Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht: Dissertationsschrift 9783161566837, 9783161566844, 3161566831

Gerichtsstandsvereinbarungen gewährleisten zuständigkeitsrechtliche Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Innerhalb der

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO
§ 1 Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO
I. Die rechtliche Natur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
II. Die praktische Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr
2. Probleme mit internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen
III. Das Interesse an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Parteiinteressen
a) Festlegung der internationalen Zuständigkeit
b) Rechtssicherheit
c) Kosten
2. Mitgliedstaatliche Interessen
3. Gesamteuropäische Interessen
a) Gerichtsstandsvereinbarungen und der Binnenmarkt
b) Gerichtsstandsvereinbarungen und forum shopping in Europa
c) Verteilung von Verfahren aus ökonomischer Perspektive
IV. Zwischenbetrachtung
§ 2 Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO
I. Zulässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
II. Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Einigung und hinreichende Bestimmtheit
a) Künftige oder bereits entstandene Rechtsstreitigkeit
b) Gericht oder Gerichte eines Mitgliedstaats
2. Formelle Wirksamkeit
3. Materielle Wirksamkeit
a) Abstraktion von Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag
b) Regelungsumfang von Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO
c) Auf die materielle Wirksamkeit anwendbares Recht
aa) Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten
bb) Problem des anwendbaren Kollisionsrechts
cc) Kritik
d) Unwirksamkeit nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO
e) Keine Inhalts- oder Missbrauchskontrolle
III. Zwischenergebnis
§ 3 Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
I. Prorogations- und Derogationswirkung
1. Prorogationswirkung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO
2. Derogationswirkung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO
3. Kritik an der Normtechnik des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO
II. Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung und Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands
2. Anwendbares Recht zur Bestimmung der Ausschließlichkeit
3. Bezugspunkt der Ausschließlichkeit
a) Maßgeblichkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung
aa) Ausschließlichkeitsvermutung des Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO
bb) Konkurrierende ausschließliche Gerichtsstände?
b) Maßgeblichkeit des Gerichtsstands
c) Kritik
4. Besondere Gerichtsstandsvereinbarungen und Ausschließlichkeit
a) Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten
b) Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen
c) Reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen
d) Freie Kombinationen von Pro- und Derogationen
III. Begründung der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit
IV. Erweiterte Gerichtspflichtigkeit im forum derogatum
1. Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen nach Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO
2. Keine Prüfung des Vorliegens einer Gerichtsstandsvereinbarung
3. Unzureichender Schutz des säumigen Beklagten im forum derogatum
4. Kritik
V. Zwischenergebnis
§ 4 Litispendenzrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
I. Gerichtsstandsvereinbarungen und Litispendenzrecht
1. Litispendenzrechtliches Prioritätsprinzip
2. Torpedoklagen und Gasser-Rechtsprechung
II. Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips
1. Sinn und Zweck des Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO
a) Parteiinteressen
b) Mitgliedstaatliche Interessen
c) Gesamteuropäische Interessen
2. Parallele Verfahren mit identischem Streitgegenstand
a) Ausnahmsweise Kompetenz-Kompetenz bei parallelen Verfahren
b) Identischer Streitgegenstand
c) Rechtspolitische Kritik
3. Ausschließliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts
a) Streitgegenstand oder konkretes Verfahren?
b) Verfahren im forum prorogatum oder im forum derogatum?
c) Ausschließliche internationale Zuständigkeit
d) Zusammenfassung
4. Schutz besonderer Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
a) Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten
b) Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen
c) Reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen
d) Gerichtsstandsvereinbarungen mit typischerweise schwächeren Parteien
5. Kritische Würdigung
III. Umfang der Prüfung durch das erstbefasste Gericht
1. Prima facie-Prüfung
2. Vollumfängliche Prüfung der Formwirksamkeit
3. Stellungnahme
IV. Rechtsfolge: Aussetzungspflicht des derogierten Gerichts
V. Kritische Würdigung
1. Gefahr eines Wettlaufs zwischen den Parteien
2. Keine Sanktion bei Missachtung der Aussetzungspflicht
3. Rechtsunsicherheit und Erhöhung der möglichen Transaktionskosten
VI. Zwischenbetrachtung: Gerichtsstandsvereinbarungen im Zuständigkeits- und Rechtshängigkeitsrecht der Brüssel Ia-VO
§ 5 Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO
I. Internationale Anerkennung nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO
1. Internationale Anerkennung – drei Bedeutungen
2. Begriff der internationalen Anerkennung
3. Gegenstand der internationalen Anerkennung
4. Verfahren der internationalen Anerkennung
5. Rechtsfolge der internationalen Anerkennung
a) Grundsatz der Wirkungserstreckung
b) Europäischer Rechtskraftbegriff
II. Anerkennungsversagung nach Art. 45 Brüssel Ia-VO
1. Keine Prüfung der Anerkennungszuständigkeit
2. Ausnahme zum Schutz der Schutzgerichtsstände
a) Sinn und Zweck
b) Ausnahmsweise Nachprüfung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen
3. Ausnahme zum Schutz der ausschließlichen Gerichtsstände
4. Verstoß gegen den ordre public
III. Das Interesse an der internationalen Anerkennung
1. Parteiinteressen
a) Abschließender Streitentscheid
b) Vermeidung widersprechender Entscheidungen
c) Kosteneffizienz
2. Mitgliedstaatliche Interessen
a) Souveränitätsinteressen
b) Wirtschaftliche Interessen
3. Gesamteuropäische Interessen
a) Urteilsfreizügigkeit
aa) Entwicklung und Funktion
bb) Gerichtsstandsvereinbarungen und der Binnenmarkt
b) Vertrauensprinzip
aa) Vertrauen im EuZPR
bb) Rechtspolitische Kritik am Vertrauensprinzip
cc) Vertrauensprinzip und Gerichtsstandsvereinbarungen
IV. Zwischenergebnis
§ 6 Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata
I. Prorogationswidrige Urteile
1. Begriff der Prorogationswidrigkeit
2. Arten prorogationswidriger Urteile
a) Prorogationswidrige Sachurteile
b) Prorogationswidrige Prozessurteile
3. Ursachen prorogationswidriger Urteile
4. Empirie
II. Keine Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile de lege lata
III. Ausnahmsweise Prüfung der Prorogationswidrigkeit durch das Zweitgericht nach Art. 45 Abs. 1 lit. e (i) Brüssel Ia-VO
1. Ratio legis des Art. 45 Abs. 1 lit. e (i) Brüssel Ia-VO
2. Ratio legis der Art. 15 Nr. 1, Nr. 5, 19 Nr. 1 und 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO
IV. Gothaer Allgemeine v. Samskip
1. Sachverhalt
2. Entscheidung des EuGH
3. Kritische Würdigung
a) Entscheidung über die Zuständigkeit eines anderen Gerichts
b) Möglichkeit einer bindenden Verweisung zwischen den Mitgliedstaaten
c) Verbot der revision au fond
d) Gefahr der Rechtlosstellung des Klägers
V. Zwischenergebnis
§ 7 Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata
I. Bewertung in der Literatur
1. Ablehnung der Anerkennungsversagung
a) Vertrauensprinzip und Urteilsfreizügigkeit
b) Unterschied zu den ausschließlichen Gerichtsständen nach Art. 24 Brüssel Ia-VO
c) Mangelnde Schutzbedürftigkeit der Parteien
d) Vermeidung doppelter Prüfungen
2. Befürwortung der Anerkennungsversagung
a) Verbesserter Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen
b) Vergleich zu den ausschließlichen Gerichtsständen
c) Achtung der Parteiautonomie
d) Vermeidung bindender Verweisungen
II. Bewertung durch Akteure des Binnenmarkts
III. Zwischenergebnis
§ 8 Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005
I. Verhältnis von HGÜ und Brüssel Ia-VO
II. Anwendungsbereich des HGÜ
1. Internationalität des Sachverhalts
2. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung
a) Grundsatz
b) Keine Anwendbarkeit auf nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen
3. Zivil- und Handelssachen
4. Zeitlicher Anwendungsbereich
III. Internationale Zuständigkeit nach dem HGÜ
1. Prorogationswirkung
2. Derogationswirkung
a) Ausnahme des Art. 6 lit. a HGÜ
b) Ausnahme des Art. 6 lit. b HGÜ
c) Weitere Ausnahmen
IV. Internationale Anerkennung nach dem HGÜ
1. Grundsatz
2. Verbot der revision au fond
3. Keine Anerkennung von Urteilen des forum derogatum
V. Anerkennungsversagung nach dem HGÜ
1. Anwendungsbereich von Kapitel III
2. Tatsachenbindung des Zweitgerichts
a) Grundsätzliche Tatsachenbindung des Zweitgerichts
b) Keine Tatsachenbindung bei Versäumnisurteilen
3. Ungültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung
a) Ausnahme bei Feststellung der Wirksamkeit durch das Erstgericht
b) Bewertung
4. Fehlende Geschäftsfähigkeit
5. Weitere Anerkennungsversagungsgründe
VI. Exkurs: Vorschlag für ein Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen
VII. Zwischenergebnis
Teil II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerikanischen Zivilprozessrecht
§ 1 Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht
I. Gerichtsstandsvereinbarungen als consent to personal jurisdiction
1. Personal jurisdiction im Zivilprozessrecht der USA
a) Die due process clause
b) Grenzen der personal jurisdiction
2. Prorogation und personal jurisdiction
a) Consent to jurisdiction in Form einer Gerichtsstandsvereinbarung
b) Keine minimum contacts erforderlich
c) Consent und Zuständigkeitsverweisung
3. Derogation und personal jurisdiction
II. Gerichtsstandsvereinbarungen als lesser limitations on jurisdiction
1. Lesser limitations on jurisdiction im US-amerikanischen Zivilprozessrecht
2. The Bremen und Derogationen
a) Die ouster-Doktrin
b) The Bremen v. Zapata Off-Shore Co
c) Rezeption durch die US-amerikanischen Gerichte
aa) The Bremen und die einzelstaatlichen Gerichte
bb) The Bremen und die Bundesgerichte
3. Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung als lesser limitation on jurisdiction
a) Derogation eines einzelstaatlichen Gerichts
b) Derogation eines Bundesgerichts
4. Zusammenfassung
III. Gerichtsstandsvereinbarungen als venue clauses
1. Venue im US-amerikanischen Zivilprozessrecht
2. Prorogation örtlicher Zuständigkeit
3. Derogation örtlicher Zuständigkeit
IV. Voraussetzungen interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Einigung
2. Wahl eines bestimmten Gerichts oder bestimmter Gerichte
a) Ausschließliche und nicht-ausschließliche Zuständigkeit
b) Bundesgerichte oder einzelstaatliche Gerichte
3. Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses
4. Wirksamkeit im engeren Sinne – reasonableness
a) Vertragsrechtliche Unwirksamkeitsgründe
b) Besondere Unwirksamkeitsgründe
aa) Das convenience-Erfordernis
bb) Public policy
V. Zusammenfassung
§ 2 Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht
I. Grundsatz des full faith and credit zwischen den Einzelstaaten
1. Art. IV § 1 Bundesverfassung und 28 U. S. C. § 1738
2. Sinn und Zweck der full faith and credit clause
II. Urteilsanerkennung als Rechtskrafterstreckung
1. Rechtskraft und full faith and credit
a) Rechtskraft im US-amerikanischen Zivilprozessrecht
aa) Claim preclusion
bb) Issue preclusion
b) Anwendbares Recht
2. Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung
a) Action upon a judgment
b) Registration
III. Anerkennungsversagung
1. Anerkennungsversagung als collateral attack
2. Anerkennungsversagung bei fehlender Rechtskraft im Erststaat
3. Nichtigkeit des anzuerkennenden Urteils
a) Nichtigkeit bei fehlender personal jurisdiction
aa) Grundsatz der Nichtigkeit bei fehlender personal jurisdiction
bb) Ausnahme bei rechtskräftiger Entscheidung über personal jurisdiction
cc) Nichtigkeit und Prorogation
b) Nichtigkeit und lesser limitations on jurisdiction
aa) Erstgericht hält Derogation für wirksam
bb) Erstgericht hält Derogation für unwirksam
c) Nichtigkeit und venue
4. Eingriff in besondere Interessen des Zweitstaates
IV. Vergleich zur Brüssel Ia-VO
Teil III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda
§ 1 Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund
I. Kein abschließender Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO
II. Systematischer Wertungswiderspruch zwischen Litispendenz- und Anerkennungsrecht
III. Unzureichender Beklagtenschutz bei Versäumnisurteilen
IV. Rechtlosstellung des Klägers bei Vereinbarung drittstaatlicher Gerichte
V. Vergleich mit den ausschließlichen Gerichtsständen
VI. Vergleich mit den Schutzgerichtsständen
VII. Stärkung des Binnenmarkts
VIII. Zwischenergebnis
§ 2 Gegenstand der Nachprüfung
I. Nachprüfung der Derogation des Erstgerichts
II. Keine Nachprüfung der Prorogation des Erstgerichts
III. Zwischenergebnis
§ 3 Umfang der Nachprüfung
I. Umfang der inhaltlichen Nachprüfung
II. Einschränkung der Nachprüfung bei erstgerichtlicher Entscheidung über die Gerichtsstandsvereinbarung?
III. Tatsachenbindung des Zweitgerichts
§ 4 Ergebnis
Literaturverzeichnis
Materialienverzeichnis
Rechtsprechungsverzeichnis
Sachregister
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Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht: Dissertationsschrift
 9783161566837, 9783161566844, 3161566831

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 421 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Niklas Brüggemann

Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht

Mohr Siebeck

Niklas Brüggemann, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaften in München und in Genf (2011/12) sowie der Geschichte in München; 2018 Promotion (München); Rechts­ referen­da­riat am Hanseatischen Oberlandesgericht; Rechtsanwalt in einer international tätigen Rechtsanwaltskanzlei in Hamburg.

ISBN 978-3-16-156683-7 / eISBN 978-3-16-156684-4 DOI 10.1628/978-3-16-156684-4 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Meinen Eltern und Johanna

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017/18 von der LudwigMaximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Sie ist die Frucht meiner Begeisterung für das Internationale Privatrecht, die mich seit meinem Studienaufenthalt in Genf 2011/12 durch Studium, Promotion, Referen­da­ riat und Beruf trägt. Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur sind auf dem Stand vom Dezember 2018. Meinem Doktorvater, Professor Dr. Dr. h.c. Peter Kindler, möchte ich für die menschlich wie fachlich exzellente Betreuung der Arbeit von Herzen danken. Frau Professor Dr. Beate Gsell danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, Herrn Professor Dr. Ralf Michaels und Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann, danke ich für die freundliche Aufnahme in diese Schriftenreihe. Zum Gelingen dieser Arbeit haben die vielen wertvollen Anregungen und Diskussionen im Rahmen der Academie de la Haye sowie während meines drei­ monatigen Aufenthalts in New York City und Cambridge, Massachusetts ganz wesentlich beigetragen. Von Herzen danken möchte ich meinen Eltern, Frau Dr. Nikola Kleine-Brüggemann und Herrn Dr. Franz-Martin Brüggemann. Durch ihre unbedingte Unterstützung sowie durch ihr Vorbild haben sie mir diese Arbeit, wie so vieles andere auch, ermöglicht. Mein herzlicher Dank gilt schließlich Frau Johanna Reiter, Maitre en droit, die jeden einzelnen Satz dieser Arbeit gelesen und kritisch hinterfragt hat. Ihr und meinen Eltern sei diese Arbeit gewidmet. Der Abschluss der Arbeit wurde von dem Tod meines geliebten Großvaters, Dr. Karl-Heinz Kleine, überschattet. Ihm sei diese Arbeit in Erinnerung zuge­ eignet. Hamburg, an Weihnachten 2018

Niklas Brüggemann

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



VII

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



XI

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 §  1 Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . 6 §  2 Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO . . . . . 25 §  3 Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 §  4 Litispendenzrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 §  5 Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO . . . . . 114 §  6 Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata . . . . 153 §  7 Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata . . . . . . . . . . 176 §  8 Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 . . . . . . . . . . . 186

Teil II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . 215 §  1 Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 §  2 Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

X

Inhaltsübersicht

Teil III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 §  1 Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund . . . . . . . . 284 §  2 Gegenstand der Nachprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 §  3 Umfang der Nachprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 §  4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309

321

Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



VII

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 §  1 Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . 6 I. Die rechtliche Natur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 II. Die praktische Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Probleme mit internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen 12 III. Das Interesse an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen 13 1. Parteiinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 a) Festlegung der internationalen Zuständigkeit . . . . . . 14 b) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 c) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Mitgliedstaatliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Gesamteuropäische Interessen . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) Gerichtsstandsvereinbarungen und der Binnenmarkt . . 22 b) Gerichtsstandsvereinbarungen und forum shopping in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 c) Verteilung von Verfahren aus ökonomischer Perspektive 23 IV. Zwischenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 §  2 Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO . . . . . 25 I. Zulässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . 26

XII

Inhaltsverzeichnis

II.

Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . 28 1. Einigung und hinreichende Bestimmtheit . . . . . . . . . 29 a) Künftige oder bereits entstandene Rechtsstreitigkeit . . 30 b) Gericht oder Gerichte eines Mitgliedstaats . . . . . . . 31 2. Formelle Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Materielle Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Abstraktion von Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Regelungsumfang von Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO 33 c) Auf die materielle Wirksamkeit anwendbares Recht . . 35 aa) Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Problem des anwendbaren Kollisionsrechts . . . . . 37 cc) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Unwirksamkeit nach Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO . . . 40 e) Keine Inhalts- oder Missbrauchskontrolle . . . . . . . . 40 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 §  3 Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Prorogations- und Derogationswirkung . . . . . . . . . . . . 42 1. Prorogationswirkung nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO . 42 2. Derogationswirkung nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO . . 43 3. Kritik an der Normtechnik des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO 44 II. Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . 45 1. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung und Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands . . . . 46 2. Anwendbares Recht zur Bestimmung der Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Bezugspunkt der Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . 48 a) Maßgeblichkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung . 49 aa) Ausschließlichkeitsvermutung des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . 50 bb) Konkurrierende ausschließliche Gerichtsstände? . . 51 b) Maßgeblichkeit des Gerichtsstands . . . . . . . . . . . 54 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4. Besondere Gerichtsstandsvereinbarungen und Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Inhaltsverzeichnis

XIII

a) Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . 58 c) Reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . 60 d) Freie Kombinationen von Pro- und Derogationen . . . . 61 III. Begründung der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Erweiterte Gerichtspflichtigkeit im forum derogatum . . . . . 62 1. Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . 63 2. Keine Prüfung des Vorliegens einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Unzureichender Schutz des säumigen Beklagten im forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 §  4 Litispendenzrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Gerichtsstandsvereinbarungen und Litispendenzrecht . . . . . 70 1. Litispendenzrechtliches Prioritätsprinzip . . . . . . . . . . 71 2. Torpedoklagen und Gasser-Rechtsprechung . . . . . . . . 72 II. Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips 75 1. Sinn und Zweck des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO . . . . . 76 a) Parteiinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Mitgliedstaatliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Gesamteuropäische Interessen . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Parallele Verfahren mit identischem Streitgegenstand . . . 78 a) Ausnahmsweise Kompetenz-Kompetenz bei parallelen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Identischer Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . 81 c) Rechtspolitische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Ausschließliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Streitgegenstand oder konkretes Verfahren? . . . . . . . 84 b) Verfahren im forum prorogatum oder im forum derogatum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Ausschließliche internationale Zuständigkeit . . . . . . 86 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

XIV

Inhaltsverzeichnis

4. Schutz besonderer Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . 90 c) Reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . 93 d) Gerichtsstandsvereinbarungen mit typischerweise schwächeren Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Umfang der Prüfung durch das erstbefasste Gericht . . . . . 100 1. Prima facie-Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Vollumfängliche Prüfung der Formwirksamkeit . . . . . . 102 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Rechtsfolge: Aussetzungspflicht des derogierten Gerichts . . 106 V. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Gefahr eines Wettlaufs zwischen den Parteien . . . . . . . 107 2. Keine Sanktion bei Missachtung der Aussetzungspflicht . . 110 3. Rechtsunsicherheit und Erhöhung der möglichen Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 VI. Zwischenbetrachtung: Gerichtsstandsvereinbarungen im Zuständigkeits- und Rechtshängigkeitsrecht der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 §  5 Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO . . . . . 114 I. Internationale Anerkennung nach Art.  36 ff. Brüssel Ia-VO . . 115 1. Internationale Anerkennung – drei Bedeutungen . . . . . . 115 2. Begriff der internationalen Anerkennung . . . . . . . . . . 116 3. Gegenstand der internationalen Anerkennung . . . . . . . 117 4. Verfahren der internationalen Anerkennung . . . . . . . . 118 5. Rechtsfolge der internationalen Anerkennung . . . . . . . 120 a) Grundsatz der Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . 120 b) Europäischer Rechtskraftbegriff . . . . . . . . . . . . . 121 II. Anerkennungsversagung nach Art.  45 Brüssel Ia-VO . . . . . 122 1. Keine Prüfung der Anerkennungszuständigkeit . . . . . . 123 2. Ausnahme zum Schutz der Schutzgerichtsstände . . . . . 125 a) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Ausnahmsweise Nachprüfung internationaler Gerichtsstands­vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Ausnahme zum Schutz der ausschließlichen Gerichtsstände 127 4. Verstoß gegen den ordre public . . . . . . . . . . . . . . . 128

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XV

III. Das Interesse an der internationalen Anerkennung . . . . . . 129 1. Parteiinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Abschließender Streitentscheid . . . . . . . . . . . . . 129 b) Vermeidung widersprechender Entscheidungen . . . . . 129 c) Kosteneffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Mitgliedstaatliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Souveränitätsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Wirtschaftliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Gesamteuropäische Interessen . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Urteilsfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Entwicklung und Funktion . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Gerichtsstandsvereinbarungen und der Binnenmarkt 140 b) Vertrauensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Vertrauen im EuZPR . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Rechtspolitische Kritik am Vertrauensprinzip . . . . 148 cc) Vertrauensprinzip und Gerichtsstandsvereinbarungen 150 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 §  6 Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata . . . . 153 I. Prorogationswidrige Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Begriff der Prorogationswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . 153 2. Arten prorogationswidriger Urteile . . . . . . . . . . . . . 155 a) Prorogationswidrige Sachurteile . . . . . . . . . . . . . 155 b) Prorogationswidrige Prozessurteile . . . . . . . . . . . 155 3. Ursachen prorogationswidriger Urteile . . . . . . . . . . . 156 4. Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Keine Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Ausnahmsweise Prüfung der Prorogationswidrigkeit durch das Zweitgericht nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO . . . 163 1. Ratio legis des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO . . . . 163 2. Ratio legis der Art.  15 Nr.  1, Nr.  5, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Gothaer Allgemeine v. Samskip . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Entscheidung über die Zuständigkeit eines anderen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

XVI

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b) Möglichkeit einer bindenden Verweisung zwischen den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Verbot der revision au fond . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Gefahr der Rechtlosstellung des Klägers . . . . . . . . 174 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 §  7 Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata . . . . . . . . . . 176 I. Bewertung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Ablehnung der Anerkennungsversagung . . . . . . . . . . 177 a) Vertrauensprinzip und Urteilsfreizügigkeit . . . . . . . 177 b) Unterschied zu den ausschließlichen Gerichtsständen nach Art.  24 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Mangelnde Schutzbedürftigkeit der Parteien . . . . . . 179 d) Vermeidung doppelter Prüfungen . . . . . . . . . . . . 179 2. Befürwortung der Anerkennungsversagung . . . . . . . . 180 a) Verbesserter Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen 180 b) Vergleich zu den ausschließlichen Gerichtsständen . . . 181 c) Achtung der Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . 182 d) Vermeidung bindender Verweisungen . . . . . . . . . . 182 II. Bewertung durch Akteure des Binnenmarkts . . . . . . . . . 183 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 §  8 Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 . . . . . . . . . . . 186 I. Verhältnis von HGÜ und Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . 186 II. Anwendungsbereich des HGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Internationalität des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . 189 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Keine Anwendbarkeit auf nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 192 III. Internationale Zuständigkeit nach dem HGÜ . . . . . . . . . 193 1. Prorogationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Derogationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Ausnahme des Art.  6 lit.  a HGÜ . . . . . . . . . . . . . 195 b) Ausnahme des Art.  6 lit.  b HGÜ . . . . . . . . . . . . 196 c) Weitere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Internationale Anerkennung nach dem HGÜ . . . . . . . . . 197 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

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XVII

2. Verbot der revision au fond . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Keine Anerkennung von Urteilen des forum derogatum . . 198 V. Anerkennungsversagung nach dem HGÜ . . . . . . . . . . . 200 1. Anwendungsbereich von Kapitel III . . . . . . . . . . . . 200 2. Tatsachenbindung des Zweitgerichts . . . . . . . . . . . . 200 a) Grundsätzliche Tatsachenbindung des Zweitgerichts . . 201 b) Keine Tatsachenbindung bei Versäumnisurteilen . . . . 201 3. Ungültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . 203 a) Ausnahme bei Feststellung der Wirksamkeit durch das Erstgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4. Fehlende Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5. Weitere Anerkennungsversagungsgründe . . . . . . . . . . 207 VI. Exkurs: Vorschlag für ein Haager Anerkennungsund Vollstreckungsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . 208 VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Teil II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . 215 §  1 Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Gerichtsstandsvereinbarungen als consent to personal jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Personal jurisdiction im Zivilprozessrecht der USA . . . . 220 a) Die due process clause . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Grenzen der personal jurisdiction . . . . . . . . . . . 222 2. Prorogation und personal jurisdiction . . . . . . . . . . . 224 a) Consent to jurisdiction in Form einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Keine minimum contacts erforderlich . . . . . . . . . . 226 c) Consent und Zuständigkeitsverweisung . . . . . . . . . 226 3. Derogation und personal jurisdiction . . . . . . . . . . . . 228 II. Gerichtsstandsvereinbarungen als lesser limitations on jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Lesser limitations on jurisdiction im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . 229 2. The Bremen und Derogationen . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Die ouster-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) The Bremen v. Zapata Off-Shore Co. . . . . . . . . . . 231

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c) Rezeption durch die US-amerikanischen Gerichte . . . 233 aa) The Bremen und die einzelstaatlichen Gerichte . . . 233 bb) The Bremen und die Bundesgerichte . . . . . . . . 234 3. Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung als lesser limitation on jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Derogation eines einzelstaatlichen Gerichts . . . . . . . 236 b) Derogation eines Bundesgerichts . . . . . . . . . . . . 236 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 III. Gerichtsstandsvereinbarungen als venue clauses . . . . . . . 239 1. Venue im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . 239 2. Prorogation örtlicher Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 240 3. Derogation örtlicher Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Voraussetzungen interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Wahl eines bestimmten Gerichts oder bestimmter Gerichte 244 a) Ausschließliche und nicht-ausschließliche Zuständigkeit 245 b) Bundesgerichte oder einzelstaatliche Gerichte . . . . . 246 3. Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . 246 4. Wirksamkeit im engeren Sinne – reasonableness . . . . . 247 a) Vertragsrechtliche Unwirksamkeitsgründe . . . . . . . 248 b) Besondere Unwirksamkeitsgründe . . . . . . . . . . . 249 aa) Das convenience-Erfordernis . . . . . . . . . . . . 250 bb) Public policy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 §  2 Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Grundsatz des full faith and credit zwischen den Einzelstaaten 253 1. Art. IV §  1 Bundesverfassung und 28 U. S. C. §  1738 . . . 254 2. Sinn und Zweck der full faith and credit clause . . . . . . 256 II. Urteilsanerkennung als Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . 258 1. Rechtskraft und full faith and credit . . . . . . . . . . . . 258 a) Rechtskraft im US-amerikanischen Zivilprozessrecht . . 258 aa) Claim preclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 bb) Issue preclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . 262 a) Action upon a judgment . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Registration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

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III. Anerkennungsversagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Anerkennungsversagung als collateral attack . . . . . . . 265 2. Anerkennungsversagung bei fehlender Rechtskraft im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Nichtigkeit des anzuerkennenden Urteils . . . . . . . . . . 266 a) Nichtigkeit bei fehlender personal jurisdiction . . . . . 267 aa) Grundsatz der Nichtigkeit bei fehlender personal jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Ausnahme bei rechtskräftiger Entscheidung über personal jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . 268 cc) Nichtigkeit und Prorogation . . . . . . . . . . . . . 270 b) Nichtigkeit und lesser limitations on jurisdiction . . . . 273 aa) Erstgericht hält Derogation für wirksam . . . . . . 274 bb) Erstgericht hält Derogation für unwirksam . . . . . 276 c) Nichtigkeit und venue . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Eingriff in besondere Interessen des Zweitstaates . . . . . 277 IV. Vergleich zur Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Teil III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 §  1 Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund . . . . . . . . 284 I. Kein abschließender Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 II. Systematischer Wertungswiderspruch zwischen Litispendenz- und Anerkennungsrecht . . . . . . . 286 III. Unzureichender Beklagtenschutz bei Versäumnisurteilen . . . 288 IV. Rechtlosstellung des Klägers bei Vereinbarung drittstaatlicher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 V. Vergleich mit den ausschließlichen Gerichtsständen . . . . . 291 VI. Vergleich mit den Schutzgerichtsständen . . . . . . . . . . . 293 VII. Stärkung des Binnenmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 VIII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 §  2 Gegenstand der Nachprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. Nachprüfung der Derogation des Erstgerichts . . . . . . . . . 297 II. Keine Nachprüfung der Prorogation des Erstgerichts . . . . . 298 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

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§  3 Umfang der Nachprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Umfang der inhaltlichen Nachprüfung . . . . . . . . . . . . 300 II. Einschränkung der Nachprüfung bei erstgerichtlicher Entscheidung über die Gerichtsstandsvereinbarung? . . . . . 303 III. Tatsachenbindung des Zweitgerichts . . . . . . . . . . . . . 306 §  4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309

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Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

Abkürzungsverzeichnis A.2d Atlantic Reporter Second Series a. A. andere Auffassung ABl. Amtsblatt ABl.  EU Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. E. am Ende a. F. alter Fassung AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen Am. J. of Comp. L. American Journal of Comparative Law Anh. Anhang Anm. Anmerkung Ariz. Arizona Art. Artikel Aufl. Auflage AWD Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (1958–1974) Bd. Band BeckRS Beck online Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Brüssel I-VO Verordnung (EG) Nr.  44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Brüssel Ia-VO Verordnung (EU) Nr.  1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) Brüssel Ia-VO-E Kommissionsentwurf zur Brüssel Ia-VO, KOM (2010) 748 endg. bzw. beziehungsweise C. A. Court of Appeals Cal. California; California Reports CCP California Code of Civil Procedure Cal. App. California Appelate Reports Cir. Circuit CMLR Common Market Law Review Col. L. Rev. Columbia Law Review Comm. Commercial Division

XXII Conn. Conn. C.P. Conn. Sup. CPLR Cranch Creighton L. Rev. D. D. C. Del. Del. Super. Ct. Denv. L. J. D.R.I. EG

Abkürzungsverzeichnis

Connecticut; Connecticut Reports Connecticut Court of Common Pleas Connecticut Superior Court Civil Practice Law and Rules (N.Y.) Cranch’s Reports Creighton Law Review District Court District of Columbia Delaware; Delaware Reports Delaware Superior Court Denver Law Journal United States District Court for the District of Rhode Island Europäische Gemeinschaften; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch ELR European Law Review erw. erweitert EuGH Europäischer Gerichtshof EuGVVO Verordnung (EU) Nr.  1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) EuIPR Internationales Privatrecht der Europäischen Union EuMahnVO Verordnung (EG) Nr.  1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens EuR Europarecht EuZPR Europäisches Zivilprozessrecht EuZVR Europäisches Zivilverfahrensrecht EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWHC High Court of England and Wales EWHC (QB) High Court of England and Wales (Queen’s Bench Division) EWHC (Comm.) High Court of England and Wales (Commercial Division) F.2d/3d Federal Reporter Second Series/Third Series f./ff. folgender/folgende F. App’x Federal Appendix FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland Fla. Florida Fn. Fußnote FS Festschrift F. Supp.  2d Federal Supplement Second Series Ga. Georgia Georgia L. Rev. Georgia Law Review GPR Gemeinschaftsprivatrecht Gray Gray’s Massachusetts Supreme Judicial Court Reports Harv. L. Rev. Harvard Law Review

Abkürzungsverzeichnis Hastings Int’l &   Comp. L. Rev. HGÜ

XXIII

Hastings International and Comparative Law Review

Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, ABl.  EU 2009 Nr. L 133, S.  3. Hg. Herausgeber h. M. herrschende Meinung Houston J. of Int. L. Houston Journal of International Law HS Halbsatz ICLQ International and Comparative Law Quarterly i. d. R. in der Regel IHR Internationales Handelsrecht Ill. Illinois Ind. Indiana IPR Internationales Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRspr. Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts i. R. d. im Rahmen des i. S. d. im Sinne des/der i. V. m. in Verbindung mit IZPR Internationales Zivilprozessrecht IZVR Internationales Zivilverfahrensrecht JPIL Journal of Private International Law JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KMU Kleine und mittlere Unternehmen Ky. Kentucky LG Landgericht L. J. Law Journal LMK beck fachdienst Zivilrecht, in Fortführung der „Kommentierten BGH Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring“ L. Rev. Law Review LugÜ Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007. Mass. Massachusetts Md. Maryland MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Mich. Michigan Minn. Minnesota Mo. Missouri m. w. N. mit weiteren Nachweisen N.C. North Carolina NCPC Nouveau Code de procédure civile N.D. Northern District neubearb./ neu neubearbeitet/neu bearbeitet  bearb. Nev. Nevada

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report N.J.Super. New Jersey Superior Court; New Jersey Superior Court Report Nr. Nummer(n) N. Y. New York N. Y.2d New York Reports (Second Series) o. oben Okla. Oklahoma Ok. Civ. App. Oklahoma Court of Appeals OLG Oberlandesgericht Or. Oregon P.2d. Pacific Reporter Second Series Pa. Pennsylvania QB Queen’s Bench Division RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel RSMo Missouri Revised Statutes RIW/AWD Recht der Internationalen Wirtschaft/ Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Rn. Randnummer(n) Rom  I-VO Verordnung (EG) Nr.  593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rspr. Rechtsprechung RFCP Rules of Federal Civil Procedure Rz. Randziffer s. siehe S. Seite s. a. siehe auch S.Ct. Supreme Court Reporter S. D. Southern District; South Dakota SE.2d South Eastern Reporter, Second Series So.2d Southern Reporter, Second Series s. o. siehe oben s. u. siehe unten S.W.2d South West Reporter Second Series Slg. Sammlung st. Rspr. ständige Rechtsprechung Tex. Texas Tex. App. Court of Appeals Texas Texas Int. L. J. Texas International Law Journal u. unten u. a. unter anderem; und andere UCLA J. Int’l L. University of Carlifornia, Los Angeles, International Law and Foreign   & Foreign Aff. Affairs Univ. University Univ. Ill. L. Rev. University of Illinois Law Review

Abkürzungsverzeichnis

XXV

Univ. Pen. J. of University of Pennsylvania Journal of International Law   Int. L. U. S. United States US U. S. Supreme Court Reports USC United States Code Übk. Übereinkommen Urt. Urteil usw. und so weiter v. vom; von Va. Virginia vgl. vergleiche VO Verordnung Vorbem. Vorbemerkung Wall. Wallace’s Reports Washington L. Rev. Washington Law Review W.D. Western District W.D.N.C. District Court for the Western District of North Carolina WL Westlaw WM Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht W. Va. West Virginia; West Virginia Reports Wyoming L. Rev. Wyoming Law Review YPIL Yearbook of Private International Law z. B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZVglRWiss Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft ZZP Zeitschrift für Zivilprozess ZZPInt Zeitschrift für Zivilprozess International

Einführung Die vorliegende Arbeit steht deutlich unter dem Eindruck des britischen Refe­ rendums vom 23. Juni 2016 über den sogenannten Brexit.1 Europa befindet sich an einem Scheideweg. Befürworter einer engeren Integration der Mitgliedstaaten sehen sich einer weit verbreiteten Integrationsskepsis gegenüber. Schenkt man den Analysen zum Brexit Glauben, war es insbesondere die Ablehnung der Ar­ beitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union,2 die die Briten mehrheitlich für einen Austritt hat stimmen lassen.3 In geradezu lupenreiner his­ torischer Dialektik hat sich eines der zentralen Instrumente der europäischen In­ tegration in einen Grund für Desintegration und Entfremdung verwandelt. Diese Dialektik gibt auch aus zivilprozessualer Sicht Anlass zu Sorge und Re­ flexion. Im Europäischen Zivilprozessrecht (EuZPR) stößt die nahezu uneinge­ schränkte Urteilsfreizügigkeit, also die Anerkennung und Vollstreckung mit­ gliedstaatlicher Urteile in anderen Mitgliedstaaten,4 die teilweise auch als fünfte Grundfreiheit bezeichnet wird,5 ebenfalls besonders in Großbritannien, aber auch andernorts in Europa, auf Widerspruch.6 Denn nach der gegenwärtigen Konzeption der Urteilsfreizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten geht damit die Freizügigkeit von Urteilen unzuständiger Gerichte einher. Warum, so lässt sich fragen, gibt es kein anerkennungsrechtliches Korrektiv gegen die Urteile interna­ tional unzuständiger Gerichte? Die Antwort liegt in dem Postulat gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwer­ tigkeit der Justizsysteme innerhalb der EU.7 Mit diesem werden die zivilpro­zess­ rechtliche Integration der Mitgliedstaaten der EU und der damit einhergehende Abbau von Kontrollmöglichkeiten durch die Mitgliedstaaten, etwa in Form von 1  Zum möglichen Einfluss des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs auf das britische IPR und IZVR vgl. Dickinson, JPIL 2016, S.  195–210. 2  Art.  45 AEUV. 3 So etwa Gutschker, faz.net vom 27.12.2018, abrufbar unter (zu­ letzt abgerufen am 27.12.2018). 4  Vgl. dazu Teil  I §  5 III 3 a. 5  Hess, IPRax 2001, S.  301, 302 f. 6  Vgl. Teil  I §  5 III 3 b cc. 7  Vgl. dazu Teil  I §  5 III 3 b.

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Einführung

Anerkennungsversagungsgründen, begründet. Dies soll der Integration des Bin­ nenmarkts dienen.8 Genau hier besteht aber die Gefahr. Denn das Vertrauensprin­ zip erscheint allzu vielen Kommentatoren und Marktteilnehmern als bloß theore­ tisches Konstrukt, eben als Postulat, das einer empirisch-praktischen Grundlage entbehre.9 Es entsteht so die Gefahr, dass das Vertrauensprinzip, auf dem die (nahezu) uneingeschränkte Urteilsanerkennung zwischen den Mitgliedstaaten gründet, zu Rechtsunsicherheit und damit zu weniger Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten führt. Rechtsunsicherheit und die damit einhergehende Frustra­ tion insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen wirken sich wiederum nachteilig auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und damit negativ auf den Binnenmarkt aus. Die vorliegende Arbeit greift aus dem weiten Themengebiet des Europäischen Zivilprozessrechts den Teilbereich der internationalen Gerichtsstandsvereinba­ rungen heraus und analysiert deren Stellung im Recht der internationalen Aner­ kennung und Vollstreckung nach der Brüssel Ia-VO.10 Konkret möchte diese Arbeit die Frage beantworten, ob einem Urteil, das mit Art.  25 Brüssel Ia-VO unvereinbar ist, die internationale Anerkennung und Vollstreckung de lege ferenda zu versagen ist. Aufgrund ihrer praktischen wirtschaftlichen Bedeutung nehmen internationa­ le Gerichtsstandsvereinbarungen eine herausgehobene Stellung im Europäi­ schen Zivilprozessrecht ein. Ihre Effektivität und ihr Schutz werden daher zu Recht als überragend wichtig qualifiziert.11 Wie zu zeigen ist, steht dies in einem Spannungsverhältnis zu der seit dem Europäischen Gerichtsstands- und Voll­ streckungsübereinkommen (EuGVÜ) von 1968 etablierten grundsätzlichen Urteils­freizügigkeit und des darin enthaltenen Grundsatzes gegenseitigen Ver­ trauens zwischen den Konventions- bzw. seit der Brüssel I-VO12 zwischen den Mitgliedstaaten. Denn prorogationswidrigen Urteilen kann de lege lata die Anerkenn­ung und Vollstreckung nicht versagt werden. Gerichtsstandsvereinba­ rungen werden daher über das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht nicht ­geschützt. Urteilsfreizügigkeit und Vertrauensprinzip werden bislang für ge­ 8 

Vgl. unten Teil  I §  5 III 3 b aa. Vgl. dazu Teil  I §  7. 10  Verordnung (EU) Nr.  1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung). In der Literatur wird die VO üblicherweise als Brüssel Ia-VO oder EuGVVO bezeichnet. Im Folgenden wird die Bezeich­ nung Brüssel Ia-VO verwendet. 11  Vgl. schon Jenard-Bericht, 1968, S.  37. 12  Verordnung (EG) Nr.  44/2001 Des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Han­ delssachen. 9 

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wichtiger als der anerkennungsrechtliche Schutz internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen erachtet. Ziel dieser Arbeit ist nicht die grundsätzliche Kritik des Vertrauensprinzips13 oder der Urteilsfreizügigkeit. Vielmehr soll dogmatisch, systematisch, rechtsver­ gleichend und rechtspolitisch untersucht werden, ob und inwiefern eine Ein­ schränkung der Urteilsfreizügigkeit und des darin implizierten Vertrauensprin­ zips zur Stärkung und zum Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen angezeigt ist. Die Arbeit kommt hier zu einem eindeutigen Ergebnis: die Deroga­ tionswirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen ist durch einen Aner­ kennungsversagungsgrund zu schützen.14 Einem Urteil, das gegen eine internati­ onale Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art.  25 Brüssel Ia-VO verstößt, sollte die internationale Anerkennung und Vollstreckung im Anerkennungsstaat versagt werden können. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil befasst sich mit der Aner­ kennung prorogationswidriger Urteile nach der Brüssel Ia-VO. Zunächst sollen internationale Gerichtsstandsvereinbarungen im System der Brüssel Ia-VO sys­ tematisch eingeordnet (§  1) und die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit und Wirksamkeit (§  2) herausgearbeitet werden. Ferner sollen die Wirkungen inter­ nationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im Zuständigkeitsrecht (§  3) und im Litispendenzrecht (§  4) der Brüssel Ia-VO analysiert werden. Diese systemati­ sche Einordnung und dogmatische Analyse internationaler Gerichtsstandsverein­ barungen im Gesamtgefüge der Brüssel Ia-VO ist erforderlich, um Rechtsschutz­ lücken in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen herauszuarbeiten und die Notwendigkeit eines Anerkennungsversagungsgrundes aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund dieser Analyse soll sodann das Anerkennungs- und Voll­ streckungsrecht der Brüssel Ia-VO dargestellt, und die daran bestehenden ge­ samteuropäischen, mitgliedstaatlichen und Parteiinteressen untersucht werden (§  5). Dies dient dazu, die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata zu analysieren (§  6) und die Rezeption dieser geltenden Rechtslage durch die Literatur und die Marktakteure herauszuarbeiten (§  7). Dem schließt sich ein Rechtsvergleich mit dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinba­ rungen vom 30.6.2005 (HGÜ)15 an (§  8). Der zweite Teil der Arbeit hat die rechtsvergleichende Darstellung der Aner­ kennung von Urteilen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht zum Gegen­ stand, die gegen eine interstaatliche, also gegen eine zwei oder mehr Einzelstaa­ 13  Zum Vertrauensprinzip als „heiliger Kuh“ des EuZPR vgl. Kindler, in: FS Coester-Walt­ jen, 2015, S.  485, 489. 14  Vgl. Teil  III §  4. 15  Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, ABl.  EU 2009 Nr. L 133, S.  3.

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ten der USA betreffende Gerichtsstandsvereinbarung verstoßen. Ein Rechtsver­ gleich lohnt hier, weil mit der zwischeneinzelstaatlichen Urteilsanerkennung in den USA seit langem eine ähnliche Konstellation wie in der EU vorliegt.16 Dazu soll in einem ersten Schritt das Recht interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarun­ gen in den USA umfassend dargestellt werden (§  1). In einem zweiten Schritt soll sodann vor dem Hintergrund der zur Brüssel Ia-VO gewonnenen Erkenntnisse die interstaatliche Anerkennung und Vollstreckung im US-amerikanischen Zivil­ prozessrecht konkret mit Blick auf prorogationswidrige Urteile dargestellt und rechtsvergleichend analysiert werden (§  2). Auf der Grundlage des ersten und zweiten Teils werden in Teil  III die wesent­ lichen Argumente für und gegen einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutze internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen zusammengefasst (§  1) sowie dessen mögliche Ausgestaltung hinsichtlich Gegenstand (§  2) und Umfang (§  3) der zweitgerichtlichen Nachprüfung untersucht. Als Ergebnis wird schließ­ lich in §  4 ein zu normierender Anerkennungsversagungsgrund Art.  45 Abs.  1 lit.  e (iii) Brüssel Ia-VO vorgeschlagen. Nach diesem kann Urteilen derogierter Gerichte die internationale Anerkennung und Vollstreckung vom Zweitgericht versagt werden.

16 

Vgl. dazu ausführlich unten Teil  II.

Teil  I

Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO Viele Rechtsordnungen und internationale Abkommen ermöglichen es den Par­ teien, durch eine Gerichtsstandsvereinbarung ein Gericht oder die Gerichte eines Staats als zuständig zu vereinbaren.1 Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung ist ein Vertrag, in dem die Parteien ein bestimmtes Gericht oder bestimmte Gerichte für einen bestimmten zukünftigen oder einen bereits entstandenen Rechtsstreit als zuständig festlegen.2 International ist eine Gerichtsstandsvereinbarung dann, wenn der Sachverhalt Berührungspunkte zu verschiedenen Staaten aufweist, und daher die Zuständigkeit der Gerichte verschiedener Staaten in Betracht kommt.3 Im Unionsrecht wird die internationale Gerichtsstandsvereinbarung in Zivil- und Handelssachen von Art.  25 Brüssel Ia-VO geregelt.4 Art.  25 Brüssel Ia-VO lautet: „(1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zustän­ dig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nich­ tig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden: a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung, b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien ent­ standen sind, oder c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten. (2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung er­ möglichen, sind der Schriftform gleichgestellt. (3) Ist in schriftlich niedergelegten Trust-Bedingungen bestimmt, dass über Klagen gegen einen Begründer, Trustee oder Begünstigten eines Trust ein Gericht oder die Gerichte ei­ S. dazu bereits Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), S.  201, 215. Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  2. Im Folgen­ den beziehen sich Fundstellen in Kommentaren auf die Brüssel Ia-VO, es sei denn, es wird ausdrücklich etwas anderes angegeben. 3  Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), S.  201, 214 f. 4  Ergänzende Bestimmungen finden sich in Art.  15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO, vgl. dazu unten Teil  I §  2 II 3 d. 1 

2 Magnus/Mankowski/Magnus,

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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nes Mitgliedstaats entscheiden sollen, so ist dieses Gericht oder sind diese Gerichte aus­ schließlich zuständig, wenn es sich um Beziehungen zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten im Rahmen des Trust handelt. (4) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in Trust-Bedingungen haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 15, 19 oder 23 zuwiderlaufen oder wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig sind. (5) Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, ist als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln. Die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann nicht allein mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der Vertrag nicht gültig ist.“

Im Folgenden sollen internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in das System der Brüssel Ia‑VO eingeordnet werden. Dazu soll die rechtliche Natur internati­ onaler Gerichtsstandsvereinbarungen herausgearbeitet (I.) und in einem zweiten Schritt die praktische Relevanz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen einschließlich bestehender Probleme aufgezeigt werden (II.). Drittens sollen die in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen bestehenden Interessen der verschie­ denen Akteure des Europäischen Zivilprozessrechts analysiert werden (III.).

I.  Die rechtliche Natur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen Rechtshistorisch ist die Gerichtsstandsvereinbarung „ein Kind der klassischen Vertragsfreiheit“.5 Hinter dem Rechtsinstitut der Gerichtsstandsvereinbarung steht der Gedanke, dass die Parteien selbst wissen, was für sie vernünftig ist.6 Das staatliche Ordnungsinteresse an der Einhaltung der Zuständigkeitsordnung tritt hinter die Parteiinteressen in casu zurück und erkennt diese grundsätzlich an.7 Voraussetzung wie Grenze der Berücksichtigung einer Gerichtsstandsver­ einbarung ist freilich deren Wirksamkeit.8 Internationale Gerichtsstandsverein­ barungen bieten den Parteien somit parallel zur materiell-rechtlichen Vertrags­ freiheit und zur kollisionsrechtlichen Rechtswahlfreiheit die Möglichkeit der 5 So Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  476; Illmer, in: Basedow/Hopt/Zim­ mermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S.  688. 6  Vgl. ausführlich Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  476; zur rechtssoziologi­ schen Universalität der Vertragsfreiheit in Bezug auf Streitbeilegungsklauseln vgl. Brödermann, in: FS Martiny, 2014, S.  1045, 1046 f. 7  Illmer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privat­ rechts, 2009, S.  688; Kirchner, in: Basedow/Kono (Hg.), An Economic Analysis of Private In­ ternational Law, 2006, S.  33, 47. 8  Von Mehren, Adjudicatory Authority, 2007, S.  207.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Ausübung von Parteiautonomie im Internationalen Zivilprozessrecht.9 Erwgr. Nr.  19 Brüssel Ia-VO hebt dies deutlich hervor: „Vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten ausschließlichen Zuständigkeiten sollte die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands, außer bei Versiche­ rungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen, wo nur eine begrenztere Vertragsfreiheit zulässig ist, gewahrt werden.“

Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen besitzen grundsätzlich eine Dop­ pelnatur zwischen materiellem Recht und Prozessrecht.10 Zwar stellen sie auf­ grund ihrer Derogations- und Prorogationswirkung Prozessverträge mit folglich prozessualen Wirkungen dar.11 Jedoch greifen diese Wirkungen erst im Moment der Klageerhebung ein und wirken damit bis zur Anhängigkeit des Rechtsstreites nur „prophylaktisch“.12 Gerichtsstandsvereinbarungen können also unabhängig von einem Prozess geschlossen werden und ähneln darin eher materiell-rechtli­ chen Verträgen. Aus diesem Grund ist die rechtliche Einordnung internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen teilweise umstritten gewesen.13 Dies zeigt sich an der in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich beantworteten Frage, ob sich Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach der lex fori oder der lex causae des Hauptvertrags bestimmen.14 Qualifiziert man Gerichtsstandsvereinbarungen materiell-rechtlich, liegt die Anwendung eines ei­ genen Gerichtsstandsvereinbarungsstatuts, der lex causae, nahe. Bei prozess­ rechtlicher Qualifikation ist hingegen die Anwendung der lex fori plausibel. Ins­ besondere in Staaten des common law wird aus Gerichtsstandsvereinbarungen traditionell eine materiell-rechtliche Verpflichtung der Parteien abgeleitet, deren Missachtung etwa zur Schadensersatzpflicht der die Gerichtsstandsvereinbarung missachtenden Partei führen kann.15 Zwischen einer rein materiell-rechtlichen und einer rein prozessrechtlichen Qualifikation setzte sich insbesondere in Deutschland die Auffassung durch, dass 9  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  6.1; vgl. zur Herleitung des Prinzips der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie M. Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S.  25– 33; zur Parteiautonomie im IZVR vgl. Coester-Waltjen, in: FS Heldrich, 2005, S.  549, 554; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.05. 10  Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295; vgl. auch G. Roth, ZZP 93 (1980), S.  156, der von einer „Zwitterstellung“ spricht. 11  Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295, 296; Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Europäi­ sches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2015, Art.  25 Rn.  16. 12  Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295, 296. 13  Für einen rechtshistorischen Überblick vgl. Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S.  267, 272. 14 Vgl. Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 526. 15  Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S.  267, 268.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zwar grundsätzlich Prozesshand­ lungen darstellen, die im Prozessrecht nicht vorgesehenen Regelungen zu Ver­ tragsschluss und Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung jedoch dem Statut der Gerichtsstandsvereinbarung zu entnehmen sind.16 Somit stellt die Gerichts­ standsvereinbarung einen besonderen Vertragstypus dar, der grundsätzlich pro­ zessrechtliche Qualität besitzt, jedoch teilweise unter Rückgriff auf das allgemei­ ne Vertragsrecht behandelt werden kann und muss.17 Diese vermittelnde Ansicht liegt auch Art.  25 Brüssel Ia-VO zugrunde, der Einigung, Formwirksamkeit und insbesondere die prozessrechtlichen Wirkun­ gen einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung unmittelbar selbst und da­ mit im autonomen Prozessrecht regelt, für die materielle Wirksamkeit aber auf das Recht des gewählten Staates, die lex fori prorogati, einschließlich dessen IPR verweist.18 Damit unterscheidet Art.  25 Brüssel Ia-VO zwischen den prozess­ rechtlichen Elementen wie Vorliegen, Zulässigkeit und Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung auf der einen Seite und der materiellen Wirksamkeit und damit den vertragsrechtlichen Unwirksamkeitsgründen auf der anderen. Die materielle Wirksamkeit regelt die Brüssel Ia-VO gerade nicht und unterstreicht damit, dass es sich hier um eine vertragsrechtliche und nicht um eine prozess­ rechtliche Frage handelt.19 Durch die Normierung einer Gesamtverweisung in Art.  25 Brüssel Ia-VO wird die rechtspolitisch höchst schwierige Entscheidung zwischen lex fori, lex causae und lex fori prorogati vermieden und den Parteien in Verbindung mit dem IPR des gewählten Mitgliedstaats überlassen.20 Die Differenzierung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen in einen materiellrechtlichen und einen prozessrechtlichen Bestandteil wird durch die Ausnahme internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbe­ reich der der Rom  I-VO und dem ihres Vorgängerinstruments, des Europäischen Vertragsrechtsübereinkommens von 1980,21 gestützt.22 Diese Ausnahme begrün­ dete der europäische Gesetzgeber ausdrücklich mit der grundsätzlich prozess­

16  BGH, Urt. v. 29.02.1968 – VII ZR 102/65, NJW 1968, S.  1233; vgl. auch Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295, 298 f.; Hausmann, in: Reithmann/Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.8. 17  Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, Rn.  2.128. 18 So Queirolo, YPIL 15 (2013/2014), S.  113, 124; vgl. ausführlich zu Art.  25 Brüssel IaVO unten Teil  I §  2 II 3 c bb. 19  Vgl. unten Teil  I §  2 II 3 c. 20  In Bezug auf das HGÜ verweist auf diesen Umstand M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 708 f. 21  Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980. 22  Art.  1 Abs.  2 lit.  e Rom  I-VO.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

rechtlichen Natur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen.23 Bezeichnen­ derweise fordert aber eine überwiegende Auffassung in der Literatur, die Rom  IVO dennoch auf die materielle Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen anzuwenden, da diese gerade nicht von der Brüssel Ia-VO einheit­ lich geregelt wird.24 Die Diskussion verdeutlicht die mit der Doppelnatur inter­ nationaler Gerichtsstandsvereinbarungen unter der Brüssel Ia-VO einhergehen­ den dogmatischen und rechtspolitischen Spannungen. Rechtshistorisch geht Art.  17 EuGVÜ, die Vorgängernorm der Art.  23 Brüs­ sel I-VO und Art.  25 Brüssel Ia-VO, auf die entsprechende Regelung des vom kontinentalen Rechtskreis geprägten deutsch-belgischen Vollstreckungsabkom­ mens von 1959 zurück.25 Art.  17 Abs.  1 EuGVÜ lautete: „Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, daß ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechts­ verhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staats ausschließlich zuständig.“

Damit liegt auch bei historischer Betrachtung den Regelungen in EuGVÜ, Brüs­ sel I- und Brüssel Ia-VO die Konzeption eines materiell-rechtlichen Vertrags mit prozessualen Wirkungen zugrunde. Folgerichtig hat sich der EuGH in Benincasa dem ausdrücklich angeschlossen.26

II.  Die praktische Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen In Literatur und Rechtsprechung herrscht Einigkeit darüber, dass internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen wirtschaftlich und prozessrechtlich eine hohe praktische Bedeutung zukommt.27 Die deutsche Bundesregierung führte etwa aus: „Gerichtsstandsvereinbarungen sind, so lautet auch das Ergebnis des vom Merrett, ICLQ 58 (2009), S.  545, 555; Giuliano/Lagarde-Bericht, 1980, Rn.  5. Vgl. ausführlich unten Teil  I §  2 II 3 c bb. 25  Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien vom 30. Juni 1958 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl.  1959 II S.  766; vgl. zum Verhältnis von EuGVÜ und dem deutsch-belgischen Vollstre­ ckungsabkommen Jenard-Bericht, 1971, S.  36 f. und Samtleben, NJW 1974, S.  1590, 1592. Zu den unterschiedlichen Rechtskreisen vgl. grundlegend Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S.  62–73. 26  EuGH v. 2.7.1997 – Rs. C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3788, Rz.  25; vgl. auch Merrett, ICLQ 58 (2009), S.  545, 555, Fn.  34; Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295, 299. 27  Mankowski, IPRax 2009, S.  23; Wais, GPR 2015, S.  142; Briza, JPIL 2009, S.  537. 23  24 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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Bundesministerium der Justiz durchgeführten Konsultationsprozesses, im inter­ nationalen Handelsverkehr von immenser praktischer Relevanz. Es ist daher grundsätzlich zu begrüßen, wenn solche auf der Parteiautonomie beruhenden Vereinbarungen eine möglichst weitreichende Wirkung entfalten sollen und dem Parteiwillen so angemessen Rechnung getragen wird.“28 In ähnlicher Weise äu­ ßerte sich beispielsweise auch die französische Regierung.29 Das EuGVÜ, die Brüssel I-VO sowie die Brüssel Ia-VO haben daher jeweils die Möglichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen vorgesehen. Dabei weist der für die Interpretation des EuGVÜ maßgebliche Jenard-Bericht explizit darauf hin, dass die Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen in wirt­ schaftlichen Angelegenheiten nicht näher erläutert werden müsse.30 Für einige Autoren stellt deswegen Art.  25 Brüssel Ia-VO die für den internationalen Han­ delsverkehr wichtigste Vorschrift der Brüssel I bzw. Ia-VO und damit des euro­ päischen Zivilverfahrensrechts überhaupt dar.31 Vor diesem Hintergrund formu­ liert von Mehren pointiert, dass der eherne prozessuale Grundsatz actor sequitur forum rei in der Praxis durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zu­ mindest überlagert werde.32

1.  Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr Wie häufig Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Wirtschaftsverkehr vorkommen, ist nicht genau zu beantworten. Nach einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie verwenden 70  % aller europäischen Unternehmen in ihren Verträgen regelmäßig oder gelegentlich Gerichtsstands­ vereinbarungen.33 Unter den europäischen Unternehmen mit mehr als 250 Mitar­ beitern beträgt der Anteil 90  %.34 Nach einer anderen Studie im Auftrag der Eu­ ropäischen Kommission verwenden weltweit 92–96  % der Unternehmen in in­

28  Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  6, abrufbar unter (zu­ letzt abgerufen am 17.3.2017). 29  Stellungnahme der Republik Frankreich zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  10, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 30  Jenard-Bericht, 1971, S.  37; Briza, JPIL 2009, S.  537. 31  Vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25, Rn.  1; Wais, GPR 2015, S.  142 mit Fn.  5; zu Art.  23 Brüssel Ia-VO vgl. Illmer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hg.), Hand­ wörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009 S.  688, 690. 32  Von Mehren, Adjudicatory Authority, 2007, S.  222. 33  SEC (2010) 1547 final, S.  29. 34  SEC (2010) 1547 final, S.  29.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

ternationalen Verträgen Streitbeilegungsklauseln.35 Davon bilden ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen einen Anteil von 17–50  %.36 Bereits aus diesen Zahlen wird die zentrale Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarun­ gen für den europäischen und internationalen Wirtschaftsverkehr ersichtlich. Die Kommission schließt daraus, dass europäische Unternehmen insgesamt an einer Stärkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen und insbesondere deren Effizienz interessiert sind.37

2.  Probleme mit internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen Die Häufigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen führt zu zahlrei­ chen damit verbundenen Problemen. So gaben 7,7  % der im Rahmen einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2010 befragten Unternehmen an, dass ihr Vertragspartner in den letzten fünf Jahren gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung verstoßen habe.38 Bei 50  % der betroffe­ nen Unternehmen kam ein solcher Verstoß mehr als einmal vor.39 5,7  % der Un­ ternehmen gaben an, dass das befasste Gericht ihre Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam gehalten habe.40 Insgesamt sind nur ca. 25  % der europäischen Unternehmen im Ausland tätig,41 wobei die Komplexität internationaler Prozess­ führung der Europäischen Kommission zufolge einer der Hauptgründe für diesen niedrigen Anteil ist.42 Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Vorschriften des In­ ternationalen Zivilverfahrensrechts (IZVR) und die Erfahrungen grenzüber­ schreitender Prozessführung auf Unternehmen eine abschreckende Wirkung ent­ falten können. So werden in Europa 30  % derjenigen Unternehmen, die nicht grenzüberschreitend tätig sind, nach eigenen Angaben durch Probleme bei grenz­ 35  Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007, S.  21. 36  Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007, S.  21. 37  SEC (2010) 1547 final, S.  29 f. 38  SEC (2010) 1547 final, S.  30; vgl. auch Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 465. 39  SEC (2010) 1547 final, S.  30; vgl. auch Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 465. 40  SEC (2010) 1547 final, S.  30; vgl. auch Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 465. 41  Vgl. Teil  I §  1 II 1. 42  SEC (2010) 1547 final, S.  13.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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über­schreitenden Rechtsstreitigkeiten oder Schuldbeitreibungen davon abgehal­ ten.43 Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen, die für grenzüberschrei­ tende Rechtsstreitigkeiten weniger Ressourcen als große Unternehmen zur Ver­ fügung haben, sind davon in besonderem Maße betroffen.44

III.  Das Interesse an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen Aus ökonomischer Perspektive lassen sich in Bezug auf internationale Gerichts­ standsvereinbarungen drei maßgebliche Interesseninhaber unterscheiden.45 Zu­ nächst besteht das Interesse der Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung mit Blick auf den konkreten, in der Regel künftigen Rechtsstreit (1.). Sodann besteht ein nationales bzw. mitgliedstaatliches Interesse, wonach der Staat die Integrität seiner Rechtsordnung sowie bestimmte Personengruppen schützen, gleichzeitig Parteiautonomie aber auch fördern möchte (2.). Auf supranationaler Ebene ist sodann die EU daran interessiert, die Integration des Binnenmarkts sowie sonsti­ ge rechtspolitische Ziele zu fördern (3.).

1.  Parteiinteressen Gerichtsstandsvereinbarungen legen das zuständige Gericht vertraglich fest. Sie dienen daher den Parteien dazu, bereits entstandene oder zukünftige Rechtsstrei­ tigkeiten zwischen ihnen auf eine klare zuständigkeitsrechtliche Grundlage zu stellen.46 Denn durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen können die Parteien den Ort des Rechtsstreits vorhersehen.47 Internationale Gerichtsstands­ vereinbarungen sind damit zentraler Bestandteil von litigation planning, forum fixing und litigation management und beruhen auf einer komplexen Vielzahl an Überlegungen.48 Im Folgenden soll ein Überblick über die involvierten Parteiin­ teressen gegeben werden.

43 

462.

44 

SEC (2010) 1547 final, S.  32; vgl. auch Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461,

SEC (2010) 1547 final, S.  32. Vgl. dazu Kirchner, in: Basedow/Kono (Hg.), An Economic Analysis of Private Interna­ tional Law, 2006, S.  33, 35, der freilich als vierte Ebene noch ein internationales Interesse an dem Abbau von Rechtsverkehrshemmnissen annimmt. 46 So Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295. 47 Vgl. Gottwald, in: FS Henckel, 1995, S.  295. 48 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  1. 45 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

a)  Festlegung der internationalen Zuständigkeit Ein Zweck internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen ist zunächst die partei­ autonome, vertragliche Festlegung der internationalen Zuständigkeit.49 Diese erfolgt meistens in Abweichung vom objektiven gesetzlichen Zuständigkeitsre­ gime.50 Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die abstrakt-generell durch den Gesetzgeber festgelegten objektiven Gerichtsstände die Interessen der Parteien im Einzelfall nicht umfassend berücksichtigen können.51 Den Parteiinteressen in casu kann häufig nur durch die parteiautonom feinjustierte Zuständigkeit in Form einer Gerichtsstandsvereinbarung Rechnung getragen werden.52 Nach Schröder führen die Parteien so den Ausgleich ihrer Zuständigkeitsinteressen „auf eigene Faust“ herbei.53 Der parteiautonome Interessenausgleich in Bezug auf die internationale Zu­ ständigkeit hat Auswirkungen auf die geschäftlichen Entscheidungen der Partei­ en. Denn die Vertrautheit mit dem jeweiligen Rechtssystem bildet für die Partei­ en einen der gewichtigsten Faktoren bei der Entscheidung über grenzübergrei­ fende Forderungsbeitreibungen. So gaben 73,8  % der im Rahmen der bereits zitierten Studie im Auftrag der Europäischen Kommission befragten Unterneh­ men an, dass die Vertrautheit mit einem Rechtssystem „sehr wichtig“ oder „ziemlich wichtig“ ist, wenn sie über die Verfolgung einer Forderung im Ausland entscheiden.54 Die Vertrautheit lag damit auf Platz drei hinter dem Wert der For­ derung (90,7  %) und den Verfahrenskosten (86,9  %).55 Ein Grund für eine Gerichtsstandsvereinbarung kann sein, dass die Parteien gerade ein neutrales Gericht wählen wollen, welches für beide Parteien vor dem 49  EuGH v. 2.7.1997 – Rs. C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3788, Rz.  29; vgl. auch Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), S.  201, 216; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  494; Hausmann, in: Reithmann/Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.114, 8.2. 50  EuGH v. 2.7.1997 – Rs. C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3788, Rz.  29; vgl. auch Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), S.  201, 216; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  494; Hausmann, in Reithmann/Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.114, 8.2. 51  Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  475; Geimer, Internationales Zivilpro­ zeßrecht, 2005, Rn.  1596; Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  388; Von Mehren, Adjudicatory Authority, 2007, S.  208. 52  Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 2005, Rn.  1597; Schröder, Internationale Zu­ ständigkeit, 1988, S.475; Kirchner, in: Basedow/Kono (Hg.), An Economic Analysis of Private International Law, 2006, S.  33, 49 f. 53  Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  476. 54  CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  9; vgl. zu der Studie auch bereits oben Teil  I §  1 II 1. 55  CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  9.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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Hintergrund einer möglichen Einwohnerbevorzugung gleich vorteil- bzw. nach­ teilhaft ist.56 Hierdurch können die Parteien etwa Sprach- oder Nationalitätsvor­ teile oder auch diesbezügliche Nachteile ausgleichen und so die prozessuale Waffengleichheit verbessern. Zwar kann die Wahl eines neutralen Gerichts etwa die Reisekosten der Parteien und damit die möglichen Kosten insgesamt erhö­ hen.57 Jedoch wird diese Erhöhung durch die Zunahme an zuständigkeitsbezoge­ ner Rechtssicherheit kompensiert.58 Ein Grund für die Wahl eines bestimmten Gerichts kann auch dessen durch­ schnittliche Verfahrensdauer sein.59 Insbesondere bei Gerichtsstandsvereinbarun­ gen zwischen Parteien aus verschiedenen Staaten mit teilweise sehr unterschied­ lichen durchschnittlichen Verfahrensdauern ist es häufig im Interesse der Partei­ en, durch eine Gerichtsstandsvereinbarung besonders effiziente Gerichte zu wählen. Hierdurch können die Parteien langwierige Verfahren samt der damit verbundenen Rechtsunsicherheit und dem erhöhten Kostenaufwand vermeiden.60 Eine Gerichtsstandsvereinbarung bietet den Parteien ferner die Möglichkeit, ein sach- oder beweisnahes Gericht zu wählen, um so ein mögliches Verfahren von vornherein effizienter zu gestalten.61 Nicht nur dürfte die Verfahrensdauer in der Regel erheblich verkürzt werden, wenn der dem Rechtsstreit zugrundelie­ gende Sachverhalt sich im Ausland abspielte und die Zuständigkeit eines dorti­ gen Gerichts von den Parteien vereinbart wurde. Vielmehr werden auch Kosten für die Bestellung von Gutachtern und die Übersetzung von Dokumenten in die Gerichtssprache vermieden. Zudem kann ein sachnahes Gericht insbesondere die faktischen Umstände des Sachverhaltes schneller und besser erfassen, da es mit diesen besser vertraut sein dürfte als ein ausländisches Gericht. Schließlich können die Parteien ein Interesse an der Wahl eines besonders kompetenten, etwa eines besonders erfahrenen oder sachkundigen Gerichts ha­ ben.62 Hintergrund ist der Umstand, dass bestimmte Gerichte bestimmte Tätig­ keitsschwerpunkte entwickelt haben, für die sie einen gewissen Ruf und eine

56  So

Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art.  23 Rn.  12c; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.06; O’Hara, in: O’Hara (Hg.), Econo­ mics of Conflict of Laws, Band II, 2007, S.  203, 212. 57  Vgl. zu den Kosten unten Teil  I §  1 III 1 c. 58  O’Hara, in: O’Hara (Hg.), Economics of Conflict of Laws, Band II, 2007, S.  203, 212. 59  Vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  60; Brödermann, in: FS Martiny, 2014, S.  1045, 1054. 60 Vgl. etwa zum Kostenaufwand Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Vorbem. Art.  2 Rn.  20 h. 61  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.2. 62 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  60.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

gewisse Expertise besitzen.63 Auch hierdurch werden die Verfahren zeit- und kosteneffizienter gestaltet und Rechtsanwendungsfehler vermieden. b)  Rechtssicherheit Gerichtsstandsvereinbarungen sollen den Parteien in größtmöglichem Umfang Zuverlässigkeit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf einen möglichen Rechtsstreit gewährleisten.64 Die Rechtssicherheit besteht vor allem in der Vorhersehbarkeit der Entscheidung des gewählten Gerichts über seine internationale Zuständigkeit und in der Vorhersehbarkeit des durch die andere Partei angerufenen Gerichts.65 Rechtssicherheit stellt neben Beklagtenschutz und Urteilsfreizügigkeit eines der zentralen Ziele des EuZPR dar. Dies wird in Erwgr. Nr.  15 Brüssel Ia-VO unter­ strichen, der eine hohe Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit fordert: „Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätz­ lich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist.“ 66

Dem Prinzip der Rechtssicherheit kommt daher folgerichtig auch in der Recht­ sprechung des EuGH bedeutendes Gewicht zu. In Folien Fischer definierte der EuGH 2012 zuständigkeitsrechtliche Rechtssicherheit im Brüssel-Regime da­ hingehend, dass der Kläger einfach bestimmen können muss, wo er Klagen darf, und der Beklagte vorhersehen können muss, wo er verklagt werden darf.67 Unterlaufen dem Gericht keine Fehler bei der Rechtsanwendung, so können die Parteien mit Abschluss einer zulässigen und wirksamen Gerichtsstandsver­ einbarung darauf vertrauen, dass das vereinbarte Gericht oder die vereinbarten Gerichte ihre internationale Zuständigkeit auch annehmen. Ebenso können die Parteien davon ausgehen, dass andere als das oder die gewählten Gerichte ihre internationale Zuständigkeit unter Berücksichtigung der Gerichtsstandsverein­ 63  So gilt etwa der Gerichtsstand Hamburg als rechteinhaberfreundlich in Presse-, Urheberund Patentsachen. 64  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534 f.; Hausmann, in: Reithmann/ Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.2; Brödermann, in: FS Martiny, 2014, S.  1045, 1049; ausdrücklich so auch aus Sicht der Finanzmarktakteure die Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  4.3 f., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 65  Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.06. 66  Vgl. auch Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.62. 67  EuGH v. 25.10.2012 – Rs. C-133/11, Folien Fischer, Rz.  33; vgl. Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.65.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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barung ablehnen. Schließlich verhindern Gerichtsstandsvereinbarungen spätere, unbeabsichtigte oder beabsichtigte Zuständigkeitswechsel, etwa wenn eine der Parteien ihren Wohn- bzw. Gesellschaftssitz verlegt.68 Von der durch die Berücksichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung durch das angerufene Gericht bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ausgehenden Rechtssicherheit hängt der Wert einer Gerichtsstandsvereinbarung damit ganz wesentlich ab. Es ist daher für die Parteien von zentraler Bedeutung, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht umgangen werden kann und vom jeweils angerufenen Gericht berücksichtigt wird. Ein weiterer Ansatzpunkt parteiautonomer Verfahrensgestaltung ist auch die Wahl des Klägers zwischen alternativ bestehenden objektiven Gerichtsständen, etwa dem Wohnsitz nach Art.  4 Brüssel Ia-VO und den besonderen Gerichtsstän­ den nach Art.  7 Brüssel Ia-VO.69 Durch eine Vereinbarung der Zuständigkeit ei­ nes Gerichts unter Ausschluss der Zuständigkeit aller übrigen wird allerdings die einseitige Wahlmöglichkeit des Klägers zwischen alternativen objektiven Ge­ richtsständen beeinträchtigt und sogar aufgehoben. Gerichtsstandsvereinbarun­ gen sind damit Ausdruck wie auch Begrenzung von Parteiautonomie im Interna­ tionalen Zivilprozessrecht. Gerichtsstandsvereinbarungen schützen so vor „ex post-Opportunismus der jeweiligen Gegenpartei durch forum shopping“,70 indem sie die Parteien auf ein Gericht festlegen. Von dieser Festlegung können sie auch nachträglich nicht ein­ seitig aus opportunistischen Gründen, etwa weil eine Partei sich von einem ande­ ren als dem gewählten Gericht Vorteile verspricht, Abstand nehmen. Jedoch hängt diese Rechtssicherheit gewährende Wirkung internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen maßgeblich davon ab, inwiefern die rechtlichen Rahmen­ bedingungen tatsächlich vor ex post-Opportunismus schützen. Die unter der Brüssel I-VO mögliche Prozesstaktik der sogenannten Torpedoklage, bei der durch eine schnelle Klageerhebung im forum derogatum die Rechtshängigkeits­ sperre für Klagen im forum prorogatum prozesstaktisch ausgenutzt wird, zeigt dabei, wie die aus einer Gerichtsstandsvereinbarung entspringende Rechtssicher­ heit und damit der Wert internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen untermi­ niert werden kann.71 Da die Parteien sich in der Regel an ihren eigenen Interessen orientieren und daher ex post-opportunistisch handeln, sind prorogationswidrige Klagen, also Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  494. Vgl. dazu Coester-Waltjen, in: FS Heldrich 2005, S.  549. 70 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  60; ähnlich auch Dickinson/ Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.05. 71  Vgl. zu den sogenannten Torpedoklagen unten Teil  I §  4 I 2. 68  69 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Klagen unter Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung,72 nicht besonders erstaunlich.73 Dies verdeutlicht indes, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, Rah­ menbedingungen solcher Art zu schaffen, durch die forum shopping bereits bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschlossen werden kann. Mit an­ deren Worten: schafft der europäische Gesetzgeber keine Rechtslage, in der eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung wasserdicht ist, – lässt er also Raum für Zweifel an der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung oder lässt er Möglichkeiten der Umgehung von Gerichtsstandsvereinbarungen zu – mindert dies das Ausmaß an Rechtssicherheit, das eine Gerichtsstandsvereinbarung zu gewähren vermag. Dies entwertet in der Folge Effektivität, Bedeutung und öko­ nomischen Nutzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. c) Kosten Die beschriebene parteiautonome Fixierung der internationalen Zuständigkeit durch die Parteien und die dadurch geschaffene Rechtssicherheit dienen aus Sicht der Parteien vor allem der Reduktion von Transaktionskosten.74 Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen beeinflussen die Kosten eines Verfahrens maßgeblich.75 Die Kosten eines Gerichtsverfahrens in der EU setzen sich nach verschiedenen Studien im Auftrag der Europäischen Kommission vor allem aus den Kosten für zwei oder mehr Kanzleien, Kosten, Verzögerungen und Rechtsunsicherheit bei der gerichtlichen Bestimmung der internationalen Zu­ ständigkeit, Übersetzungskosten, Dolmetscherkosten, Reisekosten während der Vorbereitung sowie während des Prozesses selbst und schließlich Kosten und Rechtsunsicherheit bei der Vollstreckung eines Urteils zusammen.76 Diese ange­ führten Kosten hängen maßgeblich vom Gerichtsort und dem damit verbundenen Verfahrensrecht ab.77 Dies belegt etwa die bereits angeführte CSES-Studie. Dort 72 

Zu prorogationswidrigen Klagen vgl. ausführlich unten Teil  I §  6 I. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  476. 74 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  60; Thiele, in: Gottschalk/Mi­ chaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 65; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534 f. 75  Für einen Überblick vgl. auch Brödermann, in: FS Martiny, 2014, S.  1045, 1053 f.; Mankowski, IPRax 2009, S.  23. 76  Die durchschnittlichen Kosten eines internationalen Verfahrens beliefen sich auf 40.000 Euro, vgl. zum Ganzen Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007, S.  17 f.; Study on the Transparency of Costs of Civil Judicial Proceedings in the European Union, JLS/2006/C4/007-30-CE-0097604/00-36, Final Report, S.  50; zu den un­ terschiedlichen Kostenposten vgl. auch Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  55; Schütze, in: FS Gottwald, 2014, S.  589; Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 29. 77  CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, 73 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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gaben 39,4  % der befragten Unternehmen an, dass Prozesse in einem anderen EU-Staat viel teurer als im Heimatstaat sind, während sie für 22,7  % ein bisschen teurer sind.78 Die Rechtssicherheit bezüglich der Zuständigkeitsprüfung durch die angerufe­ nen Gerichte beeinflusst die Entscheidung europäischer Unternehmen erheblich, internationale Handelsgeschäfte einzugehen.79 Die reine Möglichkeit eines Pro­ zesses vor einem ungünstigen Gericht vergrößert bereits das Risiko höherer Transaktionskosten und kann sich daher hemmend auf die Marktteilnehmer aus­ wirken. Hinzu kommt der Umstand, dass potentielle Kläger über eine Klageerhebung aufgrund einer Kosten-Nutzen-Analyse entscheiden, bei der der Wert des An­ spruchs zu den Kosten des Verfahrens ins Verhältnis gesetzt wird.80 Faktisch-öko­ nomisch betreffen Gerichtsstandsvereinbarungen damit den Zugang zum Recht, da sie über die von ihnen ausgehende Kostenreduktion die ökonomische Sinn­ haftigkeit einer Klage und folglich bei rationalen Akteuren die Entscheidung über die Klageerhebung beeinflussen.81 Schließlich sind die wenigsten Parteien wirklich daran interessiert, zwei paral­ lele Prozesse zu führen. Nach Fentiman ist es sogar unrealistisch, dass beide Parteien eine Entscheidung in der Sache verfolgen.82 Bei der prorogationswidri­ gen Anrufung des jeweils bevorzugten Gerichts geht es in erster Linie um den Aufbau von ökonomischem Druck und die Verbesserung der eigenen Verhand­ lungsposition.83 Dadurch soll die andere Partei zu einem Vergleich oder gar zur Aufgabe gezwungen werden.84 Hierbei genügt aus ökonomischer Sicht bereits die Möglichkeit des Eintritts höherer Transaktionskosten.85 Mit Fentiman lässt S.  158; vgl. auch Hausmann, in: Reithmann/Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.2. 78  CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  158. 79  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  2.02; zum Verhältnis von Pro­ zessrisiko und Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. Von Mehren, Adjudicatory Authority, 2007, S.  213. 80  CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  9; vgl. zur Entscheidung zwischen einem Vergleich und einer Klageerhebung Eidenmüller, ZZP 113 (2000), S.  5, 6–8. 81  CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  9. 82  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.47. 83  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.47. 84  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.47. 85  Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  4.3 f., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

sich daher feststellen: „to win the battle of forums is to win outright. As claim­ ants know to their advantage, defendants sued in an inconvenient forum are apt to capitulate, and, as any defendant knows, claimants unable to sue where they wish are likely to withdraw.“86 Klagen im forum derogatum können folglich dazu führen, dass aus ökonomi­ schen Gründen in der Sache berechtigte Ansprüche nicht durchgesetzt werden. Die bloße Möglichkeit prorogationswidriger Klagen wirkt dabei, weil sie die möglichen Transaktionskosten erhöht, wiederum auf das Planungs- und Ver­ handlungsstadium einer Transaktion zurück. Aus der durch eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung gewährten Rechtssicherheit im Planungsstadium einer Transaktion folgt, dass die Parteien bereits ex ante Transaktionskosten gering halten können. Denn Unsicherheiten bezüglich des Gerichtsstands entfallen durch eine internationale Gerichtsstands­ vereinbarung idealerweise gänzlich. Die Parteien einer Gerichtsstandsvereinba­ rung können daher bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung sicher voraus­ sagen, welche Kosten im Falle eines Prozesses auf sie zukommen. Denn wie gezeigt hängen die Transaktionskosten maßgeblich vom zuständigen Gericht ab.87 Aufgrund der aus der Gerichtsstandsvereinbarung resultierenden Rechtssi­ cherheit hinsichtlich des Gerichtsstands sinken daher die Transaktionskosten ins­ gesamt.88 Neben der Reduzierung von Kosten einer Transaktion können Gerichtsstands­ vereinbarungen auch den Wert einer Transaktion insgesamt erhöhen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Partei die Zuständigkeit eines bestimmten Ge­ richts, etwa an seinem Wohn- oder Gesellschaftssitz, höher bewertet als die an­ dere Partei. Die Parteien schreiben dann der Gerichtsstandsvereinbarung einen unterschiedlichen Wert zu. Aufgrund dieser unterschiedlichen Bewertung kann etwa durch ein Zugeständnis an anderer Stelle im Vertrag die ökonomische Effi­ zienz des Vertrags insgesamt erhöht werden.89 Vor diesem Hintergrund über­ rascht es nicht, dass 41  % der im Auftrag der International Chamber of Com­ merce (ICC) befragten Unternehmen angaben, dass wichtige Geschäftsentschei­

Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.47. Vgl. oben Teil  I §  1 III 1 c. 88 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  60; Thiele, in: Gottschalk/Mi­ chaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 65; vgl. auch Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534 f. 89  O’Hara, in: O’Hara (Hg.), Economics of Conflict of Laws, Band II, 2007, S.  203, 212; Mankowski, IPRax 2009, S.  23 f., mit Praxisbeispiel Brödermann, in: FS Martiny, 2014, S.  1045, 1069; zur ökonomischen Effizienz im Recht vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechts­ prinzip, 2015, zusammenfassend S.  55–57. 86  87 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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dungen von der internationalen Zuständigkeit oder dem anwendbaren Recht bestimmt werden.90

2.  Mitgliedstaatliche Interessen Neben den Interessen der Parteien besteht auch ein Interesse der Mitgliedstaaten an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen. Dabei ist zu differenzieren zwischen dem gerichtsbezogenen Interesse und dem öffentlichen Ordnungsinte­ resse.91 Das gerichtsbezogene Interesse an internationalen Gerichtsstandsvereinbarun­ gen und die damit verbundene Rechtssicherheit decken sich teilweise mit den Interessen der Parteien. Aus Sicht der Gerichte sind insbesondere Kostenerwä­ gungen und daher Beweis- und Rechtsnähe des Verfahrens von Bedeutung.92 Durch den einfachen Zugang zu Beweisen wird das Verfahren maßgeblich be­ schleunigt, der Aufwand des Gerichts bei der Sachverhaltsermittlung gemindert und Fehler bei der Tatsachenerhebung vermieden.93 Zusammen mit einer Rechtswahl führt die Wahl der internationalen Zustän­ digkeit durch eine Gerichtsstandsvereinbarung zu einer Vermeidung von Fehlur­ teilen und der damit einhergehenden Rechtsmittelbelastung, weil das gewählte Gericht, je nach Vereinbarung durch die Parteien, sein eigenes Recht anwen­ det.94 Ferner wird eine langwierige Prüfung der internationalen Zuständigkeit vermieden.95 Daneben besteht an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen auch ein staatliches Ordnungsinteresse. Denn die von Gerichtsstandsvereinbarungen er­ zeugte Rechtssicherheit stimuliert wirtschaftliche Aktivitäten der Marktteilneh­ mer und fördert damit den Wirtschaftsverkehr. Rechtssicherheit und Planungssi­ cherheit im Einzelfall beeinflussen nach Fentiman aber darüber hinaus auch den Markt insgesamt. Das Risiko, in Prozesse verwickelt zu werden, vor ungünstigen Gerichten verklagt zu werden oder ein etwaiges Urteil nicht vollstrecken zu kön­ nen, beeinflusst generell die Entscheidungen der Marktteilnehmer, etwa Produk­ te zu kaufen oder zu verkaufen, zu leihen oder zu verleihen und, schließlich, zu

90 

Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007, S.  24. 91 Vgl. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  484 f. 92 Vgl. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  484 f. 93 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Vorbem. Art.  2 Rn.  20 h. 94 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Vorbem. Art.  2 Rn.  20 h. 95 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Vorbem. Art.  2 Rn.  20 h.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

investieren oder nicht zu investieren.96 Die kumulierten Risiken einzelner Trans­ aktionen beeinflussen dabei den Markt als solchen. Eine Verminderung des mit einer Transaktion verbundenen Kostenrisikos kommt damit dem gesamten Markt und in Europa damit dem von den Mitgliedstaaten konstituierten Binnenmarkt zugute.

3.  Gesamteuropäische Interessen Neben dem Interesse der Parteien und dem Interesse der Mitgliedstaaten besteht im Rahmen des EuZPR auch ein gesamteuropäisches, integrationspolitisches In­ teresse an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen. a)  Gerichtsstandsvereinbarungen und der Binnenmarkt Das Projekt der europäischen Integration besteht maßgeblich aus der Schaffung des Binnenmarkts.97 Der Begriff des Binnenmarkts bezeichnet einen „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleis­ tungen und Kapital gewährleistet ist“.98 Ziel der Förderung des Binnenmarkts ist damit die Steigerung der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedstaaten. Im Zivilprozessrecht sollen ausweislich Art.  81 Abs.  2 lit.  a AEUV insbesondere vereinheitlichte Zuständigkeitsregeln und die Urteilsfreizügigkeit den Binnen­ markt stärken.99 Vor diesem Hintergrund zeigen die angeführten empirischen Erkenntnisse deutlich, dass Gerichtsstandsvereinbarungen durch die Bedeutung für die Stär­ kung des grenzüberschreitenden Handels große Bedeutung für die Integration des Binnenmarkts zukommt.100 Deshalb gab die Kommission bei der Reform der Brüssel I-VO die Stärkung von Gerichtsstandsvereinbarungen als eines ihrer we­ sentlichen Ziele an.101 Insbesondere hat die Kommission erkannt, dass eine Stär­ kung der mit internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen verbundenen Recht­ sicherheit und Vorhersehbarkeit einen Teil der bislang nicht grenzüberschreitend und damit bisher nicht vom Binnenmarkt profitierenden Unternehmen zu grenz­ über­schreitenden Geschäftstätigkeiten veranlassen könnte.102 Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Preface, S. xii; Rn.  1.03, 1.46. Streinz, Europarecht, 2016, Rn.  807. 98  Streinz, Europarecht, 2016, Rn.  807. 99  Auf Art.  81 Abs.  2 lit.  a AEUV beruht die Brüssel Ia-VO, vgl. Calliess/Ruffert/Rossi, EUV/AEUV, 2016, Art.  81 AEUV Rn.  19; zur Funktionalität der Urteilsfreizügigkeit vgl. unten S. Teil  I §  5 III 3 a bb. 100  Vgl. zur Empirie oben Teil  I §  1 II. 101  SEC (2010) 1548 final, Rn.  2.3.4. 102  SEC (2010) 1548 final, Rn.  2.3.4. 96 

97 Vgl.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO

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Daraus folgt, dass internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäi­ schen Zivilprozessrecht eine besondere, über die allgemeinen Erwägungen des Internationalen Zivilprozessrechts hinausgehende Funktion zukommt. Interna­ tio­nale Gerichtsstandsvereinbarungen sind aufgrund der durch sie geschaffenen Rechtssicherheit und Transaktionskostenrisikosenkung ein zentrales Instrument, um grenzüberschreitenden Handel und Geschäftstätigkeit in Europa zu fördern und damit den Binnenmarkt zu stärken.103 b)  Gerichtsstandsvereinbarungen und forum shopping in Europa Unterscheidet sich das materielle Recht oder das Kollisionsrecht verschiedener Staaten voneinander, entsteht die Gefahr von forum shopping. Damit wird die klägerische Wahl eines Gerichtsstands aus Opportunitätsgründen bezeichnet.104 Der Kläger erhofft sich vor dem angerufenen Gericht Vorteile in dem Rechts­ streit gegen den Beklagten.105 Forum shopping basiert im Kern auf der Diver­ genz des jeweils anwendbaren Rechts bzw. der faktischen Rechtsanwendung zwischen verschiedenen Gerichten.106 Gerichtsstandsvereinbarungen dienen da­ her zusammen mit Rechtswahlklauseln auch dem Interesse der Parteien, durch Ausübung von Parteiautonomie das in forum shopping zum Ausdruck kommen­ de Risiko mangelnder Rechtsangleichung zu minimieren.107 Weil Rechts- und Justizgefälle zwischen den Mitgliedstaaten von den Parteien ausgenutzt und die Mitgliedstaaten gegeneinander ausgespielt werden können, stellt forum shopping im europäischen Binnenmarkt eine Gefahr für den angestrebten einheitlichen Rechts- und Wirtschaftsraum dar.108 Indem Gerichtsstandsvereinbarungen forum shopping verhindern, erfüllen sie neben der wirtschaftlichen also auch eine rechtspolitische Integrationsfunktion innerhalb der EU. c)  Verteilung von Verfahren aus ökonomischer Perspektive Schließlich wird durch Gerichtsstandsvereinbarungen den Gerichten die Mög­ lichkeit genommen, im Rahmen von Ermessensspielräumen großzügig ihre ­eigene Zuständigkeit anzunehmen und dadurch den eigenen nationalen Rechts­ 103  Den Zusammenhang zwischen internationalem Handel und einem Rechtssicherheit schaffenden rechtlichen Rahmen für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen betont auch Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 462. 104 Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  251. 105  Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  252. 106  Hess, JZ 1998, S.  1021, 1027; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  254–257. 107  Hess, JZ 1998, S.  1021, 1027; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  258. 108  Hess, JZ 1998, S.  1021, 1027.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

dienstleistungssektor zu fördern.109 Daneben stärken internationale Gerichts­ standsvereinbarungen den Konkurrenzdruck zwischen den Justizsystemen der Mitgliedstaaten und schaffen so für die Mitgliedstaaten den Anreiz, die Effizienz der Gerichtssysteme zu verbessern, um dadurch ihren Anteil an der internationa­ len Streitbeilegung zu vergrößern.110

IV.  Zwischenbetrachtung Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass internationale Gerichts­ standsvereinbarungen als materiell-rechtliche Verträge mit prozessualen Wir­ kungen eine enorme praktische Relevanz haben. Durch die Wahl des Gerichts­ stands schaffen die Parteien Rechtssicherheit. Rechtssicherheit wiederum min­ dert das Transaktionskostenrisiko und dient damit den wirtschaftlichen Interessen der Parteien. Aus der Perspektive der Mitgliedstaaten sowie aus gesamteuropäi­ scher Warte leisten Gerichtsstandsvereinbarungen damit einen wesentlichen Bei­ trag zur wirtschaftlichen Integration der Europäischen Union, da sie grenzüber­ schreitenden Wirtschaftsverkehr fördern. Allerdings hängt die Effizienz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen und damit deren Nutzen aus der Sicht sämtlicher Interesseninhaber eben gerade von dem Umfang an Rechtssicherheit ab, den sie zu verleihen vermögen. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden das Recht internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen in der Brüssel Ia‑VO dargestellt und insbesondere Rege­ lungsdefizite de lege lata herausgearbeitet werden. Die Darstellung soll dabei im Hinblick auf die hier aufgeworfene Frage erfolgen, ob prorogationswidrigen Ur­ teilen die Anerkennung und Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten nach Art.  45 Abs.  1 Brüssel Ia-VO versagt werden sollte.

109 Rauscher/Mankowski,

EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  60. Zu dem ökonomischen Anreiz durch Gerichtsstandsvereinbarungen für Staaten im All­ gemeinen vgl. Kirchner, in: Basedow/Kono (Hg.), An Economic Analysis of Private Interna­ tional Law, 2006, S.  33, 51. 110 

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO In der Brüssel Ia-VO werden internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in Art.  25 geregelt.111 Art.  25 Abs.  1 S.  1 und 2 Brüssel Ia-VO lauten: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts an­ deres vereinbart haben.“

Der Begriff der Vereinbarung über die Zuständigkeit, mit dem Titel 7 des II. Kapitels der Brüssel Ia-VO überschrieben ist, und deren bedeutendste Form Ge­ richtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO darstellen,112 ist unions­ rechtsautonom auszulegen.113 Eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art.  25 Brüssel Ia-VO bezeichnet „die mit Geschäftswillen herbei­ geführte kongruente Willenseinigung der Parteien entweder über die internatio­ nale Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Mitgliedstaats oder die inter­ nationale und die örtliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts innerhalb der Mitgliedstaaten.“114 Die herausragende Bedeutung internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen in Europa macht Art.  25 Brüssel Ia-VO zu der für den in­ ternationalen Handelsverkehr wichtigsten Vorschrift der Brüssel Ia-VO.115 Zu 111  Vor dem Inkrafttreten der Brüssel Ia-VO am 10. Januar 2015 wurden von 1973 bis zum 1.3.2002 internationale Gerichtsstandsvereinbarung in Art.  17 EuGVÜ und vom 1.3.2002 bis 10.1.2015 in Art.  23 Brüssel I-VO geregelt. 112  Daneben sieht Art.  26 Brüssel Ia-VO die rügelose Einlassung des Beklagten als weitere Form einer Vereinbarung über die Zuständigkeit vor. 113  EuGH v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89, Powell Duffryn, Slg. 1992, I-01745, Rz.  14: „Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Artikels 17 ist deshalb […] als autonomer Begriff anzusehen.“ Zu den engeren Begriffen der Prorogation und der Derogation vgl. unten Teil  I §  3 I. 114 Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  23 Rn.  43. 115 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  1; vgl. dazu auch bereits oben Teil  I §  1 II.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

unterscheiden ist zwischen der Zulässigkeit (I.) und der Wirksamkeit (II.) einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung.

I.  Zulässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO regelt unionsrechtsautonom die Zulässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen.116 Über Art.  25 Brüssel Ia-VO hi­ nausgehende Beschränkungen der Zulässigkeit internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen durch das nationale IZVR sind aufgrund des Anwendungsvor­ rangs des Europarechts ausgeschlossen.117 Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO verlangt für seine Anwendbarkeit im Gegensatz zu seiner Vorgängernorm Art.  23 Abs.  1 Brüssel I-VO nicht mehr, dass der Wohn­ sitz zumindest einer der die Gerichtsstandsvereinbarung schließenden Parteien in einem Mitgliedstaat der EU liegen muss.118 Art.  6 Abs.  1 Brüssel Ia-VO nimmt Gerichtsstandsvereinbarungen ausdrücklich vom grundsätzlichen Erfordernis des Beklagtenwohnsitzes in einem Mitgliedstaat nach Art.  4 Brüssel Ia-VO aus.119 Erforderlich ist nach dem klaren Wortlaut des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüs­ sel Ia-VO lediglich die Wahl eines mitgliedstaatlichen Gerichts.120 Die Wahl eu­ ropäischer Gerichte wird also auch dann zugelassen, wenn keine der Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat.121 Begründet wird diese Erweiterung der Zulässigkeit internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen gegenüber der Brüssel I-VO einerseits mit einer intendier­ ten Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art.  25 Brüssel Ia-VO auch auf Fälle mit Drittstaatenbezug.122 Dadurch soll ein Gleichlauf mit Art.  3 lit.  a und 5 HGÜ hergestellt werden, die ebenfalls nicht an den Wohnsitz der Parteien an­ knüpfen.123 Andererseits wird nach Erwgr. Nr.  14 Brüssel Ia-VO der Schutz der ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art.  24 Brüssel Ia-VO sowie der Schutz­ 116 Magnus/Mankowski/Magnus, 117 Magnus/Mankowski/Magnus,

Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  65. Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  65; Zöller/

Geimer, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  33. 118  Vgl. MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  2. 119  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  6.7; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  4, 20; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 513. 120 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  12. 121  Von Hein, RiW 2013, S.  97, 104; Pohl, IPRax 2013, S.  109, 111; Magnus, in: FS Marti­ ny, 2014, S.  785, 788 f. 122  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 789. 123  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 789; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 526; zur Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im Anwendungsbereich des HGÜ vgl. unten Teil  I §  8 II 1.

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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gerichtsstände nach Art.  10 ff., 17 ff. und 20 ff. Brüssel Ia-VO bezweckt.124 Denn je weiter der Anwendungsbereich von Art.  25 Brüssel Ia-VO ausgedehnt wird, desto mehr werden Verbraucher, Arbeit- und Versicherungsnehmer in Europa einheitlich über Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO gegen sie benachteiligende Ge­ richtsstandsvereinbarungen geschützt.125 Ausweislich seines Wortlauts wird von Art.  25 Brüssel Ia-VO hingegen die Wahl eines drittstaatlichen Gerichts nicht erfasst.126 In diesem Fall findet folglich weiterhin das autonome IZPR Anwendung.127 Art.  25 Brüssel Ia-VO erfasst da­ mit jede Wahl mitgliedstaatlicher Gerichte unabhängig vom Wohnsitz der Par­ teien.128 Ob Art.  25 Brüssel Ia-VO jedoch bei der Wahl eines drittstaatlichen ­Gerichts zumindest die Derogation der ohne die Gerichtsstandsvereinbarung ob­ jektiv bestehenden europäischen Gerichtsstände regelt, ist fraglich. Die Recht­ sprechung des EuGH ist hier nicht eindeutig.129 In Coreck Maritime entschied der EuGH, dass Art.  17 EuGVÜ, eine Vorgängernorm von Art.  25 Brüssel Ia-VO, auch hinsichtlich der Derogationswirkung in Bezug auf europäische Gerichte keine Anwendung findet, wenn die Parteien die Zuständigkeit eines drittstaatli­ chen Gerichts vereinbaren.130 Demgegenüber prüfte der EuGH in Mahamdia eine Gerichtsstandsvereinbarung, in der die Gerichte eines Drittstaats vereinbart wurden, hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Schutzgerichtsstände der Brüs­ sel Ia-VO.131 Es ist also vom EuGH bislang nicht abschließend geklärt worden, ob Gerichts­ standsvereinbarungen zu den Gerichten von Drittstaaten auch außerhalb von die Schutzgerichtsstände betreffenden Konstellationen hinsichtlich ihrer Deroga­ tions­wirkung an Art.  25 Brüssel Ia-VO zu messen sind. Nach hier vertretener Ansicht sollte Art.  25 Brüssel Ia-VO die Derogationswirkung regeln, wenn die Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts vereinbart wurde.132 Nur so kann Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 513. Vgl. ausführlich zum Schutz von typischerweise schwächeren Parteien nach Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO unten Teil  I §  2 II 3 d. 126  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  192; Linke/Hau, Inter­ nationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.8. 127  Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 525 128 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  4. 129  Vgl. zum Ganzen ausführlich Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  37; Gsell, in: FS Coester-Waltjen, S.  403, 409. 130  EuGH v. 9.11.2009 – Rs. C-387/98, Coreck Maritime, Slg. 2000, I-09337, Rz.  19. 131  EuGH v. 19.7.2012 – Rs. C-154/11, Mahamdia, Rz.  66. 132  So auch Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  37 f.; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  14 f.; Magnus/Mankowski, ZVglR­ Wiss 110 (2011), S.  252, 277 f.; Samtleben, in: FS Ansay, 2006, S.  343, 354; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  7; a. A. Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  4, 6a; 124  125 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

die Derogation der europäischen Gerichte einheitlich bestimmt und eine Umge­ hung der ausschließlichen Gerichtsstände sowie der Schutzgerichtsstände der Brüssel Ia-VO durch die Wahl eines drittstaatlichen Gerichts effektiv verhindert werden.133 Neben der Wahl eines mitgliedstaatlichen Gerichts setzt Art.  25 Brüssel Ia-VO einen internationalen Sachverhalt voraus. Vom Anwendungsbereich des Art.  25 Brüssel Ia-VO werden damit reine Binnensachverhalte, die keine Anknüpfungs­ punkte zu mehr als einem Staat aufweisen, ausgeschlossen.134 Jede Vereinbarung eines Gerichtsstands innerhalb der EU mit Ausnahme reiner Binnensachverhalte fällt damit unter die einheitliche Beurteilung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO.135 Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich von Art.  25 Brüssel Ia-VO wird von Art.  1 Brüssel Ia-VO bestimmt. Die Parteien können den Anwendungs­ bereich der Brüssel Ia-VO nicht auf andere Rechtsgebiete als Zivil- und Handels­ sachen im Sinne des Art.  1 Brüssel Ia-VO erweitern.136

II.  Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen Die Parteien müssen für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung die Zustän­ digkeit eines bestimmten Gerichts oder der Gerichte eines bestimmten Mitglied­ staats formell und materiell wirksam vereinbaren. Das Zustandekommen der Vereinbarung bemisst sich unmittelbar unionsrechtsautonom nach Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO (1.).137 Art.  25 Abs.  1 S.  2 regelt unionsrechtsautonom die Formwirksamkeit der Vereinbarung (2.). Nach Art.  25 Abs.  1 S.  1 letzter Halb­ satz Brüssel Ia-VO bestimmt hingegen die lex fori prorogati, also das Recht des

Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  191; M. Weller, in: FS Schüt­ ze, 2014, S.  705, 712. 133 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  37 f.; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 789. 134  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.7; zu der Vorgänger­ norm des Art.  23 Brüssel I-VO vgl. MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  4. 135  Strittig; wie hier mit ausführlicher Diskussion auch Magnus/Mankowski/Magnus, Brus­ sels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  26; a. A. M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 707 f.; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  24; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  188. 136  Vgl. dazu Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  3. 137  Vgl. Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  75–78; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  201; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  134, 146; a. A. Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  3.

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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gewählten Gerichts, die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung (3.).138

1.  Einigung und hinreichende Bestimmtheit Eine Gerichtsstandsvereinbarung als materiell-rechtlicher Vertrag mit prozessua­ len Wirkungen muss zunächst durch die Parteien ordnungsgemäß vereinbart werden.139 Nach allgemeiner Auffassung und nach der Rechtsprechung des EuGH wird die Vereinbarung als zuständigkeitsrechtlicher Anknüpfungspunkt unionsrechtsautonom in Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO geregelt.140 Denn die Vereinbarung selbst bildet die Grundlage für die Zuständigkeit des gewählten Gerichts und muss sich daher unmittelbar aus der Brüssel Ia-VO ergeben.141 Für das Vorliegen einer Vereinbarung müssen die Parteien sich materiell einigen, und die Einigung muss hinreichend bestimmt sein. Die materielle Einigung erfordert übereinstimmende Willensäußerungen der Parteien.142 Dies wird bei Erfüllung der Formerfordernisse des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO vermutet.143 Allerdings kann auch eine Einigung ohne Formwirk­ samkeit vorliegen oder eine formwirksame Einigung materiell unwirksam sein, wobei die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann.144 Eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO muss zudem hinreichend bestimmt sein.145 Es sollen Überraschungseffekte verhindert 138  So deutlich Erwgr. Nr.  20 Brüssel Ia-VO; vgl. auch Nagel/Gottwald, Internationales Zi­ vilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  201. 139  Vgl. zur dogmatischen Einordnung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen oben S. Teil  I §  1 I . 140  EuGH v. 9.11.2009 – Rs. C-387/98, Coreck Maritime, Slg. 2000, I-09337, Rz.  13, 15; Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  76; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), S.  252, 276; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art.  25 Rn.  135; Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  2.34; MüKo-ZPO/ Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  15, 21. 141  EuGH v. 9.11.2009 – Rs. C-387/98, Coreck Maritime, Slg. 2000, I-09337, Rz.  13, 15; vgl. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  95 f. 142  EuGH v. 9.11.2009 – Rs. C-387/98, Coreck Maritime, Slg. 2000, I-09337, Rz.  15; Rau­ scher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  135; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  14. 143  EuGH v. 20.2.1998 – Rs. C-106/95, MSG, Slg. 1997 I-00911, Rz.  19; EuGH v. 16.3.1999 – Rs. C-159/97, Trasporti Castelletti, Slg. 1999, I-01597, Rz.  21; vgl. Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, Art.  25 Rn.  24b; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  206; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  134. 144 Vgl. dazu ausführlich Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  23 Rn.  42. 145 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  163.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

und die Waffengleichheit der Parteien gewahrt werden, indem die Ausdehnung der Gerichtsstandsvereinbarung auf noch nicht vorhersehbare, künftige Rechts­ streitigkeiten ausgeschlossen wird.146 Jedoch sollten keine zu strengen Anforde­ rungen gestellt werden. Denn die Praxis neigt zu weiten Gerichtsstandsvereinba­ rungen, um möglichst sämtliche, zumindest aber zusammenhängende Ansprüche zu erfassen. Eine strenge Auslegung würde daher „mit der ökonomischen Reali­ tät kollidieren“.147 a)  Künftige oder bereits entstandene Rechtsstreitigkeit Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO verlangt, dass die Gerichtsstandsvereinbarung sich auf eine bereits entstandene oder auf eine künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit bezieht.148 Nach der Literatur und der Rechtsprechung des EuGH erfassen internationale Gerichtsstandsverein­ barungen damit sämtliche Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche in Zivil- und Handelssachen im Sinne des Art.  1 Brüssel Ia-VO, was auch Verfahren im einst­ weiligen Rechtsschutz umfasst.149 Keine Rechtsstreitigkeit im Sinne des Art.  25 Brüssel Ia-VO stellen indes Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsver­ fahren nach Art.  36, 45 und 46 Brüssel Ia-VO dar.150 Eine Rechtsstreitigkeit im Sinne des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO ist ent­ standen, wenn unterschiedliche Auffassungen zu einer Rechtsfrage vorliegen, die sich auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Im Unterschied zu Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO muss aber eine Klage nicht kurz be­ vorstehen.151 Bei Gerichtsstandsvereinbarungen über künftige Rechtsstreitigkeiten genügt es, wenn das Rechtsverhältnis, aus dem die Rechtsstreitigkeit entspringt, hinrei­ chend bestimmt wurde.152 Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann sich auch auf So ausdrücklich EuGH v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89, Powell Duffryn, Slg. 1992 I-01745, Rz.  31; vgl. auch Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  66; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  163; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  63; Kindler/Haneke, IPRax 1999, S.  435, 436. 147  So Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016 Art.  25 Rn.  163, 165. 148 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  163, 165. 149  Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.86; Rau­ scher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  224. 150  Hau, ZVglRWiss 116 (2017), S.  23, 41; zum Anerkennungs- und Vollstreckungsversa­ gungsverfahren vgl. unten Teil  I §  5 I 5 und II. 151 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  237. 152 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  165; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  63; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, 146 

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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mehrere eindeutig bestimmte Rechtsverhältnisse beziehen.153 Ist das Rechtsver­ hältnis selbst noch nicht entstanden, so genügt dessen Bestimmbarkeit im Zeit­ punkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung.154 Typischerweise wer­ den sowohl vertragliche als auch deliktische, bereicherungsrechtliche oder sons­ tige Ansprüche von der Einigung erfasst, weil sich eine Gerichtsstandsvereinbarung in der Regel auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und nicht auf einen konkreten Anspruch bezieht.155 Für die Bestimmtheit einer Gerichtsstandsvereinbarung genügt es, wenn sich die in einem Rahmenvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung auch auf die folgenden Einzelverträge bezieht.156 Ebenso gelten bei wiederkehrenden Einzel­ verträgen mit jeweils gleichlautenden Gerichtsstandsvereinbarungen diese so­ lange auch für Folgeverträge ohne ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung, bis eine Partei der Gerichtsstandsvereinbarung widerspricht.157 Hieraus folgt, dass der Vertrag selbst nicht unbedingt eine Gerichtsstandsvereinbarung, etwa in Form einer Vertragsklausel, enthalten muss. Insbesondere bei Versäumnisurtei­ len kann dies dazu führen, dass das entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht nicht ohne Weiteres das Vorliegen einer Gerichtsstandsver­ einbarung erkennen kann.158 b)  Gericht oder Gerichte eines Mitgliedstaats Neben der Rechtsstreitigkeit bzw. dem maßgeblichen Rechtsverhältnis bei zu­ künftigen Rechtsstreitigkeiten muss auch das vereinbarte Gericht bzw. der Mit­ gliedstaat, dessen Gerichte vereinbart werden, hinreichend bestimmt sein.159 Da­ bei ist der Begriff des Gerichts im Sinne des Art.  25 Brüssel Ia-VO unionsrechts­ autonom auszulegen und darunter staatliche Spruchkörper zur Entscheidung von Streitigkeiten zu verstehen.160 Rn.  9.81; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  238; Queirolo, YPIL 15 (2013/2014), S.  113, 121. 153 Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  158. 154  MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  63; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.81; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  238. 155 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  212–214. 156  Vgl. dazu etwa Calyon v. Wytwornia Sprzetu Komunikacynego PZL Swidnik SA, [2009] EWHC 1914 (Comm); ausführlich auch Kindler/Haneke, IPRax 1999, S.  435, 436 f. 157 Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  23 Rn.  68. 158  Vgl. dazu ausführlich unten Teil  I §  3 IV 2. 159  MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  65; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilpro­ zessrecht, 2013, §  3 Rn.  186. 160 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  167.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Durch eine Gerichtsstandsvereinbarung können ein oder mehrere Gerichte ge­ wählt werden.161 Ferner sind unstreitig auch einseitig begünstigende, reziproke und asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen zulässig.162 Benennen die Parteien kein konkretes Gericht, so müssen sie objektive Kriterien festlegen, nach denen das zuständige Gericht eindeutig bestimmbar ist.163 Darüber hinaus enthält Art.  25 Brüssel Ia-VO keine weiteren Voraussetzungen bezüglich des gewählten Gerichts oder des gewählten Mitgliedstaats. 164 Insbe­ sondere ist kein über die Vereinbarung hinausgehender Bezug zu dem gewählten Gericht oder Mitgliedstaat erforderlich.165 Es ist folglich auch die Wahl eines neutralen, ansonsten vom Sachverhalt nicht berührten Gerichtsstands möglich.166

2.  Formelle Wirksamkeit Die formelle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung bemisst sich uni­ onsrechtsautonom nach Art.  25 Abs.  1 S.  3 Brüssel Ia-VO. Sie hängt nicht von der lex fori, der lex fori prorogati oder gar der lex causae des Hauptvertrages ab.167 Nach Art.  25 Abs.  1 S.  3 lit.  a Brüssel Ia-VO kann eine Gerichtsstandsver­ einbarung schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung, nach Art.  25 Abs.  1 S.  3 lit.  b Brüssel Ia-VO in einer zwischen den Parteien entstandenen Ge­ pflogenheit und nach Art.  25 Abs.  1 S.  3 lit.  c Brüssel Ia-VO im internationalen Handel nach dem Handelsbrauch geschlossen werden. Für die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung muss eine der Formvorschriften erfüllt sein.168 Art.  25 Abs.  2 Brüssel Ia-VO normiert dabei, dass die elektronische Übermitt­ lung der Schriftform gleichgestellt ist. Wagner, ZPO, 2011, Art.  23 Rn.  108; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.85; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, Art.  25 Rn.  13; zur Abgrenzung von ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Gerichtsstandsver­ einbarungen vgl. unten Teil  I §  3 II. 162  Vgl. dazu ausführlich unten Teil  I §  3 II 4 b und c. 163  EuGH v. 9.11.2009 – Rs. C-387/98, Coreck Maritime, Slg. 2000, I-09337, Rz.  15; vgl. auch Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  244 f. 164  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  187. 165  EuGH v. 16.3.1999 – Rs. C-159/97, Trasporti Castelletti, Slg. 1999, I-01597, Rz.  50. 166 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  14, 47; Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  187; Rauscher/Mankowski, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  66; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  70; Stone, EU Private International Law, 2016, S.  180. 167  Für eine umfassende Übersicht vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  87–133; Stone, EU Private International Law, 2016, S.  173–178. 168  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  206. 161 Stein/Jonas/G.

