversprechens verlassen können und der Vertrag ein beiderseitig verbindliches Regelwerk zwischen den Vertragspartnern etabliert, bleibt die auf der konsensualen Einigung zweier Vertragsparteien aufbauende Privatrechtsordnung funktionstahig. 28 Im Dauerschuldverhältnis gewinnt der Grundsatz der Vertragstreue besondere Bedeutung, weil durch das verdichtete Pflichtengeruge und die größere Abhängigkeit der Parteien voneinander sowie die lange und enge Bindung spezifische Kontinuitätserwartungen und Vertrauenstatbestände geschaffen werden, die durch den Grundsatz der Vertragstreue rechtlich sanktioniert werden. 29 Hinzu kommt, daß die dauerhafte Vertragsbeziehung regelmäßig ein existentielles Leistungsinteresse befriedigt, also die Existenzgrundlage rur zumindest einen Vertragsteil bildet. Aus diesem Grunde vertrauen die Parteien nicht nur in 25

Paschke S. 144 f.

26

Binder DRdA 70, 197; Nipperdey "System des bürger\. Rechts" S. 105.

27

Oe/ker S. 248; BGHZ 89, 206, 211.

28

Oe/ker S. 248; Haarmann S. 43; Preis "Grundfragen" S. 26.

29

Paschke S. 144.

A. Das Dauerschuldverhältnis

29

stärkerem Maße darauf, daß ihr Rechtsverhältnis ungestört besteht und auch in Zukunft fortbestehen wird, sondern sie sind auch darauf angewiesen. Der Grundsatz der Vertragstreue erhält also einen besonderen Stellenwert und ist hier der rechtsdogmatische Ansatzpunkt für die Gewährung von Bestandsschutz. 30 Insgesamt ist die Relevanz des Grundsatzes der Vertragstreue bei langfristigen Verträgen somit erhöht. Anderer Auffassung ist in diesem Punkte Steinwenter3 I. Er mißt der Vertragstreue bei Dauerschuldverhältnissen eher geringere Bedeutung als bei vorübergehenden Schuldverhältnissen bei. Dies begründet er damit, daß sich die Vertragsparteien im vorhinein klar seien, daß ihre durch den Vertrag begründete rechtliche Gemeinschaft einmal ein Ende haben müsse und daß keiner dem anderen für immerwährende Zeiten verbunden bleiben wolle. Hierbei verkennt er, daß Dauerschuldverhältnisse grundsätzlich auf lange Zeit ausgerichtet sind und die Vertragsparteien daher prinzipiell vom Fortbestand des Rechtsverhältnisses und nicht von dessen Beendigung ausgehen. Der Grundsatz der Vertragstreue gilt trotz seiner Bedeutung und Tragweite im Recht der Schuldverhältnisse, hier insbesondere im Dauerschuldverhältnisrecht, nicht uneingeschränkt und absolut. Er ist vor allem nicht in der Lage, den Konflikt zwischen den widerstreitenden Bestands- und Beendigungs- bzw. Anpassungsinteressen zugunsten des Bestandsinteresses aufzulösen und damit den Fortbestand eines Dauerschuldverhältnisses zu begründen. Der Grundsatz der Vertragstreue ist kein Wertungsgesichtspunkt, der eine dominierende Bedeutung von Bestandsschutzinteressen begründen könnte. J2 Dies liegt daran, daß die ewige Treue zum eingegangenen Vertrag die gerade den schuldrechtlichen Verträgen zugrundeliegende, durch sie zu realisierende Selbstbestimmung der einzelnen, die Bewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer über das vertretbare Maß hinaus einschränken würde. JJ Der Grundsatz der Vertragstreue gerät somit in Kollision zu Selbstbestimmungsrecht und persönlicher Freiheit. Der Grundsatz der Vertragstreue gilt außerdem nicht absolut, weil bei jeder konsensualen, zweiseitigen vertraglichen Bindung auch das Beendigungsinteresse des anderen Teiles schutzwürdig ist und daher berücksichtigt werden muß.

30

Paschke S. 144.

3I

Sfeinwenfer JBI 50, S. 225.

32

Paschke S. 146.

JJ

Larenz SchuldR Bd. I § 2 VI.

30

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und KUndigungsrechte

Der Grundsatz der Vertragstreue kommt aber im Konflikt zwischen Bestands- und Beendigungsinteressen insofern zum Tragen, als gerade im Dauerschuldverhältnis nicht schon bei jeder Veränderung der bei Vertragsschluß vorhandenen Umstände eine einseitige Lösung möglich ist, da sich andernfalls das Recht selbst aufgeben würde und die Sicherheit des geschäftlichen Lebens gefährdet wäre. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß derjenige, der einen Vertrag auf längere Zeit schließt, das Risiko einer ungünstigen Wendung ebenso übernimmt, wie er die Vorteile einer günstigen Verschiebung genießt. Die Vertragstreue findet aber dann eine Grenze, und das Beendigungsinteresse setzt sich gegenüber dem Bestandsinteresse durch, wenn ganz besondere, einschneidende Änderungen des Vertragsverhältnisses eingetreten sind, die ein gedeihliches Zusammenarbeiten vereiteln. 34 Es bedarf also schwerwiegender, zumeist mit dem Maßstab der Unzumutbarkeit charakterisierter Gerechtigkeitserfordernissse, um die Ordnungsprinzipien der Gesetzes- und Vertragstreue sowie der Rechtssicherheit, die im Grundsatz pacta sunt servanda ihren Ausdruck finden, zu durchbrechen. 35 Dem Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) kommt bei Dauerschuldverhältnissen somit besondere Bedeutung zu; trotzdem gilt er grundsätzlich nicht uneingeschränkt und absolut, sondern steht unter dem Vorbehalt von ordentlicher und außerordentlicher Kündigung.

B. Begründung f"ür die Existenz von Kündigungsrechten im Dauerschuldverhältnis I. Das Kündigungsrecht als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des einzelnen

Wie bereits dargestellt wurde,36 ist dem Wesen des Dauerschuldverhältnisses immanent, daß es nicht durch ErfUllung erlischt, sondern ständig neue Leistungspflichten entstehen läßt, und einzelne Leistungsaustauschhandlungen die Schuld nicht gänzlich tilgen. Seiner Idee nach kann das Dauerschuldverhältnis also zeitlich unbegrenzt gedacht werden.

34

Nehm S. 33; vgl. auch Sleininger FS Wilburg S. 369, 376.

35

Preis "Grundfragen" S. 26.

36

Siehe 2. Kapitel, A. I. und 111.

B. Kündigungsrechte im Dauerschuldverhältnis

31

Da außerdem dem Grundsatz der Vertragstreue bei Dauerschuldverhältnissen ein erhöhter Stellenwert zukommt, wären langfristige Rechtsverhältnisse ohne eine von außen gesetzte Beendigungsmöglichkeit durch besondere Stabilität gekennzeichnet und die Vertragspartner unter Umständen auf ewig und damit übermäßig und unangemessen gebunden. Dies ist mit der persönlichen Freiheit der am Vertrag Beteiligten und mit dem die Privatrechtsordnung beherrschenden Grundsatz der Selbstbestimmung in eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten unvereinbar, denn die Vertragspartner würden mittels einer ewig dauernden Bindung ihre Selbstbestimmung zumindest partiell, nämlich rur die Zukunft, aufgeben. 37 Der Grundsatz der Selbstbestimmung setzt der dauernden vertraglichen Bindung daher Grenzen und ist die tragende Grundlage rur die Anerkennung einer Vertragsbeendigungsfreiheit im Dauerschuldverhältnisrecht. 38 Vertragliche Selbstbestimmung in persönlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten heißt daher nicht nur Vertragsbegründungsfreiheit, sondern auch Vertragsbeendigungsfreiheit. 39 Sie findet im Kündigungsrecht das rechtstechnische Instrumentarium, das dieser Freiheit dadurch Ausdruck verleiht, daß allein der Wunsch einer Dauerschuldverhältnispartei, die langfristige Bindung aufzulösen, als hinreichender rechtlicher Grund rur die Vertragsbeendigung angesehen wird. 40 V. Gierke41 charakterisierte das Rechtsinstitut der Kündigung daher als das unentbehrliche Gegengewicht gegenüber der fortwährenden Bindungskraft dauernder Schuldverhältnisse; die Ausübung des Kündigungsrechts sei ein Akt der Selbstbefreiung, der gewährleiste, daß das Schuldverhältnis keine Herrschaft über die Person im Ganzen konstituiereY Das Kündigungsrecht ist mithin die spezifische Reaktion der Privatrechtsordnung auf das Phänomen der langfristigen Bindung im Dauerschuldverhältnis. Es wird von der Zivilrechtsordnung als Korrelat der im Vergleich zu sonstigen Rechtsverhältnissen erhöhten Risiken im Dauerschuldverhältnis gewährt. 43

37

MüKo/Ulmer § 723 Nr. 42; Oe/ker S. 252; Moli/or S. 52; Paschke S. 139 f.

38

Paschke S. 140.

39

Ulmer FS Möhring S. 304; Haarmann S. 124, 128.

40

Paschke S. 140.

41

Von Gierke Dt. Privatrecht Bd 111 § 176 S. 91; ders. JherJb 64, 378 ff.

42

Von Savigny Obligationenrecht Band I, S. 7.

43

Paschke S. 139.

32

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

Als Ausprägung des tragenden Grundsatzes der Selbstbestimmung und zur Wahrung der Rahmenbedingungen einer funktionsfähigen Privatautonomie44 ist das Recht zur einseitigen Beendigung bei Dauerschuldverhältnissen zwingend und wird daher als typisches bzw. kennzeichnendes Merkmal von dauernden Rechtsverhältnissen angesehen. 45 11. Rechtsnatur der Kündigung

Für das Thema dieser Arbeit ist - wie sich insbesondere in den letzten Kapiteln herausstellen wird - die Rechtsnatur der Kündigung von besonderer Bedeutung. Die Kündigung ist nach allgemeiner Auffassung eine einseitige, rechtsgestaltende und empfangsbedürftige Willenserklärung, die entsprechend dem erklärten Willen ein Dauerschuldverhältnis, wie insbesondere das Arbeitsverhältnis, rur die Zukunft (ex nunc) oder nach Ablauf einer Kündigungsfrist mit unmittelbarer Wirkung beendet. 46 Die Kündigung gehört zur Gruppe der Gestaltungsrechte, weil sie eine Neugestaltung der Rechtslage herbeiruhrt, nämlich die Beendigung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses. 47 Einseitig ist die Kündigung insofern, als sie keiner sachlichen Mitwirkung oder Zustimmung des anderen Teils bedarf; ist die Kündigung gültig, so ist unerheblich, ob der Vertragspartner mit ihr einverstanden ist oder ihr widerspricht. 48 Entsprechend ihrer rechtlichen Wirkungen ist die Kündigung eine VertUgung, denn sie hebt die Rechte des Kündigenden aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis (z.B. aus dem Arbeitsverhältnis) auf und berührt damit unmittelbar den Bestand des Rechtsverhältnisses. Da die Kündigung die Beendigung des Rechtsverhältnisses herbeiruhrt, trägt sie einen rechtsvemichtenden Charakter. 49 Bedeutsam ist schließlich auch, daß durch rechtsvernichtende Gestaltungsrechte wie die Kündigung im Ausübungsfalle einseitig und unmittelbar in eine

44

Oetker S. 257.

45

Wiese FS Nipperdey S. 837; Gernhuber "Schuldverhältnis" § 16114; Horn S. 563 f.

46

KR/Wo(fGrds. Nr. 96; Schnorr v. Carolsfeld S. 350.

47

Molitor S. I; Staudinger/Neumann vor §§ 620 Nr. 32.

48

Stahlhacke Nr. I tT; Götz ArbR Nr. 256.

49

Molitor S. 2; Preis S. 109 f; Adomeit GestaltungsR S. 15 f.

B. KUndigungsrechte im Dauerschuldverhältnis

33

fremde rechtliche Sphäre eingebrochen wird, weshalb die Kündigung zum Teil auch als einbrechendes Gestaltungsrecht50 bzw. Eingriffsrecht51 bezeichnet wird. Obschon der Kündigende mit der Kündigung eines gegenseitigen Vertrages nicht nur dem Gegner, sondern auch sich selbst Rechtspositionen nimmt, ist doch al1ein sein Interesse an einer Vertrags beendigung für die Beseitigung der Rechtsposition des Kündigungsempflingers maßgeblich. So wird ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn dies für ihn im Hinblick auf seine Dispositionen oder andere ökonomische Gesichtspunkte vorteilhaft erscheint. Daß er durch die Kündigung gleichzeitig die für ihn günstige Rechtsposition der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers verliert, tritt vor diesem Hintergrund zurück. 52 Der Kündigende hat es somit in der Hand, in eine fremde Rechtssphäre einzudringen und dem Kündigungsgegner eine besonders wertvol1e, schutzwürdige und existentielle Rechtsposition - sein Arbeitsverhältnis - zu entziehen, wobei dies alles unter Ignorierung der Interessen des unterlegenen und abhängigen Gestaltungsgegners geschieht. Insgesamt verleiht das Gestaltungsrecht der Kündigung damit dem zur Auflösung des Rechtsverhältnisses entschlossenen Vertragspartner ein Mehr an rechtlichem Vermögen und begründet eine Vorzugsstel1ung gegenüber allen anderen Rechtssubjekten derart, daß nur der Gestaltungsberechtigte die Herrschaft über die Rechtslage besitzt. 53 Derjenige dagegen, der einem Gestaltungsrecht wie der Kündigung ausgesetzt ist, befindet sich in einem Zustand der Abhängigkeit oder sogar der Unterworfenheit unter diese rechtliche Gestaltungsmacht. 54

111. Ausprägungen des Kündigungsrechts Als konstitutiver Bestandteil einer auf der Privatautonomie aufbauenden und sie verwirklichenden Selbstbestimmungsordnung55 ist die Beendigungsfreiheit im Recht zur ordentlichen fristgebundenen Kündigung sowie im außerordentlichen fristlosen Kündigungsrecht verwirklicht.

50

Bötlicher FS f. Dölle S. 45; Nickel AbuR 75. 99.

51

Maus S. 273; Molilor S. 2.

52

Preis S. 111; Koch FS f. Zweigert S. 860 ff.

53

eoen "Recht auf Arbeit und Bestandsschutz" S. 7.

54

Preis S. 110; Adomeil GestaltungsR S. 35 f; BÖllicher Gestaltungsrecht S. 7 f.

55

Oefker S. 248 ff. 258.

