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German Pages 202 Year 1999
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 170
Die Abkehr des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit Am Beispiel betrieblicher Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen
Von
Frank Wittgruber
Duncker & Humblot · Berlin
FRANK WITTGRUBER
Die Abkehr des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 170
Die Abkehr des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit am Beispiel betrieblicher Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen
Von Frank Wittgruber
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wittgruber, Frank: Die Abkehr des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit : am Beispiel betrieblicher Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen / von Frank Wittgruber. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht ; Bd. 170) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09667-3
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09667-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde Anfang 1993 begonnen und im Sommersemester 1996 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Inaugural-Dissertation vorgelegt. Lediglich redaktionelle Änderungen wurden vorgenommen. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. H. Fenn, für die Anregungen bei der Auswahl des Themas herzlich bedanken. Seine Lehrveranstaltungen zum Arbeitsrecht haben mein Interesse für dieses Rechtsgebiet geweckt. Für die Übernahme und Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Professor Dr. M. Heinze.
Münster, im Juni 1999
Frank Wittgruber
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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I. Einführung in die Materie und Gang der Untersuchung Π. Erscheinungsformen übertariflicher Entlohnung
11 16
7. Teil Auslegung des Begriffs "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung" § 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit" I. Die Konkretisierung durch die Rechtsprechung Π. Auslegung nach der klassischen Methodenlehre 1. Wortlaut und Systematik 2. Historisch-teleologische Auslegung und Freiwilligkeitsgrundsatz 3. Objektiv-teleologische Auslegung ΠΙ. Verteilungsgerechtigkeit als sozialpolitisches Anliegen IV. Verwirklichung von Gerechtigkeit als Maxime
21 21 22 23 23 28 30 32
§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
37
I. Das Vorfeld des kollektiven Tatbestands Π. Kontroverse um die Rechtsstellung des Arbeitnehmers ΙΠ. Eingliederung in den Betrieb 1. Der Betrieb als soziales System a) Interessenkonflikt zwischen den Arbeitnehmern b) ökonomische Schlußfolgerungen 2. Bedeutung der Rechtssoziologie 3. Klassenkämpferisches Denken im Arbeitsrecht
37 39 42 42 42 43 45 48
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht I. Die Abhängigkeit des Arbeitnehmers als Grundsachverhalt 1. Personenrechtliches Denken 2. Der Arbeitnehmer als Mitarbeiter 3. Wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers 4. Arbeitsrecht als das Recht der Arbeitsverhältnisse Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers 1. Die Bedeutung des Günstigkeitsprinzips
53 53 53 58 62 66 70 72
8
Inhaltsverzeichnis 2. Privatautonomes Verständnis der Mitbestimmung a) Mitbestimmung als Fremdbestimmung b) Mitbestimmung als Sozialprivatrecht 3. Generelle Ohnmächtigkeit des Arbeitnehmers a) Gestörte Vertragsparität b) Kollision von Individual- und Kollektivinteresse 4. Freiheit und Gleichheit beim Entgelt ΙΠ. Ergebnis
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung I. Der Schutzzweck im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer Π. Der Ordnungszweck im Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitnehmer ΙΠ. Der Teilhabezweck im Verhältnis Arbeitgeber/Belegschaft IV. Der Schutzzweck als Begrenzung der Betriebsautonomie 1. Betriebliche Ordnung 2. Das Verhältnis von Schutz- und Ausgleichsfunktion 3. Management by Betriebsverfassung ? 4. Zwischenergebnis V. Ergebnis zum ersten Teil
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2. Teil
Voraussetzungen und Grenzen des Mitbestimmungsrechts bei übertariflichen Zulagen § 5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG 1. Bedeutung des Tarifvorrangs a) Entbehrlichkeit des doppelten Schutzes der Arbeitnehmer b) Sicherung der Tarifautonomie aa) Rückgriff auf die ratio des Tarifvorbehalts bb) Gefährdung durch betriebliche Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen 2. Beschaffenheit der tariflichen Regelung a) Mindestanforderungen des Schutzes b) Bedeutung der Schutzfunktion 3. Ergebnis Π. Der Tarifvorbehalt gemäß § 77 m BetrVG § 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen I. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 1. Entwicklung bis zur Entscheidung des Großen Senats 2. Folgeentscheidungen des 1. Senats Π. Literaturauffassungen zur Kollektivität des Zulagenbereichs
107 107 107 107 109 109 110 115 115 116 118 118 120 121 121 122 127
Inhaltsverzeichnis 1. Grundsätzliche Kollektivität 2. Subjektive Bestimmung seitens des Arbeitgebers ΙΠ. Stellungnahme 1. Generalität der Regelung 2. Kollektiver Bezug der Angelegenheit 3. Abstraktheit der Regelung IV. Folgerungen für den Umfang des Mitbestimmungsrechts 1. Unbenannte Zulagen 2. Benannte Zulagen 3. Einheitliche Zulagen 4. Nachträgliche Veränderung der Gewährung §7 Besondere Probleme
127 129 130 131 132 135 139 139 140 140 141 143
I. Die Änderung der Verteilungsgrundsätze 143 1. Bezugspunkt und Bezugsgrößen für die Feststellung einer Veränderung 143 a) Die Grundsätze des Großen Senats 143 b) Kritik 144 2. Entfallen des Mitbestimmungsrechts trotz Änderung der Verteilungsgrundsätze 148 a) Rechtliches und tatsächliches Hindernis 148 b) Vollständige Reduzierung und Neugewährung 149 Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung 151 1. Anrechnung und Widerruf als Lohngestaltung 152 2. Das Verhältnis zum bilateralen Regelungsbereich 155 a) Individualrechtliche Folgen unterbliebener Mitbestimmung im Bereich des § 871 BetrVG 155 aa) Theorie der notwendigen Mitbestimmung 155 bb) Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung 157 cc) Würdigung 158 b) Grundfall: Erstmalige Gewährung von Zulagen 160 c) Übertragung auf die Kürzung der Zulagengewährung 165 aa) Die Rechtsprechung zur Festschreibung des sog. Gesamtvolumens... 165 bb) Unwirksamkeit der Neuverteilungsentscheidung 166 cc) Rückwirkung der mitbestimmten Regelung 170 ΙΠ. Ausblick 172 Zusammenfassung der Ergebnisse
174
Literaturverzeichnis
178
Sachregister
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Einleitung I. Einführung in die Materie und Gang der Untersuchung Entgegen den Zeichen der Zeit, die im Hinblick auf eine funktionierende und gleichwohl soziale Marktwirtschaft unter anderem eine Flexibilisierung arbeitsrechtlicher Regelungen erfordern, vollzieht sich in der Rechtsprechung durch eine extensive Interpretation betrieblicher Mitbestimmungsrechte die umgekehrte Entwicklung einer fortschreitenden Abkehr des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit. Zu verwundern mag das nicht, denn es gilt offensichtlich immer noch die Feststellung von Adomeit, wonach "der Sozialgedanke der Lebenssaft, schon fast das Herzblut des Arbeitsrechts" 1 ist, und sich dieses "als ein einziges großes Kontrollsystem gegenüber der Vertragsfreiheit begreifen läßt" 2 . Ein Element der Kontrolle stellt der Betriebsrat dar, der mit abgestuften Mitwirkungsrechten von den Arbeitnehmern dem Arbeitgeber an die Seite gestellt wird, wobei die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 I BetrVG mit ihrem Einigungszwang und dem mitumfaßten Initiativrecht die stärkste Beschränkung der einseitigen Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers bedeutet. Gerade dieser Bereich hat in den letzten zwanzig Jahren unter besonderer Federführung des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts eine bedenkliche Ausweitung erfahren. Beispielhaft erwähnt sei die Mitbestimmungspflichtigkeit der Überstunden 3 oder des Schichtwechsels4 eines einzelnen oder einzelner Arbeitnehmer nach der Nr. 3 des § 87 I BetrVG, und im Bereich der Mitbestimmung in Entgeltfragen nach § 87 I Nr. 10, 11 BetrVG 5 beim Prämienlohn der Verlauf der Lohnkurve 6 und die Gehaltsgruppenbildung für ATAngestellte durch die Festlegung der Wertunterschiede zwischen den einzelnen Gehaltsgruppen, sowie die Frage nach einer linearen Erhöhung oder aber nach abstrakten Kriterien 7 .
1
In: FS-Hilger/Stumpf, S. 1. In: Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Β 14. 3 Vgl. BAG v. 10. 6. 1986, AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit. 4 Vgl. BAG v. 27. 6. 1989, AP Nr. 35 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit. 5 Vgl. dazu Matthes, NZA 1987, 289 ff 6 Vgl. BAG v. 13. 9. 1983, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie; vgl. auch BAG v. 8. 12. 1981 und v. 25. 5. 1982, AP Nr. 1, 2 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie; kritisch zum ganzen Lieb, ZfA 1988,413 ff. 2
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Einleitung
Ganz auf dieser Linie hat der 1. Senat in mehreren Entscheidungen8 auch für den übertariflichen Zulagenbereich diese Kehrtwende hin zu einer mitbestimmungsfreundlichen Auslegung vollzogen, indem er die Aufstellung des die konkrete Verteilung der Geldleistungen steuernden Leistungsplans, sowie grundsätzlich dessen nachträgliche Änderung der Regelungskompetenz des Betriebsrats unterwirft, was schließlich in zwei Beschlüssen des Großen Senats vom 3. 12. 19919 im wesentlichen bestätigt wurde. Diese zur Anrechnung bzw. Widerruf von über- und außertariflichen Zulagen anläßlich einer Tariflohnerhöhung ergangenen Beschlüsse sind in der Folgezeit im Schrifttum heftig kritisiert worden, wie schon die Rechtsprechung des 1. Senats eine Flut von überwiegend ablehnenden Stellungnahmen hervorgerufen hat. Bevor im 2.Teil der Arbeit auf diese Rechtsprechung eingegangen wird, stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage nach der Reichweite des § 87 I Nr. 10 BetrVG, dessen Tatbestandsmerkmal "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung" allgemein mit der speziellen ratio legis der Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit näher zu konkretisieren versucht wird (§ 1 - S. 21 ff.). Obgleich dieser Begriff selbst nicht ausfüllbar ist, sondern vielmehr ein Konglomerat der verschiedenen Aspekte des überpositiven Gerechtigkeitsgebots darstellt und damit für eine Interpretation wenig fruchtbar erscheint, steht er für die Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur im Zentrum der Auslegung. Dahinter verbirgt sich eine einseitige Favorisierung der sog. dritten Dimension des Arbeitsrechts als Synonym für den multilateralen Regelungsbereich, der von der Vorstellung eines notwendigen Interessenausgleichs der betriebsangehörigen Arbeitnehmer getragen wird (§ 2 - S. 37 ff.). Die Zufriedenheit der Belegschaft, sprich der Betriebsfrieden, erhält damit eine allein entscheidende Bedeutung für die Interpretation des § 87 I Nr. 10 BetrVG. Nach außen sichtbar
7 Vgl. BAG v. 21. 8. 1990, NZA 1991, 434 ff.; vgl. auch BAG ν. 22. 12. 1981, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; kritisch Lieb, ZfA 1978, 179 ff ; ders., Arbeitsrecht, § 8 ΠΙ 4, S. 240 ff ; gegen die allgemein extensive Interpretation der Mitbestimmungstatbestände mit weiteren Beispielen, Loritz, ZfA 1991, 1, 10, 19 ff, 29 f., 31 f. 8 BAG v. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 Tarifvorrang unter Aufgabe der Entscheidung vom 31. 1. 1984, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; BAG ν. 13. 1. 1987, AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 24. 2. 1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG ν. 24. 11. 1987, AP Nr. 31 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG v. 10. 2. 1988, AP Nr. 33 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 6. 12. 1988, AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 9 BAG - GS 1/90 - und - GS 2/90 -, AP Nr. 51, 52 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = DB 1992, 1579 = BB 1992, 1418 = SAE 1993, 97; die Vorlage erfolgte durch den 1. Senat durch die beiden Beschlüsse vom 13. 2. 1990, AP Nr. 43, 44 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung.
I. Einführung in die Materie und Gang der Untersuchung
13
wird die dritte Dimension durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers, die seit jeher Begründungsansatz für die verschiedensten arbeitsrechtlichen Fragen war. Das indiziert indes das Problem, inwieweit aus dieser zunächst lediglich soziologischen Tatsache rechtliche Schlußfolgerungen gezogen werden dürfen, welche zudem vereinzelt von klassenkämpferischen Thesen überlagert werden. Wie der Name schon sagt, bestehen neben der dritten noch zwei weitere Dimensionen, nämlich zum einen das Verhältnis des Arbeitgebers zu den Kollektivpartnern und zum anderen das - weitaus wichtigere - Verhältnis des Arbeitgebers zum einzelnen Arbeitnehmer, also die individualrechtliche Regelungsebene, die durch die Eingliederung in den Betrieb nicht zur Bedeutungslosigkeit verkommt (§ 3 - S. 53 ff.). Dabei ist die Feststellung nötig, daß es sich trotz Abhängigkeit des Arbeitnehmers um ein reines Schuldverhältnis handelt, ganz im Gegensatz zu den in bester Tradition personenrechtlichen Denkens vertretenen verbandsund gesellschaftsrechtlichen Qualifizierungen. Hand in Hand mit diesen geht der euphemische Begriff des "Mitarbeiters", mit dem die Stellung des Arbeitnehmers auch rechtlich aufgewertet werden soll, aus der aber unversehens eine Fürsprache für eine erweiterte Mitbestimmung des Betriebsrats entsteht, indem dieser mit den Arbeitnehmern gleichgesetzt wird. Dies ist nicht vereinbar mit dessen bloßer Hilfsfunktion für die Privatautonomie der Arbeitnehmer, die sich unter anderem mit Blick auf die durch das Günstigkeitsprinzip geschützte Selbstbestimmung des einzelnen ergibt. In diesem Zusammenhang ist sowohl auf die Thesen von Reuter eines privatautonomen Verständnisses der Mitbestimmung 10 , mit der eine bedenkliche Ausweitung der für die Betriebsautonomie bestehenden Innen- und Außenschranken 11 verbunden ist, als auch auf die von Reichold vorgenommene Qualifizierung der Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht 12 einzugehen. Neben außerrechtlichen Argumentationen sowie Anleihen bei anderen Rechtsgebieten wie dem Verbands- und Gesellschaftsrecht im Rahmen der ratio legis einer Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit, erweist sich schließlich als treibende Kraft für eine sich verselbständigende Betriebsautonomie der überwiegend angenommene Teilhabezweck notwendiger Mitbestimmung (§ 4 - S. 93 ff.). Damit werden aus der gesellschaftlichen Diskussion altbekannte sozialpolitische Schlagwörter wie Partnerschaft, Demokratisierung und Mitgestaltung in das Arbeitsrecht hineingetragen, wodurch die Frage aufgeworfen wird, ob das mit den anderen rechtlich gewährleisteten Interessen und Gestaltungsfaktoren des Arbeitsverhältnisses in Einklang gebracht werden kann. Die Annahme eines Teilhabezwecks läßt sich nur halten, wenn man zum einen der Vertragsfreiheit des Ar-
10 11 12
RdA 1991, 193 ff.; ZfA 1993, 221 ff.; RdA 1994, 152 ff.; ZfÄ 1995, 1 ff. Vgl. Kreutz, Betriebsautonomie, S. 4 ff.; ders. y in: GK, BetrVG, § 77 Rdnr.250 ff. So der gleichnamige Titel seiner Habilitationsschrift.
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Einleitung
beitnehmers wegen seiner zweifellos bestehenden Schutzbedürftigkeit keinerlei Wert zumißt und zum anderen ein einseitig individualrechtliches Handeln des Arbeitgebers in jedem Fall ausschließen will, wodurch indes der systematische Zusammenhang von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung berührt wird. Insgesamt darf ein Mitbestimmungsrecht nicht zu Widersprüchen innerhalb des bestehenden Systems der arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren und der hinter ihnen stehenden Autonomiebereiche - Tarif-, Unternehmens- und Individualautonomie - führen. Anhand des gewonnenen Ergebnisses einer sich allein an dem System der Entgeltgestaltungsfaktoren orientierten Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG ist schließlich im 2. Teil dieser Abhandlung zu erörtern, ob und wie weit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei übertariflichen Zulagen bestehen kann. Nach den für ein Mitbestimmungsrecht notwendigen Voraussetzungen des Nichteingreifens des Tarifvorrangs, mit der zusätzlich die ständige Erweiterung der Betriebs- zu Lasten der Tarifautonomie angesprochen ist (§ 5 S. 107 ff.), und des Vorliegens eines kollektiven Tatbestands als zentralem Problem für die Abgrenzung von Individual- und Kollektivbereich, mit dem sich der 1. Senat in einer ganzen Reihe von Entscheidungen durch wechselnde Abgrenzungskriterien äußerst schwer tut (§ 6- S. 120 ff), ist insbesondere auf die Entscheidung des Großen Senats einzugehen (§ 7 - S. 143 ff). Nach dieser soll schon die Anrechnung bzw. der Widerruf selbst der Mitbestimmung unterliegen, wenn sich durch sie die Verteilungsgrundsätze ändern. Sowohl an den vom Großen Senat gewählten Bezugspunkten und -größen, als auch an dem Anknüpfen des Mitbestimmungsrechts an die an sich nur individualrechtlichen Grenzen unterliegenden Kürzung übertariflicher Zulagen anläßlich einer Tariflohnerhöhung wird nicht nur eine Mißachtung der jeweils im Einzelfall bestehenden Vertragsgestaltung, sondern insgesamt die Abkehr von der Vertragsfreiheit deutlich. Die Problematik wird zusätzlich durch die Annahme verschärft, daß in Übereinstimmung mit der herrschenden Literaturauffassung von einer automatischen Unwirksamkeit nichtmitbestimmter individualrechtlicher Maßnahmen ausgegangen wird, womit der Betriebsrat vollends die Hoheit über den bilateralen Regelungsbereich erhält. Insgesamt ist damit sichergestellt, daß der Betriebsrat praktisch zu jeder Zeit seine Gerechtigkeitsvorstellungen notfalls über die Einigungsstelle gegenüber denen der Arbeitsvertragsparteien durchsetzen kann. Zwar ist solchermaßen nicht die in der Vergangenheit angestrebte Absicherung im Zusammenhang mit einer Erhöhung des tariflichen Entgelts gelungen, gleichwohl können übertarifliche Zulagen nur sehr beschränkt ihre vielfaltigen Funktionen entfalten. Bevor die Rechtsprechung durch Auslegung der einzelnen Arbeitsverträge unter Rückgriff auf die Zweckbestimmungen der Zulagen verschiedentlich Anrechnungshindernisse konstruierte 13 , versuchten die Gewerkschaften, durch Effektivklauseln den übertariflichen Lohn in seinem Bestand rechtlich abzusichern,
I. Einführung in die Materie und Gang der Untersuchung
15
scheiterten aber in der Praxis an der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die diese generell für rechtsunwirksam hält 14 . Dasselbe rechtliche Schicksal teilen die im Grundsatz wirksamen Verdienstsicherungs- und Besitzstandsklauseln, soweit sie den Bereich übertariflicher Entlohnung normativ sichern sollen 15 . Besondere Relevanz hat dieser Komplex vor dem Hintergrund der von den Gewerkschaften geforderten "Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich" gewonnen. Auch hier kann eine entsprechende Tarifklausel nicht bedeuten, daß das individualvertragliche Recht des Arbeitgebers zur Kürzung der übertariflichen Zulage beseitigt bzw. der Tariflohn um die Zulage aufgestockt wird, da sie damit eine unwirksame Effektivgarantieklausel darstellen würde 16 . Nachdem nun die Rechtsprechung dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei übertariflichen Zulagen einräumt, gehen die Überlegungen der Gewerkschaften dahin, ob und wie durch entsprechende Klauseln das Mitbestimmungsrecht tariflich eingeschränkt oder erweitert werden kann, um so Einfluß auf die Betriebsparteien bei der Gestaltung der Zulagen zu neh-
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Vgl. BAG v. 19. 7. 1978, AP Nr. 10 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung; BAG v. 23. 1. 1980, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung; BAG v. 8. 12. 1982, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung. 14 Zur Effektivgarantieklausel vgl. BAG ν. 13. 6. 1958, AP Nr. 2 zu § 4 TVG Effektivklausel sowie zur herrschenden Meinung im Schriftum Schaub, § 204 IV 4, S. 1531 und Wiedemann/Stumpf \ TVG, § 4 Rdnr. 266 m.w.Nachw.; Zur nach wie vor in ihrer Zulässigkeit stark umstrittenen begrenzten Effektivklausel vgl. BAG ν. 14. 2. 1968, AP Nr. 7 zu § 4 TVG Effektivklausel mit abl.Anm. Bötticher, bejahend Däubler, Tarifvertragsrecht, Rdnr. 584, 590 ff m.w.Nachw.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 36 IV 1, S. 362 f. m.w.Nachw. in Fn. 41, wie das BAG dagegen Mayer-Maly, in: FSGiger, S. 469, 471 mit Hinweisen zum österreichischen und schweizerischen Schrifttum. 15 Im Gegensatz zu den Effektivklauseln sollen diese nicht die Aufsaugung, sondern den Abbau des Effektivlohns durch Tätigkeitsveränderungen bzw. aus Anlaß des neuen Tarifvertrags verhindern; zur Verdienstsicherungklausel vgl. BAG ν. 16. 4. 1980, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Effektivklausel m.zust.Anm. Wiedemann BAG DB 1987, S. 2522 m.w.Nachw.; zur Besitzstandsklausel BAG v. 5. 9. 1985, AP Nr. 1 zu § 4 TVG Besitzstand m.krit. Anm. Wiedemann , vgl. zum Ganzen Löwi sch/Rieb le, TVG, § 1 Rdnr. 533, 538; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 36 IV 3, 4, S. 363 f.; und zum schon aus gewerkschaftspolitischen Gründen mißlungenen Versuch, durch "betriebsnahe Tarifpolitik", also betriebliche Zusatztarife die Absicherung zu erreichen, Däubler, Tarifvertragsrecht, Rdnr. 605 ff 16 Vgl. BAG v. 3. 6. 1987, AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie mit abl. Anm. Lund\ BAG ν. 16. 9. 1987, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Effektivklausel mit krit. Anm. Brox/Müller; ablehnend Zachert, NZA 1988, 185 ff m.w.Nachw.; regelmäßig führt dies durch das Zusammenspiel von tariflichem und übertariflichem Lohn zu einer Minderung des Effektivlohns des auf Stundenlohnbasis bezahlten Arbeitnehmers, vgl. dazu und zur dagegen unterschiedlichen Wirkungsweise beim Wochen- oder Monatslohn, Joost, JuS 1989, 274, 278.
