Die arglistige Prozesspartei: Beitrag zur rechtstheoretischen Präzisierung eines Verbotes arglistigen Verhaltens im Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses [1 ed.] 9783428422807, 9783428022809


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Die arglistige Prozesspartei: Beitrag zur rechtstheoretischen Präzisierung eines Verbotes arglistigen Verhaltens im Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses [1 ed.]
 9783428422807, 9783428022809

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Schriften zum Prozessrecht Band 9

Die arglistige Prozesspartei Beitrag zur rechtstheoretischen Präzisierung eines Verbotes arglistigen Verhaltens im Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses

Von

Walter Zeiss

Duncker & Humblot · Berlin

Walter

Zeiss / Die arglistige Prozesspartei

Schriften zum

Prozessrecht

Band 9

Die arglistige Prozesspartei Beitrag zur rechtstheoretischen Präzisierung eines Verbotes arglistigen Verhaltens i m Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses

Von

Dr. iur. Walter Zeiss Privatdozent i n Mainz

DUNCKER

& H U M B L O T

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bel Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

Vorwort Goldschmidt (Der Prozeß als Rechtslage, 1925, S. 1, 146) meinte, Oskar Bülow habe der beschreibenden Prozeßkunde ein Ende gemacht und die moderne konstruktive Epoche der deutschen Prozeßrechtswissenschaft eingeleitet. Da das Prozeßrecht, wie jedes andere Rechtsgebiet, aber nicht nur durch gesetztes Recht und eine auf i h m aufbauende Systemat i k bestimmt ist, sondern durch Richterrecht praeter legem weiterentwickelt wird, ist es trotz der Verdienste der konstruktiven Epoche an der Zeit, auf induktivem Weg Erscheinungen des Prozeßlebens auszuwerten und durch Typen- und Normenbildung allgemein nutzbar zu machen. Diese Methode der Stoffbehandlung liegt der vorliegenden Untersuchung zugrunde. Es gilt, unter Heranziehung des Materials aus der Judikatur eine Dogmatik für eine Erscheinung zu geben, die unter den Schlagworten Treu und Glauben und gute Sitten i m Prozeß, exceptio doli processualis, Verwirkung und Mißbrauch prozessualer Befugnisse und hinter der Generalklausel des Rechtsschutzbedürfnisses auftritt. Die behandelten Entscheidungen sind meist i m Wortlaut wiedergegeben. Diese Darstellungsweise ist der Bearbeitung von Richterrecht adäquat. Denn nur der praktische Fall m i t seinem Kolorit und nicht das i n Studierstuben „ausgedachte" Beispiel schärft den Blick für die zu regelnden Konfliktsituationen. Auch erspart man so demjenigen, der sich überhaupt dieser Mühe unterziehen wollte, das lästige Nachschlagen der Entscheidungen. Ein Register der verwerteten Judikatur erleichtert die Übersicht. Die Arbeit hat i m Sommersemester 1967 der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität i n Mainz als Habilitationsschrift vorgelegen. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wilhelm Scheuerle. Seiner Förderung ist das Entstehen der Arbeit zu verdanken. Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Horst Bartholomeyczik für manche wertvolle Anregung. Mainz, i m Herbst 1967. Walter

Zeiss

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung I. Das Problem I I . Das Anliegen u n d die Methode der A r b e i t

13 13 17

I I I . Die Methode der Fallauswahl

21

I V . Gang der Untersuchung

22

B. Die Notwendigkeit einer Norm zur Abwehr prozessualer Arglist I. Der Mangel einer Prozeßrechtsnorm zur allgemeinen A r g l i s t abwehr, Hegelungen des Auslands I I . Prozeßstrafen u n d Calumnieneid

24 24 25

I I I . Relikte des Calumnieneides u n d der Prozeßstrafen i m geltenden Prozeßrecht

29

C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich eines Verbotes arglistigen Prozeßverhaltens

32

I. E i n Verbot arglistigen Verhaltens u n d die angeblich „ m o r a l i n freie" H a l t u n g des Prozeßrechts

32

I I . Ausschluß einer Generalklausel durch den Formrigor des Prozeßrechts? I I I . Spezielle prozessuale M i t t e l der Arglistabwehr

35 38

1. Das Verbot m u t w i l l i g e r Prozeßführung auf Kosten des Staates

38

2. Klagen ohne Veranlassung i m Sinne des § 93 ZPO

42

3. Normierte Einzelfälle des Verbots des venire contra factum proprium

43

4. Mißbrauch bei zweckwidrig ausgeübter Rügebefugnis

45

I V . Wahrhaftigkeitsgebot u n d allgemeine Arglistabwehr V. Prozessualer u n d materiellrechtlicher Rechtsmißbrauch V I . Keine abschließende Regelung der Arglistproblematik durch die genannten speziellen M i t t e l

46 50 50

V I I . Das Programm der Konkretisierung

51

D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

52

I. Problemstellung I I . Lösungsversuche i n Rechtsprechung u n d Lehre I I I . Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen als Problem der Gesetzesumgehung

52 53 57

8

Inhaltsverzeichnis I V . Gesetzesumgehung als Auslegungsproblem

58

V. Gesetzesumgehung u n d Hechtsmißbrauch

62

V I . Subjektiver Tatbestand der Gesetzesumgehung? V I I . Analyse einiger praktischer Fälle arglistiger Schaffung prozessualer Rechtslagen auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

67 70

1. Die Erschleichung des Gerichtsstandes des § 23 ZPO 2. Die Erschleichung des Gerichtsstandes der unerlaubten H a n d lung (§ 32 ZPO)

70 75

3. Die Umgehung der Verpflichtung zur Stellung der Ausländerkaution (§110 ZPO)

79

4. Die Erschleichung der sachlichen Zuständigkeit des A m t s gerichts durch Erhebung mehrerer Teilklagen (§ 23 Nr. 1GVG)

81

5. Die Erschleichung des Gerichtsstandes des § 603 I I ZPO

86

6. Die Erschleichung des Armenrechts (§ 114 ZPO)

89

7. Die Erschleichung u n d die Vermeidung der Revisionssumme (§ 546 I ZPO)

89

V I I I . Ergebnis E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht I. Das Problem

98 100 100

I I . Zuwiderhandeln gegen Verträge über prozessuale Befugnisse als vermeintliches Anwendungsgebiet des venire contra factum proprium 100 I I I . Die vereinbarte Unklagbarkeit als vermeintlicher F a l l des venire contra factum p r o p r i u m 106 I V . Das venire contra factum p r o p r i u m außerhalb verpflichtender Verträge über prozessuale Befugnisse 109 1. Die Ausdehnung der sachlichen Rechtskraftwirkungen m i t H i l f e des § 242 B G B 109 2. Die Ausdehnung der personellen Rechtskraftwirkungen m i t H i l f e des Prinzips des venire contra factum p r o p r i u m 113 V. Die gegen das Verbot des venire contra factum p r o p r i u m v e r stoßende Klageerhebung außerhalb einer Nichtangriffsabrede . . 115 V I . Ergebnis F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse I. Das Problem I I . Der Tatbestand der V e r w i r k u n g I I I . Gang der Untersuchung

122 123 123 124 125

I V . V e r w i r k u n g der Kostenfestsetzungsbefugnis wegen V e r w i r k u n g des Kostenerstattungsanspruchs 125 V. Mangelndes Rechtsschutzbedürfnis statt V e r w i r k u n g V I . Mangelnde Beschwer infolge Verwirkung?

128 131

Inhaltsverzeichnis V I I . V e r w i r k u n g oder Verpflichtung, eine prozessuale Befugnis nicht auszuüben? 133 V I I I . Prüfung der V e r w i r k u n g von Amts wegen oder auf Einrede? . . 136 I X . V e r w i r k b a r k e i t der Beschwerdebefugnis bei anderweitiger A b änderbarkeit des belastenden Zustands? 140 X . V e r w i r k b a r k e i t der Klagebefugnis X I . Ergebnis

149

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse I. Problemstellung

150 150

I I . Mangelnde P r a k t i k a b i l i t ä t des Schikanebegriffs I I I . Die Zweckentfremdung mißbrauchs

142

152

als M e r k m a l institutionellen Rechts153

1. Das Prinzip des Rechtsmißbrauchs u n d das subjektive Recht 154 2. Mißbrauchsunempfindliche u n d mißbrauchsempfindliche Befugnisse 157 3. Rechtsmißbrauch u n d Rechtsschutzbedürfnis 4. Gang der Untersuchung

160 163

I V . Vereitelung rechtspolitischer Zwecke unabhängig von der W i l lensrichtung des Handelnden 163 V. Mißbrauch wegen nutzloser Ausübung prozessualer Befugnisse 166 1. Ausübung einer prozessualen Befugnis, deren möglicher E r folg bereits gewährleistet ist 167 a) Das Erfordernis der Beschwer als Einrichtung zur V e r h i n derung institutionellen Mißbrauchs 167 b) Die prozessuale Überholung als Ausgestaltung des V e r bots, nutzlose Prozeßhandlungen vorzunehmen 169 c) Die Erledigung der Hauptsache als Problem prozessualen Befugnismißbrauchs 170 2. Ausübung einer prozessualen Befugnis, bei der das Interesse an der Ausübung auch bei prozessualem Erfolg unbefriedigt bliebe 172 a) Vollstreckungsunmöglichkeit

172

b) Das Interesse an der Befugnisausübung w ü r d e nicht befriedigt, w e i l die Befriedigung eine unzulässige Durchbrechung der Rechtskraft bedeutete 173 c) Nutzlose Erhebung der Einrede der mangelnden Sicherheit f ü r die Prozeßkosten (§§ 110, 274 ZPO) 174 d) Mangelndes Rechtsausübungsinteresse als materiellrechtliches Problem 175 3. Ergebnis

178

V I . Mißbrauch wegen Ausübung prozessualer Befugnisse zur Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung 179

10

Inhaltsverzeichnis V I I . Mißbrauch wegen Ausübung prozessualer Befugnisse zur Erlangung ungerechtfertigter Vermögensvorteile 189 V I I I . Mißbrauch wegen Ausübung prozessualer Befugnisse zur A u s schaltung spezieller Verbote 193 1. Rechtsmittel zur „Umgehung" des § 99 I ZPO 193 2. Mißbrauch der Popularklagebefugnis zur „Umgehung" der §§ 325 ff. ZPO I X . Mißbrauch der Ehenichtigkeitsklage X . Ergebnis

196 198 202

H. Das Ergebnis der Konkretisierung und die gewohnheitsrechtliche Geltung der konzipierten Generalklausel 203 Wichtigste Literatur

204

Verzeichnis der konkretisierenden Kasuistik

208

Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen deutscher Gesetze, Zeitschriften usw. entsprechen dem von Hildebert Kirchner herausgegebenen „Abkürzungs Verzeichnis der Rechtssprache", B e r l i n 1957. A u f folgende Abkürzungen sei ergänzend hingewiesen: ABGB

= Oesterreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

BGE

= Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichtes

JN

= (oesterr.) Jurisdiktionsnorm

OesterrJZ

= Oesterreichische Juristenzeitung

Α. Einleitung I . Das Problem

Literatur und Rechtsprechung des Zivilprozeßrechts kennen eine Erscheinung, die man als die der arglistigen Prozeßpartei bezeichnen kann. Sie w i r d durch folgende Beispiele gekennzeichnet. a) E i n Inländer w i l l i m I n l a n d eine Forderung gegen einen Ausländer einklagen. Der Ausländer hat hier weder Wohnsitz noch Vermögen. Der Gerichtsstand des § 23 ZPO ist daher nicht gegeben. U m i h n herbeizuführen, klagt der Inländer zunächst einen geringen Betrag seiner Forderung vor dem unzuständigen inländischen Gericht ein. Die Klage w i r d als unzulässig abgewiesen. Sodann macht er seine ganze Forderung i m Gerichtsstand des § 23 ZPO geltend. K a n n er sich nun, w e i l der Kostenerstattungsanspruch des Ausländers inländisches Vermögen i. S. des § 23 S. 2 ZPO ist, m i t Erfolg auf diesen Gerichtsstand berufen 1 ? b) E i n Berufungskläger, dessen Obsiegen zu erwarten ist, ermäßigt seinen A n t r a g auf einen Wert, der unter der Revisionssumme liegt. K a n n der Gegner n u n keine Revision mehr einlegen 2 ? c) E i n Kläger hat sich vertraglich verpflichtet, die Klage zurückzunehmen. E r beharrt gleichwohl auf seinem Klageantrag. Was k a n n der Gegner tun? Hat er eine prozeßhindernde Einrede, oder muß das Gericht von A m t s wegen einschreiten 8 ? d) Das L G i n Breslau erließ 1944 ein Urteil, wonach die Ehe der Parteien geschieden wurde. Das U r t e i l wurde nicht rechtskräftig, w e i l der Beklagte Berufung einlegte. Infolge der Kriegswirren wurde das Rechtsmittel nicht mehr behandelt. Nachdem die Parteien nach ihrer gemeinsamen Flucht aus Breslau 10 Jahre i n ehelicher Gemeinschaft gelebt hatten, nahm der Beklagte 1955 den Scheidungsrechtsstreit vor dem zuständigen O L G i n M ü n chen wieder auf. E r hatte 1954 Beziehungen zu einer anderen Frau angeknüpft. U m seine noch bestehende Ehe aufzulösen, erklärte er, daß er die Berufung gegen das U r t e i l des L G i n Breslau zurücknehme. Ist seine Ehe n u n geschieden 4 ? e) Das Unterliegen eines inländischen Beklagten steht außer Zweifel. Dennnoch erhebt er gemäß §§ 274 I I Nr. 5, 110 ZPO die Einrede der mangelnden Sicherheit f ü r die Prozeßkosten. Er weiß, daß er niemals einen Kostenerstattungsanspruch gegen den ausländischen Kläger erlangen w i r d . Schikane 5 ? 1 2 3 4 5

Dazu Dazu Dazu Dazu Dazu

unten unten unten unten unten

D D E F G

V I I , 1. V I I , 7. II. VIII. V, 2 c.

14

Α. Einleitung

f) I n einem Ehescheidungsprozeß beantragt die K l ä g e r i n Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 620 ZPO. Muß das Gericht dem A n t r a g stattgeben, w e n n der Beklagte nachweist, die K l ä g e r i n wolle damit den Prozeß v e r zögern, u m i h n finanziell unter Druck zu setzen 8 ? g) Eine Patentnichtigkeitsklage ist rechtskräftig abgewiesen. Das U r t e i l w i r k t gemäß § 325 ZPO Rechtskraft n u r inter partes. Da jedermann die Patentnichtigkeitsklage aus § 13 I Nr. 1 u n d 2 PatG erheben kann, beauftragt der Kläger seinen Angestellten, die Nichtigerklärung des Patents erneut zu betreiben. Zulässig 7 ?

Die Frage ist, wie diese Fälle zu lösen sind. 1. Den Beispielen ist ein charakteristisches Merkmal gemeinsam. Die ihnen zugrunde liegenden Verhaltensweisen sind nach dem geschriebenen Prozeßrecht, man kann sagen „formal", zulässig. Jedoch gefallen sie unserem Rechtsgefühl nicht. Man denkt an Schikane (§ 226 BGB), Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB), Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Abwertung des Verhaltens als arglistig drängt sich auf. Es stellt sich die Frage, ob man derartige Fälle prozessualer Arglist m i t einer der genannten materiellrechtlichen Normen oder einer ihnen vergleichbaren Vorschrift erfassen kann. 2. Die geschilderten Beispiele betreffen, wie ersichtlich, das Erkenntnisverfahren. Sie berühren nicht die Frage des erschlichenen oder sittenwidrig ausgenutzten rechtskräftigen Urteils. Diese ist bereits eingehend behandelt 8 und soll hier nicht erörtert werden. Ebensowenig soll das Problem der Schadensersatzpflicht aus rechtswidrigem und schuldhaftem prozessualem Verhalten und wegen Mißbrauchs prozessualer Befugnisse untersucht werden. Es hat als Problem zivilrechtlicher Haftung nichts m i t der hier allein interessierenden Frage zu tun, wie Prozeßgegner und Gericht i m anhängigen Verfahren auf arglistiges Parteiverhalten reagieren können 9 . 3. Das geltende Prozeßrecht enthält für das Erkenntnisverfahren über die skizzierte Problematik nichts. Insbesondere gibt es keine Norm, die etwa den §§ 138, 226, 242 BGB an die Seite gestellt werden könnte. Nur das Vollstreckungsrecht kennt i n § 765 a ZPO eine Vorschrift, die den §§ 242,138 BGB vergleichbar ist. 4. Die Mittel, m i t denen die Rechtsprechung Fälle der beschriebenen A r t bewältigt, sind kontrovers. Die zu entscheidende Problematik w i r d β

Dazu unten G V I , 2. Dazu unten G V I I I , 2. 8 Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. A u f l . 1961, § 157 m i t reicher Literatur. 9 Einige Gedanken zur Haftungsproblematik finden sich unten G FN. 167. 7

I. Das Problem

15

als solche des Rechtsschutzbedürfnisses erkannt 1 0 , oder durch eine Einrede der Arglist (exceptio doli) erfaßt 11 , oder mit einer sogenannten exceptio doli processualis gelöst 12 . Auch der Verwirkungsgedanke spielt neuerdings i m Prozeßrecht eine zunehmende Rolle 1 3 . 5. Die Lehre hat den aufgeworfenen Fragen bisher wenig Beachtung geschenkt. Es gibt zwei Meinungen über die Anwendbarkeit des § 242 BGB. Die wohl am häufigsten vertretene Ansicht 1 4 befürwortet die Anwendung des materiellrechtlichen Grundsatzes von Treu und Glauben. Sie verspricht sich daraus „fruchtbare Ergebnisse für den Prozeß" 16 . Die andere Ansicht lehnt § 242 BGB ab 1 6 . Als Gründe werden angeführt: die Zivilprozeßordnung bekämpfe die Arglist der Partei m i t eigenen Mitteln; auch vertrage der Formrigor des Prozesses keine „Aufweichung" durch eine Generalklausel. Monographisch hat sich vor allem Baumgärtel zu der gegenwärtigen Problematik geäußert 17 . Er untersucht 18 die Anwendbarkeit des § 242 BGB i m Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses und bejaht sie m i t zahlreichen, aus dem besonderen Anliegen des Prozesses folgenden Einschränkungen. Er behandelt u. a. Fallgruppen, die er bezeichnet als a) arglistiges Verhalten bei der Gestaltung des Verfahrens (S. 103 ff.), b) arglistige Schaffung prozessualer Befugnisse (S. 108 ff.), c) mißbräuchliche Ausnutzung prozessualer Befugnisse (S. 113 f.) und d) schikanöse Ausübung prozessualer Befugnisse (S. 115 f.). M i t der V e r w i r k 10

Vgl. dazu unten G. Vgl. dazu unten D u n d E. 12 Vgl. dazu unten F V I I . 13 Dazu unten F. 14 Staudinger-Weber, B G B 11. Aufl., § 242 A n m . A 58; Soergel-Siebert, B G B 9. Aufl., § 242 A n m . 47; Palandt-Danckelmann, B G B 25. Aufl., § 242 A n m . 3; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, ZPO 18. Aufl., Bern. V 7 vor § 128; einschränkend allerdings Stein- Jonas-Pohle, ZPO 19. Aufl. Bern. X I 3 h vor § 128; Baumbach-Lauterbach, ZPO 29. Aufl., Einl. I I I 6 A ; Rosenberg, aaO, § 61 V I I ; Nikisch, Zivilprozeßrecht, S. 203 ; Schönke-Schröder-Niese, Lehrbuch des Z i v i l prozeßrechts, 8. Aufl., 1956, S. 25. 15 Baumbach-Lauterbach, aaO. 16 Schneider, Treu u n d Glauben i m Civilprozesse, 1903; Görres, Z Z P 34, 1; Novak , OesterrJZ 1949, 338; Baur, Richtermacht u n d Formalismus i m V e r fahrensrecht, S u m m u m ius summa iniuria, 1963, S. 97 ff. (108, 113). 17 Einige ältere Dissertationen sind nicht sehr aufschlußreich. Vgl. Beltz, Treu u n d Glauben u n d die guten Sitten nach neuer Rechtsauffassung u n d ihre Geltung i n der ZPO, Diss. K ö l n 1937; ν . Poellnitz, Die Arglisteinrede i m Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses, Diss. Breslau 1937 ;Prillwitz, Der Begriff u n d die Anwendbarkeit der Arglisteinrede i m Zivilprozeßverfahren, Diss. Jena 1914. 18 Treu u n d Glauben, gute Sitten u n d Schikaneverbot i m Erkenntnisverfahren, Z Z P 69, 89 ff. 11

16

Α. Einleitung

barkeit prozessualer Befugnisse und der V e r w i r k b a r k e i t der Klage-* befugnis befaßt sich der gleiche A u t o r i n gesonderten Abhandlungen 1 9 . Z u erwähnen ist weiter die Untersuchung Schönkes 20 über das Rechtsschutzbedürfnis. Sie behandelt unter diesem Begriff Fälle des Prozeßrechts, die man bei bürgerlich-rechtlicher Betrachtungsweise als institutionellen Rechtsmißbrauch kennzeichnen würde, also als zweck- oder funktionswidrige Ausnutzung einer N o r m 2 1 . 6. Die bisherigen Versuche, die Problematik der arglistigen Prozeßpartei zu lösen, sind nicht befriedigend. I n den Kommentaren u n d L e h r büchern ist meist n u r die Behauptung zu finden, daß § 242 B G B anwendbar sei. Die Stimmen, welche § 242 B G B ablehnen, gehen an der Fülle des Materials vorbei, das die Praxis bietet. Die Ausführungen Baumgärtels bedürften der Ergänzung. M a n erfährt bei i h m ζ. B. nicht, w a r u m die „Schaffung einer prozessualen Befugnis" arglistig i s t 2 2 u n d w a r u m eine Befugnis mißbräuchlich oder schikanös ausgeübt w i r d 2 3 . Die Gedanken Schönkes sind wenig überzeugend. Er untersucht n u r ein Teilgebiet der m i t den eingangs geschilderten Fällen angesprochenen Problematik. Außerdem ist seine Methode zu beanstanden. Er w i l l den Satz: „Der einzelne darf die Gerichte n u r insoweit i n Anspruch nehmen, als für i h n ein Bedürfnis nach Rechtsschutz besteht", aus dem Zweck des Zivilprozesses ableiten 2 4 . Daß eine derartige Regelbildung aber vom F a l l ausgehen, also gleichsam i n umgekehrter Richtung verlaufen sollte, hat Esser 25 dargelegt. I n Wahrheit unterschiebt denn auch Schänke dem Gesetz eine kasuistisch gewonnene Erkenntnis und wertet sie dann als Obersatz des Systems deduktiv aus. Außerdem verkennt er die w e i t gehende Identität von Fällen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses m i t solchen des Rechtsmißbrauchs und nutzt daher die Erkenntnisse der Rechtsmißbrauchslehre nicht 2 6 .

19 Die V e r w i r k u n g prozessualer Befugnisse i m Bereich der ZPO und des FGG, ZZP 67, 423 ff.; ders., Die Unverwirkbarkeit der Klagebefugnis, ZZP 75, 385 ff. 20 Das Rechtsschutzbedürfnis. Studien zu einem zivilprozessualen Grundbegriff, 1950. 21 Z u m institutionellen Rechtsmißbrauch vgl. Esser, Schuldrecht, 2. Aufl., 1960, § 34, 7 u n d 8. Er hat diesen Begriff geprägt. 22

Dazu unten D.

23

Dazu unten G.

24

Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 1—22.

25

Grundsatz und N o r m i n der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl. 1964, S. 141 f. (162). 20

Dazu unten D und G.

II. Das Anliegen und die Methode der Arbeit

17

I I . Das Anliegen und die Methode der Arbeit 1. Die Absicht der Arbeit ist es, eine dem § 242 BGB vergleichbare Generalklausel zu finden, sie aber auch „rechtstheoretisch zu präzisieren" 2 7 . M i t Präzisierung ist eine Erscheinung gemeint, wie sie sich ζ. B. i m Bereich des § 242 BGB vollzieht. Hier haben Lehre und Rechtsprechung der zunächst „leeren Form" der Generalklausel bestimmte A n wendungsgebiete erschlossen: Rechtsmißbrauch, venire contra factum proprium, Wegfall der Geschäftsgrundlage usw. behandelt man nach Tradition innerhalb des § 242 BGB. Man konkretisiert oder präzisiert so diese Generalklausel mittels „rechtstheoretischer Durchdringung und systematischer Entwicklung des emanzipierten Präjudizienrechts" 28 . Eine Generalklausel konkretisieren oder präzisieren heißt also, ihren Anwendungsbereich innerhalb einer bestimmten Kasuistik 2 9 abgrenzen 30 . Das bedeutet zweierlei. Einmal kann sich die Anwendbarkeit einer Generalklausel auf bestimmte Fälle bejahen lassen. Aus einer Vielzahl von Präjudizien ergeben sich so, „vom Empirischen zum Normativen aufsteigend" 31 , mehr oder weniger kodifikationsfähige Tatbestände, etwa die des venire contra factum proprium, der Verwirkung und des Mißbrauchs. Ein Beitrag zur Konkretisierung ist es aber auch, wenn sich die Anwendbarkeit einer Generalklausel für einen bestimmten Teil der „an sich" i n Frage kommenden Kasuistik verneinen läßt. So w i r d z. B. § 242 BGB präzisiert, indem man die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) abgrenzt von Fällen der M o t i v i r r tums 3 2 und denen der condictio ob rem des § 812 I, 2 a. E. B G B 3 3 und bei ihnen die Anwendbarkeit des § 242 BGB ausschließt. 2. Unser Vorhaben weist die Besonderheit auf, daß i m Prozeßrecht eine konkretisierungsbedürftige Generalklausel der Arglistabwehr fehlt. Die erwähnte Absicht, eine dem § 242 BGB vergleichbare Generalklausel zu finden, betrifft also das Problem der Normgewinnung. Z u diesem Zweck stellen w i r zunächst als Hypothese ein Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens oder, anders ausgedrückt, ein Gebot redlichen Prozeßverhaltens auf. W i r können diese Generalklausel eines honeste procedere so formulieren: Die Parteien haben den Prozeß redlich zu führen, also arglistiges Verhalten zu unterlassen. 27

Wieacker, Z u r rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 B G B , 1956. Staudinger-Weber, aaO, A n m . A 168. 29 Uber die Fallauswahl sogleich unten Ziff. 3. 80 „ W i l l man keine Kasuistik, so w i l l m a n insoweit keine Konkretisierung", Engisch, Die Idee der Konkretisierung, aaO, S. 80. 81 Endemann, H d w b R W V I , S. 636. 82 Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 245. 88 Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 244. 28

2 Zeiss

18

Α. Einleitung

3. Die Generalklausel steht als Hypothese auf „tönernen Füßen". Normqualität könnte sie aber aus Gewohnheitsrecht herleiten, das auch i m Zivilprozeß Rechtsquelle ist (§ 12 EGZPO) 84 . Es entsteht u. a. durch ständige Rechtsprechung, die i n Rechtswissenschaft und Bevölkerung keinen erheblichen Widerstand findet 3 5 . Ihrem Nachweis dient die Konkretisierung der hypothetischen Generalklausel, die — wie dargelegt — nach Kasuistik, d. h. nach Rechtsprechung, verlangt. Eine solche Kasuistik aufzuzeigen und darzulegen, daß eine „ständige Rechtsprechung" ein Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens i m wesentlichen unangefochten praktiziert, ist die Hauptaufgabe der vorliegenden Untersuchung. Ist sie gelöst, so läßt sich die Frage nach der gewohnheitsrechtlichen 38 Geltung der hypothetischen Klausel beantworten 3 7 . Die Hypothese als Ausgangspunkt der Darstellung dient m i t h i n nur als Gerüst, um das man die Kasuistik 3 8 gruppieren kann. W i r versuchen also, m i t anderen Worten, auf induktivem Wege aus Einzelerscheinungen des Prozeßrechts das Gebot des honeste procedere als allgemeines Prinzip zu entwickeln. Die Regelbildung w i r d somit vom Fallproblem ausgehen. „Nicht die Tiefe der wissenschaftlichen Eingebung ist es, die eine Rechtseinrichtung fruchtbar macht, sondern die Breite der Kasuistik, welche der Legalisierung eines Prinzips vorangeht, und die Schmiegsamkeit der Formel, welche die Kasuistik auf einen dogmatisch ausbaufähigen Nenner bringt" (Esser) 39. 4. Die der Arbeit zugrundeliegende, vom Fall ausgehende Methode der Normgewinnung ist zwei Einwänden ausgesetzt. a) Des beschriebenen, gewissermaßen „mühsamen" Weges der Normgewinnung bedürfte es nicht, wenn sich der unterstellte Rechtssatz des honeste procedere bereits aus Einzelregelungen des Prozeßrechts i m Wege der Rechtsanalogie als allgemeines Prinzip herleiten ließe. Man könnte z.B. aus dem Verbot mutwilliger Prozeßführung auf Staatskosten (§ 114 ZPO), aus dem Verbot mißbräuchlicher Rügen (§ 187 ZPO) und aus weiteren speziellen Prozeßrechtsnormen der Arglistabwehr 4 0 ein allgemeines Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens abzuleiten versuchen. Man würde so den Weg gehen, den man i m bürgerlichen 34

Rosenberg, aaO, § 5 I 2. Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 39, I I 3 b ; Gernhuber, Festschrift f ü r Schmidt-Rimpler, S. 163; Larenz, Methodenlehre, aaO, S. 269. 86 W a n n m a n statt von Gewohnheitsrecht v o n Richterrecht oder Gerichtsgebrauch sprechen sollte, mag hier dahinstehen. Vgl. dazu neuerdings Esser, Festschrift f ü r Fritz von Hippel, 1967, 95 ff. 87 Unten H. 88 Über deren A u s w a h l sogleich unten I I I . 80 Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 248. 40 Dazu unten C I I I . 85

II. Das Anliegen und die Methode der Arbeit

19

Recht etwa bei der Begründung der Haftung aus culpa i n contrahendo eingeschlagen hat, wo man aus einzelnen Normen, z. B. §§ 122, 179, 307, 309, 463 S. 2 BGB, den allgemeinen Grundsatz hergeleitet hat, daß auch ohne Vertragsverhältnis die gesteigerten Sorgfaltspflichten eines Schuldverhältnisses bestehen können. Esser 41 hat aber gerade am Beispiel der culpa i n contrahendo nachgewiesen, daß das „Finden eines allgemeinen Rechtsgedankens aus einem Text alles andere als ein logischer Interpolations- oder Verallgemeinerungsprozeß sei. Vielmehr erzwinge eine bestimmte reale Sachproblematik die Entwicklung einer Lösung, die sich dann pragmatisch an diese oder jene passende Quellenstelle anlehne" 42 . Die Verankerung i m System sei cura posterior und oft willkürlich 4 3 . Wollte man also i m Prozeßrecht das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens als allgemeinen Rechtsgedanken aus bestimmten prozessualen Einzelregelungen ableiten, so würde man die i n Wahrheit aus Fällen gewonnenen Einsichten als „Ausfluß" eines von jeher i m Codex schlummernden Prinzips ausgeben. W i r wollen daher i n der folgenden Untersuchung 44 gleichsam punktuell den Weg nachzeichnen, den die Rechtsprechung mit ihrer Kasuistik zur Bewältigung des Arglistproblems i m Zivilprozeß vorgezeichnet hat. Ergibt sich dann, daß das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens durch ständige und überwiegend anerkannte Rechtsprechung praktiziert wird, so ist die Annahme von Gewohnheitsrecht überzeugender als die erwähnte Rechtsanalogie. b) Die vom Fall ausgehende Methode der Normgewinnung wäre auch dann ein überflüssiger Umweg, wenn man von der entsprechenden A n wendbarkeit des § 242 BGB i m Prozeßrecht ausgehen könnte. § 242 BGB gilt aber nur i n rechtlichen Sonderverbindungen 45 . Zwar kann man das Prozeßrechtsverhältnis 46 als eine solche Sonderverbindung auffassen. Sie entspricht jedoch grundsätzlich nicht der i n § 242 BGB angeschauten Beziehung von Personen, welche i m privatrechtlichen Bereich agieren. Ein kontradiktorisches Verfahren, das für den Zivilprozeß typisch ist, beruht auf einem — freilich an Regeln gebundenen — Kampf der Parteien gegeneinander. „Es ist i m Prozeß wie i m Kriege und i n der Politik 4 7 ." Zwar stehen auch hinter den meisten privatrechtlichen Beziehungen Interessengegensätze. Es ist aber ein Unterschied zwischen der vom Vertrauen regierten Vertragsabwicklung, welche § 242 BGB regelt, und dem offenen Kampf der Vertragspartner. Ganz 41 42 43 44 45 48 47

2*

aaO, S. 164. Zustimmend Larenz, aaO, S. 317. Esser, aaO, S. 162; vgl. auch S. 2, 175, 248, 284 ff. Unten D bis G. Soergel-Siebert, B G B 9. Aufl., § 242 Anm. 12 m. weit. Nachw. Vgl. zum Begriff Rosenberg, aaO, § 2 I u n d I I . Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, aaO, S. 292.

20

Α. Einleitung

sicher fehlt die für § 242 BGB geforderte rechtliche Sonderverbindung, bevor das Prozeßrechtsverhältnis durch Klageerhebung begründet wird. Es ist daher fraglich, ob ζ. B. eine mißbräuchlich erhobene Patentnichtigkeitsklage 48 wegen Verstoßes gegen § 242 BGB zurückgewiesen werden kann. Außerdem stellt das Prozeßrechtsverhältnis keine nur zweiseitige Bindung dar, sondern die Parteien stehen auch dem hoheitlich handelnden Gericht gegenüber 49 . Das ist eine grundlegend andere Situation als die des § 242 BGB 5 0 . Aus diesen Gründen wollen w i r nicht von analoger Anwendbarkeit des § 242 BGB i m Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses ausgehen, sondern von einem speziell prozessualen Verbot arglistigen Verhaltens. W i r können es aber dem § 242 BGB an die Seite stellen und daher, wie § 242 BGB, etwa durch Tatbestände des Mißbrauchs 51 , des venire contra factum proprium 5 2 und der V e r w i r k u n g 5 3 konkretisieren. Außerdem können w i r Erkenntnisse der Z i v i l rechtsdogmatik zu § 242 BGB für unser Vorhaben nutzbar machen. 5. Soll somit eine Generalklausel eingeführt werden, so taucht die Frage nach dem Wert einer solchen auf. Hedemann 54 , der das Argumentieren m i t Generalklauseln als ein Schwächezeichen moderner Judikatur anprangert, verkennt gleichwohl nicht den Wert solcher Formeln. Gegenüber der Hechtszersplitterung und dem Zerfall i n Kleinarbeit böten sich die Generalklauseln als Retter des Systems, als K u p pelbauten an, die über den kümmerlichen Kleinstoff gestülpt werden könnten 5 5 . Aber nicht nur diese Eigenschaft macht ihren Wert aus. Sie sind von Bedeutung, w e i l sie i n kodifizierten Systemen dem Richter unter Bindung an „konventionelle Maßstäbe von wechselnder empirischer Basis und Dichte" die Rechtsbildung überlassen 56 . Sie sind „geradezu ein Stück offengelassener Gesetzgebung" 57 . Die Generalklausel deckt also gleichsam die richterliche Rechtsschöpfung. Man hat i n ihr einen „Aufhänger oder starting p o i n t " 5 8 und schafft so dem Richter einen legalen Rahmen, innerhalb dessen er Erwägungen über die Zulässigkeit der eingangs geschilderten Verhaltensweisen anstellen kann.

48

RGZ 59, 133. Dazu unten G V I I I , 2. Rosenberg, aaO, § 2 I I , 1. 50 Allerdings wiegt dieses Argument angesichts der von der herrschenden Meinung (vgl. Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 49) bejahten Anwendbarkeit des § 242 B G B i m öffentlichen Recht nicht schwer. 51 Unten D u n d G. 52 Unten E. 63 Unten F. 54 Die Flucht i n die Generalklauseln. Eine Gefahr f ü r Recht u n d Staat, 1933. 55 aaO, S. 59. 56 Esser, Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 150. 57 Hedemann, aaO, S 58. 58 Esser, Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 150. 49

I I I . Die Methode der Fallauswahl

21

I I I · Die Methode der Fallauswahl 1. Die konkretisierende Kasuistik soll Fälle arglistigen prozessualen Verhaltens umfassen. Es fragt sich daher: Was ist Arglist? Der Begriff k o m m t aus dem materiellen Recht. Er begegnet uns ζ. B. i n den §§ 123, 460, 463 BGB. Definitionsversuche sind i n der L i t e r a t u r zu diesen Bestimmungen nicht nachweisbar. „Es erscheint nicht möglich", sagt Staudinger-Ostler 59, „den Begriff der A r g l i s t v ö l l i g erschöpfend zu definieren". E r gehört zu den juristischen Wertbegriffen, die m a n auch als Ermessensbegriffe, Blankette, Generalklauseln oder u n bestimmte Rechtsbegriffe bezeichnet 60 . I n ihrem Bereich zeigt uns erst die Kasuistik, was Rechtens ist 6 1 . Könnte m a n sie definieren, wie man ζ. B. einen Kaufvertrag als eine auf Austausch von Ware gegen Geld gerichtete Vereinbarung definieren kann, so wäre die Kommentarliter a t u r etwa zu § 242 B G B nicht so umfangreich 6 2 . Der Begriff der A r g l i s t läßt sich daher n u r exemplifikativ darstellen, also nach dem Modell: A r g l i s t i g i m Sinne einer Rechtsnorm ist zum Beispiel, w e n n . . . Die Brauchbarkeit eines juristischen Wertbegriffs für die Rechtsanwendung k a n n eben nicht durch Definition, sondern n u r mittels Konkretisierung oder Präzisierung i m oben dargelegten Sinn gefördert werden. 2. Der Begriff der Arglist ist also ein juristischer Wertbegriff. Werte beruhen auf Begehrungen, sie sind begehrte Objekte 6 3 . D a m i t stehen sie i n Beziehung zu Gefühlen, die Lust- oder Unlustcharakter haben. D a r u m reagiert i n den eingangs genannten Beispielen arglistigen Prozeßverhaltens das Rechtsgefühl, indem es das Verhalten v e r w i r f t , also ζ. B. als arglistig abwertet. I n der folgenden Fallauswahl 6 4 werden daher prozessuale Verhaltensweisen als arglistige behandelt, die i m Beurteiler ein Unlustgefühl hervorrufen, dem nicht m i t geschriebenen Normen des Prozeßrechts abgeholfen werden kann. Solche Verhaltensweisen werden aber von der Rechtsprechung nicht stets als arglistige bezeichnet. Verwandte Begriffe wie unlauter, unredlich, treuwidrig, mißbräuchlich, nicht schutzwürdig, m u t w i l l i g usw., dienen i h r ebenfalls dazu, das negative W e r t u r t e i l auszudrücken. Auch derartig abgewertete 59

B G B 11. Aufl., § 460 Anm. 13.

80

Scheuerle, Rechtsanwendung, aaO, S. 161; ders., Tat- u n d Rechtsfrage, aaO, S. 65. 81

Esser, Grundsatz und Norm, aaO, S. 151.

81

M a n denke etwa an Webers Kommentierung des § 242 BGB, die insgesamt 1388 Seiten umfaßt. 88

Scheuerle, Rechtsanwendung, aaO, S. 111 ff.

84

Unten D bis G.

Α. Einleitung

22

prozessuale Verhaltensweisen werden behandelt. Eine Beschränkung der Fallauswahl auf Beispiele, die expressis verbis als arglistige bezeichnet sind, wäre nur geboten, wenn eine konkretisierte Generalklausel bereits vorläge, deren eine Fallgruppe durch das Merkmal der Arglist, deren andere dagegen etwa durch das des Mißbrauchs gekennzeichnet wäre. Dann wäre i m Rahmen einer Arbeit über die arglistige Prozeßpartei eine Behandlung der Fälle prozessualen Mißbrauchs ebenso zu beanstanden, wie bei einer Untersuchung, die sich die Behandlung des venire contra factum proprium i m Sinne des § 242 BGB zum Ziele gesetzt hätte und unversehens auch die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) mit einbezöge. Die vorliegende Arbeit jedoch, deren Anliegen — wie dargelegt — erst das Finden und Konkretisieren einer Generalklausel ist, unterliegt nicht einer solchen Beschränkung der Fallauswahl.

IV. Gang der Untersuchung I m folgenden w i r d zunächst der Mangel einer gesetzlichen Prozeßrechtsnorm der allgemeinen Arglistabwehr näher dargelegt 65 . Dem Nachweis eines Bedürfnisses für die unterstellte Generalklausel dient ein historischer Überblick, der die zahlreichen M i t t e l der Arglistabwehr i m römischen und gemeinen Prozeß aufweist 6 6 . Welche dieser M i t t e l i m geltenden deutschen Prozeßrecht noch anzutreffen sind, w i r d anschließend gezeigt 67 . Sodann w i r d untersucht, ob das konzipierte Verbot arglistigen Prozeßverhaltens deshalb generell ausgeschlossen ist, weil die Zivilprozeßordnung etwa „moralinfrei" 6 8 ist und nur Lasten, aber keine Pflichten kennt 6 9 . Alsdann w i r d der Anwendungsbereich der hier aufgestellten Generalklausel abgesteckt; untersucht wird, wo der Formrigor des Prozeßrechts ihre Anwendung verbietet und wo spezielle Normen die Aufgabe der Arglistabwehr bereits übernommen haben 70 . I m Anschluß daran w i r d erörtert, ob die speziellen M i t t e l unserer Prozeßordnung, die der Arglistabwehr dienen, als numerus clausus gewollt sind und daher ein über sie hinausgehendes allgemeines Verbot arglistigen Verhaltens i m Prozeß ausschließen 71 . Sodann 72 w i r d die konzi85 ββ 67 68 89 70 71 72

Dazu unten Β I. Dazu unten Β I I . Dazu unten Β I I I . I m Sinne Goldschmidts, Dazu unten C I. Dazu unten C I I — I V . Dazu unten C V I . Dazu unten D—G.

Prozeß als Rechtslage, aaO, S. 292.

IV. Gang der Untersuchung

23

pierte Generalklausel durch Zuordnung von Fällen konkretisiert. Dieser Aufgabe ist der größte T e i l der Arbeit gewidmet. Sie ist somit ihr Hauptanliegen. Schließlich 73 w i r d dann die Frage nach der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Verbotes arglistigen Prozeßverhaltens beantwortet.

73

Unten H.

Β. Die Notwendigkeit einer Norm zur Abwehr prozessualer Arglist I . D e r M a n g e l einer Prozeßrechtsnorm zur allgemeinen Arglistabwehr, Regelungen des Auslands 1. Das deutsche Prozeßrecht besitzt, w i e gesagt, f ü r das E r k e n n t n i s v e r f a h r e n k e i n e geschriebene N o r m des I n h a l t s , arglistiges oder u n l a u t e r e s V e r h a l t e n sei z u unterlassen, d i e P a r t e i e n h ä t t e n d e n Prozeß r e d l i c h z u f ü h r e n oder k e i n e n M i ß b r a u c h m i t prozessualen B e f u g n i s s e n z u t r e i b e n . N u r T e i l b e r e i c h e dieses K o m p l e x e s h a t das Gesetz g e r e g e l t : P r o z e ß v e r s c h l e p p u n g u n d Prozeßlüge. Das hat seinen G r u n d i n der liberalistischen Staats- u n d Rechtsauffassung der Entstehungszeit der Prozeßgesetze. Die Zurückhaltung bei der Aufstellung v o n Verhaltensregeln i m Prozeß ist kennzeichnend f ü r die geltende Prozeßordnung. Wichtige Grundsätze des Prozeßrechts (Dispositionsmaxime, Beibringungsgrundsatz) beruhen auf dieser Haltung. Sie ist allerdings i m Laufe der Jahrzehnte nicht unverändert geblieben. Eine größere Einflußnahme des Richters auf die Verfahrensgestaltung u n d die Aufstellung von Parteipflichten (Wahrheitspflicht u n d Vollständigkeitspflicht) brachte die Novellengesetzgebung, insbesondere die Novelle v o m 27. 10. 19331. I h r Vorspruch lautet: „ K e i n e r Partei k a n n gestattet werden, das Gericht durch U n w a h r h e i t irre zu führen oder seine Arbeitskraft durch böswillige oder nachlässige Prozeßverschleppung zu mißbrauchen. Dem Rechtsschutz, auf den jeder Anrecht hat, entspricht die Pflicht, durch redliche u n d sorgfältige Prozeßführung dem Richter die Findung des Rechts zu erleichtern." Dieser Programmsatz ist indessen nicht Gesetz geworden. M a n blieb auf halbem Wege stehen, indem m a n dem Richter den legalen Rahmen versagte, innerhalb dessen er die eingangs geschilderten Fälle lösen konnte. 2. A n d e r e Prozeßrechte h a b e n d i e a l l g e m e i n e A r g l i s t a b w e h r geregelt. A r t . 88 des codice d i procedura civile bestimmt: „ L e p a r t i e i loro difensori hanno i l dovere d i comportarsi i n giudizio con lealtà e probità." § 150 der ZPO von Schwyz lautet: „Die Parteien u n d ihre A n w ä l t e sollen wissentlich keine ungerechten Prozesse anheben, sich zur Verfolgung ihrer Rechte n u r erlaubter M i t t e l bedienen u n d nach Treu u n d Glauben handeln. Böswillige oder m u t w i l l i g e Prozeßführung ist von A m t s wegen disziplinarisch zu ahnden 2 ." 1

RGBl. I, 780. Vgl. auch § 90 der ZPO von Zürich: „ D i e Parteien sollen wissentlich keine ungerechten Prozesse anheben u n d sich zur Verfolgung ihrer Rechte n u r erlaubter M i t t e l bedienen. Dem Richter gegenüber sind sie zur Wahrheit v e r pflichtet. Böswillige oder m u t w i l l i g e Prozeßführung ist von A m t s wegen 2

II. Prozeßstrafen und Calumnieneid

25

Π . Prozeßstrafen und Calumnieneid 1. Nicht nur der zitierte Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelie vom 27.10.1933 und die angeführten Regelungen des Auslands 3 sprechen für die Notwendigkeit der oben A l l konzipierten Klausel. Auch ein Rückblick auf den römischen und gemeinen Zivilprozeß unterstützt die Annahme, daß das Prozeßrecht ohne eine allgemeine Norm der Arglistabwehr nicht auskommen kann. I m römischen und gemeinen Z i v i l prozeß kannte man eine Reihe spezieller M i t t e l zur Abwehr arglistigen prozessualen Verhaltens. Ein Vergleich mit dem geltenden Recht w i r d zeigen, daß die positive Regelung der ZPO weit hinter den früher üblichen Mitteln zurücksteht. Das läßt ein Bedürfnis für die der allgemeinen Arglistabwehr dienende Generalklausel i m geltenden Prozeßrecht vermuten 4 . Denn das tatsächliche prozessuale Verhalten dürfte i m Laufe der Zeit 5 kaum redlicher geworden sein. 2. I m römischen Recht spielten zur Zeit der legisactiones wie zur Zeit des Formularprozesses die Prozeßstrafen (poenae temere litigantium)® eine erhebliche Rolle. Sie sollten die Parteien vom leichtsinnigen und schikanösen Prozessieren abschrecken. So war die legisactio sacramento geeignet, beiden Parteien die Gefahr des Unterliegens vor Augen zu führen und sie anzuhalten, ihre Rechte und Beweise sorgfältig zu überprüfen. Denn das sacramentum, das beide Parteien als Pfand für die Richtigkeit ihrer Behauptungen einsetzten, konnte vom Sieger zurückgenommen werden, verfiel aber zur Strafe des Unterlegenen den Göttern 7 . Weitere Prozeßstrafen waren die Folgen der sponsio und restipulatio tertiae partis. So konnte bei der actio certae creditae pecuniae und vermutlich auch bei der legisactio per condictionem jede Partei von der anderen eine sponsio und eine entsprechende restipulatio tertiae partis verlangen 8 . Gemäß einem solchen Versprechen mußte die disziplinarisch zu ahnden". Über ähnliche Regelungen anderer Schweizer Kantone vgl. Guldener, Treu u n d Glauben i m Zivilprozeß, Schweizerische Juristenzeitung 1942/43, S. 391 F N 16. 8

Oben I.

4

Darüber, daß die i m geltenden Recht normierten Tatbestände der A r g listabwehr nicht als abschließende Regelung gewollt sind, vgl. unten C V I . 5 Vgl. für den römischen Prozeß etwa die Schilderung des „trickreichen" Plädoyers Ciceros i m Prozeß Fannius gegen Roscius bei Wieacker, Cicero als Advokat, B e r l i n 1965.

• Temere = aufs Geratewohl, ohne Überlegung, voreilig. E i n subjektiv mutwilliges Prozessieren braucht damit nicht verbunden zu sein, „ o b w o h l natürlich daran zuerst gedacht w i r d " , Wenger, aaO, S. 173 Note 26. 7 8

Bethmann-Hollweg,

Bd. I I , aaO, S. 533.

Vgl. Bethmann-Hollweg, Bd. I I , aaO, S. 536; Gaius I V , 171; Käser, römische Zivilprozeßrecht, 1966, S. 213.

Das

26

Β. Notwendigkeit einer Norm zur Abwehr prozessualer Arglist

unterliegende Partei der siegreichen ein Drittel des eingeklagten Betrags als Strafe zahlen 9 . 3. Bei der sog. Litiskreszenz wegen Infitiation traf die Gefahr unbedachtsamen Prozessierens allein den Beklagten. Er mochte es sich überlegen, ob er bei Zweifeln an der Berechtigung seiner Sache nicht lieber eine confessio vor dem Prätor abgeben sollte. Ließ er es nämlich bei den actiones iudicati, depensi, legis Aquiliae und bei der actio ex testamento zwecks Geltendmachung eines Damnationslegats zum Prozeß kommen und leugnete er den Klageanspruch, so drohte i h m bei Verlust des Prozesses die Verurteilung aufs Doppelte 10 . Die i n diesen Fällen angedrohte Prozeßstrafe mag sich aus einem besonderen Unrechtsgehalt des Schuldnerverhaltens erklären. So sollte bei der actio iudicati der verurteilte Schuldner nicht ungestraft den verlorenen Prozeß erneuern, bei der actio depensi der Hauptschuldner dem Bürgen nicht den Ersatz der Auslagen undankbar verweigern, bei der actio legis Aquiliae der Schädiger fremden Eigentums die Sache durch sein Leugnen nicht noch schlimmer machen, und so sollte schließlich bei der genannten actio ex testamento der Erbe die Pietät gegenüber dem Verstorbenen nicht verletzen 11 . Alle diese Prozeßstrafen oder Succumbenzgelder waren vom Verschulden unabhängig. Mögen die m i t Prozeßstrafen bedrohten Tatbestände auch die Vermutung eines Parteiverschuldens nahelegen, so knüpften sie doch, ähnlich wie die modernen Prozeßgesetze die Verpflichtung zum Prozeßkostenersatz (§§ 91 ff. ZPO, art. 130 code de procédure civile), an das Unterliegen an. 4. Neben diesen poenae temere litigantium hat nach Abschaffung des Legisactionenverfahrens und damit nach Abschaffung der legisactio sacramento der Calumnieneid bis i n den gemeinen Zivilprozeß die Funktion übernommen, die Parteien und ihre Vertreter vor Unredlichkeiten i m Prozeß zu warnen. Wenn der Beklagte weder mit einer Verurteilung zum Doppelten rechnen mußte noch eine sponsio tertiae partis abgegeben hatte und die Klage auf das simplum gerichtet war, durfte der Kläger vom Beklagten das iusiurandum calumniae 12 verlangen. Das war eine eidliche Versicherung, daß er nicht aus Schikane das Recht des Klägers leugne 18 . Der Beklagte konnte andererseits vom Kläger einen 9

Wenger, aaO, S. 97 Note 18. Bethmann-Hollweg, Bd. I I , aaO, S. 537, 538; Wenger, aaO, S. 173; Gaius I V , 171; Käser, aaO, S. 213. 11 Vgl. Bethmann-Hollweg, Bd. I I , aaO, S. 538. 12 Calumnia = Schikane, Rechtsverdrehung. 13 Vgl. Gaius I V , 172: Quod si necque sponsionis necque d u p l i actionis peric u l u m ei, cum quo agitur, iniugatur ac ne statim quidem ab initio pluris quam simpli sit actio, p e r m i t t i t praetor iusiurandum exigere non calumniae causa infitias ire. 10

II. Prozeßstrafen und Calumnieneid

27

Eid verlangen, daß er nicht aus Schikane klage 1 4 . I m übrigen wurde die Calumnia i n der Person des Klägers durch ein dem Beklagten zustehendes calumniae iudicium geahndet. Dieses konnte er allen Klagen entgegensetzen, wenn der Kläger intellegit non recte se agere, sed vexandi adversarii gratia actionem instituit potiusque ex iudicis errore vel iniquitate victoriam sperat quam ex causa veritatis 1 5 . Die Klage gegen den dolosen Kläger war auf Leistung eines Zehntels, bei Interdikten eines Viertels des Prozeßgegenstandes an den Beklagten gerichtet 16 . 5. Bei Justinian beschränkten sich die noch bei Gaius anzutreffenden mannigfachen Prozeßstrafen (sponsio, restipulatio, actiones dupli, calumniae iudicium) auf den Fall der Infitiation eines damnum iniuria datum und eines Vermächtnisses für locis venerabilibus 17 . A n die Stelle der alten Succumbenzgelder trat die Pflicht des Unterlegenen, dem Sieger die Prozeßkosten zu erstatten: Sed pro his introductum est . . . ut improbus litigator etiam damnum et impensas litis inferre adversario suo cogatur 18 . Die Bedeutung des früher der Parteiinitiative überlassenen Calumnieneides wurde verstärkt. Die Parteien und ihre advocati mußten diesen Eid ablegen 19 . Dadurch bekundeten sie nicht nur den guten Glauben an die Gerechtigkeit ihrer Sache, sondern versprachen auch, i m Laufe des Verfahrens jede schikanöse Prozeßhandlung zu unterlassen 20 . Man glaubte die Sicherung gegen Mißbrauch prozessualer Angriffs- und Verteidigungsmittel durch eine Kombination folgender Maßnahmen vollständig zu erreichen: durch Geldstrafen, den Calumnieneid und durch die Furcht vor der Infamie, die bei bestimmten K l a gen den Verurteilten traf: modo pecuniaria poena, modo iusiurando religione, modo metu infamiae 21 . 6. I m gemeinen Zivilprozeß entfiel auch die noch bei Justinian übliche Litiskreszenz i m Falle böswilligen Leugnens bei der actio legis Aquiliae und bei der Vermächtnisklage einer Kirche oder mildtätigen Stiftung 2 2 . Allerdings hielten sich bei gewissen Klagen einige Nachteile, die an böswilliges Leugnen geknüpft waren, etwa Ausschließung des 14 Gaius I V , 176: L i b e r u m est autem ei, cum quo a g i t u r . . . iusiurandum exigere non calumniae causa agere. 15 Gaius I V , 178. 16 Bethmann-Hollweg, Bd. I I aaO, S. 535; Käser, aaO, S. 214; zur ganzen Frage vgl. Gaius I V , 174—181. 17 Inst. I V , 16,1. Vgl. dazu Bethmann-Hollweg Bd. I I I , aaO, S. 232; Wenger, aaO, S. 322; Käser, aaO, S. 518. 18 Inst. I V , 16,1; Cod. Theod. 4,18; Cod. Iust. 7,51 de fructibus et litis expensis. Vgl. auch Käser, aaO, S. 519. 19 Inst. I V , 16,1; I V , 6, 26; I I I , 27, 7. 20 Wenger, aaO, S. 322; Bethmannn-Hollweg, Bd. I I I , aaO, S. 233. 21 Inst. I V , 16, pr. 22 Wetzell, aaO, S. 310; Glück, Commentar Bd. I V , S. 85.

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Β. Notwendigkeit einer Norm zur Abwehr prozessualer Arglist

Einredebeweises des Beklagten und Umkehr der Beweislast 23 . I m übrigen beschränkte man sich auf die Verpflichtung zum Prozeßkostenersatz, zur Kautionsleistung i n gewissen Fällen und zur Leistung des Calumnieneides 24 . Der Calumnieneid wurde für die gemeinrechtliche Praxis und die Reichsgesetzgebung derart ausgedehnt, daß er jede denkbare Prozeßhandlung des anhängigen Verfahrens ergriff. Da die Anordnung dieses sog. generellen Calumnieneides aber später dem richterlichen Ermessen überlassen blieb 2 5 , verlor er allmählich an Bedeutung. „Unterliegt auch seine fortdauernde Geltung gemeinrechtlich keinem Zweifel, so w i r d er doch heutzutage kaum irgendwo gefordert oder auferlegt werden 2 6 ." 7. Etwa parallel dazu verlief die Entwicklung des Calumnieneides i m canonischen Recht I m alten, dem justinianischen Recht angelehnten Verfahren schworen beide Parteien den Calumnieneid 27 . Auch i m Prozeß des klassischen kanonischen Rechts (13. und 14. Jahrhundert) blieb es bei dem obligatorischen Calumnieneid 28 . Heute ist er außer Übung gekommen 29 . Eine Ausnahme bildet c. 2037 § 4, der den postulatores i m Selig- oder Heiligsprechungsprozeß den Calumnieneid auferlegt: postulatores ac vice-postulatores praestare debent iusiurandum calumniae, idest iurent se veritatem totum processum dicturos nullaque fraude usuros. Übrig geblieben ist weiter für gewisse Fälle der Eid de veritate dicenda des c. 1744: Iusiurandum de veritate dicenda i n causis criminalibus nequit iudex accusato deferre; i n contentiosis, quo ties bonum publicum i n causa est, debet i l l u d a partibus exigere; i n aliis, potest pro sua prudentia. 8. Die wechselnde Bedeutung des Calumnieneides i m Kampf gegen Unredlichkeiten i m Prozeß erklärt sich aus der unterschiedlichen Bedeutung der Prozeßkosten i m Laufe der Jahrhunderte. I n frühen Zeiten 23

Vgl. dazu i m einzelnen Wetzeil, aaO, S. 311. Vgl. zum Calumnieneid i n der gemeinrechtlichen D o k t r i n Wetzel l, aaO, S. 312 ff. 25 Vgl. dazu Wetzell, aaO, S. 314 m i t Angabe von Quellen. 26 Wetzell, aaO, S. 314. 27 Eichmann, Das Prozeßrecht des Codex I u r i s Canonici, 1921, S. 17. 28 Die Eidesformel lautete nach Eichmann, aaO, S. 24 F N 1: „ T u (actor) iurabis te l i t e m istam calumniandi animo non movisse, nec movere, nec m o t u r u m ; item, quod veritatem super his, de quibus interrogaberis, respondebis et eam non negabis; item, quod non uteris scienter falsa probatione; item, quod non corrupisti, nec corrumpes iudicem vel tabellionem, nec dedisti, nec dabis, nec promisisti, nec promittes, aliquid per te v e l interpositam personam, pro hac causa, u t sententia feratur pro te, nisi illis personis, quibus iura dare p e r m i t t u n t ; item quod dilationem non potes gratia litis differend a e . . . Et t u (reus) iurabis, quod putas te petitioni actoris iuste contradicere et ita v e r u m esse et te observaturum i n defendendo, sicut ille i u r a v i t i n agendo, sicut te Deus adiuvet". 29 Eichmann, aaO, S. 126. 24

III. Relikte im geltenden Prozeßrecht

29

war ein unentgeltlicher Rechtsweg eine Selbstverständlichkeit. Einmal waren die Kosten gering, zum anderen konnte man das rechtsuchende Publikum, dem der Selbsthilfegedanke noch vertraut war, nur durch Gewährung eines unentgeltlichen Verfahrens vor die Gerichte bringen. Die Kehrseite dieser Regelung, die bis i n die Prinzipatszeit galt 3 0 , war das Bedürfnis nach anderen Mitteln, mutwilliges Prozessieren zu verhindern. So erklären sich wohl die dargestellten mannigfachen poenae temere litigantium und das Calumnienverfahren i n der vor justinianischen Zeit. Als die Kosten stiegen, sowohl wegen der Advokatengebühren als besonders wegen der Gerichtssporteln für den kaiserlichen Beamtenapparat, erkannte man, daß ihr Ersatz eine empfindliche Strafe für den Unterliegenden sein kann. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der Prozeßkostenersatz i n den Institutionen Justinians (IV, 16, 1) die alten Succumbenzgelder zum großen Teil verdrängte. Die Pflicht zum Prozeßkostenersatz wurde zuerst für einen den Prozeß m u t w i l l i g beginnenden Kläger statuiert: Ulp. D 5, 1, 79 pr.: Eum, quem temere adversarium suum i n iudicium vocasse constitit, viatica litisque sumptus adversario suo reddere oportebit. Später 3 1 traf auch einen unüberlegt leugnenden Beklagten diese Verpflichtung. Von Bedeutung ist, daß man trotz der Kostenerstattungspflicht den Calumnieneid nicht entbehren wollte, sondern sogar seine Leistung generell vorschrieb. Man darf wohl vermuten, daß dies i n der Annahme geschah, der Prozeßkostenersatz allein halte die Parteien nicht von mutwilligem, leichtfertigem oder schikanösem Prozessieren ab. Diese Befürchtung ist verständlich, weil die arglistig handelnde Partei gerade wegen ihrer Unredlichkeit i m Prozeß obsiegen und daher der Verpflichtung zum Prozeßkostenersatz entgehen kann.

I I I . Relikte des Calumnieneides und der Prozeßstrafen im geltenden Prozeßrecht Calumnieneid und Prozeßstrafen sollten — wie w i r gesehen haben — der Unehrlichkeit, der Verschleppung und der allgemeinen Arglist i m Prozeß vorbeugen. Daß i n der ZPO eine Norm zur Abwehr der allgemeinen Arglist fehlt, wurde bereits oben I dargelegt. Sind auch die übrigen Funktionen von Calumnieneid und Prozeßstrafen nicht oder nur lückenhaft geregelt, so verstärkt das ein Bedürfnis für ein allgemeines Verbot arglistigen Prozeßverhaltens. 1. Arglistiges Verhalten von besonderer Gefährlichkeit kann i n der Verzögerung des Prozesses liegen. Dennoch ist i n diesem Bereich eine 80 31

Wenger, aaO, S. 321. Vgl. Cod. Theod. I V , 18, 1.

30

Β. Notwendigkeit einer Norm zur Abwehr prozessualer Arglist

Anwendung des Verbotes arglistigen Prozeßverhaltens weitgehend ausgeschlossen32. Prozeßverschleppende Behauptungen, verspätete A n griffs» und Verteidigungsmittel brauchen i m Rahmen der gesetzlichen Verschriften nicht durch die oben A I I aufgestellte Generalklausel bekämpft zu werden. Die ZPO enthält hier Spezialvorschriften 33 . Der Richter kann die Partei mit Angriffs- und Verteidigungsmitteln ausschließen, die nach seiner Überzeugung i n der Absicht der Prozeßverschleppung oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden sind. Dennoch sind die Mittel, deren sich eine Partei zur Prozeßverschleppung bedienen kann, ohne m i t geschriebenen Normen i n K o n f l i k t zu geraten, zahlreich. Z u nennen sind etwa die Ablehnung des Richters 34 , die Aufrechnung m i t zweifelhaften Forderungen, die Ausnutzung der Gerichtsferien (§ 223 ZPO), das Einlegen von Rechtsmitteln kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist usw. 3 5 . Die ZPO enthält m i t h i n i m Bereich der Normen gegen die Prozeßverschleppung Lücken, die durch ein Gebot redlichen prozessualen Verhaltens geschlossen werden könnten. 2. Die Unehrlichkeit der Parteien w i r d i m modernen Zivilprozeß durch § 138 I ZPO bekämpft 3 6 . Die Verpflichtung, i m Prozeß uneidlich die Wahrheit zu sagen, w a r u r sprünglich n u r durch das Verbot des Prozeßbetrugs (§ 263 StGB) ausgesprochen. Diese Vorschrift stellt aber nicht das Lügen schlechthin unter Strafe. E i n generelles Verbot der Prozeßlüge fehlte. Es zeigt sich hier wieder die oben I, 1 beschriebene Enthaltsamkeit bei der Aufstellung von Verhaltensnormen f ü r den Prozeß. Es ist daher nicht verwunderlich, daß u m die Wahrheitspflicht i m Prozeß eine rege Diskussion geführt w u r d e 3 7 . 32

Baumgärtel, ZZP 69, 98, verneint hier die Anwendung des § 242 BGB. Vgl. §§ 279, 529 I I — V , 534 I I , 626 ZPO. Auch die §§ 95 ZPO u n d 47 G K G , welche die Prozeßverschleppung durch Auferlegung von Kosten bekämpfen, sind hier zu nennen. 34 Dazu unten G V I , 1 beim institutionellen Rechtsmißbrauch. 35 E i n beliebtes Verschleppungsmanöver (siehe dazu Advokatenkniffe, aaO, S. 63) w a r nach früherem Recht folgendes: Eine Partei läßt Versäumnisu r t e i l gegen sich ergehen. A u f ihren Einspruch (§ 338 ZPO) w i r d neuer Term i n zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch u n d zur Hauptsache bestimmt. Die Partei n i m m t den T e r m i n w a h r u n d verhandelt zur H a u p t sache. I m nächsten T e r m i n erscheint sie wieder nicht u n d der Vorgang wiederholt sich. Abgesehen von der Kostenfolge eines solchen Verhaltens (§ 344 ZPO), die bei entsprechendem Interesse an der Verzögerung von der säumigen Partei i n K a u f genommen w i r d , schützen jetzt § 708 Nr. 3 ZPO, nach dem Versäumnisurteile ohne A n t r a g u n d ohne Sicherheitsleistung f ü r v o r läufig vollstreckbar zu erklären sind, u n d § 331 a ZPO, der Entscheidung nach Aktenlage vorsieht. 36 Vgl. auch § 178 Oesterr. ZPO, § 90 Zürcher ZPO, A r t . 42 Berner ZPO, A r t . 42 codice d i procedura civile. 37 Vgl. dazu Fritz v. Hippel, Wahrheitspflicht u n d Aufklärungspflicht der Parteien i m Zivilprozeß, 1939, S. 23—27. 33

III. Relikte im geltenden Prozeßrecht

31

Gemäß § 138 I ZPO kann das Gericht bewußt unwahre Parteibehauptungen zurückweisen 38 . Zweifelhaft ist dagegen, wie m i t Klagen zu verfahren ist, die m i t unwahren Behauptungen begründet werden (Scheinprozesse, Prozeßbetrug). Sind sie mangels Rechtsschutzbedürfnisses bzw. wegen Mißbrauchs prozessualer Befugnisse unzulässig, oder sind sie als unbegründet abzuweisen, w e i l sie sich auf unwahres, zurückweisbares Vorbringen stützen? Es stellt sich insoweit die Frage nach der Konkurrenz von Generalklausel und § 138 I ZPO. Es w i r d sich jedoch zeigen 39 , daß § 138 I ZPO die Materie bis auf einige Fälle von Scheinprozessen, bei denen der Gesichtspunkt des Mißbrauchs den Vorrang beansprucht, regelt. Eine Lücke, die auch i m Bereich der Prozeßlüge für die Notwendigkeit eines Verbotes arglistigen Prozeßverhaltens spricht, besteht daher i m allgemeinen nicht. Immerhin haben der rechtshistorische Überblick und die Aufzählung der Mittel, die i m geltenden Recht für die Arglistabwehr zur Verfügung stehen, gezeigt, daß das Fehlen eines derartigen Verbotes offenbar ein Mangel ist.

88 89

Baumbach-Lauterbach, Dazu unten C I V .

aaO, § 138 Anm. 1 F ; Rosenberg, aaO, § 61 V I I , 7.

C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich eines Verbotes arglistigen Prozeßverhaltens I . E i n Verbot arglistigen Verhaltens und die angeblich „moralinfreie" H a l t u n g des Prozeßrechts 1. D i e hypothetische G e n e r a l k l a u s e l ist ausgeschlossen, w e n n das Prozeßrecht „ m o r a l i n f r e i " 1 oder w e n n i h m die K a t e g o r i e d e r Hechtsw i d r i g k e i t f r e m d i s t 2 . W e r t e t m a n n ä m l i c h b e s t i m m t e prozessuale V e r h a l t e n s w e i s e n als Verstoß gegen T r e u u n d G l a u b e n (§ 242 B G B ) , gegen d i e g u t e n S i t t e n (§ 138 B G B ) , als a r g l i s t i g oder u n r e d l i c h , so t r ä g t m a n moralische Grundsätze i n das Prozeßrecht. A u c h eine Pflicht s, i m P r o zeß arglistiges T u n z u unterlassen, k ö n n t e es n i c h t geben. D e n n e i n Verstoß gegen sie w ü r d e d i e W i d e r r e c h t l i c h k e i t prozessualen V e r h a l tens begründen. Diese Konsequenz d e r ü b e r e i n s t i m m e n d e n M e i n u n g e n v o n Goldschmidt u n d Niese e r f o r d e r t eine nähere U n t e r s u c h u n g .

1

Goldschmidt,

2

Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 75.

aaO, S. 292.

3 M a n könnte freilich erwägen, ob man i n der ZPO, die vorwiegend Lasten, aber keine Pflichten kennt, eine „Pflicht", arglistiges Verhalten zu unterlassen, nicht i n eine Last ummünzen könnte. Das ist indes nicht möglich. Zweifellos darf sich eine Partei i m Prozeß i n verschiedener Hinsicht verhalten, wie sie w i l l . Sie kann ausbleiben oder erscheinen, sie kann verhandeln oder nicht, Beweise antreten oder es unterlassen. Einem derartigen V e r halten steht das Gesetz ohne Werturteil gegenüber, auch wenn es Rechtsfolgen an dieses Verhalten (Versäumnisurteil, Beweisfälligkeit) knüpft. Es ist i h m gleichgültig, wie die Partei sich hier verhält (Lent, Z u r Unterscheidung von Lasten u n d Pflichten der Parteien i m Zivilprozeß, ZZP 67, 344 ff. S. 351). Man spricht von Lasten, von Geboten des eigenen Interesses, aber nicht von Erscheinenspflicht, Beweispflicht, Darlegungspflicht usw. Aus einer andersartigen Einstellung der ZPO zu sachgemäßer redlicher Prozeßführung folgert Lent (aaO, S. 352 ff.) zu Recht, daß hier keine Last, sondern eine Rechtspflicht vorliegt. Der ZPO ist es nicht gleichgültig, ob der Prozeß mittels unwahren Vorbringens, zweckwidriger Verwendung prozessualer Möglichkeiten oder prozeßverschleppender Maßnahmen geführt wird. Das zeigt der oben Β I, 1 zitierte Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelle vom 27.10. 1933, der trotz seiner fragwürdigen Entstehungszeit die Haltung des Gesetzes treffend kennzeichnet. Es dringt darum immer mehr die Überzeugimg durch, daß es sich bei einem Gebot zu redlicher Prozeßführung, ebenso wie bei dessen Unterfällen, nämlich den Geboten, die Wahrheit zu sagen (§ 138 I ZPO) und die Prozeßverschleppung zu unterlassen, u m prozessuale Rechtspflichten handelt (Dolle, Pflicht zur redlichen Prozeßführung?, Festschrift für Riese, 1964, S. 289 ff.; Lent, aaO).

I. Die angeblich „moralinfreie" H a l t u n g des Prozeßrechts 2. D i e g e n a n n t e n A u t o r e n f o r m u l i e r e n :

„Es gibt i m

33

prozessualen

R a u m grundsätzlich keine Handlungspflichten der Parteien 4." „Es g i b t k e i n , P r o z e ß d e l i k t c u n d k e i n e ,Prozeßstrafen', w e i l es k e i n e prozessuale , W i d e r r e c h t l i c h k e i t ' g i b t , u n d es k a n n k e i n e prozessuale

»Widerrecht-

l i c h k e i t 4 geben, w e i l es k e i n e prozessualen , P a r t e i p f l i c h t e n '

gibt5."

Niese® erläutert diese Sätze an der „Pflicht", die Prozeßverschleppung zu unterlassen. Das Verbot der Prozeßverschleppung sei, vergleichbar den b ü r gerlichrechtlichen Tatbeständen des Verschuldens gegen sich selbst, keine echte, einem anderen gegenüber obliegende Pflicht, sondern eine Last zu rechtzeitigem Vorbringen, ein Gebot eigenen Interesses. Bringe eine Partei ihre Behauptungen nicht rechtzeitig vor, so schade sie nicht dem Gegner, sondern infolge Zurückweisung ihres verspäteten Vorbringens sich selbst. Z w a r habe das Verbot der Prozeßverschleppung wegen der Strafbestimmung des § 47 I G K G den Charakter einer „echten Imperativischen Rechtspflicht" 7 . Dennoch sei dies keine prozessuale Pflicht, w e i l sie sich nicht i m prozessualen Raum, sondern infolge der Kostenstrafe des § 47 I G K G auf materiellem Gebiet durch einen Eingriff i n das Vermögen der pflichtwidrig handelnden Partei auswirke 8 . Trotzdem habe die Prozeßverschleppung auch eine prozessuale Rechtsfolge: die Zurückweisung des verspäteten Vorbringens. Das mache aber das Verbot der Prozeßverschleppung nicht zu einer prozessualen Rechtspflicht u n d damit das Zuwiderhandeln gegen dieses Verbot rechtswidrig. Denn „sowie sie (die Pflicht) . . . i m prozessualen Raum i n Beziehung zu dem auf das U r t e i l gerichteten Erkenntnisverfahren t r i t t , verwandelt sich die Pflicht gleichsam unausbleiblich i n eine Last" 9 . 3. Diese A n s i c h t i s t n i c h t h a l t b a r . R e c h t s w i d r i g ist menschliches V e r h a l t e n , das gegen V e r b o t e oder Gebote d e r R e c h t s o r d n u n g v e r s t ö ß t 1 0 . Es genügt dazu „ j e d e r I m p e r a t i v der Rechtsordnung, der erkennen läßt, daß es sich n i c h t n u r u m e i n k o n v e n t i o n e l l e s oder moralisches A n s i n nen, s o n d e r n u m e i n r e c h t l i c h gebotenes S o l l e n h a n d e l t " 1 1 . Es k o m m t insbesondere n i c h t d a r a u f an, a u f w e l c h e m G e b i e t sich dieser I m p e r a t i v 4

Niese, aaO, S. 64. Goldschmidt, aaO, S. 354. 6 aaO, S. 72 ff. 7 Niese, aaO, S. 72. 8 Niese, aaO, S. 72. β Niese, aaO, S. 73. Ähnlich verhält es sich nach der Ansicht Nieses m i t der W a h r h e i t s p f l i c h t " des § 138 I ZPO. Das Gesetz k n ü p f t keine prozessualen Rechtsfolgen an die Verletzung der W a h r h e i t s p f l i c h t " , sondern n u r materielle Folgen (Schadensersatzpflicht nach §§ 826, 823 I I BGB). Es ist aber h. M., daß das Gericht als u n w a h r erkannte Behauptungen nicht berücksichtigen darf (Baumbach-Lauterbach, aaO, § 138 A n m . 1 F). Es bestehen also w i e bei der Pflicht, die Prozeßverschleppung zu unterlassen, prozessuale u n d materielle Rechtsfolgen. U n d wieder läßt sich m i t der eben bei der Prozeßverschleppung zitierten Argumentation die Wahrheitspflicht nicht als prozessuale Pflicht, sondern n u r als Wahrheitslast begreifen (Dazu Niese, aaO, S. 73, 74). 10 Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil, 15. A u f l . 1960, § 209 I V Β (S. 1286); Zippelius, A c P 157, 390 (393). 11 Dölle, aaO, S. 291. 5

3 Zeiss

34

C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich des Arglistverbots

auswirkt. Es gibt auch außerhalb des Prozeßrechts typische Unrechtsgehalte des einen Rechtsgebietes, die auf einem anderen sanktionslos bleiben, ohne dadurch unrechtsindifferent zu werden. So kennt man typisch strafrechtliches Unrecht — etwa versuchte Sachbeschädigung (§ 303 StGB) —, auf welches das Zivilrecht nicht einmal m i t einer vorbeugenden Unterlassungsklage reagiert, wenn die Wiederholungsgefahr fehlt. Es gibt ferner typisch zivilrechtliches Unrecht — etwa bestimmte Kreditschädigungen nach §§ 824 BGB, 1 UWG —, das nicht zugleich strafbar ist. Und es gibt typisch verwaltungsrechtliches Unrecht, wie etwa die Errichtung von Bauten nach den Normen der entsprechenden Bauordnungen und den Regeln der Baukunst, aber ohne Bauerlaubnis. Dennoch hat man es stets m i t Unrecht zu tun, gleichgültig, i n welchem Rechtsgebiet man sich bewegt, und gleichgültig, ob das eine Rechtsgebiet an das spezifische Unrecht des anderen eigene Rechtsfolgen knüpft. Selbst wenn ein Imperativ keine nachteiligen Rechtsfolgen androht, kann ein rechtlich gebotenes Sollen vorliegen. Es gibt auch leges imperfectae 12 . Unterstellt man also, i m Zivilprozeßrecht gelte ein Verbot arglistiger Prozeßführung, so steht die mangelnde Sanktion einer solchen Norm nicht der Annahme einer Rechtspflicht entgegen, deren Außerachtlassung die Rechtswidrigkeit zu begründen vermag. Es kann m i t h i n auch i m Prozeßrecht Imperative und Rechtspflichten 13 geben, deren Nichtbefolgung das Rechtswidrigkeitsurteil auslöst 14 . Das Prozeßrecht ist also weder „moralinfrei", noch ist i h m die Kategorie der Rechtswidrigkeit unbekannt. Ein allgemeines und zu konkretisierendes Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens ist i m Prozeßrecht daher nicht generell ausgeschlossen.

12 Dölle, der eine Pflicht zur redlichen Prozeßführung bejaht, hat darauf hingewiesen (aaO, S. 291). 13 E i n Unterschied zu Rechtspflichten i m bürgerlichen Recht besteht allerdings. Hier k a n n der Gläubiger i n aller Regel m i t H i l f e gerichtlichen Z w a n ges die Beachtung des geschuldeten Verhaltens erreichen. Die „Gläubiger" i m prozessualen Bereich — Gericht u n d Prozeßgegner — haben nur ausnahmsweise diese Möglichkeit. I h r e Reaktion auf eine Pflichtverletzung der Partei ist sehr verschiedenartig, w i e sich i m Laufe der Untersuchung zeigen w i r d . Sie reicht von einer echten prozeßhindernden Einrede der „Gläubigerpartei" (etwa bei der Nichtangriffsabrede, der exceptio doli oder exceptio pacti — dazu u. E) bis zu Maßnahmen des Gerichts, das von A m t s wegen rechtsmißbräuchliche Prozeßhandlungen als unbeachtlich oder unbegründet zurückweist (Dazu u. D u n d G). Die aus der Verletzung des Gebots redlicher Prozeßführung sich ergebende Widerrechtlichkeit sagt also nichts darüber aus, ob u n d welche Rechtsfolgen i m Prozeßrecht das rechtswidrige Verhalten auslöst. Es k a n n jedoch einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen. Der Umstand, daß es i m Prozeß gezeigt wurde, ist also k e i n Rechtfertigungsgrund. Näheres dazu u. G F N 167. 14

So auch Berges, Der Prozeß als Gefüge, N J W 1965, 1505 (1509).

I I . Ausschluß des Arglistverbofs durch den Formrigor

35

I I . Ausschluß einer Generalklausel durch den Formrigor des Prozeßrechts? 1. Das Prozeßrecht bezweckt durch einen gewissen Formrigor (Fristen, Zustellungsformalitäten usw.) die Schaffung klarer prozessualer Tatbestände und Verfahrensabschnitte. Die Normen, welche diesen Erfolg garantieren, sollten daher nicht durch eine Generalklausel „aufgeweicht" werden. Sie dienen der Rechtssicherheit i m Prozeß. A n ihrer Befolgung besteht ein öffentliches Interesse. U m den Anwendungsbereich der Klausel abzustecken, haben w i r also zu fragen, welche Prozeßrechtsnormen i n diese Kategorie „unantastbarer" Normen gehören. 2. Maßgebend für das öffentliche Interesse ist die Bedeutung, welche die Prozeßordnung den fraglichen Formalien beimißt. Daher ist entscheidend, ob die Parteien auf die Befolgung der entsprechenden Vorschriften (Form der Klageerhebung, Fristen und Form der Rechtsmittel) verzichten können (vgl. §§ 274 I I I , 295 I I ZPO), ob die Vorschriften durch Parteivereinbarung außer Kraft gesetzt (§§ 38 ff. ZPO), geändert (§ 224 I ZPO) oder auf Betreiben einer Partei durch das Gericht modifiziert werden können (§ 224 I I ZPO). Wichtig ist also die Frage nach der

Parteidisposition.

Einen weiteren Anhaltspunkt für das öffentliche Interesse bietet das Gesetz, wenn es vorschreibt, von Amts wegen zu prüfen, ob die fragliche Vorschrift eingehalten ist. So ist ζ. B. der Mangel der Parteifähigkeit, der Prozeßfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozeßführung gemäß § 56 I ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen 15 . 3. Es läßt sich der Satz aufstellen, daß dort, wo die ZPO Amtsprüfung einer Voraussetzung anordnet und sie der Parteidisposition entzieht, die Berufung auf die Generalklausel vergeblich ist. Das öffentliche Interesse ist dann so überwiegend, daß es eine unbedingte Einhaltung der Formvorschriften verlangt. Veranlaßt ζ. B. der Beklagte den Kläger, eine ordnungswidrige Klage zu erheben, so w i r d jeder Hinweis des Klägers auf die Arglist des Be15 Ebenso i m Parteiprozeß der Mangel der Vollmacht (§ 88 I I ZPO). Ferner hat das Gericht von A m t s wegen zu prüfen, ob Einspruch, Berufung, Revision, Beschwerde oder Wiederaufnahmeklage an sich statthaft sind u n d gesetzlichen F o r m - oder Fristbestimmungen genügen (§§ 341, 519 b, 554 a, 574, 589 ZPO). Unstreitig hat das Gericht auch die Voraussetzungen der Klageschrift (§ 253 I I Nr. 1 u n d 2 ZPO) von A m t s wegen zu prüfen (Rosenberg, aaO, § 89 I 2 a. E.; § 89 I V , 2). Ebenso außer den schon i n den §§ 56 u n d 274 I I Nr. 7 genannten Prozeßvoraussetzungen auch seine Zuständigkeit (§ 274 I I Nr. 1 ZPO), das Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit, die Rechtshängigkeit (§ 274 I I Nr. 4 ZPO), die rechtskräftige Entscheidung, die Zulässigkeit der Widerklage u n d des Urkundenprozesses (§§ 33, 592 ZPO) usf. (Rosenberg, aaO, § 63 I V , 1 u n d § 89 I , 1).