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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3.  Materielle Wirksamkeit Die formwirksame Einigung der Parteien über eine internationale Gerichts­ standsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO muss schließlich auch materiell wirksam sein. Nach Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO sind ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung zustän­ dig, „es sei denn die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Staats materiell nichtig“. a)  Abstraktion von Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag Eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung kann als gesonderte Vereinba­ rung zwischen den Parteien oder als Klausel eines Vertrags geschlossen werden. Art.  25 Abs.  5 Brüssel Ia-VO verdeutlicht, dass, auch wenn eine Gerichtsstands­ vereinbarung als Klausel in einen anderen Vertrag integriert wird, dennoch zwi­ schen der Gerichtsstandsvereinbarung und dem Hauptvertrag zu differenzieren ist. Dies führt dazu, dass die Unwirksamkeit des Hauptvertrags nicht die Unwirk­ samkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zur Folge hat. Vielmehr sind beide ab­ strakt auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen.169 Hintergrund des Art.  25 Abs.  5 Brüssel Ia-VO ist die Annahme, dass die Parteien gerade bei Unwirksamkeit des Hauptvertrags und etwa dessen Rückabwicklung oder den daraus folgenden Schadensersatzklagen vor dem vereinbarten Gericht prozessieren wollen.170 b)  Regelungsumfang von Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO Die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung regelt Art.  25 Abs.  1 S.  1 letzter Halbsatz Brüssel Ia-VO nur ungenau.171 Denn dieser erfasst schon seinem Wortlaut nach lediglich die materielle Nichtigkeit einer Gerichts­ standsvereinbarung. Problematisch ist, dass unter Nichtigkeit stricto sensu nur die anfängliche Ungültigkeit und nicht auch die Vernichtbarkeit der Einigung fällt.172 Nach allgemeiner Ansicht wird aber von der materiellen Nichtigkeit nach Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO auch die Vernichtbarkeit der Gerichtsstands­ vereinbarung, etwa aufgrund von Irrtum, Täuschung oder Drohung, erfasst.173 169 Rauscher/Mankowski,

EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  77 f. Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.95. 171 Kritisch Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 584 f; Herranz Ballestros, JPIL 2014, S.  291, 303. 172  Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.70; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), S.  252, 276; Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 428 f. 173 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81c; Dickins­ 170 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Dem ist zuzustimmen. Denn weder war eine gespaltene kollisionsrechtliche Be­ urteilung der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung vom europäischen Gesetzgeber intendiert, noch sollten die Unwirksamkeitsgründe, die nur zur Vernichtbarkeit der Einigung führen, ausgeschlossen werden.174 Von der materiellen Wirksamkeit im Sinne des Art.  25 Brüssel Ia-VO werden die Geschäfts- und Handlungsfähigkeit hingegen nicht erfasst. Diese unterliegen einer gesonderten Anknüpfung.175 Denn insbesondere die Geschäftsfähigkeit muss für die Gerichtsstandsvereinbarung und für den Hauptvertrag einheitlich bestimmt werden.176 Dies wäre dann nicht der Fall, wenn sich die Geschäftsfä­ higkeit nach dem auf die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anwendbaren Recht bestimmen, und dieses vom Vertragsstatut abweichen würde. Ferner umfasst die materielle Wirksamkeit auch nicht die Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung als solche. Denn diese wird gerade in Art.  25 Brüs­ sel Ia-VO abschließend geregelt.177 Eingriffsnormen und Prorogations- wie De­ rogationsverbote der lex fori prorogati sind daher grundsätzlich nicht zu beach­ ten.178 Umstritten ist schließlich, ob Art.  25 Brüssel Ia-VO auch die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Stellvertretung beim Abschluss einer Gerichtsstandsvereinba­ rung erfasst, oder ob diese nach dem nationalen Kollisionsrecht des jeweils an­ gerufenen Gerichts anzuknüpfen sind.179 Diese Frage wird in Zukunft durch den EuGH zu klären sein. Für die Anknüpfung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO spricht on/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.70; Magnus, in: FS Mar­ tiny, 2014, S.  785, 793; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  3; Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 488. 174 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81c-81g; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 793; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  17. 175  So BGH, Urt. v. 15.02.2007 – I ZR 40/04, NJW 2007, S.  2036, 2037; vgl. auch Mü­ Ko-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  19; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  47 f., 156; a. A. Nordmeier, RIW 2016, S.  331, 335; Linke/Hau, Internationales Zivilverfah­ rensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.14. 176  Vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  47 f., 156; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 793. 177  Vgl. oben Teil  I §  2 I. 178 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  53–58; Dickinson/Lein/Garcimartin, 2015, Rn.  9.69. Für eine ausführliche Behandlung von Eingriffsnormen und Gerichts­ standsvereinbarungen vgl. Basedow, in: FS Magnus, 2014, S.  337–352. 179  Für die Bestimmung des Vollmachtsstatuts bei Abschluss einer Gerichtsstandsverein­ braung nach dem nationalen Kollissionsrecht des angerufenen Gerichts Magnus/Mankowski/ Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  84; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 793; Hess, in: Poccar/Villata/Villarengo (Hg.), Recasting Brussels I, 2012, S.  91, 105; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO, 2018, Art.  25, Rn.  5 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 25.03.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, S.  2584 zu Art.  23 Brüssel I-VO; Linke/Hau, Internationales Zivilverfah­ rensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.14.

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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eine möglichst einheitliche Bewertung der Wirksamkeit internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen in Europa,180 um Rechtsunsicherheit durch forum shopping zu vermeiden. Allerdings führt dies in den meisten Fällen wiederum zu ­einer gespaltenen Anknüpfung der Stellvertretung. Denn während die Stellver­ tretung beim Abschluss des materiell-rechtlichen Vertrags mangels einer entspre­ chenden Regelung in der Rom  I-VO181 dem nationalen Kollisionsrecht der Mit­ gliedstaaten untersteht, unterliegt die Stellvertretung bei einer in demselben Ver­ trag vereinbarten Gerichtsstandsvereinbarung der Gesamtverweisung in Art.  25 Brüssel Ia-VO.182 Zur Lösung dieses Dilemmas wäre eine Regelung zur interna­ tionalen Stellvertretung in der Rom  I-VO wünschenswert. Im Ergebnis besteht damit weiterhin ein Anreiz zu forum shopping.183 Die aufgeworfenen Vorfragen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen werden auch in Zukunft je nach angerufenem Gericht unterschiedlichem Kollisions- und damit auch unterschiedlichem materiellem Recht unterstellt und können folglich von verschiedenen Gerichten unterschiedlich bewertet werden. c)  Auf die materielle Wirksamkeit anwendbares Recht Nach Art.  25 Abs.  1 S.  1 letzter Halbsatz Brüssel Ia-VO bemisst sich die materi­ elle Wirksamkeit einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des gewählten Gerichts, der lex fori prorogati.184 Der Gesetzgeber ist bei Art.  25 Brüssel Ia-VO bewusst dem HGÜ gefolgt, das ebenfalls auf die lex fori prorogati verweist.185 Erwägungsgrund Nr.  20 Brüssel Ia-VO stellt klar, dass Art.  25 Brüssel Ia-VO auf die lex fori prorogati einschließlich deren Kollisions­ rechts verweist.186 Art.  25 Brüssel Ia-VO enthält somit eine Gesamtverweisung. Das auf die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung anwend­ bare Recht bestimmt sich folglich nach dem Kollisionsrecht des Mitgliedstaats, dessen internationale Zuständigkeit vereinbart wurde, oder in dem das prorogier­ te Gericht seinen Sitz hat. Vgl. dazu auch Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 487 f. Vgl. Art.  1 Abs.  2 lit.  g Rom  I-VO. 182  Bei der wissenschaftlichen Vorbereitung des 2017 eingeführten Art.  8 EGBGB wurde diese Problematik nicht diskutiert, vgl. das grundlegende Gutachten von Spickhoff, RabelsZ 80 (2016), S.  481 sowie zur Tagung des Deutschen Rates für IPR am 19./20.06.2015 in Würzburg Magnus, IPRax 2016, 521; zu Art.  8 EGBGB Kindler/Brüggemann, RIW 2018, S.  473. 183  Zu forum shopping vgl. bereits oben Teil  I §  1 III 3 b. 184 Vgl. Pohl, IPRax 2013, S.  109, 111. 185  Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  178; Nielsen, CMLR, 50 (2013), S.  503, 522; Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 584 f. 186  Pohl, IPRax 2013, S.  109, 111; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  33 f. 180  181 

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Damit wird der Gleichlauf von forum und ius durchbrochen, der nur noch für das gewählte Gericht hinsichtlich dessen Kollisionsrechts gilt. Denn alle übrigen Gerichte prüfen die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des gewählten Gerichts und nicht jeweils nach ihrer eigenen lex fori. Selbst das gewählte Gericht kann unter Umständen ein von seinem IPR be­ stimmtes, fremdes Recht auf die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsver­ einbarung anwenden müssen.187 aa)  Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten Die Bestimmung des auf die materielle Wirksamkeit einer internationalen Ge­ richtsstandsvereinbarung anwendbaren Rechts gestaltet sich schwierig, wenn die Parteien die internationale Zuständigkeit mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten vereinbart haben. Denn als lex fori prorogati kommen theore­ tisch die Rechte sämtlicher gewählter Mitgliedstaaten in Betracht. Wählen die Parteien etwa die Gerichte in Italien, Deutschland und Polen, stellt sich die Fra­ ge, welches nun die lex fori prorogati ist. Unter Berücksichtigung der dogmatischen Doppelnatur internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen kommen zwei verschiedene Lösungen in Betracht.188 Denkbar ist, die materielle Wirksamkeit für jede Prorogation einzeln nach der jeweiligen lex fori prorogati zu ermitteln. Im Beispielsfall würde etwa das italie­ nische Gericht italienisches Kollisionsrecht auf die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anwenden, das deutsche Gericht deutsches Kolli­ sions­recht. Demnach würde sich die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstands­ vereinbarung je nach in Frage stehender Prorogation nach unterschiedlichem Recht bemessen.189 Gegen diese Auffassung sprechen allerdings zwei Argumente. Zum einen kann hier Rechtsunsicherheit entstehen, da die materielle Wirksamkeit derselben Gerichtsstandsvereinbarung sich nach unterschiedlichem Recht bestimmen kann, je nachdem welches der gewählten Gerichte konkret angerufen wurde und die Wirksamkeit der Prorogation prüft. Mankowski spricht an dieser Stelle mit Recht von „Wertungsfriktionen im Gesamtsystem des europäischen Internatio­ nalen Privat- und Prozessrechts.“190 Ferner wäre nicht klar, nach welchem Recht ein derogiertes Gericht die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinba­ 187 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  31, kritisch Rn.  35; kritisch auch Simotta, in: FS Schütze, 2014, S.  541, 548. 188  Zur dogmatischen Doppelnatur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen als mate­ riell-rechtliche Verträgen mit prozessualer Wirkung s.  o. Teil  I §  1 I. 189  So Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  27, 32; Magnus/Mankow­ ski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81 f. 190 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  35.

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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rung beurteilen müsste, da aus Sicht des derogierten Gerichts mehrere Prorogati­ onen vorliegen, und die lex fori prorogati nicht ohne Weiteres zu bestimmen ist. Die Anknüpfung der materiellen Wirksamkeit an die prozessualen Wirkungen der internationalen Gerichtsstandsvereinbarung führt also zu Unklarheit und da­ mit zu Rechtsunsicherheit. Daher ist es angezeigt, unter Beachtung der dogmati­ schen Doppelnatur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen auf deren ma­ teriell-rechtlichen Charakter abzustellen. Denn im Grunde ist die Bestimmung der materiellen Wirksamkeit keine Frage der prozessualen Wirkung, sondern der materiell-rechtlichen Vereinbarung. Während Zulässigkeit, formelle Wirksamkeit und prozessuale Wirkungen in­ ternationaler Gerichtsstandsvereinbarungen abschließend und unionsrechtsauto­ nom in Art.  25 Brüssel Ia-VO geregelt wurden, unterliegt die materielle Wirk­ samkeit gerade der lex fori prorogati und damit nationalem Kollisions- und Sachrecht. Daraus aber eine gespaltene Beurteilung der materiellen Wirksamkeit abzuleiten, war gerade nicht vom Gesetzgeber intendiert. Dieser wollte vielmehr ein einheitliches Prorogationsstatut normieren.191 Insofern entspricht es der Intention des Gesetzgebers, wenn bei mehreren ge­ wählten Gerichten deren Kollisionsrecht kumulativ zur Anwendung kommt.192 Im Beispielsfall würde also ein italienisches Gericht die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach deutschem, polnischem und italienischem Kollisionsrecht und dem jeweils davon bestimmten Sachrecht prüfen. Dadurch wird der dogmatischen Natur internationaler Gerichtsstandsverein­ barungen Rechnung getragen. Denn es können zwar unterschiedliche prozessua­ le Wirkungen entstehen. Diese folgen jedoch aus dem von diesen unabhängigen, materiell-rechtlichen Vertrag. Von den unterschiedlichen prozessualen Wirkun­ gen einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung auf das Prorogationsstatut zu schließen, würde auf europäischer Ebene genau deren dogmatische Doppel­ natur missachten. Diese verlangt einen einheitlichen Vertrag mit einheitlichem Vertragsstatut, der dann aber verschiedene prozessuale Wirkungen zeitigen kann. Zur Bestimmung des auf die materielle Wirksamkeit einer internationalen Ge­ richtsstandsvereinbarung anwendbaren Kollisionsrechts sind daher bei der Wahl mehrerer Gerichte kumulativ deren jeweilige Kollisionsrechte anzuwenden. bb)  Problem des anwendbaren Kollisionsrechts Aus der Gesamtverweisung des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO auf die lex fori prorogati ergibt sich die Frage, welches Kollisionsrecht zur Bestimmung des auf die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anwendbaren Rechts 191  192 

So ausdrücklich KOM (2010) 748 endg., S.  9 f. Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.65 f.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

heranzuziehen ist. Denn die Rom  I-VO findet nach dem Wortlaut des Art.  1 Abs.  2 lit.  e Rom  I-VO auf Gerichtsstandsvereinbarungen keine Anwendung.193 Auch Generalanwalt Szpunar stellte in seinen Schlussanträgen in Höszig explizit fest, dass Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom  I-VO ausgeschlossen seien, und deren Anwendungsbereich daher nicht eröffnet sei.194 Ob die Rom  I-VO analog oder durch eine teleologische Reduktion anzuwenden ist, behandelte Generalanwalt Szpunar zwar nicht ausdrücklich. Jedoch hielt er die Rom  I-VO für die Ermittlung des auf die materielle Wirksamkeit anwendba­ ren Rechts ausdrücklich für bedeutungslos.195 Dieser Auffassung schloss sich in seiner folgenden Entscheidung auch der EuGH an, ohne indes die Frage ausführlich zu behandeln.196 Allerdings befasst sich die Entscheidung des EuGH mit der Vorgängernorm des Art.  23 Brüs­ sel I-VO und nicht mit Art.  25 Brüssel Ia-VO, sodass insbesondere dessen Ent­ stehungsgeschichte und telos noch nicht berücksichtigt werden konnten. Es bleibt daher abzuwarten, wie der EuGH sich endgültig entscheiden wird. Jedoch ist festzuhalten, dass Art.  25 Brüssel Ia-VO eine Gesamtverweisung ohne ein­ heitliche europäische Kollisionsnorm vorsieht.197 Auf dieses Problem hatte die deutsche Bundesregierung bereits im Gesetzgebungsprozess hingewiesen.198 Der Ausschluss internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwen­ dungsbereich der Rom  I-VO führt in der Literatur zu der nahezu einhelligen Auf­ fassung, dass Art.  1 Abs.  2 lit.  e Rom  I-VO teleologisch zu reduzieren ist oder die Vorschriften der Rom  I-VO analog anzuwenden sind.199 Nur vereinzelt wird ge­ fordert, das autonome Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten anzuwenden.200 Be­ gründet wird die Anwendung der Rom  I-VO damit, dass Gerichtsstandsvereinba­ rungen nur vom Anwendungsbereich der Rom  I-VO ausgenommen werden, weil Vgl. zu dem Problem auch Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 488; Wais, GPR 2015, S.  142, 148; Rakovic/Zgrabljic Rotar, JPIL 2013, S.  245, 258 f.; Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 584; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  35. 194  Schlussanträge des Generalanwalts v. 7.4.2016 – Rs. C-222/15, Höszig, Rz.  26; so auch Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 522 f. 195  Schlussanträge des Generalanwalts v. 7.4.2016 – Rs. C-222/15, Höszig, Rz.  26. 196  EuGH v. 7.7.2016 – Rs. C-222/15, Höszig, Rz.  50. 197 So Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 585; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 201 f. 198  Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  9, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 199 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81a; Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 488; Herranz Ballestros, JPIL 2014, S.  291, 299; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 793 f.; M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 260 f.; Nordmeier, RIW 2016, S.  331, 335; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  5. 200  Vgl. etwa Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 584 f.; Wais, GPR 2015, S.  142, 148. 193 

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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sie nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers durch die Brüssel I- bzw. Brüssel Ia-VO abschließend geregelt werden. Dem widerspreche es aber nicht, die Rom  I-VO zum Füllen von Lücken im Recht internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen nach der Brüssel Ia-VO heranzuziehen.201 Anders als bei der An­ wendung des nationalen Kollisionsrechts führe die Anwendung der Rom  I-VO zur einheitlichen Bestimmung der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstands­ vereinbarung und unterstelle das auf Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbare Kollisionsrecht der Aufsicht des EuGH.202 Diese Auffassung ist zu unterstützen. Durch die Anwendung der Rom  I-VO wird der Anreiz zu forum shopping verringert, da jedes Gericht die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem gleichen Kollisionsrecht und dem davon bestimmten Sachrecht prüft. Gerade bei der Wahl mehrerer Ge­ richte bildet so auch die kumulative Anwendung der jeweiligen lex fori prorogati keine Probleme.203 Eine endgültige Klärung der Frage durch den EuGH ist mit Spannung zu erwarten. cc) Kritik Aus der Gesamtverweisung des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO auf die lex fori prorogati ergeben sich für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zwei un­ mittelbare Konsequenzen. Erstens müssen die Parteien die Möglichkeit einer Rück- oder Weiterverweisung, eines Renvois, berücksichtigen.204 Denn das Kol­ lisionsrecht des gewählten Gerichts könnte wiederum auf das Recht eines ande­ ren Mitgliedstaats verweisen. Dadurch werden vermehrt Meinungsverschieden­ heiten bezüglich der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung entstehen oder von beiden Parteien wirksam geglaubte Gerichtsstandsvereinbarungen sich als unwirksam herausstellen. Beides inzentiviert zur Klageerhebung entgegen getroffener Gerichtsstandsvereinbarungen.205 Zum anderen führt die Gesamtverweisung zu dem Problem, dass aufgrund der Möglichkeit eines Renvois unter Umständen der Gleichlauf von lex fori und dem auf die materielle Wirksamkeit anwendbaren Recht durchbrochen wird. Die ma­ terielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung würde von dem prorogier­ ten Gericht nicht nach seinem eigenen materiellen Recht bestimmt werden, son­ dern nach einem dritten Recht. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit von Fehl­ 201  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 793 f.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), S.  252, 276. 202  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 794; vgl. zur Vereinheitlichung auch Magnus/ Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81a. 203  Vgl. dazu oben Teil  I §  2 II 3 c aa. 204  Zum Rechtsinstitut des Renvoi vgl. MüKo-BGB/von Hein, 2018, Art.  4 EGBGB, Rn.  1. 205  Queirolo, YPIL, 15 (2013/2014), S.  113, 126.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

urteilen, die letztlich die Effektivität von Gerichtsstandsvereinbarungen und damit ihren Wert beeinträchtigen können.206 Jedenfalls aber werden Verfahrens­ dauer und Verfahrenskosten steigen, da häufiger Rechtsgutachten in Auftrag ge­ gebenen werden müssen. Besonders akut wird diese Gefahr, wenn ein nicht gewähltes Gericht angeru­ fen wird. Dieses muss im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zunächst das Kol­ lisionsrecht des gewählten Gerichts und sodann eventuell das materielle Recht eines dritten Staats anwenden. Hier besteht dann die Gefahr von Rechtsanwen­ dungsfehlern gleich zweifach. In jedem Fall wird aber ein deutlich höherer Zeitund Kostenaufwand bei den befassten Gerichten und den Parteien anfallen,207 was wiederum bereits ex ante im Planungsstadium die möglichen Transaktions­ kosten steigen lässt. d)  Unwirksamkeit nach Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO Eine Beschränkung der Prorogationsfreiheit des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO stellt Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO dar.208 Dieser normiert die Unwirksamkeit einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung, wenn diese eine ausschließli­ che Zuständigkeit nach Art.  24 Brüssel Ia-VO abbedingt oder gegen die die Schutzgerichtsstände schützenden Vorschriften der Art.  15, 19 oder 23 Brüssel Ia-VO verstößt. Art.  15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO sehen besondere Anforderun­ gen an Gerichtsstandsvereinbarungen mit Verbrauchern, Versicherungsnehmern oder diesen gleichgestellten Personen und Arbeitnehmern vor. Sie dienen dabei dem Schutz der als typischerweise schwächer angesehenen Partei.209 e)  Keine Inhalts- oder Missbrauchskontrolle Über die Fälle des Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO hinaus kommt eine Inhaltskont­ rolle von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht in Betracht.210 Insbesondere findet keine Missbrauchs- oder ordre public-Kontrolle von wirksam geschlossenen Ge­ richtsstandsvereinbarungen nach nationalem oder nach Unionsrecht statt.211 Rakovic/Zgrabljic Rotar, JPIL 2013, S.  245, 258 f. Den erhöhten Aufwand betonend Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  30. 208  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  237. 209  Erwgr. Nr.  18 Brüssel Ia-VO; vgl. zu den Schutzgerichtsständen unten Teil  I §  5 II 2. 210  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  240 211  EuGH v. 16.3.1999 – Rs. C-159/97, Trasporti Castelletti, Slg. 1999, I-01597, Rz.  51; vgl. auch M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 712; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 801; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  240; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  73; a. A. Basedow, in: FS Magnus, 2014, S.  337, 344 f.; 206 So 207 

§  2  Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO

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III.  Zwischenergebnis Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zeitigen als materiell-rechtliche Verträge prozessuale Wirkungen. Während die Zulässigkeit, die Vereinbarung und die formelle Wirksamkeit einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung von Art.  25 Brüssel Ia-VO unmittelbar unionsrechtsautonom geregelt werden, unterliegt die materielle Wirksamkeit der lex fori prorogati einschließlich deren Kollisionsrechts. Zum einen stellt sich hier die Frage, nach welchem Recht sich die Wahl mehrerer Gerichte bemisst. Überzeugend ist dabei die kumulative An­ wendung der Kollisionsrechte der gewählten Gerichte, wobei Art.  1 Abs.  2 lit.  e Rom  I-VO jeweils analog angewandt werden sollte, um einen Gleichlauf sicher­ zustellen. Zum anderen schafft die Gesamtverweisung auf die lex fori prorogati das Problem eines Renvois einschließlich der damit verbundenen Erhöhung des Risikos fehlerhafter Urteile, zumindest aber langwierigerer und teurerer Verfah­ ren. Dies kann aus Sicht der Parteien sowohl zu Rechtsunsicherheit als auch zu einer Erhöhung der möglichen Transaktionskosten führen.

ausführlich zur Frage nach einer Missbrauchskontrolle Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 429 f.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO zeitigen zuständigkeitsrechtliche Wirkungen. Dies zeigt in systematischer Hinsicht bereits ihre Verortung im zweiten Kapitel der Brüssel Ia-VO, welches die internationale Zuständigkeit regelt. Eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung bewirkt die Prorogation bzw. Derogation internationaler Gerichtsstände (I.). Die vereinbarte Zuständigkeit kann ausschließlich oder nicht-ausschließlich sein (II.). Die Partei­ en können sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit festlegen (III.). Aus dem Zusammenspiel von Zuständigkeits- und Anerkennungsrecht in­ nerhalb der EU folgt schließlich eine erweiterte Gerichtspflichtigkeit des Beklag­ ten im Falle einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung (IV.).

I.  Prorogations- und Derogationswirkung Die bedeutendste Wirkung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO liegt in der Prorogation und der Derogation eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats. Die Prorogations- und die Dero­ gationswirkung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung sind vonein­ ander zu trennen.212

1.  Prorogationswirkung nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO Unter der Prorogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ist die Begründung der internationalen Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats zu verstehen. Dazu muss die bis zur Wahl durch die Parteien nicht objektiv bestehende internationale Zuständig­ keit eines Gerichts vereinbart werden.213 Da der Zeitpunkt der Entscheidung des Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn.  1653; Schack, Internationales Zi­ vilverfahrensrecht, 2017, Rn.  496. 213  Allg. M.; vgl. EuGH v. 24.6.1986 Rs. 22/85, Anterist, Slg. 1986, 1951, 1962, Rz.  13; 212 

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Gerichts über seine Zuständigkeit für die Prorogationswirkung der Gerichts­ standsvereinbarung maßgeblich ist,214 kann die Prorogationswirkung auch erst zwischen Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung und Entscheidung des Ge­ richts entstehen, da sie sich eben auf die Zuständigkeit des gewählten Gerichts in Bezug auf ein konkretes Verfahren bezieht.215 Dies ist etwa der Fall, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz nach Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung und vor Klageerhebung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Wurde in der Ge­ richtsstandsvereinbarung der ehemalige Wohnsitzstaat als Gerichtsstand verein­ bart, entsteht die Prorogationswirkung der Gerichtsstandsvereinbarung erst mit Wegzug des Beklagten. Denn es bestand vor dem Wohnsitzwechsel des Beklag­ ten bereits ein Gerichtsstand nach Art.  4 Brüssel Ia-VO, sodass dieser durch die Gerichtsstandsvereinbarung erst mit dem Wohnsitzwechsel begründet werden konnte. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung ei­ nen materiell-rechtlichen Vertrag zwischen den Parteien darstellt, der davon zu trennende prozessuale Wirkungen entfaltet.

2.  Derogationswirkung nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO Neben der Prorogation eines internationalen Gerichtsstands kann eine internati­ onale Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO auch dessen Derogation bewirken. Die Derogation bezeichnet die Aufhebung einer an sich objektiv bestehenden internationalen Zuständigkeit.216 Seinem Wortlaut nach regelt Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO die Derogationswirkung nicht. Vielmehr wird die Derogationswirkung nur indirekt über die ausschließliche Wahl eines Gerichts erfasst.217 Denn eine solche enthält in der Regel auch eine Derogation aller anderen objektiv zuständigen Gerichte.218

Hausmann, in Reithmann/Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.4; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  496; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2016, Art.  25 Rn.  4; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn.  1652 f.; Geimer/ Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  137, 162; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, 2011, Art.  23 Rn.  1, 104; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  230; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.3; Rau­ scher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  12, 200; Nordmeier, RIW 2016, S.  331, 332, Fn.  7. 214  Vgl. oben Teil  I §  1 I. 215  Vgl. zur dogmatischen Einordnung Teil  I §  1 I. 216  Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  496; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.3. 217  MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  6. 218  Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  4 Rn.  43.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Eine Derogation liegt jedoch auch vor, wenn die Parteien unter Beibehaltung der übrigen objektiven Gerichtsstände nur die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließen wollen.219 Da Grund und Grenze einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung die Parteiautonomie ist, kön­ nen die Parteien die Wirkungen ihrer Gerichtsstandsvereinbarung selbst bestim­ men. Sie können daher eine isolierte Derogation ebenso wie eine isolierte Proro­ gation vereinbaren.220 Es kann folglich nach Art.  25 Brüssel Ia-VO einer der be­ stehenden internationalen Gerichtsstände aufgehoben werden, ohne dass ein neuer Gerichtsstand hinzugefügt wird. Grundsätzlich sind die Parteien in der Ausgestaltung der Kombination und der Zahl der pro- bzw. derogierten Gerichte frei.221

3.  Kritik an der Normtechnik des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO Dass Art.  25 Brüssel Ia-VO nur die Prorogation ausdrücklich regelt, ist für die kontinentalen europäischen Prozessrechte typisch.222 Dies zeigt bereits ein Blick auf §  38 ZPO.223 Zurückzuführen ist dies wohl auf die Ablehnung von Gerichts­ standsvereinbarungen im gemeinen Recht. Dieses sah Gerichtsstandsvereinba­ rungen als Verstoß gegen die territoriale Justizhoheit an.224 Ökonomisch mag die ablehnende Haltung vieler Rechtsordnungen gegenüber Derogationen damit zu­ sammenhängen, dass bei gleichbleibenden Kosten für das Gerichtssystem des derogierten Staats eine Derogation ein Ansteigen der durchschnittlichen Kosten pro Verfahren bedeutet.225 Denn kommt es zu einem Rechtsstreit, führt die Dero­

219 

MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  6. Auffassung; Hausmann, in: Reithmann/Martiny (Hg.), Internationales Vertrags­ recht, 2015, Rn.  8.5; für eine analoge Anwendung von Art.  25 Brüssel Ia-VO Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  59, 199; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Band III, 2016, Art.  1 Rom  I-VO, Rn.  39; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  4 Rn.  43; Magnus/Man­ kowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, Art.  25 Rn.  38; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, 2011, Art.  23 Rn.  31; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art.  23 Rn.  140 f.; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  6; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.3 f. 221 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  144. 222  Für eine rechtshistorische Analyse vgl. Illmer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S.  688, 689. 223 Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  511. 224 Vgl. Illmer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S.  688, 689. 225  Kirchner, in: Basedow/Kono (Hg.), An Economic Analysis of Private International Law, 2006, S.  33, 51. 220  Allg.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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gation im derogierten Staat zu einem Verfahren weniger, sodass die Gesamtkos­ ten des Justizsystems sich auf weniger Verfahren verteilen.226 An der Fixierung auf die Prorogationswirkung internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen wird eine maßgebliche, konzeptionelle Schwäche der Brüssel IaVO sichtbar. Der Derogationseffekt wird nur implizit in Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüs­ sel Ia-VO im Rahmen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vor­ ausgesetzt. Der englischen und französischen Sprachfassung zufolge regelt Art.  25 Brüssel Ia-VO explizit nur die „Prorogation of jurisdiction“ bzw. „Proro­ gation de compétence“. Die deutsche Sprachfassung meint mit Vereinbarung über die Zuständigkeit die gleiche Konstellation. Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ist damit auf die Prorogationswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen ausge­ richtet. Dies zeigt auch der Umstand, dass eine lex fori derogati bislang nicht normiert wurde. Gleichwohl können Derogationen aber auch unabhängig von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen vorkommen.227 Sie sind dann jedoch, wie zu zei­ gen ist, nicht über Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO gegen Umgehungen geschützt.228 Die zweifelhafte Fixierung von Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO auf Prorogationen wird somit in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO fortgesetzt. Dieser führt nur dann zum Schutz von Derogationen, wenn diese durch ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarungen begründet werden. Folglich liegt kein allgemeiner Derogations­ schutz vor. Es entscheidet vielmehr die Qualifikation einer Gerichtsstandsverein­ barung als ausschließlich über den Schutz einer Derogation gegen Umgehungen etwa in Form von Torpedoklagen.229

II.  Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen Grundsätzlich ist zwischen ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarungen zu unterscheiden. Die Ausschließlichkeit einer Ge­ richtsstandsvereinbarung regelt Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO ausdrücklich. Ob durch eine Gerichtsstandsvereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit des vereinbarten Gerichtsstands begründet wird, hängt vom Parteiwillen ab.230 226  Kirchner, in: Basedow/Kono (Hg.), An Economic Analysis of Private International Law, 2006, S.  33, 51. 227  Vgl. dazu Teil  I §  3 I 3. 228  Vgl. dazu unten Teil  I §  4 II 4. 229  Vgl. zu Torpedoklagen ausführlich unten Teil  I §  4 I 2. 230  MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  80; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zi­ vilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  166; vgl. auch oben Teil  I §  3 II.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Jedoch enthält Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO eine widerlegliche Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, sodass bei Unklarheit über den tatsächlichen Parteiwillen eine ausschließliche Gerichts­ standsvereinbarung anzunehmen ist.231 Die typische Form der nicht-ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ist die alternative Gerichtsstandsvereinbarung. Eine solche liegt vor, wenn die Par­ teien einen internationalen Gerichtsstand vereinbaren, ohne die objektiven Ge­ richtsstände nach der Brüssel Ia-VO derogieren zu wollen.232 Der vereinbarte internationale Gerichtsstand tritt dann neben die bereits vor der Gerichtsstands­ vereinbarung bestehenden Gerichtsstände und bildet zu diesen eine Alternative. Denkbar sind aber auch weitere Formen internationaler Gerichtsstandsvereinba­ rungen.233 Die Kombinationsmöglichkeit von Derogation und Prorogation eröff­ net den Parteien hier einen breiten Gestaltungsspielraum. Die Abgrenzung von ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarungen hat unter der Brüssel Ia-VO stark an Bedeutung gewon­ nen. Für das prorogierte Gericht war es unter der Brüssel I-VO noch unerheblich, ob seine internationale Zuständigkeit auf einer ausschließlichen oder nicht-aus­ schließlichen internationalen Gerichtsstandsvereinbarung beruhte. An der Aus­ schließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung war lediglich die Derogations­ wirkung aus Sicht der derogierten Gerichte von Bedeutung.234 Dies hat sich mit der Brüssel Ia-VO geändert. Denn nur für ausschließlich vereinbarte internatio­ nale Gerichtsstände normiert Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, wie zu zeigen ist, die Durchbrechung des rechtshängigkeitsrechtlichen Prioritätsprinzips und schützt diese damit gegen Klagen vor derogierten Gerichten.235

1.  Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung und Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands Bevor im Folgenden die Ausschließlichkeit im Sinne des Art.  25 Abs.  1 Brüs­ sel Ia-VO analysiert werden soll, ist zunächst auf den in Literatur und Rechtspre­ 231 

So schon ausdrücklich der Kommissionsvorschlag der Brüssel I-VO, KOM (1999) 348 endg., S.  20; vgl. auch Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  23 Rn.  90; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  166. 232  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015 Art.  25 Rn.  33. 233  Vgl. dazu unten Teil  I §  3 II 4. 234 So auch Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  167. 235 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81d f.; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 789; vgl. ausführlich zu Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO unten Teil  I §  4 II.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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chung vielfach verwendeten Begriff der „ausschließlichen Gerichtsstandsverein­ barung“ einzugehen. Trotz der häufigen Verwendung in Rechtsprechung und Literatur wird dieser Begriff in der Brüssel Ia-VO nur in dem neu eingeführten Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO verwendet, der das telos des Art.  31 Abs.  2 Brüs­ sel Ia-VO erläutert. Erwgr. Nr.  22 S.  1 und 2 Brüssel Ia-VO lauten: „Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu ver­ bessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das verein­ barte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird.“

In Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO wird also eine ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarung mit der ausschließlichen Wahl eines einzigen Gerichts gleichge­ setzt. Damit übereinstimmend wird auch in der Literatur oftmals unter einer aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarung die ausschließliche Wahl eines einzi­ gen Gerichts verstanden.236 Der Grund für dieses Verständnis ist wohl die Fokussierung der wissenschaftlichen wie auch der legislatorischen Debatte auf die äußerst kritisch rezipierte Gasser-Entscheidung des EuGH. In Gasser hatte der EuGH einer Torpedoklage gegen ein Verfahren vor dem ausschließlich ver­ einbarten Gericht rechtshängigkeitsrechtlichen Schutz gewährt.237 Nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO können die Parteien jedoch ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats wählen. Eine solche Gerichtsstandsverein­ barung kann nach Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO ausschließlich sein. Für eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung ist also nicht die Wahl eines mit­ gliedstaatlichen Gerichts erforderlich, sondern sie kann auch lediglich die Wahl der Gerichte eines Mitgliedstaats enthalten.238 In beiden Fällen liegt aber ein ausschließlicher internationaler Gerichtsstand nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO vor.239 236 Simons/Hausmann/Hausmann, Brüssel Ia-VO, 2012, Art.  23 Rn.  170; Magnus/Man­ kowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  144; zu Gerichtsstandsvereinba­ rungen auch außerhalb von Art.  25 Brüssel Ia-VO vgl. Illmer, IPRax 2012, S.  406, 411. 237  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693; zu Gasser vgl. ausführ­ lich unten Teil  I §  4 I 2. 238  So etwa der Hof van beroep te Antwerpen in seiner Entscheidung, deren Anerkennung in Gothaer Allgemeine strittig war, vgl. EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  16 f.; vgl. auch die Stellungnahme des Königreichs Dänemark zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  2.3, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 239  Zur Regelung der örtlichen und der internationalen Zuständigkeit in einer Gerichts­ standsvereinbarung vgl. unten Teil  I §  3 III .

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

2.  Anwendbares Recht zur Bestimmung der Ausschließlichkeit Die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung und damit die Bestimmung der Ausschließlichkeit unterliegen der lex fori prorogati.240 Demgegenüber enthält Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO mit der Ausschließlichkeitsvermutung ein uni­ onsrechtsautonomes Element.241 Vor diesem Hintergrund ist es überzeugend, die Ausschließlichkeit nach der lex fori prorogati zu bestimmen. Kommt danach die Auslegung zu keinem klaren Ergebnis, greift für den Zweifelsfall die unions­ rechtsautonome Vermutung der Ausschließlichkeit.242

3.  Bezugspunkt der Ausschließlichkeit Zur Bestimmung der Ausschließlichkeit einer internationalen Gerichtsstandsver­ einbarung im Sinne des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO kommen zwei Anknüp­ fungspunkte in Betracht. Zum einen ist es denkbar, an die Vereinbarung selbst, also an den materiell-rechtlichen Vertrag anzuknüpfen. Entscheidend wäre dann, ob nur die in der Gerichtsstandsvereinbarung vorgesehenen, und nicht noch wei­ tere internationale Gerichtsstände bestehen sollen. Zum anderen könnte auf die Ausschließlichkeit des vereinbarten internationalen Gerichtsstands und damit auf die prozessualen Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung abgestellt wer­ den. Maßgeblich wäre dann, ob nur ein internationaler Gerichtsstand, und kein weiterer, den Parteien zur Verfügung stehen soll. Zu unterschiedlichen Ergebnissen führen die beiden möglichen Bezugspunkte immer dann, wenn die Parteien komplexe asymmetrische oder reziproke Ge­ richtsstandsvereinbarungen schließen oder Gerichte in mehreren Mitgliedstaaten wählen.243 Liegt eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vor, wenn die Parteien die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte jeweils am Beklagten­ wohnsitz vereinbaren? Liegt eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vor, wenn nur eine Partei an diese gebunden ist? Liegt eine ausschließliche Ge­ richtsstandsvereinbarung vor, wenn nur die Gerichte in Mailand und München zuständig sein sollen? In den hier vorerst nur skizzierten Fällen legen die Partei­ en in Ihrer Gerichtsstandsvereinbarung jeweils zwei oder mehrere internationale Hohmeier, IHR 2014, S.  217, 223; vgl. auch oben Teil  I §  3 II. Zu Art.  23 Brüssel I-VO so EuGH v. 7.7.2016 – Rs. C-222/15, Höszig, Rz.  28; die uni­ onsrechtsautonome Auslegung der Ausschließlichkeit besonders betonend M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 263. 242  Für eine Kombination autonomer und unionsrechtsautonomer Auslegungsmaßstäbe auch Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  144; Rauscher/ Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  83, 211 f. 243  Vgl. zu den besonderen Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen ausführ­ lich unten Teil  I §  3 II 4. 240  241 

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Gerichtsstände fest, auch wenn sie die internationale Zuständigkeit abschließend regeln. Aufgrund des Wortlauts des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO ist nicht eindeu­ tig zu bestimmen, ob sich die Ausschließlichkeit nach Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüs­ sel Ia-VO auf die Wahl der Gerichte eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitglied­ staaten beziehen kann. Das „ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats“244 ist nicht zwangsläufig numerisch zu interpretieren. So spricht etwa die englische Sprachfassung des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO von „a court or the courts of a Member State“. Ähnlich unklar wie die deutsche Sprachfassung ist auch die französische gestaltet: „d’une juridiction ou de juridictions d’un État membre“. Auch der Wortlaut des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO sieht keinen klaren Bezugspunkt vor. Die deutsche Fassung des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO lautet: „Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließ­ lich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.“ Die deut­ sche Version unterstützt damit die Auffassung, dass nur ein einziges Gericht oder die Gerichte eines einzigen Mitgliedstaats ausschließlich zuständig sein können. Demnach käme es auf die Ausschließlichkeit des Gerichtsstands und nicht der Vereinbarung an.245 Jedoch enthalten weder die englische noch die französische Sprachfassung einen eindeutigen Bezugspunkt für die Bestimmung der Ausschließlichkeit. Die englische Sprachfassung des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO lautet: „such ju­ risdiction shall be exclusive unless the parties have agreed otherwise.“ In der englischen Version bezieht sich die Ausschließlichkeit damit nicht zwangsläufig auf einen einzigen Gerichtsstand. Sie kann sich auch auf die Vereinbarung meh­ rerer internationaler Gerichtsstände beziehen, die Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel IaVO gerade zulässt.246 Ähnlich formuliert auch die französische Sprachfassung des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO: „Cette compétence est exclusive, sauf convention contraire des parties.“ Auch hier kann sich die Ausschließlichkeit nach dem Wortlaut auf mehrere Gerichtsstände beziehen. Ein Vergleich der un­ terschiedlichen Sprachfassungen des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO führt folglich zu keinem eindeutigen Ergebnis. a)  Maßgeblichkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung Zunächst könnte die Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung da­ nach bestimmt werden, ob die Parteien mit der Gerichtsstandsvereinbarung die internationalen Gerichtsstände für ihre Rechtsstreitigkeit abschließend festlegen 244 

Vgl. Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO. Vgl. zu dieser Differenzierung Teil  I §  3 II 1. 246  Vgl. dazu Teil  I §  3 II 4 a. 245 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

wollten, oder ob sie zu den objektiven internationalen Gerichtsständen nur wei­ tere hinzufügen wollten.247 Der maßgebliche Anknüpfungspunkt wäre die mate­ riell-rechtliche Vereinbarung der Parteien. Irrelevant wäre in diesem Fall die Anzahl der vereinbarten internationalen Gerichtsstände. Ein ausschließlicher internationaler Gerichtsstand läge demnach vor, wenn er von den Parteien in ei­ ner als abschließend zu qualifizierenden Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde. Diese Auffassung vertritt etwa Leible, der deshalb weiter zwischen „aus­ schließlichen“ und „alleinigen“ Gerichtsstandsvereinbarungen differenziert.248 Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen müssten nicht alleinige Gerichts­ standsvereinbarungen sein, sondern könnten auch die Wahl mehrerer Gerichte umfassen.249 Auch Fentiman schließt sich dieser Auffassung an: „To confer exclusive jurisdiction on two courts does not imply that such jurisdiction is non-exclusive, because it does not mean that any other court having jurisdiction may hear the case. Arguably it means, that the only courts with competence are those nominated, the first seised being that which hears the case.“250 aa)  Ausschließlichkeitsvermutung des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO Für eine solche Anknüpfung der Ausschließlichkeit an die materiell-rechtliche Vereinbarung scheint zunächst die Vermutungsregel des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüs­ sel Ia-VO zu sprechen. Es wäre systematisch stringent, wenn sämtliche unter Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO fallenden Gerichtsstandsvereinbarungen aus­ schließlich oder nicht-ausschließlich sein könnten. Denn die Ausschließlich­ keitsvermutung des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO bezieht sich auf sämtliche unter Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO fallenden Gerichtsstandsvereinbarungen und damit etwa auch auf die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitglied­ staaten. Der Normtext des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO gibt keinen Anhalts­ punkt dafür, dass die Ausschließlichkeitsvermutung auf bestimmte Gerichts­ standsvereinbarungen, etwa die Vereinbarung mehrerer Gerichte in verschiede­ nen Staaten, keine Anwendung finden soll.

247 Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  4; Rauscher/ Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9; wohl auch Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  33, 81f, 149; ohne Begründung Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  252; a. A. Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  199. 248 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9; vgl. demgegenüber aber Rauscher/ Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art.  25 Rn.  199. 249 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9; vgl. demgegenüber aber Rauscher/ Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art.  25 Rn.  198 f. 250 Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  30 Rn.  4.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Dagegen spricht jedoch, dass Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO gerade nicht zwi­ schen ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarun­ gen differenziert. Die Differenzierung erfolgt vielmehr ausweislich des Wortlau­ tes der deutschen, französischen und englischen Sprachfassung zwischen der ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Zuständigkeit des in der Gerichts­ standsvereinbarung vereinbarten Gerichtsstands. So lautet die französische Sprachfassung: „Cette compétence est exclusive, sauf convention contraire des parties.“ Und auch die englische Sprachfassung macht dies deutlich: „Such juris­ diction shall be exclusive unless the parties have agreed otherwise.“ Die Ver­ mutungsregel bezieht sich damit auf die Zuständigkeit aufgrund der Gerichts­ standsvereinbarung und nicht auf die Vereinbarung selbst. Gegenstand der Ver­ mutungsregel ist nicht die materiell-rechtliche Vereinbarung, sondern deren prozessuale Wirkung, nämlich der durch die Gerichtsstandsvereinbarung festge­ legte Gerichtsstand. bb)  Konkurrierende ausschließliche Gerichtsstände? Knüpfte man die Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung an die materiell-rechtliche Vereinbarung, bestünde die Möglichkeit konkurrierender ausschließlicher Gerichtsstände. Denn wählen die Parteien mehrere Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten unter Derogation aller übrigen, wären zwei oder mehr Gerichte aufgrund einer abschließenden Gerichtsstandsvereinbarung und damit ausschließlich zuständig.251 Es lägen dann konkurrierende ausschließliche Gerichtsstände vor.252 Für die Möglichkeit konkurrierender ausschließlicher Gerichtsstände kann zu­ nächst scheinbar der Ausschließlichkeitsbegriff der Brüssel Ia-VO angeführt werden. Die Brüssel Ia-VO regelt ausschließliche Zuständigkeiten grundsätzlich in Art.  24 Brüssel Ia-VO. Nach dessen Konzeption bezieht sich die Ausschließ­ lichkeit der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich auf einen einzigen Mit­ gliedstaat.253 Jedoch ist die ausschließliche Zuständigkeit zweier Mitgliedstaaten nach Art.  24 Nr.  1 Brüssel Ia-VO theoretisch denkbar, wenn sich etwa ein Grund­ stück über die Grenze zweier Mitgliedstaaten erstreckt und damit in beiden bele­ gen ist.254 Hinzu kommt die Möglichkeit von zwei Gesellschaftssitzen nach Art.  24 Nr.  2 Brüssel Ia-VO, wenn in einem Mitgliedstaat die Sitztheorie, in ei­ 251 

Rn.  4

So ausdrücklich Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  30

252  So ausdrücklich Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  4; Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9. 253  Vgl. die deutlichen Ausführungen im Jenard-Bericht, 1971, S.  34. 254 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  1; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  6.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

nem anderen die Gründungstheorie gilt.255 Dies sind zwar Ausnahmefälle, die zudem vom Wortlaut des Art.  24 Brüssel Ia-VO scheinbar nicht bedacht wur­ den.256 Allerdings regelt Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO explizit die konkurrieren­ de ausschließliche Zuständigkeit mehrerer Gerichte.257 Entnimmt man Art.  31 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO, dass konkurrierende aus­ schließliche Zuständigkeiten im Rahmen der Brüssel Ia-VO vorgesehen sind, wäre ausschlaggebend, ob die Parteien mit ihrer Gerichtsstandsvereinbarung die internationalen Gerichtstände abschließend regeln wollten.258 Denn die Verein­ barung bildet – wie etwa bei Art.  24 Nr.  1 Brüssel Ia-VO die Belegenheit der Immobilie – den entscheidenden, zuständigkeitsrechtlichen Anknüpfungspunkt. Dieser Ansicht ist zuzugestehen, dass in der Tat de lege lata Schutzlücken bestehen, die es zu schließen gilt. Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO sieht nur für ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen eine Ausnahme vom rechts­ hängigkeitsrechtlichen Prioritätsprinzip vor.259 Nicht-ausschließliche Gerichts­ standsvereinbarungen werden hingegen unter der Brüssel Ia-VO gegen Umge­ hungen überhaupt nicht geschützt. Je enger die Ausschließlichkeit definiert wird, desto kleiner wird folglich der durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO gewährte Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. Gegen die Heranziehung der Wertung des Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO spre­ chen jedoch gewichtige Gründe. Zunächst wurde Art.  25 Brüssel Ia-VO in Ab­ schnitt 7 „Vereinbarung über die Zuständigkeit“ normiert, während Art.  24 Brüs­ sel Ia-VO in Abschnitt 6 „Ausschließliche Zuständigkeiten“ geregelt wurde. Dies spricht aus systematischer Sicht für unterschiedliche Ausschließlichkeitsbe­ griffe in Art.  25 und Art.  24 Brüssel Ia-VO.260 Zudem stellt die konkurrierende ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  24 Brüssel Ia-VO, auf die Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ausgerichtet ist, einen kras­ sen Ausnahmefall dar.261 Schlosser spricht gar von einem „logische[n] monst­

255 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  6; vgl. zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts vgl. MüKo-BGB/Kindler, 2018, IntHandels- u. GesR Rn.  351–358. 256 Vgl. dazu Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  1 f. 257  So auch Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9. 258 So ausdrücklich Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9; Magnus/Man­ kowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  30 Rn.  4. 259  Vgl. ausführlich zu Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO unten Teil  I §  4 II. 260  So auch Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  3. 261  So ausdrücklich Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  2; im Ergebnis so wohl auch Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  1 f.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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rum“.262 Denn Art.  24 Brüssel Ia-VO will ja gerade nur die internationale Zustän­ digkeit eines einzigen Mitgliedstaats begründen. Sinn und Zweck der ausschließlichen Gerichtsstände nach Art.  24 Brüssel IaVO ist das besondere Interesse des jeweiligen Mitgliedstaats an der alleinigen, eben ausschließlichen Zuständigkeit.263 Der Grund für dieses Interesse liegt, wie der Jenard-Bericht verdeutlicht, im betreffenden Streitgegenstand, der grund­ sätzlich der internationalen Zuständigkeit eines einzigen bestimmten Mitglied­ staats zugeordnet werden soll.264 Von dieser Regel kann es etwa, wie schon dar­ gestellt, bei grenzüberschreitenden Immobilien nach Art.  24 Nr.  1 Brüssel Ia-VO oder nach Art.  24 Nr.  2 in Verbindung mit Art.  63 Brüssel Ia-VO bei Unterneh­ men mit je nach anwendbarem IPR unterschiedlichen Sitzstaaten zu Ausnahmen kommen.265 Dies ist rechtstechnisch bzw. rechtspolitisch unvermeidbar, lässt aber einen verallgemeinerungsfähigen Schluss nicht zu. Der in Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO vorausgesetzte Ausnahmefall würde bei Gerichtsstandsvereinbarungen zur allgemeinen Regel, denn die Parteien verein­ baren im internationalen Rechtsverkehr regelmäßig abschließend mehrere inter­ nationale Gerichtsstände unter Ausschluss aller übrigen.266 Wären solche Ge­ richtsstände als ausschließlich zu qualifizieren, hätte die ausschließliche Zustän­ digkeit eines Gerichts ihr Distinktionsmerkmal, eben die grundsätzlich alleinige Zuständigkeit, verloren. Deutlich wird dies an einem Beispielfall. Vereinbaren die Parteien die Zustän­ digkeit der deutschen, italienischen und französischen Gerichte bei Derogation aller übrigen Gerichtsstände, würde bei Anknüpfung der Ausschließlichkeit an die Vereinbarung darin eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zu se­ hen sein. Ausschließliche internationale Gerichtsstände wären damit Deutsch­ land, Italien und Frankreich. Dieses Ergebnis ist mit der Intention des Gesetzgebers in Bezug auf Gerichts­ standsvereinbarungen, der in Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO von der Wahl eines einzigen Gerichts ausgeht, und in Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ausnahmsweise die konkurrierende ausschließliche Zuständigkeit regelt, nicht vereinbar.267 Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO regelt nur den seltenen Ausnahmefall, dass der Streitgegenstand zwei Mitgliedstaaten berührt. Bei Gerichtsstandsvereinbarun­ 262 Schlosser/Hess/Schlosser,

EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  1. Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  24 Rn.  5. 264  Jenard-Bericht, 1971, S.  34 f.; vgl. auch Geimer/Schütze/Paulus, Internationaler Rechts­ verkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  24 Rn.  1. 265 Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  30 Rn.  2; Geimer/ Schütze/Paulus, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  24 Rn.  83. 266  Vgl. nur die Beispiele bei Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790. 267  Vgl. auch Keyes/Marshall, JPIL 2015, S.  345, 355 f. 263 Geimer/Schütze/Paulus,

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

gen hingegen liegt kein besonderer Streitgegenstand vor. Lediglich die Vereinba­ rung der Parteien bietet hier den Grund für die Ausschließlichkeit des gewählten Gerichtsstands. Rechtsvergleichend spricht auch Art.  3 HGÜ, an dem sich der europäische Gesetzgeber bei der Schaffung von Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO orientierte und der eine multiple exclusivity nicht vorsieht, für diese Auffassung.268 Die ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art.  24 Brüssel Ia-VO und Art.  25 Brüssel Ia-VO sind daher miteinander nicht vergleichbar. Eine Verallgemeine­ rung des ersichtlich in Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO als Ausnahme konzipierten Konstruktes konkurrierender ausschließlicher Gerichtsstände ist dogmatisch nicht überzeugend. b)  Maßgeblichkeit des Gerichtsstands Wie gezeigt kann die Bestimmung der Ausschließlichkeit einer Gerichtsstands­ vereinbarung danach, ob diese abschließend sein soll, nicht überzeugen. Zu Recht wird daher in der Literatur im Anschluss an den Wortlaut des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO und seiner Vorgängernormen zur Bestimmung der Aus­ schließlichkeit auf die ausschließliche internationale Zuständigkeit des konkret angerufenen Gerichts für die konkret in Frage stehende Klage abgestellt.269 Für eine nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung sei hingegen gerade ein „Menü von Zuständigkeiten“, zwischen denen der Kläger die Wahl hat, charak­ teristisch.270 Entscheidend für die Ausschließlichkeit ist demnach, ob nur ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats von den Parteien gewählt wurden, oder ob mehrere internationale Zuständigkeiten konkurrierend bestehen. Hat der Kläger zwischen mehreren internationalen Gerichtsständen die Wahl, liegt keine aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarung vor.271

Vgl. dazu unten Teil  I §  8 II 2 a; vgl. dazu auch Keyes/Marshall, JPIL 2015, S.  345, 351. M., vgl. Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  33, Fn.  8 unter Verweis auf OLG Hamm, Urt. v. 18.09.1997 – 5 U 89/97, IPRax 1999, S.  244; Keyes/Marshall, JPIL 2015, S.  345, 356; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.65 f; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  59, 198 f.; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, Art.  23 Rn.  1, 109; Adolphsen, Euro­ päisches Zivilverfahrensrecht, 2014, III §  1 Rn.  240; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivil­ prozessrecht, 2011, Art.  23 Rn.  91 f.; Simons/Hausmann/Hausmann, Brüssel Ia-VO, 2012, Art.  23 Rn.  122; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  80 f.; Geimer, Internationales Zivil­ prozessrecht, 2015, Rn.  1736. 270 Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, 2011, Art.  23 Rn.  109. 271  Vgl. etwa Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  23 Rn.  92. 268 

269 Allg.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Für die Anknüpfung an die Ausschließlichkeit des Gerichtsstands und nicht der Vereinbarung kann die Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO zugrundeliegende, dog­ matische Konzeption herangezogen werden. Diese erklärt der das EuGVÜ erläu­ ternde Jenard-Bericht: „Ebenso […] wird auch in Artikel 17 Absatz 1 die aus­ schließliche Zuständigkeit des von den Parteien bestimmten Gerichts festgelegt. Diese Lösung ist unerläßlich, wenn man vermeiden will, daß verschiedene Ge­ richte ordnungsgemäß befasst werden und sich widersprechende oder mehr oder minder von einander abweichende Urteile fällen.“272 Der Jenard-Bericht stellt damit eindeutig auf den Gerichtsstand und nicht auf die Vereinbarung ab. Die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten, unabhängig von der Ausschließlichkeit der Vereinbarung selbst, ist konsequenterweise als nicht-aus­ schließlich und nicht als ausschließlich zu qualifizieren. Denn bei ausschließli­ chen Gerichtsstandsvereinbarungen sollen, wie der Jenard-Bericht nahe legt, nicht mehrere Gerichte von den Parteien angerufen werden können. Für diese Auslegung spricht auch Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO, dessen Begriff einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ersichtlich von der Konstel­ lation ausgeht, wonach ein Gerichtsstand von den Parteien ausschließlich verein­ bart wurde. Treffend führt Briggs daher aus: „to give exclusive jurisdiction to two courts is inelegant, even self-contradictory.“273 De lege lata ist es daher überzeugend, an die Ausschließlichkeit des Gerichts­ stands aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung anzuknüpfen. Daraus folgt aber, wie Art.  25 Abs.  1 S.  2, Art.  31 Abs.  2 und Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO systema­ tisch deutlich zeigen, dass für eine ausschließliche Zuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung ein einziger internationaler Gerichtsstand vorliegen muss. Ob die Parteien durch die Gerichtsstandsvereinbarung die internationale Zuständigkeit abschließend regeln wollten, ist nicht maßgeblich. c) Kritik Auch wenn nach hier vertretener Ansicht de lege lata für die Ausschließlichkeit an die Zuständigkeit und nicht die materiell-rechtliche Vereinbarung anzuknüp­ fen ist, kann nicht ignoriert werden, welche praktischen Probleme damit einher­ gehen. Die Bestimmung der Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinba­ rung nach der internationalen Zuständigkeit des gewählten Gerichts oder der Gerichte des gewählten Mitgliedstaats kann aus Sicht der Parteien nur unbefrie­ digend sein. Denn diese sind maßgeblich an der Effektivität und Wirksamkeit ihrer Gerichtsstandsvereinbarung und damit deren Schutz vor Torpedoklagen interessiert. Dieses Schutzinteresse steht im Einklang mit den Zielen der Brüs­ 272  273 

Jenard-Bericht, 1971, S.  37. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, Rn.  2.138

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sel Ia-VO.274 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nimmt das ausschließlich gewählte Gericht von der Rechtshängigkeitssperre aus, wenn zuvor in einem derogierten Gericht eine Klage entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung erhoben wurde. Nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen werden damit gegen Umge­ hungsklagen vor derogierten Gerichten geschützt.275 Das Interesse an der Effektivität und Wirksamkeit internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen besteht dabei unabhängig davon, ob eine Gerichtsstands­ vereinbarung einen oder mehrere internationale Gerichtsstände vorsieht.276 Denn auch eine nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung kann Derogations­ wirkung entfalten.277 Zu Recht bezeichnet daher Geimer Gerichtsstandsvereinba­ rungen, in denen zwei Gerichte unter Ausschluss aller übrigen gewählt werden, als „‚ausschließliche‘ Gerichtsstandsvereinbarungen“ und bringt mit den Anfüh­ rungszeichen den rechtsdogmatischen Unterschied bei gleicher Interessenlage zum Ausdruck.278 In prägnanter Weise könnte man zuspitzen: ob die Parteien nun die deutschen und die italienischen Gerichte oder nur die deutschen Gerichte für ihre Rechts­ streite als allein zuständig vereinbaren, ändert rein gar nichts an ihrem Interesse, vor Klagen in Spanien geschützt zu werden. Jedoch werden die Parteien gegen eine Torpedoklage vor den derogierten spanischen Gerichten nur bei der Wahl einzig der deutschen Gerichte geschützt. Hier besteht folglich weiterhin eine Rechtsschutzlücke, die auch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nicht geschlossen hat.279 Es kann jedoch systematisch wie dogmatisch nicht überzeugen, die Rechts­ schutzlücke in Bezug auf nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen durch eine ergebnisorientierte Auslegung von Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO de lege lata zu schließen, indem der dogmatische Anknüpfungspunkt zur Bestim­ mung der Ausschließlichkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen ver­ schoben wird. Vielmehr ist hier der europäische Gesetzgeber aufgefordert, Ab­ hilfe zu schaffen. Der hier vorgeschlagene Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen würde de lege ferenda die aufgezeigte Rechtsschutzlücke schließen. De lege lata ist eine Gerichtsstands­ vereinbarung ausschließlich, wenn die Parteien die internationale Zuständigkeit 274 

KOM (2010) 748 endg., S.  9. Vgl. zu Torpedoklagen Teil  I §  4 I. 276 Ausdrücklich darauf hinweisend Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, Rn.  2.138. 277  So auch Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 24. 278 Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  166, 170. 279  Zu Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO vgl. unten Teil  I §  4 II; zum Verhältnis von Gerichts­ standsvereinbarungen und Torpedoklagen unter der Brüssel I-VO vgl. Teil  I §  4 I. 275 

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eines einzigen Gerichts oder der Gerichte eines einzigen Mitgliedstaats verein­ baren.280

4.  Besondere Gerichtsstandsvereinbarungen und Ausschließlichkeit Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung der Ausschließlichkeit einer Gerichts­ standsvereinbarung immer dann, wenn es sich nicht um die Wahl eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats handelt. Im Folgenden sollen daher beson­ dere Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen daraufhin analysiert werden, ob sie als ausschließlich im Sinne des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO an­ gesehen werden können. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nur das aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschließ­ lich international zuständige Gericht gegen Torpedoklagen schützt. a)  Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten Wie bereits beschrieben liegt keine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vor, wenn die Parteien zwei oder mehr Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaa­ ten unter Derogation aller übrigen vereinbaren.281 Denn die Parteien regeln die internationale Zuständigkeit in ihrer Gerichtsstandsvereinbarung zwar abschlie­ ßend, vereinbaren dabei aber keine ausschließliche Zuständigkeit im Sinne des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO, weil dem Kläger mehr als ein internationaler Ge­ richtsstand zur Auswahl steht.282

280 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  23 Rn.  92; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790. 281 Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  4; Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Europä­ isches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2015, Art.  25 Rn.  41; Hausmann, in: Reith­ mann/Martiny (Hg.), Internationales Vertragsrecht, 2015, Rn.  8.114, 8.141; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.65 f.; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  23 Rn.  92; Queirolo, YPIL, 15 (2013/2014), S.  113, 116; diese Frage offen lassend Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  59, 198, 206; teilweise widersprüchlich Magnus/Mankowski/ Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  33, 81 f.; a. A. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  252; Magnus/Man­ kowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  4; Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9; wohl auch Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  33, 81f, 149. 282  Vgl. oben Teil  I §  3 II 1.

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b)  Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO erlaubt es den Parteien, asymmetrische Gerichts­ standsvereinbarungen zu schließen.283 Bei solchen wird der Gerichtsstand nur für eine Partei ausschließlich vereinbart. Der anderen Partei stehen neben dem ver­ einbarten Gerichtsstand weiterhin auch die objektiven Gerichtsstände zur Ver­ fügung. In einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung werden also eine aus­ schließliche und eine nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung je nach Parteirolle kombiniert. Es sind aber auch andere Konstellationen denkbar. So können die Parteien vereinbaren, dass eine Partei nur an einem Gerichtsstand klagen kann, während der anderen Partei verschiedene Gerichtsstände zur Verfü­ gung stehen, die in der Gerichtsstandsvereinbarung abschließend bezeichnet werden.284 Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen müssen von den Parteien ein­ deutig vereinbart werden und sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung erge­ ben.285 Sie werden besonders bei grenzüberschreitenden Geschäften in der Fi­ nanzbranche häufig verwendet.286 Dort soll insbesondere bei Kreditgeschäften ermöglicht werden, am Wohnsitz des Schuldners sowie an Gerichtsständen, an denen sich möglicherweise Vermögen befindet, zu klagen. Dies erhöht letztlich die Bereitschaft zur Kreditvergabe.287 Ein geradezu berühmtes Beispiel einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung findet sich in dem Fall Primacom: „Die Unterwerfung unter die Zuständigkeit der in Klausel 45.1 (Gerichtsstand England) genannten Gerichte gilt nur zu Gunsten der Finanzierungsparteien. In­ folge dessen und ungeachtet Klausel 45.1 (Gerichtsstand England) hindert sie die Finanzierungsparteien […] nicht daran, ein Verfahren in Bezug auf eine 283  EuGH v. 24.6.1986 – Rs. 22/85, Anterist, Slg. 1986, 1951, Rz.  13 f.; OLG Hamm, Urt. v. 20.09.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, S.  125, 126; OLG München, Urt. v. 29.01.1980 – 25 U 3274/79, RIW 1982, S.  281, 282; OLG Dresden, Urt. v. 07.05.2009 – 10 U 1816/08, BeckRS 2009, 13514; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  168 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  540; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  199; Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 423. 284 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  34. 285  EuGH v. 24.6. 1986 – Rs. 22/85, Anterist, Slg. 1986, 1951, 1962, Rz.  14; vgl. zur Zuläs­ sigkeit solcher Gerichtsstandsvereinbarungen Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilver­ fahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  168 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  33. 286  Zu dem zentralen Primacom-Fall vgl. die Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  4.3 f., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017); Berg­ son, JPIL 2015, S.  1, 22; Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  105. 287 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  200.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Streitigkeit (‚Verfahren‘) vor einem anderen Gericht des Zuständigkeitsberei­ ches anzustrengen.“288 Durch eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung hat eine Partei also die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen. Die andere Partei hingegen ist an ei­ nen ausschließlichen internationalen Gerichtsstand gebunden. Die Festlegung auf einen einzigen Gerichtsstand erfolgt damit nur aus Sicht einer Partei. Daher werden asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen in der Literatur teilweise als nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen qualifiziert.289 Überzeugender ist die Qualifikation unter Berücksichtigung der dogmatischen Doppelnatur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. Dabei ist die materi­ ell-rechtliche Ebene von der prozessualen Wirkungsebene zu differenzieren. Auf materiell-rechtlicher Ebene können die Parteien in asymmetrischen Gerichts­ standsvereinbarungen zwar eine Vielzahl an Derogationen und Prorogationen kombinieren. Eine Festlegung auf einen einzigen Gerichtsstand erfolgt damit nicht. Für die Frage der Ausschließlichkeit sind jedoch die prozessualen Wirkungen der asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung maßgeblich.290 Hier kann zwi­ schen den Klagen der beiden Parteien unterschieden werden. Für Klagen der ­einen Partei besteht demnach eine einzige, ausschließliche internationale Zustän­ digkeit.291 Der anderen Partei stehen hingegen mehrere internationale Gerichts­ stände alternativ zur Verfügung.292 Da Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO auf die pro­ zessuale Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung abstellt, können asymmetri­ sche Gerichtsstandsvereinbarungen je nach klagender Partei eine ausschließliche internationale Zuständigkeit oder eine nicht-ausschließliche internationale Zu­ ständigkeit begründen. Die Bestimmung der Ausschließlichkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen erfolgt damit ebenfalls gespalten bzw. asym­me­ trisch.293 Im Ergebnis ist es damit überzeugend, asymmetrische Gerichtsstands­

288  LG Mainz, WM 2005, S.  2319, 2320; vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art.  25 Rn.  200. 289  So wohl Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  202. 290  Vgl. oben Teil  I §  3 II 3 b. 291  So auch ausdrücklich LG Mainz, WM 2005, S.  2319, 2321; vgl. auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  200; Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Re­ gulation, 2016, Art.  25 Rn.  34; Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  17. 292  Wie hier auch Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, Rn.  2.139; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  3a. 293  Für eine solche Beurteilung asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen, allerdings nach §  38 ZPO, vgl. BGH, Urt. v. 20.12.1972 – VIII ZR 113/71, NJW 1973, S.  422; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn.  1736, 1301; Bergson, JPIL 2015, S.  1, 22; Hoh-

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

vereinbarungen je nach Parteirollenverteilung anhand ihrer jeweiligen prozes­ sualen Wirkung als ausschließlich oder nicht-ausschließlich zu qualifizieren. c)  Reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen Von der in Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO gewährten Parteiautonomie werden auch reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst.294 Bei solchen vereinbaren die Parteien etwa die Zuständigkeit der Gerichte jeweils am Klägerwohnsitz oder jeweils am Beklagtenwohnsitz. Einen bekannten Fall bildet die Gerichtsstands­ vereinbarung in Meeth: „Wenn die Firma Meeth die Firma Glacetal verklagt, so muß das vor einer französischen Gerichtsbarkeit geschehen. Falls die Firma Gla­ cetal die Firma Meeth verklagt, muß dies vor einer deutschen Gerichtsbarkeit geschehen.“295 Möglich ist es aber auch, die Zuständigkeit an andere Faktoren wie etwa das Bestreiten des Vertrags zu knüpfen.296 Begründet wird die Zulässig­ keit solcher Gerichtsstandsvereinbarungen damit, dass die Parteien auch zwei separate Gerichtsstandsvereinbarungen hätten schließen können.297 Ob eine reziproke Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließlich zu qualifizie­ ren ist, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich bewertet. Auf der einen Seite wird vertreten, dass reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen den Rechtsstreit nicht einem einzigen internationalen Gerichtsstand ausschließlich zuzuweisen und daher als nicht-ausschließlich zu qualifizieren sind.298 Auf der anderen Seite wird vertreten, dass reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen typi­ scherweise ausschließliche Gerichtsstände begründen.299 Der EuGH ließ die Be­ antwortung dieser Frage offen.300 Überzeugend ist wiederum die Qualifikation unter Berücksichtigung der dog­ matischen Doppelnatur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. Zwar ver­ einbaren die Parteien in einer reziproken Gerichtsstandsvereinbarung zwei oder meier, IHR 2014, S.  217, 223; im Ergebnis so auch Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Inter­ nationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  254. 294 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  200, 206. 295  EuGH v. 9.11. 1978 – Rs. 23/78, Meeth, Slg. 1978, 2134, Rz.  3; vgl. auch Rauscher/ Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  199; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zi­ vilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  171. 296  LG Trier, IPRax 2004, S.  249; vgl. dazu Samtleben, in: FS Ansay, 2006, S.  343, 355. 297 Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  23 Rn.  74. 298  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 790; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  141; vgl. auch zur Ausschließlichkeit im deutschen IZVR nach §  38 ZPO OLG Mün­ chen, Urt. v. 08.08.1984 – 7 U 1880/84, IPRax 1985, S.  341, 342; Schack, Internationales Zi­ vilverfahrensrecht, 2017, Rn.  521. 299  Für die Ausschließlichkeit Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  81 f., 146; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, 2012, Rn.  12–141. 300  EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, Meeth, Slg. 1978, 2134, Rz.  5.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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mehr internationale Gerichtsstände. Jedoch sind auch hier die prozessualen Wir­ kungen der Gerichtsstandsvereinbarung zu differenzieren. Maßgeblich ist, ob aus Sicht des Klägers für den betreffenden Streitgegenstand noch ein weiterer internationaler Gerichtsstand besteht. Dies ergibt sich durch Auslegung der Ge­ richtsstandsvereinbarung. Wollten die Parteien, dass jedem Kläger nur ein einzi­ ger internationaler Gerichtsstand zur Verfügung steht, etwa am jeweiligen Be­ klagtenwohnsitz, liegt auch jeweils eine ausschließliche Zuständigkeit im Sinne des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO vor.301 Wollten die Parteien mit der reziproken Gerichtsstandsvereinbarung hingegen nur einen zusätzlichen internationalen Ge­ richtsstand, etwa am jeweiligen Klägerwohnsitz, eröffnen, ist die reziproke Ge­ richtsstandsvereinbarung als nicht-ausschließliche zu qualifizieren. Denn maß­ geblich ist die ausschließliche internationale Zuständigkeit aus Sicht des jeweili­ gen Klägers.302 d)  Freie Kombinationen von Pro- und Derogationen Die Parteien können die prozessualen Wirkungen ihrer Gerichtsstandsvereinba­ rung frei bestimmen. Es ist ihnen möglich, nur bestimmte Gerichtsstände für eine oder beide Parteien abzubedingen oder neue Gerichtsstände wiederum für nur eine oder beide Parteien zu ergänzen. Art.  25 Brüssel Ia-VO setzt ihnen dabei nur wenige Grenzen.303 Für die Ausschließlichkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung ist es, wie gezeigt, maßgeblich, ob die aus der Gerichtsstandsvereinbarung folgende internationale Zuständigkeit ausschließlich sein soll. Die freie Kombination von Pro- und Derogationen ist daher dann als nicht-ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarung zu qualifizieren, wenn dem jeweiligen Kläger mehr als nur ein in­ ternationaler Gerichtsstand zur Auswahl steht.

III.  Begründung der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO sieht die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats vor. Dies gibt den Parteien einer­ seits die Möglichkeit, nur die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines 301  So auch Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  253. 302  Vgl. oben Teil  I §  3 II 3 b. 303  Vgl. dazu Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  25 Rn.  144.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Mitgliedstaats zu vereinbaren.304 In diesem Fall bestimmt das nationale Verfah­ rensrecht des gewählten Mitgliedstaats, welches Gericht konkret örtlich zustän­ dig ist.305 Bei mehreren örtlich zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl.306 Folglich können nach dem nationalen Verfahrensrecht des gewählten Mitglied­ staats auch mehrere Gerichte örtlich zuständig sein.307 Andererseits können die Parteien nach dem Wortlaut des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO auch die Zuständigkeit eines konkreten Gerichts vereinbaren.308 In diesem Fall normiert Art.  25 Brüssel Ia-VO die internationale und die örtliche Zuständigkeit des gewählten Gerichts.309 Daraus ergibt sich auch die Möglich­ keit der Derogation der örtlichen Zuständigkeit.310 Dies ist möglich, wenn die Parteien die örtliche Zuständigkeit eines konkreten Gerichts in einem Mitglied­ staat vereinbaren, der bereits vor der Gerichtsstandsvereinbarung etwa nach Art.  4 Abs.  1 Brüssel Ia-VO international zuständig war. Die örtliche Zuständig­ keit richtete sich vor der Wahl nach dem nationalen Verfahrensrecht. Durch die Gerichtsstandsvereinbarung wird die örtliche Zuständigkeit dann dem gewählten Gericht zugewiesen.

IV.  Erweiterte Gerichtspflichtigkeit im forum derogatum Im Rahmen der Brüssel Ia-VO gibt es kein Recht darauf, nicht in einem anderen Mitgliedstaat verklagt zu werden.311 Jedes Gericht darf zumindest seine eigene internationale Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO prüfen.312 Begründet wird dies vor allem mit dem effektiven Rechtsschutz im europäischen Justizraum.313 Zwar sieht Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO die Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen durch das angerufene Gericht und die Möglichkeit der Klageabweisung

Dies war etwa der Fall in EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  12. 305 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  4; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  66; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  145; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  5. 306 Simons/Hausmann/Hausmann, Brüssel Ia-VO, 2012, Art.  23 Rn.  116. 307  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  6 Rn.  6.6. 308  Dies war etwa der Fall in EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693. 309  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  3 Rn.  187. 310 Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  25 Rn.  147; Zöl­ ler/Geimer, ZPO, 2018, Art.  4 Rn.  56. 311  Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23, 24. 312 Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  24. 313 Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  13. 304 

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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mangels internationaler Zuständigkeit auch bei Säumnis des Beklagten vor.314 Jedoch erfasst dieser insbesondere die Derogationswirkung einer Gerichtsstands­ vereinbarung nicht, da Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO keinen Amtsermittlungs­ grundsatz normiert. Bleibt der Beklagte säumig, müsste der Kläger selbst die Derogation des angerufenen Gerichts vortragen, was unwahrscheinlich sein dürfte. Ein Verstoß gegen Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO, also eine Entscheidung des befassten Gerichts in der Sache bei fehlender oder nicht ausreichend geprüf­ ter internationaler Zuständigkeit, führt zudem nicht zur Anerkennungsversagung des Urteils nach Art.  45 Brüssel Ia-VO.315 Daraus folgt eine erweiterte Gerichts­ pflichtigkeit des Beklagten und damit ein unzureichender Rechtsschutz des säu­ migen Beklagten im forum derogatum. Dies führt zu einer teilweisen ökonomi­ schen Entwertung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen.

1.  Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO Bleibt der Beklagte säumig, prüft das befasste Gericht nach Art.  28 Abs.  1 Brüs­ sel Ia-VO seine internationale Zuständigkeit von Amts wegen.316 Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO schützt den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren.317 Nach Mankowski sieht Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO „im Zusammenspiel mit Art.  27 einen einheitlichen europäischen Mindeststan­ dard an Beklagtenschutz zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens“ vor.318 Der Beklagte soll nur dann außerhalb seines Wohnsitzstaats verklagt werden können, wenn dort auch ein internationaler Gerichtsstand nach den Vorschriften der Brüs­ sel Ia-VO gegeben ist.319 Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO und seinen Vorgängernor­ men kommt ausweislich des Jenard-Berichts überragende Bedeutung zu.320 Die Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen bei Säumnis des Beklagten ge­ stattet es dem europäischen Gesetzgeber, die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit vor dem Zweitgericht im Rahmen der Anerkennung auch auszu­ 314 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  28 Rn.  1; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  45 Rn.  64. 315 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  28 Rn.  3; Rauscher/Mankowski, ­EuZPR/EuIPR, Art.  28 Rn.  6; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  26 Rn.  3; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  45 Rn.  64; zu den Ausnahmen nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO vgl. unten Teil  I §  5 II. 316 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  28 Rn.  1. 317 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  28 Rn.  2. 318 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  28 Rn.  1. 319 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  28 Rn.  1. 320  Jenard-Bericht, 1971, S.  39 zu Art.  20 EuGVÜ.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

schließen, wenn ein Versäumnisurteil vorliegt.321 Denn es wird durch Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO sichergestellt, dass ein Gericht sich mit der Prüfung der internationalen Zuständigkeit selbst dann befasst, wenn der Beklagte säumig bleibt und die Unzuständigkeit daher auch nicht rügen kann. Diesen Zusammen­ hang zwischen der Anerkennungsfähigkeit von Versäumnisurteilen und dem in Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO verankerten Beklagtenschutz unterstreicht der Jenard-Bericht ausdrücklich: „Die in dem II. Titel genau festgelegten Zuständigkei­ ten und der dem säumigen Beklagten in Artikel 20 jenes Titel gewährte Rechts­ schutz ließen es entbehrlich erscheinen, vor dem Gericht, vor dem die Anerken­ nung geltend gemacht wird, eine Nachprüfung der Zuständigkeit des Richters des Urteilsstaats zu verlangen.“322 Bei ökonomischer Betrachtung soll dem Beklagten durch Art.  28 Abs.  1 Brüs­ sel Ia-VO der Verteidigungsaufwand vor einem unzuständigen Gericht erspart werden.323 Er muss nicht allein deshalb erscheinen, um die Unzuständigkeit des befassten Gerichts zu rügen.324 Allerdings geht der Beklagte mit der Säumnis ein Risiko ein.325 Denn weder die Unzuständigkeit des Gerichts, noch die Missach­ tung von Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO stellt einen Anerkennungsversagungs­ grund dar.326

2.  Keine Prüfung des Vorliegens einer Gerichtsstandsvereinbarung Die Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO erfasst auch Gerichtsstandsvereinbarungen.327 Jedoch betrifft die Prüfung von Amts wegen nur Rechtsfragen. Ob auch Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln

So ausdrücklich Jenard-Bericht, 1971, S.  46. Jenard-Bericht, 1971, S.  46; ebenfalls den Zusammenhang von Urteilsfreizügigkeit und zuständigkeitsrechtlichem Beklagtenschutz im Fall der Säumnis hervorhebend Martiny, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap. II Rn.  160. 323 Geimer/Schütze/Försterling, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  26 Rn.  2. 324 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  28 Rn.  2. 325 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  28 Rn.  3; vgl. zur Anerkennungsfähig­ keit von Versäumnisurteilen unten Teil  I §  5 I 3. 326 Geimer/Schütze/Försterling, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  26 Rn.  16; zur rechtspolitischen Kritik vgl. unten Teil  I §  3 IV 4. 327  OLG Stuttgart, IPRspr 2010 Nr.  184a S.  458; OLG Brandenburg, Urt. v. 27.02.2014 – 12 U 10/13, BeckRS 2014, 04896; vgl. auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  28 Rn.  9; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  28 Rn.  12 f.; Schlosser-Bericht, 1978, Rn.  22, 174. 321  322 

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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sind, bestimmt sich nach nationalem Prozessrecht.328 Es besteht kein unions­ rechtsautonomer Amtsermittlungsgrundsatz.329 Aus diesem Grund ist das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO von Amts wegen zu prüfen. Denn das Vorlie­ gen einer Gerichtsstandsvereinbarung stellt eine Tatsachenfrage dar. Die Ge­ richtsstandsvereinbarung muss sich daher aus dem Beklagten- oder dem Kläger­ vortrag ergeben.330 Nur wenn die Gerichtsstandsvereinbarung Teil des Prozess­ stoffes ist, hat das Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung vom Amts wegen zu berücksichtigen.331 Derogationen nehmen vor diesem Hintergrund eine besondere Stellung ein. Im Gegensatz zu allen übrigen zuständigkeitsrechtlichen Vorschriften der Brüs­ sel Ia-VO kann nach Art.  25 Brüssel Ia-VO durch eine Derogation ein Gerichts­ stand aufgehoben werden. Dies wird aber in der Regel vom Kläger nicht vorge­ tragen werden, da dieser ja gerade das derogierte Gericht angerufen hat. Viel­ mehr muss der Beklagte selbst die Derogation des Gerichts vortragen. Bleibt der Beklagte säumig, wird die Derogationswirkung einer Gerichts­ standsvereinbarung damit faktisch zur Disposition des Klägers gestellt.332 Denn trägt der Kläger das Vorliegen der Gerichtsstandsvereinbarung und deren Dero­ gationswirkung nicht vor, bleibt der Beklagte säumig und ergibt sich die Ge­ richtsstandsvereinbarung auch sonst nicht aus dem Prozessstoff, kann die Schutz­ funktion des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO nicht greifen.333 Art.  28 Abs.  1 Brüs­ sel  Ia-VO findet, wie gezeigt, auf Tatsachenfragen wie das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung keine Anwendung.334 Diese Gefahr verdeutlicht die Entscheidung des EuGH in Thomas Cook. Dort trug der Kläger bei Säumnis des Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  28 Rn.  12. 329 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Vorbem. zu Art.  4 Rn.  10; Art.  28 Rn.  10; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 2018, Art.  28 Rn.  5. 330  BGH, Urt. v. 30.10.2003 – I ZR 59/00, BeckRS 2004, 275; OLG Stuttgart, IPRspr 2010 Nr.  184a, S.  458; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  36; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  28 Rn.  14 mit Fn.  68; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  26 Rn.  8; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 2018, Art.  28 Rn.  4; Geimer/Schütze/Försterling, Internationaler Rechtsverkehr, 2014, B Vor. I 10 b, Art.  26 Rn.  13. 331 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  25 Rn.  36; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  28 Rn.  13. 332  Vgl. die Fälle in OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.07.2005 – 9 W 8/05, BeckRS 2005, 08388; Audiencia Provincial Algeciras, Urt. v. 12.7.2007 – 54/2007, unalex ES-305; Audiencia Provincial Lugo, Urt. v. 2.12.2008 – 942/2008, unalex ES-422. 333 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  28 Rn.  13. 334  Vgl. Teil  I §  3 IV 1. 328 Geimer/Schütze/E.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Beklagten die Derogation des Erstgerichts nicht vor und konnte so einen Europä­ ischen Zahlungsbefehl erlangen.335 Treffend merkt zudem Queirolo an, dass Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ledig­ lich säumige Beklagte schützt, die Ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat ha­ ben.336 Da Art.  25 Brüssel Ia-VO aber für die Zulässigkeit einer Gerichtsstands­ vereinbarung nicht mehr an den Wohnsitz anknüpft, entsteht hier eine Rechts­ schutzlücke. Denn der säumige Beklagte mit Wohnsitz in einem Drittstaat, wird von der Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel IaVO nicht erfasst, obwohl er nach Art.  25 Brüssel Ia-VO eine Gerichtsstandsver­ einbarung schließen darf, und Urteile gegen ihn unionsweit anerkannt und voll­ streckt werden können. Selbst wenn das Gericht also aufgrund des Tatsachenvor­ trags des Klägers von der Derogation erfährt, ist die Beachtung von Amts wegen keinesfalls garantiert.337

3.  Unzureichender Schutz des säumigen Beklagten im forum derogatum Es lässt sich daher von einer erweiterten Gerichtspflichtigkeit und einem daraus resultierenden, unzureichenden Rechtsschutz des prorogationswidrig Beklagten nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO sprechen. Zwar wird allgemein von einer er­ weiterten Gerichtspflichtigkeit in Bezug auf die Gerichtsstände der Brüssel IaVO gesprochen.338 Denn auf einer fehlerhaften Zuständigkeitsprüfung basieren­ de Urteile sind in sämtlichen Mitgliedstaaten grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken.339 Dadurch wird auf den Beklagten mittelbar erheblicher Druck ausgeübt, vor dem unzuständigen Erstgericht zumindest zur internationalen Zu­ ständigkeit zu verhandeln.340 Der sogenannte Heidelberg Report etwa rät deswe­ gen Beklagten, zur Zuständigkeit vor unzuständigen Gerichten zu verhandeln.341 Jedoch ist die Berücksichtigung einer derogierenden Gerichtsstandsvereinba­ rung durch das angerufene Gericht von Amts wegen nahezu ausgeschlossen. EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-145/14, Thomas Cook, Rz.  21. Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  28 Rn.  12 f. 337  Kritisch Magnus/Mankowski/Queirolo, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  28 Rn.  12 f.; Schlosser-Bericht, 1978, Rn.  22. 338  Vgl. etwa MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  45 Rn.  59; Geimer/Schütze/Geimer, Euro­ päisches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  26 Rn.  13. 339 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  28 Rn.  3; Rauscher/Mankowski, ­EuZPR/EuIPR, Art.  28 Rn.  6; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  26 Rn.  3; zu den Ausnahmen nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO vgl. unten Teil  I §  5 II. 340  Stone, EU Private International Law, 2016, S.  229. 341  Hess/Pfeiffer/Schlosser/Hess, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  477. 335 

336 Magnus/Mankowski/Queirolo,

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Denn bei Säumnis des Beklagten ist dieser auf den Vortrag der Gerichtsstands­ vereinbarung durch den Kläger angewiesen. Der Kläger hat jedoch kein Interesse am Vortrag der Derogation des von ihm angerufenen Gerichts.

4.  Kritik Das zentrale Problem liegt in der Konzeption des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO. Dieser ist auf die objektiven Gerichtsstände der Brüssel Ia-VO zugeschnitten. Das Gericht kennt die objektiven Gerichtsstände bzw. erfährt aus der Klagschrift, worauf der Kläger die Zuständigkeit des Gerichts stützt. Es kann dementspre­ chend seine Zuständigkeit ohne weiteren Vortrag des Beklagten prüfen. So soll dem Beklagten der Gang vor das unzuständige Gericht erspart werden.342 Liegt jedoch eine derogierende Gerichtsstandsvereinbarung vor, ist diese für das angerufene Gericht bei Säumnis des Beklagten nicht erkennbar. Der Schutzzweck des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO kann daher in Bezug auf die De­ rogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht greifen. Der Beklagte muss vor dem derogierten Gericht erscheinen und zur Zuständigkeit verhandeln, will er sich nicht in Abhängigkeit vom Kläger begeben. Dieses Ergebnis wider­ spricht deutlich der bereits im Jenard-Bericht ausgedrückten Konzeption des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO und seiner Vorgängernormen: „Das Nichteinlassen des Beklagten kommt einer stillschweigenden Zuständigkeitsvereinbarung nicht gleich. Es genügt nicht, daß der Richter die Behauptungen des Klägers über die Zuständigkeit als richtig unterstellt; er muß von dem Kläger den Beweis dafür verlangen, daß die internationale Zuständigkeit begründet ist.“343 Die Einlassungspflicht des Beklagten bewirkt eine Erhöhung der möglichen Transaktionskosten und damit eine Minderung des ökonomischen Mehrwertes internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. Denn selbst bei Derogation eines Gerichts hat der Beklagte die Unzuständigkeit des Gerichts zu rügen. Dies führt zu Kosten und Aufwand.344 So beschreibt etwa der Heidelberg Report, dass in einigen Mitgliedstaaten bereits Kosten bei Anrufung des Gerichts anfallen, selbst wenn dann nur die Prüfung der internationalen Zuständigkeit stattfindet, so in Polen, Österreich und Spanien.345 Ferner kann in Frankreich etwa die Prüfung der Zuständigkeit viel Zeit in Anspruch nehmen und genauso viel kosten wie ein 342 

Vgl. oben Teil  I §  3 IV 1. Jenard-Bericht, 1971, S.  39 zu Art.  20 EuGVÜ. 344  Zu Recht daher kritisch Schlosser, in: FS Heldrich 2005, S.  1007, 1012; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  28 Rn.  14; vgl. zu Kosten und dem Begriff des Transaktions­ kostenrisiko oben Teil  I §  1 III 1 c. 345  Hess/Pfeiffer/Schlosser/Pfeiffer, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  168 f. 343 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Urteil in der Sache. Zudem sind Rechtsanwaltshonorare oftmals nicht vollstän­ dig, sondern nur in Höhe gesetzlich festgelegter Gebühren erstattungsfähig. Die genannten Umstände verdeutlichen das erhebliche, bereits mit der Zuständig­ keitsrüge einhergehende Kostenrisiko für die Parteien.346 Auf einer grundlegenden, die ökonomischen Folgen der Rechtsschutzdefizite des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO überschreitenden Ebene stellt sich die grundle­ gende Frage, ob die Anerkennung und Vollstreckung eines Versäumnisurteils eines derogierten Gerichts überhaupt gerechtfertigt werden kann. Denn wenn Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO nach der Konzeption des europäischen Gesetzge­ bers den Anspruch des säumigen Beklagten auf rechtliches Gehör und einen fai­ ren Prozess schützen soll, und wenn dieser Schutz die Anerkennung von Ver­ säumnisurteilen rechtfertigt, dann erscheint die Anerkennung von Urteilen, bei denen die Schutzfunktion des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO überhaupt nicht grei­ fen kann, zweifelhaft. Angesichts der erheblichen Bedeutung von Versäumnisur­ teilen im europäischen Rechtsverkehr ist dies bedenklich.347 Gerade im Verhältnis von internationaler Anerkennung und internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen begründet der in Ergänzung des Jenard-Berichts das EuGVÜ erläuternde Schlosser-Bericht das Verbot der Nachprüfung der De­ rogation des Erstgerichts ausdrücklich mit dem Schutz des Art.  21 EuGVÜ bzw. nun Art.  28 Brüssel Ia-VO: „Daß in Artikel 28348 der 6. Abschnitt des 2. Titels über Gerichtsstandsvereinbarungen nicht erwähnt ist, beruht, wie nicht uner­ wähnt bleiben soll, auf Absicht. Bei deren Bewertung ist aber zu berücksichti­ gen, daß das Vorliegen einer der Zuständigkeit des angegangenen Gerichts im Entscheidungsstaat entgegenstehenden Vereinbarung von Amts wegen beachtet werden mußte.“349 Dieser Schutz bezieht sich jedoch, wie gezeigt, nur auf die Prorogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung. Auch an dieser Stelle findet die Derogationswirkung keine ausreichende Beachtung. Die Anerkennung von Versäumnisurteilen derogierter Gerichte widerspricht damit der klaren Wertung der Brüssel Ia-VO, weil der die Anerkennung und Vollstreckung von Versäumnisurteilen rechtfertigende Art.  28 Abs.  1 Brüssel IaVO den im forum derogatum säumigen Beklagten gerade nicht schützt.350 Der in

346 

Hess/Pfeiffer/Schlosser/Pfeiffer, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  168 f. 347  Zur Bedeutung von Versäumnisurteilen etwa im deutschen-österreichischen Rechtsver­ kehr vgl. Hess/Pfeiffer/Schlosser/Hess, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  468. 348  Der heutige Art.  45 Brüssel Ia-VO. 349  Schlosser-Bericht, 1978, Rn.  188. 350  Vgl. dazu unten Teil  III §  1 III.

§  3  Zuständigkeitsrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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dieser Arbeit vorgeschlagene Anerkennungsversagungsgrund würde diese gra­ vierende Rechtsschutzlücke schließen.

V.  Zwischenergebnis Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen entfalten zunächst eine zuständig­ keitsrechtliche Wirkung. Durch Pro- und Derogation bestimmen sie die interna­ tionale Zuständigkeit für die jeweilige Klage. Dabei können die Parteien neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit parteiautonom vereinbaren. Ob es sich im konkreten Fall um eine ausschließliche internationale Gerichts­ standsvereinbarung handelt, ist unter Berücksichtigung der Doppelnatur interna­ tionaler Gerichtsstandsvereinbarungen zu bestimmen. Als materiell-rechtliche Verträge mit prozessualer Wirkung kommt eine Anknüpfung an die Ausschließ­ lichkeit der Vereinbarung oder an die Ausschließlichkeit des Gerichtsstands in Betracht. Nach überzeugender Auffassung ist an die Ausschließlichkeit des inter­ nationalen Gerichtsstands in Bezug auf die jeweilige Klage anzuknüpfen. Die Qualifikation besonderer Formen internationaler Gerichtsstandsvereinba­ rungen sollte anhand desselben Anknüpfungspunktes einheitlich vorgenommen werden. Bei der Vereinbarung mehrerer internationaler Gerichtsstände, bei re­ ziproken und asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen sowie sämtlichen weiteren denkbaren Kombinationen von Prorogationen und Derogationen ist zu fragen, ob die Parteien aus Sicht des jeweiligen Klägers nur einen einzigen inter­ nationalen Gerichtsstand vereinbart haben. Dies kann dazu führen, dass aufgrund derselben Vereinbarung je nach Kläger die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit im Sinne des Art.  25 Brüssel Ia-VO unterschiedlich zu bewerten ist. Dadurch wird die Privatautonomie der Parteien nachvollzogen. Schließlich genießen säumige Beklagte im forum derogatum nicht den Schutz des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO, da der Kläger in der Regel die Derogation nicht vortragen wird und das Gericht diese somit nicht prüfen kann. Nach der Systematik der Brüssel Ia-VO entfällt damit aber die Rechtfertigung für die An­ erkennung von Versäumnisurteilen eines derogierten Gerichts. Vor dem Hintergrund dieser zuständigkeitsrechtlichen Analyse soll im Folgen­ den der Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO gegen missbräuchliche Umgehungen genauer betrachtet werden.

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen Wie bereits beschrieben, hängt der ökonomische Wert einer Gerichtsstandsver­ einbarung maßgeblich von der durch sie gewährten Rechtssicherheit ab.351 Die­ ser dient die rechtshängigkeitsrechtliche oder auch litispendenzrechtliche Privi­ legierung ausschließlicher internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, die mit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eingeführt wurde. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO lautet: „Wird ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen, das gemäß einer Vereinbarung nach Arti­ kel 25 ausschließlich zuständig ist, so setzt das Gericht des anderen Mitgliedstaats unbeschadet des Artikels 26 das Verfahren so lange aus, bis das auf der Grundlage der Vereinbarung ange­ rufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist.“

Die allgemeine Rechtshängigkeitssperre des Art.  29 Brüssel Ia-VO, die an die zeitliche Priorität anknüpft, wird für ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarun­ gen ausgesetzt. Die Implementierung von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO stellt in Bezug auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen die bedeutendste Verän­ derung der Brüssel Ia-VO gegenüber der Brüssel I-VO dar.352

I.  Gerichtsstandsvereinbarungen und Litispendenzrecht Die Brüssel I-VO wurde zum 10. Januar 2015 durch die Brüssel Ia-VO ersetzt. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war die Stärkung internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen.353 Die Stärkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen verfolgte der Gesetzgeber erstens durch die unionsrechtsautonome Festlegung der lex fori prorogati für die Bestimmung der materiellen Wirksamkeit.354 Zwei­ 351 

Vgl. Teil  I §  1 III 1 c. Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 796; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  9.05. 353  Vgl. Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO; KOM (2010) 748 endg., S.  9; Grünbuch, KOM (2009) 175 endg., S.  5. 354  KOM (2010) 748 endg., S.  9 f.; vgl. dazu oben Teil  I §  2 II 3. 352 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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tens wollte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Gasser-Rechtsprechung des EuGH Torpedoklagen unterbinden, indem er ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarungen von der allgemeinen Rechtshängigkeitssperre ausnahm und so privilegierte.355 Bezweckt wird damit eine zuverlässigere Feinsteuerung der in­ ternationalen Zuständigkeit durch die Parteien.356 Diese sollen auf die Einhal­ tung ihrer Gerichtsstandsvereinbarung vertrauen können.

1.  Litispendenzrechtliches Prioritätsprinzip Grundsätzlich entscheidet jedes Gericht über seine eigene internationale Zustän­ digkeit.357 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Brüssel Ia-VO bei parallelen Verfahren. Werden wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien Verfahren vor verschiedenen mitgliedstaatlichen Gerichten geführt, so gilt im Grundsatz nach Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO das Prinzip der zeitlichen Priorität, das Prioritätsprinzip. Das zweitbefasste Gericht hat das Verfahren von Amts wegen solange auszusetzen, bis das erstbefasste Gericht über seine interna­ tionale Zuständigkeit entschieden hat.358 Erklärt sich das erstbefasste Gericht für zuständig, hat das zweitbefasste Gericht die Klage nach Art.  29 Abs.  3 Brüs­ sel Ia-VO abzuweisen. Erklärt sich das erstbefasste Gericht für unzuständig, darf das zweitbefasste Gericht das Verfahren fortsetzen und die internationale Zustän­ digkeit eigenständig prüfen.359 Der Vorrang des erstbefassten Gerichts im Fall doppelter Rechtshängigkeit gründet in dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwertigkeit der mit­ gliedstaatlichen Justizsysteme.360 Diesem zufolge wendet jedes Gericht die ver­ einheitlichten Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-VO gleichermaßen zu­ verlässig an.361 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers und der Systematik des 355  KOM (2010) 748 endg., S.  9; Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO; vgl. auch Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  4; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  59; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 519; Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 583; zum Zusammenhang zwischen der Einführung von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und der Gasser-Entscheidung des EuGH vgl. M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 266; zu Gasser vgl. unten Teil  I §  4 I 2. 356 Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, 2011, Art.  23 Rn.  2; Weller, GPR 2012, S.  328, 331; vgl. dazu bereits oben Teil  I §  1 III 1 a. 357  EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02, Turner, Slg. 2004, I-3565, Rz.  26; Schlosser/Hess/ Schlosser, EuGVVO, 2015, Vor Art.  4–35 Rn.  4. 358  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  42. 359 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  29 Rn.  10. 360  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  37; Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  29 Rn.  30; vgl. zum Vertrauensprinzip ausführlich unten Teil  I §  5 III 3 b. 361  EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02, Turner, Slg. 2004 I-3565, Rz.  25; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  30.

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Brüssel-Regimes kann kein Gericht die Zuständigkeitsregeln besser anwenden als ein anderes Gericht.362 Zudem ist es nach Erwgr. Nr.  21 Brüssel Ia-VO zur Vermeidung paralleler Verfahren mit der Gefahr widersprüchlicher Entscheidun­ gen und damit zur Stärkung der Rechtssicherheit geboten, nur das erstbefasste Gericht über die internationale Zuständigkeit und gegebenenfalls in der Sache entscheiden zu lassen.363

2.  Torpedoklagen und Gasser-Rechtsprechung Das litispendenzrechtliche Prioritätsprinzip galt vor Inkrafttreten der Brüssel IaVO gemäß Art.  27 Abs.  1 Brüssel I-VO auch dann, wenn das zweitangerufene Gericht von den Parteien ausschließlich vereinbart worden war. Damit hing der Wert einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung jedoch von der Effizi­ enz des erstbefassten Gerichts ab. Denn auch das ausschließlich vereinbarte, zweitbefasste Gericht durfte seine internationale Zuständigkeit erst prüfen, wenn das erstbefasste Gericht sich für unzuständig erklärt hatte. Dadurch wurden sogenannte Torpedoklagen ermöglicht.364 Bei dieser Form der Prozessverschleppung wurde die Kombination von langen Verfahrensdauern in einigen Mitgliedstaaten und dem litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzip zur Aushebelung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen ausgenutzt.365 Die Partei, die sich der Gefahr einer Klage der Gegenpartei im forum prorogatum ausgesetzt sah, erhob schnell als erste vor einem als notorisch langsam bekann­ ten oder ihr potenziell freundlich gesinnten, derogierten Gericht eine negative Feststellungsklage auf Nichtbestehen des Anspruchs der Gegenpartei. Damit verschleppte sie über die Rechtshängigkeitssperre nach Art.  27 Abs.  1 Brüs­ sel I-VO die Klage der anderen Partei vor dem gewählten Gericht.366 Dabei sind Torpedoklagen nicht nur in notorisch langsamen Jurisdiktionen ein effektives Instrument strategischer Prozessführung. Vielmehr genügt schon eine substanzielle Verzögerung mit der Aussicht auf sich anschließende Folgeinstan­ zen.367 Auch wenn das derogierte Gericht sich letztlich aufgrund der Derogation für international unzuständig erklärte, waren bis dahin Klagen vor dem verein­ 362  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  48 unter Verweis auf EuGH v. 27.6.1991 – Rs. C-351/89, Overseas Union Insurance, Slg. 1991, I-3342, Rz.  23. 363  Vgl. auch EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  41 f.; Forner-Delaygua, JPIL 2015, S.  379, 383 f. 364  Zu Torpedoklagen vgl. Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 519; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), S.  157, 185–187. 365 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  29 Rn.  35; zur Kritik s. a. Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 531; Briggs, YPIL 12 (2010), S.  311, 314 f. 366  S. dazu Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 197. 367 So etwa der ein deutsches Torpedogericht betreffende Primacom-Fall, LG Mainz

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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barten Gericht nach Art.  27 Abs.  1 Brüssel I-VO rechtshängigkeitsrechtlich ge­ sperrt. Bei Torpedoklagen wurde genau diese Dauer zum Aufbau von Vergleichs­ druck ausgenutzt.368 Denn die lange Dauer der Anspruchsdurchsetzung konnte zu Liquiditätsengpässen des Gläubigers führen, zumal die i.d.R. nur teilweise erstattungsfähigen und jedenfalls vorzustreckenden Rechtsanwaltskosten sowie die sonstigen Kosten zweier Verfahren anfielen. Aus prozessrechtlicher Sicht war bedenklich, dass die zuerst klagende Partei faktisch sich das Gericht aussuchen konnte, welches über die Wirksamkeit und die Wirkungen der Gerichtsstands­ vereinbarung entscheiden durfte. Das vereinbarte Gericht war dadurch zumin­ dest bezüglich der Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschaltet. Trotz dieser Erwägungen hielt der EuGH in seiner berühmt-berüchtigten und viel kritisierten Gasser-Entscheidung auch bei ausschließlichen Gerichtsstands­ vereinbarungen und notorisch langen Verfahrensdauern in bestimmten Mitglied­ staaten am litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzip fest.369 Aus dem Prinzip ge­ genseitigen Vertrauens folgt nach Auffassung des EuGH zwingend, dass das zu­ erst angerufene Gericht das Zuständigkeitsregime genauso gut wie andere Gerichte anwende.370 Ferner geböten Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, dass die Regeln der Brüssel Ia-VO starr angewandt und nicht im Einzelfall außer Kraft gesetzt würden.371 Dabei setzte der EuGH sich deutlich über die im Rah­ men des Verfahrens eingereichte Stellungnahme des Vereinigten Königreichs hinweg, wonach das Verhältnis zwischen Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtshängigkeitsrecht an den Erfordernissen des internationalen Handelsver­ kehrs zu messen sei und die Parteien ermutigt sowie unterstützt werden sollten, internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zu schließen.372 Damit konnten die Parteien nicht auf die effiziente und wirksame Durchsetzung selbst ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen vertrauen. Sie hatten stets WM  2005, S.  2319; vgl. dazu Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  372. 368 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  29 Rn.  35; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 195 f.; Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  9; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), S.  157, 174. 369  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  42; vgl. auch Kindler, ZVglRWiss 105 (2006), S.  243, 247 f.; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  4; zur Kritik vgl. auch Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  9; Farah/Yilmaz-Vastardis, in: Stone/Farah (Hg.), Reasearch Handbook on EU Pri­ vate International Law, 2015, S.  23, 40. 370  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  48; Hess, Europäi­ sches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  10; vgl. dazu bereits Teil  I §  4 I 1. 371  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  51; vgl. Hess, Euro­ päisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  10. 372  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  31; vgl. auch P. Huber, in: FS Müller-Graff, 2015, S.  383, 385.

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mit ihrer Umgehung durch Torpedoklagen sowie dem damit verbundenen Ver­ gleichsdruck und Erpressungspotenzial zu rechnen. Internationale Gerichts­ standsvereinbarungen waren nicht mehr verlässlich und als Rechtsinstitut fak­ tisch entwertet.373 Dies rief starke Kritik hervor, abzulesen etwa an der deutlichen Stellungnahme der britischen Regierung im Beratungsprozess zur Brüssel Ia-VO: „The decision of the ECJ in Gasser has produced significant problems in practice. It has under­ mined the ability of commercial parties effectively to select a jurisdiction to resolve their dis­ putes and has created opportunities for tactical litigation in jurisdictions that have not been agreed by the parties. This is made possible because of the delay in some Member States in resolving issues of jurisdiction. The result is an unwarranted uncertainty, additional expense and the settlement of disputes on inappropriate terms. A satisfactory solution to this problem is a priority for the United Kingdom.“374

In eine ähnliche Kerbe schlug die internationale Wirtschaftssozietät Allen & Overy in ihrer ebenfalls zur Reform der Brüssel Ia-VO abgegebenen Stellung­ nahme: „In short, these decisions have had the effect of significantly hindering the ability of commer­ cial parties to rely upon, and enforce, exclusive jurisdiction clauses in their contracts in a timely and cost efficient manner.“375

Das starre Prioritätsprinzip beeinträchtigte damit in dialektischer Manier die zu­ ständigkeitsrechtliche Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit, obwohl der EuGH diese in seiner Entscheidung gerade zur Begründung herangezogen hatte.376 In der Folge wurden Prozessplanung und Prozessrisikomanagement durch die Par­ teien erschwert und damit die Attraktivität ausschließlicher Gerichtsstandsver­ einbarungen insbesondere für den internationalen Wirtschaftsverkehr, dem die Brüssel Ia-VO ja gerade dienen soll, gemindert.377 Dass in Bezug auf Torpedoklagen gesetzgeberischer Handlungsbedarf be­ stand, verdeutlichte spätestens der Heidelberg Report.378 Die von der Europäi­ schen Kommission beauftragten Autoren hielten das Problem der Torpedoklagen 373  M. Weller, GPR 2012, S.  328, 331; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  238. 374  Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  17, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 375  Stellungnahme von Allen & Overy zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rn.  28, ab­ rufbar unter (zuletzt ab­ gerufen am 17.3.2017). 376  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  51; zu diesem Wi­ derspruch vgl. auch KOM (2010) 748 endg., S.  4. 377  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.73; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  195, 196. 378  Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008.