Einleitung
16
men 17 . Einerseits besteht bei den Gewerkschaften die durchaus berechtigte Sorge vor einem fortschreitenden Kompetenzverlust, andererseits entspricht diese Entwicklung der von ihnen auf den Weg gebrachten allgemeinen Tendenz zur sog. betriebsnahen Gestaltung der Arbeitsverhältnisse 18. Nach diesem kurzen Überblick über die Problemstellung und den Gang der Untersuchung ist noch auf den Regelungsgegenstand mit seinen Ursachen und Erscheinungsformen einzugehen.
I I . Erscheinungsformen übertariflicher Entlohnung Begrifflich wird mit der übertariflichen Zulage das Entgelt bezeichnet, welches der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer über den tariflichen Mindestlohn hinaus gewährt, wobei sachlich an den tariflich geregelten Gegenstand wie z.B. Löhne, Urlaubsgelder, Weihnachtsgratifikationen oder Zuschläge für besondere Arbeitsbedingungen wie Erschwerniszulagen angeknüpft wird 1 9 . Davon sind die außertariflichen Zulagen zu unterscheiden, die ihrem Gegenstand nach im Tarifvertrag nicht vorgesehen sind 20 . Die mit über- und außertariflichen Zulagen tatsächlich gezahlten Löhne liegen zumeist erheblich über den tariflich Vergütungen, so daß diesen nur die Bedeutung eines garantierten Mindestlohns zukommt 21 . Dieses Auseinanderklaffen von Tarif- und Effektivlöhnen 22 hat seine Ursache darin, daß in der Bundesrepublik die meisten Ar-
17
Vgl. Schwarze, Der Betriebsrat im Dienst der Tarifvertragsparteien, S. 344 ff, 350 f.; Weyand, AuR 1993, 1, 10 ff.; Zur umstrittenen Zulässigkeit der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten durch Tarifvertrag vgl. BAG ν. 18. 8. 1987, AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972. 18 Vgl. Feudner, DB 1993, 2231 ff.; Zachert, NZA 1988, 185, 190; eingeleitet wurde diese Tendenz mit dem "Leber-Kompromiß" vom 28. 6. 1984, der die konkrete Umsetzung der tariflichen Arbeitszeit den Betriebsparteien überließ. 19 BAG v. 31. 5. 1972, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Bergbau; Wiedemann/Stumpf, TVG, § 4 Rdnr. 253; Oetker, RdA 1991, 16, 17; Nach Preis, Vertragsgestaltung, S. 64 enthalten etwa 70 % aller Angestelltenverträge und etwa 60 % aller Arbeitsverträge Regelungen zu übertariflichen Zulagen. 20 Zum nicht immer einheitlichen Sprachgebrauch, teilweise sogar synonymen Verwendung beider Begriffe, vgl. Ziepke, Anrechnung, S. 6 f. 21 Zum Einfluß der Tariflöhne auf die Real- bzw. Nominallöhne siehe Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 33 Π 3 - 6, S. 329 ff.; Zöllner, AcP 176 (1976), S. 221, 230 ff.: "Auslöse- und Indikatorfunktion für Lohnanpassung an Inflation und Produktivität". 22 Dabei wird die Differenz der prozentualen Veränderungsraten von Tarif- und Effektivlöhnen als "Lohnauftrieb" oder "wage drift" bezeichnet; steigen die Effektivlöhne proportional stärker als die Tariflöhne spricht man von positiver, andernfalls von negativer Drift, vgl. dazu und zu ökonomischen Gesichtspunkten Robak/Wolter, ArbGegw 21 (1984), S. 71, 76 ff.; Woll, Volkswirtschaftslehre, S. 265; Ackermann, in: HdWb des Personalwesens, (Hrsg. Gaugler\ S. 1242 ff.
Π. Erscheinungsformen übertariflicher Entlohnung
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beitsverhältnisse Flächen- und nicht Firmentarifverträgen unterliegen. Diese Praxis hat zur Konsequenz, daß sich die Tarifverträge an der durchschnittlichen Ertragslage der Unternehmen ausrichtet, um die Belastbarkeitsgrenze sogenannter Grenzbetriebe nicht zu überschreiten 23. Dadurch ist dann den leistungsstärkeren Unternehmen ohne tarifliche Verpflichtung die finanzielle Möglichkeit eröffnet, den garantierten Lohn durch übertarifliche Zulagen aufzustocken, wobei sich in der Praxis zeigt, daß dies sehr stark von der Unternehmensgröße abhängt; um so größer das Unternehmen, desto größer ist der Abstand des Effektivlohns vom Tariflohn 24 . Mit dieser Aufstockung verfolgen die Unternehmen unterschiedliche Zwecke 25 , woraus sich zwei Gruppen übertariflicher Zulagen ergeben. Die erste Gruppe 26 ist dadurch gekennzeichnet, daß eine bloße Ergänzung bzw. Verfeinerung des Tarifentgelts bezweckt wird. Die Ergänzung kann zum einen deswegen notwendig sein, weil der Tariflohn als Mindestlohn im Hinblick auf die allgemeinen Lebenshaltungskosten nicht ausreichend erscheint 27. Dabei können sie für das ganze Unternehmen gewährt werden oder auch nur für in anderen Tarifbereichen gelegenen Betrieben als Ausgleich der durch regionale Tarifgefalle entstandenen Differenzen. Zum anderen bietet die Gewährung übertariflicher Zulagen die Möglichkeit, den Nivellierungstendenzen der "solidarischen Lohnpolitik" der Gewerkschaften entgegenzusteuern28. Um einer durch rein prozentuale Lohnerhöhungen verursachten überproportionalen Anhebung der oberen Lohngruppen - der sog. Lohnschere - entgegenzuwirken, werden in den Tarifverträgen auf Forderung der Gewerkschaften Sockel- oder Mindestbeträge für die unteren Lohngruppen vereinbart, teilweise sogar die unterste Lohngruppe ganz gestrichen 29. Dies führte in den letzten Jahren dazu, daß der Abstand zwischen den unteren Lohngruppen und den Facharbeitergruppen derart verkürzt wurde, daß sich die Arbeitgeber gezwungen sehen, den dringend benötigten qualifizierten Fachkräften in den Vertragsverhandlungen einen materiellen Anreiz durch die Möglichkeit überta23
Vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 1 Rdnr. 76. Vgl. Eyer, in: Mitarbeitervergütung (Hrsg. Hromadka), S. 2, 14. 25 Vgl. dam Hromadka, DB 1986, 1921, 1922 f.; ders., DB 1988, 2636 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rdnr. 575; Wiedemann/Stumpf, TVG, Rndr. 273; Hunold, DB 1981, Beilage Nr. 26, S. 1, 8 f.; Eich, DB 1980, 1340 f. 26 Vgl. Eyer, in: Mitarbeitervergütung (Hrsg. Hromadka), S. 2, 12 ff. 27 Diese werden allgemein als Teuerungs- bzw. Konjunkturzulagen bezeichnet, vgl. BAG AP Nr. 5, 6 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung. 28 Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, S. 278; Hunold, DB 1981, Beilage Nr. 26, S. 1, 9, Eich, DB 1980, 1340 f. 29 Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 1 Rdnr. 53; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rdnr. 558 weist darauf hin, daß sich in Folge dieser Entwicklung die unterste Lohngruppe von 60% des Ecklohns im Jahre 1950 auf 80 % des Ecklohns im Jahre 1973 erhöht hat. 24
2 Wittgruber
18
Einleitung
riflicher Entlohnung zu verschaffen 30. Auch wird die Arbeitnehmerschaft insgesamt motiviert, sich weitere Kenntnisse anzueignen und so ihre Qualifikation zu erhöhen 31 . Mit diesen sog. Arbeitsmarktzulagen können also leistungsstarke und qualifizierte Arbeitnehmer für das Unternehmen gewonnen bzw. deren kostenträchtige Abwanderung verhindert werden. Neben der bloßen Ergänzung zwecks Ausgleichs tariflicher Fehlentwicklungen dienen übertarifliche Zulagen als sog. Halbgruppenzulagen 32 auch zur Verfeinerung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung, da das in Tarifverträgen übliche Katalogverfahren nur schematisch die Arbeitsverrichtungen in entsprechende Lohngruppen 33 einreiht und so angesichts der Veränderungen der betrieblichen Arbeitsstrukturen zu wenig die individuellen Verhältnisse eines Betriebes berücksichtigt 34 . Schließlich bieten allgemeine übertarifliche Zulagen für die Unternehmen den Vorteil, sich flexibel der jeweiligen konjunkturellen Lage anpassen zu können; während in Zeiten der Hochkonjunktur übertarifliche Entlohnung notwendig zur Gewinnung von Arbeitskräften ist, kann diese während der Rezession relativ problemlos ganz oder teilweise abgeschafft werden. Die zweite Gruppe umfaßt alle Zulagen, die im Hinblick auf tariflichen Zusatzleistungen gewährt werden. Sie sind so vielgestaltig, daß eine abschließende Aufzählung nicht möglich ist 35 . Besonders praxisrelevant sind die sog. Leistungszulagen, mit denen zusätzliche Leistungsanreize für den einzelnen Arbeitnehmer geschaffen werden. Die heute am meisten verbreitete Form der Entlohnung ist der Zeitlohn, mit dem im Gegensatz zum Akkord- und Prämienlohn im Rahmen der Leistungslohnsysteme nicht die effektive Leistung, sondern die tatsächlich geleistete Arbeitszeit vergütet wird 3 6 . Den daraus resultierenden Nachteil, daß keine Motivation zu überdurchschnittlicher Leistung ausgelöst wird, versuchen die Arbeitgeber durch die Gewährung von Zulagen zu beheben. Kriterien für deren Bemessung sind z.B. Erfüllung der 30 Weitere negative Folgen sind zu hohe Lohnkosten fur den Arbeitgeber und Beschäftigungsprobleme bei ungelernten Arbeitnehmern, vgl. Hromadka, FS-Der Betrieb, 241,249. 31 Insofern spricht man auch von "Flexibilitätsentlohnung", mit der das Erlangen vielfältiger Qualifikationen vergütet wird, vgl. Kreis, HdWb der Betriebswirtschaftslehre, S. 616. 32 Vgl. BAG AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 33 Vgl. die Beispiele bei Lücke, Arbeitsleistung, Arbeitsbewertung, Arbeitsentlohnung, in: Industriebetriebslehre, (Hrsg. Jacob), S. 249 f.; zu den einzelnen Methoden der Arbeitsbewertung vgl. Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, S. 273 ff 34 Zur rechtlich problematischen Kompensation untertariflicher Arbeitsbedingungen durch Gewährung übertariflicher Zulagen, vgl. Belling , Günstigkeitsprinzip, S. 177 ff 35 Vgl. die Aufzählung bei Wiedemann/Stumpf.\ TVG, Rdnr. 272, 273. 36 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 15 V 2, S. 172; Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, S. 278 ff.
Π. Erscheinungsformen übertariflicher Entlohnung
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Vertragspflichten, Eigeninitiative und Mitdenken, Solidarität mit der Firma, kollegiale Zusammenarbeit, kundengerechtes Verhalten, allgemeines Berufsinteresse oder persönliche Einsatzbereitschaft 37. Weitere Zulagen, mit denen ein Sonderzweck im Rahmen des Arbeitsverhältnisses verfolgt wird, sind die Sozialzulagen, mit denen besondere soziale Verhältnisse des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, also Verheirateten-, Kinder-, Alters-, Dienstalters-, Wohn- und Ortszuschläge für Alleinerziehende 38 . Außergewöhnliche Arbeitsbelastungen können zu Erschwernis-, Risikound Lästigkeitszulagen führen, trägt der Arbeitnehmer zusätzlich zu seinem eigentlichen Aufgabenbereich eine besondere Verantwortung, so kann eine Funktionszulage gewährt werden 39 . In der Praxis sind diese Zwecksetzungen zumeist miteinander verbunden. In erster Linie dient die übertarifliche Zulage in Form der Teuerungs- bzw. Arbeitsmarktzulage der Austarierung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten durch Ergänzung und Feinabstimmung des eigentlichen Arbeitsentgelts, also der Bestimmung des individuell "richtigen" Lohns 40 . Aber auch die zweite Gruppe, die sich grundsätzlich durch das Setzen von Sonderzwecken charakterisieren läßt, kann diesem primären Zweck dienen, was insbesondere für die Leistungszulage gilt. Findet zur Bestimmung ihrer Höhe eine Leistungsbewertung des Arbeitnehmers statt, z.B. nach einem Punktesystem für die einzelnen Leistungskriterien mit entsprechend ausgewiesenen Geldbeträgen 41, so handelt es sich wegen der damit erfolgten spezifischen Zwecksetzung um eine benannte übertarifliche Zulage 42 . Erscheinen dagegen die Leistungskriterien ohne Gewichtung oder sind diese bloß neben anderen, z.B. sozialen oder arbeitsmarktorientierten Kriterien aufgeführt 43, dient auch 37 So u.a. der Kriterienkatalog des beteiligten Arbeitgebers in den Verfahren, die zu den Entscheidungen des BAG vom 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG Tarifvorrang, und vom 31.1. 1984, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, führten. Diese Kataloge gehen von drei Hauptkriterien aus: Leistung, Verhalten und Einsatzbereitschaft des Arbeitnehmers, vgl. dazu und zur weiteren Unterteilung Bloch, Leistungsbewertung, in: HdWb des Personalwesens (Hrsg. Gaugier), S. 1164, 1169 f. 38 UMchAibR/Kreßel, § 65 Rdnr. 229; Schaub, Handbuch, § 69 VII, S. 429. 39 MtinchAibR/Kreßel, § 65 Rdnr. 219, 225; Schaub, Handbuch, § 69 VI, S. 428. 40 Diese werden als "unbenannte" oder "allgemeine" übertarifliche Zulage bezeichnet, im Gegensatz zu den "benannten" Entgeltbestandteilen, die die zweite Zulagengruppe ausmachen, vgl. Hromadka, DB 1988, 2636, 2637; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 1 Rdnr. 171 ff. 41 Vgl. MünchArbR/Ä>e/fo?/, § 65 Rdnr. 98 ff. 42 Fehlt insofern eine tarifliche Regelung, so handelt es sich um eine außertarifliche Zulage, vgl. Hromadka, DB 1988, 2636, 2637; Lieb, SAE 1993, 114, 116 f. 43 Zutreffend schlägt Hromadka, DB 1988, 2636, 2637, vor, insofern von Motiven und nicht von Zwecksetzungen zu sprechen, da diese nicht Vertragsbestandteil werden, also kein Eigenleben wie bei den benannten Zulagen haben.
.20
Einleitung
sie der Herstellung einer arbeitsmarktgerechten Vergütung, wird also zum Bestandteil einer allgemeinen übertariflichen Zulage.
7. Teil
Auslegung des Begriffs "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung" § 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit" Nach § 87 I Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einfuhrung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Zum Lohn im Sinne dieser Vorschrift gehören nach inzwischen überwiegender Meinung alle Formen von Vergütung eines Arbeitsverhältnisses, also auch übertarifliche Zulagen jeder Erscheinungsform 1. Schwierigkeiten hingegen bereitet die Auslegung des gesamten Tatbestandsmerkmals "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung".
L Die Konkretisierung durch die Rechtsprechung Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts betrifft das Mitbestimmungsrecht die Feststellung abstrakt-genereller Grundsätze zur Lohnfindung, wobei es um die Strukturformen des Entgelts einschließlich der näheren Vollziehungsformen gehe, nicht aber um die Höhe des Entgelts2. Diese Auslegung wird darüber hinaus durch das Herausstellen eines speziellen Mitbestimmungszwecks konkretisiert. Danach soll die Mitbestimmung des Betriebsrats in diesem Bereich den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen und die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit gewährleisten, wobei es um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges gehe; es gehe also nicht um das Verhältnis von Arbeitsleistung und Entlohnung, sondern um das Verhältnis der einzelnen Leistungen zueinander, um die sog. "Verteilungsgerechtigkeit" 3. Auch nach der ganz herrschenden Lite1 Vgl. BAG v. 17. 12. 1980, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG v. 31. 1. 1984, AP Nr. 15 zu § 87 BerVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 464 m.w.Nachw. 2 Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972; BAG, AP Nr. 2, 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 3 Vgl. BAG v. 14. 11. 1974, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972; BAG ν. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang.