3*

36

C. Anwendbarkeit u n d Anwendungsbereich des Arglistverbots

k l a g t e n v e r g e b l i c h s e i n 1 6 . E i n e V e r i f i z i e r u n g des g e f u n d e n e n Satzes i s t f e r n e r d e r J u g o s l a w i e n f a l l des B G H 1 7 . Die beklagte Föderative Volksrepublik Jugoslawien, die der deutschen K l ä g e r i n i n zwei Instanzen unterlegen war, hatte i m Revisionsverfahren eingewendet, sie sei nicht nach den Vorschriften der Gesetze vertreten gewesen. I h r gesetzlicher Vertreter sei nicht der bisher tätig gewordene Leiter ihrer Berliner Militärmission, sondern der öffentliche Bundesrechtsanwalt i n B e l grad. Dieser E i n w a n d führte dazu, daß die Klage nach zehnjähriger Prozeßdauer als unzulässig abgewiesen wurde. D i e B e k l a g t e w e i s t h i e r nach e i n e r Z e i t des Z u w a r t e n s a u f das F e h l e n einer v o n A m t s wegen zu prüfenden u n d nicht disponiblen Voraussetz u n g h i n (§ 56 Z P O ) 1 8 . Diese Rüge, d i e a n v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m oder V e r w i r k u n g d e n k e n l ä ß t , i s t o h n e Z w e i f e l k a u s a l f ü r d i e d e m G e g n e r e n t s t e h e n d e n prozessualen N a c h t e i l e 1 9 . Sie l i e ß e n sich aber n u r vermeiden, w e n n der durch Verletzung zwingender Verfahrensvors c h r i f t e n e i n g e t r e t e n e r e c h t s w i d r i g e Z u s t a n d bestehen b l e i b e n k ö n n t e . D a dessen B e s e i t i g u n g aber gerade d i e i m ö f f e n t l i c h e n Interesse angeo r d n e t e A m t s p r ü f u n g d i e n e n soll, l ä ß t sich d e r H i n w e i s d e r b e m ä n g e l n d e n P a r t e i w e g e n eines i h r z u L a s t f a l l e n d e n Verstoßes gegen das G e b o t des honeste procedere s c h w e r l i c h beiseite schieben. D i e U n l a u t e r k e i t d e r P a r t e i k a n n das G e r i c h t n i c h t seiner P r ü f u n g s p f l i c h t e n t h e b e n oder d a z u f ü h r e n , d e n M a n g e l z u übergehen. M a n k a n n a l l e n f a l l s e r w ä g e n , 16 Praktische Bedeutung hat dieser F a l l jedoch nicht, da das Gericht gemäß § 139 ZPO einschreiten u n d der Kläger auf die Bedenken des Gerichts reagieren w i r d . Auch die Täuschung der anderen Partei über die Dauer v o n Notfristen (§§ 339 I , 516, 577 I I , 586 I ZPO) k a n n k a u m als Beleg des aufgestellten Satzes angesehen werden. Keine Partei hört auf den Rat des Gegners. Außerdem dient das I n s t i t u t der Wiedereinsetzung i n den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO) bei der Fristenregelung dazu, Härtefällen gerecht zu werden. Dieses Benefiz f ü r eine zu spät handelnde Partei versagt aber, w e n n nicht die i n § 233 ZPO aufgezählten Fristen versäumt sind, sondern etwa eine Frist zum Widerruf eines Prozeßvergleichs verstrichen ist. Ob man i n diesem F a l l die Wiedereinsetzung unter Berufung auf Treu u n d Glauben gewähren u n d damit über die i n § 233 ZPO normierten Billigkeitsgedanken hinausgehen soll, erscheint fraglich (dafür L G Bonn B B 1952, 209; dagegen B G H L M Nr. 2 zu § 130 BGB). 17 B G H Z 40, 197 = N J W 1964, 203 = W M 1963, 1272; zum Sachverhalt ferner Dölle, Pflicht zur redlichen Prozeßführung?, Festschrift f ü r Riese, 1964, S. 279, 280. Vgl. jedoch auch B A G (AP Nr. 2 zu § 242 B G B (Prozeßverwirkung), das den Mangel gesetzlicher Vertretung eines beklagten Vereins m i t dem A r g l i s t argument heilen w i l l . Dazu unten D F N 182. 18 Auch noch i n der Revisionsinstanz ist der Mangel der Legitimation des ges. Vertreters von A m t s wegen zu prüfen: B G H Z 27, 47 (49). 19 M a n mag zwar sagen (Dölle, aaO, S. 289 ff.; kritisch dazu Schröder, J Z 1965, 310), daß es gegen das Gebot redlicher Prozeßführung verstieß, nach so langer Zeit auf den Mangel der gesetzlichen Vertretung hinzuweisen, u n d zu einer Schadensersatzpflicht der mangelhaft vertretenen Beklagten k o m men. Auswirkungen auf den anhängigen Rechtsstreit hat diese Feststellung jedoch nicht.

II. Ausschluß des Arglistverbots durch den Formrigor

37

ob er als geheilt angesehen werden kann, wenn er lange Zeit übersehen wurde und die Prozeßbeteiligten sich auf die seither als bestehend angenommene Sach- und Hechtslage eingestellt haben. Die Rüge wäre dann unbegründet, aber nicht arglistig. I m Ergebnis geht auch der B G H 2 0 so vor, wenn er prüft, of der Leiter der Berliner Militärmission seine Legitimation aus einer Anscheinsvollmacht herleiten könne 2 1 . 4. Ordnet die ZPO Amtsprüfung P u n k t aber zugleich

an, unterstellt sie den zu prüfenden

der Parteidisposition,

so ist ein Rückgriff auf die

vorgestellte Generalklausel 22 statthaft. Bei den von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen kann das öffentliche Interesse an ihrer Einhaltung gering sein. So kann das Gericht bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten oder Fehlen eines ausschließlichen Gerichtsstandes (§ 40 I I ZPO) der Prüfung seiner Zuständigkeit dadurch enthoben sein, daß der Beklagte die Behauptungen des Klägers, welche die Zuständigkeit ergeben, nicht bestreitet (§ 138 I I I ZPO) oder gemäß § 288 ZPO zugesteht. Die gleiche Wirkung t r i t t ein, wenn der Kläger i m Termin nicht erscheint (§ 331 I ZPO). Denn trotz der erforderlichen Amtsprüfung können die Parteien i n gewissen Grenzen über die Zuständigkeit eines Gerichts erster Instanz disponieren (§ 38 ZPO) 23 . I n derartigen Fällen w i r d man auch die konzipierte Generalklausel anwenden können 2 4 . Man w i r d daher ζ. B. trotz Klageerhebung vor einem örtlich unzuständigen Gericht dessen Zuständigkeit bejahen können, wenn der Kläger auf die Rüge des Beklagten nachweist, der Beklagte selbst habe i h n zur Klage vor diesem Gericht veranlaßt. 20

B G H Z aaO, S. 203. Die v o m B G H (BGHZ aaO, S. 203) gebrauchte Terminologie: E i n w a n d der unzulässigen Rechtsausübung gegenüber einer Prozeßhandlung, bedeutet nicht etwa Unzulässigkeit oder Unbeachtlichkeit des Hinweises auf die m a n gelnde gesetzliche Vertretung, sondern Prüfung der Frage, ob der Hinweis begründet ist, w e n n eine Anscheinsvollmacht vorliegt. So auch Stein-JonasPohle, ZPO, 19. Aufl., Bern. X I 3 h vor § 128. 22 Oben A I I . 28 Nach Rosenberg, aaO, § 63 I V 2 b g i l t Ähnliches auch hinsichtlich der von A m t s wegen zu prüfenden Voraussetzungen des Feststellungsinteresses (§ 256 ZPO) u n d der Prozeßführungsbefugnis. 24 Α. A. Goldschmidt, aaO, S. 478 u n d A n m . 2534; Sauer, aaO, S. 588; Beltz, aaO, S. 37. Die genannten Autoren schließen § 242 B G B bereits dann aus, w e n n Amtsprüfung angeordnet ist. Sie berücksichtigen nicht, ob sich diese Amtsprüfung auf einen P u n k t bezieht, der der Parteidisposition untersteht. Sie nehmen daher ζ. B. f ü r den Fall, daß der Beklagte den Kläger durch V o r spiegelung eines niedrigeren Streitwertes zur Klage vor dem Amtsgericht veranlaßt hat, an, daß die Unzuständigkeitsrüge des Beklagten unter allen Umständen durchgreife. Sie übersehen dabei m. E., daß die Parteien über die sachliche Zuständigkeit i m Rahmen des § 40 ZPO disponieren können. Erst aus dem Zusammentreffen von Amtsprüfung und Ausschluß der Disponierbarkeit ergibt sich die Forderung nach unbedingter Geltung der F o r m v o r schrift. 21

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C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich des Arglistverbots

Etwa dann, wenn der Beklagte den Anschein erweckte, er unterhalte eine Niederlassung, und so den Kläger bestimmte, i m Gerichtsstand des § 21 ZPO Klage zu erheben. Die Berufung des Beklagten auf die Unzuständigkeit ist dann mißbräuchlich wegen eines Verstoßes gegen das Verbot des venire contra factum proprium 2 5 . 5. Nach alledem läßt sich folgendes Fazit ziehen: Wo das Prozeßrecht Amtsprüfung einer Voraussetzung verlangt und sie zugleich der Disposition der Parteien entzieht, verlangt das öffentliche Interesse eine unbedingte Einhaltung der Formvorschrift. Sie kann dann nicht durch die Generalklausel „aufgeweicht" werden. Ist Amtsprüfung erforderlich, können die Parteien jedoch über die zu prüfende Voraussetzung disponieren, so ist Raum für die konzipierte Generalklausel.

ΙΠ. Spezielle prozessuale M i t t e l der Arglistabwehr Ein Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens ist als allgemeine Verhaltensnorm dort ausgeschlossen, wo spezielle Normen die Arglist i m Prozeß bekämpfen. Das t r i f f t i n einer Reihe von Fällen zu. 1. Das Verbot mutwilliger Prozeßführung auf Kosten des Staates

Das Armenrecht w i r d gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 I, 1 ZPO). Die mutwillige Prozeßführung ist ein Spezialfall des Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens, wenn § 114 ZPO Fälle regelt, die sich bei bürgerlich-rechtlicher Betrachtungsweise als Tatbestände des Rechtsmißbrauchs (§ 242 BGB) darstellen. Dann läßt sich die mutwillige Prozeßführung auch als Anwendungsfall des dem § 242 BGB vergleichbaren Verbots arglistigen prozessualen Verhaltens begreifen. Die Frage lautet daher, ob „ M u t willen" i m Sinne des § 114 I, 1 ZPO Mißbrauch i m Sinne des § 242 BGB ist. a) Zunächst ist zu klären, was man unter „ m u t w i l l i g " i. S. des § 114 ZPO zu verstehen hat. „ M u t w i l l i g ist eine Prozeßführung, wenn sie durch sachliche Erwägungen nicht veranlaßt ist 2 6 ." Diese Definition h i l f t 25 Näheres dazu unten E. Allerdings darf sich aus dem vorprozessualen Zusammenwirken der Parteien keine Vereinbarung i m Sinne des § 38 ZPO ergeben, da sonst kein Raum mehr für einen Rückgriff auf die Generalklausel ist. 26 Hosenberg, aaO, § 82 I I , 2 b.

III. Spezielle prozessuale Mittel der Arglistabwehr

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nicht weiter, denn sie ersetzt nur den einen ausfüllungsbedürftigen Begriff (mutwillig) durch einen anderen (durch sachliche Erwägungen nicht veranlaßt). Es heißt also auch hier das Gebot einer „Flucht aus der Generalklausel" i n die konkreten Beispiele befolgen, wenn man Aufschluß über die Tragweite des § 114 I, 1 ZPO haben w i l l . Dabei lassen sich drei Gruppen erkennen: aa) Einen Fall mutwilliger Prozeßführung nennt § 114 I, 2 ZPO. Eine Rechtsverfolgung ist danach als m u t w i l l i g anzusehen, wenn mit Rücksicht auf die für die Beitreibung des Anspruchs bestehenden Aussichten eine nicht das Armenrecht beanspruchende Partei von einer Prozeßführung absehen w ü r d e . . . Hier kommt es also auf die Aussichten der Zwangsvollstreckung des eingeklagten Anspruchs an 2 7 . „Maßgebend ist der Nutzen einer Entscheidung überhaupt 2 8 ." bb) Andere Fälle lassen sich durch das folgende gemeinsame Kennzeichen zu einer zweiten Gruppe zusammenfassen. Bei ihnen ist das prozessuale Vorgehen, für welches das Armenrecht beantragt wird, unökonomisch, weil ein außergerichtlicher oder billigerer gerichtlicher Weg zur Interessenverwirklichung gegeben ist 2 9 . cc) Die Fälle der dritten Gruppe sind solche zweckwidriger Ausnutzung oder Erschleichung des Armenrechts. Sie liegen ζ. B. vor, wenn der einzige mittellose Miterbe nach § 2039 BGB auf Leistung an den gemeinschaftlichen Nachlaß klagt 3 0 oder der Gläubiger einem Mittellosen eine Forderung zum Inkasso abtritt, damit dieser sie i m Armenrecht einklage 31 . b) Diese Übersicht läßt erkennen, daß zu dem Begriff der m u t w i l l i gen Prozeßführung verschiedene Kategorien gehören. Von mutwilliger Prozeßführung spricht man bei zu erwartender Erfolglosigkeit der Zwangsvollstreckung (oben lit. aa), bei Inanspruchnahme eines Gerichts oder eines bestimmten Verfahrens trotz Vorhandenseins eines anderen, 27 Darüber, daß einer nicht i m Armenrecht angestrengten Klage das Rechtsschutzbedürfnis nicht aus dem gleichen G r u n d versagt werden kann, vgl. unten G V, 2 a. 28 Baumbach-Lauterbach, aaO, § 114 Anm. 2 D. 29 Folgende Beispiele sind zu nennen: Erhebung einer Klage, obwohl wegen unbestrittener Forderungen Mahnverfahren genügt (OLG Stuttgart M D R 1955, 556); Einklagen der ganzen Streitsumme, obwohl durch Teilklage die Lage geklärt u n d erwartet werden kann, daß der Gegner der armen Partei dann f r e i w i l l i g erfüllen w i r d (OLG Celle NdsRpfl 1951, 200); Erhebung einer Klage vor dem ordentlichen Gericht, obwohl Klagenverbindung nach § 3 A r b G G möglich ist ( K G J W 1932, 2912). 80 81

K G J W 1938, 696. RGZ 81, 175; O L G Neustadt ZZP 69, 402; M D R 1958, 848.

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C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich des Arglistverbots

billigeren oder einfacheren Weges 32 (oben lit. bb) und schließlich bei Fällen, i n denen die Voraussetzungen für die Bewilligung des Armenrechts erschlichen werden 8 3 oder die Befugnis, das Armenrecht zu erlangen, zweckwidrig ausgeübt w i r d 8 4 (oben lit. cc). c) M i t Tatbeständen des Rechtsmißbrauchs, einem Anwendungsbereich des § 242 BGB, der dem Verbot arglistigen Prozeßverhaltens vergleichbaren Norm des materiellen Rechts, ließen sich die Mutwillensfälle indes ebenso lösen. Dabei kommen für die oben lit. aa—cc genannten Fallgruppen folgende Mißbrauchstatbestände i n Betracht: aa) Rechtsausübung ohne schutzwürdiges Interesse 35 . bb) Rechtsausübung bei Vorliegen eines berechtigten Interesses, das aber auf eine andere, den Gegner weniger schädigende Weise befriedigt w e r den kann8®. cc) Rechtsausübung oder Berufung auf eine Norm, w e n n das Recht oder die Voraussetzungen der N o r m auf unredliche Weise geschaffen w u r d e n 8 7 .

Diese Tatbestände des Rechtsmißbrauchs ermöglichten die Verweigerung des Armenrechts i n gleicher Weise wie § 114 I, 1 ZPO, wenn die ZPO nicht selbst durch den Begriff der mutwilligen Prozeßführung diesen Komplex geregelt hätte. Hinter der mutwilligen Prozeßführung i. S. des § 114 I ZPO verbergen sich also Tatbestände des Rechtsmißbrauchs. Es handelt sich u m eine speziell prozessuale Ausgestaltung des materiellrechtlichen Grundsatzes von Treu und Glauben. d) Die mutwillige Prozeßführung weist gegenüber dem i n § 242 BGB verankerten Rechtsmißbrauchsgedanken jedoch die Besonderheit auf, daß nicht, wie bei § 242 BGB, das Verhältnis gleichgeordneter Subjekte, sondern das der armen Partei zum Rechtsschutz und vorläufige Kosten82 O L G Stuttgart M D R 1955, 556; O L G Celle NdsRpfl. 1951, 200; K G J W 1932, 2912. 88 RGZ 81, 175; O L G Neustadt ZZP 69, 402. 84 K G J W 1938, 696; Näheres zu dieser d r i t t e n Fallgruppe s.u. D V I I , 6 bei Behandlung der Gesetzesumgehung. 85 Esser, Schuldrecht aaO, § 34, 5a; Soergel-Siebert aaO, § 242 A n m . 150. So k a n n z.B. der Eigentümer von Anwartschaftsberechtigten nicht Herausgabe der Sache verlangen, w e n n dieser sich bereit erklärt, den Bedingungse i n t r i t t sogleich durch Restzahlung des Kaufpreises herbeizuführen (BGHZ 10, 68). Es handelt sich bei dieser Gruppe häufig u m Fälle des Satzes dolo petit, q u i petit, quod statim redditurus esset. 8 ® Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 160; Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 5b. So berechtigt ζ. Β . der Wegfall der Geschäftsgrundlage n u r dann zur A u f l ö sung des Vertrages, w e n n seine Anpassung an die veränderten Verhältnisse nicht möglich ist (BGH L M Nr. 2 zu § 779). 87 Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 128; Esser, Schuldrecht, aaO, § 34,4. Es handelt sich u m die Tatbestände der gemeinrechtlichen exceptio doli praet e r i t i oder specialis. Gesetzliche Anwendungsfälle sind die §§ 162 u n d 393 BGB.

I I I . Spezielle prozessuale M i t t e l der Arglistabwehr

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b e f r e i u n g g e w ä h r e n d e n Staat i m V o r d e r g r u n d steht. D e m Staat, n i c h t d e m Prozeßgegner gegenüber ist das V e r h a l t e n d e r a r m e n P a r t e i m i ß bräuchlich. D i e m u t w i l l i g e P r o z e ß f ü h r u n g ist also e i n A n g r i f f auf staatliche Rechtsschutzeinrichtungen, eine nutzlose, ü b e r m ä ß i g e oder f u n k t i o n s w i d r i g e I n a n s p r u c h n a h m e der staatlichen Gerichte. e) D a m i t w e r d e n K r i t e r i e n i n d i e D e b a t t e e i n g e f ü h r t , d i e seit j e h e r b e i der P r ü f u n g des sog. Rechtsschutzbedürfnisses eine R o l l e spielen. N i c h t n u r Armenrechtsgesuche, sondern alle P r o z e ß h a n d l u n g e n sollen nach Schänke 88 unzulässig sein, w e n n sie m u t w i l l i g , d. h. ohne schutzwürdigen G r u n d vorgenommen werden. So w i r d erwogen, eine Klage wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen, wenn eine Vollstreckungsmöglichkeit zur Zeit nicht besteht 89 . Die mangelnden Aussichten der Zwangsvollstreckung, die bei § 114 I, 2 ZPO eine m u t w i l l i g e Prozeßführung begründen können (erste Fallgruppe der m u t w i l l i g e n Prozeßführung), sollen also einer entsprechenden Klage das Rechtsschutzbedürfnis nehmen können 4 0 . Ebenso begründet die zweite Fallgruppe m u t w i l l i g e r Prozeßführung, bei der das Armenrecht beantragt w i r d , obwohl ein einfacherer oder billigerer Weg zur Verfügung steht, bei anderen Prozeßhandlungen mangelndes Rechtsschutzbedürfnis. M a n 4 1 verneint es ζ. B. bei einer Klage auf Erstattung von Prozeßkosten, wenn die Möglichkeit besteht, i m Kostenfestsetzungsverfahren der §§ 103 ff. ZPO zum Ziele zu gelangen. Die dritte Fallgruppe m u t w i l l i g e r Prozeßführung, die durch Erschleichung der Voraussetzungen des § 114 ZPO gekennzeichnet ist, beruht auf dem Gedanken, daß eine „unredlich" geschaffene prozessual erhebliche Situation unbeachtlich ist 4 2 . Auch hier spielt das Rechtsschutzbedürfnis eine Rolle, w e n n man es etwa demjenigen abspricht, der eine Forderung zur Begründung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit i n mehreren Teilklagen geltend macht 4 8 . D a h e r taucht a n dieser S t e l l e der U n t e r s u c h u n g bereits die V e r m u t u n g auf, daß mangelndes Rechtsschutzbedürfnis eine speziell p r o zeßrechtliche E r s c h e i n u n g s f o r m des Rechtsmißbrauchs ist. H i e r s o l l z u nächst die F e s t s t e l l u n g einer gewissen V e r w a n d t s c h a f t zwischen M u t w i l l e n (§ 114 ZPO) u n d Rechtsmißbrauch einerseits u n d m a n g e l n d e m Rechtsschutzbedürfnis andererseits g e n ü g e n 4 4 . 88

Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 34. O L G Gera HEZ 1, 119; O L G Halle N J 1949, 118. 40 Kritisch dazu Schönke, aaO, S. 38. 41 Baumbach-Lauterbach, aaO, Grundz. 5 A vor § 253 unter Hinweis auf RGZ 130, 217 (218), wo allerdings der Terminus Rechtsschutzbedürfnis nicht vorkommt. 42 Näheres dazu unten D. 48 L G Berlin J W 1931, 1766. Dazu unten D V I I , 4. 44 Das Verhältnis von Rechtsmißbrauch u n d Rechtsschutzbedürfnis w i r d unten G eingehend behandelt. 89

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C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich des Arglistverbots

f) Als Ergebnis läßt sich festhalten: § 114 ZPO ist, sofern er auf mutwillige Prozeßführung abstellt, ein Spezialfall des Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens und drängt daher die allgemeine Norm des honeste procedere zurück. 2. Klagen ohne Veranlassung im Sinne des § 93 ZPO

a) Ein weiterer Fall, i n dem die ZPO dem Mißbrauch auf prozessualem Gebiet vorzubeugen sucht, ist der des § 93 ZPO. Danach fallen dem Kläger die Prozeßkosten zur Last, wenn der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage keine Veranlassung gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Hier begegnet uns wieder der oben Ziff. 1 angeführte Tatbestand des Rechtsmißbrauchs, wonach die Rechtsausübung trotz berechtigten Interesses unzulässig ist, wenn dieses auf eine andere, den Gegner weniger schädigende Weise befriedigt werden kann. Allerdings bedeutet dieser i m materiellen Recht heimische Tatbestand nicht, daß die ohne Veranlassung erhobene Klage wegen Unzulässigkeit

der Rechtsausübung als unzulässig

abzuweisen ist.

§ 93 ZPO „ahndet" den i n der Klageerhebung liegenden Rechtsmißbrauch dadurch, daß ausnahmsweise der siegreichen Partei die Kosten auferlegt werden. b) Auch bei § 93 ZPO w i r d wieder die oben Ziff. 1 aufgezeigte Verwandtschaft von Rechtsmißbrauch und mangelndem Rechtsschutzbedürfnis sichtbar, die an dieser Stelle nur angedeutet werden kann 4 5 . Das Rechtsschutzbedürfnis soll entfallen, wenn man sich auf außerprozessualem Wege den erstrebten Erfolg selbst verschaffen kann 4 6 . Das t r i f f t für die i n § 93 ZPO angeschaute Situation zu 4 7 . 45

Näheres dazu unten G. Stein-Jonas-Schönke-Pohle, aaO, Einl. D I I I 2 a; Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 24. 47 Einen begrifflichen Unterschied zwischen mangelnder Klageveranlassung i m Sinne des § 93 ZPO u n d fehlendem Rechtsschutzbedürfnis finden SteinJonas-Pohle } 19. Aufl. aaO, § 93 I I I i n folgendem Umstand: Die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses müßte zur Klageabweisung führen, § 93 ZPO setze aber eine Verurteilung voraus. Dieser Schluß ist nicht überzeugend. Denn die Verschiedenheit der Rechtsfolgen sagt nicht zwingend etwas über die Verschiedenheit der Voraussetzungen aus. Der Gesetzgeber hat es v i e l mehr i n der Hand, ein System durch zweckdienliche Ausnahmen zu durchbrechen. So ist es unzweckmäßig, die Klage als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Beklagte sofort anerkennen w i l l . Der einzige Nachteil, der dem unnötig belästigten Beklagten aus dem mißbräuchlichen Verhalten des K l ä gers erwachsen könnnte, wäre die Kostenbelastung des Unterlegenen (§ 91 ZPO). Diese ausnahmsweise dem siegreichen Kläger aufzubürden, ist h i n reichende Sanktion seines mißbräuchlichen Verhaltens. Daß seine Klage nicht abgewiesen w i r d , folgt nicht aus der begrifflichen Verschiedenheit von M i ß brauch wegen mangelnder Klageveranlassung u n d fehlendem Rechtsschutzbedürfnis. 46

III. Spezielle prozessuale Mittel der Arglistabwehr

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3. Normierte Einzelfälle des Verbots des venire contra factum proprium

Das Verbot des venire contra factum proprium t r i t t i m Prozeßrecht i n zahlreichen Einzelregelungen auf. Da diese schon Ausdruck eines Verbots arglistigen Prozeßverhaltens sind, braucht man i n ihrem Geltungsbereich auf die konzipierte Generalklausel nicht zurückzugreifen. a) Unter venire contra factum proprium versteht man i m bürgerlichen Recht: die Rechtsausübung oder die Berufung auf eine Rechtsposition ist unzulässig, wenn sie i n Widerspruch zu früherem Verhalten des Berechtigten steht und wenn das jetzige widerspruchsvolle Verhalten gegen Treu und Glauben verstößt. Ein solcher Verstoß liegt stets dann vor, wenn der Gegner dem früheren Verhalten des Rechtsausübenden vertrauen konnte und sich deswegen auf eine bestimmte Sach- und Rechtslage eingerichtet hat 4 8 . b) Zahlreiche Regelungen des Prozeßrechts beruhen auf diesem Prinzip. Z u nennen ist zunächst das grundsätzliche Verbot der Klageänderung. Sie ist nach Rechtshängigkeit n u r zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie f ü r sachdienlich erachtet (§ 264 ZPO; vgl. aber auch §§ 268, 269 ZPO). Die Klage kann, sobald zur Hauptsache verhandelt ist, n u r m i t Zustimmung des Gegners zurückgenommen werden (§ 271 ZPO). A u d i m i t der Zurücknahme der Berufung muß der Gegner einverstanden sein, w e n n schon mündlich verhandelt worden ist (§§ 515 I ZPO). A u f das gleiche Prinzip des venire contra factum p r o p r i u m lassen sich die §§ 399, 402, 436 ZPO zurückführen. Auch der i n der Regel unzulässige W i d e r r u f eines gerichtlichen Geständnisses (§ 290 ZPO) 4 9 läßt sich ebenso als Ausfluß des venire contra factum p r o p r i u m begreifen, w i e der Verlust prozeßhindernder Einreden nach Maßgabe des § 274 I I I ZPO : durch das Zuwarten der einen Partei bildet sich beim Gegner u n d beim Gericht ein schutzwürdiges Vertrauen, das einem V o r b r i n gen der prozeßhindernden Einrede i m Wege steht. Deutlich k o m m t das venire contra factum p r o p r i u m auch i n § 295 ZPO zum Ausdruck. Unzulässig ist danach eine Rüge nach einer Zeit des Zuwartens bei bekanntem oder schuldhaft unbekanntem Verfahrensmangel 5 0 .

I m übrigen beruht der Grundsatz, daß Prozeßhandlungen grundsätzlich nicht abgeändert, ergänzt oder widerrufen werden können, „soweit sie einen Verzicht auf prozessuale Befugnisse darstellen oder sonst der Partei ungünstig sind" 5 1 , ebenfalls auf dem Gedanken des venire contra factum proprium. Diese Bindung an die vorgenommene Prozeßhand48 Soergel-Siebert, aaO, § 242 Anm. 141; Esser, Schuldrecht, aaO, § 35, 2 u n d 3. 49 Diese Vorschrift gilt sinngemäß f ü r den Widerruf eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts: Rosenberg, aaO, § 60 I, 2 b. 50 Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens i n § 295 ZPO w i r d durch die §§ 530, 558 ZPO auf alle Instanzen erstreckt. 51 Stein-Jonas-Pohle, aaO, 19. A u f l . Bern. X I , 3 k vor § 128.

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C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich des Arglistverbots

lung t r i t t bei den meisten sog. Bewirkungshandlungen 5 2 ein, also bei Handlungen, die eine bestimmte Prozeßlage eo ipso erzeugen 53 . Eine Ausnahme bildet jedoch die Widerrufsmöglichkeit bindender Prozeßhandlungen bei Vorliegen eines Restitutionsgrundes 54 . So kann ζ. B. die i n § 580 Nr. 4 ZPO getroffene Regelung zur Folge haben, daß eine Partei von ihrer bindenden Erklärung loskommt, wenn die andere diese Erklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung hervorgerufen hat. Arglistige Täuschung oder Drohung müssen aber, über § 123 BGB hinausgehend, einen Straftatbestand erfüllen und deswegen zur Verurteilung geführt haben. c) Allerdings versucht man m i t dem Arglistargument die Widerrufsmöglichkeit bindender Prozeßhandlungen über die Grenzen des § 580 ZPO hinaus auszudehnen. Dazu ein Beispiel 5 5 : E i n die Scheidung betreibender Ehemann hatte der Beklagten vorgespiegelt, er wolle sie nach der Scheidung wieder heiraten. Sie blieb daher i m Prozeß unvertreten u n d verzichtete nach Urteilsverkündung dem Kläger gegenüber auf Rechtsmittel. Als der Kläger n u n (abredewidrig) seine K o n k u b i n e heiraten wollte, legte die Beklagte Berufung ein. Der B G H gibt der Beklagten gegenüber der aus § 514 ZPO folgenden Einrede des Rechtsmittelverzichts 5 · die Gegeneinrede der Arglist. Tragende Gründe der Entscheidung sind, daß der dem Prozeßgegner gegenüber erklärte Rechtsmittelverzicht n u r eine Einrede begründe u n d daß dieser Einrede des Verzichts m i t der Gegeneinrede der A r g l i s t begegnet werden könne, da auch i m Verfahrensrecht der G r u n d satz v o n Treu u n d Glauben gelte.

Diese Lösung liegt nahe: Die bindende Wirkung gewisser Prozeßhandlungen entspricht — wie dargelegt — dem Verbot des venire contra factum proprium und soll damit das Vertrauen des Prozeßgegners auf den Bestand der eingetretenen Situation schützen. Ein solches Vertrauen ist aber nicht schutzwürdig, wenn eine Partei die andere durch Täuschung zur Vornahme der bindenden Prozeßhandlung veranlaßt hat. Man könnte meinen, daß infolgedessen der Grund für die bindende Wirkung entfällt. Das ist jedoch nicht der Fall. Daraus, daß der dem Gegner gegenüber erklärte Rechtsmittelverzicht nur eine Einrede begründet, folgt nicht, 52 Vgl. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, aaO, S. 364 ff., 556 f f ; Rosenberg, aaO, § 60 I I . 58 Rosenberg, aaO, § 60 I I ; Stein-Jonas-Pohle, aaO, 19. A u f l . Bern. X I , 2 b v o r § 128. 54 Rosenberg, aaO, § 61 V. 55 B G H JZ 1953, 153 = JR 1953, 105 = L M Nr. 3 zu § 514 ZPO = Z Z P 66, 148. 56 Baumbach-Lauterbach, aaO, § 514 A n m . 3; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, aaO, § 514 I I 1.

III. Spezielle prozessuale Mittel der Arglistabwehr

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daß diese m i t dem Arglisteinwand bekämpfbar ist. Warum sollte es anders sein, wenn der Rechtsmittelverzicht dem Gericht gegenüber erklärt ist und dieses nun von Amts wegen den Rechtsmittelverzicht zu beachten hat 5 7 ? Auch die nur eine Einrede des Gegners erzeugende Prozeßhandlung ist bindend. Vor allem besteht aber das Bedenken, daß man m i t der Gegeneinrede der Arglist das geltende Recht umgeht, nach dem bindende Prozeßhandlungen nicht anfechtbar sind. Einer Anfechtung nach § 123 BGB kommt aber die Konstruktion des B G H gleich, auch wenn man sie unter dem Deckmantel Einrede-Gegeneinrede sieht. Praktisch läuft das Verfahren des B G H auf eine Erweiterung der Restitutionsgründe hinaus 58 . d) Das Problem des Rechtsmißbrauchs wegen widerspruchsvollen Verhaltens ist, wie sich ergeben hat, i m Prozeßrecht auf vielfältige Weise speziell geregelt. Eine zusätzliche Anwendung des Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens ist daher insoweit ausgeschlossen59. 4. Mißbrauch bei zweckwidrig ausgeübter Rügebefugnis

E i n geregelter Prozeß setzt voraus, daß eine Partei von allen Verfahrensschritten der anderen Kenntnis erlangt. Diesem Zweck dient die Zustellung m i t ihren Formvorschriften. Es ist nun möglich, daß jemand sich auf Zustellungsmängel beruft, obwohl der vom Gesetz erstrebte Zweck — die Kenntnis — eingetreten ist. Die rügende Partei würde dann nach A r t des institutionellen Rechtsmißbrauchs 60 durch Beanstandung von Formfehlern trotz Erreichens des von den Formvorschriften gewollten Erfolges dem Gegner Schwierigkeiten bereiten, ohne berechtigte eigene Belange zu fördern. Diese Situation liegt ζ. B. vor, wenn ein Zustellungsmangel beanstandet wird, weil entgegen § 176 ZPO nicht an den Prozeßbevollmächtigten, sondern an die Partei selbst zugestellt ist, diese aber das ihr zugestellte Schriftstück dem Anwalt weitergegeben hat. Ebenso mißbräuchlich kann es sein, wenn gerügt wird, daß ein Vorgang durch einfache Übersendung statt durch Zustellung bekannt gegeben wurde. I n solchen Fällen kann das Gericht gemäß § 187 ZPO nach seinem Ermessen über die Zustellungsmängel hinweg57

Baumbach-Lauterbach, § 514 A n m . 3. Kritisch zum U r t e i l Rudolph, JR 1953, 286. Vgl. auch noch die Parallelentscheidung i n RGZ 161, 350 (358/359). Z u m Rechtsmittelverzicht eingehend Habscheid, N J W 1965, 2369. 5 ® So i m Ergebnis auch Baumgärtel, ZZP 69, 89 (94), der die von i h m befürwortete Anwendbarkeit des § 162 I I B G B (eine spezielle F o r m des venire contra factum proprium) dann ausschließt, w e n n durch die Prozeßhandlung ein „unverrückbarer Verfahrensabschnitt eingetreten ist". 60 Vgl. dazu Soergel-Siebert, aaO, §242 A n m . 150ff.; Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 7 u. 8. 58

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C. Anwendbarkeit und Anwendungsbereich des Arglistverbots

sehen und so dem Mißbrauch der Rügebefugnis begegnen. § 187 ZPO stellt also einen normierten Fall des institutionellen Rechtsmißbrauchs dar. Der durch die Norm geregelte Bereich darf also nicht durch einen Rückgriff auf die konzipierte Generalklausel erfaßt werden 6 1 .

IV. Wahrhaftigkeitsgebot und allgemeine Arglistabwehr Es fragt sich, ob das Wahrhaftigkeitsgebot des § 138 I ZPO als Spezialnorm das allgemeine Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens für den Bereich der Prozeßlüge ausschließt. Die Frage ist zu bejahen, w e i l das Gericht bewußt unwahre Parteibehauptungen wegen Verstoßes gegen § 138 I ZPO zurückweisen kann 6 2 . Insofern ermöglicht das Wahrhaftigkeitsgebot eine Lösung der Arglistproblematik, die durch die Prozeßlüge entsteht, ohne Rückgriff auf das Verbot arglistigen Prozeßverhaltens 63 . Zweifelhaft ist aber die prozessuale Behandlung von Klagen, die auf unwahre Behauptungen gestützt sind. Hier kann möglicherweise das Konkurrenzproblem von Generalklausel und § 138 I ZPO eine Rolle spielen. Folgende Fallgruppen lassen sich unterscheiden: 1. Die Prozeßlüge kann als rechtswidrige und strafbare Handlung auftreten, wenn eine Partei durch ihr unwahres Vorbringen sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen w i l l und dadurch bei einem anderen einen Vermögensschaden verursacht (Prozeßbetrug, § 263 StGB). Das ist ζ. B. der Fall, wenn eine Partei, die, wie sie weiß, nichts mehr zu fordern hat, gegen die andere einen Zahlungs- und Vollstreckungsbefehl e r w i r k t 6 4 . Prozeßbetrug liegt ferner vor, wenn jemand Ersatz von Verzugsschaden verlangt, der i h m nicht 61 Das Prinzip des § 187 ist i m Zivilprozeßrecht nicht auf das Zustellungsverfahren beschränkt. Es g i l t generell f ü r die Heilung fehlerhafter Parteihandlungen, w e n n verzichtbare Mängel vorliegen. Ist der Zweck der verletzten N o r m trotz ihrer Verletzung erreicht, so t r i t t Heilung des läßlichen V e r fahrensverstoßes ein (Vgl. Rosenberg, aaO, § 74 I I I 2 b. Näheres zum Problem der Zweckerreichung oder der prozessualen Überholung unten G V beim institutionellen Rechtsmißbrauch). M a n erkennt, daß die bemängelnde Partei ihre Rügebefugnis nicht mehr zu dem v o m Gesetz gewollten Zweck v e r wendet. Da die Unzulässigkeit der Ausübung einer prozessualen Befugnis wegen mangelnder Zweckerreichung nicht als allgemeines Prinzip normiert ist, ist hier ein Rückgriff auf die Generalklausel zulässig (Dazu unten G V). 62 Baumbach - Lauterbach, aaO, § 138 A n m . 1 F. 63 Vgl. auch Peters, Der Ausforschungsbeweis i m Zivilprozeß, 1966, S. 85 ff. Peters n i m m t an, § 138 I ZPO konkretisiere den Grundsatz von Treu u n d Glauben. Z u r Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises wegen eines V e r stoßes gegen Treu u n d Glauben vgl. Peters, aaO, S. 85 m i t zahlreichen Nachweisen. 64 RGSt 42, 410.

IV. Wahrhaftigkeitsgebot und allgemeine Arglistabwehr

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entstanden ist 6 5 , oder Kosten einer Rechtsverfolgung, die er nicht aufgewendet hat 6 6 . a) Man könnte meinen, derartige Klagen seien, wenn das Gericht sie als Betrugshandlung erkennt, als unzulässig abzuweisen. Ihnen fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil kein schutzwürdiges Interesse an der Erlangung von Rechtsschutz anzuerkennen sei. Das Nichtvorliegen des Betrugstatbestands würde so die Bedeutung einer Prozeßvoraussetzung erlangen. Das hätte zur Folge, daß das Gericht den bei Klageerhebung etwa vorliegenden Verdacht des Prozeßbetrugs von Amts wegen prüfen müßte. Aus Gründen der Prozeßökonomie ist aber ein Sachurteil angemessen. Denn das Gericht müßte bei Prüfung der genannten Prozeßvoraussetzung untersuchen, ob dem Kläger der eingeklagte Anspruch zusteht, ob er also einen rechtswidrigen Vermögensvorteil i m Sinne des § 263 StGB erstrebt. Dann steht aber bereits fest, ob die Klage begründet ist. Es ist daher praktikabel, sie durch Sachurteil abzuweisen, wenn der eingeklagte Anspruch auf eine Prozeßlüge gestützt ist. b) Für eine Prozeßlüge, die sich als Betrug zum Nachteil des Prozeßgegners darstellt, ist daher die aufgestellte Generalklausel ohne Bedeutung. Es handelt sich u m eine Frage der Begründetheit der auf die Lüge gestützten Klage. Konkurrenzprobleme der Generalklausel zu § 1381 ZPO treten insoweit nicht auf. 2. Unter den Betrugstatbestand fallen auch gewisse Scheinprozesse 67. Besteht unter den Parteien eines Prozesses nur dem Anschein nach Streit, hat also der Beklagte dem Kläger das Begehrte i n Wirklichkeit längst zugestanden oder w i l l der Kläger das Verlangte gar nicht, so liegt der Verdacht nahe, daß die Parteien m i t Hilfe gerichtlicher Autorität mißbilligenswerte Ziele verwirklichen wollen. Derartig kollusives Zusammenwirken unter Täuschung des Gerichts fällt unter den Betrugstatbestand, wenn ein außerhalb des Streites stehender Dritter geschädigt werden soll. Das ist der Fall, wenn der Beklagte, dem die Zwangsvollstreckung i n sein Hotelgrundstück droht, sich vom Kläger aufgrund bereits eingelöster Wechsel verklagen und durch Versäumnisurteil verurteilen läßt, um i h m einen Titel zur Pfändung des Hotelmobiliars zu verschaffen 68 . Der Betrugstatbestand liegt auch vor, wenn 65

RGSt 65, 33. RGSt 69, 101. 67 Von Baumbach-Lauterbach, aaO, Anm. 6 D vor § 322 zu Unrecht als Gedankenspiel der Rechtslehre bezeichnet. Scheinprozesse werden allerdings i n den seltensten Fällen als solche erkannt. Der zum Schein Beklagte w i r d i n aller Regel den Anspruch anerkennen, gestehen oder Versäumnisurteil gegen sich ergehen lassen — eine T a k t i k , die es dem Gericht praktisch unmöglich macht, Licht i n das D u n k e l der Parteizwecke zu bringen. 68 RGZ 36, 249. w

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C. Anwendbarkeit u n d Anwendungsbereich des Arglistverbots

d e r B e k l a g t e seiner B a n k als S i c h e r h e i t seine A n s p r ü c h e aus e i n e r R e n t e a b g e t r e t e n h a t , d i e i h m d e r K l ä g e r (sein B r u d e r ) ausgesetzt h a t t e , u n d n u n d e r K l ä g e r gegen d e n B e k l a g t e n vereinbarungsgemäß

auf

F e s t s t e l l u n g k l a g t , daß d e r B e k l a g t e d i e R e n t e d u r c h U n r e d l i c h k e i t e n v e r w i r k t h a b e 6 9 . E i n w e i t e r e r i n s t r u k t i v e r F a l l eines Scheinprozesses l i e g t R G S t 59, 104 z u g r u n d e : Der Angeklagte M u n d seine Ehefrau waren i n Gütergemeinschaft Eigentümer eines Landgutes. Nachdem Frau M Scheidungsklage u n d Klage auf Aufhebung der Gütergemeinschaft erhoben hatte, vereinbarten die Angeklagten M u n d Ζ folgendes: Ζ sollte aufgrund einer fingierten wechselmäßigen Darlehensforderung von 3 000 Goldmark gegen M die Zwangsvollstreckung i n das Landgut betreiben. Den Erlös sollte er an M herausgeben. Ζ e r w i r k t e gegen M einen Zahlungs- u n d Vollstreckungsbefehl u n d beantragte beim Amtsgericht unter Vorlegung dieses Titels die Anordnung der Zwangsversteigerung des auf den Namen der Eheleute M eingetragenen Grundstücks. Das Gericht ordnete daraufhin die Zwangsversteigerung an. Der erste Strafsenat des R G führte dazu aus (aaO, S. 106) : „Hätte der Richter dieses erkannt (seil.: den Mißbrauch des Mahnverfahrens zur Schädigung eines Dritten), dann hätte er die Erlassung des Zahlungs- u n d Vollstreckungsbefehls trotz des Vorhandenseins der Voraussetzungen der §§ 690, 691 ZPO ablehnen müssen, da er weder verpflichtet noch berechtigt ist, bewußt dazu mitzuwirken, daß verfahrensrechtliche Einrichtungen zu unlauteren Zwecken mißbraucht werden 7 0 ." (Hervorhebung v o m Verfasser). a) F ü r solche F ä l l e i s t t r o t z des B e t r u g s eine andere L ö s u n g angemessen als b e i m P r o z e ß b e t r u g z u m N a c h t e i l des Prozeßgegners (oben Z i f f . 1). E n t s c h e i d e n d i s t n ä m l i c h , w i e das R G sagt, d i e mißbräuchliche Inanspruchnahme des Gerichts. H i e r ist, anders als b e i d e n o b e n Z i f f . 1 geschilderten F ä l l e n , die A u f k l ä r u n g des B e t r u g s n i c h t stets e r f o r d e r lich, u m u n r e d l i c h e s P a r t e i v e r h a l t e n z u e r k e n n e n . Es k a n n sich b e r e i t s aus d e r G e l t e n d m a c h u n g eines fingierten A n s p r u c h s i n k o l l u s i v e m Z u s a m m e n w i r k e n m i t d e m n u r „ f o r m a l e n " Prozeßgegner ergeben. B e i Scheinprozessen w i r d d a h e r o h n e Rücksicht d a r a u f , ob sie B e t r u g s h a n d l u n g e n i. S. des § 263 S t G B d a r s t e l l e n , d i e A u f f a s s u n g v e r t r e t e n , d i e K l a g e sei m a n g e l s Rechtsschutzbedürfnisses als u n z u l ä s s i g a b z u w e i s e n 7 1 . D a g e g e n bestehen n u r d a n n B e d e n k e n , w e n n das G e r i c h t , u m festzustellen, ob d e r e i n g e k l a g t e A n s p r u c h m i t Z u s t i m m u n g des G e g ners s i m u l i e r t w i r d , i n eine S a c h p r ü f u n g e i n t r e t e n m u ß . I s t das d e r 69 RGZ 80, 363. Das R G sieht die Problematik des Scheinprozesses nicht, sondern setzt sich m i t der Frage auseinander, ob es die von keiner Partei v o r getragene Tatsache des kollusiven Zusammenwirkens der Parteien, die sich i n der Beweisaufnahme herausgestellt hat, berücksichtigen dürfe. 70 Zustimmend Benkendorff, Treu u n d Glauben i m Zivilprozeßrecht, J W 1933, 2870 (2872), der diesen f ü r das Mahnverfahren ausgesprochenen Gedanken auch auf Klagen ausdehnen w i l l . 71 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 34; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., aaO, Einl. D I I I 3 b.

IV. Wahrhaftigkeitsgebot und allgemeine Arglistabwehr

49

Fall, so kann nach Feststellung, daß der Anspruch nicht besteht, statt eines Prozeßurteils ebenso gut ein Sachurteil ergehen 72 . b) Für die prozessuale Behandlung dieser durch die Prozeßlüge gekennzeichneten Fallgruppe hat also § 138 I ZPO keine Bedeutung. Konkurrenzprobleme zu der hier konzipierten Generalklausel ergeben sich daher nicht. 3. E i n Scheinprozeß ist kein Betrug, wenn die Parteien das Gericht zwar täuschen wollen, aber nicht, um sich oder einem anderen unter Schädigung eines Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Das t r i f f t ζ. B. zu, wenn sich ein Ehemann von seiner verheirateten Geliebten verklagen läßt, u m so eine beabsichtigte Schenkung an sie den beiden Familien zu verbergen. Was hier als arglistig erscheint, ist allein die Inanspruchnahme des prozessualen Rechtsschutzes nicht zum Zwecke der Streitentscheidung, sondern zum Zwecke der Ausbeutung der Autorität eines Richterspruchs. a) Von nur terminologischer Bedeutung ist, ob man die Figur des Scheinprozesses 73, das fehlende Rechtsschutzbedürfnis für Klagen i n Scheinprozessen 74 oder den i n der mißbräuchlichen Inanspruchnahme der staatlichen Rechtspflege liegenden Verstoß gegen das Verbot des institutionellen Rechtsmißbrauchs als Grund der Abweisung ansieht. Maßgebendes K r i t e r i u m ist stets die Zweckentfremdung staatlichen Rechtsschutzes75. b) Bei dieser A r t des Scheinprozesses hat daher § 1381 ZPO ebenfalls keine selbständige Bedeutung, so daß auch hier die Frage nach der Konkurrenz von § 1381 ZPO und der konzipierten Generalklausel keine Rolle spielt. 72 So auch Pohle, Z u r Lehre v o m Rechtsschutzbedürfnis, Festschrift f ü r Lent, aaO, S. 217. 73 Pohle, aaO, S. 217. 74 So Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 34; Stein-Jonas-SchönkePohle, 18. Aufl., aaO, Einl. D I I I 3 b u n d Bern. V, 3 vor § 128. 75 Dieses M e r k m a l ist unabhängig v o m dolus des Klägers. Mißbrauch liegt auch vor, wenn der Kläger von dem Scheinstreit nichts weiß. So ζ. B., w e n n das Jugendamt als A m t s v o r m u n d auf Zahlung einer Unterhaltsrente gegen den angeblichen Erzeuger klagt, der die Kindesmutter heiraten wollte u n d sie veranlaßt hatte, i h n bewußt wahrheitswidrig beim Jugendamt als Erzeuger auszugeben (BGHZ 13,71). Die mißbräuchliche Inanspruchnahme der Gerichte w i r d nicht durch die Arglosigkeit des Klägers ausgeschlossen. Wie der Rechtsmißbrauch i m bürgerlichen Recht Arglist, Fahrlässigkeit oder ein anderes subjektives M e r k m a l nicht voraussetzt, so liegt auch mißbräuchliche Inanspruchnahme der Rechtspflege vor, w e n n objektiv der Mißbrauchstatbestand gegeben ist. Das ist i m angeführten Beispiel der Fall, da ein Richterspruch, der dazu bestimmt ist, dem K i n d e den Unterhalt zu sichern, zur E r langung der Legitimationswirkung des § 1719 B G B zweckentfremdet w i r d .

4 Zeiss

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C. Anwendbarkeit u n d Anwendungsbereich des Arglistverbots

V. Prozessualer und materiellrechtlicher Rechtsmißbrauch Nicht i n den hier behandelten prozessualen Problemkreis gehören Fälle, i n denen einem materiellen Anspruch der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegensteht. So ζ. B. wenn ein verwirkter materiellrechtlicher Anspruch eingeklagt w i r d oder wenn jemand i m Wege einer condictio possessionis klageweise gegen den Eigentümer vorgeht, diesem aber als dem Eigentümer die Sache nach § 985 BGB wieder herausgeben muß (dolo petit, qui petit, quod statim redditurus esset). Die mißbräuchliche Rechtsausübung betrifft hier stets den materiellen Anspruch. Allerdings w i r d sich zeigen, daß die Rechtsprechung bei materiellen Mißbrauchstatbeständen bisweilen auch die Ausübung der Klagebefugnis als mißbräuchlich ansieht und die Klage als unzulässig abweist 76 .

VI. Keine abschließende Regelung der Arglistproblematik durch die genannten speziellen Normen 1. Die Aufzählung der i n der ZPO geregelten Fälle der Arglistabwehr 7 7 läßt erkennen, daß unser Prozeßrecht einem Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens keineswegs indifferent gegenübersteht. Die Prozeßordnung hat Tatbestände arglistigen Verhaltens i n einer Weise geregelt, die ein Zurückgreifen auf die konzipierte Generalklausel insoweit verbietet. Diese Regelung ist aber keineswegs abschließend dergestalt, daß ein allgemeines Gebot redlichen Verhaltens i m Prozeß nicht gelte 78 . Es läßt sich angesichts der Mannigfaltigkeit des täglichen Geschehens vor Gericht, das die zu behandelnde Kasuistik belegen w i r d 7 9 , nicht bezweifeln, daß m i t den genannten Normen der Arglistabwehr nur besonders typische Tatbestände erfaßt sind. Nirgends i n der ZPO und ihren Materialien 8 0 ist auch nur dem Sinn nach angedeutet, arglistiges Verhalten, das nicht unter die aufgezählten Tatbestände fällt, solle sanktionslos bleiben. Der oben B I, 1 erwähnte Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelie von 1933 läßt vielmehr eine Haltung des Gesetzgebers erkennen, die der Annahme einer abschließenden Regelung den Boden entzieht. Einschränkungen eines allgemeinen Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens ergeben sich nur dort, wo der Formrigor des Pro76

Vgl. dazu unten G V, 2 d.

77

Oben I I I , 1 - 4 . Einer solchen Argumentation nahestehend Novak , OesterrJZ 1949, 338

78

(340). 79 80

Unten D—G.

Die Materialien zur ZPO von 1877 erwähnen nirgends arglistiges V e r halten.

VII. Das Programm der Konkretisierung

51

zeßrechts nicht durchbrochen werden soll 8 1 und wo die ZPO prozessuale Arglist m i t speziellen M i t t e l n bekämpft 8 2 . 2. Unterstützt w i r d die Ansicht, eine abschließende Regelung liege nicht vor, durch rechtsvergleichende Erfahrung. Vergleichbare Ordnungsaufgaben bringen vergleichbare Ordnungsformen hervor 8 3 . Daher rechtfertigen die oben Β I, 2 angeführten Normen des Auslands, die der Arglistabwehr dienen, die Annahme, auch i m deutschen Prozeßrecht „schlummere" unausgesprochen eine ähnliche Klausel.

V I I . Das Programm der Konkretisierung Nachdem der mögliche Anwendungsbereich des als Hypothese aufgestellten Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens abgesteckt ist, soll nun konkretisierende Kasuistik vorgestellt werden. W i r orientieren uns dabei am Material, das die Rechtsprechung geliefert hat. Es läßt sich i n Anlehnung an Fallgruppen des § 242 BGB folgendermaßen einteilen: a) Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen 84 . b) Prozessuales Parteiverhalten, das i m Widerspruch zu prozessualem oder außerprozessualem Verhalten steht (venire contra factum proprium) 8 5 . c) Verwirkung prozessualer Befugnisse 86 . d) Mißbrauch prozessualer Befugnisse 87 .

81 82 88 84 85 86 87

Oben I I . Oben I I I . Esser, Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 15, 346 ff. Dazu unten D. Dazu unten E. Dazu unten F. Dazu unten G.

D · Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen I. Problemstellung Die Rechtsprechung kennt Fälle, i n denen jemand einen prozessual erheblichen Tatbestand arglistig herbeiführt. Kann aus i h m eine prozessuale Befugnis hergeleitet werden? Einige Beispiele mögen die Problematik kennzeichnen: a) I m Dezember 1955 kaufte der i n Bern wohnhafte Kläger bei der i n Amsterdam ansässigen beklagten F i r m a 15 g V i t a m i n Β 12 u n d zahlte dafür 10 317,80 Fr. K u r z darauf erhob er Mängelrüge, w e i l das gelieferte Präparat kein V i t a m i n Β 12 enthalte. Die Lieferantin vertrat den Standpunkt, die Ware sei einwandfrei u n d auf natürliches, statt auf synthetisches V i t a m i n geprüft worden. Ohne weiter auf diesen Standpunkt einzugehen, bestellte der Kläger bei der Beklagten alsbald 300 k g V i t a m i n C. Als die Ware beim Berner Z o l l eingetroffen war, e r w i r k t e er gegen die Beklagte einen Arrest auf die erwähnte Ware f ü r eine „angebliche verfallene F o r derung aus Wandelung eines Kaufvertrages u m 15 g angeblichen Vitamins Β 12". Danach reichte der Kläger beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage gegen die Lieferantin ein. Das Handelsgericht 1 wies die Klage ohne materielle Prüfung ab, w e i l „der Kläger sich gegenüber der i n H o l l a n d ansässigen Beklagten nicht 2 auf den v o m bernischen Zivilprozeßrecht (Art. 25) vorgesehenen Gerichtsstand des Arrestes u n d des Vermögens berufen könne". E r habe den diesem Gerichtsstand zugrundeliegenden Tatbestand arglistig herbeigeführt 8 . b) Der Kläger klagte i n Hamburg aus einem Wechsel gegen die Wechselschuldner Ζ u n d Th. T h hatte seinen Wohnsitz i n Hamburg, Ζ i n Berlin. Der Kläger ließ die Klage beiden Verpflichteten zustellen, dem T h aber erst, nachdem dieser an den Kläger die Wechselsumme nebst Protestkosten m i t der Abrede gezahlt hatte, daß der Kläger dem Beklagten T h diese Summe zurückzahlen solle, sobald er (der Kläger) den eingeklagten Betrag von Ζ erhalten habe. Trotz der Klagezustellung an T h t r u g der Kläger weder die Klage vor, noch verhandelte er gegen Th. Das R G 4 führte dazu aus, es sei „ v ö l l i g klar, daß der Kläger gegen Th, als er diesem die Klage zustellen ließ, weder klagen konnte, noch klagen sollte, noch klagen w o l l te". Es gewährte dem Ζ die Einrede der Arglist gegen die i n Hamburg, also i m Gerichtsstand des § 603 I I ZPO, erhobene Klage 5 . 1

Vgl. dazu B G E 83 I I , 346 ff. Hervorhebungen i n Zitaten stammen v o n m i r . 8 Dazu unten V I I , 1. 4 RGZ 51, 175. Vgl. zum Problem noch die instruktive RG-Entscheidung i n J W 1908, 750. 5 Dazu unten V I I , 5. 2

I I . Lösungsversuche i n Rechtsprechung u n d Lehre

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c) Der Kläger klagte eine Forderung von 2100,— R M i n 5 Teilklagen bei dem A G B e r l i n - M i t t e ein. Dieses verband gem. § 147 ZPO die Teilklagen zur gemeinsamen Verhandlung u n d Entscheidung u n d wies sie ab. Das L G Berlin® bestätigte dieses Urteil, nachdem es die Einrede der Rechtshängigkeit, die James Goldschmidt i n einem Gutachten zu diesem Rechtsstreit 7 f ü r möglich hält, als unbegründet angesehen hatte: „Die Klage ist jedoch deshalb prozessual nicht gerechtfertigt, w e ü die Geltendmachung des Anspruchs i n 5 Teilklagen in unlauterer Weise die Erschleichung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit bezweckte u n d ein Rechtsschutzbedürfnis f ü r die Erhebung dieser Teilklagen vor dem Amtsgericht nicht gegeben i s t . . . Die Klage ist aus prozessualen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt, so daß eine Entscheidung i n der Sache selbst nicht ergehen konnte 8 ." C h a r a k t e r i s t i s c h f ü r diese B e i s p i e l e ist, daß d i e v o m K l ä g e r e r s t r e b t e staatliche ( F a l l a), ö r t l i c h e ( F a l l b) oder sachliche ( F a l l c) Z u s t ä n d i g k e i t nach d e m Wortlaut d e r einschlägigen B e s t i m m u n g e n (§§ 23, 603 I I Z P O , 23 N r . 1 G V G ) gegeben ist. D e n n o c h r e a g i e r t das R e c h t s g e f ü h l i n d e m o b e n A I u n d I I I d a r g e l e g t e n S i n n . Es q u a l i f i z i e r t die geschilderten V e r h a l t e n s w e i s e n als a r g l i s t i g . D i e aufgezeigte K a s u i s t i k g e h ö r t d a m i t z u r P r o b l e m a t i k d e r a r g l i s t i g e n Prozeßpartei.

I I . Lösungsversuche i n Rechtsprechung und Lehre 1. Das R G s t a n d f r ü h e r i n d e r F r a g e d e r a r g l i s t i g e n B e g r ü n d u n g d e r s t a a t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t a u f e i n e m „ f o r m a l e n " S t a n d p u n k t . Es gestatt e t e i n e i n e m U r t e i l aus d e m J a h r e 1886 e d e m K l ä g e r , sich a u f d e n v o n i h m a r g l i s t i g h e r b e i g e f ü h r t e n G e r i c h t s s t a n d des § 23 Z P O z u b e r u f e n 1 0 : „Der f ü r das Privatrecht geltende Grundsatz, daß niemand durch arglistiges Verhalten Rechte erwerben könne, k a n n nicht angerufen werden, u m die Klageerhebung i n einem Gerichtsstande auszuschließen, dessen durch das Prozeßrecht geregelte Voraussetzungen gegeben sind. I n dieser Beziehung greift vielmehr der Grundsatz durch, daß die Bethätigung gesetzlich unter bestimmten Voraussetzungen sanktionierter Schritte niemandem versagt werden darf, w e n n jene gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind." 2. Dieser a m W o r t l a u t h a f t e n d e n A u f f a s s u n g des R G — q u i suo i u r e u t i t u r , n e m i n e m laedit — haben i n der Folgezeit die O L G e m i t u n t e r schiedlichen B e g r ü n d u n g e n d i e Gefolgschaft v e r w e i g e r t . D e n A n f a n g machte das O L G D r e s d e n 1 1 : „Das Berufungsgericht hat aus der ganzen Sachlage die volle richterliche Überzeugung davon geschöpft, daß es der K l ä g e r i n bei Einleitung des V o r • J W 1931, 1766. 7 Siehe dazu Goldschmidt, J W 1931, 1753. 8 Dazu unten V I I , 4. 9 Sein Tatbestand ist leider nicht mitgeteilt. 10 RGZ 16, 391 (393). 11 SeuffArch. 66, Nr. 216.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

Prozesses n u r darum zu t u n gewesen ist, sich durch die Erhebung einer formell nicht gerechtfertigten Klage die Voraussetzungen eines Gerichtsstandes i. S. von § 23 ZPO zu erschleichen. Die K l ä g e r i n ist sich dessen w o h l bewußt gewesen, daß das Amtsgericht f ü r die Vorklage nicht zuständig war, da sich damals zweifellos Vermögen der Beklagten i m Sprengel dieses A m t s gerichts nicht befand. Sie machte also einen Rechtsbehelf geltend, dessen prozessuale Unzulässigkeit i h r genau bekannt war, u n d zwar tat sie das in der Erwartung, daß die Beklagte, die j a den geltend gemachten Anspruch i n Abrede stellte, sich verteidigen u n d durch diese unter allen Umständen erfolgreiche Verteidigung einen Kostenerstattungsanspruch erlangen werde. Diesen Kostenerstattungsanspruch, den die Klägerin durch einen dem Rechte zuwiderlaufenden A n g r i f f auf die Beklagte selbst erst hervorgerufen hatte, gedachte sie dann zur Begründung des durch § 23 ZPO geschaffenen Gerichtsstandes zu verwenden." A u c h das O L G M a r i e n w e r d e r l e h n t e d i e A n s i c h t des R G 1 2 ab. D e n noch b e j a h t e es t r o t z eines d e m B e k l a g t e n i m V o r p r o z e ß auf g e z w u n g e nen Kostenerstattungsanspruchs die inländische Z u s t ä n d i g k e i t 1 3 : „Demnach fragt sich noch, ob ein unbedingter Kostenerstattungsanspruch desselben Ausländers gegen denselben inländischen Kläger aus einem V o r prozeß über denselben Hauptprozeß den Gerichtsstand des § 23 begründet. Dabei ist . . . davon auszugehen, daß einem derartigen Kostenerstattungsanspruch die Eigenschaft des „Vermögens" jedenfalls nicht abgesprochen w e r den kann. Die Frage ist daher zu bejahen, falls der Inländer m i t dem V o r prozeß nicht gerade bezweckt hat, durch die Abweisung jener bewußt bei einem unzuständigen inländischen Gericht angebrachten Klage die Zuständigkeit aus § 23 arglistig herbeizuführen. I n diesem Falle wäre allerdings die Frage zu verneinen, da trotz des öffentlichrechtlichen Charakters des Z i v i l prozeßrechts doch insoweit, als nicht Mußvorschriften entgegenstehen (und das t r i f f t f ü r § 23 nicht zu), auch f ü r die Verfahrens Vorschriften entsprechend dem bürgerlichen Recht der Grundsatz zu gelten hat, daß eine Partei, die arglistig eine prozessual erhebliche Rechtslage herbeigeführt hat, um aus i h r einen bestimmten Rechtsbehelf herzuleiten, diesen demnächst nicht geltend machen darf. Der abweichenden Ansicht des R G (RGZ 16, 393) vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Unstreitig hat aber der Kläger den ersten Prozeß ohne Arglist eingeleitet, so daß es nicht gegen die guten Sitten v e r stößt, w e n n er nunmehr von § 23 Gebrauch macht." 3. D i e b e i d e n O L G - E n t s c h e i d u n g e n sprechen v o n Erschleichung der V o r a u s s e t z u n g e n des Gerichtsstandes des § 23 Z P O oder v o m arglistigen Herbeiführen dieses Gerichtsstandes. E i n e zuverlässige E n t s c h e i d u n g s g r u n d l a g e i s t d a m i t aber n i c h t g e w o n n e n . D i e z i t i e r t e n U r t e i l e w i s s e n k e i n e N o r m f ü r i h r e M e i n u n g z u nennen. Es h a t d e n Anschein, als habe m a n d e m G e r e c h t i g k e i t s g e f ü h l f r e i e n L a u f gelassen. D e n n w a n n d i e V o r a u s s e t z u n g e n e i n e r V o r s c h r i f t zulässig h e r b e i g e f ü h r t u n d w a n n sie erschlichen oder arglistig geschaffen sind, w i r d n i c h t gesagt. N u r negat i v w i r d abgegrenzt: nach A u f f a s s u n g d e r z i t i e r t e n E n t s c h e i d u n g e n k a n n v o n Erschleichen oder A r g l i s t j e d e n f a l l s d a n n k e i n e Rede sein, 12 13

RGZ 16, 391. OLGRspr. 35, 72 (73).

I I . Lösungsversuche i n Rechtsprechung u n d Lehre

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w e n n d e r K l ä g e r d e n V o r p r o z e ß n i c h t z u m Z w e c k e d e r Gerichtsstandsb e g r ü n d u n g , s o n d e r n arglos v o r d e m u n z u s t ä n d i g e n G e r i c h t f ü h r t e . 4. D i e Rechtsprechung b e h a n d e l t F ä l l e d e r o b e n I l i t . a—c geschildert e n A r t aber n i c h t n u r m i t d e m A r g l i s t a r g u m e n t 1 4 . Recht k o n t r o v e r s e B e g r ü n d u n g e n w e r d e n g e w ä h l t . Es zeigt sich d i e o b e n A I I I , 2 beschriebene Erscheinung, daß ohne k o n k r e t i s i e r t e G e n e r a l k l a u s e l n e g a t i v e W e r t u r t e i l e , w i e s i t t e n w i d r i g , a r g l i s t i g , u n l a u t e r usw., b e l i e b i g austauschbar sind. So w e r d e n d i e F ä l l e „ a r g l i s t i g e r " B e g r ü n d u n g e i n e r prozessual e r h e b l i c h e n S i t u a t i o n auch als M i ß b r a u c h g e k e n n z e i c h n e t 1 5 . M a n n i m m t ferner Zuflucht zu anderen Blankettbegriffen, w i e U n l a u t e r k e i t u n d Rechtsschutzbedürfnis 1 ®, oder v e r f ä l l t a u f d e n A u s w e g , das eine g ü n s t i g e prozessuale S i t u a t i o n schaffende Rechtsgeschäft als u n zulässig 1 7 , s i t t e n w i d r i g 1 8 oder i n u n k l a r e r Weise eine d i e B e f u g n i s schaffende K l a g e als n i c h t g e w o l l t 1 0 oder n i c h t e r n s t h a f t 2 0 a b z u w e r t e n . 5. N e u e u n d w e g e n des E r k e n n e n s d e r A u s l e g u n g s p r o b l e m a t i k t r a g f ä h i g e A r g u m e n t e b r a c h t e eine E n t s c h e i d u n g des O L G D a r m s t a d t 2 1 : „Die objektiven Voraussetzungen der Zuständigkeit des L G Darmstadt, die an sich nicht gegeben war, hat der Kläger durch die Vorklage bei dem unzuständigen A G Darmstadt erst künstlich geschaffen. Würden die Gerichte ein solches Verfahren zulassen u n d billigen, dann wäre dem Kläger die M ö g lichkeit gegeben, sich ein beliebiges deutsches Gericht f ü r die Entscheidung des Rechtsstreits auszuwählen, einerlei, ob der Beklagte i m I n l a n d Vermögen besitzt oder nicht. Denn w e n n er an einem oder an verschiedenen deutschen Orten Vermögen besitzt, so wäre der Kläger, selbst w e n n er dies wüßte, nicht gehalten, eines dieser nach § 23 ZPO zuständigen Gerichte anzurufen, sondern er könnte dann den Schuldner zwingen, sein Recht v o r jedem deutschen Gericht zu nehmen, das dem Kläger erwünscht ist. Der Schuldner hätte dann n u r die Wahl, entweder sich auf die Vorklage sachlich einzulassen oder aber die Abweisung wegen Unzuständigkeit zu beantragen u n d gerade hierdurch die Zuständigkeit f ü r den Anspruch w i d e r seinen W i l len herbeizuführen. Eine dritte Möglichkeit gäbe es f ü r i h n nicht. 14 Es ist indes w o h l am häufigsten anzutreffen. Vgl. dazu O L G Marienwerder OLGRspr. 35, 72 (73); L G Hamburg GRUR 1951, 39; L G Düsseldorf GRUR 1951, 519; L G Düsseldorf GRUR 1950, 381. 15 B A G A P Nr. 2 zu § 242 B G B (Prozeßverwirkung). Dazu unten D F N 182. 16 L G B e r l i n J W 1931, 1766. 17 O L G Stuttgart H R R 1930 Nr. 351. 18 RGZ 81, 175. 19 RGZ 51, 176. 20 O L G Darmstadt J W 1929, 121 (Leitsatz). Siehe sogleich F N 21. 21 J W 1929, 121 m i t zust. A n m . von Lemberg. Auch der i n J W 1929, 121 abgedruckte Leitsatz ist von Bedeutung: „Die Zuständigkeit k a n n auf § 23 ZPO nicht gestützt werden, w e n n der Kläger durch eine gar nicht ernsthafte, sondern n u r zum Zwecke der Begründung der Zuständigkeit erhobene Klage die Zuständigkeit geschaffen hat". Das Abstellen auf die Nichternstlichkeit ist ein beliebtes Argument der Rspr. i m Bereich der Mißbrauchstatbestände. Näheres dazu unten G V I , 1 c.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

Daß das Gesetz einen solchen Erfolg nicht will, daß ein solches Ergebnis gegen Sinn und Geist der Bestimmungen der ZPO über den Gerichtsstand verstößt, liegt auf der Hand. Deshalb vermag sich der Senat der Entscheidung R G 16, 391 nicht anzuschließen, das das Vorliegen der objektiven V o r aussetzungen des § 23 ZPO f ü r allein maßgebend hält."

Das OLG Darmstadt verwendete somit Auslegungskategorien, es löste das Problem arglistiger Schaffung prozessual erheblicher Rechtslagen m i t Hilfe der Gesetzesauslegung. Die übliche Arglistargumentation lehnte es ausdrücklich ab: „Es ist auch belanglos, u n d braucht nicht erörtert zu werden, ob das V o r gehen des Klägers arglistig u n d ob der E i n w a n d der A r g l i s t prozessualen Handlungen gegenüber zulässig u n d nicht auf das materielle Recht beschränkt ist."

Der so eingeschlagene Weg ist grundsätzlich richtig, wie unten I I I ff. zu zeigen ist. 6. Die Literatur des Zivilprozeßrechts versuchte die dargestellten Fälle der Gerichtsstandserschieichung m i t § 162 I I BGB zu lösen 22 . Seine analoge Anwendung auf die Herbeiführung der Voraussetzungen einer günstigen Norm liegt nahe, führt aber nicht weiter. Denn § 162 I I BGB beantwortet nicht die Frage, wann die Herbeiführung der Bedingung oder der günstigen Norm gegen Treu und Glauben verstößt. Man bleibt i m Ungewissen der gemeinrechtlichen exceptio doli praeteriti. Allerdings ist § 162 I I BGB von gewissem Wert. Denn nicht (allein) vorsätzliches Herbeiführen der Bedingung bewirkt die Fiktion ihres Nichteintritts, sondern gegen Treu und Glauben verstoßendes Herbeiführen. Verspricht etwa ein Vater seinem Sohn ein Auto, wenn dieser Primus wird, so führt der Sohn die Bedingung sicher nicht gegen Treu und Glauben oder arglistig herbei, wenn er das Ziel m i t Fleiß, also vorsätzlich, erreicht. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben w i r d erst dann vorliegen, wenn er seine Mitschüler veranlaßt, i h n an die Spitze zu lassen 23 . I n den oben genannten Entscheidungen zu § 23 ZPO genügt daher — wenn man sie unter dem Gesichtspunkt des § 162 I I BGB sieht — zur Feststellung des arglistigen Verhaltens nicht, daß der K l ä ger den Vorprozeß zum Zwecke der Gerichtsstandsbegründung geführt hat. Die Arglist muß aus anderen Kriterien hergeleitet werden. 22

Hellwig, System des deutschen Zivilprozeßrechts, T e i l I, 1912, S. 458ff.; ders., S. 118 zu Note 7; Goldschmidt, aaO, S. 477ff.; Schiedermair, Das A n wendungsgebiet des § 162 BGB, 1929, S. 91 ff.; Beltz, aaO, S. 31 ff.; a. A . Novak , aaO, 342, 343. 23 Statt von Arglist zu reden u n d deshalb den Bedingungseintritt zu v e r neinen, kann m a n w o h l m i t gleicher Berechtigung durch eine Auslegung der Willenserklärung des Vaters nach § 157 B G B zum selben Ergebnis kommen. D a m i t rückt der f ü r die hier untersuchte Fallgruppe maßgebende Gesichtsp u n k t der (Gesetzes-) Auslegung ins Blickfeld.

III. Die Gesetzesumgehung

57

I I I . Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen als Problem der Gesetzesumgehung 1. Die Problematik arglistiger Schaffung prozessualer Rechtslagen läßt sich mit dem OLG Darmstadt 2 4 als solche der Gesetzesauslegung behandeln. Es fragt sich aber, ob das Schaffen einer prozessualen Rechtslage, das sich — wie w i r sehen werden — als Herbeiführen oder Vermeiden des Wortlauts einer Norm darstellt, i n der Tat ein Problem der Gesetzesauslegung ist. Man pflegt nämlich die auf Normvermeidung oder Normherbeiführung gerichtete A k t i v i t ä t als Gesetzesumgehung, als i n fraudem legis agere 25 , zu bezeichnen. Über den Begriff der Gesetzesumgehung besteht ebenso wie über ihr Verhältnis zur Auslegung und zum Rechtsmißbrauch Unklarheit. Das zwingt zur Stellungnahme 26 . 2. Als Ergebnis läßt sich vorwegnehmen, daß die Fälle arglistigen Schaffens prozessualer Rechtslagen eine Gesetzesumgehung darstellen, die sich auf bestimmte Operationen innerhalb der Gesetzesinterpretation zurückführen läßt. Teleologische Reduktion und Analogie führen i n der Regel zu vernünftigen, methodisch nachprüfbaren Ergebnissen. Die dargestellte und noch zu behandelnde 27 , blankettfüllende Kasuistik „arglistigen Schaffens prozessualer Rechtslagen" ist trotz ihrer durch Auslegung geprägten Eigenart ein Beitrag zur Konkretisierung der aufgestellten Klausel. Sie präzisiert diese i n gleicher Weise, wie Fälle des Normenmißbrauchs den vergleichbaren § 242 BGB 2 8 . 3. I m geltenden deutschen Recht gibt es keine allgemeine Normierung des Umgehungsverbots 29 . Das Gesetz hat jedoch einzelne Fälle der Ge24

J W 1929, 121; siehe oben I I , 5. Paulus D 1,3,29: contra legem facit, q u i i d facit, quod lex prohibet, i n fraudem vero, q u i salvis verbis legis sententiam eius circumvenit. Ulpian D 1,3,30: Fraus enim legi fit, u b i quod fieri noluit, fieri autem non vetuit, i d fit, et quod distat ρητον απο διανοίας hoc distat fraus ab eo, quod contra legem fit. Wenn Esser (Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 146/147) meint, i n innerstaatlichen Ordnungen sei das Verbot des agere i n fraudem legis heutigentags ein barer Truismus, so mag dieser Satz f ü r das Zivilrecht dort, wo die F o r m keine große Rolle spielt, Gültigkeit haben. I m Prozeßrecht aber, wo die rechtliche Form weitgehend den Rechtsinhalt verkörpert (vgl. dazu Baur, Richtermacht u n d Formalismus i m Verfahrensrecht, S u m m u m ius summa iniuria, 1963, S. 97 ff.), ist es anders. Hier ist das Verbot des agere i n fraudem legis keine Banalität, sondern, w i e zu zeigen sein w i r d , oft exerziertes Gedankengut der Rechtsprechung zur Vermeidung „innerstaatlicher Wildwestgebräuche". 26 Unten IV—VI. 27 Dazu unten V I I . 28 Dazu unten V I I I . 29 Den Vorschlag von Bahr, dem heutigen § 134 B G B folgenden Zusatz hinzuzufügen: „Einem verbotenen Rechtsgeschäft ist auch ein solches Geschäft gleichzuachten, das i n anderer Rechtsform den nämlichen Zweck er25

D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

58

setzesumgehung geregelt, etwa i n §§ 6 AbzG, 75 d HGB, 38 II, 2 GWB, 157 I, 2 ZPO, 6 StAnpG, 49 I I MschG und 5 GüKG. 4. Die Gesetzesumgehung t r i t t i n zwei Formen auf. Entweder verhindert jemand den E i n t r i t t der tatbestandlichen Voraussetzungen einer belastenden Norm (Steuertatbestand, Bestimmungen des AbzG oder des MschG), oder er führt den Tatbestand einer begünstigenden Norm herbei. I m ersten Fall spricht man von Tatbestandsvermeidung, i m zweiten von Tatbestandserschieichung 30 oder „Aufsichziehen eines Rechtssatzes" 31 . Die Gesetzesumgehung erfordert nach alledem ein auf Herbeiführen oder Vermeiden einer Norm gerichtetes Handeln 3 2 .

I V . Gesetzesumgehung als Auslegungsproblem 1. Charakteristisch für die Gesetzesumgehung ist, daß Herbeiführen und Vermeiden gegen Sinn und Zweck des Gesetzes verstoßen. Die Frage nach der Gesetzesumgehung ist damit eine solche nach der Auslegung der vermiedenen oder herbeigeführten Norm 3 3 . Ihrem Wortlaut nach ist die vermiedene Norm nicht anwendbar, die erschlichene ist es. Ihrem Zweck nach sollte jedoch gleichwohl die vermiedene Norm anwendbar und die erschlichene nicht anwendbar sein. Bei der Tatbestandsvermeidung handelt es sich also darum, ob der Anwendungsbereichen w i l l , dem das gesetzliche Verbot des erstgenannten Geschäfts entgegentritt", lehnte die Kommission für die zweite Lesung ab. Das i n fraudem legis agere sei ein Auslegungsproblem u n d m a n wolle nicht i n die Auslegungsfreiheit des Richters eingreifen u n d diesem eine Direktive erteilen (Prot. I, S. 123). Aus dieser ablehnenden H a l t u n g des Gesetzgebers ist daher nicht zu schließen, daß man Fälle der Gesetzesumgehung sanktionslos lassen oder etwa m i t § 162 B G B erfassen wollte. G r u n d f ü r die Ablehnung mag die Scheu gewesen sein, eine Bestimmung durch Gesetz zu formulieren, die m a n begrifflich noch nicht k l a r zu erfassen vermochte (Römer, aaO, S. 13). 30

Römer, aaO, S. 34.

31

Maday, Die sogenannte Gesetzesumgehung, insbesondere i m Schweizerischen Obligationenrecht, 1941, S. 48; Vetsch, Die Umgehung des Gesetzes, 1917, S. 231. 32 Z u r Finalität des Handelns siehe unten V I . 33

M a n v e r t r i t t zum T e i l die Unselbständigkeit der Gesetzesumgehung i m Rahmen der Auslegungsproblematik. So Crome , System des deutschen b ü r gerlichen Rechts, Bd. I, 1900, S. 70ff.; Würdinger, Besprechung von Ligéropoulo, L e problèm de la fraude à la loi, KrVSchr. 62, S. 267 (273 ff.); v. Tuhr, Der Allgemeine T e i l des Bürgerlichen Rechts, Bd. I I , 2 S. 7; Staudinger-Coing, B G B 11. Aufl., 1957, § 117 A n m . 21; Siebert-Hefermehl, B G B 9. A u f l . 1959, § 134 A n m . 33; Kühn, § 6 S t A n p G A n m . 5. E i n anderer T e i l der Lehre gibt der Gesetzesumgehung auf dem Boden der Auslegung eine selbständigere Stellung: Enneccerus-Nipperdey, Allgem. T e i l 15. Aufl. 1960, § 190 I I I ; Maday, aaO, S. 28 ff.; Vetsch, aaO, S. 220; weit. Nachw. bei Teichmann, aaO, S. 12 Anm. 63.