3 von Koppenfels

34

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

Wertungsmäßige Legitimation und rechtstechnische Ausprägung des Rechts zur ordentlichen und außerordentlichen fristlosen Kündigung unterliegen allerdings grundsätzlich verschiedenen Ordnungsvorstellungen, deren Darstellung Inhalt des folgenden Abschnitts sein wird. I. Das Recht zur ordentlichenfristgebundenen Kündigung Kennzeichnend rur Dauerschuldverhältnisse ist, daß eine vertragliche Leistung während eines Zeitraumes ständig erbracht werden soll, so daß im Zeitablauf ständig neue Leistungspflichten entstehen und einzelne Erfilllungshandlungen die Schuld nicht gänzlich tilgen. 56 Dauerschuldverhältnisse enden somit - im Unterschied zu den vorübergehenden Schuldverhältnissen - nicht von selbst. Aus Gründen der persönlichen Freiheit sowie des Selbstbestimmungsrechts der Vertragspartner müssen dauernde Schuldverhältnisse daher durch die am Vertrag Beteiligten selbst beendet werden können. Dafilr stellt die Rechtsordnung die Instrumente der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung zur Verfiigung. Nach ihrer Grundkonzeption und bei idealtypischer regelungstechnischer Ausgestaltung bedarf die ordentliche Kündigung zu ihrer Wirksamkeit keines rechtfertigenden Grundes, d.h. sie erlaubt dem einzelnen eine Beendigung der Vertragsbeziehung allein aufgrund seines privatautonomen WillensentschlussesY Da ein besonderer Kündigungsgrund somit nicht erforderlich ist, sondern allein der Beendigungswille eines Vertragspartners die Kündigung wirksam werden läßt, trägt das ordentliche Kündigungsrecht dem Grundsatz der Beendigungsfreiheit Rechnung. Indem es die einseitige Abstandnahme vom Vertragsverhältnis gestattet und so eine U.U. ewige und einschränkende Bindung der Vertragsparteien verhindern kann, schafft das ordentliche Kündigungsrecht die institutionelle Rahmenbedingung zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der am Vertrag Beteiligten. 58

56

Horn S. 561.

57

Horn S. 564,572; Paschke S. 275; Oetker S. 272.

58

Oetker S. 272.

B. Kündigungsrechte im Dauerschuldverhältnis

35

Als zentraler Wertungsgesichtspunkt legitimiert somit das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen das Recht zur ordentlichen Kündigung;59 es ist Teil und notwendige Ergänzung von Vertragsfreiheit und Privatautonomie. 6O Da das Recht zur ordentlichen Kündigung die einseitige, auf dem Willen eines Vertragspartners beruhende und an keine weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpfte Vertragsbeendigung ermöglicht, ist die ordentliche Kündigung das Mittel, das der aus der zeitlichen Dimension der Dauerverträge folgenden Gefahr filr das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen entgegenwirkt. Es ist somit das von der Rechtsordnung vorgesehene notwendige Korrelat zur langfristigen Bindung und daher das filr Dauerverträge charakteristische Beendigungsinstrument. 61 Gschnitzer62 wies deshalb im Grundsatz bereits zutreffend auf die Parallelen der ordentlichen Kündigung mit der Erfüllung bei den vorübergehenden Schuldverhältnissen hin. Beiden Instituten sei gemeinsam, daß sie für die Zukunft das Ende der Leistungsptlicht herbeifilhrten. Außer der Funktion, ein Dauerschuldverhältnis zu beenden, sieht M.Wolf'>3 eine weitere Aufgabe der ordentlichen Kündigung in der abschließenden Bestimmung des Umfangs der Leistungsptlichten, weIcher in dem auf unbestimmte Zeit geschlossenen Dauerschuldverhältnis notwendig offenbleibe und ohne Begrenzung durch Kündigung unbefristet anwüchse. Die Einseitigkeit der Interessenausrichtung bei der Kündigung sowie das filr Dauerschuldverhältnisse typische Bestandsschutzinteresse des anderen Teils zwingen dazu, daß ein ordentliches Kündigungsrecht grundsätzlich nur fristgebunden anzuerkennen ist. Regelfall ist somit die an eine bestimmte Gewöhnungs- bzw. Anpassungszeit geknüpfte fristgebundene ordentliche Kündigung. 2. Das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung

Als rechtstechnisches Instrument zur Verhinderung zukünftiger ewiger Vertragsbindung bei Dauerschuldverhältnissen entfaltet die außerordentliche Kündigung die einschneidensten Wirkungen auf die Vertragsbeziehungen. Sie

59

Paschke S. 275.

60

Ulmer FS Möhring S. 304.

Oetker S. 272; Steinll'enter JBI 50, 225; Horn S. 572; Canaris ZHR 143, 127; Esser! Schmidt I § 15 11; Wolf JUS 68, S. 68; Hopt ZHR 143, S. 162. 61

62

Gschnitzer JherJb 76, 329; vgl. Nehm S. 21 f.

63

M. Wolf JUS 68, S. 68: KRiWolfGrds. Nr. 97.

36

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

zeichnet sich idealiter dadurch aus, daß sie mit ihrem Wirksamwerden durch Zugang beim Vertragspartner ihre zur Vertragsbeendigung filhrende Wirkung sofort entfaltet. Die im Hinblick auf die Dispositionen des Vertragspartners gravierenden Rechtswirkungen werden dadurch legitimiert, daß das Recht zur außerordentlichen Kündigung tatbestandlich mit dem Vorliegen eines Kündigungsgrundes verknüpft wird. 64 Die Tatsache, daß die außerordentliche Kündigung nicht schon beim Vorliegen eines entsprechenden privatautonomen Willensentschlusses zulässig ist, sondern zu ihrer Wirksamkeit eines rechtfertigenden (wichtigen) Grundes bedarf, läßt erkennen, daß das Recht zur außerordentlichen Kündigung keine direkte Ausprägung des Grundsatzes der Beendigungsfreiheit darstellt und seine Verankerung bzw. Legitimation - anders als das ordentliche Kündigungsrecht nicht allein in Selbstbestimmungsrecht und persönlicher Freiheit des einzelnen findet. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung findet sein dogmatisches Fundament vielmehr in dem die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Unzumutbarkeitsgrundsatz. 65 Die außerordentliche Kündigung ist ein Rechtsbehelf, der daran anknüpft, daß sich ein Rechtsverhältnis objektiv anders entwickelt hat, als die Vertragsbeteiligten bei Vertragsschluß vorausgesehen und vereinbart haben, und deshalb unter den veränderten Umständen zumindest einem Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. 66 Liegen solche zur Unzumutbarkeit filhrenden wichtigen Gründe vor, so werden die individuellen Interessen gegenüber dem abstrakten Prinzip der Vertragstreue höher bewertet, weil diese vom vertragstreuen Teil unzumutbare Opfer verlangen würde. 67 Die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung beruht - als Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus - auf dem Rechtsgrundsatz, daß Vertragsbeziehungen nur solange bindend sind, als sich die Verhältnisse, die filr seinen Abschluß bestimmend waren, nicht von Grund auf geändert haben. 68 Retrospektiver Vertragsgrundlagenschutz ist somit der Ordnungsgrundsatz, den

64

Oetker S. 262.

65

Oetker S. 269; Horn S. 573; Paschke S. 276.

66

Thiele AcP 89, 149 f; Paschke S. 276.

67

Steinwenter JB1 50, S. 225.

68

MüKolRoth § 242 Nr. 470; Picker ZfA 81, 31.

B. Kündigungsrechte im Dauerschuldverhältnis

37

der Gesetzgeber mit der Gewährleistung der außerordentlichen Kündigungsbefugnis verwirklicht hat. 69 Da das Recht zur außerordentlichen Kündigung an den Unzumutbarkeitsgrundsatz gebunden und tatbestandlich vom Vorliegen eines Kündigungsgrundes abhängig ist, daher überhaupt nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, kann das außerordentliche Kündigungsrecht nicht als ein im Lichte des Selbstbestimmungsrechts ausreichendes Instrument gewertet werden, um eine mit der freiheitlichen Privatrechtsordnung unvereinbare Ewigkeitsbindung zu verhindernJo Für diese Aufgabe bedarf es eines Beendigungsinstruments, das jederzeit zulässig und nur vom privatautonomen Willensentschluß einer Vertragspartei abhängig ist; diese Funktion erfiillt das ordentliche Kündigungsrecht in ausreichender Weise. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist deshalb - anders als das ordentliche Kündigungsrecht - nicht das notwendige Korrelat zur langfristigen Bindung, sondern Ausdruck des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Unzumutbarkeitsgrundsatzes. Seinem Wesen nach ist das außerordentliche Kündigungsrecht zwingend, d.h. weder einschränkbar noch abdingbar. 7 ) Dies folgt aus der tatbestand lichen Bindung des außerordentlichen Kündigungsrechts an den Unzumutbarkeitsgrundsatz. Die Unzumutbarkeit bildet bei allen Schuldverhältnissen die immanente Grenze tUr die vertragliche Verpflichtung; Unzumutbares kann also von niemandem verlangt werden. 72 Daher muß beim Eintritt unzumutbarer Umstände die Abstandnahme vom Vertragsverhältnis, also die außerordentliche Kündigung, jederzeit möglich sein. Wie bereits ausgetUhrt wurde,?3 ist die ordentliche Kündigung das von der Rechtsordnung vorgesehene Instrument, das der aus der langen Bindung resultierenden Gefahr tUr das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen ausreichend entgegenwirkt. Es wird somit als das tUr Dauerschuldverhältnisse typische Beendigungsinstrument angesehen. Aus diesem Grunde muß das Recht zur außerordentlichen Kündigung, das an die strengen Voraussetzungen der Unzumutbarkeit sowie des wichtigen Grundes geknüpft ist und überdies eine geistige Verbindungslinie zum Wegfall der Geschäftsgrundlage aufweist, logischerweise

69

Paschke S. 276.

70

Oetker S. 268.

7)

Wallmeyer S. 151; HueckiNipperdey ArbR S. 595; Molitor S. 261.

72

Haarmann S. 34 ff; Henkel FS Mezger S. 261.

73

Siehe 2. Kapitel. B. 1ll.1.

38

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

ein Ausnahmerecht bleiben.14 Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung kommt daher stets nur als äußerstes Mittel, als ultima ratio, in Betracht. 7S Die dogmatische Verankerung des außerordentlichen Kündigungsrechts im Selbstbestimmungsrecht des einzelnen und die Bindung an den Unzumutbarkeitsgrundsatz haben das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund zu einem fUr alle Dauerschuldverhältnisse gültigen, allgemeinen Grundsatz erstarken lassen. Danach sind Rechtsverhältnisse von längerer Dauer, die ein persönliches Zusammenarbeiten der Beteiligten und daher ein gutes Einvernehmen erfordern, beim Vorliegen eines wichtigen Grundes, der zur Unzumutbarkeit der weiteren Fortsetzung des Vertragsverhältnisses fUhrt, jederzeit, auch bei fehlender gesetzlicher oder privatautonomer Regelung, aufkündbar. 76 Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist als allgemeines Rechtsinstitut aller Dauerschuldverhältnisse anerkannt und kann geradezu als Charakteristikum dieser Verträge bezeichnet werden. 77 Angesichts seiner breiten Akzeptanz in Doktrin und Judikatur wird dem allgemeinen Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund gewohnheitsrechtlicher Charakter beigemessen. 78 Da die außerordentliche Kündigung zu ihrer Wirksamkeit voraussetzt, daß dem Kündigenden die weitere Fortsetzung des Rechtsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, somit also auch eine nur kurzfristige Aufrechterhaltung des Vertrages ausschließt, ist die außerordentliche Kündigung an keine Kündigungsfrist gebunden. Die Rechtsfolge der außerordentlichen Kündigung ist somit die Konsequenz aus dem Eintritt von Umständen, aufgrund deren es dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann, das jeweilige Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zum Ablauf des vorgesehenen Zeitraums fortzusetzen. 79 Liegt ein zur Unzumutbarkeit ruhrender Sachverhalt vor, so ist auch eine nur kurzfristige Aufrechterhaltung des Rechtsverhältnisses, z.B. rur die Dauer einer Kündigungsfrist, nicht akzeptabel; das Rechtsverhältnis muß sofort aufgelöst werden.

74

Preis S. 476.

7S

Säcker JZ 75, 742; Oe/ker S. 271.

76

Larenz SchuldR Bd. I § 2 VI; Horn S. 573; Oe/ker S. 265.

77

WallmeyerS.151;HornS.627.

78

Soergel/Teichmann § 271 Nr. 8,9, § 242 Nr. 270.

79

Esser/Schmid/ § 20 IV 2.

B. Kündigungsrechte im Dauerschuldverhältnis

39

Wenngleich die außerordentliche Kündigung nonnalerweise an keine Frist gebunden ist, kann doch in bestimmten Fällen ein anzuerkennendes Bestandsinteresse des Kündigungsgegners eine Hinausschiebung des Endtennins (soziale Auslauffrist, außerordentliche befristete Kündigung) erforderlich machen. 80 Es bleibt dem Kündigenden dann unbenommen, die Wirkung der Kündigung durch die Gewährung einer Schonfrist beliebig hinauszuschieben, sofern nicht berechtigte Interessen des Betroffenen dadurch verletzt werden. 81 Trotz der Möglichkeit einer freiwilligen (sozialen) Auslauffrist ist typische bzw. reguläre Erscheinungsfonn des Rechts der außerordentlichen Kündigung die fristlose Kündigung, durch die das jeweilige Rechtsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet werden soll. 3. Dogmatische Ableitung eines außerordentlichen Kündigungsrechts bei Dauerschuldverhältnissen Wie bereits ausgefiihrt wurde,82 gehört es zu den in Doktrin und Judikatur anerkannten Grundsätzen, daß Dauerschuldverhältnisse auch bei fehlender positivrechtlicher Nonnierung oder privatrechtlicher Regelung außerordentlich kündbar sind, wenn hierfilr ein wichtiger Grund vorliegt, der zur Unzumutbarkeit der weiteren Fortfilhrung des Vertragsverhältnisses fiihrt. Die dogmatischen Begründungen filr ein solches ungeschriebenes, fiir alle Dauerschuldverhältnisse gültiges außerordentliches Kündigungsrecht schwankenjedoch. Weite Teile in Judikatur und Doktrin plädieren filr eine entsprechende Anwendung des § 626 I im Sinne einer Gesetzesanalogie bei allen Dauerschuldverhältnissen,83 verbreitet wird im Sinne einer Rechtsanalogie auch auf die §§ 554 a, 626 sowie vergleichbare Vorschriften Bezug genommen. 84 Zum Teil wird das Recht zur außerordentlichen Kündigung indes aus § 242 abgeleitet,85 bisweilen wird auf die Angabe einer Rechtsvorschrift gänzlich verzichtet. 86 Angesichts seiner breiten Akzeptanz in Doktrin und Judikatur liegt es zudem

80

Horn S. 573; StaudingerlNeumann (12. Auflage) § 626 Nr. 110 f.

81 Adomeit S. 46. 82 Siehe 2. Kapitel, B. 111.2. 83

Hopl ZHR 143, 161; BGHZ 82, 359.