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
raturauffassung sind mit den Fragen der betrieblichen Lohngestaltung alle die Regelungen umfaßt, von denen bei der Ausgestaltung der einzelnen Lohnformen die Lohngerechtigkeit abhängt4. Dadurch allein ist indes für die Bestimmung der Reichweite des Tatbestands noch nichts gewonnen. Zu Recht wird daher der Begriff der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit von Joost als "wissenschaftlich unbrauchbar" und als "Leerformel" bezeichnet5. Er versagt auch den anderen Topoi des Bundesarbeitsgerichts jeden Erkenntniswert für die Auslegung6. Die "Angemessenheit des Lohngefüges" könne die Lohngerechtigkeit nicht konkretisieren, da es ersichtlich keine abstrakten Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit einer Leistung im Verhältnis zu einer anderen gebe und es um das materiell angemessene Entgelt, also die Lohnhöhe, auch nach dem Bundesarbeitsgericht nicht ankomme; gleiches gelte für die "Durchsichtigkeit des Lohngefüges" als Interpretationshilfe, da die mitbestimmte Regelung nicht notwendig durchsichtiger sei oder sein müßte und im übrigen dafür ein Informationsrecht des Betriebsrats genügen würde 7. Die "Verhinderung einer einseitig an den Interessen des Unternehmens ausgerichteten Lohngestaltung" tauge nicht als spezieller Mitbestimmungszweck, da schließlich jedes Mitbestimmungsrecht der Begrenzung der einseitigen Bestimmungsmacht diene. Insgesamt lehnt Joost die Fragestellung nach einem speziellen Mitbestimmungszweck im Entgeltbereich, insbesondere die Bestimmung der Mitbestimmungsreichweite mit Hilfe von Gerechtigkeitserwägungen, ab und spricht sich zutreffend dafür aus, die Reichweite der Mitbestimmung unter maßgeblicher Berücksichtigung des gesamten Systems festzustellen, das für die Festlegung der Arbeitsbedingungen gilt 8 .
I I . Auslegung nach der klassischen Methodenlehre Eine andere Möglichkeit besteht auch nicht, da sich die Auslegungskriterien der klassischen Methodenlehre 9 für eine konkrete Reichweitenbestimmung der Norm durch eine handhabbare Definition als unergiebig erweisen.
4
Vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 593 m.w.Nachw. ZfA 1993,257, 261 f. 6 ZfA 1993, 257, 263 f. 7 Vgl. zum Einsichtsrecht bei übertariflichen Zulagen, BAG AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972. 8 ZfA 1993, 257, 265; im Ergebnis auch Reichold, RdA 1995, 147, 156. 9 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 312 ff, 343 ff. 5
Π. Auslegung nach der klassischen Methodenlehre
23
1. Wortlaut und Systematik Das Tatbestandsmerkmal "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung" ist vom möglichen Wortsinn so weit gefaßt, daß praktisch alle Entgeltbedingungen unter ihn fallen können. Durch die systematische Auslegung der Norm ist dies jedoch dahingehend einzuschränken, daß mit "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung" jedenfalls in erster Linie die technisch-formelle Ausgestaltung der Lohnfindung von der Mitbestimmung umfaßt ist. Das Gesetz benutzt diesen Begriff durch die Verwendung des Merkmals "insbesondere" als Oberbegriff zu den nur beispielhaft aufgeführten Entlohnungsgrundsätzen und -methoden 10 , unter denen die Prinzipien der Entgeltbemessung bzw. die Art und Weise der Durchführung des gewählten Entlohnungsgrundsatzes zu verstehen sind 11 . Welche Bedeutung dieser Begriff hat, kann danach allerdings nicht abschließend beurteilt werden. Allerdings ist aus dem Vergleich mit § 87 I Nr. 11 BetrVG, der bei leistungsbezogenen Entgelten ausdrücklich die Mitbestimmung auf die Geldseite erstreckt, zu schließen, daß die Mitbestimmung nach § 87 I Nr. 10 BetrVG nicht die Höhe des Arbeitsentgelts umfaßt, da ansonsten mit der Nr. 11 eine überflüssige Regelung getroffen worden wäre 12 .
2. Historisch-teleologische Auslegung und Freiwilligkeitsgrundsatz W i l l man nun im Rahmen der Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG die Vorstellungen des Gesetzgebers heranziehen, so stellt sich zunächst die Methodenfrage, ob der objektiv verstandene oder der subjektive Wille des Gesetzgebers zu ermitteln ist 13 . Dabei muß für das Betriebsverfassungsgesetz, welches eine rechtspolitisch höchst umstrittene Materie regelt, die Gesetzesentstehung und -begründung, d.h. der subjektive Gesetzgeberwille entscheidend sein 14 . Durch eine Ermittlung des objektiv verstandenen Willens besteht die
10
Vgl. BAG AP Nr. 2, 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 461; GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 600. 11 Vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 500, 509. 12 Herrschende Meinung, vgl. BAG AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; GK -Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 596, 597 m.w.Nachw.; a.A. Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rdnr 254 f.; Gester/Isenhardt, RdA 1974, 80, 82; Klinkhammer, AuR 1977, 363, 365; Moll, Mitbestimmung, S. 157 ff., 183 f.; Strieder, BB 1980, 420, 422; siehe auch den von der SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzesentwurf v. 23. 7. 1985 hinsichtlich einer Neufassung u.a. des § 87 I Nr. 10, 11 BetrVG, wonach sich die Mitbestimmung auch auf die konkrete Lohnhöhe erstrecken sollte, BT-Drucks. 10/3666, S. 15; vgl. dazu die Kritik von Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ? (Hrsg. Beuthien), S. 41, 55 f. m.w.Nachw. 13 Vgl. Lorenz, Methodenlehre, S. 316 ff 14 So auch Dütz/Schulin, ZfA 1975, 103, 127 f.
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
Gefahr, daß die dem Rechtsanwender eigenen Vorstellungen als gesetzgeberischer Wille ausgegeben werden und damit der im Parlament erreichte Kompromiß, den die Norm darstellt, zugunsten bzw. zulasten einer Seite verschoben wird. Nach der Gesetzesbegründung "erstreckt die Nr. 10 des § 87 I BetrVG das Mitbestimmungsrecht über die früher geltende Regelung des § 56 I lit. h BetrVG 1952 hinaus auf alle Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, soweit es sich um die Festlegung allgemeiner Regelungen handelt, um dadurch ein umfassendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in diesem Bereich sicherzustellen" 15 . Zum einen ergibt sich daraus, daß für das Eingreifen eines Mitbestimmungsrechts das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands Voraussetzung ist, zum anderen jedoch kann aus der Begründung nur geschlossen werden, daß über die Begriffe "Entlohnungsgrundsätze" und "Entlohnungsmethoden" hinausgegangen werden sollte 16 , wie "umfassend" das Mitbestimmungsrecht in einer bestimmten Sachfrage letztlich sein soll, ist aber nicht feststellbar. Unzulässig ist es jedenfalls, wenn irgendwelche Äußerungen eines am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten herangezogen und dies dann als ausschlaggebender Wille des Gesetzgebers ausgegeben wird 1 7 . So ist es verfehlt, wenn Gester und Isenhardt zur Begründung für eine Erstreckung auf die Lohnhöhe Stellungnahmen von SPD-Abgeordneten während der Beratungen des Betriebsverfassungsgesetzes anführen 18 . Auch ist es inhaltlich nicht logisch zwingend, aus der gesetzgeberischen Intention eines "umfassenden" Mitbestimmungsrechts auf eine Erstreckung auf materielle Arbeitbedingungen zu schließen19. An anderer Stelle schließlich heißt es in der Begründung zum Regierungsentwurf: "Im kollektivrechtlichen Bereich erweitert der Entwurf die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrats auf wichtigen Gebieten, ohne in die eigentlichen unternehmerischen Entscheidungen, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet, einzugreifen" 20 . An diesem Passus hat sich der weit verästelte Streit entzündet, ob und wie weit daraus ein die Mitbestimmung einschränkender Vorbehalt der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit ab-
15
BT-Drucks. VI/1786, S. 49; BR-Drucks. 715/70, S. 49. Vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/H either, BetrVG, § 87 Rdnr. 130; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 225\Magula-Lösche y Sozialleistungen, S. 46. 17 Vgl. Dütz/Schulin, ZfA 1975, 103, 131. 18 RdA 1974, 80, 82; mit diesen Stellungnahmen setzt sich Magula-Lösche, Sozialleistungen, S. 46 ff., auseinander. 19 So aber Gester/Isenhardt, RdA 1974, 80, 82. 20 BT-Drucks. VI/1786, S. 31. 16
Π. Auslegung nach der klassischen Methodenlehre
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geleitet werden kann. Dabei ist schon unter den Befürwortern umstritten 21 , was mit dem Begriff der Unternehmensautonomie überhaupt gemeint ist 2 2 , desweiteren, ob ein etwaiger Vorrang nicht einmal mittelbare Auswirkungen eines Mitbestimmungsrechts auf unternehmerische Entscheidungen zuläßt 23 und damit zusammenhängend, ob gegebenenfalls das Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen24 oder nur eine Ermessensbindung der Einigungsstelle anzunehmen ist 2 5 bzw. das Initiativrecht auf ein Vetorecht verkürzt wird 2 6 . Dagegen lehnt das Bundesarbeitsgericht in seiner Kaufhof-Entscheidung 27 einen allgemeinen Vorbehalt unter anderem mit der Begründung ab, daß die Systematik zeige, daß der Gesetzgeber die Interdependenz zwischen betrieblicher Mitbestimmung und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit gesehen und den dahinter stehenden Interessenkonflikt durch Gewährung unterschiedlicher Beteiligungsrechte selbst schon entschieden und gelöst habe28. Eine fürwahr
21 Zum Streitstand vgl. BAG ν. 31. 8. 1982, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, unter Β ΠΙ 2 der Gründe; Weingart, Entscheidungsfreiheit, S. 77 ff; Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 199 ff. 22 So die Kontroverse von Beuthien, ZfA 1988, 1, 6 ff, der sie als Unternehmensträgerschaft sieht und gesellschaftsrechtliche Deutungen ablehnt, und Martens, RdA 1989, 164, 166, der sie als gesellschaftsrechtliche Geschäftsführungsautonomie definiert; vgl. dazu auch Loritz, ZfA 1991, 1, 21 f. 23 Vgl. Eich, DB 1980, 1340, 1343 f. speziell zu Anrechnung und Widerruf übertariflicher Zulagen. 24 Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz y BetrVG, § 87 Rdnr. 69; Beuthien, ZfA 1988, 1, 12 ff.; Reuter , ΖΐΑ 1981, 165, 166; Kraft, FS-Rittner, S. 285, 298 ff. 25 Vgl. Lieb, DB 1981, Beil. Nr. 17, S. 1,4 ff. 26 Vgl. Boewer, DB 1973, 522, 526 f., der dies bei materiellen Arbeitsbedingungen wegen ihres Bezugs zu den wirtschaftlichen Entscheidungen des Arbeitgebers annimmt; ebenso im Ergebnis Wiese, Initiativrecht, S. 27 ff, 39 ff, wonach ein Initiativrecht dem Betriebsrat aufgrund der Wertentscheidung des Gesetzgebers nur dann zusteht, wenn die Mitbestimmung zu lediglich mittelbaren Auswirkungen auf den unternehmerischen Bereich führt. 27 BAG v. 31. 8. 1982, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA Nr. 13 zu § 87 BetrVG Arbeitszeit m.abl.Anm. Richardi (diese Entscheidung bestätigend, BVerfG v. 18. 12. 1985, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; vgl. dazu kritisch Papier, RdA 1989, 138, 142); BAG ν. 4. 3. 1986, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit m.abl.Anm. Wiese = SAE 1987, 34 mit.abl.Anm. Reuter; der Rechtsprechung folgend v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 ΠΙ 4, S. 9; v.Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, ZfA 1988, 293, 313 ff. 28 Insoweit folgend Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 200; desweiteren setzt sich das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis ablehnend mit den Literaturmeinungen auseinander, die einen Vorbehalt unternehmerischer Entscheidungsfreiheit zum einen aus § 76 V 3, 4 BetrVG bzw. den §§111 BetrVG herleiten wollen; vgl. Lieb, DB 1981, Beil. Nr. 17, S. 4 f.; Badura, WiR 1974, 1, 17 f.; Eich, DB 1980, 1340, 1343; Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 30, 31; Martens, RdA 1989, 164, 168 f., der die fehlende Sachkompetenz dieser bloß externen Einrichtung hervorhebt; vgl. auch die Kritik von Beuthien, ZfA 1988, 1, 3 und Loritz, ZfA 1991, 1, 23, an der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, es lasse sich schon der Kernbereich der Unterneh-
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
hohe Anforderung an unseren Gesetzgeber und bereits von daher und angesichts der Vielzahl der zu regelnden Angelegenheiten eine äußerst zweifelhafte Sichtweise; im übrigen wird im nächsten Abschnitt darauf zurückzukommen sein, daß damit allein eine Auslegung nicht möglich ist. Sicherlich kann man nicht von einem generellen Vorrang der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit ausgehen, da dies im Widerspruch zum allgemein anerkannten Zweck notwendiger Mitbestimmung läge, den Arbeitnehmer vor der einseitigen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers zu schützen29. Nur hat dies nicht den weiteren Schluß zur Folge, daß es für die Beurteilung der Reichweite eines Mitbestimmungsrechts irrelevant ist, daß im gegebenen Fall die Unternehmensautonomie tangiert wird 3 0 . Das zeigt schon ein Vergleich mit den anderen betrieblichen Mitwirkungsrechten wie den §§ 90, 91 BetrVG sowie den §§ 106 ff. BetrVG, die wegen ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit unternehmerischen Entscheidungen nicht erzwingbar ausgestaltet sind 31 , wird aber insbesondere im Hinblick auf die nötige Trennung von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung deutlich 32 . In diesem Sinn heißt es in der oben zitierten Begründung weiter, "daß die Fragen der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung nicht im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes geregelt werden sollten, sondern einer Neuregelung des Unternehmensverfassungsrechts vorbehalten bleiben müssen"33. Unternehmerische Mitbestimmung soll nach diesen eindeutigen Worten also nur auf Unternehmensebene erfolgen, so daß dies im Grundsatz auch für die Mitbestimmungstatbestände zu gelten hat, die materielle Arbeitsbedingungen betreffen, wie die Nr. 10 des § 87 I BetrVG 3 4 . Auch in diesen Angelegenheiten kann es nicht dazu kommen, daß der Betriebsrat Einfluß auf die Unternehmensführung bekommt. Mal ganz davon abgesehen, daß den Betriebsräten wohl kaum die für Unternehmenspolitik erforderliche Sachkompetenz zugestanden werden kann 3 5 und diese keine hinreichende rechtliche Verantwortung für ihr Handeln
mensautonomie nicht bestimmen, so daß von daher ein Vorbehalt nicht anerkannt werden könne. 29 Vgl. unten § 4. 30 vgl. Kraft, ZÌA 1995,419,427; Heinze, NZA 1986, 1, 10. 31 Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 65; Boewer, DB 1973, 522, 527; Wiese, Initatvrecht, S. 38 f. 32 Vgl. Lieb, ZfA 1978, 179, 186 f.; ders., ZfA 1988, 413, 434 f.; ders., Arbeitsrecht, § 8 ΠΙ 1, S. 226; Martens, RdA 1989,164, 169 ff. 33 Vgl. BT-Drucks. VI/1786, S. 31. 34 Zur im Ansatz immer noch zutreffenden Unterscheidung von formellen und materiellen Arbeitsbedingungen, vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 28; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 47 IV 1, S. 508 f.; Lieb, DB 1981, Beil. Nr. 17, S. 1, 3 f.; kritisch Fitting/A ufarth/Kaiser/H either, BetrVG, § 87 Rdnr. 18. 35 So Loritz, ZfA 1991, 1,22 f.
Π. Auslegung nach der klassischen Methodenlehre
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tragen 36 , ist eine Kumulation von Mitbestimmungsrechten in Unternehmensfragen auf unternehmerischer und zusätzlich auf betrieblicher Ebene schwerlich vereinbar mit der wenigstens im Kernbereich grundgesetzlich durch Art. 12, 14 GG geschützten Unternehmensautonomie 37 und entspricht ebenso nicht der Aufgabenteilung beider Ebenen, die dem Betriebsrat grundsätzlich lediglich die Wahrnehmung betriebs- bzw. belegschaftsbezogener Belange zuweist. Ein Mitbestimmungsrecht besteht folglich durchaus nicht ohne Rücksicht auf dessen Auswirkungen auf die unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Soweit ein Vorhaben des Arbeitgebers unternehmenspolitischen Charakter aufweist, ist es in den für die Führung des Unternehmens notwendigen Teilen von vornherein nicht der betrieblichen Mitbestimmung unterworfen. Das Bundesarbeitsgericht erkennt dies im Ergebnis selbst an, wenn es nicht nur zutreffend die Lohnhöhe als mitbestimmungsfrei erachtet, sondern darüber hinaus bei freiwilligen Entgeltleistungen die vier Freiheiten des Arbeitgebers von der Regelungskompetenz des Betriebsrats ausnimmt 38 und ein über den Verteilungsplan hinausgehendes Mitbestimmungsrecht unter Hinweis auf den im Zusammenhang mit der im Wege der Direktzusage gewährten betrieblichen Altersversorgung 39 entwickelten Freiwilligkeitsgrundsatz ablehnt, wonach der Arbeitgeber in seinen unternehmerischen Entscheidungen insofern frei sein soll, als er allein entscheiden kann, ob er Leistungen gewährt (beschränkt auf eine Verwerfungskompetenz), in welcher Gesamthöhe er Mittel zur Verfügung stellt, zu welchem Zweck dies geschieht und welchem abstrakt begrenzten Personenkreis diese zukommen sollen, um so der Unternehmensautonomie Rechnung zu tragen 40 . Allerdings wird die Mitbestimmungsfreiheit der Lohnhöhe in zweifelhafter Weise aufgeweicht, indem ein mittelbarer Einfluß auf diese als von § 87 I Nr. 10 BetrVG mitumfaßt gesehen wird und lediglich der Einsatz des Mitbestimmungsrechts zum Zweck der Veränderung ausgeschlossen 36
Vgl. ausführlich Martens, RdA 1989, 164, 167 f. Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 67 m.w.Nachw., die sich für eine verfassungskonforme und damit einschränkende Auslegung von unternehmensbezogenen Angelegenheiten aussprechen. 38 So für übertarifliche Zulagen vgl. BAG ν. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang unter Verweis auf BAG ν. 8. 12. 1981, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie mit krit.Anm. Hilgen BAG ν. 14. 6. 1994, AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 39 Vgl. BAG v. 12. 6. 1975, AP Nr. 1, 2, 3 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; vgl. dazu GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 627, 628; Jahnke, ZfA 1980, 863, 888 ff. jeweils m.w.Nachw.; kritisch Lieb, ZfA 1978, 179, 195 ff. 40 Gegen eine Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf andere als Sozialleistungen, mit dem Ziel, dem Betriebsrat eine lohnpolitische Kompetenz zuzuweisen, Herbst, DB 1987, 738 ff.; Strieder, DB 1980, 420, 423; Leinemann, DB 1985, 1394, 1397; Roback/Wolter, ArbdGegw Bd. 21 (1983), S. 71, 84 f.; Hilger, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rdnr. 259; speziell gegen eine Berücksichtigung des Aspekts der Freiwilligkeit, Moll, Entgelt, S. 204 f. 37
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
sei 41 . Damit bleibt letztlich offen, wie eine Abgrenzung von mitbestimmungsfreier und mitbestimmungspflichtiger Zone einer Angelegenheit vorzunehmen ist. Jedenfalls ist es im Bereich materieller Arbeitsbedingungen nicht mit dem lapidaren Hinweis getan, daß es Sache der Betriebspartner oder der Einigungsstelle sei, den Zweckvorstellungen bei der Ausgestaltung der Entlohnungsformen angemessen Rechnung zu tragen, denn es geht ja gerade darum, ob insofern überhaupt ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht besteht42. Das Problem bleibt aber zugegebenermaßen weiterhin, eine konkrete Regelungsfrage im einzelnen unter die "eigentlichen" unternehmerischen Entscheidungen zu subsumieren.