IV. Gesetzesumgehung als Auslegungsproblem

59

reich der Norm so weit ausgedehnt werden kann, daß er den unter den Normwortlaut nicht subsumiblen Sachverhalt noch erfaßt 34 . Bei der Tatbestandserschieichung ist entscheidend, ob der Anwendungsbereich des erschlichenen Rechtssatzes soweit eingeschränkt werden kann, daß der „scheinbar" die günstige Norm erfüllende Sachverhalt nicht mehr von ihr gedeckt ist 3 5 . 2. A u f die Methode der Gesetzesauslegung i m allgemeinen ist nicht näher einzugehen 36 . Für das Prozeßrecht ergeben sich keine besonderen, für andere Rechtsgebiete nicht gültigen Auslegungsmaßstäbe 37 . Es genügt, die speziellen Interpretationsmethoden bei Tatbestandserschleichung und -Vermeidung darzulegen. Zunächst ist die Wortbedeutung der fraglichen Norm m i t den üblichen Auslegungskriterien 38 zu ermitteln. Es kann sich ergeben, daß demnach der begünstigende Rechtssatz anzuwenden ist, der belastende nicht. Bleibt nach dieser Wortinterpretation ein Bedürfnis für eine Regelung bestehen, die das ausgelegte Gesetz nicht getroffen hat, so erhebt sich die Frage nach einer Gesetzeslücke. Die A n t w o r t beruht auf einer Wertund Willensentscheidung, die freilich am Plan des Gesetzes orientiert sein soll 3 9 , und nicht auf einer formallogischen Feststellung 40 . Lückenfeststellung und Lückenfüllung i m Wege der Rechtsfortbildung 41 sind bei Tatbestandserschieichung und Tatbestandsvermeidung verschieden geartet. a) Bei der Tatbestandserschleichung, also bei Vorliegen eines günstigen Rechtssatzes, ist eine Lücke gegeben, wenn das Gesetz Fälle umfaßt, die der Gesetzgeber nicht so geregelt hätte, wenn sie i h m bekannt gewesen wären 4 2 . Er hat es unterlassen, einer allgemein gehaltenen Norm für bestimmte Fälle Einschränkungen hinzuzufügen. Man spricht 34

So ist zu fragen, ob ζ. B. das AbzG auch dann anwendbar ist, wenn die Parteien keinen Ratenkauf geschlossen haben, sondern einen M i e t - oder Pachtvertrag. 85 So ist zu fragen, ob z. B. § 23 ZPO auch dann anwendbar sein soll, w e n n das inländische Vermögen des Ausländers n u r einen Kostenerstattungsanspruch aus einem Vorprozeß gegen den Kläger darstellt. 86 Es k a n n auf die umfangreiche Spezialliteratur verwiesen werden. Vgl. dazu die Nachweise bei Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 51 FN. 1. 87 Vgl. dazu Stein-Jonas-Pohle, ZPO 19. Aufl., Einl. M. 38 Vgl. dazu Larenz, aaO, S. 233 ff.; insbesondere 258; Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 56; Bartholomeyczik, aaO, S. 36 ff. 39 Engisch, Einführung, aaO, S. 138, spricht von planwidriger Unvollständigkeit. 40 Esser, Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 252 F N 56; Larenz, aaO, S. 282, 283. 41 Terminologie von Larenz, aaO, S. 273 ff. 42 Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 58 I 4 u n d § 59; Larenz, aaO, S. 283.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

hier v o n verdeckten Lücken* 3, „ w e i l eine positive Regel, unter die der Sachverhalt fällt, vorhanden ist, aber eine zu erwartende Einschränk u n g f e h l t " 4 4 . Die Lückenfüllung erfolgt i n diesen Fällen „durch Hinzufügung der sinngemäß geforderten Einschränkung" 4 5 . M a n nennt diese Operation teleologische Reduktion (Larenz) 4* oder Restriktion 4 7 . Der Umstand, daß bei der Tatbestandserschieichung Einschränkungen einer zu w e i t gefaßten N o r m oder Ausnahmen von i h r erforderlich sind, k n ü p f t die Verbindung zur exceptio doli. D a m i t berührt man wieder die Arglistproblematik und die konkretisierungsbedürftige Generalklausel des honeste procedere 48 . Brenner 49 hat dargelegt, daß hinter der Einrede der A r g l i s t sich i n Wahrheit meist eine verschleierte Rechtsfortbildung verbirgt. Diese Auffassung setzt sich i n der L i t e r a t u r immer mehr durch 5 0 . Sie weist gegenüber der klassischen S t r u k t u r der exceptio doli Vorteile auf. M i t der Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion f ä l l t nämlich die Einredestruktur der „exceptio" doli zugunsten einer Prüfung von A m t s wegen. Außerdem zwingt die Rechtsfortbildung zur Einhaltung einer Methode. Allerdings beruhen beide Wege der N o r m restriktion, Rechtsfortbildung und Gewährung einer exceptio doli, nicht auf formallogischen Erkenntnisakten, sondern auf einer Willens- u n d Wertentscheidung. Aber Rechtsfortbildung statt exceptio doli bietet eine nachprüfbare Methode und bessere Garantien f ü r eine sorgfältige I n teressenabwägung anhand der gesetzlichen Systematik. b) H a t man die Lücke einer belastenden N o r m festgestellt, liegt also eine Tatbestandsvermeidung vor, so ist Lückenfüllung mittels Analogie zu erwägen. Die analoge Anwendung des Rechtssatzes vermag dann die fragliche Umgehung zu erfassen und der Rechtsfolge der umgangenen N o r m zu unterwerfen. So ist z.B. zu fragen, ob § 110 ZPO lückenhaft ist, w e i l er n u r Ausländer m i t der Kautionsleistung belastet, nicht aber den inländischen Prozeßführungsermächtigten. Die weitere Frage ist 48

Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, aaO, S.62; Larenz, aaO, S.284; Canaris , Die Feststellung von Lücken i m Gesetz, 1964, S. 137. 44 Larenz, aaO, S. 284. 45 Larenz, aaO, S. 296; ders., N J W 1965, 1 (5). 46 Nach Canaris , aaO, S. 82 ff., 151, ist die teleologische Reduktion zugleich M i t t e l der Lückenfeststellung. Zustimmend auch Larenz, N J W 1965, 1 (5). 47 Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 59 I I . 48 Vgl. oben A I I . 49 Die exceptio doli generalis i n den Entscheidungen des Reichsgerichts, Diss. Frankfurt/M., 1926. 50 Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 59 FN. 9; Soergel-Siebert, BGB, aaO, § 242 Anm. 150 für die zweck- u n d funktionswidrige Rechtsausübung beim institutionellen Rechtsmißbrauch; Gernhub er, Festschrift für Schmidt-Rimpler, aaO, für die Einrede der Arglist gegenüber der Berufung auf einen F o r m mangel.

I V . Gesetzesumgehung als Auslegungsproblem

61

d a n n d i e d e r a n a l o g e n A n w e n d u n g des § 110 Z P O a u f diesen n i c h t geregelten Fall51. F ü r d i e v o r l i e g e n d e U n t e r s u c h u n g , d i e sich i m w e s e n t l i c h e n m i t F ä l l e n d e r Tatbestandserschieichung befassen w i r d , g e n ü g e n diese F e s t stellungen52. 3. D i e B e h a n d l u n g d e r Gesetzesumgehung l ä ß t sich also a u f b e stimmte Operationen innerhalb der Rechtsfortbildung zurückführen. D a r a u s ergeben sich w e i t e r e F r a g e n . Z u n ä c h s t ist z u e r ö r t e r n , ob u n d w i e sich d e r i n s t i t u t i o n e l l e Rechtsmißbrauch, d e r g l e i c h f a l l s d u r c h d i e Gesetzesauslegung gekennzeichnet ist, v o n d e r Gesetzesumgehung scheid e n l ä ß t 5 3 . S o d a n n w i r d g e p r ü f t 5 4 , ob T a t b e s t a n d s v e r m e i d u n g u n d T a t bestandserschleichung v o n e i n e r U m g e h u n g s a b s i c h t g e t r a g e n sein m ü s sen u n d s o m i t e i n M e r k m a l a u f w e i s e n , das d i e Gesetzesumgehung gegenüber d e r Gesetzesauslegung z u e i n e m selbständigen, m i t A u s l e g u n g s k a t e g o r i e n n i c h t v ö l l i g e r f a ß b a r e n I n s t i t u t macht. A n s c h l i e ß e n d k a n n d e r B e g r i f f d e r Gesetzesumgehung f o r m u l i e r t u n d seine B r a u c h barkeit i m Zivilprozeßrecht untersucht werden 55.

51 Tatbestandsvermeidung u n d Tatbestandserschieichung verlangen also verschiedene Operationen (Analogie oder teleologische Reduktion). Daher sind diese beiden Formen der Gesetzesumgehung zu trennen. I n der L i t e r a t u r (Vetsch, aaO, S. 233; ähnlich auch Kegel, Internationales Privatrecht, 2. A u f l . 1964, S. 168) w i r d indes die Ansicht vertreten, daß jedes Erschleichen eines begünstigenden Rechtssatzes zugleich die Vermeidung einer nachteiligen meist nicht ausdrücklich formulierten N o r m sei (Kegel, aaO, spricht von einem Komplement des erschlichenen Rechtssatzes). So läßt sich sagen, daß i n den oben I I angeführten Beispielen § 23 ZPO erschlichen, zugleich aber auch jener durch Umkehrung zu gewinnende Rechtssatz vermieden werde, daß ein ausländischer Schuldner, der k e i n Vermögen i m I n l a n d hat, i n seiner Heimat zu verklagen sei (Für eine Trennung von Tatbestandsvermeidung u n d Tatbestandserschieichung dagegen Römer, aaO, S. 35; Teichmann, aaO, S. 48). Da aber die Gesetzesumgehung — w i e dargelegt — ein spezifisches Problem der Gesetzesauslegung ist, sind Tatbestandserschieichung u n d T a t bestandsvermeidung zu trennen. Stellte m a n nämlich i m Sinne Vetschs u n d Kegels bei der Tatbestandserschieichung auf die umgangene komplementäre, nicht positivierte N o r m ab, so ist ihre analoge Anwendung zu erwägen. Dieses Verfahren hat Nachteile, w e i l m a n es statt m i t teleologischer Reduktion einer existenten begünstigenden N o r m n u n m i t analoger Anwendung einer erst zu schaffenden belastenden N o r m zu t u n hat. I n seltenen Fällen (vgl. dazu unten V I I , 4 die Zerlegung eines zur Zuständigkeit der Landgerichte gehörenden Klageanspruchs i n mehrere, die amtsgerichtliche Zuständigkeit begründende Teilklagen) können aber auch umgangene ungünstige u n d erschlichene günstige N o r m gesetztes Recht sein (§§ 23 Nr. 1 u n d 71 I GVG). 52 Es mag hier auf die Untersuchung von Teichmann, aaO, verwiesen w e r den, der Fälle der Tatbestandsvermeidung mittels analoger Anwendung der umgangenen N o r m eingehend behandelt. 53

U n t e n V.

54

Unten V I .

55

Unten V I I .

62

D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen V. Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch

1. Von der französischen Lehre her hat sich die Ansicht durchgesetzt, Rechtsmißbrauch sei nur scheinbare Ausübung eines Rechts. I n Wahrheit liege Überschreitung der vom Wortlaut der Norm gewährten Befugnis vor 5 6 . Le droit cesse où l'abus commence 57 . Auch beim Institutsmißbrauch handelt es sich i m K e r n um ein Problem der Rechtsfortbildung mittels teleologischer Reduktion. Man fragt auch hier, ob ein Verhalten, das sich i m Einklang m i t dem Wortlaut einer Norm befindet, dennoch gegen ihren Zweck verstößt. I n der deutschen Literatur hat dieser Gedanke Anhänger gefunden. Esser 58 unterscheidet Rechtsmißbrauch i m individuellen und institutionellen Sinn. Nach i h m liegt Mißbrauch i m individuellen Sinn vor, wenn der Rechtsausübende gegenüber seinem Partner das Treue- oder Sittengebot verletzt (ζ. B. venire contra factum proprium, Verwirkung usw.). Von institutionellem Rechtsmißbrauch spricht man 5 0 , wenn eine Norm oder ein Institut zweck- oder funktionswidrig verwendet w i r d 6 0 . Es sind also Auslegungskategorien maßgebend. 2. Da sich Mißbrauch i m institutionellen Sinn und Gesetzesumgehung auf die Gesetzesauslegung zurückführen lassen, taucht die Frage der Trennbarkeit beider auf. Läßt sich das arglistige Schaffen prozessualer Befugnisse als eine vom Mißbrauch 6 1 abgrenzbare Gruppe prozessualer Arglist behandeln? Die Frage ist zu bejahen. Gesetzesumgehung und Mißbrauch sind zwar verwandt, aber, wie darzulegen ist, allein trennbar durch das Merkmal der Umgehungshandlung 62 . 58

Unten G I I I . Ripert-Boulanger, Traité élémentaire I , aaO, S. 160. 58 Schuldrecht, aaO, § 34, 6 u n d 7. 59 Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 6; Wieacker, Z u r rechtstheoretischen P r ä zisierung des § 242, 1956, S. 34ff.; Soergel-Siebert, aaO, Bern. 12 vor § 226; Serick, Rechtsform u n d Realität juristischer Personen, 1955, S. 23 A n m . 4. Näheres dazu u. G I I I . 60 Z u nennen sind etwa die Fälle des dolo petit, q u i petit, quod statim redditurus esset u n d der UnVerhältnismäßigkeit von Rechtsausübung u n d Rechtsfolge usw. Gernhuber (Festschrift f ü r Schmidt-Rimpler, aaO, S. 155 ff.) w i l l auf den Begriff des institutionellen Rechtsmißbrauchs verzichten, da es sich dabei u m nichts anderes als Auslegung handele (dagegen Soergel-Siebert, § 242 A n m . 113). Da aber Rechtsmißbrauch, auch i m institutionellen Sinne, ein fest eingebürgertes I n s t i t u t ist, sollte man es auch weiter i n diesem Zusammenhang verwenden. Seiner Rückführbarkeit auf die Gesetzesauslegung sollte m a n sich aber stets bewußt bleiben. 61 Näheres dazu unten G. 62 Bei der Verwandtschaft der beiden Institute ist es nicht verwunderlich, w e n n die Gerichte bisweilen von Rechtsmißbrauch reden, w e n n der Umgehungstatbestand zur Debatte stehen sollte. So p r ü f t z. B. das K G (JZ 1951, 508) unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs, ob ein Minderjähriger, der 57

V. Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch

63

3. Eine Trennung von Rechtsmißbrauch und Gesetzesumgehung könnte jedoch auch möglich sein, wenn ihnen jeweils ein verschiedener Begriff des Normenmißbrauchs zugrunde läge. Das ist jedoch nicht der Fall. a) Beim institutionellen Rechtsmißbrauch w i r d die zweck- oder funktionswidrig ausgeübte Norm mißbraucht. So liegt ζ. B. Mißbrauch des § 620 ZPO vor, wenn der Aussetzungsantrag nicht zum Zwecke der Aussöhnung gestellt wird, sondern u m die Gegenpartei zu höheren Unterhaltsleistungen zu zwingen 6 3 . b) Bei der Gesetzesumgehung nehmen, ausgehend von § 6 StAnpG, der von Umgehung belastender Tatbestände durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten spricht, manche Autoren 6 4 einen Mißbrauch der sog. Umgehungsnorm an. Das ist diejenige Norm oder Gestaltungsmöglichkeit, m i t deren Hilfe der Umgehende die Voraussetzungen der umgangenen Norm vermeidet oder der erschlichenen Norm herbeiführt. So vermeidet er z.B. m i t Hilfe des Abschlusses eines Mietvertrages Bestimmungen des AbzG oder führt durch eine Zession des Klageanspruchs an einen Mittellosen die Voraussetzungen für die Armenrechtsgewährung herbei. Mißbraucht würde hier die Privatautonomie, welche „formal" die Möglichkeit bietet, einen Mietvertrag zu Zwecken abzuschließen, die der rechtspolitischen Zielsetzung des AbzG zuwiderlaufen (vgl. § 6 AbzG). Mißbraucht würde i m Fall der Armenrechtserschleichung das Institut der Abtretung. So sagt Römer 6 5 , daß der Gesetzesumgeher anerkannte. Gestaltungsmöglichkeiten gebrauche, sie aber zu Zwecken mißbrauche, zu denen sie normalerweise nicht geschaffen seien. Wäre diese Ansicht richtig, so ließe der Mißbrauchsbegriff eine Trennung von Rechtsmißbrauch und Gesetzesumgehung zu. Beim Rechtsmißbrauch würde die Norm mißbraucht, welche ihrem Wortlaut nach die fragliche Befugnis verleiht. Die Gesetzesumgehung wäre dagegen gekennzeichnet durch Mißbrauch der Norm oder Gestaltungsmöglichkeit, m i t deren Hilfe der Gesetzesumgeher die Voraussetzungen einer Norm wenigstens ihrem Wortlaut gemäß herbeiführt oder vermeidet. sich i n die Ostzone begeben hat u n d dort nach dem Gesetz der DDR v o m 17. 5.1950 m i t 18 Jahren v o l l j ä h r i g ist, auch i n der Bundesrepublik Deutschland als v o l l j ä h r i g anzusehen ist, w e n n er sich vorübergehend oder gerade zum Zwecke der Volljährigkeitserlangung i n die Ostzone begeben hat. Eine Vermengung beider Institute auch bei RGZ 100, 210. 68 Näheres dazu u. G V I , 2. 84 Römer, aaO, S. 41; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht u n d prozessuales Fremdenrecht, 1949, S. 331; Serick, aaO, S. 18, 23, 24 u n d auch das B A G (BAGE 10, 65). 05 aaO, S. 28, 54 ff.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

4 a) Diese Ansicht ist jedoch nicht haltbar. Eine isolierte Ermittlung der zweckwidrigen Verwendung und damit des Mißbrauchs der Umgehungsnorm ist nicht möglich. Andernfalls müßte sich feststellen lassen, das „Gestaltungsmittel" der Abtretung werde funktionswidrig verwendet und mißbraucht, wenn es dazu dienen soll, einem Beistand das Auftreten i n der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen (§ 157 ZPO), einer reichen Partei das Prozessieren i m Armenrecht zu gestatten 66 oder einem ausländischen Kläger die Sicherheitsleistung wegen der Prozeßkosten gem. § 110 ZPO zu ersparen 67 . Zweckentfremdung und damit Mißbrauch lassen sich indes so nicht ermitteln. Die Abtretung ist, wie die meisten Institute des Privatrechts, zweckneutral und dient schlicht der Übertragung von Forderungen. Das ist, wenn man so w i l l , ihr rechtspolitischer Zweck. Aus dem Institut der Abtretung ergibt sich nicht, daß die Forderungsübertragung nur bestimmten Zwecken dienen soll. Die Abtretungsmöglichkeit, das ist die sog. Umgehungsnorm, läßt allein nicht erkennen, ob sie zweckentfremdet und daher mißbräuchlich ausgeübt wird, wenn die Zession nicht zur Erfüllung einer Verbindlichkeit oder zu einem anderen der unzähligen Parteizwecke erfolgt, sondern u m die Voraussetzungen der §§ 110, 114 ZPO herbeizuführen. Z u fragen ist vielmehr, ob der Tatbestand der erwünschten Norm auf diese Weise verwirklicht oder der Tatbestand der zu vermeidenden Norm auf diese Weise vermieden werden kann. Es handelt sich also nicht u m Zweckermittlung der zur Umgehung verwendeten Normen oder Gestaltungsmöglichkeiten (Abtretung, Klage vor dem unzuständigen Gericht i m Falle des § 23 ZPO usw.). Maßgebend ist der Mißbrauch der vermiedenen oder erschlichenen Norm 6 8 . b) Nicht nur die Unmöglichkeit einer isolierten Zweckermittlung der Umgehungsnorm spricht gegen die Ansicht, die einen Mißbrauch dieser Norm annimmt. Auch die Folgen dieser Meinung sind unhaltbar. Ein Mißbrauch der Umgehungsnorm würde dazu führen, daß man die fragliche mißbräuchliche „Gestaltung" den Rechtsfolgen des Mißbrauchs unterwerfen müßte. Dem Ausübenden wäre also das Recht zur „Gestaltung" abzusprechen. Eine Abtretung zur Umgehung der Armenrechtsvorschriften oder des § 110 ZPO wäre unwirksam. Diese Konsequenz w i r d zwar bisweilen gezogen 69 . Erforderlich ist die Nichtigkeit des Umββ

O L G Neustadt ZZP 69, 402; RGZ 81, 175. O L G Naumburg Z Z P 52, 74. 68 Vgl. auch Balfanz-v. Tegelen, Güterkraftverkehrsgesetz, 1966, § 5 A n m . 1, die von einer Zweckermittlung der umgangenen N o r m ausgehen. e ® Die Rspr. h ä l t nicht selten diejenigen Rechtsgeschäfte, die zur Umgehung benutzt werden, wegen Verstoßes gegen § 134 B G B f ü r nichtig. Das mag der G r u n d dafür sein, daß man häufig die Gesetzesumgehung i n der L i t e r a t u r i m Rahmen des § 134 B G B behandelt (Soergel-Siebert-Hefermehl, BGB, aaO, § 134 Anm. 33; Palandt-Danckelmann, BGB, aaO, § 134 A n m . 4; Krüger-Nie87

V. Gesetzesumgehung und

echtsmißbrauch

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gehungsgeschäftes indes nicht. Es genügt, bei der Tatbestandsvermeidung die umgangene Norm analog anzuwenden und die erschlichene Norm trotz Vorliegens ihrer geschriebenen Tatbestandsmerkmale nach teleologischer Reduktion nicht heranzuziehen. c) Indes bestehen keine Bedenken gegen ein Verfahren, das nach analoger Anwendung der umgangenen oder teleologischer Reduktion der erschlichenen Norm die zur Umgehung oder Erschleichung eingesetzten M i t t e l als mißbräuchlich kennzeichnet. Denn hier w i r d nicht nach Sinn und Zweck der „mißbrauchten" Gestaltungsmöglichkeit gefragt, sondern nach Sinn und Zweck der umgangenen oder erschlichenen Norm. Erst dann w i r d ex post festgestellt, daß der Gebrauch der Gestaltungsmöglichkeit zur Herbeiführung oder Vermeidung der erschlichenen oder vermiedenen Norm mißbräuchlich ist. Ein Beispiel für diese Methode ist ein Beschluß des Großen Senats des B A G 7 0 . Das Problem ist, ob die Kündigungsschutzbestimmung des § 9 MuSchG durch Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages vermieden werden kann. Der Große Senat geht an die Frage m i t dem Begriff der Gesetzesumgehung heran und prüft die „unverzichtbaren Bestimmungen des Kündigungsrechts auf ihren Zweckgehalt" 7 1 , also den Zweck des umgangenen Normensystems. Erst nachdem diese Prüfung ergeben hat, daß befristete Arbeitsverträge zwar keineswegs dem Zweck des deutschen Kündigungsschutzrechts widersprechen, aber „ihre sachliche Rechtfertigung i n sich tragen müßten, so daß sie m i t Recht und aus gutem Grund von den Kündigungsschutzvorschriften nicht betroffen werden" 7 2 , t r i f f t das B A G folgende Feststellung: „Fehlt es dagegen an sachlichen Gründen für die Befristung oder sind solche nur vorgeschoben, so fehlt ein schutzwertes Interesse für den Abschluß dieser Verträge. Dann t r i t t die objektive Funktionswidrigkeit des Vertrages zu Tage, weil er den Arbeitnehmer des Bestandsschutzes für sein Arbeitsverhältnis beraubt. Der Tatbestand der Umgehung des land i n B G B R G R K , § 134 Anm. 2). So hat ζ. B. das RG die sog. Kastellansverträge von Gastwirten f ü r nichtig erklärt. Dabei handelte es sich u m Pachtoder Anstellungsverträge, durch welche die an die Person des Gastwirts geknüpfte Schankerlaubnis unter Umgehung des Übertragungsverbotes einem anderen nutzbar gemacht werden sollte (RGZ 84, 304; R G J W 1917, 654). Ebenso sieht z.B. der B G H eine Zession, die zu dem Zweck vorgenommen w i r d , Ansprüche einer nicht armen Partei i m Armenrecht verfolgen zu k ö n nen, als nichtig an ( B G H L M Nr. 3 a zu § 138 (Ca) BGB). So schon das Berufungsurteil des O L G Neustadt M D R 1958, 848. 70 B A G E 10, 65. 71 aaO, S. 70/71. 72 aaO, S. 71/72. Ä h n l i c h auch die Argumentation von B G H N J W 1960, 1057 zum Umgehungsverbot des § 5 G ü K G . 5 Zeiss

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D. Arglistige Schaffung prozessualer

echtslagen

Gesetzes ist gegeben. Der befristete Arbeitsvertrag ist dann als ein Mißbrauch

der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten anzusehen" 7 3 .

Gegen diese Methode läßt sich nichts einwenden. Entscheidend ist die umgangene oder erschlichene Norm 7 4 . Ob der Zweck dieses Gesetzes vereitelt ist, ob es mißbraucht wird, ist die allein bedeutsame Frage. 5. Vom institutionellen Rechtsmißbrauch unterscheidet sich nach alledem die Gesetzesumgehung nur dadurch, daß demjenigen, der sich auf die Anwendbarkeit einer günstigen Norm (Tatbestandserschieichung) oder die Nichtanwendbarkeit einer belastenden Norm (Tatbestandsvermeidung) beruft, das prätendierte Recht nicht nach dem Normwortlaut zusteht, sondern daß er die Voraussetzungen der Norm ihrem Wortlaut nach herbeiführt oder vermeidet. Er handelt also i m Hinblick auf die Herbeiführung oder Vermeidung der fraglichen Norm 7 5 . Findet dagegen derjenige, der sich auf die „scheinbare" Befugnis beruft, deren Tatbestand bereits vor, so reduziert sich die Gesetzesumgehung auf institutionellen Rechtsmißbrauch. So ζ. B., wenn der einzige mittellose Miterbe einen Anspruch der Erbengemeinschaft i m Armenrecht einklagen w i l l 7 6 . Hier braucht § 114 ZPO nicht erst durch eine tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Umgehungshandlung herbeigeführt zu werden. Die begünstigende Norm liegt bereits vor 7 7 . Daß i n derartigen Fällen belastende Tatbestände vermieden werden 7 8 , also gleichsam eine „Tatbestandsver73

aaO, S. 72. Vgl. auch B F H N J W 1966, 271: „Erreichung eines steuerlichen Erfolgs, der bei sinnvoller, Zweck u n d Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung v o m Gesetz m i ß b i l l i g t w i r d . " 75 Ob sein Handeln final auf diesen Erfolg gerichtet sein muß, w i r d unten V I behandelt. 70 Vgl. dazu unten G I V die Entscheidung des K G J W 1938, 696. 77 Die gleiche Situation ist gegeben, w e n n jemand als Strohmann eine Patentnichtigkeitsklage des ersten Klägers, die dieser wegen der Rechtskraftw i r k u n g des § 325 ZPO nicht erneut anstellen könnte, i m eigenen Namen wiederholt. I h m steht die Klagebefugnis aus § 13 PatG ihrem Wortlaut nach zu, ohne daß er oder sein H i n t e r m a n n sie etwa durch Abtretung oder T r e u handvertrag erst „künstlich" zu schaffen brauchten (dazu u. G V I I I , 2 RGZ 59, 133). Keine Gesetzesumgehung, sondern Rechtsmißbrauch liegt ferner dann vor, wenn jemand ein Rechtsmittel zur Hauptsache n u r deshalb einlegt, u m zur Anfechtung der Kostenentscheidung zu gelangen (dazu u. G V I I I , 1 O L G Stuttgart J Z 1955, 752; RGZ 102, 290). Ebenso, wennn jemand Feststellungsklage erhebt, u m m i t ihrer H i l f e die W i r k u n g e n einer Streitverkündung zu verhindern. Auch die Feststellungsklagebefugnis w i r d von i h m nicht erst geschaffen, sondern steht i h m ex lege bereits zu; fraglich nur, ob zu diesem Zweck (RGZ 82, 170. Dazu unten G IV). 74

78 Vorauszahlung von Gerichtskosten bei Klage eines reichen Miterben; Verbot der Klagewiederholung (§ 325 ZPO) ; Verbot der isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung (§ 99 ZPO); Erstreckung der Rechtskraftwirkung des Hauptprozesses auf das Verhältnis Streitverkünder-Streitverkündungsgegner (§§ 68, 74 ZPO).

VI. Subjektiver Tatbestand der Gesetzesumgehung

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meidung" vorliegt, begründet keine Gesetzesumgehung. Es fehlt an der typischen Schaffung der Befugnis, welche dem Handelnden scheinbar gestattet, eine belastende Norm zu vermeiden. Gesetzesumgehung und institutioneller Rechtsmißbrauch lassen sich a]so (nur) durch das Merkmal der Umgehungshandlung trennen. Bei der Gesetzesumgehung schafft der Handelnde „formal" die Befugnis, beim institutionellen Mißbrauch findet er die Befugnis bereits vor. Die Gesetzesumgehung ist ein durch die Umgehungshandlung qualifizierter Spezialfall des Normenmißbrauchs.

VI. Subjektiver Tatbestand der Gesetzesumgehung? Bei der Behandlung der Gesetzesumgehung i n Literatur und Rechtsprechung lassen sich eine subjektive und eine objektive Theorie trennen. Die subjektive Theorie verlangt, daß, wer die Voraussetzungen einer Norm herbeiführt oder vermeidet, dies t u n müsse, um sich auf die ihrem Wortlaut nach herbeigeführte Norm berufen zu können oder um die belastende Norm zu vermeiden. 1. Meist w i r d aus den angeblich subjektiv gefärbten Begriffen fr aus und Umgehung geschlossen, die Umgehungshandlung bedürfe einer subjektiven Komponente 79 . I m Steuerrecht w i r d ganz überwiegend — meist ohne nähere Begründung — die Auffassung vertreten, § 6 StAnpG liege nur vor, wenn die Umgehungshandlung von der Absicht getragen sei, Steuern zu sparen 80 . I m Wettbewerbsrecht w i r d der Umgehungsvorsatz bisweilen deshalb verlangt, weil § 38 II, 2 GWB die Umgehung als Ordnungswidrigkeit angesehen wissen möchte, Ordnungswidrigkeiten nach § I I I OWiG aber nur bei vorsätzlichem Handeln verfolgt werden können 81 . Diese sog. subjektive Theorie hat einen großen Teil der Judikatur hinter sich 82 . Besonders überzeugend w i r d sie von Maday 83 vertreten: Erst durch das subjektive Moment „läßt sich überhaupt das agere i n fraudem legis i n gerechter Weise vom Falle gewöhnlicher Nichtanwendbarkeit einer Rechtsnorm abgrenzen, nämlich so, daß 79 Barthelmes, Das Handeln i n fraudem legis, Diss. Göttingen 1889, S. 8; A.Hueck, RdA 1953, S. 85 (86); Pf äff, Z u r Lehre v o m sogenannten i n fraudem legis agere, 1892, S. 83 ff. 80 Vgl. Kühn, K o m m , zur Abgabenordnung, 6. Aufl., 1961, § 6 S t A n p G A n m . 3 m. w. Nachw.; Thoma, Festschr. für Bühler, S. 242; a. A . Böhmer, E r f ü l l u n g u n d Umgehung des Steuertatbestandes, 1958, S. 104 ff. 81 Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbs- u n d Warenzeichenrecht, 8. Aufl., 1960, § 38 G W B A n m . 30; Huber, Das Empfehlungsverbot, 1959, S. 69. 82 RGZ 44, 103 (112); 61, 296 (299); 87, 156 (157); 108, 405 (407); 155, 138 (146); B G H Z 5,133 (136); 8, 23 (32); B G H N J W 1959, 383; B G H N J W 1960, 524. 88 aaO, S. 41.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

nicht völlig gutgläubige und ahnunglose Personen von außergewöhnlichen rechtlichen Sanktionen betroffen werden". Diesem Gedankengang steht Kegel 84 nahe. Er vertritt die Auffassung, durch die nicht von einer Umgehungsabsicht getragenen Umgehungshandlungen entstehe nur ein Auslegungsproblem. Auch die oben I I genannten Entscheidungen des OLG Dresden 85 und des OLG Marienwerder 8 6 , welche das „arglistige" Erschleichen des Gerichtsstandes des § 23 ZPO betreffen, vertreten die subjektive Theorie, wenn man sie unter dem Aspekt der Gesetzesumgehung sieht. Nach den genannten Urteilen kann man von „arglistigem Erschleichen" einer prozessualen Befugnis nur dann sprechen, wenn der Kläger den Vorprozeß vor dem unzuständigen Gericht führte, um i m Nachverfahren sich auf § 23 ZPO berufen zu können. 2. I n der neueren Literatur gewinnt — wenn man vom Steuerrecht und Kartellrecht absieht — der früher 8 7 gelegentlich geäußerte Gedanke an Boden, daß die Gesetzesumgehung ein objektiver Tatbestand sei 88 . Man verlangt nicht, daß der „Gesetzesumgeher" handele, um sich auf die herbeigeführte Norm berufen zu können oder um die belastende Norm zu vermeiden. Diese Theorie ist bei der Umgehungsproblematik des AbzG herrschend 89 . Römer 90 vertritt sie aus Gründen der Praktikabilität (Beweisschwierigkeiten). Bei Teichmann 91 kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß es sich bei der Gesetzesumgehung nicht um die A h n dung persönlichen Unrechts, sondern u m „ein Problem der Rechtsgeltung, und zwar der Durchsetzbarkeit einer Norm aus eigener K r a f t " handele. 3a) Die objektive Theorie ist der subjektiven vorzuziehen. Wie dargelegt, handelt es sich bei der Gesetzesumgehung letztlich um die Frage, ob der Zweck der umgangenen oder erschlichenen Norm durch die Umgehungshandlung vereitelt wird. Diese Auslegungsfrage läßt sich unabhängig von einer Umgehungsabsicht beantworten. Dazu ein Beispiel: Der Zweck der Vorschriften über das Armenrecht liegt darin, auch einer mittellosen Partei die Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung, und zwar die Verfolgung und Verteidigung „materiell" eigener Ansprüche, zu ermöglichen. M i t diesem Zweck ist es unvereinbar, wenn einem m i t 84

Internationales Privatrecht aaO, S. 167. SeuffArch. 66, Nr. 216. 86 OLGRspr. 35, 72. 87 Vetsch, aaO, S. 217; Würdinger, K r V j S c h r . Bd. 67, S. 273. 88 Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 190 I I I ; i h m folgend der Große Senat des B A G (BAGE 10, 65); Müller-Freienfels, AcP 156, 537. 89 Palandt-Gramm, aaO, § 6 AbzG A n m . l b ee; Crisolli-Ostier, §6 A n m . 128; B G H Z 3,257; 5,373; 20,36; 22,90; 33,293. 90 aaO, S. 44. 91 aaO, S. 69. 85

VI. Subjektiver Tatbestand der Gesetzesumgehung

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tellosen Inkassomandatar, der für eine reiche „Partei" klagen soll, das Armenrecht unter Hinweis auf die Voraussetzungen des § 114 ZPO gewährt wird. Die zweck- oder funktionswidrige Anwendung der Vorschriften über das Armenrecht ist davon unabhängig, ob der Zedent die Forderung abtritt, u m den Schuldner nicht zu Gesicht zu bekommen oder u m Gerichts- oder Anwaltskosten zu sparen. Denn i n keinem Fall würden die einschlägigen Rechtssätze zweckentsprechend angewendet, nämlich u m einem Mittellosen die gerichtliche Geltendmachung „materiell" eigener Belange ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz zu ermöglichen. b) Für die subjektive Theorie spricht auch nicht das Argument Römers von der Vertrauensgrundlage der umgangenen oder erschlichenen Norm. Römer 92 meint: „Die offene Verletzung ist i m Normalfall ein bewußter oder doch leicht erkennbarer (man könnte sagen typischerweise vom Einzelnen erkannter und daher allgemein als erkannt fingierter) Verstoß; die verdeckte Verletzung (Umgehung) ist dagegen, weil vom Wortlaut nicht erfaßt, durchaus nicht immer bewußt und schwerer erkennbar. Der Wortlaut bietet i m letzteren Fall eine gewisse Vertrauensgrundlage." Dieser Gedankengang überzeugt nicht. Der Schutz getäuschten Vertrauens käme dem zugute, der i h n am wenigsten verdient, nämlich dem, der m i t Umgehungsvorsatz sich anschickt, (angeblich) nicht erkannte rechtspolitische Zwecke zu durchkreuzen. Wer aber bei seinem U m gehungshandeln nicht daran denkt, eine i h m ungünstige Norm zu vermeiden oder eine i h m günstige Norm herbeizuführen, bliebe ohne Vertrauensschutz. Außerdem kann der Handelnde, der sich auf einen bestimmten Normwortlaut stützt, das Risiko einer falschen Auslegung des Gesetzes wegen seines Vertrauens auf den Wortlaut nicht auf den Gegner abwälzen. Die Regel muß bleiben: error iuris nocet. Auslegungsi r r t u m bei bewußter Gesetzesumgehung ist Rechtsfolgenirrtum. Wie jemand, der bei Abgabe einer Willenserklärung über deren Rechtsfolgen irrt, sich auf diesen Rechtsfolgenirrtum zum Zwecke der Anfechtung (§ 119 BGB) nicht berufen kann 9 3 , so nützt auch dem Gesetzesumgeher die Berufung auf seinen I r r t u m über die normvermeidenden oder normherbeiführenden Rechtsfolgen seiner Handlung nicht. Das Auslegungsrisiko geht zu seinen Lasten. c) Abgesehen von diesen systematischen Gründen, die gegen einen allgemein zu fordernden Umgehungsvorsatz sprechen, verlangt das Z i 92

aaO, S. 45. Es sei denn, es liege zugleich ein nach § 119 B G B beachtlicher Inhaltsoder Eigenschaftsirrtum vor: Enneccerus-Nipperdey, Allgem. Teil, aaO, § 167 I V , 5; Staudinger -Coing, aaO, § 119 A n m . 41 ff.; Siebert-Hefermehl, aaO, § 119 Anm. 40. 93

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

vilprozeßrecht i m Interesse einer sicheren und schnellen Verfahrensgestaltung klare, möglichst nach objektiven Kriterien feststellbare, Tatbestände 94 . 4. Die Entscheidung ist somit zugunsten der objektiven Theorie zu treffen. Die Gesetzesumgehung läßt sich nunmehr definieren. Sie ist finales oder unfinales Herbeiführen des Wortlauts einer begünstigenden Norm, die infolge notwendiger teleologischer Reduktion gleichwohl nicht anwendbar ist, oder finales oder unfinales Vermeiden des Wortlauts einer belastenden Norm, die nach Sinn und Zweck gleichwohl analog anzuwenden ist.

V I I . Analyse einiger praktischer Fälle arglistiger Schaffung prozessualer Rechtslagen auf der Grundlage der Gesetzesumgehung 1. Die Erschleichung des Gerichtsstandes des § 23 ZPO

a) Auszugehen ist von der oben I I wiedergegebenen blankettfüllenden Kasuistik. Für sie ist kennzeichnend, daß ein Inländer einem Ausländer Vermögen i m Inland verschafft, indem er ihn i n einen Prozeß vor einem unzuständigen inländischen Gericht verwickelt und i h m so einen Kostenerstattungsanspruch aufdrängt. Dieser ist nach § 23 S. 2 ZPO inländisches Vermögen des Ausländers. I n einem neuen Prozeß des Inländers gegen den Ausländer ist also der Gerichtsstand des § 23 ZPO seinem Wortlaut nach gegeben. Wegen der K r i t i k der von Rechtsprechung und Literatur gebotenen Lösungen kann auf das oben I I Ausgeführte verwiesen werden. b) Nach der hier vertretenen Auffassung von der Tatbestandserschieichung ist es erforderlich, die Grenzen des § 23 ZPO festzustellen. Es kommt darauf an, ob diese Norm auch dann anwendbar ist, wenn dem Beklagten durch Klage vor einem unzuständigen Gericht ein Kostenerstattungsanspruch aufgezwungen wird. aa) Die Wortinterpretation ergibt die Anwendbarkeit des § 23 ZPO. Der Ausländer ohne inländischen Wohnsitz hat vor Prozeßbeginn Vermögen i m Inland. Erwägungen darüber, ob die Kostenforderung wegen ihres i m Ausland liegenden Erfüllungsortes sich dort und nicht i m Inland „befindet", werden durch § 23 S. 2 ZPO abgeschnitten. Bei Forde94 Dennoch w i r d sich erweisen, daß man nicht gänzlich ohne die Umgehungsabsicht auskommt. Das ist dann der Fall, wenn das „künstlich" herbeigeführte Tatbestandsmerkmal der erschlichenen N o r m sich n u r nach dem Begehren des Gesetzesumgehers bestimmen läßt. Vgl. dazu unten V I I , 7 die Fälle der Erschleichung der Erwachsenheitssumme des § 546 I ZPO durch E r hebung einer offensichtlich nicht gerechtfertigten Widerklage.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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rungen gilt als Ort, wo das Vermögen sich befindet, der Wohnsitz des Schuldners. bb) Einigen Aufschluß über den rechtspolitischen Zweck des § 23 ZPO geben die Motive. Danach 95 ist (der heutige) § 23 ZPO als Ersatz und Weiterbildung des gemeinrechtlichen forum arresti gedacht und soll „Gläubiger der i m Ausland wohnenden oder i m Inland ohne Domizil sich umhertreibenden Schuldner" schützen. Das spricht zwar für einen weiten Anwendungsbereich des § 23 ZPO. Bei den hier vorliegenden Beispielen führt das Rechtsgefühl indes zur Annahme einer verdeckten Regelungslücke. Diese Wertung hält einer Nachprüfung anhand der gesetzlichen Systematik stand: Die Regelung der örtlichen Zuständigkeit geht von bestimmten äußeren Merkmalen aus (Wohnsitz, Aufenthalt, Niederlassung, unerlaubte Handlung usw.). Diese kann der Kläger wohl herbeiführen, aber nur i n Ausnahmefällen und aus triftigen Gründen einseitig oder gegen den Willen des Beklagten 9 6 . Es handelt sich dabei um folgende Bestimmungen: Nach §§ 25 u n d 26 ZPO ist eine einseitige Gerichtsstandsbestimmung durch den Kläger zulässig, w e i l damit keine zusätzliche Belastung des Beklagten verbunden ist. Bei § 23a ZPO liegt angesichts der dort angeschauten Situation ein besonderes rechtspolitisches Bedürfnis vor, dem Kläger seinen eigenen Wohnsitz als Gerichtsstand zur Verfügung zu stellen, einen Gerichtsstand also, den er einseitig u n d ohne M i t w i r k u n g des Beklagten durch Wohnsitzverlegung ändern kann. § 603 I I ZPO gibt dem Kläger die Befugnis, mehrere als Streitgenossen zu verklagende Gesamtschuldner (Art. 47 WG, § 59 ZPO) dort zu verklagen, w o einer von ihnen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Wechselprozeß verlangt eine solche Beschleunigung des Verfahrens. Statt des zeitraubenden Umwegs, den sonst bei zu verklagenden Streitgenossen § 36 Nr. 3 ZPO v o r schreibt, verleiht § 603 I I ZPO dem Kläger die normalerweise dem Gericht vorbehaltene Kompetenz, den Gerichtsstand einseitig u n d gegen den W i l l e n des Beklagten zu bestimmen.

Abgesehen von diesen Fällen bemüht sich das Gesetz jedoch peinlich, die Waffengleichheit 07 der Parteien zu wahren, d.h. keiner von ihnen ein Übergewicht über die andere zu geben. Das zeigt sich bei der Zuständigkeitsregelung daran, daß, wie gesagt, eine Partei i n der Regel nicht einseitig die Voraussetzungen eines Gerichtsstandes ändern kann. Nur vertragliche Änderungen eines gesetzlich vorgesehenen Gerichts95

Hahn, Materialien, Bd. I I , 1 aaO, S. 154. Hierbei handelt es sich nicht u m die dem Kläger überlassene Befugnis, unter mehreren zuständigen Gerichten eines auszuwählen (§ 35 ZPO), sondern darum, ob der Kläger ein unzuständiges Gericht einseitig u n d gegen den W i l l e n des Beklagten zuständig machen kann. 97 Vgl. zu diesem Gedanken Bötticher, Die Gleichheit vor dem Richter, 1954. 96

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

standes sind nach §§ 38 ff. ZPO i n bestimmten Grenzen zulässig. Es würde daher eine Durchbrechung der vom Gesetz gewollten Gleichgewichtslage bedeuten, wenn man dem Kläger Einfluß darauf einräumte, ob und wo sich i m Inland Vermögen des Beklagten befindet. Man gewinnt so als Ausprägung des Prinzips prozessualer Waffengleichheit den Satz, daß keine Partei einen ihr günstigen Gerichtsstand einseitig und gegen den Willen der anderen Seite herbeiführen darf 0 8 . Die Schaffung eines Kostenerstattungsanspruchs für den Beklagten durch Klage vor einem unzuständigen Gericht begründet daher kein inländisches Vermögen i. S. des § 23 ZPO. Obwohl § 23 ZPO den Schutz des Gläubigers bezweckt, geht er nicht soweit, es allein dem Kläger zu überlassen, notfalls gegen den Willen des Beklagten einen Gerichtsstand zu schaffen. Ein besonderes Bedürfnis, wie bei §§ 23 a und 603 I I ZPO, liegt nicht vor. Es kann auch nicht die Rede davon sein, daß die Begründung des Gerichtsstandes für den Beklagten kein zusätzlicher Nachteil ist, wie bei der Klagenhäufung i n den Fällen der §§ 25 und 26 ZPO. Es liegt also eine verdeckte Regelungslücke vor. Man kann sie durch teleologische Reduktion schließen, indem man der zu weiten Norm die „sinngemäß geforderte Einschränkung" 9 9 hinzufügt. cc) Welche Einschränkung dem Wortlaut des § 23 ZPO hinzuzufügen ist, hängt davon ab, ob eine Umgehungsabsicht i m oben V I dargelegten Sinn erforderlich ist. Es kommt indes nicht darauf an, ob der Kläger den Vorprozeß m i t Erschleichungsabsicht beginnt oder ob er i r r i g annimmt, der Beklagte habe schon bei Beginn des Vorprozesses Vermögen i m Inland. Abgesehen von den genannten dogmatischen Bedenken gegen den Umgehungsvorsatz wäre es gerade i m vorliegenden Fall systemwidrig, i h n zu fordern. Das Gesetz ist nämlich bestrebt, den Streit u m die Zuständigkeit möglichst abzukürzen (vgl. §§ 39, 274 I I Nr. 1 u n d § 274 I I I ZPO). Bei Fragen der ö r t lichen Zuständigkeit i n vermögensrechtlichen Streitigkeiten ohne ausschließ98 A n diesen Grundsatz hat sich die oben I I , 5 angeführte Entscheidung des O L G Darmstadt (JW 1929, 121) gehalten: „ W e n n auch diese Bestimmung (seil. § 23 ZPO) i n weitestem Umfang die Möglichkeit schaffen w i l l , Personen, die i m I n l a n d keinen Wohnsitz haben, i m I n l a n d zu verklagen, so k a n n sie doch nicht so w e i t gehen wollen, dem Kläger die A u s w a h l unter allen deutschen Gerichten zu überlassen . . . Er k ö n n n t e . . . den Schuldner zwingen, sein Recht vor jedem deutschen Gericht zu nehmen, das dem Kläger erwünscht ist". A n diesen Sätzen ist richtig, daß der Kläger i n der Tat einseitig u n d gegen den W i l l e n des Beklagten die Zuständigkeit eines unzuständigen Gerichts begründen könnte. Der Beklagte hätte n u r die Wahl, sich ohne Rüge sachlich einzulassen oder die Rüge zu riskieren m i t der Folge, ein deutsches Gericht zuständig zu machen. Aber nicht jedes beliebige deutsche Gericht — w i e das O L G i r r i g annimmt —, sondern n u r das seines Wohnsitzes, w i e § 23 S. 2 ZPO bestimmt. 99 Larenz, aaO, S. 296.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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liehen Gerichtsstand t r i t t diese Tendenz besonders k l a r hervor. Nach § 274 I I I ZPO kann zwar der Beklagte nach Beginn der mündlichen Verhandlung die Einrede der Unzuständigkeit (§ 274 I I Nr. 1 ZPO) ausnahmsweise noch vorbringen, wenn er glaubhaft macht, daß er ohne sein Verschulden nicht i m Stande gewesen sei, sie rechtzeitig zu erheben. Es sind also i m Rahmen eines Zuständigkeitsstreites Feststellungen über subjektive Merkmale zulässig, obwohl die Entscheidung des Rechtsstreits dadurch verzögert w i r d . Die nachträgliche Geltendmachung der Unzuständigkeitseinrede nach § 274 I I I ZPO ist dem Beklagten aber verwehrt, u n d eine Verschuldensfeststellung findet nicht statt, w e n n es sich u m die örtliche Zuständigkeit bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten ohne ausschließlichen Gerichtsstand handelt 1 0 0 . M i t den hier zum Ausdruck kommenden Wertungen des Gesetzes stünde es daher nicht i m Einklang, w e n n man den i m Rahmen des § 23 ZPO sich ergebenden Zuständigkeitsstreit m i t der Feststellung der Umgehungsabsicht belasten wollte.

c) Die behandelte blankettfüllende Kasuistik arglistigen Erschleichens des Gerichtsstandes des § 23 ZPO läßt sich nach alledem mit folgendem, durch teleologische Reduktion gewonnenen, Leitsatz erfassen: Als Vermögen i. S. des § 23 S. 1 ZPO gilt nicht der Kostenerstattungsanspruch, der dem Beklagten gegen den Kläger aus einem Vorprozeß vor einem unzuständigen Gericht zusteht. d) Für andere Fälle arglistiger Herbeiführung des § 23 ZPO gilt dieser Satz nicht. W i r orientieren uns an dem oben I a geschilderten Fall des Schweizerischen Bundesgerichts 101 und betrachten i h n unter dem Gesichtspunkt des § 23 ZPO 1 0 2 . Er unterscheidet sich von den soeben behandelten Fällen des § 23 ZPO dadurch, daß der Kläger die Beklagte veranlaßt, Vermögen ins Inland zu bringen. Es kann keine Rede davon sein, daß ihr ohne ihren Willen oder zwangsweise Vermögen i m Inland auf gezwungen wird. Die für jenen Fall angebrachte teleologische Reduktion des § 23 ZPO läßt sich hier nicht rechtfertigen. Die ZPO wendet sich nicht grundsätzlich gegen Handlungen, durch welche die Parteien gemeinsam die Voraussetzungen eines Gerichtsstandes schaffen (vgl. § 29 ZPO). e) Dennoch bleibt ein Bedürfnis bestehen, dem Kläger die Berufung auf den inländischen Gerichtsstand abzuschneiden. U m eine Frage der Auslegung, bzw. der Gesetzesumgehung oder des institutionellen Mißbrauchs handelt es sich jedoch bei den folgenden Erwägungen nicht mehr. Das Auslegungsproblem t r i t t zurück und macht Überlegungen Platz, ob der Kläger aus anderen Gründen gegen das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens verstößt. W i r bewegen uns damit i m Raum des sog. individuellen Rechtsmißbrauchs; entscheidend ist, ob der durch die 100 §§ 39, 40 I I ZPO; Stein-Jonas-Pohle, ZPO 19. Aufl., § 39 I I I ; BaumbachLauterbach, aaO, § 274 Anm. 2. 101 BGE 83, I I , 346 ff. 102 Aus der deutschen J u d i k a t u r ist kein ähnlicher Sachverhalt bekannt.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

ausgelegte Norm Legitimierte durch sein Verhalten das Treuegebot gegenüber dem Gegner verletzt 1 0 3 . Gründe, diesen Tatbestand des § 242 BGB i m Prozeßrecht dort auszuschließen, wo es der Formrigor nicht erfordert 1 0 4 , und i h n nicht zur Konkretisierung des Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens zu verwenden, sind nicht ersichtlich. f) Zwei zum individuellen Rechtsmißbrauch gehörende Tatbestände sind i m vorliegenden Fall diskutabel. aa) M a n k a n n erwägen, dem Kläger den Gerichtsstand des § 23 ZPO unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium zu versagen. Es fragt sich also, ob die Berufung auf § 23 ZPO t r e u w i d r i g ist, w e i l sie i m W i d e r spruch zum früheren Verhalten des Klägers steht u n d ob das widerspruchsvolle Verhalten gegen Treu u n d Glauben verstößt, w e i l die Beklagte dem früheren Verhalten des Klägers vertrauen konnte u n d sich deswegen auf eine bestimmte Rechtslage eingerichtet h a t 1 0 5 . E i n berechtigtes Vertrauen der Beklagten wäre aber n u r anzuerkennen, wenn sie aus dem früheren V e r halten des Klägers den Schluß ziehen konnte, dieser wolle wegen der mangelhaften Ware keine Klage i m I n l a n d erheben. Es gab indes f ü r die Beklagte keinen Anlaß, Vermögen i m I n l a n d zu schaffen i m Vertrauen darauf, daß der Kläger sich zur Gerichtsstandsbegründung nicht auf dieses Vermögen berufen werde. bb) A l s fruchtbar erweist sich dagegen der Grundsatz der exceptio doli praeteriti 1 0 8 . Nach diesem Prinzip darf sich niemand auf eine Rechtsposition berufen, die er i n rechtswidriger oder vertragswidriger Weise erlangt h a t 1 0 7 . Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Parteien standen i n vertraglichen Beziehungen. Aus ihnen läßt sich eine Aufklärungspflicht als vertragliche Nebenpflicht ableiten, wonach der Kläger der Beklagten mitzuteilen hatte, daß er das neu zu schaffende Vermögen zur Begründung eines i n l ä n dischen Gerichtsstandes zu verwenden gedenke. Das hat zur Folge, daß die unterlassene A u f k l ä r u n g pflichtwidrig u n d damit vertragswidrig war. Daher hat der Kläger die Rechtsposition, die i h m die Berufung aus den inländischen Gerichtsstand erlaubt, vertragswidrig herbeigeführt. K l a g t er dennoch i n diesem Gerichtsstand, so k a n n die Beklagte durch prozeßhindernde Einrede, 103 104 105

u n d 3.

Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 5. Vgl. dazu oben C I I . Soergel-Siebert, aaO, § 242 Anm. 141; Esser, Schuldrecht, aaO, § 35, 2

106 Soergel-Siebert, aaO, § 242, Anm. 128; Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 4; Merz, Berner Kommentar, aaO, A r t . 2 A n m . 548, der f ü r den behandelten F a l l des Schweizerischen Bundesgerichts vertragswidriges Handeln des Klägers bejaht u n d i h m die Berufung auf den inländischen Gerichtsstand wegen unzulässiger Ausnutzung eigenen vertragswidrigen Verhaltens versagt. Vgl. zum F a l l auch die gemeinrechtliche Parömie: t u r p i t u d i n e m suam allegans non auditur. Dazu Riezler, Venire contra factum proprium, aaO, S. 3, 4, 176 ff. 107 Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist i n § 162 B G B für spezielle Fälle normiert. Damit kommen w i r auf einen Gesichtspunkt zurück, m i t dem die Lehre generell die Fälle arglistiger Schaffung prozessualer Befugnisse erfassen w i l l (Dazu oben I I , 6). Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein Z u rückgreifen auf § 162 B G B oder die exceptio doli praeteriti dagegen erst dann erforderlich, wenn die Auslegung der „erschlichenen" N o r m ihre A n wendbarkeit ergeben hat.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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vergleichbar derjenigen, m i t der eine vertragswidrig erhobene Klage oder ein vertragswidrig eingelegtes Rechtsmittel zu F a l l gebracht werden kann, die Unzuständigkeit des Gerichts herbeiführen 1 0 8 .

g) Die konkretisierende Kasuistik arglistigen Herbeiführens des Gerichtsstandes des § 23 ZPO läßt sich wie folgt erfassen: Hat ein Kläger einseitig und gegen den Willen eines ausländischen Beklagten für diesen Vermögen i m Inland begründet, indem er ihm durch einen Vorprozeß vor einem unzuständigen inländischen Gericht einen Kostenerstattungsanspruch aufdrängte, so ist der Gerichtsstand des § 23 ZPO nicht gegeben. § 23 ZPO enthält eine verdeckte Regelungslücke, die i m Wege teleologischer Reduktion durch folgende Einschränkung zu schließen ist: Vermögen i. S. des § 23 S. 1 ZPO ist nicht ein Kostenerstattungsanspruch des Ausländers gegen den Inländer, wenn dieser A n spruch aus einer Klage vor einem unzuständigen inländischen Gericht herrührt. Hat ein Kläger den Beklagten veranlaßt, selbst Vermögen i m Inland zu begründen, so liegt keine verdeckte Regelungslücke vor, die durch Einschränkung der zu weit gefaßten Norm zu schließen wäre. Dem Kläger kann aber wegen Verletzung des Treuegebots dem Gegner gegenüber die Berufung auf den Gerichtsstand des § 23 ZPO abgeschnitten sein. 2. Die Erschleichung des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO)

a) Auszugehen ist von folgenden konkretisierenden Fällen: Die Klägerin ist Inhaberin des eingetragenen Warenzeichens „ P i l o " f ü r Schuh- u n d Lederputzmittel. Die Beklagte vertreibt unter der Bezeichnung „ P o l l i " Putz- u n d Scheuerpulver. Sie lieferte es auf Bestellung einer F i r m a S i n den Bezirk des L G Düsseldorf. Die Klägerin klagt n u n vor dem L G Düsseldorf auf Unterlassung u n d Schadensersatz. Die Beklagte rügt die Unzuständigkeit des L G Düsseldorf, w e i l die Klägerin die genannte F i r m a arglistig zu der Bestellung veranlaßt habe. Das L G Düsseldorf (GRUR 1952, 519) ist anderer Ansicht: „Die Begründung der örtlichen Zuständigkeit durch die K l ä g e r i n ist auch dann nicht arglistig, wenn diese eine dritte F i r m a veranlaßt, eine die Zuständigkeit begründende Bestellung an die Beklagte aufzugeben." Denn: „Auch i n dem Schlußsatz ihres Schreibens v o m 23. 6. 1950 an die F i r m a S gibt sie (die Beklagte) der Hoffnung Ausdruck, weitere Aufträge entgegennehmen zu dürfen. War hiernach die Beklagte von sich aus bereit, Lieferungen überall hin, also auch i n den Bezirk des L G Düsseldorf vorzunehmen, so stellt es keine Arglist der K l ä g e r i n dar, w e n n sie sich zur Begründung der Zuständigkeit des Gerichts die Lieferbereitschaft der Beklagten zunutze machte 1 0 9 ." 108 109

Näheres zur Einredestruktur u. E I I , 5 b u n d F V I I I , 2 b. Vgl. auch den gleichgelagerten F a l l des L G Hamburg GRUR 1951, 39.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

Das L G Düsseldorf hatte sich schon i n GRUR 1950, 381 etwas eingehender m i t der Arglisteinrede befaßt: „Die Klägerin behauptet unwiderlegt, daß die Beklagte eine ihrer Preislisten an die F i r m a S i m Rheinland versandt habe. Diese Tatsache w ü l die Beklagte jedoch zur Begründung eines Gerichtsstandes gem. § 32 ZPO nicht genügen lassen, da diese Versendung auf Veranlassung der Klägerin provoziert worden sei". Das Gericht hält die auf dieses Verhalten gestützte Einrede der nicht f ü r geeignet, seine Zuständigkeit nach § 32 ZPO zu verneinen:

Arglist

Die K a m m e r hat „wiederholt den Standpunkt vertreten, daß der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung aus § 32 ZPO nicht n u r dann gegeben ist, w e n n der rechtswidrige Eingriff bereits erfolgt ist, sondern auch dann, w e n n er so nahe bevorsteht, daß die Voraussetzungen für eine vorbeugende U n t e r lassungsklage gegeben sind". Die K a m m e r bejaht dann diese Voraussetzungen, w e i l die Beklagte auf Anfrage der F i r m a S die Preisliste übersandt, dadurch Offerten abgegeben u n d die Willensrichtung kundgetan habe, i n den fraglichen Gerichtsbezirk zu liefern.

b) Die Urteilsgründe der zitierten Entscheidungen befriedigen nicht. Das erstgenannte Urteil verneint trotz Provokation der unerlaubten Handlung durch die Klägerin oder ihren Mittelsmann arglistiges Verhalten, weil die Beklagte durch die Lieferung ihren Willen kundgetan habe, weitere Lieferungen i n den fraglichen Gerichtsbezirk auszuführen. Warum diese Willensrichtung der Beklagten die Arglist der Kläger i n ausräumen soll, bleibt unbekannt. Erst aus dem letztgenannten Urteil geht hervor, daß die Betonung dieser Willensrichtung dazu dienen soll, Gefährdung und Wiederholungsgefahr für eine vorbeugende Unterlassungsklage zu begründen. N i m m t man nun m i t dem letztgenannten Urteil an, daß auch für die vorbeugende Unterlassungsklage der Gerichtsstand des § 32 ZPO gilt und daß die Gefährdung dort „begangen" ist i m Sinne dieser Norm, wo auch die Verletzung eintreten würde, so ergibt sich daraus jedoch nicht, daß eine provozierte unerlaubte Handlung den § 32 ZPO erfüllt. Es fehlt nämlich immer noch ein Argument dafür, warum zwar die m i t der Lieferung vollendete unerlaubte Handlung den Gerichtsstand des § 32 ZPO nicht begründen soll, wohl aber die zugleich einsetzende und eine vorbeugende Unterlassungsklage rechtfertigende Gefährdung der Klägerin. Es führt auch nicht weiter, wenn man folgenden Gedanken als ratio decidendi den Urteilen unterstellte: Die Klägerin mag zwar die vollendete unerlaubte Handlung provoziert und so die Voraussetzungen des § 32 ZPO arglistig geschaffen haben. Darauf komme es aber nicht an, weil die Beklagte ohne Provokation zugleich einen eine vorbeugende Unterlassungsklage rechtfertigenden Tatbestand erfüllt habe, für den der gleiche Gerichtsstand gelte. Dieser Gedankengang ist nicht haltbar.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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Denn wenn die Klägerin die Beklagte zur vollendeten unerlaubten Handlung provoziert hat, so hat sie zugleich die darin liegende fortdauernde Gefährdung ihrer Rechtsgüter provoziert. Man kann als Ergebnis der Urteilsanalyse festhalten: Warum die K l ä gerin nicht arglistig gehandelt hat und sich auf die Voraussetzungen des § 32 ZPO berufen kann, bleibt unklar. c) Auch bei diesen Fällen ist wieder die Frage zu stellen, ob das Erschleichen der Voraussetzungen des § 32 ZPO eine unzulässige Gesetzesumgehung ist. Dafür ist die Auslegung entscheidend. Zu fragen ist, ob eine vom Kläger provozierte unerlaubte Handlung eine unerlaubte Handlung i. S. des § 32 ZPO ist. aa) Die Wortinterpretation ergibt die Anwendbarkeit des § 32 ZPO auch auf die hier behandelten Fälle. Liefert ein Beklagter Waren, welche die geschützte Ausstattung des Klägers verletzen, so begeht er dam i t eine unerlaubte Handlung i. S. des § 32 ZPO 1 1 0 . Begangen i. S. des § 32 ZPO ist eine unerlaubte Handlung (auch) dort, wo der Verletzungserfolg eintritt 1 1 1 . Bei Lieferung an den Wohnsitz des Klägers kann dieser also gemäß § 32 ZPO vor dem für seinen Wohnsitz allgemein zuständigen Gericht gegen den Beklagten vorgehen. Auch die besonderen Gerichtsstände der §§ 24 UWG und 32 WZG schließen die Anwendbarkeit des § 32 ZPO nicht aus. Es ist einem K l ä ger nach der h. M . 1 1 2 gestattet, Ansprüche aus dem UWG auch i m Gerichtsstand der unerlaubten Handlung geltend zu machen, obwohl gegen eine solche Praxis Bedenken vorgebracht werden 1 1 3 . Bei Ansprüchen aus dem WZG bestehen dagegen keine Zweifel, neben dem Gerichtsstand des § 32 W Z G auch den des § 32 ZPO heranzuziehen, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. bb) Zur Tatbestandserschieichung i m oben I I I und I V dargelegten Sinn w i r d das geschilderte Verhalten aber erst, wenn der erschlichene 110 Baumbach-Hefermehl, aaO, § 24 U W G A n m . 2; Stein-Jonas-Pohle, ZPO 19. Aufl., § 32 I I , 1. 111 Stein-Jonas-Pohle, aaO, § 32 I V . 112 B G H Z 15,338 (355); Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbs- u n d Warenzeichenrecht, Bd. I, 9. A u f l . 1964, § 24 U W G A n m . 2. 113 § 24 U W G : „ F ü r Klagen auf G r u n d dieses Gesetzes ist ausschließlich zuständig das Gericht, i n dessen Bezirke der Beklagte seine gewerbliche Niederlassung oder i n Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat." Die h. M . legt § 24 U W G dahin aus, daß dieser Gerichtsstand n u r dann gegeben ist, w e n n sich die Klage ausschließlich auf das U W G stützt. Das führt, w i e Baumbach-Hefermehl, aaO, zu Recht feststellen, praktisch zu einer Ausschaltung des § 24 UWG, w e i l jeder Wettbewerbs verstoß zugleich eine unerlaubte Handlung i m weiteren Sinne ist. Vgl. zum Begriff der unerlaubten H a n d lung Stein-Jonas-Pohle, ZPO 19. Aufl., § 32 I I , 1.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

günstige Rechtssatz seinem Zweck nach unanwendbar ist. Versuchen w i r also festzustellen, ob die Norm nach dem (immanenten) Telos des Gesetzes zu weit gefaßt ist und somit eine verdeckte Regelungslücke aufweist. Das mögliche Begehren, die Lückenhaftigkeit festzustellen, findet indessen i n der gesetzlichen Systematik keine Stütze. Wieder ist, wie bei dem zuvor behandelten Gerichtsstand des § 23 ZPO 1 1 4 , für die A n nahme einer verdeckten Regelungslücke maßgebend, ob die Voraussetzungen des Gerichtsstandes von einem Kläger einseitig und gegen den Willen des Beklagten herbeigeführt werden. Das ist hier nicht der Fall. Die unerlaubte Handlung w i r d vom Beklagten (freiwillig) begangen, der Kläger liefert nur den Anlaß zur Begehung. Es handelt sich also um eine dem Fall des Schweizerischen Bundesgerichts (BGE 83 I I , 346 ff.) vergleichbare Situation 1 1 5 . § 32 ZPO ist m i t h i n auf den vorliegenden Fall anwendbar. Er weist keine verdeckte Regelungslücke auf. d) Auch hier ist wieder zu fragen, ob die Berufung auf den Gerichtsstand des § 32 ZPO mißbräuchliches venire contra factum proprium ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Beklagte aus dem Verhalten des Klägers schließen konnte, dieser werde die unerlaubte Handlung nicht zum Anlaß nehmen, i m Gerichtsstand des § 32 ZPO zu klagen. Die Annahme eines solchen Vertrauens ist aber nicht gerechtfertigt. e) Auch die Einrede des Beklagten, der Kläger dürfe nicht die durch eigene rechtswidrige oder vertragswidrige Handlung herbeigeführte Lage zu seinen Gunsten ausnutzen (exceptio doli praeteriti) 1 1 6 , ist hier erfolglos. Während oben i m Fall des BGE 83 II, 346 ff. eine Vertragswidrigkeit des Klägers infolge bereits bestehender vertraglicher Beziehungen zum Beklagten bejaht werden konnte, scheitert hier diese Lösung. Vertragliche Beziehungen zwischen den Prozeßparteien fehlten. Der Kläger bediente sich zum Abschluß der die unerlaubte Handlung provozierenden Bestellung eines Mittelsmannes, der i m eigenen Namen handelte. Auch m i t außervertraglicher Rechtswidrigkeit läßt sich die exceptio doli praeteriti nicht begründen. Die Provokation einer gegen den Provokateur gerichteten unerlaubten Handlung ist nicht widerrechtlich. Die Tat, welche der Provokateur veranlaßt, ist infolge seines, wohl als Einwilligung zu deutenden Verhaltens nicht rechtswidrig, so daß aus Gründen der Akzessorietät auch von rechtswidriger Anstiftung keine Rede sein kann. f) Als Ergebnis läßt sich also festhalten: Auch eine durch Provokation hervorgerufene unerlaubte Handlung ist eine solche i. S. des § 32 ZPO. 114 115 110

Oben V I I , 1 b. Oben V I I , 1 d—f. Dazu oben V I I , I f bb.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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Diese Norm enthält für die fraglichen Fälle keine verdeckte Regelungslücke. Eine Tatbestandserschieichung i m oben I I I und I V dargelegten Sinn ist daher die Provokation nicht. Dem provozierenden Kläger ist die Berufung auf den Gerichtsstand des § 32 ZPO aus Gründen individuellen Rechtsmißbrauchs nicht versagt, es sei denn, daß er i n vertraglichen Beziehungen zum Beklagten steht. 3. Die Umgehung der Verpflichtung zur Stellung der Ausländerkaution (§ 110 ZPO)

a) Die blankettfüllende Kasuistik arglistigen Schaffens prozessualer Rechtslagen w i r d durch folgendes Urteil des OLG Naumburg ergänzt 1 1 7 , das sich m i t der Umgehung des § 110 ZPO befaßt. E i n deutscher Kläger — vermögensloser Angestellter m i t einem Monatseinkommen von 325,— M a r k — hat als Treuhänder einer Warschauer F i r m a einen Anspruch gerichtlich geltend gemacht. Die Beklagte hat die Einrede nach § 274 I I Nr. 5 ZPO erhoben. Es ist unstreitig, daß die A b t r e t u n g des A n spruchs zur Vermeidung der Vorschußpflicht aus § 110 ZPO erfolgt ist, da die Warschauer F i r m a schon i n einem Vorprozeß wegen des gleichen A n spruchs ihre Pflicht zur Sicherheitsleistung nicht hat erfüllen können. Das O L G Naumburg hielt die Einrede für begründet (aaO, S. 75): „ W e n n auch der Wortlaut des § 110 ZPO eine solche Zession an sich nicht ausschließt, so darf ihre Zulässigkeit n u r dann bejaht werden, w e n n dadurch der Zweck des Gesetzes, den eventuellen Kostenerstattungsanspruch des Beklagten sicherzustellen, nicht vereitelt w i r d . . . Einer solchen Umgehung des Gesetzes zum Zwecke der Vereitelung der eventuellen Kostenerstattung gegenüber greift daher der E i n w a n d der Sittenwidrigkit durch. Der Kläger muß deshalb die Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten i n der gleichen Weise gegen sich gelten lassen, als wenn die ausländische F i r m a selbst ihre Ansprüche vor einem deutschen Gericht verfolgt hätte."

Das Urteil befriedigt nicht. Zwar spricht es von Umgehung und Zweck des Gesetzes, aber diese Überlegungen bleiben bereits i m A n fang stecken. Letzten Endes wählt es den Ausweg über die Sittenwidrigkeit des Umgehungsgeschäftes. Die sich aus ihr ergebende Nichtigkeit (§ 138 I BGB) der Abtretung w i r k t sich wohl auf die Aktivlegitimation des Treuhänders aus, ist aber für die Frage, ob er als inländischer Kläger Sicherheit für die Kosten leisten muß, unbeachtlich. Daher versagte auch das OLG Stuttgart 1 1 8 dem OLG Naumburg i n einem gleichgelagerten Fall die Gefolgschaft: Die Anwendung des § 110 ZPO rechtfertige sich schon aus der fiduziarischen N a t u r der Abtretung. Sie w i r k e n u r als Legitimation, das Vermögensstück 117 118

Z Z P 52, 74. HRR 1930, Nr. 351.

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

bleibe beim Veräußerer u n d seine Ausländereigenschaft dürfe f ü r maßgeblich erachtet werden. Es brauche daher nicht untersucht zu werden, ob die Zession den Zweck gehabt habe, dem Gegner die Einrede aus § 110 ZPO abzuschneiden, u n d deshalb sittenwidrig sei 1 1 9 .

Damit w i r d das Problem der gewillkürten Prozeßstandschaft angeschnitten. Hält man diese m i t der h. M. für zulässig, wenn der klagende Prozeßführungsermächtigte einen eigenen schutzwürdigen Grund zur Geltendmachung des fremden Anspruchs hat 1 2 0 , so ist i n den beiden vorliegenden Fällen die Klage mangels Prozeßführungsbefugnis als unzulässig abzuweisen, da dem Kläger ein eigenes schutzwürdiges Interesse fehlt. Eines Eingehens auf §§ 274 I I Nr. 5, 110 ZPO bedarf es dann nicht. Vertritt man dagegen m i t den beiden OLGen die Ansicht, die gewillkürte Prozeßstandschaft sei ohne die genannte Einschränkung zulässig 1 2 1 , so stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 110 ZPO. b) Seinem Wortlaut nach ist § 110 ZPO auf die genannten Fälle nicht anwendbar. Das Gesetz spricht von Angehörigen fremder Staaten, die als Kläger auftreten. Kläger ist aber, wie die Urteile zeigen, ohne Zweifel ein Inländer. Daran ändert auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise nichts. Weil beim Treuhandverhältnis das Vermögensstück w i r t schaftlich beim Veräußerer (=Ausländer) bleibt, w i r d dieser i n einem vom Prozeßführungsermächtigten geführten Verfahren nicht Partei. Läßt man schon die Prozeßstandschaft zu — wie es die OLGe getan haben —, so muß man auch die Person des Prozeßführungsberechtigten über das Vorliegen prozessualer Rechtslagen entscheiden lassen: Sein Tod, nicht der des Veräußerers, unterbricht das Verfahren; er, nicht der „Hintermann", kann als Partei vernommen werden; seine, nicht die Beziehungen des Zedenten oder Treugebers, sind maßgebend für Ausschließung und Ablehnung des Richters. Daß es mit der Ausländerkaution ebenso steht, liegt nahe, da das Gesetz von Angehörigen fremder Staaten spricht, die als Kläger auftreten. Seinem Wortlaut nach ist also § 110 ZPO unanwendbar. c) Enthält § 110 ZPO eine Lücke, weil nach seinem Wortlaut Angehörige fremder Staaten durch treuhänderische Abtretung an einen Inländer die Kautionsleistung vermeiden können? Zweck des § 110 ZPO ist, dem von einem Ausländer Verklagten die umständliche Beitreibung eines Kostenerstattungsanspruchs i m Ausland zu ersparen 122 . Grund für die Sicherheitsleistung ist also allein die 119 Zustimmend zu den beiden Urteilen Riezler, Internationales Z i v i l p r o zeßrecht aaO, S. 432. Gegen das O L G Naumburg Kann, Z Z P 52, 75. 120 RGZ 91, 397; 166, 238; OGHZ 1, 334; Baumbach - Lauterbach, aaO, Grundzüge 4 c vor § 50; B G H Z 4, 165. 121 So auch Rosenberg, aaO, § 45 I I , 2 c. 122 Baumbach - Lauterbach, aaO, §110 A n m . 1: „Die Ausländersicherheit ist eine international anerkannte Einrichtung, die ihren G r u n d i n der Schwie-

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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m i t der Ausländereigenschaft des Klägers zusammenhängende Vollstreckungserschwerung. Die Wirkung des § 110 ZPO geht aber unversehens weiter. Nicht nur die wegen der Vollstreckung i m Ausland entstehenden Schwierigkeiten werden dem Beklagten abgenommen, sondern auch das Risiko, den Anspruch wegen Vermögenslosigkeit des Klägers nicht realisieren zu können. Der von einem Ausländer Verklagte steht sich also wegen § 110 ZPO besser als der von einem Inländer Verklagte. Diesen t r i f f t stets das Risiko, seinen Kostenerstattungsanspruch trotz Vollstreckungsmöglichkeit i m Inland wegen Vermögenslosigkeit des Klägers nicht beitreiben zu können. W i r d er vom Ausländer verklagt, bleibt i h m auch dieses Risiko erspart. Für dieses Benefiz besteht kein Grund. Der rechtspolitische Zweck des § 110 ZPO liegt lediglich darin, den von einem Ausländer Verklagten gleichzustellen dem von einem Inländer Verklagten. Für eine Besserstellung besteht kein Anlaß. Es fällt daher nicht mehr i n den Anwendungsbereich des §110 ZPO, wenn einem inländischen Beklagten statt eines ausländischen Zedenten nun ein inländischer Zessionar gegenübersteht. Diesem gegenüber bestehen eventuell Vollstreckungsschwierigkeiten wegen Vermögenslosigkeit, die dem Beklagten abzunehmen nicht Sinn des § 110 ZPO ist. Ein mögliches Begehren des Rechtsanwendenden, für die hier behandelten Fälle die Lückenhaftigkeit des § 110 ZPO anzunehmen, findet keine Stütze i m Gesetz 123 . d) Die behandelte konkretisierende Kasuistik arglistigen Vermeidens der Kautionslast des § 110 ZPO läßt sich m i t folgendem Leitsatz erfassen: T r i t t ein Ausländer einem Inländer den Klageanspruch ab, damit dieser den Anspruch für ihn einklage, so braucht der inländische Zessionar gemäß § 110 ZPO Sicherheit für die Prozeßkosten nicht zu leisten. Eine Gesetzesumgehung oder ein Fall arglistiger Gestaltung des Verfahrens liegt nicht vor. 4. Die Erschleichung der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts durch Erhebung mehrerer Teilklagen (§ 23 Nr. 1 GVG)

a) Die konkretisierende Kasuistik w i r d durch folgenden Fall repräsentiert: Der Kläger macht einen Anspruch von 2000,— Mark i n vier Teilklagen von je 500,— Mark vor dem A G geltend 1 2 4 . rigkeit der Vollstreckung von Kostenentscheidungen i m Auslande hat." Die Motive (Hahn, aaO, S. 205) formulieren so: Bei inländischen Klägern sei die Pflicht zur Sicherheitsleistung „innerlich nicht zu rechtfertigen, w e i l gegen jeden inländischen Kläger die Rechtshilfe gegeben w i r d " . 123 Zutreffend stellt daher Wieczorek (aaO, § 110 Β I c) ganz formal auf die Ausländereigenschaft des Klägers ab. Das schließt freilich nicht aus, daß der Beklagte einen Schadensersatzanspruch nach §826 B G B gegen den ausländischen Zedenten hat. Voraussetzung: Dieser hat den Anspruch abgetre6 Zeiss

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

Es ist zu fragen, ob er so die Voraussetzungen des § 23 Nr. 1 GVG erschleicht 125 . b) Dem Wortlaut ständig.

des § 23 Nr. 1 GVG nach ist das A G sachlich zu-

c) Enthält § 23 Nr. 1 GVG eine verdeckte Regelungslücke, w e i l er auch i m Fall der Anspruchsteilung die sachliche Zuständigkeit des A G statuiert? Die Annahme einer solchen Lücke w i r d durch § 55 S. 2 J N nahegelegt, der bestimmt: „ W i r d nur ein Teil einer Kapitalsforderung begehrt, so ist der Gesamtbetrag der noch unberichtigten Kapitalsforderung maßgebend." Kontrollieren w i r das mögliche Begehren nach A n nahme einer Lücke i n § 23 Nr. 1 GVG anhand der Systematik der ZPO. W i r untersuchen zunächst, ob und i n welchen Grenzen das Gesetz den Parteien eine Einflußnahme auf die sachliche Zuständigkeit der Gerichte gestattet. Die Beantwortung dieser Fragen kann Aufschluß darüber geben, ob die erwähnte Anspruchsteilung der Systematik des Gesetzes entspricht. aa) Die Parteien können bei der sachlichen wie bei der örtlichen Zuständigkeit i m Rahmen des § 40 ZPO prorogieren. Sie können also bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, die ihrem Streitwert nach zur Zuständigkeit des L G gehören (§ 71 I GVG), die Zuständigkeit eines A G vereinbaren. Auch eine stillschweigende Vereinbarung (§ 39 ZPO) bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten ohne ausschließliche Zuständigkeit (§ 40 ZPO) ist möglich, jedoch durch § 504 I I ZPO erschwert 126 . Aus dieser Erschwerung der stillschweigenden Vereinbarung geht hervor, daß das Gesetz auf die sachliche Zuständigkeit 1 2 7 größeren Wert legt als auf die örtliche. Da die §§ 23 und 71 GVG die sachliche Zuständigkeit, ebenso wie die §§ 13 ff. ZPO die örtliche 1 2 8 , an bestimmte äußere Merkmale knüpfen, die der Kläger i n der Regel nicht einseitig verändern kann, ist anzunehmen, daß § 23 Nr. 1 GVG unter ähnlichen Voraussetzungen wie § 23 Z P O 1 2 9 erst recht eine verdeckte Regelungslücke enthält. Bei der ten m i t dem Vorsatz, den Beklagten durch die Vermögenslosigkeit des i n l ä n dische Klägers zu schädigen. 124 Vgl. dazu oben I c das U r t e i l des L G B e r l i n J W 1931, 1766. 125 U n d die Voraussetzungen des §71 I G V G umgeht. Hier liegt ein F a l l m i t geschriebener Komplementärnorm vor. 126 Sie ist n u r i n den Fällen denkbar, i n denen das Gericht entgegen § 504 I I ZPO es unterläßt, den Beklagten rechtzeitig auf seine sachliche Unzuständigkeit hinzuweisen. Denn auch dann t r i t t trotz Verletzung des § 504 I I ZPO die Rechtsfolge des §39 ZPO ein (Baumbach - Lauterbach, aaO, §504 A n m . 2; Stein - Jonas - Schänke - Pohle, 18. Aufl., § 504 A n m . II). 127 Jedenfalls dann, w e n n statt des L G ein A G entscheiden soll; vgl. f ü r den umgekehrten F a l l § 10 ZPO. 128 V g l < d a z u o b e n V I I , 1 b. Dazu oben V I I , 1 b, bb.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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Behandlung des § 23 ZPO hatte sich ergeben, daß dem Kläger die einseitige Herbeiführung der für i h n vorteilhaften Zuständigkeit dann versagt ist, wenn der Beklagte dem Kläger wehrlos ausgeliefert ist. Man kann daher unter Beachtung der gesetzlichen Systematik eine verdeckte Regelungslücke bei § 23 Nr. 1 GVG annehmen, wenn die Begründung der sachlichen Zuständigkeit des A G durch das geschilderte Verhalten den Beklagten gegenüber dem Kläger benachteiligt (unten lit. bb) und eine Maßnahme darstellt, welcher der Beklagte wehrlos ausgeliefert ist (unten lit. cc). bb) Eine Benachteiligung

des Beklagten liegt indes nicht vor.