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für so gravierend, dass sie sogar einen völligen Verzicht auf die Rechtshängig­ keitssperre bei ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen unter Inkaufnah­ me sich widersprechender Entscheidungen vorschlugen.379 Auch die Stellung­ nahmen zum Grünbuch der Europäischen Kommission zur Reform der Brüs­ sel Ia-VO betonten in überwältigendem Umfang den Bedarf an verstärkter Rechtssicherheit und Effektivität von Gerichtsstandsvereinbarungen.380 Vor diesem Hintergrund sah der Vorschlag der Kommission eine Durchbre­ chung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips zugunsten des aufgrund ei­ ner internationalen Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich zuständigen Ge­ richts vor.381 Zudem sollte jedes Gericht innerhalb von sechs Monaten über seine internationale Zuständigkeit entscheiden.382 Rat und Parlament lehnten zwar die Sechsmonatsfrist mangels vorgesehener Sanktion einer Überschreitung ab.383 Im Ergebnis übernahmen sie jedoch die Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO.384

II.  Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO sieht eine Durchbrechung des litispendenzrechtli­ chen Prioritätsprinzips zugunsten eines aufgrund einer ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarung zuständigen Gerichts vor. Das erstangerufene Gericht prüft dabei, ob eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zum zweitange­ rufenen Gericht vorliegt. Das zweitangerufene Gericht prüft, ob es aufgrund ei­ ner ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zuständig ist.385 Dogmatisch sieht Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO neben der Aussetzungspflicht des erstangerufenen Gerichts zusätzlich auch eine Ausnahme von der Ausset­ 379  Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  437; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 797, Fn.  38. 380  Grünbuch KOM (2009) 175 endg.; vgl. etwa die Stellungnahme des Königreichs Spa­ nien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Antwort auf Frage 3, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 18.1.2017); Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  17, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 381  Zu Art.  32 Abs.  2 Brüssel Ia-VO-E vgl. KOM (2010) 748 endg., S.  10, 38; s. a. M. Weller, GPR 2012, S.  328, 332. 382  Zu Art.  29 Abs.  2 Brüssel Ia-VO-E vgl. KOM (2010) 748 endg., S.  10, 38; s. a. M. Weller, GPR 2012, S.  328, 332. 383  M. Weller, GPR 2012, S.  328, 332. 384  M. Weller, GPR 2012, S.  328, 331. 385  Zum Umfang dieser Prüfungsbefugnis vgl. unten Teil  I §  4 III.

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zungspflicht des zweitangerufenen Gerichts vor.386 Beide Rechtsfolgen des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO sind jedoch an unterschiedliche Voraussetzungen gebunden. Während das zweitangerufene Gericht stets seine Zuständigkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO prüfen darf, hat das erstangerufene Gericht das Verfahren nur dann auszusetzen, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung auch tatsächlich vorliegt.387 Die bedingungslose Ausnahme von der Aussetzungspflicht des zweitangerufenen Gerichts muss damit nicht immer mit der an das Vorliegen ei­ ner Gerichtsstandsvereinbarung geknüpften Aussetzungspflicht des erstangeru­ fenen Gerichts einhergehen.388 Grundsätzlich hat Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO zwei Anwendungsvorausset­ zungen. Es müssen zwei Verfahren mit demselben Streitgegenstand anhängig sein. Und es muss die ausschließliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Ge­ richts aufgrund einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO vorliegen. Der Analyse dieser beiden Voraussetzungen sowie der sich daraus ergebenden Friktionen und Rechtsschutzlücken soll eine Analyse der ratio legis des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO vorangestellt werden.

1.  Sinn und Zweck des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO Sinn und Zweck des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO lassen sich, wie schon in Be­ zug auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, anhand der Parteiinteres­ sen, der Interessen der Mitgliedstaaten sowie der gesamteuropäischen Interessen analysieren. a) Parteiinteressen Ziel des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ist es nach Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO, missbräuchliche Prozesstaktiken zur Umgehung ausschließlicher Gerichts­ standsvereinbarungen, insbesondere Torpedoklagen unter Ausnutzung des li­ tispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips, zu unterbinden.389 Im Zentrum steht damit, wie Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO verdeutlicht, das Verhältnis der Parteien. Dies dient zunächst dem Schutz der abredewidrig verklagten Partei. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO mindert die litispendenzrechtliche Rechtsicherheit der Par­ teien während des Verfahrens, die ja gerade den Grund für missbräuchliche Tor­ Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 520. Zu den damit verbundenen Problemen hinsichtlich des Prüfungsumfangs vgl. unten Teil  I §  4 III. 388  Zu der damit verbundenen Gefahr paralleler Verfahren vgl. unten Teil  I §  4 V 1. 389  Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO; vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  241. 386  387 

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pedoklagen bildete, und erhöht im Gegenzug die Rechtssicherheit der Parteien im Planungsstadium.390 Der gegen die Gerichtsstandsvereinbarung verstoßende Kläger im forum derogatum kann sich nicht sicher sein, ob seine Klage vom prorogationswidrig angerufenen Gericht aufgrund der Klageerhebung des Be­ klagten im forum prorogatum nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ausgesetzt wer­ den wird. Im Gegenzug wissen die Parteien aber im Moment der Einigung über die Gerichtsstandsvereinbarung, dass auch bei Klagen im forum derogatum im­ mer noch das prorogierte Gericht über die Wirksamkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung und dann gegebenenfalls in der Sache entscheiden kann. Die Rechtssicherheit wird damit auf das Planungsstadium vorverlegt und so erhöht.391 Dennoch weist Mankowski zu Recht darauf hin, dass rationale Kläger auch weiterhin die Vor- und Nachteile einer Klage im forum derogatum abwägen wer­ den. Sie werden die Wahrscheinlichkeit und die Folgen eines Unterliegens im forum derogatum nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO mit der Chance auf einen günstigen Vergleich oder gar ein günstiges Urteil abwägen.392 Die Niederlage im forum derogatum verliert insbesondere dann an Drohpotenzial, wenn die Kosten­ tragungsregel im forum derogatum für den Kläger günstig ist, oder keine hohen Kosten für ihn anfallen.393 b)  Mitgliedstaatliche Interessen Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO betrifft neben dem Verhältnis der Parteien auch das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Er schützt das ausschließlich ge­ wählte Gericht vor einem konkurrierenden Verfahren vor einem derogierten Ge­ richt. Dem vereinbarten Gericht wird dadurch die Möglichkeit gegeben, über die Wirksamkeit der Vereinbarung seiner eigenen Zuständigkeit zu entscheiden.394 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO will gerade vermeiden, dass ein derogiertes Gericht über die Wirksamkeit der Vereinbarung des prorogierten Gerichts entscheidet. Denn nach der Konzeption der Brüssel Ia-VO soll kein Gericht über die Zustän­ digkeit eines anderen Gerichts entscheiden.395 Genau dies wäre aber implizit der Fall, wenn ein derogiertes Gericht etwa die Gerichtsstandsvereinbarung für wirk­ sam hält und das prorogierte Gericht an diese Entscheidung gebunden wäre.396 390 

Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.64. Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.64. 392 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  246. 393 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  246. 394  Vgl. etwa KOM (2010) 748 endg., S.  9. 395  Vgl. oben Teil  I §  4 I 1. 396  Vgl. dazu EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; ausführlich unten Teil  I §  6 IV. 391 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Mit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO relativiert der europäische Gesetzgeber, wie gezeigt, das litispendenzrechtliche Prioritätsprinzip. Gerade dieses Prioritäts­ prinzip wurde aber vom EuGH in Gasser mit dem Prinzip gegenseitigen Vertrau­ ens begründet.397 Danach kann jedes Gericht das Zuständigkeitsregime der Brüs­ sel I-VO gleich effektiv anwenden.398 Zugunsten des ausschließlich gewählten Gerichts macht Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO davon aber eine Ausnahme. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO schränkt folglich das Vertrauensprinzip im Falle einer aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ein.399 Vielmehr wird die Prüfung in Durchbrechung des Vertrauensprinzips dem ausschließlich vereinbarten Gericht zugewiesen. c)  Gesamteuropäische Interessen Drittens dient Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auch dem Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO als solchem. Art.  25 Brüssel Ia-VO gesteht den Parteien die Wahl eines Gerichtsstands zu. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO soll die Beachtlichkeit die­ ser parteiautonomen Zuständigkeitsgestaltung absichern. Denn durch die Durch­ brechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips wird sichergestellt, dass ein vereinbarter ausschließlicher internationaler Gerichtsstand nicht umgangen wird. In Verbindung mit Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO, wonach die lex fori prorogati die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung be­ stimmt, ist der Brüssel Ia-VO hier die klare Wertung zu entnehmen, dass das ausschließlich gewählte Gericht grundsätzlich nach seinem Recht über die Wirk­ samkeit der Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden soll. Beide Regelungen sol­ len dem allgemeinen Interesse der EU an der Effizienzsteigerung und Stärkung von Gerichtsstandsvereinbarungen dienen.400

2.  Parallele Verfahren mit identischem Streitgegenstand Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO setzt nach seinem klaren Wortlaut, seiner systema­ tischen Stellung im neunten Abschnitt des zweiten Kapitels der Brüssel Ia-VO, dem Rechtshängigkeits- bzw. Anhängigkeitsrecht,401 sowie nach Erwgr. Nr.  22 397 

Vgl. oben Teil  I §  4 I 2. Diesen Punkt betonend Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 196; vgl. auch be­ reits oben Teil  I §  4 I 1. 399  So auch Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 479. 400  Vgl. dazu oben Teil  I §  4. 401  Beachte die Änderung der Terminologie von Rechtshängigkeit zu Anhängigkeit von Brüssel I-VO zu Brüssel Ia-VO. Im Folgenden soll am allgemein gebräuchlichen Begriff der Rechtshängigkeit festgehalten werden. 398 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Brüssel Ia-VO zwei parallele Verfahren voraus.402 Nur wenn zwei Verfahren über denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien vor Gerichten unter­ schiedlicher Mitgliedstaaten rechtshängig sind, von denen das zweitangerufene Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO ausschließlich zuständig ist, hat das erstbefasste Gericht das Verfahren auszuset­ zen. 403 a)  Ausnahmsweise Kompetenz-Kompetenz bei parallelen Verfahren Grundsätzlich sieht die Brüssel Ia-VO, ebenso wie schon das EuGVÜ und die Brüssel I-VO, keine Kompetenz-Kompetenz des ausschließlich gewählten Ge­ richts vor. Unter Kompetenz-Kompetenz ist die ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit zu verstehen. Das ausschließlich gewählte Gericht besitzt also keine ausschließliche Zuständigkeit zur Entscheidung über Zulässigkeit, Auslegung und Wirksamkeit der ausschließ­ lichen Gerichtsstandsvereinbarung. Vielmehr kann auch ein derogiertes Gericht die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung feststel­ len.404 Dies bestätigte der EuGH schon in Gasser unter Verweis auf die Gleich­ wertigkeit der Zuständigkeitsprüfung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte.405 Das Prinzip der Kompetenz-Kompetenz ist dem Brüssel-Regime grundsätz­ lich fremd. Eine Gerichtsstandsvereinbarung bindet nach Art.  25 Abs.  1 Brüs­ sel Ia-VO alle mitgliedstaatlichen Gerichte. Diese haben Zulässigkeit und Wirk­ samkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu prüfen und sich sodann für zuständig bzw. unzuständig zu erklären, je nachdem ob sie durch die in Frage stehende Gerichtsstandsvereinbarung gewählt oder derogiert wurden.406 Eine ausnahmsweise Kompetenz-Kompetenz normiert jedoch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO.407 Nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO hat das erstangerufene und möglicherweise wirksam derogierte Gericht das Verfahren so lange auszusetzen, bis das ausschließlich gewählte Gericht über seine Zuständigkeit entschieden 402  So auch Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  12. 403 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  11; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 797; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 521. 404 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  11; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  84, 86. 405  Vgl. oben Teil  I §  4 I 2. 406  MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  25 Rn.  84; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art.  23 Rn.  84, 86. 407  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  6 Rn.  212 f.; Magnus/Man­ kowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  6; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 522; Pfeiffer, ZZP 127 (2014), S.  409, 422 f.; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  25 Rn.  2; Art.  31 Rn.  3.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

hat. Von Hein spricht deshalb von der negativen Kompetenz-Kompetenz des pro­ rogierten Gerichts.408 Nur dieses darf im Falle paralleler Verfahren über die Wirksamkeit der in Frage stehenden ausschließlichen Gerichtsstandsvereinba­ rung entscheiden.409 Jedoch gilt dieser Grundsatz nur dann, wenn tatsächlich vor dem prorogierten Gericht auch Klage erhoben wird.410 Der Beklagte des Verfahrens im forum derogatum muss also Klage im forum prorogatum erheben, will er die Durchbre­ chung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips auslösen.411 Wird keine Kla­ ge vor dem prorogierten Gericht erhoben, kann auch das derogierte Gericht über die Wirksamkeit der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung und ihre Wir­ kungen entscheiden. 412 Die Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung ist in diesem Fall eine anerkennungsfähige Entscheidung und für andere mitgliedstaatliche Gerichte daher bindend.413 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO setzt parallele Verfahren vor den Gerichten ver­ schiedener Mitgliedstaaten voraus. Nicht erfasst sind folglich parallele Verfahren vor Gerichten desselben Mitgliedstaats. Dies erscheint mit Blick auf den Grund­ gedanken der Brüssel Ia-VO sinnvoll, wonach deren angestrebtes Ziel die ein­ heitliche Regelung der internationalen Zuständigkeit innerhalb der EU ist.414 Weiterhin möglich bleibt demzufolge aber je nach nationalem Verfahrensrecht eine Torpedoklage innerhalb des ausschließlich gewählten Mitgliedstaats. Sieht das nationale Verfahrensrecht eine Rechtshängigkeitssperre nach dem Prioritäts­ prinzip vor, kann dies auch weiterhin zur Prozessverschleppung ausgenutzt wer­ den. Diese Gefahr ist wohl kaum vermeidbar und dürfte zudem beherrschbar sein, da der Torpedo zumindest innerhalb des vereinbarten und damit vorherseh­ baren Mitgliedstaats erfolgt. Sie hat allerdings zur Folge, dass besonders effizi­ ente Gerichte in Mitgliedstaaten mit ansonsten notorisch langsam arbeitenden Gerichten wohl kaum von den Parteien vereinbart werden dürften.

Von Hein, RiW 2013, S.  97, 104. Vgl. auch Pohl, IPRax 2013, S.  109, 112; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozess­ recht, 2013, §  3 Rn.  186; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  86. 410  Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 797. 411 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  11; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 797; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 521. 412 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  11; Herranz Ballestros, JPIL 2014, S.  291, 307; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.48. 413 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  11; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 802; vgl. ausführlich zur Anerkennungsfähigkeit von Prozessurteilen, in denen die Un­ wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt wird, die Ausführungen zu Gothaer Allgemeine, unten Teil  I §  6 IV. 414  Erwgr. Nr.  4, 6 Brüssel Ia-VO. 408  409 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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b)  Identischer Streitgegenstand Seinem Wortlaut nach fordert Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO lediglich rechtshän­ gige Verfahren vor zwei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten, von denen das Zweitangerufene nach Art.  25 Brüssel Ia-VO ausschließlich zuständig ist. Aus dem Verweis auf Art.  31 Abs.  2 in Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO sowie der syste­ matischen Stellung in Abschnitt neun des zweiten Kapitels, der die Rechtshän­ gigkeit regelt, ergibt sich jedoch zusätzlich das Erfordernis eines identischen Streitgegenstands beider Verfahren.415 Explizit wird dieses Erfordernis durch Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO unterstrichen.416 Den Begriff des Streitgegenstands definieren Art.  29 ff. Brüssel Ia-VO nicht. Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO spricht stattdessen von demselben Anspruch zwi­ schen denselben Parteien. Dieser ist nicht übereinstimmend mit dem deutschen Streitgegenstandsbegriff, wie auch die französische Sprachfassung mit „le même objet et la même cause“ sowie die englische Sprachfassung „the same cause of action and between the same parties“ verdeutlichen. Unter denselben Parteien im Sinne des Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ist die Identität der Parteien zu verste­ hen.417 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH liegt derselbe Anspruch vor, wenn in beiden Verfahren um den gleichen Kernpunkt gestritten wird.418 Dies ist etwa bei Leistungs- und Feststellungsklagen der Fall, wenn im Kern um dasselbe Rechtsverhältnis gestritten wird.419 Ziel der Lehre vom Kernpunkt ist es, unvereinbare Entscheidungen im Sinn des Art.  45 Abs.  1 lit.  c und lit.  d Brüs­ sel Ia-VO zu verhindern, weswegen auch eine bloße Teilidentität des Streitge­ genstands nach deutschem Verständnis der Identität des Kernpunkts nicht entge­ gensteht.420 Für die Aussetzungspflicht nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO bedarf es zweier paralleler Verfahren zwischen denselben Parteien über denselben Anspruch. Welche Art von Klage vor dem ausschließlich gewählten Gericht erhoben wer­ den muss, um die Durchbrechung der Rechtshängigkeitssperre auszulösen, wur­ de jedoch nicht ausdrücklich geregelt. Zum einen wäre denkbar, dass der Beklag­ te des Verfahrens im forum derogatum Leistungs- oder Feststellungsklage in 415  So auch Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  6; Magnus, in: FS Martiny, 2014, S.  785, 799; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 2015, Art.  31 Rn.  3; a. A. Forner-Delaygua, JPIL 2015, S.  379, 386 f. 416  Zu Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO vgl. Teil  I §  4 II 1. 417 Vgl. die ausführliche Kasuistik bei Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 2015, Art.  29 Rn.  3. 418  EuGH v. 8.12.1987 – Rs. 144/86, Gubisch Maschinenfabrik, Slg. 1988, 4871, Rz.  16. 419  EuGH v. 8.12.1987 – Rs. 144/86, Gubisch Maschinenfabrik, Slg. 1988, 4871, Rz.  16 f.; vgl. auch Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 2015, Art.  29 Rn.  4b. 420 Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 2015, Art.  29 Rn.  4.

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Bezug auf den materiell-rechtlichen Anspruch im forum prorogatum erheben muss.421 Zum anderen kommt eine Klage auf Feststellung der Zulässigkeit, Wirksamkeit und des Umfangs der Gerichtsstandsvereinbarung in Betracht. Rechtspolitisch ist es hier überzeugend, auch die Feststellung der Zulässigkeit, Wirksamkeit und des Inhalts der Gerichtsstandsvereinbarung zuzulassen.422 Denn ansonsten würde durch eine Klage im forum derogatum mittelbar die Pflicht zur Geltendmachung oder Feststellung materiell-rechtlicher Ansprüche begründet. Dies muss aber nicht im Interesse des Anspruchsinhabers sein. Viel­ mehr sollte der Beklagte im forum derogatum autonom entscheiden dürfen, ob und wann er seine materiell-rechtlichen Ansprüche geltend macht. Daher sollte eine Klage auf Feststellung von Zulässigkeit, Wirksamkeit und Inhalt im forum prorogatum zur Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO genügen. c)  Rechtspolitische Kritik Trotz des unbestrittenen Fortschritts gegenüber der unhaltbaren Situation unter der Brüssel I-VO erscheint bereits der rechtspolitische Ansatz zweifelhaft,423 nach dem der Beklagte des Erstverfahrens nicht passiv bleiben darf, sondern vor dem prorogierten Gericht aktiv werden muss. Es entsteht hier ein Zwang „zu ei­ ner unnötig frühen Klage“.424 Dies mag zwar die Klagfreudigkeit erhöhen,425 kann jedoch für die betroffene Partei mit einem erheblichen Kostenaufwand ein­ hergehen.426 Zudem kann der abredewidrig verklagten Partei unter Umständen das Interes­ se an einer Klageerhebung vor dem prorogierten Gericht fehlen. Dies kann etwa mit dem Image zu tun haben, wenn eine Partei den öffentlichen Eindruck vermei­ den möchte, Geschäftspartner zu verklagen.427 Oder sie möchte vielleicht das 421 

Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.55. So Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.55; a. A. Stellungnahme der Republik Estland zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Antwort auf Frage 3, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 423 Kritisch Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534. 424  Vgl. Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  29 Rn.  35. 425 So Mankowski, RiW 2015, S.  17, 19. 426  Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534; Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  15; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  11; zur Gefahr von zu leistenden Prozesskostenvorschüssen vgl. Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491 f. 427  Hierauf explizit hinweisend Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007, S.  19 f. 422 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Geschäftsverhältnis mit der anderen Partei nicht endgültig zerbrechen lassen.428 Schließlich könnte die prorogationswidrig klagende Partei durch die Klage im forum prorogatum in die Insolvenz getrieben werden, was nicht im Interesse der Klägerin sein muss.429 Mit Fentiman lässt sich daher konstatieren, dass mehr Verfahren nicht unbedingt das richtige Mittel gegen missbräuchliche Verfahren sind.430 Im Ergebnis wird deutlich, dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO seinem Sinn und seiner systematischen Stellung im Rechtshängigkeitsrecht nach weniger der Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen als vielmehr der Regelung pa­ ralleler Verfahren dient, wenn eines dieser Verfahren auf einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung beruht.431

3.  Ausschließliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts Neben zwei Verfahren mit demselben Streitgegenstand verlangt Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, dass das zweitangerufene Gericht „gemäß einer Vereinbarung nach Artikel 25 ausschließlich zuständig ist“. Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO spe­ zifiziert, dass gerade ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Brüssel Ia-VO, also solche nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO, vor abredewidri­ gen Klagen geschützt werden sollen.432 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO privilegiert damit litispendenzrechtlich nur Klagen vor dem ausschließlich gewählten Ge­ richt.433 Daraus folgt aber die Frage, worauf sich die ausschließliche internationale Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts im Sinne des Art.  31 Abs.  2 Brüs­ sel Ia-VO bezieht. Der Wortlaut der deutschen Sprachfassung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO lässt dies offen.434 In Betracht kommen zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Erstens könnte sich die ausschließliche Zuständigkeit auf das konkret rechtshängige Verfahren beziehen. Zweitens könnte unabhängig von den jeweiligen Parteirollen die ausschließliche Zuständigkeit in Bezug auf den gesamten identischen Streitgegenstand maßgeblich sein. Diese Frage ist keineswegs von rein theoretischem Interesse, sondern für die Anwendung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und damit für den Schutz interna­ Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Preface, S. x f. Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Preface, S. x f. 430  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Preface, S. xi. 431 Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  15. 432  Zur Übereinstimmung der Ausschließlichkeitsbegriffe in Art.  31 Abs.  2 und 25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO vgl. Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 431. 433  Vgl. dazu auch Hohmeier, IHR 2014, S.  217. 434  Vgl. zum Wortlaut oben Teil  I §  4. 428  429 

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tionaler Gerichtsstandsvereinbarungen von eminenter Bedeutung. Dies zeigt be­ reits ein Blick auf die im internationalen Handelsverkehr häufig vorkommenden asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen.435 Denn hier hängt die Aus­ schließlichkeit der Zuständigkeit von der Beklagtenrolle ab. Für den Streitgegen­ stand als solchen besteht damit, insbesondere unter Berücksichtigung der weiten Kernpunkt-Rechtsprechung des EuGH,436 nur je nach Klägerrolle eine aus­ schließliche Zuständigkeit und damit in Bezug auf den Streitgegenstand insge­ samt keine einheitliche, ausschließliche internationale Zuständigkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO. Zu unterschiedlichen Ergebnissen führen die beiden möglichen Anknüpfungspunkte auch etwa bei reziproken Gerichtsstandsvereinbarungen. Denn hier kann das zweitbefasste Gericht ausschließlich für die konkret anhän­ gige Klage einer der Parteien zuständig sein. Es muss aber nicht notwendiger­ weise auch für Klagen der anderen Partei ausschließlich zuständig sein.437 In Bezug auf den Anspruch zwischen den Parteien, also in Bezug auf den identi­ schen Streitgegenstand, besteht damit nicht nur ein ausschließlicher Gerichts­ stand, sondern zwei Gerichtsstände. In Bezug auf die jeweiligen konkreten Ver­ fahren der Parteien liegen demgegenüber jedoch unterschiedliche ausschließli­ che Gerichtsstände vor. Im Grunde manifestieren sich in diesen beiden Auslegungsmöglichkeiten zwei nicht unproblematische gesetzgeberische Wertungen. Zum einen umfasst der europäische Streitgegenstandsbegriff nach der weiten Auslegung durch den EuGH auch Klagen, die nach deutschem Rechtsverständnis keinen identischen Streitgegenstand besitzen.438 Zum anderen vernachlässigt der Gesetzgeber mit seiner Fixierung auf die ausschließliche Wahl eines einzigen Gerichts, die der gesetzgeberischen Konzeption der Art.  25 Abs.  1 S.  1 und 2 Brüssel Ia-VO zu­ grunde liegt, Derogationen außerhalb klassischer ausschließlicher Gerichts­ standsvereinbarungen. Dies führt dazu, dass nicht ohne Weiteres zu bestimmen ist, worauf sich die ausschließliche Zuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstands­ vereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO i. S. d. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO beziehen muss. a)  Streitgegenstand oder konkretes Verfahren? Ausgangspunkt für die Frage, ob sich die ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auf den Streitgegenstand oder das konkrete Verfah­ 435  Vgl. zu asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung und deren Bedeutung insbesondere in der Finanzwirtschaft oben Teil  I §  3 II 4 b. 436  Vgl. dazu Teil  I §  4 I 1. 437  Vgl. zu reziproken Gerichtsstandsvereinbarungen Teil  I §  3 II 4 c. 438 Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 2015, Art.  29 Rn.  2.

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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ren vor dem zweitangerufenen Gericht bezieht, ist der Wortlaut des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO. Dieser fordert die ausschließliche Zuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung. Damit verweist Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO in das Zuständigkeitsrecht der Brüssel Ia-VO. Dieses kennt aber gerade in den Art.  4 ff. Brüssel Ia-VO eine Differenzierung der Zuständigkeit je nach Beklagtenrolle. Maßgeblich für die Zuständigkeit ist stets die konkrete Klage mit den daraus folgenden Parteirollen. Daher können bei verschiedenen Rechtsstreitigkeiten über dasselbe Rechtsverhältnis unterschiedliche internationale Gerichtsstände vorliegen. Unterstrichen wird dies durch Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO. Dieser bezieht die Vereinbarung der Zuständigkeit gerade nicht auf ein bestimmtes Rechtsver­ hältnis. Auch wenn die Gerichtsstandsvereinbarung an das Rechtsverhältnis an­ knüpft, bestimmt sie die Zuständigkeit mit Blick auf den jeweils konkreten Rechtsstreit. Dies ist Ausfluss der Doppelnatur internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen. Deshalb kann auch durch dieselbe Gerichtsstandsvereinbarung je nach Parteirolle die Zuständigkeit unterschiedlicher Gerichte pro- bzw. derogiert werden.439 Dies ist bei besonderen Formen internationaler Gerichtsstandsverein­ barungen regelmäßig der Fall.440 Übertragen auf Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO bedeutet dies, dass nicht sämtliche Verfahren in Bezug auf ein bestimmtes Rechts­ verhältnis, also der Streitgegenstand als solcher, sondern das jeweilige konkrete Verfahren unter Berücksichtigung der Parteirollen für die ausschließliche Zustän­ digkeit maßgeblich sein muss. Im Ergebnis überzeugt es daher, nicht die ausschließliche Zuständigkeit für den identischen Streitgegentand beider Verfahren zu verlangen. Vielmehr bezieht sich die ausschließliche Zuständigkeit des zweitbefassten Gerichts nach dem ­klaren Wortlaut des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und der Systematik der Brüs­ sel Ia-VO auf das konkret anhängige Verfahren. b)  Verfahren im forum prorogatum oder im forum derogatum? Wird eine Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarung erhoben, entscheidet das erstangerufene Gericht, das forum derogatum, in der Sache über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinba­ rung.441 Hier stellt sich jedoch die Frage, ob nun bei Klageerhebung im zweitan­ gerufenen forum prorogatum Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO überhaupt einschlä­ gig ist. Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO setzt seinem Wortlaut nach voraus, dass das zweitangerufene Gericht bei Streitgegenstandsidentität aufgrund einer 439 

Vgl. dazu oben Teil  I §  3 I. Vgl. Teil  I §  3 II 4. 441  Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 301. 440 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich zuständig ist. Eine ausschließliche Zuständigkeit für die Prüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinba­ rung, die sogenannte Kompetenz-Kompetenz,442 gibt es aber unter der Brüs­ sel  Ia-VO auch bei ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen gerade nicht.443 Hat das erstangerufene Gericht in der Hauptsache über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und damit über seine Zuständigkeit zu entschei­ den, kann dafür das zweitangerufene Gericht nicht ausschließlich zuständig sein. Daraus folgt, dass bei einer Klage im forum derogatum auf Feststellung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ei­ gentlich seinem Wortlaut nach überhaupt nicht einschlägig ist, weil die Brüs­ sel  Ia-VO eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO zur Feststellung der Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht vorsieht. Allerdings kann es nicht überzeugen, wenn die Schutzfunktion des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO durch eine simple Klage auf Feststellung der Unwirksam­ keit der Gerichtsstandsvereinbarung im forum derogatum ausgehebelt werden könnte. Vielmehr ist es überzeugend, Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO dahingehend auszulegen, dass bei Streitgegenstandsidentität das zweitbefasste Gericht, also das vermeintlich ausschließlich vereinbarte Gericht, eine ausnahmsweise Kom­ petenz-Kompetenz besitzt.444 Dadurch wird der weite Streitgegenstandsbegriff des EuGH, aufgrund dessen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung trotz zweier als identisch zu qualifizierender Streitgegenstände nur eines der bei­ den Verfahren erfassen kann, nachvollzogen. Zudem werden so Rechtsschutzlü­ cken vor dem Hintergrund des in Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO dargelegten telos, nämlich der Steigerung der Effektivität internationaler Gerichtsstandsvereinba­ rungen, vermieden. c)  Ausschließliche internationale Zuständigkeit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO findet nur dann Anwendung, wenn das zweitange­ rufene Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich zu­ ständig ist. Offen bleibt dabei, ob die ausschließliche internationale oder auch die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts für die Einschlägigkeit von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO erforderlich ist. Diese Unklar­ heit entsteht deshalb, weil Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO in Anlehnung an Gasser den Schutz der ausschließlichen Zuständigkeit eines Gerichts aufgrund einer Ge­ richtsstandsvereinbarung beschreibt, was sich auf die ausschließliche internatio­ 442 

Vgl. zur Kompetenz-Kompetenz oben Teil  I §  4 II 2 a. Vgl. zur Kompetenz-Kompetenz oben Teil  I §  4 II 2 a. 444  Zum Begriff der Kompetenz-Kompetenz vgl. bereits oben Teil  I §  4 II 2 a. 443 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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nale und örtliche Zuständigkeit des Gerichts bezieht.445 Gleichzeitig normiert Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO aber den Schutz der ausschließlichen Zuständigkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO, worunter auch die ausschließliche internationale Zu­ ständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats bei konkurrierender örtlicher Zu­ ständigkeit innerhalb dieses Mitgliedstaats fällt. Wie gezeigt können die Parteien nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO entweder die ausschließliche internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitglied­ staats oder zusätzlich auch die örtliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts festlegen.446 Würde sich Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nur auf die ausschließliche internationale und örtliche Zuständigkeit des zweitbefassten Gerichts beziehen, wäre die ausschließliche Wahl der Gerichte eines Mitgliedstaats nicht erfasst. In diesem Fall lägen Art.  25 Abs.  1 und Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO unterschiedli­ che Ausschließlichkeitsbegriffe zugrunde.447 Der Wortlaut des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ergibt diesbezüglich kein ein­ deutiges Resultat. Die deutsche und die französische Sprachfassung („lorsqu’une juridiction d’un État membre à laquelle une convention visée à l’article 25 attri­ bue une compétence exclusive est saisie“) verlangen im Gegensatz zur engli­ schen („where a court of a Member State on which an agreement as referred to in Article 25 confers exclusive jurisdiction is seised“) die ausschließliche Zustän­ digkeit des zweitangerufenen Gerichts. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO spricht nur von der Anrufung eines ausschließ­ lich zuständigen Gerichts, ohne zwischen örtlicher oder internationaler Zustän­ digkeit zu differenzieren. Möglich wäre somit eine Auslegung, nach der das zweitangerufene Gericht ausschließlich international zuständig sein muss. Die ausschließliche internationale Zuständigkeit wäre dann bei allen Gerichten in dem betreffenden Mitgliedstaat gegeben. Denn die internationale Zuständigkeit bezieht sich auf sämtliche Gerichte in einem Mitgliedstaat und nicht nur auf ein bestimmtes Gericht. Ausweislich seiner Entstehungsgeschichte wurde Art.  31 Abs.  2 Brüssel IaVO vor allem mit Blick auf die Gasser-Entscheidung des EuGH konzipiert.448 In Gasser wurde die ausschließliche internationale und örtliche Zuständigkeit eines einzigen Gerichts vereinbart.449 Zwar erwähnt der Kommissionsentwurf Gasser

445 

Vgl. Teil  I §  4 I 2. Vgl. oben Teil  I §  3 III. 447  So auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  4. 448  Vgl. dazu oben Teil  I §  4 I 2. 449  Die Parteien hatten die ausschließliche Zuständigkeit das Landesgericht Feldkirch, Ös­ terreich, vereinbart, vgl. EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  13. 446 

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nicht ausdrücklich, jedoch ist die inhaltliche Bezugnahme deutlich.450 Ausdrück­ lich bezog sich die Kommission auf Gasser in einem das Grünbuch zur Neufas­ sung der Brüssel Ia-VO begleitenden Bericht.451 Und auch dem die ratio legis des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO erläuternden Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO liegt erkennbar die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines konkreten Gerichts, und damit der internationalen wie der örtlichen Zuständigkeit, zugrun­ de.452 Auch diese Auslegung ist daher möglich. Dennoch ist die Ausschließlichkeit im Sinne des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nur auf die internationale Zuständigkeit zu beziehen. Erstens regelt die Brüs­ sel  Ia-VO grundsätzlich die Aufteilung der internationalen Zuständigkeit zwi­ schen den Mitgliedstaaten. Nur in Ausnahmefällen wird auch die örtliche Zu­ ständigkeit normiert.453 Diese Konzeption liegt auch dem Rechtshängigkeits­ recht der Brüssel Ia-VO zugrunde, wie Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO zeigt. Konsequenterweise muss dies auch für Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO gelten. Ferner verweist Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auf die ausschließliche Zustän­ digkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO. Dieser sieht sowohl die Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit als auch zusätzlich noch der ört­ lichen Zuständigkeit vor. Die Parteien haben die Wahl, ob sie eine ausschließliche internationale oder eine ausschließliche internationale und örtliche Zuständigkeit vereinbaren wollen. Dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO aber ein anderer Aus­ schließlichkeitsbegriff als Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO zugrunde liegen soll, er­ gibt weder nach dem Wortlaut des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, der eindeutig und uneingeschränkt auf Art.  25 Brüssel Ia-VO verweist, noch systematisch Sinn. Daher ist unter einem ausschließlich zuständigen Gericht im Sinne des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ein Gericht zu verstehen, das ausschließlich international zuständig ist. Ob konkurrierende örtliche Zuständigkeiten innerhalb des interna­ tionalen Gerichtsstands bestehen, ist für Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO unerheb­ lich. d)  Zusammenfassung Der Bezugspunkt der von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO geforderten ausschließli­ chen Zuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung ist nicht unpro­ ble­matisch. Zum einen knüpft Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO an die ausschließli­ che Zuständigkeit der beiden anhängigen Verfahren an und geht damit implizit davon aus, dass die Gerichtsstandsvereinbarung beide Verfahren erfasst. Ange­ 450 

Vgl. nur KOM(2010) 748 endg., S.  9. KOM (2009) 174 endg., S.  6; Grünbuch KOM (2009) 175 endg. 452  Vgl. auch Huber, in: FS Müller-Graff, 2015, S.  383, 385. 453  Vgl. etwa Art.  7 Nr.  1 lit.  a Brüssel Ia-VO. 451 

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sichts des weiten Streitgegenstandsbegriffs und der Möglichkeit verschiedener Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen trifft dies allerdings nicht immer zu. Zudem geht Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ersichtlich von der Wahl eines ein­ zigen Gerichts aus, verweist aber auf die ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO und damit auch auf die ausschließliche internatio­ nale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats. Dies schließt eine konkur­ rierende örtliche Zuständigkeit ein. Hier ist es überzeugend, auf die ausschließli­ che internationale Zuständigkeit des zweitbefassten Gerichts abzustellen, unab­ hängig von der Ausschließlichkeit der örtlichen Zuständigkeit. An beiden Punkten wird deutlich, dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO allzu sehr von der Gasser-Entscheidung des EuGH inspiriert wurde.

4.  Schutz besonderer Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen Durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO sollen ausschließliche Gerichtsstandsverein­ barungen gegen Torpedoklagen geschützt werden. Wie gezeigt, können aber auch ausschließliche Zuständigkeiten durch Gerichtsstandsvereinbarungen be­ gründet werden, die keine ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne des Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO sind.454 Der Schutz dieser besonderen Formen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art.  31 Abs.  2 Brüs­ sel Ia-VO soll im Folgenden untersucht werden. a)  Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten Die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten stellt auch bei De­ rogation aller übrigen Gerichtsstände keine Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats dar.455 Es liegt eine abschließende Gerichtsstandsvereinbarung vor, die aber keine ausschließli­ che Zuständigkeit im Sinne des Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO begründet.456 Folglich findet auch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO keine Anwendung.457 Denn dieser erfordert eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO. 454 

Vgl. Teil  I §  3 II 4. So auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  4; a. A. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  13; vgl. oben Teil  I §  3 II 4 a; Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  4; Rau­ scher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9. 456  Vgl. oben Teil  I §  3 II 4 a. 457  A.A. Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  4; Rau­ scher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  9; vgl. ausführlich oben S. Teil  I §  3 II 4 a. 455 

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Es gilt damit weiterhin das litispendenzrechtliche Prioritätsprinzip. Bei der Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten sind daher auch weiterhin Torpedoklagen und damit ein Wettlauf zum Gericht zu erwarten.458 b)  Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen Eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung liegt vor, wenn nur für eine Partei ein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart wird. Die andere Partei darf weiterhin an sämtlichen objektiven oder etwa weiteren vereinbarten Gerichts­ ständen klagen.459 Damit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO asymmetrische Gerichts­ standsvereinbarungen vor Torpedoklagen schützen kann, müsste durch sie eine ausschließliche internationale Zuständigkeit begründet werden. Dies tun asym­ metrische Gerichtsstandsvereinbarungen zwar. Jedoch gilt dies nur für die Kla­ gen einer der beiden Parteien. Daraus ergeben sich Probleme. Als Beispielfall kann hier ein Darlehensvertrag zwischen einem Unternehmen und einer Bank dienen.460 Nach der Gerichtsstandsvereinbarung ist für Klagen des Unternehmens gegen die Bank als ausschließlicher Gerichtsstand der Sitz der Bank in London vorgesehen. Für Klagen der Bank gegen das Unternehmen tritt der Gerichtsstand London nur als Alternative neben die objektiven Gerichts­ stände.461 Es liegt eine klassische asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung vor, wie sie insbesondere in Finanztransaktionen häufig vereinbart wird.462 Unproblematisch begründet die asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO für Klagen des Unternehmens gegen die Bank die ausschließliche internationale und örtliche Zuständigkeit in London. Für Klagen der Bank gegen das Unternehmen besteht die nicht-ausschließliche internationa­ le und örtliche Zuständigkeit der Gerichte in London sowie andere alternative Gerichtsstände, etwa in Deutschland und Italien. Klagt nun das Unternehmen entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung bei ei­ nem anderen Gerichtsstand als London, etwa in Spanien, wirft die Anwendung von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO Probleme auf. Denn für Klagen der Bank ge­ gen das Unternehmen besteht keine ausschließliche Zuständigkeit, sondern eben die alternative internationale Zuständigkeit der Gerichte mehrerer Mitgliedstaa­ ten. Erhebt nun also die Bank in London Klage, stellt sich die Frage, ob hier das zweitangerufene Gericht in London ausschließlich zuständig ist. Denn Art.  31 458 

Vgl. dazu oben Teil  I §  4 I 2. Vgl. oben Teil  I §  3 II 4 b. 460  Für einen ähnlichen Beispielsfall vgl. Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Re­ gulation, 2016, Art.  31 Rn.  17. 461  So etwa im berüchtigten Primacom-Fall, LG Mainz, WM 2005, S.  2319, 2320; vgl. dazu Teil  I §  3 II 4 b. 462  Vgl. dazu oben Teil  I §  3 II 4 b. 459 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Abs.  2 Brüssel Ia-VO verlangt die ausschließliche Zuständigkeit des zweitbe­ fassten Gerichts.463 Mit Freitag ist es in diesem Fall aber „keineswegs eindeutig, dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO überhaupt auf halbseitig zwingende Gerichts­ standsvereinbarungen im hier erörterten Sinne anwendbar ist. Insbesondere ist fraglich, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung ‚ausschließlich‘ ist, wenn sie einer Partei oder auch beiden die Wahl zwischen mehreren Gerichten lässt.“ 464 Probleme bereitet hier der Wortlaut von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, denn dieser verlangt die Klageerhebung bei einem mitgliedstaatlichen Gericht, „das gemäß einer Vereinbarung nach Artikel 25 ausschließlich zuständig ist […]“. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO regelt den Fall von zwei parallelen Verfahren. Das zweitangerufene Gericht muss dabei ausschließlich zuständig sein. Offen bleibt indes, ob das zweitangerufene Gericht für das Verfahren des Unternehmens ge­ gen die Bank vor dem erstangerufenen Gericht oder für das bei ihm rechtshängi­ ge Verfahren der Bank gegen das Unternehmen ausschließlich zuständig sein muss. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ignoriert damit, wie auch aus dem auf klassi­ sche ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen ausgerichteten Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO hervorgeht,465 die Möglichkeit asymmetrischer Gerichtsstands­ vereinbarungen, bei denen gerade bei Streitgegenstandsidentität eine ausschließ­ liche und eine nicht-ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO vorliegen.466 Zwar könnte man argumentieren, dass die Bank in London und damit vor dem für die Klage des Unternehmens ausschließlich zuständigen Gericht klagen kann. Im Rahmen des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO wäre dann erforderlich, dass das zweitangerufene Gericht für die Klage vor dem erstangerufenen Gericht aus­ schließlich zuständig sein müsste.467 Dieses Ergebnis ist auch mit Blick auf den Schutz asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen durch die Durchbrechung des rechtshängigkeitsrechtlichen Prioritätsprinzips in Art.  31 Abs.  2 Brüssel IaVO durchaus wünschenswert.468 Jedoch verlangt Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO seiner dogmatischen Konzep­ tion nach, dass das zweitangerufene Gericht ausschließlich für die bei ihm erho­ bene Klage zuständig ist.469 Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ist eine rechts­ 463 

Vgl. dazu oben Teil  I §  4 II 2 b. Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 431 465  Vgl. dazu Teil  I §  3 II 1; Teil  I §  4 II 2. 466  Vgl. zu asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen auch bereits oben Teil  I §  3 II 4 b. 467 Vgl. Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  13, 17 f.; so wohl auch Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  14; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  2. 468  Auf diesen Gedanken verweisend Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 431. 469  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  4 II 3 b. 464 

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hängigkeitsrechtliche Norm. Diese bestimmt den Vorrang desjenigen Verfahrens, das bei einem ausschließlich vereinbarten Gericht rechtshängig ist. Dafür ist es unerheblich, ob das zweitangerufene Gericht für das beim erstangerufenen Ge­ richt rechtshängige Verfahren ausschließlich zuständig ist. Denn maßgeblich ist nicht der Streitgegenstand, sondern das Verfahren an sich. Dies war für den Ge­ setzgeber aufgrund der systematischen Verortung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel IaVO im Rechtshängigkeitsrecht selbstverständlich. In Bezug auf den gebildeten Beispielfall, also bei asymmetrischen Gerichts­ standsvereinbarungen, ist Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO folglich nicht einschlä­ gig. Denn das Gericht in London ist für die bei ihm erhobene Klage der Bank gegen das Unternehmen gerade nicht ausschließlich, sondern nur alternativ zu­ ständig. Der Fall zeigt, dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nicht die Derogation des erstangerufenen Gerichts schützt, sondern die ausschließliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts. Ist diese aber nicht gegeben, kann Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO keine Anwendung finden. Der denkbare Einwand, dass asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen eben keine typischen ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne des Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO darstellten, und deshalb diese Schutzlücke nicht gravierend sei, kann nicht überzeugen. Denn zum einen würde bei Qualifikation asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen als nicht-ausschließlich aufgrund der Möglichkeit von Torpedoklagen immer noch eine erhebliche Rechtsschutzlü­ cke vorliegen, die durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO aber eigentlich gerade geschlossen werden sollte.470 Zum anderen begründen asymmetrische Gerichts­ standsvereinbarungen eine ausschließliche Zuständigkeit für Klagen einer Partei, die Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ja gerade schützen soll. Es ist nicht ersichtlich, warum die durch eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung privilegierte Partei sich auf deren Einhaltung und damit auf die Ausschließlichkeit des ihr zustehenden internationalen Gerichtsstands nicht verlassen können soll. Im Ergebnis kommt asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen der Schutz des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nicht zu. Dieses Ergebnis ist zwar dog­ matisch folgerichtig. Es wird aber dem Rechtsschutzinteresse der Parteien bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen und der darin ausgeübten Partei­ autonomie nicht gerecht.471

470 

Vgl. oben Teil  I §  4 II 1. Zu Recht daher die Kritik bei Freitag, in: FS Magnus, 2014, S.  419, 431; Magnus/Man­ kowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  16 f. 471 

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c)  Reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen Bei reziproken Gerichtsstandsvereinbarungen ist je nach Parteirolle eine andere ausschließliche internationale Zuständigkeit gegeben, etwa jeweils am Kläger­ wohnsitz oder jeweils am Beklagtenwohnsitz.472 Haben Partei A mit Wohnsitz in Mailand und Partei B mit Wohnsitz in München vereinbart, dass sie jeweils nur an ihrem Wohnsitz verklagt werden dürfen, dann besteht jeweils für Klagen des A gegen B und des B gegen A eine ausschließliche internationale Zuständigkeit, nämlich für Klagen des B am Wohnsitz des A in Mailand und für Klagen des A am Wohnsitz des B in München. Klagt nun A nicht am Wohnsitz des B in München, sondern in Brüssel, bereitet die Anwendung von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO Probleme.473 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO geht, wie gezeigt, von dem Fall aus, dass für beide Klagen diesel­ be ausschließliche internationale Zuständigkeit vereinbart wurde.474 Für Klagen des B gegen A ist jedoch nicht München, sondern Mailand ausschließlich zustän­ dig. Eine Klage beim für die Klage des A ausschließlich zuständigen Gericht am Wohnsitz des B in München ist dem B daher gar nicht möglich. Es stellt sich daher die Frage, wo B Klage erheben muss, um die Durchbrechung des litispen­ denzrechtlichen Prioritätsprinzips nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auszulösen. Wie bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen sollte bei der Bestim­ mung des Gerichts, das im Sinne des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ausschließlich zuständig sein muss, wiederum nicht auf die Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts für den Streitgegenstand des Verfahrens vor dem erstangerufenen Ge­ richt, also des Verfahrens in Brüssel, abgestellt werden, sondern auf die aus­ schließliche Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts für die bei ihm erho­ bene Klage. Demnach ist eine Klage des B gegen A in Mailand erforderlich, um die Rechtshängigkeitswirkung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auszulösen. Klagt A in Brüssel und daraufhin B in Mailand, liegen zwei Verfahren mit iden­ tischem Streitgegenstand vor, und das zweitangerufene Gericht in Mailand ist für das bei ihm erhobene Verfahren ausschließlich zuständig. Da nach dem Wortlaut des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO das zweite Verfahren maßgeblich ist, und das zweitangerufene Gericht für dieses ausschließlich zuständig ist, bleiben so die Voraussetzungen des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO gewahrt. Die alternative Lö­ sung, nach der die Klage des B in München ausreichen muss, weil A in München hätte klagen müssen, kann nicht überzeugen, da Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO als rechtshängigkeitsrechtliche Vorschrift gerade verlangt, dass das Verfahren vor dem zweitangerufenen, ausschließlich zuständigen Gericht sich durchsetzt. Für 472 

Vgl. oben Teil  I §  3 II 4 c. Dieses Problem offen lassend Keyes/Marshall, JPIL 2015, S.  345, 359 f. 474  Vgl. Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO; s. a. oben Teil  I §  4 II 2. 473 

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die Klage des B sind die Gerichte in München jedoch nicht ausschließlich zu­ ständig. Der Sinn einer reziproken Gerichtsstandsvereinbarung wird so im Ergebnis aber gerade pervertiert. Denn es entsteht faktisch der Zwang, trotz der reziproken Gerichtsstandsvereinbarung in einem anderen Mitgliedstaat aktiv werden und die Derogation des erstangerufenen Gerichts einwenden zu müssen, um sich ge­ gen eine prorogationswidrige Klage zu verteidigen. Dies liegt daran, dass Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO die Klage des im forum derogatum Beklagten verlangt, und reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen die ausschließliche Zuständigkeit je nach Parteirolle unterschiedlich festlegen. Die Verteidigung sollte durch die reziproke Gerichtsstandsvereinbarung je­ weils einem bestimmten Gericht zugewiesen werden. Denn die Parteien wollten mit der Gerichtsstandsvereinbarung ja gerade die Zuständigkeit jeweils eines Gerichts für bestimmte Rechtsstreitigkeiten festlegen. Andere Gerichte sollten nicht mehr von einer Partei entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung angerufen werden können. Festzuhalten bleibt aber, dass immerhin reziproke Gerichts­ standsvereinbarungen überhaupt von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO erfasst und damit geschützt werden. d)  Gerichtsstandsvereinbarungen mit typischerweise schwächeren Parteien Keine Anwendung findet Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, wenn der Kläger Ver­ braucher, Versicherungs- oder Arbeitnehmer ist. Nach Art.  31 Abs.  4 Brüssel IaVO ist in diesen Fällen eine Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Priori­ tätsprinzips nicht möglich.475 Es bleibt folglich beim rechtshängigkeitsrechtli­ chen Prioritätsprinzip. Die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen mit besonders geschützten Parteien richtet sich nach den besonderen Voraussetzun­ gen der Art.  15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO.476 Die typischerweise schwächeren Parteien sollen nach der ratio legis des Art.  31 Abs.  4 Brüssel Ia-VO über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht vor einem im Ergebnis viel­ leicht unzuständigen Gericht verhandeln müssen.477 Hier wird dem Beklagten zu Recht die Möglichkeit genommen, die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinba­ rung durch das zweitangerufene aber vermeintlich ausschließlich gewählte Ge­ richt prüfen zu lassen.

Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 521. Vgl. oben Teil  I §  2 II 3 d. 477 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  16. 475  476 

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5.  Kritische Würdigung Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ist auf die ausschließliche Wahl eines einzigen Ge­ richts für sämtliche Rechtsstreite zwischen den Parteien zugeschnitten. Weder die Wahl mehrerer Gerichte, noch asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen wurden bedacht. Dass ausschließliche Zuständigkeiten aufgrund von Gerichts­ standsvereinbarungen sowie Derogationen im Allgemeinen auch außerhalb klas­ sischer Gerichtsstandsvereinbarungen vorkommen können, berücksichtigt der Gesetzgeber ausweislich Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO nicht. Diese Fokussierung auf die Wahl eines Gerichts oder der Gerichte eines einzi­ gen Mitgliedstaats wird in der Literatur übernommen. So schreibt etwa Leible: „Art.  31 Abs.  2 erfasst explizit nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarun­ gen. Dabei handelt es sich angesichts der Gesamtkonzeption beinahe um eine Selbstverständlichkeit. Denn wenn das vereinbarte Gericht nach den Parteivor­ stellungen lediglich auch zuständig sein soll, gibt es keinen Grund, von dem Prioritätsgrundsatz des Art.  29 zugunsten des genannten Gerichts abzuwei­ chen.“478 In ähnlicher Weise übergehen auch Magnus und Mankowski das evi­ dente Interesse der Parteien, bei der Wahl von zwei Gerichten unter Ausschluss aller übrigen oder bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen vor Torpe­ doklagen geschützt zu werden: „The proposed Art.  32 (2) applies only to exclu­ sive choice of court agreements. This is more or less self-understanding. There is no need to give priority to the chosen court where the choice of court is only optional.“479 Bezeichnenderweise befasst sich schon der Heidelberg Report an der entschei­ denden Stelle zwar der Überschrift nach mit ausschließlichen Gerichtsstandsver­ einbarungen. Jedoch behandelt der Text sodann allgemein das Problem, dass der Parteiautonomie als Zuständigkeitsgrund in der Brüssel I-VO keine „Würde“ verliehen werde.480 Damit ist der mangelnde Schutz internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen und der darin zum Ausdruck kommenden Parteiautonomie gemeint. Auch unter der Brüssel Ia-VO stellt sich jedoch die Frage, ob Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie genügend Rechnung trägt und diese ausreichend schützt. Torpedoklagen betreffen nicht nur internationale Gerichtsstandsvereinbarun­ gen. Sie sind auch unabhängig von diesen möglich. Das Rechtshängigkeitsrecht der Art.  29 ff. Brüssel Ia-VO bezweckt den Schutz vor parallelen Verfahren mit 478 Rauscher/Leible,

EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  8. Noch zum Kommissionsvorschlag der Brüssel Ia-VO Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), S.  252, 280. 480  Vgl. Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  388. 479 

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der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen im Allgemeinen. Diejenige Partei, die zuerst Klage erhebt, kann folglich bei konkurrierenden internationalen Zu­ ständigkeiten den Gerichtsstand für das Verfahren bestimmen. Fragt man jedoch, warum gerade ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarun­ gen vor Torpedoklagen geschützt werden sollen, ergibt sich aus dem neu ein­ gefügten Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO der Eindruck, dass weniger allgemeine dogmatische Überlegungen als vielmehr der allgemeine Unmut über die Gasser-Entscheidung und im Vereinigten Königreich besonders über die Primacom-Entscheidung481 ausschlaggebend war.482 In beiden Fällen ging es um aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarungen, die durch eine Torpedoklage ausge­ hebelt wurden. Es wurde in der Folge eine Unterminierung der Parteiautonomie und ein daraus folgender Mangel an Vorhersehbarkeit, Rechtsicherheit und damit eine finanzielle Mehrbelastung kritisiert.483 Betrachtet man die Parteiautonomie, aus deren Missachtung sich der Mangel an Rechtssicherheit sowie die Mehrkosten ergeben, zeitigt diese bei ausschließ­ lichen Gerichtsstandsvereinbarungen zwei Wirkungen. Erstens wird durch die Vereinbarung der Parteien die internationale Zuständigkeit einem internationalen Gerichtsstand positiv zugewiesen. Zweitens wird die internationale Zuständig­ keit der Gerichte anderer Mitgliedstaaten aufgehoben.484 Als materiell-rechtlicher Vertrag bewirkt eine ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarung immer die Zuweisung eines Rechtsstreits an ein bestimmtes Ge­ richt oder die Gerichte eines bestimmten Mitgliedstaats unter Ausschluss aller übrigen Gerichtsstände. Auf prozessualer Ebene muss eine ausschließliche Ge­ richtsstandsvereinbarung aber nicht zwingend auch Prorogationswirkung entfal­ ten. Denn das gewählte Gericht kann ja schon vor Abschluss der Gerichtsstands­ vereinbarung zuständig gewesen sein. Demgegenüber führt eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung in der Regel auch zu einer Derogation, weil nahezu stets zwei oder mehr Gerichtsstände schon vor der Gerichtsstandsvereinbarung bestanden, die dann mit Ausnahme des vereinbarten Gerichtsstands aufgehoben werden. Da aber einzig die prozessuale Wirkung im Rahmen der Brüssel Ia-VO aus Sicht eines befassten Gerichts entscheidend ist, liegt auch der Hauptzweck der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung, wie der Begriff der „Aus­ schließlichkeit“ bereits terminologisch zeigt, im Ausschluss sämtlicher Gerichts­ stände mit Ausnahme des vereinbarten. 481 

Zu Gasser vgl. bereits oben Teil  I §  4 I 2; zu Primacom vgl. LG Mainz, WM 2005, S.  2319 sowie bereits Teil  I §  3 II 4 b. 482  Vgl. nur Fentiman, in: de Vareilles-Sommières (Hg.), Forum Shopping in the European Judicial Area, 2007, S.  27, 31, 40; Wilke, JPIL 2015, S.  128, 130. 483  Vgl. für eine Übersicht Bergson, JPIL 2015, S.  1, 3 f. 484  Vgl. dazu auch Keyes/Marshall, JPIL 2015, S.  345, 362 f.

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Aus Sicht des Zuständigkeitsregimes der Brüssel Ia-VO ist das eigentlich Em­ pörende an Torpedoklagen daher die Missachtung der Derogation eines Ge­ richtsstands aus prozesstaktischen Gründen. Deutlich wird dies an zwei Beispiel­ fällen. Zum einen ist mit dem bereits herangezogenen Beispiel zu fragen, warum bei der Wahl italienischer und deutscher Gerichte unter Ausschluss aller übrigen Gerichtsstände die Parteien nicht vor Torpedoklagen etwa in Spanien geschützt werden. Zudem ist der Fall denkbar, dass eine Partei aus privaten, beruflichen oder sonstigen Gründen nicht in Deutschland klagen möchte und für die alleinige Derogation der deutschen Gerichte unter Beibehaltung aller übrigen alternativen Gerichtsstände im Rahmen der Verhandlungen etwa einen niedrigeren Preis bei der Aushandlung des Vertrags akzeptiert.485 In beiden Beispielfällen wird die Ge­ richtsstandsvereinbarung nicht durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO geschützt, weil sie als nicht-ausschließlich zu qualifizieren ist. Stellt man auf die vertragliche Ebene ab, besteht kein Unterschied gegenüber einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung. Es gibt keine ausschließli­ chen materiell-rechtlichen Vereinbarungen, also solche Verträge, die „mehr ein­ zuhalten“ sind als andere. Unter dem Aspekt des Schutzes der Parteiautonomie lässt sich die Ungleichbehandlung von Derogationen im Rahmen ausschließli­ cher und im Rahmen nicht-ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen nicht rechtfertigen. Vielmehr ist gerade mit von Mehren darauf hinzuweisen, dass die ausschließliche Wahl eines Gerichts und die Abwahl der übrigen Gerichte gleich­ berechtigte Ausübungsformen von Parteiautonomie darstellen.486 In beiden Bei­ spielfällen vertrauen die Parteien auf die Wirksamkeit der Derogation. Der Un­ terschied zu ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen besteht in den Bei­ spielfällen auf prozessualer Ebene. Es werden eben keine ausschließlichen Zuständigkeiten begründet. Nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarun­ gen werden aber unter der Brüssel Ia-VO nicht für schützenswert erachtet. Dies ist jedoch nicht nur mit Blick auf die in beiden Beispielsfällen jeweils verbindlich getroffene vertragliche Absprache zu kritisieren. Vielmehr ist auch in prozessualer Hinsicht nicht ersichtlich, warum Derogationen je nach Konstella­ tion unterschiedlich behandelt werden sollen. Der nur teilweise Schutz von Derogationen kann anhand von drei Überlegun­ gen begründet werden. Erstens wird wohl die Umgehung einer ausschließlichen Zuständigkeit als besonders anstößig empfunden, wie die Reaktionen auf Gasser zeigen.487 Dies verwundert, da zum einen ausschließliche Zuständigkeiten im 485  Darauf ausdrücklich hinweisend die Stellungnahme von Allen & Overy zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rn.  33, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 486  Von Mehren, Adjudicatory Authority, 2007, S.  209. 487  Vgl. zu Gasser auch bereits oben Teil  I §  4 I 2.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Rechtshängigkeitsrecht nicht besser geschützt werden als andere Zuständigkei­ ten. So schützt Art.  27 Brüssel Ia-VO im Bereich des Art.  24 Brüssel Ia-VO nur vor einer Einlassungspflicht des Beklagten, löst aber nicht das Torpedo­pro­ blem.488 Zum anderen werden die ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art.  24 und 25 Brüssel Ia-VO vom Anerkennungsversagungsgrund des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (ii) Brüssel Ia-VO nicht gleichermaßen geschützt. Nur die ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art.  24 Brüssel Ia-VO, nicht aber die aufgrund einer inter­ nationalen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO, können vom Zweitgericht im Rahmen eines Anerkennungsversagungsgrundes nachgeprüft werden. Schließlich ist die rügelose Einlassung zwar bei ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarungen, nicht aber bei ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art.  24 Brüssel Ia-VO möglich.489 Deshalb stellt die Sorge um die Aus­ schließlichkeit der Zuständigkeit für den Schutz in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO kein überzeugendes Argument dar. Bezeichnenderweise bezog sich auch der Kommissionsentwurf nicht auf einen Vergleich mit den objektiven ausschließli­ chen Zuständigkeiten.490 Zweitens manifestiert sich in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO die allgemeine Ver­ nachlässigung von Derogationen unter der Brüssel Ia-VO. Wie schon gezeigt, wurden Derogationen bis heute nicht direkt normiert.491 Lediglich aus Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO, der die Vermutung enthält, dass Gerichtsstandsverein­ barungen im Zweifel ausschließlich sind, ergibt sich indirekt, dass es die Dero­ gation von Gerichtsständen geben muss. Daraus wird deutlich, dass der Gesetz­ geber offenkundig Derogationen für einen Nebeneffekt der ausschließlichen Wahl eines Gerichts hält. Darüber sind Rechtsprechung und Literatur zu Recht schon seit langem hinweggegangen.492 Auch isolierte Derogationen oder freie Kombinationen von Pro- und Derogationen sind möglich.493 Jedoch wurde in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO geschützt, ohne mögliche Defizite von Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO zu bedenken. Die offenkundige Vernachlässigung der Derogationswirkung in Art.  25 Brüssel Ia-VO, die auf das EuGVÜ zurück­ geht, zieht sich so bis heute durch die Brüssel Ia-VO.494

488 Rauscher/Mankowski,

EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  27 Rn.  9 Vgl. Art.  26 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO. 490  Vgl. zur ratio legis des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  4 II 1. 491  Vgl. oben Teil  I §  3 I 2. 492  Vgl. oben Teil  I §  3 I 4. 493  Vgl. oben Teil  I §  3 I. 494  Zur Genese dieser Vernachlässigung vgl. oben Teil  I §  3 I 4. 489 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Drittens war wohl der von der Gasser-Entscheidung des EuGH hinterlassene Eindruck im Gesetzgebungsprozess ausschlaggebend.495 In Gasser wurde deut­ lich, dass die ausschließliche Zuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstandsverein­ barung zu schützen ist, um wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden. Gasser be­ traf nun aber die ausschließliche internationale und örtliche Zuständigkeit eines Gerichts für sämtliche Verfahren zwischen den Parteien aus einem bestimmten Rechtsverhältnis. Ein Schutz solcher Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ist ein legitimes Ziel und sogar dringend geboten. Jedoch überzeugt die in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO normierte Lösung in zwei Punkten nicht. Zum einen wird nicht jedes wirtschaftliche Interesse an Ge­ richtsstandsvereinbarungen geschützt, da nach wie vor Derogationen außerhalb von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen durch Torpedoklagen unter­ laufen werden können. Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO schützt zwar aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarungen, aber nicht sämtliche ausschließli­ chen Zuständigkeiten aufgrund von Gerichtsstandsvereinbarungen, wie die Bei­ spiele asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen oder der Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten zeigen.496 Zum anderen muss unter allen Umständen vermieden werden, dass die dogmatische Stringenz und syste­ matische Kohärenz der Brüssel Ia-VO zugunsten spezifischer Interessen an be­ stimmten Fallkonstellationen aufs Spiel gesetzt wird. Würde die Normsetzung durch den europäischen Gesetzgeber vermehrt zur Korrektur von Einzelfall­ rechtsprechung herangezogen, ohne die systematische und dogmatische Bedeu­ tung der jeweils gesetzten Norm zu bedenken, würden Wertungsfriktionen ent­ stehen, was, wie gezeigt, mit Blick auf Derogationen bereits der Fall ist. Lang­ fristig würde darunter die Brüssel Ia-VO als solche sowie ihre von den Akteuren des EuZPR perzipierte Qualität leiden. Wie Peiffer zu Recht betont, ist die eigentliche Frage diejenige nach dem „Schutz gegen Klagen im forum derogatum“.497 Der Schutz ausschließlicher Ge­ richtsstandsvereinbarungen im Sinne des Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO bildet da­ bei nur einen Unterfall. Derogationen können, wie gezeigt, auch durch nicht-aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarungen bewirkt werden und zudem bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen oder solchen über die Zuständig­ keit mehrerer Gerichte vorkommen, die von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nicht erfasst werden. Die berüchtigte Gasser-Entscheidung des EuGH scheint aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarungen so in den Blick der europäischen 495  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693; vgl. zu Gasser auch bereits oben Teil  I §  4 I 2; Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  11 f.; Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO. 496  Vgl. dazu bereits oben vgl. Teil  I §  4 II 4 a und b. 497  E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Rechtswissenschaft gerückt zu haben, dass der Derogationsschutz als solcher vernachlässigt wurde. Es bestehen hier, wie gezeigt, erhebliche Rechtsschutzlü­ cken.

III.  Umfang der Prüfung durch das erstbefasste Gericht Nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO muss das erstangerufene, vermeintlich dero­ gierte Gericht entscheiden, ob es das Verfahren aussetzt oder nach dem allgemei­ nen litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzip des Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO fortsetzt. Diese Entscheidung hängt davon ab, ob eine ausschließliche Zuständig­ keit des zweitangerufenen Gerichts nach Art.  25 Brüssel Ia-VO vorliegt.498 Inwieweit das erstangerufene Gericht das Vorliegen einer Gerichtsstandsver­ einbarung prüfen darf, wird vom Wortlaut des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nicht ausdrücklich geregelt.499 Die denkbaren Lösungen bewegen sich dabei zwischen der vollumfänglichen Prüfung der Zulässigkeit, der Wirksamkeit und des inhalt­ lichen Umfangs der Gerichtsstandsvereinbarung einerseits und dem Ausreichen der Behauptung einer Gerichtsstandsvereinbarung andererseits. Die vollumfäng­ liche Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung würde zu der Gefahr eines Wett­ laufs um das Urteil zwischen den beiden Gerichten führen. Da auch Prozessur­ teile anerkennungsfähig sind,500 würde das schnellere Gericht bindend über die Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden können.501 Auf der anderen Seite würde bei Ausreichen der reinen Behauptung die Gefahr eines sogenannten umgekehr­ ten Torpedos entstehen.502 Eine Partei könnte durch die Klageerhebung vor ei­ nem anderen Gericht und die Behauptung der ausschließlichen Zuständigkeit des zweitangerufenen Gerichts aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung die Aus­ setzung des Verfahrens vor dem erstangerufenen Gericht bewirken und damit das dortige Verfahren torpedieren. Bei der Bestimmung des dem erstangerufenen Gericht zustehenden Prüfungs­ umfangs stellen sich zwei grundsätzliche Fragen. Zum einen ist fraglich, welche Aspekte der Gerichtsstandsvereinbarung das erstangerufene Gericht prüfen darf,

498 

Vgl. Teil  I §  4 II. Heinze, RabelsZ 75 (2011), S.  581, 590 f.; kritisch auch M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 266 mit Fn.  65. 500  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; vgl. ausführlich unten Teil  I §  6 IV. 501  Zu dieser Gefahr vgl. auch Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.53. 502  Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  195, 202. 499 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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bevor es das Verfahren auszusetzen hat. Zum anderen ist herauszuarbeiten, wel­ chem Beweismaß das Vorliegen dieser Bestandteile unterliegt.

1.  Prima facie-Prüfung In der Literatur wird überwiegend eine prima facie-Prüfung oder auch Evidenz­ prüfung durch das vermeintlich derogierte Gericht vorgeschlagen. Demnach darf das erstangerufene Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung eben nur prima facie, also nach erstem Anschein, prüfen.503 Es soll vom erstangerufenen, vermeintlich derogierten Gericht, bei allen inhaltlichen Unschärfen in Bezug auf das anzu­ wendende Beweismaß,504 lediglich geprüft werden, ob prima facie eine Gerichts­ standsvereinbarung zu dem zweitangerufenen Gericht vorliegt.505 Begründet wird diese Ansicht mit der ratio legis des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia VO. Dessen Sinn sei es, den Beklagten vor einem Prozess im forum derogatum zu schützen.506 Da eine vollumfängliche Prüfung durch das erstangerufene Ge­ richt lange dauern würde, könne es zu kostspieligen Parallelverfahren kommen, wodurch der Beklagte unter Druck geraten könne.507 Zudem ergebe sich im Um­ kehrschluss zu Art.  31 Abs.  4 Brüssel Ia-VO, dass das zweitangerufene Gericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht vollumfänglich prüfen dürfe. Denn Art.  31 Abs.  4 Brüssel Ia-VO sehe eine Ausnahme von der Ausset­ zungspflicht für die dort genannten Konstellationen vor, wenn die Gerichts­ standsvereinbarung ungültig ist. Dafür müsse das erstangerufene Gericht die Gültigkeit aber prüfen dürfen, da es ansonsten aussetzen und auf die Entschei­ dung durch das vermeintlich prorogierte Gericht warten müsste. Da Art.  31 Abs.  4 Brüssel Ia-VO aber ersichtlich eine Ausnahme darstelle, müsse also nor­

503  Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 494; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 536; für eine summarische Prüfung Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 482; Mag­ nus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  13; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  3; gegen eine wie auch immer geartete Prüfungskompetenz des er­ stangerufenen Gerichts hingegen Radicati di Brozolo, IPRax 2010, S.  121, 123 f.; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 202. 504  Zum sich nach nationalem Prozessrecht bemessenden Beweismaß vgl. EuGH v. 7.3.1995 – Rs. C- 68/93, Shevill, Slg. 1995, I-450, Rz.  41; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Vor Art.  4–35 Rn.  8. 505  Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.50; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  2; Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  13; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 202, Fn.  80. 506  Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.50. 507 Vgl. Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 202 mit Fn.  80.

102

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

malerweise keine vollumfängliche Prüfung stattfinden.508 Ferner sehe Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, anders als Art.  6 HGÜ,509 keine Ausnahmetatbestände vor, nach denen das derogierte Gericht trotz der Derogation die Klage nicht abweisen muss. Dies spreche ebenfalls dafür, dass eine vollständige Prüfung nicht stattfin­ de.510 Die auch mit einer prima facie-Prüfung verbundene, geringe Gefahr von Torpedoklagen sei hinzunehmen.511

2.  Vollumfängliche Prüfung der Formwirksamkeit Alternativ zur prima facie-Prüfung wird teilweise vertreten, das erstangerufene Gericht jedenfalls die Formwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vollum­ fänglich prüfen zu lassen.512 Denn auch wenn der ausschließlich vereinbarte Ge­ richtsstand von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO zu schützen sei, solle das Vertrauen redlicher Parteien in die internationale Zuständigkeit der gesetzlichen Gerichts­ stände vor der unbegründeten Behauptung einer internationalen Gerichtsstands­ vereinbarung geschützt werden.513 Die Prüfung der Formwirksamkeit der Ge­ richtsstandsvereinbarung unterlaufe dabei den Schutz ausschließlicher Gerichts­ standsvereinbarungen gegen Torpedoklagen nicht.514 Außerdem werde der redlich auf einen objektiven Gerichtsstand vertrauenden Partei die Aussetzung des Verfahrens nur dann zugemutet, wenn aufgrund der Formwirksamkeit der Anschein einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung wirklich vorliege.515 Teilweise wird auch vertreten, sämtliche Aspekte der Gerichtsstandsvereinba­ rung vollumfänglich prüfen zu lassen. Ihren systematischen Anknüpfungspunkt findet diese Auffassung zunächst in einem Vergleich von Art.  31 Abs.  2 und 3 Brüssel Ia-VO. Während Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO fordert, dass das zweitan­ gerufene Gericht aufgrund einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung „zuständig ist“, stellt Art.  31 Abs.  3 Brüssel Ia-VO lediglich auf die Bezeichnung des zweitangerufenen Gerichts in einer Gerichtsstandsvereinbarung ab.516 Art.  31 Abs.  3 Brüssel Ia-VO nehme damit die vollumfängliche Prüfung der Zuständig­ 508 Rauscher/Leible,

535.

509  510 

EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  14; Domej RabelsZ 78 (2014) S.  508,

Zu Art.  6 HGÜ vgl. Teil  I §  8 III 2. Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 535; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31

Rn.  14 511  Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.53. 512 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  2; Hohmeier, IHR 2014, S.  217, 218. 513 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  2. 514 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  2. 515 Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  31 Rn.  2. 516  M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 266 f.

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

103

keit des zweitangerufenen durch das erstangerufene Gericht nur für den Fall zu­ rück, dass sich das zweitangerufene Gericht aufgrund der ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarung für zuständig erklärt hat. Nur in diesem Fall genüge die Bezeichnung des erstangerufenen Gerichts. Daher sei im Rahmen des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO die ausschließliche Vereinbarung des zweitbefassten Ge­ richts vollumfänglich prüfen.517 Ferner sei insbesondere bei Maßgeblichkeit einer zwischen den Parteien ent­ standenen Gepflogenheit oder eines Handelsbrauchs im Sinne der Art.  25 Abs.  1 S.  3 lit.  b und c Brüssel Ia-VO eine prima facie-Prüfung ohne substantiierten Vortrag kaum möglich.518 Es sei dabei sehr schwer, prima facie zu bewiesen, dass eine mündliche Einigung mit anschließender schriftlicher Bestätigung er­ folgte, und was genau der Inhalt der mündlichen Einigung war.519 In diesen Fäl­ len sei faktisch die Formwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ohnehin vollumfänglich zu prüfen. Jedenfalls sei die Abgrenzung der zulässigen von der unzulässigen Prüfungstiefe nicht möglich, weshalb die Gerichte im Zweifel eher ausführlich prüfen dürften.520 Des Weiteren wird angeführt, dass bei Maßgeblichkeit einer prima facie-Prü­ fung der Prüfungsmaßstab vor dem erstangerufenen Gericht sich in dem Moment ändere, in dem vor dem prorogierten Gericht Klage erhoben wird.521 Denn die prima facie-Prüfung käme nur im Fall paralleler Rechtshängigkeit zur Anwen­ dung, und damit nicht vor der Klageerhebung im forum prorogatum. Dieser Prü­ fungsmaßstabswechsel, der auch erst in einer späteren Instanz erfolgen könne, werfe Probleme für das befasste Gericht auf, das bestimmte substantiierte Vorträ­ ge der Parteien dann nicht mehr berücksichtigen dürfe.522 Zudem sei es hinsicht­ lich der Waffengleichheit der Parteien bedenklich, wenn eine Partei durch Klage­ erhebung vor einem anderen Gericht faktisch über den Prüfungsmaßstab im er­ stangerufenen Gericht einseitig entscheiden dürfte.523 Zumindest aber sei zuzugeben, dass eine prima facie-Prüfung in einem späteren Verfahrensstadium nicht nur gekünstelt wirkte, sondern auch praktisch nicht durchsetzbar sei.524 M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 267. mit Recht M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 270; auf Probleme bei der Beweis­ sicherheit der Formvorschriften des Art.  25 Abs.  1 S.  3 Brüssel Ia-VO hinweisend auch Nordmeier, RIW 2016, S.  331, 333. 519  Vgl. zu dieser schwierigen Frage EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, Tilly Russ, Slg. 1984, I-02417, Rz.  17; Nordmeier, RIW 2016, S.  331, 333. 520 So M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 715. 521  M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 270. 522  M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 270. 523  M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 270. 524  M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 270. 517 

518  So

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Schließlich würde eine vollumfängliche Prüfung der Wirksamkeit der Ge­ richtsstandsvereinbarung durch das derogierte Gericht zu einem Gleichlauf von Art.  6 lit.  a HGÜ und Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO führen, sodass sich die Ver­ fahrenskoordination zwischen forum derogatum und forum prorogatum aus Sicht der europäischen Gerichte zumindest bezüglich des Prüfungsmaßstabs einheit­ lich bestimmen würde.525

3.  Stellungnahme Das bloße Behaupten einer Gerichtsstandsvereinbarung zu einem anderen Ge­ richt und ein dort rechtshängiges Verfahren können zumindest dann nicht ausrei­ chen, wenn das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung streitig ist.526 Die Gefahr eines umgekehrten Torpedos wäre zu hoch. Andererseits sollte das abre­ dewidrig angerufene Gericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung auch nicht vollumfänglich prüfen dürfen. Denn dies würde dem Sinn des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO widersprechen, die Prüfungskompetenz dem gewählten Gericht zuzuweisen.527 Zudem sieht Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO bei systemati­ scher und teleologischer Betrachtung ein zweistufiges Verfahren vor, bei dem das Erstgericht nach einer präliminaren Prüfung das Verfahren bis zur Entscheidung des zweitangerufenen Gerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsverein­ barung aussetzen muss.528 Insofern ist der prima facie-Prüfung, die überwiegend in der Literatur vertre­ ten wird,529 als Mittelweg zuzustimmen. Zwar ist es bedauerlich, dass es kein einheitliches Beweismaß in den Mitgliedstaaten gibt.530 Jedoch ist hier auf des­ sen langfristige europarechtliche Entwicklung durch den EuGH zu hoffen. Von der Frage nach dem Beweismaß, also der Prüfungstiefe, ist diejenige nach der Prüfungsbreite zu unterscheiden. Es stellt sich hier die Frage, welche Aspek­ te einer Gerichtsstandsvereinbarung das erstbefasste, derogierte Gericht vor der Verfahrensaussetzung prüfen darf. Bereits Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO und die Intention des Gesetzgebers ver­ deutlichen, dass primär das gewählte Gericht seine Zuständigkeit prüfen soll.531 M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 715; zu Art.  6 HGÜ vgl. Teil  I §  8 III 2. Magnus/Mankowski ZVglRWiss 110 (2011), S.  252, 282; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508; 535; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  15. 527  So auch Magnus/Mankowski/Fentiman, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  31 Rn.  13. 528  M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 271 f. 529  Vgl. oben Teil  I §  4 III 1. 530  Kritisch in Bezug auf den anzulegenden Prüfungsmaßstab daher M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 269. 531  KOM (2010) 748 endg. (DE), S.  9; zur Intention des Gesetzgebers vgl. oben Teil  I §  4 II 1 b. 525 Vgl. 526 So

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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Da auch Prozessurteile anerkennungsfähig sind,532 greift das derogierte Gericht umso eher in die von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO normierte Prüfungskompe­ tenz des gewählten Gerichts ein, je breiter der Prüfungsumfang gezogen wird. Denn je nach Verfahrensgeschwindigkeit könnte dann das erstangerufene, dero­ gierte Gericht über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und sogar in der Sache entscheiden. Einem späteren Urteil des gewählten Gerichts wäre dann nicht nur über Art.  45 Abs.  1 lit.  c und d Brüssel Ia-VO die Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten zu versagen.533 Je nach Verfahrensgeschwindigkeit könnte ein Zwischenfeststellungsurteil des erstangerufenen und derogierten Ge­ richts, in dem die Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam erklärt wird, mit seiner Rechtskraftwirkung sogar einer Wirksamkeitsprüfung der Gerichtsstands­ vereinbarung durch das gewählte Gericht nach Art.  36 Brüssel Ia-VO entgegen­ stehen.534 Möglich wäre in Deutschland etwa ein Antrag auf Zwischenfeststel­ lung nach §  256 Abs.  2 ZPO i. V. m. §  280 Abs.  1 ZPO.535 Ein Anerkennungsver­ sagungsgrund bestünde in diesem Fall nicht.536 Das telos des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO würde hier deutlich unterwandert, weil das gewählte Gericht sei­ ne internationale Zuständigkeit nicht selbständig prüfen dürfte. Zudem stellt die Vermeidung von Parallelverfahren einen allgemeinen rechts­ politischen Grundsatz der Brüssel Ia-VO dar.537 Dies bedeutet für Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, dass ausnahmsweise mögliche Parallelverfahren auf einen mög­ lichst kurzen Zeitraum zu beschränken sind. Je geringer der Prüfungsumfang des gewählten Gerichts ausfällt, desto schneller wird das erstangerufene, derogierte Gericht das Verfahren aussetzen. Durch eine schnellere Verfahrensaussetzung wird dann auch der Aufwand des auf die Gerichtsstandsvereinbarung vertrauen­ den Beklagten im forum derogatum verringert.538 Überzeugend ist es daher, das erstangerufene Gericht prüfen zu lassen, ob eine formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung zu dem zweitangerufenen Gericht vorliegt.539 Die materielle Wirksamkeit und den Umfang der Gerichtsstandsver­ einbarung für das konkrete Verfahren darf dann selbständig das gewählte Gericht 532 

Vgl. unten Teil  I §  5 I 3. Diese Gefahr sieht Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  18; vgl. dazu un­ ten Teil  I §  5 II. 534  Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn.  1873h. 535  LG Trier, IPRax 2004, S.  249; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  10. 536  Zur Anerkennungsversagung vgl. unten Teil  I §  6 II. 537  Vgl. etwa EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  41. 538  Vgl. dazu Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.50. 539  So auch Hohmeier, IHR 2014, S.  217, 218; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Inter­ nationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  30; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 2015, Art.  31 Rn.  3 f. 533 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

prüfen. Die Prüfung der Formwirksamkeit unterläuft die gesetzgeberische Inten­ tion nicht,540 auch wenn die Prüfung teilweise schwierig und mitunter auch lang­ wierig sein kann.541 Denn das erstangerufene Gericht soll das Verfahren nur aus­ setzen, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung auch getroffen bzw. vereinbart wurde.542 Gerade die Einigung im Sinne des Art.  25 Abs.  1 S.  1 Brüssel Ia-VO wird bei Formwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung aber vermutet.543 Es ist daher auch systematisch konsequent, diese Vermutung, die sogar für das ge­ wählte Gericht gilt, im Rahmen des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO heranzuzie­ hen.544 Die enge Verknüpfung von Einigung und Formwirksamkeit sollte hier nicht aufgegeben werden.545 Die Formwirksamkeit gibt dem erstangerufenen Gericht eine ausreichende Sicherheit für die Aussetzung des Verfahrens.546 Dass die Prüfung der Formwirksamkeit dem vermeintlich derogierten Gericht belassen wird, führt zwar zur Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen gerade in Bezug auf die häufig streitige Formwirksamkeit.547 Jedoch werden so umge­ kehrte Torpedos, vor denen zu Recht gewarnt wird, verhindert, und gleichzeitig die in Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO zum Ausdruck gebrachte Zuweisung der Prü­ fungskompetenz an das vereinbarte Gericht gewährleistet.548 Da sich die Darle­ gungs- und Beweislast nach nationalem Prozessrecht bemisst, bleibt die Tiefe der prima facie-Prüfung der lex fori überlassen und variiert daher zwischen den Mitgliedstaaten.549

IV.  Rechtsfolge: Aussetzungspflicht des derogierten Gerichts Kommt das erstangerufene, vermeintlich derogierte Gericht zu dem Ergebnis, dass prima facie eine formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung zu dem zweitangerufenen Gericht vorliegt, hat es das Verfahren nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auszusetzen. Die Aussetzung erfolgt von Amts wegen. Dies be­ 540 Schlosser/Hess/Schlosser,

EuZPR, 2015, Art.  31 Rn.  3. Darauf verweisen mit Recht Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 493; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534. 542  Vgl. KOM (2010) 748 endg., S.  9. 543  EuGH v. 20.2.1998 – Rs. C-106/95, MSG, Rz.  19. 544  Merrett, ICLQ, 58 (2009), S.  545, 564. 545  Zum Zusammenhang von Formwirksamkeit und Einigung vgl. Teil  I §  2 II 1. 546 So Hohmeier, IHR 2014, S.  217, 218. 547  So mit Recht Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 203 f.; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534. 548  Vgl. zu diesem Zielkonflikt Teil  I §  4 III. 549  Zur Heranziehung von Art.  1848 NCPC vgl. Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 494; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 536. 541 

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deutet jedoch lediglich, dass dafür kein Antrag des Beklagten erforderlich ist. Nach dem Beibringungsgrundsatz muss aber das Gericht dennoch über das par­ allele Verfahren in Kenntnis gesetzt werden.550 Die Aussetzungspflicht des erstangerufenen Gerichts gilt ausweislich des Wortlauts von Art.  31 Abs.  2 und 3 Brüssel Ia-VO aber nur für die Zuständig­ keitsprüfung hinsichtlich der Gerichtsstandsvereinbarung. Stellt das zweitange­ rufene, gewählte Gericht die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung fest, kann es sich nicht aufgrund einer anderweitigen Zuständigkeit für zuständig erklären und in der Sache entscheiden. Es greift dann vielmehr wieder das regu­ läre Prioritätsprinzip nach Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO, sodass das erstangerufe­ ne Gericht das Verfahren fortsetzen kann, und das zweitangerufene Gericht das Verfahren aussetzen muss.551 Das zweitangerufene, vereinbarte Gericht muss die Aussetzung des erstange­ rufenen, derogierten Gerichts nicht abwarten. Es kann, wie Erwgr. Nr.  22 Brüs­ sel Ia-VO deutlich macht, seine Zuständigkeit aufgrund der Gerichtsstandsver­ einbarung unabhängig von der Aussetzung des erstangerufenen Gerichts prü­ fen.552

V.  Kritische Würdigung Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO führt zu einer ganzen Reihe von Friktionen und Problemen. Eine kritische Analyse ist daher angezeigt.

1.  Gefahr eines Wettlaufs zwischen den Parteien Das gewählte Gericht muss die Aussetzung durch das zuerst angerufene Gericht nicht abwarten, sondern kann unverzüglich über seine Zuständigkeit und gege­ benenfalls in der Sache entscheiden.553 Das erstangerufene Gericht muss wiede­ rum das Verfahren nur aussetzen, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass eine formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung prima facie vorliegt, wobei der Prü­ fungsmaßstab zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten divergiert.

550 Schlosser/Hess/Schlosser,

EuZPR, 2015, Art.  29 Rn.  8. Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.48; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 521; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art.  31 Rn.  19. 552  Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 520 f.; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  18; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534. 553  Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  18. 551 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Dadurch entsteht die Gefahr, dass das erstbefasste und das zweitbefasste Ge­ richt jeweils unterschiedlich über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinba­ rung und sodann in der Sache entscheiden. Es drohen also unvereinbare Ent­ scheidungen.554 Auf diese Gefahr hatte bereits die deutsche Bundesregierung im Vorfeld der Reform der Brüssel I-VO hingewiesen: „Ließe man eine Ausnahme von Artikel 27 Absatz 1 der Brüssel I-Verordnung bei ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarungen zu, bestünde die Gefahr, dass sich beide Gerichte für zu­ ständig erklären, z. B. weil sie die Wirksamkeit der vorhandenen Gerichtsstands­ vereinbarung unterschiedlich beurteilen, und sie einander widersprechende Ent­ scheidungen erlassen.“555 Da insbesondere gerade die Formwirksamkeit häufig eine streitige Frage der Auslegung ist,556 kann es hier zu divergierenden Ergeb­ nissen kommen.557 Die von der deutschen Bundesregierung geäußerten Sorgen über widerspre­ chende Entscheidungen wurden zudem von der Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine noch überholt, in der dieser die in der Literatur überwiegend befürwortete Anerkennungsfähigkeit von Prozessurteilen nach Art.  36 Brüs­ sel Ia-VO, also insbesondere von Urteilen über die Zuständigkeit eines Gerichts, bestätigte.558 Es kann sich folglich das schnellere Gericht bei der Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung auch gegenüber dem jeweils anderen angerufenen Gericht bindend durchsetzen.559 Entscheidet keines der beiden Gerichte in Form einer ausdrücklichen und damit anerkennungsfähigen Zwischenentscheidung 554  Vgl. dazu Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  31 Rn.  18; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  7; M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 270; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  20; grundsätzlich zur Gefahr unvereinbarer Entscheidungen, die das Litispendenzrecht nicht vollständig verhindern kann, vgl. Martiny, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap. II Rn.  130. 555  Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  7, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 556  BGH, Urt. v. 22.02.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, S.  1731; BGH, Beschl. V. 16.01.2014 – IX ZR 194/13, BeckRS 2014, 03766; BGH, Beschl. v. 07.01.2014 – VIII ZR 137/13, BeckRS 2014, 03668; OLG Köln, Urt v. 25.05.2012 – 19 U 159/11, BeckRS 2012, 21085; OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, BeckRS 2011, 24777; LG Düssel­ dorf, Urt. v. 29.04.2011 – 15 O 601/98, BeckRS 2011, 25145; Coys of Kensington Automobiles Ltd v. Tiziana Pugliese, [2011] EWHC 655 (QB); LG Aachen, Urt. v. 22.06.2010 – 41 O 94/09, BeckRS 2010, 15502; OLG Koblenz, Beschl. v. 01.03.2010 – 2 U 816/09, BeckRS 2010, 10375; OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, BeckRS 2011, 24777. 557 So Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 203 f; Simotta, in: FS Schütze, 2014, S.  541, 549. 558  Zu EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine vgl. unten Teil  I §  6 IV; wie hier auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  7. 559  So ausdrücklich Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491; Bergson, JPIL 2015,

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über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, besteht für keines der Ge­ richte eine Bindungswirkung mangels einer anerkennungsfähigen Zwischenent­ scheidung. Die vom EuGH in Gothaer Allgemeine bestätigte Anerkennung von Prozessurteilen ist dann nicht einschlägig, sodass in der Sache divergierende Ur­ teile ergehen können.560 Es kann dabei zu einem Wettlauf um das Urteil zwischen den beiden befassten Gerichten kommen,561 und zwar zunächst zu einem Wettlauf um die Entschei­ dung über die Gerichtsstandsvereinbarung und, je nach Konstellation, eventuell auch in der Sache.562 Leible verweist zwar mit Recht darauf, dass zumindest bei typischen Torpedoklagen aufgrund der Langsamkeit des „Torpedo-Gerichts“ die Wirkung des von dem derogierten Gericht erlassenen Urteils aufgrund von Art.  45 Abs.  1 lit.  c und d Brüssel Ia-VO auf den Urteilsstaat beschränkt bleibt. Allerdings dürfte unter der Brüssel Ia-VO aufgrund des partiellen Schutzes in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO weniger die Torpedoklage als vielmehr die prozes­ staktische, entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung erhobene Klage vor ei­ nem dem Kläger günstigen Gericht problematisch werden. Der Kläger kann sich einen Vorteil verschaffen, indem er entscheidet, welches Gericht über die Formwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung entscheidet. So weist etwa Hohmeier auf den Umstand hin, dass insbesondere die Einbezie­ hung von Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB von englischen und deutschen Gerichten häufig unterschiedlich bewertet wird.563 Während die deutschen Ge­ richte strenge Anforderungen stellten, seien die englischen Gerichte hier wesent­ lich lockerer.564 Da die Einbeziehung von AGB in der Regel als Formfrage rele­ vant wird und damit auch im Rahmen des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO vom derogierten Gericht geprüft werden darf, besteht hier durchaus ein Inzentiv zu forum shopping. Zudem können der prorogationswidrig verklagten Partei Kos­ ten und Umstände aufgebürdet werden, die wiederum den Vergleichsdruck er­ höhen.565

S.  1, 9; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  25 Rn.  280; Forner-Delaygua, JPIL 2015, S.  379, 385. 560  Zu Recht hierauf hinweisend M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 273; Geimer/Schüt­ ze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  31 Rn.  20. 561  Kritisch zu diesem Wettlauf um das Urteil Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 520 mit Fn.  52. 562  Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  5.26, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 563  Hohmeier, IHR 2014, S.  217, 218, 222. 564  Hohmeier, IHR 2014, S.  217, 218, 222. 565  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  1 III 1 c.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

2.  Keine Sanktion bei Missachtung der Aussetzungspflicht Die Gefahr widersprechender Entscheidungen sowie eines Wettlaufs um das Ur­ teil wird dadurch verschärft, dass die Brüssel Ia-VO keine Sanktion bei Verlet­ zung der Aussetzungspflicht nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO vorsieht.566 Setzt ein Gericht entgegen seiner Pflicht nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO das Ver­ fahren nicht aus, obwohl vor dem gewählten Gericht ein Verfahren zwischen denselben Parteien über denselben Anspruch anhängig ist, so hat dies auf den weiteren Verlauf des Verfahrens, die Parteien oder das Gericht keine zivilprozes­ sualen Auswirkungen. Aufgrund einer mangelnden Sanktion wurde aber etwa gerade der Vorschlag der Kommission nicht übernommen, nach dem das dero­ gierte Gericht innerhalb von sechs Monaten über seine Zuständigkeit entschei­ den sollte.567 Ohne Sanktion bei Fristüberschreitung ergab die Regelung keinen Sinn, sodass Rat und Parlament den Vorschlag ablehnten.568 Die Brüssel Ia-VO enthält insbesondere keinen Anerkennungsversagungs­ grund bei Verstoß eines Gerichts gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung.569 Vielmehr ist auch die Entscheidung des derogierten Gerichts anerkennungsfähig und würde einer Entscheidung im forum prorogatum mit seiner Rechtskraft ent­ gegenstehen.570 Kindler spricht hier zu Recht vom „Damoklesschwert“ des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, das über dem Verfahren vor dem prorogierten Ge­ richt schwebe.571

3.  Rechtsunsicherheit und Erhöhung der möglichen Transaktionskosten Die Gefahr eines Wettlaufs der Parteien zum Gericht beeinträchtigt die durch eine Gerichtsstandsvereinbarung bezweckte Rechts- und Planungssicherheit und wirkt sich damit unmittelbar erhöhend auf die möglichen Transaktionskosten Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491; Dickinson/Lein/Garcimartin, 2015, Rn.  11.53; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  7. 567  Art.  29 Abs.  2 Brüssel Ia-VO-E. 568 Vgl. Weller, GPR 2012, S.  328, 332; Bergson, JPIL 2015, S.  1, 16 f.; zu demselben Prob­ lem bei Torpedoklagen gegen Schiedsverfahren und dem Vertrauen in die ordnungsgemäße Aussetzung durch das Torpedogericht vgl. die Kritik an Art.  29 Abs.  4 Brüssel Ia-VO-E bei Kindler, in: Poccar/Villata/Villarengo (Hg.), Recasting Brussels I, 2012, S.  57, 66 f. 569  Vgl. zu diesem Umstand unten Teil  I §  6 II. 570  Dies folgt aus EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; vgl. ausführ­ lich unten Teil  I §  6 IV; vgl. zu dem analogen Problem bei Torpedoklagen gegen Schiedsverfah­ ren im später in diesem Punkt vom Gesetzgeber nicht übernommenen Vorschlag der Kommis­ sion für die Brüssel Ia-VO Kindler, in: Poccar/Villata/Villarengo (Hg.), Recasting Brussels I, 2012, S.  57, 67. 571  Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491. 566 

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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aus.572 Der Beklagte im forum derogatum hat eine Klage vor dem prorogierten Gericht nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO zu erheben. Dabei fallen Kostenvor­ schüsse, Übersetzungs- und Anwaltskosten, etc. an.573 Wesentlich schwerer wiegt jedoch der Umstand, dass die Parteien sich darauf einstellen müssen, jederzeit zumindest zur Formwirksamkeit einer Gerichts­ standsvereinbarung auch im forum derogatum verhandeln zu müssen. Die anfal­ lenden Kosten sind von der prorogationswidrig verklagten Partei mindestens auszulegen, bei ungünstiger Kostentragungsregel sogar endgültig selbst zu tra­ gen und im Fall von Rechtsanwaltskosten oftmals nur teilweise erstattungsfä­ hig.574 Damit verringern Gerichtsstandsvereinbarungen, entgegen ihrem Sinn und Zweck, das Transaktionskostenrisiko nur teilweise. Bedenkt man, dass eine der Hauptursachen für Verfahren im forum derogatum die zusätzlichen Kosten und der dadurch steigende Vergleichsdruck auf die im forum derogatum verklag­ te Partei sind,575 verfehlen Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter der Brüs­ sel Ia-VO hier ihre transaktionskostenmindernde Funktion zumindest teilweise.

VI.  Zwischenbetrachtung: Gerichtsstandsvereinbarungen im Zuständigkeits- und Rechtshängigkeitsrecht der Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen haben unter der Brüssel Ia-VO eine maßgebliche Aufwertung erfahren. Der Gesetzgeber hat damit ihre herausragende Bedeutung für den europäischen Wirtschaftsverkehr anerkannt. Dennoch haben die voran­ gegangenen Ausführungen dogmatische Defizite und Friktionen im Recht inter­ nationaler Gerichtsstandsvereinbarungen aufgezeigt. Ausgangspunkt ist die anachronistisch anmutende Normkonzeption des Art.  25 Abs.  1 Brüssel Ia-VO. Dieser sieht nur die Prorogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung ausdrücklich vor. Die Derogationswirkung, die sich international erst nach Abschluss des EuGVÜ von 1968 durchzusetzen begann, wird nicht ausdrücklich geregelt.576 Nur indirekt, über die Möglichkeit einer aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarung, ist die Möglichkeit von Derogationen in der Brüssel Ia-VO vorgesehen. Über diese rudimentäre Regelung sind Rechts­ wissenschaft und Praxis längst und mit Recht hinweggegangen. Normtechnisch 572  Zu dem Einfluss von Gerichtsstandsvereinbarungen auf die Transaktionskosten vgl. oben Teil  I §  1 III 1 c. 573 So Wais, GPR 2015, S.  142, 144; Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 534. 574  Vgl. zu möglichen Kosten oben Teil  I §  1 III 1 c. 575  Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  2.62; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  195 f.; Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S.  267, 273 f. 576  Vgl. etwa zur Diskussion in den USA Teil  II §  1 II 2.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

ist Art.  25 Brüssel Ia-VO damit nicht auf dem aktuellen Stand der Prozessrechts­ wissenschaft. Dies führt dazu, dass von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nur Ge­ richtsstandsvereinbarungen geschützt werden, in denen für sämtliche Streitigkei­ ten zwischen den Parteien ein internationaler Gerichtsstand festgelegt wird. Nach der hier vertretenen Auffassung werden daneben auch noch reziproke Ge­ richtsstandsvereinbarungen geschützt, wobei diesbezüglich die Rechtsprechung des EuGH aber abzuwarten bleibt. In Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO bleibt unbe­ rücksichtigt, dass ausschließliche internationale Zuständigkeiten von den Partei­ en auch anders, etwa in asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen, verein­ bart werden können. Und auch die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten bei Abwahl aller übrigen internationalen Gerichtsstände wird nicht von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO gegen Torpedoklagen geschützt. Ledig­ lich die ausschließliche Wahl eines einzigen Gerichts für sämtliche Streitigkeiten sowie reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen werden gegen Torpedoklagen ge­ schützt. Ein grundsätzlicher Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarun­ gen und insbesondere internationaler Derogationen besteht damit unter der Brüs­ sel Ia-VO nicht. Zum anderen ist auch der ohnehin schon begrenzte, von Art.  31 Abs.  2 Brüs­ sel Ia-VO vorgesehene Schutz internationaler Gerichtsstände nicht umfassend. Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO führt insbesondere bei unterschiedlicher Be­ urteilung der Formwirksamkeit der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinba­ rung durch die beiden befassten Gerichte zumindest vorübergehend zu parallelen Verfahren. Daraus ergibt sich die Gefahr eines Wettlaufs um die Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung. Insbesondere ist keine Sanktion bei Verstoß gegen Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO vorgesehen. Im Ergeb­ nis sind damit Verfahren im forum derogatum keineswegs ausgeschlossen, was zu einer partiellen ökonomischen Entwertung internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen führt. Dies läuft der gesetzgeberischen Intention zuwider, mit der Brüssel Ia-VO internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in der Wirt­schafts­ praxis zu stärken. Hinzu kommt eine Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit bei internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen, die über das sonst nach der Brüssel Ia-VO übli­ che Maß hinausgeht. Denn da ein derogiertes Gericht von seiner eigenen Dero­ gation ohne Vortrag der Parteien keine Kenntnis erlangen kann, besteht faktisch die Pflicht der abredewidrig beklagten Partei, die Derogation des angerufenen Gerichts einzuwenden. Damit wird ihr aber das in Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO vorgesehene Recht auf Säumnis gerade bei Vorliegen einer Derogation genom­ men. Dies erschwert die Prozessplanung und erhöht das Transaktionskostenrisi­ ko. Gerichtsstandsvereinbarungen verlieren folglich an ökonomischem Wert. In

§  4  Litispendenzrechtliche Wirkungen intern. Gerichtsstandsvereinbarungen

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systematischer Hinsicht spricht dies gegen die Anerkennung eines entgegen ei­ ner Derogation ergangenen Versäumnisurteils. Denn die Anerkennung von Ver­ säumnisurteilen wird gerade durch die Wahrung der Beklagtenrechte auch bei dessen Säumnis durch die Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO gerechtfertigt. Stadler konstatiert daher mit Recht „Schwächen von Maßnahmengesetzge­ bung, die nicht an der Wurzel des Problems ansetzen.“577 Diese Wurzel des Pro­ blems liegt in dem Umstand, dass auch prorogationswidrige Urteile frei zwi­ schen den Mitgliedstaaten zirkulieren können. Denn im Gegensatz zum Rechts­ hängigkeitsrecht erfuhren selbst ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen im Recht der internationalen Anerkennung und Vollstreckung der Brüssel Ia-VO keine wesentliche Aufwertung. Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Darstellung internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen im Zuständigkeitsrecht der Brüssel Ia-VO ist daher im Folgenden zu untersuchen, welche Stellung internationale Gerichtsstandsver­ einbarungen im Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht der Brüssel Ia-VO ein­ nehmen. Dies bildet die Grundlage für die Beantwortung der Frage, inwiefern die Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile den Schutz internatio­ naler Gerichtsstandsvereinbarungen unter der Brüssel Ia-VO sinnvoll stärken würde.

577 Musielak/Voit/Stadler,

ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  6.

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO Im Folgenden soll der Blick auf die Stellung internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen im Recht der Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel IaVO gerichtet werden. Die Darstellung wird dabei von der Frage geleitet, ob in­ ternationale Gerichtsstandsvereinbarungen im Anerkennungs- und Vollstre­ ckungsregime der Brüssel Ia-VO durch einen Anerkennungsversagungsgrund zu schützen sind. Ein solches Unterfangen bietet Risiken. Denn die das Anerkennungs- und Vollstreckungsregime maßgeblich bestimmenden Prinzipien der Urteilsfreizü­ gigkeit und des gegenseitigen Vertrauens gelten allgemein als „heilige Kühe“ des EuZVR.578 In den folgenden Betrachtungen soll diesem Topos eine alternative Sichtweise gegenübergestellt werden. Es soll versucht werden, die dienende Funktion von Urteilsfreizügigkeit und Vertrauensprinzip in Bezug auf die Voll­ endung des Binnenmarkts herauszuarbeiten und über diesen Zwischenschritt auch die Anerkennungsversagung als rechtspolitisches Mittel zur Integration eben jenes Binnenmarkts zu verstehen. Die Gleichung, nach der mehr Anerken­ nungsversagungsgründe weniger Europa bedeuten,579 wird nach der hier vertre­ tenen Auffassung der komplexen rechts- und wirtschaftspolitischen Bedeutung des Anerkennungs- und Vollstreckungsregimes nicht gerecht. Über die Anerken­ nungsversagungsgründe kann vielmehr Rechtssicherheit geschaffen werden, welche wiederum den grenzüberschreitenden Handel stimulieren und damit den Binnenmarkt als solchen stärken kann. Hauptziel der Brüssel Ia-VO ist die Urteilsfreizügigkeit zwischen den Mit­ gliedstaaten der Europäischen Union. Die Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Urteile stellen daher den Kern der Brüs­ sel Ia-VO dar. Auf sie sind sämtliche Vorschriften der Brüssel Ia-VO ausgerich­ tet.580 Geregelt werden Anerkennung und Vollstreckung in Kapitel III der Brüs­ sel Ia-VO. Zwar sind Anerkennung und Vollstreckung voneinander zu trennen, So mit Recht Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 489. Vgl. dazu unten Teil  III §  1 VII. 580  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  170. 578  579 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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jedoch sind sie dogmatisch eng miteinander verbunden.581 Dies belegt bereits der Verweis in Art.  46 Brüssel Ia-VO auf Art.  45 Brüssel Ia-VO, wonach die Versa­ gung der Vollstreckung auf die Anerkennungsversagungsgründe gestützt wird. Daher soll zunächst die Anerkennung im Zentrum der Betrachtungen stehen und an geeigneter Stelle auf Besonderheiten der Vollstreckung eingegangen werden.

I.  Internationale Anerkennung nach Art.  36 ff. Brüssel Ia-VO Dem Begriff der internationalen Anerkennung können im internationalen Privat­ recht mehrere Bedeutungen zukommen. Der terminologischen Präzision halber sollen die verschiedenen Anerkennungsbegriffe zunächst differenziert und so­ dann die Systematik der Art.  36 ff. Brüssel Ia-VO dargestellt werden.