84

Von Gierke JHerJb 64, 391; MüKolKramer Ein!. Bd.11 Nr. 88; Michalski JA 79, 405.

85 86

BGH NJW 93, 1135; Gollub S. 85 f; StaudingerlSchmidl § 242 Nr. 1385. BGH NJW 81,1667; Wieacker AÖR 68, 38.

40

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

nahe, dem allgemeinen Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund gewohnheitsrechtlichen Charakter beizumessen. Hinsichtlich der dogmatischen Ableitung eines bei allen Dauerschuldverhältnissen anzuerkennenden außerordentlichen Kündigungsrechts verdient nicht der Weg über § 242, sondern die Rechtsanalogie zu spezialgesetzlichen Vorschriften den Vorzug. Da das Recht zur außerordentlichen Kündigung Ausdruck des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Unzumutbarkeitsgrundsatzes ist, liefert nicht § 242 einen methodisch tragfähigen Anknüpfungspunkt, sondern vielmehr ist sofern keine spezialgesetzliche Regelung eingreift - eine Rechtsanalogie zu denjenigen Vorschriften zu bilden, die ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertragsverhältnisses rur den Fall vorsehen, daß die weitere Fortruhrung des Dauervertrages die Grenze der Zumutbarkeit überschreitet; es sind also insbesondere die §§ 626 I, 723 I 2 BGB sowie § 89 a I I HGB rur die Analogiebildung heranzuziehen. 87 Der Weg über eine Gesamtanalogie zu den spezialgesetzlichen Vorschriften, die ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ausdrücklich erwähnen, ist auch deswegen der schlichten Berufung auf § 242 vorzuziehen, weil diese einer Rechtsanalogie schon wegen ihrer Unbestimmtheit unterlegen ist und deshalb den Regeln der juristischen Methodenlehre nicht entspricht. 88 Die Möglichkeit zur außerordentlichen fristlosen Kündigung ist somit nicht auf die gesetzlich normierten Dauerschuldverhältnisse beschränkt (z.B. §§ 626 I, 723 I 2), sondern beinhaltet einen allgemeinen Grundsatz. Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund ist, auch wenn es das Gesetz oder der Vertrag nicht ausdrücklich vorsehen, allen Dauerschuldverhältnissen als Element inhärent. Fehlen entsprechende gesetzliche oder privatautonome Regelungen rur ein außerordentliches Kündigungsrecht, so können die ausdrücklichen Bestimmungen der §§ 626 , 723 12 BGB, § 89 a I I HGB als Basis einer Gesamtanalogie genommen werden.

87

Oelker S. 269; Michalski JA 79, 405; MOKolKramer Ein!. Bd 11 Nr. 88.

88

Gernhuber "Schuldverhältnis" § 1611 5.

B. Kündigungsrechte im Dauerschuldverhältnis

41

IV. Begriff und Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit Die Ausfilhrungen zu Inhalt, Voraussetzungen und Legitimation des außerordentlichen Kündigungsrechts bei Dauerschuldverhältnissen ließen erkennen, daß dem Begriff der Zumutbarkeit im Kündigungsrecht eine Schlüsselfunktion zukommt. Dessen Bedeutungsgehalt, Inhalt und Funktion erschließen sich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß private Willensäußerungen und Rechtsregeln niemals uneingeschränkt mit verbindlicher Kraft ausgestattet sind, also niemals absolute Geltung entfalten, sondern stets unter Vorbehalten stehen und Begrenzungen erfahren. Diese sind auf der einen Seite die Unmöglichkeit, auf der anderen Seite die Zumutbarkeit bzw. Unzumutbarkeit. Eine private Willensäußerung steht immer unter dem Vorbehalt, daß der Verpflichtete zur Erfilllung seiner Leistungspflicht in der Lage ist. Die Verpflichtung des Schuldners entfällt deshalb, wenn ihm die Leistung unmöglich wird (§ 275), bzw. die Privatrechtsordnung versagt der Verpflichtungserklärung die rechtliche Anerkennung, wenn die Unmöglichkeit der Leistung bereits bei Abschluß des Vertrages vorlag (§ 306).89 Auf der einen Seite begrenzt somit die Unmöglichkeit die verbindliche Geltungskraft einer privaten WiIlensäußerung bzw. Verpflichtung. Eine andere Begrenzung wird durch die Zumutbarkeitsformel gesetzt. Ihr kommt im Rechtsleben seit jeher die Funktion zu, die Anforderungen der Rechtsordnung an das Verhalten der Rechtssubjekte zu begrenzen. Pflichten und dementsprechend auch vertragliche Bindungen reichen dann nur soweit, wie das angesonnene Verhalten zumutbar ist, und enden mit dessen Unzumutbarkeit,90 weil es unbillig wäre, eine Person weiterhin zu verpflichten bzw. in einem Vertragsverhältnis festzuhalten, wenn dies fiir sie entweder persönlich oder wirtschaftlich dauernd schwere Opfer bedeuten müßte. 91 Der Begriff der Zumutbarkeit ist somit allen Schuldverhältnissen als Grenze der Verpflichtung immanent,92 er markiert mithin Pflichtengrenzen: Rechtspflichten und Anforderungen der Rechtsordnung unterhalb dieser Ebene enden an dem Punkt, mit dessen Überschreitung ihre Befolgung unzumutbar wäre. Die Unzumutbarkeit eines sonst geforderten Verhaltens gibt dem Bürger seine 89 Oetker S. 268. 90

Bley FS f. Wannagat S. 19.

91

Steinwenter JB1 50, 225.

92 Hersehel AbuR 68, 197; Henkel FS Mezger S. 261; Nipperdey "Vertragstreue und Nichtzumutbarkeit der Leistung"' S. 34.

42

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

Handlungs- und Eigentumsfreiheit zurück, indem sie ihn von den freiheitsbeschränkenden Anforderungen der Rechtsordnung dispensiert. 93 In diesen FälIen dient das Prinzip der Zumutbarkeit dazu, die starre Geltung des Satzes "pacta sunt servanda" aufzulockern und die feste Rechtsregel in außergewöhnlichen FälIen außer Kraft zu setzen oder einzuschränken. 94 Die durch den Begriff der Zumutbarkeit markierte Ptlichtengrenze orientiert sich zunächst sicherlich an den alIgemeingUltigen Grundsätzen und WertvorstelIungen, die unser Rechtssystem prägen, vordergründig und hauptsächlich aber an den Interessen des konkret betroffenen Ptlichtenadressaten. Dementsprechend lassen sich absolute und relative Unzumutbarkeit unterscheiden. Absolute Unzumutbarkeit liegt dort vor, wo einem Menschen etwas angesonnen wird, was gegen die guten Sitten verstößt, was in jedem FalI seine Würde als Person kränkt, was ihn seiner natürlichen Freiheit beraubt, was unserer ethischen oder juristischen Ordnung widerspricht, kurz was vor dem Recht keinen Bestand haben kann. 95 Bei der relativen Zumutbarkeit ist dagegen zu fragen, ob das gebotene Verhalten gerade vom Ptlichtenadressaten verlangt werden kann. Es kommt also darauf an, was in einer konkreten Situation einem konkreten Rechtssubjekt angesonnen werden kann. 96 Da die Frage, was zumutbar oder unzumutbar ist, in großem Maße durch Inhalt, Umfang, Ausgestaltung und Zweck des betroffenen Rechtsverhältnisses mitbestimmt wird, sind nicht alIein die Interessen des Ptlichtenadressaten maßgeblich, sondern es sind auch die Interessen des Ptlichtengegners, d.h. des bei Annahme von Zumutbarkeit Begünstigten, bei Annahme von Unzumutbarkeit Belasteten, in Betracht zu ziehen. 97 Daraus folgt, daß zur Ermittlung der Zumutbarkeit stets eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist, bei der die Interessen des Rechtssubjekts, dessen Verhalten der Ptlichtengrenze der Unzumutbarkeit unterworfen wurde, in besonderem Maße zu berücksichtigen sind. 98 Mit EinfUhrung des Kriteriums der Unzumutbarkeit erstrebt die Rechtsordnung letztlich den Ausgleich der kolIidierenden Interessen zweier an einem

93

Bley FS f. Wannagat S. 47.

94

Henkel FS f. Mezger S. 261.

95

Hersehel FS f. G. Müller S. 196 f.

96

Hersehel FS f. G. Müller S. 192.

97

Bley FS f. Wannagat S. 47.

98

Wallmeyer S. 13 f; Galperin DB 64, I1IS; Frey JZ 55, 106 f.

B. Kündigungsrechte im DauerschuldverhäItnis

43

Rechtsverhältnis beteiligter Rechtssubjekte, indem sie die Interessenverfolgung des einen begrenzt, um die Interessenverfolgung des anderen zu ermöglichen oder zu fördern. Zumutbarkeit bedeutet hiernach. daß die Interessen desjenigen, von dem ein bestimmtes Verhalten erwartet wird, hinter den gegensätzlichen Interessen des hiervon begilnstigten Rechtssubjekts zurilcktreten müssen, Unzumutbarkeit, daß sie den Interessen des Begünstigten vorgezogen werden. 99 Für das Kündigungsrecht folgt aus diesen Grundsätzen, daß rur die Frage der Zumutbarkeit sowohl gefragt werden muß, ob dem Kündigenden ein Verweilen beim Vertrag, als auch ob dem Kilndigungsempfänger eine Beseitigung des Vertrages angesonnen werden kann. Zwischen bei dem existieren Wechselwirkungen: Als je drängender sich rur den Kilndigenden bei richtiger Wertung die Lösung vom Vertrag erweist, umso weniger hat beim Kündigungsempflinger das Erfordernis des vertraglichen Bestandsschutzes Gewicht. Umgekehrt: je mehr ein berechtigtes Interesse des Kündigungsempflingers an der Fortdauer des Arbeitsverhältnisses anzuerkennen ist, umso weniger kann der Kilndigende auf seinem Recht bestehen. 100 Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit und damit des Bestehens eines Kündigungsrechts sind das Interesse des einen Teils an der Aufrechterhaltung und das des anderen an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeneinander abzuwägen. IOI Diese Ausruhrungen lassen erkennen, daß die Zumutbarkeit als ein Prinzip der Gilter- und Interessenabwägung erfaßt wird. Ob einer Vertrags parte i ein ordentliches oder außerordentliches Kündigungsrecht zusteht, läßt sich somit nur durch eine Interessenabwägung ermitteln. Die Zumutbarkeit ist daher ein regulatives (formales) und damit inhaltsleeres Rechtsprinzip, das selbst keine Wertmaßstäbe enthält und deshalb vielfach als "Blankettbegrift", "Zauberformel" oder "leere Hillse" charakterisiert wird. 102 Dies überrascht, da der Begriff in der gesamten kündigungsrechtlichen Rspr. und Lit. eine erhebliche Rolle spielt: Nach § 626 I ist eine fristlose Kündigung wirksam, wenn Tatsachen vorliegen, die dem Kündigenden die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Im KSchG findet sich der Zumutbarkeitsbegriff im Bereich der kilndigungsbegründenden Vorschriften nur in § I 11 3, wo von zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen die Rede ist. Davon, daß die Kündigung unter dem Blickwinkel zu untersuchen ist, ob dem Arbeitgeber die weitere Fortruhrung des Arbeitsverhältnisses zugemutet

99

Bley FS f Wannagat S. 47.

100

Hersehe/ FS G. Müller S. 196.

101

Wallmeyer S. 13 f

102

Vgl. Preis S. 136: Wallmeyer S. 15.

44

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

werden kann, ist im KSchG nicht die Rede. Dennoch ist diese Frage in zahlreichen Urteilen des BAG entscheidungserheblich geworden. 103 Auch fiir das Kündigungsrecht spielt der Begriff der Zumutbarkeit somit eine bedeutende Rol1e. Was im Einzelfal1 zumutbar ist, beantwortet das Zumutbarkeitsprinzip indes nicht. Hierfilr ist der Rückgriff auf andere materiel1e Wertungen im System der Gesamtrechtsordnung notwendig. Dadurch geht das Prinzip der Zumutbarkeit ganz in der Wertung und Abwägung der einschlägigen Güter und Interessen bei der Parteien auf.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis Nachdem in den ersten beiden Abschnitten Wesen, Merkmale, Wertungsgrundlagen und die aus dem besonderen Zeitelement bei Dauerschuldverhältnissen resultierenden widerstreitenden Regelungsinteressen sowie Herleitung, Legitimation und Ausprägungen des Kündigungsrechts im Dauerschuldverhältnis in al1gemeiner Form dargestel1t worden sind, soll im folgenden auf die Kündigungsmöglichkeiten in dem in dieser Abhandlung interessierenden Dauerschuldverhältnis, dem Arbeitsverhältnis, eingegangen werden. I. Das Recht zur ordentlichen Kündigung im Arbeitsverhältnis

Die ordentliche Kündigung ist das in der Rechtsordnung vorgesehene übliche Mittel zur Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses. I04 Bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist die ordentliche Kündigung das wichtigste Instrument, was durch die Zahlen der rechtstatsächlichen Wirklichkeit belegt wird: von ca. 1,2 Mio. Kündigungen im Jahr 1978 außerhalb des öffentlichen Dienstes wurden ca. 80% als ordentliche Kündigungen ausgesprochen, und in 5% der Fälle war eine ordentliche Kündigung einer außerordentlichen Kündigung beigefiigt. 105 Eine ordentliche Kündigung setzt anders als die außerordentliche Kündigung im Grundsatz keinen Kündigungsgrund voraus. Dies gilt allerdings uneingeschränkt nur noch fiir die Kündigung durch den Arbeitnehmer. Bei der Kündi-

103 BAG AP Nr. 8 zu § 1 KSchG; BAG AP Nr. 10,12,21 zu § 1 KSchG "Krankheit"; BAG OB 84,831.

104

KRiHillebrechl § 622 Nr. 67; StaudingerlNeumann vor §§ 620 ffNr. 88.