α) Keine Schlechterstellung liegt darin, daß gegen ein Urteil des A G i n Zivilsachen keine Revision statthaft ist (§§ 545 I ZPO, 72 GVG). Diese Folge der Anspruchsteilung t r i f f t auch den Kläger. Ebensowenig w i r d das Kostenrisiko einseitig zuungunsten des Beklagten verschoben. So beträgt zwar bei einem Klageanspruch von 2000,— DM, der einheitlich eingeklagt wird, die volle Gebühr nach der BRAGebO 105,— DM, die volle Gebühr nach dem G K G 63,— DM, während bei Zerlegung i n 4 Teilansprüche von je 500,— D M eine Gebühr des Rechtsanwalts sich auf je 30,— D M ( = 120,— DM) und eine volle Gebühr nach dem G K G sich auf je 20,— D M ( = 80,— DM) beläuft. Aber eine Benachteiligung nur des Beklagten ist damit nicht verbunden. Auch die unterschiedlichen Einlassungsfristen bei Verfahren vor Amts- und Landgerichten (§§ 499, 262 ZPO) führen nicht zu einer Bevorzugung des Klägers. Sie sind jeweils für beide Parteien gleich. ß) Der Kläger könnte indes leicht die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung gemäß § 709 Nr. 4 ZPO erlangen, wenn er vier Teilklagen über je 500,— D M nacheinander einreicht. Denn der Gegenstand der Verurteilung überschreitet nicht die Grenze von 500,— DM, auf die § 709 Nr. 4 ZPO abstellt. Außerdem könnte er die Lage eines mittellosen Beklagten verschlechtern, w e i l dieser bei dem Prozeß vor dem A G keinen unbedingten A n spruch auf Beiordnung eines Anwalts hat (§ 115 I Nr. 3 ZPO). I h m könnte nur unter den Voraussetzungen des § 116 ZPO eine rechtskundige Person beigeordnet werden. Die Gefahr einer Benachteiligung des Beklagten besteht jedoch in Wirklichkeit bei den beiden zuletzt genannten Punkten nicht. Der Beklagte, der die Gefahr weiterer Teilklagen auf sich zukommen sieht, kann das Gericht darauf hinweisen, daß „formell" zwar § 709 Nr. 4 ZPO vorliege und „formell" eine Vertretung durch Anwälte nicht erforderlich sei, daß aber § 709 Nr. 4 ZPO i m Wege einer unzulässigen Gesetzesumgehung erschlichen und § 115 ZPO i n gleicher Weise vermieden 6*

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werde. Denn § 709 Nr. 4 ZPO geht davon aus, daß die Vollstreckbarkeitserklärung ohne Sicherheitsleistung nur dann erfolgen soll, wenn das Risiko des Vollstreckungsschuldners 500,— D M nicht übersteigt. Es überschreitet aber diese Grenze, wenn ein Betrag von 2000,— D M i n Teilklagen von je 500,— D M geltend gemacht wird. Man kann also annehmen, daß § 709 Nr. 4 ZPO eine verdeckte Regelungslücke aufweist, w e i l er seinem Wortlaut nach auch dann anwendbar ist, wenn das Risiko der unberechtigten Vollstreckung den Betrag von 500,— D M übersteigt. § 709 Nr. 4 ZPO ist daher i m Wege teleologischer Reduktion einzuschränken und nicht anwendbar, wenn die hier erörterte Teilklagenstruktur vorliegt. Ebenso kann man annehmen, daß § 116 ZPO für die geschilderte Situation eine Lücke enthält, die durch entsprechende A n wendung des § 115 I Nr. 3 ZPO zu schließen ist. γ) Der Kläger kann also den Beklagten durch Zerlegung eines zur Zuständigkeit des L G gehörenden Klageanspruchs i n mehrere Teilklagen, die i n die Zuständigkeit des A G fallen, nicht benachteiligen. cc) Der Beklagte ist außerdem dem Vorgehen des Klägers i n der Regel nicht wehrlos ausgeliefert. α) Werden die Teilklagen nacheinander erhoben, so kann er durch negative Feststellungswiderklage hinsichtlich des restlichen Teils des ganzen Klageanspruchs 130 bei entsprechendem Streitwert der Widerklage die Zuständigkeit des L G begründen 1 3 1 . M i t Sicherheit kann er diesen Erfolg aber nicht erreichen. Denn der Streitwert der Widerklage kann so bemessen sein, daß auch sie zur Zuständigkeit des A G gehört. Der Streitwert von Klage und Widerklage w i r d nämlich nicht zusammengerechnet (§ 5 ZPO), so daß nicht stets durch Widerklage die Zuständigkeit des L G erreicht werden kann 1 3 2 . ß) Werden die Teilklagen zur gleichen Zeit erhoben, so versagt zunächst die Feststellungswiderklage, w e i l ihr gegenüber die Einrede der Rechtshängigkeit durchgreift 1 3 3 . A u f der anderen Seite steht aber dem Beklagten hier die Rechtshängigkeit zur Seite, da die Rechtshängigkeit einer nicht individualisierten Teilforderung die Klage auf weitere nicht individualisierte Teilforderungen ausschließt 134 . Während der Rechts130 N u r hinsichtlich dieses Teils: vgl. Rosenberg, aaO, §98 I I , 3 unter H i n weis auf R G DR 1939, 1914. 131 § 506 ZPO; vgl. dazu weiter Pohle, Festschr. für Lent, aaO, S. 205. 132 Gerold, Streitwert, 1959, S. 313. 133 §263; Pohle, aaO, S. 205; Goldschmidt, J W 1931, 1753 (1754 re. Sp.); Z u r Frage der Rechtshängigkeit i m Verhältnis von Leistungs- u n d negativer Feststellungsklage vgl. Rosenberg, aaO, § 98 I I , 3. 134 Rosenberg, aaO, §98 I I I , 3; Goldschmidt, aaO, S. 1753 re. Sp.; 1754 Ii. Sp.; Stein - Jonas - Schönke - Pohle, ZPO 18. Aufl., § 263 I I I , 3 b. Kritisch dazu Lindacher, ZZP 76, 451. Vgl. auch Blomeyer, aaO, § 49 I I I , 2, welcher der

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hängigkeit einer individuell nicht bestimmten Teilklage sind daher weitere nicht individualisierte Teilklagen von Amts wegen 1 3 5 als unzulässig abzuweisen (§§ 263 I I Nr. 1; 274 I I Nr. 4 ZPO). Ist das geschehen und somit die Rechtshängigkeit beendet, so steht einer negativen Feststellungswiderklage des Beklagten mit der Wirkung des § 506 nichts mehr i m Wege. γ) Der Beklagte ist also, abgesehen von dem Fall, daß die Feststellungswiderklage wegen ihres Streitwerts ebenfalls vor das A G gehört, dem Handeln des Klägers nicht wehrlos ausgeliefert. Die Annahme einer verdeckten Regelungslücke findet i n dem Telos des Gesetzes keine Stütze. dd) Auch die Interessenanalyse spricht gegen eine Lücke i n § 23 Nr. 1 GVG. Der Kläger kann oft ein anerkennenswertes Interesse daran haben, seine Chancen zunächst m i t geringem Kostenrisiko zu überprüfen. Gegeninteressen des Beklagten stehen nicht auf dem Spiel. Er ist durch die Begründung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit nicht mehr benachteiligt als der Kläger und dessen Verhalten i n aller Regel nicht wehrlos ausgeliefert. d) Für unzulässig halten indes Literatur und Rechtsprechung die A n spruchsteilung. Goldschmidt 13e, der sich i n einem Gutachten zu dem hier behandelten Fall geäußert hat, stellt hilfsweise (principaliter prüft und bejaht er die Einrede der Rechtshängigkeit) auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben und auf Arglist ab. Das L G B e r l i n 1 3 7 folgt diesen Gedanken und weist die Teilklagen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben bzw. wegen Unlauterkeit des Klägers ab. Zur Begründung zieht es außerdem mangelndes Rechtsschutzbedürfnis heran 1 3 8 . Haltbar sind diese Ansichten nach der hier vertretenen Auffassung nicht. Die Gesetzesumgehung, d. h. die Auslegung der „arglistig" erschlichenen Norm, beansprucht den Primat vor Überlegungen, die sich m i t Arglist, Unlauterkeit und Verstoß gegen Treu und Glauben befassen. e) Ergebnis. Die Zerlegung einer zur Zuständigkeit des L G gehörenden Forderung i n mehrere, die amtsgerichtliche Zuständigkeit begrünzweiten Klage angesichts der Möglichkeit, nach § 268 ZPO zu verfahren, das Rechtsschutzbedürfnis abspricht. 135 Rosenberg, aaO, § 98 I I I . 13e J W 1931, 1753. 137 J W 1931, 1766. 138 Zustimmend Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 34, 35; zweifelnd Pohle, aaO, S. 205, der statt von fehlendem Rechtsschutzbedürfnis hier m i t Goldschmidt von einem Verstoß gegen Treu u n d Glauben spricht.

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dende Teilklagen stellt sich daher nicht als unzulässige Erschleichung des § 23 Nr. 1 GVG dar. 5. Die Erschleichung des Gerichtsstandes des § 603 Π ZPO

a) Auszugehen ist von dem oben I, b wiedergegebenen blankettfüllenden Beispiel. Die Frage lautet, ob § 603 I I ZPO auch dann anwendbar ist, wenn der Kläger einen Wechselverpflichteten nur deshalb verklagt, u m die Wechselklage gegen andere Wechselschuldner an dessen allgemeinen Gerichtsstand führen zu können 1 8 0 . b) Nach seinem Wortlaut

t r i f f t § 603 I I ZPO auch diesen Fall.

c) Enthält § 603 I I ZPO eine verdeckte Regelungslücke? Nach dem oben V I I , 1, 2 und 4 aus dem Prinzip prozessualer Waffengleichheit entwickelten Grundsatz widerspricht es dem Zweck des Gesetzes, wenn der Wortlaut einer Norm dem Kläger gestattet, einseitig und gegen den Willen des Beklagten die Zuständigkeit zu begründen. Diese Regel gilt jedoch nicht für den vorliegenden Fall. Hier ist dem Kläger aus einem besonderen rechtspolitischen Bedürfnis eine besondere Befugnis verliehen. Diese gehört zu den Mitteln, m i t denen die ZPO eine Beschleunigung des Wechsel- und Scheckprozesses erreichen w i l l 1 4 0 . Bestünde § 603 ZPO nicht, so müßte der Kläger, der mehrere i h m als Gesamtschuldner haftende Wechselverpflichtete (Art. 47 WG) m i t verschiedenem allgemeinem Gerichtsstand als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) vor einem Gericht verklagen w i l l , gemäß § 36 Nr. 3 ZPO durch das i m Rechtszuge höhere Gericht das zuständige Gericht bestimmen lassen. Diese umständliche und zeitraubende Prozedur w i l l § 603 I I ZPO i m Interesse der Verfahrensbeschleunigung dem Kläger abnehmen 141 . Daß durch die dem Kläger eingeräumte besondere Befugnis Unzuträglichkeiten entstehen können, hat der Gesetzgeber gesehen. Die M o t i v e 1 4 2 begründen den Ausschluß des Wahlrechts i m Normalfall des § 36 Nr. 3 ZPO wie folgt: „Gegen die Einräumung des Wahlrechts (seil, an den Kläger) spricht durchgreifend, daß dasselbe durch die einseitige Begünstigung des Klägers den Beklagten i n eine nachtheilige Lage bringt. . . . Auch w ü r d e das Wahlrecht 139 U n t e r dem Gesichtspunkt der Gesetzesauslegung u n d nicht unter dem der exceptio doli betrachtet Brenner, aaO, S. 68, diesen Fall. 140 Hahn, aaO, S. 396. Z u nennen sind A b k ü r z u n g von Einlassungs- u n d L a dungsfristen (§ 604 ZPO), Beschränkung der Beweismittel (§§ 602, 605, 595 I I ZPO) u n d Ausschluß der Widerklage (§§ 602, 595 I ZPO). 141 Hahn, aaO, S. 396. 142 Vgl. Hahn, aaO, S. 159.

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des Klägers . . . bei Kollusionen des Klägers m i t einzelnen Beklagten den ü b r i gen zum Schaden gereichen können."

Da § 603 I I ZPO offenbar eine bewußte Ausnahme von § 36 Nr. 3 ZPO darstellt, nimmt das Gesetz i m Interesse der Verfahrensbeschleunigung eben i n Kauf, daß dem Kläger ein Übergewicht gegenüber dem Beklagten eingeräumt w i r d und daß er m i t einzelnen Beklagten zum Nachteil anderer kolludiert. Daher verträgt es sich nicht mit dem Prinzip der Verfahrensbeschleunigung, wenn man dem Beklagten eine exceptio doli gibt und trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 603 I I ZPO einen Zuständigkeitsstreit entfacht 148 . Die Annahme einer verdeckten Regelungslücke findet daher keine Stütze i n der Systematik des Gesetzes. Eine teleologische Reduktion des § 603 I I ZPO ist für den vorliegenden Fall nicht zulässig. Eine Tatbestandserschleichung oder eine arglistige Schaffung einer prozessualen Rechtslage liegt nicht vor. d) Das oben I b wiedergegebene Urteil des R G 1 4 4 gibt indes die Einrede der Arglist. Man erfährt jedoch nicht, warum das Verhalten des Klägers arglistig sein soll. Wenn das RG weiter darauf abstellt, daß die Klage gegen einen Beklagten nur zum Schein oder nicht ernsthaft erhoben sei, daß der Kläger gegen diesen Beklagten „weder klagen konnte noch klagen sollte noch klagen wollte", so verbirgt sich hinter dieser „Wortmusik" ebenfalls keine stichhaltige Begründung. Auch eine nicht ernsthaft erhobene Klage ist eine Klage i m Sinne des Gesetzes. Auch Scheinklagen sind es, da die Kategorie der Nichtigkeit (§ 117 BGB) nicht auf Prozeßhandlungen paßt. I m übrigen konnte der Kläger klagen, da die Erhebung der Klage allein von seinem Willen abhängt. Warum er nicht klagen sollte, bleibt unerfindlich. Daß er klagen wollte, ergibt sich aus der Klageerhebung. Nur ein Urteil erwirken und vollstrecken wollte er nicht 1 4 5 . Würde man m i t dem RG eine unzulässige 143 Wie bei RGZ 51, 175. Die w o h l h. M. teilt die Ansicht des R G : Vgl. Baumbach - Lauterbach, aaO, § 603 A n m . 2; Stein - Jonas - Schönke - Pohle, 18. A u f l . §603 I I I ; Baumgärtel, Z Z P 69, S. 109; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, aaO, S. 379, 477; Beltz, aaO, S. 32; a. A. Wieczorek, aaO, § 603 Β 1; Novak, OesterrJZ aaO, S. 343 re. Sp. 144 RGZ 51, 175. 145 H i e r taucht das u. G behandelte Problem des institutionellen Rechtsmißbrauchs oder des mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses wegen zweckwidriger Verwendung einer prozessualen Befugnis auf. Der Entscheidung RGZ 51, 175 ist der i n OGHZ 1, 182 (193) als obiter d i c t u m behandelte F a l l vergleichbar. Dort ist ausgesprochen: „Die Verurteilung zum W i d e r r u f einer tatsächlichen Behauptung k o m m t i n ihren Voraussetzungen der Feststellung der Unrichtigkeit der behaupteten Tatsache nahe, aber sie k a n n rechtsgrundsätzlich nicht dazu bestimmt sein, die nach § 256 ZPO nicht zugelassene Klage auf Feststellung einer Tatsache oder ihres Gegenteils zu ersetzen. Deshalb würde eine E r k l ä r u n g des Verletzten, daß er sich m i t einer Verurteilung zum

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Gerichtsstandsbestimmung nach § 603 I I ZPO dann annehmen, wenn der Kläger nur zum Schein klagt, d.h. wenigstens nicht vollstrecken w i l l , so stünde § 603 I I ZPO i n einer ganzen Reihe von Tatbeständen i n Frage, etwa dann, wenn der Kläger gegen den für den Gerichtsstand maßgebenden Beklagten nicht verhandelt, keine Anträge stellt, die Klage zurücknimmt, mit dem Beklagten einen Vergleich schließt (§ 423 BGB!). I n solchen Fällen kann von einer ernsthaften, d.h. wegen Erlangung einer Vollstreckungsmöglichkeit erhobenen Klage i m Sinne des RG keine Rede sein. e) Ergebnis. Verklagt ein Wechselgläubiger einen Wechselschuldner nur deshalb, um an dessen allgemeinen Gerichtsstand auch gegen die übrigen Wechselschuldner vorgehen zu können, so liegt kein Fall einer unzulässigen Tatbestandserschieichung vor. 6. Die Erschleichung des Armenrechts (§ 114 ZPO)

a) Die Kasuistik 1 4 6 läßt sich auf folgenden Nenner bringen: Eine reiche „Partei" t r i t t einem Mittellosen eine Forderung ab, damit dieser sie als ihr Prozeßführungsermächtigter i m Armenrecht einklage. Der Zessionar beantragt das Armenrecht. b) Nach dem Wortlaut des § 114 ZPO ist i h m das Armenrecht zu gewähren: Partei i. S. dieser Norm ist der mittellose Zessionar. c) Enthält § 114 ZPO eine verdeckte Regelungslücke? Die Vorschriften über das Armenrecht beruhen auf der Notwendigkeit, arm und reich gleichen 147 Rechtsschutz zu gewähren 1 4 8 , da ihnen gleichermaßen das Selbsthilferecht genommen ist. Auch die arme Partei soll ohne Existenzgefährdung ihre Rechte gerichtlich verfolgen und verteidigen können. Daß es sich dabei um „materiell" eigene Rechte handeln muß, daß die arme Partei m i t anderen Worten die Vorteile des etwaigen Obsiegens selbst genießen und die Nachteile einer etwaigen Niederlage W i d e r r u f begnügen wolle, sein Rechtsschutzinteresse an der Verurteilung i n Frage stellen können" (Vgl. dazu Pohle, Festschrift für Lent, aaO, S. 201, 202, 220). Pohle behandelt diesen F a l l einer Klage bei nicht beabsichtigter V o l l streckung als einseitigen Scheinprozeß. A b e r dieses Argument besagt, ebenso w i e das des institutionellen Rechtsmißbrauchs oder des mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses nur, daß eine solche Klage als unzulässig abgewiesen w e r den muß. Ob sie gerichtsstandsbegründend i. S. des § 603 I I ZPO w i r k t , hängt von dem Geltungsbereich dieser N o r m ab. 148 O L G Breslau SeuffArch. 51, Nr. 137; O L G Stuttgart SeuffArch. 54, Nr. 250. 147 Über das I n s t i t u t des Armenrechts als gesetzlich geregelten A n w e n dungsfall des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Richter vgl. Bötticher, Die Gleichheit vor dem Richter, 1954, S. 22 ff. 148 Hahn, Materialien, aaO, Bd. I I , 1, S. 206.

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selbst tragen soll, liegt auf der Hand. Denn n u r den Schutz „materiell" eigener Interessen der armen Partei zu garantieren, besteht Anlaß. Gegen diesen Zweck verstößt es, w e n n eine reiche „Partei" einer armen einen Anspruch abtritt, damit sie i h n i m Armenrecht einklage und den Erlös herausgebe. § 114 ZPO enthält also eine verdeckte Regelungslücke u n d bedarf teleologischer Reduktion. d) D i e sinngemäß

zu fordernde

Einschränkung

149

des z u w e i t

ge-

faßten Normwortlauts braucht nicht auf ein subjektives M e r k m a l Bedacht zu nehmen. Denn der soeben ermittelte Zweck des Gesetzes w i r d unabhängig von den Motiven des Zedenten vereitelt. Es ist gleichgültig, ob die A b t r e t u n g erfolgt, um die Kostenbefreiung zu erlangen oder um sich etwa die Aufregungen des Prozesses zu ersparen. Eine Umgehungsabsicht ist nicht erforderlich 1 5 0 . e) § 114 ZPO ist daher i m Wege teleologischer Reduktion wie folgt einzuschränken: Das Armenrecht w i r d nicht gewährt, w e n n die arme Partei als Treuhänder einer Person oder Personengemeinschaft auftritt, die nicht arm i m Sinne des Gesetzes ist.

7. Die Erschleichung und die Vermeidung der Revisionssumme (§ 546 I ZPO)

a) Eine siegreiche Partei empfindet die drohende Revision des Gegners als Übel, einer unterlegenen erscheint die eigene Revisionsmöglichkeit als erstrebenswerter Vorteil. I n diesen Situationen bedient man sich einiger Mittel, dem Gegner die A n r u f u n g der höheren Instanz ab149

Vgl. Larenz, aaO, S. 296. Die Entscheidung des O L G Neustadt vom 9. 4. 1956 (ZZP 69, 402), welche die Voraussetzungen für die Armenrechtsgewährung trotz Abtretung des Anspruchs an eine arme Partei offenbar als gegeben ansieht, wenn Gründe ersichtlich sind, „die eine derartige Maßnahme als notwendig, zweckmäßig und vernünftig erscheinen lassen könnten" (aaO, S. 403), ist nicht haltbar. Zur Verweigerung des Armenrechts hätte die Betonung des rechtspolitischen Zwecks der §§ 114 ff. ZPO genügt. Erörterungen darüber, daß i n der fraglichen Abtretungserklärung von der Befürchtung die Rede sei, durch die seelischen Aufregungen einer eigenen Prozeßführung würden bei dem reichen Zedenten weitere gesundheitliche Schäden eintreten, waren überflüssig. Der Gesetzeszweck w i r d unabhängig von den Motiven des Zedenten vereitelt, wenn er reich und der treuhänderisch berechtigte Zessionar arm ist. Ob es erforderlich war, dem Antragsteller nicht nur das Armenrecht zu verweigern, sondern auch seine Klage als unbegründet abzuweisen, w e i l die Abtretung zum Zwecke der Verfolgung eines Anspruchs i m Armenrecht sittenwidrig sei (OLG Neustadt M D R 1958, 848, bestätigt von B G H L M Nr. 3a zu § 138 (Ca) BGB), ist zweifelhaft. Es genügte durchaus, bei einer solchen A b tretung die Voraussetzungen f ü r das Armenrecht zu verneinen, u m dem rechtspolitischen Zweck der §§114 ff. ZPO Geltung zu verschaffen. Weitergehende Wirkungen aus der Gesetzesumgehung abzuleiten, w a r nicht erforderlich. Dazu schon oben V, 4b. 150

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zuschneiden oder sich selbst die Revisionsfähigkeit „künstlich" zu schaffen. Dazu einige Beispiele:

des Anspruchs

1. Die Klägerin klagte als Differenz zwischen dem Erlös aus einem Selbsthilfeverkauf u n d dem vereinbarten Kaufpreis einen Betrag v o n 1517,30 M a r k ein. Sie hat diesen A n t r a g auch i n der Revisionsinstanz beibehalten, obwohl sie bereits i n der Berufung hatte zugeben müssen, daß die Differenz n u r 1240,88 M a r k betrage. Das R G führte aus (RGZ 34, 417 ff.): „Die Zulässigkeit der von der klagenden Fa. eingelegten Revision ist nach § 508 C. P. O. durch einen den Betrag von 1500,— M a r k übersteigenden Wert des Beschwerdegegenstandes b e d i n g t . . . Aus dem Angeführten ergibt sich, daß, w e n n K l ä g e r i n formal eine Modifikation ihres K l a geantrags, den sie auch i n der Revisionsinstanz aufrecht hielt, nicht eintreten ließ, dies entweder auf einen Rechnungsfehler zurückgeführt w e r den muß oder aber auf die Absicht, sich durch Einstellung des höheren Betrages die Revisionssumme zu verschaffen. I n beiden Fällen fehlt es an der Beschwerdesumme." 2. Der Kläger klagte einen Teilbetrag von 7000,— R M ein. I n der Berufung hat er bei der letzten mündlichen Verhandlung den Klageantrag auf 5950,— R M ermäßigt u n d auf alle diesen Betrag übersteigenden A n sprüche verzichtet. I m selben T e r m i n hat der Beklagte ohne Zustimmung des Klägers Widerklage erhoben m i t dem A n t r a g festzustellen, daß dem Kläger auch der weitergehende Anspruch, auf den er verzichtet habe, nicht zustehe. Das K G 1 5 1 hat die Widerklage als unzulässig abgewiesen u n d die Klage dem Grunde nach f ü r berechtigt erklärt. Das R G (RGZ 139, 221 ff.) v e r w a r f die v o m Beklagten eingelegte Revision wegen mangelnder Revisionssumme. Es führte aus (aaO, S. 223): „ K e i n e andere S t e l l u n g n a h m e . . . k a n n schließlich der Umstand begründen, daß der erklärte Verzicht ersichtlich den Zweck verfolgt hat, der Sache die Revisionsfähigkeit zu nehmen. Mag a u d i die Gegenpartei eine n u r m i t diesem Ziel vorgenommene K ü r z u n g als eine Beeinträchtigung ihrer Prozeßstellung empfinden, so liegt doch kein G r u n d vor, den V e r zicht u m deswillen f ü r u n w i r k s a m zu erklären. Ist er wirksam, so stellt er unter Aufopferung von bisher verfolgten Aussichten des Klägers tatsächlich die Lage her, aus der sich die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach dem Gesetz ergibt." Z u m Versuch des Beklagten, den reduzierten Beschwerdewert durch die Feststellungswiderklage zu erhöhen, führte das R G aus (aaO, S. 223): „Freilich käme es auch nicht allein darauf an, daß der Zweck der W i d e r klage n u r der war, die durch den Verzicht bewerkstelligte Minderung des Gegenstandes der Berufungsentscheidung durch eine entsprechende Maßnahme zwecks Wiederherstellung der Revisionsfähigkeit w e t t zu machen, wäre n u r i n die Berufungsentscheidung ein entsprechender w i r k licher Wert gelangt. Es geht aber nicht an, den Zwecken der Schaffung der Revisionssumme zuwider durch künstliche Gestaltung oder Fassung der zur Beurteilung kommenden Anträge diesen den bloßen Anschein 151

Ausführungen darüber, w a r u m das Berufungsgericht die Widerklage trotz fehlender Zustimmung des Klägers nicht als sachdienlich zugelassen hat, fehlen. Offen bleibt auch, w a r u m K G oder R G die Widerklage nicht i n entsprechender A n w e n d u n g des § 268 Nr. 2 ZPO ohne die Einschränkung des § 529 ZPO f ü r zulässig gehalten haben (Wieczorek, aaO, § 529 Β I I b 1).

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eines höheren Wertes zu geben, der den darin ausgedrückten Belangen offensichtlich nicht z u k o m m t 1 5 2 . "

b) Man erkennt, daß es sich bei der geschilderten konkretisierenden Kasuistik u m das Problem „arglistigen Schaffens prozessualer Rechtslagen" handelt. Daß i n den genannten Urteilen von Arglist nicht gesprochen wird, ändert nichts an der Zugehörigkeit zu dem hier behandelten Komplex. Die „künstliche" Gestaltung von Anträgen und „künstliche" Schaffung eines Streitwertes 1 5 3 ist der Sache nach nichts anderes als die sonst bemühte „Arglist" prozessualen Verhaltens. c) Die gegebene Übersicht läßt die Problematik erkennen. Man kann sie folgendermaßen einteilen: aa) Der Kläger stellt einen offensichtlich überhöhten Antrag, der die fragliche Erwachsenheitssumme ergibt, oder beharrt auf einem solchen A n t r a g 1 5 4 (unten lit. d). bb) Der Kläger ermäßigt i n der ersten Instanz oder i m Berufungsverfahren seine Klage u m den über die fragliche Erwachsenheitssumme hinausgehenden Betrag 1 5 5 (unten lit. e). cc) Der Beklagte erhebt bei einem nicht revisionsfähigen Streitwert i n der Berufungsinstanz Widerklage 1 5 6 (unten lit. f). Diese Fallgruppen sollen i m folgenden nach der oben I V angegebenen Methode auf das Vorliegen der Gesetzesumgehung untersucht werden. d) Der Kläger stellt einen offensichtlich unbegründeten Antrag, der die fragliche Erwachsenheitssumme ergibt, oder beharrt auf einen solchen Antrag. Eine unzulässige Tatbestandserschieichung 157 ist dieses Verhalten, wenn es nach dem Wortlaut des Gesetzes zulässig ist, aber gegen dessen Zweck verstößt. aa) „Formal" zulässig ist das Handeln des Klägers. Aus dem Wortlaut des § 546 ZPO lassen sich, ebensowenig wie aus dem Wortlaut anderer Normen, Bedenken gegen die Handlungsweise des Klägers herleiten. 152 Vgl. zur Problematik der Erhöhung des Beschwerdewertes durch Erhebung einer Widerklage auch R G SeuffArch. 89, Nr. 171 B. 153

So R G SeuffArch. 89, Nr. 171 B (S. 351, 352). Vgl. oben l i t . a Beispiel 1 = RGZ 34, 417. Vgl. ferner R G J W 1938, 1416; B G H L M Nr. 11 zu § 91 a ZPO. 154

155

Vgl. oben l i t . a Beispiel 2 = RGZ 139, 221.

1 M

Vgl. oben lit. a Beispiel 2 = RGZ 139, 221. Vgl. ferner R G SeuffArch. 89, Nr. 171 B. 157

Dazu oben I I I u n d I V .

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α) Stellt dieser von Beginn des Prozesses an den überhöhten Antrag, so ergibt sich die Zulässigkeit aus folgenden Bestimmungen: § 546 I I I ZPO verweist für die Ermittlung des Beschwerdewertes auf die §§ 3—9 ZPO. Danach (§ 3 ZPO) setzt das Gericht den Beschwerdewert nach freiem Ermessen und ohne Bindung an Parteiangaben fest, wenn nicht einer der i n §§ 4—9 ZPO normierten Ausnahmefälle vorliegt. Das ist bei Klagen auf einen bestimmten Betrag zwar grundsätzlich nicht der Fall. Dennoch ist für das freie Ermessen auch dann kein Raum 1 5 8 , wenn der Kläger einen bestimmten Betrag fordert. Bei Forderungen läßt sich nämlich der Wert grundsätzlich nur nach dem Antrag des Klägers bestimmen. Es liegt also nichts näher, als durch einen überhöhten Antrag die Rechtsmittelfähigkeit herbeizuführen. Nirgends ist i n der ZPO gesagt, daß der Kläger nur den i h m zustehenden Betrag fordern dürfe 1 5 9 . Die Gefahr des Unterliegens und die daran geknüpfte Kostenlast genügen als Abschreckung. ß) Erhöht der Kläger erst im Laufe des Verfahrens den Antrag i n der dargestellten Weise, so steht das Verbot der Klageänderung nicht entgegen. Sein Verhalten ist nach § 268 Nr. 2 ZPO zulässig. bb) Es besteht jedoch ein Bedürfnis nach Einschränkung des § 546 I ZPO. Enthält er eine verdeckte Regelungslücke i m oben I V dargelegten Sinn? § 546 I ZPO bezweckt eine Beschränkung der Revisionsmöglichkeit, u m einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen. Zu diesem Zweck knüpft die Norm an bestimmte Wertgrenzen an. Sie geht von dem Wert des Gegenstandes aus, der sich zwischen den Parteien i m Streit befindet, nicht aber von einem Wert, der zur Erlangung der Rechtsmittelfähigkeit vorgetäuscht wird. Würde man i h n berücksichtigen, so könnten die Parteien den Beschwerdewert bestimmen, wenn sie die Gefahr eines (teilweisen) Unterliegens auf sich nähmen. Sie könnten nach Belieben den Zweck des § 546 I ZPO vereiteln. Die Norm ist also für die genannten Fälle einzuschränken 160 . cc) Fraglich ist, wie die sinngemäß zu fordernde Einschränkung lautet. Soll man stets dann, wenn ein Rechtsmittelkläger i n der Revisionsinstanz mit einem Antrag durchdringt, dessen Wert unter der Grenze des § 546 I ZPO liegt, das Rechtsmittel als unzulässig verwerfen? Ist 158 Gerold, Streitwert, aaO, §6 Anm. 3 (S. 15); Stein - Jonas - Pohle, ZPO 19. Aufl., § 3 I I I , 2; § 6 I I . 159 M a n k a n n allerdings an den Betrugstatbestand des §263 StGB denken u n d versuchen, aus i h m die Unzulässigkeit des Verhaltens abzuleiten (siehe dazu oben C IV). A b e r die mögliche Strafbarkeit eines Verhaltens sagt nichts über die prozessualen W i r k u n g e n aus. 160 Blomeyer, Zivilprozeßrecht, aaO, § 97 I I , 5a verneint indes für derartige Fälle das Rechtsschutzbedürfnis.

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m. a. W. die Revisionssumme nicht erreicht, wenn die Unbegründetheit des Antrags sich erst nachträglich herausstellt? Die Frage ist zu verneinen. Hat das Gericht schon über die Begründetheit der Revision befunden, so ist es sinnlos, ex post die Statthaftigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, wenn es unbegründet oder nur m i t einem Betrag begründet ist, der unter der Revisionssumme liegt. Die Revisionssumme hat ihren Sinn nur darin, dem Gericht die Prüfung der Begründetheit des Rechtsmittels zu ersparen. Hat es jedoch schon über sie entschieden, so ist es nicht gerechtfertigt, die Revision mangels der Beschwerdesumme als unzulässig zu verwerfen. Eine Einschränkung des § 546 I ZPO kommt also nur dann i n Frage, wenn die (teilweise) Unbegründetheit des Antrags offensichtlich ist, etwa bei Rechenfehlern, leicht erkennbar unschlüssiger Klage usw. Niemand w i r d dem Kläger die Rechtsmittelfähigkeit seiner Klage ex post streitig machen, wenn er i n der höheren Instanz nur m i t einem unter der fraglichen Erwachsenheitssumme liegenden Teil seiner Klage durchdringen wird. Es w i r d sich stets u m vorbeugende Eingriffe der Gerichte i n Fällen handeln, i n denen die Klage i n dieser Höhe offensichtlich keine Stütze i n ihrer Begründung hat 1 6 1 . dd) Ergebnis. § 546 ZPO ist also folgende Einschränkung hinzuzufügen: „Offensichtlich unbegründete Anträge werden für die Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nicht berücksichtigt." e) Der Kläger ermäßigt i n der ersten Instanz oder i m Berufungsverfahren seine Klage um den über die Erwachsenheitssumme des § 546 I ZPO hinausgehenden Betrag der Klageforderung und ändert den Klageantrag entsprechend 162 . Die Klageänderung ist nach § 268 Nr. 2 ZPO ohne die Einschränkung des § 264 ZPO möglich. Ist dem Beklagten nun des Rechtsmittel abgeschnitten? aa) Seinem Wortlaut nach verhindert § 546 I ZPO die Revision des Beklagten. Denn das Gericht kann dem Kläger nur das zusprechen, was er m i t der zulässigerweise geänderten Klage noch begehrt (§ 308 I ZPO). Das ist ein Betrag, der unter der Erwachsenheitssumme des § 546 I ZPO liegt. Die Beschwer des Beklagten erreicht dann ebenfalls nicht die Wertgrenze dieser Norm. bb) Ist § 546 I ZPO lückenhaft, weil i h m keine Regelung dieser Situation entnommen werden kann? Unsere Wert- und Willensentscheidung 163 , die zur Annahme einer Lücke führen kann, w i r d durch folgenden Umstand gesteuert: Es er161 RGZ 34, 417; 97, 85; R G J W 1938, 1416; B G H L M Nr. 11 zu §91 a ZPO. Siehe auch unten lit. f, cc. 162 Vgl. dazu RGZ 139, 221. 163 Esser, Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 252 F N 56.

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scheint uns arglistig, wenn der Kläger den Antrag reduziert, nachdem etwa das Ergebnis der Beweisaufnahme für ihn günstig ausgefallen oder sonst m i t einer Verurteilung des Beklagten zu rechnen ist. Er nimmt so dem Gegner die Möglichkeit, die höhere Instanz anzurufen. Überprüfen w i r unsere Wert- und Willensentscheidung an der gesetzlichen Systematik. Wie bereits oben lit. d dargelegt, geht der Zweck des § 546 I ZPO dahin, der übermäßigen Belastung des Revisionsgerichts durch Aufstellen einer festen Wertgrenze vorzubeugen. Man sollte daher keine Bedenken hegen, eine Beschränkung des Klageantrags als zulässige Maßnahme anzusehen. Belange des Beklagten fordern nicht, den Zweck des § 546 I ZPO gering zu achten. Er hat kein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung der Revisionsfähigkeit. Die Auslegung der Ermäßigungserklärung kann nämlich dreierlei ergeben: α) Es kann sich einmal um eine Verzichtserklärung i. S. des § 306 ZPO handeln. Dann kann der Beklagte Verzichtsurteil fordern und i n Zukunft (res iudicata) einer erneuten Klage auf den überschießenden Betrag entgehen. ß) Die Auslegung der Ermäßigungsklärung kann auch ergeben, daß eine teilweise Zurücknahme der Klage vorliegt 1 6 4 . Dann hat es sich der Beklagte selbst zuzuschreiben, wenn die Ermäßigung der Klageforderung Erfolg hat. Nach § 271 I ZPO kann der Kläger nämlich nur m i t seiner Einwilligung die Klage zurücknehmen. § 268 Nr. 2 ZPO entzieht dem Beklagten nicht das Recht auf Entscheidung, das i h m § 271 ZPO gewähren w i l l 1 6 5 . γ) I n der Beschränkung des Klageantrags auf einen unter der Erwachsenheitssumme liegenden Betrag kann auch die Erklärung liegen, den Rechtsstreit insoweit als erledigt anzusehen. Die Erledigungserklärung w i r d i n der Regel dann angenommen, wenn sie ihre Stütze i n Ereignissen findet, die nach der Klageerhebung eingetreten sind 1 6 6 . Ist ein solches Ereignis — wie gewöhnlich — die nach Klageerhebung erfolgte Befriedigung des Klägers, so ist i m allgemeinen (Ausnahme § 267 BGB) der Beklagte selbst für die Beschränkung des Klageantrags und damit für die Unmöglichkeit, ein Rechtsmittel einlegen zu können, verantwortlich. Aus diesen drei möglichen Bedeutungen der Antragsreduzierung ergibt sich, daß sie den Beklagten weder überraschen kann, noch wehrlos 184 Stein - Jonas - Schönke - Pohle, ZPO 18. Aufl., § 268 A n m . V I , 2, § 306 A n m . I, 1. 185 Stein - Jonas - Schönke - Pohle, ZPO 18. Aufl., § 268 V I , 2. 188 Stein - Jonas - Pohle, ZPO 19. Aufl., § 91 a I , 4.

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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macht. Dieser hat weder Anlaß, auf die Erhaltung eines bestimmten Beschwerdewertes zu vertrauen, noch ist sein (mögliches) Vertrauen angesichts der geschilderten gesetzlichen Garantien schutzwürdig. Das gilt, wenn es sich u m teilweise Klagezurücknahme oder teilweise Erledigungserklärung i n der Hauptsache handelt (oben lit. β und γ). Ergibt die Auslegung der Klageermäßigung einen prozessualen Verzicht (oben lit. α), so hat der Beklagte allerdings keine Möglichkeit, das Sinken des Beschwerdewertes unter die Erwachsenheitssumme zu verhindern 1 6 7 . Aber er steht wegen der Befugnis, hinsichtlich des überschießenden Teils der Klageforderung ein Verzichtsurteil zu erlangen, nicht schlechter, als wenn der Kläger von Anfang an nur einen unter der Erwachsenheitssumme liegenden Betrag eingeklagt hätte. cc) Es besteht daher kein schutzwürdiges Interesse des Beklagten auf Beibehaltung eines beschwerdefähigen Streitwertes. Man kann deshalb den Zweck des § 5461 ZPO uneingeschränkt beachten. § 5461 ZPO weist also für die untersuchte Fallgestaltung keine Lücke auf 1 6 8 . Die Reduzierung von Anträgen unter die Erwachsenheitssumme ist m i t h i n keine unzulässige Gesetzesumgehung 169 . f) Die dritte Gruppe betrifft Fälle, i n denen der Beklagte bei nicht revisionsfähigem Streitwert und drohendem Prozeßverlust i n der Berufungsinstanz Widerklage erhebt 1 7 0 . Es handelt sich auch hier, wie oben lit. d, um „künstliche" Herbeiführung der Revisibilität. Steht dem Beklagten die erstrebte Revision offen? aa) Durch sein Verhalten w i r d nach dem Wortlaut des § 546 ZPO ein revisionsfähiger Beschwerdewert geschaffen. Zwar verweist § 546 I I I ZPO für seine Berechnung auf die §§ 3—9 ZPO und damit auch auf § 5 ZPO, wonach für die Streitwertberechnung zur Ermittlung der Zuständigkeit die Gegenstände von Klage und Widerklage nicht zusammenzurechnen sind. Dennoch werden nach herrschender Ansicht 1 7 1 die 187

Z u r Feststellungswiderklage s. unten l i t . f. Bei Fällen der hier behandelten Gruppe k a n n das ausgeklammerte Problem der erschlichenen Rechtskraft auftauchen, w e n n ein unrichtiges U r t e i l rechtskräftig geworden ist (BGH L M Nr. 12 zu § 826 (Fa) BGB). 189 Dem U r t e i l des R G (RGZ 139, 221) ist daher i m Ergebnis beizupflichten. N u r das Abstellen auf den Zweck der Verzichtserklärung des Klägers ist überflüssiges Beiwerk. Wenn das U r t e i l meint, eine K ü r z u n g des Klageantrags, um der Sache die Revisionsfähigkeit zu nehmen, empfinde die Gegenpartei als Beeinträchtigung ihrer Prozeßstellung, so ist daran n u r soviel richtig, daß jede K ü r z u n g unter die Erwachsenheitssumme eine Beeinträchtigung des von seinem Recht überzeugten Gegners sein kann. Z u welchem Zweck gekürzt w i r d , ist dafür belanglos. 170 Oben l i t . a Beispiel 2 = RGZ 139, 221 u n d R G SeuffArch. 89, Nr. 171 B. 171 Wieczorek, § 5 1 1 a B I a 5 ; Baumbach - Lauterbach, aaO, § 511 a A n m . 4; Gerold, Streitwert aaO, I I I , 14 Rdnote 27 (S. 62). 168

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

Werte von Klage u n d Widerklage zur E r m i t t l u n g des Beschwerdewertes addiert, wenn Klage u n d Widerklage nicht denselben Streitgegenstand betreffen. Erhebt also der Beklagte Widerklage m i t dem A n t r a g festzustellen, er schulde dem Kläger einen über den eingeklagten nicht revisionsfähigen Streitwert hinausgehenden Betrag nicht 1 7 2 , so liegen verschiedene Streitgegenstände vor; die Werte von Klage u n d Widerklage sind also zusammenzurechnen. Das Risiko, m i t seiner Widerklage i n der Berufungsinstanz wegen § 529 I V ZPO abgewiesen zu werden, geht der Beklagte gern ein. Denn an einem Obsiegen m i t der Widerklage ist i h m gar nicht gelegen. Er muß ja, u m das Rechtsmittel einlegen zu können, durch sein Unterliegen entsprechend beschwert sein. Greift der Beklagte also irgendeinen Anspruch auf, der m i t der Klage zwar i n gewissem Zusammenhang 1 7 3 steht, sich aber auf einen anderen Streitgegenstand bezieht, u n d macht er i h n durch Widerklage geltend 1 7 4 , so hat er bei entsprechenden Werten von Klage u n d Widerklage „form a l " die Voraussetzungen f ü r die Erwachsenheitssumme geschaffen. bb) Dieses v o m Wortlaut des § 546 ZPO gedeckte Verhalten verstößt gegen den Zweck dieser Norm. Wie bereits ausgeführt, bezweckt § 546 ZPO m i t der Aufstellung der Wertgrenze eine Einschränkung der Revisionsmöglichkeit. Er w i l l so einer Überlastung der Gerichte vorbeugen. § 546 ZPO enthält hier, ebenso wie f ü r die oben l i t . d geschilderte F a l l gruppe, eine verdeckte Regelungslücke, w e i l sonst eine Partei nach Belieben eine Sache revisionsfähig machen könnte. Die Lücke ist durch teleologische Reduktion des zu weiten Wortlauts zu schließen. Das geschilderte Verhalten ist daher eine Gesetzesumgehung i m oben I V dargelegten Sinn. cc) Welche „sinngemäße Einschränkung" 175 des Normwortlauts ist vorzunehmen? Bedarf es einer Umgehungsabsicht; w i e muß sie sich i n der erforderlichen Einschränkung des § 546 ZPO ausdrücken? Den oben wiedergegebenen Entscheidungen des R G 1 7 6 ist zuzustimmen, wenn sie auf die Motive abstellen, aus denen der Beklagte Widerklage erhoben hat. Hier ist ausnahmsweise bei der Gesetzesumgehung die Feststellung eines subjektiven Tatbestandes erforderlich. Der Zweck des Gesetzes w i r d vereitelt, w e n n durch die Erhebung der Widerklage n u r dem äußeren Anschein nach ein über der Erwachsenheitssumme 172

RGZ 139, 221, dazu oben lit. a Beispiel 2. U m etwaige aus § 33 ZPO sich ergebende Bedenken auszuräumen. 174 So RG SeuffArch. 89, Nr. 171 B. 175 Larenz, aaO, S. 296. 176 RGZ 139, 221, dazu oben lit. a Beispiel 2; SeuffArch. 89, Nr. 171 B ; vgl. auch R G JW 1937, 3185. 173

VII. Fallanalyse auf der Grundlage der Gesetzesumgehung

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liegender Beschwerdewert geschaffen wird. Der äußere Anschein eines bestimmten Beschwerdewertes läßt sich aber vom wahren Beschwerdewert nur trennen, wenn man lediglich solche Klagen bei der Wertberechnung berücksichtigt, die vom Kläger oder Widerkläger zum Zwecke der Streitentscheidung und nicht zum Zwecke der Schaffung eines rechtsmittelfähigen Wertes erhoben werden. Daß i n diesem Fall ausnahmsweise der Umgehungsvorsatz (oben VI) eine Rolle spielt, liegt daran, daß die erschlichene Norm (§ 5461 ZPO) mit dem Merkmal des Beschwerdewertes an das Begehren der Parteien anknüpft. W i l l man das diesem Begehren zugrundeliegende geldwerte Interesse nicht nur äußerlich nach dem geforderten Betrag, sondern materiell ermitteln, so muß man auf die Psyche der Partei abstellen. Allerdings ist es nicht erforderlich, auf die Parteizwecke i m einzelnen einzugehen. Es genügt die Feststellung, daß die Widerklage offensichtlich unbegründet ist, oder daß sie nach Ermäßigung der Klage i n der Berufungsinstanz erhoben wurde. Bei Vorliegen eines dieser objektiven Merkmale kann man dann auf den typischerweise gegebenen Erschleichungszweck schließen. Es ist ein praktikabler Weg, Tatbestandserschieichung und zulässige Herbeiführung der Revisionssumme zu trennen 1 7 7 . Die Revisionsgerichte haben sich m i t der dargestellten Spruchpraxis 1 7 8 praeter legem ein Vorprüfungsrecht i n Bezug auf die Begründetheit geschaffen. Man kann sagen, daß sie, vergleichbar dem § 24 BVerfGG 1 7 9 , das ihnen i n § 554 a ZPO gewährte Prüfungsrecht auf Ermittlung der offenbaren Unbegründetheit der Revision ausgedehnt haben, wenn die Berechnung der Erwachsenheitssumme i n Frage steht 1 8 0 . dd) D i e sinngemäß

zu fordernde

Einschränkung

des § 546 Z P O l ä ß t

sich nun i m Anschluß an das oben lit. d gefundene Ergebnis wie folgt formulieren: Soweit Anträge offensichtlich unbegründet sind, werden 177 Auch die zitierten Entscheidungen stellen auf die offensichtliche Unbegründetheit ab. So z. B., w e n n die Rede davon ist, „der Kläger müsse selbst zugeben, die Erhöhung nicht begründen zu können" (RGZ 34, 417, dazu oben lit. a Beispiel 1). Ebenso, w e n n von dem Zweck gesprochen w i r d , „den A n trägen einen Wert zu geben, der den darin ausgedrückten Belangen offensichtlich nicht z u k o m m t " (RGZ 139, 221 [223], dazu oben lit. a Beispiel 2). Ferner dann, w e n n davon die Rede ist, daß eine Widerklage erhoben sei zur Ermöglichung der Revision — eine Feststellung, deren y faugenscheinlich Richtigkeit auf der Hand liegt" (RG SeuffArch. 89, Nr. 171 B). 178 RGZ 139, 221; R G SeuffArch. 89, Nr. 171 B. 179 Formwidrige, unzulässige, verspätete oder offensichtlich unbegründete Anträge . . . können durch einstimmigen Beschluß des Gerichts verworfen werden. 180 Vgl. dazu u. G V I , 4 i n RGZ 162, 65 den F a l l einer offensichtlich unbegründeten, zum Zwecke des Vollstreckungsaufschubs eingelegten Berufung.

7 Zeiss

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D. Arglistige Schaffung prozessualer Rechtslagen

sie nicht zur Berechnung der Beschwerdesumme herangezogen. Das gleiche gilt für Widerklagen, die nach Ermäßigung des Klageantrags unter die Revisionssumme i n der Berufungsinstanz erhoben werden 1 8 1 . V I I I . Ergebnis Die Fälle „arglistiger Schaffung prozessualer Rechtslagen" 182 sind i n der Regel solche der Gesetzesumgehung. Sie sind Erscheinungsformen 181 Spielt der v o m Kläger eingeklagte Betrag nicht f ü r die Revisionsfähigkeit, sondern f ü r die Begründung der sachlichen Zuständigkeit eines Gerichts erster Instanz eine Rolle (§§23, 71 GVG), so ist es m. E. nicht angebracht, eine Vorprüfung der Begründetheit anzustellen. K l a g t jemand 1700,— D M ein, von denen 300,— D M offenlichtlich unbegründet sind, so ist dennoch an der Zuständigkeit des L G nicht zu zweifeln. Die ZPO reagiert auf eine H ö herbewertung nicht so scharf (§10 ZPO) w i e ζ. B. §60 J N : „Erscheint bei einer Klage, welche bei einem Gerichtshofe I. Instanz angebracht wurde, die v o m Kläger angegebene Summe . . . übermäßig hoch gegriffen, so k a n n das Gericht, wenn es zugleich wahrscheinlich ist, daß bei richtigerer Bewertung des Streitgegenstandes dieser die f ü r die Zuständigkeit des Gerichtshofes oder f ü r die Besetzung des Gerichts (§ 7a) maßgebende Wertgrenze nicht erreichen dürfte, von A m t s wegen die i h m zur Prüfung der Richtigkeit der Wertangabe nötig erscheinenden Erhebungen u n d insbesondere die Einvernehmung der Parteien, die Vornahme eines Augenscheines und, wenn es ohne erheblichen Kostenaufwand u n d ohne besondere Verzögerung geschehen kann, auch die Begutachtung durch Sachverständige anordnen." 182 Die dargestellte Kasuistik ist sicher nicht vollständig. Einige Fälle, zum T e i l von historischem Interesse, sind jedoch noch erwähnenswert, so ζ. B. die Streitverkündung an einen A n w a l t , u m diesem das nach dem A r b G G von 1926 untersagte Auftreten v o r dem A r b G zu ermöglichen (vgl. dazu L A G Leipzig J W 1931, 1148 m. abl. A n m . von Jonas; Pohle, Z u r Lehre v o m Rechtsschutzbedürfnis, Festschrift f ü r Lent, aaO, S. 220; Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 35). Die heutige Regelung (§ 11 ArbGG) läßt A n w ä l t e zu, w e n n der Streitwert mindestens 300,— D M beträgt. N u r historische Bedeutung hat ebenfalls die Erschleichung des früheren § 519 I V ZPO (vgl. dazu RGZ 112, 107). Die A b t r e t u n g des Klageanspruchs, u m die Zeugenvernehmung des Zedenten zu ermöglichen, k a n n zwar als F a l l „arglistiger Schaffung einer prozessualen Rechtslage" gelten, verdient jedoch keine eingehende Behandlung, w e i l das Gericht die Zeugenaussage des Zedenten nach § 286 ZPO würdigen k a n n (vgl. R G Gruchot 53, 911; RGZ 81, 160; von Poellnitz, aaO, S. 38; Baumgärtel, Z Z P 69, 112). Einen (vermeintlichen) F a l l der Erschleichung des Mangels gesetzlicher Vertretung (§§ 51, 52 ZPO) behandelt B A G A P Nr. 2 zu § 242 B G B (Prozeßv e r w i r k u n g ) : Die beklagte betriebliche Unterstützungskasse w a r als Verein eingetragen. Während eines Rechtsstreites u m die Zahlung von Ruhegehalt unterblieb die Vorstandsbestellung. Das B A G vermeidet die Abweisung der Klage wegen des Mangels gesetzlicher Vertretung unter Berufung auf das „Gebot loyaler Prozeßführung". Es gehe nicht an, daß eine Partei unter Mißbrauch formalen Rechts w i d e r Treu u n d Glauben die richtige Sachentscheidung verhindere oder verzögere. — Diese Entscheidung ist bedenklich. E i n m a l läßt sie unbeachtet, daß die gesetzliche Vertretung eine von A m t s wegen zu prüfende, nicht disponible Voraussetzung der Sachentscheidung ist (§ 56 ZPO) u n d daher der Formrigor des Prozeßrechts hier die Generalklausel aus-

V I I I . Ergebnis

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des Normenmißbrauchs und lassen sich m i t der Kategorie der Gesetzesauslegung lösen. Sie konkretisieren das oben A l l aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens i n gleicher Weise, wie Fälle des Normenmißbrauchs den § 242 B G B 1 8 8 .

schließt (s. o. C I I 1—3). Außerdem ist der Rückgriff auf die A r g l i s t nicht erforderlich, w e i l die Bestellung eines Notvorstandes nach §29 B G B oder eines besonderen Vertreters nach § 57 ZPO möglich war. So auch J. Blomeyer i n A n m . zu B A G A P Nr. 2 zu § 242 B G B (Prozeß ver Wirkung). 185 Soergel - Siebert, B G B aaO, § 242 A n m . 110 ff., Esser, Schuldrecht aaO, § 34, 3, 7 u n d 8.



E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht I. Das Problem Wie bereits dargelegt 1 , ist das Verbot des venire contra factum prop r i u m i m Prozeßrecht auf vielfältige Weise speziell geregelt. Es stellt sich die Frage, ob es die Rechtsprechung über diese Spezialregelungen hinaus praktiziert und somit einschlägige Kasuistik nachweisbar ist, welche die Generalklausel des honeste procedere weiter konkretisieren kann. I I . Zuwiderhandeln gegen Verträge über prozessuale Befugnisse als vermeintliches Anwendungsgebiet des venire contra factum proprium 1. Das venire contra factum proprium spielt eine Rolle, wenn jemand i m Prozeß seiner vertraglichen Verpflichtung zu bestimmtem prozessualem Verhalten zuwiderhandelt. Kennzeichnend für diese Struktur ist folgende RG-Entscheidung 2 : V o r dem ersten T e r m i n hatte der Kläger dem Beklagten versprochen, die Klage zurückzunehmen. Da er gleichwohl i n der mündlichen Verhandlung den Klageantrag stellte, berief sich der Beklagte auf die nicht eingehaltene Verpflichtung des Klägers. Das R G gewährte eine exceptio doli u n d wies die Klage als unzulässig ab (aaO, S. 222): „Einem solchen Verhalten des Klägers muß der Beklagte jedenfalls als einer vorsätzlichen Verletzung der durch den Vertrag übernommenen V e r pflichtung m i t der Einrede der Arglist entgegentreten können. Dafür, daß eine solche, dem materiellen Vertragsrecht entspringende Einrede einem auf prozessualem Gebiete liegenden Verhalten einer Partei nicht entgegengesetzt werden könnte, bietet die Prozeßordnung keinen A n h a l t 3 . "

Diese Entscheidung leitete eine ständige Rechtsprechung ein 4 . Auch die Literatur bejaht die Einrede der Arglist bei vertragswidrigem prozessualem Verhalten 5 . 1

Oben C I I I , 3. RGZ 102, 217. Ähnlich f ü r den Klagezurücknahmevertrag auch R G DR 1940, 113 (114). 3 Hervorhebungen i n Zitaten stammen von mir. 4 Die exceptio doli wegen vertragswidrigen Prozeßverhaltens greift bei der Verpflichtung zur Rechtsmittelzurücknahme ein (RGZ 123, 84 [85]; 159, 186 [190] ; B G H Z 20, 198 [205] ; ebenso bei der Verpflichtung, auf künftige Rechts2

I I . Zuwiderhandeln gegen Verträge über prozessuale Befugnisse

101

2. D i e z i t i e r t e Rechtsprechung w i r f t m e h r e r e F r a g e n a u f : a) G e h ö r t die a u f g e f ü h r t e J u d i k a t u r z u r P r o b l e m a t i k d e r a r g l i s t i g e n Prozeßpartei? D a z u u n t e n Z i f f . 3. b) H a n d e l t es sich b e i d e r V e r p f l i c h t u n g z u r V o r n a h m e oder

zum

U n t e r l a s s e n v o n P r o z e ß h a n d l u n g e n u m e i n prozessuales oder m a t e r i e l l rechtliches P r o b l e m ? D a z u u n t e n Z i f f . 4. c) I s t d i e E i n r e d e d e r A r g l i s t gegen v e r t r a g s w i d r i g e s V e r h a l t e n i m Prozeß e i n A n w e n d u n g s f a l l d e r k o n z i p i e r t e n G e n e r a l k l a u s e l oder f o l g t d i e E i n r e d e i n W i r k l i c h k e i t aus d e r v e r t r a g l i c h e n B i n d u n g ? D a z u u n t e n Z i f f . 5. 3. W e r eine P r o z e ß h a n d l u n g i m W i d e r s p r u c h z u e i n e r ü b e r n o m m e n e n v e r t r a g l i c h e n P f l i c h t v o r n i m m t oder u n t e r l ä ß t , h a n d e l t f ü r unser Rechtsg e f ü h l unzulässig. W i r w e r t e n sein V e r h a l t e n ζ. B . als a r g l i s t i g 8 , o b w o h l m i t t e l zu verzichten (BGHZ 2, 112 [114]; 28, 45 [48ff.]; B G H L M Nr. 3 zu §514 ZPO); bei der Verpflichtung, nicht i m Urkundenprozeß zu klagen (RGZ 160, 241 [246]); bei der Verpflichtung, keinen Schuldausspruch nach §52 I I I EheG zu beantragen (BGH N J W 1964, 1072; B G H L M Nr. 4 zu § 52 EheG = Z Z P 74, 362); bei der Verpflichtung, ein Verfahren als Musterprozeß zu f ü h ren, d. h. kein Anerkenntnis abzugeben oder Versäumnisurteil nicht ergehen zu lassen u n d während der Dauer des Musterprozesses nicht den Restanspruch einzuklagen (Johannsen i n A n m . zu B G H L M Nr. 1 zu §307 ZPO; zur Problematik des Musterprozesses eingehend Kempf, ZZP 73, 342 ff.). Weiter sind Vereinbarungen denkbar — ihre Wirksamkeit soll hier dahinstehen —, welche die Zulässigkeit des Rechtswegs betreffen (Schiedermair, aaO, S. 65 ff.), den Ausschluß der Klagbarkeit (RG J W 1930, 1062; dazu Kempf, aaO, S. 379, 380), die Zulässigkeit des Zeugenbeweises i m Urkundenprozeß (dazu Niese, Prozeßhandlungen u n d Verträge über Prozeßhandlungen, Diss. Jena 1931, S. 73). 5 Vgl. Baumbach - Lauterbach, aaO, §271, A n m . 2 B ; Baumgärtel, Wesen u n d Begriff, aaO, S. 265, 270; ders., Der Zivilprozeßrechtsfall, 1965, S. 63, 72; Beltz, aaO, S. 79 ff.; Blomeyer, ZPR, aaO, § 30 V I I I 4 b; § 30 I X a. E.; § 63 I V ; Bonin, Über die W i r k u n g außergerichtlicher Vereinbarungen auf den schwebenden Rechtsstreit, J Z 1958, 268; von Poellnitz, aaO, S. 38 ff.; Staudinger Weber, aaO, § 242 D 393. • A n der aufgeworfenen Problematik läßt sich auch die oben A I I I , 2 dargestellte Erscheinung demonstrieren, daß ohne Konkretisierung negative Wertprädikate noch beliebig austauschbar sind. E i n Urteil, welches das v e r tragswidrige Prozeßverhalten etwa als sittenwidrig abwertet, gehört daher ebenfalls zum Problem. Soweit ersichtlich setzte die Hinwendung der J u d i k a t u r zur Einrede der A r g l i s t oder zur exceptio doli generalis, zum Verstoß gegen Treu u n d Glauben m i t RGZ 102, 217 ein, also 1924. V o n dieser Zeit an blieb die Einordnung der gegenwärtigen Problematik i n den Bereich des § 242 B G B oder der oben konzipierten Generalklausel des redlichen prozessualen Verhaltens gleich. Die Konkretisierung hatte begonnen. Die E n t w i c k lung hätte aber auch einen anderen Verlauf nehmen können. V o r RGZ 102, 217 fehlten noch die Beispiele, unter die i m Wege exemplifikativer I n t e r pretation vertragswidriges Prozeßverhalten als „arglistiges" gebracht werden konnte. M a n w a r i n der W a h l des abwertenden Prädikates noch frei. Das zeigt sich ζ. B. an einem U r t e i l des O L G Celle v o m 2. 12. 1911 (SeuffArch. 67, Nr. 91). Dort wurde das Verhalten eines Klägers, der entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung, die Klage zurückzunehmen, den Prozeß weiter betrieb, als sittenwidrig bezeichnet.

102

E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

die ZPO selbst über dessen Unzulässigkeit nichts aussagt. Damit t r i t t wieder das eingangs A I geschilderte Phänomen auf: das prozessuale Verhalten verletzt trotz seiner „formalen" Erlaubtheit das Rechtsgefühl. 4. Man kann zweifeln, ob es sich bei Verträgen, die zur Ausübung oder Unterlassung prozessualer Befugnisse verpflichten, stets u m prozessuale Probleme handelt. Blomeyer 7 verneint das bezüglich der Verpflichtung, die Klage zurückzunehmen. Er versucht das vertragswidrige prozessuale Verhalten des Klägers „materiellrechtlich zu spiegeln" und nimmt an, bei Leistungsklagen, Gestaltungsklagen und positiven Feststellungsklagen enthalte die außergerichtlich vereinbarte Klagezurücknahme einen Verzicht auf die Geltendmachung des Anspruchs. M. E. ist dieser Weg abzulehnen. Einmal gibt es eine Reihe isolierter prozessualer Befugnisse, die sich nicht „materiellrechtlich spiegeln" lassen, was Blomeyer für negative Feststellungsklagen und die Rechtsmittelzurücknahme annehmen muß. Auch bei Gestaltungsklagen ist streitig, ob m i t ihnen ein privatrechtlicher Anspruch auf Rechtsgestaltung geltend gemacht w i r d 8 . Auch wollen die Parteien bei einem auf die Verpflichtung zur Klagezurücknahme gerichteten Vertrag nicht den materiellrechtlichen Anspruch antasten. Seine außergerichtliche Geltendmachung, etwa durch Aufrechnung, soll sicher nicht stets ausgeschlossen werden. Gemeint ist m i t einem derartigen Vertrag nichts anderes, als die prozessuale Befugnis, dem Gericht gegenüber eine Rücknahmeerklärung nach Maßgabe des § 271 ZPO abzugeben. Eine vertragliche Verpflichtung zu prozessualem Verhalten betrifft daher i n aller Regel die prozessuale Befugnis und nicht das materielle Recht. 5. Die Einrede der Arglist, m i t der Rechtsprechung und Literatur die gegenwärtige Problematik erfassen, folgt aus dem Verbot des venire contra factum proprium. Danach ist die Rechtsausübung unzulässig, wenn sie i m Widerspruch zum früheren Verhalten des Berechtigten steht und gegen Treu und Glauben verstößt. Ein solcher Verstoß liegt dann vor, wenn der Gegner dem früheren Verhalten des Rechtsausübenden vertrauen konnte und sich deswegen auf eine bestimmte Sachund Rechtslage eingerichtet hat®. 7

ZPR aaO, § 63 I V . Gegen ein privates Gestaltungsrecht z. B. Henckel, aaO, S. 31; Blomeyer, aaO, §38 I I ; §40 V 3; Müller - Freienfels, Ehe u n d Recht, aaO, S. 225 ff. f ü r die Ehescheidungsklage; a. A . Bötticher, Dölle Festschrift, S. 55 ff.; ders., Z Z P 77, 478. Vgl. zum Problem jüngst Schlosser, Gestaltungsklagen u n d Gestaltungsurteile, 1966, S. 362, 382. 9 Soergel - Siebert, aaO, §242 A n m . 141; Esser, Schuldrecht, aaO, §35, 2 u n d 3. 8

II. Zuwiderhandeln gegen Verträge über prozessuale Befugnisse

103

Der Tatbestand des venire contra factum proprium liegt der zitierten Rechtsprechung zugrunde, die sich m i t vertragswidrigem prozessualem Verhalten befaßt. Denn jedes vertragswidrige Verhalten steht m i t der zuvor übernommenen Verpflichtung i n Widerspruch und enttäuscht das Vertrauen des Vertragstreuen Teils auf die ordnungsmäßige Abwicklung des Vertrages. Hier berühren sich also das Prinzip des pacta sunt servanda und das Verbot des venire contra factum proprium. Eine saubere Grenzziehung ist jedoch unerläßlich, um nicht unversehens m i t der Generalklausel zu argumentieren, wo es sich i n W i r k lichkeit u m die Bindungswirkung eines Vertrages handelt 1 0 . Vertragswidriges Verhalten und widersprüchliches Verhalten i. S. des venire contra factum proprium schließen sich gegenseitig aus. Dort, wo man die bindende Wirkung eines Vertrages bejahen kann 1 1 , drängt man das venire contra factum proprium zurück. Es gilt also zu untersuchen, ob ein Vertrag, durch den sich jemand zum Unterlassen oder zur Vornahme von Prozeßhandlungen verpflichtet, wirksam ist (unten lit. a), wie man sich die Wirkung des Vertrages auf den Prozeß vorzustellen hat (unten lit. b), und ob speziell prozeßrechtliche Gründe fordern, vertragswidriges Verhalten ausnahmsweise m i t der exceptio doli zu bekämpfen (unten lit. c). a) Zivilrechtliche Rechtsgeschäfte über prozessuale Befugnisse seien ein widersinniger Begriff, meinte Hellwig 12. Sie seien unzulässig. Das folge aus dem Verbot eines Konventionalprozesses 13 . Heute vertritt, soweit ersichtlich, nur noch Wieczorek 14 die Ansicht, außer den i n der ZPO selbst geregelten Verträgen (Prorogationsvertrag, Schiedsvertrag) seien keine prozessual wirksamen Vereinbarungen zulässig. Die Rechtsprechung ist eigene Wege gegangen und hat stets betont, daß eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Vornahme jeder Handlung übernommen werden könne, die möglich und rechtlich erlaubt sei 15 . Auch der Gesetzgeber hat sich i n § 20 I I Nr. 4 GWB der Ansicht der Rechtsprechung angeschlossen, indem er dort von der Wirksamkeit einer Verpflichtung ausgeht, etwa ein Patent nicht m i t einer Klage anzugreifen 10

Siehe dazu auch Gadow, Die Einrede der Arglist, JherJb 84, 174 [201, 202].

11

Der Kreis dieser Fälle wächst, j e geringere Anforderungen man an die Voraussetzungen eines Vertrages (Vertragsbindungen aus sozialtypischem Verhalten, faktische Verträge) stellt. 12 System I, 1912, S. 451 F N 11; vgl. auch Goldschmidt, lage, aaO, S. 311, 312.

Prozeß als Rechts-

1S Hellwig, aaO, S. 450. So noch i n neuerer Zeit Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 28 ff., 150, 151. 14

aaO, § 128 C I I I c; ders., § 514 Β I I I b 1.

15

RGZ 102, 217 [221]; wörtlich gleichlautend B G H Z 28, 45 [49].

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

(§§ 13, 37 PatG) 1 6 . Auch die Literatur ist zum überwiegenden Teil der ablehnenden Auffassung Hellwigs nicht gefolgt 17 . Die Verbindlichkeit von Verträgen über prozessuale Befugnisse, die m i t Grundsätzen und Zweck des Prozeßrechts übereinstimmen, läßt sich daher m i t der h. M. bejahen. b) Was die Wirkung derartiger Verträge auf den Prozeß angeht, so findet sich die Ansicht, aus vertragswidrigem prozessualem Verhalten entstehe dem Berechtigten nach bürgerlichem Recht ein Schadensersatzanspruch 18 . Man kann auch annehmen, der Berechtigte müsse seinen Anspruch auf ein bestimmtes prozessuales Verhalten seines Schuldners i n einem anderen Prozeß durchsetzen und könne i m anhängigen Rechtsstreit erst nach Vollstreckung seines Titels nach §§ 894 oder 888 ZPO einen vertragsgemäßen Zustand herstellen 19 . Diese Ansichten sind abzulehnen. Sie führen dazu, daß die bejahte Verbindlichkeit des Vertrages über prozessuale Befugnisse illusorisch w i r d (so wenn man einen Schadensersatzanspruch gibt), oder daß man die Durchsetzung des Vertrages unnötig kompliziert (Vollstreckung nach §§ 888, 894 ZPO). Es bietet sich als Ausweg an, dem Berechtigten i m anhängigen Verfahren eine Einrede 20 zu gewähren, u m so das vertragswidrige Verhalten des Gegners zur Kenntnis des Gerichts zu bringen und es zu veranlassen, eine Prozeßsituation herzustellen, die dem geschuldeten Verhalten des Verpflichteten entspricht. Diese Einrede ist den prozeßhindernden des § 274 ZPO vergleichbar. Wie die Parteien aus einem Schiedsvertrag eine prozeßhindernde Einrede gemäß § 274 I I Nr. 3 ZPO herleiten können, so können sie auch weitere vertragliche 16

Vgl. dazu B G H N J W 1965, 491, 492. Vgl. Blomeyer, ZPR aaO, §30 V I I I ; Schönke - Schröder - Niese, ZPR aaO, S. 147, 316; Stein - Jonas - Pohle, 19. Aufl., Bern. X I , 5 v o r § 128; Schiedermair, Vereinbarungen, aaO, S. 56 ff. 18 Niese, Diss., S. 86 ff.; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, aaO, S. 28, 150. 19 Dazu Baumgärtel, Wesen u n d Begriff der Prozeßhandlung einer Partei i m Zivilprozeß, 1957, S. 262 A n m . 486; Schiedermair, aaO, S. 179; Beltz, aaO, S. 86. 17

20 F ü r unsere Zwecke ist es von untergeordneter Bedeutung, ob m a n diese Einrede aus einem dem Prozeßrecht oder Privatrecht angehörenden Vertrag ableitet (Vgl. dazu Baumgärtel, Wesen u n d Begriff aaO, S. 260 ff.; 268 ff.; Schiedermair, aaO, S. 122 ff.). Auch diejenige Ansicht, die etwa Klage- u n d Rechtsmittelzurücknahmeverträge an prozessualen Kategorien mißt u n d bereits diesen außerhalb des Prozesses geschlossenen Verträgen verfügungsähnliche prozessuale Wirkungen beilegt, muß eine Geltendmachung der V e r träge i m anhängigen Rechtsstreit annehmen, damit sie Prozeßstoff werden. Von A m t s wegen sind derartige Fakten nämlich nicht zu beachten (Überzeugend Schiedermair, aaO, S. 125. 126). Die Einführung i n den Prozeß erfolgt also auch i n diesem F a l l durch Einrede.

I I . Zuwiderhandeln gegen Verträge über prozessuale Befugnisse

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Prozeßhindernisse schaffen, wenn ihnen prozessuale Befugnisse zur Disposit i o n stehen. Eine von A m t s wegen zu beachtende Prozeßvoraussetzung k ö n nen sie i n der Hegel 2 1 nicht begründen. Denn i n der nicht vorgebrachten E i n rede vertragswidriger Klageerhebung, vertragswidriger Rechtsmitteleinlegung, vertragswidrig unterlassener Klagezurücknahme ist ein die entsprechende Verpflichtung aufhebender actus contrarius zu sehen. Der Gläubiger der geschuldeten Verhaltensweise bringt nämlich, indem er das vertragswidrige Verhalten nicht rügt, schlüssig zum Ausdruck, daß er das i n der Klageerhebung, Rechtsmitteleinlegung usf. liegende Angebot seines Schuldners, den Vertrag aufzuheben, a n n i m m t 2 2 . Wenn man schon die Möglichkeit bejaht, sich zu bestimmtem prozessualem Verhalten zu verpflichten, so muß man den Parteien auch die Befugnis zur Aufhebung einer solchen Verpflichtung geben. D a m i t vertrüge sich aber nicht die Annahme einer Amtsprüfung. Angemessen ist i n der Regel eine Einrede. c) D i e aus v e r t r a g s w i d r i g e m P r o z e ß v e r h a l t e n folgende E i n r e d e i s t jedoch k e i n e e x c e p t i o doli. E r k e n n t m a n d i e G ü l t i g k e i t des z u r V o r n a h m e oder U n t e r l a s s u n g e i n e r P r o z e ß h a n d l u n g v e r p f l i c h t e n d e n V e r trags an, so ist e i n R ü c k g r i f f a u f d i e G e n e r a l k l a u s e l ebenso s y s t e m f r e m d u n d überflüssig, w i e eine E r s e t z u n g d e r E r f ü l l u n g s h a f t u n g d u r c h d i e e x c e p t i o d o l i . I m b ü r g e r l i c h e n Recht k o m m t n i e m a n d a u f d e n G e danken, bei einer g ü l t i g e n vertraglichen Verpflichtung ein vertragsuntreues V e r h a l t e n als v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m z u q u a l i f i z i e r e n 2 3 . Daß m a n sich i m Prozeßrecht z u diesem S c h r i t t g e n ö t i g t g l a u b t e , l ä ß t sich w o h l n u r so e r k l ä r e n , daß d i e Rechtsprechung, w e l c h e die W i r k s a m k e i t außerprozessualer V e r t r ä g e gegen d e n W i d e r s t a n d der L e h r e (Hellwig, Goldschmidt) durchsetzte, a n eine o f f e n b a r als p r i v a t r e c h t l i c h v e r s t a n d e n e V e r p f l i c h t u n g k e i n e prozessuale E r f ü l l u n g k n ü p f e n w o l l t e . M a n g r i f f l i e b e r z u d e r d i e Gegensätze scheinbar v e r e i n e n d e n G e n e r a l k l a u s e l , v i e l l e i c h t m i t d e m G e d a n k e n , daß außerprozessuale V e r p f l i c h t u n g u n d V e r h a l t e n i m Prozeß u n v e r e i n b a r seien u n d j e d e n f a l l s d e n T a t b e s t a n d des v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m e r f ü l l t e n — u n a b h ä n g i g v o n d e r W i r k u n g des V e r t r a g s . E i n e E i n r e d e , d i e das 21 Ausnahmen unten F V I I I . Die Einredestruktur ist auch dann unbrauchbar, w e n n ein eigentlich notwendiger Streitgenosse pflichtwidrig die Klage zurücknimmt u n d so die gemeinsam erhobene Klage unzulässig werden läßt. Vgl. dazu Säcker, JZ 1967, 51 ff. 22 Eine Anfechtung dieser Annahmeerklärung durch den Beklagten wegen I r r t u m s über die Bedeutung der Nichtrüge oder prozessual ausgedrückt: v e r spätete Rüge des fraglichen Verfahrensmangels (§ 274 I I I ZPO) ist aber aus Gründen der Rechtssicherheit u n d der Schaffung fester Verfahrensabschnitte n u r i n den durch §274 I I I ZPO gewährten Grenzen möglich. M a n lehnt es allerdings ab, auf ein durch eine Musterprozeßvereinbarung geschaffenes vertragliches Prozeßhindernis die Präklusionswirkung des § 274 I I I ZPO anzuwenden, so der B G H i n N J W 1958, 1727. Kritisch dazu Kempf, aaO, S. 385, 386. 23 Davor hat Riezler (Venire contra factum proprium, 1912, S. 114) gewarnt. Es sei nicht richtig, „die bindende K r a f t des Vertrages selbst einfach aus der Idee zu erklären, daß es Unrecht sei, sich m i t der eigenen Willensbetätigung i n Widerspruch zu setzen".

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

vertragswidrige Verhalten rügt, läßt sich aber nicht aus Gründen des Prozeßrechts nur als exceptio doli begreifen. Sie beruht auf der Bindungswirkung des Vertrages. Man kann sie zutreffender als exceptio pacti bezeichnen 24 . M i t dem Verbot des venire contra factum proprium hat sie nichts zu tun 2 5 . I n der Rechtsprechung des B G H scheint sich diese Ansicht durchzusetzen. I n B G H NJW 1958, 1397 [1398] führt der B G H aus: „ W i r d entgegen der Vereinbarung von einer Partei ein Rechtsmittel eingelegt, so k a n n der Gegner die prozessuale Einrede erheben, daß der Rechtsmittelkläger m i t der Verfolgung des Rechtsmittels vertragswidrig handele u n d das Rechtsmittel daher unzulässig sei."

6. Als Ergebnis läßt sich nach alledem festhalten: Vertragswidriges Prozeßverhalten ist nicht arglistig i m Sinne der aufgestellten Generalklausel. Die dargestellte Kasuistik gehört nicht zu ihrem Anwendungsbereich, verleiht aber gleichwohl dem Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens schärfere Konturen 2 6 .

I I I . Die vereinbarte Unklagbarkeit als vermeintlicher Fall des venire contra factum proprium 1. Die vereinbarte Unklagbarkeit eines materiellen Anspruchs oder eines Rechtsverhältnisses nimmt eine Sonderstellung innerhalb der Problematik vertragswidrig ausgeübter prozessualer Befugnisse ein. Fraglich ist nämlich, ob die mögliche exceptio doli oder exceptio pacti sich auf das vertragswidrig eingeklagte materielle Recht oder auf eine davon abgrenzbare prozessuale Klagebefugnis bezieht. Fraglich ist ferner, ob 24

Blomeyer, ZPR aaO, § 30 V I I I 4 b. Allerdings hat eine solche Einrede m i t der exceptio pacti des römischen Rechts nicht v i e l mehr als die Bezeichnung gemein. I m römischen Recht w u r d e bei formlosem Erlaß oder Stundungsabrede dem Schuldner eine exceptio pacti gewährt. Über das Verhältnis dieser exceptio pacti zur exceptio doli vgl. Käser, Das Römische Privatrecht, Bd. I , 1955, S. 537. 25 Daß ein Zuwiderhandeln gegen eine vertragliche Verpflichtung auch i m prozessualen Bereich kein F a l l einer Generalklausel sei, vermutet Lindenmaier (Anm. zu L M Nr. 10 zu § 13 PatG). Er wendet sich gegen die Rechtsprechung des B G H (GRUR 1956, 264), der die Nichtigkeitsklage des § 13 PatG wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben dann als unzulässig abweist, w e n n der Kläger durch Vertrag verpflichtet ist, nicht gegen das Patent v o r zugehen. M a n müsse die Fälle wirksamer vertraglicher Verpflichtung u n d Fälle, i n denen einer Nichtigkeitsklage auch ohne vertragliche Grundlage Gesichtspunkte aus § 242 B G B entgegenstehen, trennen (Näheres dazu unten I I I ) . Die Ansicht Lindenmaiers w i r d geteilt von Busse (Patentgesetz u n d Gebrauchsmustergesetz, 3. A u f l . 1964, § 13 PatG A n m . 2), der bei der Nichtigkeitsklage die Nichtangriffsabrede (exceptio pacti) u n d Fälle allgemeiner A r g l i s t (exceptio doli) trennt. 29 Dazu oben A I I , 1.

III. Die vereinbarte Unklagbarkeit und das Arglistverbot

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sich hinter dem Terminus Klagebefugnis verschiedene Kategorien verbergen, die man als Klagemöglichkeit, Klagerecht oder Rechtsschutzanspruch und Klagbarkeit bezeichnet 27 . 2. Diese Fragen können jedoch hier auf sich beruhen 28 . Unterstellt man, daß sich die Vereinbarung, nicht zu klagen, nur auf eine prozessuale Befugnis und nicht auf materielles Recht bezieht, so steht die vertragliche Erfüllungshaftung und nicht die konzipierte Generalklausel zur Debatte. Auch hier hindert uns keine prozessuale Besonderheit, eine aus dem Vertrag folgende Einrede als exceptio pacti zu qualifizieren. Die entgegen der Verpflichtung erhobene Klage ist vertragswidrig, nicht arglistig. Diese Ansicht w i r d von der Rechtsprechung des B G H zur Nichtangriffsabrede bei der Patentnichtigkeitsklage gestützt: Die K l ä g e r i n greift ein dem Beklagten erteiltes Patent gem. §§ 13, 37 PatG m i t der Nichtigkeitsklage an, w e i l das Patent keine brauchbare Anweisung zu technischem Handeln gebe. Der Beklagte trägt vor, die K l ä g e r i n habe sich i h m gegenüber vertraglich verpflichtet, das Streitpatent nicht anzugreifen. Der B G H (BGHZ 10, 22 [23] f ü h r t dazu aus: „ D i e Entscheidung hängt bei dieser Sachlage davon ab, ob die Verpflichtung der Klägerin, das Streitpatent nicht m i t einer Nichtigkeitsklage anzugreifen, für rechtswirksam zu erachten ist u n d ob der Beklagte, falls das bejaht w e r den muß, i m gegenwärtigen Nichtigkeitsverfahren gegenüber der Klage auf diese Verpflichtung eine Einwendung, die exceptio pacti, m i t der W i r k u n g gründen kann, daß die Nichtigkeitsklage ohne Sachentscheidung abzuweisen ist."

3. Die Einrede der Arglist wegen vertragswidriger Klageerhebung w i r d aber von der Rechtsprechung praktiziert, wenn eine die Klage ausschließende Vereinbarung nicht ausdrücklich getroffen wurde, sondern sich aus dem Zweck des fraglichen Vertrags ergibt. Symptomatisch ist die Rechtsprechung des B G H zur Patentnichtigkeitsklage. Sie w i r d i n folgendem Urteil zusammengefaßt 29 : „ M i t der angefochtenen Entscheidung ist davon auszugehen, daß auch bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage an sich die Einrede der Arglist zu berücksichtigen ist. Es ist i n ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß eine Nichtigkeitsklage nicht n u r i n den Fällen einer ausdrücklich vereinbarten Nichtangriffsabrede, sondern darüber hinaus ganz allgemein ohne Sachprüfung auch dann abzuweisen ist, w e n n der Kläger durch das V e r langen der Nichtigkeitserklärung eines Patents gegen Treu und Glauben v e r 27 Rosenberg, aaO, §90; Blomeyer, ZPR aaO, § 1 I I I ; Stech, Unklagbare Ansprüche i m heutigen Recht, Z Z P 77, 161 ff. ; Hellwig, Anspruch u n d Klagerecht; Habscheid, Der Anspruch auf Rechtspflege, ZZP 67, 188; Baumgärtel, Die U n v e r w i r k b a r k e i t der Klagebefugnis, ZZP 75, 385 ff. ; Hans Reichel, U n klagbare Ansprüche, IherJb 59, 409 ff. u n d 60, 38 ff. Dazu unten F X . 28 Näheres dazu unten V, 3 u n d F X . 29 GRUR 1958, 177 [178]. Vgl. auch B G H L M Nr. 6 zu § 13 PatG, ferner B G H L M Nr. 7 zu § 9 PatG.

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

stößt. Das w i r d insbesondere dann i n Betracht gezogen, w e n n zwischen den Parteien vertragliche Beziehungen, z.B. aus K a u f - , Lizenz- oder Gesellschaftsvertrag bestehen, die schlechthin oder doch i n besonderen Fällen, etwa wegen eines bestehenden besonderen Vertrauensverhältnisses, die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Inhalt, Sinn u n d Zweck der vertraglichen Bindung als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen."

Auch die vertragswidrige Ausübung der Klagebefugnis w i r d also m i t der oben I I erläuterten Einrede der Arglist bekämpft 3 0 . Zwar vermeidet man diesen Umweg, wenn eine ausdrückliche Nichtangriffsabrede vorliegt. Man gibt hier, wie oben Ziff. 2 dargelegt, dem Beklagten eine exceptio pacti. Die Fronten verwischen sich aber, wenn die Nichtangriffsabrede erst durch ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 BGB aus den Abmachungen der Parteien (Gesellschaftsvertrag, Arbeitsvertrag usf.), die über die Verpflichtung, Klage nicht zu erheben, expressis verbis nichts enthalten, ermittelt werden muß. I n diesen Fällen ist die Tendenz feststellbar, die Klageerhebung als arglistig anzusehen 31 , obwohl nach ergänzender Vertragsauslegung die Verpflichtung, nicht zu klagen, feststeht. Konsequent ist es daher, auch i n diesen Fällen von einer exceptio pacti zu sprechen. Diese Beispiele haben ebensowenig mit der exceptio doli zu tun, wie die eingangs behandelten vertragswidrig ausgeübten prozessualen Befugnisse 32 . Entscheidend ist die Vertragswidrigkeit. 4. Das oben I I gefundene Ergebnis gilt also auch für die Verpflichtung, keine Klage zu erheben. Das Zuwiderhandeln gegen Verträge, die wirksam zur Beachtung eines bestimmten prozessualen Verhaltens verpflichten, gehört daher nicht zum Anwendungsbereich einer prozes30 Die Abweisung der Nichtigkeitsklage als unzulässig beruht darauf, daß die Rspr. die Übereinstimmung der Klageerhebung m i t den Verhaltensanforderungen des § 242 B G B oder des konzipierten Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens offenbar als Prozeß Voraussetzung ansieht ( L M Nr. 9 zu § 13 PatG.). 81 Vgl. neuerdings B G H N J W 1965, 491 [492]: „Auch ohne ausdrückliche Parteiabrede k a n n eine Nichtigkeitsklage unzulässig sein, u n d zwar unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung, w e n n der Kläger m i t seinem Klagebegehren gegen Treu u n d Glauben verstößt. E i n solcher Verstoß k a n n sich sowohl aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157) als auch ohne Vorliegen eines Vertragsverhältnisses aus außergewöhnlichen Umständen ergeben." 32 Die Auswirkungen der unrichtigen dogmatischen Einordnung der im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermittelten Nichtangriffsabrede sind erheblich. Verstöße gegen eine Verpflichtung zu prozessualem Verhalten sind nicht von Amts wegen, sondern n u r auf Einrede zu beachten, wie oben I I festgestellt werden konnte. Das gilt auch, w e n n eine solche Verpflichtung durch ergänzende Auslegung nach §§ 157, 242 B G B gefunden wurde. Verstöße gegen das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens oder gegen § 242 B G B sind demgegenüber i m allgemeinen von A m t s wegen zu berücksichtigen. Die Begründung dieser These w i r d unten F V I I I i m Zusammenhang entwickelt werden.

IV. Das venire contra factum proprium im außervertraglichen Bereich 109 sualen exceptio doli. Vertragswidrige Klagen sind nicht arglistige i. S. der aufgestellten Generalklausel 33 .