1.  Internationale Anerkennung – drei Bedeutungen Unter der internationalen Anerkennung von Entscheidungen ist nach klassischem Verständnis die Übertragung der Wirkungen einer gerichtlichen Entscheidung auf einen anderen Staat zu verstehen.582 Da Urteile, die wichtigste Form gericht­ licher Entscheidungen, als Hoheitsakte grundsätzlich territorial auf den Urteils­ staat beschränkt bleiben, bedarf es für die Übertragung der Wirkungen eines Ur­ teils auf einen anderen Staat der internationalen Anerkennung.583 Dabei erkennt der Anerkennungs- oder auch Zweitstaat ein Urteil aus dem Urteils- oder auch Erststaat an.584 Die Anerkennung von Entscheidungen wird auch verfahrens­ rechtliche Anerkennung genannt.585 Jedoch ist die Übertragung der Wirkungen ausländischer Urteile auf das In­ land nicht der einzige Gegenstand internationaler Anerkennung. Vielmehr spricht Neuhaus – freilich mit Blick auf das IZVR im Allgemeinen – diesbezüglich von Anerkennung im engeren Sinne. Im weiteren Sinne umfasst die internationale Anerkennung hingegen auch die Berücksichtigung ausländischer Verfahren und Zuständigkeiten insgesamt. So wird sowohl durch die Unterstützung bei der Zu­ stellung verfahrenseinleitender Schriftstücke als auch durch die Berücksichti­ gung der Rechtshängigkeit ausländischer Verfahren ebenfalls ein Verfahren vor 581 

Vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Vorbem. Art.  39 ff. Rn.  2. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  865. 583  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.1; Schack, Interna­ tio­nales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  865. 584  Zur Terminologie S. Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.1. 585 So Coester-Waltjen, IPRax 2006, S.  392. 582 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

einem ausländischen Gericht mittelbar anerkannt.586 Diese mittelbare Anerken­ nung ist notwendig, da jeder Staat grundsätzlich nur die Zuständigkeit der eige­ nen Gerichte bindend bestimmen kann.587 Eine grenzüberschreitende Verfah­ rensverweisung existiert bislang grundsätzlich nicht.588 Schließlich wird unter dem Begriff der Anerkennung auch die Anerkennung von Rechtslagen verstanden.589 Die Anerkennung von Rechtslagen dient nicht der Anerkennung von Urteilen oder anhängigen Verfahren, sondern ersetzt viel­ mehr die klassische Verweisungstechnik des IPR.590 Im Folgenden ist zwar mit dem üblichen Sprachgebrauch unter internationaler Anerkennung die internationale Anerkennung im engeren Sinne, also die Urteils­ anerkennung, zu verstehen. Gleichwohl zeigt bereits der terminologische Zu­ sammenhang zwischen der internationalen Anerkennung im engeren und im wei­ teren Sinn die enge Verbindung von Anerkennungs- und Rechtshängigkeits­ recht.591

2.  Begriff der internationalen Anerkennung Weder die Brüssel Ia-VO oder sonstige Verordnungen des EuZVR, noch Art.  81 AEUV definieren den Begriff der internationalen Anerkennung von Entschei­ dungen.592 Mit Blick auf den Jenard-Bericht und die Entscheidung des EuGH in Hoffmann v. Krieg kann man die internationale Anerkennung unter der Brüs­ sel Ia-VO aber als den Prozess definieren, aufgrund dessen die Wirkungen eines Urteils in einem anderen als dem Urteilsstaat berücksichtigt werden können.593 Kapitel III der Brüssel  Ia-VO regelt die „Anerkennung und Vollstreckung“. Auch wenn mit der Brüssel Ia-VO durch den Wegfall des Erfordernisses eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens, des sogenannten Exequaturverfahrens, Aner­

Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), S.  201, 219; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), S.  157, 158. die darin enthaltene Diskrepanz zwischen IZPR und IPR verweisend Neuhaus, Ra­ belsZ 20 (1955), S.  201, 217. 588  Vgl. dazu unten Teil  I §  6 IV 3 b. 589 Vgl. Coester-Waltjen, IPRax 2006, S.  392. 590 Vgl. Coester-Waltjen, IPRax 2006, S.  392. 591  Zu den systematischen Wertungsfriktionen zwischen Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und dem Anerkennungsrecht vgl. unten Teil  III §  1 II. 592  Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.07. 593  EuGH V. 4.2.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann/Krieg , Slg. 1988, I-00645, Rz.  11; JenardBericht, 1971, S.  43; vgl. Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.08; Magnus/Mankowski/Wautelet, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  36 Rn.  3; Cal­ liess/Ruffert/Rossi, EUV/AEUV, 2016, Art.  81 AEUV Rn.  6; zum Jenard-Bericht, 1971 vgl. bereits oben Teil  I §  3 II 3 b. 586 

587  Auf

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

117

kennung und Vollstreckung einander angenähert wurden,594 und sogar von einer Akzessorietät die Rede ist,595 bestehen immer noch Unterschiede.596 Da die Brüs­ sel Ia-VO zwischen Anerkennung und Vollstreckung unterscheidet, ist unter An­ erkennung die Übertragung sämtlicher Urteilswirkungen außer der Vollstreck­ barkeit zu verstehen.597 Die Anerkennung eines Urteils ist auch ohne dessen Vollstreckung möglich.598 Die Vollstreckung betrifft demgegenüber die zwangs­ weise Durchsetzung eines ausländischen Urteils599 und ist von der Anerkennung unabhängig.600 Da Art.  46 Brüssel  Ia-VO für die Vollstreckungsversagung auf die Anerkennungsversagungsgründe verweist, sind Anerkennung und Vollstre­ ckung in Europa parallel zueinander konzipiert.601 Gleichwohl ist auch weiterhin zwischen der Anerkennung und der Vollstreckung von Urteilen zu differenzie­ ren.602

3.  Gegenstand der internationalen Anerkennung Gegenstand der internationalen Anerkennung sind nach Art.  36 Brüssel  Ia-VO Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten.603 Nach Art.  2 Brüssel IaVO sind Entscheidungen sämtliche Akte staatlicher Rechtspflege, in denen den Parteien etwas zugesprochen oder aberkannt wird.604 Dabei kommt es nach Art.  2 Abs.  1 lit.  a Brüssel Ia-VO auf die konkrete Bezeichnung der Entscheidung im Ausland nicht an.605 Der Begriff der Entscheidung ist dabei weit zu verstehen

594 

Vgl. dazu ausführlich Teil  I §  5 I 2. Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S.  758, 764. 596 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Vorbem. zu Art.  39 ff. Rn.  2. 597  So auch schon Martiny, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap. II Rn.  71; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.09. 598  Zum Verhältnis von Anerkennung und Vollstreckung im Allgemeinen vgl. Gottwald, ZZP 123 (1990), S.  257, 260. 599  Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.11. 600  Rechtshistorisch zur Differenzierung zwischen Anerkennung und Vollstreckung Matscher, ZZP 123 (1990), S.  294, 299 f. 601 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Vorbem. zu Art.  39 ff. 2; Art.  39 Rn.  2, 13; Dickinson/ Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.60 f. 602 So im Ergebnis auch Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Vorbem. zu Art.  39 ff. Rn.  2; Art.  39 Rn.  2; kritisch Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  1. 603  Somit fallen die Entscheidungen von Schiedsgerichten nicht unter Art.  36 ff Brüssel IaVO; vgl. Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.28 604  EuGH v. 2.6.1994 – Rs. C-414/92, Solo Kleinmotoren, Slg. 1994, I-02237, Rz.  17, vgl. Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  2 Rn.  2. 605  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.29. 595 So

118

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

und umfasst neben Sachurteilen auch Prozess-606 und Versäumnisurteile607 sowie Beschlüsse und Zahlungsbefehle.608 Ferner erfasst Art.  36 Brüssel  Ia-VO Ent­ scheidungen im einstweiligen Rechtsschutz.609 Für die vorliegende Arbeit ist dabei zum einen bedeutend, dass auch Versäum­ nisurteile nach Art.  36 Brüssel Ia-VO anerkennungsfähig sind. Dies ergibt sich bereits im Umkehrschluss zu Art.  45 Abs.  1 lit.  b Brüssel Ia-VO. Zum anderen ist seit der Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine geklärt, dass nach Art.  36 Brüssel Ia-VO auch Prozessurteile anzuerkennen sind.610 Damit ist auch die Ent­ scheidung eines Gerichts über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinba­ rung in einem Prozessurteil anerkennungsfähig.611

4.  Verfahren der internationalen Anerkennung Urteile mitgliedstaatlicher Gerichte werden nach Art.  36 Abs.  1 Brüssel Ia-VO in den anderen Mitgliedstaaten ohne ein besonderes Anerkennungsverfahren oder die Prüfung von Anerkennungsvoraussetzungen automatisch, ipso iure, aner­ kannt.612 Da es keines Anerkennungsverfahrens bedarf, erfolgt die Anerkennung eines Urteils in der Regel, wie Art.  36 Abs.  3 Brüssel Ia-VO verdeutlicht, in inzidenter Prüfung durch das Zweitgericht. Dafür muss sich in dem dortigen Verfahren le­ diglich eine Partei auf die Rechtswirkung eines ausländischen Urteils berufen.613 Art.  36 Abs.  3 Brüssel Ia-VO normiert dabei die internationale wie örtliche Zu­ EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; Nagel/Gottwald, Internatio­ nales Zivilprozessrecht, 2013, §  12 Rn.  5; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  8; Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, 2015, Art.  2 Rn.  3; Dickinson/Lein/Franzina, The Brus­ sels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.21. 607  EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-394/07, Gambazzi, Slg. 2009, I-02563, Rz.  24; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.29. 608  Vgl. zum ganzen Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  12 Rn.  5–15, hier 5. 609  Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.21. 610  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; vgl. dazu ausführlich unten Teil  I §  6 IV. 611 Vgl. Hau, LMK 2013, 341521; Bach, EuZW, 2013, S.  56, 59; zur Kritik an Gothaer Allgemeine vgl. unten Teil  I §  6 IV. 612  Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn.  2756f; Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  36 Rn.  1; Pohl, IPRax 2013, S.  109, 112; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  188; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.16; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  36 Rn.  1. 613  Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.49; Adolphsen, Eu­ ropäisches Zivilverfahrensrecht, 2015, V §  2 Rn.  45; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  15. 606 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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ständigkeit des befassten Gerichts, über die Anerkennung eines inzident geltend gemachten Urteils zu entscheiden.614 Jedoch kann die Partei, die ein Interesse an der bindenden Feststellung der Anerkennungsfähigkeit hat, nach Art.  36 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auch die Feststel­ lung des Nichtvorliegens von Anerkennungsversagungsgründen beantragen.615 Die Feststellung nach Art.  36 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ist im Gegensatz zur inziden­ ten Entscheidung über die Anerkennungsfähigkeit bindend, sodass divergierende Entscheidungen verschiedener Gerichte im Anerkennungsstaat ausgeschlossen werden.616 Eine negative Anerkennungsfähigkeitsfeststellung auf Antrag des Ur­ teilsschuldners ist ausgeschlossen.617 In Ergänzung zu Art.  36 Abs.  2 Brüssel IaVO sieht Art.  45 Abs.  4 Brüssel Ia-VO ferner die Möglichkeit eines Antrags auf Feststellung der Anerkennungsversagung vor.618 Mit der Brüssel Ia-VO wurde das bislang erforderliche Vollstreckbarerklä­ rungsverfahren, das Exequaturverfahren, abgeschafft.619 Im Falle der Vollstre­ ckung eines Urteils in einem anderen Mitgliedstaat ist nun nach Art.  42 ­Brüssel Ia-VO lediglich die nach Art.  42 Abs.  1 lit.  b in Verbindung mit Art.  53 Brüssel Ia-VO durch das Erstgericht auszustellende Bescheinigung der Voll­ streckbarkeit erforderlich.620 Die Vollstreckung mitgliedstaatlicher Urteile wird dadurch wesentlich beschleunigt, wenn kein Vollstreckungsversagungsverfahren nach Art.  46 Brüssel Ia-VO im Zweitstaat durchgeführt wird. Allerdings wurden bereits unter der Brüssel I-VO ca. 90  % aller grenzüberschreitenden Vollstre­ ckungen ohne die Einwendung von Anerkennungsversagungsgründen im Rah­ men des Exequaturverfahrens durchgeführt.621 Die enge Verbindung von Anerkennung und Vollstreckung wird durch Art.  45 i. V. m. Art.  46 Brüssel Ia-VO verdeutlicht.622 Demnach versagt das Zweitgericht 614 

Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.82. Zivilprozessordnung, 2011, Art.  33 Rn.  2; Linke/Hau, Interna­ tionales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.50. 616 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  15. 617  Rauscher/ Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  16; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.60 f.; a. A. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  36 Rn.  4. 618  Vgl. dazu ausführlich Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsver­ kehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  45 Rn.  141 ff. 619 Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, 2016, Vorbem. zu Art.  39 ff. Rn.  1, Art.  39 Rn.  7–12; zur Diskussion im Rahmen der Reform der Brüssel I-VO über die Abschaffung des Exequatur vgl. Oberhammer, IPRax 2010, S.  197. 620  Domej, RabelsZ 78 (2014), S.  508, 513. 621  So SEK (2010) 1548 endg., Rz.  2.1.1 unter Bezugnahme auf CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  57. 622 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  39 Rn.  13; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.60 f. 615 Stein/Jonas/Oberhammer,

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

die Vollstreckung auf Antrag des Urteilsschuldners, wenn ein Anerkennungsver­ sagungsgrund gegeben ist.

5.  Rechtsfolge der internationalen Anerkennung a)  Grundsatz der Wirkungserstreckung Der EuGH entschied sich in seiner Leitentscheidung zum Anerkennungsrecht in Hoffmann v. Krieg 1988 für den Grundsatz der Wirkungserstreckung.623 Im Ge­ gensatz zur Wirkungsgleichstellung, bei der die Wirkungen eines Urteils dem Recht des Zweitstaats angepasst werden, kommen bei der Wirkungserstreckung dem anzuerkennenden Urteil im Zweitstaat die gleichen Wirkungen wie im Erst­ staat zu.624 Normativ wird dieser Grundsatz aus Art.  65 Abs.  2 und Art.  54 Brüs­ sel Ia-VO abgeleitet.625 Die Wirkungserstreckung trägt dem Prinzip der Urteils­ freizügigkeit sowie dem Vertrauensprinzip Rechnung, da der Zweitstaat das erst­ staatliche Urteil samt dessen Wirkungen und damit als solches anerkennt.626 Die bedeutendste Urteilswirkung ist die Rechtskraft des Urteils. Diese steht einer erneuten Klage über denselben Streitgegenstand oder dasselbe präjudiziel­ le Rechtsverhältnis zwischen denselben Parteien entgegen.627 Neben der Rechts­ kraft ist auch die Präklusionswirkung eines Urteils vom Zweitgericht anzuerken­ nen, wonach einer anerkennungsfähigen Entscheidung widersprechende Sach­ vorträge präkludiert sind.628 Ferner werden auch Gestaltungswirkungen eines Urteils sowie prozessuale Drittwirkungen wie die Interventions- und Streitver­ kündungswirkung von der Anerkennung umfasst und damit auf den Zweitstaat übertragen.629

623  EuGH v. 4.2. 1988 – Rs. 145/86, Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, I-06645, vgl. Rauscher/ Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  4; Stein/Jonas/Oberhammer, Zivilprozessordnung, 2011, Art.  33 Rn.  10; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.29 f.; Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 236 f. 624  EuGH v. 4.2. 1988 – Rs. 145/86, Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, I-06645; Linke/Hau, Inter­ nationales Zivilverfahrensrecht, 2018, §  12 Rn.  12.6. 625  Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.31. 626  Zu diesem Zusammenhang vgl. auch Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 228; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.32. 627 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  5; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  12 Rn.  19; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  186. 628 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  9; Martiny, Handbuch des Interna­tio­ nalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap. II Rn.  77. 629 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  36 Rn.  10 f.; Hess, Europäisches Zivilpro­ zessrecht, 2010, §  6 Rn.  186; Martiny, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap. II Rn.  79.

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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b)  Europäischer Rechtskraftbegriff Eine bedeutende Ausnahme vom Grundsatz der Wirkungserstreckung machte der EuGH in Gothaer Allgemeine.630 Die Entscheidung betraf die Frage, ob das Zweitgericht an die Feststellung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinba­ rung durch das Erstgericht in den Gründen des anzuerkennenden Urteils gebun­ den ist.631 Der EuGH folgte weder der Wirkungsgleichstellung, noch der Wir­ kungserstreckung, sondern entwickelte einen europäischen Rechtskraftbegriff, nach dem Prozessurteile über die internationale Zuständigkeit anerkennungsfä­ hig sind.632 Als Grund für den europäischen Rechtskraftbegriff zog der EuGH die Beson­ derheit der Brüssel I-VO heran, dass in dieser die Zuständigkeits- und Anerken­ nungsregeln für die Mitgliedstaaten einheitlich normiert seien.633 Daher werde die internationale Zuständigkeit von allen mitgliedstaatlichen Gerichten einheit­ lich bestimmt, sodass kein Grund zur Überprüfung der internationalen Zustän­ digkeit durch das Zweitgericht bestehe.634 Explizit verwies der EuGH auf das Vertrauensprinzip und das daraus fließende Verbot der Prüfung der internationa­ len Zuständigkeit des Erstgerichts.635 Im Ergebnis läuft die Entscheidung des EuGH auf eine Spaltung des Begriffs der materiellen Rechtskraft hinaus. Denn Sachurteile werden nach der Wirkungs­ erstreckungslehre, und Prozessurteile über die internationale Zuständigkeit wer­ den nach dem autonomen Rechtskraftbegriff behandelt. Zudem können bei Pro­ zessurteilen über die internationale Zuständigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats unterschiedliche Rechtskraftregime bei internationalen und bei Binnensachver­ halten zur Anwendung kommen.636 Insbesondere kann einem Urteil im Anwen­ dungsbereich der Brüssel Ia-VO eine Wirkung zukommen, die es nicht einmal im Urteilsstaat hat.637 Dies ist etwa in Deutschland bei der Entscheidung eines Gerichts über präjudizielle Rechtsfragen der Fall. Entscheidungen über präjudi­ zielle Rechtsfragen erwachsen nach deutschem Prozessrecht nicht in Rechtskraft 630  Vgl. ausführlich zu EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine unten Teil  I §  6 IV. 631  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; vgl. auch Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 238 f. 632  Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 240; Bach, EuZW 2013, S.  56, 57; Klöp­ fer, GPR 2015, S.  210. 633  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  37. 634  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  37. 635  Hau, LMK 2013, 341521; vgl. auch kritisch Bach, EuZW 2013, S.  57. 636 So Roth, IPRax 2014, S.  136, 138. 637  Bach, EuZW 2013, 56, 57 f.; Roth, IPRax 2014, S.  136, 138; Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 229 f., 243.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

und binden daher andere deutsche Gerichte nicht.638 Findet jedoch der in Gothaer Allgemeine entwickelte europäische Rechtskraftbegriff Anwendung, kann ein mitgliedstaatliches Gericht gleichwohl an die Entscheidung des deutschen Ge­ richts über die präjudizielle Rechtsfrage gebunden sein. Das Urteil des deutschen Gerichts entfaltet dann je nach betroffenem Zweitgericht unterschiedliche Rechtskraftwirkung. Nach Franzina stellt sich aus Sicht des EuGH weniger die Frage nach einem einheitlichen europäischen Rechtskraftbegriff, als vielmehr die Frage nach der Verteilung der internationalen Zuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten, die eben eine gemeinsame Angelegenheit sei und daher einer einheitlichen Lösung bedürfe.639 Deshalb sei die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit eben nicht mehr eine Frage der Souveränität des jeweiligen Mitgliedstaats, son­ dern eine Frage der „regional governance“.640

II.  Anerkennungsversagung nach Art.  45 Brüssel Ia-VO Die Brüssel Ia-VO geht vom Prinzip gegenseitigen Vertrauens aus und dient der Urteilsfreizügigkeit in der EU. Gleichwohl bestehen nach Art.  45 Brüssel Ia-VO eine Reihe von Anerkennungsversagungsgründen, aufgrund derer Urteilen in an­ deren Mitgliedstaaten die Anerkennung versagt werden kann. Die Freizügigkeit von Urteilen ist somit keineswegs ein intrinsisches Dogma integrationspoliti­ scher Provenienz, sondern findet durchaus ihre Grenzen in anderen rechtspoliti­ schen Wertungen.641 Dies verdeutlicht gerade die Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO. Sah der Kommissionsvorschlag noch die nahezu vollständige Abschaffung der Aner­ kennungsversagungsgründe vor,642 wurden diese letztendlich doch beibehalten. Der europäische Gesetzgeber sah die Zeit für eine uneingeschränkte Urteilsaner­ kennung noch nicht gekommen. Vielmehr bedarf es insbesondere aus Sicht des Rats weiterhin des Schutzes bestimmter privater wie öffentlicher Interessen.643 Geimer sieht hierin gar einen Sieg der Traditionalisten gegen die Kommission.644 638 

Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 2018, §  322 ZPO Rn.  28. Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.55; vgl. dazu EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  28 f. 640  Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.55; vgl. aus­ führlich zur Kritik an Gothaer Allgemeine unten Teil  I §  6 IV. 641  Vgl. dazu auch schon oben Teil  I §  4 II 1 b. 642  Vgl. nur Art.  38–45 Brüssel Ia-VO-E, KOM (2010) 748 endg. 643  Dickinson/Lein/Fitchen, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.373. 644  Geimer, in: FS Schütze, 2014, S.  109, 113 639 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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Die Anerkennungsversagungsgründe werden in Art.  45, 67 und 72 Brüssel  IaVO abschließend geregelt. Als Ausnahme von Vertrauensprinzip und Urteilsfrei­ zügigkeit sind sie eng auszulegen.645 Nach Art.  45 Abs.  4 i. V. m. Art.  52 Brüssel Ia-VO ist das Zweitgericht bezüg­ lich der Rechtmäßigkeit des Urteils an die Entscheidung des Erstgerichts gebun­ den. Damit untersagt die Brüssel Ia-VO die révision au fond, die Nachprüfung ergangener mitgliedstaatlicher Entscheidungen durch die Gerichte anderer Mit­ gliedstaaten.646 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bildet die Möglichkeit der Nachprüfung eines ordre public-Verstoßes nach Art.  45 Abs.  1 lit.  a Brüssel IaVO.647 Die Anerkennungsversagungsprüfung wird zusätzlich durch die Tatsachenbin­ dung des Zweitgerichts nach Art.  45 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eingeschränkt.648 Da­ durch soll eine Verzögerung der Anerkennung durch weitere Tatsachenbehaup­ tungen verhindert werden.649 Die Tatsachenbindung bezieht sich nur auf die tat­ sächlichen Feststellungen des Erstgerichts, nicht jedoch auf die rechtlichen Schlussfolgerungen bzw. Bewertungen dieser Tatsachen.650 Ob die vom Erstge­ richt festgestellten Tatsachen einen Anerkennungsversagungsgrund begründen oder nicht, darf das Zweitgericht daher frei nachprüfen. Die Tatsachenbindung erfasst auch die Auslegung von Verträgen.651 Für die vorliegende Arbeit sind die ausnahmsweise Nachprüfbarkeit der erst­ gerichtlichen Zuständigkeit nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel  Ia-VO sowie der ordre public-Vorbehalt nach Art.  45 Abs.  1 lit.  a Brüssel Ia-VO von Bedeutung. Der Darstellung dieser beiden Anerkennungsversagungsgründe soll ein kurzer Überblick über das grundsätzliche Verbot der Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit vorangestellt werden.

1.  Keine Prüfung der Anerkennungszuständigkeit Art.  45 Abs.  3 S.  1 Brüssel Ia-VO schließt die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Urteilsgerichts, der sogenannten Anerkennungszuständigkeit Vgl. etwa EuGH v. 28.4.2009 – Rs. C-420/07, Apostolides, Slg. 2009, I-03571, Rz.  55; Hess, IPRax 2006, S.  348, 359; Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  1; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  12 Rn.  81. 646  Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 2013, §  12 Rn.  87. 647  Vgl. unten Teil  I §  5 II 4. 648  Dickinson/Lein/Fitchen, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.392. 649 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  84. 650 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  86; Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  40. 651 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  85; Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  40. 645 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

oder compétence indirecte, aus.652 Selbst eine offensichtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts kann nach Art.  45 Abs.  3 S.  2 Brüssel Ia-VO nicht zur Versagung der Anerkennung eines Urteils wegen Verstoßes gegen den ordre public führen. Das Nachprüfungsverbot gilt unabhängig davon, ob das Erstgericht seine inter­ nationale Zuständigkeit auf die Brüssel Ia-VO oder sein nationales IZPR gestützt hat,653 und umfasst sowohl die internationale als auch die örtliche und sachliche Anerkennungszuständigkeit.654 Auf einer fehlerhaften Beurteilung der inter­na­ tio­nalen Zuständigkeit basierende Urteile sind daher anerkennungsfähig.655 Das Verbot der Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit basiert auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens. 656 Die Brüssel Ia-VO normiert die inter­ nationale Zuständigkeit in Kapitel II und die internationale Anerkennung und Vollstreckung in Kapitel III für sämtliche Mitgliedstaaten einheitlich. Damit be­ steht aufgrund des Vertrauensprinzips kein Grund für die Nachprüfung der inter­ nationalen Zuständigkeit.657 Denn alle Gerichte wenden dieselben Vorschriften zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit an. Es wird dabei auf die ord­ nungsgemäße Anwendung des Zuständigkeitsregimes durch die mitgliedstaatli­ chen Gerichte vertraut. Die Verweigerung der Urteilsanerkennung wegen man­ gelnder internationaler Zuständigkeit würde vor diesem Hintergrund dem Erst­ gericht unterstellen, die Zuständigkeit nicht korrekt geprüft zu haben. Eine Prüfung der Anerkennungszuständigkeit würde daher das Vertrauensprinzip zu­ mindest einschränken.658 Aus der einheitlichen Anwendung der zuständigkeitsrechtlichen Vorschriften folgt, dass sämtliche Vorträge der Parteien zur internationalen Zuständigkeit nur ein einziges Mal vor dem Erstgericht zu erfolgen haben. Denn ein erneuter Vor­ trag vor dem Zweitgericht ergäbe bei unterstellter einheitlicher Anwendung der Zuständigkeitsregeln keinen Sinn und widerspräche dem Vertrauensprinzip. Treffend formuliert hierzu Briggs: „Where the parties are assumed to stand at arm’s length, and to be able to look after themselves in jurisdictional matters there is no need to permit to be said twice that which need be heard only once.“659 652 Saenger/Dörner, 653 Saenger/Dörner,

HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  27 f. HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  27; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016,

Art.  45 Rn.  73. 654  Vgl. Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  73. 655  Gottwald, ZZP 123 (1990), S.  257, 270. 656 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  70; Vogel, Jurisdiction and Recogni­ tion, 2015, S.  104; vgl. zum Verbot der revision au fond und den sich aus der Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine ergebenden Problemen Teil  I §  6 IV. 657 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  70. 658  So zu Recht E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014, S.  399. 659  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42.

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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Eine Ausnahme von diesem grundsätzlichen Verbot der Nachprüfung der in­ ternationalen Zuständigkeit des Erstgerichts stellt jedoch Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO dar.660 Dieser schützt in Durchbrechung des grundsätzlich die Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit ausschließenden Art.  45 Abs.  3 Brüssel Ia-VO die sogenannten Schutzgerichtsstände sowie die ausschließlichen Gerichtsstände der Brüssel Ia-VO.661

2.  Ausnahme zum Schutz der Schutzgerichtsstände Nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO darf die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts dann nachgeprüft werden, wenn es sich bei dem Beklagten um einen Verbraucher, Versicherungsnehmer662 oder einen Arbeitnehmer handelt. Für diese sehen die Art.  10 ff., 17 ff. und 20 ff. Brüssel Ia-VO besondere Gerichts­ stände vor, in denen bestimmten rechtspolitischen Schutzinteressen Rechnung getragen wird.663 Sie werden daher auch Schutzgerichtsstände genannt. a)  Sinn und Zweck Sinn und Zweck der ausnahmsweisen Nachprüfung der erstgerichtlichen interna­ tionalen Zuständigkeit nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO ist der Schutz von typischerweise schwächeren Parteien.664 Diese sollen sich vor einem unzuständi­ gen Erstgericht gar nicht erst einlassen müssen, sondern dürfen auf die Nachprü­ fung der erstgerichtlichen Zuständigkeit vor dem Zweitgericht im Rahmen der Urteilsanerkennung vertrauen.665 Andernfalls würden sie genau zu jenem „zu­ ständigkeitsrechtlichen Auswärtsspiel“ gezwungen, vor dem die Schutzgerichts­ stände sie gerade schützen sollen.666 „Dass Verbraucher die Mühen eines grenz­ über­schreitenden Prozesses typischerweise schlechter schultern können als ihr professionell agierendes Gegenüber, ist eine rechtspolitisch legitime Überle­ 660 Saenger/Dörner,

HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  30; Nagel/Gottwald, Internationales Zivil­ prozessrecht, 2013, §  12 Rn.  86. 661  Dickinson/Lein/Fitchen, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.372; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  45 Rn.  122. 662  Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO erfasst auch Begünstigte des Versicherungsvertra­ ges oder Geschädigte. Im Folgenden ist der Kürze halber stets von Versicherungsnehmern die Rede. 663  Gsell, ZZP 127 (2014), S.  431, 447. 664 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  45 Rn.  124; Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45, Rn.  30; Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  75; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  45 Rn.  17. 665  Grusic, JPIL 2015, S.  521, 527, 533. 666  Zum Begriff des zuständigkeitsrechtlichen Auswärtsspiels vgl. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  25 Rn.  85.

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gung, die eine – notwendig generalisierende – zuständigkeitsrechtliche Privile­ gierung durchaus rechtfertigt.“667 Durch einen Anerkennungsversagungsgrund wird diese zuständigkeitsrechtliche Privilegierung anerkennungsrechtlich abge­ sichert. Die Nachprüfung der Schutzgerichtstände stößt in der Literatur teilweise auf deutliche Kritik.668 Kritisiert wird, dass die Anerkennungsversagungsgründe an­ tiquiert seien,669 oder dass in Form einer juristischen Zweiklassengesellschaft etwa Verbraucher ungerechtfertigt privilegiert würden.670 Die Nachprüfung wi­ derspreche dem Vertrauensprinzip.671 Zudem nehme die Tatsachenbindung des Zweitgerichts der Prüfung die Effektivität.672 Demgegenüber wird betont, dass die Anerkennungsversagungsgründe legitimen Schutzansprüchen dienten, weil noch immer Unterschiede zwischen den Justizsystemen und daher Gefahren be­ sonders für typischerweise schwächere Parteien bestünden.673 b)  Ausnahmsweise Nachprüfung internationaler Gerichtsstands­vereinbarungen Nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO kann z. B. bei einer Verbrauchersache die Vereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit Kapitel II Abschnitt 4 der Brüssel Ia-VO, den Gerichtsständen für Verbraucher, durch das Zweitgericht nachgeprüft werden. Kapitel II Abschnitt 4 der Brüssel Ia-VO umfasst auch Art.  19 Brüssel Ia-VO.674 Art.  19 Brüssel Ia-VO sieht in Verbindung mit Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO vor, dass die Parteien bei Verbrauchersachen vom objekti­ ven Gerichtsstand nach Art.  17, 18 Brüssel Ia-VO durch eine Gerichtsstandsver­ einbarung abweichen können.675 Dafür muss aber nach Art.  19 Brüssel Ia-VO die Gerichtsstandsvereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit getroffen worden sein (Nr.  1), dem Verbraucher zusätzliche Gerichtsstände eröffnen (Nr.  2) oder,

Gsell, ZZP 127 (2014), S.  431, 447. MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  45 Rn.  64; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivil­ prozessrecht, 2011, Art.  35 Rn.  7; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  214. 669  Hess, in: FS Gottwald, 2014, S.  273, 278. 670  Schütze, in: FS Gottwald, 2014, S.  593. 671  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  214. 672  So BGH, Beschl. v. 02.05.1979 – VIII ZB 1/79, NJW 1980, S.  1223; OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.08.2000 – 5 W 23/00, NJW-RR 2001, S.  858; vgl. auch Hess, Europäisches Zivil­ prozessrecht, 2010, §  6 Rn.  215. 673  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  193. 674  Das Beispiel der Gerichtsstandsvereinbarung unter Beteiligung eines Verbrauchers nach Art.  19 Brüssel Ia-VO kann hier stellvertretend auch für Versicherungs- und Arbeitnehmer gel­ ten, auf die die parallel konzipierten Art.  15 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO Anwendung fin­ den. 675  Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  4 Rn.  43. 667  668 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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wenn die Parteien jeweils ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, die Gerichte dieses Mitgliedstaats bestimmen (Nr.  3). Über Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO darf das Zweitgericht nun die Ver­ einbarkeit der Zuständigkeit des Erstgerichts mit den verbraucherspezifischen Schutzgerichtsständen nachprüfen. Davon wird dann aber eben auch die Zustän­ digkeit oder Unzuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung um­ fasst. Die Voraussetzungen des Art.  19 i. V. m. Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO so­ wie die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Gerichtsstandsvereinbarung kann das Anerkennungsgericht über Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel  Ia-VO vollumfänglich nachprüfen. Das Zweitgericht unterliegt dabei lediglich der Ein­ schränkung des Art.  45 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, wonach das Zweitgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts gebunden ist.676 Die Kombination von Art.  19 Brüssel Ia-VO und Art.  45 Abs.1 lit.  e (i) Brüs­ sel Ia-VO führt folglich dazu, dass bestimmte Gerichtsstandsvereinbarungen be­ reits de lege lata, nämlich etwa bei Verbrauchersachen, durch das Zweitgericht vollumfänglich nachgeprüft werden können. Verstößt das Urteil des Erstgerichts aus Sicht des Zweitgerichts gegen eine wirksam geschlossene Gerichtsstands­ vereinbarung etwa mit einem Verbraucher, kann das Zweitgericht der Entschei­ dung die Anerkennung versagen. Damit stellt Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel IaVO nicht nur eine Durchbrechung des Vertrauensprinzips zugunsten der Schutz­ gerichtsstände im Allgemeinen dar, sondern ermöglicht in bestimmten Fällen auch und gerade die Nachprüfung von Gerichtsstandsvereinbarungen im Rah­ men der Anerkennungsversagung.677

3.  Ausnahme zum Schutz der ausschließlichen Gerichtsstände Neben den Schutzgerichtsständen werden in Art.  45 Abs.  1 lit.  e (ii) Brüssel IaVO die ausschließlichen Gerichtsstände des Art.  24 Brüssel  Ia-VO geschützt. Die erstgerichtliche Zuständigkeit darf vom Zweitgericht auf Verstöße gegen Art.  24 Brüssel Ia-VO nachgeprüft werden. Begründet wird dies mit dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der ausschließlichen Gerichtsstände.678 Diese bezwecken eine Konzentration der in­ ternationalen Zuständigkeit bei besonders sachnahen Gerichten.679 Diese erge­ ben für den jeweiligen Streitgegenstand geradezu das natürliche Forum.680 So Zum Verhältnis von Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO und dem Verbot der revision au fond bei Nachprüfung einer Gerichtsstandsvereinbarung vgl. unten Teil  I §  6 IV 3 c. 677  Für eine kritische Bewertung vgl. unten Teil  I §  6 III. 678 Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  31. 679 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  24 Rn.  3. 680  So Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  24 Rn.  3. 676 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

betrifft etwa Art.  24 Nr.  3 Brüssel Ia-VO mit der Registereintragung eine hoheit­ liche Tätigkeit, für die der betroffene Staat zuständig sein muss.681 Es handelt sich bei den ausschließlichen Zuständigkeiten um die originäre Jurisdiktions­ sphäre des zuständigen Mitgliedstaats.682

4.  Verstoß gegen den ordre public Nach Art.  45 Abs.  1 lit.  a Brüssel Ia-VO ist schließlich eine Entscheidung nicht anzuerkennen, wenn sie in offensichtlicher Weise gegen die öffentliche Ordnung des Zweitstaates, den ordre public, verstößt.683 Dieser bildet für die Mitglied­ staaten einen nach wie vor unverzichtbaren Auffangtatbestand und tritt hinter die spezielleren Anerkennungsversagungsgründe der Art.  45 Abs.  1 lit.  b-e Brüs­ sel Ia-VO zurück.684 Grundsätzlich ist ein Verstoß gegen den ordre public nur in Ausnahmefällen, eben bei offensichtlichen Verstößen, anzunehmen und Art.  45 Abs.  1 lit.  a Brüssel Ia-VO daher besonders restriktiv auszulegen.685 Zunächst ist die Entscheidung des Erstgerichts auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Zweitstaats hin zu untersuchen.686 Liegt ein solcher Ver­ stoß vor, ist anhand gemeineuropäischer Kriterien zu prüfen, ob dieser Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Zweitstaats sich im Rahmen der vom EuGH gesetzten Grenzen befindet.687 Grundsätzlich ist die Berufung auf den ordre public nur dann möglich, wenn im Erststaat sämtliche verfügbaren Rechtsmittel ausgeschöpft wurden.688 Keinen Verstoß gegen den ordre public stellt nach Art.  45 Abs.  3 S.  2 Brüs­ sel Ia-VO die Unzuständigkeit des Erstgerichts dar.689 Die Anerkennungszustän­ digkeit darf in keinem Fall durch das Zweitgericht im Rahmen des ordre public nachgeprüft werden.690

681 Rauscher/Mankowski,

EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  24 Rn.  11. EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  45 Rn.  77. 683  EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-619/10, Seramico Investments, Rz.  51. 684 Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  2 685 Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  2. 686 Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  3. 687  EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-681/13, Diageo Brands, Rz.  42; Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  3. 688  Vgl. zuletzt EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-681/13, Diageo Brands, Rz.  68; vgl. Schulze, IPRax 2016, S.  234, 235. 689  Vgl. MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  45 Rn.  16. 690 Saenger/Dörner, HK-ZPO, 2017, Art.  45 Rn.  10; MüKo-ZPO/Gottwald, 2017, Art.  45 Rn.  56. 682 Rauscher/Leible,

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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III.  Das Interesse an der internationalen Anerkennung Das Recht der Anerkennung unter der Brüssel Ia-VO lässt sich im Folgenden anhand der Interessen der Parteien, der Mitgliedstaaten sowie der gesamteuropä­ ischen Interessen an der Anerkennung einerseits und der Anerkennungsversa­ gung bestimmter Entscheidungen andererseits analysieren. Diese Analyse soll im Folgenden mit Blick auf einen möglichen Anerkennungsversagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen erfolgen.

1.  Parteiinteressen a)  Abschließender Streitentscheid Aus Sicht der Parteien dient die internationale Anerkennung und Vollstreckung zunächst der abschließenden Entscheidung eines Rechtsstreits.691 Der Kläger möchte es in der Regel vermeiden, in jedem Land, in dem der Beklagte etwa vollstreckungsfähiges Vermögen besitzt, jeweils einzeln prozessual vorgehen zu müssen. Er ist an der einmaligen und einheitlichen Entscheidung des Rechts­ streits interessiert.692 Zudem hat der Beklagte in der Regel kein Interesse daran, nach einem etwaigen Obsiegen in einem Staat sich in anderen Staaten erneut prozessual wehren zu müssen.693 Die internationale Urteilsanerkennung führt damit im Interesse beider Parteien zu Rechtssicherheit und idealerweise Rechts­ frieden. b)  Vermeidung widersprechender Entscheidungen Eng verbunden mit dem Interesse an einem abschließenden Streitentscheid ist das Interesse der Parteien an der Vermeidung widersprechender Entscheidun­ gen.694 Wird etwa die Wirksamkeit eines Vertrags in einem Mitgliedstaat anders als in einem anderen Mitgliedstaat bewertet, kann sich daraus in Bezug auf den Vertrag ein sogenanntes hinkendes Rechtsverhältnis und daraus resultierend Rechtsunsicherheit ergeben, weil die Wirksamkeit in den beiden Mitgliedstaaten jeweils unterschiedlich bewertet werden kann.695

Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  877. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  877. 693  Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  877; vgl. zum Ganzen auch Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 221 f. 694  Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  878. 695  Vgl. zu hinkenden Rechtsverhältnissen Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, S.  140. 691  692 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Allerdings können widersprechende Entscheidungen auch im Interesse der Parteien sein. Entscheidet etwa das Erstgericht in der Sache, obwohl es unzustän­ dig ist, kann es aus Sicht zumindest einer der Parteien vorteilhaft sein, wenn ein solches Fehlurteil auf den Urteilsstaat beschränkt bleibt und nicht europaweit anzuerkennen ist. Diesem Interesse tragen etwa die Anerkennungsversagungs­ gründe nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO Rechnung.696 Ferner wird durch die Anerkennungsversagung die Belastung des Beklagten durch die Gerichts­ pflichtigkeit nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO abgemildert.697 Denn kann der Entscheidung eines unzuständigen Gerichts die Anerkennung versagt werden, genügt es, wenn die betroffene Partei die Unzuständigkeit des Erstgerichts erst im Anerkennungsstaat rügt. Damit wird das von Versäumnisurteilen ausgehende Risiko einer Fehlentscheidung über die internationale Zuständigkeit abgemildert und die faktische, aus Art.  28 Abs.  1 Brüssel  Ia-VO hervorgehende Pflicht zur Verteidigung vor unzuständigen Gerichten aufgehoben.698 Ein besonders starkes Interesse an der Anerkennungsversagung besteht bei prorogationswidrigen Urteilen. Erlässt ein nur unwirksam vereinbartes oder ein derogiertes Gericht ein Urteil in der Sache, verstößt es damit gegen eine interna­ tionale Gerichtsstandsvereinbarung oder beruft sich zu Unrecht auf diese.699 Aus Sicht der Partei, zu deren Nachteil der Verstoß gegen Art.  25 Brüssel Ia-VO er­ folgt, wird damit der Sinn einer Gerichtsstandsvereinbarung, nämlich die Zu­ ständigkeit zu fixieren und Rechtssicherheit zu schaffen, untergraben. Aus rechtspolitischer wie ökonomischer Sicht kann ein solcher Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung potenziell beide Parteien treffen. Denn bei Ab­ schluss der Gerichtsstandsvereinbarung ist den Parteien nicht unbedingt klar, welche Partei später Klägerin und welche Beklagte sein wird. Bei abstrakter Be­ trachtung sind damit beide Parteien zunächst daran interessiert, dass einem ge­ gen eine Gerichtsstandsvereinbarung verstoßenden Fehlurteil die Anerkennung versagt wird. Dies ändert sich nur dann, wenn tatsächlich ein Urteil ergangen ist. Die sieg­ reiche Partei ist dann offensichtlich an der Urteilsanerkennung interessiert. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils bestehen kann, das gegen eine Gerichtsstands­ vereinbarung verstößt oder auf einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung beruht. Vgl. zur ratio legis des Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  5 II 2–3. Zu Rechtsschutzlücken in Bezug auf Art.  28 Brüssel Ia-VO vgl. oben Teil  I §  3 IV 3. 698  Vgl. zum Problem der erweiterten Gerichtspflichtigkeit gerade bei Versäumnisurteilen und Derogationen oben Teil  I §  3 IV 2 und 3. 699  Vgl. dazu unten Teil  I §  6 I 2. 696  697 

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Bezeichnenderweise wird in der Literatur zur Brüssel  Ia-VO und ihren Vorgänger­instrumenten an dieser Stelle stets auf allgemeine europäische Rechts­ prin­zipien wie das Vertrauens- oder Urteilsfreizügigkeitsprinzip verwiesen.700 Bei aller inhaltlichen Berechtigung dieses Verweises wird dadurch aber nur un­ zureichend überdeckt, dass bei Betrachtung der Parteiinteressen die Anerken­ nung und Vollstreckung hier nicht notwendig geboten ist. Widersprechende Entscheidungen aufgrund unterschiedlicher Zuständigkeits­ beurteilungen kennt das EuZPR insbesondere in Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel IaVO. Aber auch bei internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen gebietet das ökonomische Interesse der Parteien bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinba­ rung deren Einhaltung. Nur so können Transaktionskosten reduziert und die Zu­ verlässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen gewährleistet wer­ den.701 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO zeigt hier systematisch, dass es gerade auf die Rechtssicherheit im Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinba­ rung ankommt.702 Da aber potenziell beide Parteien negativ betroffen sein kön­ nen, haben bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung beide Parteien ein In­ teresse an der Einhaltung der Gerichtsstandsvereinbarung.703 Die Nachprüfung der Prorogationswidrigkeit eines Urteils im Rahmen eines Anerkennungsversa­ gungsgrundes würde sich daher mit dem Interesse der Parteien an der Einhaltung von Gerichtsstandsvereinbarungen, der ein solcher Anerkennungsversagungs­ grund dienen würde, decken. c)  Kosteneffizienz Der Ausschluss der Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit durch das Anerkennungsgericht vermindert die Kosten für die Parteien. Denn eine Nach­ prüfung im Anerkennungsstaat würde wiederum zu den mit jedem Verfahren ver­ bundenen Kosten führen, auch wenn aufgrund der Tatsachenbindung die zweit­ gerichtliche Entscheidung sich allein auf die rechtliche Würdigung beschränken würde.704 Vordergründig steht diese Kostenreduktion zunächst im Interesse der Parteien. Allerdings ist auch dieses Interesse in Bezug auf internationale Gerichts­ standsvereinbarungen zu relativieren. So forderten etwa im Konsultationspro­ zess zur Brüssel Ia-VO gerade bedeutende Akteure des Europäischen Binnen­ 700  Vgl. nur E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014, S.  399; ausführlich dazu Teil  I §  7. 701  Zum Einfluss von Gerichtsstandsvereinbarungen auf die Transaktionskosten vgl. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  55; vgl. auch ausführlich oben Teil  I §  1 III 1 c. 702  Vgl. dazu oben Teil  I §  4 II 1 a. 703  Vgl. dazu bereits Teil  I §  1 III 1. 704 So E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014, S.  398 f.

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markts die Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile.705 Dies zeigt, dass eventuell zusätzlich anfallende Kosten aufgrund der Prüfung der Anerken­ nungsversagungsgründe durch die von Gerichtsstandsvereinbarungen ausgehen­ de erhöhte Rechtssicherheit aufgewogen werden. Der pauschale Verweis auf die Reduktion der Verfahrenskosten ist damit kein überzeugendes Argument, die Vereinbarkeit eines Urteils mit Art.  25 Brüssel  Ia-VO vom Zweitgericht nicht nachprüfen zu lassen. Er entspricht nicht der marktwirtschaftlichen Realität.706

2.  Mitgliedstaatliche Interessen a)  Souveränitätsinteressen Ein oftmals nicht erklärtes, aber doch präsentes Interesse der Mitgliedstaaten ist die Wahrung ihrer nationalstaatlichen Souveränität. Im Rahmen der Brüssel IaVO wird dies insbesondere an zwei Stellen sichtbar. Zum einen ist die Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU nach wie vor nicht bereit, ausländische Urteile als Hoheitsakte anderer souveräner Nationalstaaten vorbehaltlos anzuerkennen, wie bereits die Beibehaltung der Anerkennungsversagungsgründe des Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO zeigt.707 Vielmehr haben die Mitgliedstaaten teilweise unter ausdrücklichem Verweis auf die eigene Souveränität die Abschaffung der Aner­ kennungsversagungsgründe deutlich abgelehnt. So fand etwa die bulgarische Regierung deutliche Worte: „the existence of a minimum amount of intermediate proceedings and safeguards (grounds for recognition and admittance of enforcement) is necessary in view of the fact that the recognition of a foreign national judgment represents a matter of correlation between sovereignties, where­ by the recipient State accepts within the scope of its sovereignty the effect of a foreign authori­ tative instrument.“708

Zum anderen akzeptieren die Mitgliedstaaten nach wie vor die bindende, grenz­ über­schreitende Verweisung von Verfahren zwischen mitgliedstaatlichen Ge­ richten grundsätzlich nicht.709

705  Für eine ausführliche Darstellung der Antworten auf das Grünbuch KOM (2009) 175 endg. vgl. unten Teil  I §  7 II. 706  Vgl. ausführlich unten Teil  I §  7 II. 707  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  5 II. 708  Deutlich die Stellungnahme der Republik Bulgarien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  2, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017); zum Souveränitätsgedanken vgl. auch Gottwald, ZZP 123 (1990), S.  257, 271. 709  Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 291 f.; Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  443.

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In Bezug auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen besteht ein beson­ deres Souveränitätsinteresse. Haben die Parteien die ausschließliche Zuständig­ keit eines Mitgliedstaats vereinbart, so hat dieses Gericht ein Interesse daran, den Rechtsstreit zu entscheiden. Denn es wäre ein Entzug der Zuständigkeit des ge­ wählten Gerichts, wenn ein derogiertes Gericht sich gegenüber dem forum prorogatum mit seiner Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsverein­ barung durchsetzen würde. Dieses Interesse erkennt Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO im Fall ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen ausdrücklich an.710 Es liegt damit im Interesse der Mitgliedstaaten, dass die durch eine Gerichtsstands­ vereinbarung begründete ausschließliche Zuständigkeit auch eingehalten wird. b)  Wirtschaftliche Interessen Die Urteilsanerkennung fördert den ungehinderten Handelsverkehr zwischen verschiedenen Staaten, insbesondere zwischen den Mitgliedstaaten der EU im Rahmen des Binnenmarkts.711 Denn der freie Verkehr von Urteilen vergrößert die Bereitschaft der Marktteilnehmer zu grenzüberschreitendendem Geschäftsver­ kehr, da sie sich der Durchsetzung ihrer Forderungen sicher sein können.712 Die­ ser Wirtschaftsverkehr wiederum wirkt sich in Form von Steuereinnahmen und Wachstum positiv auf die beteiligten Mitgliedstaaten aus. In einem scheinbaren Widerspruch dazu steht das wirtschaftliche Interesse der Mitgliedstaaten an internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen.713 Denn Ge­ richtsstandsvereinbarungen kommt aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung im Wirtschaftsverkehr eine besondere Funktion zu.714 Daraus folgt, dass die Mit­ gliedstaaten gerade an der durch Gerichtsstandsvereinbarungen verliehenen Rechtssicherheit interessiert sind.715 Eine Stärkung der durch Gerichtsstandsver­ einbarungen gewährten Rechtssicherheit würde der wirtschaftlichen Integration zwischen den Mitgliedstaaten und damit deren wirtschaftlichen Interessen die­ nen. Genau diese Stärkung der Rechtssicherheit würde durch einen Anerken­ nungsversagungsgrund erreicht, weil die Parteien sich auf die Einhaltung einer Gerichtsstandsvereinbarung verlassen könnten. Obwohl die Mitgliedstaaten also grundsätzlich an der ungehinderten Urteilsanerkennung interessiert sind, besteht gerade in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarung jedoch ein scheinbar gegenläu­ figes Interesse an der ausnahmsweisen Anerkennungsversagung prorogationwid­ Vgl. zum telos des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  4 II 1. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn.  880. 712  So der Grundgedanke des EuGVÜ von 1968; vgl. dazu unten Teil  I §  5 I 3 a aa. 713  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  1 III 2. 714  Vgl. oben Teil  I §  1 II . 715  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  1 II 2. 710  711 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

riger Urteile. Aufzulösen ist dieser Zielkonflikt nur durch eine gesamteuropäi­ sche Betrachtung der hinter der Konstitution des Binnenmarkts stehenden, grundsätzlichen Erwägungen.

3.  Gesamteuropäische Interessen Neben den Interessen der Parteien und der Mitgliedstaaten bestehen auch ge­ samt­euro­päische Interessen an der internationalen Anerkennung und Vollstre­ ckung unter der Brüssel Ia-VO. Zentrales Ziel des EuZVR ist der freie Verkehr von Urteilen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das Recht der internationalen Anerkennung unter der Brüssel Ia-VO beruht deshalb auf zwei zentralen Prinzipien: dem Prinzip der Urteilsfreizügigkeit und dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens. a)  Urteilsfreizügigkeit Der Begriff der Urteilsfreizügigkeit kommt zwar weder in Art.  81 Abs.  1 AEUV, noch in Art.  67 AEUV vor. Dennoch wird er allgemein verwendet und normativ in Art.  81 AEUV verankert.716 Unter Urteilsfreizügigkeit ist die möglichst weit­ gehende und ungehinderte Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Urteile in der EU zu verstehen. Sie zielt auf die freie Zirkulation eines einmal erlassenen Urteils im gesamten europäischen Justizraum,717 also zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Urteilsfreizügigkeit garantiert ef­ fektiven, grenzüberschreitenden Rechtsschutz. Ihr dient nach der Rechtspre­ chung des EuGH das gesamte Anerkennungs- und Vollstreckungsregime in Ka­ pitel III der Brüssel Ia-VO.718 aa)  Entwicklung und Funktion Zum rechtspolitischen Ziel der europäischen Integration wurde die Urteilsfreizü­ gigkeit ausdrücklich 1999 im Programm von Tampere erhoben, in dem der Euro­ päische Rat seine Pläne für den 1997 durch den Vertrag von Amsterdam im Pri­ märrecht verankerten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts darleg­

M. Weller, GPR 2012, 34, 37; Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.59. 717  Hess, in: FS Gottwald, 2014, S.  273. 718  EuGH v. 16.3 1994 – Rs- C-414/92, Solo Kleinmotoren, Slg. 1994, I-2237, Rz.  20; EuGH v. 28.3.2000 – Rs. C-7/98, Krombach, Slg. 2000, I-1935 Rz.  19; Hess, JZ 1998, 1021, 1026; vgl. zum Ganzen Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  170. 716 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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te.719 Zur Bildung dieses europäischen Justizraumes setzte der Rat maßgeblich auf das Prinzip der automatischen unionsweiten Anerkennung.720 Das Programm von Tampere und die Schaffung eines europäischen Justiz­ raums knüpften bewusst an die bereits vollzogene Integration auf dem Gebiet des Zivilverfahrensrechts an. Denn der freie Verkehr von Entscheidungen wurde schon 1958, zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses, in Art.  220 EWGV zum rechtspolitischen Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erhoben.721 Die Erleichterung der Urteilsanerkennung sollte das Eintreiben von Forderungen einfacher und effizienter gestalten und dadurch dem Gemeinsamen Markt sowie dem Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Menschen dienen.722 Konsequenterweise forderte die Kommission daher bereits 1959 die damals sechs Mitgliedstaaten zur einheitlichen Regelung der Anerkennung und Vollstreckung auf.723 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Aufforderung der Kommission ver­ einbarten die Mitgliedstaaten der EWG daraufhin 1968 das EuGVÜ als multila­ terales Übereinkommen. Ziel war dem begleitenden Jenard-Bericht zufolge der freie Verkehr konventionsstaatlicher Entscheidungen, wodurch Diskriminierun­ gen vermieden und den wirtschaftlichen und rechtlichen Bedürfnissen der Kon­ ventionsstaaten Rechnung getragen werden sollte.724 Zu diesem Zweck sahen die Art.  26 ff. EuGVÜ die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus anderen Konventionsstaaten vor. Begrenzt wurde die Anerkennung und Vollstreckung nur durch wenige Versagungsgründe.725 Allerdings galten für Anerkennung und Vollstreckung unterschiedliche Verfahren. Während die Urteilsanerkennung nach Art.  26 Abs.  1 EuGVÜ automatisch, ohne besonderes Verfahren erfolgte, sahen die Art.  31 ff. EuGVÜ ein Exequaturverfahren vor.726

719  Zur primärrechtlichen Normierung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Vertrag von Amsterdam vgl. Calliess/Ruffert/Suhr, EUV/AEUV, 2016, Art.  67 AEUV Rn.  5, 10, 74. 720  Rechberger, in: FS Leipold, 2009, S.  300. 721  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  12. 722  Vgl. etwa EuGH v. 10.2.1994 – Rs. C-398/92, Mund Fester, Slg. 1994, I-474, Rz.  11; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  12; Samtleben, in: FS Ansay, 2006, S.  343, 348. 723 Vgl. Jenard-Bericht, 1971, S.  3; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  1 Rn.  1. 724  Jenard-Bericht, 1971, S.  7, 42. 725  Vgl. Art.  26, 27, 28, 31 und 34 Abs.  2 EuGVÜ; dazu Adolphsen, in: Hess (Hg), Die An­ erkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S.  1, 6; Hess, Europäisches Zivilpro­ zessrecht, 2010, §  3 Rn.  13. 726  Zum Exequaturverfahren nach dem EuGVÜ vgl. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  14; vgl. auch bereits oben Teil  I §  5 I 2.

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Unter dem hehren Begriff der Urteilfreizügigkeit verbargen sich folglich zwei vollkommen unterschiedliche Mechanismen der Anerkennung und Vollstre­ ckung. Substantiell sah das EuGVÜ allerdings sowohl bei der Anerkennung als auch der Vollstreckung nur eine geringe Anzahl von Versagungsgründen vor. Da es sich bei dem EuGVÜ um eine convention double handelte, die Regeln zur direkten Zuständigkeit wie auch zur Anerkennungsversagung und damit zur in­ direkten Zuständigkeit enthielt, wurde sowohl im Rahmen der Anerkennung als auch im Rahmen der Vollstreckung grundsätzlich auf eine Nachprüfung der in­ ternationalen Zuständigkeit des Erstgerichts verzichtet.727 Dies wurde allgemein als Fortschritt des Übereinkommens begrüßt und markierte – freilich erst in der Retrospektive – den Beginn des gegenseitigen Vertrauens in die Justizsysteme der jeweils anderen Konventions- bzw. Mitgliedstaaten.728 Auf der Grundlage des EuGVÜ baute sodann der EuGH in einigen Entschei­ dungen zur Urteilsanerkennung und –Vollstreckung den freien Verkehr von Ur­ teilen zwischen den Konventionsstaaten aus.729 Zunächst berief sich der EuGH 1988 in Hoffmann v. Krieg erstmals auf das Prinzip der Urteilsfreizügigkeit und bezeichnete dieses als wesentliches Ziel des EuGVÜ, das dessen Auslegung be­ stimmen sollte.730 Damit lehnte der EuGH bereits terminologisch die Anerken­ nung und Vollstreckung an die Markt- bzw. Grundfreiheiten an.731 Durch diese Aufwertung der Urteilsfreizügigkeit zu einem wesentlichen gemeinschaftsrecht­ lichen Grundsatz konnte der EuGH sodann in einer Reihe von Entscheidungen ab 1994, mit denen er den Gesetzgebungsstillstand auf europäischer Ebene kom­ pensierte,732 die Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe als Aus­ nahmen vom Grundsatz der Urteilsfreizügigkeit eng auslegen und dem Prinzip der Urteilsfreizügigkeit unterordnen.733 Durch die Rechtsprechung des EuGH war damit die Urteilsfreizügigkeit zum bestimmenden Merkmal des europäi­ schen Zivilprozessrechts geworden.

727  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  13; zu den Ausnahmen siehe Art.  28 EuGVÜ. 728  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  13; Geimer, in: FS Beys, 2003, S.  392. 729  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  15; Michaels, in: FS Kropholler, 2008, S.  151, 161 f. 730  EuGH v. 4.2.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 00645, Rz.  10. 731 So Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  15. 732  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  3. 733  EuGH v. 16.3.1994 – Rs- C-414/92, Solo Kleinmotoren, Slg. 1994, I-2237; EuGH v. 28.3. 2000 – Rs. C-7/98, Krombach, Slg. 2000, I-1935; EuGH v. 11.5.2000 – Rs. C-38/98, Maxicar, Slg. 2000, I-2973; vgl. zum Ganzen Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  15.

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Die Rechtsprechung des EuGH wurde in der Folge vom europäischen Gesetz­ geber aufgegriffen. Auf der Grundlage des Vertrags von Amsterdam aus dem Jahr 1997, in dem der Europäischen Gemeinschaft die Gesetzgebungszuständig­ keit für das Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht übertragen wurde,734 konnte in Übereinstimmung mit dem Programm von Tampere durch die 2002 in Kraft getretene Brüssel I-VO das Exequaturverfahren zusätzlich vereinfacht und beschleunigt werden.735 Unter der Brüssel I-VO wurde der Vollstreckungstitel vom Zweitstaat nach Art.  41 Brüssel I-VO insbesondere ohne Prüfung der Aner­ kennungsversagungsgründe ausgestellt.736 Diese wurden nach Art.  43 und 45 Brüssel I-VO erst auf Rechtsbeschwerde des Schuldners geprüft.737 Dies stärkte die Urteilsfreizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten.738 Die Urteilsfreizügig­ keit war zum zentralen Ziel der Brüssel I-VO geworden, auf das sämtliche Rege­ lungen der Verordnung ausgerichtet waren.739 Der eingeschlagene Weg zunehmender Urteilsfreizügigkeit wurde in der Fol­ ge weiter beschritten. Im Haager Programm des Europäischen Rates für die Jah­ re 2005 bis 2009 forderte der Europäische Rat ausdrücklich einen weiteren Aus­ bau des Prinzips gegenseitiger Anerkennung und damit der Urteilsfreizügig­ keit.740 Dem folgte mit Art.  67 und 81 Abs.  1 und 2 AEUV durch den Vertrag von Lissabon die primärrechtliche Normierung der Urteilsfreizügigkeit, auch wenn der Begriff explizit nicht verwendet wurde. Im Stockholmer Programm des Eu­ ropäischen Rates für die Jahre 2010 bis 2014 folgte schließlich ein weiterer Auf­ ruf zur Abschaffung insbesondere des Exequaturverfahrens der Brüssel I-VO.741 Vor diesem Hintergrund konnte nach langwierigen Vorbereitungen zum 10. Januar 2015 die Brüssel Ia-VO in Kraft treten. Mit dieser wurde das Exequatur­ verfahren der Brüssel I-VO endgültig und vollständig abgeschafft und die Prü­ fung der Anerkennungsversagungsgründe auf das Zweitgericht im Rahmen eines vom Schuldner angestrengten Vollstreckungsversagungsverfahrens verlagert.742 734 

Zum Vertrag von Amsterdam und der damit einhergehenden Kompetenzausweitung der EG vgl. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  2 Rn.  5–19. 735  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  16. 736 Vgl. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  16. 737  Vgl. auch Adolphsen, in: Hess (Hg), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozess­ recht, 2014, S.  1, 6; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  16. 738  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  16 f. 739  Vgl. nur Erwgr. Nr.  6 Brüssel  I-VO; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  170. 740  Europäischer Rat vom 5.11.2005, 14292/04, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, S.  35. 741  Das Stockholmer Programm, (ABl.  EU 2010/C 115/01), S.  13. 742  Vgl. etwa die Stellungnahme des Königreichs Schweden zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  1, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).

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Aus den vorangegangenen Ausführungen wird ersichtlich, dass seit dem ­ uGVÜ die Urteilsfreizügigkeit der Verwirklichung des europäischen Binnen­ E markts dienen sollte. Dem Prinzip der Urteilsfreizügigkeit kam bereits unter dem EuGVÜ die Funktion zu, durch die Erleichterung der Anerkennung und Vollstre­ ckung von Urteilen zur wirtschaftlichen Integration der Konventionsstaaten bei­ zutragen. So führt der Jenard-Bericht explizit aus: „Das Übereinkommen geht von dem Grundgedanken aus, daß die Mitgliedstaaten der EWG einen gemeinsa­ men Markt errichten wollen, dessen Merkmale die eines großen Binnenmarktes sein sollen. Daher müssen nicht nur alle für das Funktionieren dieses Marktes bestehenden Hemmnisse beseitigt werden; darüber hinaus muß vielmehr auch alles getan werden, was seine Verwirklichung fördert.“743 Die schon begriffliche Anlehnung der Urteilsfreizügigkeit an die Markt- bzw. Grundfreiheiten durch den EuGH verdeutlicht diesen Zusammenhang.744 In der Folge des Vertrags von Amsterdam745 und dem Programm von Tampe­ 746 re wurde seit Ende der 1990er Jahre das Prinzip der Urteilsfreizügigkeit kon­ tinuierlich ausgebaut und ein Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts geschaffen.747 Verdeutlicht wird diese Entwicklung in eindrucksvoller Weise durch das Stockholmer Programm, nach welchem das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ausdrücklich auch auf Rechtsbereiche wie das Erb- oder Ehegüter­ recht ausgedehnt werden sollte.748 In Brüssel I-VO und Brüssel Ia-VO blieb der Binnenmarkt der maßgebliche Grund für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung und damit für die Urteilsfreizügigkeit.749 Daneben trat der von Art.  67 Abs.  1 AEUV promulgierte Aufbau des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.750 Nach Art.  67 Abs.  4 AEUV soll im Sinne dieses europäischen Justizraums der Zugang zum Recht durch die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen erleichtert wer­ den. Dazu entwickelt die Europäische Union nach Art.  81 Abs.  1 AEUV eine justizielle Zusammenarbeit. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit können Maß­

Jenard-Bericht, 1971, S.  13. Vgl. die prägnante Stellungnahme der Republik Litauen zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., S.  1, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 745  Vgl. dazu oben Teil  I §  5 III 3 a bb. 746  Vgl. dazu oben Teil  I §  5 III 3 a cc. 747  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  1. 748  Das Stockholmer Programm (ABl.  EU 2010/C 115/01), S.  13. 749  Beaumont/Johnston, IPRax 2010, S.  105; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, 2011, Art.  23 Rn.  6. 750  Diese doppelte Bedeutung betonend Calliess/Ruffert/Suhr, EUV/AEUV, 2016, Art.  67 AEUV Rn.  74. 743  744 

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nahmen erlassen werden, „insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktio­ nieren des Binnenmarkts erforderlich ist“.751 Die den Binnenmarkt stärkende Funktion der Urteilsfreizügigkeit wird auch in Erwgr. Nr.  4 Brüssel Ia-VO betont: „Die Unterschiede zwischen bestimmten ein­ zelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerken­ nung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Bin­ nenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vor­ schriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstre­ ckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergan­ gen sind.“ Dass das gesamte Brüssel-Regime auf die Stärkung des Binnenmarkts ausge­ richtet ist, unterstrich der EuGH in seiner Lugano-Entscheidung, indem er der Brüssel I-VO eine im Hinblick auf den Binnenmarkt dienende Funktion zu­ spricht: „Gegenstand dieser Verordnung, und zwar ihres Kapitels II, ist die Ver­ einheitlichung der Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen nicht nur für innergemeinschaftliche Rechtsstreitigkeiten, son­ dern auch für solche mit außergemeinschaftlichem Bezug mit dem Ziel, die Hemmnisse für das Funktionieren des Binnenmarkts, die sich aus den Unter­ schieden der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften ergeben können, zu beseitigen.“752 Das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht der Brüssel Ia-VO ist folglich funktional zu verstehen. Es soll grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr er­ leichtern und fördert damit den Binnenmarkt. Daneben dient es auch dem in Art.  3 EUV neben dem Binnenmarkt zum Ziel erhobenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.753 Mit Streinz lässt sich daher differenzierend feststel­ len: „Die Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen (JZZ) dient der wirtschaftli­ chen Integration im Binnenmarkt, zunehmend aber auch der Stärkung der Rechtsstellung der Unionsbürger.“754

751  Art.  81 Abs.  2 AEUV; vgl. dazu auch Calliess/Ruffert/Rossi, EUV/AEUV, 2016, Art.  81 AEUV Rn.  4–6; Jenard-Bericht, 1971, S.  3; Samtleben, in: FS Ansay, 2006, S.  343, 348. 752  EuGH, Gutachten 1/03 v. 7.2.2006, Slg. 2006, I-01145, Rz.  142; vgl. Fentiman, Interna­ tional Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.42. 753  So auch Magnus/Mankowski/Cuniberti/Rueda, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  39 Rn.  2; Fentiman, International Commercial Litigation, 2010, Rn.  1.44; vgl. dazu auch bereits die an der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen bestehenden Interessen, Teil  I §  5 III. 754  Streinz, Europarecht, 2016, Rn.  1043; so auch Calliess/Ruffert/Suhr, EUV/AEUV, 2016, Art.  67 AEUV Rn.  74–76; Samtleben, in: FS Ansay, 2006, S.  343, 348.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

bb)  Gerichtsstandsvereinbarungen und der Binnenmarkt Wie die Anerkennung und Vollstreckung dienen auch Gerichtsstandsvereinba­ rungen aufgrund ihrer bereits dargelegten, herausragenden wirtschaftlichen Be­ deutung der Integration des Binnenmarkts.755 Denn die zuständigkeitsbezogene Rechtssicherheit ermutigt Unternehmen zu grenzüberschreitender Geschäftstä­ tigkeit, welche ihrerseits wiederum den Binnenmarkt in ökonomischer Hinsicht konstituiert.756 Aus Sicht der Parteien hängt aber das Ausmaß an Rechtsicher­ heit, das eine Gerichtsstandsvereinbarung ihnen verleiht, von der durch sie ver­ liehenen zuständigkeitsrechtlichen Zuverlässigkeit ab. Die Parteien müssen sich auf die Vereinbarung des zuständigen Gerichts verlassen können. Könnte einem Urteil bei Verstoß gegen eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung die An­ erkennung versagt werden, würde dies die von Gerichtsstandsvereinbarungen ausgehende Rechtssicherheit verbessern. Dies wiederum würde einen Anreiz zu grenzüberschreitendem Geschäftsverkehr schaffen und so den Binnenmarkt stärken. Es kommt dabei zu einem scheinbaren Widerspruch. Auf der einen Seite soll die Urteilsfreizügigkeit der Integration des Binnenmarkts dienen, indem Urteile möglichst umstandslos anerkannt werden. Auf der anderen Seite dient bei Vorlie­ gen einer Gerichtsstandsvereinbarung die Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts der durch Gerichtsstandsvereinbarungen verliehenen Rechtssicher­ heit und damit ebenfalls der Integration des Binnenmarkts.757 Sowohl die Ur­ teilsfreizügigkeit als auch deren Einschränkung zum Schutze internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen dienen folglich dem Binnenmarkt. Aufzulösen ist dieser Widerspruch durch einen Blick auf den hinter der Urteils­ freizügigkeit stehenden Zweck. Grundsätzlich stärkt eine möglichst weitgehende Urteilsfreizügigkeit den Binnenmarkt. Gleichwohl lässt sich dieses Ergebnis an­ gesichts der enormen ökonomischen Bedeutung internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen nicht vorbehaltlos aufrechterhalten. 70–90  % der grenzüber­ schreitend tätigen Unternehmen verwenden Gerichtsstandsvereinbarungen.758 Die Einhaltung von Gerichtsstandsvereinbarungen ist für deren ökonomischen Wert und die damit verbundene Rechtssicherheit maßgeblich.759 Beide Aspekte

755 Vgl. zur praktischen Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen oben Teil  I §  1 II 1. 756  Vgl. oben Teil  I §  1 III 1 b. 757  Vgl. zum Zusammenhang von zuständigkeitsrechtlicher Rechtssicherheit gerade in Be­ zug auf Gerichtsstandsvereinbarungen und dem Binnenmarkt oben Teil  I §  1 III 3 b. 758  Vgl. Teil  I §  1 II 1. 759  Vgl. oben Teil  I §  1 III 1 b.

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bilden ebenfalls ein zentrales Ziel der Brüssel Ia-VO und sind damit ebenfalls von entscheidender Bedeutung für den Binnenmarkt.760 Beispielhaft lässt sich diese Überlegung anhand der in besonderem Maße auf ökonomische Effizienz ausgerichteten Versicherungssachen verdeutlichen. Wie gezeigt, kann nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel  Ia-VO das Zweitgericht bei Versicherungssachen im Rahmen eines Anerkennungsversagungsgrundes prü­ fen, ob das erstgerichtliche Urteil mit den Art.  10 ff. Brüssel Ia-VO vereinbar ist. Nach Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO können die Parteien bei Versicherungssachen unter den Bedingungen des Art.  15 Brüssel Ia-VO auch Gerichtsstandsvereinba­ rungen schließen. Die Parteien können dabei nach Art.  15 Nr.  5 Brüssel Ia-VO die internationale Zuständigkeit bei bestimmten, in Art.  16 Brüssel Ia-VO aufge­ zählten Arten von Versicherungsverträgen ohne jegliche Einschränkung ihrer Parteiautonomie frei vereinbaren. Dazu zählen Versicherungsverträge über Schä­ den an Seeschiffen oder Luftfahrzeugen (Art.  16 Nr.  1 Brüssel  Ia-VO) sowie Haftpflichtversicherungen für Transporte mit Schiffen oder Luftfahrzeugen (Art.  16 Nr.  2 Brüssel Ia-VO). Bei Urteilen in Rechtsstreiten über diese ökono­ misch sensiblen Fälle der Versicherung von See- und Lufttransporten sah der Gesetzgeber also kein Problem darin, die Wirksamkeit der von den Parteien ge­ schlossenen Gerichtsstandsvereinbarung durch das Zweitgericht im Rahmen ei­ nes Anerkennungsversagungsgrundes überprüfen zu lassen. Offensichtlich wur­ de hier gerade die durch die Nachprüfung gesteigerte, von Gerichtsstandsverein­ barungen in diesen Fällen ausgehende zuständigkeitsrechtliche Rechtssicherheit höher als der Verlust an ökonomischer Effizienz durch die erneute Prüfung ge­ wichtet. Dieses Beispiel zeigt, dass eine partielle Reduktion der Urteilsfreizügig­ keit durch Normierung eines Anerkennungsversagungsgrundes gerade die öko­ nomische Effizienz des Zuständigkeitssystems der Brüssel  Ia-VO stärken und damit der Integration des Binnenmarkts dienen kann. Ein Festhalten an der Urteilsfreizügigkeit auch prorogationswidriger Urteile würde daher, weil damit eine Einschränkung der Rechtssicherheit in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen und folglich eine Hemmung grenzüberschreiten­ der Geschäftstätigkeit einherginge, gerade nicht der Verwirklichung des Binnen­ markts dienen. Es droht hier die dialektische Verkehrung des gut gemeinten inte­ grationspolitischen topos der uneingeschränkten Urteilsfreizügigkeit in sein öko­ nomisches Gegenteil. Im Ergebnis würde die Nachprüfung der Vereinbarkeit eines Urteils mit Art.  25 Brüssel Ia-VO zwar eine teilweise Einschränkung der Urteilsfreizügigkeit darstellen. Diese würde jedoch durch die damit einhergehen­ de Stärkung des Binnenmarkts aufgewogen. Dass eine Einschränkung der Ur­ teilsfreizügigkeit durch einen Anerkennungsversagungsgrund rechtspolitisch 760 

Vgl. oben Teil  I §  1 III 3 a.

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sinnvoll ist und der Integration des Binnenmarkts dienen kann, zeigt auch eine Betrachtung des neben der Urteilsfreizügigkeit zweiten zentralen Prinzips der Brüssel Ia-VO. b)  Vertrauensprinzip Mit dem Prinzip der Urteilsfreizügigkeit ist das Prinzip gegenseitigen Vertrau­ ens, das Vertrauensprinzip, eng verwoben.761 Nach Hess taucht das Vertrau­ ensprinzip im Europäischen Zivilprozessrecht erstmals mit der eingeschränkten Anerkennungsversagungsmöglichkeit nach Art.  27, 28 EuGVÜ auf.762 Denn wie der Jenard-Bericht verdeutlicht, kann der Verzicht auf die Nachprüfung auslän­ discher Urteile nur mit dem Vertrauen in die Qualität der dortigen Rechtspre­ chung begründet werden: „Wenn die sachliche Nachprüfung der Entscheidung ausgeschlossen wird, so kommt darin das volle Vertrauen in die Rechtspflege des Urteilsstaat zum Ausdruck; dieses Vertrauen in die sachliche Richtigkeit der Ent­ scheidung muß sich, wie es sich von selbst versteht, auch darauf erstrecken, daß der Richter des Urteilsstaats die Zuständigkeitsregeln des Übereinkommen rich­ tig angewendet hat.“763 An diesem Grundsatz hat sich seit Inkrafttreten des ­EuGVÜ nichts geändert, wie der EuGH 2013 in Salzgitter v. Mannesmann ein­ drucksvoll unterstrich: „Wie aus den Erwägungsgründen 16 und 17 der Verordnung Nr.  44/2001 hervorgeht, beruht nämlich die Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung dieser Verordnung auf dem gegensei­ tigen Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Union, und ein solches Vertrauen erfordert, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidungen nicht nur von Rechts we­ gen in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden, sondern auch, dass das Verfahren, mit dem diese Entscheidungen in dem anderen Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt werden, rasch und effizient vonstattengeht […].“764

Auf dem Vertrauensprinzip basiert also die zügige und effiziente Anerkennung von Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte nach Art.  36 ff. Brüssel  IaVO.765 Während aber das Vertrauensprinzip zunehmend zur Begründung einer 761 

Zum Verhältnis von Vertrauensprinzip und zur Anerkennung und Vollstreckung vgl. EuGH v. 26.9.2013 – Rs. C-157/12, Salzgitter Mannesmann, Rz.  31 f. 762  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  13; Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 530; zur Entwicklung des Vertrauensprinzips aus dem europarechtlichen Anerken­ nungsprinzip heraus vgl. Kaufhold, EuR 2012, S.  408, 410 f. 763  Jenard-Bericht, 1971, 46. 764  EuGH v. 26.9.2013 – Rs. C-157/12, Salzgitter Mannesmann, Rz.  32; vgl. auch Dickin­ son/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.59. 765  Ausdrücklich so Erwgr. Nr.  22 Brüssel Ia-VO; vgl. auch Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23; Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2016, Einl. Rn.  11; M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 73.

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immer weiteren Urteilsfreizügigkeit herangezogen wird,766 bleibt gleichzeitig dessen genauer Inhalt undeutlich.767 Grundsätzlich bezeichnet das Vertrau­ ensprinzip, wie der Gesetzgeber in Erwgr. Nr.  26 Brüssel Ia-VO hervorhebt, das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Rechtspflege und die ord­ nungsgemäße Rechtsanwendung innerhalb der EU. Gemeint ist damit die Gleich­ wertigkeit der mitgliedstaatlichen Justizsysteme.768 Dies umfasst die Effizienz, Integrität und Sachkompetenz der mitgliedstaatlichen Gerichte.769 aa)  Vertrauen im EuZPR Das Vertrauensprinzip ist im Primärrecht für Zivilverfahren nicht ausdrücklich definiert.770 Art.  4 Abs.  3 EUV enthält allenfalls Ansätze einer Begriffsbestim­ mung.771 Das Vertrauensprinzip wurde deshalb auch der „Grundmythos“ der Jus­ tiziellen Zusammenarbeit genannt.772 Dennoch stützt die EU die Zusammenar­ beit im Bereich des Zivilrechts nach Art.  81 AEUV ausdrücklich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens.773 Nach M. Weller gründet das Vertrauensprinzip primärrechtlich in Art.  3 Abs.  2 EUV, der den Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne interne Grenzen garantiert. Das gegenseitige Vertrauen ist möglich, weil alle Mitgliedstaaten die Werte des Art.  1 EUV teilen.774 Vor diesem Hintergrund kann Art.  81 AEUV die justizielle Zusammenarbeit im Bereich des Zivilrechts aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung heraus begründen.775 Im Sekundärrecht ist das Vertrauensprinzip insbesondere in den Erwägungs­ gründen der Verordnungen des EuZPR verankert. In den Erwgr. Nr.  16 und 17 Brüssel Ia-VO wird die automatische Anerkennung von Urteilen ohne Anerken­

766  Vgl. nur den Erwgr. Nr.  26 Brüssel  Ia-VO; s. a. Vogel, Jurisdiction and Recognition, 2015, S.  104. 767  M. Weller, JPIL 2015, S.  64; Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 529; Kaufhold, EuR 2012, S.  408, 410. 768 Vgl. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  22; zum Bezugspunkt des ge­ genseitigen Vertrauens vgl. Kaufhold, EuR 2012, S.  408, 426. 769  Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 489; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  29 Rn.  31. 770 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  39 Rn.  5; Kaufhold, EuR 2012, S.  408, 428. 771 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  39 Rn.  5; Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.122. 772  So der Diskussionsbeitrag von M. Weller, zitiert nach Scherpe, ZZP 127 (2014), S.  483, 485. 773  S. etwa Erwgr. Nr.  26 Brüssel Ia-VO; vgl. auch M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 67. 774  M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 74. 775  M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 74 f.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

nungsverfahren auf das Vertrauensprinzip gestützt.776 Erwgr. Nr.  26 Brüssel IaVO begründet die Abschaffung des Exequaturverfahrens ausdrücklich mit dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Seinen Ausgangspunkt nahm das Vertrauensprinzip, wie bereits dargestellt, in der vom EuGVÜ avisierten Urteilsfreizügigkeit.777 Dort war es gerade der ent­ scheidende Fortschritt, dass die Zuständigkeit des Erstgerichts grundsätzlich nicht mehr durch das Zweitgericht nachgeprüft werden durfte. Damit entstand der Gedanke wechselseitigen Vertrauens zwischen den Konventionsstaaten des EuGVÜ,778 was der Jenard-Bericht ausdrücklich hervorhob.779 Das Vertrau­ ensprinzip wird damit dogmatisch aus einer teleologischen Interpretation des Zuständigkeits- und Anerkennungsregimes des EuGVÜ abgeleitet.780 Mit dem Übergang vom EuGVÜ zur Brüssel I-VO wurden unter ausdrückli­ chem Verweis auf das gegenseitige Vertrauen die Anerkennungsversagungsgrün­ de reduziert und deren Geltendmachung auf die Rechtsmittelebene verlagert.781 Sodann begründete die Europäische Kommission Ihren Vorschlag zur Abschaf­ fung des Exequaturverfahrens unter der Brüssel Ia-VO ausdrücklich mit dem Vertrauensprinzip: „Heute ist die justizielle Zusammenarbeit und das gegenseiti­ ge Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten so weit gereift, dass es möglich ist, zu einem einfacheren, kostengünstigeren und standardisierteren Verfahren bei der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen mit Auslands­ berührung überzugehen und die noch bestehenden formalen Hindernisse zwi­ schen den Mitgliedstaaten zu beseitigen.“782 Jedoch haben das Vertrauensprinzip und der darauf basierende Ausbau der Urteilsfreizügigkeit unter der Brüssel Ia-VO einen Dämpfer erhalten. Denn die Mitgliedstaaten sind der Kommission zwar bei der Abschaffung des Exequatur­ verfahrens, nicht aber beim Abbau der Anerkennungsversagungsgründe ge­

M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 82. Jenard-Bericht, 1971, S.  46; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  13; Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 530. 778  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  13. 779  Jenard-Bericht, 1971, S.  46; s. a. auch bereits oben Teil  I §  5 III 3 b; vgl. auch Blobel/ Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 530; Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.10. 780  Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 529; zur Kontinuität von EuGVÜ und Brüs­ sel I-VO vgl. Erwgr. Nr.  19 S.  1, 2 Brüssel I-VO; s. a. Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsver­ einbarungen, 2010, S.  95 f. 781  Erwgr. Nr.  26, 27 Brüssel Ia-VO; Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 530; zur Reduk­ tion der Anerkennungsversagungsgründe vgl. oben Teil  I §  5 II. 782  KOM (2010) 748 endg. S.  6; Nielsen, CMLR 50 (2013), S.  503, 525. 776  777 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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folgt.783 In der Abschaffung des Exequaturverfahrens wird jedoch kein radikaler Systemwechsel, sondern letztlich nur eine verfahrensrechtliche Erleichterung der Anerkennung gesehen. Materiell wird die Urteilsfreizügigkeit durch die Ab­ schaffung des Exequaturverfahrens nicht verbessert, weil die Anerkennungsver­ sagungsgründe eben nicht reduziert wurden.784 Ein größeres gegenseitiges Ver­ trauen lässt sich daraus nicht ablesen. In der Rechtsprechung des EuGH fand das Vertrauensprinzip seinen vorläufi­ gen Höhepunkt mit den Entscheidungen Gasser und Turner. In Gasser befasste sich der EuGH 2003 erstmals mit dem Vertrauensprinzip.785 Er verwies dabei auf den Zusammenhang von vereinheitlichten Zuständigkeitsnormen und gegensei­ tigem Vertrauen.786 Der EuGH stellte fest, dass das zweitbefasste Gericht nie­ mals besser in der Lage sei, die Zuständigkeit des erstbefassten Gerichts und die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu prüfen.787 In Turner setzte der EuGH sodann 2004 seinen im Jahr zuvor in Gasser einge­ schlagenen Kurs fort und erklärte unter ausdrücklichem Verweis auf das Vertrau­ en in die ordnungsgemäße Anwendung der vereinheitlichten Zuständigkeitsre­ geln durch sämtliche mitgliedstaatlichen Gerichte antisuit injunctions für unzu­ lässig.788 Aufgrund des Vertrauensprinzips dürfe kein Gericht die Zuständigkeit eines anderen Gerichts überprüfen.789 Vielmehr widerspreche das Prinzip gegen­ seitigen Vertrauens der Prüfung der Zuständigkeit eines Gerichts durch ein ande­

783 

Vgl. nur die Vorschläge der Kommission in KOM (2010) 748 endg.; vgl. dazu bereits oben Teil  I §  5 II. 784 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  39 Rn.  14 f.; kritisch Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  1. 785  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  42; vgl. dazu aus­ führlich oben Teil  I §  4 I 2; Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 530; kritisch Althammer/ Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23. 786  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  67; Weller, JPIL 2015, S.  64, 85 f.; vgl. zu Gasser auch bereits oben Teil  I §  4 I 2. 787  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  48; vgl. auch Briza, JPIL 2009, S.  537, 538; Dickinson/Lein/Garcimartin, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  11.41. 788  EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02, Turner, Slg. 2004, I-3565, Rz.  27; vgl. dazu auch Kindler, ZVglRWiss 105 (2006), S.  243, 248; M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 86; Althammer/ Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23 f.; zum Verbot von antisuit injunctions unter der Brüssel Ia-VO vgl. auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Vorbem. zu Art.  49–54. 789  Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23, 25 f.; Briza, JPIL 2009, 537, 538; Rauscher/ Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2016, Einl. Rn.  11; zur Prüfung der Angemessenheit der Klageer­ hebung vgl. Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 532; Illmer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S.  688, 690.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

res Gericht, selbst wenn dies indirekt in Form einer gegen eine der Parteien ge­ richteten antisuit injunction erfolgt.790 Durch die in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden Entscheidungen in Gasser und Turner verlieh der EuGH letztlich dem Vertrauensprinzip entschei­ dendes Gewicht. Das Vertrauensprinzip diente nunmehr nicht nur der teleologi­ schen Rechtfertigung von EuGVÜ und Brüssel I-VO, sondern wurde als deren Kernprinzip zur Auslegung des Zuständigkeits- und Anerkennungsregimes her­ angezogen.791 Dies bestätigte der EuGH in den Folgeentscheidungen West Tankers792 und Gothaer Allgemeine793. Die vorangegangen Ausführungen zeigen deutlich, dass das Vertrauensprinzip die Grundlage des europäischen Anerkennungsrechts bildet.794 In ihm spiegelt sich der Wille der Mitgliedstaaten, eine „immer engere Union“ zu bilden und dabei auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens auch justizielle Souveränität teilweise aufzugeben.795 Das hier dargestellte Vertrauensprinzip gilt jedoch keineswegs uneinge­ schränkt. Vielmehr kennt sowohl das Primärrecht als auch das Sekundärrecht eine Reihe von Ausnahmen. Eine solche Einschränkung erfährt das Prinzip ge­ genseitigen Vertrauens zunächst in den Anerkennungsversagungsgründen des Art.  45 Brüssel Ia-VO.796 Würde man das Vertrauensprinzip tatsächlich zum un­ eingeschränkten Dogma erheben, müsste jegliche Nachprüfung von Urteilen so­ wie die Anerkennungsversagung überhaupt ausgeschlossen sein. Für die Europä­ ische Kommission stellt zwar die Nachprüfbarkeit der Anerkennungszuständig­ keit durch das Zweitgericht nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel  Ia-VO eine Einschränkung des Vertrauensprinzips dar, die es abzuschaffen gelte.797 Jedoch konnte sich die Kommission damit bei der Reform der Brüssel Ia-VO nicht durchsetzen.798

Briza, JPIL 2009, S.  537, 541 f. Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 531; Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.67. 792  EuGH v. 10.2.2009 – Rs. C-185/07, West Tankers, Slg. 2009 I-00663, Rz.  30; vgl. dazu. M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 86; Briza, JPIL 2009, S.  537, 546; Dickinson/Lein/Dickinson, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.67. 793  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  29; vgl. Weller, JPIL 2015, S.  64, 87. Ausführlich zu Gothaer Allgemeine vgl. unten Teil  I §  6 IV. 794  Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23, 35; zur Kritik vgl. unten Teil  I §  5 III 3 b cc. 795  Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 535; zum Ziel der „immer engeren Union“ vgl. die Präambel des EUV. 796  M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 70, Fn.  24. 797  SEC (2010) 1547 final, S.  15. 798  Vgl. nur Art.  38 Brüssel Ia-VO-E mit Art.  45 Brüssel Ia-VO. 790  791 

§  5  Anerkennung und Vollstreckung unter der Brüssel Ia-VO

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In der Tat ist bei den verbleibenden Anerkennungsversagungsgründen zu fra­ gen, warum gerade in diesem Bereich ausnahmsweise nicht von der Gleichwer­ tigkeit der Justizsysteme ausgegangen und der Entscheidung des Erstgerichts vermeintlich misstraut werden soll. Prägnant weist Schütze auf diesen Wider­ spruch hin: „Wir nehmen hin, daß die internationale Zuständigkeit beim exis­ tenzbedrohenden Millionenprozeß nicht nachgeprüft wird, schützen aber den Käufer eines Staubsaugers wegen eines Restkaufpreises von DM 97,63.“799 Sinn ergibt dieser vermeintliche Widerspruch nur bei einer rechtspolitischen Betrachtung. Offenbar war den Mitgliedstaaten etwa der Verbraucher- oder Ar­ beitnehmerschutz zu wichtig, als dass dieser ausschließlich dem Urteilsstaat überlassen werden sollte.800 Selbst bei Annahme uneingeschränkten gegenseiti­ gen Vertrauens sind Fehlurteile nicht ausgeschlossen und daher ein Überprü­ fungsmechanismus insbesondere in bestimmten, politisch für wichtig erachteten Bereichen angebracht. Die Anerkennungsversagung wird hier zum Instrument der Rechtspolitik und führt zur Einschränkung des Vertrauensprinzips aus sinn­ vollen rechtspolitischen Erwägungen. Eine wesentliche Einschränkung hat das Vertrauensprinzip zudem mit der Durchbrechung des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO erfahren.801 Denn das in Art.  29 Brüssel Ia-VO verankerte Priori­ tätsprinzip im Rechtshängigkeitsrecht ist Ausfluss des Vertrauensprinzips.802 Einzig das Vertrauen in die Gleichwertigkeit der Justizsysteme der Mitgliedstaa­ ten rechtfertigt es, ein striktes Prioritätsprinzip zu normieren. Bis zur Einführung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO galt dies auch im Fall missbräuchlicher Torpe­ doklagen gegen ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen.803 Zudem bildet nach Neuhaus das Rechtshängigkeitsrecht eine Form der mittelbaren internatio­ nalen Anerkennung.804 Dies unterstreicht die systematische Nähe von Litispen­ denz- und Anerkennungsrecht, denen jeweils das Vertrauensprinzip zugrunde liegt.805 Im Gegensatz zum bislang geltenden litispendenzrechtlichen Vertrau­ ensprinzip stellt die Einführung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO also eine be­ wusste Relativierung des Prinzips gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwertig­

799  Schütze RIW/AWD 1974, S.  428, 429; zustimmend Geimer/Schütze/Geimer, Europäi­ sches Zivilverfahrensrecht, 2010, Art.  35 Rn.  8. 800 Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, Art.  45 Rn.  38. 801  Ausdrücklich so Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491. 802  Vgl. oben Teil  I §  4 I 1. 803  EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003 I-14693, Rz 48; Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 489; Pohl, IPRax 2013, S.  109, 111. 804  Vgl. dazu oben Teil  I §  5 I 1. 805  Vgl. dazu oben Teil  I §  5 I 1.

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keit der Justizsysteme der Mitgliedstaaten dar, wie sie der EuGH in Gasser und Turner entwickelte.806 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Art.  45 Abs.  1 lit.  e und Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO Ausnahmen vom Vertrauensprinzip enthalten. Die­ se basieren auf rechtspolitischen Überlegungen wie dem Schutz bestimmter Par­ teien und der Effizienzsteigerung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. bb)  Rechtspolitische Kritik am Vertrauensprinzip Das Vertrauensprinzip gründet auf dem Postulat der Gleichwertigkeit der mit­ gliedstaatlichen Justizsysteme.807 Nur die gleichermaßen ordnungsgemäße An­ wendung des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts lieferte die Rechtfertigung für gegenseitiges Vertrauen.808 An diesem normativen Postulat der Gleichwertigkeit der Justizsysteme entzündet sich jedoch Kritik.809 Kritisiert wurden insbesondere die Entscheidungen des EuGH in Gasser und Turner. Beide Fälle hätten gezeigt, dass das bedingungslose Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten keineswegs in jedem Fall gerechtfertigt sei.810 Vielmehr werde das Vertrauen gerade durch Missbrauchsmöglichkeiten untergraben.811 Das Vertrauensprinzip habe in der Vergangenheit nach Auffassung der Kritiker dem EuGH als „argumentative All­ zweckwaffe“ gedient.812 Daher fragen etwa Sander und Breßler: „Kann es sich die europäische Rechtsordnung leisten, Zuständigkeitskonflikte unter Ausblen­ dung eklatanter tatsächlicher Unterschiede auf der Grundlage einer postulierten ‚Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes‘ in allen Mitgliedstaaten zu lösen?“813 Ausganspunkt dieser Kritik war stets die faktisch unterschiedliche Verfasstheit der nationalen Justizsysteme mit unterschiedlichen Effizienz- und Zuverlässig­ keitsgraden. So zeigen die Erhebungen der Europäischen Kommission, etwa in den die Justizsysteme der Mitgliedstaaten analysierenden EU Justice Score­ boards, erhebliche Diskrepanzen zwischen den Mitgliedstaaten. Für 2016 resü­ mierte die Kommission zwar immerhin: 806  Vogel, Jurisdiction and Recognition, 2015, S.  95; Pohl, IPRax 2013, S.  109, 111; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 480; zu Vertrauensprinzip und Litispendenzrecht vgl. auch Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  37. 807  Pfeiffer, ZZP 127 (2014), S.  409, 410 f. 808  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  27; vgl. auch bereits oben Teil  I §  5 III 1. 809  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  27; vgl. Roth, IPRax 2006, S.  466, der das gegenseitige Vertrauen eine „Illusion“ nennt. 810  Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23, 30 f. 811  Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23, 32. 812  Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S.  23, 32. 813  Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), S.  157.

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„Even if the situation varies significantly, depending on the respective Member State and indi­ cator, the 2016 Scoreboard reveals some positive signs that efforts to improve justice systems seem to bear fruit.“814

Noch 2015 klang dies allerdings wesentlich pessimistischer: „The 2015 EU Justice Scoreboard reflects the efforts undertaken by Member States to render their national justice systems more effective. It shows certain improvements but at the same time reveals that reaping the benefit of justice reforms takes time. Commitment and determina­ tion are therefore indispensable to achieve more effective justice.“ 815

Auch 2018 zog die Kommission ein verhaltenes Fazit: „[A] number of Member States have shown determination in engaging in justice reforms and managed to further improve the effectiveness of their justice system. However, challenges re­ main not only in the functioning of the justice systems but also regarding the content of certain reforms carried out in Member States.“816

Diesen nicht zu leugnenden, faktischen Unterschieden wurde vom europäischen Gesetzgeber das politisch-normative Postulat der Gleichwertigkeit der Justizsys­ teme gegenübergestellt.817 Pointiert fragt daher etwa M. Weller, wie europäische Bürger Vertrauen in das Rechtssystem Sloweniens haben könnten, wenn nur 25  % der Slowenen dies hätten.818 Im Ergebnis wird von den Kritikern der Schluss gezogen, dass das gegenseiti­ ge Vertrauen nicht die Realität abbilde.819 Es genüge keine abstrakte Begrün­ dung, vielmehr bedürfe es konkreter Hinweise für gegenseitiges Vertrauen.820 Kritisch wird von einem „Mantra“ der Gleichwertigkeit der Rechtssysteme ge­ sprochen, durch das über den Umstand hinweggeholfen werden solle, dass die Vereinheitlichung der Prozessrechte nicht erreicht werden kann.821 Von einem „(mittlerweile ziemlich abgedroschenen) Zauberwort ‚gegenseitiges Vertrauen in die Gleichwertigkeit der Justizsysteme der einzelnen Mitgliedstaaten‘“ ist die Rede.822 Insbesondere die Effizienz der Gerichte der Mitgliedstaaten wird als zu 814 

EU Justice Scoreboard 2016, COM (2016) 199 final, S.  45. EU Justice Scoreboard 2015, COM (2015) 116 final, S.  45. 816  EU Justice Scoreboard 2018, COM (2018) 364 final, S.  53. 817  So etwa Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 535; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 196; vgl. auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  39 Rn.  4; Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 489, Fn.  34. 818  Vgl. den Diskussionsbeitrag von M. Weller, zitiert bei Scherpe, ZZP 124 (2014), S.  483, 485, unter Verweis auf das Flash Eurobarometer 385 – Justice in the EU – Report, November 2013. 819  M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 66 f. 820  Britz, JZ 2013, S.  108. 821  Schütze, in: FS Gottwald, 2014, S.  588. 822  Geimer, in: FS Schütze, 2014, S.  109, 113. 815 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

ungleich bewertet.823 Und auch bei der effektiven und einheitlichen Anwendung von Schutzvorschriften durch die mitgliedstaatlichen Gerichte, auf der das Ver­ trauensprinzip im Grunde beruhe, werden „praktische Vollzugsdefizite“ attes­ tiert.824 Zurückgeführt wird dies auf nachhaltige Unterschiede bei Zusammenset­ zung und Qualifikation der mitgliedstaatlichen Gerichte.825 Die Kritik am normativen Postulat gegenseitigen Vertrauens hat die europäi­ sche Rechtspolitik nicht unberührt gelassen.826 Schon im Stockholmer Pro­ gramm wird die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens als eine der dringendsten Aufgaben beschrieben.827 Seit 2013 wird das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten hinterfragt und mit Hilfe von Scoreboards analysiert.828 Die Kommission hat folglich erkannt, dass Probleme mit dem Vertrauensprinzip be­ stehen.829 Die Kritik am Prinzip gegenseitigen Vertrauens zeigt deutlich, dass rechtspo­ litischer Handlungsbedarf besteht. Die Überdeckung des real nur eingeschränkt bestehenden Vertrauens mit dem normativen Postulat des Vertrauensprinzips birgt die Gefahr, dass das europäische Zivilprozessrecht als eines der zentralen Instrumente der europäischen Integration an Akzeptanz verliert. Allerdings kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass das Vertrauensprinzip bereits als solches abzulehnen oder fehlgeleitet ist. Vielmehr ist das Verdienst des Vertrau­ ensprinzips allein schon aufgrund der darauf gestützten Rechtsinstrumente Brüs­ sel I- und Brüssel Ia-VO evident.830 cc)  Vertrauensprinzip und Gerichtsstandsvereinbarungen Die vorausgegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass das Vertrauensprinzip auf der einen Seite einen der zentralen Grundsätze des EuZPR bildet, auf der anderen Seite jedoch deutliche Kritik hervorruft. Wie in Bezug auf die Urteils­ freizügigkeit kommt es damit scheinbar zu einem Widerspruch. Einerseits dient das Vertrauensprinzip dem Binnenmarkt. Andererseits führt das Vertrauensprin­

Schütze, in: FS Gottwald, 2014, S.  588. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  27, Fn.  132 m. w. N. 825  Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  3 Rn.  27, 134. 826  Vgl. bereits KOM (2004) 401 endg., S.  6; vgl. Kaufhold, EuR 2012, S.  408, 417. 827  Das Stockholmer Programm (ABl.  EU 2010/C 115/01), S.  5; vgl. dazu Teil  I §  5 III 3 a i; Kaufhold, EuR 2012, S.  408, 417. 828  M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 67; vgl. etwa das EU Justice Scoreboard 2016 COM (2016) 199 final. 829  M. Weller, JPIL 2015, S.  64, 67. 830  Zur Funktionalität des Vertrauensprinzips vgl. auch Blobel/Späth, ELR 30 (2005), S.  528, 541. 823  824 

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zip dazu, dass mit einer Gerichtsstandsvereinbarung unvereinbare Urteile im Zweitstaat anzuerkennen sind. Einen Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen, unternahm der Gesetzgeber im Litispendenzrecht mit der Implementierung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO. Das Vertrauensprinzip wurde im Litispendenzrecht ein Stück weit eingeschränkt, um damit über den Schutz ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen die binnenmarktintegrierende Funktion des Brüssel-Regimes zu stärken.831 Der Ge­ setzgeber erkannte hier zu Recht, dass ein Weniger an gegenseitigem Vertrauen ein Mehr an Rechtssicherheit in Bezug auf ausschließliche Gerichtsstandsverein­ barungen und damit an Binnenmarktintegration bedeuten kann. Aufgrund der aufgezeigten Rechtsschutzlücken in Bezug auf Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO ver­ mögen internationale Gerichtsstandsvereinbarungen den Parteien jedoch nicht die erforderliche, unverbrüchliche zuständigkeitsrechtliche Rechtssicherheit zu verleihen, die für die optimale Integration des Binnenmarkts aber erforderlich ist. Ein Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz gegen prorogationswidrige Urteile würde daher eine sinnvolle Ergänzung von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO darstellen und den Binnenmarkt stärken.

IV.  Zwischenergebnis Bei Betrachtung der am Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der Brüs­ sel Ia-VO bestehenden Interessen zeigt sich eine gewisse Ambivalenz. Die ge­ samteuropäischen und mitgliedstaatlichen Interessen sowie die Interessen der Parteien sind einerseits auf eine möglichst weitgehende Urteilsfreizügigkeit ge­ richtet. Andererseits besteht aus sämtlichen drei Perspektiven ebenso ein mani­ festes Interesse an zuständigkeitsrechtlicher Rechtssicherheit aufgrund internati­ onaler Gerichtsstandsvereinbarungen. Gerade diese Rechtssicherheit wird aber unterlaufen, wenn prorogationswidrige Urteile im gesamten europäischen Justiz­ raum Urteilsfreizügigkeit genießen. Aufgelöst wird diese rechtspolitische Ambivalenz durch einen Blick auf die dahinter liegenden Gründe. Das Interesse an der Zuverlässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen und der daraus erwachsenden Rechtssicherheit dienen der Stärkung und Integration des Binnenmarkts. Denn nach Auffassung der Kommission wie auch der Marktakteure beeinflusst die zuständigkeitsrecht­ liche Rechtssicherheit maßgeblich die Entscheidung zu grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit in Europa. Je mehr Rechtssicherheit die Brüssel Ia-VO in Be­

831 

Vgl. zu Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und Vertrauensprinzip oben Teil  I §  4 II 1 b.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

zug auf die internationale Zuständigkeit zu bieten vermag, desto eher werden Unternehmen grenzüberschreitend und damit im Binnenmarkt aktiv.832 Vertrauensprinzip und Urteilsfreizügigkeit dienen nach der klaren Konzeption der Brüssel Ia-VO ebenfalls der Verwirklichung des Binnenmarkts. Denn auch der Abbau von rechtlichen Hürden im europäischen Wirtschaftsverkehr soll die Marktakteure dazu ermutigen, im europäischen Ausland wirtschaftlich aktiv zu werden. Sowohl hinter dem Ziel der Stärkung von Gerichtsstandsvereinbarungen als auch hinter der auf gegenseitigem Vertrauen beruhenden Urteilsfreizügigkeit steht damit das rechtspolitische Ziel, den europäischen Binnenmarkt zu fördern. Ein Anerkennungsversagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen würde die Urteilsfreizügigkeit von unter Verstoß gegen Art.  25 Brüssel Ia-VO ergehen­ den Urteilen ein Stück weit einschränken.833 Wie in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO würde das uneingeschränkte Vertrauen in Urteile des Erststaats bei Gerichts­ standsvereinbarungen aufgelockert. Jedoch würde diese Einschränkung gerade nicht zu einer Desintegration des Binnenmarkts und damit zu einem Rückschritt an europäischer Integration führen. Denn die Einführung eines solchen Anerken­ nungsversagungsgrundes würde auf der anderen Seite die von Gerichtsstands­ vereinbarungen ausgehende Rechtssicherheit erhöhen und dadurch mehr Anreize zu grenzüberscheitendem Handel liefern.

832 

Vgl. zu diesem Zusammenhang bereits oben Teil  I §  1 II. de lege ferenda zu einem Anerkennungsversagungsgrund im Falle prorogations­ widriger Urteile unten Teil  III. 833 Vgl.

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Anerkennung prorogationswidriger Urteile. In den vorangegangen Kapiteln wurden Systematik und Wertungen des Rechts internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen sowie der internationalen Anerkennung und Vollstreckung dargestellt. Vor diesem Hintergrund sollen nun die Betrachtungen zusammengeführt und die Anerkennung prorogationwidriger Urteile de lege lata dargestellt werden. Die Versagung der Anerkennung eines prorogationswidrigen Urteils erfordert zunächst die Klärung des Begriffs der Prorogationswidrigkeit (I.). Sodann soll das Verbot der Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile nach der gegenwärtigen Rechtslage dargestellt (II.) und insbesondere die Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine834 analysiert werden (III.). In einem letzten Schritt soll schließlich eine Ausnahme aufgezeigt werden, nach der internationa­ le Gerichtsstandsvereinbarungen bereits de lege lata anerkennungsrechtlich ge­ schützt werden (IV.).

I.  Prorogationswidrige Urteile 1.  Begriff der Prorogationswidrigkeit Prorogationswidrigkeit bezeichnet die Unvereinbarkeit eines Urteils mit Art.  25 Brüssel  Ia-VO. Das Erstgericht wendet also Art.  25 Brüssel  Ia-VO nicht ord­ nungsgemäß an. Dies kann auf vier Arten erfolgen. Das Gericht kann erstens seine eigene Zuständigkeit zu Unrecht für vereinbart halten. Zweitens kann es seine eigene Derogation zu Unrecht für unwirksam halten oder ganz übersehen. In beiden Fällen nimmt das Gericht nach Prüfung der Gerichtsstandsvereinba­ rung fälschlicherweise seine eigene Zuständigkeit an und entscheidet in der Sa­ che. Drittens kann das angerufene Gericht sich selbst aber auch zu Unrecht für derogiert halten und sich in der Folge für unzuständig erklären. Schließlich kann 834 

EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine.

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das Gericht viertens die Vereinbarung seiner Zuständigkeit zu Unrecht für un­ wirksam halten und sich ebenfalls für unzuständig erklären. Problematisch am Begriff der Prorogationswidrigkeit ist der anzuwendende Maßstab. Denn ob ein Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, ist oftmals nicht klar zu bestimmen. Probleme können sich hier insbesondere dann ergeben, wenn dem befassten Gericht ein gewisser Spielraum bei der Beur­ teilung von Tatsachen zukommt.835 Ob beispielsweise das Verhalten der Parteien den zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten im Sinne des Art.  25 Abs.  1 S.  3 lit.  b Brüssel Ia-VO entspricht und damit eine formwirksame Eini­ gung über eine Gerichtsstandsvereinbarung darstellt, setzt eine Einzelfallbe­ trachtung voraus, die von unterschiedlichen Gerichten auch unterschiedlich vor­ genommen werden kann. Auch bei der Bestimmung des inhaltlichen Umfangs einer Gerichtsstandsvereinbarung, etwa der von ihr umfassten Rechtsverhältnis­ se,836 kommt es auf eine Auslegung an, die ebenfalls nicht immer eindeutig vor­ zunehmen ist. Die hohe Zahl an Vorlagefragen der nationalen Gerichte an den EuGH insbesondere zur Auslegung der Formwirksamkeitstatbestände verdeut­ licht diese Unsicherheit.837 Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass eine fehlerhafte Anwendung von Art.  25 Brüssel  Ia-VO schwer bestimmbar ist, und Gegenstand relativer Rechtserkenntnis im Einzelfall sein muss. Insbesondere, wenn es nicht um die Tatsachenfindung, sondern die Subsumtion geht, können in der Sache begründe­ te Diskrepanzen auftreten. Bereits das Vertrauensprinzip im europäischen Zivil­ prozessrecht gebietet hier den nötigen Respekt vor der begründeten Entschei­ dung eines mitgliedstaatlichen Gerichts, sodass von einer Fehlentscheidung nicht ohne weiteres die Rede sein kann.838 Es kann vielmehr schlichtweg zu zwei verschiedenen Prüfungsergebnissen hinsichtlich der internationalen Zuständig­ keit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung kommen. Insofern bezeichnet die Prorogationswidrigkeit eines Urteils immer die Unvereinbarkeit mit Art.  25 Brüssel Ia-VO aus Sicht des Zweitgerichts. Diese Konzeption liegt auch Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO zugrunde, der ebenfalls zwei verschiedene Prüfungs­ ergebnisse zulässt, indem er die zweitgerichtliche Prüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit zulässt, ohne aber die erstgerichtliche Zuständigkeitsprüfung da­ mit aufzuheben.839 Mit einem Anerkennungsversagungsgrund werden, wie be­ 835  Zur Gefahr der unterschiedlichen Auslegung von Tatbestandsvoraussetzungen s.  a. Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  183. 836  Vgl. oben Teil  I §  2 II 1. 837  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  4 V 1; zu dieser Unsicherheit s.  a. Geimer, in: FS Gott­ wald, 2014, S.  183. 838  Vgl. zum Vertrauensprinzip oben Teil  I §  5 III 3 b. 839  Vgl. zu Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  5 II 2.

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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reits ausgeführt, aus rechtspolitischen Erwägungen sich widersprechende Ent­ scheidungen hingenommen.840

2.  Arten prorogationswidriger Urteile Prorogationswidrige Urteile können in prorogationswidrige Sachurteile und pro­ rogationswidrige Prozessurteile untergliedert werden. a)  Prorogationswidrige Sachurteile Zunächst kann das Erstgericht eine Gerichtsstandsvereinbarung fälschlicherwei­ se für wirksam und sich daher für prorogiert halten. Das Erstgericht kann aber auch seine eigene Derogation für unwirksam und sich deshalb für zuständig hal­ ten. In beiden Fällen nimmt es seine internationale Zuständigkeit an und erlässt in der Sache ein Urteil, etwa über den geltend gemachten Anspruch. Die Ent­ scheidung wird in diesem Fall aus Sicht des Zweitgerichts von einem unter Be­ rücksichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung unzuständigen Erstgericht erlas­ sen. Es liegt ein prorogationswidriges Sachurteil vor. b)  Prorogationswidrige Prozessurteile Neben prorogationswidrigen Sachurteilen ist auch die Feststellung der Wirksam­ keit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung durch das Erstgericht denkbar. Insbesondere wenn das Gericht seine Zuständig­ keit ablehnt, erlässt das Gericht ein Prozessurteil, in dem das Gericht implizit oder explizit auch die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung fest­ stellt.841 Aber auch bei Annahme der eigenen Zuständigkeit kann das Gericht, etwa in einem Zwischenfeststellungsurteil, über die Wirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung entscheiden.842 Die internationale Zuständigkeit und die da­ mit verbundene Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinba­ rung sind dann selbst Gegenstand des Prozessurteils. Damit besteht die Möglichkeit eines Urteils, in dem als Hauptfrage die Wirk­ samkeit oder der Umfang einer Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt wird.843 Ebenso besteht die Möglichkeit, dass, wie in der Entscheidung des EuGH in 840  841 

Vgl. zu widersprechenden Entscheidungen vgl. oben Teil  I §  5 III 1 b. So der Fall in EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; vgl. dazu Teil  I

§  6 IV. 842  Zur Möglichkeit eines Zwischenfeststellungsurteil vgl. LG Trier, IPRax 2004, S.  249; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  31 Rn.  10. s.  a. oben Teil  I §  4 III 4. 843  So etwa OLG Bremen, Urt. v. 25.04.2014 – 2 U 102/13, IPRax 2015, S.  354, Folgeent­ scheidung zu EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Gothaer Allgemeine,844 ein Gericht sich nach Art.  25 Brüssel Ia-VO für unzustän­ dig hält und die Klage abweist. Beide Formen von Urteilen können nicht proro­ gationswidrig im eigentlichen Sinne sein, weil das Erstgericht ja gerade über seine Zuständigkeit und damit die Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden durf­ te. Denn eine Kompetenz-Kompetenz existiert unter der Brüssel Ia-VO ja gerade nicht.845 Die Urteile können aber aus Sicht des Zweitgerichts mit Art.  25 Brüs­ sel Ia-VO unvereinbar und damit prorogationswidrig sein, weil sie die Gerichts­ standsvereinbarung der Parteien aus Sicht des Zweitgerichts rechtlich nicht rich­ tig würdigen. Auch Prozessurteile können damit prorogationswidrig sein. Nach der Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine erwachsen proroga­tions­ widrige Prozessurteile in Rechtskraft und erlangen Anerkennungsfähigkeit.846

3.  Ursachen prorogationswidriger Urteile Für ein prorogationswidriges Urteil kommen verschiedene Gründe in Betracht. Zunächst kann das Erstgericht schlicht keine Kenntnis von der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung gehabt haben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Erstgericht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung derogiert wurde, der Kläger jedoch bei Säumnis des Beklagten das Vorliegen der Gerichts­ standsvereinbarung nicht vorträgt.847 Eine solche Konstellation lag etwa der Ent­ scheidung des EuGH in Thomas Cook zugrunde.848 Im Rahmen eines Antrags auf einen Europäischen Zahlungsbefehl gab der Antragsteller die Derogation des angerufenen Gerichts nicht an. Das Gericht konnte daher seine eigene Deroga­ tion durch die Parteien überhaupt nicht berücksichtigen und erließ einen Europä­ ischen Zahlungsbefehl nach der EuMahnVO.849 Ein prorogationswidriges Urteil kann aber auch dadurch zustande kommen, dass das Erstgericht die Gerichtsstandsvereinbarung nur oberflächlich oder über­ haupt nicht prüft. Insbesondere in Säumnisverfahren besteht die Gefahr, dass ein Versäumnisurteil ohne eine weitergehende Prüfung der Derogation oder eine nur oberflächliche Prüfung der Prorogation des Erstgerichts ergeht, weil hier der Vor­ trag des säumigen Beklagten fehlt und das Gericht daher auf der Grundlage des 844  Vgl. zu EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine ausführlich unten Teil  I §  6 IV. 845  Vgl. dazu oben Teil  I §  4 II 1. 846  So der Fall in EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine; vgl. dazu Teil  I §  6 IV. 847  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  3 IV 3. 848  EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-145/14, Thomas Cook. 849  Verordnung (EG) Nr.  1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens.