3. Objektiv-teleologische Auslegung Besondere Bedeutung kommt schließlich nach der gegenwärtigen als Wertungsjurisprudenz bezeichneten Methodenlehre 43 der Auslegung mittels objektiv-teleologischer Kriterien zu. Nach Larenz sind solche Kriterien die Sachstrukturen des Normbereichs, die Rechtsprinzipien und die Vermeidung von Wertungswidersprüchen innerhalb der Rechtsordnung 44. Daß die Verwendung der speziellen ratio legis der "innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit" zur der erforderlichen Einbindung in das Arbeitsrechtssytem führt, ist fraglich, da mit ihr nicht zum Ausdruck kommt, wie die an einer Regelungsfrage beteiligten Interessen zu einem optimalen Ausgleich gebracht werden könnten. Und diese Interessen sind eben auch teleologische Gesichtspunkte, die eine wertende Norminterpretation zu beachten hat. Dies gilt um so mehr, wenn die Auslegung durch die Unbestimmtheit des Tatbestands, wie bei § 87 I Nr. 10 BetrVG erschwert wird. Dementsprechend wird die Norm nach herrschender Meinung als Generalklausel charakterisiert 45. Insofern handelt es sich bei ihr
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Vgl. BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972; DietzJRichardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 546; Hanau, BB 1977, 350, 356; Reuter, Anm. zu EzA Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung. 42 So aber BAG ν. 13. 3. 1984, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Provision; BAG ν. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; MMchArbR/Matthes, § 333 Rdnr. 98. 43 VglFikentscher, Methoden ΠΙ, S. 405 ff; Larenz, Methodenlehre, S. 117 ff. 44 Methodenlehre, S. 344. 45 Vgl. BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung, unter C ΠΙ 3 a der Gründe; GK-Wiese, BetrVG, § 87, Rdnr. 600 m.w.Nachw.; kritisch Lieb, SAE 1993, 114, 117; Richardis NZA 1992, 961, 965 sieht daher die Problematik des Beschlusses des Großen Senats im Gesetzesrecht selbst, welches das Fehlen einer an Sachproblemen orientierten Gesetzesauslegung verschleiere, indem es den Zweck der Regelungsbefugnis nicht hinreichend absichere.
Π. Auslegung nach der klassischen Methodenlehre
29
um "ein Stück offen gelassener Gesetzgebung"46, die dem Norminterpreten zwar einen großen Spielraum bei der Auslegung einräumt, gleichzeitig aber eine sorgfaltigere Interessenabwägung aufgibt. Angesichts der vom Gesetzgeber beabsichtigten Weite der Norm wäre es daher verfehlt, diese mit Hilfe einer speziellen ratio legis auch nur im Ansatz abschließend bestimmen zu wollen, so als ob es möglich wäre, aus einer Norm selbst heraus ihren objektiven Zweck bzw. ihre Reichweite zu bestimmen 47 . Die Regelung des § 87 I Nr. 10 BetrVG stellt schon im Ansatz einen Systembruch dar, indem sie eine sog. mittelbare Einflußname des Betriebsrats auf die Entgelthöhe ermöglicht. Im übrigen scheint die zentrale Verwendung des Begriffs "innerbetriebliche Lohngerechtigkeit" die Versuchung nahezulegen, ohne weiteres das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestands anzunehmen, diesen dann in den Mittelpunkt der Frage nach dem Bestehen eines Mitbestimmungsrechts zu rücken und dessen Grenzen als nachrangige, bloß auszuräumende Gesichtspunkte zu betrachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Mitbestimmung in Entgeltfragen greift das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats immer dann ein, wenn es darum geht, eine betriebliche Lohnform einsichtig und durchschaubar zu machen und wenn es darauf ankommt, das Verhältnis der den einzelnen Arbeitnehmern zufließenden Leistungen zueinander zu bestimmen. Dementsprechend bezeichnet Matthes die genannten Kriterien als das "eigentliche Raster", an dem das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 I Nr. 10 BetrVG zu prüfen ist 48 . Dies führt dazu, daß das Bundesarbeitsgericht dann auch im Bereich der übertariflichen Zulagen stereotyp erklärt, daß bei der jeweils vorliegenden Zulagenregelung bzw. -konstellation Fragen der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und damit auch der betrieblichen Lohngestaltung zu entscheiden und zu regeln seien49. Das ist schon insofern falsch, als es sich bei diesem Begriff nicht um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal der Norm handelt, sondern nur als spezielle ratio legis füngieren soll 5 0 ; deutlich wird daran wenigstens die Verselbständigungstendenz dieser Annahme. Daß dies im Widerspruch zu den Grundsätzen einer objektivteleologischen Interpretation mit deren Zielsetzung einer Harmonisierung der im konkreten Fall kollidierenden Interessen steht, liegt auf der Hand.
46
vgl. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln (1933), S. 58. So aber Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 204; anders Wank, Begriffsbildung, S. 92 f.; Zöllner, FS-Tübinger Juristenfakultät, S. 131, 143 ff ; das räumt auch das Bundesarbeitsgericht ein, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG Arbeitszeit: "Grenzen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats können sich daher nur aus der Regelung des Mitbestimmungstatbestands selbst, aus anderen gesetzlichen Vorschriften sowie aus der Systematik und den Sinnzusammenhang des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben". ^ N Z A 1987, 289. 49 Vgl. nur BAG, AP Nr. 55, 56 und 60 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 50 Vgl. auch Wiese, SAE 1990, 7, 8. 47
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
III« Verteilungsgerechtigkeit als sozialpolitisches Anliegen Neben diesen Zweifeln stellt sich auch die Frage, warum der Gedanke der Verteilungsgerechtigkeit als Zweck des § 87 I Nr. 10 BetrVG heranzuziehen sein sollte. Richardi begründet dies damit, daß es an objektiven Kriterien fehle, nach denen der Anteil einer bestimmten Arbeitsleistung an der Produktion bestimmt werden könnte. Da deshalb eine objektive Verteilungsrechnung nicht aufgestellt werden könne, müsse der Betriebsrat die Gerechtigkeitsvorstellungen der Arbeitnehmer zur Geltung bringen 51 . Aus dem zutreffenden Befund, daß die notwendigen objektiven Kriterien fehlen, folgt indes zwangsläufig die Frage, welche Kriterien dann der Betriebsrat mit Hilfe seines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts einführen will. Dabei ist es auch nicht mit dem Hinweis getan, daß es um eine soziale Verteilung der Mittel gehe, da innerbetriebliche Lohngerechtigkeit ein sozialpolitisches Anliegen sei 52 . Erstens verliert man damit den Bezugspunkt der behaupteten Verteilung, nämlich den vom Arbeitgeber subjektiv eingeschätzten Wert des einzelnen Arbeitnehmers für den Betrieb und zweitens kann z.B. für den Bereich der übertariflichen Zulagen eine Umverteilung nach sozialen Gesichtspunkten im Ergebnis nur bedeuten, daß von "oben nach unten" verteilt wird, also zu Lasten der Empfänger höherer Zulagen. Das führt dann nicht nur zur Nivellierung des Lohngefüges, der durch allgemeine übertarifliche Zulagen entgegengesteuert werden soll, sondern stellt auch das Betreiben von Lohnpolitik dar, die dem Betriebsrat verwehrt ist. Wenn aber Lohn sozial verteilt werden soll, dann ist Sozialpolitik gleichbedeutend mit Lohnpolitik. Demzufolge ist nicht nur die behauptete Trennung von Lohngerechtigkeit und Lohnpolitik 53 nur schwer möglich, sondern es zeigt sich auch, daß die geduldete mittelbare Auswirkung auf die Entgelthöhe 54 lohnpolitischer Natur ist 55 . Um so wichtiger ist es daher, der Unternehmensautonomie im Rahmen der Auslegung Beachtung zukommen zu lassen. Ein Gesichtspunkt kommt in diesem Zusammenhang hinzu. Sollte sich der Arbeitgeber bei seiner subjektiven Bewertung, sei es im Einzelfall nach von ihm aufgestellten Kriterien oder allgemein bei der Bildung von Zulagen-
51
Richardi, ZfA 1976, 1, 24; ders., RdA 1969, 234. Allerdings weist auch er dem Begriff der Lohngerechtigkeit allenfalls "plakativen Erkenntniswert" bei. 52 Vgl. Reuter, ZfA 1975, 85, 87 ("Maßstab der sozialen Gerechtigkeit"); vgl. auch Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135, 139 ff. 53 Richardi, ZfA 1976, 1,18 ff; Hanau, BB 1977, 350, 355; kritisch Lieb, ZÌA 1978, 179, 200. 54 Vgl. BAG v. 22. 12. 1981, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; GKWiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 599 m.w.Nachw. 55 Gegen die Unterscheidung "mittelbarer-unmittelbarer" Auswirkungen, Joost, ZfA 1993,257, 269 f.
ΠΙ. Verteilungsgerechtigkeit als sozialpolitisches Anliegen
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gruppen, von sachwidrigen Erwägungen leiten lassen, so greift der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ein 56 . Dieser inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannte 57 Grundsatz verwehrt es dem Arbeitgeber, in seinem Betrieb einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen des Arbeitsverhältnisses auszunehmen und diese schlechter zu stellen 58 . Seine einseitige Bestimmungsmacht hat also nicht nur ihre Grenzen, sondern die Arbeitsgerichte tun ihr übriges, durch teilweise überzogene Anwendung dieses Grundsatzes, Differenzierungen der Arbeitgeber zu unterbinden 59 . Natürlich kann der Gleichbehandlungsgrundsatz schon von seiner Reichweite ein Mitbestimmungsrecht nicht ersetzen; jener stellt von seiner Intention her eine rechtliche Kontrolle der Sachlichkeit der Verteilungskriterien dar, während das Mitbestimmungsrecht weitergehend eine Beteiligung an Zweckmäßigkeitserwägungen, nämlich nach herrschender Meinung sozialer Gerechtigkeitserwägungen, gewährleisten soll 60 . Auch wenn beide damit unbeschadet nebeneinander stehen könnten 61 , so ist doch schon durch die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der einseitig am Interesse des Unternehmens ausgerichteten Lohngestaltung eine deutliche Schranke gesetzt. Da dieser der Verwirklichung von Verteilungsgerechtigkeit dient 62 , stellt sich dieses Problem jedenfalls nicht in der behaupteten Schärfe 63. Es ist daher nicht ohne weiteres notwendig, einer Mit56
Davon zu trennen ist die besondere Inhaltskontrolle des § 315 BGB, die primär im Vertragsverhältnis angesiedelt ist, vgl. G.Hueck, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 241, 254, m.w.Nachw. in Fn. 38; anders Trittin, AuR 1991, 329, 331. 57 Zu den verschiedenen dogmatischen Herleitungen siehe MünchAibRJRichardi, § 14; grundlegend G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht. 58 BAG AP Nr. 38, 41, 83 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; dies gilt auch für die Gewährung und nachträgliche Veränderung von übertariflichen Zulagen, vgl. Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Stege/Rinke, DB 1991, 2386,2387. 59 Vgl. die Kritik zur Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Rechtssprechung, Zöllner, NJW 1990, 1, 6; Lieb, AR-Blattei D Ruhegehalt, Anm. zu Entsch. Nr. 34; Hromadka, Anm. zu BAG ν. 11. 9. 1985, AP Nr. 74 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; ders., DB 1987,2519 ff. 60 Vgl. M Wolf, FS-Raiser, S. 597, 610, wonach das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz folgende Teilhaberecht eher passiv auf die Berücksichtigung bei einer bereits festgelegten Verteilung gerichtet sei, während ein Mitbestimmungsrecht eine aktive Mitwirkung bei der Gestaltung beinhalte; vgl. zur Mitbestimmung als Mitgestaltung und Mitbeurteilung auch den gleichnamigen Beitrag von Söllner, FS-BAG, S. 605,611. 61 Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 17 VI, S. 201. 62 Ausführlich dazu G. Hueck, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 241, 253 f. 63 Anders Moll, Mitbestimmung, S. 151, wonach die Einflußnahme des Betriebsrats auf die Zweckmäßigkeitserwägungen bei der Verteilung dessen "fundamentale Aufgabe" sei.
32
§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
bestimmung das Wort zu reden, die im übrigen ihrerseits ausgerichtet an Art. 3 GG und § 75 BetrVG der Verwirklichung einer gleichmäßigen Behandlung der Arbeitnehmer dient 64 . Ohne nachvollziehbare Kriterien für eine Verteilung bleibt nicht nur der Begriff der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit inhaltsleer - von den Konsequenzen einer Mitbestimmung für die betriebliche Lohnfindung einmal abgesehen65 -, sondern es ist auch ein idealistischer Gedanke, daß die Beteiligung des Betriebsrats eine Gerechtigkeitsaspekte eher berücksichtigende Entscheidung des Arbeitgebers bei der Vergabe übertariflicher Zulagen zur Folge hat 66 . Mehr spricht dafür, daß der Neidkomplex "zur Leitschnur für die freiwillige Entgeltpolitik des Arbeitgebers gemacht wird" 6 7 . Je mehr der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit in Form der Gleichheit in den Mittelpunkt der Frage nach der Reichweite des Mitbestimmungsrechts gerückt wird, um so mehr werden sich die Arbeitnehmer um ihren "Anteil" an einem imaginären Gesamtkuchen betrogen fühlen.
IV. Verwirklichung von Gerechtigkeit als Maxime Mit dieser Kritik soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die gesamte Rechtsordnung dem Prinzip der Gerechtigkeit verpflichtet ist 68 . Seit Aristoteles 69 unterscheidet man zwei Erscheinungsformen der Gerechtigkeit; zum einen die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa), welche sich auf ein Neben- bzw. Gleichordnungsverhältnis bezieht, und zum anderen die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva), welche ein Subordinationsver-
64
Vgl. GK-Wiese y BetrVG, § 87 Rdnr. 593; Konzen, FS-G.Müller, S. 245 ff; siehe auch unten § 6 ΠΙ 3. 65 Ebenso Zöllner, ZfA 1993, 169, 170, der bezweifelt, daß sich durch die Beteiligung des Betriebsrats die Rationalität der Lohnfindung erhöht; in diesem Zusammenhang weist Ehmann, RdA 1990, 77, 82, auf die mangelnde rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung der Betriebsräte hin; dagegen kann nach Mo//, Mitbestimmung, S. 186, der Beitrag des Betriebsrats zur Vergütungstransparenz und -richtigkeit kaum hoch genug eingeschätzt werden. 66 Vgl. ebenso Lieb, ZfA 1978, 179, 202 zur Regelungszuständigkeit des Betriebsrats für die Vergütung von AT-Angestellten. 67 So Kraft, FS-Molitor, S. 207, 223; Kissel dagegen will diesen Gesichtspunkt ausgeklammert lassen, RdA 1988, 193, 194; allgemein zum Verhältnis von Neid und Gerechtigkeitssinn, vgl. Rawls , Theorie der Gerechtigkeit, S. 575 ff., 586 und den lesenswerten Beitrag von Adomeit mit dem Titel "rechts" und "links" bei Cicero, in: Festgabe für Lübtow, S. 81, 88. 68 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 119, 122 f.; Kaufmann, Grundprobleme, S. 142 ff. 69 Nikomachische Ethik, 5. Buch, 1131 a 10 ff.
IV. Verwirklichung von Gerechtigkeit als Maxime
33
hältnis betrifft 70 . Auf das Arbeitsrechts übertragen bedeutet dies, daß das Rechtsnormensystem im Bereich der vertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Herstellung von Austauschgerechtigkeit 71 hinsichtlich Leistung und Gegenleistung, dagegen im Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit dienen soll. Dabei ist die Herbeiführung von Leistungsäquivalenz im einzelnen Arbeitsverhältnis, also das "gerechte" Verhältnis von Arbeitsleistung und Entlohnung eine Frage des Arbeitsvertragsrechts, und ergänzend zur Sicherung von Mindestarbeitsbedingungen eine Frage des Tarifvertragsrechts. Den betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimungsrechten dagegen bliebe die Gewährleistung der austeilenden Gerechtigkeit. In diesem Sinne konstatiert H. Hanau ein "fundamentales Gerechtigkeitsproblem" für das betriebliche Arbeitsverhältnis, indem die sich aus der Verflechtung der Arbeitsverhältnisse ergebenden Regelungserfordernisse durch den Arbeitsvertrag nicht lösbar seien72. Indes bestehen Bedenken gegen einen solchen Rückgriff auf das allgemeine Gerechtigkeitsgebot. Davon abgesehen, daß sich Austausch- und Verteilungsgerechtigkeit nicht so ohne weiteres voneinander trennen lassen, ist schon der konkrete Inhalt der austeilenden Gerechtigkeit umstritten. Nach Aristoteles beinhaltet die Idee der austeilenden Gerechtigkeit, daß jedem das ihm Angemessene zukommt 73 . Ziel ist demnach nicht, daß jeder genau das Gleiche erhalten soll, sondern daß je nach der individuellen Leistung zu differenzieren ist. Das ist gleichbedeutend mit dem Beitragsprinzip, welches auf den Arbeitsbereich übertragen zum Inhalt hat, daß jeder Arbeitnehmer anteilsmäßig das zu erhalten hat, was dem Gewicht seines Beitrags für das Betriebsergebnis entspricht. Nun können aber die Formeln "Jedem das Seine" und "Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln" mangels genauer Messung des individuellen Nutzens nicht näher konkretisiert werden, so daß schon von daher eine Begründung des Begriffs "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit" mit dem klassischen Gerechtigkeitsgebot nicht möglich ist. Diese überpositive Leitidee unserer Rechtsordnung eignet sich als äußerster Rahmen der Rechtsanwendung nicht zur Konkretisierung positivrechtlicher Normen.