IV. Das venire contra factum proprium außerhalb verpflichtender Verträge über prozessuale Befugnisse Die Ablehnung des venire contra factum proprium für die oben I I und I I I geschilderte Kasuistik belegt nicht seine Unanwendbarkeit i m Prozeßrecht. Es kann jedoch nur dort eine Rolle spielen, wo das i m Prozeß gezeigte Verhalten einem vor- oder außerprozessualen Verhalten widerspricht, das sich nicht als Vertragsabschluß darstellt. Beim venire contra factum proprium außerhalb von Verträgen über prozessuale Befugnisse handelt es sich um Versuche, die Präklusionsw i r k u n g der materiellen Rechtskraft i n sachlicher und personeller Hinsicht auszudehnen. Der Rückgriff auf das Verbot des venire contra fact u m proprium liegt nahe. Denn venire contra factum proprium und das an die Rechtskraft eines Urteils geknüpfte Verbot, den Feststellungen des Urteils widersprechende Behauptungen vorzubringen, haben gemeinsame Berührungspunkte. Diese Verwandtschaft mag eine gewisse Versuchung darstellen, Erörterungen über Gegenstand und Umfang der materiellen Rechtskraft unter Berufung auf die Generalklausel zu vermeiden oder zu Ergebnissen zu kommen, die sich m i t der herkömmlichen Doktrin über die Ausschlußwirkung eines rechtskräftigen Urteils nicht erzielen lassen. Fraglich ist aber, ob es zulässig ist, sachliche (unten Ziff. 1) und persönliche (unten Ziff. 2) Wirkungen der materiellen Rechtskraft m i t dem Prinzip des venire contra factum proprium auszudehnen. 1. Die Ausdehnung der sachlichen Rechtskraftwirkungen mit Hilfe des § 242 BGB

a) Auszugehen ist von folgendem konkretisierenden F a l l 3 4 : Die K l ä g e r i n klagte i m Vorprozeß eine Forderung von 2795,36 R M ein. Begründung: Die Beklagte habe vor dem 1. Weltkrieg i m A u f t r a g der K l ä gerin 350 u n d f ü r andere K u n d e n weitere 5030 United States Steel Common Shares gekauft. E i n Stückeverzeichnis habe die Beklagte der K l ä g e r i n nicht übermittelt. E i n T e i l der Shares, die bei Londoner Banken gelegen hätten, sei während des Krieges zur Abdeckung der Schulden der beklagten Bank nach englischem Recht verkauft worden. Die Klägerin machte nicht geltend, Eigentum an irgendwelchen Shares erlangt zu haben, sondern verlangte n u r Herausgabe des Vorteils, der der Beklagten durch die Schuldtilgung mittels 33 34

Oben A I I . RGZ 171, 282.

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

ihres Anteils an den Shares entstanden sei. Das R G gab der Klage statt (RG J W 1936, 2859). Der zugesprochene Betrag entsprach dem Erlös aus dem Verkauf von 169 Shares. I n einem neuen Verfahren verlangt die K l ä g e r i n einen Betrag, der dem Erlös aus dem Verkauf von weiteren 31 Shares entspricht. Begründung: Sie habe entgegen ihrem früheren Vorbringen doch 200 Shares auf bestimmte Weise erworben u n d könne daher den vollen Verkaufserlös dieser 200 Shares verlangen. Das R G weist diese neue Klage ab. Die Rechtskraftargumente des L G u n d des K G schiebt es beiseite u n d n i m m t Zuflucht zu § 242 B G B (aaO, S. 286): Die K l ä g e r i n w a r „nicht daran gehindert, dem bereits erhobenen A n spruch die Begründung zu geben, die sie nunmehr nicht n u r dem Mehranspruch, sondern i n Wahrheit auch dem damals erhobenen u n d i h r dann zugesprochenen Anspruch gibt u n d die sie anscheinend f ü r richtig hielt u n d hält. Sie zog es vor, bei einer Begründung zu bleiben, die sich, w i e gezeigt, m i t der Anspruchsbegründung nicht verträgt, die sie hatte vorbringen w o l l e n u n d nunmehr vorbringt, u n d die, w i e erwähnt, i n Wahrheit keineswegs n u r den jetzt erhobenen Mehranspruch betrifft, sondern auch den damals erhobenen u n d i h r zuerkannten Anspruch erfaßt. Das muß i h r aber v e r w e h r t s e i n . . . Denn jedenfalls verbieten die Grundsätze von Treu u n d Glauben (§ 242 BGB) der Klägerin, m i t der einen Begründung den einen T e i l des i n Wahrheit einheitlichen Gesamtanspruchs, m i t einer anderen die erste Begründung (und umgekehrt) ausschließenden Begründung den anderen T e i l desselben einheitlichen Gesamtanspruchs zu verfolgen".

b) Das Urteil, dessen Begründung ersichtlich auf dem Prinzip des venire contra factum proprium beruht, verdient K r i t i k . Es dehnt die Wirkungen der sachlichen Rechtskraft i n unzulässiger Weise aus. U m dies darzulegen, ist zunächst der normale Umfang der sachlichen Rechtskraft i n einigen Grundzügen zu erläutern. Die Parteien sind infolge der Rechtskraft eines zuvor zwischen ihnen ergangenen Urteils präkludiert m i t allen Behauptungen u n d Einwendungen, die i m Widerspruch zu den Feststellungen des Urteils des Vorprozesses stehen 35 . Nicht ausgeschlossen sind die Parteien m i t Vorbringen, dessen t a t sächliche Grundlagen erst nach der letzten mündlichen Verhandlung i m V o r prozeß eingetreten sind3®. Die Parteien sind ferner nicht ausgeschlossen m i t Behauptungen, die einen neuen prozessualen Anspruch ergeben, gleichgültig, w a n n die den Anspruch begründenden Fakten entstanden sind 8 7 . Denn i m Vorprozeß wurde n u r über den damals geltend gemachten prozessualen A n spruch entschieden 38 . Eine Einschränkung dieses Grundsatzes ist aber a m Platze, w e n n i n dem neuen Prozeß ein Anspruch geltend gemacht w i r d , der m i t der i m früheren Prozeß rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge derart i n Widerspruch steht, daß entweder n u r der frühere Anspruch oder n u r der jetzige begründet ist 3 9 . K l a g t z.B. jemand einen Anspruch auf Herausgabe 35

Rosenberg, aaO, § 150 I I I , 2. Baumbach - Lauterbach, aaO, Einf. 3 Β v o r § 322. 37 Rosenberg, aaO, § 150 I 3 b u n d I I I , 2. 38 Vgl. dazu Rosenberg, aaO, § 150 I 3 u n d §150 I I I , 2; Stein-Jonas Schönke - Pohle, 18. Aufl., § 322 V 2 c u n d V I I I , 3. 39 Rosenberg, aaO, § 150 I, 2 b. 86

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I V . Das venire contra factum p r o p r i u m i m außervertraglichen Bereich 111 geleisteter Bereicherung ein, w e i l der i h n zur Leistung verpflichtende V e r trag nichtig ist (§ 812 BGB) u n d spricht das U r t e i l die begehrte Rechtsfolge aus, so steht einer neuen Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung dieses Vertrages die Rechtskraft des ersten Urteils entgegen 40 . Denn der Schadensersatzanspruch setzt die Existenz des Vertrages voraus. Die Rechtsk r a f t verhindert eine neue Entscheidung aber nicht n u r dann, w e n n A n sprüche i m V o r - u n d Nachverfahren i n diesem Verhältnis exklusiver A l t e r n a t i v i t ä t stehen, sondern auch, wenn sie sich gegenseitig bedingen. Eine solche „gegenseitige Bedingtheit" liegt nach Blomeyer 41 vor, w e n n der v o r l e i stungspflichtige Beklagte trotz seiner Einwendung, der Vertrag sei nichtig, verurteilt w i r d . Dann „darf seine spätere Klage auf die Gegenleistung nicht wegen Nichtigkeit des Vertrages abgewiesen werden. W i r d aber die L e i stungsklage wegen Vertragsnichtigkeit abgewiesen, so steht das U r t e i l auch der Klage auf die Gegenleistung entgegen". Die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache greift nach alledem nicht n u r bei Identität des Streitgegenstandes eines V o r - oder Nachverfahrens u n d bei Präjudiziabilität des Anspruchs f ü r den Streitgegenstand des Nachprozesses ein, sondern umfaßt noch andere Fallgruppen, w i e etwa die der exklusiven A l t e r n a t i v i t ä t u n d der gegenseitigen Bedingtheit 4 2 . A u s G r ü n d e n d e r R e c h t s k r a f t w a r es d a h e r d e r K l ä g e r i n i m angef ü h r t e n U r t e i l R G Z 171, 282 n i c h t v e r w e h r t , d e n w e i t e r g e h e n d e n A n s p r u c h g e l t e n d z u machen. Sie s t ü t z t e i h n a u f e i n e n n e u e n T a t b e s t a n d u n d m a c h t e d a m i t e i n e n n e u e n prozessualen A n s p r u c h geltend. A u c h steht dieser neue A n s p r u c h n i c h t i m V e r h ä l t n i s d e r e x k l u s i v e n A l t e r n a t i v i t ä t z u r f r ü h e r b e g e h r t e n Rechtsfolge. D e n n d e r neue K l a g e g r u n d ( E r w e r b v o n V o r z u g s r e c h t e n a n 200 Shares) schließt d e n f r ü h e r e n A n s p r u c h n i c h t aus, s o n d e r n deckt auch i h n . A u c h d i e v o m R G w i e d e r gegebenen E r w ä g u n g e n d e r I n s t a n z g e r i c h t e ü b e r d e n U m f a n g d e r R e c h t s k r a f t d e r V o r e n t s c h e i d u n g k ö n n e n n i c h t überzeugen. Sie stehen i m W i d e r s p r u c h z u r gesicherten L e h r e , daß e i n p r ä j u d i z i e l l e s Rechtsv e r h ä l t n i s n i c h t a n d e r R e c h t s k r a f t t e i l n i m m t . O b f ü r eine D u r c h b r e c h u n g dieses P r i n z i p s , w i e i n d e n g e s c h i l d e r t e n F ä l l e n d e r e x k l u s i v e n A l t e r n a t i v i t ä t , d e r gegenseitigen B e d i n g t h e i t u n d i n R G Z 171, 282 e i n B e d ü r f n i s besteht, k a n n n a t ü r l i c h d i s k u t i e r t w e r d e n , aber a u f d e m B o d e n d e r R e c h t s k r a f t l e h r e u n d n i c h t a u f d e m des v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m 4 3 . D a f ü r sprechen m e h r e r e G r ü n d e : 40 Vgl. dazu etwa RGZ 130, 119 u n d R G J W 1926, 791 f ü r das Verhältnis Schadensersatzklage u n d Rücktritt. 41 ZPR, aaO, § 89 V, 4a. 42 Blomeyer, ZPR, aaO, § 89 V, 1. 43 So i m Ergebnis auch Blomeyer, der früher (Zum Urteilsgegenstand i m Leistungsprozeß, Festschrift f ü r Lent, 1957, S. 43 ff. [S. 55 FN. 57] i m oben geschilderten F a l l gegenseitiger Bedingtheit den Grundsatz, daß das p r ä j u d i zielle Rechtsverhältnis nicht i n Rechtskraft erwächst, nicht opfern u n d i m Nachverfahren m i t einer exceptio doli helfen wollte. Heute (ZPR, aaO, S. 461 FN. 3) hat er die exceptio doli, die früher nach seinen Worten „ h e r halten" mußte, fallen gelassen u n d die Rechtskraftwirkung erweitert.

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

aa) Einmal läßt sich nicht absehen, inwieweit die konzipierte Generalklausel oder § 242 BGB die Rechtskraftlehre aushöhlt. bb) Außerdem w i r d die Rechtskraftproblematik durch die „Flucht i n die Generalklausel" sicher nicht vereinfacht. Auch der Rechtssicherheit dient dieser Ausweg nicht, da man trotz zahlloser Streitfragen i m Bereich der Rechtskraftlehre einen nicht zu unterschätzenden und jederzeit greifbaren Bestand gesicherter Rechtssätze hat, die eine Verlagerung auf das Gebiet des venire contra factum proprium nicht böte. cc) Die Sätze der Rechtskraftdogmatik beruhen zudem auf eigenständigen Überlegungen. Zwar könnte man die Rechtskraftfragen zuweilen auch m i t dem venire contra factum proprium lösen und würde übereinstimmende Ergebnisse erzielen. Das wäre z. B. i m geschilderten Fall der exklusiven Alternativität möglich. Die Übereinstimmung besteht aber nicht durchweg. Viele Sätze der Rechtskraftdogmatik lassen sich nicht auf das venire contra factum proprium zurückführen. So beruht etwa die Maxime, daß i m Nachprozeß Vorbringen, das einen neuen prozessualen Anspruch ergibt, zulässig ist, nicht auf diesem Grundsatz. Dieser würde zu einer anderen Lösung führen, wenn der Beklagte aus dem Verhalten des Klägers i m Vorprozeß den Schluß ziehen konnte, er werde das dort unterlassene Vorbringen nicht i n einem neuen Verfahren nachholen. Man kann also feststellen, daß die Sätze der Rechtskraftlehre trotz einer gewissen Verwandtschaft m i t dem venire contra fact u m proprium auf eigenständigen Überlegungen beruhen. Es widerspräche prozessualer Tradition, die Erkenntnisse der Rechtskraftlehre als „Ausfluß" der Generalklausel aufzufassen. dd) Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß es Fälle geben kann, i n denen jede Erweiterung der Rechtskraftwirkungen versagt und dennoch die Erheblichkeit widersprechenden neuen Vorbringens das Rechtsgefühl so beleidigt, daß nach Abhilfe über das Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu suchen ist. Aber bevor man, wie die zitierte Entscheidung des RG, § 242 BGB ohne jeden Versuch einer Subsumtion als Begründung verwendet, sollte man bedenken, daß venire contra factum proprium nicht nur widerspruchsvolles Verhalten, sondern auch ein durch das frühere Verhalten gerechtfertigtes Vertrauen i n den Bestand der entstandenen Sach- und Rechtslage voraussetzt. Ob ein Vertrauen auf die unabweichliche Fixierung eines i m Vorprozeß vorgebrachten Tatsachenmaterials aber entstehen kann, wenn entweder nach anerkannten Regeln die Rechtskraft diesen Tatsachenstoff nicht oder vielleicht nicht erfaßt, ist zu bezweifeln. Denn angesichts der herrschenden Lehre, welche die unter die Rechtskraftproblematik fallenden Tatbestände widersprüchlichen Verhaltens nur nach Rechtskraftgesichtspunkten entscheidet, muß eine Partei damit rechnen, daß die Gegenpartei i m

I V . Das venire contra factum p r o p r i u m i m außervertraglichen Bereich 113 n e u e n Prozeß A b w e i c h e n d e s v o r b r i n g e n k a n n , w e n n n i c h t die Rechtsk r a f t i m W e g e steht. Daß sich d a b e i e i n s c h u t z w ü r d i g e s V e r t r a u e n b i l d e n k a n n , w i r d i n a l l e r R e g e l z u v e r n e i n e n sein. c) Das a n g e f ü h r t e U r t e i l g e h ö r t d a h e r n i c h t z u m A n w e n d u n g s b e r e i c h des V e r b o t e s a r g l i s t i g e n prozessualen V e r h a l t e n s . D i e G e n e r a l k l a u s e l g e w i n n t jedoch durch die A b g r e n z u n g zur Rechtskraftproblematik schärfere K o n t u r e n .

2. Die Ausdehnung der personellen Rechtskraftwirkungen mit Hilfe des Prinzips des venire contra factum proprium a) I m N o r m a l f a l l schafft e i n U r t e i l R e c h t s k r a f t n u r i n t e r partes. A u ß e r i n d e n F ä l l e n d e r R e c h t s k r a f t e r s t r e c k u n g (§§ 325 ff. Z P O ) s p r i c h t das Gesetz i n d e n §§ 68, 74 I I I Z P O eine A r t R e c h t s k r a f t w i r k u n g gegen D r i t t e aus. N e b e n i n t e r v e n i e n t u n d S t r e i t v e r k ü n d u n g s g e g n e r w e r d e n d a nach i m V e r h ä l t n i s z u r H a u p t p a r t e i m i t d e r B e h a u p t u n g n i c h t g e h ö r t , daß d e r Rechtsstreit, w i e er d e m R i c h t e r v o r g e l e g e n habe, u n r i c h t i g entschieden sei. Es i s t f r a g l i c h , ob m a n diese W i r k u n g o h n e Rücksicht auf die genannten N o r m e n m i t H i l f e der exceptio d o l i herbeiführen kann. b) D e r B G H 4 4 i s t e i n e m solchen V e r s u c h e n t g e g e n g e t r e t e n : Die Klägerin w a r zuvor i n einem Verfahren Streitverkündungsgegnerin gewesen, i n dem es sich u m das Eigentum an einem Wagen gehandelt hatte. Die Beklagte beruft sich auf eine Rechtslage, die m i t der i m Vorverfahren auch m i t W i r k u n g f ü r die Streitverkündungsgegnerin u n d nunmehrige K l ä gerin rechtskräftig festgestellten (§§ 74 I I I , 68 ZPO) i m Widerspruch steht. Die K l ä g e r i n versucht diesem Vortrag der Beklagten die Wirksamkeit zu nehmen: Die Beklagte sei von dem Vorprozeß unterrichtet gewesen u n d habe dem damaligen Verfahren als Nebenintervenientin beitreten können. Dazu f ü h r t der B G H aus: „Die Frage wäre höchstens dahin zu stellen gewesen, ob dem Vorbringen der Beklagten, sie sei Eigentümerin des Wagens gewesen, die Einrede der Arglist entgegengesetzt werden könnte, w e i l sie v o n der t a t sächlichen Möglichkeit, diesen Standpunkt bereits i m Vorprozeß durch Beit r i t t als Nebenintervenientin zur Geltung zu bringen, schuldhaft keinen Gebrauch gemacht habe." Der B G H hält jedoch die Einrede der A r g l i s t aus folgenden, als Leitsatz formulierten Gründen f ü r unzulässig: „Stand es einer Partei frei, i m Wege der weiteren Streitverkündung (§ 72 I I ZPO) einen D r i t t e n an die Entscheidung auch i n einem nachfolgenden Rechtsstreit gem. § 74 ZPO zu binden, u n d machte sie von diesem Recht keinen Gebrauch, so k a n n sie i n der Regel dem neuen Vortrag des D r i t t e n i n dem späteren Rechtsstreit nicht entgegenhalten, sein Verhalten stelle die arglistige Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung dar u n d sei daher u n zulässig." 44

B G H L M Nr. 9 zu § 242 (D) BGB.

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

c) Dieses Urteil ist i m Ergebnis zu billigen. Das Zivilprozeßrecht kann nicht auf einen bestimmten Grundbestand an Formvorschriften verzichten, wenn es überhaupt eine Ordnung des Verfahrens bieten w i l l . Z u i h r gehört z. B. die Regelung der Zuständigkeit und des Instanzenzuges 45 . Der rigor iuris bröckelt aber schon ab, wenn man an andere, offenbar stets gültige Formvorschriften denkt, etwa die der Klageerhebung. Sicher geht es nicht an, m i t Hilfe der Generalklausel eine i m Sinne des § 253 ZPO nicht erhobene Klage als erhoben anzusehen und durch diese „fingierte" Klageerhebung ein Verfahren i n Gang zu setzen. Das schließt aber nicht aus, daß gewisse, an die Klageerhebung geknüpfte materiellrechtliche Rechtsfolgen als eingetreten unterstellt werden, wie z. B. die Unterbrechung der Verjährung, wenn der Schuldner den Gläubiger von rechtzeitiger Klageerhebung abgehalten hat 4 6 . I m angeführten Urteil B G H L M Nr. 9 zu § 242 (D) BGB versucht die Klägerin die an den Wortlaut des § 253 ZPO erinnernde Formulierung des § 70 ZPO i n ähnlicher Weise aufzuweichen: nicht die formelle Einreichung eines Schriftsatzes bei dem Prozeßgericht entscheide über die Wirkungen der Nebenintervention, sondern die Tatsache, daß eine sich i n Widerspruch zu den Feststellungen eines Vorprozesses setzende Partei gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoße, wenn sie ihr jetziges Vorbringen i m Vorprozeß hätte geltend machen können. Zulässig ist diese Erweiterung des § 70 ZPO nicht. Anders als i m Falle verspäteter Klageerhebung liegen die Folgen arglistigen Verhaltens nicht auf materiellrechtlichem Gebiet, sondern beeinflussen unmittelbar die Prozeßlage. Es würde die Sicherheit eines Verfahrens untergraben, wenn prozessuale Wirkungen der Nebenintervention (§ 68 ZPO) m i t Hilfe der Generalklausel herbeigeführt werden könnten. Das ist auch die Ansicht des BGH, aaO. Er stellt fest, „daß die Prozeßordnung f ü r den jeweiligen Tatbestand die gesetzlichen Voraussetzungen der erweiterten Rechtskraftwirkung genau festgelegt habe u n d darüber hinaus die W i r k u n g eines rechtskräftigen Urteils der Ausdehnung nicht fähig sei". Es fordert jedoch K r i t i k heraus, daß der B G H diese Betonung der Formalien des § 70 ZPO offenbar nicht als ausreichende Begründung ansieht. E r legt den Akzent auf die mögliche A r g l i s t der Beklagten u n d rechnet die A r g l i s t beider Parteien gegeneinander auf: w e n n schon die Beklagte sich arglistig verhalten haben sollte, so sei auch das Verhalten der K l ä g e r i n mißbilligenswert. Die Formulierung dieses Gedankens ergibt sich aus dem zitierten L e i t satz des Urteils. Notwendig waren diese Ausführungen nicht. Es hätte genügt, die Bedeutung der Formerfordernisse f ü r den A b l a u f eines geregelten Verfahrens herauszustellen. 45 Vgl. Baur, Richtermacht u n d Formalismus i m Verfahrensrecht, Summum ius summa iniuria, S. 97 ff. [S. 105]. 46 Vgl. etwa B A G N J W 1957, 558.

IV. Das venire contra factum proprium im außervertraglichen Bereich 115 A u f das untersuchte BGH-Urteil ist daher die unterstellte Generalklausel des honeste procedere nicht anwendbar. Das geschilderte Verhalten der Beklagten ist nicht arglistig i m Sinne dieser Norm.

V. Die gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßende Klageerhebung außerhalb einer Nichtangriffsabrede 1. Auszugehen ist von folgender RG-Entscheidung 47 : Der Kläger trägt Tatsachen vor, welche die Voraussetzungen des § 13 I Nr. 3 PatG erfüllen. Der beklagte Patentinhaber f ü h r t aus, der Kläger habe die Modelle u n d Einrichtungen, die er (der Beklagte) angeblich widerrechtlich zu seinem Patent verwendet habe, i h m zuvor abgeschwindelt. Das R G stellt fest (aaO, S. 110): „Wäre diese Behauptung richtig, so würde w o h l nicht zu bezweifeln sein, daß der Beklagte der Klage gegenüber die Einrede der Arglist erheben könnte."

Diese Entscheidung, welche der herrschenden Meinung entspricht 48 , w i r f t verschiedene Fragen auf : a) Beruht die vom RG gewährte Einrede der Arglist auf dem venire contra factum proprium? Dazu unten Ziff. 2. b) W i r d eine prozessuale Befugnis arglistig ausgeübt oder ein materielles Gestaltungsrecht, das auf Nichtigerklärung des Patents gerichtet ist? Dazu unten Ziff. 3. Bejaht man das Vorliegen einer prozessualen Befugnis, so ergeben sich die weiteren Fragen: c) Welchen Inhalt hat diese prozessuale Befugnis? Dazu unten Ziff. 4. d) Kann ihre Ausübung gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen und daher unzulässig sein? Dazu unten Ziff. 5. 2. Die vom RG erwogene Einrede der Arglist beruht auf einem Spezialfall des venire contra factum proprium, wie er i n den gemeinrechtlichen Parömien, fraudem suam nemo debet allegare und turpitudinem suam allegans non auditur 4 9 , zum Ausdruck kommt. Er ist dadurch gekennzeichnet, daß das frühere Verhalten eine Unrechtshandlung darstellt. Er läßt sich jedoch auf das Verbot des venire contra factum proprium zurückführen. Aus dem früheren Verhalten erwächst das berech47

M u W 1934, 109. RGZ 167, 339 (357); B G H GRUR 1958, 177 (178); Benkard, Patentgesetz, 4. Aufl. 1963, § 13 A n m . 21 a. E.; Reimer, Patentgesetz u n d Gebrauchsmustergesetz, 2. A u f l . 1958, § 13 A n m . 20; Busse, Patentgesetz u n d Gebrauchsmustergesetz, 3. A u f l . 1964, § 13 A n m . 2 Β b. 49 Dazu Riezler, aaO, S. 3, 4, 176 ff. m. weit. Nachweisen. 48

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E. Das Verbot des venire contra factum p r o p r i u m i m Prozeßrecht

t i g t e V e r t r a u e n , d e r H a n d e l n d e w e r d e aus s e i n e m U n r e c h t n i c h t auch n o c h Rechte h e r l e i t e n 5 0 . 3. Es i s t f r a g l i c h , o b es sich b e i d e m eingangs (oben Z i f f . 1) geschildert e n F a l l u m das v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m i m Prozeß oder u m e i n m a t e r i e l l r e c h t l i c h e s P r o b l e m h a n d e l t . Das l e t z t e r e t r ä f e zu, w e n n d e r N i c h t i g k e i t s k l a g e aus §§ 13, 37 P a t G e i n m a t e r i e l l e s G e s t a l t u n g s r e c h t z u g r u n d e l i e g t u n d dieses Recht i m W i d e r s p r u c h z u f r ü h e r e m V e r h a l t e n ausgeübt w i r d . D a n n l ä g e das a r g l i s t i g e V e r h a l t e n des K l ä g e r s a u f materiellrechtlichem Gebiet u n d hätte uns nicht zu interessieren 51. Die Bedeutung der Frage ist nicht auf die Patentnichtigkeitsklage beschränkt. Sie stellt sich bei allen Rechtsverhältnissen, bei denen Gestaltung n u r durch Richterspruch begehrt werden kann. Z u nennen sind Ehescheidungs- (§§ 41 ff. EheG), Eheaufhebungs- (§§ 28 ff. EheG), Ehenichtigkeitsklage (§ 24 EheG), Ehelichkeitsanfechtungsklage (§§ 1593 ff. BGB), die Klage auf Nichtigerklärung von Beschlüssen der Aktiengesellschaften u n d Genossenschaften (§§ 243 ff. A k t G , 51 GenG) usw. Ob m i t derartigen Klagen ein privates Gestaltungsrecht geltend gemacht w i r d oder ob es sich lediglich u m einen Anspruch gegen den Staat handelt, bei Vorliegen der prozessualen u n d materiellrechtlichen Voraussetzungen die erbetene Gestaltung durch U r t e i l auszusprechen, ist streitig 5 2 . M a n h a t also z u fragen, ob G e s t a l t u n g s k l a g e n , u n d gegebenenfalls welchen, e i n m a t e r i e l l e s G e s t a l t u n g s r e c h t z u g r u n d e l i e g t oder ob m i t i h n e n l e d i g l i c h eine prozessuale B e f u g n i s ausgeübt w i r d . a) D i e A n t w o r t f ä l l t n i c h t e i n h e i t l i c h aus. Sie d i f f e r i e r t nach d e r B e d e u t u n g d e r e i n z e l n e n G e s t a l t u n g s g r ü n d e . B e i d e r Ehescheidungsklage g e h t das Gesetz z. B . e i n d e u t i g v o n e i n e m p r i v a t e n Recht a u f G e s t a l t u n g aus (§§ 42 I I , 49, 5 0 1 E h e G : Recht a u f Scheidung). N a c h § 42 I I E h e G i s t das Recht eines E h e g a t t e n , S c h e i d u n g z u begehren, ausgeschlossen, „ w e n n er d e m E h e b r u c h z u g e s t i m m t oder i h n d u r c h sein V e r h a l t e n a b 60 I n w i e w e i t es sich bei dem Verbot der Berufung auf eigenes Unrecht u m ein selbständiges Prinzip von konstruktivem Wert handelt, mag dahinstehen. I m geltenden Recht k o m m t dieser Gedanke n u r i n einzelnen Vorschriften zum Ausdruck (§§ 162, 815, 817 BGB). Eine praktikable A n w e n d u n g eines generellen Verbots der Berufung auf eigenes Unrecht ist m. E. deshalb nicht möglich, w e i l es an Maßstäben f ü r die Unrechtsbestimmung fehlt. I n den seltensten Fällen w i r d sich das Unrecht hier als Verstoß gegen ein konkretisiertes Verhaltensgebot darstellen. 51 Vgl. oben C V. 52 Gegen ein privates Recht auf Gestaltung Blomeyer, ZPR aaO, § 38 I I , § 40 V 3; Henckel, Parteilehre u n d Streitgegenstand i m Zivilprozeß, aaO, S. 31 ff.; gegen ein privates Recht, Scheidung zu begehren, Müller-Freienfels, Ehe u n d Recht, S. 225 ff. Die w o h l überwiegende Meinung n i m m t dagegen ein privates Recht auf Gestaltung an. Vgl. Bötticher, Besinnung auf das Gestaltungsrecht u n d das Gestaltungsklagerecht, Festschrift f ü r Dölle 1963, S. 41 ff. [55 ff.] m i t weit. Nachw.; ders., Z Z P 77, 478 (Besprechung des Zivilprozeßrechts von Blomeyer); Rosenberg, aaO, § 87 I 2. Z u m Problem neuerdings Schlosser, aaO, S. 362, 382. Vgl. auch Gernhub er, Familienrecht, 1964, S. 206.

V. Die widersprüchliche Klageerhebung als prozessuales Problem

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sichtlich ermöglicht oder erleichtert hat". Man sieht also, daß hier i n einem normierten Fall des venire contra factum proprium das Recht auf Scheidung wegfällt. Anders wertet offenbar der B G H bei den oben I I I behandelten Patentnichtigkeitsklagen 53 . Diese Gestaltungsklagen weist er bei Verstoß gegen Treu und Glauben als unzulässig ab, also offenbar wegen eines prozessualen Mangels. b) Henckel 54 nimmt an, der Scheidungsklage liege kein materielles Gestaltungsrecht zugrunde. Er begründet seine Meinung m i t zwei A r gumenten: aa) Inhalt eines materiellen Gestaltungsrechts sei die Befugnis, die Rechtslage durch einseitige Erklärung zu ändern. Das treffe aber nicht auf denjenigen zu, der Gestaltungsklage erheben müsse 55 . bb) Außerdem richte sich das Begehren nicht an den Beklagten, der i h m nicht entsprechen könne, sondern an das Gericht. c) M i t dieser Begründung läßt sich m. E. ein materielles Gestaltungsrecht indes nicht ablehnen. aa) Das erste Argument ist nicht stichhaltig. Nicht das Fehlen eines materiellen Gestaltungsrechts führt zur Notwendigkeit, Gestaltung einer Rechtslage durch Urteil verlangen zu müssen. Grund für die Einschaltung des Gerichts ist allein das öffentliche Interesse an der Bestimmtheit gewisser gestaltungsbedürftiger Rechtslagen 56 . Die erforderliche Rechtsklarheit w i r d erreicht, indem man die Gestaltung an die Rechtskraft eines Urteils bindet 5 7 . Ob der Klage aber ein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt oder nicht, ist damit nicht gesagt. bb) Auch das zweite Argument überzeugt nicht. Die Tatsache, daß sich das Begehren bei einer Gestaltungsklage nicht an den Beklagten richtet und dieser dem Begehren nicht entsprechen kann, belegt die Ansicht Henckels nicht. Auch bei einem materiellen Gestaltungsrecht ist der Gegner nur Adressat der Erklärung 5 8 . Entsprechen oder erfüllen kann 53

B G H Z 10, 22; B G H L M Nr. 6 zu § 13 PatG. aaO, S. 33, 34. Henckel, aaO, S. 33. 56 Dazu Schlosser, aaO, S. 30, 287. 57 Ist die Gestaltung von Rechtslagen privater Willensmacht überlassen (Anfechtung nach § 119 BGB, Wandelung nach §§ 459 ff. BGB, Rücktritt, K ü n d i g u n g eines Dienstvertrages usf.), so k a n n Ungewißheit über die W i r k samkeit der Gestaltung entstehen. E i n m a l deshalb, w e i l die privatrechtliche Gestaltungserklärung selbst mangelhaft sein k a n n (vgl. etwa §§116 ff. BGB), u n d w e i l zum anderen, w e n n die Gestaltung an Gründe gebunden ist ( I r r t u m , Mangelhaftigkeit der Kaufsache, wichtiger G r u n d bei der außerordentlichen Kündigung), Zweifel bestehen können, ob der Gestaltungsgrund vorliegt. 58 A l s Gegner k a n n m a n denjenigen bezeichnen, dessen Rechtsstellung durch die Gestaltungserklärung beeinträchtigt werden kann, w i e aus § 143 B G B zu entnehmen ist. 84 55

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E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

auch er nicht. Die gewollte Wirkung t r i t t ohne sein Zutun ein. Dies ist gerade typisches Kennzeichen des materiellen Gestaltungsrechts. d) Die Argumente Henckels lassen also keine Unterscheidung zwischen Gestaltungsklagen m i t und ohne Gestaltungsrecht zu. Man muß daher nach eigenen Kriterien suchen, nach denen sich entscheiden läßt, ob und wann sich hinter einer Gestaltungsklagebefugnis ein materielles Gestaltungsrecht verbirgt. Dabei lassen sich je nach dem öffentlichen Interesse an der Nachprüfung des Anfechtungsgrundes und der Gestaltung der Hechtslage zwei Gruppen erkennen. Auf der einen Seite stehen etwa Fälle, i n denen jemand Scheidung begehrt wegen Ehe Verfehlungen des anderen Ehegatten, die sich gegen ihn richten, oder auf A u f hebung der Ehe klagt, w e i l er sich über die Person des Partners oder dessen Eigenschaften geirrt hat 5 9 . Auf der anderen Seite stehen Klagebefugnisse, m i t deren Hilfe jemand die Nichtigerklärung seiner Ehe betreibt, w e i l sie eine Inzestehe ist, gegen einen Beschluß der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft vorgeht, weil er gegen das Gesetz verstößt, oder Anfechtungsklage nach § 957 ZPO einlegt, weil wichtige Verfahrensvorschriften verletzt sind. aa) Bei der ersten Gruppe handelt es sich u m Anfechtungsgründe, die nach den Normen des Zivilrechts traditionellerweise durch materielles Gestaltungsrecht (Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen vertragswidrigen Verhaltens, Auflösung eines Vertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung: §§ 119, 123 BGB) ausgeübt werden. Sie müssen i n den genannten Fällen allein wegen des Bedürfnisses nach Rechtsklarheit i m Klagewege durchgesetzt werden. Hier ist ein materielles Gestaltungsrecht anzunehmen. bb) Bei der zweiten Gruppe sind die Anfechtungsgründe anders geartet. Bei ihnen besteht nicht nur ein Parteiinteresse an der Rechtsgestaltung, sondern ein Allgemeininteresse an der Nachprüfung des A n fechtungsgrundes und an der Gestaltung der Rechtslage, wenn die Rechtswidrigkeit des noch nicht gestalteten Zustands feststeht. Hier ist ein privates Gestaltungsrecht abzulehnen. Es handelt sich u m die gleiche Erscheinung wie bei Revision und Wiederaufnahmeklage, nämlich um eine Nachprüfung von Geschehnissen auf ihre Rechtmäßigkeit Niemand denkt daran, hinter diesen Rechtsmitteln ein materielles Gestaltungsrecht zu vermuten. Daß man bei den Gestaltungsklagen dieser Gruppe nicht von Amts wegen die Rechtmäßigkeitskontrolle vornimmt, spricht nicht für ein materielles Gestaltungsrecht. Der Grund für die Parteiinitiative, welche die Rechtmäßigkeitskontrolle auslöst, liegt darin, daß 59 §§ 31 ff. EheG; vgl. zum Rechtsmißbrauch bei der B G H Z 5, 186 ff.

Aufhebungsklage

V. Die widersprüchliche Klageerhebung als prozessuales Problem

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die Gerichte überfordert wären, wenn sie ex officio die Verfahren einzuleiten hätten. Sie können nicht jede Ehe nach einer gewissen Zeit auf das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen überprüfen, nicht jeden Beschluß einer Aktiengesellschaft auf seine Übereinstimmung mit Gesetz oder Satzung usf. Es liegt deshalb nahe, jedermann 6 0 oder einem bestimmten, typischerweise am ehesten informierten und interessierten Personenkreis den Anstoß für die Rechtmäßigkeitskontrolle und Gestaltung zu überlassen. Eine Klage, die den Gedanken an die Geltendmachung eines materiellen Rechts aufkommen läßt, brauchte es nicht zu sein 61 . Es genügte eine Antragsbefugnis wie i m Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu deren Bereich eigentlich die Gestaltungsklagen gehören 62 . Ausnahmsweise findet sich bei den Gestaltungsklagen der zweiten Gruppe auch die Möglichkeit, unabhängig von einer privaten Initiative das Prüfungsverfahren i n Gang zu bringen, nämlich durch die Klagebefugnis des Staatsanwalts bei § 24 EheG. Daß ihm ein privates Gestaltungsrecht fehlt, ist nicht zu bezweifeln. Gegen ein materielles Recht auf Gestaltung spricht sich auch der B G H 6 3 i n einem Falle einer i m öffentlichen Interesse gewährten Gestaltungsklagebefugnis aus. Er t r i f f t f ü r die Popularklagebefugnis des § 13 I Nr. 1 u n d 2 PatG folgende Feststellung: „Sie (die Nichtigkeitsklage) k a n n von jedem erhoben werden u n d setzt keinerlei privatrechtliche Beziehungen zwischen Nichtigkeitskläger u n d Patentinhaber voraus. Der Kläger verfolgt m i t der Klage auch nicht einen Anspruch gegen den Patentinhaber auf Vernichtung des Patents. E r n i m m t v i e l mehr m i t i h r ein öffentliches Interesse, nämlich das der Allgemeinheit an der Vernichtung zu Unrecht erteilter Patente wahr. Die Wahrnehmung dieses Interesses vollzieht sich jedoch i n den Formen des Streit Verfahrens."

Es läßt sich also als Ergebnis festhalten: Gestaltungsklagebefugnissen, die i m öffentlichen Interesse die Nachprüfung eines Zustandes auf seine Rechtmäßigkeit bezwecken, liegt kein materielles Gestaltungsrecht zugrunde 6 4 . e) Man kann nun anhand dieses Ergebnisses die Frage entscheiden, ob i m eingangs geschilderten Fall einer auf § 13 I Nr. 3 PatG gestützten Klage 6 5 ein materielles Gestaltungsrecht ausgeübt wird. 60

Patentnichtigkeitsklage: §§ 13, 37 PatG. Vgl. ζ. B. die frühere Fassung des Patentgesetzes, wonach die Nichtigerklärung des Patents nicht durch Klage, sondern durch A n t r a g ausgelöst wurde. 62 Schönke-Schröder-Niese, aaO, § 44 I V , 6. 61

63

B G H Z 10, 22 [24]. M i t einem weiteren F a l l aus der BGH-Rechtsprechung w i r d die A b lehnung des materiellen Gestaltungsrechts unten G I X belegt. 65 M u W 1934, 109. 64

120

E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

I n den Fällen des § 13 I Nr. 1 und 2 PatG ist m i t dem BGH* 6 ein materielles Gestaltungsrecht abzulehnen. M i t einer auf diese Normen gestützten Nichtigkeitsklage w i r d geltend gemacht, daß Patente zu Unrecht bestehen, w e i l die Voraussetzungen ihrer Erteilung nicht vorgelegen haben. Es handelt sich also u m Fälle der Rechtmäßigkeitskontrolle, wie bei der erwähnten aktienrechtlichen Anfechtungsklage, der Wiederaufnahmeklage nach §§ 578 ff. ZPO usw. Klageberechtigt ist bei einer auf § 13 I Nr. 1 und 2 PatG gestützten Klage jedermann. Anders i m Falle des § 13 I Nr. 3 PatG. Hier ist nur derjenige klageberechtigt, der durch eine Handlung des Patentinhabers, die sich gegen ihn richtet, verletzt ist (§ 37 I I PatG). Es fehlt ein öffentliches Interesse an der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des erteilten Patents. Der Verletzte mag sich selbst rühren. Die Öffentlichkeit ist an dem Bestand des Patents ebensowenig interessiert, wie an der Anfechtung eines Vertrages wegen arglistiger Täuschung. I m Falle des § 13 I Nr. 3 PatG ist daher ein privates Gestaltungsrecht anzunehmen, das aus Gründen der Rechtsklarheit nur durch Klage ausgeübt werden kann. I m eingangs geschilderten Fall w i r d daher keine prozessuale Befugnis arglistig, weil gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßend, geltend gemacht. f) Man könnte infolgedessen hier die weitere Untersuchung abbrechen. Man würde sich aber damit dem Vorwurf aussetzen, Zufälligkeiten eines einzelnen Falles über die Begrenzung der Untersuchung entscheiden zu lassen. Fälle einer gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßenden Ausübung der Gestaltungsklagebefugnis außerhalb der Nichtangriffsabrede lassen sich leicht bilden. Man nehme z. B. an, daß der Patentnichtigkeitskläger den Patentinhaber zur Patentierung seiner gemäß §§ 1 und 2 PatG nicht schutzfähigen Erfindung veranlaßt hat. Kann aus dieser „Veranlassung" m i t Hilfe der §§ 157, 242 BGB keine vertragliche Verpflichtung hergeleitet werden, die Nichtigkeitsklage zu unterlassen, so handelt es sich um das venire contra fact u m proprium außerhalb der Nichtangriffsabrede; und zwar w i r d eine Gestaltungsklagebefugnis ausgeübt, der kein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt. Denn Klagegrund ist hier allein § 13 I Nr. 1 PatG. Man gelangt dann zu den eingangs (oben Ziff. 1) aufgeworfenen Fragen, welchen Inhalt eine Klagebefugnis hat, der kein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt, und ob sie gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen kann. 4. Verneint man ein materielles Gestaltungsrecht, dann bleibt nur ein publizistischer Anspruch gegenüber dem Gericht, die begehrte Rechtsgestaltung auszusprechen, wenn die prozessualen und materiellββ

Β GHZ 10, 22 [24].

V. Die widersprüchliche Klageerhebung als prozessuales Problem

121

rechtlichen Voraussetzungen für die Gestaltung vorliegen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß uns hier der Rechtsschutzanspruch 67 i n seiner klassischen Form gegenübertritt 6 8 , also der gegen den Staat gerichtete A n spruch auf ein günstiges Sachurteil 69 . 5. Es ist fraglich, ob dieser gegen den Staat gerichtete Rechtsschutzanspruch vom Verbot des venire contra factum proprium tangiert werden kann. Dem Gericht gegenüber stellt die Klageerhebung nämlich niemals einen Verstoß gegen dieses Verbot dar. Denn i h m ist i n aller Regel das frühere Verhalten, dem nun die Klageerhebung widerspricht, unbekannt. Es hat sich daher nicht i m Vertrauen 7 0 auf die Unabänderlichkeit des früheren Verhaltens des Klägers auf eine bestimmte Sachund Rechtslage eingerichtet 71 . Es vertraute ζ. B. nicht darauf, der Kläger werde das Patent wegen seines zuvor gezeigten Verhaltens nicht m i t einer Nichtigkeitsklage angreifen. Sollte ausnahmsweise dem Gericht das frühere Verhalten des Klägers bekannt sein 72 und sollte es daraus das Vertrauen gewonnen haben, die Klage werde nicht erhoben, so ist dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Es widerspräche der Pflicht zur Rechtsschutzgewährung, wenn das Gericht wegen seines enttäuschten Vertrauens eine bei i h m eingereichte Klage zurückwiese. Nach alledem könnte also der Rechtsschutzanspruch niemals wegen Verstoßes gegen das Verbot des venire contra factum proprium ausgeschlossen sein. Eine i m öffentlichen Interesse gewährte Gestaltungsklagebefugnis ( = Rechtsschutzanspruch) könnte also i m Widerspruch zum früheren Verhalten und trotz des auf Klageunterlassung gerichteten, berechtigten Vertrauens des Prozeßgegners ausgeübt werden. Das ist nicht haltbar. Das Vorliegen des Vertrauenstatbestandes beim Gericht ist nicht allein maßgebend. Auch Belange des Beklagten sind zu beachten. Diese fordern, sein Vertrauen auf die Nichterhebung der Klage zu berücksichtigen, obwohl der Rechtsschutzanspruch des Klägers mangels treuwidrigen Verhaltens gegenüber dem 87 Dazu Rosenberg, aaO, § 90; Blomeyer, ZPR aaO, § 1 I I I ; Habscheid, Der Anspruch auf Rechtspflege, ZZP 67, 188 ff. 68 Henckel, aaO, S. 34 f ü r die Ehescheidungsklage; Blomeyer, aaO, § 38 I I . w Diese „doktrinäre Überspannung" (BGE 67, I I , 74) ist von der herrschenden Meinung i m Bereich der Leistungs- u n d Feststellungsklagen längst aufgegeben. Sie erweist sich i m Bereich der Gestaltungsklagen als „wetterfest" (Bötticher, Festschrift f ü r Dölle, aaO, S. 54). Vgl. dazu auch Schlosser, aaO, 367 ff., 378. 70 Die Frage nach dem Vertrauenstatbestand beim Gericht stellt auch Baumgärtel, Die U n v e r w i r k b a r k e i t der Klagebefugnis, ZZP 75, 385 [395]. 71 Vgl. zu dieser Voraussetzung des venire contra factum p r o p r i u m SoergelSiebert, aaO, § 242 A n m . 141; Esser, Schuldrecht, aaO, § 35, 2 u n d 3. 72 Vgl. dazu unten F I den Eingangsfall zur sog. Prozeß Wirkung: B A G A P Nr. 1 zu § 242 (Prozeßverwirkung).

122

E. Das Verbot des venire contra factum proprium im Prozeßrecht

Gericht besteht. Ob man dem Beklagten zur Wahrung seiner Interessen einen eigenen Rechtsschutzanspruch verleiht, ist hier ohne Bedeutung. A u f jeden Fall muß man, wenn man i h n schon i n eine Parteirolle drängt, berücksichtigen, daß die Klage ihm gegenüber sich als widerspruchsvolles Verhalten darstellen oder v e r w i r k t sein kann 7 3 . Es geht nicht an, das Dreiecksverhältnis Kläger—Gericht—Beklagter auseinanderzureißen und bei der Frage arglistiger Ausübung der Klagebefugnis nur auf das Verhältnis des Klägers zum Gericht abzustellen. Die Konstruktion des Rechtsschutzanspruchs genügt nicht zur Rechtfertigung der sich hieraus ergebenden Folgerungen. Die Ausübung einer Gestaltungsklagebefugnis außerhalb einer Nichtangriffsabrede kann also gegen das Verbot des venire contra factum proprium und damit gegen das Gebot des honeste procedere verstoßen. Die Klage ist dann, wie i n den Fällen der Nichtangriffsabrede 74 , abzuweisen 75 . 6. Man gewinnt so aus der behandelten Kasuistik folgendes Ergebnis: Hat der Kläger die Rechtswidrigkeit eines Zustands, dessen Abänderung m i t einer Gestaltungsklage er begehrt, selbst herbeigeführt, so stellt seine Klage die arglistige Ausübung einer prozessualen Befugnis dar. V I . Ergebnis Das oben A l l aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens erhält durch die hier behandelte Kasuistik präzisere Konturen: Vertragswidriges prozessuales Verhalten ist nicht arglistig i. S. des aufgestellten Verbotes (oben I I und III). Arglistiges Verhalten ist i n den oben I V behandelten Fällen auch nicht darin zu sehen, daß jemand Tatsachen vorträgt, m i t denen er nicht aus Gründen der Rechtskraft präkludiert ist. Arglistiges prozessuales Verhalten liegt jedoch vor (oben V), wenn jemand m i t der Ausübung einer prozessualen Gestaltungsklagebefugnis gegen das Verbot des venire contra factum prop r i u m verstößt.

73

Dazu unten F X . Oben I I I . 75 Das gilt nicht, w e n n der m i t der Gestaltungsklage abänderbare Zustand f ü r die Allgemeinheit so unerträglich ist (z. B. Inzestehe), daß die i n der Klageerhebung liegende Arglist unbeachtet bleiben muß, u m den unerträglichen Zustand ändern zu können. Dazu unten G V I , 3 u n d G I X . 74

F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse I . Das Problem D i e Z P O k e n n t u n b e f r i s t e t e prozessuale Befugnisse. I s t es zulässig, sie erst d a n n auszuüben, w e n n n i e m a n d m e h r d a m i t z u rechnen braucht? D a z u e i n B e i s p i e l : Die Klägerin, eine frühere Angestellte der Beklagten, w a r 1946 fristlos entlassen worden, w e i l sie 1944 unter Benutzung der firmeneigenen Fernsprechanlage einen halb jüdischen Kunstmaler denunziert habe, der dann i m K Z ums Leben gekommen sei. I m Jahre 1947 g r i f f sie die K ü n d i g u n g durch Klage vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf an. Sie nahm noch i m gleichen Jahr die Klage aufgrund einer Absprache m i t der Beklagten zurück. M i t einer am 4. 2. 1960 erhobenen Klage begehrt die K l ä g e r i n die Feststellung, daß die damals ausgesprochene K ü n d i g u n g u n w i r k s a m sei. Das B A G 1 hält die Klage, die gem. § 26 I , 2 KSchG noch nicht an die Frist der §§ 11, 3 KSchG gebunden war, f ü r v e r w i r k t u n d ihre Abweisung als unzulässig f ü r angebracht: „Daß die Klagemöglichkeit verwirken kann, ist auch die A u f fassung des Senats. Die Verwirkung der Klagebefugnis t r i t t daher dann ein, w e n n neben einem Zeitablauf besondere Umstände vorliegen, aus denen sich f ü r den Gegner ein selbständiger, prozessualer, sich also gerade auf die Klageerhebung erstreckender Vertrauenstatbestand ergibt u n d das Erfordernis des Vertrauensschutzes f ü r den Gegner derart überwiegt, daß das I n t e r esse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des v o n i h m behaupteten Anspruchs zurücktreten muß. Die materiellrechtliche Verwirkung und die Verwirkung der Klagemöglichkeit sind auseinander zu halten. Die Möglichkeit der gerichtlichen K l ä r u n g einer Rechtsposition ist eine besondere, f ü r sich dastehende Befugnis 2 ." I n d e r z i t i e r t e n E n t s c h e i d u n g w i r d d i e V e r w i r k u n g 3 herangezogen. M a n w e r t e t m i t i h r e r H i l f e eine V e r h a l t e n s w e i s e als V e r s t o ß gegen T r e u u n d G l a u b e n oder gegen das G e b o t des honeste procedere ab, d i e nach d e n geschriebenen N o r m e n d e r Z P O zulässig ist. D a m i t ist d i e Z u g e h ö r i g k e i t der P r o b l e m a t i k z u m T h e m a d a r g e t a n . D i e V e r w i r k u n g u n d

1 A P Nr. 1 zu § 242 B G B (Prozeßverwirkung) m i t Anm. von Bötticher, aaO. Vgl. zu diesem U r t e i l auch Baumgärtel, ZZP 75, 385. 2 Hervorhebungen i n Zitaten stammen von m i r . 3 Z u r V e r w i r k u n g der einfachen Beschwerde i n der freiwilligen Gerichtsbarkeit vgl. Keidel, Fritz, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 8. Aufl. 1963, § 21 A n m . 22 m i t zahlreichen Nachweisen; Keidel, Theodor, Rpfl. 1960, 240. F ü r das Verwaltungsstreitverfahren vgl. Stich, Die V e r w i r k u n g prozessualer Befugnisse i m Verwaltungsstreitverfahren, DVB1. 1956, 325.

124

F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

die ihr zugehörige Kasuistik des Prozeßrechts vermögen das oben A I I aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens i n einer weiteren Richtung zu konkretisieren.

I I . Der Tatbestand der Verwirkung Der für das bürgerliche Recht entwickelte Tatbestand der Verwirkung 4 weist i n prozessualer Terminologie folgende Voraussetzungen auf: a) Eine Partei muß während eines nicht unbedeutenden Zeitraums ein Verhalten gezeigt haben, das die Gegenpartei zu der Annahme berechtigte, jene wolle von ihren prozessualen Befugnissen keinen Gebrauch machen. b) Die Gegenpartei muß sich auf den durch das Verhalten der Partei entstandenen Zustand eingerichtet haben. c) Die nun erfolgende Ausübung der prozessualen Befugnis muß der Gegenpartei unzumutbar sein. Daran fehlt es, wenn die verspätete Ausübung der Befugnis die Stellung der Gegenpartei nicht beeinträchtigt. d) Für die Verwirkung gilt der Grundsatz der Subsidiarität. Das allgemeine Prinzip redlicher Rechtsausübung t r i t t hinter speziellen Normen zurück, welche die gleiche Lösung ermöglichen 5 . Die V e r w i r k u n g unterscheidet sich nach h. M.® v o m venire contra factum p r o p r i u m durch den längeren Zeitablauf der zwischen den einander w i d e r sprechenden Verhaltensweisen liegt. Da aber auch beim venire contra factum p r o p r i u m zwischen den beiden Verhaltensweisen notwendig eine Zeitspanne liegt u n d ungewiß ist, bei welcher Zeitdauer die Fälle des venire contra factum p r o p r i u m i n die V e r w i r k u n g übergehen, ist der „längere Zeitablauf" als Abgrenzungskriterium ungeeignet. Die Trennung beider Institute ist t r a ditionell bedingt 7 u n d f ü r die Praxis von geringer Bedeutung. Als A n h a l t s p u n k t mag dienen, daß man von V e r w i r k u n g meist dann spricht, w e n n das frühere Verhalten des Berechtigten i n einem Unterlassen besteht, das erst nach einem gewissen Zeitablauf i n bestimmtem Sinn gedeutet werden kann 8 . 4

Vgl. dazu etwa Soergel-Siebert, recht, aaO, § 35, 5.

aaO, § 242 A n m . 173 ff., Esser, Schuld-

5 Siebert, V e r w i r k u n g u n d Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, S. 245; Stich, aaO, S. 327. 6

Soergel-Siebert,

aaO, § 242 A n m . 141 u n d 173.

7

Mancher mag daher die oben E behandelten Fälle als zum Problem der V e r w i r k u n g gehörig betrachten. Neue Einsichten ergeben sich dadurch nicht. 8 So Esser, AcP 161, 277, 278, der f ü r die V e r w i r k u n g fordert, daß das frühere Verhalten nicht „hinreichend eindeutig bestimmbar" sei.

IV. Verwirkung der Kostenfestsetzungsbefugnis

125

I I I . Gang der Untersuchung Die Verwirkung spielt — wie gesagt — dort eine Rolle, wo prozessuale Befugnisse nicht befristet sind, wie etwa Klagebefugnis, Erinnerung und einfache Beschwerde 9 . Während i n manchen Fällen die A n wendung des Verwirkungstatbestandes keine Probleme aufwirft 1 0 , stößt sie oft auf Bedenken. Es bedarf häufig eingehender Überlegungen, ob die Verwirkung des materiellen Anspruchs auch die prozessuale Befugnis ergreift 1 1 . Außerdem benutzt man bisweilen die Generalklausel, ohne zu bemerken, daß spezielle prozessuale M i t t e l zur Verfügung stehen 12 . I n anderen Fällen w i r d sich zeigen, daß man die Verwirkung als Inhalt von Rechtsschutzbedürfnis und Beschwer deklariert und so ihre explizite Anwendung verschleiert 13 . Wie sich Vertragswidrigkeit und Verwirkung zueinander verhalten, w i r d anschließend dargelegt 14 . Außerdem sollen Fälle besprochen werden, die Einsichten über die prozessuale Behandlung der Verwirkung (Einrede oder Amtsprüfung) vermitteln 1 5 . Sodann w i r d die Verwirkung der Beschwerdebefugnis bei anderweitiger Abänderbarkeit des belastenden Zustands behandelt 16 . Schließlich w i r d die Verwirkbarkeit der Klagebefugnis untersucht 17 .

IV. Verwirkung der Kostenfestsetzungsbefugnis wegen Verwirkung des Kostenerstattungsanspruchs 1. Das OLG Dresden 18 nimmt an, daß die Verwirkung des Kostenerstattungsanspruchs auch die prozessuale Befugnis ergreift, die Kosten nach §§ 103 ff. ZPO festsetzen zu lassen. Das ist bedenklich, w e i l Ein9 Die V e r w i r k u n g der früher unbefristeten Streitwertbeschwerde ist wegen des neugefaßten § 23 G K G (Gesetz zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften v o m 26. 7. 1957 — BGBl. I, 861) n u r noch von historischem Interesse, da § 23 G K G eine Ausschlußfrist normiert. Die V e r w i r k u n g der Streitwertbeschwerde spielte früher i n Praxis u n d L i t e r a t u r eine bedeutende Rolle: vgl. etwa K G M D R 1953, 690; O L G München N J W 1954, 562; O L G Düsseldorf N J W 1949, 832; O L G K i e l J W 1932, 2910; O L G Celle J W 1933, 550; L G München N J W 1954, 1772 m i t A n m . v. Schwab; Baumgärtel, Z Z P 67, 436; Hillach, aaO, S. 431 ff. Gaedecke, J W 1936, 1270. 10 ζ. B. verspäteter Einspruch gegen ein Versäumnisurteil bei nicht i n Lauf gesetzter Frist: B G H L M Nr. 2 zu § 339 ZPO; verspäteter Widerspruch (§ 924 ZPO) gegen eine einstweilige Verfügung: O L G F r a n k f u r t Betrieb 1956, 916 = ZZP 69, 459. 11 Dazu unten I V . 12 Dazu unten V. 13 Dazu unten V I . 14 Dazu unten V I I . 15 Dazu unten V I I I . 16 Dazu unten I X . 17 Dazu unten X . 18 J W 1938, 3161.

126

F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

Wendungen gegen den Kostenerstattungsanspruch (Verjährung, Stundung, Zahlung usf.) m i t der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO, also nicht i m Kostenfestsetzungsverfahren, geltend zu machen sind 1 9 . Das OLG Dresden schiebt diese Bedenken beiseite. „ W o h l aber muß das Recht einer Prozeßpartei, v o m Gericht eine nachträgliche Festsetzung von Kosten zu verlangen, dann als v e r w i r k t angesehen werden, w e n n die verspätete Geltendmachung der betreffenden Erstattungsansprüche zugleich der erstattungspflichtigen Gegenpartei gegenüber einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Es ist nicht nur der Erstattung sanspruch gegen die unterlegene Partei, sondern auch der prozessuale Anspruch auf nachträgliche Festsetzung gegen das Gericht als verwirkt anzusehen, da dem Gericht nicht zugemutet werden kann, zur V e r w i r k l i c h u n g eines gegen Treu u n d Glauben verstoßenden Verhaltens m i t z u w i r k e n . "

2. Gegen diese Entscheidung, die i n der Rechtsprechung Nachfolger gefunden hat 2 0 , bringt Baumgärtel 21 Bedenken vor. Aus einer etwaigen Verwirkung des Kostenerstattungsanspruchs könne für die prozessuale Befugnis, die Kosten festsetzen zu lassen, nichts gefolgert werden. Das Verfahren diene lediglich der Feststellung, welche Kosten notwendig gewesen seien. Die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsgesuchs wegen Verwirkung sei eine Vorwegnahme der i m Verfahren nach § 767 ZPO zu treffenden Überlegungen und widerspreche der Pflicht des Staates zur Rechtsschutzgewährung. Außerdem sei das Kostenfestsetzungsverfahren für die i n tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht meist sehr schwierige Frage der Verwirkung nicht geeignet. Auch das Argument, das Gericht dürfe bei der Verwirklichung eines gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhaltens nicht mitwirken, sei nicht überzeugend, da das Abschneiden des Anspruchs bereits i m Kostenfestsetzungsverfahren für den Betroffenen besonders nachteilig sei. 3. Die Argumente Baumgärtels können nicht überzeugen. Zwar läuft die zitierte Rechtsprechung auf die Vorwegnahme einer Prüfung hinaus, die der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO vorbehalten ist. Aber das „widerspricht nicht der Pflicht des Staates zur Rechtsschutzgewährungda der Antragsteller nur einen Anspruch auf Behandlung seines Antrags nach geltendem Recht hat. Ist es geltendes Recht, daß bei verwirktem Kostenerstattungsanspruch auch die prozessuale Befugnis v e r w i r k t ist, die Kosten festsetzen zu lassen, so w i r d die Pflicht zur Rechtsschutzgewährung nicht verletzt. Das Argument Baumgärtels besagt also nur, daß die Pflicht zur Rechtsschutzgewährung dann verletzt wird, wenn die prozessuale Befugnis, die Kosten festsetzen zu lassen, 19

Stein-Jonas-Pohle, aaO, 19. Aufl., § 104 I I , 5. K G J W 1939, 170; K G J W 1939, 647; O L G F r a n k f u r t Z Z P 69, 469. Z u stimmend auch Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 207. 21 Z Z P 67, 439/440. 20

IV. Verwirkung der Kostenfestsetzungsbefugnis

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trotz verwirkten Kostenerstattungsanspruchs besteht. Das ist aber gerade das Problem. Überdies ist die Frage der Verwirkung nicht „schwieriger zu entscheiden" als andere, deren Behandlung ex lege dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten ist. Da der Kostenerstattungsanspruch erst i n 30 Jahren verjährt 2 2 , w i r d i n zahlreichen Fällen die Verwirkung so offensichtlich sein, daß eine schwierige Feststellung nicht zu treffen ist. Die Vorverlegung der Prüfung der Verwirkung des Kostengrundanspruchs ist nicht „besonders nachteilig" für den Antragsteller. Er hat gegen die Entscheidung des Gerichts, die sein Kostenfestsetzungsgesuch wegen verwirkten Kostenerstattungsanspruchs abweist, die fristlose und von einer Beschwerdesumme unabhängige Erinnerung nach § 576 ZPO und gegen den darauf ergehenden Beschluß die einfache Beschwerde nach § 567 ZPO. Dieser der Sache nach als Rechtsmittelverfahren ausgestaltete Weg 2 3 bietet ausreichenden Rechtschutz und ist durchaus geeignet, eine gründliche Behandlung der Verwirkungsfrage zu garantieren. Zwar ergeben sich Unterschiede zum Verfahren nach § 767 ZPO, etwa hinsichtlich des Instanzenzuges, des Erfordernisses einer Revisionssumme und der Verteilung der Parteirollen 2 4 . Diese Unterschiede wiegen aber nicht so schwer, daß man ihretwegen das Postulat, das Gericht dürfe nicht bewußt bei der Verwirklichung arglistigen prozessualen Verhaltens mitwirken, hintanstellen könnte. Dieser Gedanke hat Tradition 2 5 und sollte nicht gering geschätzt werden. Seine Überzeugungskraft für das rechtsuchende Publikum ist groß. Die Bedenken Baumgärtels können daher m. E. das zitierte Urteil und die auf i h m fußende Rechtsprechung nicht zu Fall bringen. 22 F ü r die durch U r t e i l festgestellte Kostentragungspflicht folgt das ohne Rücksicht auf die regelmäßige Verjährungsfrist schon aus § 218 B G B : so K G DR 1940, 338; K G J W 1938, 2488; vgl. ferner O L G Dresden J W 1938, 3161; K G DR 1943, 154. F ü r den Kostenerstattungsanspruch aus §§ 271 I I I , 515 I I I , 556 ZPO ist ebenfalls eine dreißigjährige Verjährungsfrist anzunehmen (§ 195 BGB), da i m Gesetz andere Fristen nicht vorgesehen sind (Rosenberg, aaO, § 79 I V , 6; Staudinger -Coing y B G B 11. Aufl., 1957, § 195 A n m . 4; Wieczorek, aaO, § 91 Β I I I e 3; a. Α. Baumbach-Lauterbach, aaO, Übers. 3 Β vor § 91 unter Hinweis auf § 196 I Nr. 15 BGB, der aber m. E. hier nicht anwendbar ist. Vgl. zum Problem der V e r j ä h r u n g von Kostenerstattungsansprüchen neuerdings Hofmann, N J W 1958, 1575, der de lege ferenda i m Anschluß an § 8 G K G eine vierjährige Verjährungsfrist befürwortet. 23 Stein-Jonas-Pohle, aaO, 19. A u f l . § 104 V, 6. 24 I m Kostenfestsetzungsverfahren nebst Erinnerung u n d Beschwerde ist es nämlich der Antragsteller, der gegen den Verwirkungseinwand des Gegners vorgeht, während bei der Vollstreckungsgegenklage der Antragsgegner des Kostenfestsetzungsverfahrens die Rolle des Angreifers übernehmen muß. 25 Vgl. die oben C I V , 2 zitierte Entscheidung RGSt 59, 104 [106].

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

4. Gegen die genannte Rechtsprechung ließe sich weiter einwenden, es sei außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens durchaus unüblich, die gerichtliche Geltendmachung eines verwirkten Anspruchs aus prozessualen Gründen zu beanstanden. Die Klage werde i n einem solchen Fall als unbegründet, nicht aber etwa wegen verwirkter Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Diese Argumentation geht jedoch fehl. Das Gericht t r i t t bei einer Leistungsklage der Arglist entgegen, wenn es die Klage wegen verw i r k t e n materiellen Anspruchs (als unbegründet) abweist. I m Kostenfestsetzungsverfahren, wo das Bestehen des materiellen Anspruchs, wie dargelegt, nicht geprüft wird, müßte das Gericht die Arglist unterstützen, wenn es nicht Verwirkung der prozessualen Befugnis annähme. 5. Ergebnis. Die prozessuale Befugnis, die Kosten festsetzen zu lassen, ist verwirkt, wenn der Kostenerstattungsanspruch v e r w i r k t ist 2 6 . Die geschilderte Verhaltensweise ist daher arglistig i m Sinne der aufgestellten Generalklausel.

V. Mangelndes Rechtsschutzbedürfnis statt Verwirkung 1. Das OLG Düsseldorf 27 untersucht i n einem Urteil, das als Beleg für die Verwirkung prozessualer Befugnisse genannt w i r d 2 8 , ob ein Berufimgsbeklagter mehr als zwei Jahre nach Berufungszurücknahme den Erlaß eines Kosten- und Verlusturteils 2 9 nach § 515 I I I ZPO beantragen könne: „Der A n t r a g des Gegners setzt, wie jeder A n t r a g auf Gewährung v o n Rechtsschutz irgendwelcher A r t , ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. — E i n Verlustigkeitsurteil soll n u n die Tatsache der ordnungsmäßigen Zurücknahme der Berufung feststellen u n d damit eine solche Feststellung f ü r die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses erübrigen. Da jedoch nach § 516 ZPO die B e r u fungsfrist spätestens 5 Monate nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt, also ein halbes Jahr nach der Verkündung spätestens abgelaufen ist, konnte der Kläger bereits seit langem keine neue Berufung mehr einlegen, w i e denn auch die Rechtskraft des Urteils unstreitig ist. Es bedarf daher zur Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses keiner besonderen Feststellung mehr. Hiernach ist nicht ersichtlich, welchen Zweck ein Verlustigkeitsurteil noch haben könnte. Insoweit fehlt es also an einem Rechtsschutzb edürfnis. 26 F ü r den aus § 515 I I I , 1 ZPO folgenden Kostenerstattungsanspruch g i l t dieses Ergebnis nicht. Vgl. dazu unten V. 27 J W 1938, 537. 28 Staudinger-Weber, aaO, § 242 A n m . D 753 FN. Indes stellt n u r der an der Fundstelle abgedruckte Leitsatz fest: „Das Recht, Kosten- u n d Verlustigkeitsurteil zu erwirken, k a n n v e r w i r k t werden." 29 Heute ergeht diese Entscheidung i n Beschlußform.

V. Mangelndes Rechtsschutzbedürfnis statt Verwirkung

129

Dasselbe g i l t aber auch bezüglich des beantragten Kostenurteils. Dieses soll den vollstreckbaren T i t e l f ü r die durch die Berufung entstandenen K o sten bilden. Sind daher derartige Kosten f ü r die Berufungsbeklagte gar nicht entstanden ( w i r d ausgeführt), so ist auch ein Kostenurteil überflüssig und gegenstandslos; es fehlt dann insoweit gleichfalls an einem Rechtsschutzbedürfnis 8 0 ."

Es ist fraglich, ob der Antrag wegen Verwirkung oder, wie das OLG annimmt, mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurückzuweisen ist. 2. Dem OLG ist beizupflichten. Die Frage, ob dem Antragsteller die Antragsbefugnis zusteht, wenn sie zu keinem erkennbaren Nutzen ausgeübt wird, ist die nach der Auslegung des § 515 I I I ZPO. Man hat zu fragen, ob der dem Wortlaut nach zulässige Antrag auch vom Zweck der Norm gedeckt wird, ob es also das Anliegen des § 515 I I I ZPO sein kann, eine nutzlose Befugnis zu gewähren. Eine solche (teleologische) Gesetzesauslegung w i r d i n der Prozeßrechtspraxis selten explizit vorgenommen. Man verneint lieber das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der durch die erbetene richterliche Handlung errreichbare Erfolg bereits gewährleistet oder unerreichbar ist 3 1 . Ob man m i t Auslegungskategorien oder mangelndem Rechtsschutzbedürfnis argumentiert, ist letztlich eine Frage der Methodenehrlichkeit. Wichtig für den vorliegenden Fall ist jedoch, daß mangelndes Rechtsschutzbedürfnis i n einer auf die Gesetzesauslegung zurückführbaren Form die Verwirkung zurückdrängt. Denn nur wenn die ausgelegte Norm die prozessuale Befugnis gewährt, ist die Frage sinnvoll, ob sie dem Gegner gegenüber treuwidrig ausgeübt wird, w e i l sie v e r w i r k t ist. Das OLG tat also recht daran, Erwägungen über die Verwirkung zu unterlassen. 3. Das RG 3 2 und ein Teil der Praxis 3 3 stehen indes auf dem Standpunkt, für den Erlaß einer Entscheidung nach § 515 I I I ZPO sei kein Rechtsschutzbedürfnis das Antragstellers erforderlich. Diese Ansicht ist m. E. unhaltbar. Sie verwehrt dem Richter die Auslegung. Er darf dann nicht nachprüfen, welchen Zweck § 515 I I I ZPO m i t der Antragsbefugnis errreichen w i l l . Folgt man dennoch der Ansicht des RG, so könnte eine zwei Jahre nach Rechtskraft des Urteils gemäß § 515 I I I ZPO beantragte Entscheidung nicht m i t Hinweis auf fehlendes Rechtsschutzbedürfnis verweigert werden. Dann sind Erwägungen über die V e r w i r kimg der Antragsbefugnis am Platze. 80 Zustimmend Schönke, DR 1940, 2119; ders., Rechtsschutzbedürfnis aaO, S. 67; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, aaO, 18. Aufl., § 515 I V , 1. 81 B G H Z 5, 385 [401]; 21, 354 [356]; B G H L M Nr. 6 zu § 511 ZPO; B G H L M Nr. 8 zu § 511 ZPO; B G H L M Nr. 6 zu § 675 B G B ; B G H L M Nr. 10 zu § 13 UWG. Näheres zu dieser Problematik unten G V. 82 RGZ 155, 382 [383]; R G J W 1938, 2617. 88 Wieczorek, aaO, § 515 C I I d; Baumbach-Lauterbach, aaO, § 515 A n m . 4 C.

9 Zeiss

F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse a) Nach § 515 I I I ZPO ist auf A n t r a g auszusprechen, daß der Berufungskläger des eingelegten Rechtsmittels verlustig ist u n d die Kosten zu tragen hat, die dem Berufungsbeklagten infolge des Rechtsmittels entstanden sind. Es fragt sich, ob die lange Zeit nach Verfahrensabschluß ausgeübte Antragsbefugnis nach § 515 I I I ZPO den Berufungskläger unzumutbar belastet 8 4 . W i r prüfen zunächst die Situation hinsichtlich der Verlusterklärung (dazu unten l i t . b) u n d dann hinsichtlich der Erklärung, der Berufungskläger habe die Kosten des eingelegten u n d zurückgenommenen Rechtsmittels zu tragen (dazu unten l i t . c). Schließlich ist noch zu klären, ob die V e r w i r k u n g sich auf den Kostenerstattungsanspruch beschränkt oder auch die prozessuale A n tragsbefugnis erfaßt (unten l i t . d). b) E i n Vertrauen hinsichtlich der Verlusterklärung ist nicht schutzwürdig. Denn sie verschlechtert nicht die Lage des Berufungsklägers. A n dem U n t e r bleiben der Klarstellung, daß er die Berufung zurückgenommen habe, ist er nicht interessiert. Denn i m Verhältnis der Parteien ist die Verlusterklärung bedeutungslos. Sie soll i m inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses erleichtern 3 5 . Auch bezüglich der Kosten des Beschluß Verfahrens nach § 515 I I I ZPO ist f ü r den Berufungskläger k e i n Nachteil erkennbar, der sein Vertrauen auf die Nichtdurchführung dieses Verfahrens schutzwürdig machen könnte. Gerichtskosten entstehen nicht m e h r 3 6 . Auch besondere Anwaltskosten fallen gemäß § 37 Nr. 7 BRAGebO f ü r das Verfahren nach § 515 I I I ZPO nicht an. Insoweit liegt also der T a t bestand der V e r w i r k u n g nicht vor, w e i l die Ausübung der prozessualen Befugnis dem Berufungskläger nicht unzumutbar ist. c) Dagegen k a n n i h m unzumutbar sein, daß nach gewissem Zeitablauf noch die Kosten beigetrieben werden, die dem Gegner infolge des eingelegten u n d zurückgenommenen Rechtsmittels entstanden sind. § 515 I I I , 1 ZPO gibt dem Berufungsbeklagten einen Anspruch, v o m Berufungskläger den Ersatz seiner Kosten zu verlangen. Dieser Kostenerstattungsanspruch entsteht zwar nach h. M . nicht erst durch den i n § 515 I I I , 2 ZPO vorgesehenen Beschluß, sondern w i r d unmittelbar durch die Zurücknahme der Berufung ausgelöst 37 . E r ist aber i n dem durch die ZPO vorgesehenen Verfahren geltend zu machen 3 8 . Das bedeutet, daß der Berufungsbeklagte den Kostenbeschluß nach § 515 I I I , 2 ZPO e r w i r k e n u n d sich dann die Kosten i m Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 ff. ZPO) erstatten lassen muß 3 9 . Daß diese Beitreibungsmöglichkeit nach einer den V e r w i r k u n g s t a t bestand erfüllenden Frist noch ausgenutzt w i r d , k a n n dem Berufungskläger unzumutbar sein. W i r können also festhalten, daß das Vertrauen des Berufungsklägers, der Berufungsbeklagte werde nach einer bestimmten Zeit keinen Gebrauch mehr von seiner Antragsbefugnis machen, schutzwürdig sein kann. 84 35

Vgl. dazu das oben I I , c angeführte Tatbestandsmerkmal der V e r w i r k u n g . Bundestagsdrucksache Nr. 530 A r t . 2, zu Nr. 65 S.22; B G H Z 15, 394 [396/

397]. 3 ® Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl. § 515 I V 5. Durch A r t . 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften v o m 26. 7.1957 (BGBl. I , 861) wurde der frühere § 33 I Nr. 1 a G K G , wonach Gebühren f ü r das Verfahren nach § 515 ZPO anfielen, ersatzlos gestrichen. 87 Wieczorek t aaO, § 91 Β I I e; Rosenberg, aaO, § 79 I V , 2. 38 Rosenberg, aaO, § 79 I V , 3. 39 Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., § 515 I V , 1.

V. Mangelndes Rechtsschutzbedürfnis statt V e r w i r k u n g

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d) Z u klären ist jedoch noch, ob die V e r w i r k u n g sich auf den Kostenerstattungsanspruch oder die prozessuale Befugnis bezieht, diesen Anspruch auf die vorgeschriebene Weise geltend zu machen. N u r i m letzten F a l l handelt es sich u m das gegenwärtige Problem der V e r w i r k u n g prozessualer Befugnisse. Z u r Beantwortung dieser Frage könnten die oben I V angestellten Erwägungen herangezogen werden. Dort wurde angenommen, daß bei v e r w i r k t e m Kostenerstattungsanspruch auch die prozessuale Befugnis v e r w i r k t ist, die Kosten festsetzen zu lassen. F ü r den aus § 515 I I I , 1 ZPO folgenden Kostenerstattungsanspruch läßt sich jedoch dieses Ergebnis nicht halten. Wollte man nämlich den A n t r a g auf Erlaß dieses Beschlusses als v e r w i r k t abweisen, so wäre dem Antragsteller der i h m nach § 767 ZPO u n d § 104 I I I ZPO garantierte Instanzenzug genommen. Denn die Entscheidung über den Antrag, Kosten- u n d Verlustbeschluß zu erlassen, ist unanfechtbar (§ 515 I I I , 3 ZPO). Der Antragsteller hätte somit mangels eines Titels keine Möglichkeit, die Kosten festsetzen zu lassen, gegen die Ablehnung seines Kostenfestsetzungsgesuches Rechtsmittel zu ergreifen oder sich gegen die Vollstreckungsgegenklage des auf V e r w i r k u n g pochenden Kostenschuldners zur Wehr zu setzen. Angesichts dieser Lage bedeutet es eine Versagung des dem Berufungsbeklagten v o m Gesetz gewährten Rechtsschutzes, wenn m a n i h m den Kostenu n d Verlustbeschluß wegen v e r w i r k t e n Kostenerstattungsanspruchs v e r sagt 4 0 . 4. Es l ä ß t sich d a h e r f ü r d i e b e h a n d e l t e K a s u i s t i k folgendes festhalten:

Ergebnis

E i n e m A n t r a g , e i n e n K o s t e n - u n d V e r l u s t b e s c h l u ß nach § 515 I I I , 2 Z P O z u erlassen, f e h l t das Rechtsschutzbedürfnis, w e n n das U r t e i l d u r c h Z u r ü c k n a h m e d e r B e r u f u n g offensichtlich r e c h t s k r ä f t i g g e w o r d e n i s t u n d K o s t e n n i c h t e n t s t a n d e n sind. V e r t r i t t m a n d i e A n s i c h t , f ü r e i n e n solchen A n t r a g sei a u s n a h m s weise k e i n Rechtsschutzbedürfnis e r f o r d e r l i c h , so i s t d i e V e r w i r k u n g d e r B e f u g n i s aus § 515 I I I , 2 Z P O z u e r w ä g e n . D i e V e r w i r k u n g b e t r i f f t aber n i c h t eine prozessuale B e f u g n i s , s o n d e r n d e n aus § 515 I I I , 1 f o l genden Kostenerstattungsanspruch.

V I . Mangelnde Beschwer infolge V e r w i r k u n g ? 1. Schönke, d e r d i e B e s c h w e r als S p e z i a l f a l l des Rechtsschutzbedürfnisses a n s i e h t 4 1 , s t e l l t d e n Satz a u f 4 2 : „Das Rechtsschutzbedürfnis f ü r ein Rechtsmittel k a n n auch infolge Z e i t ablaufs fehlen. E i n nicht an eine Frist gebundenes Rechtsmittel k a n n unzulässig sein, wenn seit dem Erlaß der Entscheidung soviel Zeit verstrichen ist, daß die von der Entscheidung Betroffenen sich auf deren Endgültigkeit haben 40 41 42

9*

So i m Ergebnis Baumgärtel, Z Z P 67, 440/441. Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 52. Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 53.

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

einstellen dürfen. W i r d erst nach langer Zeit ein Rechtsmittel ergriffen, dann ist die Beschwer u n d damit die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen 4 3 ."

Ohne Zweifel rechnet Schönke hier den oben I I dargelegten Tatbestand der Verwirkung zur Beschwer. Es fragt sich jedoch, was gewonnen wird, wenn man die Beschwer, für die allein eine Divergenz von angefochtener Entscheidung und Antrag des Rechtsmittelklägers maßgeblich ist 4 4 , verneint, statt offen von Verwirkung der Beschwerdebefugnis zu sprechen. 2. Als Beleg für das obige Zitat verweist Schönke auf den Fall einer nach 11 Jahren eingelegten Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluß 45 . Da nicht nur die befristete Erinnerung des § 104 I I I ZPO, sondern auch die unbefristete des § 576 ZPO zur Debattte standen, stellte das Gericht über deren Zulässigkeit folgende Erwägungen an 4 *: „ D a m i t w i r d der Gedanke der Rechtssicherheit aus dem materiellen Recht i n das Verfahrensrecht hinübergetragen u n d f ü h r t dazu, auch i n diesem dem Rechtsgedanken der Verwirkung zum Siege zu verhelfen u n d so einer rechtsmißbräuchlichen Inanspruchnahme eines an sich bestehenden Rechts entgegentreten zu können. Ob m a n n u n darauf abstellen w i l l , gegenüber einer erst erhebliche Zeit nach Erlaß der Entscheidung eingelegten Beschwerde die ernstliche Beschwer u n d damit die Zulässigkeit der Beschwerde zu v e r neinen, oder ob m a n i n solchen Fällen von einem Verstoß gegen Treu und Glauben sprechen w i l l , oder ob m a n unmittelbar den allgemeinen höheren Gesichtspunkt der Rechtssicherheit heranzieht, macht f ü r die rechtliche B e urteilung keinen Unterschied. Denn jede dieser Begründungen f ü h r t zu dem gleichen Ergebnis: einer Verurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers als Inanspruchnahme eines zwar formell zustehenden Rechts, welches aber infolge lang andauernder, m i t einem w i r k l i c h vorhandenen Rechtsschutzbedürfnis nicht vereinbarer Nichtausübung rechtlich nicht mehr zu büligen u n d somit als „verwirkt" anzusehen ist."

3. Diese Entscheidung zwingt uns jedoch nicht, m i t Schönke infolge Verwirkung der Beschwerdebefugnis die Beschwer zu verneinen. I n den zitierten Gründen werden gleichgesetzt Verwirkung, Rechtsmißbrauch, Beschwer, Verstoß gegen Treu und Glauben, Rechtssicherheit und Rechtsschutzbedürfnis. Es w i l l scheinen, daß etwas viel Argumente für ein relativ simples Phänomen angeführt werden. Die Rechtssicherheit kann ausscheiden. Es bedarf keiner Erörterung, daß es ihr widersprechen kann, wenn eine Erinnerung noch nach 11 Jahren zulässig ist. Aber man hat konkretere Gründe. Solche nennt 43 44 45 4e

Zustimmend Baumgärtel, Z Z P 67, 445. Baumbach-Lauterbach, aaO, Grundzüge 3 A vor § 511. K G DR 1943, 412. aaO, S. 413.