105

KRlWo(fGrds. Nr. 107 a.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

45

gung durch den Arbeitgeber besteht nur in den ersten 6 Monaten des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses der Grundsatz der Kündigungsfreiheit, der allerdings wie bei allen Kündigungen dadurch eingeschränkt wird, daß die Kündigung rechtsunwirksam ist, wenn sie gegen gesetzliche Verbote verstößt (§ 134 BGB), sittenwidrig (§ 138 BGB) oder treuwidrig (§ 242 BGB) ist. Wenn Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 1 ff KSchG in Anspruch nehmen können, erfordert auch die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber das Vorliegen von Kündigungsgründen. \06 Die ordentliche Kündigung ist nach § 622 regelmäßig eine befristete Kündigung. Die Festlegung von Kündigungsfristen hat zur Folge, daß das gekündigte Arbeitsverhältnis nicht bereits mit Zugang der Kündigungserklärung, sondern erst mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet wird. 107 Die Bindung an eine Kündigungsfrist dient dem Schutz des Vertragspartners, der sich auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses rechtzeitig einstellen können soll; es soll ihm die Umstellung erleichtert werden. Insofern bewirken Kündigungsfristen einen zeitlich begrenzten Kündigungsschutz. 108 Die Regelung des § 622 II läßt erkennen, daß der Gesetzgeber mit zunehmender Betriebszugehörigkeit auch hinsichtlich der Kündigungsfristen einen höheren Bestandsschutz einräumen will. \09 Die ordentliche Kündigung im Arbeitsverhältnis ist allerdings nicht zwingend eine fristgebundene Kündigung. Ist eine Kündigungsfrist nicht vorgesehen, vor allem nicht als Mindestfrist zwingend vorgeschrieben, kann auch die ordentliche Kündigung ohne Einhaltung einer Frist, und ohne daß ein Kündigungsgrund vorliegen muß, die Dienst- oder Arbeitsverhältnisse sofort beenden. Innerhalb der ordentlichen Kündigungen lassen sich somit verschiedene Ausprägungen unterscheiden: diejenigen Kündigungen, die fristgebunden sind (z.B. nach § 622 BGB), sowie die entfristeten Kündigungen. Ferner ist zwischen Kündigungen zu differenzieren, die unter das KSchG fallen und daher eines Kündigungsgrundes bedürfen (§ 1 II KSchG), und Kündigungen, die nicht vom KSchG erfaßt werden und rur die kein besonderer Kündigungsgrund vorliegen muß.

106

Adomeit S. 29; Stahlhacke Nr. 347 tr.

107

KRJHillebrecht § 622 Nr. 70.

\08

StaudingerlPreis § 622 Nr. 9.

\09

StaudingerlPreis § 622 Nr. 9.

46

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

11. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung gern. § 626 1. Allgemeines

Ein weiteres Instrument zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen stellt die außerordentliche Kündigung dar. Sie findet ihre Berechtigung in dem Grundsatz, daß Rechtsverhältnisse von längerer Dauer, die ein persönliches Zusammenwirken der Beteiligten erfordern, jederzeit autkündbar sein müssen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. I 10 Von den Vertragspartnern eines Dauerschuldverhältnisses kann nicht verlangt werden, bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages dennoch an ihm festhalten zu müssen. Deshalb sieht § 626 I vor, daß das Arbeitsverhältnis wie auch andere Dienstverhältnisse von jedem Vertragsteil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus einem wichtigen Grund gekündigt werden kann. 111 Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Rechtsordnung eine Bindung über das Maß des Zumutbaren nicht zulassen darf, wird § 626 als zwingende Grundnorm des bürgerlichen Rechts angesehen, welche das unverzichtbare Freiheitsrecht rur beide Arbeitsvertragsparteien garantiert, sich bei extremen Belastungen zu trennen. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist somit rur beide Vertragsteile zwingend und kann weder einzel- bzw. kollektivvertraglich noch durch den Gesetzgeber selbst ausgeschlossen werden. I 12 Der dem außerordentlichen Kündigungsrecht immanente Grundgedanke verbietet aber auch Vereinbarungen über den wichtigen Grund, soweit sie das Recht zur außerordentlichen Kündigung rur den Kündigenden unzumutbar erschweren oder beschränken. Unzulässig sind ferner Erweiterungen bzw. Modifizierungen des wichtigen Grundes, weil anderenfalls die in § 622 zwingend festgelegten Mindestkündigungsfristen umgangen werden könnten. 2. Der wichtige Grund zur außerordentlichen Kündigung

Nach dem Wortlaut des § 626 ist ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter

110

Larenz SchuldR Bd. I § 2 VI.

111

Steinmeyer Casebook S. 161.

112

Stahlhacke Nr. 467.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

47

Abwägung der Interessen bei der Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die rechtstechnische Ausgestaltung des § 626 I als GeneralklauseJl \J bzw. Blankettnorm 1l4 verbietet die Anerkennung von absoluten Kündigungsgründen. 115 Vielmehr kann ein zureichender Kündigungsgrund nicht ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände und ohne umfassende Würdigung der konkreten Vertragsbeziehung bestimmt werden. I16 Um die Handhabung der Generalklausel des wichtigen Grundes zu systematisieren, zu präzisieren und zu vereinfachen, hat sich in Rspr. und Lit. ein zweistufiges Prüfungsverfahren entwickelt. In Anlehnung an den revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab untersucht das BAGI17 zunächst, ob ein bestimmter Vorfall an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Dazu muß ein Verhalten seitens des Kündigungsempflingers vorliegen, das das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt, wobei sich die Beeinträchtigungen und damit die betrieblichen Auswirkungen auf den Leistungsbereich und den Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter sowie auf den personalen Vertrauens bereich der Vertragspartner oder auf den Unternehmensbereich beziehen können. Sodann nimmt das BAG in einem zweiten Prüfungsschritt eine umfassende Interessenabwägung vor, bei der ermittelt wird, ob diese konkreten Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses und negativen Auswirkungen auf den Betrieb dem kündigenden Teil die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen und damit eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Von einem Teil der Lit. wird der Ansatz der Rspr. wegen der Unmöglichkeit, generell geeignete oder ungeeignete Kündigungsgründe festzulegen, abgelehnt. I18 Ausgehend vom systematischen (Stufen-)Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung nimmt ein Teil der Lit. 119 daher auch bei der

113 Staudinger/Preis § 626 Nr. 50; Stahlhacke Nr. 448. 114

Ascheid KSchR Nr. 113.

115

Staudinger/Preis § 626 Nr. 8.

116

Preis S. 94, 96.

117 BAGAPNr.42, 101 zu§626. 118 Vgl. nur die Rspr. des BAG (DB 84, 2702), wonach selbst das erstmalige unberechtigte

Verzehren eines Stückes Kuchen im Wert von 1,-- DM durch eine Konditoreiverkäuferin ,.an sich"' geeignet ist, einen wichtigen Grund rur die außerordentliche Kündigung zu bilden.

48

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

außerordentlichen Kündigung eine Dreiteilung der KündigungsgrUnde nach dem Vorbild des § I KSchG in personen-, betriebs- und verhaltensbedingte Gründe vor und prüft auf der ersten Stufe, ob ein bestimmter Sachverhalt überhaupt eine ordentliche personen-, betriebs- oder verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen vermag. Wäre eine ordentliche Kündigung im konkreten Fall zulässig, dann ist in einem zweiten Prüfungsschritt unter Berücksichtigung der erhöhten Intensität des wichtigen Grundes zu untersuchen, ob ausnahmsweise auch die vorzeitige außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist. 120 An dieser Stelle erfolgt wie beim Prüfungsvorgehen des BAG dann die umfassende Interessenabwägung, bei der das Auflösungsinteresse des Arbeitgebers dem Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber zu stellen ist. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die einen konkreten Bezug zur Vertragsbeziehung haben, wie z. B. Gewicht und Intensität der Vertragsverletzung, Grad des Verschuldens, Einmaligkeit oder Wiederholungsgefahr, Ausnutzung einer besonderen Vertrauensstellung, Dauer des ungestörten Bestandes des Arbeitsverhältnisses oder Länge der Kündigungsfrist. 121 Ergibt diese Interessenabwägung ein wesentliches Überwiegen der Arbeitgeberinteressen an der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, dann ist der konkrete kündigungsrechtliche Sachverhalt so schwerwiegend, daß er das Bestandsinteressse des Arbeitnehmers zurückdrängt, einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 I darstellt und damit die ultima ratio der außerordentlichen Kündigung rechtfertigt. 3. Rechts/olge der außerordentlichen Kündigung

Reguläre Rechtsfolge einer außerordentlichen Kündigung ist die fristlose, d.h. sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. 122 Daneben kennt die Praxis die sogenannte außerordentliche befristete Kündigung. Der Kündigende, der bei Vorliegen eines wichtigen Grundes das Recht hat, das Arbeitsverhältnis fristlos zu lösen, kann die Kündigung auch mit einer Kündigungsfrist aussprechen. Die Gründe rur die Gewährung der Auslauffrist sind dabei ohne Bedeutung, ferner braucht die dann eingeräumte Frist nicht der

119 Stahlhacke Nr. 453; MüHdbArbRiWank § 117 Nr. 37 fT; AscheidNr. 132; StaudingerlPreis § 626 Nr. 55. 120

Preis S. 483.

121

Brox ArbR Nr. 192 c; BAG AP Nr. 81 zu § 626.

122

KRiHillebrecht § 626 Nr. 21.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

49

gesetzlichen, tariflichen oder vereinbarten Kündigungsfrist zu entsprechen. Der Kündigende muß bei dieser Form der Kündigung jedoch stets deutlich machen, daß eine außerordentliche Kündigung erklärt worden ist. 123 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die gesetzliche Vorgabe der Rechtsfolge einer außerordentlichen Kündigung, die allenfalls eine fakultative Fristgewährung gestattet, zwingend ist oder ob in bestimmten Fällen auch Abweichungen davon zulässig sind, z. B. im Sinne einer verpflichtenden Kündigungsfrist.

§ 626 II schreibt zur Geltendmachung der außerordentlichen Kündigung eine Frist von zwei Wochen vor, welche zu laufen beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte von den fiir die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. 124 Zweck dieser Regelung ist es, den Kündigenden möglichst schnell zur Entscheidung über die Kündigung aus einem bestimmten Grund zu veranlassen, da ansonsten die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung fraglich sein könnte. Zudem soll der Kündigungsgegner frühzeitig die Konsequenzen des Vorliegens eines wichtigen Grundes fiir sein Arbeitsverhältnis erfahren. 125

III. Das Recht zur Änderungskündigung im Arbeitsverhältnis Bei langfristigen Verträgen, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, kann das Problem auftreten, daß wegen veränderter Umstände die im Vertrag festgelegte Form der Kooperation nicht mehr möglich oder einer Partei nicht mehr zumutbar ist, andererseits eine gänzliche Lösung der vertraglichen Bindung aber interessenwidrig und ungerechtfertigt erscheint. 126 In dieser Situation entspricht eine ordentliche oder außerordentliche Beendigungskündigung nicht dem Interesse einer oder bei der Vertragsparteien; dieses ist vielmehr auf Erhalt des Vertrages bei gleichzeitiger Abänderung oder Anpassung gerichtet. Das rechtstechnische Instrument, das dem Anpassungs- oder Änderungsinteresse der Vertragspartner Rechnung trägt, ist die Änderungskündigung.

123

StaudingerlPreis § 626 Nr. 250 f; Stahlhacke Nr. 429.

124

Stahlhacke Nr. 475; KR/Hillebrecht § 626 Nr. 222.

125

MüHdbArbR/Wank § 117 Nr. 129; MüKo/Schwerdtner § 626 Nr. 164.

126

Horn S. 568.

4 von Koppenfels

50

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

§ 2 KSchG enthält eine gesetzliche Definition rur diese Kündigungsfonn. Danach handelt es sich um eine echte KUndigung, weIche vom Angebot eines neuen Vertragsschlusses zu veränderten Bedingungen begleitet wird. Sie kann sowohl als ordentliche Änderungskündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ausgesprochen werden als auch in der Fonn der außerordentlichen fristlosen Änderungskündigung erfolgen; eine außerordentliche Änderungskündigung kommt aber nur in Betracht, wenn die alsbaldige Änderung unabweisbar notwendig ist und die neuen Bedingungen zumutbar sind. 127 Die Änderungskündigung richtet sich nicht in erster Linie auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf seine Weiterfiihrung zu geänderten Bedingungen. 128 Da das Beendigungsinteresse des Kündigenden bei dieser Kündigungsfonn mit dem Bestands- bzw. Fortsetzungsinteresse des KUndigungsgegners durch die Anpassung auf einen Nenner gebracht wird, tritt das Beendigungsinteresse des Kündigenden zwangsläufig hinter dem Anpassungsinteresse zurUck. 129 Bei der Änderungskündigung steht somit nicht der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses im Vordergrund, sondern der Vertragsinhaltsschutz. 130 Da mit der Änderungskündigung die Abänderung oder Anpassung des Vertragsinhalts ennöglicht wird, ergibt sich das Problem, daß es sehr schwierig ist, aus der ursprUnglichen Vereinbarung oder dem objektiven Recht sichere Maßstäbe rur die gestaltende Aufgabe einer Anpassung des Vertrages an die veränderten Umstände durch Neuordnung der Kooperation zu findenYI Diese Frage wird manchmal der richterlichen Gestaltungsmacht überlassen; da die Änderungskündigung aber ein Vertragsangebot zum Abschluß eines neuen, geänderten Arbeitsverhältnisses enthält, handelt es sich meistens um ein Problem der einseitigen Leistungsbestimmung, so daß die §§ 315 ff rur die Angemessenheit der angebotenen Vertragsänderungen ausschlaggebend sind.

IV. Das Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung Nachdem mit ordentlicher Kündigung, außerordentlicher Kündigung und Änderungskündigung die drei Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

127

gung".

StaudingerlNeumann vor §§ 620 ff Nr. 58; BAG AP Nr. I zu § 626 "Änderungskündi-

128

KR/Rost § 2 KSchG NT. 7.

129

Horn S. 574.

130

KR/Rost § 2 KSchG NT. 7.

131

Horn S. 568.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

51

dargestelIt worden sind, stelIt sich nun die Frage, in welchem Verhältnis die beiden fiir das Problem der Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer relevant werdenden Beendigungsinstrumente der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung zueinander stehen und wie sie sich voneinander abgrenzen lassen. Schwierigkeiten treten bei dieser Abgrenzung deswegen auf, weil auch die ordentliche Kündigung seit Inkrafttreten des KSchG eines besonderen rechtfertigenden Grundes bedarf. Früher war der Gegensatz beider Kündigungsformen noch ganz scharf, weil die ordentliche Kündigung überhaupt keinen besonderen Grund voraussetzte, vielmehr im freien Belieben der Parteien stand. Heute dagegen ist die Grenzziehung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung nicht mehr klar auszumachen, da die Kündigung des Arbeitgebers, soweit der Kündigungsschutz eingreift, auch als ordentliche nur bei Vorliegen besonderer Gründe zulässig ist. 132 Aber nicht nur die Tatsache, daß nun auch die ordentliche Kündigung eines besonderen Kündigungsgrundes bedarf, verwischt die Grenze zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung, sondern auch der Umstand, daß die von der Rspr. entwickelten Voraussetzungen beider Kündigungsarten nahezu identisch sind, erschwert eine Abgrenzung. So solI nicht nur die außerordentliche, sondern auch die ordentliche Kündigung ultima ratio sein, wodurch das BAG die ordentliche Kündigung mit der außerordentlichen Kündigung letztlich auf eine Stufe stelIt, auf die des letzten Mittels. 13J Zudem werden bei beiden Kündigungsarten die umfassende Interessenabwägung und der Begriff der Unzumutbarkeit in den Mittelpunkt der rechtlichen Betrachtung gestelIt. 134 Bei soviel Gleichheit ist der Unterschied in den materie lIen Voraussetzungen oftmals nur noch zu erahnen. Die Abgrenzung dürfte sich auch praktisch mehr im gefiihlsmäßigen Raum abspielen. 135 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, da es einige brauchbare, hilfreiche und nachvollziehbare Ansätze zur Abgrenzung beider Kündigungsarten gibt. Hueck l36 definierte 1921 den Unterschied zwischen beiden Kündigungsarten dahingehend, daß die ordentliche Kündigung keinen besonderen Grund voraussetze, wohingegen die vorzeitige außerordentliche Kündigung nur aus bestimmten Gründen zulässig sei. Diese Abgrenzung ist jedoch seit Inkrafttreten

132

Hueck-Nipperdey ArbR § 56 X; Nikisch § 48 1 3.