70 Vgl. v.Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 50 ff.; H.Hanau, Individualautonomie, S. 78 f.; Küster, FS-Raiser, S. 542, 545 ff., 549 ff.; Gast, BB 1991, 1053, 1057 f.; Bötticher, RdA 1953, 161 ff. 71 v.Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 54. 72 Individualautonomie, S. 90 f.; relativierend aber auf S. 124 f.; so auch Reichold, RdA 1995, 147, 156: "kollektives Gerechtigkeitsproblem im Betrieb". 73 Nikomachische Ehtik, 5. Buch, 1131 b 25 ff.; so schon Piaton, Nomoi, 6. Buch, 757 a; vgl. dazu Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 Π, § 29 ΙΠ; ders, Recht und Gerechtigkeit, S. 44 f.; Röhl, Rechtssoziologie, § 19, S. 154 ff.; Gast, Rechtsverständnis, S. 95 f. 3 Wittgruber
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
Dasselbe gilt für den schon sozialistisch zu nennenden Ansatz, austeilende Gerechtigkeit nicht als Prinzip angemessener Gleichbehandlung zu werten, sondern ausschließlich eine Verteilung "nach Köpfen", d.h. ohne Ansehen der Person als gerecht anzusehen, sogenanntes Bedürfnisprinzip 74 . Dies ist in dieser Einseitigkeit nicht nur im Hinblick auf Art. 3 I GG unhaltbar, der wie die klassische Sichtweise eine Gleichbehandlung von Ungleichem verbietet, sondern stellt eine völlig undifferenzierte und damit sinnwidrige Gleichmacherei dar, die in dieser Absolutheit kaum gewollt sein kann. Richtig daran ist lediglich vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 I, 28 I 1 GG), daß als zusätzlich anerkanntes Verteilungsprinzip die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zu billigen ist 7 5 , immer vorausgesetzt, daß überhaupt etwas verteilt wird. Angesichts der Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips und der Tatsache, daß das einfach normierte Recht und dabei insbesondere die Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten diesem Rechnung trägt, verbieten sich jedoch weitergehende Schlußfolgerungen, so wie z.B. die des Bundesarbeitsgerichts, wonach aufgrund des Sozialstaatsgebots bei Gesetzeslücken oder Zweifelsfragen "eher die zugunsten der Arbeitnehmer sprechende als die gegenteilige Lösung zu verwirklichen" sei 76 . Davon abgesehen, daß es durchaus zweifelhaft sein kann, welche Auslegung sich im konkreten Fall zugunsten der Arbeitnehmer auswirkt, verstößt eine solch pauschale Auslegungsmaxime gegen die diversen Interessengewährleistungen anderer Grundrechte und einfachgesetzlicher Normen, von den arbeitnehmerfeindlichen Auswirkungen übertriebenen Sozialschutzes ganz abgesehen77. Betrachtet man ferner Beitrag- und Bedürfnisprinzip zusammen78, so folgt daraus bloß die wenig nutzbringende Einsicht, daß sich das Arbeitsrecht im Spannungsfeld zwischen Manchestertum und Gleichmacherei 79 befindet; ihm obliegt der Ausgleich zwischen individueller Leistung bzw. der Freiheit zur
74
650 f. 75
Zu diesem Prinzip im Rahmen der Tarifpolitik, vgl. Söllner, FS-BAG, S. 635,
Vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. I, § 42 IV 2 c, S. 284 f.; M Wolf FSRaiser, S. 597, 615. 76 BAG, SAE 1964,47,49. 77 Vgl. dazu Rüthers, FS - E.Wolf, S. 565, 571 ff. und Adomeit, Arbeitsrecht für die 90iger Jahre, S. 66 f., 77, 106 ff; kritisch im Hinblick auf die gleichfalls dadurch verursachten Störungen der Markrwirtschaft, Kraft, ZfA 1995, 419, 426; zur Verwendung des Sozialstaatsprinzips, vgl. Söllner, Arbeitsrecht, § 5 IV, S. 38; Post, ZÌA 1972, 421, 427 ff. 78 In der Rechtsphilosophie werden zumeist diese (und noch weitere) sich widersprechenden Formeln gleichrangig nebeneinander gestellt, freilich ohne eine letztlich verbindliche Anwort darauf geben zu können, was denn nun gerecht ist; einen Überblick über die Diskussion gibt Larenz, Methodenlehre, S. 173 ff. 79 Vgl. den Aufsatz mit diesem Titel von Kissel, RdA 1988, 193 ff; siehe auch Fabricius, FS-Fechner, S. 171, 192 ff.
IV. Verwirklichung von Gerechtigkeit als Maxime
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Erbringung derselben und ihrer angemessenen Entlohnung auf der einen Seite und Gleichheit auf der anderen Seite. Ebensowenig aussagekräftig wäre es schließlich, den Begriff der innnerbetrieblichen Lohngerechtigkeit mit der Vorstellung der Gerechtigkeit als Fairneß und damit auf die Gewährleistung von Verfahrensgerechtigkeit stützen zu wollen. Diese von Rawls entwickelte Theorie sieht Gerechtigkeit darin, daß Entscheidungen in einem Verfahren erfolgen, das allen Betroffenen durch Schaffung eines gerechten Systems von Institutionen eine faire Chance auf Einbringung ihres Standpunkts eingeräumt wird 8 0 . Durch ein als fair beurteiltes Verfahren werde die Akzeptanz der Verteilung erhöht. Ähnlich führt das BAG in seiner Entscheidung vom 7.9.1956 aus, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats Ruhe und Ordnung im Betrieb und so Arbeitsfreudigkeit und -Willigkeit der Belegschaft fördert 81. Gemeint ist damit zum einen die Beseitigung des Gefühls der völligen Abhängigkeit gegenüber dem Arbeitgeber durch die Einbringung von Arbeitnehmerstandpunkten und der Schaffung von Überprüfungs- und Begründungszwängen 82, und zum anderen die Schaffung eines positiven Betriebsklimas der Arbeitnehmer untereinander durch Ausgleich der divergierenden Interessen 83. Wann allerdings der Arbeitnehmer ohnmächtig ist bzw. sich so fühlt und wann ein Interessenausgleich von Nöten ist, bleibt mit dieser im Ansatz richtigen Feststellung offen. Auch ist damit noch nichts über den Zweck der einzelnen Mitbestimmungstatbestände ausgesagt, worauf später zurückzukommen sein wird 8 4 . Neben der Motivationssteigerung werden sicherlich zu einem gewissen Grad Akzeptanz, Plausibilität und Transparenz der Entscheidungen des Arbeitgebers verbessert, so daß sich die betriebliche Mitbestimmung als eine Form der "Legitimation durch Verfahren" darstellt 85 . Nur ist diese Feststellung nicht aussagekräftig für die Reichweitenbestimmung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 I Nr. 10 BetrVG 8 6 . Wenn die herrschende Meinung die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit mit der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges näher zu konkretisieren versucht, so benutzt sie lediglich bewußt
80
Rawls , Theorie der Gerechtigkeit, S. 105 ff. AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG (a.F.). 82 Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 43 m 1, S. 441; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 Π 3, S. 5. 83 Zur rechtlichen Bewertung des Betriebsfriedens vgl. Blomeyer, ZfA 1972, 85, 91 ff. 84 Siehe unten § 4. 85 So Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 43 ΠΙ 1, S. 441 und ν. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 DI 3, S. 5 im Anschluß an die gleichnahmige Schrift von Luhmann\ kritisch zu Luhmanns These Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 79 ff.; Röhl, Rechtssoziologie, § 19, S. 157 ff. 86 Kritisch auch Loritz y ZfA 1991, 1, 7 f. 81
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§ 1 Verwirklichung "innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit"
oder unbewußt die verschiedenen Gesichtspunkte des allgemeinen Gerechtigkeitsgebots, ohne jedoch die Auslegung der Norm einen Schritt weiter zu bringen. Insgesamt erweist sich ein direkter Durchgriff auf das allgemeine Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit im Hinblick auf die inhaltliche Reichweite von § 87 I Nr. 10 BetrVG als wertlos. Vielmehr wird durch die Formel "Gewährleistung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit" ein fragwürdiger Zusammenhang zwischen der unbestimmten Gerechtigkeitsidee und einem konkreten Mitbestimmungstatbestand geschaffen.
§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
I. Das Vorfeld des kollektiven Tatbestands Gelingt somit weder eine vernünftige Verwendung des Begriffs im Rahmen einer klassischen Auslegung, noch seine inhaltliche Bestimmung, bleibt nun auf die hinter der Verteilungsgerechtigkeit stehenden Vorstellungen einzugehen. Voraussetzung für einen nach § 87 I Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Sachverhalt ist nach allgemeiner Meinung das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands. So ist denn auch dessen Vorliegen das eigentliche Problem bei der Frage nach einer Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen1. Nach weit verbreiteter, wenn auch umstrittener Ansicht ist ein kollektiver und daher mitbestimmungspflichtiger Tatbestand immer dann gegeben, wenn objektiv ein Regelungsbedürfnis mit kollektivem Bezug vorliege, weil die Angelegenheit kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berühre 2. Dabei sei schon an dieser Stelle angemerkt, daß der 1. Senat des BAG dieser Meinung folgend für den Bereich übertariflicher Zulagen in zweifelhafter Weise regelmäßig einen kollektiven Tatbestand annimmt, nahezu genauso gleichförmig wie er die Betroffenheit der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit feststellt 3. Quasi im Vorfeld des Streits um das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands stellt sich die grundsätzliche Frage nach Bedeutung und Reichweite der sogenannten "dritten Dimension des Arbeitsrechts", die neben der Beziehung Arbeitgeber/Arbeitnehmer und Arbeitgeber/Kollektivpartner bestehen soll 4 . Gemeint ist der multilaterale Regelungsbereich, also das Verhältnis der Arbeitnehmer mit ihrem kollektiven Interesse untereinander, in Abgrenzung zum bilateralen Regelungsbereich, der das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer betrifft. Obwohl damit an sich eine Frage im Rahmen der Voraussetzungen eines kollektiven Tatbestands, muß bei der Auslegung des § 87 I
1
Ebenso Lieb, SAE 1993, 114, 116. Vgl. MünchAibR/Matthes, § 324 Rdnr. 25, § 333 Rdnr. 100; Jahnke, ZfA 1980, 863, 885. 3 Siehe ausführlich unten § 612. 4 Begriff von Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135, 145; ähnlich Berschel, AuR 1984, 204, wonach "das Arbeitsverhältnis zugleich vertikal zum Arbeitgeber und horizontal zu den Mitarbeitern hin eingebettet" sei; vgl. auch Reuter, RdA 1991, 193, 196; H.Hanau, Individualautonomie, S. 84, 90. 2
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§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
Nr. 10 BetrVG die Bedeutung der dritten Dimension schon sachlich an der speziellen ratio legis anknüpfen. Die Kongruenz zwischen dritter Dimension und innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit zeigt sich auf den ersten Blick darin, daß von den Stimmen in der Literatur, die jener eine bedeutende Rolle im Arbeitsrecht zusprechen, grundlegend mit der Notwendigkeit eines "gerechten Interessenausgleichs" bzw. dem "Gerechtigkeitsgefühl der Arbeitnehmer" argumentiert wird 5 . Dies hat im Ergebnis die gleiche grundsätzlich extensive Auslegung des Mitbestimmungstatbestands zur Folge, indem es den "Bereich allgemeiner (sprich kollektiver) Regelungen" im Sinne der Gesetzesbegründung möglichst weit versteht. Bei näherer Betrachtung handelt es sich bei der Frage nach der Bedeutung der dritten Dimension des Arbeitsrechts um eine Weichenstellung, die noch außerhalb der anerkannten Voraussetzungen für ein Mitbestimmungsrecht über dessen Vorliegen entscheidet. Das anschließende Bejahen eines kollektiven Tatbestands ist dann nur noch Formsache. Daneben kann Verteilungsgerechtigkeit nicht um ihrer selbst willen realisiert werden, sondern es muß ein hinreichend rechtlich relevantes Interessen- bzw. Beziehungsgeflecht gegeben sein, das dann gerecht zu regeln ist. Vor diesem Hintergrund ist im folgenden zu erläutern, welche Gedanken hinter der "Gewährleistung von Lohngerechtigkeit" stehen, um so die im wesentlichen zwei Lager der Vorverständnisse 6 im Arbeitsrecht, nämlich das kollektive und das individuale, zu umreißen. Wenn man sich nichts vormacht, sind diese für eine Norminterpretation weitaus wichtiger, als eine Auslegung vorgeblich allein anhand der überkommenen Kriterien. Für die betriebliche Mitbestimmung läßt sich dies insoweit präzisieren, daß sich als Paradigmen Gleichordnung (zwischen allen Parteien des Produktionsprozesses als Ziel der Mitbestimmung) und Subordination (des einzelnen Arbeitnehmers auch bei Mitbestimmung) gegenüberstehen7. Dabei steht das Arbeitsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber im Zentrum der Überlegungen, da seine Rechtsnatur und seine Funktion als Gestaltungsfaktor bestimmend für die Reichweite des multilateralen Regelungsbereichs sind, mit der Folge, daß für den Fall, daß mit wel-
5
Siehe unten § 2 m 1. Vgl. grundlegend Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 10, 19 ff., der deutlich herausgearbeitet hat, daß die Richtigkeit einer richterlichen Entscheidung nicht durch die Anwendung juristischer Methoden, sondern von anderen Dingen abhängt. Der Rechtsflndungsprozeß wird ihm zufolge häufig durch eine vom Rechtsgefühl diktierte Lösung, nämlich dem Vorverständnis geleitet, welches im rein herrneneutischen Sinne einen unvermeidlichen Vorgriff auf die Sinn- und Ergebnisfrage darstelle; vgl. zum Verhältnis von Vorverständnis und Dogmatik, Esser, FS-Raiser, 517, 525 ff.; vgl. dazu auch Fabricius, Arbeitsrecht und juristische Methodenlehre, S. 1, 14 fT.; Zöllner, FS-Tübinger Juristenfakultät, S. 131, 144 ff. 7 So zutreffend Gast, Vertragsrecht, S. 13 f. 6
Π. Kontroverse um die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
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eher Begründung auch immer der bilaterale Regelungsbereich ausgeblendet wird, jenem automatisch Tür und Tor geöffnet werden.
I I . Kontroverse um die Rechtsstellung des Arbeitnehmers Die Überlegungen zur Bedeutung der dritten Dimension sind auf positivgesetzlicher Ebene der Sache nach nichts anderes als ein Ausschnitt aus einem viel größeren Fragenkomplex, nämlich dem der Rechtsstellung des Arbeitnehmers 8. Die wissenschaftliche Diskussion um die Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse im Betrieb, insbesondere die Stellung des Arbeitnehmers und rechtliche Schlußfolgerungen für die Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses - personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis 9, schlicht obligatorisches Austauschverhältnis 10 oder Charakterisierungen zwischen diesen beiden Positionen 11 - mit entsprechenden Konsequenzen für das gesamte Verhältnis von Individual-, Betriebs- und Tarifautonomie ist nicht neu 12 . Ihren Ausgang nahm sie mit der zur Zeit der Weimarer Republik entwickelten Sphärentheorie, eines klassenrechtlichen Lösungsansatzes bei der Verteilung des Betriebsrisikos. In seiner Entscheidung vom 6.2.1923 unterschied das Reichsgericht 13 zwei Gruppen der Gesellschaft, das Unternehmertum und die Arbeiterschaft, wobei
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Zöllner differenziert zwischen der "dinglichen", "herrschafts"- und "vermögensrechtlichen" Stellung des Arbeitnehmers, vgl. BAG-FS, S. 745, 747 ff, 752 ff, 761 ff, wobei hier nur dessen herrschaftsrechtliche Stellung als Mitglied im Betrieb von Interesse ist. Mit dieser Kontroverse hängt auch der Streit um den Begriff des Arbeitsrechts bzw. der Definition des Arbeitnehmers zusammen. 9 So die früher herrschende Meinung, vgl. BAG ν. 17. 7. 1958, AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lohnanspruch; BAG ν. 10. 11. 1955, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht m.zust.Anm. A. Bueclc, iüueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. I, S. 129; gleichzeitig den Austauschcharakter hervorhebend, Wiedemann , Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 9 ff, 25 ff, 35. 10 Vgl. E. Wolf Arbeitsverhältnis, S. 41 ff, 71 ff; Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 22 ff ; Blomeyer, ZfA 1972, 85, 97; vgl. auch Fenn, AuR 1971, 321 ff. mit entsprechender Tendenz. 11 Dabei werden verschiedene Elemente herausgestellt bzw. miteinander verbunden wie z.B. die Charakterisierung als personales Dauerschuldverhältnis, Organisationsverhältnis, soziales Rechtsverhältnis oder Unterordnungsverhältnis, vgl. Ramm, JZ 1991, 1, 3; Zeuner, RdA 1975, 85 f.; Zöllner/Lontz, Arbeitsrecht, § 11 Π 7, S. 139 ff m.w.Nachw. in Fn. 37, 38. Gleichbedeutend damit ist der terminologische Streit über das Bestehen von besonderen "Treue- und Fürsorgepflichten". 12 Vgl. zur Akzentverlagerung von der arbeitsvertraglichen auf die betriebsverfassungsrechtliche Ebene aus älterer Zeit, Molitor, Arbeitnehmer und Betrieb (1929), S. 6 ff ; Berschel RdA 1956, 161, 168. 13 RGZ 106, 272 ff. (sog. "Kieler Straßenbahnfall"); dem folgend RAG v. 20. 6. 1928, ARS 3, 116; vgl. auch die Kritik an der Entscheidung des RG von E. Wolf Schuldrecht Bd. 1,S. 290 ff.
§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
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der einzelne Arbeitnehmer ein Glied der Arbeiterschaft und der zwischen dieser und dem Unternehmer bestehenden Arbeitsgemeinschaft sei. Diese Annahme einer Arbeitsgemeinschaft war der erste Schritt für das sich allmähliche Durchsetzen personenrechtlichen Denkens, das bis in die sechziger Jahre vorhielt 14 . Seit Beginn der siebziger Jahre mehren sich darüber hinaus unter dem Eindruck der damaligen Kontroverse um die Mitbestimmung auf Unternehmensebene die Stimmen im arbeitsrechtlichen Schrifttum, das Arbeitsverhältnis als Teilhabeverhältnis auf Unternehmensebene zu verstehen oder jedenfalls dahin zu entwickeln 15 . M i t diesem Streit aufs engste verbunden ist die Kontroverse um die Rechtsnatur der Belegschaft. Dabei weisen die Versuche einer Qualifikation ein weites Spektrum auf 16 : die Auffassungen reichen von der Annahme einer Betriebsgemeinschaft der Arbeitnehmer einschließlich des Arbeitgebers 17 bis hin zur Belegschaft als körperschaftlichem Verband 18 oder wenigstens als Gemeinschaft, sei es als Zweckgemeinschaft oder als Gemeinschaft im Sinne der §§ 741 ff BGB 1 9 . Um Mißverständnissen vorzubeugen: für die vorliegende Problematik eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei übertariflichen Zulagen scheinen diese Kontroversen auf den ersten Blick an sich ohne Belang zu sein. Bei dem allgemeinen Streit um die Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses geht es in erster Linie um die dogmatische Grundlage der Lösung 14
Vgl. Ramm, JZ 1991, 1, 3 ff.; Hanau, in: Erman, BGB, § 611 Rdnr. 69; vgl. auch die unter Einfluß der Genossenschaftstheorie Otto von Gierkes, Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 26, 469 ff., entwickelte Rechtsquellentheorie Sinzheimers, Arbeitstarifgesetz (1916), und ferner die Betonung der Angehörigkeit des Arbeitnehmers zu dem durch den Betrieb gebildeten Arbeitsverband, in: Arbeitsrecht und Rechtssoziologie Bd. I, S. 79 ff.; näher zur Entwicklung des Meinungsstands unter dem Gesichtspunkt der Abhängigkeit des Arbeitnehmers, siehe §311. 15 Vgl. Adomeit, in: Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, E 10 c, S. 165 ff.: "kooperatives Austauschverhältnis"; weitergehend Reuter, RdA 1991, 193, 197, der das Arbeitsverhältnis ausschließlich als "Verbandsbeziehung" charakterisiert; vgl. dazu auch die Nachweise bei Zöllner, FS-BAG, S. 745, 746 Fn. 1, 756 Fn. 32; zum Verhältnis von Arbeits- und Gesellschaftsrecht vgl. Loritz, RdA 1992, 310 ff. m.w.Nachw. 16 Vgl. ausführlich dazu Nebel, Normen, S. 40,42 fT. 17 Kunze, FS-Schilling, S. 341 ff; Reuter, Ordo Bd. 36 (1985), S. 51, 57; ders., RdA 1991, 194, 195 ff.; ders., ZfA 1993,221,224 ff. 18 Galperin/Siebert, § 1 Rdnr. 69 ff., 73; Galperin, ArbGegw., Bd. 1 (1963), S. 75, 81 ff.; GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 71. 19 Grundlegend Jacobi, Grundlehren, (1927), S. 292,296; Mayer-Maly, FS-Floretta, S. 405, 411 ff.; Gast, Vertragsrecht, S. 58 ff.; Zöllner, FS-BAG, S. 745, 752 ff.; ders. AcP 176 (1976), S. 221, 224 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 11 Π 8, S. 141 und § 51 IV 3, S. 462; vgl. auch Paschke, AcP 187 (1987), S. 60, 75 ff., die von "außervertraglichen Sozialbeziehungen" spricht und Wüst, JZ 1985, 1077 ff., der die Lehre von der Interessengemeinschaft für das gesamte Zivilrecht im Anschluß an Würdinger, Interessengemeinschaft, 1934 (ZHR-Beiheft 1), entwickelt hat; diese Lehre ablehnend E. Wolf, JuS 1962, 101, 103 f.; Reinhardt, AcP 161 (1961), S. 432,438 f.