VII. Verwirkung oder vertragliche Bindung

133

das Urteil, ohne sich für einen zu entscheiden. Trotz ihrer Vielzahl werden dabei nur zwei heterogene Elemente angeführt, nämlich V e r w i r kung einerseits und Rechtsschutzbedürfnis und Beschwer andererseits. Die Verwirkung rechnet man nämlich zum individuellen Rechtsmißbrauch 47 , während Rechtsschutzbedürfnis und Beschwer sich auf Gedanken des institutionellen Rechtsmißbrauchs 48 zurückführen lassen 49 . Beide Formen des Mißbrauchs behandelt man i m Rahmen des § 242 BGB, sieht also den Verstoß gegen Treu und Glauben als ihr gemeinsames Kennzeichen an 6 0 . Das K G hätte also sehr wohl zwischen Verwirkung und Beschwer unterscheiden können. Daß es sie gleichsetzt, beruht auf mangelnder Differenzierung und ist kein überzeugender Beleg für die zitierte Ansicht Schönkes. Man sollte sich daher nicht scheuen, offen von Verwirkung der Beschwerdebefugnis zu sprechen 61 . Ihre prozessuale Verbrämung m i t Begriffen wie Rechtsschutzbedürfnis und Beschwer h i l f t nicht weiter, sondern verdunkelt nur den Blick auf die wirkliche Entscheidungsgrundlage. 4. Bei verwirkter Beschwerdebefugnis ist das Rechtsmittel also nicht wegen mangelnder Beschwer unzulässig. Es ist vielmehr wegen Verw i r k u n g der Beschwerdebefugnis zu verwerfen. V I L Verwirkung oder Verpflichtung, eine prozessuale Befugnis nicht auszuüben? 1. Das OLG Naumburg 5 2 prüft die Frage, ob jemand erneut m i t gleicher Begründung Beschwerde einlegen kann, wenn er sie zuvor aufgrund einer Vereinbarung m i t dem Gegner zurückgenommen hat. Vert r i t t man die Ansicht, die Zurücknahme des Rechtsmittels stehe einem Verzicht gleich 58 , so kommt man ohne Generalklausel zur Unzulässigkeit der erneut eingelegten Beschwerde. Orientiert man sich aber an der heute durch § 515 I I I ZPO 5 4 untermauerten Auffassung, daß die Zu47

Vgl. z. B. Esser, aaO, § 34, 6 b. Z u m Begriff des institutionellen Rechtsmißbrauchs siehe oben D V u n d unten G I I I . 49 Dazu u. G I I I u n d G V, 1 a. 50 Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 6 b u n d § 3 4 , 7 ; Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 110 ff. u n d 173 ff. 51 Ähnlich auch Baumgärtel, Z Z P 75, 390 unter Aufgabe seiner früher i n Z Z P 67, 451 vertretenen Auffassung. 52 J W 1930, 3866. 58 So O L G Darmstadt J W 1935, 3049. 54 „Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten R e c h t s m i t t e l s . . . zur Folge." Vgl. dazu Baumbach-Lauterbach, aaO, § 515 Anm. 4 A. 48

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

rücknahme nichts über die Befugnis aussagt, erneut ein Rechtsmittel einzulegen 55 , so muß man sich Gedanken darüber machen, ob man auf andere Weise sich des wiederholten Rechtsmittels erwehren kann. Das OLG Naumburg (aaO) tut dies mit einer der Rechtsordnung bis dahin unbekannten exceptio doli processualis 56 : „Mußte derjenige, der sich zur Zurücknahme der Beschwerde bereit erk l ä r t hat, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen damit rechnen, daß der andere T e i l darauf Entschließungen traf, die noch dazu vermögensrechtliche Wirkungen haben konnten, so erfordert es, v o n der Prozeßökonomie abgesehen, die Sicherheit i n der A b w i c k l u n g von Rechtsgeschäften u n d Prozessen, daß einer unter solchen Umständen erklärten Zurücknahme der Beschwerde auch eine entsprechende prozeßrechtliche W i r k u n g zugesprochen werden muß, die n u r i n dem Verlust des Rechtsmittels bestehen k a n n . . . Der hier nach A b l a u f von etwa 10 Monaten, noch dazu m i t v ö l l i g gleicher Begründung erneut erhobenen Beschwerde steht also eine Art exceptio doli processualis entgegen."

2. Diese Entscheidung ist bedenklich. Es war voreilig, die exceptio doli zu bemühen, ohne Erwägungen über die vertragliche Bindung anzustellen. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Hinter der „exceptio doli processualis" verbirgt sich die V e r w i r kung 5 7 . Das OLG stellt ab auf das widersprüchliche Verhalten — erst Zurücknahme und dann Erneuerung der Beschwerde m i t gleicher Begründung — und das berechtigte Vertrauen des Gegners auf die Dauerhaftigkeit des Zustands, der durch die Zurücknahme der Beschwerde entstanden war. M i t der Frage aber, ob der Gegner auf die Fortdauer dieses Zustandes vertrauen durfte, kommen Gesichtspunkte ins Spiel, welche den Blick auf die zutreffende Lösung freigeben. Entscheidend ist nämlich, ob man aus der Abrede der Parteien den Schluß ziehen durfte, der Beschwerdeführer werde die Beschwerde auch i n Zukunft nicht mehr wiederholen, sondern gänzlich von ihr Abstand nehmen. Bejaht man mit dem OLG Naumburg diese Frage, so kann man annehmen, der auf Rücknahme der Beschwerde gerichtete Vertrag umfasse nach seinem Sinn und Zweck auch die Verpflichtung des Beschwerdeführers, keine neue Beschwerde m i t der gleichen Begründung einzulegen. Die somit praktizierte ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB) geht Erwägungen vor, die sich m i t einer auf dem Verwirkungsprinzip (§ 242 BGB) beruhenden Einrede befassen. Zwar verweisen sowohl § 242 BGB als auch § 157 BGB auf dieselben Wertmaßstäbe, nämlich Treu 55 § 515 I I I ZPO gilt entsprechend auch für die Zurücknahme der Beschwerde, vgl. Wieczorek, aaO, § 567 A I I a 3. 56 Dazu kritisch Hedemann, Die Flucht i n die Generalklauseln, S. 26. 57 So auch Siebert, V e r w i r k u n g u n d Unzulässigkeit der Rechtsausübung, aaO, S. 245 A n m . 70.

VII. Verwirkung oder vertragliche Bindung

135

und Glauben und die Verkehrssitte. Dennoch ist bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Verhaltens zuerst die Frage zu stellen, ob dieses nach dem (ausgelegten) Vertrag gestattet ist, bevor man die Zulässigkeit unabhängig von Vertragswirkungen am Standard des § 242 BGB messen kann 5 8 . Denn die Privatautonomie verlangt bei disponiblen Punkten i n erster Linie die Maßgeblichkeit des Parteiwillens 5 9 , mag dieser auch i m Wege ergänzender Vertragsauslegung zu ermitteln sein 60 . 3. Man kommt so i m Fall des OLG Naumburg zu folgenden Lösungen 61 : a) Ergibt sich aus dem auf Zurücknahme gerichteten Vertrag die Verpflichtung des Beschwerdeführers, keine neue Beschwerde einzulegen, so kann der Beschwerdegegner nach den oben E I I behandelten Grundsätzen das erneut erhobene Rechtsmittel m i t einer Einrede zu Fall bringen 62 . Das Handeln des Beschwerdeführers ist Vertragsbruch, aber nicht unzulässig wegen Verwirkung der Beschwerdebefugnis. b) Ergibt die Vertragsauslegung dagegen nichts für die genannte Verpflichtung, so ist fraglich, ob sich nach 10 Monaten der Beschwerdegegner schon darauf einstellen durfte, der Beschwerdeführer werde es bei dem durch die Zurücknahme entstandenen Zustand auch i n alle Zukunft belassen. Die Verwirkung der Beschwerdebefugnis ist i n diesem Fall allerdings nicht ausgeschlossen. Ob sie eingetreten ist, kann aber nicht ohne Berücksichtigung des Vertrages festgestellt werden. 4. Der behandelte konkretisierende Fall der „exceptio doli processualis" läßt es also zu, das oben A I I aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens folgendermaßen zu präzisieren: Bestehen zwischen den Partnern vertragliche Absprachen, so ist zunächst zu versuchen, aus ihnen die Verpflichtung zu ermitteln, eine bestimmte prozessuale Befugnis nicht auszuüben. Erst wenn dieser Versuch ergebnislos geblieben ist, kann die Verwirkung untersucht werden. 58

B G H Z 9,273; 16,4 [8]; Soergel-Siebert, aaO, § 157 Anm. 70 m . w e i t . Nachw. So f ü r den F a l l des O L G Naumburg auch Gadow, Die Einrede der A r g list, IherJb 84, 174 [201/202]. 60 Die Methode der ergänzenden Vertragsauslegung ist demgegenüber hier eine zweitrangige Frage. M a n w i r d zum gleichen Ergebnis kommen, ob m a n n u n m i t der Rechtsprechung nach Feststellung einer Vertragslücke den hypothetischen Parteiwillen ermittelt oder ob man unmittelbar auf den erkennbaren Zweck des Vertrages zurückgreift. Vgl. dazu Soergel-Siebert, aaO, § 157 A n m . 83, 88, 95. 61 Ein verbindliches Ergebnis der Auslegung k a n n nicht erzielt werden, da der Tatbestand der Entscheidung nicht veröffentlicht ist. 62 Die Ansicht von Stein-Jonas-Schönke-Pohle, aaO, 18. Aufl., § 271 I , 3, bei einer auf Vereinbarung beruhenden Klagezurücknahme sei der Kläger nicht gehindert, die Klage von neuem zu erheben, übergeht diese Auslegungsproblematik. 59

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

V I I I . Prüfung der Verwirkung von Amts wegen oder auf Einrede? 1. Folgendes B G H - U r t e i l 6 3 gibt Anlaß, die Frage zu erörtern, ob die Verwirkung i m Prozeß von Amts wegen oder auf Einrede zu beachten ist: I m Jahre 1944 w u r d e die Ehe der Parteien durch U r t e i l des L G Breslau geschieden. Der Beklagte legte Berufung zum O L G Breslau ein, das nicht mehr über sie verhandeln konnte. Anfang 1945 verließen die Parteien gemeinsam Breslau u n d lebten bis 1954 i n Bayern i n ehelicher Gemeinschaft. Der letzte eheliche Verkehr fand 1954 statt. 1955 griff der Beklagte, der i n zwischen eine Geliebte hatte, vor dem zuständigen O L G München den Scheidungsrechtsstreit wieder auf u n d nahm die seinerzeit zum O L G Breslau eingelegte Berufung zurück. Geht m a n m i t dem B G H 8 4 davon aus, das U r t e i l des L G Breslau sei nicht rechtskräftig geworden u n d der Scheidungsrechtsstreit könne vor dem O L G München wiederaufgenommen werden, so konnte der Beklagte das U r t e i l durch Zurücknahme der Berufung oder durch Verzicht auf sie gem. §§ 514, 515 ZPO rechtskräftig werden lassen. Das läuft auf Scheidung einer rechtlich u n d faktisch bestehenden Ehe durch einfache Willenserklärung gegenüber einem Gericht hinaus, ohne daß dem Erklärenden nach dem Ehegesetz das Hecht zustünde, Scheidung zu begehren. Der B G H unterbindet diesen V e r such des Beklagten 6 5 : „ A n sich noch nicht entscheidend ist zwar, daß der Beklagte sich durch schlüssige Handlungen, w i e sie i n seinem Verhalten gegenüber der Kläger i n während der letzten 10 Jahre zum Ausdruck gekommen sind, verpflichtet hat, das Scheidungsurteil nicht durch Rücknahme der Berufung oder V e r zicht auf sie rechtskräftig werden zu lassen. Diese Verpflichtung w a r gültig, w i e etwa auch eine Verpflichtung zur Rücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels übernommen werden kann. Während aber eine Verpflichtung der letztgenannten A r t , derjenigen Prozeßpartei, die sie übernommen hat u n d trotzdem den Rechtsstreit weiterführen w i l l , von dem Gegner entgegengehalten werden k a n n m i t der Folge, daß die Fortsetzung des Prozesses unzulässig w i r d (RGZ 102, 217 [223] ...), ist der Berechtigte nicht i n der Lage, die vertragswidrige, aber nach den Vorschriften des Prozeßrechts zulässige Rücknahme des Rechtsmittels seitens der anderen Partei ungeschehen zu machen. Eine solche Rücknahme beendet nämlich regelmäßig ohne weiteres den Prozeß. Sie ist nicht deshalb unwirksam, w e i l die Partei, indem sie sie vollzieht, einer übernommenen Verpflichtung zuwiderhandelt, u n d sie k a n n nicht von dem Gegner durch die Erhebung einer Einrede entkräftet werden, sondern ist von Amts wegen zu beachten . . . " U m die Zulässigkeit der Amtsprüfung zu begründen, greift der B G H auf die V e r w i r k u n g zurück, ohne jedoch von der BindungsWirkung des Vertrages abzugehen·®. „Entgegen der Auffassung der Revision g i l t auch i m Verfahrensrecht der Grundsatz von Treu u n d Glauben. Die Rechtsprechung hat daraus den Ge83

B G H Z 20, 198 = N J W 1956, 990 = L M Nr. 7 zu § 515 ZPO. aaO, S. 203. 65 aaO, S. 204/205. ·« aaO, S. 206. 64

VIII. Amtsprüfung oder Einrede

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danken entwickelt, daß Prozeßhandlungen, die diesem Grundsatz w i d e r sprechen, unter Umständen unbeachtlich sind. Das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, daß Rechtsmittel, die an keine Frist gebunden sind, gleichw o h l unstatthaft sein können, falls sie erst eingelegt werden, nachdem allzu lange Zeit seit der Vorentscheidung vergangen ist . . . Auch i m vorliegenden F a l l sind die v o m Beklagten vorgenommenen Prozeßhandlungen deshalb bedenklich, w e i l durch sie ohne weiteres ein familienrechtliches Lebensverhältnis, auf dessen Bestand die Ehefrau u n d die K i n d e r des Beklagten vertrauen konnten, beendet werden soll."

2. Dieses Urteil ist i n mehrfacher Hinsicht von Interesse. Einmal bestätigt es die oben V I I vertretene Ansicht, daß primär die Bindungswirkung eines Vertrages über die Zulässigkeit einer Prozeßhandlung entscheidet und erst i n zweiter Linie auf das Verwirkungsprinzip zurückgegriffen werden darf. Zugleich w i r f t es aber zwei Fragen auf: Wie verhält sich die vertragliche Verpflichtung, eine Prozeßhandlung zu unterlassen, zur Verwirkbarkeit dieser Prozeßhandlung? Dazu unten lit. a. Ist die Verwirkung auf Einrede oder von Amts wegen zu beachten? Dazu unten lit. b. a) Liegt ein gültiger Vertrag vor, aus dem sich die Verpflichtung ergibt, eine Prozeßhandlung zu unterlassen, so ist nach den oben E I I dargelegten Gründen weder für venire contra factum proprium noch für Verwirkung Raum. Die Generalklausel m i t ihren „Tatbeständen" beginnt erst dort, wo die Wirkung des Vertrages endigt. Das Urteil des B G H ist also zu beanstanden, weil es trotz Annahme eines Vertrages, der auf Unterlassung der Rechtsmittelzurücknahme gerichtet war, noch das Verwirkungsprinzip zusätzlich heranzieht. Die Alternative kann nur lauten: entweder ein auf Unterlassung der Rechtsmittelzurücknahme gerichteter Vertrag oder Verwirkung der prozessualen Befugnis, das Rechtsmittel zurückzunehmen. b) Es ist verständlich, daß der B G H nach der Annahme eines solchen Vertrages noch die Verwirkung heranzieht. Denn eine vertragliche Verpflichtung, das Rechtsmittel nicht zurückzunehmen, führt nach den von RGZ 102, 217 herausgebildeten und oben E l l behandelten Grundsätzen zu einer Einrede des Gegners gegenüber dem vertragswidrigen Prozeßverhalten. Die Unwirksamkeit der Prozeßhandlung t r i t t also nicht automatisch ein. Diese Auffassung führt aber nur dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn der Gegner i m Prozeß durch Einrede die Vertragswidrigkeit rügen kann. Unbrauchbar ist sie — wie i m vorliegenden Fall —, wenn die vertragswidrige Prozeßhandlung das Verfahren beendet. Erst die Anwendung des Verwirkungsgedankens bringt dann nach der Meinung des B G H das gewünschte Ergebnis. Das

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

bedeutet, daß die Vertragswidrigkeit einer Prozeßhandlung auf Einrede des Gläubigers, eine gegen Treu und Glauben verstoßende oder arglistige Prozeßhandlung aber von Amts wegen zu beachten ist. Welche Gründe tragen diese Meinung? aa) Daß die Vertragswidrigkeit prozessualen Verhaltens — wie oben E I I und I I I bereits angedeutet — nur auf Einrede zu beachten ist, ber u h t auf der Möglichkeit rügelosen Einlassens des Gläubigers. Dieses bedeutet nämlich die schlüssige Annahme eines auf Aufhebung des Vertrages gerichteten Angebots, das i n der vertragswidrigen Prozeßhandlung liegt. Man könnte auch annehmen, daß das Einverständnis des Gläubigers die Rechtswidrigkeit der Vertragsverletzung beseitige und diese daher sanktionslos bleiben könne. A u f jeden Fall wäre es systemfremd, die Ahndung eines Vertragsbruches nicht den Parteien selbst zu überlassen. Auch spezielle Zwecke des Prozeßrechts erfordern nicht ein abweichendes Vorgehen. Das Prinzip rügelosen Einlassens bei läßlichen Verfahrensverstößen (§ 295 I I ZPO) zeigt die Vertrautheit der ZPO m i t derartigen Strukturen. bb) Eine andere gerichtliche Reaktion verlangen diejenigen Prozeßhandlungen, die gegen Treu und Glauben oder das oben A l l aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens verstoßen, die sich also etwa wegen Verwirkung oder wegen Verstoßes gegen das Verbot des venire contra factum proprium als unzulässige Rechtsausübung darstellen. Zur Prüfung ihrer Zulässigkeit von Amts wegen kommt man ohne weiteres, wenn man die Verwirkung dem Rechtsschutzbedürfnis und der Beschwer inkorporiert 6 7 , die nach h. M. zu den von Amts wegen zu prüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen gehören. Faßt man den Verstoß gegen Treu und Glauben nach der hier vertretenen Ansicht 6 8 als selbständigen Prozeßabweisungsgrund auf, so ist das Ergebnis kein anderes. A u f dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist anerkannt, daß die Verwirkung der Beschwerdebefugnis von Amts wegen zu beachten ist 6 9 . Auch i n der streitigen Gerichtsbarkeit entspricht dies der Ansicht des BGH, wie das besprochene Urteil zeigt. Für diese Auffassung spricht nicht so sehr das bereits genannte Argument, daß ein Gericht Beihilfe zu unlauteren Machenschaften einer Partei leiste, wenn es auf deren arglistige Prozeßhandlungen sachlich eingehe 70 . 67 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 53; Baumgärtel, ZZP 67, 450/ 451. Dazu oben V I . 68 Oben V I . 69 Keidel, Fritz, Freiwillige Gerichtsbarkeit, aaO, § 21 A n m . 22 a. E.; Keidel, Theodor, Die V e r w i r k u n g des Beschwerderechts i m FGG-Verfahren, Rpfl. 1960, 240 [241 re. Sp.]. 70 Oben I V ; vgl. auch RGSt 59, 104 [106].

VIII. Amtsprüfung oder Einrede

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Denn auch eine vertragswidrige Prozeßhandlung kann man m i t demselben Prädikat belegen und es dennoch der Partei überlassen, sich gegen sie zu wehren. Der Grund für eine Amtsprüfung von Prozeßhandlungen auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben oder auf (außervertragliche) Arglist ist vielmehr die Aufgabe der Einredestruktur (exceptio doli generalis und specialis) des gemeinen Rechts zugunsten einer Einwendung 7 1 . Die heute herrschende Doktrin geht dahin, daß Ausübung von verwirkten Rechten oder widerspruchsvolle Ausübung von Rechten i n Wahrheit Rechtsüberschreitung und daher Handeln ohne Recht sei 72 . Überträgt man diese Grundsätze aufs Prozeßrecht, so erkennt man, daß infolge der Verwirkung oder anderer Fälle des Rechtsmißbrauchs die Befugnis wegfällt, eine Prozeßhandlung vorzunehmen. Ob jemand diese Befugnis hat, gehört aber nach Tradition zu den Punkten der Zulässigkeit, die von Amts wegen zu prüfen sind, wie etwa Parteifähigkeit, Prozeßfähigkeit, Postulationsfähigkeit, Zulässigkeit der Prozeßstandschaft und überhaupt das schutzwürdige Interesse an der Vornahme von Prozeßhandlungen. Gegen diese Auffassung läßt sich nicht geltend machen, sie bedeute eine Belastung der Gerichte m i t zusätzlicher Arbeit. Dieser Einwand wäre allenfalls gegenüber der Forderung nach Amtsermittlung gerechtfertigt. Amtsprüfung bedeutet aber nicht amtliche Untersuchung, sondern dem Gericht obliegt es nur, „auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die i n Ansehung der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte obwalten" (§ 139 I I ZPO). M i t anderen Worten: Ermittlungen über die Arglist irgendeiner Prozeßhandlung werden nicht verlangt. Es ist lediglich unerheblich, ob die Partei, gegen die das arglistige Prozeßverhalten gerichtet war, sich auf dessen Unwirksamkeit beruft. Das bedeutet aber keine weitere Belastung des Gerichts, zumal i n aller Regel das arglistige Verhalten gerügt wird. cc) Überschneidungen der beiden Prinzipien, Beachtung der Vertragswidrigkeit von Prozeßhandlungen auf Einrede; Amtsprüfung von Prozeßhandlungen auf außervertragliche Arglist, sind möglich, wenn die Einrede der Vertragswidrigkeit nicht mehr erhoben werden kann, w e i l die vertragswidrige Prozeßhandlung den Prozeß beendet. Man denke etwa an einen Vertrag des Inhalts, der Prozeß solle durch alle Instanzen laufen und nicht durch Rechtsmittelverzicht oder Zurücknahme des eingelegten Rechtsmittels beendet werden (Musterprozeßvereinbarung) 73 . Hier erscheint eine Durchbrechung des für die prozessuale Behandlung vertragswidrigen Prozeßverhaltens aufgestellten Prinzips angebracht. 71 72 73

Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 121, 210; Esser, aaO, § 34, 2—5. Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 115. Vgl. dazu oben E I I F N 4.

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

Denn der Grundsatz, vertragswidrige Prozeßhandlungen seien auf Einrede zu beachten, beruht, wie gesagt, auf der Möglichkeit rügelosen Einlassens. Ist diese aber wegen der besonderen Gestaltung des Verfahrens nicht gegeben, so entfällt auch der Grund, der für das Vorliegen einer Einrede spricht 74 . Eine Amtsprüfung ist auch anzuraten, weil Erfüllungsansprüche oder Schadensersatzansprüche wegen Vertragswidrigkeit nicht das gewünschte Ergebnis versprechen. Das gilt insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten, wie etwa für den Scheidungsprozeß BGHZ 20, 198, aber auch für Musterprozeßvereinbarungen bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Ein bezifferbarer Schaden w i r d sich kaum belegen lassen. 3. Aus der konkretisierenden Kasuistik lassen sich für die Dogmatik des Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens folgende Sätze gewinnen: Die Vertragswidrigkeit einer Prozeßhandlung ist auf Einrede zu beachten. Die Verwirkung der Befugnis, eine Prozeßhandlung vorzunehmen, ist von Amts wegen zu prüfen. Ebenso ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Vornahme einer Prozeßhandlung aus anderen Gründen gegen das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens verstößt. Die Vertragswidrigkeit einer Prozeßhandlung ist dann von Amts wegen zu prüfen, wenn die Gläubigerpartei die Vertragswidrigkeit nicht rügen kann. I X . Verwirkbarkeit der Beschwerdebefugnis bei anderweitiger Abänderbarkeit des belastenden Zustands? 1. Dieses Problem wäre i n folgendem Beschluß des SchlOLG 7 5 zu erörtern gewesen: Der Kläger hatte zur Durchführung einer auf § 48 EheG gestützten Scheidung das Armenrecht beantragt. Durch Beschluß v o m 14. 2. 1951 versagte i h m das L G das Armenrecht, w e i l die Dreijahresfrist des § 48 EheG noch nicht abgelaufen sei u n d somit die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (§ 114 I ZPO). Gegen diesen Beschluß legte der Kläger am 21. 2. 1952 Beschwerde m i t der Begründung ein, die Frist des § 48 EheG sei n u n verstrichen. Das O L G führte dazu aus (aaO): „Die Beschwerde ist unzulässig. Nach § 127 S. 2 ZPO findet allerdings gegen die Entscheidung, durch die das Armenrecht verweigert w i r d , die Beschwerde statt. Diese ist unbefristet. Es bedeutet aber einen Mißbrauch des Beschwerde74 Vgl. auch den F a l l der pflichtwidrigen Klagerücknahme durch einen eigentlich notwendigen Streitgenossen. Dazu Säcker, JZ 1967, 51 ff. 75 SchlHA 1952, 134.

IX. Keine Verwirkung bei fehlender Unzumutbarkeit

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rechts, w e n n der zur Beschwerde Berechtigte über Gebühr lange m i t der Anfechtung der Entscheidung, gegen die er sich wenden w i l l , wartet. Denn auch i n den Fällen, i n denen die Einlegung der Beschwerde nicht an eine i m Gesetz vorgeschriebene Frist gebunden ist, erfordert es die Rechtssicherheit, daß der durch die anfechtbare gerichtliche Entscheidung geschaffene Zustand nicht auf unabsehbare Zeit i m Ungewissen bleibt. Wenn der Beschwerdeberechtigte eine Änderung dieses Zustandes erst verlangt, nachdem sein Gegner und auch das Gericht sich auf i h n hatten einrichten dürfen und eingerichtet haben, so mißbraucht er seine Beschwerdebefugnis."

2. I n dieser Entscheidung w i r d die Beschwerde aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung als mißbräuchlich angesehen. Diese Auffassung ist nicht haltbar. Die Entscheidung übergeht die Frage, ob die Ausübung der prozessualen Befugnis für die Gegenpartei unzumutbar ist 7 6 . Das ist nicht der Fall. Der Kläger kann ohne Zweifel nach Ablauf der Frist des § 48 EheG erneut (mit Erfolg) das Armenrecht für den Scheidungsrechtsstreit beantragen 77 . Denn die Entscheidung, durch die das Armenrecht verweigert wird, präjudiziert schon mangels formeller Rechtskraft nicht 7 8 . Da der Kläger durch ein neues Armenrechtsgesuch den F a l l erneut aufrollen kann, ist nicht einzusehen, wieso für den Gegner die A b änderung des durch das verweigerte Armenrecht eingetretenen Zustande unzumutbar ist. Seine Stellung w i r d durch die Beschwerde nicht mehr beeinträchtigt als durch das zulässige neue Armenrechtsgesuch 7®. Es kann i h m gleichgültig sein, ob dem Kläger das Armenrecht durch Abänderung der angefochtenen Entscheidung oder aufgrund eines neuen Armenrechtsgesuchs bewilligt wird. I h m w i r d insbesondere dadurch, daß der Kläger das Armenrecht durch das i m Rechtszug höhere Gericht (§ 568 ZPO) erstrebt, keine Instanz genommen, denn die Bewilligung des Armenrechts aufgrund eines neuen Armenrechtsgesuchs ist nicht anfechtbar (§ 127 S. 1 ZPO). Die Ausübung der Beschwerdebefugnis ist daher dem Prozeßgegner nicht unzumutbar. Es fehlt am oben II, c dargelegten Tatbestandsmerkmal der Verwirkung. Da das O L G auch den Verwirkungstatbestand i m Verhältnis Kläger — Gericht untersucht, soll auch diese Frage erörtert werden. Bei dem Beschwerdesenat des O L G bildet sich kein Vertrauen, das dahin geht, der K l ä ger werde keine Beschwerde mehr einlegen oder er werde das Armenrecht nicht erhalten. Denn dem Senat ist der Vorgang unbekannt, bis i h m die A k t e n vorgelegt werden. Sollte sich dennoch ein Vertrauen gebildet haben, so ist es aus den oben E V genannten Gründen unbeachtlich. 76

Vgl. dazu oben I I , c. So auch Baumgärtel, ZZP 67, 446. 78 Vgl. § 127 S. 2 ZPO. 79 Dieser Gedanke veranlaßt auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch das O L G H a m m (MDR 1952,369) von V e r w i r k u n g der Beschwerde gegen einen Beschluß des Grundbuchrichters abzusehen. Denn diese Entscheidung sei nicht rechtskräftig u n d daher stets abänderbar, notfalls sogar i m ordentlichen Verfahren (z. B. Grundbuchberichtigungsanspruch). 77

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

3. Das aufgeworfene Problem läßt sich also wie folgt lösen: Kann der durch die angefochtene Entscheidung eingetretene Zustand auf andere Weise als durch Beschwerde abgeändert werden, so ist kein Raum für die Verwirkung der Beschwerdebefugnis. X . Verwirkbarkeit der Klagebefugnis 1. Die Verwirkbarkeit der Befugnis, eine Klage zu erheben, ist i n letzter Zeit diskutiert worden. Der zweite Senat des B A G hat i n einem viel beachteten U r t e i l 8 0 die Verwirkung der Klagebefugnis bejaht. Die Entscheidung hält eine Klage auf Feststellung, daß eine Kündigung unwirksam sei, für v e r w i r k t und weist sie als unzulässig ab. Das Gericht stellt den Satz auf, „daß die Klagemöglichkeit verwirken könne" und setzt Klagemöglichkeit und Klagebefugnis gleich. Es hebt hervor, daß „materiellrechtliche Verwirkung und Verwirkung der Klagemöglichkeit auseinander zu halten seien. Die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung einer Rechtsposition sei eine besondere, für sich dastehende Befugnis". 2. Das BAG-Urteil ist nur dann ein Fall des Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens, wenn die Möglichkeit, eine Rechtsposition gerichtlich klären zu lassen, i n der Tat eine besondere, für sich dastehende prozessuale Befugnis ist. Ist das nicht der Fall, dann kann hier die Frage dahinstehen, ob Klagebefugnis und Klagemöglichkeit, bzw. die hinter diesen allgemeinen Begriffen stehenden Kategorien, wie Klagbarkeit, Rechtsschutzanspruch und Rechtsschutzgewährungsanspruch, überhaupt verwirkbar sind und, wenn ja, m i t welcher Rechtsfolge 81 . Man hat also zu fragen, ob „materiellrechtliche Verwirkung und Verw i r k u n g der Klagemöglichkeit auseinanderzuhalten sind", wie das B A G meint 8 2 . Dazu ist zunächst eine Klarstellung der hier verwendeten Begriffe nötig 8 3 . 3a) Unter Klagemöglichkeit oder der synonymen Bezeichnung Klagebefugnis versteht man die grundsätzlich jedem offenstehende Möglichkeit, eine Rechtsbehauptung zur gerichtlichen Entscheidung zu stellen 84 . b) Die Klagbarkeit ist auf Ansprüche i m Sinne des § 194 BGB beschränkt. Sie liegt vor, wenn das Recht, von einem anderen ein Tun 80 A P Nr. 1 zu § 242 B G B (Prozeßverwirkung) m i t A n m . von Bötticher = N J W 1962, 463. Vgl. zum U r t e i l auch Baumgärtel, ZZP 75, 385. Die Entscheidung ist oben I auszugsweise wiedergegeben. 81 Vgl. zu diesen Problemen Baumgärtel, ZZP 75, 385 f f ; Dahns, Die U n möglichkeit der K l a g e v e r w i r k u n g i m deutschen Recht, Diss. Hamburg, 1966. 82 Dazu unten Ziff. 4—6. 88 Unten Ziff. 3. 84 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, aaO, S. 260; Hellwig, Klagrecht u n d Klagmöglichkeit, 1905, S. 25 ff.; Rosenberg, aaO, § 83 I I I , 2; § 90 I I .

X. Verwirkbarkeit der Klagebefugnis

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oder ein Unterlassen zu verlangen, gerichtlich geltend gemacht werden kann 8 5 . c) Der Rechtsschutzanspruch ist der gegen den Staat gerichtete A n spruch auf ein günstiges Sachurteil. Er w i r d von der h. M . 8 6 abgelehnt. Bejaht w i r d dagegen der sog. Justizanspruch oder Rechtsschutzgewährungsanspruch. Das ist der Anspruch 87 der Parteien gegen den Staat auf auf ein den Prozeßregeln entsprechendes Verfahren. Die Rechtsschutzgewährung durch das Gericht ist demnach kein Gnadenakt. Dieser A n spruch schließt bei Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen auch ein Urteil zur Sache ein. 4. Soll bei Leistungsklagen die Verwirkung ausschließlich die Klagbarkeit ergreifen, so muß der Beklagte während eines nicht unbedeutenden Zeitraums darauf haben vertrauen dürfen, der Kläger werde seinen Anspruch nur gerichtlich nicht mehr geltend machen, seine außergerichtliche Verwirklichung, etwa durch Aufrechnung, müsse aber noch erwartet werden. „ E i n Fall dieser A r t wird, wenn er überhaupt möglich ist, äußerst selten sein 88 ." I n der Tat läßt sich nicht vorstellen, daß ein Schuldner das Zuwarten seines Gläubigers nur dahin deutet, dieser werde nicht mehr klagen, aber seinen Anspruch noch außergerichtlich verwirklichen. Das Vertrauen des Schuldners w i r d sich vielmehr darauf richten, überhaupt nicht mehr i n Anspruch genommen zu werden, so daß der materielle Anspruch v e r w i r k t ist. Daß dann u. U. auch die Möglichkeit gerichtlicher Geltendmachung, also eine prozessuale Kategorie, v e r w i r k t ist, besagt nichts. Denn die zugleich eingetretene Verwirkung 85 Normalerweise sind alle Ansprüche m i t diesem M e r k m a l ausgestattet. N u r ausnahmsweise fehlt materiellrechtlich wirksamen Ansprüchen, d. h. A n sprüchen, die durch Aufrechnung erfüllt werden können u n d Grundlage für Sicherungsrechte sind, dieses Kennzeichen (Vgl. etwa §§ 1001, 1297 BGB, 31 GaststG). Z u unterscheiden sind diese Fälle der gesetzlichen Unklagbarkeit von denen unvollkommener Verbindlichkeiten (Naturobligationen, etwa § 762 BGB). Diese weisen nicht einen prozessualen Mangel auf, sondern sind auch materiellrechtlich unvollkommen, können also nicht duròh Aufrechnung erfüllt, durch Bürgschaft, Pfandrecht u n d Hypothek gesichert oder durch Wechsel u n d Schuldanerkenntnis verstärkt werden. Sie bilden lediglich einen Rechtsgrund i. S. des § 812 BGB, das trotz der Unverbindlichkeit Geleistete zu behalten. Die Klagbarkeit eines Anspruchs kann nach h. M. durch Vereinbarung ausgeschlossen werden. Vgl. dazu R G J W 1930, 1062; ferner Pohle, aaO, S. 214; Schiedermair, Vereinbarungen i m Zivilprozeßrecht, S. 94; Rosenberg, aaO, § 85 I I , 2 a. Die vereinbarte Unklagbarkeit ist dann auf Einrede zu beachten. Vgl. dazu oben E I I u n d I I I . Z u m Begriff der Klagbarkeit vgl. Dahns, aaO, S. 98 ff. 8 * Vgl. dazu Rosenberg, aaO, § 90; Blomeyer, ZPR aaO, S. 5 m i t weit. Nachweisen F N 9. 87 F ü r ein subjektives öffentliches Recht Baumgärtel, ZZP 75, 393. 88 Stich, DVB1. 1956, 329 f ü r die ausschließlich auf die Klagebefugnis bezogene Vertrauensgrundlage i m Verwaltungsstreitverfahren. Auch Baumgärtel, ZZP 75, 387/388 hält einen solchen F a l l für rein theoretisch.

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

des materiellen Anspruchs entfaltet gleichsam eine Sperrwirkung für die Verwirkung der Klagbarkeit, so daß diese keine selbständige Bedeutung mehr erlangt. Es entspricht allgemeiner Übung, eine Leistungsklage, m i t der ein verwirkter Anspruch geltend gemacht wird, als unbegründet abzuweisen und nicht wegen des prozessualen Mangels der Klagbarkeit als unzulässig. Bei Leistungsklagen ergreift die Verwirkung also den materiellen Anspruch. Die verwirkte Klagbarkeit ist ohne Bedeutung 89 . 5a) Bei Gestaltungsklagen, m i t denen i m öffentlichen Interesse die Kontrolle eines Zustandes auf seine Rechtmäßigkeit begehrt w i r d (Ehenichtigkeitsklage, Patentnichtigkeitsklage nach § 13 I Nr. 1 und 2 PatG), besteht, wie dargelegt 90 , kein materielles Gestaltungsrecht I n diesen Fällen t r i t t als verwirkbare prozessuale Kategorie der Rechtsschutzanspruch auf. Nicht ein materielles Gestaltungsrecht gegenüber dem Prozeßgegner w i r d gerichtlich geltend gemacht, sondern der gegen den Staat gerichtete Anspruch, bei Vorliegen der prozessualen Voraussetzungen und des fraglichen Gestaltungsgrundes (ζ. B. Doppelehe) die begehrte Gestaltung auszusprechen 91. Die Verwirkung bezieht sich also bei den hier behandelten Gestaltungsklagen allein auf eine „prozessuale Befugnis" (Rechtsschutzanspruch). Bei Vorliegen des Verwirkungstatbestandes hat das Gericht die fragliche Gestaltungsklage als unzulässig (ohne Sachprüfung) abzuweisen. Denn ein materielles Gestaltungsrecht, das v e r w i r k t sein könnte und das eine Sachabweisung rechtfertigte, ist nicht gegeben. Bei Prüfung der Begründetheit einer derartigen Gestaltungsklage steht allein die Existenz des Gestaltungsgrundes zur Debatte 9 2 . Liegt er vor, so müßte das Gericht die erbetene Gestaltung aussprechen, denn der Gestaltungsgrund w i r d durch die Verwirkung nicht berührt: Die Doppelehe, der Anfechtungsgrund bei § 957 ZPO, die Gesetzwidrigkeit eines Beschlusses bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage bleiben ohne Rücksicht auf die Verwirkung bestehen. Man kann daher, wenn man die Arglist des Klägers überhaupt ahnden w i l l , nur die Verwirkung des Rechtsschutzanspruchs dergestalt annehmen, daß eine Sachprüfung ausgeschlossen ist 9 3 . Dieser Ansicht ist offenbar auch 89

So i m Ergebnis auch Dahns, aaO, S. 121. Oben E V. 91 Vgl. dazu Henckel, aaO, S. 34 u n d oben E V. 92 Er ist zusammen m i t dem A n t r a g Streitgegenstand: Blomeyer, ZPR aaO, § 40 V, 3; Henckel, aaO, S. 31 ff., 286 ff. Über den Streitgegenstandsbegriff bei Gestaltungsklagen jüngst Schlosser, aaO, S. 355 ff. 93 Z u Recht stellt Schlosser, aaO, S. 386 darauf ab, daß beim Schweigen des Gesetzgebers die Lehre durch Interessenanalyse bestimmen müsse, was i m Einzelfall Zulässigkeits- u n d was Begründetheitsvoraussetzungen bei einer Gestaltungsklage seien. 90

X. Verwirkbarkeit der Klagebefugnis

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der BGH, der eine mißbräuchliche Ehenichtigkeitsklage trotz bestehenden Gestaltungsgrundes der Doppelehe als unzulässig abweist 94 . b) Bei den Gestaltungsklagen, denen ein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt 95 , t r i t t dieses als Gegenstand der Verwirkung auf. Wie die Verwirkung des materiellen Anspruchs die Klage unbegründet macht und nicht die Klagbarkeit als prozessuale Befugnis ergreift, so sollte man auch bei verwirktem materiellem Gestaltungsrecht die Gestaltungsklage als unbegründet abweisen. Die Arglist des Klägers w i r d auf diese Weise unterbunden, und zwar wegen der Rechtskraftwirkungen eines Sachurteils nachhaltiger als durch ein Prozeßurteil. Auch die Prozeßökonomie fordert keine Abweisung als unzulässig wegen verwirkter Klagebefugnis. Feststellungen darüber, ob die Klagebefugnis v e r w i r k t ist, erfordern denselben Arbeitsaufwand wie Feststellungen über das verwirkte materielle Recht 96 . c) Ergebnis. Bei Gestaltungsklagen ohne materielles Gestaltungsrecht bezieht sich die Verwirkung allein auf den Rechtsschutzanspruch als prozessuale Befugnis. Liegt der Verwirkungstatbestand vor, so ist die Klage ohne Sachprüfung als unzulässig abzuweisen. W i r d m i t der Gestaltungsklage ein materielles Gestaltungsrecht ausgeübt, so ergreift die Verwirkung das materielle Recht. Die Klage ist durch Sachurteil als unbegründet abzuweisen. 6. Ob sich die Verwirkung bei einer Feststellungsklage auf die Klagebefugnis oder das materielle Recht bezieht, läßt sich an dem eingangs 97 zitierten U r t e i l des B A G 9 8 darlegen. a) Es liegt auf der Hand, daß bei einer Feststellungsklage nur i n den Fällen, i n denen die Feststellung begehrt wird, ein materieller Anspruch bestehe oder bestehe nicht 9 9 , sich die Verwirkung eindeutig auf ein materielles Recht beziehen kann. Dann w i r d nicht die Klagbarkeit des A n spruchs als prozessuale Kategorie von der Verwirkung ergriffen und die Klage als unzulässig abgewiesen 100 , sondern es ergeht klageabwei94

B G H Z 30, 140. Näheres dazu unten G I X beim institutionellen M i ß brauch. 95

Vgl. dazu oben E V. Z u r V e r w i r k u n g bei Gestaltungsklagen vgl. K G DR 1940, 2116 [2118] m i t A n m . von Schönke, aaO, 2119; B G H L M Nr. 2 zu § 1598 B G B ; O L G Karlsruhe FamRZ 1962, 392. 98

97

Oben I . A P Nr. 1 zu § 242 B G B [Prozeßverwirkung]. 99 Das Rechtsschutzbedürfnis f ü r eine solche Klage soll hier nicht diskutiert werden. 100 Dazu oben Ziff. 4. 98

10 Zeiss

146

F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

sendes Sachurteil, weil der materielle Anspruch infolge der Verwirkung nicht mehr besteht 101 . b) Wie aber, wenn die Feststellung verlangt wird, zwischen den Parteien bestehe ein bestimmter Vertrag oder eine ausgesprochene K ü n d i gung sei unwirksam? aa) Bötticher 102 bemerkt zu Recht, daß nur i m Falle einer auf Feststellung eines Anspruchs gerichteten Klage die Verwirkung unzweifelhaft den materiellen Anspruch erfaßt. Aber auch die Fälle, i n denen die Feststellung eines Rechtsverhältnisses begehrt wird, das kein A n spruch ist, begreift er als Problem materiellrechtlicher Verwirkung, indem er eine Parallele zieht zur Verwirkung der Berufung auf U n w i r k samkeitsgründe, etwa zur Unzulässigkeit der Berufung auf Formmängel. bb) Dieser Gedanke erweist sich als fruchtbar. Er soll explizit dargelegt werden: Jemandem kann die Berufung auf die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Formmangels (§ 125 BGB) aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung versagt sein, etwa dann, wenn er den Vertrag jahrelang als gültig behandelt und erfüllt hat. Das heißt aber noch nicht, daß eine Klage durch Sachurteil abgewiesen werden muß, wenn eben diese Berufung auf die Nichtigkeit i n Gestalt einer Klage erfolgt, m i t der die Feststellung begehrt wird, daß der fragliche Vertrag der erforderlichen Form nicht entspreche und nichtig sei. Die Prozeßabweisung einer solchen Feststellungsklage wegen eines prozessualen Mangels w i r d prima facie durch die Gedankenverbindung: Unzulässigkeit der Berufung auf Formmängel und Unzulässigkeit einer Klage dieses Gegenstandes, nahegelegt. Auch die Folgen eines Sachurteils, zu dem die Ansicht Böttichers führt, scheinen auf den ersten Blick nicht haltbar. Denn eine Feststellungsklage w i r d dann als unbegründet abgewiesen, wenn die begehrte Feststellung deswegen nicht getroffen werden kann, weil nach richterlicher Erkenntnis feststeht, daß das fragliche Rechtsverhältnis zwischen den Parteien i m Gegensatz zum Begehren des Klägers besteht oder nicht besteht. Klagt jemand, dem die Berufung auf die Nichtigkeit eines Vertrages aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung abgeschnitten ist, auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Vertrages und weist das Gericht die Klage durch Sachurteil ab, so steht rechtskräftig fest, daß der Vertrag gültig ist. Denn ein sachabweisendes Feststellungsurteil stellt das Gegenteil des Begehrten rechtskräftig fest 1 0 3 . Die Sachabweisung, durch welche die Arglist des Klägers unterbunden würde, setzt also voraus, daß der Vertrag gültig ist, denn nur dann ist das Feststellungsbegehren 101 Über die V e r w i r k u n g als Rechtsendigungsgrund vgl. aaO, § 242 A n m . 116. 102 A n m . zu A P Nr. 1 zu § 242 B G B [Prozeßverwirkung].

103

Rosenberg, aaO, § 86 I.

Soergel-Siebert,

X. Verwirkbarkeit der Klagebefugnis

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des Klägers unbegründet. Man müßte daher — das ist die Konsequenz der Ansicht Böttichers — jedenfalls i m Verhältnis der Vertragsparteien von voller Wirksamkeit eines formnichtigen Vertrages ausgehen, wenn einer Partei die Berufung auf den Formmangel versagt ist. Literatur und Rechtsprechung gehen i n der Tat i n diese Richtung, da man nicht mehr das Gegensatzpaar: Einwand der Formnichtigkeit — Gegeneinwand der Arglist, als Schlüssel zur Lösung ansieht, sondern trotz des Formverstoßes i n bestimmten Fällen Vertragswirkungen ann i m m t 1 0 4 . Bedenken gegen eine solche materiellrechtliche Behandlung des Problems der verwirkten Feststellungsklagebefugnis bestehen um so weniger, als das Gesetz für die Feststellungsklage nach dem KSchG eine vergleichbare Frage i n ähnlicher Weise gelöst hat. Nach § 3 KSchG muß ein Arbeitnehmer, der gegen eine sozial ungerechtfertigte K ü n d i gung vorgehen w i l l , innerhalb einer Frist von drei Wochen Feststellungsklage m i t dem Antrag erheben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst sei. Klagt er nach Ablauf dieser Frist, so ist seine Klage nicht etwa wegen Versäumung einer Ausschlußfrist oder wegen Verwirkung unzulässig. Die prozessuale Problematik w i r d ins materielle Recht verlagert, indem nach Ablauf der Klagefrist die K ü n digung von Anfang an als rechtswirksam gilt (§ 6 KSchG). Daher findet das verspätete Begehren des Klägers i m materiellen Recht keine Stütze mehr 1 0 5 . c) Es handelt sich daher bei der Verwirkung der Feststellungsklagebefugnis m. E. stets u m ein materiellrechtliches Problem 1 0 6 . Das gilt ein104 Soergel-Siebert, § 242 A n m . 212, 223. Esser, Schuldrecht aaO, § 35,7: „Denn da ein Formmangel grundsätzlich von A m t s wegen zu beachten ist, geht es u m die materielle Rechtswirksamkeit dieser faktischen oder vertragsähnliche Beziehungen." Diese „materielle G ü l t i g k e i t " bejaht man neuerdings sogar f ü r eine wegen Formmangels (Eheschließung n u r vor einem Geistlichen) ungültige Ehe (OLG Stuttgart S t A Z 1963, 158 [161]). Dieses U r t e i l weist die Klage eines Ehemannes, m i t der er Feststellung des Nichtbestehens seiner Ehe begehrt, als unbegründet ab, w e i l er die Ehe, aus der K i n d e r hervorgegangen sind, jahrelang als gültig behandelt hat. M a n beachte hier die berechtigten Bedenken Gernhub er s (Festschrift f ü r Schmidt-Rimpler, aaO, S. 157), der gerade die formnichtige Ehe als einen F a l l ansieht, bei dem das Abschneiden der Berufung auf den Formmangel m i t Hilfe des § 242 B G B nicht durchgreifen könne. los Fehlten solche Vorschriften (§§ 3, 6 KSchG), so stünde m a n den gleichen Zweifeln gegenüber, w i e bei der oben behandelten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrages. Diese Lage bestand nach Aufhebung des Gesetzes zur Ordnung der Nationalen Arbeit, dessen § 56 f ü r die sog. K ü n d i gungswiderrufsklage eine Ausschlußfrist von zwei Wochen vorsah. I n der Nachkriegszeit tauchte deshalb bisweilen der Begriff der V e r w i r k u n g der Klage auf (Vgl. L A G F r a n k f u r t u n d L A G Schleswig-Holstein, Westd. A r b Rspr. 1948, 51 Nr. 165—167). Anhaltspunkte, ob m a n die V e r w i r k u n g als prozessuales oder materiellrechtliches Problem ansah, ergeben sich jedoch aus den Entscheidungen nicht. 106 Anders natürlich, wenn gem. § 256 ZPO auf Feststellung der Echtheit oder Unechtheit einer U r k u n d e geklagt w i r d .

10·

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F. Die Verwirkung prozessualer Befugnisse

mal für diejenigen Fälle, i n denen ein materieller Anspruch Gegenstand der Feststellungsklage ist. Hier ist ebenso, wie bei der Verwirkung der Leistungsklage 107 , kein Fall denkbar, wo der Beklagte allein darauf vertrauen durfte, der Kläger werde den Anspruch nur noch außergerichtlich geltend machen. Aber auch, wenn m i t der Klage nicht die Feststellung eines Anspruchs, sondern eines Vertragsverhältnisses oder der Wirksamkeit einer Gestaltungserklärung begehrt wird, handelt es sich nicht um eine prozessuale Frage. Ist dem Kläger aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung die Berufung auf eine bestimmte Rechtswirkung versagt, so steht zwischen den Parteien das Gegenteil dieser Wirkung fest. Erfolgt die Berufung durch Feststellungsklage, so ist diese daher als unbegründet abzuweisen. 7. I m oben I angeführten Fall des B A G waren daher folgende Lösungsmöglichkeiten diskutabel: a) Unzulässigkeit der erneut erhobenen Feststellungsklage wegen Verletzung einer aus der Klagezurücknahmevereinbarung durch ergänzende Vertragsauslegung gewonnenen Verpflichtung der Klägerin, auch künftig nicht mehr durch Klage die Wirksamkeit der Kündigung anzugreifen. Denn aus der Absprache der Parteien, aufgrund derer die K l ä gerin seinerzeit die Klage zurückgenommen hatte, kann sich i m Wege ergänzender Vertragsauslegung (§ 157 BGB) die Verpflichtung ergeben, auch künftig die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung nicht mehr m i t der Klage anzugreifen. Eine entsprechende Vertragslücke und ein sie füllender hypothetischer Parteiwille, der auf die geschilderte Verpflichtung gerichtet ist, lassen sich, wie meist bei ergänzender Vertragsauslegung, leicht feststellen. Die Nichtregelung der erneuten K l a gemöglichkeit ist nämlich eine planwidrige Unvollständigkeit des auf Klagezurücknahme gerichteten Vertrages und damit eine Vertragslücke. Daß die Parteien diese Lücke, wäre sie ihnen aufgefallen, durch eine Vereinbarung, künftig nicht mehr zu klagen, geschlossen hätten, kann ebenfalls angenommen werden. Die Beklagte kann dann nach den oben E I I I geschilderten Grundsätzen die vertragswidrig erneut erhobene Klage durch eine Einrede zu Fall bringen und ihre Abweisung als unzulässig erreichen. b) Abweisimg der Feststellungsklage als unbegründet, weil nach A b lauf einer den Verwirkungstatbestand erfüllenden Zeitspanne zwischen den Parteien tatsächlich der Zustand besteht, dessen Nichtbestehen die Klägerin festzustellen begehrt. Die Verwirkung der Klagebefugnis m i t der Folge einer Prozeßabweisung ist entgegen B A G A P Nr. 1 zu § 242 BGB (Prozeßverwirkung) nicht gegeben. 107

Dazu oben Ziff. 4.

XI. Ergebnis

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X I . Ergebnis Der oben I I dargelegte Tatbestand der Verwirkung ist i m Prozeßrecht grundsätzlich anwendbar. Das oben A I I aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens wird, ebenso wie § 242 BGB, durch das V e r w i r kungsprinzip konkretisiert. Die blankettfüllende Kasuistik brachte für die Dogmatik der aufgestellten Generalklausel folgende Einzelergebnisse: a) Die prozessuale Befugnis, die Kosten festsetzen zu lassen, ist verw i r k t , wenn der Kostenerstattungsanspruch v e r w i r k t ist (oben IV). b) Die Befugnis, einen Kosten- und Verlustbeschluß nach § 515 I I I , 2 ZPO zu beantragen, ist nicht verwirkbar. Die Verwirkung betrifft nicht die prozessuale Befugnis, sondern allein den Kostenerstattungsanspruch aus § 515 I I I , 1 ZPO (oben V). c) Die Beschwerdebefugnis ist grundsätzlich verwirkbar. Das gilt nicht, wenn der durch die angefochtene Entscheidung eingetretene belastende Zustand auf andere Weise als durch Beschwerde abgeändert werden kann (oben IX). Die Beschwerde ist bei verwirkter Beschwerdebefugnis aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung als unzulässig zu verwerfen (oben VI). d) Die Verwirkbarkeit einer prozessualen Befugnis beginnt erst dort, wo sich aus den Beziehungen der Beteiligten keine Verpflichtung des „Berechtigten" ergibt, die prozessuale Befugnis nicht auszuüben (oben V I I und VIII). e) Die Verwirkung einer prozessualen Befugnis ist nicht auf Einrede, sondern von Amts wegen zu prüfen (oben VIII). f) Bei Leistungsklagen ergreift der Verwirkungstatbestand nicht die Klagbarkeit, sondern den materiellen Anspruch (oben X , 4). g) Bei Feststellungsklagen betrifft die Verwirkung nicht die Klagebefugnis, sondern das materielle Recht (oben X , 6). h) Bei Gestaltungsklagen, m i t denen kein materielles Gestaltungsrecht ausgeübt wird, ergreift die Verwirkung den Rechtsschutzanspruch. Die Klage ist dann durch Prozeßurteil abzuweisen. W i r d m i t einer Gestaltungsklage ein materielles Gestaltungsrecht geltend gemacht, so ergreift die Verwirkung das materielle Gestaltungsrecht (oben X , 5).

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse I . Problemstellung 1. M i t d e n o b e n D — F b e h a n d e l t e n T a t b e s t ä n d e n d e r Gesetzesumgeh u n g , des v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m u n d d e r V e r w i r k u n g lassen sich zahlreiche E r s c h e i n u n g s f o r m e n d e r A r g l i s t i m Prozeß erfassen. Es b l e i b t jedoch e i n m i t d e r b i s h e r d a r g e l e g t e n T a t b e s t a n d s b i l d u n g n i c h t g r e i f b a r e r Rest. M a n f r a g t , ob m a n m i t d e m S c h i k a n e v e r b o t (§226 B G B ) , m i t m a n g e l n d e m Rechtsschutzbedürfnis oder i n s t i t u t i o n e l l e m M i ß b r a u c h 1 h e l f e n k a n n . D i e P r o b l e m a t i k l ä ß t sich d u r c h folgende B e i s p i e l e k e n n zeichnen: a) Die K l ä g e r i n w a r rechtskräftig verurteilt, i n die Löschung einer Hypothek zu w i l l i g e n u n d dem Beklagten den Hypothekenbrief herauszugeben. Die Zwangsvollstreckung blieb erfolglos, da die Klägerin den Aufenthalt ständig änderte. Der Beklagte betrieb daraufhin die Kraftloserklärung des Briefes gem. § 1162 B G B i m Aufgebotsverfahren. Das A G erließ das begehrte Ausschlußurteil. Die Klägerin erhob, gestützt auf § 957 I I Nr. 1 ZPO, Anfechtungsklage. Der Hypothekenbrief sei nicht abhanden gekommen i m Sinne des § 1162 BGB, sondern nach w i e vor i n ihrem Besitz. Der Beklagte setzte der Klage u. a. die Einrede der Arglist und der Schikane entgegen. Das R G 2 führte dazu aus: „Voraussetzung einer jeden Klage, auch der Anfechtungsklage aus § 957 I I ZPO, ist das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses. Niemand darf die Tätigkeit der Gerichte unnütz — oder gar zu unlauteren Zwecken in Anspruch nehmens. Die Klage konnte daher trotz Vorliegens des Tatbestandes des § 957 I I Nr. 1 ZPO keinen Erfolg haben, w e n n die K l ä g e r i n damit, wie der Beklagte behauptet, ohne eigenes schutzwürdiges Interesse lediglich den Zweck verfolgen sollte, den dem Beklagten rechtskräftig zuerkannten Löschungsanspruch zu vereiteln 4 ." b) E i n Streitverkündungsgegner erhob Klage gegen den Streitverkünder auf Feststellung, daß diesem ein Anspruch gegen i h n auch bei ungünstigem Ausgang des Hauptprozesses nicht zustehe. Das R G 5 hielt die Klage f ü r unzulässig: „Grundsätzlich aber muß die Feststellungsklage f ü r unzulässig erachtet werden, w e n n sie erhoben w i r d , um die Streitverkündung u n d deren gesetzliche W i r k u n g e n zu verhindern, oder w e n n sie auch nur geeignet ist, einen solchen Erfolg herbeizuführen. Durch die Bestimmungen der §§ 74, 1 2 8 4 5

Terminologie von Esser, Schuldrecht, aaO, § 34, 7 u n d 8. RGZ 155, 72 [75]. Hervorhebungen i n Zitaten stammen von mir. Vgl. zum F a l l u. V I , 3. RGZ 82, 170 [172—174].

I. Problemstellung

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68 ZPO ist der Streitverkündung die W i r k u n g beigelegt, daß das i m H a u p t prozeß ergehende U r t e i l i n bestimmten Grenzen auch f ü r den Streit z w i schen dem Streitverkünder u n d dem D r i t t e n bindende K r a f t hat. Diese Bestimmungen erweitern die Rechtskraftwirkung des i m Hauptprozess ergehenden Urteils, u m widersprechende Entscheidungen über dieselbe T a t - u n d Rechtsfrage zu vermeiden. Ihr Zweck darf durch eine schrankenlose Zulassung einer negativen Feststellungsklage des D r i t t e n nicht vereitelt werden®." c) Das L G hatte einen Ehescheidungsprozeß gemäß § 620 ZPO auf A n t r a g der K l ä g e r i n auf die Dauer von 6 Monaten ausgesetzt. Diese Entscheidung griff der Beklagte m i t der Beschwerde an. Die Aussetzung sei n u r ein M i t t e l der Klägerin, u m auf i h n einen wirtschaftlichen Druck auszuüben. Das K G 7 führte dazu aus: „Dieser Aussetzungsantrag bedarf an sich keiner Begründung. Doch ist der Sinn dieser Bestimmung (seil. § 620 ZPO), einer etwa möglichen Aussöhnung der Ehegatten den Weg zu ebnen, sofern der klagende T e i l die Durchführung seiner Klage zeitweilig zurückzustellen bereit ist. Andererseits versteht sich von selbst, daß ein derartiger Aussetzungsantrag nicht dazu mißbraucht werden darf, u m auf diese Weise irgendeinen Druck auf die Gegenpartei, so etwa zur Erzwingung materieller Vorteile durch eine v o r teilhafte Abfindung oder Unterhaltsregelung auszuüben. Wo eine derartige Absicht nachweislich den Beweggrund f ü r den Aussetzungsantrag bildet, würde i h m trotz der Bestimmung des § 620 ZPO nicht entsprochen werden dürfen. Wenngleich also die Aussetzung ohne Begründung beantragt w e r den kann, k a n n die dafür etwa gegebene Begründung daraufhin nachgep r ü f t werden, ob sie A n h a l t f ü r eine mißbräuchliche Benutzung dieser verfahrensrechtlichen Möglichkeit bietet." 2. D i e g e n a n n t e n B e i s p i e l e g e h ö r e n d e r a r g l i s t i g e n Prozeßpartei. Es zeigt die v o n d e n G e r i c h t e n b e a n s t a n d e t e n geschriebenen P r o z e ß o r d n u n g zulässig. f ü h l sie als a r g l i s t i g ab.

zur gegenwärtigen Problematik sich w i e d e r das b e k a n n t e B i l d : V e r h a l t e n s w e i s e n s i n d nach d e r D e n n o c h w e r t e t unser Rechtsge-

3. Z u u n t e r s u c h e n ist, ob d i e i n d e n E n t s c h e i d u n g e n g e b r a u c h t e n A r g u m e n t e , w i e E i n r e d e d e r A r g l i s t u n d d e r Schikane, m a n g e l n d e s Rechtsschutzbedürfnis 8, Zweckvereitelung 9, mißbräuchliche Benutzung verfahrensrechtlicher M ö g l i c h k e i t e n 1 0 , sich a u f e i n e n g e m e i n s a m e n N e n n e r b r i n g e n lassen. N u r w e n n das g e l i n g t , k ö n n e n w i r d i e als gemeinsames O r d n u n g s p r o b l e m erscheinenden F ä l l e i n e i n e r G r u p p e , e t w a d e r des i n s t i t u t i o n e l l e n M i ß b r a u c h s prozessualer Befugnisse, zusammenfassen. 4. W i r p r ü f e n zunächst, ob das V e r b o t d e r Schikane (§ 226 B G B ) , a n dessen A n w e n d u n g besonders das o b e n Z i f f . 1 a z i t i e r t e U r t e i l d e n k e n ® Vgl. zum F a l l unten I V . DR 1942, 1035—1036. Vgl. dazu unten V I , 2. 8 RGZ 155, 72, oben Ziff. 1 a. 9 RGZ 82, 170, oben Ziff. 1 b. 10 K G DR 1942, 1035, oben Ziff. 1 c. 7

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

läßt, verwertbar ist 1 1 . Sodann w i r d der Begriff der Zweckentfremdung, wie er dem institutionellen Rechtsmißbrauch zugrunde liegt 1 2 éntwikk e l t 1 8 und seine Brauchbarkeit an Fällen des Prozeßrechts demonstriert 1 4 . Ist dieser Nachweis erfolgreich, so können wir, ebenso wie das bürgerliche Recht Fälle institutionellen Mißbrauchs zur Konkretisierung des § 242 BGB benutzt, die entsprechenden Tatbestände des Prozeßrechts als Erscheinungsform der oben A I I konzipierten Generalklausel redlichen prozessualen Verhaltens begreifen. I m Laufe der Untersuchung w i r d sich zugleich die Übereinstimmung von Rechtsschutzbedürfnis und institutionellem Mißbrauch herausstellen, die oben C I I I , 1 bereits angedeutet wurde. I L Mangelnde Praktikabilität des Schikanebegriffs 1. Nach Meinung vieler Autoren und der herrschenden Auffassung i n der Rechtsprechung gilt § 226 BGB nicht i m Prozeßrecht 15 . W i r brauchen uns m i t den Argumenten dieser Ansicht nicht auseinanderzusetzen. Denn § 226 BGB wäre selbst bei seiner Anwendbarkeit i m Prozeßrecht nicht geeignet, zur Lösung der eingangs aufgezählten Fälle beizutragen und als gemeinsames Merkmal der aufgeworfenen Problematik zu dienen. Der i n § 226 BGB verlangte ausschließliche Schädigungszweck erlaubt die Anwendung des Schikaneverbots nämlich nur i n ganz seltenen Fällen. Man ist sich einig, daß § 226 BGB nicht ausreicht, u m den Rechtsmißbrauch wegen eines Verhaltens, das man i m landläufigen Sinne als schikanös bezeichnen kann, zu erfassen 18 . Nach RGZ 146, 385 (396) gilt: „Der Gedanke der Unzulässigkeit einer mißbräuchlichen Rechtsausübung hat seinen gesetzlichen Niederschlag i n dem Schikaneverbot des § 226 BGB gefunden. Er muß aber über den Rahmen dieser Vorschrift hinaus überall dort Anwendung finden, wo sich die Ausübung eines Rechts als gröbliche Verletzung des das gesamte bürgerliche Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben darstellt." 2. Z u welch untragbaren Ergebnissen eine i n der Enge des Schikanebegriffs 1 7 verwurzelte Rechtsprechung führt, zeigt sich an einem Urteil 11

Unten I I . Vgl. dazu oben D V. 13 Unten I I I . 14 Unten I V — I X . 15 Vgl. dazu die Übersicht bei Soergel-Siebert, aaO, § 226 A n m . 4. 18 Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 239 I V 3 b a. E.; Soergel-Siebert, aaO, Bern. 15 vor § 226 BGB. 17 § 1295 I I A B G B : „ A u c h w e r i n einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt, ist dafür verantwortlich, jedoch falls dies i n Ausübung eines Rechtes geschah, n u r dann, wenn die Ausübung des Rechtes offenbar den Zweck hatte, den anderen zu schädigen." 12

III. Die Zweckentfremdung als Kennzeichen des Mißbrauchs

153

des österreichischen OGH 1 8 zur mißbräuchlichen Ausübung einer prozessualen Befugnis: Der Miteigentümer eines Hausgrundstücks hatte seinem Bruder seine L i e genschaftshälfte übertragen u n d sich i n einem vollstreckbaren Vergleich v e r pflichtet, seine Wohnung i m Haus zu räumen, i n der n u r noch seine Frau wohnte. E r wollte dadurch einen Druck auf seine Frau ausüben, u m sie seinen Scheidungsabsichten gefügig zu machen u n d sie zu veranlassen, sein ehewidriges Verhältnis zu dulden. Dieser Sachverhalt w a r dem die Zwangsräumung betreibenden Bruder bekannt. Der O G H hält die Zwangsvollstreckung nicht f ü r schikanös. „Wenn dieser nicht sittenwidrige Zweck hinter dem sittenwidrigen, auf die K l ä g e r i n i n dem Scheidungsverfahren einen Druck auszuüben, auch zurückstehen mag, kann doch nicht gesagt werden, daß die Erreichung des sittenwidrigen Zwecks der alleinige Grund der Exekutionsführung ist. Die Exekutionsführung kann daher nicht als unzulässig i. S. des § 1295 I I A B G B bezeichnet werden."

I I I . Die Zweckentfremdung als Merkmal institutionellen Rechtsmißbrauchs § 226 BGB ist heute i m bürgerlichen Recht gegenüber den §§ 826, 242 BGB ohne praktische Bedeutung. Aus den genannten Vorschriften hat man den Grundsatz entwickelt, daß keinen Rechtsschutz verdient, wer die immanenten Grenzen eines Rechts zum Schaden des Gegners außer acht läßt 1 9 . Die Bestimmung dieser immanenten Grenzen bleibt freilich der Analyse jedes einzelnen Interessenkonflikts vorbehalten. Auch hier bewahrheitet sich wieder der Satz Essers 20 : „Erst die Kasuistik teilt uns mit, was Rechtens ist." Es war das Verdienst französischer Juristen 2 1 , nicht nur durch ein historisches Filtrat aus Einzelentscheidungen des römischen Rechts 22 oder durch begriffliche Spekulationen das Bindeglied der verschiedenen Rechtsmißbrauchsfälle dargelegt zu haben, sondern durch kritische Würdigung des Materials, das die Rechtsprechung i m Laufe der Zeit geliefert hatte. Als der die Mißbrauchsfälle beherrschende Gedanke wurde die Zweckentfremdung des ausgeübten Rechts erkannt 2 3 . Man kann als 18

OesterrJZ 1963, 387. Soergel-Siebert, aaO, Bern. 12, 19 vor § 226 BGB. 20 Grundsatz u n d Norm, aaO, S. 151. 21 Insbesondere Josserand, De l'esprit des droits et de leur relativité, Théorie dite de l'abus des droits, 2. Aufl. 1939. Eine Darstellung der Bemühungen, den Rechtsmißbrauch i n der französischen D o k t r i n zu erfassen, gibt Rudy, aaO. 22 Gaius I, 53; D 7, 1, 15, 1; 8, 1, 9. 23 Josserand, aaO, S. 19: „L'abus implique la déviation d'un droit, son détournement d u but en vue duquel i l a été institué." Daß sich die Lehre Josserands i n der französischen D o k t r i n nicht durchgesetzt hat, beruht auf 19

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

noch zu differenzierendes Prinzip festhalten: mißbraucht w i r d ein Recht, wenn es nicht zu der vom Gesetz gewollten Interessenförderung (Gesetzeszweck), sondern zur Erreichung mißbilligenswerter Ziele (Parteizweck) ausgeübt wird. Die Theorie i n Deutschland nahm sich des erkannten Prinzips bald an 2 4 . Die Ausrichtung der Mißbrauchslehre an dem Gedanken der Zweckentfremdung kann, außerhalb der Tatbestände individuellen Rechtsmißbrauchs 25 , heute durchaus als herrschend bezeichnet werden 2 6 . 1. Das Prinzip des Reditsmißbrauchs und das subjektive Redit

a) Die an der Zweckentfremdung orientierte Mißbrauchslehre verlangt ein Abgehen von dem Postulat, daß ein schutzwürdiges Interesse nicht Erfordernis und Schranke des subjektiven Rechts zu sein brauche 27 . Diese Forderung, „rechtlich muß vielfach auch eine Rechtsausübung ohne jedes Interesse, ja selbst gegen das vernünftige Interesse gestattet sein . . ," 2 8 , oder anders formuliert, „le droit porte en l u i même sa justification" 2 9 , ist jedoch bis auf einige Ausnahmen 8 0 nicht realisierbar. Man muß nämlich zugeben, daß „eine Macht, die keinem wahren (vernünftigen) menschlichen Interesse zu dienen vermöge, nicht anerkannt werden könne" 8 1 . vermeintlicher Gesetzestreue. M a n verankert die Lehre v o m abus de droit nämlich i n art. 1382 cc u n d k n ü p f t an den dort verwendeten Begriff „faute" an. So macht ζ. B. George Ripert (Encyclopédie Dalloz, 1951, A r t i k e l : Abus de droit, Noten 24 u. 25) Josserand den V o r w u r f , seine Lehre „suprime la sécurité indispensable à l'ordre j u r i d i q u e " u n d sei „ l a négation d u droit subjectif". Deshalb steht er m i t der h. M. auf dem Standpunkt (aaO, Note 26), „ i l faut maintenir l'idée de faute q u i est à la base de la conception de l'abus d u droit". Bei uns w i r d dagegen der institutionelle Mißbrauch i n § 242 B G B verankert (Wieacker, Z u r rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, 1956, S. 34: „ § 242 soll hier i n Wahrheit das allgemeine Prinzip des Rechtsmißbrauchs, genauer: der sozialen Grenzen der subjektiven P r i v a t r e c h t e . . . v e r treten; Esser, aaO, § 34, 7; Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 150,153; Staudinger-Weber, aaO, § 242 A n m . D 38). 24 Rudy, aaO, passim. 25 Vgl. dazu oben D V, 1; D V I I , 1 e u n d f. 28 Esser, Schuldrecht, aaO, § 34,7; Merz, Berner Kommentar, Einleitungsband A r t . 2, Noten 50 ff. u n d 285 ff.; ders., AcP 163, 342; Soergel-Siebert, aaO, Einl. 12 vor § 226; ders., § 242 A n m . 150, 153; Staudinger-Weber, aaO, § 242 A n m . D 38. 27 v. Tuhr, Allgem. Teil, 13. Aufl., S. 549, 565, 587; vgl. dazu Rudy, aaO, S. 55 F N 2 m. weit. Literaturangaben. 28 Enneccerus-Nipperdey, aaO, 15. Aufl., § 72 I I . 29 BGE 25 I I 803. 30 Vgl. dazu sogleich unten Ziff. 2. 31 Enneccerus-Nipperdey, aaO; Enneccerus-Lehmann, 15. Aufl., § 1 I V 2; Palandt-Danckelmann, Einl. vor § 241 Anm. 1 C.

III. Die Zweckentfremdung als Kennzeichen des Mißbrauchs

155

So ist die Hechtsausübung verboten, wenn sie n u r den Zweck haben kann, einen anderen zu schädigen (§ 226 BGB), w e i l hier ein schutzwürdiges I n t e r esse verneint werden muß. Die Schutzwürdigkeit eines Interesses w i r d ferner gefordert, wenn ein Recht, das aus einer Beeinträchtigung entsteht, n u r bei deren Erheblichkeit anerkannt w i r d 3 2 . U n d daß Rechtsausübung n u r insoweit statthaft ist, als sie m i t Treu u n d Glauben (§ 242 BGB) u n d der Sittenordnung (§ 138 BGB) übereinstimmt, bedarf keiner Diskussion mehr.

b) Heck 3 3 versteht unter Interesse „das Begehren nach Lebensgütern", also etwas Subjektives. Interesse ist m i t h i n der Wunsch, etwas möge geschehen oder nicht geschehen. Ob diese Begehrensvorstellungen auf ein anerkennenswertes Ziel gerichtet sind, ist eine Frage der Schutzwürdigkeit des Interesses. Maßstäbe zu ihrer Beantwortung bietet i n erster Linie die Rechtsordnung 34 . Man kann sie als normgewordenes Wertsystem 35 m i t einer aus i h m ablesbaren Rangordnung der Werte 3 6 bezeichnen. Darüber hinaus lassen sich Feststellungen über die Schutzwürdigkeit eines Begehrens nach außerrechtlichen Werten, insbesondere ethischer A r t treffen 3 7 . I n aller Regel w i r d aber die Frage nach der Schutzwürdigkeit eines Interesses sich nach Werten entscheiden lassen, die dem Gesetz immanent sind. c) Ist die Ausübung eines Rechts oder einer Befugnis grundsätzlich nur dann statthaft, wenn ein schutzwürdiges Interesse besteht, so gilt es, den vom Ausübenden verfolgten Zweck und dessen Verträglichkeit m i t rechtlichen (immanenten) oder außerrechtlichen (transmanenten) Werten festzustellen. Man muß also das Zweckstreben des Handelnden mit dem Zweck vergleichen, den das Gesetz m i t der Gewährung des Rechts oder der Befugnis erreichen wollte. Josserand 38 formuliert: „ L a théorie de Tabus présente en réalité une double face, Tune subjective, l'autre objective, puisqu'elle implique la confrontation des motifs de l'agent — élément personnel et subjectif — avec la fonction, le but du droit en cause — élément social et objectif 3 9 ." Es kommt also auf eine Divergenz von Gesetzeszweck und Parteizweck an. Liegt sie vor, so ist Mißbrauch bei mangelnder Schutzwürdigkeit des letzteren gegeben. Man kann hier von subjektivem Mißbrauch sprechen, weil zur E r m i t t lung der Zweckentfremdung ein Abstellen auf den Parteizweck notwendig ist. 82

§§ 320 I I , 459 I I , 2; 468 S. 2, 542 I I BGB. Das Problem der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1932, S. 29; ders., Begriffsbildung u n d Interessenjurisprudenz, 1932, S. 37. 34 Kraft, Interessenabwägung u n d gute Sitten i m Wettbewerbsrecht, 1963, S. 65; Heck, Gesetzesauslegung u n d Interessenjurisprudenz, aaO, S. 13. 35 Scheuerle, Rechtsanwendung, aaO, S. 114. 36 Scheuerle, Rechtsanwendung, aaO, S. 114. 37 Scheuerle, aaO, S. 116, 119. 38 aaO, S. 366. 39 Ähnlich ders., aaO, S. 414. 83

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

d) Die Fallanalyse w i r d aber zeigen, daß sich über den subjektiven Mißbrauchsbegriff hinaus noch ein objektiver feststellen läßt. Auch er beruht auf dem Gedanken der Zweckentfremdung, kann jedoch auf eine Ermittlung subjektiver Merkmale verzichten. Die Fälle objektiven Mißbrauchs nehmen daher innerhalb teleologischer Gesetzesauslegung keine Sonderstellung ein. Man kann sie gleichwohl hier erörtern, weil sie die Rechtsprechung meist unter dem Aspekt des Mißbrauchs, des mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses, des Verstoßes gegen Treu und Glauben usw. sieht. So kann man von Mißbrauch sprechen, wenn die Rechtsausübung unabhängig von dem verfolgten Zweck des Handelnden stets rechtspolitisch unerwünschte Erfolge zeitigt 4 0 . Ein Abstellen auf das verfolgte Interesse und die Ermittlung seiner mangelnden Schutzwürdigkeit muß ferner dann unterbleiben, wenn sich eine Interessenförderung durch die Befugnisausübung nicht erkennen läßt. Hier genügt die Feststellung der Nutzlosigkeit der Befugnisausübung, um den Mißbrauch darzutun 4 1 . e) Von Mißbrauch prozessualer Befugnisse wollen w i r daher i n folgenden drei Tatbestandsgruppen sprechen: aa) Die Befugnisausübung verursacht allein wegen ihrer Eignung unabhängig von der Willensrichtung des Handelnden rechtspolitisch unerwünschte Erfolge (dazu unten IV). bb) Die Befugnisausübung ist mißbräuchlich, wenn durch ihre Ausübung Interessen nicht gefördert werden (dazu unten V). cc) Die Befugnisausübung, die geeignet ist, die vom Gesetz gewollte Interessenförderung zu bewirken, ist mißbräuchlich, wenn Gesetzesund Parteizweck divergieren und letzterer mißbilligenswert ist (dazu unten VI—IX). f) Von untergeordneter Bedeutung ist hier die Frage, wie man sich die Begrenzung des subjektiven Rechts zu denken hat. Entweder stellt man sich das Recht oder die prozessuale Befugnis schrankenlos vor und trägt die Begrenzungen von außen heran (Außentheorie), oder man denkt das zu konkretisierende Gebot redlichen Verhaltens als Inhalt des subjektiven Rechts und läßt dieses dort enden, wo der Verstoß gegen das Gebot beginnt (Innentheorie) 42 . Die Außentheorie legt eine Beachtung des Rechtsmißbrauchs auf Einrede (exceptio doli praesentis) nahe, 40

Unten I V . Unten V. 42 Le droit cesse où l'abus commence: Ripert-Boulanger, Traité élémentaire I, aaO, S. 160; Otto v. Gierke , Die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889) S. 20; vgl. dazu weiter Enneccerus-Nipperdey, aaO, § 239 F N 22 u n d 23 m i t zahlreichen Nachweisen. 41

III. Die Zweckentfremdung als Kennzeichen des Mißbrauchs

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während die Innentheorie an eine Beachtung von Amts wegen denken läßt. Herrschend ist die sog. Innentheorie 4 3 und die Prüfung von Amts wegen. 2. Mißbrauchsunempfindliche und mißbraudtsempfindliciie Befugnisse

Über die Mißbrauchsempfindlichkeit von Befugnissen lassen sich einige allgemeine Feststellungen treffen. Bestimmte Befugnisse können nach Willkür, d. h. ohne schutzwürdiges Interesse, ausgeübt werden. Sie sind daher mißbrauchsunempfindlich (unten lit. a). Andere sollen entweder eigene oder fremde Interessen oder beide zugleich fördern, können also mißbraucht werden, wenn sie diesen Zwecken entfremdet werden (unten lit. b). Wann eine solche Zweckentfremdung vorliegt, ist bei Befugnissen eigennützigen oder fremdnützigen Charakters und bei Befugnissen, die zugleich eigene und fremde Interessen fördern sollen, jeweils verschieden zu beantworten (unten lit. c). a) Bestimmte Befugnisse, welche die Rechtsordnung wegen ihrer Bedeutung unbedingt garantieren w i l l , sind zweckneutral und daher mißbrauchsunempfindlich; so die Privatautonomie m i t Verhandlungs- und Abschlußfreiheit und die inhaltliche Testierfreiheit, also die Befugnis, jemanden durch letztwillige Verfügung zu bedenken oder einem kraft Gesetzes Erbberechtigten nur den Pflichtteil zukommen zu lassen 44 . Die französische Doktrin spricht hier von droits non causés45, droits absolus, droits discrétionnaires oder droits codifiés 46 . Über den Kreis dieser Rechte ist man sich allerdings nicht einig 4 7 . Das hat seinen Grund darin, daß die Anzahl der Befugnisse, die der Berechtigte nach W i l l k ü r und ohne anerkennenswertes Interesse ausüben kann, i m Laufe der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung variiert 4 8 . 43 Siebert, V e r w i r k u n g u n d Unzulässigkeit der Rechtsausübung, aaO, S. 85 ff. Soergel-Siebert, aaO, Bern. 12 vor § 226; Esser, aaO, § 34, 8. 44 Dazu Josserand, aaO, S. 417, 418 m i t Hinweisen auf die Entwicklung der faculté d'exhérédation seit dem römischen Recht. 45 Josserand, aaO, S. 406. 48 Vgl. dazu die Ubersicht bei Ripert, aaO, Noten 12 u n d 18. 47 Dazu Rudy, aaO, S. 26. 48 So k a n n m a n gewiß die Privatautonomie i n Systemen m i t Planwirtschaft einschränken. So mag eines Tages die opinio iuris dahingehen, es einem A r beitgeber zu verübeln, n u r Arbeitnehmer einer bestimmten Konfession oder Rasse einzustellen (Über den Zweckwandel von Rechtsinstituten vgl. Josserand, aaO, S. 422,423). M a n denke ferner an das Gegenstück der Abschlußfreiheit, nämlich die von einem liberalen Gesetzgeber gewollte Kündigungsfreiheit von Dauerschuld Verhältnissen (ordentliche Kündigung). So ist nicht zweifelhaft, daß diese Befugnis eines Arbeitgebers verschiedenen Grenzen unterliegt, je nachdem, ob er u m die Jahrhundertwende seinen Angestellten kündigte, w e i l sie einer Gewerkschaft angehörten, 30 Jahre später alle Juden seines Betriebes entließ oder heutzutage allen Arbeitnehmern einer bestimmten Konfession oder Hautfarbe kündigt.

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

b) Von diesen zweckneutralen und mißbrauchsunempfindlichen Befugnissen sind die mißbrauchsempfindlichen zu trennen. Es handelt sich u m solche, die von der Rechtsordnung zur Wahrung eigener oder fremder Interessen geschaffen sind. Als Beispiele aus dem Gebiete des Privatrechts sind für die erste Gruppe etwa Eigentum, Forderungsrechte und Zurückbehaltüngsrechte zu nennen. Zur zweiten Gruppe sind i n der Regel die Familiengewaltrechte, also etwa elterliche Gewalt, Befugnisse des Vormunds oder Pflegers usf., zu rechnen. I m Prozeßrecht stehen die eigennützigen Befugnisse durchaus i m Vordergrund. Zwar mag der Prozeß als Institution der Bewährung des objektiven Rechts und dem Rechtsfrieden i m Interesse der Allgemeinheit dienen 49 . Der Zweck der Klagebefugnis aber und der sonst zur Durchsetzung des materiellen Rechts dienlichen prozessualen M i t t e l ist i n der Regel eigennützig 50 . Neben den eigennützigen Befugnissen finden sich i m Prozeßrecht bisweilen Mischformen von Befugnissen eigen- und fremdnützigen Charakters. So vermengen sich eigen- und fremdnützige Zwecke ζ. B. bei der Befugnis, Revision einzulegen 51 . Sie dient nicht nur der Durchsetzung des materiellen Rechts, sondern auch der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Z u nennen sind weiter zahlreiche Gestaltungsklagebefugnisse, die dem Beeinträchtigten auch i m öffentlichen Interesse zustehen 52 . Zur Kategorie der Mischformen i m Prozeßrecht gehören ferner Befugnisse, die einen Prozeß retardieren oder eine Sachentscheidung unmöglich machen können, ζ. B. Einreden nach §§ 274, 295 ZPO und die Richterablehnung nach § 42 ZPO. Allerdings ist hier nach der A r t des gerügten Mangels zu unterscheiden. Ergibt er sich aus der Verletzung von Vorschriften, auf deren Befolgung eine Partei nicht verzichten kann, oder aus dem Übersehen von Voraussetzungen, die von Amts wegen zu prüfen sind 5 3 , so stehen nicht nur Interessen der monierenden Partei, sondern auch die der Allgemeinheit an einem geregelten Verfahren i m Vordergrund. 49 Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., Einl. C; demgegenüber w i r d bei Stein-Jonas-Pohle, 19. Aufl., Einl. C der Schutz subjektiver privater Rechte als Zweck des Zivilprozesses hervorgehoben. So auch Schlosser, aaO, S. 326 ff., 332 ff. 50 Nach Josserand, aaO, S. 419, gehören die voies légales ohne Unterschied zu den droits à esprit égoïste. 51 Über das Nebeneinander von Allgemein- u n d Individualinteressen i m Rechtsmittelsystem vgl. Baur, Z u r Beschwerde i m Rechtsmittelverfahren des Zivilprozesses, Festschrift f ü r Lent, 1957, S. 1 [6,7]. Deutlich k o m m t das Nebeneinander von öffentlichem u n d eigenem Interesse des Klägers bei einer Patentnichtigkeitsklage i m U r t e i l des B G H N J W 1965, 493 zum Ausdruck. 52 Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. A k t G — dazu unten V I I — ; Ehenichtigkeitsklage nach §§ 16 ff. EheG — dazu unten I X . 53 Einzelheiten oben C I I .