133

MüHdbArbRJBerkowsky § 130 Nr. 63.

134

Preis S. 480 f.

135

Preis DB 90, 689.

136

Hueck "Kündigung u. Entlassung nach geltendem Recht" 1921, S. 26.

52

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

des KSchG im Jahre 1951 überholt und kann heute nicht mehr verwendet werden, weil nun auch die ordentliche Kündigung eines rechtfertigenden Grundes gern. § 1 1\ KSchG bedarf. NipperdeyI37 sah den Unterschied zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung hauptsächlich in der Rechtsfolge: Die ordentliche Kündigung setze die Einhaltung einer Kündigungsfrist voraus, während die außerordentliche Kündigung meist fristlos erfolge. Dieses Abgrenzungskriterium hilft indes nicht weiter, da auch die außerordentliche Kündigung - wie die ordentliche von einer Frist abhängig gemacht werden kann (sog. soziale Auslauffrist). Andererseits kann die ordentliche Kündigung eine entfristete sein, wenn die Einhaltung der Kündigungsfrist vertraglich ausgeschlossen wurde. Den Versuch einer Abgrenzung beider Kündigungsfonnen hat auch Pieper 138 unternommen, wobei er den Schwerpunkt darauf legte, daß das Recht zur ordentlichen Kündigung auf Vertrag und demgegenüber das Recht zur außerordentlichen Kündigung auf Gesetz beruhe. Diese Differenzierung ist aber, wie Preis 139 zutreffend feststellt, im Hinblick auf die Geltung des KSchG und des § 620 11 BGB sachlich unvertretbar. Untauglich und mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren ist schließlich die von Aden l40 vorgenommene Abgrenzung, wonach die außerordentliche Kündigung rur sich genommen keine soziale Rechtfertigung und individuelle Betrachtung der Einzelfallumstände voraussetze, sondern nur die ordentliche Kündigung. Dagegen hat Herschel'41 zutreffend eingewandt, daß wenn schon bei der ordentlichen Kündigung deren innere Schranken vom Richter zu beachten seien, dies erst recht bei der außerordentlichen Kündigung als dem stärkeren Eingriff so sein müsse. Zudem wird Adens Aussage schon durch den Wortlaut des § 626 I widerlegt, der unzweideutig die individuelle Prüfung der Einzelfallumstände vorschreibt. Die dargestellten Abgrenzungsversuche sind mithin unzureichend und überholt. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, daß sie ordentliche und außerordentliche Kündigung inhaltlich als zwei völlig verschiedene Gestaltungsrechte, als aliud, ansehen.

137

Hueek/Nipperdey ArbR § 56 X.

138

Pieper Diss. Köln S. 81 ff, 88 ff.

139

Preis S. 481.

140

Aden RdA 81, 283.

141

Hersehel BB 82,254.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

53

Erstmals hat Galperin l42 nachvollziehbare und brauchbare Ansätze zum Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung erarbeitet, indem er die neue Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten des KSchG aufgriff und verwertete. Angesichts der Tatsache, daß mit Geltung des KSchG nun auch die ordentliche fristgebundene Kündigung an den Nachweis bestimmter Kündigungsgründe gebunden ist, erkannte er die Notwendigkeit einer Akzentverschiebung bei der außerordentlichen Kündigung vom wichtigen Grund zum wichtigen Grund, um ihre vom Regelfall einer sozial gerechtfertigten Kündigung abweichenden qualifizierten Voraussetzungen deutlich hervortreten zu lassen. 143 Bei der Prüfung, ob ein Sachverhalt den Anforderungen des wichtigen Grundes genügt, müsse nunmehr berücksichtigt werden, daß bereits die ordentliche Kündigung seitens des Arbeitgebers den Nachweis eines triftigen und darüber hinaus auch noch sozial gerechtfertigten Kündigungsgrundes i.S.d. § I 11 KSchG erfordere, wodurch sich automatisch die Anforderungen an den wichtigen Grund verschärften. 144 Galperins Ausfilhrungen, die in der Literatur aufgegriffen und fortgefilhrt wurden, machen deutlich, daß im Kündigungsgrund das entscheidende Merkmal zur Unterscheidung der ordentlichen von der außerordentlichen Kündigung liegt. Dies betonte auch Müller l45 , indem er eine begriffliche Differenzierung in triftige (solche nach § I 11 KSchG) und wichtige Gründe gern. § 626 I BGB vorschlug. Galperins Aussage wurde in letzter Zeit noch dahingehend präzisiert, daß nicht allein der Kündigungsgrund, sondern die Intensität der Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis durch den Kündigungsgrund wesentliches Unterscheidungkriterium zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung ist. 146 So werden vom ordentlichen Kündigungsgrund graduell geringere Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis verlangt als vom wichtigen außerordentlichen Kündigungsgrund. 147 Dieses graduelle Rangverhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung macht deutlich, daß es sich bei der außerordentlichen Kündigung

142

Ga/perin DB 64, 1114, 1117.

143

Ga/perin DB 64, 1114.

144

Ga/perin DB 64, 1117.

145

Müller ZfA 82, 483.

146

MOHdbArbRlWank § 117 Nr. 16; BAG DB 85, 656; Dülz ArbR Nr. 389.

147

HanauiAdomeil S. 260; BAG DB 85, 656.

54

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

nicht um ein aliud handelt, sondern um ein wesensgleiches "Mehr" im Verhältnis zur ordentlichen KUndigung. 148 Ordentliche und außerordentliche Kündigung stehen somit in einem Stufenverhältnis zueinander, womit das systematische Verhältnis zwischen beiden Kündigungsformen zutreffend charakterisiert wird. Fraglich ist aber, ob dieses StufenverhäItnis auch vorliegt, wenn wie hier das ordentliche Kündigungsrecht vertraglich ausgeschlossen wurde und damit nur die außerordentliche Beendigungsmöglichkeit bleibt. Auch beim Ausschluß der ordentlichen Kündigung bleibt indes das Stufenverhältnis zwischen beiden Kündigungsformen bestehen, es verringern sich daher nicht die Anforderungen an den wichtigen Grund, denn die Auslegungen einer Gesetzesnorm und der in ihr enthaltenen Tatbestandsmerkmale hat nach gleichmäßigen Kriterien zu erfolgen, die rur alle Rechtsunterworfenen Gültigkeit haben. 149 Der Begriff des wichtigen Grundes muß daher immer gleich verstanden werden. Zudem wurde das Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung generell als Stufen verhältnis charakterisiert, unabhängig davon, ob das ordentliche Kündigungsrecht erleichtert, erschwert, ausgeschlossen, fristgemäß oder fristlos ist. Der Kündigungsausschluß hat daher keinen Einfluß auf das generell bestehende Stufenverhältnis zwischen beiden Kündigungsarten. Die Annahme eines Stufenverhältnisses zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung hat zur Folge, daß jeder außerordentliche Kündigungsgrund zugleich auch ein Grund rur die ordentliche Kündigung sein kann. Umgekehrt reicht aber ein typischer ordentlicher Kündigungsgrund nicht zur Rechtfertigung des "wesensgleichen Mehr" der außerordentlichen Kündigung aus. Vielmehr müssen in Anbetracht des Stufenverhältnisses fiir die außerordentliche Kündigung stärkere Gründe vorliegen als rur die ordentliche Kündigung. 15o Oetker und Preis haben das Stufen verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung weiter untersucht und fortgefiihrt. Oetker l51 ist der Auffassung, daß sich das Stufenverhältnis noch nicht bei der Frage auswirke, ob ein Sachverhalt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr erweise sich die Unzumutbarkeitsprüfung als das entscheidende "Verbindungsglied" zur ordentlichen Kündigung. Dies

148

Preis S. 483; Hersehel BB 82,254.

149

Preis S. 484.

150

Staudinger/Preis § 626 Nr. 7; Kania Personalbuch 96 "außerord. Kdg." Nr. 34.

151

Oetker S. 359.

C. Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis

55

bedeute, daß erst die Unzurnutbarkeit der Vertragsfortsetzung zur sofortigen Beendigung der Vertragsbeziehung berechtige (also zur außerordentlichen Kündigung), ansonsten solle der Kündigungsempflinger unabhängig von der Kündigungsursache wegen seiner im Hinblick auf das Vertragsverhältnis getätigten Dispositionen durch die Kündigungsfrist geschützt sein (ordentliche Kündigung).152 Seiner Auffassung nach kann die Kündigungsursache somit bei außerordentlicher und ordentlicher Kündigung identisch sein; erst die Unzumutbarkeit entscheidet darüber, ob das schärfere Mittel der außerordentlichen Kündigung gerechtfertigt ist. In diese Richtung geht auch Preis l53 , der in der ordentlichen Kündigung das vorrangige Beschränkungsinstrumentarium rur die außerordentliche Kündigung sieht. Er ist der Ansicht, daß aus dem Stufenverhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung die methodische Konsequenz gezogen werden müsse, bei § 626 zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt überhaupt eine personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte ordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag. Werde dies bejaht, so müsse in einem zweiten Schritt untersucht werden, ob ausnahmsweise auch die vorzeitige außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit müsse nunmehr gefragt werden, ob der mit der außerordentlichen Kündigung verfolgte Zweck nicht auch mit dem milderen Mittel der ordentlichen Kündigung erreicht werden könne. Sowohl Oetker als auch Preis verlagern somit die Abgrenzung der ordentlichen von der außerordentlichen Kündigung vom Kündigungsanlaß, der bei beiden KUndigungsformen identisch sein kann, auf die Zumutbarkeits- bzw. Verhältnismäßigkeitsprüfung (die oft ineinander übergehen), wobei besondere Umstände hinzukommen müssen, um das schärfere Mittel der außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Insgesamt lassen sich somit mehrere, jedoch nur zum Teil brauchbare und nachvollziehbare Ansätze zur Klärung des systematischen Verhältnisses von ordentlicher und außerordentlicher Kündigung bzw. zu deren Abgrenzung ausmachen. Zu unterscheiden sind - inzwischen weitestgehend überholte und daher veraltete - Ansätze, welche ordentliche und außerordentliche Kündigung inhaltlich als zwei völlig verschiedene Gestaltungsrechte, als aliud, ansehen, sowie aktuelle und systematisch korrekte Ansätze, die die außerordentliche Kündigung als wesensgleiches Mehr im Verhältnis zur ordentlichen Kündigung ansehen, so

152

Oetker S. 354.

153

Preis S. 483.

56

Zweites Kapitel: Dauerschuldverhältnis und Kündigungsrechte

daß sich das Verhältnis zwischen beiden Kündigungsfonnen zutreffend als Stufen verhältnis charakterisieren läßt.

D. Resume Dieser allgemeine Überblick über Dauerschuldverhältnis und KÜßdigungsrecht ruhrt rur die hier zur Diskussion stehende Problematik zu der Frage, wie sich das Problem der Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer in das System des Dauerschuldverhältnisrechts mit seinen besonderen Regelungsinteressen sowie in das vom Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung geprägten System des arbeitsrechtlichen Kündigungsrechts einrugt. So erfährt der rur Dauerschuldverhältnisse typische Zeitfaktor, der als hauptsächlicher Verursach er von Problemen in diesen Rechtsverhältnissen angesehen wird, bei der in dieser Arbeit zu behandelnden Problematik eine besondere Dimension, denn durch den Ausschluß eines der beiden möglichen Beendigungsinstrumente im Dauerschuldverhältnis wird eine besonders enge und dauerhafte Bindung zwischen den Arbeitsvertragsparteien erzeugt. Das bedeutet, daß der im Dauerschuldverhältnis ohnehin schon Probleme schaffende Zeitfaktor noch verstärkt wird und dementsprechend neue, gravierende Konflikte hervorrufen kann. Ferner werden die im Dauerschuldverhältnisrecht aufeinanderprallenden gegenläufigen Beendigungs- und Bestandsinteressen durch die (tarif-)vertragliche Unkündbarkeitsklausel entscheidend manipuliert: Wegen der besonders langen und engen Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann das arbeitgeberseitige Beendigungsinteresse erhöht sein, auf der anderen Seite hat der Arbeitnehmer wegen der (tarif-)vertraglichen Schutznonn ein verstärktes Interesse am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses. Es stellt sich daher die Frage, wie diese besonderen Beendigungs- und Bestandsinteressen in Konfliktfii11en miteinander in Einklang zu bringen sind bzw. welches Interesse sich gegenüber dem anderen dann durchzusetzen vennag. Schließlich bewirkt eine (tarif-)vertragliche Unkündbarkeitsklausel eine Störung des grundsätzlich gegebenen Stufenverhältnisses zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung, denn durch den Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts fällt eines der beiden möglichen Beendigungsinstrumente weg, und rur Konfliktfälle steht allein das schärfere Mittel der außerordentlichen Kündigung zur Verfiigung. Ob dann allerdings alle Problemfälle über eine außerordentliche Kündigung abgewickelt werden oder ob - wegen der fehlenden Möglichkeit einer ordentli-

D. Resurne

57

chen Kündigung - bei Störungen im Arbeitsverhältnis von einer Vertragsbeendigung eher als sonst Abstand genommen wird, ist fraglich und bedarf einer eingehenden Untersuchung. Hierfiir ist auch von Bedeutung, inwieweit von den gesetzlichen Vorgaben zum außerordentlichen Kündigungsrecht in § 626 I (insbesondere von der Kündigungsfristenregelung) abgewichen werden kann und darf. Diese Frage stellt sich insofern, als das System des Kündigungsrechts durch eine (tarif-)vertragliche Unkündbarkeitsklausel ohnehin gestört wird und damit auch das Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kiindigung im Hinblick auf ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen durcheinandergebracht wird, so daß auch gesetzliche Vorgaben ihren zwingenden Charakter einbüßen könnten.