Π. Kontroverse um die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
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individualrechtlicher Sachprobleme, wie z.B. Schädigungen der Arbeitnehmer untereinander und der Reichweite von Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis. Mit der speziellen Diskussion um die Rechtsnatur der Belegschaft geht es auf dem Gebiet des Betriebsverfassungsrechts um die miteinander verwobenen Fragen der Zuordnung der Beteiligungsrechte zur Belegschaft, der rechtlichen Stellung des Betriebsrats und der Rechtsnatur bzw. Grundlage der Normenwirkung von Betriebsvereinbarung und Regelungsabrede20. Es geht im folgenden nicht darum, sich mit den Theorien dieser Problemfelder im einzelnen auseinanderzusetzen oder gar noch eine hinzuzufügen 21. Man kann sich zunächst mit der freilich lapidaren Einsicht begnügen, daß sich die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nicht in dem zweiseitigen Schuldverhältnis mit dem Arbeitgeber erschöpft, sondern daß er daneben Teil der soziologischen Erscheinung "Belegschaft" ist, die durch Wahl eines Betriebsrats als Repräsentanten die rechtliche Möglichkeit erhält, vorwiegend kollektive Interessen gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen. Die soeben angesprochenen Diskussionen kennzeichnen diesbezüglich bestimmte arbeitsrechtliche Positionen, die mit ihren jeweiligen Grundvorstellungen und Wertungen ihre Bedeutimg für die Reichweitenbestimmung von Mitbestimmungstatbeständen haben und die es insofern herauszuarbeiten gilt. So zeigen sich Parallelen zwi-
schen den Verbands- und gemeinschaftsrechtlichen Theorien auf der einen Seite und den Entscheidungen des Großen Senats und denen des 1. Senats22 zum Problemkreis der übertariflichen Zulagen auf der anderen Seite. Wie bereits dargestellt, kommt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Mitbestimmungsrecht grundsätzlich immer zum Tragen und nur ganz ausnahmsweise stehen dem rechtliche Gesichtspunkte entgegen. Dies geht konform mit der Forderung Reuters als einem Vertreter der Verbandstheorie, daß der Lohn im Betrieb nur noch kollektiv verhandlungsfähig sei und die Betriebsverein-
20
Vgl. dazu GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einleit., Rdnr. 31 ff., 60 f.; GK-Kreutz, BetrVG, § 77, Rdnr. 182 ff; ders., Betriebsautonomie, S. 16 ff., 22 ff; Heinze, ZfA 1988, 53 ff ; Konzen, FS-Ε. Wolf, S. 279, 280, 291 ff ; Nebel, Normen, S. 42 ff ; speziell zu den Beziehungen zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Betriebsrat, insbesondere zu Pflichtverletzungen, vgl. Buchner, in: Innerbetriebliche Arbeitnehmerkonflikte, ( Hrsg. Tomandl), S. 35 ff 21 Zu Recht wies Zöllner, FS-BAG, S. 745, 752, schon 1979 daraufhin, daß z.B. das "überaus feingesponnene Meinungswirrwarr über das Verhältnis von Betriebsrat und Belegschaft Stoff für Satieren bietet". Dies hat sich seit damals nicht entschärft und gilt leider gleichermaßen für das gesamte Problemfeld. 22 Am Rande sei erwähnt, daß sich der 1.Senat in seinem Beschluß vom 27. 6. 1989, SAE 1990, 162 ff, in einem obiter dictum der Auffassung angeschlossen hat, daß die vom Betriebsrat ausgeübten Mitbestimmungsrechte weder solche des einzelnen Arbeitnehmers, noch die summierten Rechte aller Arbeitnehmer seien, sondern Rechte der Belegschaft, die sich aus der Stellung jedes einzelnen Mitglieds in einem gemeinsamen Rechtskreis herleiteten.
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§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
barung daher das primäre Regelungsinstrument darstelle 23. Daneben betont auch ein mit den Verbands- und gemeinschaftsrechtlichen Theorien artverwandter Teil des Schrifttums die unter den Arbeitnehmern bestehenden Beziehungen, um daraus rechtliche Schlüsse zu ziehen, unter anderem für eine grundsätzlich extensive Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG 24 . Allerdings wird im Gegensatz zur Position Reuters nicht das bilaterale Austauschverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer negiert, sondern nur der multilaterale Regelungsbereich besonders hervorgehoben.
I I I . Eingliederung in den Betrieb 1. Der Betrieb als soziales System25 a) Interessenkonflikt
zwischen den Arbeitnehmern
Gemeinsame und zentrale Begründung jeder dieser Meinungen ist der unbestreitbare Umstand, daß die Arbeitnehmer eines Betriebes nicht isoliert vor sich hin arbeiten, "so wie die Menschen in der Straßenbahn stehen" 26 , sondern daß eine anteilige Zusammenarbeit erforderlich ist, um den Zweck des Betriebs zu erreichen; erst die Zusammenarbeit mache die einzelnen Leistungen wirtschaftlich sinnvoll 27 . Diese funktional zusammengefügten Leistungen machten den Betrieb zu einem "sozialen System"28. Über das Produktions- und Erwerbsinteresse hinaus stelle die Arbeit mit Kollegen in einem Betrieb für je-
23 Reuter, RdA 1991, 193, 197 f.; Richardi, NZA 1992, 961, 965 weist richtig daraufhin, daß der Großen Senat mit seinem Beschluß den Weg in eine "korporatistische Arbeitsverfassung" à la Reuter ebnet; auch in der Begründung macht es keinen Unterschied, ob man mit der Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit, oder wie Reuter mit Gerechtigkeitserwartungen der Arbeitnehmer argumentiert, siehe sogleich unterm. 1. b. 24 Vgl. H. Hanau, Individualautonomie, S. 90 ff., 145 ff.; Gamillscheg, FS-Fechner, S. 134 ff.; ders., AcP 176 (1976), 197, 212 f.; Hilger/Stumpf, FS-G.Müller, S. 209 ff.; Hilger, RdA 1975, 32 ff.; dies., Ruhegeld, S. 263. 25 Damit korrespondierend ist die Sichtweise, daß es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein "sozialrechtliches Organisationsverhältnis" handelt, vgl. Söllner, Leistungsbestimmung, S. 19 f. 26 Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135, 144. 27 Reuter y Ordo, Bd. 36 (1985), S. 51, 57; ders., ZfA 1993, 221, 251: "der Arbeitsverband Betrieb sei ein Sozialgebilde"; den kollektiven Bezug der Leistungen und damit der arbeitnehmerischen Interessen hebt auch Adomeit, Gesellschaftsrechtliche Elemente, S. 9 f., hervor. 28 Allgemein zur rechtstatsächlichen Basis des Arbeitsrechts und den kooperativen und personalen Elementen im Arbeitsverhältnis, vgl. Fechner, RdA 1955, 161 ff.
ΠΙ. Eingliederung in den Betrieb
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den Arbeitnehmer einen wichtigen persönlichen Lebensbereich dar 29 ; der Abschluß eines Arbeitsvertrags führe damit faktisch zum Eintritt in eine soziale Gemeinschaft, so daß weitergehende rechtliche Folgerungen als beim Abschluß mehrerer Personen von Kauf-, Werk- und anderen Verträgen geboten seien. Es sei auch erwiesen, daß die normalerweise bestehende enge räumliche Nähe der Leistungserbringung zu einer Verflechtung der Arbeitnehmerinteressen führt 30 . Es könnten Spannungen zwischen den Arbeitnehmern auftreten, trotz des übereinstimmend angestrebten Betriebszwecks, durch Arbeit Gegenstände zu produzieren oder Dienstleistungen zu erbringen, um damit Geld einzubringen, welches dann für Löhne etc. zur Verfügung steht. Diese entstünden fast zwangsläufig, wenn einzelne Arbeitnehmer bei Vergleichen feststellen müssen, daß sie für sie in nicht nachvollziehbarer Weise weniger erhalten, sich also ihre Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit nicht realisiert 31 . Dieser mögliche Interessenkonflikt zwischen den Arbeitnehmern könne bilateral, also zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber nicht gelöst werden, da das Vertragsrecht nicht auf ihn eingehe32 bzw. nicht angemessen löse 33 . Den gerechten Interessenausgleich müsse mithin der Betriebsrat durch Wahrung der Solidarinteressen herstellen 34.
b) Ökonomische Schlußfolgerungen Reuter geht noch einen Schritt weiter, indem er ökonomische Aspekte zur Begründung seiner Qualifizierung des Arbeitsverhältnisses als Verbandsbeziehung und seiner Forderung nach ausschließlich kollektiver Verhandlungsfahigkeit des Lohns anführt. Seine Argumentation wurzelt in der Feststellung einer veränderten Arbeitswelt, in der die Arbeitnehmer nicht mehr "kombinierte Produktionsfaktoren", sondern "Mitgestalter betrieblicher Vollzüge" sei29 Die Arbeitsleistung ist nicht nur als Wirtschaftsgut, sondern auch als Ausdruck der Persönlichkeit zu verstehen, so der Große Senat des BAG, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, unter C12. b) der Gründe. 30 Vgl. H.Hanau, Individualautonomie, S. 90 f. m.w.Nachw. in Fn. 76. 31 Nach Hilger "gibt es wenig Dinge, die das Gerechtigkeitsgefühl des Arbeitnehmers so sehr kränken wie der Verdacht oder gar die Gewißheit, schlechter als ein Arbeitskollege behandelt zu werden", RdA 1975, 32; ähnlich Reuter, Privatrechtsordnung, S. 26. 32 Gamillscheg, AcP 176 (1976), 197,212 f.; Η Hanau, Individualautonomie, S. 91. 33 Hilger/Stumpf FS-G. Müller, S. 209 ff. 34 So auch Reichold, Sozialprivatrecht, S. 519, wonach sich durch die Mitbestimmung "immaterielle Reziprozitätserwartungen, die auf eine Gleichbehandlung im Betrieb zielen und damit austeilende Gerechtigkeit anstreben" befriedigen (siehe dazu unten § 3 Π 2 b). Damit korrespondiert die Annahme einer Ordnungs- bzw. Ausgleichsfunktion betriebsvereinbarungsrechtlicher Regelungen; vgl. auch Reuter, ZfA 1975,85,88.
§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
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en 35 . In der Praxis führe die Verwendung moderner Arbeitsmittel und dem dafür erforderlichen Fachwissen der Arbeitnehmer zu deren wachsenden Selbständigkeit, die den Arbeitgeber zwinge, Weisung durch Motivation zu ersetzen. Auf der anderen Seite schulde der Arbeitnehmer eine Integrationsleistung und nicht mehr eine isolierte Arbeitsleistung. Dementsprechend betrachte die ökonomische Lohntheorie die Höhe des Lohns inklusive übertariflicher Zulagen und die Lohnunterschiede im wesentlichen als Folge innerbetrieblicher Anreizbedürfnisse und Gerechtigkeitserwartungen der Arbeitnehmer (sog. Effizienzlohntheorie) 36 . Aus dieser Funktion des Lohns als Vermittler von Attraktivität des Bemühens zwecks reibungsloser Zusammenarbeit, werde dessen Regelung allein zur multilateralen Interessenabstimmung, die Annahme eines bilateralen Austauschverhältnisses dagegen stelle eine Fiktion dar 37 . Die typischen Interessenstrukturen des betriebsbezogenen Arbeitsverhältnisses seien also verbandlicher Natur. Dies ist in der Begründung identisch mit der Auslegung von Normen aufgrund der sogenannten ökonomischen Analyse des Rechts. Dieser in den Vereinigten Staaten von Amerika seit Jahren etablierte und sich auch bei uns im Vordringen befindliche rechtstheoretische Ansatz versucht, die herkömmliche juristische Interessenanalyse in nahezu allen Rechtsgebieten durch eine ökonomische Analyse zu ergänzen bzw. zu ersetzen. Modelle der modernen Wirtschaftstheorie sollen ein besseres Verständnis von Rechtsproblemen und eine rationalere Argumentation im Rahmen ihrer Lösung herbeiführen 38. Speziell zur Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG vertritt Domdorf aufgrund einer ökonomischen Analyse des Betriebsverfassungsrechts die Auffassung, daß man davon ausgehen könne, daß die Gerechtigkeit der Lohnstruktur für den Arbeitnehmer in der Regel ein Gut sei, welches auch unabhängig von materiellen Vorteilen 39 als Eigenwert empfunden werde, so daß Gerechtigkeit und
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ZfA 1993, 221, 228. ZfA 1993, 221, 222 mit Hinweisen zum betriebs- und volkswirtschaftlichen Schriftum in Fn. 3; auch Moll, Mitbestimmung, S. 186, sieht in der Zufriedenheit der Betriebsbelegschaft einen entscheidenden Aspekt für die Notwendigkeit der Mitbestimmung nach § 871 Nr. 10 BetrVG. 37 ZÌA 1993, 221, 229 f.; RdA 1991, 193, 197: Sonderabreden außerhalb der üblichen Allgemeinen Arbeitsbedingungen blieben zwar möglich, der Arbeitgeber könne sich aber in der Regel mit Rücksicht auf die innerbetrieblichen Folgen nicht darauf einlassen; zurückhaltender dagegen in seiner Schrift Privatrechtsordnung, S. 26: "Zur schuldrechtlichen Zweierbeziehung tritt eine Verbandsbeziehung hinzu". 38 Vgl. dazu allgemein Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 2 ff.; Horn, AcP 1976 (176), 307 ff.; speziell zur Bedeutung für das Arbeitsrecht, vgl. Behrens, ZfA 1989, 209 ff. m.w.Nachw. 39 Ein Arbeitnehmer werde in der Regel eine als gerecht empfundene Lohnstruktur einer ungerechten nicht nur dann vorziehen, wenn dies für ihn persönlich ein günstigeres Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bringe. 36
ΠΙ. Eingliederung in den Betrieb
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Durchsichtigkeit der betrieblichen Lohnstruktur für viele Arbeitnehmer sogenannte expressive Arbeitsbedingungen von einiger Bedeutung darstellten 40. In der Realität hätten Arbeitnehmer gegenüber der Arbeit nicht nur eine instrumentale - im Sinne von Ermöglichung von Konsum -, sondern eine expressive Einstellung - im Sinne von Befriedigung durch Arbeit -, so daß in der realen Welt expressive Arbeitsbedingungen von erheblicher Bedeutung seien, die ökonomisch nur angemessen interpretiert werden könnten, wenn sie als Güter aufgefaßt würden 41 . Diese stellten einen Typ qualitativer Arbeitsbedingungen dar, die bei einer Analyse des Betriebsverfassungsrechts entgegen des traditionellen Arbeitsmarktmodells, welches von einer konstanten Qualität der Arbeitsleistung ausgehe, zu berücksichtigen seien, was sich an der Nachfrage der Unternehmen von fachlicher Qualifikation, Leistungsfähigkeit, Verantwortungsgefühl, Initiative und Fähigkeit zur Teamarbeit des Arbeitnehmers zeige 42 . Dabei stelle die Gerechtigkeit der Lohnstruktur als expressive Arbeitsbedingung ein kollektives Gut dar, weil Gerechtigkeit der Lohnstruktur nicht wie andere Güter verbraucht werden könne (keine Rivalität im Konsum) und weil kein Arbeitnehmer des Betriebs von der Teilhabe daran ausgeschlossen werden könne (keine Exklusivität). Kollektive Güter aber könnten nicht durch individuelles, sondern nur durch kollektives Handeln geschaffen werden 43 . Die Beteiligung des Betriebsrats beispielsweise bei der über- und außertariflichen Lohnpolitik des Arbeitgebers ermögliche den dafür notwendigen, gegenseitigen Austausch von Informationen wie zum Beispiel die durchschnittliche Grenzproduktivität der Arbeitnehmer und gewährleiste eine bessere Kontrolle, ob die durch die Schaffung verschiedener Lohnanreize herbeigeführte Erhöhung der Arbeitsqualität insgesamt durch die Lohnzulagen aufgewogen würden 44 .
2. Bedeutung der Rechtssoziologie Auch wenn der Streit zwischen der Eingliederungs- und der Vertragstheorie seit längerer Zeit zugunsten letzterer als überwunden gilt, zeigt sich doch, daß der tatsächliche Akt der Einordnung in den Betrieb als Stätte arbeitsteiligen Prozesses nichts an seiner Verlockung für die Begründung bestimmter arbeitsrechtlicher Positionen eingebüßt hat. Ging es vormals um das Problem, ob für das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses der Abschluß eines Ar40 KritV 1992, 416, 429, vgl. dazu die ablehnende Stellungnahme von DaunerLieb/Krebs, ZfA 1994, 151. 41 KritV 1992,416, 420. 42 KritV 1992,416,417 f. 43 KritV 1992,416,430. 44 KritV 1992,416,428.