III. Die Zweckentfremdung als Kennzeichen des Mißbrauchs

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So ist ζ. B. bei dem noch zu behandelnden Mißbrauch des Ablehnungsrechts nach § 42 Z P O 5 4 zu unterscheiden, ob das Ablehnungsgesuch auf Gründe gestützt ist, die eine Ausschließung des Richters k r a f t Gesetzes bewirken (§ 41 ZPO), oder auf solche, die n u r eine Befangenheit des Richters ergeben (§ 42 I ZPO).

c) Über den Mißbrauch eigennütziger Befugnisse einerseits und der fremdnützigen und Mischformen andererseits lassen sich folgende Feststellungen treffen: aa) Der Gebrauch eigennütziger Befugnisse soll den eigenen Interessen des Berechtigten dienen. Mißbrauch liegt vor, wenn diese Befugnisse nicht zur Förderung derjenigen Interessen eingesetzt werden, um derentwillen sie vom Gesetz eingeräumt sind 5 5 , sondern wenn sie einen anderen schädigen, ohne die vom Gesetz gewollte produktive, Eigeninteressen fördernde Wirkung zu haben 56 . bb) Mißbrauch fremdnütziger

Befugnisse u n d der Mischformen

ist

indiziert, wenn sie zur Förderung eigener Interessen und insoweit zweckentfremdet ausgeübt werden 5 7 . Begründet ist er damit noch nicht. Es wäre eine Verkennung der Gegebenheiten des täglichen Lebens, wollte man erwarten, jemand verfolge m i t der Ausübung einer fremdnützigen Befugnis auch fremdnützige Ziele. Das Gegenteil ist der Fall. Bei der Revisionsmöglichkeit, die w i r — w i e dargelegt — zu den Mischformen rechnen können, liegt Mißbrauch sicher nicht vor, w e n n der Kläger lediglich egoistische Ziele verfolgt u n d i h m an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nichts liegt. Diesen letztgenannten Zweck der Revision v e r w i r k licht er automatisch, w e n n er seine eigennützigen Ziele verfolgt. Wollte man anders werten, so wäre es nicht sinnvoll, das Erfordernis der Beschwer des Rechtsmittelklägers aufzustellen. Gerade die nicht beschwerte Partei, nicht diejenige, deren Interessen durch die anzufechtende Entscheidung beeinträchtigt sind, böte die beste Garantie dafür, daß sie u m der Einheitlichkeit der Rechtsprechung w i l l e n Revision einlegt.

Der Mißbrauch ergibt sich erst aus der Verwerflichkeit des erstrebten egoistischen Ziels. Dabei ist zu fragen, ob die fremdnützige Befugnis zur Erreichung gerade dieses egoistischen Zweckes eingesetzt werden kann. Es kann sich dann aus Wertungsgesichtspunkten, welche die Rechtsordnung bereithält, ergeben, daß der eigennützige Zweck auf diesem Wege nicht erlangt werden kann. Dann liegt Mißbrauch vor. Dabei w i r d sich zeigen, daß je nachdem, ob die fragliche Befugnis besonders hohe 54

55

Dazu unten V I .

Josserand, aaO, S. 419.

58

„ S i l'acte improductif est en même temps dommageable pour autrui, i l devient abusif" : Josserand, aaO. 57 „Exercés dans une pensée égoiste, ils sont détournés de leur but, ils sont

faussés" : Josserand, aaO, S. 420.

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Werte 5 8 oder weniger als unantastbar angesehene schützen soll 5 9 , auch die m i t der Ausübung der Befugnis verbundenen eigennützigen Ziele an strengeren oder weniger strengen Maßstäben zu messen sind. So mag die Ehenichtigkeitsklage eines Ehegatten bei bestehender Doppelehe schon deshalb mißbräuchlich sein, w e i l er das Ziel verfolgt, sich anderweitig zu verheiraten. Anders w i r d m a n entscheiden müssen, w e n n der Nichtigkeitsgrund eine Inzestehe ist, w e n n also die Ehenichtigkeitsklage einen besonders hohen Wert garantieren w i l l 6 0 . A u f der anderen Seite steht etwa die aktienrechtliche Anfechtungsklage, die v o m B G H 6 1 nicht deshalb als mißbräuchlich angesehen w i r d , w e i l der Kläger m i t ihrer H i l f e die M a j o r i t ä t zwingen w i l l , i h m seine A k t i e n zu einem überhöhten Preise abzukaufen® 2 .

d) Als Ergebnis läßt sich festhalten: Eigennützige Befugnisse werden mißbraucht, wenn sie die eigenen Interessen des Berechtigten nicht fördern, sondern schädigende Wirkungen hervorbringen. Fremdnützige Befugnisse und die i m Prozeßrecht anzutreffenden Mischformen von Befugnissen eigen- und fremdnützigen Charakters werden nicht deshalb mißbräuchlich ausgeübt, weil der Handelnde eigennützige Zwecke verfolgt. Eine konkrete Rechtswertforschung i m Einzelfall ist erforderlich. 3. Rechtsmißbrauch und Rechtsschutzbedürfnis

Der institutionelle Rechtsmißbrauch wurde bisher vom bürgerlichen Recht ausgehend dargelegt. Es erhebt sich die Frage, ob das Prozeßrecht ein eigenes Institut zur Bewältigung der Mißbrauchsproblematik entwickelt hat. I m deutschen Prozeßrecht 63 w i r d der Gedanke, eine Befugnis nur bei Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses anzuerkennen, durch die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis gefordert. „Nicht schutzwürdig", sagt Schönke 64, „ist ein Interesse, das einen prozeßfremden Zweck verfolgt" 6 5 . 58

Ehe; siehe dazu unten I X . Etwa Gesetzmäßigkeit von Beschlüssen einer Aktiengesellschaft; siehe dazu unten V I I . 60 Vgl. dazu Boehmer, Rechtsmißbräuchliche Erhebung der Anfechtungsklage bei Doppelehe, N J W 1959, 2155 (2187 Ii. Sp.). Näheres dazu unten I X . 61 B B 1962, 426. 82 Näheres dazu unten V I I . 83 Vgl. die französische Prozeßrechtsdoktrin, die ohne jede K o d i f i k a t i o n u n angefochten nach dem Satz handelt: Pas d'intérêt, pas d'action, u n d art. 100 codice d i procedura civile: Per proporre una domanda ο per contraddire alla stessa è necessario avervi interesse. 84 Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 34. 85 Der Gedanke des Rechtsschutzbedürfnisses tauchte m i t der Lehre v o m Rechtsschutzanspruch auf, nahm aber bezeichnenderweise nicht an dessen Ablehnung teil. „Die Lehre v o m Rechtsschutzanspruch ist wissenschaftlich u n e r g i e b i g . . . , obwohl sie dazu beigetragen hat, das Prozeßrecht aus den Banden einer zivilistischen Betrachtungsweise zu befreien, u n d die Prozeß50

III. Die Zweckentfremdung als Kennzeichen des Mißbrauchs

161

Was veranlaßt uns angesichts dieser Situation, eigene Untersuchungen über den an der Zweckentfremdung orientierten Mißbrauch i m Prozeßrecht anzustellen? Dafür sprechen mehrere Gründe: a) Schönke hält zwar m i t seiner Feststellung, daß die Verfolgung eines prozeßfremden Zwecks die Schutzwürdigkeit ausschließe, den Schlüssel zur rationalen Durchdringung auch des prozessualen Mißbrauchsproblems i n Händen, benutzt ihn aber nicht. Man vermißt eine Analyse von prozeßgemäßem und prozeßfremdem Zweck und den Versuch einer Tatbestandsbildung, m i t deren Hilfe man dem dehnbaren Begriff des prozeßfremden Zwecks eine gewisse Praktikabilität abgewinnen kann. So gesehen ist der Vorwurf Pohles 66 berechtigt, es gehe zu weit, Klagen, m i t denen ein prozeßfremder Zweck verfolgt werde, für unzulässig zu erklären, weil damit der Rechtsschutz i n viel zu weitem, unbestimmtem Umfang ausgeschlossen werde. b) Außerdem ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht durchweg anerkannt 6 7 . Allorio 68 verneint das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses zur Vornahme von Prozeßhandlungen: „Das Werturteil über das Vorhandensein eines Interesses werde schon i n dem Augenblick aufgestellt, i n dem das Gesetz jede einzelne dieser Formen richterlichen Schutzes zur Verfügung gestellt habe 69 ." Dennoch glaubt er an die Fruchtbarkeit einer eigens für das Prozeßrecht entwickelten Mißbrauchslehre. Die Alternative kann jedoch nicht heißen: generell zu bejahendes Interesse an der Vornahme von Prozeßhandlungen, aber Rechtsmißbrauchslehre. Das Erfordernis eines, i m Einzelfall zu prüfenden, schutzwürdigen Interesses gewährleistet vielmehr erst eine brauchbare Handhabung des Mißbrauchsgedankens. c) Ein erneutes Durchdenken der Problematik des Rechtsschutzbedürfnisses 70 ist angebracht. Die Untersuchung Schönkes befriedigt nicht. Die Gründe dafür sind oben A I dargelegt. Das Rechtsschutzbedürfnis, von Schönke 71 zur Abwehr schikanösen und dolosen Verhaltens gedacht, rechtswissenschaft u m den Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses bereichert hat, insofern ein „fruchtbarer I r r t u m " , w i e so viele andere" (Rosenberg, aaO, § 90 I V , 3). 66 Z u r Lehre v o m Rechtsschutzbedürfnis, Festschrift für Lent, aaO, S. 220. 87 Gegen es Stein-Jonas-Pohle, 19. Aufl., Bern. X I 3 h vor § 128. 68 Rechtsschutzbedürfnis?, ZZP 67, 321. 89 aaO, S. 324. 70 Es bestehen jedoch keine Bedenken, den eingebürgerten Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses als Zulässigkeitsvoraussetzung beizubehalten. Es g i l t lediglich, die weitgehende Identität des institutionellen Mißbrauchs des bürgerlichen Rechts, der durch die Zweckentfremdung gekennzeichnet ist, m i t dem Rechtsschutzbedürfnis i m Prozeßrecht zu erkennen. E i n Streit u m die Terminologie, u m institutionellen Mißbrauch auf der einen u n d fehlendes Rechtsschutzbedürfnis auf der anderen Seite, wäre ein Streit u m Worte. 71 Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., Bern. V 7 c vor § 128: „ E i n weiteres Gegenstück zu dem bürgerlich-rechtlichen Verbot dolosen u n d schikanösen i l Zeiss

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

hat sich zu einer Generalklausel ohne feste Begrenzung entwickelt. Man stellt sie dem § 242 BGB an die Seite. So vertritt Pohle 72 die Ansicht, daß gewisse Fälle, i n denen man von fehlendem Rechtsschutzbedürfnis spricht, umfassender gekennzeichnet werden könnten durch die A n nahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben. Baumgärtel 73 hält es für eine scheinbar müßige Frage, eine Unterscheidung zwischen Rechtsschutzbedürfnis und dem Grundsatz von Treu und Glauben treffen zu wollen. Diese Parallelität erklärt es, daß i m Verlauf der bisherigen Untersuchung die Generalklausel des Rechtsschutzbedürfnisses schon des öfteren auftrat, wenn es galt, gewissen Formen der Arglist entgegenzutreten. So argumentiert das L G B e r l i n 7 4 i m Falle der Zerlegung eines zur landgerichtlichen Zuständigkeit gehörenden Anspruchs i n mehrere, vor dem A G erhobene Teilklagen m i t dem Rechtsschutzbedürfnis. Nach der hier vertretenen Ansicht gehört dieser F a l l zur Gesetzesumgehung 75 . Blomeyer 76 verneint das Rechtsschutzbedürfnis, w e n n ein Rechtsmittel „trotz eingetretener V e r minderung der Beschwer unter Aufrechterhaltung der nunmehr offensichtlich unbegründeten Anträge eingelegt w i r d " . Auch dieser F a l l gehört i n die Lehre von der Gesetzesumgehung 77 . Schönke 78 verneint das Rechtsschutzbedürfnis f ü r die Streitverkündung an einen A n w a l t , u m i h m entgegen § 11 A r b G e r G a. F. das Auftreten v o r dem Arbeitsgericht zu ermöglichen; auch hier paßt die F i g u r der Gesetzesumgehung besser 79 . Herschel 80 w i l l einer vereinbarungswidrig erhobenen Klage das Rechtsschutzbedürfnis absprechen 81 . A u f der gleichen L i n i e liegt es, wenn m a n 8 2 das Verwirkungsprinzip zur A u s f ü l l u n g der Generalklausel des Rechtsschutzbedürfnisses heranzieht 8 3 .

d) Diese Beispiele mögen dartun, daß eine differenzierende Betrachtung des Rechtsschutzbedürfnisses angezeigt ist. Nur selten w i r d sich indes bei der Anwendung der i m bürgerlichen Recht entwickelten Lehre vom Rechtsmißbrauch auf das Prozeßrecht ein anderes Ergebnis rechtfertigen lassen. Es wäre aber „wissenschaftlicher Fatalismus", deswegen auf eine Darlegung rechtlicher Sinn- und Strukturzusammenhänge des anstehenden Entscheidungsmaterials zu verzichten. Handelns besteht auf dem Gebiet des Prozesses darin, daß das Rechtsschutzbedürfnis eine allgemeine RechtsschutzgewährungsVoraussetzung ist." 72 Z u r Lehre v o m Rechtsschutzbedürfnis, Festschrift für Lent, aaO, S. 227. 73 Z Z P 69, 99/100. 74 J W 1931, 1766. 75 Vgl. dazu oben D I u n d D V I I , 4. 76 ZPR, aaO, § 30 X u n d 97 I I , 5 a. 77 Vgl. dazu oben D V I I , 7. 78 Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 35. 79 Vgl. dazu oben D F N 182. 80 J W 1933, 2947 (Besprechung von Barz, Das Klagezurücknahmeversprechen). 81 Vgl. dazu oben E I I u n d I I I . 82 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 53; K G DR 1943, 413. 83 Vgl. dazu oben F V I .

IV. Mißbrauch als objektiver Tatbestand

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4. Gang der Untersuchung

Zunächst werden die oben Ziff. 1 d erwähnten Tatbestände des objektiven Mißbrauchs untersucht, also Fälle, i n denen sich der Mißbrauch nicht erst aus der Divergenz von Gesetzeszweck und Parteizweck bei Verwerflichkeit des letzteren ergibt 8 4 . Sodann gehen w i r auf die Fälle nutzloser Befugnisausübung ein 8 5 . Den Abschluß der Untersuchung bilden Tatbestände des subjektiven Mißbrauchs, bei denen die Divergenz von Gesetzeszweck und Parteizweck maßgebend ist 8 6 . I V . Vereitelung rechtspolitischer Zwecke unabhängig von der Willensrichtung des Handelnden 1. Das K G 8 7 untersuchte folgenden Sachverhalt: Der Antragsteller beabsichtigte, als Miterbe gem. § 2039 B G B einen der Erbengemeinschaft zustehenden Anspruch auf Löschung zweier Grundschulden gegen die Antragsgegnerin gerichtlich geltend zu machen. Z w e i der ü b r i gen Miterben lebten i n guten Vermögensverhältnissen. Der Antragsteller w a r gänzlich mittellos. Das Gericht lehnte es ab, i h m Armenrecht zu gewähren. Es sei sittenwidrig, zur Erlangung des Armenrechts einen gänzlich vermögenslosen Miterben vorzuschieben. Z u m mindesten sei es ein Mißbrauch der E i n richtung des Armenrechts.

Was versteht das K G unter Mißbrauch der Einrichtung des Armenrechts? Bereits oben D V I I , 6 konnte gezeigt werden, daß § 114 ZPO mittels teleologischer Reduktion einzuschränken ist. Das Armenrecht w i r d nicht gewährt, wenn die arme Partei als Treuhänder einer Person oder Personenmehrheit auftritt, die nicht arm i. S. des Gesetzes ist 8 8 . Diese Situation liegt hier vor. Die vom vermögenslosen Miterben geplante Klage verfolgt nicht ausschließlich „materiell" eigene Interessen. Der Löschungsanspruch steht der Erbengemeinschaft zur gesamten Hand zu. Es widerspricht daher dem Zweck des § 114 ZPO, wenn dem armen M i t erben das Armenrecht zur Verfolgung von Interessen der „reichen" Erbengemeinschaft gewährt würde 8 9 . 84

Unten I V . Unten V. 88 Unten V I — I X . 87 J W 1938, 696. 88 U m eine Gesetzesumgehung handelt es sich indes hier nicht. Es fehlt an der Umgehungshandlung. Die Voraussetzungen des § 114 ZPO werden vom armen Miterben nicht „künstlich" geschaffen, sondern liegen bereits vor. Dazu oben D V. 89 M a n könnte gegen dieses Ergebnis einwenden, es berücksichtige nicht, daß auch zum T e i l materiell eigene Interessen des Mittellosen auf dem Spiele stehen. Ebenso w i e auf der einen Seite die guten Vermögensverhältnisse 85

11*

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

U m dieses E r g e b n i s z u g e w i n n e n , b r a u c h t m a n n i c h t a u f das Z w e c k s t r e b e n d e r P a r t e i abzustellen. D e r Z w e c k des § 114 Z P O w i r d u n a b h ä n g i g v o n d e r W i l l e n s r i c h t u n g des H a n d e l n d e n v e r e i t e l t . N i c h t d i e f ü r d e n M i ß b r a u c h als t y p i s c h bezeichnete D i v e r g e n z v o n Gesetzeszweck u n d P a r t e i z w e c k k e n n z e i c h n e t d e n „ M i ß b r a u c h " i. S. des K G . M a ß g e b e n d ist, daß d e r Z w e c k des § 114 Z P O stets v e r e i t e l t w i r d , w e n n h i n t e r d e r a r m e n P a r t e i eine v e r m ö g e n d e P e r s o n oder P e r s o n e n g e m e i n schaft steht, f ü r w e l c h e d i e a r m e P a r t e i t ä t i g w i r d . W e l c h e n Z w e c k sie v e r f o l g t , ob dieser Z w e c k s c h u t z w ü r d i g ist, s p i e l t k e i n e Holle. D e r M i ß brauch, v o n d e m das K G spricht, b e r u h t a u f d e r N o n - S u b s u m i b i l i t ä t des Sachverhalts u n t e r d i e „ r e d u z i e r t e " N o r m 9 0 . W i r w o l l e n diese o b j e k t i v z w e c k w i d r i g e B e f u g n i s a u s ü b u n g auch als M i ß b r a u c h bezeichnen, o b w o h l er i n n e r h a l b d e r Gesetzesauslegung k e i n e S o n d e r s t e l l u n g d a d u r c h e i n n i m m t , daß Parteizwecke u n d i h r A b w e i c h e n v o m Gesetzeszweck e r m i t t e l t w e r d e n m ü s s e n 9 1 . 2. E i n w e i t e r e s k o n k r e t i s i e r e n d e s B e i s p i e l „ o b j e k t i v e n " M i ß b r a u c h s ist d e r o b e n I , 1 b z i t i e r t e S t r e i t v e r k ü n d u n g s f a l l des R G 9 2 : eine F e s t einzelner Miterben zu beachten seien, komme es auf der anderen Seite auch auf die Mittellosigkeit eines Miterben an. Diese Argumentation überzeugt nicht, denn das Gesetz hat vergleichbare Fälle anders geregelt. Nach § 114 I I I ZPO kann einer Partei k r a f t Amtes das Armenrecht gewährt werden, w e n n die M i t t e l zur Prozeßführung weder aus dem verwalteten Vermögen noch von den wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können. Ähnlich stellt § 114 I V ZPO bei der Armenrechtsgewährung an eine inländische j u r i stische Person darauf ab, daß die M i t t e l weder von der juristischen Person noch von denjenigen aufgebracht werden können, die an der F ü h r u n g des Prozesses wirtschaftlich beteiligt sind. Das Gesetz w i l l also die Vermögensverhältnisse derjenigen berücksichtigt wissen, deren Nutzen der Prozeß anstrebt. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß auch bei der Erbengemeinschaft A r m u t i m Sinne des Gesetzes vorliegt, w e n n alle Miterben vermögenslos sind (a. A . Wieczorek, aaO, § 114 Β I b 3). 90 Die gleiche S t r u k t u r findet sich beim Normenmißbrauch i m Bereich des bürgerlichen Rechts: „Da es auf den zweck- u n d funktionswidrigen Gebrauch ankommt, steht die Anwendung des § 242 der teleologischen Gesetzesauslegung besonders nahe; die Berufung auf § 242 ist häufig sogar überflüssig", Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 150. 91 M a n k a n n auch die Ansicht vertreten, daß die Auslegung des Faktums Parteizweck n u r eine Operation innerhalb der Auslegung der N o r m ist. Denn niemand lege ein F a k t u m ohne den Gedanken an die Gesetzesanwendung aus. Steht m a n auf diesem Standpunkt, so ist der institutionelle Mißbrauch nichts anderes als Auslegung. M. E. sollte m a n aber den institutionellen M i ß brauch, der durch typische Merkmale bestimmt ist, nicht abgrenzungslos i n der teleologischen Gesetzesauslegung aufgehen lassen. Vgl. dazu schon oben D F N 60. 92 RGZ 82,170. Pohle (aaO, S. 226,227) sieht i n dem Streitverkündungsfall des R G eine versuchte Gesetzesumgehung. Das ist nach der oben D I I I ff. dargelegten Auffassung über die Gesetzesumgehung zu beanstanden. Z w a r ist die Gesetzesumgehung, ebenso w i e der institutionelle Mißbrauch, gekennzeichnet durch die Gesetzesauslegung (vgl. dazu oben D I I I ) . Aber es fehlt an der f ü r eine Gesetzesumgehung typischen Struktur, nämlich an dem (arg-

IV. Mißbrauch als objektiver Tatbestand

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stellungsklage dürfe die Wirkungen einer Streitverkündung (§§ 74, 68 ZPO) nicht verhindern; sie sei nie zulässig, wenn sie auch nur geeignet sei, einen solchen Erfolg herbeizuführen. Durch das Abstellen auf die Eignung ist das K r i t e r i u m gewonnen, welches die Fälle „objektiven" Mißbrauchs von denen unterscheidet, i n denen sich der Mißbrauch erst aus mangelnder Kongruenz von Gesetzeszweck und Parteizweck ergibt. „Objektiver" Mißbrauch liegt vor, wenn eine Prozeßhandlung ohne Rücksicht auf den Zweck 9 3 , welchen die Partei mit ihr verfolgt, i n einer bestimmten Situation stets das immanente Telos des Gesetzes vereitelt. Eine Erforschung subjektiver Merkmale ist dagegen erst dann erforderlich, wenn die Prozeßhandlung i n einer bestimmten Situation nicht ausschließlich zweckwidrig sein kann, sondern möglicherweise m i t dem Normzweck übereinstimmt. So braucht z.B. ein Ablehnungsgesuch (§ 42 ZPO) nicht stets und ausschließlich dazu bestimmt zu sein, prozeßverschleppend zu wirken, sondern kann sich i n Übereinstimmung befinden mit dem Zweck des Gesetzes, nämlich den Parteien einen unvoreingenommenen Richter zu garantieren. So ergibt sich i n dem oben I, 1 c zitierten Fall (KG DR 1942, 1035) nicht allein schon aus dem Aussetzungsantrag nach § 620 ZPO, daß er i n erpresserischer Absicht gestellt ist, weil Aussetzungsanträge nicht stets und notwendig geeignet sind, ungerechtfertigte Vermögensvorteile herbeizuführen. I m vorliegenden F a l l des R G 9 4 erübrigt sich allerdings eine teleologische Reduktion der die Befugnis gewährenden Norm. § 256 ZPO weist keine v e r deckte Regelungslücke i m oben D I V dargelegten Sinn auf, w i e sich das f ü r § 114 ZPO i m eben behandelten F a l l des mißbräuchlichen Armenrechtsgesuchs annehmen ließ. Denn das i n § 256 ZPO enthaltene Tatbestandsmerkmal des rechtlichen Interesses ist geeignet, die Feststellungsklagebefugnis zu v e r neinen, wenn m i t der Klage ein Zweck erreicht würde, welcher der Wertung des Gesetzes nicht entspricht. M a n braucht m. a. W. n u r zu verlangen, das rechtliche Interesse müsse schutzwürdig sein 9 5 . M a n beugt so bereits durch den N o r m w o r t l a u t einem möglichen Mißbrauch der Feststellungsklagebefugnis vor. listigen) Schaffen der Voraussetzungen einer günstigen oder dem (arglistigen) Vermeiden einer nachteiligen Norm. Die Feststellungsklagebefugnis w i r d nicht erst herbeigeführt, sondern lediglich zweckwidrig ausgeübt. 93 Schönke, (Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 35) verneint i m F a l l RGZ 82, 170 (oben I, 1 b) das Rechtsschutzbedürfnis wegen Verfolgung eines prozeßfremden Zweckes. Das ist nicht genau. Es k o m m t nicht darauf an, ob der Feststellungskläger die W i r k u n g e n der Streitverkündung vereiteln w i l l . Es genügt, w i e das R G zutreffend darlegt, die Gefahr, daß durch die Klage rechtskräftig etwas festgestellt w i r d , das i m Widerspruch zu den i m H a u p t prozeß getroffenen Feststellungen steht, die wegen §§ 74, 68 ZPO gewisse Rechtskraftwirkungen auch zwischen den Parteien des Feststellungsprozesses äußern. 94 RGZ 82, 170. 95 Baumbach-Lauterbach, aaO, § 256 A n m . 3 B.

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

3. Ergebnis. Die beim institutionellen Mißbrauch erforderliche A u f klärung einer Divergenz des durch Auslegung ermittelten Gesetzeszwecks und des Parteizwecks kann unterbleiben, wenn eine Prozeßhandlung allein durch ihre Eignung und unabhängig von den Zwecken, welche die Partei m i t der Prozeßhandlung verfolgt, Zwecke des Gesetzes vereitelt. V. Mißbrauch wegen nutzloser Ausübung prozessualer Befugnisse a) Eine weitere Form institutionellen Mißbrauchs objektiver A r t 9 6 ist die nutzlose Ausübung prozessualer Befugnisse. Prozessuale Befugnisse dienen durchweg der Förderung eigener oder fremder Interessen, wobei sich diese auch i n einer Gemengelage 97 befinden können. Diesem Zweck werden die Befugnisse entfremdet, wenn durch ihre Ausübung die Interessenverwirklichung nicht gefördert w i r d 9 8 . Klassischer Ausdruck dieses Gedankens i m Zivilrecht ist die Parömie: dolo agit, qui petit, quod statim redditurus esset 99 . b) Das Zivilprozeßrecht hat einige Tatbestände hervorgebracht, die auf diesem Prinzip beruhen und zum Teil besonders institutionalisiert sind 1 0 0 , zum Teil über diese Institute hinausgehen und m i t dem Rechtsschutzbedürfnis erfaßt werden 1 0 1 . Parallelen zum Gedankengut des institutionellen Rechtsmißbrauchs des bürgerlichen Rechts mit seinem Primat der Gesetzesauslegung und der Zweckentfremdung werden nicht erkannt. Dieser Zusammenhang soll hier aufgezeigt werden. Auch die französische Prozeßrechtsdoktrin berücksichtigt den Gedanken der Interessenverwirklichung. Z u den conditions de recevabilité zählt der Begriff des intérêt. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung entfällt „si l'exercice d'une action n'est pas susceptible d'offrir une certaine u t i l i t é à celui q u i en prend l ' i n i t i a t i v e " 1 0 2 . K l a r w i r d jedoch i m Gegensatz zur deutschen Lehre der Zusammenhang zwischen fehlendem Interesse und Rechtsmißbrauch gesehen: „Certes, on doit poser en principe que l'importance de l'intérêt allégué reste 96

Vgl. dazu oben I I I , 1. Dazu oben I I I , 2. 98 „ E i n Rechtsmißbrauch liegt deshalb vor, w e i l der geltend gemachte A n spruch die berechtigten Belange des Gläubigers nicht fördern kann, den A n spruchsgegner dagegen beschwert u n d schädigt", Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 150; ähnlich Merz, Berner Komm., Einleitungsband, A r t . 2 Anm. 343. 99 Dazu Soergel-Siebert, aaO, § 242 Anm. 151; Merz, aaO, A r t . 2 Note 365. 100 Beschwer: unten Ziff. 1 a; prozessuale Überholung: unten Ziff. 1 b. 101 Vgl. dazu Schönke, aaO, S. 36 ff. 102 Solus-Perrot, Droit judiciare privé, Tom. I, Paris 1961, S. 198. Oder: L'intérêt est fonction de l ' u t i l i t é que le demandeur escompte de son i n i t i a t i v e devant les t r i b u n a u x " (Solus-Perrot , aaO, S. 200). Rechtsvergleichend zum Rechtssprichwort pas d'intérêt, pas d'action vgl. Neuner, Privatrecht u n d Prozeßrecht 1925, S. 85 ff. 97

V. Objektiver Mißbrauch bei nutzloser Befugnisausübung

167

sans influence sur la recevabilité d'une demande en justice; mais si l'insuffisance notoire de cet intérêt t r a h i t déjà de la part d u demandeur u n ,acte de malice 4 , on doit admettre q u ' i l y a là u n véritable abus de droit et, pour cette raison, i l ne serait pas illogique de déclarer la demande irrecevable 1 0 3 ."

c) N i m m t man das Ergebnis der folgenden Fallanalyse vorweg, so lassen sich zwei Tatbestandsgruppen des Mißbrauchs wegen nutzloser Befugnisausübung erkennen. Durch die Ausübung der prozessualen Befugnis w i r d die durch das Gesetz bezweckte Interessenverwirklichung nicht gefördert, weil entweder der erreichbare Erfolg bereits gewährleistet ist (dazu unten Ziff. 1 a—c) oder w e i l das m i t der prozessualen Befugnis erstrebte Ziel auch dann nicht erreicht würde, wenn die Partei m i t ihrem prozessualen Handeln Erfolg hätte (dazu unten Ziff. 2 a—c) 104 . 1. Ausübung einer prozessualen Befugnis, deren möglicher Erfolg bereits gewährleistet ist

Einrichtung

a) Das Erfordernis der Beschwer als zur Verhinderung institutionellen Mißbrauchs

aa) Eine besondere Ausprägung hat der Gedanke, daß die Ausübung einer prozessualen Befugnis nur zur Interessenförderung zulässig sein soll, i n dem Erfordernis der Beschwer gefunden 105 . Eine Partei, der eine Entscheidung alles Begehrte zugesprochen hat, legt gegen sie ein Rechtsmittel ein. Gericht und Gegner werden unnötig belastet, ohne daß ein Interesse an der Befugnisausübung erkennbar wäre. Daß hier Gedankenverbindungen zu § 242 BGB, zum Rechtsmißbrauch, zur Schikane oder zur Arglist unterdrückt werden, liegt daran, daß man gewohnheitsrechtlich eine Beschwer durch die angefochtene Entscheidung als Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels fordert. Dennoch handelt es sich bei mangelnder Beschwer um den Einwand des Fehlens eines berechtigten Interesses, der i m bürgerlichen Recht zur Materie des § 242 BGB gehört 1 0 0 . Es wäre aber verfehlt, die Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung zugunsten der Generalklausel aufzugeben. Denn die Faustformel, daß 103

Solus-Perrot, aaO, S. 199. Z u den entsprechenden Fallgruppen des bürgerlichen Rechts vgl. Merz, aaO, A r t . 2 Noten 351, 357; Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 150, 151. 105 Z u r Entwicklung der Beschwer vgl. Baur t Festschrift f ü r Lent, aaO, S. 2, 3. 106 Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 150. 104

168

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

die Divergenz von Antrag und Entscheidung für die Beschwer des Rechtsmittelklägers entscheidend sei 1 0 7 , erlaubt der Praxis eine schnelle Entscheidung der wichtigen Zulässigkeitsfrage. Dennoch gewinnt das oben A I I aufgestellte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens schärfere Konturen durch die Feststellung, daß Fälle mangelnder formeller Beschwer nicht zum Anwendungsbereich der Generalklausel gehören. bb) Über die formelle Beschwer hinaus ist aber ein Rückgriff auf § 242 BGB oder das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens nötig. Denn die formelle Beschwer reicht nicht stets aus, alle Fälle, i n denen das Rechtsmittel die Interessen des Rechtsmittelklägers nicht zu fördern vermag, zu erfassen. Die Rechtsprechung hat deshalb neben der formellen Beschwer noch ein spezielles Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel gefordert: „Denn wenn das Rechtsschutzbedürfnis überhaupt Prozeßvoraussetzung wie für die Klage, so für das Rechtsmittel ist, muß es für die Beseitigung einer Beschwer gegeben s e i n . . . Wie es bei der Klageerhebung vorhanden sein muß, um für den erhobenen Anspruch die richterliche Befehlsgewalt des Staates zu gewinnen, so muß es bei diesem Rechtsmittel insbesondere dafür gegeben sein, die Beschwer durch ein nachteiliges Erkenntnis zu beseitigen 108 ." Auch dieses spezielle Rechtsschutzbedürfnis beruht, ebenso wie die formelle Beschwer, auf dem Verbot, Prozeßhandlungen vorzunehmen, deren möglicher Erfolg bereits gewährleistet ist. Beispiele f ü r fehlendes Rechtsschutzbedürfnis oder Mißbrauch trotz formeller Beschwer sind etwa folgende Fälle: Der Rechtsmittelkläger, der durch Zurückweisung seiner Klage formell beschwert ist, begehrt m i t der Revision Abweisung wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs. Der B G H 1 0 9 weist die Revision zurück, w e i l sich ein Nutzen f ü r den Kläger nicht erkennen l ä ß t 1 1 0 . Auch i n B G H L M Nr. 8 zu § 511 ZPO fragt das Gericht trotz formeller Beschwer des Rechtsmittelklägers nach der Interessenförderung durch die eingelegte Revision.

cc) Ergebnis. Die Beschwer ist ein Institut zur Bekämpfung prozessualen Mißbrauchs. Es beruht auf dem Verbot nutzloser Befugnisausübung. Eine Anwendung der Generalklausel ist jedoch erst dann erforderlich, wenn trotz formeller Beschwer ein Rechtsmittel nicht der Interessenförderung dient.

107 Sog. formelle Beschwer, vgl. dazu Baumbach-Lauterbach, aaO, G r u n d züge 3 A vor § 511; Baur, Festschrift für Lent, aaO, S. 11,16; Lent, JZ 1953, 276 u n d 1955, 425. 108

RGZ 160, 204 (213). Der B G H ( L M Nr. 2 zu § 21 V A G ) läßt dahinstehen, ob dieser Ansicht des R G zu folgen ist. Zweifelnd B G H J Z 1965, 185. 109

L M Nr. 6 zu § 511 ZPO.

110

Vgl. zu diesem U r t e i l Baur, Festschrift f ü r Lent, aaO, S. 6 F N 19.

V. Objektiver Mißbrauch bei nutzloser Befugnisausübung

169

b) Die prozessuale Überholung als Ausgestaltung des Verbots, nutzlose Prozeßhandlungen vorzunehmen aa) Auch der prozessualen Überholung liegt das Prinzip zugrunde, daß eine Befugnisausübung unzulässig ist, wenn durch sie Interessen nicht gefördert werden. Von prozessualer Überholung spricht man 1 1 1 , wenn diejenige Prozeßlage, deren Abänderung mittels eines Rechtsbehelfs begehrt wird, zu bestehen aufgehört hat 1 1 2 . So ζ. B. wenn Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist beantragt und auch Revision gegen die das Rechtsmittel verwerfende Entscheidung eingelegt ist. W i r d danach die Wiedereinsetzung gewährt, so erweist sich die Revision als mißbräuchlich 113 . Denn die Interessenverwirklichung w i r d durch die Ausübung der Befugnis nicht gefördert, weil der erreichbare Erfolg bereits gewährleistet ist. Damit ist die Zugehörigkeit zur hier unter Ziff. 1 behandelten Kategorie prozessualen Mißbrauchs dargetan. bb) Bei anderen Fällen prozessualer Überholung fehlt die Interessenförderung, weil das erstrebte Ziel auch dann nicht erreicht würde, wenn die Partei mit ihrem prozessualen Handeln Erfolg hätte. Diese Fälle gehören damit zur unten Ziff. 2 behandelten Gruppe nutzloser Befugnisausübung, sollen aber gleichwohl hier angeführt werden, um das Institut der prozessualen Überholung nicht an zwei Stellen behandeln zu müssen. Z u nennen ist etwa folgendes Beispiel: Das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter w i r d f ü r unbegründet erklärt. Die Partei legt gegen diese Entscheidung Beschwerde ein (§ 46 I I ZPO). W i r d während des Beschwerdeverfahrens der Hauptstreit durch U r t e i l beendet, so erweist sich die Beschwerde aus dem genannten G r u n d als unzulässig 1 1 4 .

cc) Ergebnis. Der Grundsatz der prozessualen Überholung beruht auf dem i n § 242 BGB verankerten Prinzip der Unzulässigkeit der Befugnisausübung bei mangelnder Interessenförderung. 111 I m Anschluß an v. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts, 1892, S. 459, u n d Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 37, 63. 112 M a n k a n n auch von Gegenstandslosigkeit sprechen. Dann w i r d deutlich, daß Zusammenhänge bestehen zwischen Erledigung des Rechtsstreits i n der Hauptsache (dazu unten lit. c) u n d mangelndem Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu Habscheid, Die Rechtsnatur der Erledigung der Hauptsache, Festschrift für Lent, 1957, S. 153 ff. [161,162]) bzw. institutionellem Mißbrauch wegen fehlender Interessenverwirklichung. 113 Beispiel von Schönke, aaO, S. 37. 114 Vgl. dazu Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., § 567 I V , 1; § 575 I, 2. Vertraut ist dieser F a l l institutionellen Mißbrauchs vor allem der Zwangsvollstreckung, wo Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßregeln deshalb versagen, w e i l die angefochtene Maßregel ausgeführt oder die Vollstreckung beendet ist. (Stein-Jonas-Schönke-Pohle, aaO, § 766 I I I , 2; § 793 I I I . )

170

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse c) Die Erledigung der Hauptsache als Problem prozessualen Befugnismißbrauchs

aa) Die Hauptsache ist erledigt, wenn ein Ereignis alle prozessualen Ansprüche bis auf den Kostenanspruch erledigt hat 1 1 5 . Betrifft die Erledigung das eingeklagte materielle Recht, hat etwa der Beklagte den Kläger befriedigt, so w i r d deutlich, daß ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Weiterverfolgung des materiellen Rechts nicht mehr besteht. Ein Fall prozessualen Mißbrauchs liegt nicht vor. Anders ist möglicherweise zu entscheiden, wenn die Erledigung nicht das materielle Recht betrifft, sondern eine prozessuale Klagebefugnis, wie sie nach der hier vertretenen Ansicht (oben E V) bei Gestaltungsklagen vorliegt, m i t denen i m öffentlichen Interesse eine Rechtmäßigkeitskontrolle begehrt wird. So z. B. i n folgendem konkretisierenden F a l l 1 1 6 : E i n A k t i o n ä r erhebt gegen einige Beschlüsse der Hauptversammlung Klage m i t dem Antrag, die Nichtigkeit dieser Beschlüsse festzustellen, hilfsweise, sie f ü r nichtig zu erklären. E r stützt seine Klage u. a. auf Protokollfehler bei der Beschlußfassung. Das L G hat der Klage aus § 195 Nr. 2 A k t G (alter Fassung) entsprochen. Während des Berufungsverfahrens sind die angefochtenen Beschlüsse unter Vermeidung der gerügten Formfehler erneut m i t gleichem I n h a l t gefaßt worden. Der B G H 1 1 7 untersucht das Rechtsschutzbedürfnis f ü r die m i t der Revision weiter verfolgte Anfechtungs- u n d Nichtigkeitsklage: „Soweit der Kläger gegenüber Beschlüssen der Hauptversammlung . . . Protokollfehler geltend macht, steht i h m allerdings entgegen, daß die Beschlüsse i n der Hauptversammlung unter Vermeidung der erhobenen Anstände erneuert worden sind. D a m i t entfiel das Rechtsschutzinteresse an der Weiterverfolgung dieser Mängel. Wie zu jeder Klage gehört auch zur Nichtigkeitsu n d Anfechtungsklage ein Rechtsschutzbedürfnis. Daran fehlt es, w e n n ein m i t einem Mangel behafteter Hauptversammlungsbeschluß erneuert w i r d , ohne daß der Mangel auch dem neuen Beschluß anhaftet."

bb) Diese Entscheidung w i r f t zwei Probleme auf: Ist das Interesse des Klägers an der Befugnisausübung wirklich bereits vor der begehrten richterlichen Gestaltung befriedigt? Ist die Revision seit der Erneuerung der beanstandeten Beschlüsse mißbräuchlich, weil der erreichbare Erfolg bereits gewährleistet ist? Dazu unten lit. cc. Bezieht sich der Mißbrauch auf ein materielles Recht oder auf eine prozessuale Befugnis? Dazu unten lit. dd. cc) Man könnte ein anerkennenswertes Interesse an der Rechtsverfolgung sehen, wenn man sich auf den Standpunkt stellte, dem Kläger 115

Baumbach-Lauterbach, aaO, § 91 a A n m . 2. B G H Z 21,354; vgl. auch B G H N J W 1965, 493. I n diesem F a l l hatte der m i t der Nichtigkeitsklage belangte Patentinhaber dem Patentamt gegenüber w i r k s a m auf das Streitpatent verzichtet. 117 B G H Z 21, 354 [356] = L M Nr. 4 zu § 197 A k t G m. A n m . v. Fischer. 116

V. Objektiver Mißbrauch bei nutzloser Befugnisausübung

171

müsse unter allen Umständen gestattet werden, die Richtigkeit seiner mit der Klage verfochtenen Rechtsansicht darzulegen. Denn nur so könne er den Zweck, zu dem das Gesetz i h m die Klagebefugnis verliehen hat: Wahrung der Ordnung, erreichen. Die beklagte Gesellschaft müsse bescheinigt bekommen, daß sie gegen Gesetz oder Satzung verstoßen habe. Dieser Standpunkt ist nicht haltbar. Er bedeutete, die Beantwortung von Rechtsfragen zum Selbstzweck eines Prozesses zu machen. Sicher ist die Bestätigung einer bestimmten Rechtsansicht ein Effekt des Rechtsstreites. Aber nicht allein deswegen darf man die Gerichte anrufen. Es ist einhellige Meinung 1 1 8 , daß ζ. B. gemäß § 256 ZPO abstrakte Rechtsfragen nicht zur Entscheidung gestellt werden können. A u f nichts anderes würde es hinauslaufen, i n Fällen, wie dem eben zitierten, dem Klageantrag i n der Revision zu entsprechen. Der Zweck der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage ist gewahrt, wenn die beklagte Gesellschaft, durch die Klage gewarnt, nun den gerügten Mangel der Beschlüsse vermeidet. Verstoßen diese wegen ihres Inhalts nicht gegen Gesetz oder Satzung, so können sie m i t gleichem Inhalt unter Beachtung übergangener Formalien wiederholt werden. Gibt die Gesellschaft auf diese Weise zu erkennen, sie halte die rechtswidrigen Beschlüsse für wirkungslos, so ist alles getan, was das Gesetz w i l l . „ Z u r Erledigung einer leeren Rechthaberei ist weder das ordentliche Prozeßverfahren, noch das Nichtigkeitsverfahren bestimmt 1 1 9 ." Man kann also festhalten, daß die Weiterverfolgung der Klage — abgesehen von der Kostenfrage — keine berechtigte Interessenförderung mehr b e w i r k t 1 2 0 . dd) Die Abweisung der Anfechtungsklage als unzulässig wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses, wie der B G H 1 2 1 meint, setzt voraus, daß das fehlende Interesse allein eine prozessuale Befugnis betrifft. Nur dann handelt es sich u m die Frage prozessualen Mißbrauchs. Es kann hier an die Ausführungen zur treuwidrigen Ausübung der Klagebefug118

Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., aaO, § 256 I I , 1 c. RGZ 59,133 (136). Siehe dazu unten V I I I , 2. I m Falle einer Anfechtungsklage nach dem Genossenschaftsgesetz f ü h r t das RG (RGZ 166,175 [188]) aus: „Eine Anfechtungsklage zum Zwecke bloßer Hervorhebung, daß etwas nicht hätte geschehen oder nicht hätte widerfahren sollen, kann nicht als berechtigt angesehen werden." Vgl. auch B G H N J W 1965, 585: „Die Beantwortung rechtlicher Fragen ist nicht Zweck, sondern n u r M i t t e l des Prozesses." „ Z u akademischen Erörterungen ohne praktische Spitze sind die Gerichte nicht berufen": Stein-Jonas-Schönke-Pohle, aaO, § 511 I I ; ähnlich auch § 567 I V , 1 u n d § 575 I, 2. Vgl. ferner B G H Z 10, 333 [336]. 120 Diesem Gedanken entspricht der neu eingeführte § 244 des Aktiengesetzes vom 6.9.1965 (BGBl. I, 1089). Er läßt die Vernichtung des anfechtbaren Beschlusses, der durch einen neuen (nicht anfechtbaren) Beschluß bestätigt wurde, n u r dann zu, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, „daß der anfechtbare Beschluß f ü r die Zeit bis zum Bestätigungsbeschluß für nichtig erklärt w i r d " . 121 B G H Z 21, 354. 119

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

n i s 1 2 2 angeknüpft werden, wo uns ebenfalls dieses Problem beschäftigte. Dort wurde festgestellt, daß bei Gestaltungsklagebefugnissen, m i t denen i m öffentlichen Interesse die Rechtmässigkeitskontrolle eines Zustande begehrt wird, kein materielles Gestaltungsrecht vorliegt, das mißbräuchlich ausgeübt werden könnte. Das ist bei der behandelten Anfechtungsklage der Fall. Sie ist daher wegen Mißbrauchs einer prozessualen Befugnis als unzulässig abzuweisen. Eine Sachentscheidung ist schon deshalb nicht möglich, weil die Erledigung der Hauptsache während des Rechtsstreits i m behandelten Fall nichts daran ändert, daß die angegriffenen Beschlüsse der Aktiengesellschaft seinerzeit fehlerhaft zustande gekommen sind und daß daher auch der Gestaltungsgrund besteht. Wenn man überhaupt den Mißbrauch wegen nutzloser Befugnisausübung ahnden w i l l , so kann hier nur eine Abweisung der Klage wegen eines prozessualen Mangels i n Betracht kommen. ee) Ergebnis. Ist bei einer Gestaltungsklage ohne materielles Gestaltungsrecht der durch die richterliche Gestaltung erreichbare Erfolg bereits gewährleistet, ohne daß infolgedessen der Gestaltungsgrund entfällt, so ist die Klage wegen institutionellen Mißbrauchs oder mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen 123 . 2. Ausübung einer prozessualen Befugnis, bei der das Interesse an der Ausübung auch bei prozessualem Erfolg unbefriedigt bliebe

a) Vollstreckungsunmöglichkeit Bei den meisten Fällen nutzloser Befugnisausübung fehlt die Interessenförderung, weil keine Vollstreckungsmöglichkeiten bestehen. Dieser Umstand reicht jedoch nicht aus, die Ausübung einer prozessualen Befugnis als mißbräuchlich anzusehen und etwa eine Klage m i t dieser Be122

Oben E V. E i n weiteres Beispiel mißbräuchlicher Befugnisausübung wegen bereits gewährleisteten Erfolges ist B G H L M Nr. 10 zu § 13 UWG. Dort klagten zwei Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen gegen dieselbe Partei wegen desselben Sachverhalts auf Unterlassung. Der B G H erörtert das Rechtsschutzbedürfnis für die zweite Klage. Fraglich ist, ob der Mißbrauch die prozessuale Befugnis oder den Unterlassungsanspruch betrifft. Der B G H n i m m t offenbar das erste an, wenn er das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als prozessualen Tatbestand vor dem speziellen Rechtsschutzbedürfnis (Wiederholungsgefahr) prüft, das bei Unterlassungsansprüchen zu den Anspruchsvoraussetzungen gehört. Das ist n u r dann gerechtfertigt, w e n n dem geprüften Unterlassungsbegehren k e i n materieller Anspruch zugrundeliegt, w i e f ü r bestimmte Unterlassungsklagen ein T e i l der Lehre (Esser, Schuldrecht, aaO, § 211, 4; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I I 6. Aufl., 1964, S. 452 ff., Henckel, aaO, S. 80; Nikisch, Lehrbuch, aaO, S. 149) annnimmt, oder w e n n man auf dem Standpunkt steht, der M i ß brauch lasse den Anspruch als solchen unangetastet u n d habe n u r prozessuale 123

V. Objektiver Mißbrauch bei nutzloser Befugnisausübung

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gründung oder wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses abzuweisen 124 . Ob der erstrebte Titel realisiert werden kann, mag die Zwangsvollstreckung ergeben. Überdies würde ein i m Erkenntnisverfahren gefälltes Zukunftsurteil darüber, daß eine Vollstreckung unmöglich ist, den Rechtsschutz i n viel zu weitem Umfang ausschließen. Es wäre auch paradox, eine Verpflichtung ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungsmöglichkeit des Schuldners zu bejahen (§ 279 BGB), i h n aber aus dem gleichen Grunde vor gerichtlicher Inanspruchnahme zu schützen. Es darf nicht nur der mögliche Vollstreckungserfolg einer Klage, sondern es muß auch ihre präventive Wirkung als rechtspolitische Realität gesehen werden. Der Umstand, daß der siegreiche Kläger auch noch nicht beitreibbare Kosten für seinen Prozeß aufwenden muß, w i r d i h n ohnehin von der Erlangung eines nutzlosen Titels abschrecken. Außerdem läßt § 888 I I ZPO erkennen, daß die ZPO, jedenfalls i n bestimmten Fällen, das Erstreben eines Titels auch ohne Vollstreckungsmöglichkeit allein zum Zweck der Ausübung psychologischen Druckes gestattet. Die Tatsache, daß mangelnde Vollstreckungsaussichten nach § 114 I, 2 ZPO die Versagung des Armenrechts rechtfertigen können, besagt nichts für die Abweisung einer Klage ohne Vollstreckungsmöglichkeit. Staatliche M i t t e l sollen möglichst nutzbringend eingesetzt werden; ob eine Partei ihre eigenen Mittel ebenso verwendet, ist ihre Sache. Ergebnis. Mangelnde Vollstreckungsaussichten machen die Ausübung einer prozessualen Befugnis nicht mißbräuchlich. b) Das Interesse an der Befugnisausübung würde nicht befriedigt, weil die Befriedigung eine unzulässige Durchbrechung der Rechtskraft bedeutete. Beispiele für prozessualen Befugnismißbrauch wegen unerreichbaren Erfolgs lassen sich bei Feststellungsklagen finden, da bei ihnen eine Vollstreckung nicht stattfindet. Vor Einfügung des § 644 Z P O 1 2 5 hatte der B G H i n ständiger und viel diskutierter Rechtsprechung betont, daß ein unehelicher Erzeuger, der rechtskräftig zur Zahlung von Unterhalt an das K i n d verurteilt war, kein schutzwürdiges Interesse an einer Klage auf Feststellung der blutmäßigen Abstammung hat, wenn er auf Feststellung des Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft klagt. Das Rechtsschutzbedürfnis wurde verneint, w e i l der Kläger m i t dem Ausspruch der Feststellung, er sei nicht der Vater, die von i h m erstrebte BeW i r k u n g e n (Außentheorie, siehe dazu unten Z i f f . 2 d ) . Es ist jedoch davon auszugehen, daß der E i n w a n d fehlender Interessenförderung bei Leistungsklagen i n aller Regel das materielle Recht betrifft (Näheres dazu unten Ziff. 2 d). 124 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S.37,38; ähnlich unter privatrechtrechtlichem Aspekt, Merz, aaO, A r t . 2 Note 358. 125 Durch A r t . 3 Ziff. 4 des F a m R Ä n d G v o m 11. 8. 1961.

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

s e i t i g u n g des r e c h t s k r ä f t i g e n U n t e r h a l t s u r t e i l s n i c h t e r r e i c h e n k o n n t e 1 2 6 . So f ü h r t e d e r B G H 1 2 7 aus: „Nicht zu bejahen wäre das Rechtsschutzbedürfnis f ü r eine negative Feststellungsklage, w e n n der die Vaterschaft Leugnende bereits durch rechtskräftiges U r t e i l zur Leistung des Unterhalts verurteilt ist u n d n u r die Beseitigung der rechtskräftigen Verurteilung zur Unterhaltsleistung erreichen w i l l . Die Rechtswirkung des Urteils, das das Bestehen oder Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, kann die vorher getroffene rechtskräftige Feststellung der Unterhaltspflicht nicht aus der Welt schaffen." Diese Rechtsprechung des B G H , w e l c h e d i e N e u f a s s u n g des § 644 Z P O i n den Bereich der Historie verwiesen hat, beruht auf dem Gedanken, eine D u r c h s e t z u n g prozessualer M ö g l i c h k e i t e n abzuschneiden, w e n n das Interesse des K l ä g e r s auch b e i E r f o l g seines prozessualen H a n d e l n s u n b e f r i e d i g t bliebe.

c) Nutzlose Erhebung der Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten (§§ 110, 274 ZPO) aa) E i n w e i t e r e s B e i s p i e l m i ß b r ä u c h l i c h e r A u s ü b u n g e i n e r prozessualen Befugnis wegen fehlender Interessenförderung ist die Geltendmac h u n g der E i n r e d e aus §§ 110, 274 Z P O , w e n n das U n t e r l i e g e n des i n ländischen B e k l a g t e n außer Z w e i f e l steht. I n B G H L M N r . 6 z u § 675 B G B w u r d e a n f o l g e n d e m F a l l d i e Z u l ä s s i g k e i t dieser E i n r e d e g e p r ü f t : Der jüdische Kläger betrieb früher i n B e r l i n ein Pelzwarengeschäft. Dieses Geschäft hatte der Beklagte, gestützt auf verschiedene Verordnungen zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, aufgelöst. Der Kläger glaubt, daß der Beklagte sich hierdurch schadenersatzpflichtig gemacht habe. Dieser hat Klageabweisung beantragt u n d die Einrede der m a n gelnden Sicherheit f ü r die Prozeßkosten erhoben, w e i l der Kläger Angehöriger eines fremden Staates sei, der die Gegenseitigkeit nicht gewähre. Der B G H f ü h r t aus 1 2 8 : „Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob das Schikaneverbot des § 226 BGB, auf das sich gerade i n besonderem Maße der E i n w a n d unzulässiger Rechtsausübung zu gründen vermag, auch f ü r das Prozeßrecht Geltung hat. Denn f ü r die Annahme, daß der Beklagte die Einrede der mangelnden Sicherheit f ü r die Prozeßkosten aus Schikane erhoben habe, fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Grundlagen . . . Selbst wenn m a n m i t Stein-JonasSchönke (aaO, Einl. D I 1, 2) annimmt, daß nicht n u r die klageweise Verfolgung, sondern jedwede Prozeßhandlung u n d darum auch die Erhebung einer prozeßhindernden Einrede, w i e die Einrede der mangelnden Sicherheit f ü r die Prozeßkosten, ein bestehendes Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt, könnte 126

Vgl. dagegen die Regelung des heutigen § 644 ZPO. B G H Z 5, 385 (401) = N J W 1952, 780 = JZ 1952, 477 = JR 1952, 245 = M D R 1952, 484. 128 aaO, Bl. 2. 127

V. Objektiver Mißbrauch bei nutzloser Befugnisausübung

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dieses i m vorliegenden Falle n u r dann verneint werden, w e n n die Berechtigung des Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen den Beklagten v o n vornherein so völlig außer Zweifel stände, daß ein Interesse des Beklagten an der Sicherstellung seines Kostenerstattungsanspruchs f ü r den F a l l seines Obsiegens i m Rechtsstreit überhaupt nicht in Betracht käme. Das läßt sich jedoch nicht sagen."

bb) A n dieser Entscheidung zeigt sich wieder das bekannte Bild. Der Schikanebegriff versagt 1 2 9 . Festen Boden gewinnt man, wenn man m i t fehlendem Rechtsschutzbedürfnis oder institutionellem Mißbrauch argumentiert. Er würde unter den vom B G H angenommenen Voraussetzungen vorliegen, wenn das Unterliegen des Beklagten sicher wäre. Denn dann würde die Befugnisausübung die Interessen des Beklagten nicht fördern können, weil er m i t Sicherheit keinen Prozeßkostenerstattungsanspruch gegen den siegreichen ausländischen Kläger erwirbt. Wer aber w i l l vor Verfahrensabschluß diese Sicherheit haben? Man muß daher m. E. bereits einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit des Prozeßverlustes als ausreichend ansehen. Schon dann läßt sich schließen, daß der Beklagte die Einrede nicht erhebt, um sich die Realisierung eines etwaigen Prozeßkostenerstattungsanspruchs gegen den ausländischen Kläger zu sichern (Gesetzeszweck), sondern um den Prozeß zu verschleppen oder dem Kläger unnütze Schwierigkeiten zu machen (mißbilligenswerter Parteizweck). Es liegt dann ein Fall subjektiven Mißbrauchs i m oben I I I , 1 c und d geschilderten Sinn vor. cc) Ergebnis. Steht das Unterliegen eines inländischen Beklagten außer Zweifel, so ist seine auf die §§ 110, 274 ZPO gegründete Einrede mißbräuchlich, weil eine Interessenförderung durch sie nicht zu erwarten ist. Ist der Prozeßverlust dagegen nur wahrscheinlich, so kann die genannte Einrede wegen Verfolgung mißbilligenswerter Ziele mißbräuchlich sein. d) Mangelndes Rechtsausübungsinteresse als materiellrechtliches Problem aa) Bei Leistungsklagen verneint man häufig das Rechtsschutzbedürfnis, bejaht also nach der hier vertretenen Ansicht institutionellen Mißbrauch, wenn der eingeklagte materielle Anspruch ohne berechtigtes I n teresse ausgeübt wird. Dazu ein Beispiel 1 3 0 : Der Kläger w a r rechtskräftig zur Auflassung aus einem dinglichen Wiederkaufsrecht an die Beklagte verurteilt worden. I n einem neuen Verfahren klagt er gegen die Beklagte auf Grundbuchberichtigung m i t dem Antrag, i n 129 130

Dazu oben I I . RGZ 135,33 = J W 1932, 649.

176

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

die Löschung des Wiederkaufsrechts zu willigen. Das H G p r ü f t das Rechtsschutzbedürfnis f ü r die Klage aus § 894 B G B (aaO, S. 35, 36): „Es ist ebenfalls ein anerkannter Grundsatz, daß Voraussetzung einer jeden Klage das Vorhandensein eines Rechtsschutzbedürfnisses ist. Dieses Erfordernis w i r d zwar i m Gesetze n u r vereinzelt hervorgehoben, so ζ. B. bei der Feststellungsklage u n d bei der Unterlassungsklage. Aber gerade bei der hier erhobenen Klage fehlt es an einer solchen Hervorhebung i m Gesetze n i c h t . . . Es handelt sich u m diejenige A r t der Klage auf Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB, die sich auf Beseitigung des Eintrags einer nicht bestehenden Belastung richtet; sie entspricht der Eigentumsfreiheitsklage des § 1004 BGB. Das Gesetz begnügt sich n u n nicht m i t der Voraussetzung, daß die Belastung zu Unrecht eingetragen ist, sondern es verlangt, daß der Kläger durch die unrichtige Eintragung »beeinträchtigt 4 sei." Eine solche Beeinträchtigimg fehle. Der Kläger müsse trotz der begehrten Löschung den rechtskräftig zuerkannten Anspruch aus dem Wiederkauf erfüllen: „ B e i dieser Sachlage ist es f ü r den Kläger gleichgültig, ob die Eintragung des Wiederkaufsrechts bestehen bleibt; sie beeinträchtigt sein Eigentum nicht, er hat kein berechtigtes Interesse an der Löschung."

bb) Es leuchtet ein, daß das Rechtsausübungsinteresse des Klägers auch bei Durchsetzung seines Anspruchs nicht befriedigt würde 1 3 1 . Es scheint sich also um einen Fall nutzloser Befugnisausübung zu handeln. Die Entscheidung gehört aber nur dann zu den hier erörterten Fällen prozessualer Arglist, wenn sich der Mißbrauch allein auf die prozessuale Seite des Falles bezieht. Das t r i f f t jedoch nicht zu. cc) Man verlangt ein schutzwürdiges Interesse auch für die Ausübung eines materiellen Anspruchs 132 . I m zitierten Fall w i r d dieses Erfordernis durch die Formulierung der §§ 894, 1004 BGB noch besonders hervorgehoben. Es wäre daher paradox, zwar den materiellen Anspruch, der mißbräuchlich, weil nutzlos ausgeübt wird, unangetastet zu lassen, einer auf ihn gestützten Klage aber die Zulässigkeit abzusprechen. Da hier der A n spruch nicht besteht (le droit cesse où Tabus commence: Innentheorie), ist die Klage wegen institutionellen Mißbrauchs des materiellen Rechts — oder bei den besonderen Verhältnissen der §§ 894, 1004 BGB mangels Subsumibilität unter den Wortlaut der Norm — als unbegründet abzuweisen. Es handelt sich bei dem vorliegenden Anspruch keineswegs um Gründe, die nur seine gerichtliche Durchsetzung hindern würden. dd) Wollte man bei Mißbrauch eines materiellen Rechts die Zulässigkeit einer auf dieses Recht gestützten Klage verneinen 1 3 3 , so begäbe man 131 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 35 F N 68 rechnet diesen F a l l — m. E. zu Unrecht — zur gleichen Kategorie w i e die unten V I , 3 behandelte Entscheidung RGZ 155, 72. 182 Enneccerus-Lehmann, aaO, 15. Aufl., § 1 I V , 2; Enneccerus-Nipperdey, aaO, 15. Aufl., § 72 I I . 133 Vgl. dazu auch die Rechtsprechung zum Widerrufsanspruch wegen E h r verletzungen oder Kreditschädigungen. L ä u f t die Geltendmachung des A n spruchs nicht auf Schadenswiedergutmachung (§ 249 BGB) oder Beseitigung

V. Objektiver Mißbrauch bei nutzloser Befugnisausübung

177

sich auf denselben Weg, den die französische Lehre vom intérêt bereits als falsch erkannt hat. Dort hat man, vergleichbar unserer Schutzwürdigkeit, vom Interesse gefordert, daß es légitime et juridiquement protégé sein müsse 134 . Mangels eines intérêt légitime et juridiquement protégé weist die französische Rechtsprechung ζ. B. die Klage einer Konkubine auf Ersatz des Schadens als unzulässig zurück, der ihr durch den Unfalltod ihres Geliebten entstanden ist 1 3 5 . Diese und ähnliche Beispiele der J u d i k a t u r 1 3 6 veranlassen Solus-Perrot 137 zu der Feststellung, daß das Fehlen eines intérêt juridique oder légitimement protégé i n Wirklichkeit bedeute, „à constater que la demande n'est pas fondée parce que le droit fait défaut. C'est le droit qui n'ose pas dire son nom". Zur Begründung ihrer Ansicht weisen diese Autoren 1 3 8 darauf hin, daß die Erforderlichkeit eines solchen Interesses allmählich darauf hinauslaufe, die Zulässigkeitsprüfung einer Klage zu einer Vorprüfung ihrer Begründetheit zu machen. ee) Diesem Bedenken ist beizupflichten. M i t der Forderung, das I n teresse müsse légitime und juridiquement protégé sein, macht man i n der Tat die Frage der Begründetheit zum Zulässigkeitsproblem. Man könnte etwas überspitzt sagen: Unbegründetheit einer Klage wegen offenbaren Mißbrauchs des materiellen Anspruchs legt die Versuchung nahe, sie als unzulässig abzuweisen. Das so praktizierte Vorprüfungsrecht des Gerichts ist aber systemfremd. Es läuft auf die nicht herrschende und m i t Recht abgelehnte Außentheorie des Rechtsmißbrauchs hinaus, nach welcher der materielle Anspruch zwar besteht, aber i m Einzelfall nicht geltend gemacht werden kann, weil die Schranken der Rechtsausübung auf prozessualen Sätzen beruhen 1 3 9 . Steht man dagegen m i t der h. M . 1 4 0 auf dem Standpunkt der Innentheorie, nach welcher der geltend gemachte Anspruch keine Stütze i m materiellen Recht hat, so ist auch beim institutionellen Mißbrauch, wie i n allen anderen

rechtswidriger u n d gefahrdrohender Zustände (§ 1004 BGB) hinaus, sondern bezweckt der Verletzte eine Demütigung des Täters oder Genugtuung für sich, so verneint man gerne das Rechtsschutzbedürfnis (RGZ 148, 114 [124]; OGHZ 1, 182 [191]; B G H Z 10, 104 [106]; 14, 163 [176]. M a n sollte jedoch Wert auf die Feststellung legen, daß es sich hierbei nicht u m die prozessuale F o r m dieses Instituts handelt. 134

Vgl. dazu Solus-Perrot,

135

Cass. civ. 27. 7. 1937 D. P. 1938. 1. 5.

136

Vgl. dazu Solus-Perrot,

137

aaO, S. 203.

138

aaO, S. 203, 204.

aaO, S. 202. aaO, S. 202.

139

Vgl. dazu Siebert, V e r w i r k u n g u n d Unzulässigkeit der Rechtsausübung, aaO, S. 83, 84. 140

Vgl. Soergel-Siebert,

12 Zeiss

aaO, § 242 A n m . 150; Esser, Schuldrecht, aaO, §34,8.

178

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Fällen materiellrechtlicher Mängel, die Klage als unbegründet abzuweisen. Wie die Verwirkung eines materiellen Anspruchs nicht die Klagbarkeit ergreift 1 4 1 , so w i r d auch die Klagbarkeit nicht dadurch beeinträchtigt, daß der materielle Anspruch rechtsmißbräuchlich, weil ohne erkennbare Interessenförderung, ausgeübt wird. Es ist also stets sorgfältig zu prüfen, ob der institutionelle Mißbrauch sich auf den materiellen Anspruch oder die prozessuale Befugnis bezieht, diesen Anspruch m i t Hilfe der Gerichte durchzusetzen. Die Gefahr, diese beiden verschiedenen Gesichtspunkte zu vermengen, liegt naturgemäß bei Leistung skiagen nahe 1 4 2 . ff) W i r können nach alledem folgendes Fazit ziehen. W i r d m i t einer Leistungsklage ein Anspruch geltend gemacht, dessen Ausübung wegen mangelnder Interessenförderung mißbräuchlich ist, so ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Der materiellrechtliche Rechtsmißbrauch ergreift nicht die Klagbarkeit des Anspruchs. Mißbrauch einer prozessualen Befugnis oder mangelndes Rechtsschutzbedürfnis ist nicht gegeben.

3. Ergebnis

Die zu Ziff. 1 und 2 gemachten Ausführungen haben gezeigt, daß i m Prozeßrecht der i n § 242 BGB verankerte Einwand fehlenden berechtigten Interesses 143 anerkannt und i n der Beschwer sogar besonders institutionalisiert ist. Aus der konkretisierenden Kasuistik lassen sich für die Dogmatik des aufgestellten Verbotes arglistigen prozessualen Verhaltens folgende Sätze festhalten: Die Ausübung einer prozessualen Befug141

Dazu oben F X , 4.

142

Natürlich werden nicht alle Leistungsklagen, bei denen man das Rechtsschutzbedürfnis verneint, stets durch institutionellen Mißbrauch des materiellen Anspruchs charakterisiert. Mißbrauch prozessualer Befugnisse liegt z.B. vor, wenn einer Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, w e i l dem Kläger ein einfacherer oder billigerer Weg zur Interessenverwirklichung offen steht (Vgl. dazu Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 25 ff., 49). Sicher könnte m a n auch i n diesem F a l l erwägen, den materiellen Anspruch wegen Mißbrauchs zu verneinen, w e i l er i n einer den Gegner weniger schädigenden oder belästigenden Weise geltend gemacht werden könnte (Vgl. dazu Soergel-Siebert, aaO, § 242 A n m . 160). Das würde aber voraussetzen, daß unter zwei materiellen Ansprüchen ohne ersichtlichen Nutzen derjenige herausgesucht w i r d , der den Gegner am meisten beeinträchtigt. Die Fälle m a n gelnden Rechtsschutzbedürfnisses wegen eines einfacheren oder billigeren prozessualen Weges sind anders strukturiert. Hier besteht der Mißbrauch nämlich darin, daß ein bestimmtes Verfahren gewählt w i r d , obwohl ein außergerichtlicher oder billigerer Weg zur Verfügung steht. Charakteristisch ist hier der Mißbrauch prozessualer Mittel. Es ist daher konsequent, i h m auch m i t prozessualen Mitteln, also durch Klageabweisung als unzulässig, zu begegnen. 143

Soergel-Siebert,

aaO, § 242 A n m . 150.

VI. Mißbrauch wegen Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung

179

nis ist wegen institutionellen Mißbrauchs oder wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn das Interesse, das an der Ausübung besteht, bereits befriedigt ist (oben Ziff. 1) oder auch bei erfolgreicher Ausübung nicht zu befriedigen wäre (oben Ziff. 2). W i r d ein materieller Anspruch aus diesem Grunde mißbräuchlich ausgeübt, so ergreift der Mißbrauch nicht die Klagbarkeit.

VI. Mißbrauch wegen Ausübung prozessualer Befugnisse zur Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung Zunächst soll der Mißbrauch prozessualer Befugnisse wegen ihrer Verwendung zur Prozeßverschleppung dargelegt werden (unten Ziff. 1 und 2). Unten Ziff. 3 und 4 werden dann Fälle besprochen, bei denen der Mißbrauch aus zweckentfremdeter Verwendung prozessualer Befugnisse zur Vollstreckungsverschleppung folgt. 1. Fälle der Prozeßverschleppung sind bereits oben Β I I I , 1 erörtert. Dort handelte es sich u m Verhaltensweisen, i n denen der Grund für die Unzulässigkeit der fraglichen Prozeßhandlung darin lag, daß die Partei sie nicht früher vorgenommen hat. Darauf stellen die maßgebenden Vorschriften der ZPO ab (§§ 279, 529 II, 534 II, 626 ZPO). Die hier interessierenden Fälle werden indes dadurch charakterisiert, daß eine Partei durch offenbar unbegründete Verfahrensbeanstandungen den Prozeß zu verlängern sucht oder sich dem Richterspruch entziehen w i l l . Typisch dafür ist die Richterablehnung (§§ 42 ff. ZPO) ohne sachliche Gründe oder die wiederholte Ablehnung 1 4 4 : „ M i t einem Gesuch v o m 7. 10. 1935 hatte der Beklagte bereits den 4. Z i v i l senat des O L G als befangen abgelehnt. Zur Begründung führte er damals an, der Senat habe i h m entgegen der i h m günstigen Sach- u n d Rechtslage wiederholt das Armenrecht versagt u n d sich damit als parteilich erwiesen. Der 3. Zivilsenat hat die Eingabe v o m 7. 10. als Ablehnung der sämtlichen, dem 4. Zivilsenat angehörigen Richter aufgefaßt u n d i m Beschluß v o m 23. 10. für unbegründet erklärt. Z u den derzeit ohne Erfolg abgelehnten Richtern gehörten auch der Oberlandesgerichtsrat L. u n d der Amtsgerichtsrat H., gegen welche sich jetzt die Gesuche des Beklagten v o m 12. 11. wiederum wenden. H i e r i n bringt er inhaltlich genau dieselben Ablehnungsgründe vor, die schon die Eingabe v o m 7. 10. enthielt. E i n solches Verfahren findet i n den §§ 42 ff. ZPO keine Stütze, sondern ist unzulässig. Es läuft darauf hinaus, daß der Beklagte den Beschluß v o m 23. 10. nicht beachten w i l l . Würde man dem grundsätzlich Raum geben, so w ü r d e man den Beklagten i n die Lage bringen, seine Ablehnungsgesuche m i t derselben Begründung beliebig oft zu wiederholen u n d so die Tätigkeit des Gerichts lahm zu legen. Z u einer derartigen mißbräuchlichen Verschleppung bieten die Gesetze keine Handhabe."

144

12·

O L G K i e l H R R 1936, Nr. 425.

180

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Während bei diesem Fall die Verschleppungstaktik aus der (teilweisen) Wiederholung eines bereits zurückgewiesenen Ablehnungsgesuchs ohne neue Gründe hervorgeht, w i r d die folgende RG-Entscheidung 145 durch die nicht begründete Ablehnung aller Richter eines Gerichts gekennzeichnet. Der Antragsteller hatte folgende Gesuche gestellt: „1. Ich lehne die Richter Α , Β u n d C wegen Besorgnis der Befangenheit ab. . . . 2. Ich lehne jeden Richter des O L G H a m m wegen Besorgnis der Befangenheit ab, u m über den obigen A n t r a g entscheiden zu können, u n d beantrage diesen A n t r a g dem nächst zuständigen Gerichte, also dem Reichsgerichte zur Entscheidung vorzulegen." I n der Begründung des Gesuchs zu 2. w i r f t der Antragsteller einem Oberlandesgerichtsrat D Rechtsbeugungsversuche v o r u n d beschuldigt den Oberlandesgerichtspräsidenten, i h n ungebührlich behandelt zu haben. Das R G (aaO) f ü h r t dazu aus: „Das Gesetz k a n n u n d w i l l aber m i t den Vorschriften über das Ablehnungsrecht nicht den Parteien die Möglichkeit gewähren, unter der Form der Ablehnung die Rechtsprechung der Staatsgerichte i m Einzelfall unmöglich zu machen oder willkürlich deren Entscheidungen zu verschleppen. Geschieht dies gleichwohl, w i r d also das A b l e h nungsrecht mißbraucht, so ist das Gericht, dessen Mitglieder i n der gesetzw i d r i g e n Weise abgelehnt werden, i n der Lage, das Ablehnungsgesuch unberücksichtigt zu lassen oder auch als unzulässig zu verwerfen."

a) Zur Begründung des subjektiven Mißbrauchs hat man i n den genannten Entscheidungen 146 nach dem oben I I I dargestellten Modell den Zweck der Vorschriften über die Richterablehnung, einen divergierenden Parteizweck und dessen mangelnde Schutzwürdigkeit festzustellen. Der Zweck der Vorschriften über das Ablehnungsrecht geht dahin, den Parteien einen unvoreingenommenen Richter zu gewährleisten (Gesetzeszweck). Ablehnungsgesuche, welche diesen Zweck verfolgen, werden von der Norm gedeckt, obwohl auch sie notwendig eine Verzögerung des Prozesses zur Folge haben. Mißbräuchlich werden sie erst, wenn die Partei die Prozeßverzögerung nicht nur i n Kauf nimmt, sondern ihretwegen das Ablehnungsgesuch anbringt (Parteizweck). Ein solches Ziel ist mißbilligenswert, wie vielerorts aus der Haltung des Gesetzes hervorgeht. Der Verschleppungserfolg w i r d zwar wegen des höheren Wertes der richterlichen Unvoreingenommenheit i n Kauf genommen, aber nur, wenn wenigstens Verdachtsgründe berechtigte Zweifel an ihr aufkommen lassen 147 . Dann ist anzunehmen, daß die Partei die A b lehnungsbefugnis (wenigstens auch) aus dem Grunde nützt, aus dem sie ihr vom Gesetz gewährt ist. Anders i n den hier behandelten Fällen. Hier stimmen Gesetzeszweck und Parteizweck nicht überein. Kennzeichen für 145

WarnRspr. 1929, Nr. 105. Vgl. dazu noch RGZ 44, 402; 92, 230; ferner Stein-Jonas-Pohle, 19. Aufl., § 42 I I , 3. 147 Nach § 44 I I ZPO ist der Ablehnungsgrund glaubhaft zu machen. 146

VI. Mißbrauch wegen Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung

181

einen solchen divergierenden Parteizweck 1 4 8 sind i n der Regel wiederholte oder nicht m i t Gründen versehene Ablehnungsgesuche. b) Ein offenbar mißbräuchliches Ablehnungsgesuch ist unbeachtet zu lassen. Seine Behandlung 1 4 9 nach § 45 ZPO ist nicht empfehlenswert, da sonst die Verzögerung einträte, die der mißbräuchlich Ablehnende gerade erstrebt. Dem Mißbrauch kann nur dadurch wirksam begegnet werden, daß die abgelehnten Richter sein Gesuch unbeachtet übergehen 150 . Die i n einem solchen Verfahren liegende Gefahr für die Garantie eines unparteiischen Richters erfordert es freilich, von dieser Befugnis nur dann Gebrauch zu machen, wenn das mißbräuchliche Verhalten des A b lehnenden eine gewisse Evidenz aufweist, welche die Verschleppungstaktik offenbar macht 1 5 1 . c) Abzulehnen, weil an unbrauchbaren Kategorien orientiert, ist die Ansicht 1 5 2 , welche mißbräuchliche Ablehnungsgesuche als nicht ernst gemeint abwertet. Wenn so argumentiert wird, kann das nur heißen, daß der Ablehnende nicht sein Recht auf einen unvoreingenommenen Richter verfolgen, sondern mittels Ausschaltung des Richters den Prozeß verschleppen will. Dennoch ist ernstlich gewollt, den Richter von der Entscheidung auszuschließen. Die Zweckentfremdung bedeutet nicht, daß die Richterablehnung nicht ernst gemeint ist. Der Ablehnende will i m Gegenteil ein ernst gemeintes Ablehnungsgesuch anbringen, um sein Ziel zu erreichen. Die Kategorien der §§ 116 ff. BGB treffen auf die vorliegenden Fälle nicht zu, zumal die Nichternstlichkeit einer Prozeßhandlung nach der Eigenständigkeit des Prozeßrechts ohnehin kein Grund ist, die Wirksamkeit einer Prozeßhandlung anzuzweifeln. d) Als Ergebnis läßt sich festhalten: Ablehnungsgesuche, die nicht aus Sorge um einen unvoreingenommenen Richter (Gesetzeszweck), sondern zur Prozeßverschleppung gestellt werden, sind wegen Divergenz von Gesetzeszweck und Parteizweck mißbräuchlich. Ist diese mangelnde 148 Die Erforschung des Parteizwecks ist erforderlich, da anders als bei den oben I V u n d V angeführten Fällen die E r m i t t l u n g des Gesetzeszwecks allein noch nicht Aufschluß gibt über die Frage, ob das fragliche Ablehnungsgesuch geeignet ist, rechtspolitische Zwecke zu vereiteln. Nicht von ungefähr hat der Gesetzgeber i n den Normen, welche die Prozeßverschleppung bekämpfen sollen (§§ 279, 529 I I , 534 I I , 626 ZPO), nicht allein objektive Kriterien, w i e v e r spätetes Vorbringen von Angriffs- u n d Verteidigungsmitteln, als ausreichend angesehen, sondern auf die Verschleppungsabsicht der Partei abgestellt. 149 I m Ergebnis ist man sich über die Behandlung der aufgezählten Fälle einig. Vgl. Baumbach-Lauterbach, aaO, § 42 A n m . 1 B ; Stein-Jonas-Pohle, 19. Aufl., § 45 I. 150 So recht deutlich RGZ 92, 230. 151 Vgl. zur Evidenz der Zweckentfremdung Rudy, aaO, S. 103. 152 Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 19. Aufl., § 4211,3; § 451; Schönke-Schröder-Niese, aaO, § 2 I I I 1 a (S. 25); Baumbach-Lauterbach, aaO; vgl. auch O L G Darmstadt, J W 1929, 121 (oben D I I , 5).

182

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Kongruenz offenbar, so ist das Ablehnungsgesuch unbeachtet zu lassen. Kennzeichen für offensichtlichen Mißbrauch sind wiederholte, nicht neu begründete oder nicht mit Gründen versehene Ablehnungsgesuche. 2. Ein weiteres Beispiel mißbräuchlicher Prozeßverzögerung stellt die als Einführungsfall 1 5 3 zitierte KG-Entscheidung 1 5 4 dar. I n ihrer Begründung kommt erfreulich klar die Zweckentfremdung zum Ausdruck. Die Befugnis, einen Antrag gemäß § 620 ZPO zu stellen, soll der Aussöhnung der Ehegatten dienen (vgl. § 620 I, 2: gütliche Beilegung des Rechtsstreits). Zu diesem Zweck ist das Gesetz bereit, die sonst verfolgte Tendenz der Verfahrensbeschleunigung zurückzustellen. Zweckentfremdung liegt also vor, wenn die Partei keine Aussöhnung w i l l , sondern etwa materieller Vorteile wegen den prozeßverzögernden Aussetzungsantrag stellt. Der vom Gesetzeszweck abweichende, mißbilligenswerte Parteizweck, welcher den Mißbrauch begründet, w i r d aber nicht nur, wie i m Fall des KG, durch die Absicht begründet, m i t dem Antrag wirtschaftlichen Druck auszuüben, sich also u. U. ungerechtfertigte Vermögensvorteile zu verschaffen. Weil der Aussetzungsantrag nur einem Ziel, nämlich der Aussöhnung der Parteien dienen soll, führt auch jeder andere Parteizweck zum Mißbrauch. So ist ζ. B. einem Antrag gem. § 620 ZPO nicht stattzugeben, wenn der Kläger m i t Hilfe der Aussetzung die Dreijahresfrist des § 48 EheG überbrücken w i l l , u m der Abweisung seiner zu früh eingereichten Klage zu entgehen 155 . Die i m Fall des § 620 ZPO i m Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe i n Kauf genommene Prozeßverzögerung verliert stets ihren rechtspolitischen Sinn, wenn nicht die Aussöhnung erstrebt wird. Ergebnis. Einem Aussetzungsantrag gem. § 620 ZPO ist wegen Mißbrauchs nicht stattzugeben, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß die Partei keine Aussöhnung, sondern andere Ziele, etwa eine Prozeßverzögerung anstrebt. 3. Die Frage mißbräuchlicher Ausübung prozessualer Befugnisse ist weiter dann aktuell, wenn eine Partei eine Klage zur Verzögerung drohender

Zwangsvollstreckung

erhebt.

a) Ein Beispiel für diese Fallgruppe ist die oben I, 1 a zitierte Entscheidung des R G 1 5 6 zur Zulässigkeit der Anfechtungsklage nach § 957 I I Nr. 1 ZPO. W i r ermitteln den Mißbrauch nach der oben I I I dargestellten Richtschnur, stellen also zunächst den Zweck der Anfechtungsklage fest. 153 154 155 156

Oben I, 1 c. DR 1942, 1035. O L G Naumburg HRR 1939, Nr. 908. RGZ 155, 72.