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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klägerischen Vortrags entscheidet.850 Der Kläger wird aber kaum zur Unwirk­ samkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vortragen, und daher das Gericht nicht ohne weiteres erkennen können, ob ein die Gerichtsstandsvereinbarung aufhe­ bender oder modifizierender weiterer Vertrag vorliegt oder seitens des Beklagten etwa Probleme bezüglich Stellvertretung oder Geschäftsfähigkeit bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung bestanden. Ein weiterer Grund für prorogationswidrige Urteile kann der Umstand sein, dass das Erstgericht die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung anders aus­ legt als das Zweitgericht. Insbesondere der Umfang der Gerichtsstandsvereinba­ rung, also die von ihr erfassten Ansprüche, kann divergierend beurteilt werden, da hier ein Beurteilungsspielraum besteht, den die Gerichte unterschiedlich aus­ füllen können.851 Prorogationswidrige Urteile können ferner dadurch zustande kommen, dass das Erst- und das Zweitgericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung unterschiedlich beurteilen.852 Dies kann etwa an der mangelnden Vertrautheit ei­ nes der Gerichte mit der lex fori prorogati liegen, nach der sich die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung bemisst.853 Hinzu kommt, dass der Verweis auf die lex fori prorogati in Art.  25 Abs.  1 Brüssel  Ia-VO eine Gesamtverweisung darstellt, mithin die lex fori prorogati einschließlich ihres Kollisionsrechts an­ wendbar ist.854 Es kommt daher nicht unbedingt zu einem Gleichlauf von Ge­ richtsstand und Prorogationsstatut.855 Vielmehr müssen sich die Gerichte häufig mit unbekanntem Kollisionsrecht und dem jeweils davon bestimmten Recht aus­ einandersetzen. Dies kann eine Fehlerquelle darstellen. Besondere Probleme dürfte bei der Wahl mehrerer Gerichte die kumulative Anwendung mehrerer Prorogationsstatute aufwerfen, insbesondere wenn ein Ge­ richt die Wirksamkeit seiner eigenen Derogation nach verschiedenen fremden Rechten zu beurteilen hat.856 Da bislang nicht abschließend geklärt ist, wonach sich das Prorogationsstatut bestimmt,857 besteht hier ein Potenzial für Fehlent­ scheidungen bzw. zumindest divergierende Entscheidungen. 850 

So etwa OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.07.2005 – 9 W 8/05, BeckRS 2005, 08388. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.40; zur inhaltlichen Bestimmtheit von Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. oben Teil  I §  2 II 1. 852  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.40; dies war wohl etwa der Sachverhalt in Gothaer Allgemeine; vgl. auch Bach, EuZW 2013, S.  56, 57. 853 So Radicati di Brozolo, IPRax 2010, S.  121, 122. 854  Zum Problem unterschiedlichen Kollisionsrechts gerade in Bezug auf Gerichtsstands­ vereinbarung vgl. Radicati di Brozolo, IPRax 2010, S.  121, 122. 855  Vgl. dazu oben Teil  I §  2 II 3 c. 856  Zur kumulativen Anwendung bei Prorogation mehrerer Gerichte s.  o. oben Teil  I §  2 II 3 c aa. 857  Vgl. bereits oben Teil  I §  2 II 3 c bb. 851 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Ein bedeutender Grund für divergierende Entscheidungen zwischen Erst- und Zweitgericht über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung dürfte auch das Stellvertretungsrecht sein. Das auf die Stellvertretung anwendbare Recht wird von Art.  25 Brüssel Ia-VO wohl nicht erfasst und bestimmt sich folg­ lich nach autonomem Kollisionsrecht.858 Damit können Derogationen zum einen geschickt umgangen werden. Zum anderen gebietet das Vertrauensprinzip hier gerade nicht, dass das Zweitgericht die erstgerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vorbehaltlos anerkennt. Denn das Vertrauensprinzip bezieht sich lediglich auf die einheitliche Anwendung der Vor­ schriften der Brüssel Ia-VO, in der aber die Stellvertretung gerade nicht geregelt ist.859 Hinzu kommt, dass die Vertretungsmacht von für den Vertragspartner teil­ weise nur schwer zu überschauenden Vollmachten abhängen kann. Gerade be­ züglich Gerichtsstandsvereinbarungen besteht hier ein Einfallstor für nationales Recht, dessen mitunter unvorhersehbare Wertungen und Auslegung insbesonde­ re für die jeweilige ausländische Partei reale Gefahren mit sich bringen können. Eine problematische Ursache prorogationswidriger Urteile ist auch die Be­ günstigung heimischer Parteien.860 Zwar sollte theoretisch nach dem Vertrau­ ensprinzip jede europäische Gerichtsbarkeit gleichermaßen effizient, kompetent und unabhängig sein.861 Faktisch bestehen hier jedoch erhebliche Divergen­ zen.862 Aber auch in effizienten Gerichtsbarkeiten ist die schwer beweisbare Ge­ fahr national gefärbter Rechtsprechung denkbar. Einem prorogationswidrigen Urteil geht zwangsläufig eine prorogationswidri­ ge Klage voraus. Solche Klagen können unterschiedliche Ursachen haben. Schröder weist zutreffend darauf hin, dass in der Umgehung einer Gerichts­ standsvereinbarung durch eine Partei nicht notwendigerweise ein Vertragsbruch zu sehen ist. Vielmehr sei zu akzeptieren, dass sich die Zuständigkeitsinteressen einer Partei auch nach Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung ändern kön­ nen.863 Nur solche Gerichtsstandsvereinbarungen stellten einen Ausdruck partei­ dienlicher Vernunft dar, an die sich sämtliche Parteien auch im Streitfall hal­ ten.864 Gleichwohl stellen Gerichtsstandsvereinbarungen eben eine vertragliche Abrede des Gerichtsstands dar.865 Mit Recht wird daher in Literatur wie Recht­ 858 

Vgl. oben Teil  I §  2 II 3 b. Zum Bezugspunkt des Vertrauensprinzip vgl. bereits Teil  I §  5 III 3 b aa. 860  So etwa Kindler, in: Poccar/Villata/Villarengo (Hg.), Recasting Brussels I, 2012, S.  57, 67. 861  Vgl. dazu oben Teil  I §  5 III 3 b aa. 862  Vgl. Teil  I §  5 III 3 b cc. 863  Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  476. 864  Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1988, S.  476. 865  Zur rechtlichen Natur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen S. Teil  I §  1 I. 859 

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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sprechung betont, dass die Einhaltung dieser Abrede und die damit verbundene Rechtssicherheit für den Wert internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen zen­ tral sind.866 Als Ursache für eine prorogationswidrige Klage kommt zunächst eine unter­ schiedliche Beurteilung der Gerichtsstandsvereinbarung durch die Parteien in Betracht. Zulässigkeit, Wirksamkeit und Auslegung können jeweils von den Par­ teien abweichend beurteilt werden. Nicht jede prorogationswidrige Klage muss deshalb auch rechtsmissbräuchlich oder prozesstaktisch bedingt sein. Ein Grund für prorogationswidrige Klagen kann allerdings auch das Ziel des Klägers sein, sich entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung einen Vorteil zu ver­ schaffen. Grund für die prorogationswidrige Klage ist in diesem Fall der soge­ nannte ex post-Opportunismus einer der Parteien, bei dem eine Partei gegen die Gerichtsstandsvereinbarung verstößt, weil ihr dies zur Sicherung eines Vorteils opportun erscheint.867 So kann die Partei vor einem Gericht ihres Heimatstaats klagen, um sich ein Heimspiel samt der damit verbundenen Vorteile zu verschaf­ fen.868 Dabei können neben der Gerichtssprache und der weniger kostenintensi­ ven Verfügbarkeit juristischen Beistands auch eine tendenzielle Freundlichkeit der Gerichte gegenüber heimischen Klägern und damit einhergehende Vorbehal­ te gegen ausländische Parteien eine Rolle spielen.869 Ferner sind, wie gezeigt, die Vorfragen der Geschäfts- und Rechtsfähigkeit sowie der Wirksamkeit der Stellvertretung, die Art.  25 Brüssel Ia-VO nicht er­ fasst, in Europa nicht vereinheitlicht.870 Hier kann sich je nach nationalem Kolli­ sionsrecht forum shopping auch entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung nach wie vor durchaus lohnen.871 Zudem werden Klagen nicht nur mit dem Ziel der Lösung von Rechtsstreitig­ keiten erhoben. Vielmehr können Klagen auch eine prozesstaktische Funktion besitzen, die vor dem Hintergrund einer größeren, möglicherweise sich über ei­ nen längeren Zeitraum hinziehenden und eine Vielzahl von Klagen involvieren­ den rechtlichen Auseinandersetzung zu sehen ist. In diesem Zusammenhang be­ sitzt eine Klage das Potenzial, der jeweils anderen Partei Mühen, Kosten oder sonstige Unannehmlichkeiten aufzubürden, denen jeweils ein bestimmter Wert zugeschrieben werden kann.872 Da dem Beklagten in der Regel daran gelegen 866 

Vgl. dazu oben Teil  I §  7 I-II. Zum Begriff des ex post-Opportunismus vgl. Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 24; s.  a. bereits oben Teil  I §  1 III 1 b. 868  Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 24. 869  Vgl. oben Teil  I §  6 I 3. 870  Vgl. oben Teil  I §  2 II 3 b. 871  Vgl. dazu auch Teil  I §  2 II 3 a. 872  Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 2011, S.  584. 867 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

sein wird, Kosten und Mühen zu vermeiden, entsteht folglich durch eine Klage eine ökonomische Verhandlungssituation, durch die Vergleichsdruck entsteht.873 Deshalb lässt sich durchaus konstatieren: „every lawsuit has an element of black­ mail.“ 874

4.  Empirie Eine Betrachtung der verfügbaren Zahlen offenbart zum Teil erhebliche prakti­ sche Probleme mit Gerichtsstandsvereinbarungen. Die bereits angeführte Erhe­ bung im Auftrag des Center for Strategy and Evaluation Services (CSES) für die Europäische Kommission aus dem Jahr 2010, in der europäische Unternehmen nach ihren Erfahrungen mit Gerichtsstandsvereinbarungen innerhalb Europas befragt wurden und auf die die Europäische Kommission ihren Vorschlag für die Brüssel Ia-VO stützte,875 zeigte, dass 69  % der befragten Unternehmen Gerichts­ standsvereinbarungen in internationalen Verträgen regelmäßig benutzten. 7,7  % gaben an, dass ein Geschäftspartner sich in den letzten fünf Jahren nicht an eine Gerichtsstandsvereinbarung gehalten hatte.876 In 40  % dieser Fälle erfolgte der Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung durch den Geschäftspartner ein­ mal, in 20  % zweimal, in 20  % dreimal und in 13,3  % vier- bis fünfmal.877 In Bezug auf Urteile gaben 5,7  % der Unternehmen an, dass mindestens eine ihrer Gerichtsstandsvereinbarungen in den letzten fünf Jahren für unwirksam gehalten wurde.878 In 63,6  % dieser Fälle geschah dies einmal, in 10  % zweimal und in 10  % vier- bis fünfmal.879 Die Unwirksamkeit dieser Gerichtsstandsvereinbarun­ gen folgte in 25  % der Fälle aus Problemen mit der Formwirksamkeit, in 25  % aus Problemen mit dem Konsens, also der materiellen Einigung.880 Unterstützt werden die Erhebungen des CSES durch eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission, die die Effizienz von Gerichtsstandsvereinbarun­ Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 2011, S.  584; Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S.  267, 273 f. 874  Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 2011, S.  584. 875  Vgl. auch schon oben Teil  I §  1 II 1. 876 CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  152. 877 CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  153. 878 CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  152. 879 CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  152. 880 CSES Data Collection and Impact Analysis Brussels I, Final Report, 17. Dezember 2010, S.  152. 873 

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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gen in internationalen Transaktionen über Europa hinaus zum Gegenstand hat­ te.881 26,2  % der befragten Unternehmen gaben an, dass die Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen schwierig war, 12,3  % bezeichneten dies sogar als extrem schwierig und 3,1  % als unmöglich. Ca. 60  % gaben an, in der Vergan­ genheit keine Probleme mit Gerichtsstandsvereinbarungen gehabt zu haben.882 Die beiden Studien zeigen, dass Gerichtsstandsvereinbarungen einerseits im internationalen Geschäftsverkehr sehr häufig vereinbart werden, andererseits aber auch häufig problembehaftet sind. Der europäische Gesetzgeber sah hier Handlungsbedarf und implementierte Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, um Proble­ men mit Gerichtsstandsvereinbarung Abhilfe zu schaffen. Zudem ist die von den angeführten Zahlen ausgehende Signalwirkung insofern bedrohlich, als Ge­ richtsstandsvereinbarungen von Unternehmen als riskant wahrgenommen wer­ den könnten. Denn wenn ein Unternehmen in 7,7  % der Fälle mit einem Problem in Bezug auf eine Gerichtsstandsvereinbarung rechnen muss, beeinflusst dies nicht nur die Kosten der jeweiligen Transaktion,883 sondern kann sich dies auch negativ auf die Perzeption der Brüssel Ia-VO und des EuZPR insgesamt auswir­ ken. Eine Flucht in die Schiedsgerichtsbarkeit oder gar das Unterlassen grenz­ über­schreitender Geschäftstätigkeit wäre dann die Folge. Inwiefern die Einführung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO den genannten Zahlen Abhilfe zu schaffen vermag, lässt sich nur schwer sagen. Aufgrund der bereits aufgezeigten Rechtsschutzlücken besteht weiterhin die Möglichkeit, durch prozesstaktische Klagen erhebliches Druckpotenzial zu entfalten und Ge­ richtsstandsvereinbarungen ökonomisch zu entwerten.884 Zudem wird gerade in Fällen der vermeintlichen Formunwirksamkeit auch weiterhin im forum derogatum geklagt werden.885 Und schließlich betrifft Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nur die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines Gerichts für sämtliche Rechtsstreite zwischen den Parteien. Besondere Formen internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen werden nicht vollumfänglich geschützt.886 Insofern werden auch weiterhin Probleme mit Gerichtsstandsvereinbarungen auftreten und prorogationswidrige Urteile erlassen werden. 881 

Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007; vgl. dazu bereits Teil  I §  1 II. 882  Study to inform an Impact Assessment on the Ratification of the Hague Convention on Choice of Court Agreements by the European Community, Final Report, 7. Dezember 2007, S.  25. 883  Zum Zusammenhang von Transaktionskosten und Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. oben Teil  I §  1 III 1 c. 884  Zur Kritik an den Schutzlücken des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO vgl. oben Teil  I §  4 V. 885  Vgl. dazu oben Teil  I §  4 V 1. 886  Vgl. dazu Teil  I §  4 II 4.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

II.  Keine Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile de lege lata Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts darf nach Art.  45 Abs.  3 S.  1 Brüssel Ia-VO vom Zweitgericht grundsätzlich nicht nachgeprüft werden. Die Anerkennungsversagung kann daher nicht auf die Unzuständigkeit des Erstge­ richts gestützt werden.887 Dies gilt auch dann, wenn die internationale Zuständig­ keit des Erstgerichts von einer Gerichtsstandsvereinbarung abhängt.888 Denn Art.  25 Brüssel Ia-VO, der in Abschnitt 7 der Brüssel Ia-VO enthalten ist, wird von Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO nicht erfasst. Dies brachte das OLG Karls­ ruhe bereits 1976 auf den Punkt: „Die Nachprüfung dieser Frage ist dem um die Vollstreckbarkeitserklärung angegangenen Gericht ausdrücklich untersagt.“889 Prorogationswidrigen Urteilen kann damit de lege lata die Anerkennung nicht versagt werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird auch für ausschließliche Gerichts­ standsvereinbarungen nach Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO nicht gemacht. Das Zweitgericht darf weder die Prorogation, noch die Derogation des Erstgerichts nachprüfen.890 Unerheblich ist, ob es sich um ein Prozessurteil, ein streitiges Sachurteil oder ein Versäumnisurteil handelt. Eine wie auch immer geartete Un­ vereinbarkeit eines Urteils mit Art.  25 Brüssel  Ia-VO stellt keinen Anerken­ nungsversagungsgrund dar. Anerkennungsrechtlich wird der vereinbarte Ge­ richtsstand damit unter der Brüssel Ia-VO nicht besser geschützt als jeder andere, objektive Gerichtsstand.891 Der Beklagte ist auf die Rechtsmittel des Erststaats verwiesen.892 Dies führt zu langwierigen und kostenintensiven Verfahren vor den 887 

Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  5 II 1. Allg. A., vgl. Schlosser-Bericht, 1978, Rn.  188; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  29 Rn.  33; Magnus/Mankowski/Francq, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  45 Rn.  120; Stein/Jonas/Oberhammer, Zivilprozessordnung, 2011, Art.  33 Rn.  11; Vogel, Jurisdiction and Recognition, 2015, S.  104; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Vorbem. Art.  2 Rn.  20d; Briza, JPIL 2009, S.  537, 563; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 2005, Art.  35 Rn.  14; Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.43; Martiny, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap. II Rn.  169; kritisch Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, Art.  45 Rn.  38; vgl. zum EuGVÜ auch G. Roth, ZZP 93 (1980), S.  156, 159; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  45 Rn.  130; Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  45 Rn.  62. 889  OLG Koblenz, Beschl. v. 28.11.1975 – 2 W 625/75, NJW 1976, S.  488; vgl. auch Cour d’appel Mons, Urt. v. 14.10.2004 – 2003/RG/283, unalex BE-117. 890  Nach nationalem IZPR ist dies problemlos möglich, vgl. etwa LG Hamburg, BeckRS 2011, 23034. 891  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.43. 892 Magnus/Mankowski/Francq, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  45 Rn.  120. 888 

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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Instanzgerichten im forum derogatum, was die von Gerichtsstandsvereinbarun­ gen ausgehende Rechtsunsicherheit und deren ökonomische Effizienz mindert.893

III.  Ausnahmsweise Prüfung der Prorogationswidrigkeit durch das Zweitgericht nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO Von dem Verbot der zweitgerichtlichen Nachprüfung der Prorogationswidrigkeit eines Urteils besteht eine Ausnahme. Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO führt nämlich dazu, dass auch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen bereits de lege lata vom Zweitgericht ausnahmsweise nachgeprüft werden können.894 Dies ergibt sich daraus, dass im Rahmen der Anerkennungsversagung nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO die Vereinbarkeit des anzuerkennenden Urteils mit den Abschnitten 3, 4 und 5 von Kapitel II der Brüssel Ia-VO nachgeprüft wer­ den kann. Davon werden die Art.  15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO erfasst, die je­ weils die Möglichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen mit Versicherungsneh­ mern,895 Verbrauchern oder Arbeitnehmern vorsehen.896 Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO durchbricht also zum einen das Vertrauensprinzip zugunsten von bestimmten Schutzinteressen und lässt zum anderen auch die Nachprüfung von Gerichtsstandsvereinbarungen durch das Zweitgericht entgegen dem Grundsatz des Art.  45 Abs.  3 S.  1 Brüssel Ia-VO zu.

1.  Ratio legis des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO Begründet wird die Nachprüfbarkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarun­ gen bei Verbraucher-, Versicherungs- und Arbeitsvertragssachen stets mit der Schutzbedürftigkeit der typischerweise schwächeren Partei.897 Die schwächere Partei soll nur vor den für sie geltenden Schutzgerichtsständen verklagt werden dürfen.898 Kommt es doch zu einer Klage entgegen der Schutzgerichtsstände, soll die typischerweise schwächere Partei nicht zu einem zuständigkeitsrechtlichen Auswärtsspiel vor einem unzuständigen Gericht gezwungen werden.899 Vielmehr 893 

Vgl. dazu Teil I §  1 III 1. Vgl. oben Teil  I §  5 II 2 a. 895  Oder diesen gleichgestellten Personen, vgl. oben Teil  I §  5 II 2 a. 896  Vgl. LG Saarbrücken, BeckRS 2014, 07804; s. a. oben bereits Teil  I §  5 II 2. 897 Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Mäsch, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2015, Art.  35 Rn.  7. 898  Vgl. oben Teil  I §  5 II 2 b. 899 Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2015, Art.  45 Rn.  56. 894 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

soll dann die Verteidigung gegen die Anerkennung des Urteils im Zweitstaat möglich sein.900

2.  Ratio legis der Art.  15 Nr.  1, Nr.  5, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1 sowie 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO sehen in übereinstimmen­ dem Wortlaut die Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung bei Versiche­ rungs-, Verbraucher- und Arbeitsvertragssachen vor, „wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit geschlossen wird“.901 Sie bilden Ausnahme­ regelungen, weil die übrigen Fälle der Art.  15, 19 oder 23 Brüssel Ia-VO, mit Ausnahme von Art.  15 Nr.  5 Brüssel  Ia-VO, Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich nur zulassen, wenn bestimmte, für die schwächere Partei beson­ ders günstige Gerichtsstände vereinbart werden. Grundsätzlich erfolgt der Schutz der typischerweise schwächeren Partei also über den Ort des gewählten Gerichts. So sehen etwa Art.  15 Nr.  3 und Art.  19 Nr.  3 Brüssel Ia-VO bei Verbrauchersa­ chen die Möglichkeit vor, die Zuständigkeit der Gerichte des gemeinsamen Wohnsitzstaats zu vereinbaren.902 Demgegenüber verzichten die Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel IaVO auf diesen ortsbezogenen Schutz.903 Sie lassen vielmehr die Wahl eines be­ liebigen und damit dem Versicherungsnehmer, Verbraucher oder Arbeitnehmer vielleicht ungünstigen Gerichts zu. Dafür begrenzen sie die Möglichkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung auf die Zeit nach Entstehen der Streitig­ keit.904 Ebenso knüpft auch Art.  15 Nr.  5 in Verbindung mit Art.  16 Brüssel IaVO nicht an den vereinbarten Gerichtsstand, sondern ermöglicht den Parteien bei bestimmten Versicherungsverträgen, etwa der Versicherung von Schäden an See­ schiffen und Flugzeugen, die freie parteiautonome Vereinbarung des internatio­ nalen Gerichtsstands.905 900 Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2015, Art.  45 Rn.  56. 901 Vgl. Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, Art.  15 Rn.  1; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  15 Rn.  2. 902  Vgl. dazu in Bezug auf Arbeitsvertragssachen Grusic, JPIL 2015, S.  521, 525. 903  Zur Einschränkung des Schutzes der typischerweise schwächeren Partei in Art.  15 Nr.  1 Brüssel I-VO ausdrücklich OLG Koblenz, Beschl. v. 08.03.2000 – 2 U 1788/99, BeckRS 2000, 04573; zum LugÜ OLG Hamm, Urt. v. 31.05.2016 – 28 U 164/15, BeckRS 2016, 11921, Rn.  118. 904 So Stone, EU Private International Law, 2016, S.  179; Rauscher/Mankowski, EuZPR/ EuIPR, 2016, Art.  23 Rn.  5. 905  Zu Normzweck und Entstehungsgeschichte von Art.  15 Nr.  5 vgl. Geimer/Schütze/Paulus, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  15 Rn.  25–27, Art.  16 Rn.  1 f.

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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Begründet wird die freie Wahlmöglichkeit der Parteien nach Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO mit dem geringeren Überraschungspotenzial einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung für die typischerweise schwächere Partei.906 Denn nach Entstehen der Streitigkeit sind sich die Parteien in der Regel über die Tragweite und Bedeutung der Gerichtsstandsvereinbarung im Klaren.907 Im Ergebnis liegt damit der Schutz der schwächeren Partei in den Fällen der Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO im Zeitpunkt der Gerichts­ standsvereinbarung und nicht in der inhaltlichen Begrenzung der Vereinbarung auf bestimmte Gerichtsstände. In Bezug auf Art.  15 Nr.  5 in Verbindung mit Art.  16 Brüssel Ia-VO spielt das wirtschaftliche Interesse der auf Augenhöhe agierenden Parteien an der freien parteiautonomen Gestaltung der internationalen Zuständigkeit das maßgebliche Argument für die uneingeschränkte Möglichkeit der Vereinbarung von Gerichts­ standsvereinbarung.908 Bei genauer Betrachtung führt die Nachprüfung der Vereinbarkeit eines Ur­ teils mit den Schutzgerichtsständen durch das Zweitgericht jedoch zu einem sys­ tematischen Widerspruch. Denn Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel  Ia-VO erfüllt eben offenkundig nicht nur den Schutz der typischerweise schwächeren Partei, sondern geht darüber hinaus. Prüft nämlich das Zweitgericht im Rahmen der Anerkennungsversagung nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel  Ia-VO die Wirk­ samkeit einer gemäß Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO geschlos­ senen Gerichtsstandsvereinbarung nach, so prüft es dabei auch die materielle Wirksamkeit der Einigung und die Formvorschriften des Art.  25 Brüssel Ia-VO. Bis auf die Frage des Zeitpunktes der Gerichtsstandsvereinbarung, der zwingend nach Entstehung der Streitigkeit liegen muss, besitzt jedoch keine der im Rah­ men von Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) in Verbindung mit Art.  15 Nr.  1, 15 Nr.  5, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO zu prüfenden Tatbestandvoraussetzungen einen spe­ zifischen, inhaltlichen Schutz der typischerweise schwächeren Partei.909 Denn dieser Schutz liegt ja gerade im Zeitpunkt der Gerichtsstandsvereinbarung und nicht, wie gezeigt, in den übrigen Voraussetzungen einer Gerichtsstandsverein­ barung oder deren Inhalt. Ob etwa eine wirksame Einigung im Falle einer Ge­ richtsstandsvereinbarung nach Art.  15 Nr.  1, 15 Nr.  5, 19 Nr.  1 oder 23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO vorliegt, ist gerade keine verbraucher-, versicherungsnehmeroder arbeitnehmerspezifische Frage, sondern eine simple Frage der Wirksamkeit eines Rechtsgeschäftes. Art.  15 Nr.  5 Brüssel Ia-VO verzichtet bei den in Art.  16 906 Rauscher/Mankowski,

EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  23 Rn.  5–7. EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  23 Rn.  5–7. 908 Geimer/Schütze/Paulus, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  15 Rn.  27. 909  Jenard-Bericht, 1971, S.  33; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  15 Rn.  1. 907 Rauscher/Mankowski,

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Brüssel Ia-VO aufgezählten Versicherungsverträgen sogar gänzlich auf einen Schutz des Versicherungsnehmers. Somit wird bereits de lege lata unter der Brüssel Ia-VO in den dargelegten Fällen über den Anerkennungsversagungsgrund des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüs­ sel Ia-VO das Vertrauen einer Partei in die Einhaltung einer Gerichtsstandsver­ einbarung geschützt. Dieser Schutz bezieht sich nicht auf die Schutzwürdigkeit der Partei aufgrund ihres Status als Verbraucher, Arbeitnehmer oder Versiche­ rungsnehmer, sondern auf ihr Vertrauen in die Wirksamkeit der getroffenen Ge­ richtsstandsvereinbarung. Auch wenn Fälle von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Entstehung der Streitigkeit in Verbraucher-, Arbeitsvertrags- oder Versicherungssachen selten sein dürften, so ergibt sich hieraus dennoch ein systematisches Argument. Der Vergleich des Schutzes von Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucher-, Ver­ sicherungs- und Arbeitsvertragssachen durch Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel IaVO mit dem Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Unternehmen oder etwa zwei Privatpersonen führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass das Ver­ trauen in die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, das von der spezi­ fischen Schutzwürdigkeit einer Partei zu differenzieren ist, nicht einheitlich ge­ schützt wird. Dieser uneinheitliche Schutz des Vertrauens in die Einhaltung in­ ternationaler Gerichtsstandsvereinbarungen ist mit dem pauschalen Verweis auf die Schutzwürdigkeit der Partei, den die teloi der Art.  15 Nr.  1, 19 Nr.  1, 23 Nr.  1 und insbesondere 15 Nr.  5 Brüssel  Ia-VO ja gerade eindrucksvoll widerlegen, nicht hinreichend begründet.

IV.  Gothaer Allgemeine v. Samskip Dass die Prorogationswidrigkeit eines Urteils grundsätzlich nicht zur Anerken­ nungsversagung durch das Zweitgericht führt,910 unterstrich der EuGH am 15. November 2012 in seiner Entscheidung in der Sache Gothaer Allgemeine v. Samskip.911

1.  Sachverhalt In Gothaer Allgemeine ging es um die anerkennungsrechtlichen Urteilswirkun­ gen in dem Fall, dass ein mitgliedstaatliches Gericht eine Gerichtsstandsverein­

910  911 

Zu den Ausnahmen vgl. Teil  I §  6 III. EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine.

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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barung zu einem anderen Konventionsstaat nach Art.  23 LugÜ912 für wirksam erklärt.913 Es stellte sich die Frage, ob die Feststellung der Wirksamkeit der Ge­ richtsstandsvereinbarung in den Gründen des erstgerichtlichen Prozessurteils von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nach Art.  32, 33 Brüssel I-VO anzuerkennen war.914 Im konkreten Fall hatten die Gothaer Allgemeine Versicherung und weitere Versicherungen gegen die deutsche Samskip GmbH, ein Tochterunternehmen ei­ ner isländischen Gesellschaft, in Belgien auf Schadensersatz geklagt. Auf dem von der Samskip GmbH durchgeführten Transport einer Brauereianlage von Bel­ gien nach Mexiko war diese beschädigt worden.915 Das angerufene belgische Gericht hatte entschieden, dass die isländischen Gerichte nach Art.  23 LugÜ wirksam und ausschließlich prorogiert worden und daher die belgischen Gerich­ te wegen der damit einhergehenden Derogationswirkung unzuständig seien.916 Als die Versicherungen in der Folge vor dem LG Bremen klagten, war frag­ lich, ob das LG Bremen an die Entscheidung des belgischen Gerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gebunden war. Von dieser Frage hing ab, ob das LG Bremen die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung erneut und selbständig prüfen würde dürfen, oder ob es seine eigene Derogation aufgrund der in dem belgischen Urteil enthaltenen Feststellung der Zuständigkeit der isländischen Gerichte aufgrund der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinba­ rung akzeptieren würde müssen. Das LG Bremen war anscheinend im Unter­ schied zu dem belgischen Gericht der Auffassung, dass die Gerichtsstandsverein­ barung unwirksam war,917 und legte dem EuGH die Frage vor.

2.  Entscheidung des EuGH Der EuGH entschied zunächst, dass das Prozessurteil des belgischen Gerichts unter Art.  32 Brüssel I-VO918 fällt und anerkennungsfähig ist.919 Damit schloss sich der EuGH der herrschenden Meinung im Schrifttum an, dass auch Prozess­ 912  Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007. 913  Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.51; Art.  23 LugÜ entspricht Art.  23 Brüssel I-VO, der Vorgängernorm von Art.  25 Brüssel Ia-VO. 914  Art.  32 Brüssel  I-VO entspricht Art.  2 lit.  a Brüssel  Ia-VO. Art.  33 Brüssel  I-VO ent­ spricht Art.  36 Brüssel Ia-VO. 915  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  3. 916  Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 239. 917  Bach, EuZW 2013, S.  56, 57. 918  Nun Art.  2 lit.  a Brüssel Ia-VO. 919  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  32, vgl. Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 239.

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urteile im Sinne der Urteilsfreizügigkeit in der EU Anerkennungsfähigkeit nach Art.  33 Brüssel I-VO bzw. Art.  36 in Verbindung mit Art.  2 lit.  a Brüssel Ia-VO besitzen.920 Darüber hinaus entschied der EuGH, dass für die Rechtskraft des Urteils des belgischen Gerichts auf einen einheitlichen europäischen Rechtskraftbegriff ab­ zustellen ist.921 Damit entwickelte der EuGH zumindest in Bezug auf von inter­ nationalen Gerichtsstandsvereinbarungen abhängende Zuständigkeitsentschei­ dungen922 einen autonomen Rechtskraftbegriff und wich von der seit Hoffmann v. Krieg gefolgten Wirkungserstreckungstheorie ab.923 Diesen europäischen Rechtskraftbegriff wendete der EuGH sodann auf die Entscheidung des belgischen Gerichts über die Wirksamkeit der internationalen Gerichtsstandsvereinbarung an. Der EuGH entschied, dass auch ein in den Ur­ teilsgründen festgehaltenes Zwischenergebnis vom Nachprüfungsverbot erfasst werde.924 Dies gelte insbesondere dann, wenn die Entscheidung des Erstgerichts auf der Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung be­ ruhe, wenn es also ohne die Gerichtsstandsvereinbarung zu einem anderen Er­ gebnis bezüglich der internationalen Zuständigkeit gekommen wäre.925 Aus Sicht des EuGH muss die Reichweite der Bindungswirkung der erstgerichtlichen Entscheidung einheitlich festgelegt werden, weil das Zweitgericht nicht über die Zuständigkeit des Erstgerichts entscheiden dürfe: „Wie der Generalanwalt in Nr.  73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen nämlich umso mehr geboten, wenn die Gerichte der Mitgliedstaaten gemeinsame Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden haben. Diese Vorschriften sowie die Vor­ schriften über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Verord­ nung Nr.  44/2001 stellen insoweit keine separaten und autonomen Regelungen dar, sondern hängen eng miteinander zusammen […]. Dieser Zusammenhang ist es, der den vereinfachten Mechanismus der Anerkennung und Vollstreckung nach Art.  33 Abs.  1 dieser Verordnung rechtfertigt, nach dem die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich anerkannt werden und der nach Art.  35 Abs.  3 der Verordnung

Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 241 f.; zustimmend auch Roth, IPRax 2014, S.  136, 137; Hau, LMK 2013, 341521; Bach, EuZW, 2013, S.  56, 59. 921  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  40. 922  Zum Problem der Reichweite der Entscheidung des EuGH in Gothaer vgl. Althammer/ Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 244 f. 923 So M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 274; Klöpfer, GPR 2015, S.  210; kritisch Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 243 f; vgl. zur Wirkungserstreckung im Anerken­ nungsrecht der Brüssel Ia-VO bereits oben Teil  I §  5 I 5 a. 924  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  40; vgl. auch Bach, EuZW 2013, S.  56, 57. 925  Bach, EuZW 2013, S.  56, 57. 920 Ausführlich

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dazu führt, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats nicht nachgeprüft wird […].“926

Da nach Auffassung des EuGH die Brüssel Ia-VO auf gegenseitigem Vertrauen beruhe, und dieses insbesondre angezeigt sei, wenn gemeinsame Zuständigkeits­ vorschriften angewandt würden, stelle es einen Verstoß gegen das Verbot der revision au fond dar, wenn ein Gericht die Anwendung der Zuständigkeitsvor­ schriften durch ein anderes Gericht nachprüfe: „Zudem ergibt sich aus Art.  36 der Verordnung Nr.  44/2001, dass die Entscheidung des Gerichts des Ursprungs­ mitgliedstaats nach diesem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ‚keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden [darf].‘“927 Inwieweit die Zuständigkeits­ regeln der Brüssel I-VO angewandt wurden, sei autonom und nicht nach den in der Sache anwendbaren nationalen Rechtskraftregeln zu entscheiden.928

3.  Kritische Würdigung Die Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine ist aus verschiedenen Grün­ den kritisch zu sehen. Dies zeigt bereits die überaus kontroverse Rezeption der Entscheidung in der Literatur.929 a)  Entscheidung über die Zuständigkeit eines anderen Gerichts Problematisch ist an Gothaer Allgemeine zunächst, dass der EuGH lediglich auf das Interesse des Erstgerichts an der Feststellung seiner eigenen internationalen Zuständigkeit abstellt. Denn die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten müssen nicht nur die Feststellung der Unzuständigkeit des Erstgerichts, sondern wegen der Derogationswirkung der Gerichtsstandsvereinbarung auch ihre eigene Unzu­ ständigkeit akzeptieren.930 Entsprechend hat das prorogierte Gericht seine eigene Zuständigkeit hinzunehmen.931 Damit übersieht der EuGH jedoch das Interesse EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  35:, vgl. auch Althammer/ Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 239 f.; Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.51. 927  EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine, Rz.  37, vgl. auch Dickinson/ Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.51; Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 211 f. 928 Dickinson/Lein/Franzina, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  13.52. 929  Vgl. nur Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287; Mankowski, IPRax 2009, S.  23; Klöpfer, GPR 2015, S.  210; Althammer/Tolani, ZZPInt 19 (2014), S.  227, 239 f. 930 So Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  179; Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 297; kritisch bereits Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 31; kritisch auch die deutsche Regierung in Gothaer Allgemeine, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts v. 6.9.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine – Slg. 2013, Rz.  63. 931 So Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  179; Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 297; 926 

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der übrigen Gerichte, über ihre eigene Zuständigkeit ebenfalls selbst zu entschei­ den.932 Geimer wirft hier vollkommen zu Recht die Frage auf, ob der europäische Gesetzgeber wirklich intendierte, dass ein Gericht über die Zuständigkeit eines anderen Gerichts bindend entscheiden soll.933 Dies widerläuft gerade der Wer­ tung des EuGH in Turner, wonach grundsätzlich kein Gericht über die Zustän­ digkeit eines anderen Gerichts entscheiden soll.934 Die Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine trägt zwar dem Vertrau­ ensprinzip Rechnung, weil die Entscheidung des Erstgerichts über seine Zustän­ digkeit nicht vom Zweitgericht nachgeprüft werden kann. Zugleich lässt der EuGH aber entgegen dem Vertrauensprinzip einen Eingriff des Erstgerichts in die autonome Zuständigkeitsprüfung des Zweitgerichts zu. Geschuldet ist dieser Widerspruch dem Umstand, dass eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinba­ rung mit Prorogation und Derogation zwei maßgebliche prozessuale Wirkungen besitzt, die aber auf einem einzigen Vertrag beruhen und sich auf verschiedene Gerichte eben unterschiedlich auswirken.935 Mit der Entscheidung über die Zu­ ständigkeit eines derogierten Gerichts korreliert deshalb die Entscheidung über die Unzuständigkeit der übrigen derogierten Gerichte sowie des prorogierten Ge­ richts. b)  Möglichkeit einer bindenden Verweisung zwischen den Mitgliedstaaten Aus den vorausgegangenen Anmerkungen ging bereits hervor, dass durch die Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine das Erstgericht die Derogation des Zweitgerichts für dieses bindend feststellen kann. Jedoch ist der vom EuGH in Gothaer Allgemeine entwickelte autonome Rechtskraftbegriff dem Wortlaut der Entscheidung nach nicht auf die Derogationswirkung beschränkt, sondern erfasst auch die Prorogationswirkung.936 Eine Entscheidung über die Wirksam­ kritisch bereits Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 31; kritisch auch die deutsche Regierung in Gothaer Allgemeine, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts v. 6.9.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine – Slg. 2013, Rz.  63. 932  Schlussanträge des Generalanwalts v. 6.9.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine – Slg. 2013, Rz.  63; vgl. auch Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  179; Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 297; Roth, IPRax 2014, S.  136, 139; Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 210 f. 933  Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  179 f.; kritisch auch Hau, LMK 2013, 341521. 934  So auch Dickinson/Lein/van Lith, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  3.10; Geimer, in: FS Gottwald, 2014, S.  179 f.; kritisch auch Hau, LMK 2013, 341521; zu Turner vgl. ausführlich oben Teil  I §  5 III 3 b aa. 935  Zur rechtlichen Natur internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. oben Teil  I §  1 I. 936  Zum autonomen Rechtskraftbegriff des EuGH vgl. auch oben Teil  I §  5 I 5 b. Eine solche Konstellation lag auch der Entscheidung LG Trier, IPRax 2004, S.  249 zugrunde.

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keit der Gerichtsstandsvereinbarung ist von dem prorogierten Gericht ebenfalls anzuerkennen.937 Damit wurde durch die Hintertür des autonomen Rechtskraftbegriffs die Mög­ lichkeit einer bindenden Verweisung zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten eingeführt.938 Denn hat auch das prorogierte Gericht die Entscheidung des Erst­ gerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anzuerkennen, ist es aufgrund der Prorogation international zuständig.939 Im Ergebnis hat damit das Erstgericht das Verfahren faktisch an das Zweitgericht bindend verwiesen. Die bindende Verweisung zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten ist grundsätzlich im EuZVR nicht vorgesehen.940 Eine recht weiche Ausnahme bil­ det lediglich Art.  15 Brüssel IIa-VO, wonach ein Gericht die Parteien „einladen“ kann, vor einem sachnäheren Gericht Klage zu erheben, oder ein anderes Gericht um Übernahme des Verfahrens „ersuchen“ kann.941 Dass eine bindende Verwei­ sung zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten nicht vorgesehen ist, beruht auf Souveränitätserwägungen der Mitgliedstaaten. Kein Mitgliedstaat möchte seine Gerichte den Entscheidungen der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats über die internationale Zuständigkeit unterwerfen.942 Diesen Grundsatz durch­ bricht der EuGH in Gothaer Allgemeine. c)  Verbot der revision au fond Der EuGH begründete das Verbot der erneuten Prüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung u. a. mit dem Verbot der revision au fond, dem Ver­ so auch Roth, IPRax 2014, S.  136, 139; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  36 Rn.  2; M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 274. 938 Deutlich Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn.  1873b; Musielak/Voit/ Stadler, ZPO, 2016, Art.  36 Rn.  2; Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 216; zur Kritik vgl. auch Schluss­ anträge des Generalanwalts v. 6.9.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine – Slg. 2013, Rz.  63. 939  Kritisch Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  50. 940  OLG Brandenburg, Urt. v. 27.02.2014 – 12 U 10/13, BeckRS 2014, 04896; Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 291 f.; kritisch auch Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brus­ sels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  443; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 2016, Art.  36 Rn.  2; eine bindende Verweisung de lege ferenda befürwortend Kropholler/von Hein, Europäi­ sches Zivilprozessrecht, 2011, Art.  26 Rn.  2; ebenso Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, §  6 Rn.  33. 941  Verordnung (EG) Nr.  2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständig­ keit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfah­ ren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr.  1347/2000; vgl. auch Schlosser/Hess/Schlosser, EuGVVO, Art.  29 Rn.  10; Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 217. 942 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  27 Rn.  9; Hess/Pfeiffer/Schlosser/ M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  432. 937 Kritisch

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

bot der Nachprüfung eines Urteils in der Sache im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung.943 Grundsätzlich kann das Verbot der revision au fond, das in der Brüssel Ia-VO in Art.  52 geregelt ist, auch Fragen der Zulässigkeit im deutschen Sinne umfassen, wenn diese ausdrücklich entschieden wurden.944 Es umfasst da­ her sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit einer Klage nach deut­ schem Verständnis. In Konsequenz tritt das Verbot der revision au fond damit in Widerspruch zu dem Anerkennungsversagungsgrund des Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO. Die­ ser sieht vor, dass bei Verfahren, die einen Verbraucher, Arbeitnehmer oder Ver­ sicherungsnehmer und damit die Schutzgerichtsstände nach Art.  10 ff., 17 ff., 20 ff. Brüssel Ia-VO involvieren, sowie bei Verfahren, die die ausschließlichen Gerichtsstände des Art.  24 Brüssel Ia-VO betreffen, das Zweitgericht die Zustän­ digkeit des Erstgerichts nachprüfen und gegebenenfalls dem erstgerichtlichen Urteil die Anerkennung versagen kann.945 Das Zweitgericht kann also die Zu­ ständigkeitsentscheidung des Erstgerichts nachprüfen, obwohl auch hinsichtlich dieser das Verbot der revision au fond nach der Rechtsprechung des EuGH in Gothaer Allgemeine gelten müsste, da das Verbot der revision au fond auch Zu­ ständigkeitsfragen umfasst.946 Insbesondere kann das Zweitgericht über Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) in Verbindung mit Art.  15, 19 oder 23 Brüssel  Ia-VO auch die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung mit einem Arbeitnehmer, Ver­ braucher oder Versicherungsnehmer ausnahmsweise nachprüfen.947 Gerade die Nachprüfung einer Gerichtsstandsvereinbarung lehnte der EuGH in Gothaer Allgemeine aber als Nachprüfung in der Sache und damit als revision au fond ent­ schieden ab.948 Es ergibt sich daraus die dogmatische Frage, wie dieser Widerspruch aufzulö­ sen ist und damit die Frage nach dem Verhältnis von Art.  52 und Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO. Bei Zugrundelegung der Argumentation des EuGH in Gothaer Allgemeine muss man annehmen, dass Art.  45 Abs.  1 Brüssel Ia-VO eine Ausnahme vom Verbot der revision au fond nach Art.  52 Brüssel Ia-VO darstellt. Dies bedeutet, dass im Anwendungsbereich des Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel IaVO eine Überprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit aufgrund einer Ge­ richtsstandsvereinbarung mit einem Verbraucher, einem Arbeitnehmer oder ei­ So auch schon Schlussanträge des Generalanwalts v. 6.9.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine – Slg. 2013, Rz.  78. 944  Martiny, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, 1984, Kap.  II Rn.  84, 160. 945  Vgl. dazu ausführlich oben Teil  I §  5 II 2. 946  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  6 IV 2. 947  Vgl. dazu ausführlich unten Teil  I §  6 III. 948  Teil  I §  6 IV 2. 943 

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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nem Versicherungsnehmer möglich sein muss.949 Dies normiert Art.  45 Abs.  3 Brüssel Ia-VO für die erstgerichtliche Zuständigkeit ausdrücklich. Zusätzlich ergibt sich das Folgeproblem, dass Art.  45 Brüssel Ia-VO nur auf Sachurteile, nicht aber auf Prozessurteile zugeschnitten ist. Bei Sachurteilen wird vom Zweitgericht vor der Anerkennungsversagung eines Urteils nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO überprüft, ob das Erstgericht für den Erlass des Sachurteils zuständig war. Diesen Fall haben auch Art.  45 Abs.  3 und Art.  52 Brüssel Ia-VO vor Augen, die die Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständig­ keit sowie die Nachprüfung des erstgerichtlichen Urteils in der Sache ausschlie­ ßen. Bei Feststellungsurteilen und Prozessurteilen, die die Zuständigkeit auf­ grund einer Gerichtsstandsvereinbarung zum Gegenstand haben, verschwimmt jedoch die Trennung zwischen der erstgerichtlichen Entscheidung über die Zu­ ständigkeit und in der Sache: Ruft etwa der vor dem Erstgericht unterlegene Verbraucher ein Zweitgericht an, um seinerseits Klage zu heben, kann dort der Beklagte etwa einwenden, dass das Erstgericht bereits über die von den Parteien vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung entschieden und damit auch die Unzu­ ständigkeit des angerufenen Zweitgerichts festgestellt habe. Diese Feststellung wäre dann nach der Rechtsprechung des EuGH in Gothaer Allgemeine aufgrund der Anerkennung der Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung für das Zweitgericht bindend. Dagegen wendet der Verbraucher die Anerkennungsversa­ gung nach Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel Ia-VO ein und beruft sich darauf, dass das Erstgericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung falsch beurteilt hat. Problematisch an der nun folgenden Anerkennungsversagungsprüfung durch das Zweitgericht ist die Ablehnung einer sogenannten Kompetenz-Kompetenz im Rahmen der Brüssel Ia-VO.950 Es wäre daher denkbar, dass in dieser Konstel­ lation eine Anerkennungsversagung ausscheidet, weil das Erstgericht nach der Brüssel Ia-VO immer für die Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit und damit auch immer für die Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung zuständig ist. Und zudem müsste aufgrund des Verbots der revision au fond, das der EuGH in Gothaer Allgemeine ja gerade auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen ausdehnte, eine Nachprüfung der Zuständigkeitsentscheidung selbst ausgeschlossen sein.951 Dagegen sprechen jedoch zunächst teleologische Erwägungen. Nach dem kla­ ren Schutzzweck des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO, sollen typischerweise schutzwürdige Parteien gerade vor einem zuständigkeitsrechtlichen Auswärts­ spiel geschützt werden.952 Dieser Schutz würde durch ein nicht überprüfbares 949 

403.

950 

Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  5 II 1; a. A. wohl Forner-Delaygua, JPIL 2015, S.  379,

Vgl. zur Kompetenz-Kompetenz bereits oben Teil  I §  4 II 2. Zur Argumentation des EuGH in Gothaer Allgemeine vgl. oben Teil  I §  6 IV 2. 952  So auch Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 214 f. 951 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Prozess- oder Feststellungsurteil vollständig ausgehöhlt. Ferner lässt auch der weite Wortlaut von Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO, der von einer mit den Schutzgerichtsständen unvereinbaren Entscheidung spricht und damit dem Wort­ laut nach nicht zwingend die Unzuständigkeit des Erstgerichts verlangt, eine Überprüfung von Prozess- und Feststellungsurteilen des Erstgerichts über die internationale Zuständigkeit in den von ihm erfassten Fällen zu.953 Erneut werden an dieser Stelle die systematischen Wertungsfriktionen im Sys­ tem der Brüssel Ia-VO deutlich. Das Anerkennungsrecht der Brüssel Ia-VO ist dogmatisch nicht auf die Anerkennung von Prozessurteilen ausgerichtet. d)  Gefahr der Rechtlosstellung des Klägers Ein weiteres Folgeproblem aus Gothaer Allgemeine ergibt sich, wenn man die Derogationswirkung der ausschließlichen Wahl eines drittstaatlichen Gerichts Art.  25 Brüssel Ia-VO und nicht dem nationalen IZVR entnimmt.954 In diesem Fall bindet die Entscheidung eines europäischen Gerichts über seine eigene De­ rogation aufgrund der ausschließlichen Wahl eines drittstaatlichen Gerichts sämtliche europäischen Gerichte. Dies führt dazu, dass kein mitgliedstaatliches Gericht international zuständig ist, bzw. auch nur die Wirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung selbständig prüfen darf.955 Im Grunde ist dies bereits in Gothaer Allgemeine der Fall gewesen, da dort die Wahl isländischer Gerichte durch das belgische Gericht bindend festgestellt wurde. Dies fiel aber deshalb nicht weiter auf, weil der einschlägige Art.  23 LugÜ, der die Wahl eines isländischen Gerichts aus Sicht sämtlicher Mitgliedstaaten der EU regelt, mit Art.  23 Brüs­ sel I-VO übereinstimmte. Im Grunde aber wurde in Gothaer Allgemeine sämtli­ chen Gerichten im europäischen Justizraum die internationale Zuständigkeit ent­ zogen, obwohl das LG Bremen wie die beteiligten Versicherungen Zweifel an der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung hatten. Es entsteht somit die Gefahr eines negativen Kompetenzkonflikts. Denn das drittstaatliche Gericht, das nicht unbedingt ein Konventionsstaat des LugÜ sein muss und daher vollkommen andere Wirksamkeitsanforderungen an internatio­ nale Gerichtsstandsvereinbarungen stellen kann, hält möglicherweise die Ge­ richtsstandsvereinbarung seinerseits für unwirksam und sich für international unzuständig. Der Kläger dürfte dann nirgendwo klagen.956 So auch Schlussanträge des Generalanwalts v. 6.9.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine – Slg. 2013, Rz.  97; Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 214 f. 954  Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 217; vgl. oben Teil  I §  2 I. 955  Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 217. 956  Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 217; zur Behandlung von negativen Kompetenzkonflikten im IZVR vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn 455–460. 953 

§  6  Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege lata

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Die Brüssel Ia-VO gerät so zwischen Scylla und Charybdis. Denn entweder ist Art.  25 Brüssel Ia-VO auch hinsichtlich der Derogationswirkung nicht auf die Wahl eines drittstaatlichen Gerichts anwendbar.957 Dann kann aber der Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Versicherungsnehmern nach Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO unterlaufen werden, da lediglich nationales IZVR zur An­ wendung käme.958 Oder aber die Derogationswirkung einer Wahl drittstaatlicher Gerichte bemisst sich nach Art.  25 Brüssel  Ia-VO. Dann droht etwa bei einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung zu den Gerichten eines Drittstaats dem Kläger die Entziehung sämtlicher Gerichtsstände in der EU aufgrund einer fehlerhaften Entscheidung eines einzigen mitgliedstaatlichen Gerichts. Auch die­ ses Problem beruht, wie gezeigt, auf der vom EuGH in Gothaer Allgemeine eta­ blierten Anerkennung von Prozessurteilen über die Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, die im Zweitstaat nicht auf ihre Prorogationswid­ rigkeit überprüft werden darf.

V.  Zwischenergebnis Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass Urteile unter der Brüs­ sel Ia-VO de lege lata vom Anerkennungsgericht grundsätzlich nicht auf die Vereinbarkeit mit Art.  25 Brüssel Ia-VO nachgeprüft werden dürfen.959 Auch mit Art.  25 Brüssel Ia-VO unvereinbare und damit prorogationswidrige Urteile sind von anderen mitgliedstaatlichen Gerichten anzuerkennen. Diesen Grundsatz dehnte der EuGH in Gothaer Allgemeine auch auf Prozessurteile aus, in denen die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt wird.960 Die einzige Ausnahme vom Verbot der Nachprüfung der Vereinbarkeit eines Urteils mit Art.  25 Brüssel  Ia-VO sieht die Brüssel  Ia-VO bei typischerweise schutzwürdigen Parteien vor. Hier darf das Anerkennungsgericht über Art.  45 Abs.1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO die Zuständigkeit des Urteilsgerichts nachprüfen. Davon werden auch Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art.  15 Nr.  1, 15 Nr.  5, 19 Nr.  1 und 23 Nr.  1 in Verbindung mit Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO umfasst, was systematisch widersprüchlich ist.961 Dass prorogationswidrigen Urteilen die Anerkennung nicht versagt werden kann, wird, wie im Folgenden zu zeigen ist, in der Literatur und von den Akteu­ ren des Binnenmarkts unterschiedlich bewertet. So auch die Lösung von Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 217. Vgl. dazu oben Teil  I §  2 I. 959  Teil  I §  6 II. 960  Teil  I §  6 IV. 961  Teil  I §  6 III. 957  958 

§  7  Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata Dass die Wahl oder Abwahl des Erstgerichts vom Zweitgericht nicht nachgeprüft werden darf, ist auf den ersten Blick überraschend. Denn das Vertrauen der Par­ teien in die Einhaltung ihrer Gerichtsstandsvereinbarung sowie der Umstand, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche Zuständigkeit be­ gründen kann, sprechen zunächst für eine Nachprüfung durch das Zweitgericht. Zudem bestehen mit Blick auf den neu eingeführten Art.  31 Abs.  2 Brüssel IaVO, wie gezeigt, Rechtsschutzlücken, die auch weiterhin eine Umgehung von Gerichtsstandsvereinbarungen befürchten lassen. De lege ferenda würde deshalb ein Anerkennungsversagungsgrund in Art.  45 Abs.  1 lit.  e Brüssel  Ia-VO, auf­ grund dessen das Zweitgericht die Vereinbarkeit eines Urteils mit Art.  25 Brüs­ sel  Ia-VO und damit dessen Prorogationswidrigkeit im Rahmen der Anerken­ nungsversagungsprüfung nachprüfen darf, die von Gerichtsstandsvereinbarun­ gen ausgehende Rechtssicherheit und zuständigkeitsrechtliche Vorhersehbarkeit verbessern und Gerichtsstandsvereinbarungen so vor Umgehungen schützen. De lege lata kann prorogationswidrigen Urteilen jedoch die Anerkennung nicht nach Art.  45 Abs.  3 Brüssel Ia-VO versagt werden. Im Folgenden soll daher herausge­ arbeitet werden, wie die Literatur und bedeutende Akteure des europäischen Zi­ vilprozessrechts das de lege lata bestehende Verbot der Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile bewerten.

I.  Bewertung in der Literatur In der Literatur wird die Frage, ob die Zuständigkeit des Erstgerichts bei Vorlie­ gen einer Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen eines Anerkennungsversa­ gungsgrundes nachgeprüft werden sollte, kaum thematisiert.962 Insgesamt wird über Anerkennungsversagungsgründe wenig diskutiert. Im Folgenden soll den­ noch der Versuch unternommen werden, soweit möglich typische Argumente für

962  Vgl. nur die Nichtbeachtung bei Mankowski, IPRax 2009, S.  23, 25; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), S.  157, 165–185.

§  7  Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata

177

und gegen einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen herauszuarbeiten.

1.  Ablehnung der Anerkennungsversagung a)  Vertrauensprinzip und Urteilsfreizügigkeit Die wohl entscheidende Begründung für das Verbot der Nachprüfung der erstge­ richtlichen Zuständigkeit bei Vorliegen einer internationalen Gerichtsstandsver­ einbarung und damit gegen einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutze internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen ist in Vertrauensprinzip und Ur­ teilsfreizügigkeit zu sehen.963 Nach Auffassung einiger Autoren würde ein Aner­ kennungsversagungsgrund für prorogationswidrige Urteile eine offenkundige Einschränkung des Vertrauensprinzips darstellen, was rechtpolitisch verwerflich sei.964 Zwar sei der Schutz insbesondere ausschließlicher Gerichtsstandsverein­ barungen ein legitimes Ziel. Dies rechtfertige jedoch nicht die Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit.965 Es wird durchaus gesehen, dass die Anerken­ nungsversagung prorogationswidriger Urteile ein effektives Mittel zum Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen wäre, und insbesondere die Ein­ haltung von Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem in Europa anerkannten Grundsatz pacta sunt servanda auch gewollt ist.966 Jedoch würde eine Nachprü­ fung dem Trend zur Abschaffung der Anerkennungsversagungsgründe zuwider laufen.967 Stellvertretend für dieses Argumentationsmuster kann der Heidelberg Report herangezogen werden. In diesem stellt M. Weller ausdrücklich fest, dass es fol­ gerichtig wäre, bei Umkehr des litispendenzrechtlichen Prioritätsprinzips zum Schutze ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen diese Wertung auch im Anerkennungsrecht nachzuvollziehen und die Anerkennungsversagung proroga­ tionwidriger Urteile zuzulassen.968 Jedoch bestehe kein Grund, das Vertrau­ 963  Vgl. nur Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  401; Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstre­ ckungsrecht, 2015, Art.  45 Rn.  52. 964  Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  401; Fentiman, in: de Vareilles-Sommières (Hg.), Forum Shopping in the European Judi­ cial Area, 2007, S.  27, 49 f. 965 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Vorbem. Art.  2 Rn.  20 d; Kropholler, Euro­ päisches Zivilprozeßrecht, 2005, Art.  35 Rn.  14. 966  Briza, JPIL 2009, 537, 563; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 199, Fn.  45. 967  Briza, JPIL 2009, 537, 563; Hilbig-Lugani, in: FS Schütze, 2014, S.  194, 199, Fn.  45. 968  Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  401.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

ensprinzip durch einen Anerkennungsversagungsgrund weiter auszuhöhlen.969 Im Grunde spiegelt dies die Argumentation des EuGH in Gothaer Allgemeine wider.970 Damit übereinstimmend stellt auch Fentiman fest: „To contemplate that the first court’s finding on jurisdiction may be overridden by the contractual forum is no doubt contrary to the principle of mutual trust between member states which informs the regulation.“971 Deutlich kommt dies auch bei E. Peiffer zum Aus­ druck: „Gegen die Einführung eines derartigen Anerkennungsversagungsgrundes spricht allerdings neben den bereits erwähnten Bedenken aus ökonomischer Sicht, dass der Entfall der Anerken­ nungszuständigkeit gerade als Errungenschaft für die Schaffung eines europäischen Justiz­ raums gefeiert wurde, da hierdurch die Anerkennungshindernisse insgesamt reduziert worden sind. Eine (teilweise) Neueinführung wäre demgegenüber ein Rückschritt.“972

Vor diesem Hintergrund konstatieren einige Autoren, dass das Bekenntnis zur Privatautonomie in Form von Gerichtsstandsvereinbarungen lediglich ein Lip­ penbekenntnis sei, das dem Vertrauensprinzip geopfert werde.973 Fast schon resi­ gnierend stellt Briggs etwa fest: „The particular status of agreements on jurisdiction in the common law scheme of jurisdiction may itself proceed from a view of jurisdiction, and of the recognition of judgments, that agree­ ment and consent is a higher form of jurisdiction, overshadowing everything else and entitled to a higher degree of judicial protection. But if the Regulation is constructed on a different philosophical basis, it may be futile to seek to find within it a status for jurisdiction agreements, and for arguments designed to promote them, which is not there.“974

Ergänzend wird darauf verwiesen, dass die Nachprüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung de lege lata einer revision au fond gleichkomme und daher unzulässig sei.975 Auch dies entspricht der Argumentation des EuGH in Gothaer Allgemeine.976

Hess/Pfeiffer/Schlosser/M. Weller, The Brussels I-Regulation (EC) No. 44/2001, 2008, Rn.  401. 970  Zur Argumentation des EuGH in Gothaer Allgemeine vgl. oben Teil  I §  6 IV 2. 971  Fentiman, in: de Vareilles-Sommières (Hg.), Forum Shopping in the European Judicial Area, 2007, S.  27, 50 972  E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014, S.  399. 973  Briza, JPIL 2009, S.  537. 974  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.43 975  G. Roth, ZZP 93 (1980), S.  156, 177; Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.41. 976  Vgl. zu Gothaer Allgemeine oben Teil  I §  6 IV. 969 

§  7  Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata

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b)  Unterschied zu den ausschließlichen Gerichtsständen nach Art.  24 Brüssel Ia-VO Im Gegensatz zu einer ausschließlichen Zuständigkeit aufgrund einer Gerichts­ standsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO werden die ausschließlichen Zu­ ständigkeiten nach Art.  24 Brüssel Ia-VO durch den Anerkennungsversagungs­ grund des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (ii) Brüssel Ia-VO geschützt. Dieser Unterschied wird nach Auffassung von Briggs dadurch gerechtfertigt, dass die Zuständigkei­ ten des Art.  24 Brüssel Ia-VO der parteiautonomen Dispositionsbefugnis gänz­ lich entzogen seien.977 Demgegenüber stehe die Zuständigkeit nach Art.  25 Brüs­ sel Ia-VO zur Disposition der Parteien.978 Denn die Parteien könnten eine Ge­ richtsstandsvereinbarung wieder aufheben oder durch rügelose Einlassung nach Art.  26 Brüssel Ia-VO übergehen.979 c)  Mangelnde Schutzbedürftigkeit der Parteien Vereinzelt wird auch argumentiert, dass die Parteien einer Gerichtsstandsverein­ barung nicht die gleiche Schutzbedürftigkeit wie die typischerweise schwäche­ ren Parteien im Rahmen von Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO besäßen. Des­ halb sei der anerkennungsrechtliche Schutz der Schutzgerichtsstände gerechtfer­ tigt, der Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen aber nicht.980 d)  Vermeidung doppelter Prüfungen Ein bedeutendes, gegen die Implementierung eines Anerkennungsversagungs­ grundes herangezogenes Argument stellt die Vermeidung doppelter Prüfungen dar. Es sei ökonomisch nicht sinnvoll, bei einem Urteil, das auf einer Entschei­ dung des Erstgerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung be­ ruht, die internationale Zuständigkeit erneut vom Zweitgericht prüfen zu lassen. Dies generiere zusätzliche Kosten und sei daher ökonomisch ineffizient.981 Zudem widerspreche die doppelte Prüfung dem Grundsatz, dass über das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nur einmal von einem mitgliedstaatli­ chen Gericht entschieden wird, und insofern parallel zum Vertrauensprinzip eine doppelte Prüfungsmöglichkeit hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit systematisch nur in den besonders gelagerten Fällen des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42. 979  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42. 980  Vgl. etwa Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Voll­ streckungsrecht 2015, Art.  45 Rn.  64. 981  E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014, S.  398 f. 977  978 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

und (ii) Brüssel Ia-VO vorgesehen sei.982 Diese Ausnahmen seien durch die be­ sonderen Interessen besonders schutzbedürftiger Parteien sowie die Souveräni­ tätsinteressen der Mitgliedstaaten in Bezug auf ausschließliche Zuständigkeiten gerechtfertigt.983

2.  Befürwortung der Anerkennungsversagung Neben der Ablehnung eines Anerkennungsversagungsgrundes wird in der Litera­ tur zum Teil auch die Auffassung vertreten, dass die Anerkennungsversagung eines prorogationswidrigen Urteils möglich sein sollte. a)  Verbesserter Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen Ein erstes Argument der Befürworter eines Anerkennungsversagungsgrundes stellt die als notwendig erachtete Ergänzung des Schutzes internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen unter der Brüssel Ia-VO dar. Insbesondere in Ergän­ zung zu Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO würde ein Anerkennungsversagungsgrund die Effizienz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen und die damit einher­ gehende Rechtssicherheit stärken. So vertritt Kindler die Auffassung, dass es ein entscheidender Schwachpunkt der Brüssel Ia-VO sei, dass Art.  31 Abs.  2 Brüs­ sel  Ia-VO nicht von einem Anerkennungsversagungsgrund flankiert werde.984 Durch die Anerkennungsfähigkeit auch der Urteile eines derogierten Gerichts schwebe bei einem dortigen Verfahren über dem Beklagten stets ein Damokles­ schwert. Denn der Beklagte könne sich nicht sicher sein, dass das derogierte Gericht nicht doch seine Aussetzungspflicht nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO verletzt und über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung oder gar in der Sache entscheidet.985 Dies verursache für den Beklagten lästige und nicht zu unterschätzende Kosten.986 Wie Kindler sind auch Magnus und Mankowski der Auffassung, dass Gerichts­ standsvereinbarungen nur unzureichend geschützt werden, wenn Urteile, die un­ ter Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung ergehen, anerkannt werden können. Zur Komplettierung des Schutzes „des“ zentralen Planungsinstruments in Bezug auf zuständigkeitsrechtliche Unsicherheiten sei daher ein Anerken­ nungsversagungsgrund bei Verstoß eines Gerichts gegen eine Gerichtsstandsver­ Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42; vgl. auch oben Teil  I §  6 III 2. 984  Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491. 985  Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491 986  Kindler, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S.  485, 491 f. 982  983 

§  7  Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata

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einbarung zu normieren.987 Jedoch sollte das Zweitgericht die Anerkennung dann nicht versagen dürfen, wenn das Erstgericht die Unwirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung ausdrücklich festgestellt habe.988 Mit Blick auf eine Ergänzung der Rechtshängigkeitsregeln sowie den Gleich­ lauf von HGÜ und Brüssel  Ia-VO befürwortet auch Dickinson die Anerken­ nungsversagung prorogationswidriger Urteile.989 Denn wie bei Art.  6 HGÜ könn­ te kein derogiertes Gericht ein Urteil in der Sache erlassen, das anschließend Anerkennungsfähigkeit genießen würde.990 Nach Dickinson sollten Prozessurtei­ le über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung schon nicht unter den Entscheidungsbegriff der Art.  2 lit.  a, Art.  36 Brüssel  Ia-VO fallen, sodass die Anerkennung eines solchen Urteils überhaupt nicht in Betracht komme.991 b)  Vergleich zu den ausschließlichen Gerichtsständen Neben einer Verbesserung des Schutzes internationaler Gerichtsstandsvereinba­ rungen wird auch in systematischer Hinsicht auf einen Vergleich zu den aus­ schließlichen Gerichtsständen des Art.  24 Brüssel Ia-VO rekurriert. So vertreten Magnus und Mankowski die Auffassung, dass ein Anerkennungsversagungs­ grund ausschließliche Gerichtsstände nach Art.  24 und 25 Brüssel Ia-VO endlich einander angleichen und gleichermaßen schützen würde.992 Auch Hess hält es für „in systematischer Hinsicht wenig verständlich“, die ausschließliche Zuständig­ keit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen der Anerkennungs­ versagungsgründe anders als die ausschließliche Zuständigkeit nach Art.  24 Brüssel Ia-VO zu behandeln.993 Ausdrücklich im Anschluss an Magnus und Mankowski befürwortet auch M. Weller einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz ausschließlicher Ge­ richtsstandsvereinbarungen. Denn systematisch hätten ausschließliche Gerichts­ standsvereinbarungen durch die Privilegierung in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eine ähnlich schützenswerte Position wie die ausschließlichen Gerichtsstände Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), S.  1, 15. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), S.  1, 15 f. 989  Dickinson, Stellungnahme zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rn.  23, abrufbar un­ ter (zuletzt abgerufen am 18.3.2017). 990  Dickinson, Stellungnahme zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rn.  23, abrufbar un­ ter (zuletzt abgerufen am 18.3.2017). 991  Dickinson, Stellungnahme zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rn.  23, abrufbar un­ ter (zuletzt abgerufen am 18.3.2017). 992  Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), S.  1, 15 f. 993 Schlosser/Hess/Hess, EuGVVO, 2015, Art.  45 Rn.  38. 987  988 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

nach Art.  24 Brüssel Ia-VO erlangt.994 Und zudem werde teleologisch nur durch einen Anerkennungsversagungsgrund der Schutz ausschließlicher Gerichts­ standsvereinbarungen, den Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO vorsieht, umfassend gewährleistet.995 c)  Achtung der Parteiautonomie Auf die Parteiautonomie abstellend fordert auch Briggs deren Schutz durch die Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile.996 Demnach würde ein Anerkennungsversagungsgrund die Parteien zum Abschluss von Gerichtsstands­ vereinbarungen inzentivieren, was rechtspolitisch gewünscht sei.997 Briggs kriti­ siert, dass das Anerkennungsversagungsrecht und die Brüssel Ia-VO in kontinen­ taler Manier auf das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander und nicht auf das Verhältnis zwischen den Parteien im Sinne der Tradition des common law zugeschnitten seien.998 d)  Vermeidung bindender Verweisungen Schließlich unterstützt Geimer einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schut­ ze internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen.999 Denn dadurch könne die bin­ dende Verweisung zwischen den Gerichten vermieden werden, die das europäi­ sche Zivilprozessrecht gerade nicht kenne.1000 Das Zweitgericht sollte lediglich an die Feststellung der Unzuständigkeit des derogierten Erstgerichts, nicht aber an die Feststellung der Zuständigkeit des prorogierten Gerichts gebunden sein.1001

M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 277, Fn.  97. M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 277, Fn.  97. 996  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.43; Briza, JPIL 2009, 537. 997  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.43: „If the parties are to be encouraged to make jurisdiction agreements, the more the incentive the more likely it is to happen.“ 998  Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.38; vgl. zu diesem Punkt auch oben Teil  I §  4 II 1. 999  Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 292, Fn.  20. 1000  Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S.  287, 292, Fn.  20; vgl. dazu ausführlich bereits oben Teil  I §  6 IV 3 b. 1001  Zöller/Geimer, ZPO, 2018, Art.  25 Rn.  50. 994  995 

§  7  Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata

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II.  Bewertung durch Akteure des Binnenmarkts Deutliche Unterstützung fand die Einführung eines Anerkennungsversagungs­ grundes im Rahmen der Stellungnahmen zum Grünbuch der Kommission aus dem Jahr 2009.1002 Mit dem Fragenkatalog des Grünbuchs wollte die Europäi­ sche Kommission im Anschluss an den Heidelberg Report mögliche Vorschläge für eine Revision der Brüssel I-VO zur Diskussion stellen und die Auffassungen und Erfahrungen interessierter Kreise und Rechtsanwender einholen. Da die Kommission aber von Beginn an eine Abschaffung der Anerkennungsversa­ gungsgründe anstrebte, stellte sie die Implementierung eines Anerkennungsver­ sagungsgrundes bei Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung gar nicht erst zur Debatte. Gleichwohl fügten einige der Befragten einen solchen Anerken­ nungsversagungsgrund in ihre Antworten ein. Sie beantworteten damit im Grun­ de eine Frage, die die Kommission gar nicht gestellt hatte. Bereits dieser Um­ stand spricht für die hohe praktische Bedeutung der Frage nach der Anerken­ nungsversagung prorogationswidriger Urteile in der Praxis. Der am häufigsten angeführte Grund für die Anerkennungsversagung eines unter Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung ergangenen Urteils ist die auch von der Literatur geforderte Komplettierung des Schutzes internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen gegen Torpedoklagen.1003 So unterstützte etwa die britische Regierung die Implementierung eines Anerkennungsversagungs­ grundes genau aus diesem Grund: „Notwithstanding our support for the aboli­ tion of exequatur, the final provision which we would support would be a rule to ensure that judgments delivered in breach of valid prorogation agreements could be denied recognition in other Member States. This would be a further disincen­ tive to parties attempting to undermine such agreements.“1004 Und auch die Re­ gierung Sloweniens befürwortete die Anerkennungsversagung, wenn der Be­ klagte die Gerichtsstandsvereinbarung vor dem Erstgericht rechtzeitig geltend gemacht hat.1005 1002 

Grünbuch KOM (2009) 175 endg. Vgl. nur die Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  5.31, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017); Stellungnahme von Allen & Overy zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rn.  53, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1004  Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  17, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1005  Stellungnahme der Republik Slowenien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Ant­ wort auf Frage 3, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1003 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Nach Auffassung des britischen House of Lords nimmt die Anerkennungsver­ sagung jeglichen Anreiz zu taktischer Prozessführung entgegen einer Gerichts­ standsvereinbarung.1006 Ein Anerkennungsversagungsgrund könne so einen Wettlauf um das Urteil verhindern und damit die letzten verbliebenen Anreize1007 für Torpedoklagen beseitigen.1008 Darüber hinaus zeigt Art.  22 Brüssel I-VO, der heutige Art.  24 Brüssel  Ia-VO, nach Auffassung des Financial Markets Law Committee,1009 dass die Beurteilung einer ausschließlichen Zuständigkeit durch das Zweitgericht durchaus über die Beurteilung durch das Erstgericht gestellt werden könne.1010 In Übereinstimmung mit der oben dargelegten, systematischen Kritik von Hess1011 diskutiert auch der Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE) die Anlehnung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen an die ausschließ­ lichen Gerichtsstände nach Art.  24 Brüssel  Ia-VO.1012 Der CCBE schlägt zu­ nächst eine Verlegung des Art.  25 in Abschnitt 6 der Brüssel Ia-VO und damit eine Annäherung an die ausschließlichen Gerichtsstände des Art.  24 Brüssel IaVO vor. Damit einhergehen sollte dann ein eigener Anerkennungsversagungs­ grund bei Verstoß gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung. Dafür dürfe aber das Zweitgericht nicht an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts gebunden werden, da gegen Gerichtsstandsvereinbarungen verstoßende Urteile gerade oft auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage ergingen.1013

1006  Stellungnahme des britischen House of Lords zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  59, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017); Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  1.8, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1007  Vgl. dazu oben Teil  I §  4 V. 1008  So ausdrücklich die Stellungnahme des Bar Council of England and Wales zum Grün­ buch KOM (2009) 175 endg., Rz.  3.4, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1009  Das Financial Marktes Law Committee ist ein institutionalisiertes Forum zum Aus­ tausch über Finanzmarktrecht mit Sitz in London. 1010  Stellungnahme des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  5.33, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1011  Vgl. oben Teil  I §  7 I 2 b. 1012  Stellungnahme des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE) zum Grün­ buch KOM (2009) 175 endg., S.  5, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1013  Stellungnahme des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE), zum Grün­ buch KOM (2009) 175 endg., S.  5, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).

§  7  Bewertung des Nachprüfungsverbots de lege lata

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Ausdrücklich gegen die Anerkennungsversagung sprach sich lediglich das Königreich Spanien aus. Zur Begründung führte es die größtmögliche Urteils­ freizügigkeit an.1014

III.  Zwischenergebnis Die Bewertung der Rechtslage de lege lata und eines Anerkennungsversagungs­ grundes im Fall prorogationswidriger Urteile de lege ferenda offenbart eine ge­ wisse Ambivalenz. Auf der einen Seite unterstützen prominente Stimmen grund­ sätzlich einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen. Nach nahezu allgemeiner Auffassung wäre ein Anerkennungsversagungsgrund eine sinnvolle Ergänzung zu Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und auch dogmatisch in Anlehnung an Art.  24 Brüssel Ia-VO an­ gezeigt. Auf der anderen Seite wird oftmals nahezu reflexhaft unter Verweis auf das Vertrauensprinzip, die Urteilfreizügigkeit oder auf eine allgemeine Tendenz zur Abschaffung der Anerkennungsversagungsgründe ein solcher Anerkennungs­ versagungsgrund abgelehnt. Wie gezeigt überzeugt letzteres Argument jedoch nicht. Die Anerkennungsversagung prorogationswidriger Urteile kann vielmehr ein sinnvolles rechtspolitisches Mittel zur Stärkung des Binnenmarkts sein.1015 Um einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutze internationaler Ge­ richtsstandsvereinbarungen dogmatisch und rechtspolitisch besser bewerten zu können, soll im Folgenden die Analyse der Brüssel Ia-VO um einen rechtsver­ gleichenden Blick auf das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsverein­ barungen vom 30.6.2005 (HGÜ) ergänzt werden. Dies bietet sich an, weil der europäische Gesetzgeber sich ganz bewusst bei der Schaffung des Art.  25 Brüs­ sel Ia-VO an den Regelungen des HGÜ orientierte.1016 Zudem haben europäische Gerichte das HGÜ wie die Brüssel Ia-VO als unmittelbar geltendes Recht anzu­ wenden. Vor dem Hintergrund der in den vorangegangenen Kapiteln angestellten Betrachtungen soll daher analysiert werden, wie die Anerkennung prorogations­ widriger Urteile im HGÜ geregelt ist, und welche Rückschlüsse daraus für die Brüssel Ia-VO gezogen werden können.

1014 

Stellungnahme des Königreichs Spanien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Ant­ wort auf Frage 3, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). 1015  Vgl. oben Teil  I §  5 III 3 a cc. 1016  Vgl. KOM (2010) 748 endg. S.  5; SEC (2010) 1547 final, S.  29; zum Verhältnis von HGÜ und Brüssel Ia-VO vgl. unten Teil  I §  8 I.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 Das HGÜ vom 30.6.2005 trat am 1.10.2015 mit der Ratifikation durch die EU in Kraft.1017 Es geht auf langwierige Verhandlungen seit den 1990er Jahren zurück und stellt im Grunde einen Teil eines umfassenden Zuständigkeits- und Anerken­ nungs- und Vollstreckungsübereinkommen dar.1018 Es gilt bislang im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten,1019 Mexiko, Singapur und Montenegro.1020 Ausweislich seiner Präambel ist das Ziel des HGÜ, die Rechtssicherheit und Wirksamkeit in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und dadurch den inter­ nationalen Handel sowie internationale Investitionen zu fördern.

I.  Verhältnis von HGÜ und Brüssel Ia-VO In Bezug auf das Verhältnis von HGÜ und Brüssel Ia-VO lassen sich zwei ver­ schiedene Ebenen unterscheiden. Auf der einen Ebene stellt sich die Frage des Anwendungsvorrangs, wenn ein Sachverhalt sowohl unter das HGÜ als auch 1017  Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, ABl.  EU 2009 Nr. L 133, S.  3. 1018  Zur Vorgeschichte des HGÜ vgl. Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  4–14; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 102–109. 1019  Durch die Ratifizierung vom 30.5.2018 ist das HGÜ am 1.9.2018 auch in Dänemark in Kraft getreten. 1020  Für Singapur ist das HGÜ aufgrund der Ratifizieung vom 2.6.2016 am 1.10.2016, für Montenegro aufgrund der Ratifizierung vom 18.4.2018 am 1.8.2018 in Kraft getreten. Das Vereinigte Königreich hat das HGÜ am 28.12.2018 aufgrund des bevorstehenden Austritts aus der EU mit Inkrafttreten zum 1.4.2019 ratifiziert. Die USA haben bislang aufgrund von Zustän­ digkeitskonflikten zwischen Bund und Einzelstaaten das HGÜ noch nicht ratifiziert. Ebenso hat auch die Ukraine das HGÜ unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert. Für eine Übersicht über den Status der jeweiligen Konventionsstaaten vgl. (zuletzt abgerufen am 17.3.2017); vgl. Stand der Debatte in den USA auch P. Huber, IPRax 2016, S.  197. Eine erweiterte Bedeutung könnte dem HGÜ durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und dessen anschließendem Beitritt zum und Ratifikation des HGÜ zukommen, vgl. etwa Dickinson, JPIL 2016, S.  195, 210, Hess, IPRax 2016, S.  409, 415.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 187

unter die Brüssel Ia-VO fällt. Art.  26 Abs.  6 lit.  a HGÜ regelt für diesen Fall den Vorrang der Brüssel Ia-VO als Rechtsinstrument einer Organisation der regiona­ len Wirtschaftsintegration, wenn keine der Parteien ihren Aufenthalt in einem Konventionsstaat hat, der kein Mitgliedstaat der EU ist.1021 Mit anderen Worten kommt die Brüssel Ia-VO im Anwendungsbereich des HGÜ dann zur Anwen­ dung, wenn es sich um einen innereuropäischen Sachverhalt handelt, beide Par­ teien ihren Aufenthalt also in einem Mitgliedstaat der EU haben.1022 Ebenso sieht Art.  26 Abs.  6 lit.  b HGÜ den Vorrang der Brüssel Ia-VO für den Fall der Aner­ kennung und Vollstreckung eines Urteils zwischen zwei Mitgliedstaaten der EU vor.1023 Schließlich ist die Brüssel Ia-VO anwendbar, wenn der Sachverhalt nur Bezüge zu einem Nicht-Konventionsstaat und einem Mitgliedstaat der EU hat.1024 Die zweite Dimension des Verhältnisses von HGÜ und Brüssel Ia-VO betrifft die Ebene, die Jayme den „Dialog der Quellen“ genannt hat.1025 Demnach stehen HGÜ und Brüssel Ia-VO zueinander in einem Dialog – sie beeinflussen einander gegenseitig im Gesetzgebungsprozess und im Rahmen von Auslegung und An­ wendung. Dies zeigt die deutliche Bezugnahme der Europäischen Kommission auf das HGÜ im Rahmen der Beratungen zur Brüssel Ia-VO: „Von den verschiedenen Möglichkeiten, die sich diesbezüglich bieten, wurde diejenige bevor­ zugt, die dem vereinbarten Gericht zuerst Gelegenheit gibt, seine Zuständigkeit festzustellen. Eine solche Vorgehensweise würde weitgehend dem im Haager Übereinkommen von 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen vereinbarten Mechanismus entsprechen und mithin für Kohä­ renz innerhalb der Union und auf internationaler Ebene sorgen, sollte sich die Union zu einem späteren Zeitpunkt entschließen, Vertragspartei des Übereinkommens von 2005 zu werden.“1026

Mit der Anlehnung an das HGÜ wollte die Kommission eine möglichst weitge­ hende Übereinstimmung von Brüssel Ia-VO und HGÜ erreichen. Dadurch soll die Effektivität internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen gesteigert werden. Denn Unternehmen sollen eine möglichst einheitliche Rechtslage im Fall der Vereinbarung europäischer und drittstaatlicher Gerichte vorfinden.1027 Dies soll die Rechtssicherheit erhöhen und sich somit wirtschaftsfördernd auswirken.1028 Ferner sollte nach der Intention der Kommission eine dem HGÜ angeglichene Brüssel Ia-VO den Beitritt der EU zum HGÜ erleichtern.1029 Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  82. Vgl. auch Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  82. 1023  P. Huber, in: FS Gottwald, 2014, S.  283, 287. 1024  P. Huber, in: FS Gottwald, 2014, S.  283, 285. 1025  Jayme/Kohler, IPRax 1995, S.  343; vgl. auch M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705 f. 1026  KOM (2010) 748 endg. S.  5; vgl. auch SEC (2010) 1547 final, S.  29; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 466. 1027  KOM (2010) 748 endg. S.  5, vgl. Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 463. 1028  KOM (2010) 748 endg. S.  5, vgl. Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), S.  461, 463. 1029  KOM (2010) 748 endg. S.  5, vgl. M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 706 f. 1021 Rauscher/M. 1022 

188

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Und auch umgekehrt kann es für das HGÜ faktisch nicht ohne Bedeutung sein, wenn die angeglichenen Vorschriften der Brüssel Ia-VO etwa durch den EuGH ausgelegt werden.1030 Aufgrund dieses „Dialogs“ von HGÜ und Brüssel Ia-VO können komparatis­ tische Erkenntnisse für die hier interessierende Frage nach der Anerkennungs­ versagung prorogationswidriger Urteile gewonnen werden.1031 Deshalb ist es sinnvoll, im Folgenden die Regelungen des HGÜ in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung prorogationswidriger Urteile in den Fokus zu rücken.

II.  Anwendungsbereich des HGÜ Nach Art.  1 HGÜ findet das HGÜ auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinba­ rungen in internationalen Sachverhalten Anwendung, wenn eine Zivil- oder Han­ delssache vorliegt, und der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet ist.1032

1.  Internationalität des Sachverhalts Das HGÜ findet auf internationale Sachverhalte Anwendung. Zur Anwendungs­ voraussetzung der Internationalität enthält das HGÜ für das Zuständigkeitsrecht in Kapitel II und das Anerkennungsrecht in Kapitel III einen jeweils unterschied­ lichen Anwendungsbereich.1033 Für das Zuständigkeitsrecht in Kapitel II sieht Art.  1 Abs.  2 HGÜ eine negati­ ve Definition des Anwendungsbereichs vor.1034 Ein Sachverhalt ist demnach nicht international, wenn die Parteien ihren Aufenthalt in demselben Konven­ tionsstaat haben, und sämtliche weiteren relevanten Aspekte des Rechtsstreits eine Verbindung nur zu diesem Staat aufweisen.1035 Dies gilt unabhängig davon, welches Gericht die Parteien vereinbart haben.1036 Im Ergebnis wird damit bei reinen Binnensachverhalten die Vereinbarung eines neutralen Gerichtsstands in einem anderen Konventionsstaat ausgeschlossen.1037 1030 

Zur gegenseitigen Beeinflussung der jeweiligen Auslegung von HGÜ und Brüssel IaVO vgl. M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 706. 1031  Für eine rechtsvergleichende Gegenüberstellung von HGÜ und Brüssel Ia-VO gerade in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705 ff. 1032 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  4. 1033  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 110 f.; Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/ v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 67. 1034  Vgl. auch P. Huber, IPRax 2016, S.  197. 1035  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  41. 1036  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  41. 1037 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  5.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 189

Anders definiert Art.  1 Abs.  3 HGÜ die Internationalität des Sachverhaltes für den Anwendungsbereich des Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts in Kapi­ tel III. Demnach ist ein internationaler Sachverhalt gegeben, wenn die Anerken­ nung einer Entscheidung eines ausländischen konventionsstaatlichen Gerichts geltend gemacht wird.1038 Unbeachtlich ist, ob die Entscheidung auf einem inter­ nationalen Sachverhalt im Sinne des Art.  1 Abs.  2 HGÜ beruht.1039 Hintergrund für die unterschiedlichen Definitionen der Internationalität des Sachverhalts ist das Ziel, auch bei Vermögensverlagerungen aus dem im Falle eines reinen Bin­ nensachverhalts gewählten Urteilsstaat die Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen Konventionsstaat zu ermöglichen.1040

2.  Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung Das HGÜ findet nach Art.  1 Abs.  1 HGÜ nur auf ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarungen Anwendung.1041 Im Gegensatz zur Brüssel Ia-VO, bei der Ge­ richtsstandsvereinbarungen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO nur eine von mehreren Möglichkeiten der Zuständigkeitsbegründung bilden, hängt die Anwendbarkeit des HGÜ insgesamt von der wirksamen Vereinbarung einer ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarung ab. a) Grundsatz Eine Definition ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen enthält Art.  3 HGÜ. Nach Art.  3 lit.  a HGÜ müssen die Parteien die Zuständigkeit eines Ge­ richts, der Gerichte oder bestimmter Gerichte eines Konventionsstaats vereinba­ ren.1042 Gewählt werden können folglich nur Gerichtsstände in einem Konven­ tions­staat.1043 Art.  3 lit.  a HGÜ sieht damit im Gegensatz zu Art.  25 Brüssel Ia-VO eine ausdrückliche Regelung für die Wahl mehrerer Gerichte in einem Mitglied­ staat vor und stellt so klar, dass unter einer ausschließlichen Gerichtsstandsver­ einbarung nicht nur die Wahl eines Gerichts, sondern auch der Gerichte eines Mitgliedstaats zu verstehen ist. Die Ausschließlichkeit bezieht sich damit auf die Ausschließlichkeit der internationalen, nicht der örtlichen Zuständigkeit.1044 Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  7. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  44; Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  7. 1040  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  45. 1041  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  28. 1042 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  8. 1043  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 117. 1044  Vgl. zu dieser Frage im Rahmen von Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO bereits Teil  I §  4 II 3 c. 1038 Rauscher/M. 1039 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Für die Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung enthält Art.  3 lit.  b HGÜ dabei ebenso wie Art.  25 Abs.  1 S.  2 letzter Halbsatz Brüssel Ia-VO eine Vermutungsregel. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss sich auf eine be­ stimmte Rechtsstreitigkeit oder bei künftigen Rechtsstreitigkeiten auf ein be­ stimmtes Rechtsverhältnis beziehen.1045 Genauso wie nach Art.  25 Abs.  5 Brüssel Ia-VO ist nach Art.  3 lit.  d HGÜ die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, die von den Parteien in einen Vertrag integriert wurde, selbständig und getrennt von der Wirksamkeit des Ver­ trags zu beurteilen.1046 Schließlich normiert Art.  3 lit.  c HGÜ die Anforderungen an die Formwirksamkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung.1047 Da die Vorschriften zur Formwirksamkeit in den Regeln zum Anwendungsbe­ reich normiert wurden, können diese vom vereinbarten, vom derogierten und vom Anerkennungsgericht als Anwendungsvoraussetzung des HGÜ jeweils ne­ ben der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung geprüft wer­ den.1048 Dies folgt daraus, dass die wirksame Vereinbarung einer Gerichtsstands­ vereinbarung Voraussetzung für die Anwendung des HGÜ insgesamt ist. Die vorgelagerte Prüfung der Anwendung des HGÜ muss aber jedem angerufenen Gericht möglich sein, bevor es die Vorschriften des HGÜ anwendet. In diesem Punkt unterscheiden sich folglich HGÜ und Brüssel  Ia-VO, weil der Anwen­ dungsbereich der Brüssel Ia-VO auch unabhängig von der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung vorliegen kann. b)  Keine Anwendbarkeit auf nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen Das HGÜ findet nur auf die ausschließliche Vereinbarung der Zuständigkeit ei­ nes Gerichts oder von Gerichten eines Konventionsstaats Anwendung.1049 Die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Konventionsstaaten stellt folglich kei­ ne ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne der Art.  1 und 3 lit.  a HGÜ dar.1050 Zwar wurde die Behandlung von „multiple exclusivity“ in den Ver­ handlungen über das HGÜ diskutiert. Jedoch wurden nicht-ausschließliche Ge­ richtsstandsvereinbarungen mangels einer Regelung für parallele Verfahren nicht Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 69. 1046  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 117. 1047 Für eine ausführlichere Darstellung der Formvorschriften vgl. Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  14. 1048 Vgl. P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 203, 204. 1049  Vgl oben Teil  I §  8 II. 1050  So ausdrücklich Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  104. 1045 

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 191

aufgenommen.1051 Da ein Gleichlauf von HGÜ und Art.  25 Brüssel Ia-VO vom Europäischen Gesetzgeber ausdrücklich gewollt war,1052 spricht auch dies für die bereits dargestellte Auffassung, nach Art.  25 Brüssel Ia-VO die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten unter Ausschluss aller übrigen Ge­ richte nicht als ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zu qualifizieren.1053 Nicht als ausschließlich sind ferner auch asymmetrische Gerichtsstandsver­ einbarungen zu qualifizieren, da diese eben nur für eine der Parteien einen aus­ schließlichen Gerichtsstand begründen.1054 So führt der das HGÜ erläuternde Hartley/Dogauchi Report aus: „It was agreed by the Diplomatic Session that, in order to be covered by the Convention, the agreement must be exclusive irrespective of the party bringing the proceedings. So agreements of the kind referred to in the previous paragraph [asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarun­ gen] are not exclusive choice of court agreements for the purposes of the Convention. Howev­ er, they may be subject to the rules of the Convention on recognition and enforcement if the States in question have made declarations under Article 22.“1055

Der Hartley/Dogauchi Report unterstreicht somit die bereits dargestellte Auffas­ sung, dass bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen hinsichtlich der Ausschließlichkeit je nach Partei zu unterscheiden ist. Die einzelnen Zuständig­ keiten aufgrund der asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung können zwar je nach Partei ausschließlich sein.1056 Jedoch wird bei asymmetrischen Gerichts­ standsvereinbarungen stets auch die nicht-ausschließliche Zuständigkeit be­ stimmter Gerichte von den Parteien vereinbart. Gerade die konkurrierende Zu­ ständigkeit mehrerer Gerichte sollte im HGÜ aber nicht geregelt werden.1057 Denn mit der Begrenzung des Anwendungsbereichs des HGÜ auf ausschließli­ che Gerichtsstandsvereinbarungen wurde das umstrittene Thema der Behandlung paralleler Verfahren gemieden, die bei konkurrierenden Zuständigkeiten zwangs­ läufig aufgeworfen werden.1058 Nach der Systematik des HGÜ kann nur die inter­ nationale Zuständigkeit eines Konventionsstaats vereinbart werden, sodass sich die Frage nach zwei rechtmäßig parallel angerufenen konventionsstaatlichen Gerichten nicht stellt. Nach Art.  22 HGÜ können bestimmte Vertragsstaaten aber 1051  Vgl. dazu etwa Prel. Doc. No 21 of January 2003, Rz.  10–14, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  55, 55–57. 1052  Vgl. dazu Teil  I §  2 I. 1053  Vgl. zu dieser Diskussion Teil  I §  3 II 4 a. 1054  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 198 f.; vgl. zu der parallelen Diskussion im Rahmen von Art.  25 Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  3 II 4 b. 1055  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  106. 1056  Vgl. dazu ausführlich Teil  I §  3 II 4 b. 1057  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  48. 1058  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  48.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

durch gegenseitige Erklärung in ihrem Verhältnis den Anwendungsbereich des HGÜ auf nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen erweitern.1059 In Bezug auf asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen unterscheiden sich HGÜ und Brüssel Ia-VO daher voneinander. Nach Art.  25 Brüssel Ia-VO können asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen problemlos vereinbart werden, bestimmen sich hinsichtlich ihrer Ausschließlichkeit aber ebenfalls asymmetrisch je nach klagender Partei.1060 Dies ist möglich, weil die Brüssel IaVO das Problem konkurrierender Zuständigkeiten mit drohenden unvereinbaren Entscheidungen im Rechtshängigkeitsrecht in Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO nach dem Prioritätsprinzip löst.1061

3.  Zivil- und Handelssachen Das HGÜ findet nach Art.  1 Abs.  1 HGÜ auf Zivil- oder Handelssachen Anwen­ dung. Eine Definition enthält das HGÜ dabei nicht.1062 Der Hartley/Dogauchi Report verweist auf die allgemeine Verwendung des Begriffs der Zivil- und Han­ delssachen in internationalen Rechtsinstrumenten.1063 Nach M. Weller darf daher „vorsichtig“ Anleihe bei im Rahmen anderer internationaler Rechtsinstrumente herausgearbeiteten Konkretisierungen, insbesondere zur Brüssel Ia-VO, genom­ men werden.1064 Jedenfalls werden strafrechtliche und öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht erfasst.1065 Art.  2 HGÜ zählt zudem Bereiche auf, die vom sachlichen Anwendungsbereich des HGÜ ausgenommen sind.1066 Von Bedeu­ tung sind hier insbesondere Streitigkeiten, an denen ein Verbraucher beteiligt ist.1067 Das HGÜ ist folglich ein „b2b-Instrument“.1068

4.  Zeitlicher Anwendungsbereich Den zeitlichen Anwendungsbereich eröffnet Art.  16 HGÜ unter zwei Bedingun­ gen. Nach Art.  16 Abs.  1 HGÜ muss die Gerichtsstandsvereinbarung geschlos­ sen worden sein, nachdem des HGÜ im Staat des vereinbarten Gerichts in Kraft Vgl. auch Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  10. Teil  I §  3 II 4 b. 1061  Vgl. Teil  I §  4 I 1. 1062 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  16. 1063  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  49; vgl. die Erläuterungen zur Brüssel IaVO, Teil  I §  2 I. 1064 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  16 mit Fn.  56. 1065  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 198 1066  Vgl. ausführlich Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  17. 1067  Art.  2 Abs.  1 lit.  a HGÜ. 1068 So P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 198. 1059  1060 

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 193

getreten ist. Nach Art.  16 Abs.  2 HGÜ muss ferner das Verfahren eingeleitet worden sein, nachdem das HGÜ im Staat des angerufenen Gerichts in Kraft ge­ treten ist.1069

III.  Internationale Zuständigkeit nach dem HGÜ Das Recht der internationalen Zuständigkeit ist in Kapitel II des HGÜ geregelt. Art.  5 HGÜ normiert die internationale Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts, während Art.  6 HGÜ die Derogationswirkung vorsieht. Die internationale Zu­ ständigkeit nach dem HGÜ bezieht sich nur auf Entscheidungen in der Sache, nicht auf einstweilige Sicherungsmaßnahmen, wie Art.  7 HGÜ verdeutlicht.1070

1.  Prorogationswirkung Art.  5 HGÜ sieht vor, dass das vereinbarte Gericht international zuständig ist, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht des vereinbarten Gerichts ungül­ tig, in der englischen Sprachfassung „null and void“.1071 Es handelt sich, genauso wie bei Art.  25 Brüssel Ia-VO, um eine Gesamtverweisung,1072 die sich auf die rechtsgeschäftliche Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung bezieht.1073 Derogationsverbote des autonomen Rechts finden keine Anwendung.1074 Unter die Ungültigkeit fallen materielle Unwirksamkeits- und Nichtigkeitsgründe wie arglistige Täuschung, Irrtümer, fehlende Vertretungsmacht und die fehlende Ge­ schäftsfähigkeit.1075 Auf die autonomen Formwirksamkeitsanforderungen des Prorogationsstatuts wird hingegen nicht verwiesen, da diese sich unmittelbar aus dem HGÜ selbst ergeben.1076 Von der lex fori prorogati wird jedoch die Frage der materiellen Einigung erfasst, die anders als in Art.  25 Brüssel Ia-VO nicht kon­ ventionsautonom vereinheitlicht wurde und sich damit nach nationalem Recht bemisst.1077 Es können damit je nach gewähltem Konventionsstaat unterschiedli­ Vgl. zum Ganzen auch P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 199. R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 120. 1071  Zur Anlehnung der Regelung an das New Yorker Übereinkommen über die Anerken­ nung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 vgl. Prel. Doc. No 22 of June 2003, Rz.  91, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  77, 95. 1072 Kritisch P. Huber, in: FS Gottwald, 2014, S.  283, 286. 1073 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  22; zur Gesamtver­ weisung in Art.  25 Brüssel Ia-VO vgl. oben Teil  I §  2 II 3 c. 1074 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  22. 1075  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  126. 1076  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  126. 1077  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 204; Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. 1069  1070 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

che Voraussetzungen an die Vereinbarungen einer Gerichtsstandsvereinbarung geknüpft werden. Im Gegensatz zur Brüssel  Ia-VO enthält das HGÜ keine Regelungen zum Rechtshängigkeitsrecht. Nach der Konzeption des HGÜ kann lediglich die inter­ nationale Zuständigkeit eines Konventionsstaats in einer ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarung vereinbart werden.1078 Parallele Verfahren vor zwei je­ weils zuständigen Gerichten sind daher grundsätzlich, mit Ausnahme des Art.  22 HGÜ, nicht möglich.1079 Das angerufene, ausschließlich vereinbarte Gericht hat sich aufgrund einer wirksamen ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung, wie nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO,1080 für zuständig zu erklären, unabhän­ gig davon, ob ein paralleles Verfahren bereits vor einem anderen Gericht anhän­ gig ist.1081

2.  Derogationswirkung Nach Art.  6 HGÜ hat das derogierte Gericht bei Anrufung durch eine Partei grundsätzlich das Verfahren auszusetzen oder die Klage abzuweisen. Dies gilt unabhängig davon, ob das derogierte Gericht zuerst angerufen wurde oder nicht.1082 Durch Art.  6 HGÜ wird folglich die Derogationswirkung ausschließ­ licher Gerichtsstandsvereinbarungen durchgesetzt.1083 Anders als die Brüssel IaVO regelt damit das HGÜ die Derogationswirkung internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen ausdrücklich und erkennt deren zentrale Bedeutung an.1084 Von der Derogationswirkung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung machen die Art.  6 lit.  a bis d HGÜ wenige, eng auszulegende Aus­nahmen.1085 Art.  6 HGÜ regelt aber nicht die internationale Zuständigkeit des derogierten Gerichts. Selbst wenn also das angerufene, derogierte Gericht zu der Auffassung kommt, dass die Gerichtsstandsvereinbarung ausnahmsweise keine Derogations­ wirkung entfaltet, kann es auf diesen Umstand seine eigene internationale Zu­ ständigkeit nicht stützen. Es muss vielmehr seine internationale Zuständigkeit HProrogÜbk Rn.  26; Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 68. 1078  Teil  I §  8 II 2 b. 1079  Vgl. dazu bereits Teil  I §  8 II 2 b. 1080  Vgl. dazu Teil  I §  4 II. 1081  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 119, 123; P. Huber, in: FS Gottwald, 2014, S.  283, 291. 1082 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk, Rn.  25. 1083  Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  181. 1084  Für eine diesbezügliche Kritik des Art.  25 Brüssel Ia-VO vgl. Teil  I §  3 I 3. 1085 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  25.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 195

nach seinem autonomen Recht, möglicherweise dabei wiederum unter Berück­ sichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung, eigenständig bestimmen.1086 a)  Ausnahme des Art.  6 lit.  a HGÜ Nach Art.  6 lit.  a HGÜ muss das derogierte Gericht das Verfahren nicht ausset­ zen, wenn die Vereinbarung nach dem Recht des vereinbarten Konventionsstaats ungültig ist. Das derogierte Gericht prüft folglich die Wirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung nach dem vom Kollisionsrecht des vereinbarten Konven­ tions­staats bestimmten Recht in vollem Umfang.1087 Art.  6 lit.  a HGÜ ist die Komplementärvorschrift zu Art.  5 Abs.  1 HGÜ.1088 Sie stellt sicher, dass dem Kläger kein negativer Kompetenzkonflikt dadurch droht, dass das angerufene Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung fälschlicherweise für unwirksam hält und alle übrigen Gerichte sich für derogiert erklären.1089 Im Grunde wird damit der im Zusammenhang mit der Anerkennung von Prozessurteilen nach der Brüs­ sel Ia-VO aufgezeigten Gefahr vorgebeugt, dass die fehlerhafte Entscheidung eines Gerichts über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung sämtliche übrigen Gerichte binden kann, und diese die Wirksamkeit der Gerichtsstandsver­ einbarung und ihre davon abhängende internationale Zuständigkeit nicht mehr prüfen können.1090 Gleichwohl besteht aufgrund der Ausnahme von der grundsätzlichen Ausset­ zungs- bzw. Abweisungspflicht eines derogierten Gerichts nach Art.  6 HGÜ die Gefahr paralleler Verfahren und daraus resultierender widersprechender Ent­ scheidungen über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung.1091 Denn anders als in Art.  9 lit.  a HGÜ, der die Bindung des Zweitgerichts an die Feststel­ lung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung durch das Erstgericht im Rahmen der Anerkennung vorsieht, ist das derogierte Gericht an die Feststellung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung durch das prorogierte Gericht nicht gebunden.1092 Dies fällt jedoch, anders als unter der Brüssel Ia-VO, bei der grundsätzlich sämtliche Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte anerken­ nungsfähig sind, im Rahmen des HGÜ nicht weiter ins Gewicht, da nach Art.  8 HGÜ lediglich Urteile eines international ausschließlich vereinbarten Gerichts R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 121. M. Weller, in: FS Schütze, 2014, S.  705, 713; P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 204; Rau­ scher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  26. 1088  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  149. 1089  Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  182. 1090  Vgl. zu diesem Problem Teil  I §  6 IV 3 a, b und d. 1091  Zöller/Geimer, ZPO, 2016, Art.  25 Rn.  102; Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  182 f. 1092  Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  183; vgl. zu Art.  9 HGÜ unten Teil  I §  8 V. 1086  1087 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Anerkennungsfähigkeit besitzen.1093 Selbst wenn also das derogierte Gericht zu der Auffassung kommt, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des vereinbarten Konventionsstaats unwirksam ist, könnte es keine nach dem HGÜ anerkennungsfähige Entscheidung in der Sache oder ein anerkennungsfä­ higes Prozessurteil über die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung er­ lassen. b)  Ausnahme des Art.  6 lit.  b HGÜ Nach Art.  6 lit.  b HGÜ setzt das derogierte Gericht das Verfahren ferner nicht aus, wenn nach dem Recht des derogierten Gerichts einer Partei die Fähigkeit fehlte, die Gerichtsstandsvereinbarung zu schließen. Dies umfasst die Geschäftsfähig­ keit der Parteien, die damit vom derogierten Gericht sowohl nach der lex fori prorogati gemäß Art.  6 lit.  a HGÜ als auch nach seiner eigenen lex fori gemäß Art.  6 lit.  b HGÜ kumulativ geprüft wird.1094 Dadurch entsteht die Gefahr paral­ leler Verfahren und damit unvereinbarer Entscheidungen, da die Gerichtsstands­ vereinbarung, je nachdem welches Recht auf die Geschäftsfähigkeit angewendet wird, von dem gewählten Gericht für wirksam und dem derogierten Gericht für unwirksam gehalten werden kann.1095 Freilich wäre in einem solchen Fall nur das Urteil des gewählten Gerichts nach Art.  8 ff. HGÜ anerkennungsfähig.1096 c)  Weitere Ausnahmen Neben Art.  6 lit.  a und b HGÜ sind auch die Ausnahmen der Art.  6 lit.  c, d und e HGÜ zu beachten. Nach Art.  6 lit.  c HGÜ ist eine Gerichtsstandsvereinbarung vom derogierten Gericht dann nicht zu beachten, wenn ihre Beachtung einen ordre public-Verstoß darstellen würde bzw. zu einer offensichtlichen Ungerech­ tigkeit führen würde. Eine offensichtliche Ungerechtigkeit ist bei erheblichen Verletzungen der Parteiinteressen, insbesondere bei Missachtung des Grundsat­ zes der Parteiautonomie gegeben.1097 Nach Art.  6 lit.  d HGÜ hat das derogierte Gericht zudem die Gerichtsstandsvereinbarung dann nicht zu beachten, wenn aufgrund höherer Gewalt im forum prorogatum ein Verfahren nicht möglich 1093 

Vgl. dazu sogleich Teil  I §  8 IV. P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 204; Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  27. 1095  Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 67; Rühl, IPRax 2005, S.  410, 413; Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  185. 1096  Vgl. unten Teil  I §  8 IV. 1097 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  29; P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 204 f. 1094 Vgl.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 197

ist.1098 Nach Art.  6 lit.  e HGÜ muss das derogierte Gericht schließlich das Verfah­ ren auch dann nicht aussetzen oder die Klage abweisen, wenn das vereinbarte Gericht entschieden hat, kein Verfahren in der Sache durchzuführen.1099

IV.  Internationale Anerkennung nach dem HGÜ Das HGÜ regelt die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des ausschließlich vereinbarten Gerichts in Kapitel III. Nach Art.  4 Abs.  1 S.  1 HGÜ ist der Begriff der Entscheidung dabei weit zu verstehen. Erfasst werden sämtli­ che von einem Gericht in der Sache getroffenen Entscheidungen unabhängig von ihrer Bezeichnung. Darunter fallen auch Versäumnisurteile.1100 Eine Entschei­ dung ist nach dem HGÜ anerkennungs- bzw. vollstreckungsfähig, wenn sie im Urteilsstaat wirksam und vollstreckbar ist.1101 Die Rechtskraft der Entscheidung ist daher nicht notwendigerweise erforderlich.1102

1.  Grundsatz Art.  8 Abs.  1 HGÜ normiert den Grundsatz der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung des ausschließlich vereinbarten Gerichts in anderen Konven­ tionsstaaten.1103 Der Hartley/Dogauchi Report führt dazu aus: „The first and most important condition for recognition and enforcement is, therefore, the exis­ tence of an exclusive choice of court agreement designating the court of origin, which must be in a Contracting State.“1104 Das Zweitgericht ist zur Anerkennung der erstgerichtlichen Entscheidung grundsätzlich verpflichtet.1105 Bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art.  8 Abs.  1 HGÜ kann die Anerken­ nung und Vollstreckung des Urteils aber aufgrund eines der Anerkennungsversa­ gungsgründe des Art.  9 HGÜ sowie der Art.  10, 11 und 20 HGÜ vom Zweitge­ richt versagt werden.1106 Anders als die Brüssel Ia-VO räumt das HGÜ jedoch bei 1098 

Vgl. Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  31. Zu der Frage, ob Art.  6 lit.  e HGÜ auch Anwendung findet, wenn etwa wegen sachlicher Unzuständigkeit das gewählte Gericht das Verfahren an ein anderes Gericht verweist, vgl. Rau­ scher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  31; ausführlich und kritisch zum Ganzen Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  189–191. 1100  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  116. 1101  Vgl. Art.  8 Abs.  3 HGÜ; Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  170. 1102  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 124. 1103  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 206. 1104  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  164. 1105 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  33. 1106  Bläsi, Das Haager Übereinkommen, 2010, S.  191 f. 1099 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

der Anerkennungsversagung dem Zweitgericht ein Ermessen ein.1107 Das Zweit­ gericht muss die Anerkennung und Vollstreckung also nicht versagen.