Drittes Kapitel

Die außerordentliche Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer Nach diesem einführenden Kapitel, das die Darstellung des Dauerschuldverhältnisses und seiner spezifischen Probleme und Regelungsinteressen sowie des Kündigungsrechts mit seinen Ausprägungen zum Inhalt hatte, soll nun das eigentliche Thema dieser Arbeit in Angriff genommen werden: die außerordentliche Kündigung (tarif-)vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer. Am Anfang steht dabei die Untersuchung des Abhängigkeitsverhältnisses von Kündigungsgrund gern. § 626 I und Vertragsdauer, die ohnehin als zentraler Problemverursacher im Dauerschuldverhältnis gilt l und die hier durch den einzel- bzw. kollektivvertraglichen Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts und die dadurch bewirkte besonders lange und enge Bindung eine besondere Dimension und Relevanz erhält.

A. Das Verhältnis zwischen Kündigungsgrund und Vertragsdauer Bereits ausgeführt wurde, 2 daß Dauerschuldverhältnissen ein besonderes Zeitmoment inhärent ist, das spezifische und für Dauerschuldverhältnisse charakteristische Regelungsinteressen hervorbringt und besondere Probleme und Risikopotentiale nach sich zieht. Im folgenden Abschnitt soll dargestellt werden, wo das für Dauerschuldverhältnisse typische Zeitrnoment, genauer die Vertragsdauer, eine besondere Bedeutung erfährt: der Bereich des arbeitsrechtlichen außerordentlichen Kündigungsrechts gern. § 626 I.

I

Siehe 2. Kapitel, A. 11.1.

2

Siehe 2. Kapitel, A. I. und 11.1.

A. Das Verhältnis zwischen Kündigungsgrund und Vertragsdauer

59

Nach dem Wortlaut des § 626 I ist der Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, wenn ihm die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, wobei die Zumutbarkeit in Relation zur Länge der Kündigungsfrist bzw. zur Dauer des Arbeitsverhältnisses gesehen werden muß. Es ist deshalb allgemein fiir die Interessenabwägung und damit fiir das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung wesentlich, wie lange die Parteien noch an den Arbeitsvertrag gebunden wären, wenn die außerordentliche Kündigung nicht durchgreift. 3 Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß es eher zumutbar ist, einen Arbeitsvertrag fortzusetzen, der ohnehin wegen ablaufender Befristung oder kurzer ordentlicher Kündigungsfristen bald endet, als ein Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten, das wegen langer ordentlicher Kündigungsfristen oder (tarif-) vertraglicher Unkündbarkeit besonders lange andauern würde. Konsequenterweise müßten in der ersten Alternative die Anforderungen an den wichtigen Grund wegen der grundsätzlich bestehenden Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhöht werden, um eine außerordentliche Kündigung nicht so leicht zuzulassen. Umgekehrt müßten im zweiten Fall die Anforderungen an den wichtigen Grund - angesichts der erhöhten Unzumutbarkeit - herabgesetzt werden, um eine außerordentliche Kündigung zu erleichtern. In Rspr. und Schrifttum hat sich demgemäß zum Teil die Auffassung entwikkelt, das Gewicht des wichtigen Grundes stehe im umgekehrten Verhältnis zur Dauer der Bindung: So genüge ein weniger gewichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung bei langfristiger Bindung, wohingegen ein besonders schwerwiegender Grund bei kurzfristiger Bindung vorliegen müsse. 4 Im Extremfall der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeit müßten nach diesem Grundsatz besonders geringe Anforderungen an den wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gestellt werden, weil die Unzumutbarkeit der weiteren Fortsetzung des Arbeitsvertrages wegen der unendlich langen vertraglichen Bindung auf der Hand liegt. Ob sich mit diesem Grundsatz das Verhältnis zwischen Kündigungsgrund und Vertragsdauer abschließend erfassen und klären läßt, ist zweifelhaft. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang nur, daß sich die Arbeitsvertragsparteien durch den (tarif-)vertraglichen Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts besonders eng und dauerhaft aneinander binden wollten, was nahe legt, an die Gründe fiir die außerordentliche Kündigung - entgegen dem o.a. Grundsatz -

3

KRJHiIlebrecht § 626 Nr. 202; Stahlhacke Nr. 455, 457.

4

BAG AP Nr. 6, 16 zu § 626; Herschel Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 44 TVAL 11.

60

Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

einen besonders strengen Maßstab anzulegen, um so die außerordentliche Kündigung und damit die Auflösung ihres Vertrags verhältnisses zu erschweren. Zu klären ist somit, welche Auswirkungen die (tarif-)vertragliche Unkündbarkeit auf die Anforderungen hat, die im Falle einer außerordentlichen Kündigung an den wichtigen Grund zu stellen sind. Bewirkt der Umstand der (tarif-) vertraglichen Unkündbarkeit beispielsweise einen strengeren, d.h. erhöhten Maßstab bei der Prüfung des wichtigen Grundes, oder kann ein solcher wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung leichter als sonst bejaht werden? Zu dieser Problematik sollen zunächst die in Rspr. und Lit. vertretenen Auffassungen dargestellt und bewertet werden, bevor ein eigener theoretischer Lösungsvorschlag erarbeitet wird. Mögliche Lösungen des Problems sind dann auf ihre Effizienz und Wirksamkeit in der Praxis zu untersuchen. Des weiteren müssen andere Kriterien, mit denen der ordentlichen Unkündbarkeit im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung Rechnung getragen werden könnte, in Erwägung gezogen werden.

B. Die außerordentliche Kündigung aus minder wichtigem Grund Im Hinblick auf die vorstellbaren gegensätzlichen Auswirkungen der (tarif-) vertraglichen ordentlichen Unkündbarkeit auf die Anforderungen, die an den wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu stellen sind, wird als Lösung in der Lit. zum Teil die Möglichkeit einer außerordentlichen befristeten Kündigung aus minder wichtigem Grund diskutiert. Danach genügen bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer, dem gekündigt werden soll, schon minder wichtige Gründe zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung; gleichzeitig wird vom Kündigenden die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Kündigungsfrist verlangt.

I. Darstellung der Meinungen zur außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund G. Hueck5 forderte schon frühzeitig die Zulassung einer außerordentlichen Kündigung mit gesetzlicher Kündigungsfrist, wenn der Kündigungsgrund zwar rur eine fristlose Kündigung nicht gewichtig genug sei, dem Arbeitgeber aber

5

Hueck Anm. BAG AP Nr. 15 zu § 626.

B. Die außerordentliche Kündigung aus minder wichtigem Grund

61

die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die nonnale, d.h. über die gesetzliche Kündigungsfrist hinaus nicht zugemutet werden könne. Der wichtige Grund hierfiir brauche nicht so schwerwiegend zu sein wie bei einer fristlosen Kündigung nach § 626. Auch Zöllner6 und Binder7 sind der Ansicht, daß die gesetzliche Regelung des § 626 I dort, wo die ordentliche Kündigungsmöglichkeit ganz fehlt, dahingehend zu korrigieren sei, daß schon weniger schwerwiegende Grunde als wichtiger Grund i.S.d. § 626 I anerkannt werden müßten und vom kündigenden Teil die Einhaltung der gesetzlichen Nonnalfrist als Kündigungsfrist zu verlangen sei. Auch nach Auffassung von Neumann 8 sind beim Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts bzw. bei langen Kündigungsfristen Fälle denkbar, in denen der Kündigungsgrund zwar nicht wie von § 626 I gefordert, die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige, wohl aber die Fortsetzung bis zur nächstmöglichen Beendigung nach den bestehenden Vereinbarungen unzumutbar mache. Im Ergebnis müßte also eine außerordentliche Kündigung aus minder wichtigem Grund unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen ausgesprochen werden. 11. Kritik seitens der h.M. und Darstellung des eigenen Standpunktes

Vom BAG9 wird die Möglichkeit einer außerordentlichen befristeten Kündigung aus minder wichtigem Grund mit dem fonnalen Argument verneint, daß das geltende Arbeitsrecht als Beendigungsgrund eines Arbeitsverhältnisses entweder nur das Ende der vertraglich vorgesehenen Dauer sowie die ordentliche fristgemäße Kündigung oder rur den Notfall die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim Vorliegen eines wichtigen Grundes kenne. Dazwischen stehe dem Richter keine Gestaltungsmöglichkeit zu. Ließe man neben dem wichtigen Grund noch einen minder schweren, aber doch noch wichtigen Grund zu, so werde die Bedeutung des wichtigen Grundes in § 626 verkannt und herabgesetzt.

6

Zöllner/Lorilz ArbR § 22 111 6.

7

Binder DRdA 70, S. 185, 191, 194, 196.

8

Staudinger/Neumann § 626 Nr. 111.

9

BAG AP Nr. 3 zu § 133 b GewO.

62

Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

Auch die h.L. 10 lehnt ein außerordentliches befristetes KUndigungsrecht aus minder wichtigem Grund ab, weil dadurch die Schwierigkeiten nicht behoben, sondern lediglich verlagert würden; insbesondere werde die erwünschte Rechtsklarheit und -sicherheit nicht gestärkt, sondern nur noch weiter beeinträchtigt, weil sich kein praktikabler Maßstab dafilr finden lasse, wie der Begriff des minder wichtigen Grundes zu bestimmen sei und wie er vom eigentlich wichtigen Grund in § 626 I und von den Gründen abzugrenzen sei, die eine Kündigung nach § I 11 KSchG sozial rechtfertigen. Kritisiert wird ferner, daß bei einer außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund das durch die lange Vertragsdauer bedingte Auflösungsinteresse des Arbeitgebers zu stark in den Vordergrund gerückt werde, während unberücksichtigt bleibe, daß auch das Bestandsinteresse des anderen Vertragsteils starke Beachtung verdiene, und zwar nicht erst über den Weg der Fristgewährung, sondern bereits im Rahmen der Zumutbarkeitserwägungen. II Der Kritik der h.M. an der außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund ist in allen Punkten zuzustimmen. Den Gründen filr die Ablehnung eines außerordentlichen befristeten Kündigungsrechts aus minder wichtigem Grund ist hinzuzufilgen, daß eine Gesetzesnorm und die in ihr enthaltenen Tatbestandsmerkmale (hier "wichtiger Grund" in § 626 I) nach gleichmäßigen Kriterien ausgelegt werden müssen, die filr alle Rechtsunterworfenen gleichermaßen Gültigkeit haben. Einer gesetzlichen Vorschrift muß somit in allen Fällen derselbe Bedeutungsgehalt zukommen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, daß durch die außerordentliche Kündigung aus minder wichtigem Grund und damit durch eine erleichterte Zulassung der außerordentlichen Kündigung die besondere Rechtsposition, die der Arbeitnehmer durch den (tarif-)vertraglichen Ausschluß der ordentlichen Kündigung inne hat, wieder entwertet und der auf der langfristigen Bindung beruhende besondere Bestandsschutz geflihrdet würde. Die Vergünstigung der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeit darf also nicht mit der erleichterten Zulassung der außerordentlichen Kündigung und der damit verbundenen Herabsetzung des Bestandsschutzes bezahlt werden. Weiterhin ist nicht ersichtlich, warum die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von den Verfechtem der außerordentlichen befristeten Kündigung aus minder wichtigem Grund damit begründet wird, daß bestimmte Tatsachen eine Weiterbeschäftigung auf Dauer unzumutbar machen, ein Abwarten der

10 ErmanIKüchenhoff(7. Auflage) § 626 Nr. 32; KRiHillebrecht § 626 Nr. 209; Kania RdA 95,294; StaudingerlPreis § 626 Nr. 63.

11

Binder DRdA 70, S. 185,194.

C. Lösungsansatz der Rechtsprechung

63

gesetzlichen Kündigungsfrist aber in diesen Fällen noch zugemutet werden kann. Warum dabei pauschal auf den Zeitpunkt der gesetzlichen Kündigungsfristen abgestellt wird, ist nicht einsichtig. Inwieweit sich schließlich die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist bei einer außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund mit dem Wortlaut des § 626 I vereinbaren läßt, der als Regelfall die entfristete Kündigung vorsieht, wird von den Vertretern der außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund ebenfalls nicht geklärt. Der Auffassung, im Falle (tarif-)vertraglicher Unkündbarkeit eine außerordentliche Kündigung aus minder wichtigem Grund unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen zuzulassen, kann somit nicht gefolgt werden. Im folgenden Abschnitt werden daher die anderen von Rspr. und Lit. vertretenen Lösungsansätze zum Problem der Auswirkung der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeit auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung dargestellt. Wie schon der Vorschlag der außerordentlichen Kündigung aus minder wichtigem Grund, welche unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist erfolgen soll, zeigt, kann sich der Umstand der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeit nicht nur auf den Kündigungsgrund, also auf den Tatbestandsbereich der Kündigung, sondern auch auf die Kündigungsfrist, also auf den Bereich der Rechtsfolgen der Kündigung, auswirken. Daher sind die jeweiligen Lösungsansätze von Rspr. und Lit. bezüglich der Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene und auf Rechtsfolgenebene getrennt darzustellen.

C. Lösungsansatz der Rechtsprechung I. Der für die Interessenabwägung relevante Zeitpunkt

Um die Auswirkungen der ordentlichen Unkündbarkeit auf den Tatbestandsbereich der außerordentlichen Kündigung, also auf Vorliegen und Anforderungen an den wichtigen Grund, klären zu können, muß zunächst der Zeitpunkt festgelegt werden, auf den die Interessenabwägung, die gern. § 626 I bei der Prüfung des wichtigen Grundes maßgebend ist, zu beziehen ist.

§ 626 I nennt hiertUr alternativ den Ablauf der Kündigungsfrist oder die vereinbarte Beendigung des Dienstverhältnisses.

Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

64

In einer früheren Entscheidung l2 beurteilte das BAG die Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist, fiktiv so, als wäre das Arbeitsverhältnis noch ordentlich kündbar. Es wurde also bei der Interessenabwägung auf die fiktive Kündigungsfrist abgestellt, was mit der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs begründet wurde. Bezöge man die Interessenabwägung nämlich nicht auf die Kündigungsfrist, sondern auf die tatsächliche Dauer des Arbeitsverhältnisses, so müßten die Anforderungen an den wichtigen Grund angesichts der wegen der Unkündbarkeit eher zu bejahenden Unzumutbarkeit herabgesenkt werden. Dies sei aber mit dem durch die Unkündbarkeit bezweckten besonderen Schutz des Arbeitnehmers nicht zu vereinbaren. Ein derartiger Wertungswiderspruch könne nach damaliger Auffassung des BAG nur dadurch vermieden werden, daß man bei der Interessenabwägung auf diejenige Frist abstellt, die gelten würde, wenn die ordentliche Kündigungsfrist nicht ausgeschlossen wäre. In neueren Entscheidungen 13 ist das BAG aber von dieser Praxis abgewichen und bezieht die Zumutbarkeitsprüfung nun auf die tatsächliche künftige Vertragsdauer. Mit dieser geänderten Rechtsprechung trägt das BAG dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung Rechnung, bei der sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberinteressen gewürdigt werden müssen. Da auf Seiten des Arbeitnehmers die mit der Unkilndbarkeit verbundene besonders schutzwUrdige Position schon dadurch berücksichtigt werde, daß an den wichtigen Grund bei einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einem unkündbaren Arbeitnehmer besonders strenge Anforderungen gestellt werden, müsse auf Seiten des Arbeitgebers dann aber auch die mit der langen Bindung einhergehende besondere betriebliche und wirtschaftliche Belastung berücksichtigt werden. Dies könne dadurch erreicht werden, daß bei der Interessenabwägung auf die tatsächliche Vertragsdauer und nicht auf die fiktive Frist rur die ordentliche Kündigung abgestellt werde. Zudem ist nach Auffassung des BAG die reale Unzumutbarkeit zu ermitteln. Legte man die fiktive Kündigungsfrist zugrunde, so hätte dies zur Folge, daß die anhand von tatsächlichen Umständen des Einzelfalles vorzunehmende Interessenabwägung auf einen Zeitraum erstreckt würde, der kündigungsschutzrechtlich wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung ohne Bedeutung ist. Der rechtlich zutreffende Maßstab könne daher bei unkündbaren Arbeit-

12

BAG AP Nr. 57 zu § 626; BAG EzA Nr. 84 zu § 626.