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beitsvertrags genügt 45 oder ob dafür zusätzlich die Einstellung in den Betrieb erforderlich ist 4 6 , spielt dieser formale Gesichtspunkt heute vor allem eine Rolle bei den untrennbar miteinander verbundenen Fragen nach den Merkmalen eines Arbeitsverhältnisses bzw. der Arbeitnehmerstellung 47, nach der soeben angesprochenen Verflechtung der Arbeitnehmerinteressen bzw. dem Schulden einer Integrationsleistung als Reichweitenbestimmung von Mitbestimmungsrechten, insbesondere nach § 87 I Nr. 10 BetrVG und nicht zuletzt bei der Frage nach dem Bestehen und dem Umfang der Abhängigkeit des Arbeitnehmers 48. Das zusätzliche Vorbringen von Aspekten aufgrund ökonomischer Analyse des Rechts ist dabei inhaltlich nichts Neues, da die Thesen der Vertreter dieser Auslegungsmethode ihren Ursprung letztlich in der Eingliederung des Arbeitnehmers finden. Grundlage und Forschungsobjekt ist der mit anderen zusammenarbeitende Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Arbeitsplatz. Es handelt sich insofern lediglich um eine moderne Fortführung des im Arbeitsrecht altbekannten soziologischen Begründungsan49
satzes . Nun ist die Eingliederung in den Betrieb ein rein tatsächlicher Umstand und es ist verfehlt, aus dieser soziologischen Bestandsaufnahme bzw. aus der darauf aufbauenden ökonomischen Analyse mit ihren wirtschafistheoretischen und sozialpsychologischen Erkenntnissen ohne weiteres rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Vermengt man die Rechtsdogmatik, als der Wissenschaft vom normativen Sinn des geltenden positiven Rechts, mit der Rechtssoziologie, als der Wissenschaft von den Gesetzmäßigkeiten des Rechts und des Rechtslebens50, so führt dies zwangsläufig dazu, daß bei der Auslegung der Normen die innere Systematik des geltenden Rechts in Gefahr gerät und einzelne Auslegungsergebnisse im Widerspruch zum geltenden Recht stehen51.
45 Allgemeine Meinung, vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I, § 21 I, S. 115 ff., 158 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 11 I 3, S. 133; allerdings gibt es Fälle, wie z.B. die des faktischen Arbeitsverhältnisses, bei den die Eingliederungstheorie der Sache nach herangezogen wird, vgl. die Beispiele bei Erman/Hanau, BGB, § 611 Rdnr. 54, 55. 46 So damals vor allem Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, § 23 IV, S. 158 ff. 47 Dazu und zu weiteren Aspekten vgl. Zeuner, FS-Kissel, S. 1305 ff; zum Begriff des Arbeitsverhältnisses unter diesem Gesichtspunkt vgl. Ramm, JZ 1991, 1, 11 f.; kritisch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 4 m 5 b), S. 45 f. 48 Siehe unten § 3 I 3. 49 In einer Zeit, in der die Sozialwissenschaften - und damit die Teildisziplinen der Arbeits- bzw. Betriebspsychologie - selbst der Philosophie den Rang als Mutter aller Wissenschaften streitig machen, ist das verständlich. 50 Vgl. zur Abgrenzung Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 9. 51 Die Anreicherung der Rechtsdogmatik um Erkenntnisse der Rechtssoziologie (Ehrlich, Grundzüge der Soziologie des Rechts (1913)) und der Phänomenologie (Isay, Rechtsnorm und Entscheidung (1929)) geht auf die in den ersten drei Jahrzehnten un-
ΠΙ. Eingliederung in den Betrieb
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Allzuleicht können Gestaltungsprinzipien angenommen werden, die de lege lata nicht bestehen können 52 . Im Vordergrund der Auslegung steht also zunächst die Norm und sonst nichts. Wer jetzt den von Jhering beschriebenen juristischen Begriffshimmel 53 herannahen sieht und den Einwand der Praxisferne erheben will, dem sei ausdrücklich zugestanden, daß ohne Zweifel Rechtsnormen bezüglich eines Sachverhalts und nicht aus sich selbst oder für sich selbst interpretiert und damit gewertet werden. Rechtsanwendung erfolgt nicht wie ein mathematisch logischer Subsumtionsmechanismus, allein schon deshalb, weil es den Rechtsnormen und -begriffen an der mathematischen Gesetzen zu eigenen Bestimmtheit mangelt. Auch hat man unstreitig bei der Auslegung die praktischen Konsequenzen des gewonnenen Ergebnisses als sog. Folgenbetrachtung zu berücksichtigen. Gleichwohl ist der zur Rechtsfrage gewordene Sachverhalt schlechterdings nicht mit Hilfe von anderweitigen Lebenserscheinungen, sondern nur aufgrund der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu lösen. Völlig ungeklärt bleibt sonst, welche Tatsachen in den Interpretationsprozeß einfließen und schon das Vorliegen einer Tatsache ist zumeist nicht sicher erwiesen. Aufgrund dieser Beliebigkeit ist eine Berücksichtigung unvereinbar mit der Funktion des geltenden Rechts als Regelung und Ausgleich verschiedener Interessen 54. Soziologische und damit auch ökonomische Erkenntnisse haben daher ihre vorrangige Bedeutung für den Gesetzgeber bzw. allgemein für den Bereich der Rechtspolitik, besitzen doch die erlassenen Normen als Ergebnis politischer Entscheidungen einen sozialen Geltungsanspruch, indem sie das Zusammenleben der Geltungsunterworfenen regeln sollen. Wird aber im Rahmen der Frage nach der Reichweite einer Norm, also einer rechtsdogmatischen Frage, mit soziologischen Modellvorstellungen oder Phänomenen argumentiert, so wird damit zumeist das Betreiben von Rechtspolitik verschleiert 55 . Daß dies gerade für das Arbeitsrecht und dabei insbesondere für das Betriebsverfassungsrecht - als seit jeher im höchsten Maße politisch umstrittenen Recht - der Fall ist, vermag nicht weiter zu verwundern. Auch wenn einschränkend anzumerken ist, daß rechtssoziologische Erkenntnisse durchaus ihre Berechtigung bei der Auslegung von Rechtsbegriffen haben können, z.B. wenn eine Norm auf außerrechtliche Aspekte wie die Verkehrssitte (§§ 157, 242 BGB, 346 HGB) oder die guten Sitten (§§ 138, seres Jahrhunderts bestehende Freirechtsschule zurück, vgl. dazu Fikentscher, Methoden m, S. 365 ff. 52 So auch Richardis in: MünchArbR, § 1 Rdnr. 6. 53 Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, S. 245 ff. 54 Vgl. Heck, Gesetzesauslegung, S. 17: "Die Gesetze sind die Resultanten der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen materieller, nationaler, religiöser und ethischer Richtung", und - wie man hinzufügen muß - besonders im Arbeitsrecht Interessen weltanschaulicher Richtungen. 55 So auch Büchner, RdA 1975,214.
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826 BGB, 1 UWG) verweist 56 , so ist jedoch ohne ausdrückliche Verweisung Zurückhaltung geboten, um eine Vermengung von Wirklichkeit und Norm zu vermeiden. Denn ein Lebenssachverhalt wie z.B. der Betrieb beinhaltet noch keine Sollensanordnungen, vielmehr werden ihm diese erst zugewiesen57. Diese rechtliche Beurteilung gilt es offen zu legen, wobei sie mit anderen Normen in Einklang zu bringen ist. Dabei sind die maßgebenden Wertungsmaßstäbe von der Rechtsordnung vorgegeben, auch wenn es zu ihrer Anwendung einer weiteren konkretisierenden Interpretation bedarf. Eben diese Eigengesetzlichkeit des Rechts steht in keinem Zusammenhang mit sozialen oder mikroökonomischen Tatbeständen, denn auf das bestehende Recht angewandt führt eine Überbetonung des Tatsächlichen ohne Umwege zum Systembruch, oder mit den Worten Richardis, "die Phänomenologie führt nicht zu einer Einsicht in das positive Recht und die von ihm vorausgesetzten Wertentscheidungen, sondern zu seiner Relativierung durch die Rechtswirklichkeit" 58 .
3. Klassenkämpferisches Denken im Arbeitsrecht In diesem Zusammenhang kommt speziell für das Arbeitsrecht der stand hinzu, daß die Diskussion vereinzelt durch klassenkämpferisches ken überlagert wird. Ausgehend von der Vorstellung einer permanenten beutung der Arbeitnehmer durch die Unternehmer 59 kommt Däubler 56
UmDenAus- ein
Dazu und zu anderen Beispielen vgl. Rehbinder, Rechtssoziologie, § 2, S. 13 ff., 17 f., 25 ff; zum speziellen Problem der durch Wertewandel verursachten Regelungslücke und ihrer möglichen Schließung durch soziologische Erkenntnisse, vgl. Zippelius y Methodenlehre, § 4 IV, S. 22 ff; im höchsten Maße problematisch ist es aber, wenn Kissel , ArbdGegw., Bd. 30 ( 1993), S. 21 ff., 44 f., die extensive Rechtsprechung zu den betrieblichen Mitbestimmungsrechten damit zu begründen versucht, diese habe sich bemüht, "in einem längeren Entwicklungsprozeß das Gesetz nach Wortlaut, vor allem aber Sinn und erkennbarer Zielsetzung, der modernen Entwicklung anzupassen", und dabei trotz der weitgreifenden Gesetzesänderung von 1972 von Problemfeldern spricht, "an die vor 40 Jahren niemand so recht gedacht hat". Damit wird unterschwellig der gesamte Komplex erweiterter Mitbestimmungsrechte auf eine zusätzliche Legitimationsgrundlage gestellt, die so nicht existiert. 57 Vgl. Rüthers, Entartetes Recht, S. 202 f. 58 Richardi, Kollektivgewalt, S. 5; ebenso Mayer-Maly, Gedächtnisschrift für R. Schmidt, S. 21, 28; E. Wolf Allgemeiner Teil, § 17 Β Π, S. 533 ff; ders., Schuldrecht I, § 5 D, S. 290 ff; vgl. auch Heldrich, JuS 1974,281, 284. 59 Diese Sichtweise der "ideologiekritischen Minderheit" - so die Selbstbezeichnung von Däubler, WSI-Mitteilunen 1985, 64, 67 - wird damit begründet, daß es für die Aufgabe des Arbeitsrechts entscheidend auf das doppelte Eigentum des Unternehmers an Produktionsmitteln und am Arbeitsprodukt ankomme, welches durch den Kapitalverwertungsprozeß Zwänge für den Arbeitnehmer schaffe, die diesen in eine Objektsituation versetzten. Aus Art. 1 I GG ergebe sich daher die Forderung nach einer umfassenden Mitbestimmung, vgl. Däubler, Mitbestimmung, S. 1 ff., 157 ff; vgl. gegen diese Klassenkampftheorie Adomeit, in Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, E 10 d, S. 167 f.;
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Hauptvertreter dieses Teils der arbeitsrechtlichen Literatur 60 - zu dem Schluß, daß "das Betriebsverfassungsrecht insofern qualitativ etwas anderes darstelle als das bürgerliche Recht, als es den konkreten Menschen in einer spezifischen Form realer Vergesellschaftung erfasse; es gehe nicht um die Freiheit eines abstrakten Individuums, sondern um die Situation konkreter Menschen" 61 . Wenn H. Hanau diesen Ausführungen insofern zustimmt, als er der ausgleichenden Gerechtigkeit die "Tauschobjekte" Arbeit und Entgelt unter Abstraktion von den handelnden Rechtssubjekten zuordnet, während die austeilende Gerechtigkeit die Akteure selbst erfasse 62, so fehlt auch dieser These jede Begründung, außer einer zu beachtenden "empirischen Methode" 63 . Davon abgesehen, daß dies in fataler Weise an das völkische Rechtsdenken unter dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit von 1934 64 erinnert, wonach "im Betriebe, in der Zusammenarbeit und im Zusammenleben in ihm die Gemeinschaft aller dort Tätigen eine unmittelbar gelebte und erlebte" 65 sei, ist es aufgrund der notwendigen Trennung von Dogmatik und Soziologie verfehlt, im Rahmen einer dogmatischen Frage mit dem "Wesen des Arbeitsrechts" zu argumentieren, zumal dessen Erkenntniswert wegen der fehlenden Beweisbarkeit empirischer Ergebnisse für die Auslegung von Normen gleich Null ist. Argumentationen mit dem Wesen realer Lebensbereiche dienen bestenfalls dazu, politisch-weltanschauliche Vorverständnisse zu verschleiern, sie können aber selbst eine juristische Begründung nicht ersetzen 66.
ders., Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 7 ff., Reuter, FS-Hilger/Stumpf, S. 573, 582 ff.; ders., Privatrechtsordnung, S. 16 ff.; MünchAibR/Richardi, § 8 Rdnr. 14, 15; siehe speziell zur absurden Gleichsetzung von Kapitalismus und Nationalsozialismus, Ramm, FS-Kissel, S. 915 f. 60 Zur "linken" Arbeitsrechtswissenschaft und ihren Vertretern, vgl. Ramm, JZ 1977, 184 ff. 61 AuR 1982, 6, 8; dort spricht Däubler auch von einem Durchbruch auf die Realität, der neue Möglichkeiten eröffne, Herrschaft über die eigenen Lebensverhältnisse zu gewinnen; grundlegend in diesem Sinne schon Sinzheimer, wonach "im Arbeitsverhältnis der Mensch nicht nur ideale Person, sondern ein konkretes Lebewesen sei, dessen reale Existenz in Frage stehe", Arbeitsrecht und Rechtssoziologie (1976), Bd. Π, S. 50. 62 H. Hanau, Individualautonomie, S. 107. 63 Zur Forderung nach Beachtung der Empirie vgl. nur Däubler, WSI-Mitteilungen 1985, 64, 67; ebenso aus nationalsozialistischer Sicht Potthoff, der "den Mangel an soziologische Durchdringung der Rechtswissenschaft" beklagte, ArbR 1922, S. 267, 275 f., und dann in dem AOG die "Wandlung vom Sachenrechte zum Personenrechte" erblickte, Arbeitsrecht (1935), S. 14. 64 RGBl. 1934, Bd. I, S. 45 ff. 65 So Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, § 1 Rdnr. 2. 66 Vgl. Rüthers, Entartetes Recht, S. 201 f.; ausführlich zu den sogenannten Wesensargumenten, Scheuerle, AcP 163 (1964), S. 429 ff. 4 Wittgruber
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§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
Darüber hinaus ist die These von der "anderen Qualität" des Betriebsverfassungsrechts unhaltbar, da zwischen privatem und öffentlichem Recht kein Rechtsgebiet existiert, wo das Betriebsverfassungsrecht anzusiedeln wäre. Dabei ist anzumerken, daß dieses, trotz einiger öffentlich-rechtlich anmutenden Elementen, wie z.B. dem Repräsentationsprinzip, als Teil des Privatrechts zu charakterisieren ist, was sich schon aus der fehlenden Beteiligung von Hoheitsträgern ergibt 67 . Schon von daher verbietet sich jede rechtliche Wertung dritter Art 6 8 . Insbesondere kann von einer "realen Vergesellschaftung" der Arbeitnehmer keine Rede sein, da sie auch zunächst ohne besondere Hervorhebung des Leitbildes des Grundgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuches als Individuen anzusehen sind 69 . Zumindest mißverständlich ist daher die Auffassung von Fastrich, der einen Gegensatz zwischen dem realistischeren Menschenbild des Arbeitsrechts und dem idealistischeren des Bürgerlichen Gesetzbuches konstatiert 70 , aber gleichzeitig vor der Gefahr warnt, ein Menschenbild zugrundezulegen, welches von der Idee des mündigen Bürgers allzuweit entfernt ist 7 1 . M i t solchen Betrachtungsweisen einer behaupteten größeren Lebensnähe des Arbeitsrechts befindet man sich nur einen Gedankenschritt entfernt von der mit der bestehenden liberalen Privatrechtsordnung unvereinbaren Marx'schen These, daß die Ware Arbeit keinen anderen Behälter hat als menschliches Fleisch und Blut und der Mensch kein Einzelwesen, sondern Glied eines Ganzen ist 72 . Unzutreffend wäre es folglich, von der Eingliederung 67 Vgl. zu dieser Frage GK-Kraft, BetrVG, 4.Aufl., § 1 Rdnr. 6; Weitnauer, FSDuden, S. 705 ff; Konzen, FS-E.Wolf, S. 279 ff.; im Ergebnis ebenso BVerfGE 73, 261, 268; a.A. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, Einl. § 1 Rdnr. 15 ff. 68 Bestrebungen, ein "Sozialrecht" zwischen Privatrecht und öffentlichen Recht zu installieren gab und gibt es seit jeher, haben sich aber zu recht nicht durchgesetzt. Für das Arbeitsrecht zeichnet insofern Sinzheimer, Festgabe-50 Jahre Reichsgericht, S. 5 ff., 15, verantwortlich, der das Tarifrecht als "neuen Gegenstand des Rechts" begriff, der die "gesellschaftliche Verbundenheit als solche" sei. Dieses bezeichnete er als "soziales Recht". In diesem Sinne auch fìir das gesamte Arbeitsrecht Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, S. 49 ff., 51; van der Ven, FS-Nipperdey, Bd. Π, 681, 689; ders., FSReinhardt, 167 ff., 175 ff.; Pawlowski, AT, § 1 I 2 b, Rdnr. 19 ff., der daneben Wirtschaftsrecht, insb. Kartellrecht, Eherecht, Mieterschutz, Recht der wirtschaftlich bedeutsamen Vereine und "wohl auch" das AGB-Recht in einem eigenständigen Sozialrecht zusammenfassen will; kritisch dazu und zu anderen damit verwandten Begründungsansätzen einer sozialmotivierten Einschränkung der Privatautonomie, vgl. Zöllner, JuS 1988, 329, 333 f.; vgl. auch zum ganzen Reichold, Sozialprivatrecht, S. 415 ff. 69 Zu diesem Menschenbild als rechtliche Leitidee, siehe Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 158 ff.; ders., JuS 1993, 889, 893 f. 70 Ebenso Radbruch/Zweigert, Rechtswissenschaft, S. 124, 132 f., wonach das Wesen des Arbeitsrechts seine größere Lebensnähe sei. 71 FS-Kissel, S. 193,202 f., 212. 72 In diesem Sinne auch Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, Band Π, S. 320: "Das Weltbild des sozialen Rechts, dem der Standort des proletarischen Menschen zugrunde liege, sei notwendig ein anderes, als das durch die bürgerliche Persönlichkeit geschaffenen Weltbild" (vgl. dazu umfassend Richardi ZÌA 1988, 221, 228 ff.,
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in den Betrieb auf das Vorliegen eines für alle Regelungsbereiche zuständigen Kollektivs zu schließen. Besonders augenfällig wird die soziologische determinierte bis klassenkämpferische Sichtweise des Arbeitsrechts in der Annahme eines im Gemeinschaftsbezug der betriebsangehörigen Arbeitnehmer wurzelnden Solidaritätsprinzips 73 . Häufig diente der Gesichtspunkt der Solidarität bzw. der Betriebsverbundenheit zur Begründung einer besonderen Rücksichtnahme der Arbeitnehmer untereinander bei der Hinnahme finanzieller Einbußen, so z.B. grundlegend in der Entscheidung des Großen Senats zum Kameradenunfall, wo der Ausschluß der Haftung eines einen Arbeitskollegen schädigenden Arbeitnehmers unter anderem mit dem Bestehen eines "mehr oder weniger engen Gemeinschaftsverhältnisses" begründet wurde 74 . Und im Bereich des § 87 I Nr. 10 BetrVG soll es beispielsweise bei der vom Arbeitgeber mittels Betriebsvereinbarung angestrebten Kürzung von aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen gewährter Sozialleistungen Anwendung finden. Dies habe zur Folge, daß zwar eine Verringerung der gesamten Finanzierungsmasse (des sog. Dotierungsrahmens) nicht möglich sei 75 , daß aber eine Umverteilung aufgrund eines mitbestimmten Leistungsplans nicht an einzelvertraglichen Abreden scheitern dürfe, da ansonsten die Gefahr des Leerlaufens betrieblicher Mitbestimmung bestünde76. Unabhängig von dem Problem der Wirksamkeit ablösender Betriebsvereinbarungen wird damit ein genereller Vorrang des Kollektivinteresses vor dem Individualinteresse geschaffen, indem einer indi234 ff); ähnlich Schach, in: Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 24,47, für den "dem Menschenbild des Grundgesetzes eine mittlere Linie zwischen Individualismus und Kollektivismus zugrunde liegt". 73 Vgl. dazu Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135 ff; ders., ACP 176 (1976), 212 f.; Pfarr/Kittner, RdA 1974, 281; Eilger, Ruhegeld, S. 263; G. Müller, DB 1958, 712, 740 ff; H. Hanau, Individualautonomie, S. 108. 74 AP Nr. 4 zu § 898 RVO, vgl. dazu und zu anderen Beispielen aus der Rechtsprechung Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135, 139 ff., 151 f.; in diesem Sinne auch das BVerfG NJW 1973, 505 zum Ausschluß von Schmerzensgeldansprüchen nach §§ 636, 637 RVO. 75 H. Hanau, Individualautonomie, S. 153 ff. 76 Vgl. H.Hanau, Individualautonomie, S. 148 ff., der diese Grundsätze auch auf das eigentliche Entgelt erstreckt; vgl. auch BAG ν. 12. 8. 1982, AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972; Jobs, BB 1986, 1120, 1122; Buchner, DB 1983, 883 f.; Leinemann, DB 1985, 1394, 1395; Richardi, NZA 1990, 331, 334; ebenso im Ergebnis BAG (GS) v. 16. 9. 1986, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, aufgrund eines "kollektiven Günstigkeitsvergleichs" bei einheitlich vereinbarten Sozialleistungen (unter C Π 4 der Gründe), wobei allerdings "der Schutzzweck der in § 87 BetrVG geregelten Mitbestimmung nicht generell Eingriffe in günstigere vertragliche Abreden rechtfertige" (unter C Π 3 c) der Gründe); soweit es sich nicht um Sozialleistungen handelt, kommt einer Betriebsvereinbarung entgegen der Auffassung von H. Hanau mangels inneren Bezug der Leistungen keine ablösende Wirkung zu, vgl. BAG ν. 21. 9. 89, AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972.