2.  Verbot der revision au fond Art.  8 Abs.  2 S.  1 HGÜ schließt die revision au fond des erstgerichtlichen Urteils aus.1108 Nach Art.  8 Abs.  2 S.  2 HGÜ darf allerdings das Zweitgericht die Um­ stände nachprüfen, auf die das Erstgericht seine Zuständigkeit gestützt hat. Fer­ ner sehen auch Art.  9 lit.  a und b HGÜ jeweils einen Fall vor, in dem das Zweit­ gericht ausnahmsweise das erstgerichtliche Urteil in der Sache überprüfen darf. Dies stellen Brand und Herrup klar: „In addition, a ground for refusal of recog­ nition or enforcement under Article 9 (a) might require a limited review of the merits […].“1109 Wie schon in Bezug auf die Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine ausgeführt, zeigt sich auch hier, dass Anerkennungsversagungsgrün­ de, die an die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts anknüpfen, insbe­ sondere in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen eine Einschränkung des grundsätzlichen Verbots der revision au fond bedeuten.1110 Denn gerade in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen führt die Anerkennungsversagungsprüfung durch das Zweitgericht zu einer zuständigkeitsrechtlichen Nachprüfung der Ent­ scheidung des Erstgerichts über die Gerichtsstandsvereinbarung. Nachgeprüft werden dabei nicht nur die zuständigkeitsrechtlichen Wirkungen der Gerichts­ standsvereinbarung, sondern mit Wirksamkeit und Auslegung auch deren mate­ riell-rechtliche Aspekte. Gerade hinsichtlich dieser materiell-rechtlichen Aspek­ te erscheint die zweitgerichtliche Nachprüfung einer Gerichtsstandsvereinbarung als Nachprüfung in der Sache und daher als Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der revision au fond.

3.  Keine Anerkennung von Urteilen des forum derogatum Die Anerkennung von Urteilen anderer Gerichte als des ausschließlich gewähl­ ten wird nicht von Art.  8 HGÜ erfasst.1111 Die Zuständigkeitserklärung und Ent­ 1107  Heiser, Univ. Pen. J. of Int’l L. 31 (2010), S.  1013, 1037; kritisch Thiele, in: Gottschalk/ Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 80 f., der hierin eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit sieht. 1108  Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  104. 1109  Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  103; vgl. dazu unten Teil  I §  8 V 3 a. 1110  Vgl. zu dem Verhältnis von Anerkennungsversagung, revision au fond und Gerichts­ standsvereinbarungen bereits oben Teil  I §  6 IV 3 c. 1111  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 206; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 124 f.; zu ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem HGÜ vgl. bereits Teil  I §  8 II 2.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 199

scheidung in der Sache durch ein nicht gewähltes Gericht nach Art.  6 HGÜ fällt damit nicht unter das Recht der internationalen Anerkennung nach dem HGÜ. Die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen im forum derogatum kann je­ doch nach dem jeweils einschlägigen autonomen IZVR erfolgen, in Deutschland etwa nach §  328 ZPO.1112 Im Rahmen des HGÜ besteht damit aber nicht, anders als nach der Brüssel Ia-VO,1113 die Gefahr eines anerkennungsfähigen prorogati­ onswidrigen Urteils. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Zweitgericht nachprüfen darf, ob das Erstgericht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  1, 3 und 8 HGÜ von den Parteien als zuständig vereinbart wurde. Denn die Aus­ schließlichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und die Wahl des Erstgerichts durch die Parteien ist nach Art.  1 und 8 HGÜ Anwendungsvoraussetzung des Anerkennungsregimes des HGÜ.1114 Genau dies ist der entscheidende Unter­ schied zur Brüssel Ia-VO. Auch unter der Brüssel Ia-VO darf das Zweitgericht die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung prüfen, bevor es ein Urteil nach Art.  36 ff. Brüssel Ia-VO anerkennt. Jedoch reicht der Anwendungsbereich über das Recht internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen hinaus.1115 Ein Anerkennungsversagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen, wie er nach hier vertretener Ansicht eingeführt werden sollte, würde im Anwendungs­ bereich der Brüssel Ia-VO einen speziell eingeführten, explizit gewollten Fall der Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit unter Berücksichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung darstellen. Unter dem HGÜ hingegen ist das Vorlie­ gen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung als Anwendbarkeitsvor­ aussetzung des HGÜ zwingend durch das Zweitgericht, und nicht lediglich im Rahmen der Anerkennungsversagung, zu prüfen.

1112  Auf

diesen Umstand wies schon der vorläufige erläuternde Bericht zur Sitzung des Spe­ cial Commission im April 2004 hin, vgl. Hartley/Dogauchi, Preliminary Draft Convention On Exclusive Choice Of Court Agreements, Explanatory Report, Prel. Doc. No 25, Rz.  7, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 27.12.2018); vgl. auch R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 124 f. 1113  Vgl. zur Rechtslage nach der Brüssel Ia-VO unten Teil  I §  6. 1114  Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  100. 1115  Zum Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO vgl. Teil  I §  2 I.

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

V.  Anerkennungsversagung nach dem HGÜ Die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung regeln Art.  9, 10 und 20 HGÜ. Das HGÜ sieht dabei keine Anerkennungsversagungspflicht vor, sondern räumt dem Zweitgericht ein Ermessen ein.1116

1.  Anwendungsbereich von Kapitel III Dogmatisch ist zwischen dem Anwendungsbereich des Anerkennungs- und Voll­ streckungsrechts in Kapitel III des HGÜ und den Anerkennungsversagungsgrün­ den zu differenzieren.1117 Das Zweitgericht prüft neben den Anerkennungsversa­ gungsgründen insbesondere des Art.  9 HGÜ auch die Formwirksamkeit der aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nach, obwohl diese in Art.  9 HGÜ nicht aufgenommen wurde.1118 Denn Art.  8 Abs.  1 HGÜ setzt als Anwendbar­ keitsvoraussetzung des Anerkennungsrechts in Kapitel III die formwirksame Vereinbarung des Erstgerichts in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinba­ rung voraus.1119 Ein Urteil ist, anders als in der Brüssel Ia-VO, nicht anzuerken­ nen oder zu vollstrecken, wenn das Urteilsgericht nicht von den Parteien aus­ schließlich vereinbart wurde.1120 Es manifestiert sich hier der Umstand, dass das HGÜ nur auf wirksam vereinbarte, ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarun­ gen Anwendung findet. Demgegenüber ist nach der Brüssel Ia-VO grundsätzlich jedes Urteil eines mitgliedstaatlichen Gerichts anerkennungsfähig, solange der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnet ist und kein Anerkennungsver­ sagungsgrund vorliegt.1121

2.  Tatsachenbindung des Zweitgerichts Grundsätzlich ist das Zweitgericht bei der Prüfung der Anerkennungsversa­ gungsgründe nach Art.  8 Abs.  2 S.  2 erster Halbsatz HGÜ an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts gebunden. Dies entspricht der Rechtslage nach

Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  39. Vgl. dazu bereits Teil  I §  8 IV 1. 1118  Vgl. Teil  I §  8 IV 1. 1119 Vgl. Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Glo­ balized World, 2007, S.  63, 80. 1120  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  166; Brand/Herrup, The 2005 Hague Con­ vention on Choice of Court Agreements, S.  104. 1121  Vgl. dazu Teil  I §  5 I. 1116 Rauscher/M. 1117 

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 201

Art.  45 Abs.  2 Brüssel  Ia‑VO.1122 Eine Ausnahme von der Tatsachenbindung sieht jedoch Art.  8 Abs.  2 S.  2 zweiter Halbsatz HGÜ vor. a)  Grundsätzliche Tatsachenbindung des Zweitgerichts Soweit das Zweitgericht die Entscheidung des Erstgerichts im Rahmen eines Anerkennungsversagungsgrundes nachprüfen darf, ist es dabei nach Art.  8 Abs.  2 S.  2 HGÜ an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts gebunden.1123 Die Tat­ sachenbindung betrifft insbesondere die Versagungsgründe der Art.  9 lit.  a und b HGÜ sowie die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung nach Art.  8 Abs.  1 HGÜ.1124 Die Tatsachenbindung nach Art.  8 Abs.  2 S.  2 HGÜ betrifft nur die Zuständig­ keit des Erstgerichts aufgrund einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinba­ rung im Sinne des Art.  3 HGÜ.1125 Stützt das Erstgericht seine Zuständigkeit nicht auf eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung, sondern auf einen Zuständigkeitsgrund der lex fori, greift die Tatsachenbindung nicht ein.1126 Das Zweitgericht kann dann die Zuständigkeit des Erstgerichts vollumfänglich nach Art.  9 lit.  a HGÜ nachprüfen und die Anerkennungsfähigkeit mangels Vereinba­ rung des Erstgerichts in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.  8 HGÜ verneinen.1127 Dem Zweitgericht bleibt aber stets die Möglichkeit, das erstgerichtliche Urteil nach seinem nationalen IZVR anzuerkennen, da das HGÜ einer weitergehenden Urteilsanerkennung nicht entgegensteht.1128 b)  Keine Tatsachenbindung bei Versäumnisurteilen Von der Tatsachenbindung des Zweitgerichts sieht Art.  8 Abs.  2 S.  2 zweiter Halbsatz HGÜ eine Ausnahme vor, wenn es sich um ein Versäumnisurteil des Erstgerichts handelt.1129 Das Zweitgericht darf bei einem Versäumnisurteil ohne 1122 

Vgl. dazu oben Teil  I §  5 II. Schulz, JPIL 2006, S.  243, 256. 1124  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 207; Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  100, 103 f.; zu den Anerkennungsversagungsgründen vgl. un­ ten Teil  I §  8 V 3–5. 1125  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 207. 1126  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  166; vgl. Bläsi, Das Haager Übereinkom­ men, 2010, S.  196 f. 1127  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  166; vgl. Bläsi, Das Haager Übereinkom­ men, 2010, S.  196 f. 1128  Vgl. oben Teil  I §  8 IV 3. 1129 Vgl. Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  105; Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  36; R. Wagner, Ra­ belsZ 73 (2009), S.  100, 125. 1123 

202

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Tatsachenbindung vollumfänglich nachprüfen, ob das Erstgericht in einer aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art.  8 HGÜ für den in Frage stehenden Rechtsstreit vereinbart wurde und ob die Gerichtsstandsverein­ barung nach Art.  9 lit.  a HGÜ formell und materiell wirksam war.1130 Die Ausnahme von der Tatsachenbindung des Zweitgerichts im Fall eines Ver­ säumnisurteils war im Vorschlag der Informal Working Group für ein Überein­ kommen über Gerichtsstandsvereinbarungen aus dem März 20031131 noch nicht vorgesehen.1132 Der Zweite Satz des jetzigen Art.  8 Abs.  2 HGÜ war schlicht nicht vorhanden.1133 Erst der Entwurf der Special Commission aus dem Dezem­ ber 2003 enthielt die Ausnahme von der zweitgerichtlichen Tatsachenbindung bei Versäumnisurteilen.1134 Er knüpfte damit wiederum an Art.  27 des Entwurfs der Special Commission aus dem Jahre 1999 für ein umfassendes Übereinkom­ men zur internationalen Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung an.1135 Dieser hatte zum Ziel, eine Verzögerung der Anerkennung und Vollstre­ ckung durch eine erneute Tatsachenprüfung grundsätzlich zu verhindern.1136 Im Falle von Versäumnisurteilen sollte nach dem Entwurf jedoch der Urteilsgläubi­ ger die Darlegungslast bezüglich der die Zuständigkeit des Erstgerichts begrün­ denden Tatsachen tragen und nach Art.  29 Abs.  1 lit.  b des Entwurfs die ord­ nungsgemäße Zustellung der Klage an den Urteilsschuldner darlegen müssen. Dies wurde damit begründet, dass in Versäumnisverfahren der Beklagte keine Gelegenheit zur Verteidigung vor dem Erstgericht hat.1137 Es war also die Erwä­ gung tragend, dass sich eine Partei zumindest einmal gegen die Zuständigkeit So ausdrücklich Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  166; zum Ganzen Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 80; zu Art.  9 lit.  a und b HGÜ vgl. u. Teil  I §  8 V 3 und 4. 1131  Working Group Draft Text on Choice of Court Agreements, Prel. Doc. No 22 of June 2003, Annex, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  77, 107. 1132  Vgl. nur Art.  7 Abs.  3 des Vorschlags, Working Group Draft Text on Choice of Court Agreements, Prel. Doc. No 22 of June 2003, Annex, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  77, 109. 1133  Prel. Doc. No 22 of June 2003, Rz.  99, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  77, 97. 1134  Work. Doc. No 49, Special Commission on Jurisdiction, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters (1 to 9 December 2009), Proposal by the Drafting Committee, 9 December 2003, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  397, 400. 1135  Vgl. Prel. Doc. No 11, August 2000, abgedruckt in Actes et documents, 2013, S.  191, 201. 1136  Nygh/Pocar, Report on the Special Commission, Prel. Doc. No 11, August 2000, Rz.  321, abgedruckt in: Actes et documents, 2013, S.  191, 201, 291. 1137  Nygh/Pocar, Report on the Special Commission, Prel. Doc. No 11, August 2000, Rz.  322, abgedruckt in: Actes et documents, 2013, S.  191, 201, 291. 1130 

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 203

des Erstgerichts wehren können sollte. Eingang hat dieser Schutzgedanke in Art.  13 Abs.  1 lit.  c HGÜ gefunden, der für die Anerkennung und Vollstreckung eines Versäumnisurteils den Nachweis über die ordnungsgemäße Zustellung der Klage an den Beklagten verlangt.1138 Art.  8 Abs.  2 S.  2 HGÜ stellt einen entscheidenden Unterschied zur Brüssel IaVO dar. Zwar sieht auch die Brüssel Ia-VO die Tatsachenbindung des Zweitge­ richts vor. Jedoch wird davon im Fall eines Versäumnisurteils keine Ausnahme gemacht. Gerade bei Versäumnisurteilen wird der Kläger für den säumigen Be­ klagten günstige Tatsachen aber in der Regel nicht vortragen. Damit schützt das HGÜ den säumigen Beklagten wesentlich besser als die Brüssel Ia-VO. Denn zugunsten des säumigen Beklagten wird durch Art.  8 Abs.  2 S.  2 HGÜ garantiert, dass die Gerichtsstandsvereinbarung zumindest einmal von einem Gericht ge­ würdigt wird, nämlich entweder vom Erst- oder vom Zweitgericht. Die Säumnis stellt für den Beklagten daher unter dem HGÜ keine so große Gefahr wie unter der Brüssel Ia-VO dar. Art.  8 Abs.  2 S.  2 HGÜ erhöht dadurch den ökonomischen Wert ausschließli­ cher Gerichtsstandsvereinbarungen. Denn die Parteien wissen bei prorogations­ widrigen Klagen, dass sie sowohl im forum derogatum als auch im unwirksam vereinbarten, vermeintlichen forum prorogatum noch nicht einmal zur Zustän­ digkeit verhandeln müssen. Anders als unter der Brüssel Ia-VO können sie im Falle einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung die zuständigkeits­ rechtliche Verteidigung vollumfänglich im Zweitstaat vornehmen. Da dies in der Regel der Heimatstaat, zumindest aber ein Konventionsstaat sein wird, in dem die Partei Vermögen hat und mit dessen Rechtsordnung sie also ohnehin vertraut ist, werden die Kosten der Verteidigung gesenkt und die Rechtssicherheit erhöht.

3.  Ungültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung Art.  9 lit.  a HGÜ gestattet dem Zweitgericht die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung, wenn die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des vereinbarten Konventionsstaats ungültig ist. Die Norm korreliert mit Art.  6 lit.  a HGÜ.1139 Nach Art.  5, 6 lit.  a und 9 lit.  a HGÜ wird folglich die Gül­ tigkeit und damit die materielle Wirksamkeit der ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarung einheitlich nach der lex fori prorogati geprüft.1140 In allen drei Fällen handelt es sich dabei um eine Gesamtverweisung.1141 In Verbindung mit Art.  8 Abs.  1 HGÜ, der das Vorliegen einer ausschließlichen Gerichtsstands­ R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 131. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  40. 1140  P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 200. 1141 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  40. 1138 

1139 Rauscher/M.

204

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

vereinbarung als Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung fordert, folgt daraus, dass das Zweitgericht nicht nur wie bereits dargestellt das Vorlie­ gen, die inhaltliche Auslegung und die Ausschließlichkeit, sondern auch die for­ melle und materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nachprüfen darf.1142 Dies stellt den gewichtigsten Unterschied zwischen HGÜ und Brüssel Ia-VO dar. Anders als nach Art.  45 Abs.  3 Brüssel Ia-VO darf das Zweitgericht im Rah­ men des HGÜ die Wahl des Erstgerichts durch die Parteien in einer wirksamen ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen der Anerkennungsver­ sagung nachprüfen.1143 a)  Ausnahme bei Feststellung der Wirksamkeit durch das Erstgericht Eine Ausnahme von der Möglichkeit der Nachprüfung der Gültigkeit, also der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung durch das Zweitge­ richt sieht Art.  9 lit.  a letzter Halbsatz HGÜ vor. Demnach ist die Nachprüfung durch das Zweitgericht und damit die Anerkennungsversagung ausgeschlossen, wenn das Erstgericht die Gültigkeit bzw. die materielle Wirksamkeit der aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt hat.1144 Dafür muss sich das Erstgericht bei seiner Zuständigkeitsprüfung auf die Gerichtsstandsvereinba­ rung gestützt haben.1145 Dies ist nicht der Fall, wenn nach dem autonomen Recht des Erstgerichts verschiedene Zuständigkeitsgründe in Betracht kamen und das Erstgericht seine Zuständigkeit nicht eindeutig auf die ausschließliche Gerichts­ standsvereinbarung nach Art.  5 HGÜ gestützt hat.1146 Die Ausnahme des Art.  9 lit.  a letzter Halbsatz HGÜ wurde bereits recht früh in die Verhandlungen zu einem Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinba­ rungen eingeführt. Noch Art.  7 Abs.  1 lit.  a des Vorschlags der Informal Working Group für ein Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen aus dem März 20031147 sah die volle Nachprüfungsmöglichkeit durch das Zweitgericht

Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  166; vgl. dazu auch bereits ausführlich Teil  I §  8 V. 1143  Zur Rechtslage unter der Brüssel Ia-VO vgl. Teil  I §  6 II. 1144  Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  111; P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 206; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 126; Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/v. Hein (Hg.), Conflict of Laws in a Globalized World, 2007, S.  63, 81; Coester-Waltjen, in: FS Heldrich 2005, S.  549, 556. 1145 Rauscher/M. Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  40. 1146  Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  111. 1147  Working Group Draft Text on Choice of Court Agreements, Prel. Doc. No 22 of June 2003, Annex, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  77, 107. 1142 So

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 205

vor.1148 Mit Art.  9 Abs.  1 lit.  a des Entwurfs der Special Commission vom 9.12.2003 wurde dann die Einschränkung der Anerkennungsversagungsmöglich­ keit für den Fall eingefügt, dass das Erstgericht die Wirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung festgestellt hat.1149 Die Ausnahme des Art.  9 lit.  a HGÜ soll einerseits widersprüchliche Entschei­ dungen vermeiden.1150 Andererseits kommt darin aber auch der gegenseitige ­Respekt vor den Entscheidungen der Gerichte anderer Konventionsstaaten zum Ausdruck.1151 Dies verdeutlicht der das HGÜ erläuternde Hartley/Dogauchi ­Report: „Sub-paragraph a) states that recognition or enforcement may be refused if the agreement was null and void on any ground including incapacity under the law of the State of the chosen court. However, it adds, ‚unless the chosen court has determined that the agreement is valid‘, thus indicating that the court addressed may not substitute its judgment for that of the chosen court. The purpose of this is to avoid conflicting rulings on the validity of the agreement among dif­ ferent Contracting States: they are all required to apply the law of the State of the chosen court, and they must respect any ruling on the point by that court.“1152

Dieser Respekt zwischen den Konventionsstaaten kommt darin zum Ausdruck, dass das Zweitgericht die Entscheidung des Erstgerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht durch seine eigene Entscheidung er­ setzt.1153 Art.  9 lit.  a HGÜ stimmt also mit Art.  45 Abs.  3 Brüssel Ia-VO dahinge­ hend überein, dass aufgrund gegenseitigen Vertrauens bzw. gegenseitigen Re­ spekts die erstgerichtliche Entscheidung über eine internationale Gerichtsstands­ vereinbarung nicht nachgeprüft wird. Jedoch knüpft Art.  9 lit.  a HGÜ, anders als Art.  45 Abs.  3 Brüssel  Ia-VO, daran an, dass das Erstgericht auch tatsächlich über die Gerichtsstandsvereinbarung entschieden hat. Unter dem HGÜ ist der Bezugspunkt des gegenseitigen Respekts damit die konkrete erstgerichtliche Feststellung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, während unter der Brüssel Ia-VO auch dann unter Verweis auf das Vertrauensprinzip die Nach­ prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung abstrakt untersagt wird, wenn das Erst­ gericht diese gar nicht geprüft hat. 1148  Working Group Draft Text on Choice of Court Agreements, Prel. Doc. No 22 of June 2003, Annex, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  77, 109. 1149  Working Doc. No 49, Special Commission on Jurisdiction, Recognition and Enforce­ ment of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters (1 to 9 December 2003), Proposal by the Drafting Committee, 9 December 2003, abgedruckt in: Actes et documents, 2010, S.  397, 400. 1150  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  183. 1151  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  183. 1152  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  183. 1153  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  183.

206

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

b)  Bewertung In der Praxis dürfte das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der erstgerichtli­ chen Nachprüfung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und dem Ausschluss der Nachprüfung genau umgekehrt zur gesetzlichen Normierung sein. In der Regel wird das Erstgericht über die Wirksamkeit der Gerichtsstands­ vereinbarung entscheiden und seine Zuständigkeit auf diese stützen. Die Nach­ prüfung der ausschließlichen Wahl des Erstgerichts durch das Zweitgericht dürf­ te daher auf den kleineren Teil der Fälle beschränkt sein.1154 Jedoch sieht Art.  9 lit.  a letzter Halbsatz HGÜ, der die zweitgerichtliche Nach­ prüfung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ausschließt, wenn das Erstgericht über diese entschieden hat, aus Sicht der Parteien eine Absicherung vor. Es wird dadurch ausgeschlossen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung we­ der vom Erstgericht, noch vom Zweitgericht geprüft wird. Zudem besitzen Urtei­ le derogierter vertragsstaatlicher Gerichte keine Anerkennungsfähigkeit nach Art.  8 Abs.  1 HGÜ. Folglich kann nach dem HGÜ weder das Urteil eines dero­ gierten Gerichts anerkannt werden, noch kann die Gerichtsstandsvereinbarung vom Erstgericht ohne Wirksamkeitsprüfung zur abschließenden Grundlage der internationalen Zuständigkeit gemacht werden. Komplettiert wird dieser Schutz dadurch, dass im Falle eines Versäumnisur­ teils die Tatsachenbindung des Art.  8 Abs.  2 HGÜ nicht greift.1155 Damit kann das Zweitgericht vollumfänglich prüfen, ob eine ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarung vorliegt, die den Streitgegenstand erfasst, und ob das Erstgericht in dieser vereinbart wurde. Eine erweiterte Gerichtspflichtigkeit des Beklagten be­ steht damit weder im forum prorogatum, noch im forum derogatum. Der Beklag­ te kann dem Verfahren vor dem Erstgericht fern bleiben und das Vorliegen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung sowie deren Umfang vom Zweit­ gericht nachprüfen lassen, wenn das Erstgericht diese übersieht. Der Beklagte muss damit vor einem derogierten Gericht nicht verhandeln und kann sich sicher sein, dass die Gerichtsstandsvereinbarung entweder vom Erstgericht oder vom Zweitgericht geprüft wird. Entgegen der Rechtslage unter der Brüssel  Ia-VO wird so die von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen ausgehende Rechtssicherheit und die damit einhergehende Reduktion der möglichen Trans­ aktionskosten verbessert.

Weller, EuZPR/EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  36. Vgl. Teil  I §  8 V 2 b.

1154 Rauscher/M. 1155 

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 207

4.  Fehlende Geschäftsfähigkeit Nach Art.  9 lit.  b HGÜ kann die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn nach dem Recht des Zweitstaats einer Partei die Fähigkeit zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung fehlt. Die Vorschrift korreliert mit Art.  6 lit.  b HGÜ und führt in Verbindung mit Art.  9 lit.  a HGÜ zu einer kumulativen Prü­ fung der Geschäftsfähigkeit nach der lex fori prorogati sowie der lex fori des Zweitgerichts.1156

5.  Weitere Anerkennungsversagungsgründe Weitere Anerkennungsversagungsgründe enthalten die Art.  9 und Art.  10 HGÜ. Art.  9 lit.  c HGÜ sieht die Anerkennungsversagung bei Fehlerhaftigkeit der Zu­ stellung des klageeinleitenden Schriftstücks vor. Art.  9 lit.  d HGÜ normiert den Prozessbetrug als Versagungsgrund. Art.  9 lit.  f und h HGÜ sehen die Anerken­ nungsversagung bei Vorliegen entgegenstehender Urteile vor. Schließlich ist Art.  9 lit.  e HGÜ von Bedeutung, der den Verstoß gegen den ordre public als Anerkennungsversagungsgrund normiert. Erfasst werden Fälle, in denen das zu der Entscheidung führende Verfahren mit wesentlichen Verfah­ rensgrundsätzen des Zweitstaats unvereinbar ist. Der ordre public ist aber nicht nur verfahrensrechtlicher, sondern auch materiell-rechtlicher Natur.1157 Neben Art.  9 HGÜ normiert Art.  10 HGÜ Anerkennungsversagungsgründe in Bezug auf Vorfragen. Art.  10 Abs.  1 HGÜ stellt klar, dass die Entscheidung über Vorfragen bezüglich einer vom Anwendungsbereich des HGÜ ausgeschlossenen Rechtsfrage nicht vom Zweitgericht anzuerkennen ist.1158 Art.  10 Abs.  2 HGÜ sieht die Möglichkeit der Versagung der Anerkennung der gesamten Entschei­ dung vor, wenn die Entscheidung auf einer solchen Vorfrage beruht.1159 Art.  10 Abs.  4 HGÜ erweitert diesen Grundsatz auf Vorfragen über Angelegenheiten, die durch Erklärungen bestimmter Konventionsstaaten vom Anwendungsbereich des HGÜ ausgenommen wurden.1160 Art.  10 Abs.  3 HGÜ betrifft schließlich den Spezialfall einer Vorfrage über geistiges Eigentum.1161

Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  184; Rauscher/M. Weller, EuZPR/ EuIPR, 2015, Einf. HProrogÜbk Rn.  41; P. Huber, IPRax 2016, S.  197, 200 f.; vgl. dazu bereits Teil  I §  8 III 2 b. 1157  Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn.  189 mit Fn.  229. 1158  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 127. 1159  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 127. 1160  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 128. 1161  Vgl. dazu ausführlich R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 127 f. 1156 So

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

VI.  Exkurs: Vorschlag für ein Haager Anerkennungsund Vollstreckungsübereinkommen Mit dem HGÜ konnte sich die Haager Konferenz für IPR nur in dem – wenn auch besonders wichtigen – Teilbereich des IZVR der ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarungen einigen.1162 Das ambitioniertere Projekt eines umfassen­ den Übereinkommens zur internationalen Zuständigkeit sowie zur internationa­ len Anerkennung und Vollstreckung, über das unter dem Begriff Judgments Project seit den 1990er Jahren im Rahmen der Haager Konferenz für IPR verhandelt wird, konnte vorerst nicht realisiert werden.1163 Gleichwohl wurde das Projekt eines umfassenden Übereinkommens nicht auf­ gegeben.1164 Vielmehr legte die im Februar 2012 eingesetzte Working Group im April 2016 dem Council of General Affairs and Policy of the Conference der Haager Konferenz für IPR einen Vorschlag für ein solches Übereinkommen vor.1165 Dieser Vorschlag wurde zunächst vom Council of General Affairs and Policy of the Conference an eine sogenannte Special Commission verwiesen und von dieser im Juni 2016 als Preliminary Draft Convention1166 zusammen mit ei­ nem erläuternden Bericht angenommen und zur Grundlage zukünftiger Verhand­ lungen gemacht.1167 Nach weiteren Verhandlungen konnte die Special Commission vor diesem Hintergrund im Februar 2017 die leicht modifizierte Preliminary Draft Convention als February 2017 Draft Convention annehmen.1168 Nach wei­ teren Verhandlungen im November 2017 und Mai 2018 konnte die Special Commission schließlich im Mai 2018 die 2018 Draft Convention1169 vorlegen und 1162  Zu den Verhandlungen über ein umfassendes Übereinkommen vgl. ausführlich R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, S.  103–110. 1163  R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), S.  100, 107 f. 1164  R. Wagner, IPRax 2016, S.  97, 97 f. 1165  Proposed Draft Text On The Recognition And Enforcement Of Foreign Judgments, Prel. Doc. No. 1, April 2016; zur Geschichte des Judgments Project vgl. auch die Übersicht unter (zuletzt abgerufen am 27.12.2018) 1166  Special Commission On The Recognition And Enforcement Of Foreign Judgments, 2016 Preliminary Draft Convention, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 27.12.2018). 1167  Permanent Bureau, Explanatory Note Providing Background On The Proposed Draft Text And Identifying Outstanding Issues, April 2016, Prel. Doc. No 2. 1168  Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16– 24 February 2017), February 2017 Draft Convention, abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 27.12.2018). 1169  Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24– 29 May 2018), 2018 Draft Convention, abrufbar under (zuletzt abgerufen am 27.12.2018).

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 209

Verhandlungen über den Übereinkommensentwurf im Rahmen einer Diplomatic Session Mitte 2019 empfehlen. Die 2018 Draft Convention begleitet wiederum ein erläuternder Bericht.1170 Aufgrund von Vorbehalten der amerikanischen De­ legation umfasst der Vorschlag bislang lediglich Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung, allerdings einschließlich der diplomatisch überaus problema­ tischen Regelungen zur Anerkennungszuständigkeit, also der vom Zweitgericht im Rahmen der Anerkennung zu prüfenden Zuständigkeit des Erstgerichts.1171 Auch wenn es sich bislang nur um einen Vorschlag für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen handelt, so sind die vorgeschlagenen Regelun­ gen dennoch von Interesse. Denn der Entwurf des Übereinkommens orientiert sich insgesamt am HGÜ, auch wenn er über ausschließliche Gerichtsstandsver­ einbarungen hinausgeht und umfassende Regelungen zu möglichen internationa­ len Gerichtsständen enthält.1172 Gerade in Bezug auf die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung würde er daher die Regelungen des HGÜ er­ gänzen.1173 Zusammen betrachtet würden das HGÜ und der Vorschlag für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen die internationale Anerken­ nung von auf Gerichtsstandsvereinbarungen basierenden Urteilen umfassend regeln. Sie würden damit für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, die nicht nur Mitgliedstaaten der EU betreffen, eine für die europäischen Gerichte in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung relevante Parallelregelung zur Brüssel Ia-VO bilden. Auch wenn insbesondere die diplomatischen Verhandlun­ gen über den Übereinkommensvorschlag noch nicht abgeschlossen sind, ist es dennoch bereits lohnenswert, einzelne Aspekte des Anerkennungsversagungs­ rechts rechtsvergleichend herauszugreifen. Von besonderer Bedeutung ist dafür Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags. Dort wird die Vereinbarkeit eines Urteils mit einer Gerichtsstandsvereinbarung durch einen Anerkennungsversagungsgrund sichergestellt: „Recognition or enforcement may be refused if – d) the proceedings in the court of origin were contrary to an agreement, or a designation in a trust instrument, under which the dispute in question was to be determined in a court other than the court of origin;“1174

Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags gewährt die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung, wenn die Entscheidung gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung Garcimartin Alférez/Saumier, Judgments Convention: Revised Preliminary Explanato­ ry Report, Prel. Doc. No 10, Mai 2018. 1171  Vgl. dazu R. Wagner, IPRax 2016, S.  97, 98 f. 1172  R. Wagner, IPRax 2016, S.  97, 99. 1173  Garcimartin Alférez/Saumier, Judgments Convention: Revised Preliminary Explanato­ ry Report, Prel. Doc. No 10, Mai 2018, Rz.  190. 1174  Vgl. dazu auch die Erläuterungen in Garcimartin Alférez/Saumier, Judgments Conven­ tion: Revised Preliminary Explanatory Report, Prel. Doc. No 10, Mai 2018, Rz.  265 ff. 1170 

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Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

verstößt.1175 Dies ist der Fall, wenn aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung ein anderes als das Erstgericht über den Rechtsstreit hätte entscheiden müssen. Das Zweitgericht prüft folglich, ob das Erstgericht derogiert war. Diese Prüfung er­ folgt unabhängig davon, ob es sich um eine ausschließliche oder eine nicht-aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarung handelt.1176 Im Rahmen der Prüfung der Derogation des Erstegrichts sollte zunächst nach Art.  4 Abs.  2 S.  2 des Vorschlags aus dem April 2016 das Zweitgericht im Falle eines Versäumnisurteils nicht an die Tatsachenfeststellung des Erstgerichts ge­ bunden sein. Anders als nach Art.  45 Abs.  2 Brüssel Ia-VO sollte der im erstge­ richtlichen Verfahren säumige Beklagte sich auf ihm günstige Tatsachen, etwa die Derogation des Erstgerichts in einer Gerichtsstandsvereinbarung, auch noch vor dem Zweitgericht berufen können.1177 Diese Privilegierung des vor dem Erst­ gericht säumigen Beklagten wurde durch die ersatzlose Streichung von Art.  4 Abs.  2 S.  2 durch den Vorschlag vom Februar 2017 und deren Bestätigung durch den Vorschlag vom Mai 2018 auf sämtliche Fälle der Anerkennung und Vollstre­ ckung ausgedehnt. Der Vorschlag für ein Haager Anerkennungs- und Vollstre­ ckungsübereinkommen sieht folglich keine Tatsachenbindung des Zweitgerichts mehr vor. Der Beklagte kann auch im Zweitstaat neue Tatsachen und damit etwa auch das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung vortragen. Vor dem Hinter­ grund des potenziell weltweiten Anwendungsbereichs des Übereinkommens, wodurch die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus unterschiedlich effizienten und zuverlässigen Rechtssystemen in Betracht kommt, erscheint die zweitgerichtliche Nachprüfung ohne Bindung an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts als ein wichtiges und notwendiges Instrument des Beklagtenschut­ zes. Die weiteren Verhandlungen zu diesem wichtigen Punkt sind mit Spannung zu erwarten. Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags stellt eine Ergänzung zu Art.  8 und 9 HGÜ dar. Art.  8 und Art.  9 HGÜ schreiben die Anerkennung konventionsstaatlicher Urteile vor, wenn das Erstgericht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsverein­ barung vereinbart wurde. Dazu darf das Zweitgericht prüfen, ob das Erstgericht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung wirksam vereinbart wur­ de.1178 Wurde das Erstgericht nicht wirksam in einer ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarung vereinbart, kann das Zweitgericht dem erstgerichtlichen Ur­ teil die Anerkennung versagen. Während Art.  8 und Art.  9 HGÜ also sicherstel­ len, dass das Erstgericht auch ausschließlich prorogiert wurde, gewährleistet R. Wagner, IPRax 2016, S.  97, 101. Garcimartin Alférez/Saumier, Judgments Convention: Revised Preliminary Explanato­ ry Report, Prel. Doc. No 10, Mai 2018, Rz.  267. 1177  Zur Tatsachenbindung des Zweitgerichts nach der Brüssel Ia-VO vgl. Teil  I §  5 II. 1178  Vgl. dazu Teil  I §  8 IV und V. 1175  1176 

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 211

Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsüber­ einkommen, dass das Erstgericht nicht derogiert wurde. Dies ist deshalb notwen­ dig, weil der Vorschlag eine Fülle unterschiedlicher, möglicher Gerichtsstände vorsieht, in denen international zuständige Gerichte folglich anerkennungsfähige Urteile erlassen können. So sieht beispielsweise Art.  5 Nr.  1 lit.  a des Vorschlags vor, dass Urteile des Konventionsstaats, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, vom Zweitgericht anzuerkennen sind. Um jedoch die in Art.  5 HGÜ vorge­ sehene Möglichkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zu ge­ währleisten, muss zwingend die in Art.  6 HGÜ ausdrücklich geregelte Derogati­ onswirkung geschützt werden, da ansonsten die im HGÜ normierte Möglichkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen ausgehebelt würde. Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags vollzieht daher im Anerkennungsrecht nach, was Art.  6 HGÜ bereits im Zuständigkeitsrecht regelt, nämlich die Durchsetzung und damit den Schutz der Derogationswirkung internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen. Anders als unter der Brüssel Ia-VO normieren das HGÜ und der Vorschlag für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen der Haager Konferenz für IPR damit ausdrücklich die Derogationswirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen und schützen sie auch über einen Anerkennungs­ versagungsgrund. Die Haager Konferenz für IPR hat damit die Vernachlässigung der Derogationswirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen über­ wunden und deren zentrale Bedeutung anerkannt.1179 Die Prorogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung wird vom Vor­ schlag für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen weder als An­ erkennungszuständigkeit nach Art.  5, noch als Anerkennungsversagungsgrund nach Art.  7 geregelt. Dies ist konsequent, weil bereits das HGÜ die internationa­ le Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung bei ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen und auf diesen beruhenden Urteilen erfasst. Zu­ dem regelt das HGÜ nach einer entsprechenden Erklärung der Konventionsstaa­ ten gemäß Art.  22 HGÜ auch die internationale Zuständigkeit sowie die inerna­ tionale Anerkennung und Vollstreckung von nicht-ausschließlichen Gerichts­ standsvereinbarungen und auf diesen beruhenden Urteilen. Der Vorschlag schützt daher in Ergänzung zum HGÜ lediglich die Derogationswirkung einer interna­ tio­nalen Gerichtsstandsvereinbarung, und differenziert dabei, entsprechend der hier vertretenen Ansicht, nicht zwischen ausschließlichen und nicht-ausschließ­ lichen Gerichtsstandsvereinbarungen.

1179  Zur Kritik an der Vernachlässigung der Derogationswirkung internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen unter der Brüssel Ia-VO vgl. Teil  I §  3 I 3; Teil  I §  3 II 3 c.

212

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

Deutlich wird die Fokussierung auf die Derogationswirkung in einer erklären­ den Mitteilung des Permanent Bureau, des für die Verhandlungen federführen­ den Sekretariats der Haager Konferenz für IPR: „Article 7 (1) (d) provides that recognition or enforcement may be refused if the proceedings in the court of origin were contrary to an agreement or a designation in a trust instrument under which the dispute in question was to be determined in a court other than the court of origin. This provision applies where the proceedings have been brought in breach of a choice of court clause, or contrary to a designation in a trust instrument. It does not include the situation where parties went to a different court where they were allowed to do so on the grounds of a non-ex­ clusive choice of court agreement / designation, or where there was an implicit agreement to waive an exclusive provision.“1180

Bei aller Vorläufigkeit des Vorschlags ist hier der Wille deutlich erkennbar, die Vereinbarkeit eines Urteils mit einer Gerichtsstandsvereinbarung insgesamt an­ erkennungsrechtlich zu schützen. Unabhängig von der Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung soll hier einem Urteil die Anerkennung und Voll­ streckung durch das Zweitgericht versagt werden können, wenn das Erstgericht von den Parteien derogiert wurde. Es wird damit gerade – und im Unterschied zur Brüssel Ia-VO – die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung geschützt. Dies erfolgt unabhängig davon, welche Art von Gerichtsstandsverein­ barung vorliegt. Es wird gerade keine ausschließliche Gerichtsstandsvereinba­ rung verlangt, sondern nur die Derogation des Erstgerichts. Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags lässt damit die antiquierte Ausrichtung auf ausschließliche Gerichts­ standsvereinbarungen, die die Brüssel Ia-VO bislang noch nicht aufgegeben hat, hinter sich, und avisiert folgerichtig den Schutz der Derogationswirkung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung als solchen.

VII.  Zwischenergebnis Es lässt sich festhalten, dass das Zweitgericht im Rahmen des HGÜ eine wesent­ lich stärkere Position als im Rahmen der Brüssel Ia-VO besitzt. Das Zweitgericht darf nach dem HGÜ im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung grundsätz­ lich die formell und materiell wirksame Wahl des Erstgerichts durch die Parteien in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung selbständig nachprüfen.1181 Es ist dabei, außer im Fall von Versäumnisurteilen, an die tatsächlichen Feststel­ lungen des Erstgerichts gebunden. In Bezug auf die materielle Wirksamkeit nor­ miert Art.  9 lit.  a letzter Halbsatz HGÜ den Ausschluss der Nachprüfung, wenn 1180 

Permanent Bureau, Explanatory Note Providing Background On The Proposed Draft Text And Identifying Outstanding Issues, April 2016, Prel. Doc. No 2, Rz.  168. 1181  Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  100.

§  8  Vergleich zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 213

das Erstgericht die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung fest­ gestellt hat. Das HGÜ findet damit einen angemessenen Ausgleich der involvierten Inter­ essen. Dem Interesse des Erststaats an einer abschließenden Entscheidung seines Gerichts über die Wahl in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung wird solange Rechnung getragen, wie das Erstgericht auch tatsächlich über die Gerichtsstandsvereinbarung entscheidet. Entscheidet das Erstgericht nicht über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, wir dem Interesse des Zweit­ gerichts Rechnung getragen, nicht an eine nicht erfolgte Entscheidung des Erst­ gerichts über die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden zu sein. Der gegenseiti­ ge Respekt zwischen den Konventionsstaaten wird in diesem Fall nicht einge­ schränkt, weil die Prüfung des Zweitgerichts der unterbliebenen Prüfung durch das Erstgericht nicht widerspricht. Es wird dadurch sichergestellt, dass entweder vom Erst-, oder vom Zweitgericht über die Gerichtsstandsvereinbarung entschie­ den wird. Dies trägt der in der Gerichtsstandsvereinbarung ausgedrückten Partei­ autonomie Rechnung, die in jedem Fall berücksichtigt wird. Im Fall eines Versäumnisurteils wird das Interesse des Beklagten an einer ord­ nungsgemäßen Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung dadurch gewahrt, dass das Zweitgericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nachprüfen kann und dabei an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts nicht gebunden ist. Das oben beschriebene Problem, dass der Kläger bei Säumnis des Beklagten über den Prozessstoff bestimmen kann, wird so in Bezug auf die Prorogations­ wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung gelöst.1182 Dem Beklagten wird da­ durch die Säumnis ohne massive prozessuale Benachteiligungen ermöglicht. Im Hinblick auf die Derogationswirkung einer internationalen Gerichtsstands­ vereinbarung zeigt Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags für ein Haager Anerken­ nungs- und Vollstreckungsübereinkommen, wie deren Schutz effektiv gestaltet werden kann. Maßgeblich ist aus Sicht des Zweitgerichts, ob ein anderes Gericht als das Erstgericht über den Rechtsstreit hätte entscheiden müssen.1183 Es kommt damit allein auf die Derogation des Erstgerichts an, unabhängig von der Qualifi­ kation dieser Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließlich oder nicht-aus­ schließlich. Nach dem Vorschlag vom April 2016 konnte der Beklagte sich dabei im Falle eines Versäumnisurteils auf das Vorliegen einer Derogation auch erst vor dem Zweitgericht berufen.1184 Nach den Vorschlägen aus dem Februar 2017 und dem Mai 2018 kann er dies nun auch dann tun, wenn er vor dem Erstgericht nicht säumig war.1185 Somit wird sichergestellt, dass die Gerichtsstandsvereinbarung mit­ 1182 

Vgl. zum mangelnden Rechtsschutz des säumigen Beklagten oben Teil  I §  3 IV 3. Vgl. Teil  I §  8 VI. 1184  Vgl. Teil  I §  8 VI. 1185  Vgl. Teil  I §  8 VI. 1183 

214

Teil I: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile unter der Brüssel Ia-VO

samt der Derogationswirkung entweder vor dem Erst- oder dem Zweitgericht Bestandteil des Prozessstoffes wird. Der Vorschlag ermöglicht dem Beklagten damit im Unterschied zu Art.  28 Abs.  1 i. V. m. Art.  45 Abs.  2 Brüssel Ia-VO, im forum derogatum säumig zu bleiben und die Derogation erst im Rahmen der Anerkennungsversagung vor dem Zweitgericht einzuwenden.1186 Hierdurch wird ein effektiver Schutz gegen Klagen im forum derogatum gewährleistet. In den vorangegangenen Ausführungen wurde die Rechtslage nach der Brüs­ sel Ia-VO und dem HGÜ analysiert. Diese bilden aus Sicht europäischer Gerich­ te die maßgeblichen anwendbaren Rechtsinstrumente. Im Folgenden soll diese Betrachtung in Europa geltenden Rechts durch einen rechtsvergleichenden Blick auf das US-amerikanische Zivilprozessrecht ergänzt werden, welches sich mit vergleichbaren Problemen bei der Anerkennung interstaatlicher Urteile konfron­ tiert sieht.

1186 

IV.

Vgl. zu Rechtsschutzlücken in Bezug auf Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  3

Teil  II

Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerikanischen Zivilprozessrecht Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob Gerichtsstandsvereinbarungen in der Brüssel Ia-VO durch einen Anerkennungsversagungsgrund geschützt werden sollen. Im Folgenden soll die Beantwortung dieser Frage um einen rechtsverglei­ chenden Blick auf das Zivilprozessrecht der USA ergänzt werden. Dem ist jedoch eine Einschränkung voranzustellen. Denn ein einheitliches US-amerikanisches Zivilprozessrecht existiert bislang nicht.1 Das Recht inter­ nationaler und interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen wie auch das Recht der internationalen und interstaatlichen Anerkennung und Vollstreckung von Ur­ teilen unterliegen im Grundsatz dem Recht der Einzelstaaten.2 Gleichwohl ist das Zuständigkeitsrecht in den verschiedenen Einzelstaaten weitgehend angegli­ chen und insgesamt durch Verfassungsrecht geprägt.3 Deshalb kann im Fol­ genden ein komparatistischer Blick auf die Stellung von Gerichtsstandsvereinba­ rungen im US-amerikanischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht gewor­ fen werden.4 Wie bereits dargelegt,5 bestimmt eine internationale Gerichtsstandsverein­ barung die internationale Zuständigkeit eines Gerichts. Im US-amerikanischen Recht ist bei Gerichtsstandsvereinbarungen noch weiter zu differenzieren. Zum einen kann aus US-amerikanischer Sicht für einen Rechtsstreit die internationale Zuständigkeit relevant werden. Dies erfasst Sachverhalte und Rechtsstreitigkei­ ten mit internationalem Bezug, also aus Sicht der USA mit Bezug zu den USA und einem weiteren Staat, etwa zu Deutschland oder Italien. Zum anderen kann die Bestimmung der Zuständigkeit auch im Fall eines Rechtsstreits mit Bezug zu Vgl. den Überblick bei Schack, Einführung, 2011, Rn 27–33. Schack, Einführung, 2011, Rn.  38. 3  Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.01; vgl. zur due process clause Teil  II §  1 I 1 und zur full faith and credit clause Teil  II §  2 I . 4  Für eine rechtsvergleichende Arbeit zu Gerichtsstandsvereinbarungen in Europa und den USA vgl. Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, 2007. Einen Rechtsvergleich von Urteilsaner­ kennung und -vollstreckung in den USA und Europa unternimmt Voegele, Full faith and credit, 2003. 5  Vgl. oben Teil  I §  1 III 1 a. 1  2 

216

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

zwei oder mehr Einzelstaaten innerhalb der USA, etwa Massachusetts und Kali­ fornien, Bedeutung erlangen. Es handelt sich dann um die Bestimmung der inter­ staatlichen Zuständigkeit. Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht werden die Regelungen zur interstaatlichen Zuständigkeit auf die internationale Ebene über­ tragen. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich folglich grundsätzlich nach den Regeln zur interstaatlichen Zuständigkeit.6 Vorliegend soll das Recht interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen und das Recht der interstaatlichen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in­ nerhalb der USA behandelt werden. Zwar sind diese Gerichtsstandsvereinbarun­ gen nicht international im Sinne internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen und der internationalen Anerkennung und Vollstreckung nach der Brüssel Ia-VO, sondern interstaatlich und damit intranational. Bezeichnenderweise sind inter­ staatliche Gerichtsstandsvereinbarungen aber aufgrund ihrer Berührung mehre­ rer Einzelstaaten und damit aufgrund ihres jurisdiktionsübergreifenden Charak­ ters Teil des Rechtsgebiets des conflict of laws, eben des IPR bzw. IZVR.7 Zudem ist das Recht der Anerkennung und Vollstreckung durch den Grundsatz des full faith and credit geprägt, des gegenseitigen Vertrauens in die Rechtsakte der an­ deren Einzelstaaten.8 Es ist gerade der jurisdiktionsübergreifende Charakter interstaatlicher Ge­ richtsstandsvereinbarungen und interstaatlicher Urteilsanerkennung in den USA, der einer rechtsvergleichenden Betrachtung Sinn verleiht. Denn unabhängig von der Bezeichnung als international oder interstaatlich, von der Qualifizierung als Gegenstand des IZPR oder des weiter gefassten conflict of laws, betreffen inter­ staatliche Gerichtsstandsvereinbarungen sowie die interstaatliche Anerkennung in den USA und internationale Gerichtsstandsvereinbarungen und die internatio­ nale Anerkennung und Vollstreckung in Europa jeweils das zivilprozessuale Ver­ hältnis im Grundsatz souveräner Einzelstaaten, das im Fall der USA durch Ver­ fassungsrecht, im Fall der EU durch die auf unionalem Primärrecht fußende Brüssel Ia-VO maßgeblich bestimmt wird.9 Diese dabei zum Tragen kommende Klammerfunktion des Verfassungsrechts in den USA und des Europarechts in der EU, insbesondere der unionsrechtliche Grundsatz gegenseitigen Vertrauens und der US-amerikanische Grundsatz des full faith and credit,10 macht eine rechts­ vergleichende Betrachtung des Verhältnisses der Einzel- bzw. Mitgliedstaaten in Hay, RabelsZ 35 (1971), S.  429, 444; Schack, Einführung, 2011, Rn.  61. Vgl. nur Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010. 8  Zum aus der full faith and credit clause fließenden Grundsatz des gegenseitigen full faith and credit vgl. unten Teil  II §  2 I. 9  Für eine rechtsvergleichende Darstellung der Anerkennung und Vollstreckung in “mul­ ti-state associations“ vgl. Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1 10  Zum Vertrauensprinzip vgl. Teil  I §  5 III 3 b; zu full faith and credit vgl. unten Teil  II §  2 I. 6  7 

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

217

Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung prorogationswidriger Urteile in­ teressant. Der vorliegende Teil gliedert sich in zwei Kapitel. Im ersten Kapitel sollen internationale Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilpro­ zessrecht umfassend dargestellt werden (§  1). In einem zweiten Schritt soll vor diesem Hintergrund das US-amerikanische Anerkennungsrecht mit Blick auf die Anerkennung prorogationswidriger Urteile analysiert werden (§  2).

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht In der amerikanischen Rechtsterminologie wird für Gerichtsstandsvereinbarun­ gen der Begriff forum selection agreement oder forum selection clause synonym verwendet.11 Gleichbedeutend damit werden auch die Begriffe choice of forum agreement, choice of forum clause,12 bzw. forum clause und forum agreement13 gebraucht.14 Größere terminologische Schwierigkeiten stellen sich mit Blick auf die Be­ griffe der Derogation und der Prorogation. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur ist die Terminologie hier nicht eindeutig, was an der konti­ nentalen Provenienz zumindest des Begriffes der Prorogation liegt.15 Grund­ sätzlich wird in der US-amerikanischen Terminologie mit Derogation die Abbe­ dingung eines ansonsten bestehenden Gerichtsstands bezeichnet, mit Proroga­ tion die Unterwerfung unter die Zuständigkeit eines Gerichts.16 Einige Autoren bezeichnen als Derogation hingegen die völlige Aufhebung der Zuständigkeit jeglicher Gerichte, sodass überhaupt keine Klage vor irgendeinem Gericht erho­ ben werden kann. Unter Prorogation wird dann die Wahl eines Gerichts unter Ausschluss aller anderen Gerichte verstanden.17 Im Folgenden soll der klassi­ schen, bereits im Zusammenhang mit Art.  25 Brüssel Ia-VO verwendeten,18 kon­ tinentalen Terminologie gefolgt, und diese auf das US-amerikanische Zivilpro­ eine synonyme Verwendung vgl. Paradise Enterprises Ltd. v. Sapir, 811 A.2d 516 (N.J. 2002). 12  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  41. 13  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534. 14  Borchers, Wash. L. Rev. 67 (1992), S.  55, 56, Fn.  1; zur Terminologie vgl. auch Symeo­ nides, Choice of Law, 2016, S.  435; vgl. zum Unterschied zwischen einer Gerichtsstandsver­ einbarung und einer Gerichtsstandsklausel bereits oben Teil  I §  2 II a. 15  Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 16  Vgl. die Ausführungen bei Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07; Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  435 f.; zur Terminologie im EuZPR vgl. oben Teil  I §  3 I. 17  Für einen Überblick über die vertretenen Begriffe vgl. Casad/Richman/Cox, Jurisdic­tion in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 18  Vgl. oben Teil  I §  3 I 1 und 2. 11  Für

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

219

zessrecht angewandt werden. Demnach ist Prorogation die Begründung einer Zuständigkeit, während Derogation deren Abbedingung bezeichnet.19 Beide Wirkungen können in einer Gerichtsstandsvereinbarung kombiniert werden. Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht wird in Bezug auf die Zuständigkeit eines Gerichts zwischen jurisdiction, den lesser limitations on jurisdiction und venue differenziert. Die jurisdiction stellt eine verfassungsrechtliche Anforde­ rung an die Zuständigkeit der Gerichte in einem Einzelstaat dar. Sie dient dabei in der Form der personal jurisdiction der territorialen Abgrenzung der Zuständig­ keit der Gerichte in verschiedenen Einzelstaaten und in der Form der subject-matter jurisdiction der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen einzelstaatlichen und Bundesgerichten.20 Besitzt ein Gericht jurisdiction, stellen die lesser limitations on jurisdiction Einschränkungen der Zuständigkeitsausübung dar.21 Schließlich ergibt sich die venue, die örtliche Zuständigkeit, aus dem einfachen Recht des Bundes oder des jeweiligen Einzelstaats, dessen Gericht seine Zuständigkeit prüft.22 Interstaatliche Gerichtsstandsvereinbarungen entfalten auf sämtlichen drei Ebenen des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts Wirkungen.

I.  Gerichtsstandsvereinbarungen als consent to personal jurisdiction Einer interstaatlichen Gerichtsstandsvereinbarung kann zunächst eine verfas­ sungsrechtliche Funktion zukommen, indem sie die personal jurisdiction, die interstaatliche territoriale Zuständigkeit eines Gerichts über die Parteien eines Verfahrens, begründen kann. Die personal jurisdiction des Urteilsgerichts über den Beklagten ist für die Verfassungsmäßigkeit eines Urteils nach der due process clause des 5. und 14. Amendement der Bundesverfassung erforderlich.23 Der Beklagte hat ein Recht von Verfassungsrang auf due process, auf ein rechts­ staatliches Verfahren, das durch die fehlende personal jurisdiction des befassten Gerichts verletzt würde.24

19 

Zu Derogations- und Prorogationswirkung vgl. ausführlich unten Teil  II §  1 I 2 und 3. Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07; Silberman, Houston J. of Int. L. 26 (2004), S.  327, 347 f; vgl. dazu ausführlich auch unten Teil  II §  1 I 1. 21  Reynolds/Richman, Understanding Conflict of Laws, 2002, S.  78; zu den unterschiedli­ chen Bedeutungen von Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 22  Vgl. ausführlich zu venue unten Teil  II §  1 III. 23  Vgl. dazu unten Teil  II §  2 II. 24  Schack, Einführung, 2011, Rn.  61, 64. 20 

220

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

1.  Personal jurisdiction im Zivilprozessrecht der USA Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht werden zwei Formen der jurisdiction unterschieden. Zunächst bezeichnet die personal jurisdiction die Zuständigkeit der Gerichte in einem Einzelstaat – dies können Bundesgerichte wie auch einzel­ staatliche Gerichte sein – für Klagen gegen eine bestimmte Person.25 Die personal jurisdiction wird teilweise auch als territorial jurisdiction bezeichnet.26 Innerhalb der personal jurisdiction kann wiederum zwischen general jurisdiction und specific jurisdiction differenziert werden. General jurisdiction bezeich­ net eine solche personal jurisdiction, bei der die Gerichte in einem Einzelstaat für sämtliche Klagen gegen den Beklagten zuständig sind. Bei specific jurisdiction bezieht sich hingegen die personal jurisdiction des jeweiligen Einzelstaats lediglich auf die Streitgegenstände, hinsichtlich derer der Beklagte einen ausrei­ chenden Bezug zu dem jeweiligen Einzelstaat hat.27 Neben der personal jurisdiction grenzt die subject-matter jurisdiction die Zu­ ständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte von derjenigen der Bundesgerichte ab.28 a)  Die due process clause Das Erfordernis der personal jurisdiction folgt aus der due process clause. Diese ist im 5. und 14. Amendement, dem 5. und 14. Verfassungszusatz der Bundesver­ fassung, geregelt und gewährt den Parteien das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren.29 Due process kann dabei in process bzw. notice und nexus bzw. basis unterteilt werden.30 Der Beklagte muss erstens ausreichend, reasonably, über die Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.01 [2] [a]; zur Be­ grenzung der personal jurisdiction auf Klagen bezüglich beweglicher Sachen oder auf Forde­ rungen im Wert des in einem Einzelstaat belegenen Vermögens durch in rem jurisdiction und quasi in rem jurisdiction vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  65. 26  Vgl. auch Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  29; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.02 [2]; Schack, Einführung, 2011, Rn.  60, 81. 27  Borchers, The Univ. of Chicago Legal Forum 2001, S.  119 f., kritisch S.  129; Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  225. Die Differenzierung von general jurisdiction und specific jurisdiction wurde in den USA durch den zum Klassiker gewordenen Aufsatz von Mehren/Trautmann, Harv. L. Rev. 79 (1996), S.  1121 eingeführt. 28  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  27; vgl. zur subject-matter jurisdiction: Schack, Einführung, 2011, Rn.  38 ff. 29  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  137; zur materiell-rechtlichen Dimension der due process clause, die für die vorliegende Arbeit nicht maßgeblich ist, vgl. Banta, Wyoming L. Rev. 13 (2013), S.  151, 153. 30  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  137; Casad/Richman/Cox, 25 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

221

gegen ihn anhängige Klage in Kenntnis gesetzt worden sein.31 Zweitens muss der Einzelstaat, dessen Gericht entscheidet, durch einen ausreichenden Bezug zum Beklagten personal jurisdiction besitzen.32 Das Recht auf due process entwickelte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die ursprüngliche due process clause des 5. Amendement aus dem Jahr 1791 enthielt noch kein subjektives Recht des einzelnen Bürgers auf due process.33 Erst mit dem 14. Amendement von 1868 wurde die due process clause zu einem subjektiven Recht des einzelnen Bürgers von Verfassungsrang und damit zur ver­ fassungsrechtlichen Anforderung an die Wirksamkeit eines Urteils.34 1878 dehn­ te der Supreme Court in seiner berühmten Entscheidung in Pennoyer v. Neff die due process clause auch auf die personal jurisdiction aus.35 Seitdem stellt ein Urteil eines Gerichts ohne personal jurisdiction eine Verletzung des Rechts des Beklagten auf due process dar. Ein gegen die due process clause verstoßendes Urteil ist verfassungswidrig und damit nichtig.36 Die due process clause verlangt die personal jurisdiction eines Gerichts und setzt damit dessen Zuständigkeitsausübung Grenzen. Jedoch wird durch die due process clause die personal jurisdiction eines Gerichts nicht begründet. Dafür bedarf es vielmehr einer gesonderten Grundlage, welche sich aus dem common law oder aus dem Gesetz ergeben kann.37 Traditionell wurden von der Rechtsprechung consent, domicile und physical presence zur Begründung von personal jurisdiction anerkannt.38 Mittlerweile ha­ ben die meisten Bundesstaaten daneben mit den sogenannten long-arm statutes Gesetze erlassen, die festlegen, wann ein Gericht personal jurisdiction über

Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.01 [2] [a]; Banta, Wyoming L. Rev. 13 (2013), S.  151, 153. 31  Vgl. dazu American Surety Co. v. Baldwin, 287 U.S.  156, 167 (1932); Weintraub, Com­ mentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  137; Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  82; Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1, 32 f. 32 So etwa ausdrücklich World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S.  286, 291 (1980); vgl. auch Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  137. 33  Vgl. mit Verweis auf die Rechtslage vor der zentralen Entscheidung in Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714 (1878) James Jr./Harzard/Leubsdorf, Civil Procedure, 2001, S.  64. 34 Ausführlich James Jr./Harzard/Leubsdorf, Civil Procedure, 2001, S.  63. 35  Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714 (1878). 36  Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714 (1878); vgl. Wasserman, Due Process, 2004, S.  167, 208 f. 37  Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 664; Casad/Richman/Cox, Jurisdic­ tion in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.01 [2] [b]. 38  Einwilligung, gewöhnlicher Aufenthalt/Wohnsitz und persönliche Anwesenheit; vgl. zum Ganzen Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 664; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.01 [2] [a]; zu domicile und physical presence vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  70; zu consent s. Teil  II §  1 I 2.

222

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

e­ inen Beklagten besitzt.39 Dabei können die Einzelstaaten strengere Vorausset­ zungen für die personal jurisdiction vorsehen, als es die due process clause tut. Dies hat etwa New York in New York Civil Practice Law and Rules (CPLR) §  302 getan.40 Sie können aber auch, wie etwa Kalifornien in California Code of Civil Procedure (CCP) §  410.10, die interstaatliche Zuständigkeit ihrer Gerichte immer dann vorsehen, wenn dies mit der due process clause vereinbar ist.41 Wel­ cher Lösung sich die Einzelstaaten auch anschließen, die long-arm statutes fin­ den als einfaches Gesetzesrecht ihre Grenze stets im Verfassungsrecht des Be­ klagten auf due process und gelten daher nur insoweit, als sie dieses Recht nicht verletzen.42 Für die Bundesgerichte bemisst sich gemäß Rules of Federal Civil Procedure (RFCP) 4 (e), (f) und (k) die personal jurisdiction nach den Regeln über die personal jurisdiction des Einzelstaats, in dem das jeweilige Bundesgericht sei­ nen Sitz hat.43 Folglich muss das befasste Gericht stets in einem ersten Schritt prüfen, ob der Tatbestand des long-arm statute verwirklicht ist oder, wenn es einen solchen in dem betreffenden Einzelstaat nicht gibt, ob einer der traditionellen Gründe des common law für personal jurisdiction vorliegt. In einem zweiten Schritt prüft das Gericht, ob die Ausübung der personal jurisdiction aufgrund des long-arm statute mit den Anforderungen der due process clause vereinbar ist.44 Die due process clause begrenzt die von den long-arm statutes begründete und durch die Rechtsprechung entwickelte Grundlage von personal jurisdiction, schafft diese selbst aber nicht.45 b)  Grenzen der personal jurisdiction Die verfassungsrechtlichen Anforderungen der due process clause an die personal jurisdiction eines Gerichts lassen sich mit reasonableness und fairness zu­

Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 664, 669. Schack, Einführung, 2011, Rn.  62. 41  Schack, Einführung, 2011, Rn.  63. 42  Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 664. 43  Schack, Einführung, 2011, Rn.  64 mit Fn.  216; vgl. dazu auch Casad/Richman/Cox, Ju­ risdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  5.02 [4]. 44  Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 670 f.; vgl. exemplarisch die Prü­ fung in Praetorian Specialty Ins. Co. v. Auguillard Constr. Co., 829 F.Supp.2d 456, 461 (W.D. La. 2010); für die entsprechende Prüfung durch einzelstaatliche Gerichte vgl. etwa May v. Figgins, 186 Mont. 383, 386 (Mont. 1980); Minuteman Press Intern. v. Sparks, 782 S.W.2d 339, 340 (Tex. App.  1989). 45  Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 664. 39 

40 Vgl.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

223

sammenfassen.46 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive müssen für die inter­ staatliche Zuständigkeit, die personal jurisdiction, im Wesentlichen zwei Vor­ aussetzungen erfüllt sein. Erstens muss nach der Rechtsprechung des Supreme Court in International Shoe47 und Shaffer v. Heitner48 eine adäquate Zuständig­ keitsgrundlage im Sinne sogenannter minimum contacts zwischen dem Einzel­ staat und dem Beklagten vorliegen.49 Zweitens ist nach der Rechtsprechung des Supreme Court in World-Wide Volkswagen,50 Burger King51 und Asahi52 zu prü­ fen, ob die personal jurisdiction über den Beklagten bei einer Gesamtabwägung im Einzelfall fair und reasonable ist.53 Innerhalb des jeweiligen Einzelstaats besitzt jedes Gericht personal jurisdic­ tion, wenn die Anforderungen der due process clause in Bezug auf den Einzel­ staat erfüllt sind.54 Dies gilt für einzelstaatliche Gerichte wie für Bundesgerichte gleichermaßen, da das Verfassungsrecht nicht nur das Bundesrecht, sondern auch das Recht der Einzelstaaten überlagert.55 Ein Urteil, das von einem Gericht ohne personal jurisdiction erlassen wird, ist im Grundsatz wegen Verstoßes gegen die due process clause verfassungs­ widrig und daher nichtig.56 Damit schützt die due process clause den Beklagten davor, vor Gerichten verklagt zu werden, zu denen er keine hinreichende Ver­ bindung hat.57 Das gegen die due process clause verstoßende Urteil kann mit einer direct attack im Instanzenzug, etwa durch den der Berufung ähnlichen appeal,58 und letztlich bis zum Supreme Court hinauf angegriffen und für nichtig erklärt werden.

46  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  137, 159; Brand, Univ. of Pittsburgh L. Rev. 60 (1999), S.  661, 687. 47  International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S.  310 (1945). 48  Shaffer v. Heitner, 433 U.S.  186 (1977). 49  Vgl. für eine ausführliche Darstellung der Rechtsprechung des Supreme Court zur perso­ nal jurisdiction Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  162–165; Wasserman, Procedural Due Process, 2004, S.  207 ff. 50  World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S.  286, 311 (1980). 51  Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S.  462, 475 (1985). 52  Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S.  102, 113 (1987). 53  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  82; Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  157. 54  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  157. 55  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  26. 56  Insurance Corp. v. Compagnie Des Bauxites, 456 U.S.  694, 702 (1982), vgl. Wasserman, Procedural Due Process, 2004, S.  209 f. 57 Vgl. Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S.  462, 471 f. (1985). 58  Vgl. zum appeal, der vor den Bundesgerichten und in den meisten Einzelstaaten keine neue Tatsacheninstanz eröffnet, Schack, Einführung, 2011, Rn.  171.

224

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

Neben dem Instanzenzug kann die unterliegende Partei das Urteil grundsätz­ lich auch mit einer collateral attack vor einem anderen Gericht als dem Urteils­ gericht sowohl im Urteilsstaat als auch in einem anderen Einzelstaat angreifen.59 Der Beklagte kann etwa die Nichtigkeit des Urteils einwenden, wenn der Kläger sich im Zweitgericht auf die Wirkungen des Urteils beruft.60 Das bei fehlender personal jurisdiction ergehende Urteil wird grundsätzlich als nichtiges Urteil nicht von der full faith and credit clause des Art. IV §  1 Bundesverfassung erfasst und ist damit grundsätzlich in anderen Einzelstaaten nicht anerkennungsfähig.61

2.  Prorogation und personal jurisdiction Die personal jurisdiction der Gerichte eines Einzelstaats kann sich aus verschie­ denen Gründen ergeben.62 Eine traditionelle Grundlage ist die Einwilligung des Beklagten, der consent, in die Zuständigkeit der Gerichte im jeweiligen Einzel­ staat.63 Die so begründete consent jurisdiction stellt dabei eine Form der specific jurisdiction dar. Dies bedeutet, dass der Beklagte nicht die personal jurisdiction des prorogierten Gerichts für jede Klage gegen sich begründet, sondern die Zu­ ständigkeit sich auf die Streitgegenstände beschränkt, die der consent des Be­ klagten umfasst.64 a)  Consent to jurisdiction in Form einer Gerichtsstandsvereinbarung Dass der Beklagte die personal jurisdiction der Gerichte in einem Einzelstaat durch Einwilligung vor Klageerhebung oder durch implizite oder explizite Zu­ stimmung zur Zuständigkeit des befassten Gerichts nach Klageerhebung begrün­ den kann, setzte sich bereits früh in der US-amerikanischen Rechtsprechung und

Zu direct attack und collateral attack vgl. ausführlich unten Teil  II §  2 III 1. Vgl. dazu ausführlich Teil  II §  2 III 1. 61  Zur Auswirkung eines wegen Verstoßes gegen die due process clause nichtigen Urteils vgl. Teil  II §  2 III 3 a. 62  Vgl. oben Teil  II §  1 I 1. 63  Diesen Umstand hervorhebend Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714 (1878); National Equipment Rental v. Sukzhent 375 U.S.  311 (1964); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  536; Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  41; Weintraub, Com­ mentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  227; Wasserman, Procedural Due Process, 2004, S.  215; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 64  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  38; vgl. ausführlich zur Un­ terscheidung zwischen general jurisdiction und specific jurisdiction oben Teil  II §  1 I 1. 59  60 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

225

Lehre durch.65 Consent bildet neben physical presence66 und domicile67 eine der traditionellen Grundlagen von personal jurisdiction.68 1964 bestätigte der Supreme Court in National Rental Equipment v. Szukhent auch die Möglichkeit der Einwilligung in die personal jurisdiction der Gerichte in einem Einzelstaat vor Entstehung der Streitigkeit in einer Gerichtsstandsver­ einbarung.69 Gerichtsstandsvereinbarungen bilden folglich eine Form des consent to jurisdiction.70 Neben Gerichtsstandsvereinbarungen bestehen weitere Formen des consent, etwa die rügelose Einlassung, die Klageerhebung oder die Widerklage.71 Von Bedeutung ist bei der personal jurisdiction aufgrund von consent, dass der Beklagte zwar theoretisch einseitig in die Zuständigkeit einwilligt, da es nur auf seine Zustimmung zur personal jurisdiction ankommt. Jedoch kann dieser grundsätzlich einseitige consent auch in einer Gerichtsstandsvereinbarung und damit bindend erteilt werden.72 Einige Bundesstaaten haben weitere, über den bloßen consent hinausgehende gesetzliche Beschränkungen für die personal jurisdiction ihrer Gerichte auf­ grund einer Gerichtsstandsvereinbarung geschaffen. Dies können die Bundes­ staaten tun, da die due process clause nur die Ausübung von personal jurisdic­ tion begrenzt, die Zuständigkeit aber nicht begründet.73 So hat etwa der Bundes­ staat New York mit N.Y. General Obligations Law §  5–1402 eine Vorschrift erlassen, nach der für den consent zur personal jurisdiction von New York zu­ 65  Reynolds/Richman, Understanding Conflict of Laws, 2002, S.  148; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  536; vgl. auch Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 66  Vgl. dazu Teil  II §  1 I 1 a. 67  Vgl. dazu Teil  II §  1 I 1 a. 68 Vgl. Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714, (1878); Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.1, 13, Fn.  30; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 69  National Equipment Rental v. Szukhent 375 U.S.  311 (1964); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  536; Silberman, Houston J. of Int. L. 26 (2004), S.  327, 347, Fn.  69; Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  227; James Jr./Harzard/ Leubsdorf, Civil Procedure, 2001, S.  67; zu dem Umstand, dass Szukhent den service of process betraf, allgemein aber auch auf personal jurisdiction angewandt wird, vgl. Gruson, Univ Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 195 f. 70  Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 71  Vgl. dazu Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  228; Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  41; James Jr./Harzard/Leubsdorf, Civil Proce­ dure, 2001, S.  67. 72  D. H. Overmeyer Co. v. Frick Co., 405 U.S.  174 (1972); vgl. Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  227. 73  Vgl. oben Teil  II §  1 I 1 a.

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

sätzlich noch New Yorker Recht gewählt werden und ferner der Transaktions­ wert mindestens 1 Mio. USD betragen muss.74 b)  Keine minimum contacts erforderlich Nicht eindeutig wird in der amerikanischen Rechtsprechung die Frage beantwor­ tet, ob über eine Gerichtsstandsvereinbarung hinaus weitere, objektive Verbin­ dungen des Beklagten zum jeweiligen Einzelstaat erforderlich sind, wie sie die minimum contacts-Doktrin aus International Shoe grundsätzlich für die personal jurisdiction fordert.75 Diese mangelnde Eindeutigkeit erwächst unter anderem aus der Entscheidung des Supreme Court in Burnham v. Suprior Court, wo der Supreme Court auch bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung das Erfor­ dernis der minimum contacts für service of process, also die Klagezustellung, bejaht hat.76 Es stellt sich hier die Frage, ob dies ebenso für consent in Gerichts­ standsvereinbarungen gilt, da sowohl service of process als auch consent aus der due process clause folgen.77 Vorherrschend ist die Auffassung, dass consent al­ lein, auch ohne eine sonstige Verbindung des Beklagten zum Gerichtsstaat als Grund für personal jurisdiction genügt.78 Einzelne Bundesstaaten verlangen aber für die personal jurisdiction aufgrund von consent, dass minimum contacts vor­ liegen. Ein Beispiel dafür ist Florida.79 c)  Consent und Zuständigkeitsverweisung Consent kann die Verfassungsmäßigkeit der Zuständigkeitsausübung durch ein Gericht vor dem Hintergrund der due process clause begründen. Ob aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung jedoch ein Gericht auch tatsächlich seine Zu­ Silberman, Houston J. of Int. L. 26 (2004), S.  327, 347, Fn.  69. Zu International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S.  310, 316 (1945) und der minimum contacts rule vgl. ausführlich oben Teil  II §  1 I 1 b. 76  Burnham v. Superior Court of Cal., Marin County, 495 U.S.  604 (1990). 77  Vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 78  Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S.  462, 473, Fn.  14 (1985); National Equipment Rental v. Szukhent 375 U.S.  311, 315 (1964); Heller Financial v. Midwhey, 883 F.2d 1286, 1295 (7th Cir. 1989); Chan v. Society, 39 F.3d 1398, 1407 (9th Cir. 1994); D.H. v. Gottdiener, 462 F.3d 95, 103 (2d Cir. 2006); vgl. Thomas, The Constitution of the United States of America, 2013, S.  1953. Für einzelstaatliche Gerichte S. etwa Clinic Masters v. Dist. Ct., 192 Colo. 120, 123 (Colo. 1976); Hosiery Mills v. Burlington Industries, 285 N.C. 344, 355 (N.C. 1974); Preferred Capital, Inc. v. Sarasota Kennel Club, Inc., 489 F.3d 303 (6th Cir. 2007); vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 79  So etwa McRae v. J.D./M.D., Inc., 511 So.2d 540, 544 (Fla. 1987); Consol Energy, Inc v. Strumor, 920 So. 2d 829, 832; vgl. Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, 2007, S.  145 f. 74  75 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

227

ständigkeit ausübt und in der Sache über den Rechtsstreit entscheidet, ist eine davon zu differenzierende Frage. Von Relevanz für den Wert von Gerichtsstandsvereinbarungen ist dabei das Verhältnis zu der Lehre vom forum non conveniens. Diese stellt eine der lesser limitations on jurisdiction dar.80 Trotz bestehender personal jurisdiction ver­ zichtet ein Gericht auf die Zuständigkeitsausübung, weil es ein anderes Gericht für sachnäher hält.81 Im Rahmen der forum non conveniens-Analyse sind nach der Rechtsprechung die von dem Verfahren betroffenen privaten und öffentli­ chen Interessen, wie der Zugang zu Beweismitteln, prozessrechtliche Regeln in Bezug auf Zeugen sowie die Kosten der Beweiserhebung und Zeugenverneh­ mung abzuwägen.82 Anhand dieser Abwägung soll das Gericht ermittelt werden, das am besten über die Klage entscheiden kann.83 Die Lehre von forum non conveniens hat Ausnahmecharakter, da im Grunde die Forumwahl des Klägers zu respektieren ist.84 Bei Gerichtsstandsvereinbarungen stellt sich diese Problematik, wenn der Kläger bei einem anderen als dem gewählten Gericht Klage erhebt, oder wenn der Beklagte vor einem anderen als dem gewählten Gericht verklagt werden möchte.85 In einer Reihe von Court of Appeals-Entscheidungen hat sich die Auf­ fassung herauskristallisiert, dass im Rahmen der forum non conveniens-Abwä­ gung eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung sich grundsätzlich durch­ setzt.86

80  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  549–51; zum Begriff der lesser limitations on jurisdiction vgl. unten Teil  II §  1 II 1. 81  Dazu ausführlich Schack, Einführung, 2011, Rn.  82–87. 82  Vgl. etwa Paradise Enterprises Ltd. v. Sapir, 356 N.J.Super. 96, 105 (2002). 83  Vgl. dazu die Leitentscheidung des Supreme Court in Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S.  501, 508 (1947). 84  Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S.  501 (1947); dazu ausführlich Behrens, RabelsZ 38 (1974), S.  590, 597. 85  Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 200; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.04. 86 So AAR Int’l Inc. v. Nimelias Ent. S.A., 250 F.3d 510, 525 f. (7th Cir. 2001); Evolution Online Sys., Inc. v. Koninklijke PTT Nederland N.V., 145 F.3d 505, 509 f. (2nd Cir. 1998); Mitsui Co. (USA), Inc. v. Mira M/V, 111 F.3d 33, 37 (5th Cir. 1997); anders aber Royal Bed and Spring Co., Inc. v. Famossul Industria e Comercio de Moveis Ltda., 906 F.2d 45, 51 (1st Cir. 1990), wonach die Gerichtsstandsvereinbarung nur ein Faktor unter vielen sei; vgl. dazu die ausführliche Analyse der Rechtsprechung in Paradise Enter. v. Sapir, 356 N.J. Super. 96, 108, Fn.  5 (N.J. Super. App. Div. 2002); forum non conveniens bei einer wirksamen Prorogation gänzlich ausschließend American Biophysics v. Dubois Marine Specialties, 411 F. Supp.2d 61, 62 f. (D.R.I. 2006).

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

3.  Derogation und personal jurisdiction Im Gegensatz zur Prorogation der Gerichte in einem Einzelstaat kann aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung weder vor noch nach Entstehung des Rechts­ streits die personal jurisdiction der Gerichte in einem Einzelstaat abbedungen werden.87 Eine einmal bestehende personal jurisdiction ist der Disposition der Parteien entzogen. Dies gilt sowohl für einseitige als auch für zweiseitige, also vertragliche, Derogationen in einer Gerichtsstandsvereinbarung. Dennoch sind Derogationen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht mög­ lich. Diese stellen aber keine Abbedingung der personal jurisdiction der Gerich­ te in einem Einzelstaat dar, sondern entfalten als sogenannte lesser limitations on jurisdiction auf anderer Ebene als die verfassungsrechtlich begründete personal jurisdiction zuständigkeitsrechtliche Wirkung, wie im Folgenden zu zeigen ist.88

II.  Gerichtsstandsvereinbarungen als lesser limitations on jurisdiction Durch eine Derogation wird im US-amerikanischen Zivilprozessrecht die Aus­ übung der interstaatlichen Zuständigkeit der Gerichte in einem Einzelstaat, die personal jurisdiction, eingeschränkt, ohne dass diese dadurch aufgehoben wird. Die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung stellt eine der soge­ nannten lesser limitations on jurisdiction dar.89 Die Parteien bilden mit ihrer Ge­ richtsstandsvereinbarung die vertragliche Grundlage dafür, dass ein derogiertes Gericht, wenn es angerufen wird, die Gerichtsstandsvereinbarung achtet und sei­ ne verfassungsrechtlich weiterhin bestehende interstaatliche Zuständigkeit über den Beklagten nicht ausübt.90 In seiner seminalen Entscheidung The Bremen v. Zapata Off-Shore Co. bestätigte der Supreme Court 1972 diese Wirkung von Derogationen und entwickelte damit in maßgeblicher Weise das moderne Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, 2007, S.  137; vgl. auch Wm. H. Muller Co. v. Swedish Am. Line Ltd., 224 F.2d 808 (2d Cir. 1955); Lambert v. Kysar, 983 F.2d 1110, 1118, Fn.  11 (1st Cir. 1993); Manrique v. Fabbri, 493 So.2d 437, 439 f. (Fla. 1986); Smith, Valentino Smith, Inc. v. Superior Court, 17 Cal. 3d 491, 495, (Cal. 1976); Reiner, Reiner Bendett, P.C. v. Cadle Co., 278 Conn. 92, 93 (Conn. 2006). 88  S.  a. Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, 2007, S.  137. 89  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  533 sprechen von einer „additional source of limitations on forum choice.“ Im Folgenden wird der Begriff „lesser limitations on jurisdiction“ verwendet, vgl. auch unten Teil  II §  1 II 1. 90  Reynolds/Richman, Understanding Conflict of Laws, 2002, S.  148; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534. 87 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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US-amerikanische Recht interstaatlicher und internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen.91

1.  Lesser limitations on jurisdiction im US-amerikanischen Zivilprozessrecht Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht sind von der personal jurisdiction der Gerichte in einem Einzelstaat die lesser limitations on jurisdiction zu unterschei­ den.92 Unter lesser limitations on jurisdiction sind Begrenzungen der Zuständig­ keitsausübung eines Gerichts zu verstehen. Es handelt sich um zuständigkeits­ rechtliche Regeln, die, anders als die personal jurisdiction, keine verfassungs­ rechtliche Dimension besitzen. Vielmehr dienen lesser limitations on jurisdiction der besseren internationalen, interstaatlichen und örtlichen Zuordnung eines Verfahrens zu einem Gericht.93 Sie ergeben sich entweder aus dem common law oder dem Gesetzesrecht der Einzelstaaten für die einzelstaatlichen Gerichte oder des Bundes für die Bundesgerichte.94 Die lesser limitations on jurisdiction kön­ nen erheblichen Einfluss auf ein Verfahren haben.95 Die wohl bekannteste der lesser limitations on jurisdiction ist die den konti­ nentalen Rechtsordnungen unbekannte Lehre vom forum non conveniens, nach der ein Gericht eine Klage als unzulässig abweisen kann, wenn ein anderes Ge­ richt bei Abwägung aller relevanten Faktoren geeigneter zur Entscheidung in der Sache ist als das angerufene Gericht.96 Für die vorliegende Arbeit ist von zentra­ ler Bedeutung, dass auch eine Gerichtsstandsvereinbarung eine lesser limita­tion on jurisdiction darstellen kann. 97 Die lesser limitations on jurisdiction haben im EuZPR nur eine begrenzte Ent­ sprechung. Wie gezeigt gibt es im Rahmen der Brüssel Ia-VO grundsätzlich nur die Zuständigkeit oder die Unzuständigkeit eines Gerichts. Im Rahmen des Li­ tispendenzrechts kann jedoch auch trotz bestehender internationaler Zuständig­ keit des angerufenen Gerichts ein Verfahren nach Art.  29 Brüssel Ia-VO zunächst ausgesetzt und die Klage sodann abgewiesen werden, wenn ein anderes Gericht zuerst angerufen wurde und sich sodann für zuständig erklärt.98 Mit dem Rechts­ hängigkeitsrecht sieht also auch die Brüssel Ia-VO den Verzicht eines zuständi­ The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1 (1972). Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  136. 93  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  533. 94  Schack, Einführung, 2011, Rn.  62–64. 95 So Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534. 96  Zum Verhältnis von Prorogationen und forum non conveniens vgl. Teil  II §  1 I 1 d. 97 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534. 98  Zum Litispendenzrecht nach der Brüssel Ia-VO s.  o. Teil  I §  4 I 1. 91  92 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

gen Gerichts auf die Zuständigkeitsausübung vor und damit ein den lesser limitations on jurisdiction ähnliches Rechtsinstitut.99

2.  The Bremen und Derogationen Die zentrale Entscheidung des Supreme Court zu interstaatlichen und internatio­ nalen Gerichtsstandsvereinbarungen bildet The Bremen v. Zapata Off-Shore Co. aus dem Jahr 1972.100 Der Fall markiert einen Wendepunkt in der US-amerikani­ schen Rechtsgeschichte. Um The Bremen besser einordnen zu können, sei in ei­ nem kurzen Exkurs die Provenienz der Entscheidung umrissen. Anschließend soll die von The Bremen und einigen Folgeentscheidungen aufgestellte Dogma­ tik interstaatlicher Derogationen herausgearbeitet werden. a)  Die ouster-Doktrin Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in den USA die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung von der Rechtsprechung einheitlich abge­ lehnt.101 Grund für diese Ablehnung war die herrschende ouster-Doktrin. Nach dieser stellte die Derogation eines Gerichts einen ouster, eine Aufhebung der ei­ gentlich objektiv bestehenden Zuständigkeit durch die Parteien dar.102 Die Par­ teien würden dadurch in die Souveränität des jeweiligen Einzelstaats oder des Bundes eingreifen und eigenmächtig das geltende Recht modifizieren.103 Die Aufhebung der Zuständigkeit eines Gerichts durch die Parteien stellte nach die­ ser Auffassung einen Verstoß gegen die public policy auf Ebene des jeweils be­ troffenen Einzelstaats oder des Bundes dar.104 Eine erste Abkehr von der ouster-Doktrin stellte der Federal Arbitration Act von 1925 dar. Dieser trug zur Akzeptanz der Derogationswirkung von Gerichts­ standsvereinbarungen bei, weil auch Schiedsvereinbarungen letztlich den Ge­ richten trotz bestehender personal jurisdiction ihre Zuständigkeit entziehen und damit in der Logik der ouster-Doktrin ebenfalls eine Zuständigkeitsaufhebung Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, 2007, S.  137. The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1 (1972). 101  Zur historischen Entwicklung vgl. auch Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 128 f. 102  So etwa Nute v. Hamilton Mut. Ins. Co. 72 Mass. (6 Gray) 174 (1856); Home Insurance Co. v. Morse, 87 U.S. (20 Wall.) 445, 453 (1874); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  536; Behrens, RabelsZ 38 (1974), S.  590, 594. 103 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  536; Behrens, RabelsZ 38 (1974), S.  590, 594 104 So Carbon Black Export, Inc. v. The Monrose, 254 F.2d 297, 300 f. (5th Cir. 1958); vgl. auch Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, S.  185. 99 

100 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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darstellen.105 Diese Tendenz zur Abkehr von der ouster-Doktrin wurde Anfang der 1950er Jahre durch einige Entscheidungen im Second Circuit unterstützt, in denen die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung beachtet wur­ de, wenn sie „reasonable“ war.106 Zu dieser Entwicklung in Rechtsprechung und Gesetzgebung kam hinzu, dass 1971 im zweiten Restatement zum conflict of laws, der vom American Law Institute herausgegebenen einflussreichen Über­ blicksdarstellung des conflict of laws auf Einzelstaaten- und Bundesebene,107 die Derogationswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen als lesser limtiation on jurisdiction anerkannt wurde: „The parties’ agreement as to the place of ac­tion cannot oust a state of judicial jurisdiction, but such an agreement will be given effect unless it is unfair or unreasonable.“108 b)  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung vollzog der Supreme Court 1972 in The Bremen v. Zapata Off-Shore Co.109 die entscheidende Wende.110 In The Bremen ging es um eine Ölbohrinsel der texanischen Firma Zapata Off-Shore, die von einem Schlepper der deutschen Reederei Unterweser von Texas in die Adria geschleppt werden sollte.111 Bei schlechtem Wetter wurde die Ölplattform vor der Küste Floridas beschädigt und in einen floridianischen Hafen geschleppt. Gegen die Klage Zapatas vor dem District Court in Florida, bei der sich Zapata auf personal jurisdiction wegen der Präsenz des Schleppers in Florida berief,112 wandte Unterweser die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zum High Court in London ein.113 In seiner Entscheidung vertrat der Supreme Court, dem der Fall schließlich vorgelegt wurde, dass eine Derogation keine Zuständigkeitsaufhebung, eben kei­ nen ouster darstelle.114 Vielmehr sei eine Gerichtsstandsvereinbarung ein Grund 105  Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S.  506 (1974); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  537. 106 S. Wm. H. Muller & Co. v. Swedish Am. Line Ltd., 224 F.2d 806 (2d. Cir. 1955); Cerro De Pasco Copper Corp. v. Knut Knutsen, O.A.S., 187 F2d 990 (2d Cir. 1951); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  537; für eine ausführliche Übersicht zu der „in­ teressanten Kontroverse zwischen den Court of Appeals“ über die von Muller etablierte reasonableness-Doktrin vor 1972 vgl. Behrens, RabelsZ 38 (1974), S.  590, 598, Fn.  33. 107  Zum Begriff des Conflict of Laws vgl. bereits oben Teil  II vor §  1. 108 Restatement (Second), Conflict of Laws, 1971, §  80. 109  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1 (1972). 110 So Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  537. 111  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1 (1972). 112  Vgl. zur personal jurisdiction in der Form der in rem jurisdiction oben Teil  II §  1 I 1. 113  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  538. 114  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1, 13 (1972).

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

für das derogierte Gericht, der Parteiautonomie Rechnung zu tragen, die Ge­ richtsstandsvereinbarung trotz weiterhin bestehender personal jurisdiction zu berücksichtigen und die Klage abzuweisen. Voraussetzung sei aber, dass die Ge­ richtsstandsvereinbarung reasonable ist.115 Im Ergebnis wurde damit die ouster-Doktrin durch einen reasonableness-Test ersetzt.116 Ausschlaggebend für die Entscheidung des Supreme Courts waren in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen. In der Urteilsbegründung verwies der Sup­ reme Court auf die große Bedeutung von Gerichtsstandsvereinbarungen für die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen: „The expansion of American business and industry will hardly be encouraged if, not-withstand­ ing solemn contracts, we insist on a parochial concept that all disputes must be resolved under our laws and in our courts. Absent a contract forum, the considerations relied on by the Court of Appeals would be persuasive reasons for holding an American forum convenient in the tra­ ditional sense, but in an era of expanding world trade and commerce, the absolute aspects of the doctrine of the Carbon Black case have little place and would be a heavy hand indeed on the future development of international commercial dealings by Americans.“117

Ferner wies der Supreme Court darauf hin, dass Gerichtsstandsvereinbarungen mit alten Konzepten der Vertragsfreiheit übereinstimmten und führte die Befür­ wortung von Gerichtsstandsvereinbarungen im zweiten Restatement an.118 Im Grundsatz, hielt der Supreme Court fest, seien daher Gerichtsstandsvereinbarun­ gen von den Gerichten zu beachten.119 Derogation und consent stellten zwei Sei­ ten derselben Medaille dar: „It is merely the other side of the proposition recog­ nized by this Court in National Equipment Rental, Ltd. v. Szukhent, 375 U.S.  311 (1964) […].“120 Somit verband der Supreme Court in The Bremen den aus der staatlichen Sou­ veränität fließenden Anspruch der Gerichte, eine bestehende Zuständigkeit für ein Verfahren ausüben zu können, mit der Vertragsfreiheit der Parteien. Auf der einen Seite bleibt die personal jurisdiction der derogierten Gerichte bestehen. Auf der anderen Seite hat das Gericht die derogierende Wirkung der Gerichts­ standsvereinbarung grundsätzlich zu beachten und durchzusetzen.121 115 

Vgl. zu den Voraussetzungen einer Derogation unten Teil  II §  1 II 1. Schack, Einführung, 2011, Rn.  64. 117  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1, 9 (1972); zu Carbon Black und der ouster-Doktrin vgl. oben Teil  II §  1 II 2 a. 118  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1, 11 f. (1972). 119  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1, 15 (1972): „Thus, in the light of pre­ sent-day commercial realities and expanding international trade we conclude that the forum clause should control absent a strong showing that it should be set aside“. 120  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1, 10 f. (1972); zu Szukhent und consent vgl. bereits oben Teil  II §  1 I 2 a. 121  Behrens, RabelsZ 38 (1974), S.  590, 603. 116 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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c)  Rezeption durch die US-amerikanischen Gerichte Bei The Bremen handelte es sich um einen admiralty case, also um Seerecht, und zudem um eine internationale und nicht um eine interstaatliche Gerichtsstands­ vereinbarung.122 Die Entscheidung entfaltet damit streng genommen auch nur in Seerechtsfällen, die in die Zuständigkeit der Bundesgerichte fallen, Präze­denz­ wirkung.123 Dieser Umstand warf in der Folge Probleme auf. Erstens waren und sind die einzelstaatlichen Gerichte von der Rechtsprechung des Supreme Court zur Zuständigkeit der Bundesgerichte, der federal jurisdiction, in keiner Weise gebunden.124 Daraus ergibt sich auch die teils von The Bremen und der Folgeent­ scheidung Carnival Cruise abweichende Rechtspraxis in den verschiedenen Ein­ zelsaaten.125 Zweitens war fraglich, ob The Bremen auch in anderen Konstella­tio­ nen bundesgerichtlicher Zuständigkeit, insbesondere wenn Kläger und Beklagter ihren Wohnsitz in verschiedenen Einzelstaaten haben, der sogenannten diversity jurisdiction, Anwendung finden sollte.126 aa)  The Bremen und die einzelstaatlichen Gerichte Nachdem zunächst auch die einzelstaatlichen Gerichte Derogationen aufgrund der ouster-Doktrin abgelehnt hatten, revidierten sie in der Folge von The Bremen ihre ablehnende Haltung sukzessive.127 Dabei passten sie ihr eigenes Recht wei­ Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07; Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 130. Zur Bundeszuständigkeit in Seerechtsfällen nach 28 U. S. C. §  133 vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  39. 123  So etwa AVC Nederland v. Aktrium Inv. Partnership, 740 F.2d 148, 156 (2d Cir. 1984); Bense v. Interstate Battery, 683 F.2d 718, 719 (2d Cir. 1982); vgl. zum Ganzen Hay/Borchers/ Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  538 f. 124  Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  439. 125  Zu der wichtigen Entscheidung des Supreme Court in Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991) vgl. unten Teil  II §  1 IV 4 b aa. 126  Vgl. zu dieser Frage auch Borchers, Washington L. Rev. 67 (1992), S.  55, 58; zur diversity jurisdiction der Bundesgerichte vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  42. 127  Vgl. für Alaska Abadou v. Trad, 624 P.2d 287 (Alaska 1981); für Arizona Societe Jeon Nicolas v. Mousseux 597 P.2d 541 (Ariz. 1979); für Kalifornien Bos Material Handling v. Crown Controls, 137 Cal.App.3d 99 (Cal. Ct. App.  1982); für Connecticut Funding Systems Leasing v. Diaz, 34 Conn. Sup.  99 (Conn. C.P. 1977); für Delaware Elia Corp v. Paul, 391 A.2d 214 (Del. Super. Ct. 1978); für Florida Manrique v. Fabbri, 493 So. 2d 437, 439–40 (Fla. 1986); für Georgia Brinson v. Martin, 220 Ga. App.  638 (Ga. Ct. App.  1996); für Kentucky Prudential Resources v. Plunkett, 583 S.W.2d 97 (Ky. Ct. App.  1979); für Minesota Hauenstein & Bermeister v. Met-Fab, 320 N.W.2d 886 (Minn. 1982); für Montana Electrical Prods v. Bodell, 132 Mont. 243 (Mont. 1957); für New Jersey Air Economy v. Aero-Flow, 122 N.J. Super. 456 (N.J. Super. App. Div. 1973); für North Carolina Perkins v. Computax, 333 N.C. 140 (N.C. 1992); für Oklahoma Eads v. Woodmen of the World life, 1989 Ok. Civ. App.  19 (Okla. Ct. App.  1990); für Oregon Reeves v. Chem Indus Oregon, 262 or. 95 (Or. 1972); für Pennsylvania 122 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

testgehend an The Bremen an und dehnten die Bremen-Doktrin auch auf inter­ staatliche Gerichtsstandsvereinbarungen aus.128 Das führte dazu, dass heute na­ hezu in sämtlichen Einzelstaaten Gerichtsstandsvereinbarungen auch hinsicht­ lich ihrer Derogationswirkung grundsätzlich berücksichtigt und durchgesetzt werden.129 Jedoch bestehen zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Rechts interstaatlicher und internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen Unterschiede. Etwa wenden einige Einzelstaaten Gerichtsstands­ vereinbarungen zwar grundsätzlich an, jedoch nur unter der Bedingung, dass diese nicht gegen lokale venue rules, also Regeln zur örtlichen Zuständigkeit, verstoßen.130 Ferner messen die Gerichte einiger Einzelstaaten Gerichtsstands­ vereinbarungen insbesondere mit Verbrauchern an einem strengeren Maßstab als dem aus The Bremen und der Folgeentscheidung des Supreme Court in Carnival Cruise.131 Insgesamt hat die Bremen-Doktrin daher zwar großen Einfluss auf die einzelstaatliche Rechtsprechung gehabt.132 Jedoch bestehen auch weiterhin Un­ terschiede bei der Handhabung von Gerichtsstandsvereinbarungen.133 bb)  The Bremen und die Bundesgerichte Die Bundesgerichte folgten einheitlich der Rechtsprechung des Supreme Court in The Bremen und übertrugen diese auf interstaatliche wie internationale Ge­ richtsstandsvereinbarungen, die nicht Seerecht betrafen.134 Da jedoch der Su­ preme Court in The Bremen nicht sämtliche Fragen in Bezug auf Gerichtsstands­ Central Contracting Co. v. C. E. Youngdahl Co., 418 Pa. 122, 209 A.2d 810 (1965); für South Dakota Green v. Clinic Master South Dakota, 272 N.W.2d 813 (S.D. 1978); Exum v. Vantage Press Washington, 17 Wn. App.  477 (Wash. Ct. App.  1977); vgl. zum Ganzen Hay/Borchers/ Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  544; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Ac­ tions, Band 1, 2014, §  1.07; Borchers, Washington Law Review 67 (1992), S.  55, 65. 128  Vgl. dazu die Ausführung bei Evolution Online v. Koninklijke Ptt Nederland, 145 F.3d 505, 509, Fn.  11 (2d Cir. 1998). 129  Evolution Online v. Koninklijke Ptt Nederland, 145 F.3d 505, 509, Fn.  11 (2d Cir. 1998); Cagle v. Mathers Family Trust, 295 P.3d 460, 464 (Colo. 2013); Restatement (Second ), Con­ flict of Laws, 1971, §  80; Symeonides/Perdue/von Mehren, Conflict of Laws, 2003, S.  662. 130 Vgl. Accelerated Christian Educ. v. Oracle Texas 925 S.W.2d 66 (Tex. App.  1996); Prows v. Pinpoint Retail Systems, Inc., 868 P.2d 809 (Utah 1994); Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  544; zur venue vgl. ausführlich unten Teil  II §  1 III 1. 131 So Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  440 f.; zu Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991) vgl. unten Teil  II §  1 IV 4 b aa. 132  Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  440 f. 133 So Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  545; m. w. N. Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 131. 134  Pelleport Investors v. Budco Quality Theatres, 741 F.2d 273, 280 (9th Cir. 1984); spezi­ ell zur Frage nach der Anwendung auf nicht-admiralty Fälle vgl. Evolution Online v. Koninkli-

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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vereinbarungen geklärt hatte, bestanden hier insbesondere bei der Frage nach dem auf Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbaren Recht in Fällen von diversity jurisdiction, also der Bundeszuständigkeit aufgrund von Wohnsitzen der Par­ teien in verschiedenen Einzelstaaten, Unterschiede in der Rechtsprechung der einzelnen Bundesgerichte.135 Aufgrund der Erie-Doktrin136 wenden die Bundesgerichte grundsätzlich bei diversity jurisction das materielle Recht des Einzelstaats an, in dem sie ihren je­ weiligen Sitz haben.137 Da die Erie-Doktrin das Prozessrecht jedoch nicht er­ fasst, wenden Bundesgerichte stets Bundesprozessrecht an.138 In den meisten Fällen bundesgerichtlicher Zuständigkeit stellt die Erie-Doktrin hinsichtlich der Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen kein Problem dar, weil die meisten Einzelstaaten der Entscheidung des Supreme Court in The Bremen fol­ gen.139 Jedoch sehen, wie schon dargestellt, einige Einzelstaaten strengere, über die in The Bremen sowie in Folgeentscheidungen konzipierte Dogmatik des Su­ preme Court hinausgehende Anforderungen an die Beachtlichkeit der Derogati­ onswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung vor.140 Sind solche strengeren An­ forderungen einschlägig, kommt dem anwendbaren Recht zentrale Bedeutung zu. Auch hier kommt die bereits für das EuZVR beschriebene Doppelnatur von Gerichtsstandsvereinbarungen zum Vorschein, da die Bestimmung des anwend­ baren Rechts davon abhängt, ob an den materiell-rechtlichen oder den prozessua­ len Aspekt einer Gerichtsstandsvereinbarung angeknüpft wird.141 In Stewart v. Ricoh entschied der Supreme Court, dass in einem Fall von diversity jurisdiction eine Gerichtsstandsvereinbarung zumindest bei Antrag auf Ver­ weisung zwischen Bundesgerichten, einem federal transfer nach 28 U. S. C. §  1404 (a), Bundesrecht unterliegt.142 Stewart v. Ricoh betrifft jedoch nur den Fall einer Verweisung zwischen Bundesgerichten aufgrund einer Gerichtsstands­ jke Ptt Nederland, 145 F.3d 505, 509, Fn.  11 (2d Cir. 1998); ausführlich Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 149 f. 135 Vgl. Webb Yackee, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 9 (2004), S.  43, 65 f. 136  Erie Railroad Co. v. Tompkins 304 U.S.  64 (1938); vgl. dazu Schack, Einführung, 2011, Rn.  34–36. 137  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  542. 138  Ochsenfeld, RIW 1995, S.  633, 634; Webb Yackee, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 9 (2004), S.  43, 66; Schack, Einführung, 2011, Rn.  27–30. 139  So etwa in Excell, Inc. v. Sterling Boiler Mechanical, 106 F.3d 318, 320 f. (10th Cir. 1997). 140  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  542; Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 131 f.; vgl. dazu bereits Teil  II §  1 II 2 c aa. 141  Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07; zur rechtlichen Natur von Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. Teil  I §  1 I 1. 142  Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp, 487 U.S.  22, 31 f. (1988).

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vereinbarung.143 Die Klageabweisung wegen Unzuständigkeit wird hingegen nicht erfasst. Auch in einem solchen Fall stellt sich aber die Frage, welches Recht ein Bundesgericht auf die Derogation anwendet. Die verschiedenen Circuits sind sich in dieser Frage nicht einig.144 Im Ganzen überwiegt die Anwendung von Bundesrecht und damit die Anwendung der Grundsätze aus The Bremen.145 2013 ließ der Supreme Court in Atlantic Marine die Frage erneut offen.146

3.  Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung als lesser limitation on jurisdiction Bei den Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung als lesser limitation on jurisdiction sind verschiedene mögliche Konstellationen zu unterscheiden. a)  Derogation eines einzelstaatlichen Gerichts Haben die Parteien die Zuständigkeit eines einzelstaatlichen Gerichts vertraglich wirksam derogiert, so bleibt dessen personal jurisdiction von der Derogation unberührt.147 Jedoch wird das derogierte Gericht in der Regel die Derogation beachten und trotz der auch weiterhin bestehenden interstaatlichen Zuständigkeit die Klage abweisen.148 Die Verweisung des Verfahrens an ein prorogiertes ein­ zelstaatliches oder Bundesgericht ist hingegen nicht möglich, da eine solche nur nach 28 U. S. C. 1404 (a) zwischen Bundesgerichten möglich ist.149 b)  Derogation eines Bundesgerichts Derogieren die Parteien in einer Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit eines Bundesgerichts, wird dieses in der Regel die Gerichtsstandsvereinbarung Ochsenfeld, RIW 1995, S.  633, 634. Blair, Georgia L. Rev. 46 (2012), S.  799, 810; vgl. die ausführliche Übersicht über die Rechtsprechung der Circuits bei Wong v. Party Gaming Ltd., 589 F.3d 821, 827 (6th Cir. 2009). 145  So etwa Gita Sports Ltd. v. SG Sensortechnik GmbH Co. KG, 560 F. Supp.2d 432, 437 f. (W.D.N.C. 2008), worin das Bundesdistriktgericht auf diese Frage Bundesrecht in Anlehnung an The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1 (1972) und Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S.  22 (1988) anwandte; vgl. ausführlich Borchers, Washington L. Rev. 67 (1992), S.  55, 79; Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  440. 146  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 578 (2013); vgl. dazu Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  440. 147  Vgl. dazu bereits oben Teil  II §  1 I 3. 148  Vgl. oben Teil  II §  1 II 1. 149 Vgl. Cagle v. Mathers Family Trust, 295 P.3d 460, 464 (Colo. 2013); Schack, Einfüh­ rung, 2011, Rn.  84; zur Möglichkeit der Verweisung vgl. auch Casad/Richman/Cox, Jurisdic­ tion in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.04. 143  144 

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beachten und seine Derogation akzeptieren. Je nach gewähltem Gericht unter­ scheiden sich jedoch die Rechtsfolgen der Derogation. Haben die Parteien ein einzelstaatliches Gericht gewählt, kann ein derogiertes Bundesgericht das Verfahren nicht an das einzelstaatliche Gericht bindend ver­ weisen.150 Dem Bundesgericht bleibt nach den Grundsätzen aus The Bremen in diesem Fall nur die Abweisung der Klage wegen Unzuständigkeit.151 Derogieren die Parteien ein Bundesgericht und prorogieren sie gleichzeitig ein ausländisches Gericht, greift die gleiche Rechtsfolge wie bei der Wahl eines ein­ zelstaatlichen Gerichts. Das Bundesgericht hat die Klage nach der Bremen-Dok­ trin wegen Unzuständigkeit abzuweisen, weil auch eine Verweisung an ein aus­ ländisches Gericht nicht möglich ist.152 Bei der Derogation eines Bundesgerichts zugunsten eines anderen Bundesge­ richts bestehen ebenfalls keine Schwierigkeiten. In Stewart entschied der Su­ preme Court, dass auch hier die Bremen-Doktrin die Wirksamkeit und Beacht­ lichkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt.153 Prozessrechtlich stellt sich die Frage, ob das derogierte Bundesgericht die Klage an das prorogier­ te Bundesgericht per federal transfer verweisen oder wegen örtlicher Unzustän­ digkeit, improper venue, die Klage abweisen soll.154 Die Rechtsprechung wendet hier federal transfer nach 28 U. S. C. §  1404 (a) an.155 Damit kann ein derogiertes Bundesgericht nach eigenem Ermessen das Verfahren an das prorogierte Bun­ desgericht verweisen.156 Entscheidend bei der Ermessensausübung des derogierten Gerichts im Rah­ men eines federal transfer ist „the convenience of the chosen forum, the fairness of a transfer in light of the forum selection clause and the relative bargaining power of the parties, convenience of the witnesses, and public interest factors of systemic integrity and fairness.“157 Im Rahmen der in 28 U. S. C. §  1404 (a) vor­ gesehenen Abwägung bildet die Gerichtsstandsvereinbarung einen, wenn auch

Schack, Einführung, 2011, Rn.  84. Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 578–580 (2013); vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1; Mullenix, Hastings L.J. 66 (2015), S.  719, 726. 152  Vgl. dazu Gita Sports Ltd. v. SG Sensortechnik GmbH Co. KG, 560 F. Supp.2d 432, (W.D.N.C. 2008). 153  Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S.  22 (1988). 154  Zu federal transfer vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  83. 155  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 581 (2013); vgl. Mullenix, Hastings L. J. 66 (2015), S.  719, 727. 156 Vgl. One Beacon Insurance Co. v. JNB Storage Trailer Rental, 312 F. Supp.2d 824, 832 f. (E.D. Va. 2004). 157  Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S.  22, 29 f. (1988). 150  151 

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den maßgeblichen, Faktor.158 Daraus folgt allerdings, dass trotz Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung auch andere Faktoren zu berücksichtigen sind.159 Ein Gericht kann daher auch trotz einer Gerichtsstandsvereinbarung zu dem Ab­ wägungsergebnis kommen, dass eine Verweisung an das prorogierte Gericht auf­ grund des Überwiegens anderer Faktoren nicht vorzunehmen ist.160 Dies bedeu­ tet eine Einschränkung der in The Bremen aufgestellten grundsätzlichen Deroga­ tionswirkung einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung.161 Abgefedert wurde diese Einschränkung allerdings in Atlantic Marine. Dort spezifizierte der Su­ preme Court, dass nur in außergewöhnlichen Fällen die Gerichtsstandsvereinba­ rung im Rahmen der Abwägung nach 28 U. S. C. §  1404 (a) ausnahmsweise nicht ausschlaggebend sein soll.162 Bei genauer Betrachtung folgt aus der Anwendung von 28 U. S. C. §  1404 (a), dass eine Gerichtsstandsvereinbarung in Bezug auf Bundesgerichte die venue betrifft, die örtliche Zuständigkeit. Gerichtsstandsvereinbarungen stellen zwar auch in Bezug auf Bundesgerichte eine lesser limitation on jurisdiction dar. Je­ doch existieren Bundesgerichte eben bundesweit, sodass Verfahren zwischen diesen verwiesen werden können.163 Innerhalb der Bundesgerichtsbarkeit geht es also lediglich um das örtlich zuständige Bundesgericht. Dennoch bilden Ge­ richtsstandsvereinbarungen auch insofern eine lesser limitation on jurisdiction in Bezug auf Bundesgerichte, als eben die personal jurisdiction eines Bundesge­ richts nicht derogiert werden kann und eine Verweisung an ausländische oder einzelstaatliche Gerichte ausgeschlossen ist.