13

BAG AP Nr. 83 zu § 626; EZA Nr. 93 zu § 626.

C. Lösungsansatz der Rechtsprechung

65

nehmem einzig und allein die voraussichtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses sein. Mithin ist bei der außerordentlichen Kündigung, die gegenüber einem unkündbaren Arbeitnehmer erfolgen soll, die Interessenabwägung auf die tatsächliche künftige Vertragsdauer zu beziehen. 11. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung

Das BAGI4 ist der Auffassung, daß der Ausschluß der ordentlichen Kündigung und die daraus folgende Dauer der Vertragsbindung im allgemeinen Umstände darstellten, die bei einer außerordentlichen Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung entweder zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden müßten. Welche Betrachtungsweise im Einzelfall den Vorrang verdiene, sei unter Beachtung des Sinns und Zwecks des Kündigungsausschlusses sowie insbesondere unter Berücksichtigung der Art des Kündigungsgrundes zu entscheiden. '5 Das BAG vertritt die Auffassung, daß sich die längere Vertragsbindung bei einmaligen Vorflillen ohne Wiederholungsgefahr zugunsten des Arbeitnehmers auswirke, während bei Dauertatbeständen oder Vorflillen mit Wiederholungsgefahr dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung eher unzumutbar sein könne. Diese allgemeinen Grundsätze hat das BAG auf die Fallgruppen der verhaltens-, betriebs- und personenbedingten KündigungsgrUnde übertragen. Das BAG'6 ist der Ansicht, daß sich die lange Bindung bei verhaltensbedingten Gründen zugunsten des Arbeitnehmers auswirke; daher müsse bei der Prüfung des wichtigen Grundes ein besonders strenger Maßstab angelegt werden. Folglich ist eine außerordentliche Kündigung bei diesen Kündigungsgründen nicht so leicht möglich. Anders ist die Situation bei betriebsbedingten Gründen, die in der Regel sogenannte Dauertatbestände darstellen. Hier steht das BAG auf dem Standpunkt, daß das wegen der Unkündbarkeit besonders große Bestandsinteresse des Arbeitnehmers bei der Prüfung des wichtigen Grundes gegen die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers abzuwägen sei, welche darin liege, daß er über

14

BAG AP Nr. 83 zu § 626.

15

EzA Nr. 93, 96 zu § 626.

16

BAG AP Nr. 94, 83 zu § 626.

5 von Koppenfels

66

Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

Jahre hinweg an den Arbeitnehmer gebunden sei und Entgelt zahlen müsse, ohne eine Gegenleistung in Anspruch nehmen zu können. 17 Entsprechend der Einteilung in einmalige Vorflille und Dauertatbestände bewertet das BAG bei betriebsbedingten KündigungsgrUnden den Umstand der Unkündbarkeit zuungunsten des Arbeitnehmers, läßt damit das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers hinter dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers zurücktreten und gesteht dem Arbeitgeber trotz der Unkündbarkeitsklausel ein Kündigungsrecht zu. Weil aber zugunsten des Arbeitnehmers der Umstand der Unkündbarkeit nicht völlig außer Betracht bleiben dürfe, sei eine Kündigung nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines (tarif-)vertraglich unkündbaren Arbeitnehmers komme daher nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr beschäftigen könne und auch eine Umsetzung in einen anderen Betrieb ausscheide, daher nur bei Betriebsstillegungen. 18 Im Einklang mit der Rspr. zu betriebsbedingten Kündigungsgründen geht das BAG auch bei personenbedingten Gründen (hier insbesondere bei Krankheit), die ebenfalls als Dauertatbestände klassifiziert werden, davon aus, daß sich die lange vertragliche Bindung aufgrund des KUndigungsausschlusses nachteilig rur den gesicherten Arbeitnehmer auswirke. 19 Obwohl die Erkrankung des Arbeitnehmers im Regelfall höchstens eine ordentliche Kündigung veranlassen könne, habe der Arbeitgeber bei unkündbaren Arbeitnehmern die Möglichkeit, sich mittels einer außerordentlichen Kündigung vom erkrankten Arbeitnehmer zu lösen. Weil aber schon an eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung sehr strenge Anforderungen gestellt werden müssen und die besondere Rechtsposition des unkündbaren Arbeitnehmers nicht völlig vernachlässigt werden dürfe, sei eine außerordentliche Kündigung nur in Ausnahmefällen zulässig. Dies hat das BAG für den Fall der dauernden Arbeitsunfähigkeit20 sowie rur den Fall häufiger, an der Grenze zur Arbeitsunfähigkeit liegender Fehlzeiten bejaht.

17

BAG AP Nr. 15, 16 zu § 626.

18

BAG AP Nr. 15, 16,86 zu § 626; EzA Nr. 141 zu § 626.

19

EzA Nr. 144 zu § 626.

20

EzA Nr. 144 zu § 626.

C. Lösungsansatz der Rechtsprechung

67

111. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Rechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung Nach Auffassung des BAG kann es dazu kommen, daß sich die auf der Unkündbarkeitsklausel beruhende lange Bindung bei der Interessenabwägung zum Nachteil filr die geschützten Arbeitnehmer auswirkt. Ein Nachteil könne rur die unkündbaren Arbeitnehmer dann eintreten, wenn sie z. B. beim Fehlen jeder Beschäftigungsmöglichkeit ihren Arbeitsplatz bei einer fristlosen betriebs- oder personen-, insbesondere krankheitsbedingten Kündigung früher verlieren als die kündbaren Arbeitnehmer. 21 Um einen solchen Wertungswiderspruch zu vermeiden, der den Tarif- bzw. Arbeitsvertragsparteien nicht unterstellt werden könne, und um der bezweckten besonderen Sicherung des Arbeitsplatzes gerecht zu werden, soll nach Auffassung des BAG bei einer außerordentlichen Kündigung gegenüber ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern immer die gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfrist eingehalten werden. 22 Dies soll nur dann nicht gelten, wenn die Gründe nicht im betrieblichen Bereich, sondern in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen und von ihm beeinflußt werden können,23 damit hauptsächlich in den Fällen der verhaltensbedingten Kündigungsgründe. IV. Bewertung dieses Lösungsansatzes Den Ausfilhrungen des BAG zu dem Problem, wie sich die ordentliche Unkündbarkeit auf die außerordentliche Kündigung gern. § 626 auswirkt, kann nur teilweise zugestimmt werden. Richtig ist, daß bei einem Lösungsversuch berücksichtigt werden muß, warum und unter welchen Umständen der Ausschluß der ordentlichen Kündigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. den Tarifvertragsparteien vereinbart wurde. Eine große Rolle spielt dabei, wie das BAG zutreffend feststellte, auch die Art des Kündigungsgrundes: Führt ein aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammender Sachverhalt zur Kündigung oder liegt ein sogenannter objektiver Kündigungsgrund vor, der vom Arbeitnehmer nicht beeinflußt werden kann?

21 22 23

Vgl. BAG EzA Nr. 96 zu § 626. BAG EzA Nr. 96,141,144 zu § 626. LAG Hamm Urteil vom 22.1.88.

68

Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

Mithin ist eine allgemeingültige Aussage fUr alle in Betracht kommenden Fälle bei diesem Problem nicht möglich. Umso unverständlicher ist es daher, warum das BAG in der Entscheidung vom 14. November 198424 zwei Fallgruppen bildete und fUr diese pauschal und schematisch die Auswirkungen der langen vertraglichen Bindung durch den Kündigungsausschluß herausstellte. In der ersten Fallgruppe, also bei einmaligen Vorfllllen ohne Wiederholungsgefahr, soll sich die lange Bindung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken. Dies hat zur Folge, daß eine außerordentliche Kündigung dann nicht so leicht möglich ist. Voraussetzung jeder Kündigung ist aber, daß das kündigungsrechtlich relevante vergangene oder gegenwärtige Ereignis auch künftige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat. Ein Kündigungsgrund muß daher gerade auch fUr die Zukunft Gewicht haben, sog. Negativprognose. 25 Fehlt es bei einem Vorfall an der Wiederholungsgefahr, dann sind in der Zukunft jedoch gerade keine weiteren Störungen oder Vertragsverletzungen zu erwarten, und der Kündigungsgrund hat keine Auswirkungen auf die künftige Entwicklung des Arbeitsverhältnisses. In der ersten Fallgruppe müßte daher eine Kündigung schon wegen der fehlenden Negativprognose ausscheiden und nicht erst wegen der langen Bindung, die sich zum Vorteil des Arbeitnehmers auswirkt. Als mögliche kündigungsrechtliche Sachverhalte bleiben somit nur noch Dauertatbestände oder VorflUle mit Wiederholungsgefahr, bei denen die lange Bindung zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fUhren soll. Dies hat zur Folge, daß eine außerordentliche Kündigung erleichtert wird. Da eine außerordentliche Kündigung in der ersten der beiden vom BAG genannten Fallgruppen ohnehin ausscheidet, kann sich die lange Bindung aufgruncJ des Kündigungsausschlusses nach Auffassung des BAG immer nur zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken. Die AusfUhrungen des BAG zur Problemstellung sind somit nur scheinbar ausgewogen und homogen. Es drängt sich der Verdacht auf, daß das BAG in seinem Ansatz die besonders schutzwürdige Position des Arbeitnehmers nicht ausreichend würdigt. Zwar will das BAG eine außerordentliche Kündigung nur unter strengen Voraussetzungen zulassen, um den besonderen Bestandsschutz, den der Arbeitnehmer aufgrund der Unkündbarkeit genießt, nicht unberücksichtigt zu lassen. Daß eine außerordentliche Kündigung aber nur in extremen Ausnahmefllllen greift, entspringt schon dem Verhältnismäßigkeits- und dem ultima ratio-Prinzip und

24

BAG AP Nr. 83 zu § 626.

25

Preis S. 322; Ascheid Nr. 28 fT.

D. Lösungsansätze in der Literatur

69

stellt keine besondere Würdigung der schutzwürdigen Arbeitnehmerinteressen dar. Vertretbar erscheint der Vorschlag des BAG, die außerordentliche Kündigung eines unkündbaren Arbeitnehmers zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs und einer Benachteiligung gegenüber kündbaren Arbeitnehmern von der Einhaltung der ordentlichen (tariflichen, gesetzlichen, vertraglichen) Kündigungsfrist abhängig zu machen. Problematisch ist dabei aber, inwieweit diese Rechtsfolge dogmatisch mit § 626 I, der als Regelfall die entfristete Kündigung vorsieht, vereinbart werden kann.

D. Lösungsansätze in der Literatur Bei der Frage, in welcher Weise der (tarif-)vertragliche Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung berücksichtigt werden kann, wird in den Lösungsansätzen der Lit. entsprechend der Rspr. des BAG entscheidend auf den Schutzzweck der (tarif-)vertraglichen Unkündbarkeitsklausel und auf die Art des Kündigungsgrundes abgestellt. Je nachdem, ob ein betriebs-, personen- oder verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt, stellt sich dann ferner - wiederum unter Berücksichtigung des Schutzzwecks eines Kündigungsausschlusses - die Frage nach der Einhaltung einer Kündigungsfrist und ihrer Länge. I. Lösungsansatz der herrschenden Literatur

I. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit auf Tatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung

Ein großer Teil der Lit. 26 vertritt die Auffassung, daß sich die durch den Ausschluß der ordentlichen Kündigung bedingte langfristige Vertragsbindung bei betriebs- oder personen bedingten Kündigungsgründen zugunsten des Arbeitnehmers auswirke. Einer tarif- oder einzelvertraglichen Regelung, weIche den Ausschluß der ordentlichen Kündigung vorsieht, wird der Zweck zugeschrieben, den Arbeitneh-

26 Preis S. 487 fT; Löwisch Nr. 1273; Kania RdA 95, 295 fT; Stahlhacke Nr. 458, 539, 552; StaudingerlPreis § 626 Nr. 62,232,218,254.

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Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

mer gerade vor Kündigungen aus betrieblichen Gründen oder Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu schützen, weil diese nicht aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammten und von ihm auch nicht zu beeinflussen seienY Daher müsse in diesen Fällen bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ein besonders strenger Maßstab angelegt werden, so daß eine außerordentliche Kündigung nur in extremen Ausnahmefli\1en bejaht werden könne. 28 Anders ist es dagegen bei Gründen, die aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen, von ihm verschuldet oder jedenfalls beeinflußbar sind (verhaltensbedingte Gründe und Haftstrafe als personenbedingter Kündigungsgrund). Hier vertritt die Literatur die Ansicht, daß die durch den Kündigungsausschluß bedingte langfristige Vertragsbindung zu Lasten des Arbeitnehmers ausschlage. Dies wird dem Schutzzweck derartiger (tarif-)vertraglicher Regelungen entnommen, welche gerade nicht vor einem dem Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers zuzurechnenden kündigungsrelevanten Umstand schützen sollen. 29 Durch selbstverantwortetes betriebs- und vertragsbeeinträchtigendes Verhalten verwirke der Arbeitnehmer seinen (tarif-)vertraglichen Schutz, stehe damit einem noch kündbaren Arbeitnehmer gleich und könne daher in der gleichen Weise von einer außerordentlichen Kündigung betroffen werden wie ein ungeschützter Arbeitnehmer. 30 Mithin seien bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen trotz der Unkündbarkeitsklausel keine strengeren Anforderungen an den wichtigen Grund zu stellen. Schwerdtner31 und Hillebrecht32 sind der Auffassung, daß die langfristige Vertragsbindung wegen Unkündbarkeit immer zu einem besonders strengen Maßstab bei der Prüfung des wichtigen Grundes führe, und zwar nicht nur bei betriebs- und personenbedingten Kündigungsgründen, sondern auch bei verhaltensbedingten Gründen. Daß beim unkündbaren Arbeitnehmer generell erhöhte Anforderungen an den wichtigen Grund gestellt werden müssen, wird mit dem besonders hohen Bestandsschutz begründet, den Arbeitnehmer als Folge des Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts genießen.