VI. Mißbrauch wegen Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung

183

aa) § 957 I ZPO läßt das Ausschlußurteil sofort mit seiner Verkündung rechtskräftig werden 1 5 7 . Es ist nur dann aufhebbar, wenn die i n § 957 I I Nr. 1 bis 6 aufgezählten Mängel vorliegen. Das Anfechtungsverfahren ist also nach A r t eines auf bestimmte Gründe beschränkten Revisions- oder Wiederaufnahmeverfahrens gestaltet. Ein mit gewissen Mindestgarantien versehener Prozeß soll auch für das Aufgebotsverfahren gewährleistet sein. Die Anfechtungsklage soll m i t h i n die gerichtliche Kontrolle des Aufgebotsverfahrens auf seine Rechtmäßigkeit ermöglichen. Verfolgt jemand m i t seiner Klage dieses Ziel, so handelt er gemäß dem Gesetzeszweck und daher nicht mißbräuchlich. bb) Mißbrauch liegt vor, wenn der mit der Anfechtungsklage verfolgte Zweck von dem gesetzlichen abweicht und mißbilligenswert ist. Die Ermittlung des mißbilligenswerten Parteizwecks stößt hier, anders als bei den oben behandelten mißbräuchlichen Ablehnungsgesuchen, auf Schwierigkeiten. Dort war wegen offenbarer Unbegründetheit der Ablehnungsgesuche evident, daß nicht die Garantie eines unvoreingenommenen Richters (Gesetzeszweck) auch Zweck des Parteihandelns w a r 1 5 8 . I m vorliegenden Fall ist dagegen die Anfechtungsklage begründet und somit geeignet, den Gesetzeszweck zu verwirklichen. Daher ist, w e i l die Klägerin lediglich den Löschungsanspruch des Beklagten vereiteln wollte, zwar die für den Mißbrauch typische Divergenz von Gesetzesund Parteizweck gegeben. Ob der letztere mißbilligenswert ist, ergibt aber erst eine Abwägung der beiden eintretenden Wirkungen: Kontrolle des Verfahrens auf seine Rechtmäßigkeit und Vollstreckungsverschleppung. Nimmt man an, der Ausspruch, das Aufgebotsverfahren sei nicht zulässig gewesen (§ 957 I I Nr. 1 ZPO), sei ein so hohes Gut, daß i h m gegenüber die Hinhaltetaktik der Klägerin i n Kauf genommen werden müsse, so kann von Mißbrauch keine Rede sein. Man w i r d aber m i t dem RG anders zu werten haben. Die Kontrolle des Aufgebotsverfahrens ist kein um den Preis einer Vollstreckungsverschleppung zu verwirklichender Wert 1 5 9 . Denn der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen, daß 157

Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., § 957 I. Eine Parallelsituation zur hier behandelten Anfechtungsklage wäre gegeben, w e n n jemand ein begründetes Ablehnungsgesuch i n Verschleppungsabsicht anbringt. 159 Daß eine solche Güterabwägung keinerlei präjudiziellen Charakter hat, geht aus folgender Entscheidung hervor, bei der die Wertverhältnisse anders zu beurteilen sind. I n B G H L M Nr. 1 zu § 957 ZPO hatte eine Bank, die I n haberin eines i n ihrem Bankgebäude i m Berliner Ostsektor befindlichen u n d von den Besatzungstruppen beschlagnahmten Wechsels war, diesen Wechsel f ü r kraftlos erklären lassen (§ 1017 ZPO), u m m i t Hilfe des Ausschlußurteils i m Wege des § 1018 I ZPO gegen die Akzeptantin die Rechte aus der U r k u n d e geltend machen zu können. Das O L G H a m m hatte die auf § 957 I I Nr. 1 u n d 3 ZPO gestützte Anfechtungsklage der Akzeptantin mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen. Es sei kein schutzwürdiges Interesse an einer A n 158

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

§ 1162 BGB eine Lücke aufweist, indem er den hier vorliegenden Fall tatsächlicher Vollstreckungsunmöglichkeit nicht dem Abhandenkommen oder der Vernichtung des Hypothekenbriefes gleichstellt 1 6 0 , u m wenigstens auf dem Wege über das Aufgebotsverfahren dem Eigentümer die Löschung zu ermöglichen (vgl. § 41 I I GBO). M i t anderen Worten: Statthaftigkeit und UnStatthaftigkeit des Aufgebotsverfahrens liegen i n RGZ 155, 72 nahe beieinander. Der durch die Anfechtungsklage korrigierbare Verfahrensverstoß des Aufgebotsprozesses wiegt nicht schwer. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, der Anfechtungsklage aus § 957 I I Nr. 1 stattzugeben und so die Verwirklichung des Löschungsanspruchs des Beklagten weiter hinauszuschieben. b) Da das RG (RGZ 155, 72) i m Gegensatz zum OLG die analoge A n wendung des § 1162 BGB und damit eine Behandlung des Konfliktes auf materiellrechtlichem Gebiet ablehnt, kommt zur Begründung des erwünschten Ergebnisses nur eine Abweisung der Klage wegen eines prozessualen Mangels i n Betracht. Würde das Gericht nämlich ihre Zulässigkeit bejahen und auf die Begründetheit eingehen, so müßte es der Klage stattgegeben, da der Anfechtungsgrund 1 6 1 des § 957 I I Nr. 1 ZPO, wie dargelegt, gegeben ist. U m die Abweisung als unzulässig zu erreichen, argumentiert das RG mit mangelndem Rechtsschutzbedürfnis 162 . Man kann auch von institutionellem Mißbrauch der Anfechtungsklage sprechen. fechtungsklage vorhanden, die n u r den Zweck verfolge, der Klägerin die I n anspruchnahme aus dem Wechsel zu ersparen. Der B G H hob dieses U r t e i l auf. E r erkannte unter Bezugnahme auf RGZ 155,72 (75) an, daß das Rechtsschutzbedürfnis auch f ü r die Anfechtungsklage erforderlich sei. Die Abwägung z w i schen den beiden eintretenden Wirkungen, Vereitelung des Wechselanspruchs der B a n k u n d Wahrung der Formalien des Ausschlußverfahrens, ergab eine Höherwertigkeit der letzteren: „Es k a n n jeder, dessen Rechtsstellung... durch das Ausschlußurteil berührt w i r d , verlangen, daß die Formerfordernisse gew a h r t sind, die das Gesetz unter Androhung der Anfechtbarkeit vorgeschrieben hat" (BGH L M Nr. 1 zu § 957 ZPO). 160 So die Auffassung des Berufungsgerichts, vgl. RGZ aaO, S. 74. 181 Z u r Frage, ob der Anfechtungsklage nach § 957 I I ein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt, das mißbräuchlich ausgeübt w i r d , vgl. oben E V u n d unten V I I , 5. 182 Die zitierten Urteile zur Anfechtungsklage nach § 957 ZPO räumen m i t einem w e i t verbreiteten I r r t u m der Lehre v o m Rechtsschutzbedürfnis auf. Bei Gestaltungsklagen, so w i r d gelehrt (Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, aaO, S. 52; Baumbach-Lauterbach, aaO, Grundzüge 5 A vor § 253), sei ein Rechtsschutzbedürfnis schon immer deshalb gegeben, w e i l Gestaltung n u r durch U r t e i l möglich sei. Da aber die Anfechtungsklage nach herrschender Meinung (Stein-Jonas-Schönke-Pohle, 18. Aufl., § 957 I I ; Baumbach-Lauterbach, aaO, § 957 A n m . 2 A) zu den Gestaltungsklagen zählt u n d bei anderen noch zu behandelnden Gestaltungsklagen (unten V I I ) das Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls verneint w i r d , ist das genannte Dogma nicht haltbar. Das Rechtsschutzbedürfnis i n seiner F u n k t i o n als unspezifisches Surrogat einer prozessualen Mißbrauchslehre k a n n durchaus fehlen, w i e die genannten Entscheidungen dartun. Vgl. zur Problematik neuerdings Schlosser, aaO, S. 328 ff.

V I . Mißbrauch wegen Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung

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c) Ergebnis. A n f e c h t u n g s k l a g e n nach § 957 Z P O m i t v o l l s t r e c k u n g s v e r z ö g e r n d e r ( R G Z 155, 72) oder a n s p r u c h s v e r e i t e l n d e r Tendenz ( B G H L M N r . 1 z u § 957 Z P O ) s i n d n i c h t schon w e g e n z w e c k e n t f r e m d e t e r A u s ü b u n g des K l a g e r e c h t s m i ß b r ä u c h l i c h u n d deswegen als u n z u l ä s s i g a b zuweisen. Es b e d a r f w e i t e r d e r F e s t s t e l l u n g , ob d e r d u r c h d i e A n f e c h t u n g s k l a g e k o r r i g i e r b a r e M a n g e l des A u f g e b o t s v e r f a h r e n s v o n solcher B e d e u t u n g ist, daß z u m Z w e c k e d e r V e r f a h r e n s k o r r e k t u r d i e V o l l s t r e k k u n g s v e r s c h l e p p u n g oder A n s p r u c h s v e r e i t e l u n g i n K a u f g e n o m m e n w e r d e n m u ß . E r g i b t diese G ü t e r a b w ä g u n g eine G e r i n g e r w e r t i g k e i t d e r V e r f a h r e n s k o r r e k t u r , d a n n ist eine z u d e n g e n a n n t e n Z w e c k e n erhobene Anfechtungsklage mißbräuchlich. 4. A n eine A n w e n d u n g der h i e r e r ö r t e r t e n G r u n d s ä t z e d e r m i ß b r ä u c h l i c h e n A u s ü b u n g prozessualer Befugnisse ist auch i m F a l l e i n e r z u r VoZlstreckungsv er schleppung eingelegten, n i c h t b e g r ü n d e t e n Berufung zu d e n k e n ( R G Z 162, 65): Die K l ä g e r i n w a r i n einem Vorprozeß verurteilt worden, an die Hauseigentümerin, i n deren Haus sie Geschäftsräume gemietet hatte, 3 270,— K r o n e n Mietzins zu zahlen. Der Rechtsanwalt der K l ä g e r i n hatte gegen dieses U r t e i l auftragsgemäß Berufung eingelegt, die sich jedoch als verspätet erwies. Die Zwangsvollstreckung aus dem rechtskräftig gewordenen U r t e i l führte zum zwangsweisen Verkauf des Warenlagers der Klägerin. Dadurch entging i h r das bevorstehende Weihnachtsgeschäft. I h r e n Schaden klagt sie gegen den Rechtsanwalt ein. E r wäre bei rechtzeitiger Berufung nicht entstanden. Auch w e n n das Rechtsmittel nicht begründet gewesen wäre, wäre doch bei rechtzeitiger Einlegung die Zwangsvollstreckung hinausgeschoben worden. Das O L G Leitmeritz hatte die Klage abgewiesen, w e i l ein Rechtsmittel nicht dazu bestimmt sei, „dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, die Erfüllung seiner Verpflichtungen hinauszuziehen u n d dadurch seine Gläubiger zu schädigen" (RGZ aaO, S. 66). Da ein solches Verhalten sogar zum Schadensersatz verpflichte (§ 1295 Abs. 2 ABGB), könne die K l ä g e r i n nicht ihrerseits einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Das R G bestätigte das U r t e i l des OLG, korrigierte aber die Begründung (aaO, S. 67, 68): Schikane liege nicht vor, da die Schädigung der Gegnerin nicht das einzige M o t i v der Berufungseinlegung gewesen sei, sondern (auch) die Absicht vorgelegen habe, sich durch den Vollstreckungsaufschub über Wasser zu halten. Außerdem sei der Schikanebegriff eine dem Prozeßrecht fremde Kategorie. Dennoch sei das U r t e i l des O L G i m Ergebnis richtig, denn es fehle f ü r den Schadensersatzanspruch der K l ä g e r i n am Schaden. Dazu w i r d ausgeführt (aaO, S. 68, 69): „Der Aufschub der Erzwingbarkeit der Schuldnerleistung ist i n solchen Fällen eine durchaus unerwünschte, bei dem an Fristen u n d Termine gebundene Verfahren aber unvermeidliche Folge des stets eine gewisse Zeitdauer i n A n spruch nehmenden gerichtlichen Prozeßbetriebes. E i n berechtigtes Interesse des Schuldners daran, durch Rechtsmitteleinlegung einen Vollstreckungsaufschub f ü r seine fällige Schuld zu erlangen, k a n n nicht anerkannt werden." a) D i e Frage, ob d e r K l ä g e r i n e i n Schadensersatzanspruch gegen i h r e n A n w a l t zusteht, i n t e r e s s i e r t h i e r n i c h t . D i e P r o b l e m a t i k m i ß b r ä u c h l i cher A u s ü b u n g prozessualer Befugnisse b e s c h r ä n k t sich a u f d i e aus-

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

sichtslose Berufung zum Zwecke des Vollstreckungsaufschubs. Da der vom Urteil diskutierte Schikanebegriff versagt 1 6 3 , soll versucht werden, m i t Hilfe des dargelegten Mißbrauchsbegriffs 164 Aufschlüsse darüber zu gewinnen, ob die Berufung mißbräuchlich ist. W i r ermitteln also zunächst den Zweck der Vorschriften über die Berufung, stellen dann den Parteizweck fest und untersuchen, ob er auf ein mißbilligenswertes Ziel gerichtet ist. aa) Die Berufung dient dazu, eine erstinstanzliche Entscheidung i m Interesse der benachteiligten Partei i n tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern. Sie soll also den Parteien eine möglichst richtige Entscheidung garantieren. bb) Kann der Rechtsmittelkläger i n der Berufungsinstanz kein neues Tatsachenmaterial vorbringen und auch die rechtliche Wertung durch die erste Instanz nicht m i t Gründen angreifen, so taucht der Gedanke einer zweckwidrigen Verwendung des Rechtsmittels auf. Der vom Gesetzeszweck verschiedene Parteizweck w i r d i n solchen Fällen regelmäßig auf den Suspensiveffekt des § 705 S. 2 ZPO gerichtet sein, jedenfalls dann, wenn das angefochtene Urteil nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt ist (§§ 708 ff. ZPO). cc) Daß die Hemmungswirkung des § 705 S. 2 ZPO ein zwar notwendiger, aber „durchaus unerwünschter" Erfolg ist, ist dem RG zuzugeben. Es ist sonst die allenthalben feststellbare Tendenz des Gesetzes, der siegreichen Partei möglichst schnell Rechtsschutz zu gewähren. So gesehen ist eine Berufungseinlegung unter den oben genannten Modalitäten zweckentfremdet, auf ein mißbilligenswertes Ziel gerichtet und somit als mißbräuchlich zu kennzeichnen. b) M i t dieser Qualifikation ist jedoch nichts über die prozessuale Behandlung einer mißbräuchlichen Berufung gesagt. Dem Interesse an baldiger Gewährung von Rechtsschutz dient ohne Zweifel eine Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig durch Beschluß, wie sie § 519 b ZPO vorsieht. Dieser Weg ist aber nur gangbar, wenn die zum Vollstreckungsaufschub eingelegte Berufung nicht mit Gründen versehen war i. S. des § 519 ZPO (vgl. § 519 b I ZPO). Das w i r d selten vorkommen, da die Partei wenigstens den Anschein der Begründetheit des Rechtsmittels wahren w i l l , um sich nicht gleich wieder den erstrebten Suspensiveffekt zu verscherzen. Ist die Berufung mit Gründen versehen, so konnte sie bei offensichtlicher Unbegründetheit nach § 6 der dritten Vereinfachungsverordnung durch Beschluß verworfen werden. Nachdem diese Befugnis des Gerichts 163 1β4

Siehe dazu oben I I . Siehe oben I I I .

V I . Mißbrauch wegen Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung

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e n t f a l l e n i s t 1 6 5 , w ä r e eine solche R e a k t i o n a u f eine m i ß b r ä u c h l i c h e B e r u f u n g h i e r r e c h t s w i d r i g 1 0 6 . Es b l e i b t d a h e r n u r i h r e Z u r ü c k w e i s u n g als u n b e g r ü n d e t . Sie i n i r g e n d e i n e r F o r m als u n z u l ä s s i g zu kennzeichnen, u m das M i ß b r ä u c h l i c h e h e r v o r z u h e b e n , besteht k e i n A n l a ß . D e n n o c h ist es bedeutsam, ob eine B e r u f u n g m i ß b r ä u c h l i c h ist. D e n n diese F e s t s t e l l u n g k a n n A u s g a n g s p u n k t f ü r d i e D i s k u s s i o n eines Schadensersatzanspruchs des B e r u f u n g s b e k l a g t e n aus § 826 B G B sein, w e n n i h m d u r c h das R e c h t s m i t t e l e i n Vermögensschaden e n t s t e h t 1 6 7 .

165 Vgl. A r t . 2 Nr. 76; 8 Nr. 21 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 20. 9.1950, BGBl. I, S. 455. ιββ v g l aber oben D V I I , 7 das praeter legem praktizierte Vorprüfungsrecht einer Revision auf ihre offenbare Unbegründetheit, w e n n die E r m i t t lung der Erwachsenheitssumme i n Frage steht. 167

Die vorliegende A r b e i t befaßt sich, w i e eingangs dargelegt, ausschließlich m i t der Frage, welche Reaktion das Gericht auf eine mißbräuchliche Prozeßhandlung i m anhängigen Verfahren zu ergreifen habe. Das Problem einer Schadensersatzpflicht der mißbräuchlich handelnden Partei hängt zwar damit zusammen, ist aber letztlich eine zivilrechtliche Haftungsfrage. Deshalb sollen hier n u r einige Grundzüge aufgezeigt werden. Es handelt sich u m die Frage, ob bei mißbräuchlicher Ausübung prozessualer Befugnisse dem Beklagten unabhängig von einem möglichen Prozeßkostenerstattungsanspruch noch ein Schadensersatzanspruch aus § 826 B G B oder, falls er i n seinen absolut geschützten Rechten verletzt ist, ein solcher aus § 823 I B G B zusteht. Das Problem beschränkt sich aber m. E. nicht n u r auf mißbräuchliche Prozeßhandlungen i n dem engen technischen Sinn, w i e er hier vertreten w i r d . Es erstreckt sich auch auf leichtfertiges Prozessieren, etwa auf unüberlegte Klagen oder unüberlegte Verteidigungsmaßnahmen gegenüber offensichtlich begründeten Ansprüchen usf. Es handelt sich also letzten Endes u m Schadensersatzpflichten der temere l i t i g a n t i u m des römischen Rechts (Dazu oben Β I I , 2). Derartige Überlegungen führen i n der deutschen J u d i k a t u r u n d Lehre ein kümmerliches Dasein. Dafür mögen zwei Gründe maßgebend sein: einmal die gefährliche Nähe dieser Fälle zur verpönten Rechtskraftdurchbrechung mittels des § 826 B G B u n d zum anderen die begründete Sorge, durch ein allzu rigoroses Zulassen von Ersatzansprüchen den v o m Staat gewährten Rechtsschutz zu v e r k ü m m e r n (Vgl. Ferid, „Contempt of Court" i m Z i v i l p r o zeß, Beiträge zum bürgerlichen Recht, Deutsche Landesreferate zum 3. i n t e r nationalen Kongreß f ü r Rechtsvergleichung i n London, 1950, S. 542 [557]). Das Problem der Rechtskraftdurchbrechung spielt indes bei den hier i n t e r essierenden Fällen keine Rolle. Der Schadensersatzanspruch braucht nicht auf das Gegenteil der v o m U r t e i l bejahten oder verneinten Rechtsfolge gestützt zu werden. Ernst zu nehmen ist dagegen das Bedenken, den v o m Staat gewährten Rechtsschutz zu verkümmern. I h n w i r k s a m zu erhalten, erfordert aber nicht den generellen Ausschluß einer Schadensersatzpflicht aus prozessualem Verhalten, sondern n u r das Herausbilden vernünftiger K r i t e r i e n für die Haftungsbegrenzung. Diese Aufgabe hat insbesondere die französische J u d i k a t u r seit langem gemeistert. Das Problem des exercice abusif des voies de droit w i r d nicht p r i m ä r als Zulässigkeitsproblem von Klagen u n d Prozeßhandlungen aufgefaßt, sondern unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes aus art. 1382 cc gesehen. Das restriktive K r i t e r i u m findet man i n einer Einschränkung des Begriffs der faute. M a n verlangt, daß die zum Schadensersatz verpflichtende Prozeßhandlung u n acte de malice ou

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

c) Ergebnis. B e r u f u n g e n u n d andere R e c h t s m i t t e l m i t S u s p e n s i v e f f e k t s i n d m i ß b r ä u c h l i c h , w e n n d e r R e c h t s m i t t e l k l ä g e r n i c h t eine A b ä n d e r u n g d e r angefochtenen E n t s c h e i d u n g e r s t r e b t , s o n d e r n e i n e n A u f s c h u b d e r Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g . K e n n z e i c h e n des M i ß b r a u c h s s i n d (offenbar) u n b e g r ü n d e t e R e c h t s m i t t e l gegen n i c h t f ü r v o r l ä u f i g v o l l s t r e c k b a r e r k l ä r t e Entscheidungen. E i n e besondere prozessuale R e a k t i o n ( V e r w e r f u n g als u n z u l ä s s i g d u r c h Beschluß) findet n i c h t statt. D e r M i ß b r a u c h k a n n aber f ü r eine e v e n t u e l l e S c h a d e n e r s a t z p f l i c h t des R e c h t s m i t t e l k l ä g e r s aus § 826 B G B v o n B e d e u t u n g sein. 5. Insgesamt l ä ß t sich f ü r d i e h i e r u n t e r V I b e h a n d e l t e n F ä l l e f o l g e n des Fazit ziehen: Die Ausübung d u n g z u r ProzeßD i e A n a l y s e der K a s u i s t i k brachte

prozessualer Befugnisse k a n n w e g e n i h r e r V e r w e n oder V o l l s t r e c k u n g s v e r s c h l e p p u n g m i ß b r ä u c h l i c h sein. d i e o b e n A I I aufgestellte K l a u s e l k o n k r e t i s i e r e n d e n folgende Ergebnisse:

a) A b l e h n u n g s g e s u c h e (§§ 42 ff. Z P O ) s i n d m i ß b r ä u c h l i c h u n d u n b e achtlich, w e n n sie o f f e n b a r z u r P r o z e ß v e r s c h l e p p u n g g e s t e l l t w e r d e n (oben Z i f f . 1).

de mauvaise foi oder une erreur grossière équipollente au dol darstelle (Ripert, Encyclopédie Dalloz, aaO, A r t i k e l „Abus de d r o i t " Noten 58 ff.; SolusPerrot, aaO, S. 112ff.; Josserand, aaO, S. 66ff.; Marty -Raynaud, I I , 1 (1962), S. 468, 469; Mazeaud-Tunc, Responsabilité, 5. Aufl. 1957, S. 663 ff. A l l e m i t reichen Nachweisen aus der Judikatur). Diese Einschränkung läuft i m E r gebnis auf eine Anwendung unseres § 826 B G B hinaus, der durch die Erfordernisse der Sittenwidrigkeit u n d des Vorsatzes einer Verkümmerung des Rechtsschutzes vorbeugen kann. Die uneingeschränkte Anwendung des § 823 I bei Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter durch Prozeßhandlungen ist dagegen nicht anzuraten. M a n k a n n nicht den Kläger, der die Unbegründetheit seiner Klage bei einiger Sorgfalt hätte voraussehen können, zum Ersatz der Schäden verpflichten, die dem Gegner an seinem Eigentum oder Gewerbebetrieb entstanden sind. Die deutsche J u d i k a t u r (BGHZ 20, 169; 36, 18) ist einem solchen Versuch entgegengetreten. M a n k a n n aber zweifeln, ob es nötig war, die Schadensersatzpflicht aus § 823 B G B gänzlich auszuschließen, w i e es der B G H (36,18 [21]) t u t : „ W e r sich zum Vorgehen gegen seinen Schuldner eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten u n d geregelten Verfahrens bedient, greift auch dann nicht unmittelbar u n d rechtswidrig i n den geschützten Rechtskreis des Schuldners ein, wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist u n d dem anderen Teil aus dem Verfahren Nachteile erwachsen." Demgegenüber ist m i t Baur (JZ 1962, 95 [96]), der sich gegen dieses U r t e i l wendet, festzustellen, „daß das Problem der Adäquanz u n d die E n t wicklung sinnvoller K r i t e r i e n f ü r die aufzuwendende Sorgfalt hier eine besondere Rolle spielen". Die Rspr. scheint sich i n diese von Baur geforderte Richtung zu bewegen (Vgl. B G H Z 38, 200 [206, 207]). Vgl. i m übrigen zum Problem des Schadensersatzes aus prozessualem Verhalten meinen Aufsatz i n N J W 1967, 703.

VII. Mißbrauch wegen Bereicherungsabsicht

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b) Aussetzungsanträge nach § 620 ZPO sind mißbräuchlich, wenn eine Partei nicht der Aussöhnung wegen den Prozeß verzögern w i l l (oben Ziff. 2). c) Anfechtungsklagen nach § 957 ZPO, die zum Zwecke der Vollstrekkungsverzögerung oder Anspruchsvereitelung erhoben werden, sind mißbräuchlich, wenn der durch die Klage korrigierbare Verfahrensmangel nicht so bedeutsam ist, daß um seiner Korrektur w i l l e n die mißbilligenswerten Parteizwecke i n Kauf zu nehmen sind (oben Ziff. 3). d) Rechtsmittel m i t Suspensiveffekt sind mißbräuchlich, wenn m i t ihnen nicht eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung, sondern eine VollstreckungsVerzögerung bezweckt ist. Sie sind jedoch wegen Mißbrauchs nicht als unzulässig zu verwerfen (oben Ziff. 4).

V I I . Mißbrauch wegen Ausübung prozessualer Befugnisse zur Erlangung ungerechtfertigter Vermögensvorteile 1. Andere Fälle prozessualen Mißbrauchs sind gekennzeichnet durch Ausübung prozessualer Befugnisse zur Erlangung ungerechtfertigter Vorteile. Dazu ein Beispiel 1 6 8 : Der Kläger greift m i t der Anfechtungsklage einen Hauptversammlungsbeschluß der beklagten Aktiengesellschaft an, w e i l er unter Verletzung gesetzlicher Stimmrechtsverbote zustande gekommen sei. Das R G (aaO, 394 bis 396) bejaht den Gesetzesverstoß, spricht aber trotzdem nicht die Nichtigkeit des Beschlusses aus, „ w e i l der von der Beklagten erhobene Einwand, daß sich die Ausübung des Anfechtungsrechts durch den Kläger nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles als eine unzulässige Rechtsausübung, als ein Rechtsmißbrauch darstelle, bisher keine ausreichende W ü r d i gung gefunden hat". Die Beklagte hat vorgebracht, der Kläger sei ein gewerbsmäßiger Opponent. Sein Widerstand diene nur dem Zweck, die A k t i e n einer bestimmten Gruppe an sich zu bringen u n d seine Berufung i n den V o r stand oder wenigstens die Ausschüttung einer höheren Dividende zu erzwingen. Das R G betont, daß die Anfechtungsklage zwar nicht den Nachweis eines Rechtsschutzinteresses erfordere, daß sie dem Kläger aber n u r eingeräumt sei, „zur Wahrung der Ordnung gegen Beschlüsse der Aktiengesellschaft, die m i t Gesetz oder Satzung nicht i n Einklang stehen . . . Ü b t ein A k t i o n ä r das i h m an sich . . . zustehende Anfechtungsrecht zu dem Zweck aus, u m selbstsüchtig der Gesellschaft seinen W i l l e n erpresserisch aufzuzwingen, also zu gesellschaftsfremden Zwecken, dann liegt darin eine so gröbliche Verletzung der Treupflicht, daß sich die Ausübung des Rechts als ein Rechtsmißbrauch darstellt, der von der Rechtsordnung nicht geduldet werden kann".

2. Dieser Fall ist i n mehrfacher Hinsicht von Interesse. Zunächst einmal dient er der Bestätigung der oben I I I vertretenen Ansicht, daß der institutionelle Mißbrauch durch zweckentfremdete Ausübung einer Be168

RGZ 146, 385.

ISO

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

fugnis gekennzeichnet ist (dazu unten Ziff. 3). Die Rechtsprechung zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage gibt ferner Gelegenheit, den Zweckwandel von Befugnissen 169 darzulegen (dazu unten Ziff. 4). Außerdem gibt sie Anlaß, noch einmal auf die Frage einzugehen 170 , ob und wann Gestaltungsklagen kein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt, sich der Mißbrauch also auf eine prozessuale Befugnis bezieht (unten Ziff. 5). 3. Die Kriterien des Mißbrauchs werden klar entwickelt. Die Anfechtungsklage dient der Kontrolle von Beschlüssen auf ihre Rechtmäßigkeit. Gesellschaftsfremd und den Verdacht des Mißbrauchs begründend ist die Ausübung des Anfechtungsrechts zu anderen Zwecken. Sind diese Zwecke verwerflich, weil der Kläger keinen Anspruch auf die erstrebten Vorteile hat, so ist Mißbrauch gegeben, wenn — das RG w i r d wenigstens implicite diese Wertung vorgenommen haben — der mit der A n fechtungsklage gerügte Gesetzesverstoß nicht von solcher Bedeutung ist, daß u m seiner Korrektur willen die gesellschaftsfremden Zwecke des Klägers i n Kauf zu nehmen sind 1 7 1 . Für den Mißbrauch der Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. A k t G sind m i t h i n die gleichen Merkmale maßgebend, wie für den Mißbrauch der Anfechtungsklage nach § 957 I I ZPO 1 7 2 . 4. Die für eine bestimmte Zeit angemessene Zweckbestimmung des mißbrauchten Rechts und die einmal vorgenommene Güterabwägung sind nicht für alle Zeiten verbindlich. Rechte und Befugnisse sind einem Zweckwandel unterworfen. Eine veränderte Einstellung zum Verhältnis Aktionär — Gesellschaft kann die Bedeutung von Aktionärsrechten beeinflussen 173 . Gerade die Rechtsprechung des B G H zur mißbräuchlichen Anfechtungsklage ist hierfür ein Beleg 1 7 4 : „Das Berufungsgericht hat unterstellt, daß der Kläger . . . i n Aussicht gestellt habe, er werde der Beklagten durch die Erhebung von Anfechtungsklagen Kosten machen, die die Differenz zwischen dem von i h m verlangten 169

Dazu schon oben I I I , 2 a. Dazu schon oben E V. 171 Bei gewissen Fällen k a n n m a n jedoch die begehrte Gestaltung aussprechen, also dem Gesetzeszweck Rechnung tragen, u n d dennoch den Kläger u m die Früchte seines mißbräuchlichen Handelns bringen: I n RGZ 101, 235 hatte der Patentnichtigkeitskläger dem beklagten Lizenzgeber gegenüber vertraglich bestimmte Verpflichtungen übernommen, die entfallen sollten, w e n n das überlassene Patent f ü r nichtig erklärt werden sollte. Nachdem der Kläger lange Zeit sich vertragswidrig verhalten u n d ersatzpflichtig gemacht hatte, erhebt er m i t Erfolg Nichtigkeitsklage u n d beruft sich n u n auf die fragliche Vertragsklausel. H i e r genügt es, die Vertragsbestimmung einschränkend auszulegen oder die Berufung auf den Vertrag als venire contra factum prop r i u m abzutun. 172 Siehe dazu oben V I , 3. 173 Z u r Stärkung der Minderheitenrechte als K a r d i n a l p u n k t der A k t i e n rechtsreform vgl. C. E. Fischer, Minderheiten-Vertreter i m Aufsichtsrat, N J W 1958, 1265. 174 B G H B B 1962, 426. 170

V I I . Mißbrauch wegen Bereicherungsabsicht

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u n d dem i h m angebotenen Preis überstiegen . . . Auch habe er erklärt, die Beklagte werde Ruhe haben, w e n n sie i h m den entsprechenden Kaufpreis zahle. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, auch w e n n der Kläger sich so verhalten habe, w i e die Beklagte vorgetragen habe, stelle die Anfechtungsklage keinen Rechtsmißbrauch dar. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsi r r t u m erkennen. Der Kläger hat das Anfechtungsrecht nicht ausgeübt, u m der Beklagten selbstsüchtig u n d erpresserisch seinen W i l l e n aufzuzwingen u n d hierdurch unberechtigte Vorteile zu erzielen (RGZ 146, 385, 395 bis 3 9 7 ) . . . Dem Kläger k a n n bei dieser Sachlage kein V o r w u r f gemacht werden, daß er seine Interessen i n der unterstellten A r t vertrat. E r durfte die Anfechtungsklage erheben u n d die Erhebung dieser Klage auch unter Hinweis auf die dadurch entstehenden Kosten androhen, um Vorteile zu erlangen, die er für vertretbar hielt und für vertretbar halten durfte. Das Berufungsgericht hat m i t Recht ausgeführt, eine Auffassung, die i m Verhalten des Klägers einen Rechtsmißbrauch sähe, w ü r d e dazu führen, dem Kleinaktionär eine der wenigen Waffen, die ihm das Aktiengesetz zur Verfügung gestellt habe und die er zur Erhaltung und Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage einsetzen könne, aus der H a n d zu nehmen 1 7 5 ." F ü r unser A n l i e g e n ist a n d e r gebotenen Rechtsprechung d e r Z w e c k w a n d e l d e r A n f e c h t u n g s k l a g e v o n B e d e u t u n g 1 7 6 . E r l ä ß t sich d u r c h e i n e n V e r g l e i c h der eingangs z i t i e r t e n E n t s c h e i d u n g des R G ( R G Z 146, 385) m i t B G H B B 1962, 426 belegen. I m R G - U r t e i l w a r der Z w e c k der A n f e c h t u n g s k l a g e d a h i n d e f i n i e r t w o r d e n , daß sie d e m K l ä g e r z u r W a h r u n g d e r O r d n u n g e i n g e r ä u m t sei. H i e r steht das e i g e n n ü t z i g e P a r t e i i n t e r e s s e a n d e r K l a g e n i c h t i m V o r d e r g r u n d . A n d e r s i n B G H B B 1962, 426, w o d i e A n f e c h t u n g s k l a g e als eine d e r w e n i g e n W a f f e n 1 7 7 bezeichnet w i r d , d i e d e m A k t i o n ä r z u r V e r b e s s e r u n g seiner w i r t s c h a f t l i c h e n L a g e zustehen. H i e r zeigt sich eine P a r a l l e l e z u r K o m m e r z i a l i s i e r u n g v o n P e r s ö n l i c h keitsrechten. P e r s ö n l i c h k e i t s g e b u n d e n e Rechtsgüter h a b e n h e u t e i h r e n 175 Vgl. auch B G H Z 36, 121 [138, 139]. Dazu die eingehende Besprechung von Peter Deuss, Das Auskunftsrecht des Aktionärs, aaO, S. 348 ff., insbes. S. 354 ff. 176 Die Bedenken, die sich daraus ergeben, daß die Rspr. die Einstellung des Klägers über die Vertretbarkeit seiner Forderungen als entscheidend f ü r den Mißbrauch ansieht, sollen nicht erörtert werden. Hinzuweisen bleibt nur auf folgendes: Je dümmer u n d unverschämter ein A k t i o n ä r ist, desto seltener ist seine Anfechtungsklage mißbräuchlich. 177 Vgl. dazu Deuss, aaO, 132, 133: „Einige Beispiele aus den tatsächlichen Vorgängen auf den Hauptversammlungen unserer Aktiengesellschaften erweisen nämlich, daß die Anfechtungsklage „ v o n einer manchmal erstaunlichen effektiven W i r k u n g " sein u n d i n den Händen des Aktionärs aus tatsächlichen Gründen eine scharfe Waffe darstellen kann. Freilich w i r d sich zeigen, daß der Anfechtungsklage diese Gefährlichkeit n u r dann innewohnt, w e n n sie von den Aktionären i n einer Weise gehandhabt w i r d , die k a u m der ursprünglich i h r v o m Gesetzgeber beigelegten ratio entsprechen dürfte . . . Nach seiner derzeitigen Ausgestaltung birgt aber das Instrument der Anfechtungsklage die Möglichkeit i n sich, von querulierenden, eigensüchtigen Aktionären als D r u c k m i t t e l gegen die Vorstände aus Motiven angewandt zu werden, die m i t einer sachlich ausgerichteten Ausübung der gesetzlich anerkannten Aktionärsrechte wenig gemein haben."

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Geldwert; auch die als Rechtmäßigkeitskontrolle gedachte Anfechtungsklage kann (erlaubterweise nach Ansicht des BGH) als eigennütziges Druckmittel verwendet werden. Ohne hier auf das Verhältnis von Recht und Sittlichkeit eingehen zu wollen, kann man feststellen, daß kodifizierte Rechtsnormen das Schicksal ethischer Normen teilen. Die mit einer gesetzlichen Befugnis zulässigerweise erreichbaren Ziele können sich i m Laufe der Zeit ebenso ändern, wie das Urteil über das, was gut oder böse, lobens- oder tadelnswert ist 1 7 8 . Heute ist sicher eine Höherbewertung materieller Interessen i n Rechnung zu stellen: auch Befugnisse, die ursprünglich u m ideeller Werte willen geschaffen worden sind, können heutigentags einen Geldwert haben. Die Koppelung ideeller und materieller Interessen hat weniger als vor etwa fünfzig Jahren den Charakter des Anstößigen. Daß der B G H die aktienrechtliche Anfechtungsklage zu eigennützigen Zwecken zuläßt, beruht auf dieser Wertverschiebung. Nicht dafür verantwortlich ist die Ansicht, die Korrektur der gerügten Formfehler sei so wichtig, daß man um dieser Korrektur willen auch die Verfolgung egoistischer materieller Ziele dulden müsse. Die heutige Zeit steht einer Beachtung von Formalien nämlich nicht sehr aufgeschlossen gegenüber 1 7 9 , wie deren häufiges Überspieltwerden mit Hilfe des § 242 BGB zeigt. Nicht ein höher bewertetes Interesse an der Einhaltung von Formvorschriften und an der Ahndung von Verstößen gegen sie schließt also den Mißbrauch bei den genannten aktienrechtlichen Anfechtungsklagen aus, sondern allein eine veränderte Einstellung gegenüber der Wahrnehmung materieller Interessen: eine Sanktionierung des Gewinnstrebens m i t früher unüblichen Mitteln. Ist bei Ermittlung des Mißbrauchs eine Abwägung von Gesetzeszweck und Parteizweck erforderlich, so ist nach alledem eine einmal getroffene Wertrelation nicht stets verbindlich. 5. Das zitierte Urteil des RG w i r f t wiederum das Problem auf, ob der Mißbrauch sich auf eine prozessuale Befugnis oder ein materielles Gestaltungsrecht bezieht. Es handelt sich auch hier wieder u m die Frage, ob Anfechtungsklagen ein materielles Gestaltungsrecht zugrundeliegt oder ein Recht gegen den Staat, bei Vorliegen der prozessualen Voraussetzungen und des Anfechtungsgrundes (§ 243 AktG) die begehrte Gestaltung auszusprechen (Rechtsschutzanspruch). Dieses Problem interessierte uns schon oben E V beim venire contra factum proprium. Dort konnte gezeigt werden, daß bei Gestaltungsklagen, m i t denen i m öffentlichen Interesse die Rechtmäßigkeitskontrolle eines Zustands begehrt 178 179

Scheuerle, Rechtsanwendung, aaO, S. 122. Gernhuber, Festschrift f ü r Schmidt-Rimpler, aaO, S. 169, 170.

VIII. Mißbrauch wegen Ausschaltung spezieller prozessualer Verbote 193 wird, kein materielles Gestaltungsrecht besteht. Diese Voraussetzungen liegen bei der hier behandelten aktienrechtlichen Anfechtungsklage vor. Damit ist ihre Zugehörigkeit zur gegenwärtigen Problematik prozessualen Mißbrauchs dargelegt. 6. Ergebnis. Eine Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. AktG, die keine Rechtmäßigkeitskontrolle bezweckt, sondern Vorteile, auf die der Kläger keinen Anspruch h a t 1 8 0 oder die er für unvertretbar halten mußte 1 8 1 , stellt einen Fall prozessualen Mißbrauchs dar, wenn der gerügte Gesetzes» oder Satzungsverstoß nicht von solcher Bedeutung ist, daß um seiner Korrektur willen der mißbilligenswerte Parteizweck i n Kauf zu nehmen ist.

V n i . Mißbrauch wegen Ausübung prozessualer Befugnisse zur Ausschaltung spezieller Verbote Eine Prozeßhandlung kann nicht nur dann mißbräuchlich sein, wenn sie trotz ihrer „formalen" Zulässigkeit gegen generelle Verbote, wie das der Prozeß- oder Vollstreckungsverschleppung 182 oder der ungerechtfertigten Bereicherung 183 , verstößt. Auch ein Verstoß gegen spezielle prozessuale Verbote kann den Mißbrauch begründen. E i n derartiges mißbräuchliches Verhalten soll am Verbot des § 99 I ZPO (Verbot einer isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung; dazu unten Ziff. 1) u n d am Verbot des § 325 I ZPO (Unzulässigkeit des Wiederaufrollens einer res iudicata) gezeigt werden (dazu unten Ziff. 2).

1. Rechtsmittel zur „Umgehung" des § 99 I ZPO

a) Die Berufung wegen eines geringen Teilbetrages legt den Verdacht nahe, i n Wirklichkeit eine unzulässige Anfechtung der Kostenentscheidung zu erstreben. So hat das K G 1 8 4 die Berufung eines Klägers, der i n erster Instanz 8 000,— M a r k eingeklagt u n d bis auf einen Betrag von 950,— obgesiegt hatte, f ü r unzulässig gehalten. Dem Rechtsmittelkläger komme es lediglich auf eine Anfechtung der Kostenentscheidung an, welche die Kosten für gegeneinander aufgehoben erklärt hatte. Den abgewiesenen Kapitalanspruch i n Höhe von 950,— M a r k wolle er nicht ernstlich geltend machen. „ A u c h die D ü r f t i g k e i t dessen, was er gegen die Abweisung der 950,— M a r k vorbringe, beweise, daß 180 181 182 183 184

RGZ 146, 385 (394—397). B G H Z 36, 121 (138, 139) u n d B G H B B 1962, 426. Dazu oben V I . Dazu oben V I I . Vgl. dazu RGZ 102, 290 (291).

13 Zeiss

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

es i h m auf diesen P u n k t i n W i r k l i c h k e i t nicht ankomme 1 8 5 ." Das R G hob das U r t e i l des K G auf u n d erklärte die Berufung f ü r zulässig 1 8 6 : „ D i e angefochtene Entscheidung ist aus dem Bestreben entsprungen, U m gehungen des § 99 I ZPO entgegenzutreten, k a n n aber nicht gebilligt werden. Der v o m Vorderrichter angeführte Fall, daß jemand Berufung zur H a u p t sache nur wegen einer Mark einlegt, i m übrigen eine andere Kostenverteilung beantragt u n d eine nähere Begründung der Berufung zur Hauptsache auf Befragen ablehnt, liegt ganz anders. Hier ist der Wille, das U r t e i l n u r wegen des Kostenpunkts zu bekämpfen, gleichsam mit den Händen zu greifen; es ist schlechthin ausgeschlossen, daß ein solcher Rechtsmittelkläger an dem zur Hauptsache gestellten A n t r a g u m seiner selbst w i l l e n ein verständiges schutzwürdiges Interesse hätte. Anders wenn, w i e i m vorliegenden Fall, ein A n t r a g gestellt w i r d , an dem eine Partei sehr w o h l ein Interesse haben kann, u n d n u r der Verdacht auftaucht, daß gerade diese bestimmte Partei nach der k o n kreten Gestaltung der Umstände i n Wahrheit nicht daran interessiert sei . . . Wäre es gestattet, daß das Rechtsmittelgericht die inneren Gedanken und Motive des Rechtsmittelklägers untersuchte, u m zu ermitteln, ob er es m i t dem A n t r a g zur Hauptsache ernst meine, so wäre die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels, die doch vor allem k l a r sein muß, auf eine schwankende und unsichere Grundlage gestellt. Solche Seelenforschung darf der Richter nicht treiben."

b) Der Fall gehört zur gegenwärtigen Problematik prozessualen Mißbrauchs. Wir haben also Gesetzeszweck, divergierenden Parteizweck und dessen Mißbilligung zu ermitteln. Rechtsmittel dienen der Nachprüfung der Entscheidung einer unteren Instanz. Es darf aber nicht ausschließlich eine Korrektur der Kostenentscheidung begehrt werden (§ 99 I ZPO). Zweck dieser Norm ist es, „die Rechtsmittel wegen der Kosten einzuschränken und zu verhüten, daß die höhere Instanz die Hauptsache nur wegen der Kostenentscheidung nachprüfen muß" 1 8 7 . Die Frage, ob ein Rechtsmittelkläger von Berufung oder Revision mißbräuchlich Gebrauch macht, wenn es i h m trotz seiner Bitte, die Entscheidung auch i n der Hauptsache nachzuprüfen, lediglich um die Anfechtung der Kostenentscheidung zu t u n ist, kann also bejaht werden. Sein vom Gesetzeszweck abweichender Parteizweck ist mißbilligenswert, wie sich aus § 99 I ZPO ergibt. c) Dennoch ist dem Urteil des RG i m Ergebnis zuzustimmen 188 . Ob Mißbrauch gegeben ist, kann i m vorliegenden Fall nur durch Ermittlung der Intentionen des Rechtsmittelklägers festgestellt werden. Denn ob er ein Rechtsmittel wegen der Hauptsache oder wegen der Kosten einlegt, läßt sich nur nach seinem Zweckstreben entscheiden. Objektive Kriterien, wie 185

RGZ aaO. RGZ 102, 291/292. 187 Baumbach-Lauterbach, aaO, § 99 1 A. 188 K r i t i k fordert lediglich das Argumentieren m i t dem nicht ernst gemeinten A n t r a g heraus. Vgl. dazu oben V I , 1 c. 186

VIII. Mißbrauch wegen Ausschaltung spezieller prozessualer Verbote 195 etwa Rechtsmittel wegen eines geringen Teils der Beschwer, legen zwar den Verdacht des Mißbrauchs nahe. I h m nachzugehen ist aber eine unsichere Angelegenheit, welche die Zulässigkeit eines Rechtsmittels i n der Tat auf eine schwankende Grundlage stellt. Es ist daher ein Mißbrauch der prozessualen Befugnis aus Gründen der Prozeßökonomie zuzulassen. d) Für andere Fälle gilt dieses Ergebnis jedoch nicht. Untersuchen w i r einen Tatbestand, für den auch die zitierte RG-Entscheidung 189 eine Ausnahme zulassen wollte, also einen Fall, i n dem der mißbilligenswerte Parteizweck „gleichsam m i t den Händen zu greifen und es schlechthin ausgeschlossen ist, daß der Rechtsmittelkläger an dem zur Hauptsache gestellten Antrag u m seiner selbst willen ein verständiges, schutzwürdiges Interesse hat": Die Klägerin hat i n erster Instanz beantragt, ihre Ehe m i t dem Beklagten f ü r nichtig zu erklären. Er lebe i n gültiger Ehe m i t einer anderen Frau. Der Beklagte hat Widerklage erhoben u n d seinerseits beantragt, die Ehe m i t der K l ä g e r i n für nichtig zu erklären. Die K l ä g e r i n hat daraufhin den A n t r a g gestellt, die Widerklage abzuweisen. Das L G hat die Ehe der Parteien auf Klage u n d Widerklage f ü r nichtig erklärt u n d die Kosten gegeneinander aufgehoben. Die K l ä g e r i n legt n u n Berufung ein u n d beantragt, die Ehe n u r auf die Klage f ü r nichtig zu erklären u n d die Widerklage abzuweisen. Es ist klar, daß bei Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes der Doppelehe (§ 20 EheG) Klage u n d Widerklage Erfolg haben müssen, da beide auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützt u n d beide Ehegatten klagebefugt sind (§ 24 EheG). Der i n der Berufungsinstanz wiederholte Antrag, die Widerklage abzuweisen, ist daher offensichtlich unbegründet. Das O L G S t u t t g a r t 1 9 0 f ü h r t dazu aus: „Allerdings handelt es sich dabei u m einen offensichtlich unbegründeten Antrag, u n d es besteht deshalb der V e r dacht, daß es der K l ä g e r i n lediglich u m eine Änderung der Kostenentscheidung zu t u n ist u n d der Sachantrag n u r gestellt wurde, u m die Bestimmung des § 99 I ZPO zu umgehen. Wie jedoch schon das R G i n RGZ 102, 290 u n d H R R 1932 Nr. 1239 ausgeführt hat, ist es nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, die inneren Gedanken u n d Motive des Rechtsmittelklägers zu untersuchen, u m zu ermitteln, ob er es m i t dem A n t r a g zur Hauptsache ernst meint oder nicht."

Das Urteil ist nicht zu billigen. Es ist ausgeschlossen, daß die Klägerin m i t ihrem Rechtsmittel etwas anderes erreichen w i l l , als eine Änderung der Kostenentscheidung. Ihr Interesse kann nicht auf die Abweisung der Nichtigkeitsklage gerichtet sein, weil Klage und Widerklage i m vorliegenden Fall nur zusammen begründet oder unbegründet sein können. Seelenforschung oder Ermittlung von Gedanken und Motiven der Rechtsmittelklägerin war nicht nötig. I h r Antrag zur Hauptsache war offensichtlich unbegründet. 189 190

13·

RGZ 102, 290. J Z 1955, 752.

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G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

e) Ergebnis. Offensichtlich unbegründete Rechtsmittel, die lediglich zwecks Ä n d e r u n g d e r K o s t e n e n t s c h e i d u n g eingelegt w e r d e n , s i n d w e g e n M i ß b r a u c h s als u n z u l ä s s i g z u v e r w e r f e n .

2. Mißbrauch der Popularklagebefugnis zur „Umgehung" der SS 325 ff. Z P O a) I s t e i n e i n g e k l a g t e r A n s p r u c h r e c h t s k r ä f t i g abgewiesen, so s t e h t auch d e m Zessionar, w e n n dieser e r n e u t k l a g e n sollte, d i e E i n r e d e d e r R e c h t s k r a f t entgegen. E r i s t Rechtsnachfolger i m S i n n e des § 325 I Z P O . E i n e A b t r e t u n g des K l a g e a n s p r u c h s ist also n i c h t geeignet, d e n a b g e w i e senen A n s p r u c h e r n e u t p r ü f e n z u lassen. Es h a n d e l t sich n i c h t u m i n s t i t u t i o n e l l e n M i ß b r a u c h , da d e m Zessionar schon d e r Schein der L e g i t i m a t i o n f e h l t . A n d e r s dagegen b e i P o p u l a r k l a g e b e f u g n i s s e n , w o d e r K l a g e k e i n materieller Anspruch zugrundeliegt 191 u n d „ f o r m a l " jedermann den B e k l a g t e n m i t g l e i c h e m A n t r a g u n d gleicher B e g r ü n d u n g e r n e u t v o r G e r i c h t b r i n g e n k a n n . H i e r besteht d i e M ö g l i c h k e i t , j e m a n d e n als „ S t r o h m a n n " v o r z u s c h i e b e n 1 9 2 , u m d i e r e c h t s k r ä f t i g abgewiesene K l a g e i m I n teresse des ersten K l ä g e r s z u w i e d e r h o l e n . U n t e r s u c h e n w i r a m B e i s p i e l e i n e r P a t e n t n i c h t i g k e i t s k l a g e 1 9 3 das M i ß b r ä u c h l i c h e dieses V e r h a l t e n s : Der erste Nichtigkeitskläger w a r rechtskräftig abgewiesen worden. Der zweite Nichtigkeitskläger, der das Patent aus demselben Nichtigkeitsgrund angreift, w a r Angestellter des ersten Klägers gewesen. Er hatte schon f ü r die erste Klage das Material gesammelt, die Schriftsätze ausgearbeitet u n d die Prozeßbevollmächtigten des ersten Klägers instruiert. Das R G wies die zweite Nichtigkeitsklage ab. Z w a r w i r k e das klageabweisende Nichtigkeitsu r t e i l Rechtskraft n u r unter den Parteien u n d ihren Rechtsnachfolgern. Die Einrede der Rechtskraft greife aber durch, wenn der neue Kläger bloß eine vorgeschobene Person sei, hinter der als eigentliche Prozeßpartei der frühere Kläger stehe. Das sei ein das öffentliche Interesse nicht fördernder, sondern störender Mißbrauch des Klagerechts 194.

191

Dazu oben E V.

192

Dieses „Vorschieben" erinnert an die Gesetzesumgehung, w e i l statt des offenen Zuwiderhandelns gegen ein Verbot m i t Hilfe eines Schleichwegs ein ungünstiger Rechtssatz gleichsam heimlich vermieden werden soll. Es fehlt jedoch an einer Umgehungshandlung, die als einziges K r i t e r i u m die Abgrenzung der Gesetzesumgehung v o m institutionellen Mißbrauch gestattet (dazu oben D V). Denn nicht durch eine Umgehungshandlung w i r d der Schein der Klagebefugnis des zweiten Klägers geschaffen. E r k a n n auch ohne rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Umgehungshandlungen sua sponte die Nichtigkeitsklage erheben. So z. B. (dazu RGZ 59, 133), wenn ein Rechtsanwalt, der die Berufung gegen die ablehnende Entscheidung des Patentamtes versäumt hat, i m eigenen Namen die Nichtigkeitsklage erhebt, u m dem Regreß seines Mandanten zu entgehen. 193 194

RGZ 59, 133.

Zustimmend Benkard, Patentgesetz, aaO, § 13 Anm. 19 u n d 43, der hier v o m Vorschieben eines Strohmannes spricht.

VIII. Mißbrauch wegen Ausschaltung spezieller prozessualer Verbote 197 b) Für die Frage, ob institutioneller Mißbrauch der Popularklagebefugnis vorliegt, ist wieder die Divergenz von Gesetzeszweck und Parteizweck und die Mißbilligung des letzten maßgebend. Die Patentnichtigkeitsklage soll als Popularklage gewährleisten, daß jedermann i m öffentlichen Interesse 195 die Überprüfung eines erteilten Patents auf seine Rechtmäßigkeit verlangen kann (Gesetzeszweck) 196. Dieses öffentliche Interesse geht aber nicht soweit, einem abgewiesenen Kläger stets von neuem die Nichtigkeitsklage aus dem gleichen Nichtigkeitsgrunde zu gestatten. Dem öffentlichen Interesse an der Patentvernichtung ist Genüge getan, wenn man dem abweisenden Urteil Rechtskraft inter partes beilegt 1 9 7 . Jeder Dritte kann dann, ohne dem Einwand der res iudicata zu unterliegen, die Sache erneut aufgreifen. Aber seine Stellung als Dritter ist davon abhängig, daß er die Vernichtung des Patents nicht für den abgewiesenen ersten Kläger betreibt. Die neue Klage darf m. a. W. nicht Wiederholung der ersten durch ein nur „formal" anderes Prozeßsubjekt sein 1 9 8 . Ist das der Fall, so t r i t t das Interesse der Allgemeinheit an der Kontrolle des Patents hinter dem Prinzip der res iudicata zurück. Anzeichen für eine solche Situation ist neben Identität der Klagegründe mangelndes Eigeninteresse des zweiten Klägers gerade an der Vernichtung des Patents. Freilich erstrebt er diese. Aber sie ist nur das Mittel, um zur Erreichung persönlicher Vorteile das rechtskräftig verneinte Interesse des ersten Klägers erneut gerichtlich durchzusetzen (Parteizweck). 195 Die Bedeutung des öffentlichen Interesses an der Überprüfung des Patents auf seine Rechtmäßigkeit ist allerdings nicht zu hoch zu veranschlagen. M a n hält nämlich die Verpflichtung, ein Patent nicht m i t der Nichtigkeitsklage anzugreifen, f ü r w i r k s a m (Nichtangriffsabrede) u n d weist eine vereinbarungswidrig erhobene Nichtigkeitsklage ab, mögen auch öffentliche I n t e r essen dadurch unberücksichtigt bleiben (vgl. dazu B G H Z 10, 22 [24]). Näheres zur Nichtangriffsabrede oben E I I u n d I I I . 198 A m Beispiel der durch einen „Strohmann" erhobenen Patentnichtigkeitsklage läßt sich darlegen, daß der institutionelle Mißbrauch sich nicht n u r aus Sinn u n d Zweck des Gesetzes (Gesetzesauslegung) ergibt, sondern auch aus Sinn u n d Zweck eines Vertrages (Vertragsauslegung) folgen kann. Benkard (aaO, § 13 Anm. 19) bringt das Beispiel, daß jemand, der durch eine Nichtangriffsabrede (dazu Benkard, aaO, § 13 A n m . 20 u n d oben E I I I ) an der Klage gehindert ist, einen D r i t t e n vorschiebt. Ob der Beklagte auch diesem gegenüber m i t der exceptio doli oder exceptio pacti durchdringt, ist abhängig von der Aufdeckung des Verhältnisses von H i n t e r m a n n u n d „Strohmann" u n d von der Frage, ob die Nichtangriffsabrede nach ihrem Sinn u n d Zweck sich auch auf einen solchen F a l l bezieht. Hier f ü h r t also nicht die Gesetzesauslegung, sondern die Vertragsauslegung zum Ziel. 197 Vgl. dazu RGZ 170, 346 (355, 356). 198 Vgl. dazu B G H L M Nr. 10 zu § 13 I UWG, wo bei Klagen mehrerer V e r bände zur Förderung gewerblicher Interessen i m Sinne des § 13 U W G wegen desselben Wettbewerbsverstoßes dieser Gedanke bei der Rechtshängigkeit auftaucht. RGZ 120, 47 (50) erwägt A b h i l f e mittels des Schikanebegriffs bei Wiederholung des bereits abgewiesenen Interesses der ersten Klage.

198

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Die Mißbilligung

des Parteizwecks ergibt sich aus § 325 ZPO.

c) Auch bei diesem Fall institutionellen Mißbrauchs kommen subjektive Momente ins Spiel. § 325 I ZPO entscheidet m i t der Anknüpfung an die Parteiidentität i m Vor- und Nachprozeß nach einem praktikablen, weil leicht nachprüfbaren Kriterium. Möglicher Mißbrauch w i r d durch Ausschluß des Rechtsnachfolgers vom Klagerecht verhindert. Mißbrauch der Popularklagebefugnis durch Vorschieben eines Strohmannes kann aber nicht durch objektive Merkmale, wie Parteiidentität oder Rechtsnachfolge, bestimmt werden. Es bedarf subjektiver Kriterien, wie sie das zitierte Urteil aufstellt. Man muß also die vom zweiten Kläger verfolgten Zwecke untersuchen. Unbekannt ist dieses Verfahren dem Prozeßrecht nicht. Die Zulässigkeit gewillkürter Prozeßstandschaft bei eigenem berechtigten Interesse des Klägers ist sachlich nichts anderes 199 . d) Von untergeordneter Bedeutung ist, ob man die Nichtigkeitsklage wegen Mißbrauchs, mangels Rechtsschutzbedürfnisses oder, wie es dasRG (RGZ 59,133) getan hat, wegen desEinwands der res iudicata zurückweist. Das letztere bedeutet eine analoge Anwendung des § 325 ZPO auf den vorliegenden Fall und beweist wieder die Verwandtschaft von institutionellem Mißbrauch und Gesetzesauslegung 200 . e) Ergebnis. Die als Popularklage ausgestaltete Patentnichtigkeitsklage ist mißbräuchlich, wenn der Kläger als Strohmann eines anderen handelt, der wegen des Einwands der res iudicata nicht nochmals klagen könnte.

I X . Mißbrauch der Ehenichtigkeitsklage 1. Während man bei gewissen, i m öffentlichen Interesse liegenden Klagebefugnissen mitunter dem Kläger die Verfolgung anstößiger 201 I n teressen gestattet, geht die Rechtsprechung zur Ehenichtigkeitsklage einen eigenen Weg. Man sollte meinen, die Ehenichtigkeitsklage, die Grundwerte unserer Gesellschaftsordnung (Einehe, Unzulässigkeit der Inzestehe) verwirklichen soll, sei wegen der Bedeutung dieser Werte mißbrauchsunempfindlich 202 . Deren Beachtung und Verwirklichung sollte trotz Verfolgung mißbilligenswerter Ziele durch den Nichtigkeitskläger unter allen Umständen gewährleistet sein. Die Rechtsprechung hat zwar 199 Auch nach B G H L M Nr. 4 zu § 640 ZPO können „seelische Tatsachen" Voraussetzungen f ü r die Zulässigkeit von Prozeßhandlungen sein. 200 Dazu oben D I V u n d V u n d oben I I I u n d I V . 201 Siehe oben V I I , 4 B G H B B 1962, 426. 202 Dazu oben I I I , 2.

I X . Mißbrauch der Ehenichtigkeitsklage

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diesen G e d a n k e n b e t o n t , aber dennoch d e n M i ß b r a u c h geahndet, ohne die V e r w i r k l i c h u n g der genannten Werte endgültig zu vereiteln. 2. D a z u e i n B e i s p i e l 2 0 3 : Die Parteien haben 1945 geheiratet. Aus der Verbindung sind drei K i n d e r hervorgegangen. Der Kläger lebte i n gültiger Ehe, die er 1944 i n R y b n i k m i t der W i t w e S geschlossen hatte. Diese hatte sich 1957 wieder verheiratet, nachdem der Kläger nach polnischem Recht für tot erklärt worden war. Der Kläger hat beantragt, seine zweite Ehe als Doppelehe für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger betreibe die Nichtigkeitsklage, w e i l er eine andere Frau, m i t der er ein Verhältnis u n t e r halte, heiraten wolle. Der B G H wies, w i e schon zuvor das OLG, die Klage ab. Er führte aus (aaO, S. 141 ff.): „Der Kläger ist auch zur Erhebung der Nichtigkeitsklage berechtigt (§ 24 EheG), so daß an sich alle gesetzlichen Voraussetzungen f ü r die Nichtigerklärung der Ehe (§§ 16, 20, 23 EheG) erfüllt sind. Trotzdem erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts i m Ergebnis als zutreffend, w e i l die Erhebung der Nichtigkeitsklage durch den Kläger sich als ein Rechtsmißbrauch darstellt u n d die Klage aus diesem Grunde abgewiesen werden muß . . . Die Motive, die i h n veranlassen, auf Nichtigkeit der Ehe zu klagen, sind i n aller Regel rechtlich unerheblich, da das Gesetz bereits i n der Tatsache des Bestehens der Doppelehe einen ausreichenden G r u n d f ü r eine Durchführung der Nichtigkeitsklage erblickt. Das k a n n jedoch nicht bedeuten, daß die Ausübung dieses auf Herbeiführung der Nichtigkeit der Doppelehe gerichteten Gestaltungsrechts jeder rechtlich erheblichen Beurteil u n g nach sittlichen Gesichtspunkten, also nach dem Grundsatz von Treu und Glauben entzogen sei . . . Die Prüfung dieser Frage k a n n also, obwohl die Erhebung der Ehenichtigkeitsklage objektiv i n jedem Falle der Durchsetzung des Grundsatzes der Einehe dient, auch geboten sein, w e n n der Kläger die Nichtigkeitserklärung n u r als geeignetes M i t t e l erstrebt, um ganz andere, m i t der V e r w i r k l i c h u n g dieses Grundsatzes i n keinem Zusammenhang stehende Ziele zu erreichen . . . Stellt sich danach sein Vorgehen, aufs Ganze gesehen, eindeutig als Betätigung einer wertverneinenden Lebenseinstellung dar, so erhält es von dieser notwendigen sittlichen Gesamtwertung her trotz seiner formalrechtlichen Legitimation den Charakter eines Unrechts .. .* 04." D e r B G H (aaO, S. 147) s p r i c h t v o n Unzulässigkeit d e r K l a g e . Das i s t n i c h t i m S i n n e eines u n g e n a u e n Sprachgebrauchs z u verstehen, d e r b e i unzulässiger Rechtsausübung g e r n ohne besondere B e d e u t u n g U n z u l ä s s i g k e i t i m prozessualen S i n n m e i n t , s o n d e r n durchaus als t e r m i n u s technicus, n ä m l i c h als K l a g e a b w e i s u n g w e g e n eines prozessualen M a n g e l s o h n e Sachentscheidung. Das g e h t aus f o l g e n d e n Sätzen des U r t e i l s h e r v o r (aaO, S. 148, 149): 208

B G H Z 30, 140 = N J W 1959, 2207 = M D R 1959, 738 = JZ 1959, 633. A n dieser Rspr. hat der B G H festgehalten (BGH L M Nr. 1 zu § 606a ZPO; B G H N J W 1962, 1152 = L M Nr. 5 zu § 24 EheG). I n dem vorläufig letzten U r t e i l dieser Entscheidungsreihe (BGH N J W 1964, 1853 = FamRZ 1964, 418) w i r d betont, „daß die Ehenichtigkeitsklage unter ganz besonderen U m ständen ausnahmsweise wegen mißbräuchlicher Rechtsausübung unzulässig sein k a n n " (Hervorhebung v o m Verfasser). 204

200

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

„ Z w a r w i r k t nach dieser Bestimmung (seil. § 636 a ZPO) auch ein klageabweisendes Urteil, das auf eine solche Klage h i n ergeht, f ü r u n d gegen alle. Diese Vorschrift bedeutet für den Fall, daß die Abweisung wegen unzulässiger Rechtsausübung ausgesprochen w i r d , n u r folgendes: Ist der Klageanspruch i n seinen sachlichen Voraussetzungen an sich begründet, seine Abweisung jedoch m i t Rücksicht auf das persönliche Verhalten des Klägers u n d seine m i t der Klageerhebung bekundete verwerfliche Gesinnung u n d Zielsetzung geboten, so ist damit das Klagerecht, insbesondere das Klagerecht der übrigen Klageberechtigten, nicht endgültig verneint. Vielmehr k a n n die Klage auf Nichtigerklärung der Ehe erneut mit Erfolg erhoben werden, sobald das i n der Person des Klägers begründete Hindernis einer Geltendmachung des m i t der Klage verfolgten Gestaltungsrechts nicht bzw. nicht mehr entgegensteht."

3. Über die ethischen Begehrungen, die dem zitierten Urteil zugrunde liegen, soll hier nicht weiter gehandelt werden. Ebensowenig soll der zweifelhafte Effekt der Entscheidung berührt werden. Denn es ist fraglich, wozu die Gerichte den Erfolg der Nichtigkeitsklage verhindern, wenn die anderen Klageberechtigten i h n herbeiführen können und der Staatsanwalt dies wohl sogar t u n muß. A u f jeden Fall bietet die Rechtsprechung zum Mißbrauch der Ehenichtigkeitsklage bei Doppelehe 205 einen gangbaren Weg, dem Kläger die Realisierung seiner verwerflichen Motive wenigstens für den Augenblick unmöglich zu machen. — Diese Fragen sollen hier nicht weiter diskutiert werden. Sie sind bereits eingehend behandelt 2 0 6 . Für unser prozessuales Anliegen ist die genannte Rechtsprechung aus anderen Gründen von Interesse. 4. Zunächst ist bemerkenswert, daß der B G H eindeutig der Lehre Josserands von der mißbrauchsbegründenden Zweckentfremdung eines Instituts folgt. Die Ehenichtigkeitsklage wegen Bigamie soll nicht Zwekken dienen, die vielleicht mit einer Scheidungsklage verfolgt werden können, also etwa Heirat der Geliebten. Die Mißbilligung des vom Gesetz abweichenden Parteizwecks ergibt sich aus dem Sittengesetz, das ζ. B. i n § 138 BGB Aussicht auf Verwirklichung hat 2 0 7 . 5. Die Rechtsprechung bestätigt ferner die oben E V getroffene Feststellung, daß Gestaltungsklagerechten, die i m öffentlichen Interesse die Rechtmäßigkeitskontrolle eines Zustands bezwecken, kein materielles 205 Anders bei Inzestehe, die eine auf sie gestützte Nichtigkeitsklage völlig mißbrauchsimmun machen dürfte. Vgl. dazu Boehmer, N J W 1959, 2185 (2187 Ii. Sp.): „Blutschandeehen zwischen Vater u n d Tochter darf der Staat niemals dulden, geschweige denn schützen, auch wenn i n casu ihre Vernichtung aus ganz anderen unlauteren Gründen begehrt w i r d . " 206 Boehmer, aaO; Müller-Freienfels, J Z 1959, 635; R. Bruns, JZ 1959, 149} Habscheid, FamRZ 1963, 6. so? Verwunderlich ist, daß der B G H i n der zitierten Entscheidung (BGHZ 30, 140) die Beachtung sittlicher Gesichtspunkte §242 B G B überläßt. Man n i m m t gewöhnlich an, daß diese F u n k t i o n § 138 B G B übernimmt (Enneccerus-Nipperdey, aaO, §191 Anm. 5; Staudinger -Coing, aaO, §138 A n m . 3 und 4).

IX. Mißbrauch der Ehenichtigkeitsklage

201

Gestaltungsrecht zugrundeliegt. Derartige Gestaltungsklagen sind bei institutionellem Mißbrauch als unzulässig abzuweisen. Zwar spricht der B G H (BGHZ 30, 140 [143]) von einem auf Herbeiführung der Nichtigkeit gerichteten Gestaltungsrecht, folgt damit aber nur traditioneller Terminologie. Der Sache nach behandelt er nämlich nicht den Mißbrauch dieses „Gestaltungsrechts", sondern den Mißbrauch der prozessualen Befugnis, eine auf bestimmte Nichtigkeitsgründe gestützte Klage zu erheben 208 . Die Regelung des § 636 a ZPO, wonach ein klageabweisendes Urteil i m Ehenichtigkeitsstreit Rechtskraft inter omnes w i r k t , zwingt den BGH, sich zu entscheiden. Würde die Klageabweisung wie sonst nur inter partes wirken, so dürfte man kaum Aufschluß darüber erlangen, ob es sich u m eine Abweisung als unbegründet oder unzulässig handelt. Denn § 636 a ZPO legt die inter omnes wirkende Rechtskraft nur einem klageabweisenden Sachurteil, nicht einem Prozeßurteil bei. Die Regelung des § 636 a ZPO geht nämlich davon aus, daß über den Nichtigkeitsgrund befunden wurde 2 0 9 . Die inter omnes wirkende Rechtskraft greift daher (natürlich) nicht ein, wenn die Nichtigkeitsklage etwa wegen örtlicher Unzuständigkeit oder wegen eines sonstigen prozessualen Mangels ohne Sachprüfung, d. h. ohne Prüfung des Nichtigkeitsgrundes, abgewiesen wurde 2 1 0 . Würde man bei dieser Rechtslage annehmen, ein materielles Gestaltungsrecht befinde sich i m Streit und sei mißbräuchlich ausgeübt, so stünde nach der Innentheorie 2 1 1 fest, daß dem Kläger dieses Gestaltungsrecht nicht zusteht 212 . Es müßte ein Sachurteil ergehen, das die untragbaren Wirkungen des § 636 a ZPO hätte. Diese Folge w i l l der B G H gerade vermieden wissen. Daß er zu diesem Zweck der Außentheorie 2 1 3 anhinge, wäre ungewöhnlich und ist nicht anzunehmen. Daher ist die Annahme gerechtfertigt, daß nicht über den Mißbrauch eines (nicht existenten) Gestaltungsrechts befunden wurde, sondern über den Mißbrauch der prozessualen Befugnis, vom Gericht die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zu verlangen. Das zitierte Urteil (BGHZ 30, 140) ist daher ein Beleg für die oben E V vertretene Ansicht, daß bei Gestaltungsklagebefugnissen, die i m öffentlichen Interesse der Rechtmäßigkeitskontrolle eines Zustandes dienen sollen, kein materielles Gestaltungsrecht ausgeübt wird, sondern die prozessuale Befugnis, bei Vorliegen bestimmter 208 Auch Schlosser, aaO, S. 402, n i m m t an, daß es sich i n B G H Z 30, 140 u m einen Zulässigkeitsmangel handele. 209 So B G H N J W 1964, 1853 [1854 Ii. Sp.]. 210 Das verkennen Baumbach-Lauterbach, aaO, § 636 a A n m . 1 bei ihrer K r i t i k von B G H Z 30, 140. 211 Dazu oben I I I , 1 f u n d V, 2 d, ee. 212 Über den Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen ohne materielles Gestaltungsrecht vgl. Henckel, aaO, S. 35; i h m folgend Blomeyer, Zivilprozeßrecht aaO, S. 203. Dazu neuerdings auch Schlosser, aaO, S. 355 ff. 213 Dazu oben I I I , 1 f u n d V, 2 d, ee.

202

G. Institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse

Voraussetzungen gerichtliche Gestaltung zu verlangen (Rechtsschutzanspruch) 214 . 6. Es läßt sich folgendes Fazit ziehen: Eine wegen Bestehens einer Doppelehe erhobene Ehenichtigkeitsklage, m i t der ethisch mißbilligenswerte Ziele verfolgt werden, ist wegen Mißbrauchs einer prozessualen Befugnis als unzulässig abzuweisen.

X . Ergebnis W i r haben uns nun zu fragen, welche Erkenntnisse die Untersuchung über den institutionellen Mißbrauch i m Prozeßrecht für die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis bringt (dazu unten Ziff. 1) und was die gewonnenen Ergebnisse für das oben A I I konzipierte Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens bedeuten (dazu unten Ziff. 2). 1. Der prozessuale institutionelle Mißbrauch beruht auf dem Prinzip der Zweckentfremdung. Das Argument, zur Vornahme einer Prozeßhandlung fehle das Rechtsschutzbedürfnis, besagt i n aller Regel 2 1 5 , daß institutioneller Mißbrauch einer prozessualen Befugnis vorliegt. Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis ist eine prozessuale Rechtsmißbrauchstheorie. Sie ist nicht erst aufzustellen, wie A l l o r i o 2 1 6 fordert. Es gilt vielmehr, die Übereinstimmung von Rechtsschutzbedürfnis und institutionellem Mißbrauch für die Prozeßrechtsdogmatik nutzbar zu machen. Die Erklärbarkeit des institutionellen Mißbrauchs, der zur Materie des § 242 BGB gehört, spricht gegen die Ansicht derer 2 1 7 , welche die Geltung des § 242 BGB i m Prozeßrecht oder ein dieser Norm entsprechendes Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens nicht anerkennen wollen. Sie müßten konsequenterweise auch das Rechtsschutzbedürfnis ablehnen. 2. Die oben A I I als Arbeitshypothese aufgestellte Generalklausel, das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens, ist durch eine weitere Fallgruppe konkretisiert. Man kann diesem Blankett, ebenso wie dem § 242 BGB i m bürgerlichen Recht, die Kasuistik des institutionellen Mißbrauchs zuordnen. 214 So f ü r das B G H - U r t e i l B G H Z 30, 140 auch Henckel, aaO, S. 35 F N 88, der nicht von Unzulässigkeit der Klage wegen institutionellen Rechtsmißbrauchs, sondern von fehlendem Rechtsschutzbedürfnis „ i n seiner besonderen, der Ehenichtigkeitsklage angemessenen Auslegung" spricht. Auch Blomeyer, ZPR, aaO, S. 150, n i m m t offenbar mangelndes Rechtsschutzbedürfnis an. D a gegen bestehen keine Bedenken. Es sind Formulierungsfragen, ob man den institutionellen Mißbrauch auf dem Wege über die Schutzwürdigkeit eines Begehrens i n das Rechtsschutzbedürfnis hineinnimmt. Dazu oben I I I , 3 c. 215 Ausnahmen oben I I I , 3 a. 216 aaO, S. 342. 217 Dazu oben A I, 5.

H. Das Ergebnis der Konkretisierung und die gewohnheitsrechtliche Geltung der konzipierten Generalklausel Die abschließenden Ausführungen, die an das erste Kapitel anknüpfen, wo w i r unterstellten, i m Erkenntnisverfahren des Zivilprozeßrechts gelte ein Verbot arglistigen Verhaltens, können kurz sein. Das deutsche Prozeßrecht kennt, ebenso wie die oben Β I geschilderten Regelungen des Auslands, ein Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens und bekämpft m i t seiner Hilfe die Arglist i m Prozess. Es kennt und praktiziert das Verbot des Normenmißbrauchs i n seinen Erscheinungsformen der Gesetzesumgehung1 und des institutionellen Mißbrauchs 2 . Es praktiziert ferner das Prinzip des venire contra factum proprium 3 und das der Verwirkung 4 . Die Generalklausel ist durch die genannten Tatbestände konkretisiert. Diese Konkretisierung ist das Resultat ständiger Rechtsprechung, die weder i n Rechtswissenschaft noch Bevölkerung erheblichen Widerstand findet 5. Die Bevölkerung kennt die behandelte Judikatur nicht und bildet sich daher keine Meinung über sie. Die oben A I F N 16 genannten Autoren, welche die dem Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens vergleichbare Norm des § 242 BGB für das Prozeßrecht ablehnen, sind i n der Minderheit. I h r Widerstand kann als unerheblich bezeichnet werden. Damit leitet der zunächst als Hypothese aufgestellte Rechtssatz, das Verbot arglistigen prozessualen Verhaltens, seine Normqualität aus Gewohnheitsrecht ab.

1

ObenD. Oben G. 3 Oben E. 4 Oben F. 5 Uber die Voraussetzungen der Bildung von Gewohnheitsrecht siehe oben All. 2

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Verzeichnis der konkretisierenden Kasuistik RGZ

Seite der Fundstelle i m Text

16, 391 34,417 36, 249 44,402 51, 175 59, 133 80, 363 81, 160 81, 175 82, 170 92, 230 97, 85 101, 235 102, 217 102, 290 112, 107 120,47 123, 84 130, 217 135,33 139,221 146, 385 148, 114 155, 72 155,382 159, 186 160, 204 160, 241 161, 350 162,65 166, 175 167, 339 171,282

53, 54, 56, 70 ff. 90 ff. 47 180 52, 55, 86 ff. 20, 66, 171, 196 ff. 48 98 39, 40, 55, 64 66, 150, 151, 164 ff. 180 93 190 100 ff., 136, 137 66, 193 ff. 98 197 100 41 175 ff. 90 ff. 152, 189 ff. 177 150, 151, 176, 182 ff. 129 100 168 101 45 97, 185 ff. 171 115 109 ff.

RGSt 42,410 59, 104 65,33 69, 101

46 48, 127, 138 47 47

RG JW 1908, 750

52

Verzeichnis der konkretisierenden Kasuistik 1930, 1062 1937, 3185 1938, 1416 1938, 2617

101, 143 96 91 ff. 129

RG DR 1940, 113

100

RG Gruchot 53, 911

98

RG MuW 1934, 109

115 ff., 119

RG SeuffArch.

89, Nr. 171 Β

91 ff.

RG WarnRspr.

1929, Nr. 105

180

OGHZ 1, 182

87, 177

BGHZ 2, 112 5, 186 5, 385 10, 22 10, 104 10, 333 13, 71 14, 163 20, 169 20, 198 21, 354 28, 45 30, 140 36, 18 36, 121 38, 200 40, 197 BGH Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

101 118 129, 174 107, 117, 119, 177 171 49 177 188 100, 136 ff. 129, 170 ff. 101, 103 145, 199 ff. 188 191, 193 188 36, 37

LM

11 zu § 91a ZPO 1 zu § 307 ZPO 2 zu § 339 ZPO 6 zu § 511 ZPO 8 zu § 511 ZPO 3 zu § 514 ZPO 1 zu § 606a ZPO 4 zu § 640 ZPO 1 zu § 957 ZPO 2 zu § 130 B G B 3a zu § 138 (Ca) B G B 9 zu § 242 (D) B G B 6 zu § 675 B G B 12 zu § 826 (Fa) B G B 2 zu § 1598 B G B 4 zu § 52 EheG 7 zu § 9 PatG 6 zu § 13 PatG

91, 93 101 125 129, 168 129, 168 44, 101 199 198 183 ff. 36 65, 89 113 ff. 129, 174 ff. 95 145 101 107 107, 117

210

Verzeichnis der konkretisierenden Kasuistik

Nr. 9 zu § 13 PatG Nr. 10 zu § 13 U W G Nr. 2 zu § 21 V A G

108 129, 172, 197 168

BGH NJW 1958, 1397 1958, 1727 1962, 1152 1964, 1072 1964, 1853 1965, 491 1965, 493 1965, 585 BGH

106 105 199 101 199, 201 104, 108 158, 170 171

GRUR

1956, 264 1958, 177

106 107, 115

BGH BB 1962, 426

160, 190 ff., 198

BGH JZ 1965, 185

168

BAG B A G E 10, 65 N J W 1957, 558 A P Nr. 1 zu § 242 B G B (Prozeßverwirkung) A P Nr. 2 zu § 242 B G B (Prozeßverwirkung)

63, 65, 66, 68 114 121, 123, 142 ff.

O L G Breslau SeuffArch. 51, Nr. 137

88 ff.

36, 55, 98, 99

O L G Celle SeuffArch. 67, Nr. 91 J W 1933, 550 NdsRpfl. 1951, 200

101 125 39, 40

O L G Darmstadt

55 ff., 70 ff., 72,

J W 1929, 121

OLG Dresden SeuffArch. 66, Nr. 216 J W 1938, 3161

53, 68, 70 ff. 125 ff.

O L G Düsseldorf J W 1938, 537 N J W 1949, 832

128 ff. 125

O L G Frankfurt Betrieb 1956, 916 ZZP 69, 469

125 126

Verzeichnis der konkretisierenden Kasuistik OLG Hamm M D R 1952, 369

141 ff.

Kammergericht JW 1932, 2912 J W 1938, 696 JW 1938, 2488 J W 1939, 170 J W 1939, 647 DR 1940, 338 DR 1940, 2116 DR 1942, 1035 DR 1943, 154 DR 1943, 412 JZ 1951, 508 M D R 1953, 690 O L G Karlsruhe

39, 40 39, 40, 66, 163 ff. 127 126 126 127 145 151, 165, 182 127 132 ff., 162 62 125 FamRZ 1962, 392

145

O L G Kiel J W 1932, 2910 HRR 1936, Nr. 425 O L G Marienwerder

125 179 ff. OLGRspr. 35, 72

O L G München N J W 1954, 562

54, 55, 68, 70 ff. 125

O L G Naumburg ZZP 52, 74 J W 1930,3866 HRR 1939, Nr. 908

64, 79 ff. 133 ff. 182

O L G Neustadt ZZP 69, 402 M D R 1958, 848

39, 40, 64, 89 39, 65, 89

O L G Schleswig SchlHA 1952, 134

140 ff.

O L G Stuttgart SeuffArch. 54, Nr. 250 HRR 1930, Nr. 351 M D R 1955, 556 J Z 1955, 752 StAZ 1963, 158

88 ff. 55, 79 ff. 39, 40 66, 195 ff. 147

LG Berlin J W 1931, 1766

41, 53, 55, 81 ff., 162

L G Bonn B B 1952, 209

36

L G Düsseldorf GRUR 1950, 381 GRUR 1951, 519

55, 76 ff. 55, 75 ff.

212 L G Hamburg

Verzeichnis der konkretisierenden Kasuistik GRUR 1951, 39

55, 75 ff.

L G München N J W 1954, 1772

125

LAG Leipzig J W 1931, 1148

98

oesterr. OHG OesterrJZ 1963, 387

153

BGE 83 I I , 346

52, 73 ff., 78