4.  Zusammenfassung Als lesser limitations on jurisdiction heben Gerichtsstandsvereinbarungen die personal jurisdiction eines Gerichts nicht auf, führen jedoch in der Regel zu Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S.  22, 29 f. (1988); vgl. auch One ­Beacon Insurance Co. v. JNB Storage Trailer Rental, 312 F. Supp.2d 824, 831 (E.D. Va. 2004). 159 Vgl. etwa Love’s Window & Door Installation, Inc. v. Acousti Engineering Co., 147 So.3d 1064, 1065 (5th Cir. 2014). 160  So etwa in Hoffman v. Minuteman Press International, Inc., 747 F. Supp.  552 (W.D.Mo. 1990), wo allerdings fraud in Bezug auf die Einigung über die Gerichtsstandsvereinbarung im Raum stand; vgl. Kubis Perszyk Assoc., Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 146 N.J. 176, 190 f. (N.J. 1996). 161 Kritisch Borchers, Washington L. Rev. 67 (1992), S.  55, 68 f.; Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 162  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 581 (2013); vgl. Mullenix, Hastings L. J. 66 (2015), S.  719, 727, kritisch 729; s.  a. Martinez v. Bloomberg LP, 740 F.3d 211, 219 (2nd Cir. 2014). 163  Zur federal jurisdiction vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  38–47. 158 

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e­ inem Verzicht auf die Zuständigkeitsausübung durch das derogierte Gericht. Die meisten einzelstaatlichen sowie die Bundesgerichte folgen dabei der Recht­ sprechung des Supreme Court in The Bremen. Eine Verweisung des Verfahrens von dem derogierten an das prorogierte Gericht ist nur zwischen Bundesgerich­ ten möglich.

III.  Gerichtsstandsvereinbarungen als venue clauses Die dritte Funktion interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen betrifft die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts, die venue.

1.  Venue im US-amerikanischen Zivilprozessrecht Mit venue wird im US-amerikanischen Zivilprozessrecht die örtliche Zuständig­ keit bezeichnet.164 Jeder Einzelstaat weist innerhalb seines Staats die Verfahren örtlich bestimmten Gerichten zu.165 Für die Bundesgerichte regelt 28 U. S. C. §  1391 die örtliche Zuständigkeit bundesweit. Personal jurisdiction bestimmt als Verfassungsrecht, wie gezeigt, den Bun­ desstaat, in dem die Gerichte gegen den Beklagten in Vereinbarkeit mit der due process clause ein Urteil erlassen dürfen. venue hingegen bezeichnet als einfa­ ches Recht das Gericht, vor dem die Klage ordnungsgemäß erhoben werden darf.166 Venue orientiert sich dabei an der „convenience of litigants and witnes­ ses.“167 Deutlich wird der Unterschied zwischen venue und personal juris­dic­tion bei der örtlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte. Diese bemisst sich nach 28 U. S. C. §  1391 (b), während die personal jurisdiction der Bundesgerichte sich nach dem Recht des jeweiligen Einzelstaats richtet, in dem das Gericht seinen Sitz hat.168 Venue und personal jurisdiction hängen folglich eng miteinander zusammen und werden oft vermischt,169 sind aber voneinander zu differenzieren.170 Dogma­ 164  Schack, Einführung, 2011, Rn.  81; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.03. 165  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  28. 166 Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801. 167  Denver & R. G. W. R. Co. v. Brotherhood of R. R. Trainmen, 387 U.S.  556, 560 (1967); vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801, Fn.  11. 168 Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801. 169 So Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.03. 170  So etwa ausdrücklich American K-9 Detection Services, Inc. v. Cicero, 100 So.3d 236, 239 (2012); vgl. auch Schack, Einführung, 2011, Rn.  81.

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

tisch präzise ist insofern etwa die Gerichtsstandsvereinbarung in Cagle v. ­Mathers Family Trust: „The Courts located in the State of Texas, state or federal, shall have exclusive jurisdiction to hear and determine all claims, disputes, controversies and actions arising from or relating to this Application Agreement and any of its terms of provisions, or to any relationship between the parties hereto, and venue shall be solely in the courts located in Dallas County, Texas. The undersigned expressly consents and submits to the jurisdiction of said courts and to venue being in Dallas County, Texas.“171

2.  Prorogation örtlicher Zuständigkeit Haben die Parteien in einer Gerichtsstandsvereinbarung ein bestimmtes Gericht in einem bestimmten Einzelstaat gewählt, so kann dies zunächst die personal jurisdiction der Gerichte in diesem Einzelstaat über Rechtsstreite zwischen den Parteien begründen. Dies ist die consent to jurisdiction-Funktion der Gerichts­ standsvereinbarung.172 Jedoch ist unabhängig von der Frage der personal jurisdiction, die sämtliche in dem vereinbarten Einzelstaat gelegenen einzelstaatli­ chen und Bundesgerichte betrifft, zu fragen, welches Gericht konkret örtlich zu­ ständig ist.173 Die Regeln zur venue können sich dabei aus Gesetz oder aus common law er­ geben. Die meisten Einzelstaaten lassen die Bestimmung der venue durch eine Gerichtsstandsvereinbarung zu.174 Nach New York Civil Practice Law and Rules (CPLR) §  501 ist etwa die Vereinbarung der venue in Form einer Gerichtsstands­ vereinbarung von den New Yorker Gerichten zu beachten und auf Antrag einer der Parteien durch Verweisung des Verfahrens an das vereinbarte Gericht durch­ zusetzen.175 Vor den Bundesgerichten besteht nach 28 U. S. C. §  1391 (a) und (b) venue nur in dem Distrikt, in dem der Beklagte wohnt oder in dem die streitge­ genständlichen Handlungen erfolgten.176 Jedoch kann auch durch eine Gerichts­ standsvereinbarung die venue eines anderen Bundesgerichts begründet wer­ den.177

Cagle v. Mathers Family Trust, 295 P.3d 460, 463 (Colo. 2013) Vgl. oben Teil  II §  1 I 2 a. 173  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  119. 174 Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 175  Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 160–162. 176  Schack, Einführung, 2011, Rn.  81. 177  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 574 (2013); vgl. dazu auch Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.3; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 171  172 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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Durch eine Gerichtsstandsvereinbarung kann folglich sowohl die personal jurisdiction als auch die venue, die örtliche Zuständigkeit, vor einzelstaatlichen wie vor Bundesgerichten begründet werden.178

3.  Derogation örtlicher Zuständigkeit Neben der Prorogation örtlicher Zuständigkeit kommt auch deren Derogation in Betracht. Die Parteien können durch die ausschließliche Wahl eines Gerichts in einem bestimmten Einzelstaat ja auch die anderen örtlich zuständigen Gerichte abwählen. Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts aufhebt oder lediglich von einem örtlich zuständig bleibenden Gericht berück­ sichtigt und durchgesetzt wird, war vor allem unter den Bundesgerichten umstrit­ ten gewesen.179 Den typischen Fall bildete der Antrag des Beklagten auf federal transfer. Hier war fraglich, ob 28 U. S. C. §  1404(a) oder 28 U. S. C. §  1406 ein­ schlägig ist.180 Während 28 U. S. C. §  1404 (a) die Verweisung von einem örtlich zuständigen Bundesgericht an ein anderes örtlich zuständiges Bundesgericht vorsieht, regelt 28 U. S. C. §  1406 die Verweisung von einem örtlich unzuständi­ gen an ein örtlich zuständiges Bundesgericht. Es stellt sich daher für die Bestim­ mung der für die Verweisung zwischen Bundesgerichten einschlägigen Norm die Frage, ob die örtliche Zuständigkeit eines Bundesgerichts durch eine Gerichts­ standsvereinbarung aufgehoben wird, oder ob bei weiterhin bestehender örtli­ cher Zuständigkeit das Bundesgericht nur auf deren Ausübung verzichtet. Der Unterschied in der Rechtsfolge zwischen den beiden Normen besteht da­ rin, dass das Gericht, an das das Verfahren verwiesen wird, bei einer Verweisung nach 28 U. S. C. §  1406 sein eigenes Recht anwenden kann, während es bei einer Verweisung nach 28 U. S. C. §  1404 (a) grundsätzlich das Recht des verweisen­ den Gerichts anwenden muss.181 Ferner besteht ein Unterschied in der Anwend­ barkeit der Bremen-Doktrin. Nach Stewart v. Ricoh stellt die Gerichtsstandsver­ einbarung im Rahmen von 28 U. S. C. §  1404 (a) nur einen Abwägungsfaktor dar,

Coface v. Optique Du Monde, Ltd., 521 F. Supp.  500, 506 (S.D.N.Y. 1980); vgl. Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 157, Fn.  99; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.07. 179 Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1, Fn.  81 mit ausführlichen Nachweisen. 180  Vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 181  Van Dusen v. Barrack, 376 U.S.  612, (1964); vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1, Fn.  82.60. 178 

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während im Rahmen von 28 U. S. C. §  1406 The Bremen uneingeschränkt An­ wendung findet.182 Die Mehrheit der Circuits favorisiert einen federal transfer nach 28 U. S. C. §  1404 (a). Dies impliziert, dass die örtliche Zuständigkeit auch durch Deroga­ tio­nen nicht aufgehoben, sondern die Gerichtsstandsvereinbarung mit Blick auf die venue vom derogierten Gericht lediglich berücksichtigt wird.183 Dieser Auf­ fassung schloss sich 2013 auch der Supreme Court in Atlantic Marine an.184 Im Rahmen der Abwägung nach 28 U. S. C. §  1404 (a) habe das derogierte Bundes­ gericht lediglich das öffentliche Interesse an der örtlichen Zuständigkeit unter Berücksichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung abzuwägen, wobei in der Re­ gel aber die Gerichtsstandsvereinbarung überwiege.185 Das verwiesene Gericht habe sodann sein eigenes Recht anzuwenden, und nicht das Recht des verweisen­ den Gerichts.186 Damit hat sich der Supreme Court, seiner Andeutung in Ricoh v. Stewart folgend,187 in Atlantic Marine dafür entschieden, auch, wie in Bezug auf die personal jurisdiction, die Abbedingung der örtlichen Zuständigkeit nicht zu­ zulassen, sondern die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit als Ausübungsbeschränkung bezüglich der weiterhin bestehenden venue zu verstehen.188

IV.  Voraussetzungen interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen Die in The Bremen sowie einigen Folgeentscheidungen des Supreme Court und anderer Gerichte aufgestellten Voraussetzungen interstaatlicher Gerichtsstands­ 182 Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1; vgl. dazu bereits Teil  II §  1 II 3 b. 183  Rivera v. Centro Medico de Turabo, Inc., 575 F.3d 10, 15 (1st Cir. 2009); TradeComet. com LLC v. Google, Inc., 647 F.3d 472, 473 (2d Cir. 2011); Jumara v. State Farm Ins. Co., 55 F.3d 873, 878 (3d Cir. 1995); Wong v. PartyGaming Ltd., 589 F.3d 821, 830 (6th Cir. 2009); vgl. zum Ganzen Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1, Fn.  82. 184  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 578–580 (2013), vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 185  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 578–580 (2013), vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 186  Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 578 (2013), vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 187  Vgl. dazu oben Teil  II §  1 II 2 c bb. 188  Vgl. zum Verhältnis von Gerichtsstandsvereinbarungen und venue auch Covey/Morris, Denv. L.J. 61 (1983/84), S.  837, 841, Fn.  22.

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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vereinbarungen, die sogenannte Bremen-Doktrin, werden auf sämtliche Wirkun­ gen einer Gerichtsstandsvereinbarung angewandt.189 Obwohl The Bremen nicht die Prorogationswirkung, sondern die Derogationswirkung einer Gerichtsstands­ vereinbarung betraf, wird auch jene nach der Bremen-Doktrin beurteilt.190 Und obwohl The Bremen die Wahl eines ausländischen Gerichts betraf, wird The Bremen, wie das Zuständigkeitsrecht grundsätzlich, auf internationale wie inter­ staatliche Gerichtsstandsvereinbarungen gleichermaßen angewandt, auch wenn teilweise unterschiedliche Wertungen zum Tragen kommen.191 In The Bremen und der einschlägigen Folgerechtsprechung wurde für Ge­ richtsstandsvereinbarungen ein vierstufiger Test entwickelt. Erstens müssen sich die Parteien über die Gerichtsstandsvereinbarung geeinigt haben. Zweitens muss durch die Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit eines bestimmten Ge­ richts oder bestimmter Gerichte begründet bzw. ausgeschlossen werden. Drittens muss die Gerichtsstandsvereinbarung den Streitgegenstand des jeweiligen rechtshängigen Verfahrens umfassen. Und schließlich ist viertens zu fragen, ob bei Vorliegen der ersten drei Anforderungen die daraus erwachsende Vermutung der Beachtlichkeit und Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung widerlegt werden kann, weil die Gerichtsstandsvereinbarung unreasonable ist.192 Auch wenn diese vierstufige Prüfung nicht von sämtlichen Gerichten einheit­ lich befolgt wird und die Prüfung mitunter stark variiert, lassen sich damit doch die wesentlichen Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung im US-ame­ rikanischen Zivilprozessrecht erfassen. Insgesamt ist aber mit Blick auf die dem common law eigene Fokussierung auf die Einzelfallgerechtigkeit eine starr-sche­ matische Prüfung interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen nicht angezeigt. Die Voraussetzungen bilden vielmehr Anhaltspunkte, anhand derer stets neu ab­ gewogen werden muss, ob im konkreten Fall die Gerichtsstandsvereinbarung fair und verhältnismäßig ist.193

189  Paradise Enter. v. Sapir, 356 N.J. Super. 96, 107 (N.J. Super. App. Div. 2002); Cadle Co. v. Reiner, Reiner & Bendett, P.C., 307 F. App’x 884, 886 (6th Cir. 2009); Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 198 f. 190  Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 198 f. 191  Schack, Einführung, 2011, Rn.  79. 192  Zur vierstufigen Analyse von Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 383 f. (2d Cir. 2007); Starkey v. G Adventures, Inc., 796 F.3d 193, 196 (2nd Cir. 2015); Caperton v. A.T. Massey Coal Co., Inc., 225 W.Va. 128, 142 f. (2009). 193  Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 163 f.

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1.  Einigung Zunächst müssen sich die Parteien über die Gerichtsstandsvereinbarung einigen. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss dazu von den Parteien ausreichend kom­ muniziert werden, und diese müssen sich über die Vereinbarung bewusst gewe­ sen sein.194 Ein spezifisches Formerfordernis, etwa die Schriftlichkeit der Ge­ richtsstandsvereinbarung, ist anders als nach Art.  25 Brüssel Ia-VO nicht erfor­ derlich, auch wenn dies im Hinblick auf die Beweisbarkeit vor Gericht sinnvoll ist.195 Für die Einigung ist es ausreichend, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung etwa in den AGB eines Vertrages abgedruckt196 oder per Link der Buchungsbe­ stätigung beigefügt wird.197 Keine Einigung liegt aber vor, wenn die Möglich­ keit der Kenntnisnahme nicht besteht, weil etwa die Gerichtsstandsklausel im Vertrag versteckt ist, und die Parteien auch nicht ausdrücklich über den Gerichts­ stand verhandelt haben.198

2.  Wahl eines bestimmten Gerichts oder bestimmter Gerichte Die zweite Anforderung an eine Gerichtsstandsvereinbarung bildet die Wahl ei­ nes bestimmten Gerichts oder bestimmter Gerichte.199 Dabei kommt es auf die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung an, die nach dem anwendbaren Ver­ tragsrecht erfolgt.200 In erster Linie ist auf den Wortlaut der jeweiligen Gerichts­ standsvereinbarung abzustellen.201 Dabei stellen sich typischerweise zwei Pro­ bleme. Zum einen kann unklar sein, ob die Gerichtsstandsvereinbarung aus­ schließlich oder nicht-ausschließlich sein soll. Zum anderen ist häufig streitig, ob die einzelstaatlichen Gerichte oder die Bundesgerichte in einem Einzelstaat ver­ einbart wurden.

194 See Effron v. Sun Line Cruises, Inc., 67 F.3d 7, 9 (2nd Cir. 1995); vgl. D.H. v. Gottdiener, 462 F.3d 95, 103 (2d Cir. 2006). 195  Webb Yackee, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 9 (2004), S.  43, 50 f. 196  Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991); vgl. Royal Caribbean Cruises, Ltd. v. Clarke, 148 So.3d 155, 157 (2014); ausführlich und kritisch Borchers, Washington L. Rev. 67 (1992), S.  55, 75 f. 197  Starkey v. G Adventures, Inc., 796 F.3d 193, 197 (2nd Cir. 2015). 198  Tandy Computer Leasing v. Terina’s Pizza, 105 Nev. 841, 843 (Nev. 1989). 199  Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 384 (2d Cir. 2007). 200  Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 386 (2d Cir. 2007); Doe 1 v. Aol LLC, 552 F.3d 1077, 1081 (9th Cir. 2009). 201  Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 386 (2d Cir. 2007).

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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a)  Ausschließliche und nicht-ausschließliche Zuständigkeit Ein Problem bildet regelmäßig die Beurteilung, ob die in einer interstaatlichen Gerichtsstandsvereinbarung bestimmte Zuständigkeit ausschließlich oder nichtausschließlich ist.202 Die Begriffe der ausschließlichen und der nicht-ausschließ­ lichen Gerichtsstandsvereinbarung werden im US-amerikanischen Zivilprozess­ recht grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Terminologie im Europäischen Zivilprozessrecht verwendet.203 Gerichtsstandsvereinbarungen können demnach exclusive oder non-exclusive sein, was alternativ auch als mandatory oder permissive bezeichnet wird.204 Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung liegt vor, wenn die Partien die ausschließliche Zuständigkeit eines einzigen Gerichts vereinbaren.205 Eine nicht-ausschließliche oder auch fakultative Gerichtsstandsvereinbarung liegt demgegenüber vor, wenn die Parteien nur die zusätzliche Zuständigkeit eines Gerichts begründen wollen, ohne dabei andere möglicherweise bestehende Ge­ richtsstände abwählen zu wollen.206 Möglich sind auch reziproke Gerichtsstands­ vereinbarungen, nach denen für jede Partei je ein anderes Gericht ausschließlich zuständig ist,207 sowie asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen.208 Bei der Auslegung unklarer Gerichtsstandsvereinbarungen betrachten die Ge­ richte wiederum sämtliche Umstände des Einzelfalles sowie die sprachliche Ein­ deutigkeit der verwendeten Klausel.209 Insgesamt tendieren die Gerichte dazu,

etwa Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 386 f. (2d Cir. 2007), wo das Gericht die Formulierung „are to be brought“ als ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung und „may be“ als nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung interpretierte; Hay/Borchers/ Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  545. 203  Vgl. o. Teil  II §  1. 204 Vgl. International Bus Software SO. v. SAIL Labs Tech, 440 F. Supp.2d 357, 363, Fn.  2 (D.N.J. 2006); vgl. zur Terminologie auch Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  545. 205  Vgl. die Darstellung in Excell, Inc. v. Sterling Boiler Mechanical, 106 F.3d 318, 321 (10th Cir. 1997); Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534. 206  Non-exclusive forum agreement; vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  534. 207  Zu den sogenannten reciprocal forum clauses vgl. Smith, Valentino Smith, Inc. v. Supe­ rior Court, 17 Cal.3d 491, 493 (Cal. 1976). 208  Gen. Elec. Capital Corp. v. John Carlo, Inc., WL 3937313 (E.D. Mich. 2010); zu asym­ metrischen Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht Arizonas Superior Nut & Candy, Co. v. TDG Brands, Inc. WL 319149 (N.D. Ill. 2017); vgl. auch Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 134 f. 209 Vgl. Caperton v. A.T. Massey Coal Co., Inc., 223 W.Va. 624, 641 (2008); s. a. Hunt Wesson Foods, Inc. v. Supreme Oil Co., 817 F.2d 75, 77 f. (9th Cir. 1987). 202  Vgl.

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nicht eindeutige Klauseln als ausschließlich zu interpretieren.210 Allerdings hat sich in der Rechtsprechung keine Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO entsprechen­ de Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit durchgesetzt.211 b)  Bundesgerichte oder einzelstaatliche Gerichte Ein Problem bei der Auslegung interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen ist die Bestimmung der gewählten Gerichtsbarkeit. Da es in jedem Bundesstaat und sogar in den meisten Counties sowohl bundesstaatliche als auch einzelstaatliche Gerichte gibt, ist oftmals überhaupt nicht oder nur nach ausführlicher Verhand­ lung und Beweisaufnahme zu ermitteln, welche Gerichtsbarkeit von den Parteien gewählt wurde.212 Insbesondere die Formulierungen „the courts of“ und „the courts in“ einem bestimmten Einzelstaat haben dabei Anlass zu diversen Verfah­ ren gegeben.213 Die Gerichte haben dabei etwa die Formulierung „the courts of“ dahingehend interpretiert, dass damit nur die einzelstaatlichen Gerichte und nicht auch die in dem gewählten Einzelstaat gelegenen Bundesgerichte gemeint sind.214 Grundsätzlich kommt es auf die Formulierung im Einzelfall an, die vom angerufenen Gericht ausgelegt werden muss.215

3.  Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses Eine Gerichtsstandsvereinbarung muss ferner hinsichtlich ihres Umfangs hinrei­ chend bestimmt sein. Hier stellt sich die Frage, welche Ansprüche von der Ge­ richtsstandsvereinbarung erfasst werden. Umstritten ist häufig die Behandlung von sogenannten related claims, die sich nicht aus dem Vertrag, sondern aus dem Gesetz bzw. dem common law ergeben.216 Zwar ist es generell anerkannt, dass deliktische Schadensersatzansprüche auch von Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst werden können.217 Doch kommt es auch hier wieder auf den Wortlaut der konkreten Gerichtsstandsvereinbarung sowie die Intention der Parteien an.218 210 So Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  535; Borchers, Washington L. Rev. 67 (1992), S.  55, 82; a. A. Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 135. 211  Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  436. 212  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  536, 545. 213  Vgl. dazu Doe 1 v. Aol LLC, 552 F.3d 1077, 1081 (9th Cir. 2009). 214 So Am. Soda, LLP v. U.S. Filter Wastewater Group, Inc., 428 F.3d 921, 926 (10th Cir. 2005); Dixon v. TSE Int’l Inc., 330 F.3d 396, 398 (5th Cir. 2003); LFC Lessors, Inc. v. Pac. Sewer Maint. Corp., 739 F.2d 4, 7 (1st Cir. 1984); vgl. zum Ganzen die ausführliche Analyse in Doe 1 v. AOL LLC, 552 F.3d 1077, 1082 (9th Cir. 2009). 215  Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 386 (2d Cir. 2007). 216  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  546. 217 Vgl. Manetti-Farrow, Inc. v. Gucci America, Inc., 858 F.2d 509, 514 (9th Cir. 1988). 218  Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 389 (2d Cir. 2007). Für eine enge Auslegung des

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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4.  Wirksamkeit im engeren Sinne – reasonableness Die vierte Voraussetzung einer Gerichtsstandsvereinbarung bildet die Wirksam­ keit im engeren Sinne, die reasonableness.219 Haben sich die Parteien auf die Gerichtsstandsvereinbarung geeinigt, ein bestimmtes Gericht oder bestimmte Gerichte gewählt, und ist ferner auch der Streitgegenstand des anhängigen Verfah­rens von der Gerichtsstandsvereinbarung umfasst, so ist die Gerichts­ standsvereinbarung „prima facie“ als wirksam und damit beachtlich (enforceable) anzusehen.220 Die Partei, die sich gegen die prozessualen Wirkungen der Ge­ richtsstandsvereinbarung wendet, muss die Annahme der Beachtlichkeit und Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung widerlegen. Dies tut sie, indem sie zeigt, dass die Gerichtsstandsvereinbarung „‚unreasonable‘ under the circum­ stances“ ist.221 Die Partei, die sich auf die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsver­ einbarung beruft, trägt folglich die Beweislast.222 An die Widerlegung der Wirk­ samkeitsvermutung werden dabei hohe Anforderungen gestellt.223 Unreasonable ist eine Gerichtsstandsvereinbarung zum einen dann, wenn die Einigung über die Gerichtsstandsvereinbarung auf fraud oder overweening bargaining power beruhte.224 Zum anderen ist eine Gerichtsstandsvereinbarung unreasonable, wenn das gewählte Gericht so „gravely difficult and inconvenient“ ist, dass „the complaining party will ‚for all practical purposes be deprived of its day in court‘“.225 Drittens liegt unreasonableness vor, wenn die Gerichtsstands­ vereinbarung gegen die public policy des Einzelstaats des befassten Gerichts ver­ stößt.226 Insgesamt ist die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung reasonable ist, eine Frage des Einzelfalls.227 Dies verdeutlicht bereits die Formulierung des Su­

Wortlauts der Gerichtsstandsvereinbarung vgl. Terra Intern., Inc. v. Miss. Chem. Corp., 119 F.3d 688, 690, 692 f. (8th Cir. 1997). 219  Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 384. (2d Cir. 2007). 220  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 10 (1972). 221  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 10 (1972). 222  Gefordert wird ein „strong showing“, vgl. The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 10, 15 (1972). 223  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 18 (1972). 224  Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585, 591 (1991); The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 12 f. (1972); zu fraud vgl. Reimann, Einführung, 2004, S.  40 f.; vgl. unten Teil  II §  1 IV 4 a. 225  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 18 (1972). 226  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 15 (1972); vgl. unten Teil  II §  1 IV 4 b bb. 227 Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1.

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preme Court in The Bremen: „unreasonable under the circumstances“.228 Die Kriterien und Wertungen aus The Bremen bilden dabei den Ausgangspunkt.229 a)  Vertragsrechtliche Unwirksamkeitsgründe Wie der Supreme Court in The Bremen deutlich gemacht hat, ist eine Gerichts­ standsvereinbarung unwirksam, die auf fraud oder overweening bargaining power beruhte.230 Anwendbar sind damit die allgemeinen vertragsrechtlichen Un­ wirksamkeitsgründe, die sogenannten standard contract defenses, an denen Ge­ richtsstandsvereinbarungen zu messen sind.231 Jedoch stellte der Supreme Court konkretere Anforderungen an die Unwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinba­ rungen aufgrund vertragsrechtlicher Wirksamkeitshindernisse. So muss etwa die Täuschung, der fraud,232 sich gerade auf die Gerichtsstandsvereinbarung bezie­ hen.233 Die reine Behauptung, dass der gesamte Vertrag durch eine Täuschung beeinflusst wurde, genügt damit nicht.234 Am umstrittensten war in der Zeit nach The Bremen der Unwirksamkeitsgrund der unequal bargaining power.235 Die Rechtsprechung fordert dafür eine unfaire Ausnutzung einer überlegenen Verhandlungsposition durch eine Partei.236 In Carnival Cruise Lines v. Shute237 entschied der Supreme Court 1991, dass un­ equal bargaining power oder der Umstand, dass es sich um einen Verbraucher­ vertrag handelt, nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Gerichtsstandsverein­ barung führen müsse.238 Das Ehepaar Shute aus Washington State hatte sich auf einer Kreuzfahrt an Bord verletzt und gegen den Veranstalter der Kreuzfahrt, Carnival Cruise Lines, in Washington auf Schadensersatz geklagt. Carnival be­ The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 10 (1972). Vgl. zum Ganzen Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  538. 230  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 14 (1972); Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (199); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  538 f. 231  Phone Directories Co., Inc. v. Henderson, 2000 Ut. 64, 261 f. (Utah 2000); Cagle v. Mathers Family Trust, 295 P.3d 460, 464 f. (Colo. 2013); P & S Business Machines, Inc. v. Canon USA, Inc., 331 F.3d 804, 807 (11th Cir. 2003); vgl. zum Ganzen auch Hay/Borchers/ Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  539; Reimann, Einführung, 2004, S.  40 f. 232  S.  a. Reimann, Einführung, 2004, S.  40 f. 233  Vgl. dazu Scherk v. Alberto-Culver Co. 417 U.S.  506, 519, Fn.  14 (1974); Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 165. 234  Vgl. ausführlich zu fraud Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  539; Reimann, Einführung, 2004, S.  40 f. 235  Zu unequal bargaining power und den Fallgruppen overweening bargaining power oder overreaching vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1. 236  Outek Caribbean Distrib., Inc. v. Echo, Inc., 206 F.Supp.2d 263, 267 (D.P.R. 2002), vgl. Rivera v. Centro, 575 F.3d 10, 21 (1st Cir. 2009). 237  Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991). 238  Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585, 593 (1991). 228  229 

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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rief sich auf die Derogation der Gerichte in Washington aufgrund einer auf der Rückseite des Kreuzfahrttickets abgedruckten ausschließlichen Gerichtsstands­ vereinbarung zu den Gerichten Floridas.239 Der Supreme Court, dem das Verfahren schließlich vorgelegt wurde, machte in seinem Urteil keine Ausnahme für Verbraucher von der Bremen-Doktrin, ver­ langte keine tatsächliche Verhandlung über die Klausel und verwies zur Begrün­ dung der Beachtlichkeit der Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinba­ rung bei Verbraucherverträgen auf das Interesse des Unternehmens, nicht mit jedem Verbraucher in dessen Heimatstaat prozessieren zu müssen.240 Carnival Cruise stieß im Schrifttum zwar auf heftige Kritik.241 Die Entschei­ dung zeigt aber, wie Derogationen in wenigen Jahrzehnten von allgemeiner Un­ zulässigkeit zu geradezu schrankenloser Wirksamkeit befördert wurden.242 b)  Besondere Unwirksamkeitsgründe Neben den vertragsrechtlichen Unwirksamkeitsgründen können auch weitere, besondere Gründe zur Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung führen. Diese besonderen Unwirksamkeitsgründe wurden vom Supreme Court bereits in The Bremen angedeutet und in der Folge durch die Rechtsprechung der einzel­ staatlichen und der Bundesgerichte fortentwickelt. Insgesamt zielen die besonderen Unwirksamkeitsgründe auf Einzelfallgerech­ tigkeit. Im Zentrum stehen dabei Fairness und Verhältnismäßigkeit der Gerichts­ standsvereinbarung.243 Letztlich werden zwei Fallgruppen unterschieden. Ge­ richtsstandsvereinbarungen sind demnach unwirksam, wenn sie „inconvenient“ für die Parteien sind oder gegen die public policy des Einzelstaats, in dem das befasste Gericht seinen Sitz hat, verstoßen.244 Diese beiden Fallgruppen sind jedoch nicht zwingend und werden zum Teil auch mit den vertragsrechtlichen Unwirksamkeitsgründen vermengt.245 Und selbst bei einem Verstoß gegen die public policy eines Bundesstaats kann das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die übrigen Voraussetzungen einer Ge­ richtsstandsvereinbarung vorliegen und den Verstoß gegen die public policy des

Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991). Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585, 593 (1991). 241  Borchers, Washington L. Rev. 67 (1992), S.  55, 59; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  541; Symeonides, Choice of Law, 2016, S.  438 f. 242  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  541; zur Rezeption durch einzel­ staatliche und Bundesgerichte vgl. Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 133. 243  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  538. 244  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 13 (1972). 245  Rucker v. Oasis Legal Finance, L.L.C., 632 F.3d 1231, 1236 (11th Cir. 2011). 239  240 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

Gerichtsstaats aufwiegen.246 Es bedarf daher jeweils einer genauen Prüfung im Einzelfall. Insgesamt gilt allerdings die Vermutung, dass von den Parteien frei und wirksam vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarungen auch reasonable und da­ her zu beachten sind.247 aa)  Das convenience-Erfordernis Grundsätzlich sind die US-amerikanischen Gerichte dazu geneigt, eine Gerichts­ standsvereinbarung auch dann anzuerkennen und durchzusetzen, wenn eine Par­ tei sich darauf beruft, dass das vereinbarte Gericht für sie ungünstig, inconvenient sei. Ausnahmsweise kann eine Partei jedoch darlegen, dass der vereinbarte Gerichtsstand so „seriously inconvenient“ für sie ist, dass ihr faktisch das recht­ liche Gehör entzogen wird.248 Die Gerichtsstandsvereinbarung entfaltet dann keine Wirkung und wird von den Gerichten nicht beachtet.249 Dabei fließt auch das Verhalten der anderen Partei, etwa deren böser Glaube und die Vorhersehbar­ keit der Schwierigkeiten bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung in die Beurteilung der convenience mit ein.250 Allein der Umstand, dass das prorogierte Gericht höhere Kosten für die Parteien oder sonstige Schwierigkeiten mit sich bringt, ist hingegen nicht ausreichend, solange dadurch den Parteien nicht die Klageerhebung nahezu unmöglich gemacht wird.251 Bundesgerichte haben in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, dass auch weit entfernte und für den Beklagten mit hohen Kosten verbundene Gerich­ te ausreichend zugänglich für die Parteien sind.252 In Carnival Cruise entschied der Supreme Court zudem, dass auch ein Gericht, das für eine Partei Unannehm­ lichkeiten bedeutet, nicht notwendig inconvenient im Sinne der Bremen-Doktrin sein muss.253 Vielmehr müsse das Gericht so inconvenient sein, dass es letztlich der Partei die Chance auf ein Verfahren nehme.254 Dies ist bei Gerichten in den 246 Vgl. Gita Sports Ltd. v. SG Sensortechnik GmbH Co. KG, 560 F. Supp.2d 432, 440, 441 (W.D.N.C. 2008). 247  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 13 (1972). 248  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 16, 18 (1972). 249  Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 179. 250  The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 17 f. (1972); 251  Effron v. Sun Line Cruises, Inc., 67 F.3d 7, 10 f. (2d Cir.1995), vgl. Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378, 393 (2d Cir. 2007); Illinois Union Ins. Co. v. Co-Free, Inc., 128 So.3d 820, 824 f. (1st Cir. 2013). 252  Forsythe v. Saudi Arabian Airlines, Corp., 885 F.2d 285 (5th Cir. 1989); Commerce Consultants Int’l, Inc. v. Vetrerie Riunite, S.p.A., 867 F.2d 697 (D.C.Cir.1989); vgl. Hay/Bor­ chers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  539. 253  Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991). 254  Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585, 594 (1991); vgl. auch schon The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 18 (1972).

§  1  Gerichtsstandsvereinbarungen im US-amerikanischen Zivilprozessrecht

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USA aber in der Regeln nicht der Fall. Das convenience-Erfordernis spielt daher bei interstaatlichen Gerichtsstandsvereinbarungen in der Regel keine Rolle, wohl aber bei internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen. bb)  Public policy In The Bremen entschied der Supreme Court, dass eine Gerichtsstandsvereinba­ rung dann unwirksam ist, wenn sie gegen die public policy des befassten Ge­ richts verstößt: „A contractual choice-of-forum clause should be held unenforce­ able if enforcement would contravene a strong public policy of the forum in which suit is brought, whether declared by statute or by judicial decision.“255 Die public policy kann sich folglich aus der Rechtsprechung oder dem Gesetz er­ geben.256 Insbesondere im Franchise-Recht haben eine Reihe von Staaten Gesetze erlas­ sen, die einheimische Franchisenehmer davor bewahren, in anderen Bundesstaa­ ten verklagt zu werden. Diese Gesetze wurden von den Gerichten als public policy im Sinne der Bremen-Rechtsprechung ausgelegt und diesen wiedersprechen­ de Gerichtsstandsvereinbarungen für unwirksam erklärt.257 Ebenso werden etwa nach der Rechtsprechung Kaliforniens Verbraucher vor Gerichtsstandsvereinba­ rungen zu Gerichten geschützt, nach deren Recht es die Möglichkeit von Sam­ melklagen nicht gibt.258 Ein weiteres Beispiel ist 46 U. S. C. §  1303 (8),259 wonach die Haftung des Carriers bei Schiffstransportverträgen nicht begrenzt werden darf. Hierunter subsumiert die Rechtsprechung auch Gerichtsstandsvereinbarun­ gen, die über das vor dem gewählten Gericht anwendbare Recht zu einer Haf­ tungsbeschränkung führen.260 Aufgrund der Vielzahl an Gesetzen, die die Unzulässigkeit von Gerichts­ standsvereinbarungen vorsehen, stellt der Verstoß gegen die public policy des

The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 15 (1972). The Bremen v. Zapata Off-Shore Co, 407 U.S.  1, 15 (1972); für einen umfassenden Überblick über die aktuelle Rechtsprechung vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801.1., Fn.  38, 39; Buxbaum, Am. J. of Comp. L. 66 (2018), S.  127, 131 f. 257  Vgl. etwa Kubis Perszyk Assoc., Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 146 N.J. 176, 192 f. (N.J. 1996); zur Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund von §  20040.5 Califor­ nia Business and Professions Code vgl. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495, 497 f. (9th Cir. 2000); vgl. auch Gruson, Univ. Ill. L. Rev. 1982, S.  133, 178 f. 258 So Doe 1 v. AOL LLC, 552 F.3d 1077, 1084 (9th Cir. 2009). 259  Carriage of Goods by Sea Act (COGSA). 260  Cutler, Texas Int. L. J. 20 (1985) S.  97, 108 f.; Covey/Morris, Denv. L. J. 61 (1983/84), S.  837, 844 f. 255  256 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

jeweils betroffenen Einzelstaats die bedeutendste Begrenzung interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen in den USA dar.261

V.  Zusammenfassung Gerichtsstandsvereinbarungen besitzen im US-amerikanischen Zivilprozess­ recht drei Funktionen. Sie können erstens die personal jurisdiction der Gerichte in einem Einzelstaat in Form von consent begründen. Durch eine Gerichtsstands­ vereinbarung kann zweitens auf Ebene der lesser limitations on jurisdiction die Ausübung einer bestehenden personal jurisdiction begrenzt werden. Drittens kann durch eine Gerichtsstandsvereinbarung die venue, die örtliche Zuständig­ keit, begründet oder deren Ausübung begrenzt werden. Hervorzuheben ist, dass Prorogation und Derogation auf unterschiedlichen Ebenen Wirkung entfalten. Die aus der due process clause folgende personal jurisdiction kann durch eine Gerichtsstandsvereinbarung begründet, nicht aber aufgehoben werden. Lediglich der Prorogation kommt daher eine verfassungs­ rechtliche Dimension zu. Die Derogation entfaltet nach The Bremen als Zustän­ digkeitsausübungsbegrenzung ihre Wirkung auf der Ebene des einfachen Rechts. Dies ist für die Stellung prorogationswidriger Urteile im US-amerikanischen Recht der interstaatlichen Urteilsanerkennung von Bedeutung, welche im fol­ genden Kapitel analysiert werden soll.

261 

Webb Yackee, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 9 (2004), S.  43, 48 f.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht ist, wie auch unter der Brüssel Ia-VO, zwischen der Anerkennung ausländischer Urteile und der Anerkennung von Ur­ teilen aus anderen Einzelstaaten zu differenzieren.262 Die interstaatliche Urteils­ anerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht beruht auf dem Grund­ satz des full faith and credit, der sich grundsätzlich aus der full faith and credit clause, Art. IV §  1 Bundesverfassung, ergibt.263 Dieser lautet: „Full faith and credit shall be given in each state to the public acts, records, and judicial pro­ ceedings of every other state. And the Congress may by general laws prescribe the manner in which such acts, records, and proceedings shall be proved, and the effect thereof.“

Demgegenüber beruht die Anerkennung ausländischer Urteile nicht auf geschrie­ benem Verfassungsrecht, sondern der Rechtsprechung des Supreme Court und einzelstaatlichem Recht.264 Mit von Mehren kann daher zwischen local judgments, foreign judgments und sister-state judgments unterschieden werden.265 Sister-state judgments weisen sowohl Züge von local judgments, also von aus Sicht des Anerkennungsgerichts Urteilen desselben Einzelstaats, als auch von foreign judgments, also ausländischen Urteilen, auf.266

I.  Grundsatz des full faith and credit zwischen den Einzelstaaten Nach der full faith and credit clause in Art. IV §  1 Bundesverfassung ist Rechtsak­ ten eines Einzelstaats in den anderen Einzelstaaten full faith and credit zu gewäh­ 262  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1045; im Europäischen Zivilprozessrecht wird freilich zwischen drittstaatlichen und mitgliedstaatlichen Urteilen differenziert, vgl. oben Teil  I §  5 I. 263  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1051; rechtshistorisch zum Begriff „full faith and credit“ Whitten, Creighton L. Rev. 14 (1980/81), S.  499, 508–523. 264  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1442; vgl. auch Schack, Einfüh­ rung, 2011, Rn.  192. 265  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1045. 266  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1045.

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

ren.267 Den Inhalt der full faith and credit clause konkretisierte der Supreme Court bereits 1818: „the judgment of a state court should have the same credit, validity, and effect, in every other court in the United States, which it had in the state where it was pronounced.“268 Die full faith and credit clause betrifft damit unmittelbar das Verhältnis zwischen den Einzelstaaten der USA. Sie gebietet die Anerkennung von Entscheidungen aus anderen Einzelstaaten und verhindert so interstaatliche Diskriminierung. Die full faith and credit clause wird mit 28 U. S. C. §  1738 durch Bundesgesetz auch auf Bundesgerichte ausgedehnt und inhaltlich spezifiziert.269 28 U. S. C. §  1738 wurde ursprünglich 1790 normiert und lautet nach geringfügigen Ände­ rungen 1804 sowie 1948: „The Acts of the legislature of any State, Territory, or Possession of the United States, or copies thereof, shall be authenticated by affixing the seal of such State, Territory or Possession thereto. The records and judicial proceedings of any court of any such State, Territory or Possession, or copies thereof, shall be proved or admitted in other courts within the United States and its Territories and Possessions by the attestation of the clerk and seal of the court annexed, if a seal exists, together with a certificate of a judge of the court that the said attestation is in proper form. Such Acts, records and judicial proceedings or copies thereof, so authenticated, shall have the same full faith and credit in every court within the United States and its Territories and Possessions as they have by law or usage in the courts of such State, Territory or Possession from which they are taken.“

1.  Art. IV §  1 Bundesverfassung und 28 U. S. C. §  1738 Die full faith and credit clause beruht normativ sowohl auf Art. IV §  1 Bundes­ verfassung als auch 28 U. S. C. §  1738. Grundsätzlich sind die beiden Vorschrif­ ten parallel zueinander konzipiert. Jedoch bestehen zwischen den beiden Vor­ schriften auch Unterschiede. Zum einen regelt 28 U. S. C. §  1738 explizit, dass einem Urteil „the same full faith and credit“ in anderen Einzelstaaten zustehe, während Art. IV §  1 Bundesverfassung nur „full faith and credit“ vorsieht. Zum anderen legt 28 U. S. C. §  1738 ausdrücklich fest, dass das Prinzip des full faith and credit sich auf jedes Gericht in den USA bezieht, während Art. IV §  1 Bun­ 267  Brilmayer, Iowa L. Rev. 70 (1984), S.  94, 96; von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1045; Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, 2013, S.  916 f; Born/Rutledge, Interna­ tional Civil Litigation in United States Courts, 2011, S.  1078; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  682. 268  Hampton v. McConnel, 16 U.S.  234 (1818); Underwriters National Assurance Co. v. N.C. Guaranty Assn., 455 U.S.  691, 703 f.; vgl. dazu auch Silberman/Stein/Wolff, Civil Proce­ dure, 2013, S.  938. 269 Vgl. Strong, in: Hess (Hg.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S.  57, 72; Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, 2013, S.  916 f.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 255

desverfassung streng genommen nur die einzelstaatlichen Gerichte betrifft.270 28 U. S. C. §  1738 kann daher als Ausformung und Konkretisierung der full faith and credit clause in Art. IV §  1 Bundesverfassung angesehen werden.271 Die Behandlung der Entscheidungen von Bundesgerichten durch einzelstaatli­ che Gerichte regelt weder 28 U. S. C. §  1738, noch Art. IV §  1 Bundesverfas­ sung.272 Jedoch besteht Einigkeit darüber, dass auch einzelstaatliche Gerichte bundesgerichtlichen Entscheidungen full faith and credit zu gewähren haben.273 28 U. S. C. §  1738 normiert schließlich die Pflicht der Bundesgerichte, den Urtei­ len einzelstaatlicher Gerichte full faith and credit zukommen zu lassen.274 Obwohl die Urteilsanerkennung, wie gezeigt, auf einfachem Bundesrecht und Verfassungsrecht beruht, hat der Gesetzgeber trotz weitergehender Kompetenzen eine detailliertere gesetzliche Regelung bislang nicht vorgenommen. Daher be­ ruht das Recht der interstaatlichen Urteilsanerkennung heute im Wesentlichen auf der Rechtsprechung insbesondere des Supreme Courts.275 Nach dieser unter­ liegt die konkrete Ausformung der full faith and credit clause als Verfassungs­ recht dem Bundesrecht, weshalb sämtliche Gerichte an die Auslegung der full faith and credit clause durch den Supreme Court gebunden sind.276 Art. IV §  1 Bundesverfassung und 28 U. S. C. §  1738 beziehen sich vor allem auf judicial proceedings. Der Begriff der judicial proceedings ist dabei weder definiert, noch ist er eindeutig definierbar.277 Offensichtlich unter judicial proceedings fallen Urteile in Zivilverfahren. Dabei kommt es auf den Typ des Ur­ teils nicht an. Versäumnisurteile, Urteile in streitigen Verfahren oder judgments based on settlement agreements, also Vergleiche zwischen privaten Parteien, werden daher gleichermaßen von der full faith and credit clause erfasst.278

Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, 2013, S.  917. Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  477; Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  32. 272  Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  682 f. 273  Stoll v. Gottlieb, 305 U.S.  165 (1938); Loveridge v. Fred Meyer, Inc., 887 P.2d 898, 903 (1995); vgl. zum Ganzen auch Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  682 f. 274  Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  477; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  682. 275  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1051. 276  Thomas v. Washington Gas Light Co., 448 U.S.  261, 271 f. mit Fn 15 (1980); aus der neueren Rechtsprechung vgl. etwa State Ex Rel. Sizemore v. Surety Bank, 200 F.3d 373, 378 (5th Cir. 2000). 277  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  55. 278  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  55; vgl. auch Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  48 f. 270  271 

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2.  Sinn und Zweck der full faith and credit clause Wie gezeigt wird durch Art. IV §  1 Bundesverfassung sowie durch 28 U. S. C. §  1738 die Verpflichtung zur Gewährung von full faith and credit im Verhältnis der einzelstaatlichen Gerichte und der Bundesgerichte normiert. Die full faith and credit clause ist dabei im Zusammenhang mit der commerce clause des Art.  I §  8 Bundesverfassung zu verstehen.279 Nach der commerce clause bilden die USA einen gemeinsamen Markt, in dem die Einzelstaaten nicht mehr als separa­ te Wirtschaftseinheiten auftreten.280 Diesen gemeinsamen Markt unterstützt die full faith and credit clause, indem sie die USA-weite Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen begründet.281 Diese Kooperation in der Form der gegenseitigen Urteilsanerkennung wird als Kennzeichen des amerikanischen Fö­ deralismus verstanden.282 Für den Supreme Court stellt die full faith and credit clause daher „a national unifying force“ dar.283 In einer der zentralen Entschei­ dungen des Supreme Court zur full faith and credit clause führte Chief Justice Vinson aus: „The Full faith and credit clause is one of the provisions incorporated into the Constitution by its framers for the purpose of transforming an aggrega­ tion of independent, sovereign States into a nation.“284. Die Bedeutung der full faith and credit clause, eben „e pluribus unum“ zu schaffen,285 hob der Supreme Court in einer weiteren zentralen Entscheidung hervor: „The very purpose of the full faith and credit clause was to alter the status of the several states as independent foreign sovereignties, each free to ignore obligations created under the laws or by the judicial proceedings of the others, and to make them integral parts of a single nation throughout which a remedy upon a just obligation might be demanded as of right, irrespective of the state of its origin.“286 279  World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S.  286, 293 (1980); vgl. auch Zekoll/ Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, S.  617 f. 280  World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S.  286, 293 (1980); vgl. auch Zekoll/ Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, S.  617 f. 281  Zekoll/Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, S.  617 f. 282  Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, 2013, S.  916; vgl. auch Currie/Kay/Kramer/ Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  477. 283  Magnolia Petroleum Co. v. Hunt, 320 U.S.  430, 439 (1943); vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  683. 284  Sherrer v. Sherrer, 334 U.S.  343, 355 (1948); vgl. Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Con­ flict of Laws, 2010, S.  495. 285 So Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S. xix. E pluribus unum ist der Wahlspruch der USA, der auf dem Großen Siegel der Vereinigten Staaten verwendet wird. 286  Milwaukee County v. M.E. White Co., 296 U.S.  268, 276 f. (1945), bestätigt in Baker v. General Motors Corp, 522 U.S.  222, 232 (1998); vgl zum Ganzen Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S. xix.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 257

Die full faith and credit clause ersetzte das völkerrechtliche Prinzip der comi­ tas im Verhältnis der Einzelstaaten durch Verfassungsrecht.287 Sie veränderte so den Status der Einzelstaaten als unabhängige Souveräne und fügte sie zu einem föderal verfassten Staat zusammen.288 Dennoch gibt die full faith and credit ­clause den Einzelstaaten die Möglichkeit, ihre Eigenständigkeit weitestgehend zu bewahren, indem sie nur die Anerkennung von Urteilen und nicht deren un­ mittelbare Geltung vorsieht.289 Auch mit der full faith and credit clause entfaltet ein Urteil keine Wirkungen in einem anderen Einzelstaat als dem Erststaat, bis der Zweitstaat es in ein eigenes Urteil umwandelt.290 Dies stellt einen Unter­ schied zur Anerkennung ipso iure und der unionsweiten Titelgeltung unter der Brüssel Ia-VO dar.291 Nach Auffassung des Supreme Court soll die full faith and credit clause dazu dienen, die freie und ungehinderte Zirkulation von Urteilen zu gewährleisten.292 Die interstaatliche Anerkennung und Vollstreckung sorgt dafür, dass in den Ein­ zelstaaten keine widersprechenden Entscheidungen ergehen, und somit Rechtssi­ cherheit herrscht.293 Durch Rechtssicherheit wird das Vertrauen in die Gerichte erhöht, da Gerichtsentscheidungen nicht zur Disposition der Gerichte in anderen Einzelstaaten stehen.294 Der Supreme Court führte dazu prägnant aus: „Public policy dictates that there be an end of litigation; that those who have contested on issue shall be bound by the result of the contest, and that matters once tried shall be considered for­ ever settled as between the parties.“295

287  Williams v. North Carolina, 325 U.S.  226, 228 (1945); zur comitas im IPR vgl. die his­ torische Einordnung in MüKo-BGB/Von Hein, 2018, Einl. IPR Rn.  13. 288  Estin v. Estin, 334 U.S.  541, 546 (1948); Baker v. General Motors Corp, 522 U.S.  222, 232 (1998). 289  Vgl. zur Wahrung der Eigenständigkeit der Staaten auch Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  29. 290  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1045; zum Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung vgl. unten Teil  II §  2 II 2. 291  Vgl. dazu oben Teil  I §  5 I 4. 292 So Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  717 unter Verweis auf Fauntleroy v. Lum, 210 U.S.  230 (1908) und Yarborough v. Yarborough, 290 U.S.  202 (1933). 293  Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, 2013, S.  916; vgl. auch Hay/Borchers/Symeo­ nides, Conflict of Laws, 2010, S.  1466; Brilmayer, Iowa L. Rev. 70 (1984), S.  94, 98. 294  Brilmayer, Iowa L. Rev. 70 (1984), S.  94, 98. 295  Baldwin v. Iowa State Traveling Men’s Ass’n, 283 U.S.  522, 525 (1931); vgl. Brilmayer, Iowa L. Rev. 70 (1984), S.  94, 98.

258

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

II.  Urteilsanerkennung als Rechtskrafterstreckung Die Interpretation der full faith and credit clause durch den Supreme Court stimmt mit der Formulierung des Gesetzgebers in 28 U. S. C. §  1738 überein.296 Im Kern werden die Wirkungen eines Urteils aus dem Urteilsstaat auf den Aner­ kennungsstaat übertragen.297 Damit rückt die Frage nach den Wirkungen eines Urteils, nach dem effect, ins Zentrum der Betrachtungen. Der „same effect“ der full faith and credit clause betrifft in erster Linie den preclusive effect, also die Rechtskraftwirkung eines Urteils.298 Daher soll zunächst ein Überblick über die Rechtskraft, die preclusion, im US-amerikanischen Zivilprozessrecht gegeben werden.

1.  Rechtskraft und Full faith and credit Durch die preclusion, die Rechtskraft eines Urteils, soll vermieden werden, dass über den gleichen Streitgegenstand oder die gleiche Rechtsfrage innerhalb eines Einzelstaats erneut entschieden wird.299 Die full faith and credit clause erweitert diese Wirkung auf Gerichte in anderen Einzelstaaten, indem sie die Möglichkeit der Urteilsanerkennung vorsieht.300 a)  Rechtskraft im US-amerikanischen Zivilprozessrecht Unter preclusion oder preclusive effect ist die Rechtskraft eines Urteils zu verste­ hen.301 Der preclusive effect bestimmt, welche Teile einer Entscheidung als ab­ schließend entschieden gelten und somit andere Gerichte desselben Einzelstaats binden. Das US-amerikanische Recht folgt dabei dem Grundsatz, dass sowohl einzelne Rechtsfragen als auch ganze Rechtsstreite, die einmal von einem Ge­ richt entschieden wurden, nicht noch einmal entschieden werden können. Es 296  Dies ist deshalb von Bedeutung, da Art. IV §  1 Bundesverfassung und 28 U. S. C. §  1738 unterschiedliche Anwendungsbereiche haben, vgl. ausführlich Teil  II §  2 I 1. 297  Baker v. General Motors Corp, 522 U.S.  222, 234 (1998); Magnolia Petroleum Co. v. Hunt, 320 U.S.  430, 438 (1943); vgl. dazu auch Zekoll/Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, S.  618. 298 Vgl. ausführlich zu preclusion bzw. preclusive effect: Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  27 f. 299  Baker v. General Motors Corp, 522 U.S.  222, 233 (1998); Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1439; Mills v. Duryee 11 U.S. (7 Cranch) 481 (1813); vgl. Casad/ Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 2, 2014, §  6.01 [2]; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1439. 300  Dazu ausführlich oben Teil  II §  2 I 1. 301  Schack, Einführung, 2011, Rn.  180, 184.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 259

wird davon ausgegangen, dass die erste Entscheidung in der Sache richtiger ist als eine hypothetische zweite Entscheidung.302 Die preclusion kann wiederum in issue preclusion und claim preclusion, auch collateral estoppel und res judicata genannt, differenziert werden.303 Die Be­ griffspaare werden dabei synonym verwendet. Der Begriff der res judicata wird allerdings auch pauschal für beide Bedeutungen und damit anstatt des Begriffs der preclusion verwendet.304 aa)  Claim preclusion Durch claim preclusion oder res judicata wird eine zweite Klage über denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien ausgeschlossen.305 Die Rechts­ kraftwirkung der claim preclusion bzw. res judicata bemisst sich nach der Theo­ rie von bar und merger.306 Der Beklagte wird durch ein abschließendes Urteil von einer erneuten Klage über denselben Streitgegenstand abgehalten (bar), während aus Sicht des Klägers sein Anspruch in dem Urteil aufgeht (merger) und neben dem erstrittenen Titel nicht weiter bestehen bleibt.307 Wird eine Klage we­ gen Unzuständigkeit abgewiesen, sind bar und merger nicht einschlägig.308 bb)  Issue preclusion Issue preclusion bzw. collateral estoppel bezeichnet üblicherweise die Rechts­ kraftwirkung bezüglich einzelner Rechtsfragen, die im Rahmen eines Verfahrens durch ein Gericht entschieden werden,309 mithin die Rechtskraft bezüglich prä­ judizieller Rechtsfragen. Durch issue preclusion soll verhindert werden, dass

Vgl. dazu Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  474. Strong, in: Hess (Hg.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S.  57, 76. 304  Vgl. die Verwendung bei Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1, 42; aus der Rechtsprechung s. a. Kendall v. Overseas Development Corp., 700 F.2d 536, 538, Fn.  2 (9th Cir. 1983). 305  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  60; Strong, in: Hess (Hg.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht, 2014, S.  57, 76. 306  Schack, Einführung, 2011, Rn.  180. 307  Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  474; Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  778. 308  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  779. 309  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  60; Currie/Kay/Kramer/ Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  473; Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Proce­ dure, 18, 2015, §  4417. 302  303 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

dieselbe Rechtsfrage in verschiedenen Verfahren unterschiedlich entschieden wird.310 Grundsätzlich müssen mindestens drei Voraussetzungen für die issue preclu­ sion einer Rechtsfrage erfüllt sein, wobei in der Rechtsprechung diese drei Vor­ aussetzungen unterschiedlich gruppiert oder unterteilt werden.311 Erstens muss dieselbe Frage zwischen den Parteien streitig verhandelt worden sein.312 Zwei­ tens muss das Gericht die Frage entschieden haben, wobei die beiläufige Ent­ scheidung über eine Rechtsfrage ohne nähere Befassung nicht ausreicht.313 Drit­ tens muss die Frage notwendigerweise entschieden worden sein, der Ausgang des Verfahrens also von der Entscheidung der Frage abhängen.314 Zwar braucht für die Einschlägigkeit von issue preclusion der Streitgegenstand der beiden Ver­ fahren nicht derselbe zu sein, sodass issue preclusion einen weiten Anwendungs­ bereich hat. Doch betrifft issue preclusion nur die tatsächlich entschiedenen Rechtsfragen.315 Ein Problem stellt sich bei der Abgrenzung von offensiver und defensiver issue preclusion, je nachdem ob sich Kläger oder Beklagter auf die Rechtskraft­ wirkung berufen. Insbesondere offensive issue preclusion kann Anlass zu takti­ schen Verfahren geben, um dort aufgeworfene Rechtsfragen später in einem an­ deren Verfahren gegen den Beklagten zu verwenden.316 Der Gefahr des Rechtsmissbrauchs begegnet die Rechtsprechung hier teilweise mit einer fairness-Überprüfung, bei der dem Gericht ein weiter Ermessensspielraum zu­ kommt.317 Anschaulich werden die unterschiedlichen Wirkungen von issue preclusion und claim preclusion am Beispiel des Versäumnisurteils. Während ein Versäum­ nisurteil eine Klage über denselben Streitgegenstand aufgrund von claim preclu310  So ausdrücklich Southern Pacific Railroad v. United States, 168 U.S.  1, 48 f. (1897); vgl. Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 18, 2015, §  4416. 311 Vgl. nur Cousatte v. Lucas, 35 Kan. App.2d 858, 867 (Kan. Ct. App.  2006) mit Sea Quest, v. Trident, 958 So.2d 1115, 1120 f. (Fla. Dist. Ct. App.  2007). 312  Schack, Einführung, 2011, Rn.  184. 313  Schack, Einführung, 2011, Rn.  184; vgl. Chicago Life Insurance Co. v. Cherry, 244 U.S.  25 (1917); Hosiery Mills v. Burlington Industries, 285 N.C. 344, 352 f. (N.C. 1974). 314  So auch Restatement (Second), Judgments, 1982, §  27; vgl. Wasserman, Due Process, 2004, S.  166; Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  474. 315  Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  474. 316 Vgl. Sea Quest, v. Trident, 958 So.2d 1115, 1120 f. (Fla. Dist. Ct. App.  2007); Rimkus Consulting Group, Inc. v. Cammarata, 688 F.Supp.2d 663 f. (2010) mit Verweis auf Restate­ ment (Second), Judgments, 1982, §  28. 317 Vgl. Sea Quest, v. Trident, 958 So.2d 1115, 1120 f. (Fla. Dist. Ct. App.  2007); Rimkus Consulting Group, Inc. v. Cammarata, 688 F.Supp.2d 663 f. (2010) mit Verweis auf Restate­ ment (Second) of Judgments, 1982, §  28.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 261

sion verhindert, zeitigt es keine Wirkung im Sinne der issue preclusion, da in der Regel zu einzelnen Rechtsfragen von den Parteien nicht verhandelt wurde.318 b)  Anwendbares Recht Welche Art der Rechtskraft einem Urteil zukommt, hängt von dem auf die Rechtskraft anwendbaren Recht ab.319 Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist relevant, weil die Rechtslage in den Einzelstaaten etwa hinsichtlich der issue preclusion in Bezug auf Dritte oder hinsichtlich des Streitgegenstandsbegriffs teilweise divergiert.320 Nach überwiegender Auffassung bemisst sich die Rechtskraftwirkung des Ur­ teils eines einzelstaatlichen Gerichts im Rahmen der full faith and credit clause nach dem Recht des Urteilsstaats. Dies wird sowohl aus dem Wortlaut der full faith and credit clause nach Art. IV §  1 Bundesverfassung als auch aus dem Wortlaut von 28 U. S. C. §  1348 abgeleitet.321 Grundsätzlich wird bei Urteilen einzelstaatlicher Gerichte damit der Theorie der Wirkungserstreckung gefolgt.322 Eine besondere Frage stellte sich bei Bundesgerichten. Hier war fraglich, nach welchem Recht sich die Rechtskraft eines bundesgerichtlichen Urteils richten sollte, dessen Zuständigkeit auf diversity jurisdiction, also dem Wohnsitz der Parteien in verschiedenen Einzelstaaten, beruhte.323 In Semtek International v. Lookheed Martin324 entschied der Supreme Court, dass sich die Rechtskraft eines bundesgerichtlichen, auf diversity jurisdiction beruhenden Urteils grundsätzlich nach Bundesrecht bemisst. Jedoch sollte bei der Bestimmung der Rechtskraft das Recht des Bundesstaats zumindest berücksichtigt werden („incorporate“), in

zu dem Beispiel der Versäumnisurteile Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  474; Wright/Miller/Cooper, Federal Practice and Procedure, 18A, 2015, §  4427. 319 Vgl. Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  189 f. 320  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  63; Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  68 f. 321  Vgl. zur Frage nach dem anwendbaren Recht die Leitentscheidungen des Supreme Court in Hampton v. McConnel, 16 U.S.  234 (1818), Fauntleroy v. Lum, 210 U.S.  230, (1908) und Durfee v. Duke, 375 U.S.  106, 110 (1963); vgl. zum Ganzen auch Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  63 f.; 71 f.; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1440; Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, 2013, S.  938; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  190. 322  Hampton v. McConnel, 16 U.S.  234 (1818), Fauntleroy v. Lum, 210 U.S.  230 (1908) und Durfee v. Duke, 375 U.S.  106, 110 (1963); vgl. zum Ganzen auch Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  63 f., 71 f.; zur Wirkungserstreckungstheorie s. a. Teil  I §  5 I 5. 323  Zur vergleichbaren, zuständigkeitsrechtlichen Problematik in Bezug auf Gerichts­ standsvereinbarungen vgl. Teil  II §  1 II 2 c bb. 324  Semtek International Inc. v. Lockheed Martin Corp., 531 U.S.  497 (2001). 318  Vgl.

262

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

dem das Bundesgericht seinen Sitz hat, wobei die genaue Bedeutung dieser „Be­ rücksichtigung“ offen blieb.325

2.  Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung Die Rechtskraft eines Urteils wird über die full faith and credit clause vom Erst­ staat auf den Zweitstaat übertragen. Jedoch ist zu differenzieren, ob lediglich die Anerkennung eines Urteils in einem anderen Verfahren oder die Vollstreckung des Urteils begehrt wird. Beruft sich eine Partei in einem anderen Verfahren auf die Rechtskraftwirkung eines Urteils aus einem anderen Einzelstaat, wird die Anerkennung durch das Zweitgericht inzident im Rahmen des anhängigen Ver­ fahrens geprüft.326 Möchte der Urteilsgläubiger hingegen ein Urteil in einem an­ deren Einzelstaat als dem Urteilsstaat vollstrecken lassen, bedarf es dafür eines eigenständigen Verfahrens, da Urteile nicht automatisch in den anderen Einzel­ staaten anerkannt und vollstreckt werden. Ob für die Vollstreckung eine erneute Klage erforderlich ist oder ob eine Registrierung des Urteils genügt, bemisst sich nach dem Recht des Zweitstaats.327 a)  Action upon a judgment Die interstaatliche Urteilsvollstreckung innerhalb der USA erfolgt grundsätzlich im Rahmen einer auf Anerkennung und Vollstreckung gerichteten selbständigen Klage des Urteilsgläubigers im Zweitstaat, der action upon a judgment. In dieser bildet die Anerkennung des erststaatlichen Urteils den Streitgegenstand, die cause of action.328 Vom Zweitgericht werden die Anerkennungsvoraussetzungen, insbesondere die full faith and credit clause und das diesbezügliche case law, geprüft.329 Durch das Urteil des Zweitgerichts erlangt der Urteilsgläubiger einen Titel im Zweitstaat. Dieser wird dann durch einen writ of execution vom Sheriff oder einem anderen Justizbeamten vollstreckt.330 Einzige Voraussetzung für die

325  Semtek International Inc. v. Lockheed Martin Corp., 531 U.S.  497, 509 (2001); vgl. auch Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  486 f.; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  207. 326  Smith v. Shelter Mut. Ins. Co., 867 P. 2d 1260 (Okl. 1994); vgl. Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  58. 327 Restatement (Second), Conflict of Laws, 1971, §  98. 328  Schack, Einführung, 2011, Rn.  187, 189; Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  778. 329  Vgl. ausführlich unten Teil  II §  2 III. 330  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  65.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 263

action upon a judgment ist der Nachweis des erstgerichtlichen Urteils vor dem Zweitgericht.331 b)  Registration Das in der Praxis häufigere Anerkennungsverfahren ist die registration, die Re­ gistrierung eines Urteils im Zweitstaat. Diese setzt voraus, dass der Anerken­ nungsstaat ein registration statute erlassen hat, das die erneute Klage im Zweit­ staat durch die Registrierung beim Zweitgericht ersetzt.332 Ein solches registration statute wurde als Modellgesetz 1964 mit dem Uniform Enforcement of Foreign Judgments Act vorgelegt.333 Dessen Art.  1 und 2 sehen die Anerkennung von Urteilen vor, denen full faith and credit zukommt. Die Voraussetzungen von full faith and credit werden also auch im Rahmen der Registrierung vom Zweit­ gericht geprüft. Bezüglich der Prüfung des full faith and credit unterscheiden sich somit registration und action upon a judgment nicht. Der Unterschied liegt im Aufwand des erforderlichen Verfahrens. Bislang haben 46 Staaten und Wash­ ington, D.C. den Uniform Enforcement of Foreign Judgments Act in einzelstaat­ liches Recht umgesetzt.334 Trotz der irreführenden Bezeichnung betrifft der Uniform Enforcement of Foreign Judgments Act die Urteilsanerkennung im Verhältnis der Einzelstaaten untereinander. Die Anerkennung Ausländischer Urteile erfassen der Uniform Foreign Money-Judgments Recognition Act von 1962 und der Uniform For­ eign-Country Money Judgments Recognition Act von 2005.335 Nach 28 U. S. C. §  1963 können Urteile zwischen Bundesgerichten unmittel­ bar anerkennt und vollstreckt werden, ohne dass eine zweite Klage samt des da­ mit verbundenen Zeit- und Kostenaufwandes notwendig ist.336 Erforderlich ist wiederum die Registrierung des Urteils bei dem Anerkennungsgericht. Aller­ dings erfasst 28 U. S. C. §  1963 nur Urteile über Geldforderungen und eigen­ tumsbezogene Ansprüche. Für andere Ansprüche ist der Urteilsgläubiger auf die Vollstreckungsklage verwiesen.337 Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1, 43. Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  778. 333  Uniform Enforcement of Foreign Judgments Act, beschlossen von der National Confe­ rence of Commissioners on Uniform State Laws im August 1964. 334  Vgl. etwa die Umsetzung durch Missouri in §  511.760 RSMo; für eine Übersicht vgl.: (zuletzt abgerufen am 27.12.2018). 335  Vgl. auch Schack, Einführung, 2011, Rn.  191 f. 336  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  65; Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.1, 17 f. 337  Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  57. 331  332 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

III. Anerkennungsversagung Die interstaatliche Anerkennung und Vollstreckung erfolgt im US-amerikani­ schen Zivilprozessrecht auf der Grundlage der full faith and credit clause,338 der nach Art. IV §  1 Bundesverfassung Verfassungsrang zukommt.339 Es bedarf für die Anerkennungsversagung daher besonderer Gründe, die ebenfalls ein Gut von Verfassungsrang schützen.340 Der verfassungsrechtliche Grundsatz des full faith and credit muss also durch einen anderen Grundsatz von Verfassungsrang aufge­ wogen werden.341 In der frühen Rechtsprechung nach Verabschiedung der Bundesverfassung im Jahr 1789 ließen die Gerichte teilweise überhaupt keine Anerkennungsversa­ gungsgründe zu.342 In Hampton v. McConnel stellte der Supreme Court 1818 ­jedoch klar, dass gegen die Anerkennung und Vollstreckung im Zweitstaat sämt­ liche vor anderen Gerichten des Erststaats möglichen Einwendungen geltend gemacht werden können.343 Mit Richman und Reynolds sind dabei drei Fallgruppen zu differenzieren, die sich im Laufe der Zeit in der Rechtsprechung entwickelt haben.344 Nach der ers­ ten Fallgruppe ist die Anerkennung eines Urteils dann nicht geboten, wenn das Urteil im Urteilsstaat keinen preclusive effect hat (2.). Nach der zweiten Fall­ gruppe werden Urteile grundsätzlich dann nicht von der full faith and credit clause erfasst und sind daher nicht anzuerkennen, wenn sie aufgrund eines Ver­ stoßes gegen die due process clause verfassungswidrig und daher nichtig sind (3.).345 Schließlich kann mit der dritten Fallgruppe einem Urteil ausnahmsweise die Anerkennung bei schwerwiegenden Eingriffen in bestimmte Interessen des Zweitstaats versagt werden (4.). 346 Die Darstellung dieser drei Fallgruppen soll im Folgenden mit Blick auf die Anerkennung prorogationswidriger Urteile in den USA vorgenommen werden. Ihr soll ein Überblick über das Verfahren der Anerkennungsversagung vorangestellt werden (1.).

338 

Vgl. dazu oben Teil  II §  2 II. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  683. 340  Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  683. 341  Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  683. 342  Vgl. dazu Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  75. 343  Hampton v. McConnel, 16 U.S.  234 (1818); vgl. Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  75. 344 Vgl. Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77. 345  Zur due process clause vgl. oben Teil  II §  1 I 1; zum preclusive effect vgl. ausführlich unten Teil  II §  2 II 1 a. 346  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77. 339 

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 265

1.  Anerkennungsversagung als collateral attack Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht wird zwischen direct attack und collateral attack unterscheiden.347 Darunter sind verschiedene Formen von Rechts­ mitteln gegen Urteile zu verstehen. Mit direct attack wird das Vorgehen einer Partei gegen ein Urteil durch Rechtsmittel im Instanzenzug bezeichnet. Dies er­ folgt in der Regel in der Form des der Berufung ähnlichen appeal.348 Unter collateral attack hingegen ist die Anfechtung eines Urteils vor einem anderen als dem Urteilsgericht zu verstehen.349 Eine collateral attack liegt vor, wenn eine Partei vor einem Gericht die Rechtskraftwirkung des Urteils eines anderen Gerichts bestreitet, auf die sich etwa die andere Partei beruft. Die Mög­ lichkeit einer collateral attack besteht sowohl im interstaatlichen Rechtsverkehr als auch in rein innerstaatlichen Konstellationen.350 Daher bezeichnet collateral attack sowohl die Anfechtung der Rechtskraftwirkung vor einem anderen Ge­ richt im Urteilsstaat als auch die Anfechtung vor einem Gericht in einem anderen Einzelstaat.351 Die collateral attack ist kein gesondertes Verfahren, sondern le­ diglich der Einwand gegen die Rechtskraftwirkung eines Urteils.352 Die die collateral attack führende Partei möchte die konkrete Rechtsfrage oder den gesamten Anspruch von dem angerufenen Gericht erneut entscheiden lassen. Oder sie wendet sich gegen die Anerkennung und Vollstreckung des erst­ staatlichen Urteils. Kommt das Zweitgericht im Rahmen der collateral attack zu dem Ergebnis, dass das angegriffene Urteil etwa mangels personal jurisdiction nichtig ist, kann es dem Urteil full faith and credit verweigern und damit die Anerkennung versagen.353 Es darf dann die bereits vom Erstgericht entschiedene Rechtsfrage erneut entscheiden bzw. die Anerkennung und Vollstreckung des erststaatlichen Urteils versagen. Damit ist im US-amerikanischen Recht der Urteilsanerkennung die entschei­ dende Differenzierung nicht zwischen den Gerichten des Urteils- und denen des 347  Vgl. dazu ausführlich Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 2, 2014, §  6.02. 348  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1466; vgl. auch zu den weiteren Möglichkeiten der motion for a new trial oder der motion for relief from judgment Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  59 f.; vgl. zum appeal, der vor den Bundesgerichten und in den meis­ ten Einzelstaaten keine neue Tatsacheninstanz eröffnet, Schack, Einführung, 2011, Rn.  171. 349 Vgl. Durfee v. Duke, 375 U.S.  106, 110 (1963). 350  Vgl. dazu etwa die Ausführungen in Swan v. Sargent Industries, 1980 Ok Civ App 49, 474, 475 (Okla. Ct. App.  1980). 351  Patriot Leasing v. Jerry Enis Motors, 928 So.2d 856, 862 f. (Miss. 2006). 352  Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 2, 2014, §  6.02 [2]. 353  State Ex Rel. Sizemore v. Surety Bank, 200 F.3d 373, 377 (5th Cir. 2000); vgl dazu aus­ führlich unten Teil  II §  2 III 3 a.

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

Anerkennungsstaates, sondern zwischen der direct attack im Instanzenzug und der collateral attack vor einem anderen Gericht in demselben oder in einem an­ deren Einzelstaat vorzunehmen. Das Recht der interstaatlichen Anerkennungs­ versagung zwischen Gerichten in unterschiedlichen Einzelstaaten ähnelt folglich der innereinzelstaatlichen Rechtskraftversagung. Dies folgt zwingend aus der full faith and credit clause, nach der die Gerichte des Urteilsstaats und die Ge­ richte des Anerkennungsstaats gleichzustellen sind.

2.  Anerkennungsversagung bei fehlender Rechtskraft im Erststaat Ein Anerkennungsversagungsgrund liegt zunächst vor, wenn das Urteil im Erst­ staat selbst keinen preclusive effect besitzt.354 Denn kommt einem Urteil nicht einmal im Urteilsstaat Rechtskraft zu, kann diese auch nicht auf einen anderen Staat erstreckt werden.355 Einem Urteil kommt etwa dann keine Rechtskraft zu, wenn das Urteil durch fraud, durch Täuschung, erlangt wurde,356 wenn das Urteil nicht abschließend, final, war,357 wenn das Urteil nicht in der Sache erging,358 oder wenn es abänderbar, modifiable,359 war.360

3.  Nichtigkeit des anzuerkennenden Urteils Die zweite Ausnahme von der grundsätzlichen Anerkennungspflicht aufgrund der full faith and credit clause stellen nichtige Urteile dar.361 Ein Urteil ist insbe­ sondere dann nichtig, wenn das Erstgericht keine personal jurisdiction hatte.362 Das Urteil stellt dann einen Verstoß gegen das Recht des Beklagten auf due process dar.363 Das zweite Restatement zum conflict of laws stellt dazu fest: „A judg­ Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77. Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77. 356  Vgl. dazu ausführlich Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  79. 357  Vgl. dazu ausführlich Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77. 358  Vgl. dazu ausführlich Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  78; zu Versäumnisurteilen vgl. Teil  II §  2 III 3 a cc. 359  Vgl. dazu ausführlich Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  80. 360  Vgl. ausführlich zum Ganzen Restatement (Second), Conflict of Laws, 1971, §§  105– 112. 361 Vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  181; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  200; ­Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  719. 362  Whitten, Creighton L. Rev. 14 (1980/81), S.  49; Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  200. 363  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  200; Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1, 25; vgl. auch bereits oben Teil  II §  1 I 1. 354  355 

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 267

ment rendered without judicial jurisdiction or without adequate notice to be heard will not be recognized or enforced in other states.“364 a)  Nichtigkeit bei fehlender personal jurisdiction Für die Bestimmung der Grenze von full faith and credit ist damit die due process clause entscheidend.365 Denn die due process clause normiert die zuständig­ keitsrechtlichen Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit eines Urteils.366 Dadurch wird das Recht des Beklagten geschützt, nicht von den Gerichten eines Einzelstaats verurteilt zu werden, zu denen der Beklagte keine ausreichende Ver­ bindung hat.367 Der Beklagte soll nicht dazu gezwungen werden, zu weit entfern­ ten und unpraktischen Gerichten reisen zu müssen, um sich zu verteidigen.368 Eingeschränkt wird dieser Grundsatz jedoch durch das Rechtsinstitut der issue preclusion. Ist die Feststellung der personal jurisdiction durch das Erstgericht in preclusive effect, in Rechtskraft, erwachsen, ist das Zweitgericht selbst bei ge­ genteiliger Auffassung an diese rechtskräftige Feststellung, der ihrerseits wiede­ rum full faith and credit zukommt, gebunden. aa)  Grundsatz der Nichtigkeit bei fehlender personal jurisdiction Das Recht des Beklagten auf due process setzt sich, wie gezeigt, im Kern aus zwei Teilen zusammen.369 Zum einen ist dem Beklagten das verfahrenseinleiten­ de Schriftstück so zuzustellen, dass er über das Verfahren in Kenntnis gesetzt wird und Gelegenheit zur Verteidigung vor dem angerufenen Gericht erhält.370 Zum anderen wird das Recht des Beklagten auf due process dann verletzt, wenn das Erstgericht keine personal jurisdiction besitzt.371 Ein verfassungswidriges Urteil ist nichtig und kann mangels preclusive effect im Urteilsstaat auch über die full faith and credit clause keine Rechtskraftwirkung im Anerkennungsstaat be­

364 Restatement

(Second), Conflict of Laws, 1971, §  104. Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S.  313, 329 (1971); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1437 f. 366  Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S.  313, 329 (1971); vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1437 f. 367  World-Wide Volkswagen Corp., 444 U.S.  291 f.; Mckesson Corp. v. Hackensack Medical Imaging, 197 N.J. 262, 275 f. (N.J. 2009); zu den aus der due process clause folgenden Anfor­ derungen an die Verbindungen des Beklagten zum jeweiligen Einzelstaat vgl. Teil  II §  1 I 1 b. 368  Wasserman, Procedural Due Process, 2004, S.  167 f. 369  Vgl. ausführlich zu due process oben Teil  II §  1 I 1. 370  Vgl. oben Teil  II §  1 I 1. 371 So Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714 (1878); Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  683; vgl. oben Teil  II §  1 I 1 a. 365 So

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

gründen.372 Damit besteht für den Beklagten die Möglichkeit, ein Urteil, das ohne personal jurisdiction erlassen wurde, per collateral attack im Zweitstaat und nicht lediglich durch Rechtsmittel im Erststaat anzugreifen.373 Dies führt dazu, dass, wenn die personal jurisdiction der Erstgerichts von einer wirksamen Vereinbarung in einer Gerichtsstandsvereinbarung abhängt, das Zweitgericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung grundsätzlich nachprüfen darf.374 Neben der Verfassungswidrigkeit und damit Nichtigkeit aufgrund mangelnder personal jurisdiction kommt als weiterer Anerkennungsversagungsgrund auch der Verstoß gegen ein long-arm statute oder das common law des Erststaats in Betracht.375 Ist nach dem long-arm statute oder der Rechtsprechung des Erst­ staats die personal jurisdiction des Erststaats nicht gegeben, so ist das Urteil mangels personal jurisdiction nicht anzuerkennen, wenn der Erststaat die collateral attack bei rein innerstaatlichen Konstellationen in diesem Fall zulässt.376 Dies liegt darin begründet, dass die Ausübung von personal jurisdiction durch die due process clause zwar begrenzt, aber nicht gewährleistet wird. Die Grund­ lage für personal jurisdiction ist dem Recht des jeweiligen Einzelstaats zu ent­ nehmen.377 Fehlt diese, verstößt das Urteil gegen das Recht des Beklagten auf due process. bb)  Ausnahme bei rechtskräftiger Entscheidung über personal jurisdiction Um zu vermeiden, dass das Zweitgericht die personal jurisdiction des Erstge­ richts stets nachprüfen darf, sieht das US-amerikanische Zivilprozessrecht zwei Einschränkungen der zweitgerichtlichen Nachprüfung vor.378 Erstens kann der Kläger bei Versagung der Anerkennung durch das Zweitgericht theoretisch den Supreme Court anrufen, da es sich bei der full faith and credit clause um Verfas­

Zekoll/Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, S.  618. Zur Nichtigkeit eines von einem Gericht ohne personal jurisdiction erlassenen Urteils vgl. Underwriters National Assurance Co. v. North Carolina Life Accident Health Ins. Guaranty Assn., 455 U.S.  691, 704 f. (1982); Wasserman, Procedural Due Process, 2004, S.  167 f.; zur collateral attack vgl. oben Teil  II §  2 III 1. 374  Zur Begründung von personal jurisdiction durch Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. Teil  II §  1 I 2 a; zur Nachprüfung der erstgerichtlichen Prorogation im Falle eines Versäumnis­ urteils vgl. unten Teil  II §  2 III 3 a cc. 375  Zu den long-arm statutes vgl. oben Teil  II §  1 I 1 b. 376 Restatement (Second), Conflict of Laws, 1971, §  105; Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  83 f.; von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1053, Fn.  33; für die Anerkennung zwischen bundesstaatlichen Gerichten vgl. Minuteman Press Intern. v. Sparks, 782 S.W.2d 339, 340 (Tex. App.  1989). 377  Vgl. dazu oben Teil  II §  1 I 1 b. 378  Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.1, 25 f. 372  373 

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 269

sungsrecht handelt.379 Zweitens ist dem Zweitgericht die Nachprüfung der personal jurisdiction des Erstgerichts dann untersagt, wenn die Frage der personal jurisdiction selbst bereits in Rechtskraft in der Form der issue preclusion er­ wachsen ist.380 Nur wenn die Frage der personal jurisdiction nicht in issue preclusion erwachsen ist, darf das Zweitgericht diese nachprüfen.381 Mit der Rechtskraft eines Urteils bezüglich der interstaatlichen Zuständigkeit befasste sich der Supreme Court zunächst 1931 in Baldwin v. Iowa State Traveling Men’s Association.382 Der Supreme Court entschied, dass das Zweitgericht dem Urteil des Erstgerichts auch hinsichtlich der Frage der personal jurisdiction full faith and credit zu gewähren hat, wenn diese verhandelt und entschieden worden ist: „Public policy dictates that there be an end of litigation; that those who have contested on issue shall be bound by the result of the contest, and that matters once tried shall be considered for­ ever settled as between the parties. We see no reason why this doctrine should not apply in every case where one voluntarily appears, presents his case and is fully heard, and why he should not, in the absence of fraud, be thereafter concluded by the judgment of the tribunal to which he has submitted his cause.“383

Erscheint der Beklagte vor dem Erstgericht, und verhandelt er zur Zuständigkeit oder hat er zumindest die Möglichkeit dazu, unterliegt die erstgerichtliche Ent­ scheidung über die internationale Zuständigkeit dem preclusive effect.384 Sie kann durch eine collateral attack nicht mehr im Zweitstaat angegriffen wer­ den.385 Wurde über die personal jurisdiction hingegen nicht vom Urteilsgericht entschieden, kann diese auch nicht in Rechtskraft erwachsen, sondern vielmehr vom Zweitgericht nachgeprüft werden.386 Die Anforderungen an das Erwachsen der Entscheidung über die interstaatli­ che Zuständigkeit in Rechtkraft spezifizierte der Supreme Court 1963 in Durfee v. Duke:

Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.1, 25 f. Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.1, 25 f.; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1464 f. 381  Insurance Corp. v. Compagnie des Bauxites, 456 U.S.  694, 702, Fn.  9 (1982); vgl. auch McDougal/Felix/Whitten, American Conflicts Law, 2001, §  70, S.  291; Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  86; Zekoll/Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litiga­ tion, 2013, S.  618; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  200 f. 382  Baldwin v. Traveling Men’s Assn., 283 U.S.  522 (1931). 383  Baldwin v. Traveling Men’s Assn., 283 U.S.  522, 525 f. (1931). 384  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  719. 385  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  719. 386  So etwa Phoenix Leasing, Inc. v. Kosinski, 47 Conn. App.  650, 652 (Conn. App. Ct. 1998); vgl. Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  719. 379  380 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

„From these decisions there emerges the general rule that a judgment is entitled to full faith and credit — even as to questions of jurisdiction — when the second court’s inquiry discloses that those questions have been fully and fairly litigated and finally decided in the court which ren­ dered the original judgment.“387

Hinter der Rechtsprechung des Supreme Court steht die Überlegung, dass die Frage der personal jurisdiction vor dem Erstgericht entschieden werden sollte. Wenn der Beklagte vor dem Erstgericht erscheint und die fehlende Zuständigkeit des Gerichts nicht rügt oder wenn er zur Frage der Zuständigkeit verhandelt, soll er nicht später vor einem anderen Gericht die Möglichkeit haben, die Frage noch einmal aufzuwerfen.388 Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Erstgericht durch das streitige Verhandeln der Parteien zur personal jurisdiction über diese im Verhältnis zu anderen Ge­ richten rechtskräftig entscheiden kann.389 Nicht jedes Urteil, das von einem ­Gericht ohne personal jurisdiction erlassen wird, ist daher nichtig.390 Dass ein Gericht durch die issue preclusion damit sich selbst im Verhältnis zu anderen Gerichten personal jurisdiction verschaffen kann, indem es über diese bei strei­ tigem Verhandeln der Parteien entscheidet, selbst wenn es objektiv unzuständig ist, wird in der Literatur Bootstrapping-Prinzip genannt.391 Das Erstgericht zieht sich, bildlich gesprochen, gleichsam selbst an den Schnürsenkeln empor und ver­ schafft sich so personal jurisdiction. cc)  Nichtigkeit und Prorogation Maßgeblich für die Anerkennungsversagung ist, wie gezeigt, der preclusive effect eines Urteils hinsichtlich der personal jurisdiction. Wurde über die personal jurisdiction rechtskräftig entschieden, kann das Zweitgericht die Anerkennung nicht mehr wegen mangelnder personal jurisdiction des Erstgerichts versagen.392 Daraus folgt, dass der Beklagte mit einer collateral attack die mangelnde inter­ staatliche Zuständigkeit des Erstgerichts angreifen kann, wenn er vor dem Erst­ gericht nicht erscheint und ein Versäumnisurteil, ein sogenanntes default judgDurfee v. Duke, 375 U.S.  106, 111 (1963); vgl. dazu auch Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  86. 388  Baldwin v. Traveling Men’s Assn., 283 U.S.  522, 524 f. (1931); Swan v. Sargent Industries, 1980 Ok Civ App 49, 474, 477 (Okla. Ct. App.  1980); Currie/Kay/Kramer/Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  506. 389  Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  200; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2015, S.  683, Fn.  516. 390  Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1480. 391 Vgl. McDougal/Felix/Whitten, American Conflicts Law, 2001, §  70, S.  291; Richman/ Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  86. 392 Vgl. Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 2, 2014, §  6.02 [2]. 387 

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 271

ment,393 ergeht.394 Denn da im Fall eines Versäumnisurteils die Parteien in der Regel zur interstaatlichen Zuständigkeit des Erstgerichts nicht verhandelt haben, kann auch diese nicht in issue preclusion erwachsen.395 Eine solche Konstellation lag etwa der Entscheidung in Leasewell, Ltd. v. Jake Shelton Ford, Inc. zugrunde.396 Der United States District Court for the Southern District of West Virginia, ein Bundesgericht, versagte dem Versäumnisurteil ei­ nes einzelstaatlichen Gerichts im Bundesstaat New York die Anerkennung, weil die Gerichtsstandsvereinbarung, auf die das New Yorker Gericht seine Zustän­ digkeit gestützt hatte, unwirksam gewesen sei. Die einzelstaatlichen Gerichte New Yorks hätten daher keine personal jurisdiction gehabt.397 Ebenso bestätigte in Tandy Computer Leasing v. Terina’s Pizza398 der Supreme Court of Nevada die Anerkennungsversagung eines texanischen Versäumnisurteils. Die in AGB ent­ haltende Gerichtsstandsvereinbarung, durch die die texanischen Gerichte proro­ giert wurden, sei für die spätere Beklagte nicht erkennbar und der vereinbarte Gerichtsstand daher völlig unvorhersehbar gewesen.399 Entscheidend ist an den beiden exemplarisch angeführten Fällen, dass die Gerichte des Anerkennungsstaats die Gerichtsstandsvereinbarungen vollum­ ­ fänglich nachprüfen konnten. Beide Gerichte kamen zu dem Ergebnis, dass die Begründung der personal jurisdiction des Erststaats durch die Gerichtsstands­ vereinbarung jeweils unwirksam war. Das Zweitgericht darf also bei Versäum­ nis­urteilen mangels Rechtskraftwirkung hinsichtlich der erstgerichtlichen inter­ staatlichen Zuständigkeit diese und damit auch die Wirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung vollumfänglich nachprüfen und dem Urteil gegebenenfalls die Anerkennung versagen.400 Jedoch ist selbst bei Annahme der Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung durch das Zweitgericht nicht automatisch die Schack, Einführung, 2011, Rn 170. Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 2, 2014, §  6.02 [2]; Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  201; vgl. Ausführlich zu Versäumnisurteilen von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1053. 395  So etwa die Prüfung in Phoenix Leasing, Inc. v. Kosinski, 707 A.2d 314 (1998); Frontier Leasing Corp. v. Shah, 931 A.2d 676 (2007); Seymour Lodge, No. 462 v. Frontier Leasing Corp., 872 N.E.2d 703 (2007); L & L Wholesale, Inc. v. Gibbens, 108 S.W.3d 74 (Mo. Ct. App.  2003); zum Ganzen von Mehren, Law in the United States, 2007, S.  240; Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  85. 396  Leasewell, Ltd. v. Jake Shelton Ford, Inc., 423 F. Supp.  1011 (S.D.W. Va. 1976). 397  Leasewell, Ltd. v. Jake Shelton Ford, Inc., 423 F. Supp.  1011 (S.D.W. Va. 1976). 398  Tandy Computer Leasing v. Terina’s Pizza, 105 Nev. 841, 843 (Nev. 1989). 399  Tandy Computer Leasing v. Terina’s Pizza, 105 Nev. 841, 843 (Nev. 1989); vgl. zur An­ erkennungsversagung von Versäumnisurteilen auch Ex parte Trinity Automotive Services, Ltd., 974 So.2d 1005, 1008–1013 (2006). 400  Vgl. etwa Leasewell, Ltd. v. Jake Shelton Ford, Inc., 423 F. Supp.  1011, 1017 (S.D.W. Va. 1976). 393  394 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

Anerkennung des erstgerichtlichen Urteils zu versagen. Erließ das aus Sicht des Zweitgerichts unwirksam vereinbarte Erstgericht, das aber aufgrund anderer Umstände personal jurisdiction besaß, ein Urteil, so ist dieses vom Zweitgericht anzuerkennen, unabhängig davon, ob es sich um ein Versäumnisurteil handelt oder nicht. Denn entweder erwächst die Feststellung der personal jurisdiction in preclusive effect, wenn der Beklagte dazu streitig verhandelt. Oder im Falle eines Versäumnisurteils kommt das Zweitgericht zu dem Ergebnis, dass ungeachtet der Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung das Erstgericht etwa aufgrund des domicile des Beklagten zuständig war, und daher das Urteil nach der full faith and credit clause anzuerkennen ist.401 Der Beklagte kann, wie schon gezeigt, vor dem Zweitgericht die fehlende in­ terstaatliche Zuständigkeit des Erstgerichts einwenden, wenn er vor dem Erstge­ richt nicht erschienen ist.402 Er hat also die Wahl, ob er die fehlende personal jurisdiction des Erstgerichts und damit dessen Prorogation in einer Gerichts­ standsvereinbarung vor diesem rügt und dort zur personal jurisdiction verhan­ delt, oder ob er vor dem angerufenen Gericht nicht erscheint und die Rüge der personal jurisdiction gegen das Versäumnisurteil erst im Zweitstaat erhebt.403 Für die Verteidigung vor dem unzuständigen Erstgericht spricht, dass dort die Zuständigkeit und die Begründetheit der Klage verhandelt werden können, wäh­ rend im Rahmen der Anerkennungsversagung nur noch die personal jurisdiction nachgeprüft werden darf.404 Die Prozesstaktik kann aber dafür sprechen, sich auf die Verteidigung im Rahmen der Anerkennungsversagung zu verlegen. Dies kann der Fall sein, wenn das Erstgericht eindeutig unzuständig ist und das Zweit­ gericht die Anerkennung daher sehr wahrscheinlich versagen wird, oder wenn die Kosten der Verteidigung vor dem Erstgericht höher wären als der Streit­ wert.405 Aber auch wenn die Chance des Beklagten, in der Sache zu gewinnen, nur sehr gering ist, und daher die Gefahr der claim preclusion hinsichtlich der Begründetheit der Klage nicht schwer wiegt, kann der Beklagte ein Versäumnis­ urteil kassieren und die fehlende personal jurisdiction erst im vielleicht ihm rechtlich vertrauteren Zweitstaat rügen. 401  So die Prüfung in Frontier Leasing Corp. v. Shah, 931 A.2d 676, 682 f. (2007); Bell Atl. Tricon Leasing Corp. v. Johnnie’s Garbage Serv., Inc., 439 S.E.2d 221 (1994). 402  Von Mehren, Col. L. Rev. 81 (1981), S.  1044, 1053; zu den besonderen Konstellationen von Versäumnisurteilen bei einer warrant of attorney oder einer cognovit note des Beklagten vgl. Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1467. 403  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  83. 404  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  83; vgl. zur Anerkennungs­ versagung mangels personal jurisdiction des Erstgerichts Teil  II §  2 III 3 a aa. 405  Zur Kostenerstattung im amerikanischen Recht nach der berüchtigten American Rule vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn 22 f.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 273

Von dem Erlass eines Versäumnisurteils bei einer Leistungsklage ist der Erlass eines Versäumnisurteils bei einer Klage auf Feststellung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu unterscheiden. Ein solcher Fall lag etwa der Ent­ scheidung in Walker v. Amerireach.com zugrunde.406 Amerireach.com befürchte­ te eine Klage durch Walker in dem ihr ungünstigen Superior Court of Gwinnett County, Georgia, einem einzelstaatlichen Gericht. Sie erhob daher in Harris County, Texas, ebenfalls bei einem einzelstaatlichen Gericht, Klage auf Feststel­ lung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu diesem Gericht. Das texanische Gericht stellte daraufhin in einem Versäumnisurteil die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung fest sowie den Umstand, dass sämtliche Ansprü­ che zwischen den Parteien dieser unterfielen.407 Das Gericht in Georgia wies daraufhin die Klage aufgrund seiner eigenen Derogation durch die Gerichts­ standsvereinbarung ab. Es ging dabei davon aus, dass das texanische Urteil über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung abschließend entschieden habe, sodass diese Entscheidung, auch wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelte, in Rechtskraft erwachse.408 Zwar hob der Court of Appeals of Georgia die Entscheidung des Superior Court of Gwinnett County in der Berufung auf, weil das texanische Urteil nur vertragliche und nicht auch gesetzliche Ansprüche erfasste.409 Jedoch zeigt das erstinstanzliche Urteil des Superior Court, dass aufgrund der Rechtskrafterstre­ ckung auch durch Versäumnisurteile, in denen die Wirksamkeit einer Gerichts­ standsvereinbarung den Streitgegenstand bildet, die Gerichte anderer Einzelstaa­ ten hinsichtlich ihrer eigenen Derogation gebunden werden können. Die Isolierte Entscheidung eines Gerichts im Rahmen einer Feststellungsklage stellt damit, auch im Falle eines Versäumnisurteils, eine Entscheidung in der Sache dar und fällt somit unter das grundsätzliche Verbot der revision au fond. Denn andernfalls hätte das Zweitgericht die Wirksamkeit wie in den bereits angeführten Urteilen nachprüfen dürfen.410 b)  Nichtigkeit und lesser limitations on jurisdiction Anders als die fehlende personal jurisdiction führt ein Verstoß des Erstgerichts gegen eine lesser limitation on jurisdiction nicht zur Nichtigkeit des Urteils und stellt daher keinen Anerkennungsversagungsgrund dar. Entscheidet das Erstge­ richt etwa aus Sicht des Zweitgerichts falsch über die Derogationswirkung einer Walker v. Amerireach.com, 306 Ga.App.  658 (2010). Walker v. Amerireach.com, 306 Ga.App.  658 (2010). 408  Walker v. Amerireach.com, 306 Ga.App.  658, 659 (2010). 409  Walker v. Amerireach.com, 306 Ga.App.  658, 659 (2010). 410  Zur Nachprüfung der personal jurisdiction des Erstgerichts vgl. Teil  II §  2 III 3 a aa. 406  407 

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Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

Gerichtsstandsvereinbarung, kommt eine Anerkennungsversagung durch das Zweitgericht nicht in Betracht.411 Die due process clause verpflichtet ein Gericht nicht dazu, personal jurisdiction auszuüben, sondern begrenzt lediglich die Ausübung von personal jurisdiction über einen Beklagten.412 Demnach stellt die Missachtung einer Derogation keinen Verstoß gegen die due process clause und damit keinen verfassungsrecht­ lichen Anerkennungsversagungsgrund dar, solange das Erstgericht personal jurisdiction hatte.413 Denn die personal jurisdiction eines Gerichts kann nicht durch eine Gerichtsstandsvereinbarung abbedungen werden.414 Insofern besitzt die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Derogation des Erstgerichts bei der Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils keine Bedeutung, es sei denn, der Erststaat sieht ausnahmsweise die Nichtigkeit eines Urteils bei Verstoß gegen eine Derogation vor.415 Allerdings kann die isolierte Anerkennung der in issue preclusion erwachse­ nen erstgerichtlichen Entscheidung über die Wirksamkeit etwa in der Form eines Prozessurteils vor anderen Gerichten erhebliche Auswirkungen haben.416 Dabei kann das Erstgericht die Derogation für wirksam oder unwirksam halten. aa)  Erstgericht hält Derogation für wirksam In Davillier v. Southwest Securities etwa entschied der United States District Court for the Northern District of Texas, ein Bundesgericht, dass der Feststellung der Wirksamkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zu den ein­ zelstaatlichen Gerichten in Tarrant County, Texas, durch den United States Dis­ trict Court for the Central District of California, ebenfalls ein Bundesgericht, Rechtskraftwirkung zukomme: „Because the present case involves the same issue as the one presented in the California Action – i.e., whether the Forum Selection clause of the Settlement Agreement precludes the Davilli­ ers from suing Southwest and the Individual Defendants in any forum other than the state dis­ trict courts of Tarrant County, Texas – collateral estoppel precludes the parties from relitigating in this case the validity or applicability of the Forum Selection clause.“417

411  Zur Derogationswirkung interstaatlicher Gerichtsstandsvereinbarungen als lesser limi­ tations on jurisdiction vgl. oben Teil  II §  1 II 2. 412  Fauntleroy v. Lum, 210 U.S.  230, 233 (1908). 413 Vgl. Reiner, Reiner Bendett, P.C. v. Cadle Co, 278 Conn. 92, 103, Fn.  10 (Conn. 2006); Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  548. 414  Vgl. oben Teil  II §  1 I 3. 415  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  136. 416  Zu den Voraussetzungen vgl. oben Teil  II §  2 II 1 a bb. 417  Davillier v. Southwest Securities, in: FSB, WL 6049014, S.  3 (2012).

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 275

Das Bundesgericht in Texas akzeptierte damit die eigene Derogation aufgrund der Entscheidung eines anderen Gerichts und verzichtete auf die erneute Prüfung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung.418 Unter ausdrücklichem Verweis auf Davillier v. Southwest Securities entschied in Atlantic Pacific Equipment, Inc. v. Graham auch der United States District Court for the Northern District of Georgia, ein Bundesgericht, dass es an die Feststellung der Wirksamkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zu sämtlichen einzelstaatlichen Gerichten in Georgia durch den United States District Court for the Southern District of Texas, ein Bundesgericht, gebunden sei, und wies die Klage daher als unzulässig ab.419 Wie sehr es gerade im Rahmen von Prozessurteilen auf die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraftwirkung eines Urteils ankommt, zeigt der Fall Saye v. First Specialty.420 Darin wies der United States District Court for the Northern District of Texas, ein Bundesgericht, eine Klage aufgrund einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zu den einzelstaatlichen Gerichten New Yorks ab. In der darauf folgenden Klage vor dem United States District Court for the Eastern District of New York, einem Bundesgericht, berief sich First Specialty nun auf die Entscheidung des Bundesgerichts in Texas und beantragte die Abweisung aufgrund wirksamer Derogation. Das Bundesgericht in New York folgte dem Antrag und wies die Klage aufgrund der in Rechtskraft erwachsenen Deroga­ tions­wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung ab.421 Interessant ist dabei aber die Differenzierung, die das New Yorker Bundesge­ richt vornahm. Da das Bundesgericht in Texas nur über die Abweisung der Klage nach Rule 12 (b) (6) Federal Rules of Civil Procedure aufgrund der Gerichts­ standsvereinbarung entschieden habe, erwachse auch nur diese Entscheidung in Rechtskraft. Ob daneben auch die Abweisung der Klage nach forum non conveniens aufgrund der Derogation geboten ist, sei vom Gericht in Texas nicht ent­ schieden worden und binde daher auch das Gericht in New York nicht. In der Folge prüfte daher das New Yorker Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung und eine mögliche Abweisung nach forum non conveniens als zusätzlichen Grund für die Abweisung der Klage vollumfänglich selbst, ohne durch issue preclusion da­ ran gehindert zu sein.422

418  Vgl. etwa Surgical Orthomedics, Inc. v. Brown Rudnick LLP, 2013 WL 3188920, S.  3 (2013). 419  Atlantic Pacific Equipment, Inc. v. Graham, WL 489064 (2013). 420  Saye v. First Specialty Ins. Co., WL 1737949, S.  4 (2015). 421  Saye v. First Specialty Ins. Co., WL 1737949, S.  4 (2015). 422  Saye v. First Specialty Ins. Co., WL 1737949, S.  2, 4 f. (2015); zu forum non conveniens vgl. bereits Teil  II §  1 II 3 b.

276

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

Schließlich wies auch in Surgical Orthomedics v. Brown der United States District Court for the District of New Jersey, ein Bundesgericht, eine Klage ab, weil ein einzelstaatliches Gericht in Texas bereits entschieden hatte, dass eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zu den Gerichten von New York vorlag, und das Bundesgericht in New Jersey sich aufgrund von issue preclusion daran gebunden sah.423 Es lässt sich damit festhalten, dass die einzelstaatlichen Gerichte sowie die Bundesgerichte die rechtskräftige Feststellung ihrer eigenen Derogation durch das Erstgericht anerkennen. bb)  Erstgericht hält Derogation für unwirksam Ob die Entscheidung des Erstgerichts über die Unwirksamkeit der Derogation auch andere Gerichte bindet, war Gegenstand der Entscheidung in Cadle Co. v. Reiner, Reiner and Bendett P.C.424 Die Rechtsanwaltskanzlei Reiner, Reiner and Bendett mit Sitz in Connecticut hatte gegen Cadle Co. entgegen der Vereinba­ rung der Gerichte Ohios mehrere Klagen vor einem einzelstaatlichen Gericht in Connecticut auf Zahlung von Rechtsanwaltshonorar und die Vollstreckung der daraus entstandenen Titel erhoben. Cadle war in Connecticut säumig geblieben und konnte auch in der Folge keine Aufhebung der Versäumnisurteile dort errei­ chen.425 Als Cadle in der Folge zunächst vor einem einzelstaatlichen Gericht, nach Verweisung wegen diversity jurisdiction dann vor einem Bundesgericht in Ohio ihrerseits Klage auf Zahlung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die Ge­ richtsstandsvereinbarung erhob, stellte sich unter anderem die Frage nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Gerichtsstandsvereinbarung.426 Der United States Court of Appeals of the Sixth Circuit entschied schließlich, dass die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung von den Gerichten Ohios nicht erneut entschieden werden dürfe. Die Entscheidung über die Unwirksam­ keit der Gerichtsstandsvereinbarung erfülle zwar als Versäumnisurteil eigentlich das Erfordernis des streitigen Verhandelns der Rechtsfrage durch die Parteien nicht. Eine Entscheidung über den Schadensersatzanspruch würde jedoch der Entscheidung der Gerichte in Connecticut im konkreten Fall diametral wider­ sprechen. Denn diese hätten ihre Zuständigkeit auf die Unwirksamkeit der Ge­ richtsstandsvereinbarung gestützt, und die erneute Entscheidung über die Ge­ richtsstandsvereinbarung sei nach dem Recht Connecticuts unzulässig.427 Surgical Orthomedics, Inc. v. Brown Rudnick LLP, WL 3188920, S.  3 (2013). Cadle Co. v. Reiner, Reiner & Bendett, P.C., 307 Fed.Appx. 884 (6th Cir. 2009). 425  Cadle Co. v. Reiner, Reiner & Bendett, P.C., 307 Fed.Appx. 884 (6th Cir. 2009). 426  Cadle Co. v. Reiner, Reiner & Bendett, P.C., 307 Fed.Appx. 884 (6th Cir. 2009); zu diversity jurisdiction der Bundesgerichte vgl. Schack, Einführung, 2011, Rn.  42. 427  Cadle Co. v. Reiner, Reiner & Bendett, P.C., 307 Fed.Appx. 884, 890 f. (6th Cir. 2009). 423  424 

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 277

Der Court of Appeals bestätigte damit, dass im Grundsatz die Entscheidung auch über die Derogationswirkung in Rechtskraft erwachsen kann. Zudem mach­ te das Gericht aber deutlich, dass letztlich das Recht des jeweiligen Erststaats entscheidend sei.428 Auch an dieser Stelle wird deutlich, wie die Anerkennungs­ versagung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht auf dem Grundsatz der Rechtskrafterstreckung beruht, weil letztlich nur die Wirkung, die einem Urteil im Erststaat zukommt, auf den Zweitstaat übertragen wird. c)  Nichtigkeit und venue Wird eine Klage vor einem örtlich unzuständigen Gericht erhoben, muss das Gericht die Klage wegen Unzuständigkeit abweisen oder, wenn möglich, an das örtlich zuständige Gericht verweisen.429 Der Beklagte muss rechtzeitig die fehlen­ de örtliche Zuständigkeit rügen. Tut er dies nicht, so kann diese in der Regel weder durch eine direct attack, noch durch eine collateral attack gerügt wer­ den.430 Auch ein Versäumnisurteil, das von einem Gericht ohne venue, also ohne ört­ liche Zuständigkeit, aber mit personal jurisdiction über den Beklagten erlassen wurde, ist folglich wirksam und in den übrigen Einzelstaaten anzuerkennen.431 Die fehlende örtliche Zuständigkeit führt selbst bei mangelnder issue preclusion nicht zur Möglichkeit der Nachprüfung eines Urteils durch das Zweitgericht und gegebenenfalls zur Anerkennungsversagung.432

4.  Eingriff in besondere Interessen des Zweitstaates Die dritte Fallgruppe an Ausnahmen von der full faith and credit clause betrifft die Fälle, in denen das Urteil des Erstgerichts in besondere Interessen des Zweit­ staats eingreift.433 Einen solchen Anerkennungsversagungsgrund kann eine mit dem anzuerkennenden Urteil unvereinbare Entscheidung im Zweitstaat darstel­ 428 

Vgl. dazu bereits oben Teil  II §  2 II 1 a. Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.03 [3]; vgl. zur Verweisung zwischen Bundesgerichten oben Teil  II §  1 II 3 b cc. 430  Commercial Cas. Ins. Co. v. Consolidated Stone Co., 278 U.S.  177 (1929); Insurance Corp. of Ireland, Ltd. v. Compagnie des Bauxites de Guinee, 456 U.S.  694, (1982); U.S. v. County of Cook, Ill., 167 F.3d 381, 388 f. (7th Cir. 1999); vgl. dazu Wright/Miller/Cooper, Fe­ deral Practice and Procedure, 14 D, 2015, §  3801; Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.03, 1.03 [3]. 431  Zur Gültigkeit von Urteilen, die von Gerichten ohne venue aber mit personal jurisdiction erlassen wurden Casad/Richman/Cox, Jurisdiction in Civil Actions, Band 1, 2014, §  1.03, §  1.03 [3]. 432  Voegele, Full faith and credit, 2003, S.  78, Fn.  22. 433  Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  77. 429 

278

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

len. Nach der Rechtsprechung des Supreme Court in Treineis v. Sunshine Mining Co. gebührt dem späteren Urteil in den USA – im Gegensatz zu Art.  45 Abs.  1 lit.  c, d Brüssel Ia-VO – full faith and credit.434 Darüber hinaus gibt es keinen allgemeinen ordre public-Vorbehalt.435 Dies gilt nach den Entscheidungen des Supreme Court in Griffin v. Griffin und Fauntleroy v. Lum auch dann, wenn das Urteil gegen den ordre public des Anerkennungs­ staats verstößt.436 Diesen Grundsatz hat der Supreme Court in Sherrer v. Sherrer auch auf Fragen der Zuständigkeit ausgeweitet, die in einem streitigen Verfahren entschieden wurden.437 Ausnahmen machte der Supreme Court aber in einer Reihe von Entscheidungen zum Familien- und Erbrecht.438

IV.  Vergleich zur Brüssel Ia-VO Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass die in Rechtskraft, issue preclusion, erwachsende Entscheidung eines Gerichts über die Wirksamkeit ei­ ner Gerichtsstandsvereinbarung von anderen Gerichten grundsätzlich anzuer­ kennen ist. Ein Verstoß gegen die due process clause aufgrund mangelnder personal jurisdiction des Erstgerichts, z. B. wegen Unwirksamkeit der Gerichts­ standsvereinbarung, führt nur dann zur Nichtigkeit des Urteils, wenn die Frage der personal jurisdiction nicht von den Parteien vor dem Erstgericht verhandelt und von diesem entschieden wurde.439 Nur in diesem Fall kann das Zweitgericht dem Urteil wegen eines Verstoßes gegen die due process clause mangels personal jurisdiction des Erstgerichts die Anerkennung versagen.440 Bei einem Versäumnisurteil über eine Leistungsklage hat der Beklagte die Möglichkeit, die personal jurisdiction des Erstgerichts im Zweitstaat nachprüfen zu lassen. Kommt das Zweitgericht zu der Auffassung, dass das Erstgericht keine personal jurisdiction über den Beklagten hatte, ist das Urteil nichtig und kann 434 In Treinies v. Sunshine Mining Co., 308 U.S.  66 (1939); vgl. Richman/Reynolds, The Full faith and credit clause, 2006, S.  73. 435  Baker v. General Motors Corp, 522 U.S.  222, 233 f. (1998); vgl. Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1, 17. 436  Griffin v. Griffin, 327 U.S.  220 (1946); Fauntleroy v. Lum, 210 U.S.  230 (1908); vgl. Zekoll/Collins/Rutherglen, Transnational Civil Litigation, 2013, S.  618; Currie/Kay/Kramer/ Roosevelt, Conflict of Laws, 2010, S.  491. 437  Sherrer v. Sherrer, 334 U.S.  343 (1948); nach von Mehren ist die Entscheidung des Su­ preme Court in Sherrer v. Sherrer die größte Entwicklung im Recht der interstaatlichen Ur­teil­ anerkennung, vgl. von Mehren, Law in the United States, 2007, S.  240. 438  Vgl. dazu Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 2010, S.  1465 f. 439  Vgl. oben Teil  II §  2 II 1 a bb. 440  Symeonides, American Private International Law, 2008, Rn.  719.