27

Preis S. 487.

28

Kania RdA 95, 295 f; Preis S. 488.

29

Preis S. 488; Stahlhacke Nr. 458;Kania Personalbuch 96 "Unkündbarkeit" Nr. 9.

30

Preis S. 488.

31

Schwerdtner in FS f. Kissel S. 1084, 1090; MüKo/Schwerdtner § 626 Nr. 91,127 f.

32

KR! Hillebrecht § 626 NT. 205 ff.

D. Lösungsansätze in der Literatur

71

2. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit aufRechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung

Überwiegend wird in der Lit. - entsprechend der Behandlung auf Tatbestandsebene - auch bei der Frage der Rechtsfolge, also der Kündigungsfristen, zwischen betriebs- und personenbedingten Kündigungsgründen einerseits und verhaltensbedingten Kündigungsgründen andererseits differenziert. Um den durch die Unkündbarkeitsklausel besonders geschützten Arbeitnehmer gegenüber noch kündbaren Arbeitnehmern nicht schlechter zu stellen, soll bei betriebs- und personenbedingten Kündigungsgründen die außerordentliche Kündigung nur unter EinhaItung der ordentlichen Kündigungsfrist möglich sein. 33 Zum Teil wird dabei sogar auf die jeweils längste tarifliche oder gesetzliche Kündigungsfrist abgestellt, weil Sinn und Zweck eines Kündigungsausschlusses nicht nur die Gleichstellung mit sonstigen Arbeitnehmern sei, sondern sogar die Privilegierung und Besserstellung. 34 Da dem unkündbaren Arbeitnehmer nach Auffassung der Literatur bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen unter den gleichen Voraussetzungen gekündigt werden müsse wie einem Arbeitnehmer ohne den besonderen (tarif-) vertraglichen Schutz, greife bei verhaltens bedingten Kündigungsgründen eine fristlose Kündigung ein. 35 Anders als die übrigen Vertreter in der Literatur will Schwerdtner36 hinsichtlich der Einhaltung einer Kündigungsfrist bei der außerordentlichen Kündigung nicht zwischen den verschiedenen Arten von KündigungsgrUnden differenzieren, sondern fordert die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist bei allen Kündigungsgründen. Dies begründet er damit, daß die lange Vertragsbindung bei Unkündbarkeit nicht doppelt verwertet werden dürfe; so dUrfe sie nicht gleichzeitig zur BegrUndung des außerordentlichen Kündigungsrechts und zur Begründung der entfristeten Kündigung herangezogen werden.

33

Stahlhacke Nr. 429; KRJHillebrecht § 626 Nr. 207; StaudingerlPreis § 626 Nr. 218.

34

Kania RdA 95, S. 295.

35

Stahlhacke Nr. 458; Kania RdA 95, S. 296; MüHdbArbRJWank § 117 Nr. 20.

36

Schwerdtner FS f. Kisse1 S. 1084. 1090; MüKo/Schwerdtner § 626 Nr. 91,127 f.

72

Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

3. Bewertung dieses Lösungsansatzes

Allen Ansätzen in der Lit. ist darin zuzustimmen, daß sie den Arbeitnehmer dann besonders schützen wollen, wenn er am schutzbedürftigsten ist, wenn nämlich Gründe zur Kündigung fuhren, die von ihm nicht beeinflußt werden, ihn aber besonders hart treffen können. In diesen Fällen der betriebs- und personenbedingten Kündigung verdient der Arbeitnehmer besonderen Schutz, so daß die langrristige Bindung zugunsten des Arbeitnehmers wirkt und eine außerordentliche Kündigung - wenn überhaupt - nur unter erschwerten Voraussetzungen zulässig ist. Es ist zutreffend, daß die h.L. in diesen Fällen die sicherlich auch schwerwiegenden Arbeitgeberinteressen hinter denen des Arbeitnehmers zurücktreten läßt. Dennoch sind Fälle denkbar, wie z.B. eine dauerhafte krankheitsbedingte Arbeitsunfahigkeit des Arbeitnehmers oder Betriebsstillegungen, durch die der Arbeitgeber unzumutbar belastet würde, wenn er über Jahre hinweg am Arbeitsverhältnis festhalten und Lohn zahlen müßte, ohne die entsprechende Gegenleistung zu erhalten. In derartigen Extremfallen der betriebs- und personenbedingten Kündigung läßt die h.L. zutreffenderweise eine außerordentliche Kündigung als Ausweg zu. Dabei läßt sie aber unberücksichtigt, daß es sich um Gründe handelt, die bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, beim unkündbaren aber zum wichtigen Grund avancieren. Mithin tritt die außerordentliche Kündigung an Stelle der ordentlichen Kündigung, was nur schwer mit dem Stufenverhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung sowie dem Zweck einer Unkündbarkeitsklausel zu vereinbaren ist, der darin besteht, gerade eine ordentliche Kündigung nicht zuzulassen. Besonders deutlich wird dies in den Ausfuhrungen von Schwerdtner37, der bei einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer immer die Frist der ordentlichen Kündigung eingreifen läßt. Da es Sachverhalte geben kann, die bei normaler Kündbarkeit nur zur ordentlichen Kündigung berechtigen, beim Unkündbaren aber einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, sind - so die Konsequenz aus Schwerdtners Auffassung - in bestimmten Fällen Tatbestand und Rechtsfolge von ordentlicher und außerordentlicher Kündigung identisch. Die außerordentliche Kündigung ersetzt nach dieser Meinung dann die gerade ausgeschlossene ordentliche Kündigung.

37

Schwerdtner FS

rur Kissel S. 1084, 1090.

D. Lösungsansätze in der Literatur

73

Ein weiterer Kritikpunkt an den Lösungsansätzen der h.L. ergibt sich im Hinblick auf die Rechtsfolge der außerordentlichen Kündigung. Die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist, die zumindest bei einer außerordentlichen Kündigung aus betriebs- und personenbedingten Grunden gefordert wird, begründet die h.L. mit der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs sowie mit Gerechtigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen. Nicht geklärt wird, inwieweit sich diese Rechtsfolge überhaupt mit dem entgegenstehenden Wortlaut des § 626 I vereinbaren läßt, der gerade die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsieht. Ganz extrem ist dies in der Darstellung von Kania38 zu sehen, der bei betriebs- und personenbedingten Kündigungen die jeweils längste tarifliche oder gesetzliche Kündigungsfrist eingreifen lassen will. Damit sieht er eine Rechtsfolge vor, die dem Kündigungsschutzrecht fremd ist und die die besondere Rechtsposition des unkündbaren Arbeitnehmers möglicherweise überbewertet. 11. Lösungsansatz Rudolf Wengs

1. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit aufTatbestandsebene der außerordentlichen Kündigung Weng39 vertritt bei der Frage, welche Auswirkung die ordentliche Unkündbarkeit auf die Interessenabwägung bei § 626 I hat, eine der übrigen Doktrin entgegengesetzte Auffassung, die aber die Judikatur des BAG konsequent fortfiihrt. So soll sich die lange Bindung bei verhaltensbedingten Gründen bzw. schuldhaften Pflichtverletzungen regelmäßig zugunsten des Arbeitnehmers auswirken, so daß strenge Anforderungen an den wichtigen Grund zu stellen sind. Zu diesem Ergebnis kommt er, weil das Vorliegen eines wichtigen Grundes seiner Auffassung nach maßgeblich von der Schwere des Pflichtenverstoßes abhänge und nicht von der Dauer der weiteren vertraglichen Bindung. Der wichtige Grund ergebe sich nur aus der aktuellen Auswirkung auf den Betrieb je nach Schwere des Vergehens und nicht aus der Belastung, die mit der Fortfiihrung des Arbeitsverhältnisses verbunden wäre. 40

38

Kania RdA 1995, S. 295.

39

Weng Oiss. 1980; Weng OB 77, 676 fT.

40

Weng Oiss. S. 59 ff, 72.

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Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

Von Bedeutung soll die langfristige Bindung nach Weng nur sein, wenn der Arbeitnehmer eine Vertrauensposition im Betrieb inne hat, da sich ein Vertrauensverlust auf das gesamte zukünftige Arbeitsverhältnis auswirke. In diesem Fall soll die lange Bindung bei verhaltensbedingten Gründen ausnahmsweise zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Entsprechend der Rspr. des BAG zu Dauertatbeständen oder Vorflillen mit Wiederholungsgefahr wirkt sich die langfristige Bindung nach Auffassung von Weng bei betriebs- oder personenbedingten Gründen zuungunsten des Arbeitnehmers aus. 4 \ Bei derartigen kündigungsrelevanten Sachverhalten sei das Austauschverhältnis auf Dauer, also auch gerade für die Zukunft, gestört; die wirtschaftliche und organisatorische Belastung steige sogar entsprechend der Dauer der Bindung. Da sich die langfristige Bindung somit in negativer Weise auswirke, müsse sie auch bei der Prüfung des wichtigen Grundes zu Lasten des Arbeitnehmers einschlagen. Eine außerordentliche Kündigung ist nach Darstellung von Weng bei personen- und betriebsbedingten Gründen damit eher zu bejahen. 2. Auswirkung der ordentlichen Unkündbarkeit aufRechtsfolgenebene der außerordentlichen Kündigung

Während sich Weng in der Tatbestandsseite deutlich von den übrigen Vertretern in der Literatur absetzt, nähert er sich bei der Beurteilung der Rechtsfolge, also hinsichtlich des Problems der Kündigungsfrist, der übrigen Doktrin an. Er ist der Auffassung, daß das Arbeitsverhältnis bei schuldhaften Pflichtverletzungen (Fallgruppe der verhaltensbedingten Kündigungsgründe ), bei denen sich der Arbeitnehmer in Opposition zur betrieblichen Ordnung und Disziplin stellt, fristlos beendet werden müsse, weil dem Betrieb auch eine nur kurzfristige Fortsetzung zum Schutze seiner Funktionsgrundlage nicht zugemutet werden könne. 42 Bei objektiven, in der Person oder im Betrieb liegenden Gründen bestehe dagegen kein Interesse an der sofortigen Lösung des Arbeitsverhältnisses. In diesen Fällen gehe es nur darum, wegen der aus der langfristigen Bindung resultierenden Belastung überhaupt aus dem Arbeitsverhältnis herauszukommen, was

4\

Weng Diss. S. 69 tT, 72.

42

Weng Diss. S. \2\ tT.

D. Lösungsansätze in der Literatur

75

aber nicht sofort geschehen müsse. 43 Es bestehe also bei personen- und betriebsbedingten Kündigungsgründen gar kein Bedürfnis nach einer sofortigen, d. h. fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zusätzlich käme es - beließe man es in diesen Fällen bei einer fristlosen Kündigung - zu dem paradoxen Ergebnis, daß eine fristlose Kündigung umso eher möglich wäre, je stärker sich die Parteien binden wollten. 44 Da es sich außerdem um Gründe handele, die ohne die (tarif-)vertragliche Schutznorm nur eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt hätten, würde der unkündbare Arbeitnehmer gegenüber noch kündbaren schlechter gestellt, weil bei ihm das Arbeitsverhältnis entsprechend § 626 I fristlos endete. Um diese Widersprüchlichkeiten und Benachteiligungen zu vermeiden, und wegen des fehlenden Interesses an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist bei betriebs- und personenbedingten Kündigungsgründen nach Auffassung von Weng eine Kündigungsfrist einzuhalten. Da eine solche in § 626 I jedoch nicht vorgesehen ist, räumt Weng dem außerordentlich gekündigten Arbeitnehmer in diesen Fällen einen Anspruch auf die ansonsten bestehende ordentliche Kündigungsfrist einY Diesen Anspruch leitet er aus der bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen von vornherein bestehenden Rechtsposition her, daß eine fristlose Kündigung nur dann ausgesprochen werden könne, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses rur die Dauer der ordentlichen Kündigung unzumutbar sei. Müsse die Unzumutbarkeit verneint werden, komme nur eine fristgemäße Kündigung in Betracht. Diese Rechtsposition solle dem unkündbaren Arbeitnehmer trotz des Kündigungsausschlusses erhalten bleiben. 46 Weng ist der Ansicht, daß die Zumutbarkeitsprüfung zunächst auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses bezogen werden müsse. Werde die Unzumutbarkeit bejaht, so bedeute dies aber nicht, daß dann ein wichtiger Grund vorliege und die außerordentliche Kündigung mit der Rechtsfolge der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintrete, sondern es entfalle lediglich sofort die "Alterssicherung"47. Das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis bleibe im übrigen davon unberührt. Bestehe somit nur noch ein Arbeitsverhältnis ohne Alterssicherung, sei der Weg frei rur die weitere Zumutbarkeitsprüfung, die sich - wie beim nicht kün43

Weng Diss. S. 120 fT.

44

Weng Diss. S. 119; DB 77, S. 677.

45

Weng Diss. S. 123.

46

Weng DB 77, S. 677 f.

47 Mit "Alterssicherung" meint Weng die tarif- bzw. einzelvertragliche Unkündbarkeitsklausel.

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Drittes Kapitel: Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer

digungsgeschützten Arbeitnehmer - an der Länge der ordentlichen Kündigungsfrist zu orientieren habe. Erst wenn hier die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bejaht werde, könne das Arbeitsverhältnis fristlos gekUndigt werden. Ansonsten müsse eine außerordentliche Kündigung mit ordentlicher Kündigungsfrist ausgesprochen werden. 48 Da es bei personen- und betriebsbedingten KündigungsgrUnden nur darum gehe, überhaupt irgendwann einmal aus dem Arbeitsverhältnis herauszukommen, was aber nicht sofort der Fall sein müsse, sei dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest rur die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten. Die zweite sich an der Länge der ordentlichen Kündigungsfrist orientierende ZumutbarkeitsprUfung müßte somit bei betriebs- und personenbedingten KündigungsgrUnden immer die Zumutbarkeit der (zeitlich begrenzten) Fortruhrung des Arbeitsverhältnisses ergeben, so daß die außerordentliche Kündigung in diesen Fällen zu befristen sei. Über die Konstruktion eines grundsätzlich bestehenden und sich bei personen- und betriebsbedingten KündigungsgrUnden durchsetzenden Anspruchs auf Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist kommt Weng somit rur diese Fälle zu einer außerordentlichen befristeten Kündigung. 3. Bewertung dieses Lösungsansatzes Indem Weng die lange vertragliche Bindung bei verhaltensbedingten GrUnden zugunsten des Arbeitnehmers, bei betriebs- und personenbedingten GrUnden dagegen zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt, verkennt er meines Erachtens den Schutzzweck d