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 279

daher keinen preclusive effect im Sinne der full faith and credit clause im Zweit­ staat entfalten. Hängt die personal jurisdiction von einer Gerichtsstandsverein­ barung ab, ist die Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung durch das Zweitge­ richt für die Anerkennung entscheidend.441 Die Derogation eines Gerichts hat als lesser limitation on jurisdiction keinen Einfluss auf das Bestehen der interstaatlichen Zuständigkeit als solcher. Die personal jurisdiction der Gerichte in einem Einzelstaat wird durch eine Derogation nicht aufgehoben. Aus diesem Grund kommt die Anerkennungsversagung durch das zweitstaatliche Gericht nur dann in Betracht, wenn diese auch durch andere Gerichte im Erststaat möglich wäre.442 Wie in Gothaer Allgemeine unter der Brüssel Ia-VO kann jedoch das zweitstaatliche Gericht auch über die Derogation ­eines anderen einzelstaatlichen Gerichts bindend entscheiden.443 Auch die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts, die venue, kann vom Beklag­ ten im Zweitstaat nicht angegriffen werden. Er hat sie vor dem angerufenen Ge­ richt geltend zu machen, wenn er erstmals dazu die Möglichkeit erhält. Dies gilt auch dann, wenn ein Versäumnisurteil ergeht. Bei rechtsvergleichender Betrachtung sticht zunächst die unterschiedliche Be­ handlung von Versäumnisurteilen hervor. Nach Art.  45 Abs.  1 lit.  b Brüssel IaVO genügt die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schrift­ stücks an den Beklagten, damit ein Urteil anerkennungsfähig ist. Die Derogation kann durch das Zweitgericht dabei nicht nachgeprüft werden.444. Im US-ameri­ kanischen Zivilprozessrecht ist hingegen das Erscheinen und tatsächliche Ver­ handeln des Beklagten für die Rechtskraft der Entscheidung über die Zuständig­ keit erforderlich.445 Weintraub führt diesen Unterschied auf die grundsätzliche Prüfung von Amts wegen der internationalen Zuständigkeit im kontinentalen Rechtskreis zurück.446 Während die Gerichte im Rahmen der Brüssel Ia-VO ihre internationale Zuständigkeit von Amts wegen feststellen können und sich gege­ benenfalls auch ohne Antrag und rechtliche Einlassung des Beklagten für unzu­ ständig erklären müssen, ist dafür im US-amerikanischen Zivilprozessrecht die Einlassung des Beklagten zwingend erforderlich.447 Auch nach Casad stellt dies einen bedeutenden Unterschied zwischen Europä­ ischem und US-amerikanischem Zivilprozessrecht dar: „It should be noted that in the American scheme, unlike that of the E.E.C. Convention, the rendering 441 

Vgl. Teil  II §  2 III 3 a bb. Teil  II §  2 III 3 b. 443  Vgl. zu Gothaer Allgemeine oben Teil  I §  6 IV. 444  Vgl. Teil  I § §  6 II. 445  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  136. 446  Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  136. 447 Vgl. Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 2010, S.  136. 442 

280

Teil  II: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im US-amerik. ZPR

court is under no obligation to inquire into the basis for its jurisdiction in perso­ nam unless the defendant raises the issue as a defense.“448 Diese Betrachtung ist insofern von Bedeutung, als der Grundsatz der Zustän­ digkeitsprüfung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel  Ia-VO bei Ge­ richtsstandsvereinbarungen gerade nicht einschlägig ist, wenn die prorogations­ widrig klagende Partei die Gerichtsstandsvereinbarung und damit die Deroga­ tion des angerufenen Gerichts nicht vorträgt und der Beklagte säumig bleibt.449 In diesem Fall kann das Gericht sich auch im Rahmen der Brüssel Ia-VO nur für unzuständig erklären, wenn der Beklagte erscheint und die Derogation des ange­ rufenen Gerichts vorträgt.450 Die Möglichkeit der zuständigkeitsrechtlichen Nachprüfung durch das Zweitgericht im US-amerikanischen Zivilprozessrecht zeigt, wie dem Beklagten auch im Fall einer Derogation die Säumnis im erstge­ richtlichen Verfahren ermöglicht wird, ohne gravierende Nachteile durch ein an­ erkennungsfähiges Urteil zu erleiden. Dies spricht für die in dieser Arbeit aufge­ stellte These, dass der Beklagte gerade im Fall eines Versäumnisurteils vor dem Zweitgericht die Möglichkeit erhalten sollte, die Gerichtsstandsvereinbarung nachprüfen zu lassen.451 Durch die full faith and credit clause ist in den USA für die Anerkennungsver­ sagung entscheidend, ob ein Urteil auch im Urteilsstaat mit einer collateral attack vor einem anderen Gericht als dem Urteilsgericht angegriffen werden kann. Dies widerspricht der Entscheidung des EuGH in Gothaer Allgemeine in diame­ traler Weise.452 Denn dort stellte der EuGH bei Entscheidungen über die internati­ onale Zuständigkeit unter Berücksichtigung einer Gerichtsstandsvereinbarung gerade nicht auf die Rechtskraftwirkung im Urteilsstaat ab, sondern auf einen allgemeinen europäischen Rechtskraftbegriff, nach dem die Feststellung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht von anderen Gerichten nachgeprüft werden darf.453 Dies führt zu der Konsequenz, dass einem Urteil in einem anderen Mitgliedstaat der EU eine größere Rechtskraftwirkung hinsicht­ lich der internationalen Zuständigkeit zukommen kann, als dies im Urteilsstaat nach dessen Rechtskraftdogmatik der Fall ist.454 Das Ergebnis in Gothaer Allgemeine wäre daher in den USA nahezu undenkbar, da über die full faith and credit clause gerade nur die Rechtskraftwirkungen eines Urteils auf den Zweitstaat er­

Casad, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 4 (1980/81), S.  1, 26. Vgl. oben Teil  I §  3 IV 3. 450  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  3 IV 3. 451  Vgl. dazu unten Teil  III §  3 II. 452  Vgl. zu Gothaer Allgemeine oben Teil  I §  6 IV. 453  Vgl. Teil  I §  5 I 5 b. 454  Vgl. oben Teil  I §  6 IV 3 a. 448  449 

§  2  Interstaatliche Urteilsanerkennung im US-amerikanischen Zivilprozessrecht 281

streckt werden, und eben kein einheitlicher, US-amerikanischer Rechtskraftbe­ griff existiert.455 Gemein ist dem Europäischen und dem US-amerikanischen Zivilprozessrecht hingegen, dass de lege lata die erstgerichtliche Entscheidung über die Wirksam­ keit einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem Prozessurteil wie auch in einem Feststellungsurteil in Rechtskraft erwachsen und vom Zweitgericht daher nicht nachgeprüft werden kann.456

455 

Vgl. dazu Teil  II §  2 II 1 b. Zum EuZPR vgl. Teil  I §  6 IV 2; zum US-amerikanischen Zivilprozessrecht vgl. Teil  II §  2 III 3 b. 456 

Teil  III

Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda In den vorangegangenen Ausführungen wurde dogmatisch, systematisch und rechtsvergleichend analysiert, ob unter der Brüssel Ia-VO die Verbesserung des Schutzes internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen durch einen Anerken­ nungsversagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen erforderlich und sinn­ voll ist. Darauf aufbauend sollen in diesem Teil die maßgeblichen Argumente der vorliegenden Arbeit für die Normierung eines Anerkennungsversagungsgrundes zusammengeführt und bewertet werden (§  1). Vor diesem Hintergrund sollen so­ dann Gegenstand (§  2) und Umfang (§  3) des zu normierenden Anerkennungs­ versagungsgrundes bei prorogationswidrigen Urteilen bestimmt werden. Schließlich wird als Ergebnis dieser Arbeit ein Vorschlag für einen zu schaffen­ den Art.  45 Abs.  1 lit.  e (iii) Brüssel Ia-VO gemacht (§  4).

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund Ein Anerkennungsversagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen würde nach hier vertretener Ansicht dem ausdrücklichen Ziel der Brüssel Ia-VO dienen, die Effektivität und den Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen zu stärken. Dadurch würden die von Gerichtsstandsvereinbarungen ausgehende zu­ ständigkeitsrechtliche Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit verbessert und so die Integration des Binnenmarkts gefördert.1 Der verbesserte Schutz internatio­ naler Gerichtsstandsvereinbarungen durch einen Anerkennungsversagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen ist deshalb erforderlich und sinnvoll.

I.  Kein abschließender Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen werden in der Brüssel Ia-VO maßgeblich durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO geschützt. Dieser erfasst jedoch nur den häufigen Fall der ausschließlichen Vereinbarung eines konkreten Gerichts für sämtliche aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entstehenden Streitigkeiten sowie re­ ziproke Gerichtsstandsvereinbarungen. Nicht erfasst werden die in der Finanz­ wirtschaft wichtigen asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen sowie die Wahl mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten.2 Auch findet Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO auf isolierte Derogationen keine Anwendung. Der Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art.  31 Abs.  2 Brüssel  IaVO gegen Klagen im forum derogatum hat damit eine bedeutende Lücke, die es zu schließen gilt.3 Der Vorschlag für ein Haager Anerkennungs- und Vollstre­ ckungsübereinkommen zeigt dabei, dass die Umgehung einer Gerichtsstandsver­ einbarung gerade in der Entscheidung durch ein derogiertes Erstgericht liegt.4 1 

Vgl. oben Teil  I §  1 III 3. Vgl. ausführlich oben Teil  I §  4 II 4 b. 3  Vgl. zu den Rechtsschutzlücken in Bezug auf Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO Teil  I §  4 V. 4  Vgl. Teil  I §  8 VI. 2 

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund

285

Diese Umgehung besteht unabhängig davon, ob die Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließlich, reziprok oder asymmetrisch zu qualifizieren ist. Maßgeblich ist die Derogation des Erstgerichts. Eine weitere Schwäche des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO bildet der Prüfungs­ umfang, der dem erstangerufenen Gericht zusteht, bevor es das Verfahren zu­ gunsten des Verfahrens im forum prorogatum auszusetzen hat. Das erstangerufe­ ne Gericht darf das Zustandekommen der Einigung und deren Formwirksamkeit prüfen.5 Zwar ist dieser Prüfungsumfang deutlich geringer als der Prüfungsum­ fang eines derogierten Gerichts nach Art.  6 HGÜ, wonach dieses die Gerichts­ standsvereinbarung vollumfänglich und hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Parteien zusätzlich noch nach seiner eigenen lex fori prüfen darf.6 Jedoch führt Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO zu einem Wettlauf zwischen den Gerichten um das Urteil. Denn das schnellere Gericht setzt sich mit seiner anerkennungsfähigen Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber dem anderen Gericht durch. Da aber Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nur einschlä­ gig ist, wenn das derogierte Gericht zuerst angerufen wird, findet zusätzlich auch noch ein Wettlauf zum Gericht statt. Denn die entgegen der Gerichtsstandsver­ einbarung im forum derogatum klagende Partei muss als erste klagen, um nicht unter das reguläre Prioritätsprinzip des Art.  29 Abs.  1 Brüssel Ia-VO zu fallen, sondern im Rahmen der Prüfung nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eine Chance auf eine positive Entscheidung über die Gerichtsstandsvereinbarung im forum derogatum und anschließend in der Sache zu erhalten.7 Selbst bei Qualifikation einer Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließlich führt die normtechnische Konzeption des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO also zu Rechtsunsicherheit sowie zu steigendem Vergleichsdruck aufgrund der Kosten, die die Gegenpartei aufgrund der Gefahr der Umgehung einer Gerichtsstandsver­ einbarung für ihre Verteidigung im forum derogatum aufwenden muss.8 Und schließlich besteht keine Sanktion für den Fall, dass das derogierte Gericht das Verfahren nicht nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO aussetzt.9 Ein Anerkennungsversagungsgrund im Fall prorogationswidriger Urteile wür­ de daher internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen einen wesentlich stärke­ ren Schutz verleihen, als dies de lege lata der Fall ist.

5 

Vgl. oben Teil  I §  4 III 3. Vgl. Teil  I §  8 III 2. 7  Vgl. oben Teil  I §  4 V 1. 8  Vgl. oben Teil  I §  4 V 1. 9  Vgl. dazu oben Teil  I §  4 V 2. 6 

286

Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

II.  Systematischer Wertungswiderspruch zwischen Litispendenz- und Anerkennungsrecht Mit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO wird das litispendenzrechtliche Prioritätsprin­ zip zugunsten ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen durchbrochen. Dadurch konfligiert die Wertung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO mit der Wer­ tung des Art.  45 Abs.  1 und 3 Brüssel Ia-VO im Anerkennungsrecht, wonach die erstgerichtliche Zuständigkeit grundsätzlich nicht nachgeprüft werden darf.10 Denn wie gezeigt basiert sowohl das litispendenzrechtliche Prioritätsprinzip als auch das Verbot der Nachprüfung der Anerkennungszuständigkeit auf dem Prin­ zip gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtssysteme.11 Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO normiert für die ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarung eine Ausnahme vom auf dem Vertrauensprinzip beruhenden Priori­ tätsprinzip. Das Anerkennungsrecht schließt hingegen in Art.  45 Abs.  1 und 3 Brüssel Ia-VO unter Verweis auf das Vertrauensprinzip den Schutz internationa­ ler Gerichtsstandsvereinbarungen durch eine zweitgerichtliche Nachprüfung aus. Das Vertrauensprinzip wird also einmal zur Begründung und einmal zur Verweigerung des Schutzes internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen heran­ gezogen. Dieser systematische Widerspruch führt zu einer dogmatischen Schief­ lage innerhalb der Brüssel Ia-VO.12 Unabhängig von der konkreten Bedeutung des Vertrauensprinzips ist es evi­ dent, dass Rechtshängigkeitsrecht und Anerkennungsrecht miteinander verwo­ ben sind. Das Rechtshängigkeitsrecht soll parallele Verfahren und dadurch dro­ hende, unvereinbare Entscheidungen vermeiden. Kommt es doch einmal zu un­ vereinbaren Urteilen, sehen insbesondere Art.  45 Abs.  1 lit.  c und d Brüssel Ia-VO Notfallbehelfe vor.13 Die Verknüpfung von Litispendenz und Anerkennung un­ terstreicht Neuhaus, wenn er von beiden als Formen der internationalen Aner­ kennung im weiteren Sinne spricht.14 Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass die spezifische Wertung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO im Anerkennungsrecht keine Entsprechung findet. Denn auch wenn man die Rechtsschutzlücken des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO so in Bezug auf EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine auch Klöpfer, GPR 2015, S.  210, 212. 11  Vgl. oben Teil  I § IV 3.. 12  Vgl. dazu bereits oben Teil  I §  4 II 1 b. 13  EuGH v. 9.12.2003, Rs. C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I-14693, Rz.  41; EuGH v. 27.6.1991 – Rs. C-351/89, Overseas Union Insurance, Slg. 1991, I-03317, Rz.  16; Jenard-Bericht, 1971, S.  13. 14  Vgl. oben Teil  I §  5 I 1. 10  Ausdrücklich

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund

287

außer Acht lässt, ergibt sich immer noch keine befriedigende Absicherung inter­ nationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im Anerkennungsrecht der Brüssel IaVO. Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO kann parallele Verfahren nicht immer verhindern.15 Ist dessen Hürde einmal genommen, schützt das Anerkennungs­ recht ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen geschweige denn nicht-aus­ schließliche Gerichtsstandsvereinbarungen überhaupt nicht mehr. Zum Verhältnis von Litispendenz und Anerkennung führte der EuGH in Weber aber aus, dass eine Ausnahme vom rechtshängigkeitsrechtlichen Prioritätsprinzip ausnahmsweise möglich ist, wenn das Urteil des erstangerufenen Gerichts keine Aussicht auf Anerkennung im zweitangerufenen Mitgliedstaat hat.16 Daher ließ der EuGH in Weber eine ausnahmsweise Durchbrechung des litispendenzrechtli­ chen Prioritätsprinzips zugunsten einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art.  16 EuGVÜ, der Vorgängernorm des Art.  24 Brüssel Ia-VO, zu. Denn eine gegen Art.  16 EuGVÜ bzw. Art.  24 Brüssel  Ia-VO verstoßende Entscheidung hätte ohnehin nicht anerkannt werden können, sodass die Rechtshängigkeitssper­ re nach Auffassung des EuGH hier keinen Sinn ergab.17 Die Entscheidung des EuGH in Weber verdeutlicht, dass die Wertungen des Litispendenzrechts die Wertungen des Anerkennungsrechts nachvollziehen und ergänzen. Vor diesem Hintergrund ist nicht plausibel, warum der Gesetzgeber in Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen zwar von der Prioritätsregel des Rechtshängigkeitsrechts ausnimmt, damit je­ doch gerade nicht eine entsprechende Wertung des Anerkennungsrechts nach­ vollzieht, sondern die Wertungen des Anerkennungs- und Rechtshängigkeits­ rechts voneinander entkoppelt. Im Grunde hätte Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO nach der Weber zugrunde liegenden Systematik erst auf einen Anerkennungsver­ sagungsgrund bei prorogationswidrigen Urteilen folgen dürfen. Aus rechtsdogmatischer Sicht kann zudem Art.  25 Brüssel Ia-VO, unabhängig von dem anwendbaren IPR, den skurrilen Fall auslösen, dass das Erstgericht seine Derogation nach dem Recht des Zweitgerichts prüft und für unwirksam hält. Bedenkt man nun, dass der EuGH das Verbot der Nachprüfung der erstge­ richtlichen Zuständigkeit durch das Zweitgericht im Rahmen der Anerkennung maßgeblich damit begründet, dass kein Gericht die Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO besser anwenden kann als ein anderes Gericht,18 so ergibt sich hier ein weiterer Widerspruch. Denn es wäre absurd anzunehmen, dass ein deut­ sches Gericht italienisches Recht besser anwenden könnte als die italienischen 15 

Vgl. oben Teil  I §  4 V 1. EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, Weber, Rz.  55–85; auf diesen Umstand verweisend auch Wilke, JPIL 2015, S.  128, 131. 17  EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, Weber, Rz.  55–85. 18  Vgl. oben Teil  I §  4 I 1. 16 

288

Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

Gerichte. Die Versagung der Anerkennung des deutschen Urteils wegen Unzu­ ständigkeit wäre in diesem Fall zumindest nicht mit dem Verweis auf die Gleich­ wertigkeit der Zuständigkeitsprüfung plausibel. Art.  25 Brüssel  Ia-VO erweist sich hier insofern als zuständigkeitsrechtlicher Exot, als er eben nicht vollverein­ heitlicht wurde und damit immer noch den Einflüssen des jeweils anwendbaren autonomen Rechts unterliegt. Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH und die Systematik der Brüs­ sel Ia-VO hätte Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eigentlich erst auf einen Anerken­ nungsversagungsgrund folgen dürfen. In jedem Fall spricht die Systematik der Brüssel  Ia-VO dafür, die Wertung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO auch in Art.  45 Brüssel  Ia-VO mit einem Anerkennungsversagungsgrund bei proroga­ tions­widrigen Urteilen nachzuvollziehen.

III.  Unzureichender Beklagtenschutz bei Versäumnisurteilen Ein grundsätzliches Problem in Bezug auf internationale Gerichtsstandsverein­ barungen ergibt sich mit Blick auf Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO. Nach diesem muss zwar auch bei Säumnis des Beklagten das derogierte Gericht sich für unzu­ ständig erklären. Jedoch sind Gerichtsstandsvereinbarungen, anders als die übri­ gen internationalen Zuständigkeiten, für das jeweils angerufene Gericht nicht ohne weiteres erkennbar. Als parteiautonome Vereinbarung gibt es nicht notwen­ digerweise einen objektiven Hinweis auf eine Derogation, dem das Gericht nach­ gehen könnte, anders als dies etwa beim Wohnsitz, den jede Partei haben muss, der Fall ist. Das Gericht ist vielmehr ausschließlich auf den Parteivortrag ange­ wiesen.19 Dadurch besteht aber eine für den Beklagten noch über die gewöhnliche Ein­ lassungspflicht der Brüssel Ia-VO hinausgehende Gerichtspflichtigkeit im forum derogatum. Diese nimmt im Ergebnis der prorogationswidrig verklagten Partei die in Art.  28 Abs.  1 Brüssel  Ia-VO vorgesehene Möglichkeit der Säumnis.20 Denn weil auch Urteile eines derogierten Gerichts Urteilsfreizügigkeit genießen, muss der Beklagte sich zumindest zur Zuständigkeit einlassen, will er nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anerkennungsfähiges, prorogationswidriges Ver­ säumnisurteil kassieren. Zwar besteht unter der Brüssel Ia-VO keine Kompetenz-Kompetenz, sodass jedes Gericht seine Zuständigkeit prüfen und damit auch über die Wirksamkeit sowie den Umfang einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung entschei­ 19  20 

Vgl. oben Teil  I §  3 IV 3. Vgl. dazu oben Teil  I §  3 IV 3 und 4.

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund

289

den darf. Jedoch widerspricht es den ökonomischen Interessen der Parteien, wenn trotz etwa einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung der Beklagte sich im forum derogatum in Bezug auf die Zuständigkeit verteidigen muss. Diese Gefahr ist umso realer, als selbst bei Kenntnis von einer ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarung das derogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für formunwirksam im Rahmen der Prüfung nach Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und sich daher für objektiv zuständig halten kann.21 Zusätzliche Brisanz erhält die erweiterte Gerichtspflichtigkeit des Beklagten bei einem Verfahren im forum derogatum dadurch, dass die Zuständigkeitsprü­ fung von Amts wegen nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO das Recht des Beklag­ ten auf rechtliches Gehör sichert.22 Der Schutz des Beklagten bei der Zuständig­ keitsprüfung durch das Erstgericht wird vom Jenard-Bericht ausdrücklich zur Rechtfertigung des Verbots der Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit durch das Zweitgericht herangezogen.23 Im Schlosser-Bericht wird sodann in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen konkretisiert, dass der Schutz über die Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen auch bei Versäumnisurteilen ausrei­ chend sei und die Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit im Anerken­ nungsstaat daher ausgeschlossen sei.24 Der Beklagtenschutz auch im Fall der Säumnis rechtfertigt folglich das libera­ le Anerkennungsrecht und insbesondere den Verzicht der Nachprüfung der erst­ gerichtlichen Zuständigkeit durch das Zweitgericht unter der Brüssel  Ia-VO. Genau dieser Schutz des säumigen Beklagten ist aber bei Derogationen nicht gewährleistet. Denn bleibt der Beklagte säumig, hängt die Zuständigkeitsprü­ fung des Erstgerichts davon ab, dass der Kläger die Derogation des von ihm an­ gerufenen Gerichts vorträgt. Dies ist jedoch unwahrscheinlich.25 Der Beklagte begibt sich daher bei Säumnis im forum derogatum in die Hände des Klägers. Der unzureichende Schutz des säumigen Beklagten nach Art.  28 Brüssel Ia-VO kann damit im Fall der Derogation des Erstgerichts gerade nicht zur Begründung des Ausschlusses der Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit durch das Zweitgericht herangezogen werden. Rechtsvergleichend zeigt der Vorschlag für ein Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen aus dem April 2016, dass dem im erstgerichtli­ chen Verfahren säumigen Beklagten in jedem Fall die Möglichkeit gegeben wer­ den muss, sich auch noch vor dem Zweitgericht auf die Derogation des Erstge­ 21 

Vgl. dazu Teil  I §  4 III 3. Vgl. oben Teil  I §  3 IV 1. 23  Jenard-Bericht, 1971, S.  46; vgl. dazu ausführlich oben Teil  I §  3 IV 1. 24  Schlosser-Bericht, 1978, Rn.  188. 25  Vgl. zu Fällen aus der Rechtsprechung oben Teil  I §  3 IV 2. 22 

290

Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

richts zu berufen.26 Die Vorschläge aus dem Februar 2017 und dem Mai 2018 sehen diese Möglichkeit sogar auch dann vor, wenn der Beklagte im erstgericht­ lichen Verfahren nicht säumig war.27 Das US-amerikanische Zivilprozessrecht mit seiner aus der due process clause fließenden Fokussierung auf den Beklag­ tenschutz geht sogar so weit, dass selbst im Verhältnis zwischen den Einzelstaa­ ten der USA Zuständigkeitsentscheidungen bei Säumnis des Beklagten nicht in Rechtskraft erwachsen und vom Zweitgericht daher vollumfänglich nachgeprüft werden können.28 Ein Anerkennungsversagungsgrund würde mit der Nachprüfung der erstge­ richtlichen Zuständigkeit durch das Zweitgericht zumindest sicherstellen, dass wenigstens einmal die Derogation des Erstgerichts geprüft wird. Es würde damit der Wertung des Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO zu Geltung verholfen werden, wo­ nach niemand durch seine Säumnis einen zuständigkeitsrechtlichen Nachteil er­ leiden sollte.29 Und es würde auch mit dem Grundsatz des Art.  45 Abs.  3 S.  1 Brüssel Ia-VO übereinstimmen, dass eine einmalige Prüfung der Zuständigkeit für die Urteilsfreizügigkeit ausreichend ist. Denn im Fall von Versäumnisurteilen ist zu ergänzen, dass eine einmalige Prüfung aber eben auch für den Beklagten­ schutz nach Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO nicht nur ausreichend, sondern erfor­ derlich ist.

IV.  Rechtlosstellung des Klägers bei Vereinbarung drittstaatlicher Gerichte Die Anerkennungsfähigkeit von Prozessurteilen, in denen die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt wird, führt zu der Gefahr der Rechtlosstellung des Beklagten, wenn die Derogationswirkung der Vereinbarung drittstaatlicher Gerichte Art.  25 Brüssel Ia-VO entnommen wird.30 Erklärt sich ein mitgliedsstaatliches Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsver­ einbarung zu einem drittstaatlichen Gericht für derogiert, so sind sämtliche mit­ gliedstaatlichen Gerichte an die Entscheidung des Erstgerichts über die Wirk­ samkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und damit über ihre eigene Derogation gebunden. Sämtlichen Gerichten der EU ist damit die Zuständigkeit entzogen.31 26 

Teil  I §  8 VI. Teil  I §  8 VI. 28  Teil  II §  2 III 3 a. 29 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2016, Art.  28 Rn.  1–3. 30  Vgl. dazu oben Teil  I §  2 I. 31  Vgl. Teil  I §  6 IV 3 d. 27 

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund

291

Es hängt vom gewählten drittstaatlichen Gericht ab, ob es hier zu einem negati­ ven Kompetenzkonflikt kommt. Einen Ausweg bietet für den Fall, dass das mitgliedstaatliche Erstgericht sich fälschlicherweise für derogiert erklärt hat, ein Anerkennungsversagungsgrund im Fall prorogationswidriger Urteile. Das Zweitgericht könnte dann unabhängig von der Entscheidung des Erstgerichts die Derogation selbständig prüfen und über seine eigene Zuständigkeit entscheiden. Bei einer fehlerhaften Entziehung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit würde daher dem Kläger ein Gerichtsstand innerhalb der EU bleiben.

V.  Vergleich mit den ausschließlichen Gerichtsständen In der Literatur wird zum Teil ein Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen unter Verweis auf die Absiche­ rung der ausschließlichen internationalen Gerichtsstände nach Art.  24 Brüssel IaVO gefordert.32 Dem wird entgegengehalten, dass der maßgebliche Unterschied zwischen den ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art.  24 und 25 Brüssel IaVO in der Dispositionsmöglichkeit der Parteien liege.33 Dies rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung im Anerkennungsrecht. Während Art.  24 Brüssel Ia-VO staatlichen Souveränitätsinteressen Rechnung trägt, gründet Art.  25 Brüssel Ia-VO auf der Parteiautonomie. Selbst zusammen­ wirkend können die Parteien eine Zuständigkeit nach Art.  24 Brüssel  Ia-VO nicht abbedingen, während dies bei Art.  25 Brüssel Ia-VO ohne Frage möglich ist. Insofern ist für eine Beurteilung der Vergleichbarkeit von Art.  25 und Art.  24 Brüssel Ia-VO eine systematische Betrachtung maßgeblich. Betont man das Verhältnis zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten, regeln sowohl Art.  24 als auch Art.  25 Brüssel Ia-VO eine gleichermaßen ausschließli­ che Zuständigkeit.34 Denn kein anderes Gericht außer dem ausschließlich zu­ ständigen darf in der Sache entscheiden, zumindest solange eine Partei auf die Gerichtsstandsvereinbarung besteht. Die Zuständigkeitszuweisung erfolgt in beiden Fällen an ein bestimmtes Gericht, auch wenn ihre Anknüpfungspunkte – einmal an den Parteiwillen nach Art.  25 Brüssel Ia-VO, einmal an die Bedeutung der involvierten staatlichen Interessen nach Art.  24 Brüssel Ia-VO – variieren. Betont man hingegen die absolute, der Verfügungsbefugnis der Parteien entzo­ gene gesetzliche Festlegung auf einen bestimmten Gerichtsstand, der immer und 32 

Vgl. oben Teil  I §  7 I 2 b. Vgl. oben Teil  I §  7 I 1 b. 34  Freilich kann eine Gerichtsstandsvereinbarung auch nicht-ausschließlich sein. 33 

292

Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

unverbrüchlich zu gelten hat, dann scheinen Art.  24 und Art.  25 Brüssel Ia-VO vollkommen unterschiedliche Gerichtsstände zu regeln. Denn aus Sicht des Brüssel-Regimes ist den Parteien die Zuständigkeitsbestimmung zwar grund­ sätzlich im Sinne der Parteiautonomie gestattet. Jedoch ist dies erstens nur im Rahmen des Art.  25 Abs.  4 Brüssel Ia-VO der Fall, sodass die ausschließlichen Gerichtsstände nach Art.  24 Brüssel Ia-VO nicht derogiert werden können.35 Und zweitens ist es aus Sicht des Gesetzgebers vollkommen gleichgültig, wel­ chen Gerichtsstand die Parteien innerhalb der EU ausschließlich vereinbaren. Ein systemisches Interesse bei Gerichtsstandsvereinbarungen an einem bestimm­ ten Gerichtsstand besteht gerade nicht. Die Brüssel Ia-VO gibt den Parteien den zu wählenden Gerichtsstand nicht vor. In beiden Punkten unterscheiden sich Art.  24 und Art.  25 Brüssel Ia-VO diametral voneinander, was deren unterschied­ lichen Schutz durch einen Anerkennungsversagungsgrund zu rechtfertigen scheint.36 Jedoch würde eine solche Sicht die Bedeutung verkennen, die der Gesetzgeber in der Brüssel Ia-VO der Parteiautonomie zuweist. Maßgebliches Ziel der Brüs­ sel  Ia-VO ist gerade der Schutz und die Stärkung parteiautonomer Zuständig­ keitsgestaltung. Art.  25 Abs.  1 S.  2 Brüssel Ia-VO normiert hierfür eine Vermu­ tung zugunsten der Ausschließlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung. Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO macht zugunsten ausschließlicher Gerichtsstandsvereinba­ rungen eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel.37 Auch wenn der Gesetzgeber damit systematisch immer noch die beschriebenen Unter­ schiede zwischen den ausschließlichen internationalen Gerichtsständen nach Art.  24 und Art.  25 Brüssel Ia-VO beibehält, entzieht er dennoch beide Arten von Gerichtsständen der einseitigen Umgehung durch eine der Parteien. So wie Art.  31 Abs.  1 Brüssel Ia-VO ausnahmsweise zwei ausschließliche Gerichtsstän­ de nach Art.  24 Brüssel Ia-VO zulässt, aber dadurch das überragende systemi­ sche Interesse an deren Einhaltung nicht relativiert,38 so ergibt sich aus Art.  25 Abs.  1 S.  2 und Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eine klare systematische Wertung zum Schutz des ausschließlich vereinbarten internationalen Gerichtsstands. Da­ von bilden die Möglichkeiten der rügelosen Einlassung einer Partei und der Auf­ hebung der Gerichtsstandsvereinbarung durch beide Parteien lediglich Ausnah­ men. Besteht aber eine der Parteien auf die vereinbarte ausschließliche Zustän­ digkeit, sieht die Brüssel  Ia-VO diese Zuständigkeit als ausschließlich und schützenswert an. 35  Vgl. dazu Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42; auch schon Teil  I §  7 I 1 d. 36  Vgl. nur Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008, Rn.  9.42. 37  Vgl. oben Teil  I §  4 II. 38  Vgl. dazu Teil  I §  3 II 3 a bb.

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund

293

Daher ist mit M. Weller zu konstatieren, dass ausschließliche Gerichtsstands­ vereinbarungen eine den ausschließlichen Zuständigkeiten des Art.  24 Brüs­ sel Ia-VO angeglichene systematische Stellung innehaben, die ebenfalls, wie die Zuständigkeiten nach Art.  24 Brüssel  Ia-VO, durch einen Anerkennungsversa­ gungsgrund zu schützen ist.39

VI.  Vergleich mit den Schutzgerichtsständen Ohne Frage sind Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Versicherungsnehmerschutz, denen Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO dient, als gewichtige Grundsätze der Brüssel Ia-VO hoch zu bewerten und umfassend zu gewährleisten. Dies schließt es aber, anders als teilweise behauptet, keineswegs aus, die ebenfalls als gewich­ tig einzustufenden Interessen der Parteien an Effektivität und Rechtsicherheit von Gerichtsstandsvereinbarungen ebenfalls zu schützen. Vielmehr zeigt gerade Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel Ia-VO, dass die Urteilsfreizügigkeit durchaus ein­ geschränkt werden kann, wenn dies rechtspolitisch sinnvoll ist. Die Argumentation, nach der Gerichtsstandsvereinbarungen nicht mit den In­ teressen der typischerweise schwächeren Parteien zu vergleichen seien,40 ver­ kennt zunächst den wirtschaftlichen Wert internationaler Gerichtsstandsverein­ barungen. Gerichtsstandsvereinbarungen kommen in Verhandlungen zustande und müssen als Teil des gesamten Vertrags auch in dessen wirtschaftlichem Kon­ text verstanden werden. Sie haben deshalb einen wirtschaftlichen Wert.41 Ins­ besondere kann eine Partei einer Gerichtsstandsvereinbarung einen höheren Wert als die Gegenpartei zuschreiben und zu Konzessionen an anderer Stelle bereit sein.42 Aus ökonomischer Sicht kann daher sehr wohl ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse an der Einhaltung einer Gerichtsstandsvereinba­ rung und an der Versagung der Anerkennung abredewidriger Urteile bestehen. Zudem stellen Gerichtsstandsvereinbarungen als Ausfluss der Parteiautono­ mie einen Vertrag dar. An der Einhaltung dieser Vereinbarung besteht aber natur­ gemäß ein legitimes Interesse. Auch Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf die internationale Zuständigkeit sprechen als konstitutive Grundprin­ zipien des Europäischen Zivilprozessrechts dafür, dass Gerichtsstandsvereinba­ rungen von der Brüssel Ia-VO geschützt werden.43 M. Weller, ZZPInt 19 (2014), S.  251, 277, Fn.  97. Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstre­ ckungsrecht 2015, Art.  45 Rn.  64; dazu bereits Teil  I §  7 I 1 c. 41  Vgl. oben Teil  I §  1 III 1 c. 42  Vgl. oben Teil  I §  1 III 1 c. 43  Vgl. nur Erwgr. Nr.  15 Brüssel Ia-VO. 39 

40 Vgl.

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Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

VII.  Stärkung des Binnenmarkts Das entscheidende Argument in der Literatur gegen die Einführung eines Aner­ kennungsversagungsgrundes bei prorogationswidrigen Urteilen zum Schutze ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen ist darin zu sehen, dass ein sol­ cher eine Einschränkung der beiden für die Brüssel Ia-VO zentralen Prinzipien der Urteilsfreizügigkeit und des gegenseitigen Vertrauens darstellen würde.44 Vertrauensprinzip und Urteilsfreizügigkeit kommt jedoch bei historischer Be­ trachtung eine dem Binnenmarkt dienende Funktion zu.45 Seit seiner Entstehung 1968 dient das Brüssel-Regime dem effektiven Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und damit der Integrität des Binnenmarkts.46 Vor diesem Hinter­ grund ist nicht zwingend, die Einführung eines Anerkennungsversagungsgrun­ des unter Verweis auf Urteilsfreizügigkeit und Vertrauensprinzip auszuschließen. Die entscheidende Frage muss vielmehr lauten, ob ein Anerkennungsversa­ gungsgrund dem Zweck der Brüssel Ia-VO, nämlich den Binnenmarkt durch ein vereinheitlichtes Verfahrensrecht in Zivil- und Handelssachen zu stärken,47 die­ nen würde. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies der Fall. Gerichts­ standsvereinbarungen bilden in der Praxis das zentrale Instrument zur Schaffung von zuständigkeitsrechtlicher Rechtssicherheit. Sie bieten Unternehmen ein si­ cheres Umfeld für grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit in der Europäischen Union und tragen so zur ökonomischen Konstituierung des Binnenmarkts we­ sentlich bei.48 Wie Urteilsfreizügigkeit und Vertrauensprinzip dienen folglich auch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen der Integration des Binnen­ markts. Damit kommt es auf eine Abwägung an. Auf der einen Seite ist der vermeint­ liche Schaden für den Binnenmarkt, den eine Einschränkung der Urteilsfreizü­ gigkeit und des Vertrauensprinzips durch die Normierung eines Anerkennungs­ versagungsgrundes bei prorogationswidrigen Urteilen bedeuten würde, zu be­ rücksichtigen. Auf der anderen Seite steht die Stärkung des Binnenmarkts, die ein solcher Anerkennungsversagungsgrund über die erhöhte Rechtssicherheit bei Gerichtsstandsvereinbarungen bewirken würde. Bei dieser Abwägung kommt es maßgeblich auf die Perzeption der Marktakteure an. Denn diese sollen letztlich

44 

Teil  I §  7 I 1 a. Teil  I §  5 III 3 a und b. 46  Teil  I §  5 III 3 a bb. 47  Vgl. Erwgr. Nr.  3 und 4 Brüssel Ia-VO. 48  Zur praktischen Bedeutung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen in der EU vgl. Teil  I §  1 II 1. 45 

§  1  Argumente für einen Anerkennungsversagungsgrund

295

dazu inzentiviert werden, grenzübergreifend aktiv zu werden und damit den Bin­ nenmarkt zu stärken.49 Betrachtet man die Einlassungen der Marktakteure, die insbesondere in Ant­ wort auf das Grünbuch der Kommission in Vorbereitung der Brüssel Ia-VO er­ folgten,50 ist die Antwort eindeutig. Obwohl das Grünbuch die Frage nach einem Anerkennungsversagungsgrund zum Schutz internationaler Gerichtsstandsver­ einbarungen gar nicht stellte, forderten einige der befragten Binnenmarktakteure einen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutze ausschließlicher Gerichts­ standsvereinbarungen.51 Dieser Anerkennungsversagungsgrund sollte nach Auf­ fassung der Befragten den von dem geplanten Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO vorgese­henen Schutz ergänzen, um jeglichen Anreiz zu prorogationswidrigen Klagen auszuschließen.52 Rechtssicherheit in Bezug auf internationale Gerichts­ standsvereinbarungen wurde hier also mit Blick auf den Binnenmarkt von den Marktakteuren für wichtiger gehalten als die uneingeschränkte Freizügigkeit prorogationswidriger Urteile. Verdeutlicht wird dieser Zusammenhang von Rechtssicherheit und der Inte­ gration des Binnenmarkts gerade auch in Bezug auf die Anerkennungsversa­ gungsgründe durch das Zusammenspiel von Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel IaVO mit Art.  15 Nr.  5 und 16 Brüssel Ia-VO. Diese lassen die zweitgerichtliche Nachprüfung der Prorogationswidrigkeit von Urteilen zu, die Versicherungsver­ träge über Schäden an Seeschiffen und Luftfahrzeugen zum Gegenstand haben. Bei Versicherungsverträgen über Schäden an Seeschiffen und Luftfahrzeugen, bei denen es traditionell in besonderem Maße auf das wirtschaftliche Interesse der Vertragsparteien ankommt,53 wurde also ein Anerkennungsversagungs­ grund gerade nicht als ökonomische Entwertung der Urteilsfreizügigkeit oder des gegenseitigen Vertrauens, sondern als Stärkung der Rechtssicherheit und da­ mit der ökonomischen Effizienz der Brüssel Ia-VO bewertet.54 Allein aus ökono­ mischen Aspekten und unter Verweis auf Vertrauensprinzip und Urteilsfreizügig­ keit kann ein Anerkennungsversagungsgrund damit nicht abgelehnt werden. Im Ergebnis kann daher die These aufgestellt werden, dass der Binnenmarkt von einem zusätzlichen Anerkennungsversagungsgrund zum Schutze internatio­ naler Gerichtsstandsvereinbarungen profitieren würde. Die Einschränkung der dem Binnenmarkt dienenden Grundsätze der Urteilsfreizügigkeit und des gegen­ 49 

Vgl. zur Funktion der Brüssel Ia-VO oben Teil  I §  5 III 3 a bb. KOM (2009) 175 endg. 51  Vgl. ausführlich Teil  I §  7 II. 52  Teil  I §  7 II. 53  Zu den wirtschaftlichen Interessen der Parteien von Versicherungsverträgen vgl. XXX 54 Vgl. dazu Geimer/Schütze/Paulus, Internationaler Rechtsverkehr, 2016, B Vor. I 7, Art.  16 Rn.  1 f.; s.  a. Teil  I §  5 III 3 a bb. 50 

296

Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

seitigen Vertrauens würde durch die vermehrte Rechtssicherheit der Marktakteu­ re in Bezug auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen aufgewogen. Durch die zunehmende Rechtssicherheit würde den Marktakteuren ein zuständigkeits­ rechtlich sichereres Umfeld für grenzüberschreitende Geschäfte geboten. Die Parteien können sich sicher sein, dass ihre Gerichtsstandsvereinbarung auch tat­ sächlich eingehalten wird. Dadurch würde das Prozessrisikomanagement er­ leichtert und das Transaktionskostenrisiko gesenkt.55 Die ökonomische Effizi­ enz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen würde folglich durch einen Anerkennungsversagungsgrund verbessert werden. Eine Einschränkung der Urteilsfreizügigkeit in Bezug auf prorogationswidri­ ge Urteile durch einen zu schaffenden Anerkennungsversagungsgrund würde, wie gezeigt, gerade der Stärkung des Binnenmarkts dienen. So wird der dialekti­ schen Gefahr vorgebeugt, dass ein zum Dogma erstarrtes Prinzip der Urteilsfrei­ zügigkeit genau das verhindert, was es eigentlich bewirken soll, nämlich Anreize zu grenzüberschreitendem Handel in Europa zu schaffen und dadurch den Bin­ nenmarkt der Europäischen Union zu stärken.

VIII.  Zwischenergebnis Die vorangegangen Argumenten zeigen deutlich, dass die Verbesserung des Schutzes internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen unter der Brüssel Ia-VO durch einen Anerkennungsversagungsgrund erforderlich und sinnvoll ist. Vor diesem Hintergrund soll zunächst der Gegenstand der mit einem solchen Aner­ kennungsversagungsgrund einhergehenden Nachprüfung der erstgerichtlichen Zuständigkeit analysiert werden.

55 

Vgl. dazu Teil  I §  1 II 1 b und c.

§  2  Gegenstand der Nachprüfung Mit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO hat sich der europäische Gesetzgeber für den verbesserten Schutz ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen im Rechts­ hängigkeitsrecht entschieden. Jedoch ist auch ein verbesserter Schutz nicht-aus­ schließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen erforderlich.56 Die Derogationswir­ kung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen sollte unabhängig von der Ausschließlichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung durch einen Anerkennungs­ versagungsgrund geschützt werden. Die Prorogationswirkung einer Gerichts­ standsvereinbarung sollte das Zweitgericht hingegen nicht nachprüfen können.

I.  Nachprüfung der Derogation des Erstgerichts Wie diese Arbeit gezeigt hat, besteht ein deutliches Interesse an der Einhaltung auch nicht-ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen, wenn diese eine De­ rogation enthalten. Sowohl aus gesamteuropäischer Perspektive als auch aus Sicht der Parteien bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung ist es elementar, dass vor einem spezifisch abgewählten Gericht nicht geklagt und womöglich sogar in der Sache ein Urteil errungen werden kann. Dieses Interesse besteht unabhängig von der Qualifikation der Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließ­ lich oder nicht-ausschließlich. Es betrifft die Derogationswirkung als solche.57 Die Brüssel Ia-VO erfasst aber mit Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO nur die Dero­ gation im Rahmen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung. Sie lässt dabei unberücksichtigt, dass Derogationen auch aufgrund nicht-ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen vorkommen.58 Hier hat die vorliegende Arbeit gezeigt, dass ein zusätzlicher Schutz über einen Anerkennungsversagungsgrund Abhilfe schaffen kann. Als Vorbild kann Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags für ein Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen vom Februar 2017 dienen.59 Nach diesem ist ein Anerkennungsversagungsgrund gegeben, wenn 56 

Vgl. dazu oben Teil  I §  4 II 5. Vgl. oben Teil  I §  4 II 5. 58  Vgl. oben Teil  I §  4 II 4. 59  Zum sogenannten Judgments Project vgl. oben Teil  I §  8 VI. 57 

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Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung ein anderes als das Erstgericht über den Rechtsstreit hätte entscheiden müssen, also ein derogiertes Gericht entschie­ den hat.60

II.  Keine Nachprüfung der Prorogation des Erstgerichts Anders als die Derogation des Erstgerichts sollte das Zweitgericht die Proroga­ tion des Erstgerichts nicht im Rahmen eines Anerkennungsversagungsgrunds nachprüfen dürfen. Die Nachprüfung der Derogationswirkung einer Gerichts­ standsvereinbarung ist von der Nachprüfung der Prorogationswirkung zu unter­ schieden. Aus systematischer Sicht enthält zumindest für ausschließliche Ge­ richtsstandsvereinbarungen Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eine deutliche Wertung zugunsten des forum prorogatum. Nach der Systematik des Rechtshängigkeits­ rechts soll das gewählte Gericht über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsverein­ barung entscheiden.61 Diese Wertung würde aber gerade durch eine zweitgericht­ liche Nachprüfung konterkariert, wenn bei schwierigen Konstellationen, in de­ nen die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung eine Auslegungsfrage ist und somit mehrere Auffassungen vertretbar sind, das Zweitgericht bei der Prü­ fung der Prorogationswirkung sich stets durchsetzen würde. Hier sollte sich ent­ sprechend der Wertung des Art.  31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO gerade das forum proroga­tum durchsetzen. Zudem hat die Analyse der involvierten Interessen deutlich gezeigt, dass es den Parteien maßgeblich auf den Schutz der Deroga­ tions­wirkung ihrer Gerichtsstandsvereinbarung ankommt. Für dieses Ergebnis spricht auch die Wertung des Art.  9 lit.  a letzter Halbsatz HGÜ, der die Nachprüfung der Prorogation des Erstgerichts dann ausschließt, wenn das Erstgericht über diese entschieden hat.62 Da das Erstgericht aber in der Regel über die Gerichtsstandsvereinbarung entscheidet, wird faktisch die Nachprüfung der Prorogation ausgeschlossen. Dasselbe gilt auch für das US-amerikanische Zivilprozessrecht. Verhandeln die Parteien zur Zuständigkeit vor dem Erstgericht, erwächst die Entscheidung über die Gerichtsstandsverein­ barung in Rechtskraft. Nur bei Versäumnisurteilen ist dies nicht der Fall.63 Gera­ de bei Versäumnisurteilen prorogierter Gerichte gewährleistet im EuZPR aber Art.  28 Abs.  1 Brüssel Ia-VO, dass das Erstgericht die Prorogationswirkung der Gerichtsstandsvereinbarung prüft.64 Probleme bestehen hier vielmehr bei der Be­ 60 

Vgl. oben Teil  I §  8 VI. Vgl. oben Teil  I §  3 I 3. 62  Teil  I §  8 V 3 a. 63  Vgl. Teil  II §  2 III 3 a bb. 64  Vgl. dazu Teil  I §  3 IV 2. 61 

§  2  Gegenstand der Nachprüfung

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klagtensäumnis im forum derogatum. Die Prorogationswirkung einer Gerichts­ standsvereinbarung wird in jedem Fall geprüft, sodass eine Schutzlücke nicht besteht.

III.  Zwischenergebnis Im Ergebnis ist es daher überzeugend, die Derogationswirkung einer Gerichts­ standsvereinbarung nach Art.  25 Brüssel Ia-VO durch einen Anerkennungsversa­ gungsgrund zu schützen. Es sollte nicht zwischen ausschließlichen und nicht-aus­ schließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen unterschieden werden. Das Zweit­ gericht sollte prüfen dürfen, ob das Erstgericht nach Art.  25 Brüssel Ia-VO von den Parteien derogiert wurde. Ist dies der Fall, so sollte das Zweitgericht dem Urteil des derogierten Erstgerichts die Anerkennung und Vollstreckung versagen dürfen. Die Prorogation des Erstgerichts sollte demgegenüber nicht nachgeprüft werden. Ein so ausgestalteter Anerkennungsversagungsgrund wäre ein echter Schutz gegen Urteile und Klagen im forum derogatum.65

65  Vgl. zum „Schutz gegen Klagen im forum derogatum“ E. Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2014; s.  a. oben Teil  I §  4 II 5.

§  3  Umfang der Nachprüfung Vom Gegenstand der zweitgerichtlichen Nachprüfung im Rahmen des zu schaf­ fenden Anerkennungsversagungsgrundes ist der Umfang der dem Zweitgericht möglichen inhaltlichen Nachprüfung zu unterscheiden. Hinsichtlich des Um­ fangs der zweitgerichtlichen Nachprüfung können dabei drei verschiedene As­ pekte differenziert werden. Erstens ist zu bestimmen, in welchem Umfang das Zweitgericht Zulässigkeit, Wirksamkeit, Wirkungen und Inhalt der in Rede ste­ henden Gerichtsstandsvereinbarung nachprüfen darf. Zweitens ist zu erörtern, welcher Prüfungsumfang dem Zweitgericht zusteht, wenn das Erstgericht bereits über die Gerichtsstandsvereinbarung entschieden hat. Und drittens ist zu klären, inwiefern das Zweitgericht an die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen ge­ bunden ist.

I.  Umfang der inhaltlichen Nachprüfung Zunächst ist der Umfang der inhaltlichen Nachprüfung des Zweitgerichts von Bedeutung. Von ihm hängt ab, welche Aspekte einer internationalen Gerichts­ standsvereinbarung das Zweitgericht nachprüfen darf. Im Folgenden sollen dazu verschiedene denkbare Ansätze entwickelt und bewertet werden. Denkbar wäre zunächst, dem Zweitgericht nur die Nachprüfung des Vorlie­ gens der Einigung und der Formwirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zuzugestehen und ansonsten der erstgerichtlichen Prüfung den Vorrang zu ge­ währen. Dafür spricht systematisch, dass auch Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO eine solche Regelung für das forum derogatum vorsieht.66 Jedoch kann diese Lösung nicht überzeugen. Zum einen sind Vorliegen und Formwirksamkeit nach Art.  25 Brüssel Ia-VO gerade vereinheitlicht, sodass mit dem Vertrauensprinzip gerade auf die richtige Prüfung dieser Aspekte vertraut werden kann.67 Zum anderen sieht Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO die Prüfung des Vorliegens und der Formwirksamkeit nur deswegen vor, um umgekehrte Tor­ 66  67 

Vgl. dazu oben Teil  I §  4 III. Zur Kritik am Vertrauensprinzip vgl. oben Teil  I §  5 III 3 b cc.

§  3  Umfang der Nachprüfung

301

pedos zu verhindern. Durch den zu schaffenden Anerkennungsversagungsgrund würde jedoch die Gefahr von Torpedoklagen im Anerkennungs- und Vollstre­ ckungsstadium nicht steigen. Denn Torpedoklagen machen sich gerade den Zeit­ raum bis zur Entscheidung des Torpedogerichts und die währenddessen geltende Rechtshängigkeitssperre zunutze.68 Eine weitere Verzögerung der Urteilsaner­ kennung durch Geltendmachung eines Anerkennungsversagungsgrundes ist aber nicht zu befürchten, weil der Urteilschuldner sich bereits nach geltendem Recht auf Anerkennungsversagungsgründe berufen kann. Damit sind bereits nach gel­ tendem Recht Verzögerungen möglich, indem der Urteilsschuldner einen Aner­ kennungsversagungsgrund, etwa den ordre public-Vorbehalt des Art.  45 Abs.  1 lit.  a Brüssel Ia-VO, vor dem Zweitgericht geltend macht. Ein Anerkennungsver­ sagungstorpedo stellt bislang aber kein Problem unter der Brüssel Ia-VO dar. Schon eher überzeugend wäre es, dem Zweitgericht nur die Prüfung der mate­ riellen Wirksamkeit sowie der Auslegung des Inhalts der Gerichtsstandsverein­ barung zu gestatten. Maßgebliches Argument hierfür könnte sein, dass das Ver­ trauensprinzip gerade bei der Anwendung von aus Sicht des Erstgerichts ­fremdem Recht auf die materielle Wirksamkeit und die Auslegung der Gerichtsstandsver­ einbarung nicht greift. Denn zum einen bestimmen sich die materielle Wirksam­ keit und die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung gerade nicht nach ver­ einheitlichtem Recht.69 Zum anderen kann es sich ergeben, dass das Erstgericht das Recht des Zweitgerichts auf die Wirksamkeit und die Auslegung der Ge­ richtsstandsvereinbarung anwenden muss.70 Das in Gasser und Turner angeführ­ te Argument, jedes Gericht könne das Zuständigkeitsrecht gleichermaßen fehler­ frei anwenden, greift in diesen Fällen offensichtlich nicht.71 Jedoch kann auch diese Lösung nicht überzeugen. Zum einen besteht ein Inte­ resse des Beklagten, sowohl bei formunwirksamen als auch bei materiell un­ wirksamen Gerichtsstandsvereinbarungen vor Urteilen des derogierten Gerichts geschützt zu werden. Zum anderen ist aus gesamteuropäischer Sicht die Rechts­ sicherheit sowie die Wirksamkeit und Effektivität von Gerichtsstandsvereinba­ rungen insgesamt zu stärken. Dies hängt aber von der häufig streitigen Formwirk­ samkeit und der materiellen Wirksamkeit gleichermaßen ab.72 Vorzugswürdig ist die Lösung, das Zweitgericht vollumfänglich nachprüfen zu lassen, ob eine wirksame Derogation des Erstgerichts nach Art.  25 Brüssel IaVO vorliegt. Das Zweitgericht dürfte dann das Vorliegen, die Einigung, die for­ 68 

Vgl. dazu oben Teil  I §  4 I 2. Vgl. oben Teil  I §  2 II 3 b. 70  Vgl. oben Teil  I §  2 II 3 c cc. 71  Vgl. oben Teil  I §  2 II 3 c cc. 72  Zu Problemen bei der Bestimmung der Formwirksamkeit vgl. oben Teil  I §  6 I 3. 69 

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Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

melle und materielle Wirksamkeit sowie die Auslegung der Gerichtsstandsver­ einbarung nachprüfen. Systematisch spricht für eine inhaltlich vollumfängliche Prüfung des Zweitge­ richts die bereits bestehende Regelung des Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) Brüssel  IaVO.73 Diese lässt die vollumfängliche Nachprüfung einer Gerichtsstandsver­ einbarung mit einer typischerweise schwächeren Partei zu.74 Hinzu kommt, dass die Achtung der Parteiautonomie ein rechtspolitisches Ziel der Brüssel  Ia-VO bildet,75 das durch eine inhaltlich vollumfängliche Nachprüfung in stärkerem Maße als durch eine nur eingeschränkte Nachprüfung gewährleistet wird. Aus rechtsvergleichender Sicht sehen weder Art.  9 HGÜ, noch das US-ameri­ kanische Zivilprozessrecht eine inhaltlich eingeschränkte Nachprüfung des Zweitgerichts vor, sondern gestatten dem Zweitgericht die volle Nachprüfung der Gerichtsstandsvereinbarung.76 Und auch der Vorschlag für ein Haager An­ erkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen vom Februar 2017, der aller­ dings die zuständigkeitsrechtlichen Voraussetzungen einer Gerichtsstandsverein­ barung nicht regelt, sieht eine Einschränkung der inhaltlichen Nachprüfung der Derogation des Erstgerichts nicht vor.77 Aus Effizienzerwägungen erscheint ebenfalls die vollumfängliche Nachprü­ fung sinnvoll. Zwar stellt diese eine erneute Prüfung und damit einen Mehrauf­ wand dar. Jedoch wird dieser Mehraufwand durch die verbesserte Rechtsicher­ heit und Vorhersehbarkeit, die mit einer Stärkung internationaler Gerichtsstands­ vereinbarungen einhergeht, aufgewogen. Denn die Brüssel Ia-VO würde den Marktteilnehmern die Wahrung ihrer Parteiautonomie zusichern und damit ge­ nau jene zuständigkeitsrechtliche Rechtsunsicherheit mindern, die einen Teil der nicht grenzüberschreitend aktiven, europäischen Unternehmen von Geschäftstä­ tigkeit in anderen Mitgliedstaaten abhält.78 Die vollumfängliche Nachprüfung bietet damit den stärksten Schutz internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen. Das rechtspolitische Signal, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nicht umgangen werden können, wiegt ökonomisch den bei enger Betrachtung vielleicht gegebe­ nen, geringfügigen Mehraufwand auf. Im Ergebnis sollte daher das Zweitgericht die Derogation des Erstgerichts nach Art.  25 Brüssel  Ia-VO inhaltlich vollumfänglich im Rahmen eines Aner­ kennungsversagungsgrunds nachprüfen können. 73 

Vgl. oben Teil  I §  6 III 4. Vgl. oben Teil  I §  6 III 4. 75  Erwgr. Nr.  14, 19 und 22 Brüssel Ia-VO. 76  Zum HGÜ vgl. oben Teil  I §  8 V 3; zum US-amerikanischen Zivilprozessrecht vgl. Teil  II §  2 III 3 a cc und 3 b. 77  Teil  I §  8 VI. 78  Dazu Teil  I §  1 II. 74 

§  3  Umfang der Nachprüfung

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II.  Einschränkung der Nachprüfung bei erstgerichtlicher Entscheidung über die Gerichtsstandsvereinbarung? Die inhaltlich vollumfängliche Nachprüfung der erstgerichtlichen Derogation im Rahmen eines Anerkennungsversagungsgrundes führt zu der Folgefrage, in wel­ chen Fällen diese gestattet sein soll. In Betracht kommt einerseits, die inhaltlich vollumfängliche Nachprüfung stets zu gewähren. Andererseits könnte die Nach­ prüfung auf die Fälle beschränkt werden, in denen das Erstgericht über die Ge­ richtsstandsvereinbarung nicht entschieden und damit auch deren Unwirksam­ keit oder Wirksamkeit nicht festgestellt hat.79 Überzeugend ist es, die Nachprü­ fungsmöglichkeit nicht von der Entscheidung des Erstgerichts abhängig zu machen. Für eine Einschränkung der vollumfänglichen Nachprüfungsmöglichkeit auf die Fälle, in denen das Erstgericht die Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt nicht berücksichtigt hat, scheint zunächst das Vertrauensprinzip zu sprechen. Nach diesem soll in die Richtigkeit der Entscheidungen eines Mitgliedstaats ver­ traut werden. Jedoch kann dieses zirkuläre Argument so pauschal nicht überzeu­ gen, da Art.  45 Brüssel Ia-VO per definitionem eine Einschränkung des Vertrau­ ens in die Richtigkeit der Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten bildet. Vielmehr wird in Art.  45 Brüssel  Ia-VO aus rechtspolitischen Gründen gerade der Rechtsauffassung des Zweitgerichts Priorität gegeben.80 Eine Beschränkung der Nachprüfung würde dazu führen, dass die internatio­ nale Zuständigkeit des Erstgerichts vom Zweitgericht dann nicht erneut geprüft werden darf, wenn das Erstgericht diese bereits geprüft hat. Gleichzeitig würde dem Interesse insbesondere des säumigen Beklagten Rechnung getragen, dass auch bei Säumnis die Gerichtsstandsvereinbarung wenigstens entweder vom Erstgericht oder vom Zweitgericht geprüft wird. Ein anerkennungsfähiges Urteil unter vollständiger Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung wäre damit also ausgeschlossen. Die Schutzlücke in Art.  28 Brüssel Ia-VO bezüglich Dero­ gationen würde so geschlossen werden. Dies würde es dem auf die Derogations­ wirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung vertrauenden Beklagten ermöglichen, sein Recht auf Säumnis, das Art.  28 Brüssel Ia-VO ja gerade vorsieht, vollum­ fänglich wahrzunehmen.81

79  Für letztere Variante Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), S.  1, 15 f.; vgl. oben Teil  I §  7 I 2 a. 80  Vgl. Teil  I §  5 II 2. 81  Zur gravierenden Rechtsschutzlücke des Art.  28 Brüssel Ia-VO in Bezug auf die Deroga­ tionswirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen vgl. oben Teil  I §  3 IV 3.

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Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

Aus ökonomischer Sicht spricht für die Beschränkung der Nachprüfung, dass die zweimalige Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung einen doppelten Auf­ wand darstellt. Allerdings dürfte sich der doppelte Aufwand in Grenzen halten und von der Erhöhung des ökonomischen Nutzens internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen und dem davon für den Binnenmarkt ausgehenden Zu­ wachs an zuständigkeitsrechtlicher Rechtssicherheit mit der Folge vermehrter zwischenmitgliedsstaatlicher Geschäftstätigkeit aufgewogen werden.82 Zudem wird der leicht erhöhte Mehraufwand vor dem Zweitgericht durch die sogleich zu erörternden Vorzüge der hier vertretenen Lösung aufgewogen. Vergleichend kommt schließlich hinzu, dass auch Art.  9 lit.  a HGÜ eine Nach­ prüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschließt, wenn das Erstgericht deren Wirksamkeit festgestellt hat.83 Allerdings betrifft Art.  9 lit.  a HGÜ nur die Prorogation, nicht die Derogation eines Gerichts. Er vollzieht damit die auch Art.  25 und Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO zugrunde liegende Wer­ tung nach, dass im forum prorogatum abschließend über die Gerichtsstandsver­ einbarung entschieden werden soll.84 Die gewichtigeren Gründe sprechen indes gegen die Einschränkung der zweit­ gerichtlichen Nachprüfung, wenn das Erstgericht über die Wirksamkeit der Ge­ richtsstandsvereinbarung entschieden hat. Zunächst ist Art.  45 Brüssel Ia-VO bei systematischer Betrachtung eine vari­ ierende Nachprüfungsmöglichkeit je nach Verhalten des Erstgerichts fremd. Die über Art.  45 Abs.  1 lit.  e (i) in Verbindung mit Art.  15 Nr.  1, Nr.  5, Art.  19 Nr.  1 und Art.  23 Nr.  1 Brüssel Ia-VO mögliche Nachprüfung internationaler Gerichts­ standsvereinbarungen besteht unabhängig von der Prüfung des Erstgerichts. In­ sofern würde hier für Gerichtsstandsvereinbarungen systematisches Neuland betreten werden, wenn Gerichtsstandsvereinbarungen nur bei fehlender Prüfung durch das Erstgericht nachprüfbar wären. Zudem spricht für eine uneingeschränkte Nachprüfung durch das Zweitgericht die Schutzlücke in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO.85 Wenn das derogierte Gericht die Formwirksamkeit verneint, deshalb das Verfahren nicht zugunsten des ver­ einbarten Gerichts aussetzt und sich selbst für nicht derogiert, sondern für zu­ ständig hält und in der Sache entscheidet, liegt stets eine Prüfung der Gerichts­ standsvereinbarung vor.86 Das erstangerufene Gericht könnte durch die schnelle­ re Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung seine 82 

Vgl. dazu oben Teil  I §  5 III 3 a cc. Teil  I §  8 V 3 a. 84  Vgl. dazu Teil  I §  4 II 1 c. 85  Vgl. dazu Teil  I §  4 V. 86  Zu dieser Möglichkeit und der damit verbundenen Rechtsschutzlücke vgl. ausführlich oben Teil  I §  4 V 1. 83 

§  3  Umfang der Nachprüfung

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Rechtsauffassung über diejenige des ausschließlich gewählten, zweitangerufe­ nen Gerichts stellen und verbindlich über die Gerichtsstandsvereinbarung ent­ scheiden. Es wäre dann weiterhin die Umgehung selbst ausschließlicher Ge­ richtsstandsvereinbarungen durch prozesstaktische Klagen samt des damit ver­ bundenen ökonomischen Drohpotenzials möglich.87 Bei systematischer Betrachtung im Gesamtgefüge der Brüssel Ia-VO stellt die uneingeschränkte Nachprüfung der Derogation des Erstgerichts auch keine wei­ tergehende Beeinträchtigung des Vertrauensprinzips dar. Denn Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO macht ja gerade eine Ausnahme vom Vertrauensprinzip zugunsten des forum prorogatum und zulasten des forum derogatum. Dass die Entschei­ dung im forum derogatum, wie hier vertreten, nicht die übrigen mitgliedstaatli­ chen Gerichte binden kann, vollzieht damit anerkennungsrechtlich nach, was li­ tispendenzrechtlich bereits in Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO normiert wurde. Der hier vorgeschlagene Anerkennungsversagungsgrund schließt die Rechtsschutz­ lücken des Art.  31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO und dehnt dessen Wertungen in konse­ quenter Weise auf nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen aus. Denn wie gezeigt besteht das maßgebliche Interesse bei ausschließlichen Ge­ richtsstandsvereinbarungen weniger an der Prorogation selbst als an der Verläss­ lichkeit der Derogation aller übrigen Gerichtsstände. Gerade das Interesse an der Derogationswirkung schützt der hier vorgeschlagene Anerkennungsversagungs­ grund. Überzeugend ist daher die uneingeschränkte Nachprüfung der Deroga­ tions­wirkung durch das Zweitgericht. Ferner zeigt ein rechtsvergleichender Blick auf Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vor­ schlags für ein Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen, dass die vollumfängliche Nachprüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsverein­ barung unabhängig von einer möglicherweise erfolgten Prüfung durch das Erst­ gericht sinnvoll ist.88 Auch Art.  7 Nr.  1 lit.  d des Vorschlags bezieht sich nur auf die Derogationswirkung ausschließlicher wie nicht-ausschließlicher Gerichts­ standsvereinbarungen. Es wäre damit auch die Kohärenz mit einem möglichen Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen sichergestellt. Dies widerspricht auch nicht den Wertungen der Art.  25 und 31 Abs.  2 Brüssel Ia-VO sowie der Art.  5 und 9 HGÜ. Denn diese sollen den Vorrang der Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung durch das gewählte Gericht sicherstellen und be­ zwecken gerade nicht die abschließende Entscheidung über die Gerichtsstands­ vereinbarung im forum derogatum.89 87  Zu den verbleibenden Möglichkeiten von Torpedoklagen und der Gefahr eines Wett­ laufs zum Gericht und um das Urteil vgl. oben Teil  I §  4 V 1. 88  Vgl. dazu Teil  I §  8 VI. 89  Vgl. zu Sinn und Zweck von Art.  25 und 31 Abs.  2 Brüssel  Ia-VO Teil  I §  4 II 1 c; zu Art.  5 und 9 HGÜ vgl. Teil  I §  8 III 1 und V 3.

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Teil  III: Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile de lege ferenda

Schließlich wahrt die hier vorgeschlagene uneingeschränkte Nachprüfung der erstgerichtlichen Entscheidung über die Derogationswirkung die Souveränität der Mitgliedstaaten. Denn anders als in Gothaer Allgemeine könnte ein mitglied­ staatliches Gericht durch die Feststellung der eigenen Derogation das Verfahren nicht mehr an ein anderes mitgliedstaatliches Gericht bindend verweisen.90 Das Zweitgericht dürfte vielmehr die Derogation des Erstgerichts und seine damit einhergehende eigene Prorogation vollumfänglich nachprüfen. Dadurch wird ge­ rade das in Turner unterstrichene mitgliedstaatliche Interesse gewahrt, über die Zuständigkeit der eigenen Gerichte selbständig zu entscheiden.91 Eine bindende Verweisung von Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten, die in der Brüssel IaVO bislang nicht normiert ist, durch Gothaer Allgemeine aber über die Hintertür eingeführt wurde, bleibt damit weiterhin ausgeschlossen. Der hier vorgeschlage­ ne Anerkennungsversagungsgrund vollzieht somit auch in diesem Punkt eine zentrale Wertung des Europäischen Zivilprozessrechts nach.

III.  Tatsachenbindung des Zweitgerichts Entscheidende Bedeutung kommt schließlich der Frage zu, ob das Zweitgericht an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts gebunden sein soll. Dies ist ins­ besondere dann relevant, wenn im Verfahren vor dem Erstgericht eine Gerichts­ standsvereinbarung überhaupt nicht vorgetragen wurde. Dies kann regelmäßig bei Säumnis des Beklagten der Fall sein.92 Die Tatsachenbindung führt dann dazu, dass das Zweitgericht den Vortrag der Gerichtsstandsvereinbarung nicht zulassen darf, da diese eine neue Tatsache ist, mit der die Parteien nach Art.  45 Abs.  2 Brüssel Ia-VO präkludiert sind. Es stellt sich daher die Frage, ob der Be­ klagte bereits vor dem Erstgericht dessen Derogation einwenden muss. Für die Pflicht zur Einwendung der Derogation bereits vor dem Erstgericht spricht zunächst die generelle Einlassungspflicht unter der Brüssel  Ia-VO. Grundsätzlich soll der Beklagte vor jedem mitgliedstaatlichen Gericht zumindest zur internationalen Zuständigkeit verhandeln.93 Auf der anderen Seite spricht gegen die Einlassungspflicht eine ökonomische Betrachtung der Effizienz von Gerichtsstandsvereinbarungen. Deren Wert wird gemindert, wenn der Beklagte dennoch, entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung, vor unzuständigen Gerich­ ten zumindest für die Rüge der Unzuständigkeit erscheinen muss. Denn auch die Rüge der Unzuständigkeit, stets verbunden mit der Gefahr, dass das angerufene Vgl. zur diesbezüglichen Kritik an Gothaer Allgemeine Teil  I §  6 IV 3 b. Zu Turner vgl. oben Teil  I §  5 III 3 b aa. 92  Vgl. oben Teil  I §  3 IV 3. 93  Vgl. oben Teil  I §  3 IV. 90  91 

§  3  Umfang der Nachprüfung

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Gericht sich dennoch für zuständig erklärt und in der Sache entscheidet, lässt Kosten entstehen, die durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gerade ausge­ schlossen werden sollen. Hinzu kommt, dass bei Tatsachenbindung des Zweitgerichts dem auf die De­ rogation vertrauenden Beklagten bei einer Einlassungspflicht vor dem derogier­ ten Erstgericht die in Art.  28 Brüssel Ia-VO verbürgte Möglichkeit der Säumnis faktisch genommen würde. Denn würde gegen den Beklagten ein Versäumnisur­ teil in einem Säumnisverfahren erlassen, in dem der Kläger die Gerichtsstands­ vereinbarung nicht vorgetragen hat,94 dürfte bei Tatsachenbindung des Zweit­ gerichts dieses die Gerichtsstandsvereinbarung als neue Tatsache nicht berück­ sichtigen. Auch Art.  8 Abs.  2 HGÜ und Art.  4 Abs.  2 des Vorschlags für ein Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen aus dem April 2016,95 die jeweils von der Tatsachenbindung des Zweitgerichts absehen, wenn es sich um ein Urteil in einem Versäumnisverfahren handelt, verdeutlichen die Notwendigkeit eines ausreichenden verfahrensrechtlichen Schutzes des säumi­ gen Beklagten. Deshalb ist es nach der hier vertretenen Auffassung vorzugswürdig, eine Aus­ nahme von der grundsätzlichen Tatsachenbindung des Zweitgerichts zuzulassen, wenn der Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren säumig war.

So der Fall in EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-145/14, Thomas Cook. Vgl. zum HGÜ oben Teil  I §  8 V 2 und zum Vorschlag für ein Anerkennungs- und Voll­ streckungsübereinkommen vom April 2016 sowie zu den noch weiter gefassten Vorschlägen vom Februar 2017 und vom Mai 2018 oben Teil  I §  8 VI. 94  95 

§  4  Ergebnis Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass die Einführung eines neuen Anerken­ nungsversagungsgrundes zum Schutz der Derogationswirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen sinnvoll und erforderlich ist. Urteilen aus dem forum derogatum ist die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, um die von internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen ausgehende zuständigkeits­ rechtliche Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit zu verbessern. Im Falle eines Versäumnisurteils sollte das Zweitgericht hinsichtlich der Gerichtsstandsverein­ barung nicht an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts gebunden sein. Für Urteile aus dem forum prorogatum sollte weiterhin die bestehende Regelung des Art.  45 Abs.  3 S.  1 Brüssel Ia-VO gelten. Deshalb wird als Ergebnis dieser Arbeit der neu zu schaffende Art.  45 Abs.  1 lit.  e (iii) Brüssel Ia-VO vorgeschlagen:

Art.  45 (1) Die Anerkennung einer Entscheidung wird auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn … e) die Entscheidung unvereinbar ist …. iii) mit Art.  25, sofern die Parteien vereinbart haben, dass das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, nicht über den Rechtsstreit ent­ scheiden soll. Unbeschadet des Art.  45 Absatz 2 ist das Gericht nicht an die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts, das die Entschei­ dung erlassen hat, gebunden, wenn der Beklagte sich auf das Verfah­ ren nicht eingelassen hat.

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Materialienverzeichnis

–, Commission Staff Working Paper Summary of The Impact Assessment. Accompanying do­ cument to the Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial mat­ ters (Recast), SEC (2010) 1548 final. –, EU Justice Scoreboard 2015, COM (2015) 116 final. –, EU Justice Scoreboard 2016, COM (2016) 199 final. –, EU Justice Scoreboard 2018, COM (2018) 364 final. Europäischer Rat vom 5.11.2005, 14292/04, Schlussfolgerungen des Vorsitzes. –, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger ( ABl.  EU 2010/C 115/01). Permanent Bureau, Explanatory Note Providing Background On The Proposed Draft Text And Identifying Outstanding Issues, April 2016, Prel. Doc. No 2, abrufbar unter (zuletzt abgeru­ fen am 27.12.2018). Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments, 2016 Prelimi­ nary Draft Convention abrufbar unter , (zuletzt abgerufen am 27.12.2018). Stellungnahme von Allen & Overy zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). – des Bar Council of England and Wales zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgeru­ fen am 17.3.2017). – des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE), zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). – der Republik Bulgarien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). – des Königreichs Dänemark zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017). – der Bundesrepublik Deutschland zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). – des britischen House of Lords zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017). – der Republik Estland zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017). – des Financial Markets Law Committee zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., Rz.  4.3 f., abrufbar unter (zu­ letzt abgerufen am 17.3.2017). – der Republik Frankreich zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017). – der Republik Litauen zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).

Materialienverzeichnis

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– des Königreichs Schweden zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017). – der Republik Slowenien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017). – des Königreichs Spanien zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017). – des Vereinigten Königreichs zum Grünbuch KOM (2009) 175 endg., abrufbar unter (zuletzt abgerufen am 17.3. 2017).

Rechtsprechungsverzeichnis 1. Rechtsprechung zum Europäischen Zivilprozessrecht a) EuGH EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, Meeth EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, Tilly Russ EuGH v. 24.6.1986 – Rs. 22/85, Anterist EuGH v. 8.12.1987 – Rs. 144/86, Gubisch Maschinenfabrik EuGH v. 4.2.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann/Krieg EuGH v. 27.6.1991 – Rs. C-351/89, Overseas Union Insurance EuGH v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89, Powell Duffryn EuGH v. 10.2.1994 – Rs. C-398/92, Mund Fester EuGH v. 2.6.1994 – Rs. C-414/92, Solo Kleinmotoren EuGH v. 7.3.1995 – Rs. C- 68/93, Shevill EuGH v. 2.7.1997 – Rs. C-269/95, Benicasa EuGH v. 20.2.1998 – Rs. C-106/95, MSG EuGH v. 16.3.1999 – Rs. C-159/97, Trasporti Castelletti EuGH v. 28.3.2000 – Rs. C-7/98, Krombach EuGH v. 11.5.2000 – Rs. C-38/98, Maxicar EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02, Gasser EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02, Turner EuGH, Gutachten 1/03 v. 7.2.2006, Slg. 2006, I-01145 EuGH v. 10.2.2009 – Rs. C-185/07, West Tankers EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-394/07, Gambazzi EuGH v. 28.4.2009 – Rs. C-420/07, Apostolides EuGH v. 9.11.2009 – Rs. C-387/98, Coreck Maritime EuGH v. 19.7.2012 – Rs. C-154/11, Mahamdia EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-619/10, Seramico Investments EuGH v. 25.10.2012 – Rs. C-133/11, Folien Fischer EuGH v. 26.9.2013 – Rs. C-157/12, Salzgitter Mannesmann EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, Weber EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-681/13, Diageo Brands EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-145/14, Thomas Cook EuGH v. 7.7.2016 – Rs. C-222/15, Höszig EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine Schlussanträge des Generalanwalts v. 7.4.2016 – Rs. C-222/15, Höszig Schlussanträge des Generalanwalts v. 6.9.2012 – Rs. C-456/11, Gothaer Allgemeine

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Rechtsprechungsverzeichnis

b) Nationale Rechtsprechung BGH, Urt. v. 29.2.1968 – VII ZR102/65, NJW 1968, S.  1233 BGH, Urt. v. 20.12.1972 – VIII ZR 113/71, BeckRS 1972, 31126779 = NJW 1973, S.  422 BGH, Beschl. v. 28.3.1979 – VIII ZB 1/78, BeckRS 1979, 31120707 = NJW 1980, S.  1223 BGH, Urt. v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, BeckRS 2001, 30163605 = NJW 2001, S.  1731 BGH, Urt. v. 30.10.2003 – I ZR 59/00, BeckRS 2004, 275 = NJW-RR 2004, S.  935 BGH, Urt. v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BeckRS 2007, 3914 = NJW 2007, S.  2036 BGH, Beschl. v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, BeckRS 2014, 3766 BGH, Beschl. v. 7.1.2014 – VIII ZR 137/13, BeckRS 2014, 3668 BGH, Urt. v. 25.03.2015 – VIII ZR 125/14, BeckRS 09080 = NJW 2015, S.  2584 OLG Brandenburg, Urt. v. 27.2.2014 – 12 U 10/13, BeckRS 2014, 4896 OLG Bremen, Urt. v. 25.4.2014 – 2 U 102/13, BeckRS 2014, 9820 = IPRax 2015, S.  354 OLG Dresden, Urt. v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, BeckRS 2009, 13514 OLG Hamm, Urt. v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, BeckRS 2005, 11962 = IPRax 2007, S.  125 OLG Hamm, Urt. v. 31.5.2016 – 28 U 164/15, BeckRS 2016, 11921 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.7.2005 – 9 W 8/05, BeckRS 2005, 8388 OLG Koblenz, Beschl. v. 28.11.1975 – 2 W 625/75, BeckRS 9998, 106557 = NJW 1976, S.  488 OLG Koblenz, Beschl. v. 8.3.2000 – 2 U 1788/99, BeckRS 2000, 4573 OLG Koblenz, Beschl. v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, BeckRS 2010, 10375 OLG Köln, Urt. v. 25.5.2012 – 19 U 159/11, BeckRS 2012, 21085 OLG München, Urt. v. 29.1.1980 – 25 U 3274/79, RIW/AWD 1982, S.  281 OLG München, Urt. vom 8.8.1984 – 7 U 1880/84 = IPRax 1985, S.  341 OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, BeckRS 2011, 24777 OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.8.2000 – 5 W 23/00, BeckRS 9998, 18403 = NJW­RR 2001, S.  858 OLG Stuttgart, Urt. v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr 2010, Nr.  184a, S.  458 LG Aachen, Urt. v. 22.6.2010 – 41 O 94/09, BeckRS 2010, 15502 LG Düsseldorf, Urt. v. 29.4.2011 – 15 O 601/98, BeckRS 2011, 25145 LG Hamburg, Urt. v. 23.12.2010 – 327 O 322/09, BeckRS 2011, 23034 LG Mainz, Urt. v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, S.  2319 LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2013 – 12 O 74/13, BeckRS 2014, 7804 LG Trier, Urt. v. 17.10.2002 – 7 HKO 140/01, BeckRS 9998, 19084 = IPRax 2004, S.  249 Audiencia Provincial Algeciras, Urt. v. 12.7.2007 – 54/ 2007, unalex ES-305 Audiencia Provincial Lugo, Urt. v. 2.12.2008 – 942/2008, unalex ES-422 Cour d’appel Mons, Urt. v. 14.10.2004 – 2003/RG/283, unalex BE-117 High Court of England and Wales (Commercial Division), Calyon v. Wytwornia Sprzetu Komunikacynego PZL Swidnik SA, [2009] EWHC 1914 (Comm) High Court of England and Wales (Queen’s Bench Division), Coys of Kensington Automobiles Ltd v. Tiziana Pugliese, [2011] EWHC 655 (QB)

2. Rechtsprechung zum US-amerikanischen Zivilprozessrecht a) Supreme Court of the United States American Surety Co. v. Baldwin, 287 U.S.  156, 167 (1932) Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S.  102, 113 (1987)

Rechtsprechungsverzeichnis

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Atlantic Marine Construction Company v. U.S. District Court, 134 S. Ct. 568, 578 (2013) Baker v. General Motors Corp, 522 U.S.  222, 232 (1998) Baldwin v. Traveling Men’s Assn., 283 U.S.  522 (1931) Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S.  313 (1971) Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S.  462 (1985) Burnham v. Superior Court of Cal., Marin County, 495 U.S.  604 (1990) Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S.  585 (1991) Chicago Life Insurance Co. v. Cherry, 244 U.S.  25 (1917) Commercial Cas. Ins. Co. v. Consolidated Stone Co., 278 U.S.  177 (1929) D. H. Overmeyer Co. v. Frick Co., 405 U.S.  174 (1972) Denver & R. G. W. R. Co. v. Brotherhood of R. R. Trainmen, 387 U.S.  556 (1967) Durfee v. Duke, 375 U.S.  106 (1963) Erie Railroad Co. v. Tompkins, 304 U.S.  64 (1938) Estin v. Estin, 334 U.S.  541 (1948) Fauntleroy v. Lum, 210 U.S.  230 (1908) Griffin v. Griffin, 327 U.S.  220 (1946) Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S.  501 (1947) Hampton v. McConnel, 16 U.S.  234 (1818) Home Insurance Co. v. Morse, 87 U.S. (20 Wall.) 445, 453 (1874) Insurance Corp. v. Compagnie Des Bauxites, 456 U.S.  694 (1982) International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S.  310 (1945) Magnolia Petroleum Co. v. Hunt, 320 U.S.  430, 439 (1943) Mills v. Duryee, 11 U.S. (7 Cranch) 481 (1813) Milwaukee County v. M.E. White Co., 296 U.S.  268 (1945) National Equipment Rental v. Sukzhent, 375 U.S.  311 (1964) Pennoyer v. Neff, 95 U.S.  714 (1878) Rimkus Consulting Group, Inc. v. Cammarata, 688 F.Supp.2d 663 f. (2010) Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S.  506 (1974) Semtek International Inc. v. Lockheed Martin Corp., 531 U.S.  497 (2001) Shaffer v. Heitner, 433 U.S.  186 (1977) Sherrer v. Sherrer, 334 U.S.  343 (1948) Southern Pacific Railroad v. United States, 168 U.S.  1 (1897) Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S.  22 (1988) Stoll v. Gottlieb, 305 U.S.  165 (1938) The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S.  1 (1972) Thomas v. Washington Gas Light Co., 448 U.S.  261(1980) Treinies v. Sunshine Mining Co., 308 U.S.  66 (1939) Underwriters National Assurance Co. v. North Carolina Life Accident Health Ins. Guaranty Assn., 455 U.S.  691 (1982) Williams v. North Carolina, 325 U.S.  226 (1945) World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S.  286 (1980) Yarborough v. Yarborough, 290 U.S.  202 (1933)

b) Bundesgerichtliche Rechtsprechung AAR Int’l Inc. v. Nimelias Ent. S.A., 250 F.3d 510 (7th Cir. 2001) AVC Nederland v. Aktrium Inv. Partnership, 740 F.2d 148 (2d Cir. 1984)

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Rechtsprechungsverzeichnis

Bense v. Interstate Battery, 683 F.2d 718 (2d Cir. 1982) Carbon Black Export, Inc. v. The Monrose, 254 F.2d 297 (5th Cir. 1958) Chan v. Society, 39 F.3d 1398 (9th Cir. 1994) Commerce Consultants Int’l, Inc. v. Vetrerie Riunite, S.p.A., 867 F2d 697 (D.C. Cir.1989) D.H. v. Gottdiener, 462 F.3d 95, 103 (2d Cir. 2006) Doe 1 v. AOL LLC, 552 F.3d 1077 (9th Cir. 2009) Effron v. Sun Line Cruises, Inc., 67 F.3d 7 (2d Cir.1995) Evolution Online v. Koninklijke Ptt Nederland, 145 F.3d 505 (2d Cir. 1998) Excell, Inc. v. Sterling Boiler Mechanical, 106 F.3d 318 (10th Cir. 1997) Forsythe v. Saudi Arabian Airlines, Corp., 885 F.2d 285 (5th Cir. 1989) Frontier Leasing Corp. v. Shah, 931 A.2d 676 (2007) Gen. Elec. Capital Corp. v. John Carlo, Inc., WL 3937313 (E.D. Mich. 2010) Gita Sports Ltd. v. SG Sensortechnik GmbH Co. KG, 560 F. Supp.2d 432 (W.D.N.C. 2008) Heller Financial v. Midwhey, 883 F.2d 1286 (7th Cir. 1989) Hunt Wesson Foods, Inc. v. Supreme Oil Co., 817 F.2d 75 (9th Cir. 1987) Illinois Union Ins. Co. v. Co-Free, Inc., 128 So.3d 820 (1st Cir. 2013) Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495 (9th Cir. 2000) Jumara v. State Farm Ins. Co., 55 F.3d 873 (3d Cir. 1995) Kendall v. Overseas Development Corp., 700 F.2d 536 (9th Cir. 1983) Lambert v. Kysar, 983 F.2d 1110 (1st Cir. 1993) Leasewell, Ltd. v. Jake Shelton Ford, Inc., 423 F. Supp.  1011 (S.D.W. Va. 1976) Love’s Window & Door Installation, Inc. v. Acousti Engineering Co., 147 So.3d 1064 (5th Cir. 2014) Martinez v. Bloomberg LP, 740 F.3d 211 (2nd Cir. 2014) Mitsui Co. (USA), Inc. v. Mira M/V, 111 F.3d 33 (5th Cir. 1997) One Beacon Insurance Co. v. JNB Storage Trailer Rental, 312 F. Supp.2d 824 (E.D. Va. 2004) P & S Business Machines, Inc. v. Canon USA, Inc., 331 F.3d 804 (11th Cir. 2003) Pelleport Investors v. Budco Quality Theatres, 741 F.2d 273 (9th Cir. 1984) Phillips v. Audio Active, 494 F.3d 378 (2d Cir. 2007) Praetorian Specialty Ins. Co. v. Auguillard Constr. Co., 829 F.Supp.2d 456 (W.D. La. 2010) Preferred Capital, Inc. v. Sarasota Kennel Club, Inc., 489 F.3d 303 (6th Cir. 2007) Rivera v. Centro Medico de Turabo, Inc., 575 F.3d 10 (1st Cir. 2009) Rivera v. Centro, 575 F.3d 10 (1st Cir. 2009) Royal Bed and Spring Co., Inc. v. Famossul Industria e Comercio de Moveis Ltda., 906 F.2d 45 (1st Cir. 1990) Rucker v. Oasis Legal Finance, L.L.C., 632 F.3d 1231 (11th Cir. 2011) Seymour Lodge, No. 462 v. Frontier Leasing Corp., 872 N.E.2d 703 (2007) Starkey v. G Adventures, Inc., 796 F.3d 193 (2nd Cir. 2015) State Ex Rel. Sizemore v. Surety Bank, 200 F.3d 373 (5th Cir. 2000) Superior Nut & Candy Co. v. TDG Brands, Inc., WL 319149 (N.D. Ill. 2017) Terra Intern., Inc. v. Miss. Chem. Corp., 119 F.3d 688, 690, 692 f. (8th Cir. 1997) TradeComet.com LLC v. Google, Inc., 647 F.3d 472 (2d Cir. 2011) U.S. v. County of Cook, Ill., 167 F.3d 381 (7th Cir. 1999) Wm. H. Muller Co. v. Swedish Am. Line Ltd., 224 F.2d 808 (2d Cir. 1955) Wong v. Party Gaming Ltd., 589 F.3d 821 (6th Cir. 2009)

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c) Einzelstaatliche Rechtsprechung Accelerated Christian Educ. v. Oracle Texas, 925 S.W.2d 66 (Tex. App.  1996) Air Economy v. Aero-Flow, 122 N.J. Super. 456 (N.J. Super. App. Div. 1973) Alaska Abadou v Trad, 624 P.2d 287 (Alaska 1981) American Biophysics v. Dubois Marine Specialties, 411 F. Supp.2d 61 (D.R.I. 2006) American K-9 Detection Services, Inc. v. Cicero, 100 So.3d 236 (2012) Atlantic Pacific Equipment, Inc. v. Graham, West Law 489064 (2013) Bos Material Handling v. Crown Controls, 137 Cal.App.3d 99 (Cal. Ct. App.  1982) Brinson v. Martin, 220 Ga. App.  638 (Ga. Ct. App.  1996) Cagle v. Mathers Family Trust, 295 P.3d 460 (Colo. 2013) Caperton v. A.T. Massey Coal Co., Inc., 223 W.Va. 624 (2008) Caperton v. A.T. Massey Coal Co., Inc., 225 W.Va. 128 (2009) Central Contracting Co. v. C. E. Youngdahl Co., 209 A.2d 810 (1965) Clinic Masters v. Dist. Ct., 192 Colo. 120 (Colo. 1976) Coface v. Optique Du Monde, Ltd., 521 F. Supp.  500 (S.D.N.Y. 1980) Cousatte v. Lucas, 35 Kan. App.  2d 858 (Kan. Ct. App.  2006) Davillier v. Southwest Securities, West Law 6049014 (2012) Eads v. Woodmen of the World life, 1989 OK CIV APP 19 (Okla. Ct. App.  1990) Electrical Prods v. Bodell, 132 Mont. 243 (Mont. 1957) Elia Corp v. Paul, 391 A.2d 214 (Del. Super. Ct. 1978) Ex parte Trinity Automotive Services, Ltd., 974 So.2d 1005 (2006) Exum v. Vantage Press Washington, 17 Wn. App.  477 (Wash. Ct. App.  1977) Funding Systems Leasing v. Diaz, 34 Conn. Sup.  99 (Conn. C.P. 1977) Hauenstein & Bermeister v. Met-Fab, 320 N.W.2d 886 (Minn. 1982) Hoffman v. Minuteman Press International, Inc., 747 F. Supp.  552 (W.D.Mo. 1990) Hosiery Mills v. Burlington Industries, 285 N.C. 344 (N.C. 1974) International Bus Software SO. v. SAIL Labs Tech, 440 F. Supp.2d 357, 363 (D.N.J. 2006) Kubis Perszyk Assoc., Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 146 N.J. 176 (N.J. 1996) L & L Wholesale, Inc. v. Gibbens, 108 S.W.3d 74 (Mo. Ct. App.2003) Manrique v. Fabbri, 493 So. 2d 437 (Fla. 1986) May v. Figgins, 186 Mont. 383 (Mont. 1980) Mckesson Corp. v. Hackensack Medical Imaging, 197 N.J. 262 (N.J. 2009) McRae v. J.D./M.D., Inc., 511 So.2d 540 (Fla. 1987) Minuteman Press Intern. v. Sparks, 782 S.W.2d 339 (Tex. App.  1989) Nute v. Hamilton Mut. Ins. Co., 72 Mass. (6 Gray) 174 (1856) Outek Caribbean Distrib., Inc. v. Echo, Inc., 206 F.Supp.2d 263 (D.P.R. 2002) Paradise Enterprises Ltd. v. Sapir, 811 A.2d 516 (N.J. 2002) Patriot Leasing v. Jerry Enis Motors, 928 So.2d 856 (Miss. 2006) Perkins v. Computax, 333 N.C. 140 (N.C. 1992) Phoenix Leasing, Inc. v. Kosinski, 47 Conn. App.  650 (Conn. App. Ct. 1998) Phone Directories Co., Inc. v. Henderson, 2000 UT 64 (Utah 2000) Prows v. Pinpoint Retail Systems, Inc., 868 P.2d 809 (Utah 1994) Prudential Resources v. Plunkett, 583 S.W.2d 97 (Ky. Ct. App.  1979) Reeves v. Chem Indus Oregon, 262 Or. 95 (Or. 1972) Reiner, Reiner Bendett, P.C. v. Cadle Co., 278 Conn. 92 (Conn. 2006) Royal Caribbean Cruises, Ltd. v. Clarke, 148 So.3d 155 (2014) Saye v. First Specialty Ins. Co., West Law 1737949 (2015)

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Sea Quest, v. Trident, 958 So.2d 1115 (Fla. Dist. Ct. App.  2007) Smith v. Shelter Mut. Ins. Co., 867 P. 2d 1260 (Okl. 1994) Smith, Valentino Smith, Inc. v. Superior Court, 17 Cal. 3d 491 (1976). Societe Jeon Nicolas v Mousseux, 597 P.2d 541 (Ariz. 1979) South Dakota Green v. Clinic Master South Dakota, 272 N.W.2d 813 (S.D. 1978) Surgical Orthomedics, Inc. v. Brown Rudnick LLP, West Law 3188920 (2013) Swan v. Sargent Industries, 1980 Ok Civ App 49, 474 (Okla. Ct. App.  1980) Tandy Computer Leasing v. Terina’s Pizza, 105 Nev. 841 (Nev. 1989) Walker v. Amerireach.com, 306 Ga.App.  658 (2010)

Sachregister action upon a judgment  262 f. admiralty  233 f. Amendement  219–221 Anerkennung  1–4, 10, 24, 30, 42, 47, 56, 63, 64, 68, 69, 105, 109, 113–125, 129–140, 142–145, 147, 151, 153, 162, 164, 167 f., 171–176, 181, 188 f., 193, 195, 197–217, 252–259, 262–266, 268, 270, 271 f., 278 f., 283, 286–288, 293, 299, 301, 308 anerkennungsfähig  64, 80, 100, 105, 108, 109, 110, 118–121, 124, 156, 167 f., 180 f., 196, 199- 201, 211, 224, 279 f., 285, 288, 290, 303 Anerkennungsprinzip  137 f., 142 Anerkennungsstaat  3, 119, 130, 131, 258, 263, 266 f., 271, 278, 289 Anerkennungsversagung  63, 113, 114, 119, 122, 124, 127, 129, 130, 132 f., 136, 146, 147, 153, 162 f., 165 f., 173, 176, 177, 180 f., 182–185, 188, 198–204, 207, 209, 214, 264, 265 f., 268, 270–272, 274, 277, 279, 280, 288, 293 Anerkennungsversagungsgrund  2–4, 56, 64, 69, 98, 105, 110, 114 f., 117, 119 f., 122 f., 126, 128–133, 137, 141, 144–147, 152, 154, 162, 166, 172, 176–185, 197–201, 207, 209, 211, 215, 264, 266, 268, 273 f., 277, 283–285, 287 f., 290–301, 303, 305 f., 308 Anerkennungszuständigkeit  123 f., 128, 146, 178, 209, 211, 286 anwendbares Recht  21, 23, 34 f., 36 f., 38 f., 48, 158, 235, 251, 261 appeal  223, 227, 231 f., 265, 273, 276 Aussetzung  75 f., 81, 100–102, 106 f., 110, 180, 195

bar  259 basis  178, 220, 280 Binnenmarkt  1 f., 13, 22 f., 114, 133 f., 138–142, 150–152, 175, 183, 185, 284, 294–296, 304 Bootstrapping 270 cause of action  81, 262 choice of forum agreement 218 choice of forum clause  218, 251 claim preclusion  259 f., 272 collateral attack  224, 265 f., 268–270, 277, 280 collateral estoppel  259, 274 Commerce Clause 256 common law  8, 178, 182, 221, 222, 229, 240, 243, 246, 268 consent  178, 219, 221, 224–226, 232, 240, 252 default judgment 270 Derogation  2597, 27 f., 42–46, 51, 53, 57, 59, 61–63, 65–69, 72, 84, 89, 92, 94–99, 102, 111–113, 130, 153, 155, 156–158, 162, 167, 170, 174, 193, 210, 212 f., 218 f., 228, 230–233, 236 f., 241 f., 249, 252 f., 273–276, 279 f., 284 f., 287–291, 297, 298, 301–307 Derogationswirkung  98, 111, 167, 169 f., 174 f., 193, 194, 209, 211–214, 228, 230 f., 234 f., 238, 242 f., 249, 273–276, 290, 297–299, 303, 305 f., 308 direct attack  223 f., 265 f., 277 diversity jurisdiction  233, 235, 261, 276 domicile  221, 225 Doppelnatur  8, 10, 36 f., 59 f. 69, 85, 235 due process  239, 252, 260, 264, 266–268, 274, 278

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Sachregister

due process clause  215, 219, 220–223, 225 f., 239, 264, 267 f., 274, 278, 290 effect  74, 132, 149, 231, 253, 254, 258, 264, 266 f., 269 f., 272, 278 Effizienz  12, 20, 24, 72, 78, 131, 141, 143, 148 f., 160, 163, 180, 295 f., 302, 306 Erstgericht  66, 68, 104, 119, 121, 123 f., 125, 127 f., 130, 136, 140 f., 144, 147, 153–158, 162, 167–174, 176 f., 179, 181–184, 195, 197–206, 209–213, 263, 265–274, 276, 278 f., 280 f., 284–287, 289–291, 298–301, 303–307 exclusive  49–51, 55, 74, 87, 95, 191, 197, 199, 212, 240, 245, 309, 311, 314 fairness  222, 237, 249, 260 federal jurisdiction  233, 238 federal transfer  235, 237, 241 f. foreign judgments  202, 205, 208, 253, 263 forum derogatum  17, 20, 62 f., 66, 68 f., 77, 80–82, 85 f., 94, 99, 101, 104 f., 111 f., 124, 131, 161, 163, 178, 179, 199, 203, 206, 214, 284 f., 288 f., 299 f., 305, 308 forum non conveniens  227, 229, 275 forum prorogatum  17, 72, 80, 82 f., 85, 103 f., 110, 133, 196, 203, 206, 285, 298, 304 f., 308 forum selection agreement  218 forum selection clause  218, 237, 274 fraud  238, 247 f., 266, 269 full faith and credit clause  215 f., 221, 224, 253–259, 261–272, 277 f., 280 general jurisdiction  220, 224 Gerichtspflichtigkeit  206, 288 f. 42, 62 f., 66, 112, 130 Gerichtsstand – siehe Zuständigkeit Gerichtsstandsvereinbarung – asymmetrische  32, 48, 58 f., 69, 84, 90–92, 95, 99, 112, 191 f., 245, 284 f. – ausschließliche  12, 32, 45–48, 50–61, 70–80, 83–86, 89, 91 f., 95–99, 102 f., 108, 111–113, 133, 147, 151, 156 f., 162, 170, 177, 181 f., 184, 188–192, 194, 198–204, 206, 208–213, 227, 231, 245,

249, 274–276, 286, 287, 289, 291 f., 293–295, 297–299, 305 – nicht-ausschließliche  32, 42, 45, 46, 50, 51 f., 54–56, 58–61, 90–92, 97, 99, 190–192, 210 f.. 213, 244 f., 287, 291, 297, 299, 305 – reziproke  48, 60 f., 93, 94, 112, 245, 284 gesamteuropäisches Interesse  3, 22, 24, 76, 78, 129, 134, 151, 297, 301 Geschäftsfähigkeit  34, 157, 193, 196, 207, 285 Haager Übereinkommen über Gerichts­ standsvereinbarungen vom  30.6.2005 3, 181, 185–211, 292, 298, 302, 304 f., 307 improper venue  237 inconvenient  20, 247, 249, 250 Inhaltskontrolle 40 Interesse – siehe gesamteuropäisches Interesse – siehe mitgliedstaatliche Interessen – siehe Parteiinteresse issue preclusion  259–261, 267, 269–271, 274–278 judgments based on settlement agreements  255 judicial proceedings  253–256 jurisdiction  45, 49–51, 55, 74, 87, 124, 178, 219–236, 238–242, 252, 261, 265–274, 276–280, 292 Kollisionsrecht 34 Kompetenz  79 f., 86, 101, 104–106, 137, 143, 156, 173 f., 195, 255, 288, 291 Kosteneffizienz  16, 131 lesser limitations on jurisdiction  219, 227–230, 236, 238, 252, 273, 274, 279 Litispendenzrecht  3, 70–73, 75–78, 80, 82, 83, 93, 94, 100, 108, 147 f., 151, 177, 229, 286 f., 305 local judgments  253 long-arm statute  221 f., 268 mandatory  245 merger  259

Sachregister minimum contacts  223, 226 Missbrauchskontrolle  40 f. mitgliedstaatliche Interessen  21, 76 f. 132, 151, 180 modifiable 266 Nachprüfung  123–127, 131, 136, 140–142, 146, 162 f., 165, 168, 172 f., 175–178, 199, 204–206, 210, 212, 268 f., 273, 277, 280, 286 f. 289 f., 298, 300, 302–306 nexus 220 non-exclusive  50, 212, 245 notice  220, 267 offensive issue preclusion260 ordre public  278, 301 overweening bargaining power  247, 248 parallele Verfahren  78–80, 107, 190, 194, 286 f. Parteiinteresse  3, 7, 13–15, 22 f. 76, 92, 95, 129–131, 196 permissive  245 personal jurisdiction  210–232, 236, 238–241, 252, 265–274, 277–279 physical presence  221, 225 preclusion  258–261, 267, 269–272, 274–278 preclusive effect  258, 264, 266, 267, 269 f., 272, 278 prima facie  101, 102, 103, 104, 106, 107, 247 Prinzip gegenseitigen Vertrauens – siehe Vertrauensprinzip Prinzip gegenseitiger Anerkennung – siehe Anerkennungsprinzip Prioritätsprinzip  46, 52, 71, 72–76, 78, 80, 82, 90 f., 93 f., 100, 107, 147, 177, 192, 285–287 process  219–226, 239, 252, 264, 266–268, 274, 278, 290 Prorogation  25, 34, 36 f., 40, 42–46, 59, 69, 156 f., 162, 170 f., 183, 193, 218 f., 224, 227 f., 240 f., 252, 268, 270, 272, 298, 299, 304–306 Prorogationswidrigkeit  2–4, 17–20, 24, 66, 77, 83, 94, 109, 111, 113, 129–132, 141, 151–159, 161- 163, 166, 175, 176, 177,

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180, 181–183, 185, 188, 199, 203, 215, 217, 252, 264, 280, 283–285, 287 f., 291, 294, 295, 296 public policy  230, 247, 249, 251, 257, 269 reasonableness  222, 231, 232, 247 Rechtlosstellung  174, 290 Rechtshängigkeit  17, 46 f., 52, 56, 70–73, 75, 78, 80 f., 83, 88, 91–95, 98, 103, 111, 113, 115 f., 147, 181, 192, 194, 229, 286 f., 292, 297 f., 301 Rechtskraft  105, 110, 120–122, 156, 168–171, 173, 197, 258–261, 262, 265–271, 273–281, 290, 298 Rechtskrafterstreckung  258, 273, 277 Rechtssicherheit  15–21, 23 f., 70, 72–75, 77, 96, 114, 129–133, 140 f., 151 f., 159, 176, 180, 186 f., 198, 203, 206, 257, 284, 293–296, 301, 304, 308 Rechtsunsicherheit  2, 15, 18, 35–37, 41, 110, 129, 163, 285, 302 registration  263 res judicata  259 revision au fond  123 f., 127, 169, 171, 172, 173, 178, 198, 273 Schutzbedürftigkeit  163, 179 Schutz des Beklagten  16, 63 f., 210, 288–290 Schutzgerichtsstände  27 f., 40, 125, 127, 163, 165, 172, 174, 179, 293 Schutz internationaler Gerichtsstandsverein­ barungen  3, 52, 56, 69, 95, 112 f., 177, 179, 185, 284, 286, 295, 302 sheriff  262 sister-state judgment  253 Souveränität  122, 132, 146, 171, 180, 216, 230, 257, 291, 306 specific jurisdiction  220, 224 Streitgegenstand  16, 53 f., 61, 76, 78 f., 81, 83–86, 89, 91.93, 120, 127, 206, 224, 240, 243, 247, 258–262, 273 subject-matter jurisdiction  219 f. Supreme Court  221, 223, 225–228, 230–239, 242, 248–251, 253–258, 261, 264, 268–271, 277 f.

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Sachregister

Tatsachenbindung  123, 126, 131, 200–203, 206, 210, 306 f. Transaktionskosten  18–20, 23 f., 40 f., 67, 110–112, 131, 161, 206, 296 unequal bargaining power 248 Urteilsanerkennung – siehe Anerkennung Urteilsfreizügigkeit Urteilsvollstreckung – siehe Vollstreckung venue  219, 234, 237–242, 252, 277, 279, 313 Versäumnisurteil  31, 64, 68 f., 113, 118, 130, 156, 162, 197, 201–203, 206, 210, 212, 213, 255, 260, 261, 266, 268, 270–273, 276–280, 288–290, 298, 307, 308 Vertrauensprinzip  1, 2, 71, 73, 78, 122, 124, 134, 142–146–150, 169, 205, 216, 286, 294 f. Verweisung  9, 35, 37–39, 41, 116, 132, 157, 170 f., 182, 193, 203, 226, 235, 236 f., 238–241, 276 f., 306

Wettlauf  90, 100, 107, 109, 110, 112, 184, 285, 305 widersprechende Entscheidungen  108, 130 f., 155 Wirkungserstreckung  120 f., 168, 261 writ of execution 262 Zuständigkeit – ausschließliche  8, 26, 40, 45, 48, 51–55, 57, 61, 76, 79, 83–95, 100, 128, 133, 161, 176, 179 f., 184, 191, 245, 287, 291–293 – nicht-ausschließliche  91, 191, 245 – örtliche  25, 42, 62, 69, 86–90, 99, 219, 238 f., 241 f., 252, 277, 279 zweitangerufenes Gericht  72, 75 f., 79, 81, 83, 85–87, 90–94, 100–107, 287, 305 Zweitgericht  63, 98, 118 f., 120–128, 131 f., 137, 141, 144, 146, 154–158, 162 f., 165, 166, 168, 170–173, 176, 179, 181 f., 184, 195, 197–207, 209–214, 224, 262 f., 265, 267–274, 278–2801, 286, 287, 289, 290, 291, 295, 297–308