§ 2 Die sogenannte "dritte Dimension des Arbeitsrechts"
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vidualvertraglichen Regelung die Bestandskraft versagt wird, soweit sie denselben Gegenstand wie eine kollektivrechtliche Regelung betrifft 77 . Indes verbietet sich die Annahme einer besonderen Bedeutung des Kollektivinteresses unter Hinweis auf ein angebliches Solidaritätsprinzip. Ganz abgesehen davon, daß es sich bei der "Solidarität" nicht um einen rechtlich relevanten Begriff handelt 78 , so muß auch ihre tatsächliche Existenz bezweifelt werden. Dies mag zu Zeiten eines verelendeten Proletariats während des 19. Jahrhunderts anders gewesen sein, als es darum ging, die Lage der Arbeitnehmer durch kollektive Interessenwahrnehmung zu verbessern. Heutzutage79 läßt sich die Fiktion von einer solidarischen Gemeinschaft der Arbeitnehmer, auch nicht beschränkt auf die eines Betriebes, jedoch nicht mehr aufrechterhalten 80, was selbst von der Gewerkschaftsseite 81 im Ansatz erkannt wird. Eine andere Sicht würde im übrigen den Arbeitnehmer als Individuum mißachten, indem seine vertragliche Beziehung zum Arbeitgeber schlicht übergangen würde.
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So Joost, RdA 1989, 7, 18. Anders Richardi, RdA 1983, 201, 285, wonach "der Gedanke der Solidarität durch die Ausbildung einer Mitbestimmungsordnung seine arbeitsrechtliche Relevanz erfahren hat". Ein Gemeinschaftsgefühl kann indes schon aufgrund seiner mangelnden Feststellbarkeit nichts zur Reichweitenbestimmung einer Norm beitragen. 79 Zum Wandel in der Arbeitwelt, vgl. unten § 3 12. 80 Ebenso Belling , Günstigkeitsprinzip, S. 49; Bommermann, Wirksamkeitsvoraussetzung, S. 89; In diesem Sinn führt das BAG NJW 1981, 937, 938, im Zusammenhang mit der Betriebsrisikolehre aus: "Die Vorstellung von der Solidarität aller Arbeitnehmer, unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit und jeder Interessenverschiedenheit, läuft auf eine reine Fiktion heraus". Dem ist hinzuzufügen, daß sich an dieser zutreffenden Feststellung auch nichts durch eine gemeinsame Betriebszugehörigkeit ändert, da auch innerhalb eines Betriebes gegenläufige Individualinteressen bestehen. 81 Vgl. Wagner, in: Mitarbeitervergütung, (Hrsg. Hromadka), S. 109, 117 ("mündiger Arbeitsbürger"); Däubler, NZA 1988, 857, 864; Zachert, Mitbestimmung, S. 298 f. 78
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht Damit ist man beim eigentlichen Kern des Problems der "dritten Dimension" des Arbeitsrechts angelangt: das Spektrum der Meinungen - von den gemäßigten Vertretern eines teilweise bestehenden Funktionsdefizits der Privatautonomie, über Reuters Auffassung von der Negierung des bilateralen Austauschverhältnisses bis zu den gewerkschaftsnahen Autoren - kann zwar nicht als homogener Teil der Literatur betrachtet werden 1. Gemeinsam ist ihnen aber nicht nur die soziologisch determinierte Hervorhebung der Eingliederung in den Betrieb, sondern darüber hinaus insgesamt die geforderte Abkehr des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit als dem zentralen Gestaltungsfaktor des Arbeitsverhältnisses. Dabei ist die Zielrichtung verständlich; um so mehr man das Arbeitsverhältnis als Zweier-Beziehung aufweicht und aus seinem schuldrechtlichen Fundament herausführt, um so weniger stellt es eine zu berücksichtigende Grenze für kollektive Regelungen dar.
I. Die Abhängigkeit des Arbeitnehmers als Grundsachverhalt 1. Personenrechtliches Denken Diese Abkehr wurde schon früher von verschiedenen Ansätzen2 verteten, wobei zentraler Gesichtspunkt die Abhängigkeit des Arbeitnehmers war. Grundlegend dafür ist die Auffassung Sinzheimers, der als Anhänger der soziologischen Jurisprudenz den klassenrechtlichen 3 Charakter des Arbeitsrechts vertrat, welcher die Unanwendbarkeit des individualistisch orientierten Privatrechts begründen sollte. Anknüpfend an v. Gierkes deutschrechtliches Ge-
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Während erstere nur mögliche Interessenkonflikte unter den Arbeitnehmern beachtet wissen wollen, geht Reuter quasi von der Interessenidentität einschließlich des Arbeitgebers aus, Däubler dagegen vertritt, daß das Verhältnis zwischen Lohnarbeiter und die Arbeitskraft kaufenden Unternehmer von einem fundamentalen Interessengegensatz beherrscht wird. 2 Vgl. zum folgenden auch Reichold, Sozialprivatrecht, §§ 6, 8 - 11; Münch AibR/Richardi, § 8 Rdnr. 2-14; ders., ZÌA 1988, 221 ff.; Reuter, Privatrechtsordnung, S. 3 ff, 21 ff. 3 Dieser Ansatz wird im Sinne von "klassen/cam^/rechtlich" von gewerkschaftsnahen Autoren aufgrund ihres marxistischen Vorverständnisses nach "links verlängert", indem Abhängigkeit in Ausbeutung umdefiniert wird, vgl. Reuter, FS-Hilger/Stumpf, S. 573, 582 ff.
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
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dankengut vom persönlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnis 4, war für ihn neben der Einordnung in den Betrieb die Abhängigkeit des Arbeitnehmers das dem Arbeitsrecht eigene Fundament, so daß ein System des Arbeitsrechts erst entstehen könne, wenn nicht mehr von dem Fundament der Freiheit ausgegangen werde 5. Darauf aufbauend war das Arbeitsrecht zu Zeiten der Weimarer Republik von einem fortschreitenden Kollektivdenken geprägt. Zentrale Rolle spielte dabei die Vorstellung des Betriebs als "Institution", aus der sich die Lösung arbeitsrechtlicher Fragen ableiten lassen sollten6. So vertrat beispielsweise Hedemann die Auffassung, daß "die wirklich das Materielle des Arbeitsverhältnisses treffenden Probleme ihren Sitz im Betrieb als solchem (haben)"7 und in diesem Sinne formulierte Potthoff das rechtpoltische Anliegen jener Zeit: "Zur Verwirklichung und Versinnlichung dieser Forderung: Nichts für den Einzelnen, alles für den Betrieb! bedarf es neuer Rechtsform. Der Betrieb, der Nutznießer gemeinsamer, erhöhter Anstrengung aller in ihm Tätigen sein soll, muß eigene Rechtspersönlichkeit gewinnen." Insgesamt wurde versucht, die sogenannte Betriebsgemeinschaft als Ausdruck des Gemeinschaftsgedankens in das Zentrum arbeitsrechtlicher Dogmatik zu rücken. Verwirklicht wurde die Forderung nach juristischen Wertungen aus dem solchermaßen "institutionalisierten" sozialen Tatbestand und einhergehener
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Otto v. Gierke , Deutsches Privatrecht, Bd. Π (1917), S. 600, 608 f., setzte mit seiner Vorstellung vom germanischen Treuedienstvertrag eine personenrechtliche Seite der rein schuldrechtlichen Seite des Arbeitsvertrages entgegen, denn "das 'bürgerliche Recht' weiß nichts davon, daß der durch Dienstverhältnisse bewirkte Eintritt in eine Hausgemeinschaft, in einen Berufsverband, in einen geschäftlichen oder gewerblichen Organismus, in einen jener in Wahrheit zu modernen Herrschaftsverbänden ausgestalteten Zusammenhängen, welche die Erwerbsgesellschaft der Gegenwart durchziehen, eigenartige gegenseitige Verbindlichkeiten von sittlichem und sozialen Gehalt erzeugen müssen", in: Der Entwurf eines bürgerlichen Gestzbuches und das deutsche Recht (1889), S. 105; vgl. dazu umfassend Jobs, Otto v. Gierke und das moderne Arbeitsrecht. 5 Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, Bd. I, S. 135, 138. Dementsprechend faßte er die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers als "Befehlsrecht" auf, welches im Wesen des Arbeitsverhältnisses und nicht im Arbeitsvertrag wurzele: es realisiere eine Ordnung, nicht eine Forderung. Unter Bezugnahme auf Art. 165 11 der Weimarer Reichsverfassung sah er dann den Gegensatz von Arbeit und Eigentum in einer sozialen Selbstbestimmung und Selbstverwaltung aufgelöst; ähnlich Nikisch, JherJb., Bd. 80 (1930), S. 1 ff; Flatow/Kahn-Freund, BRG (1931), S. 33, die im Hinblick auf das Betriebsrätegesetz von 1920 eine werdende Betriebsgemeinschaft propagierten, die an die Stelle des Betriebes als Herrschaftsverband zu treten berufen sei. 6 Zum "institutionellen Rechtsdenken" als überdehnter Erfassung des sozialen "Stoffes" und seiner Bedeutung für das Verhältnis von Norm und Sachverhalt, vgl. Rüthers, Entartetes Recht, S. 55 f.; ders., Die unbegrenzte Auslegung, S. 270 ff. 7 In: Die sozialen Probleme des Betriebes (Hrsg. Potthoff), S. 17 ff, 26; So auch Potthoff in derselben Schrift, S. 320 ff, 336 ff.
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"Entthronung des Arbeitsvertrags" 8 schließlich unter Geltung des AOG von 1934, als das Arbeitsverhältnis von der allgemeinen Meinung und diesem Gesetz entsprechend als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und die Belegschaft einschließlich des Arbeitgebers als Betriebsgemeinschaft (als Teilbereich der Volksgemeinschaft, die der Losung 'Du bist nichts, dein Volk ist alles' unterlag) charakterisiert wurden 9. Grundlage für die Ordnung der Arbeitsverhältnisse war jetzt der Gemeinschaftsgedanke, mit dem das zuvor bestehende "herrschaftliche Element im Wesen der abhängigen Arbeit" beseitigt werden sollte. Der Gemeinschaftsgedanke galt als eine der sozialen Lebenswirklichkeit des Betriebes innewohnende Ordnung, die sich aus der "wesenhaften" Betrachtung dieses konkreten Lebensbereichs ergab. Dieses Rechtsdenken in "konkreten Ordnungen" 10 sollte den "abstrakten Normativismus" ersetzen, da nach dieser Vorstellung Normen selbst nicht die Ordnung schaffen, sondern nur eine gewisse regulierende Funktion hinsichtlich der bereits gegebenen Ordnung haben können 11 . Den so gewonnenen Gemeinschaftsgedanken konkretisierend bestimmte § 1 AOG, daß im Betrieb die Unternehmer als Führer des Betriebs, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat arbeiten; und § 2 I I AOG ordnete an, daß der Führer des Betriebes für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen habe, während diese ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten habe12. Anstelle der nach dem Betriebsrätegesetz von 1920 obligatorischen Betriebsräte traten gemäß § 5 I AOG dem Betriebsführer Vertrauensmänner beratend zur Seite, die mit ihm und unter seiner Leitung den Vertrauensrat des Betriebes darstellten, welcher nach § 6 I AOG die Aufgabe hatte, das gegenseitige Vertrauen innerhalb der Betriebsgemeinschaft zu vertiefen. Damit mutierte - wenigstens formal - die Betriebsgemeinschaft zum "Ausgangspunkt aller arbeitsrechtlicher Gestaltung" 13 und korrespondierend dazu wurde die Rechtsnatur 8
So Potthoff, NZfA 1931, 283 f. Vgl. Siebert, Arbeitsverhältnis (1935), S. 53 ff., 64; ders., DAR 1937, 14 ff., 44 ff; Potthoff, Arbeitsrecht (1935), S. 14; Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, Vorbem., § 26 Rdnr. 1 a;A. Hueck, DAR 1938, 180 ff.; Nipperdey, DAR 1937, 142, 143; Nikisch, Arbeitsrecht (1944), § 22 ΙΠ, S. 71 f. 10 So der von Carl Schmitt geprägte Begriff, in: Über die drei Arten wissenschaftlichen Denkens (1934), S. 12 f. 11 Vgl. dazu insbesondere die ideologische Intention der "Schaffung einer neuen Ordnung" herausarbeitend Rüthers, Entartetes Recht, S. 55 f., 63 ff, 72; ders., Die unbegrenzte Auslegung, S. 379 ff. 12 Vgl. zum nationalsozialistischen Arbeitsrecht E. Wolf, Arbeitsverhältnis, S. 41 ff, 46 f.; speziell zur Betriebsverfassung jener Zeit vgl. Weber, ZfA 1993, 517, 538 ff. 13 Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, § 1 Rdnr. 2. Allerdings ist anzumerken, daß Entscheidungen stets dem Betriebsführer vorbehalten blieben, z.B. erließ dieser allein die Betriebsordnung, der Vertrauensrat hingegen stellte keine Entscheidungsfaktor dar, vgl. ausdrücklich so Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, § 6, Rdnr. 16. Zutreffend wertet 9
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§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
des Arbeitsverhältnisses bestimmt; es werde "nicht durch einen schuldrechtlichen Vertrag, sondern durch eine auf unmittelbare Entstehung der personenrechtlichen Gemeinschaft von Unternehmer und Beschäftigten gerichteten Willenseinigung begründet" 14 . Das Arbeitsverhältnis als "personenrechtliches (sozialrechtliches) Rechtsverhältnis" gründete sich nach Siebert "auf einer totalen Eingliederung der Persönlichkeit in eine sie voll erfassende Gemeinschaft" 15 . Noch zum geltenden Recht hat Siebert vertreten, daß der individualrechtliche Arbeitsvertrag zwar das Arbeitsverhältnis herbeiführe, dessen Inhalt jedoch maßgebend kollektivrechtlich festgelegt werde, so daß sich das Arbeitsverhältnis letztlich in einem personenrechtlichen Zusammenschluß" gründe 16 . Die individualrechtliche Ebene betreffend wurde bis in die sechziger Jahre hinein von der herrschenden Meinung angenommen, daß es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis handele, um so die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers zu erfassen, insbesondere um weitreichende Treue- und Fürsorgepflichten zu konstruieren. Auch die Vorstellung einer Betriebsgemeinschaft wurde nach wie vor in verschiedenen Ausformungen vertreten 17 . Anfang der siebziger Jahre mehrten sich dann die kritischen Stimmen am personenrechtlichen Verständnis 18, mit der Folge, daß bis in die heutige Zeit eine schuldrechtliche Sichtweise des Arbeitsrechts Reichold, Sozialprivatrecht, S. 344 f., dies als Entmündigung der Belegschaft und einseitige Machtunterworfenheit des Arbeitnehmers hinter dem Begriffsnebel der Betriebsgemeinschaft. 14 Bueck/Nipperdey/Dietz, AOG, § 1 Rdnr. 16. 15 DAR 1935, 95, 96 und auf S. 97: "Nicht Gläubiger-Schuldner, actio, Leistung und Vollstreckung, sondern Gesamtbeziehung, Ordnung und Verbundenheit...." 16 Vgl. Siebert, RdA 1958, 367; dersFS-Nipperdey, S. 119, 145 Fn. 1; Ähnlich unterscheiden Hilger, Verhandlungen des 43. DÎT, Bd. Π/F, S. 13 f., und MeyerCording , Rechtsnormen, S. 89 f., 102, zwei Teile des Arbeitsverhältnisses: zum einen ein individuelles Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und zum anderen ein Statusverhältnis, dessen Inhalt nicht bilateral, sondern ausschließlich durch Gesetz oder kollektive Regelung bestimmt würden, wobei letzeres die Rechtsstellung des Inhabers eines bestimmten Arbeitsplatzes ohne Rücksicht auf den konkreten Arbeitnehmer betreffe; daß eine solche Differenzierung nicht möglich ist, hat Richardi, Kollektivgewalt, S. 338 f., überzeugend nachgewiesen; vgl. auch gegen die Annahme eines "personenrechtlichen Statusvertrags" im Sinne Meyer-Cordings, Kreutz, Betriebsautonomie, S. 61 ff. 17 Vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I (1963), § 19 VOI, S. 96; Dietz/Richar di, BetrVG, 5. Aufl. 1973, § 1 Rdnr. 20; G. Müller, DB 1958, 712 ff, 740 ff; Berschel Juristen-Jahrbuch, Bd. 2 (1960/61), S. 80, 101; Galperin, RdA 1959, 321, 324 ff ; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht (1960), S. 182 ff ; G. Bueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958), S. 136 ff. 18 Vgl. E. Wolf, Arbeitsverhältnis, S. 91 ff ; Schwerdtner y Fürsorgetheorie, S. 66 ff; Fenn, AuR 1971, 321, 323 ff ; Ballerstedt, RdA 1976, 9 f.; Isele, Juristen-Jahrbuch, Bd. 8(1967/68), S. 63,74.
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überwiegt 19 . Die arbeitnehmerische Abhängigkeit wird danach durch individualrechtliche Sondergesetze und durch die rechtlich verankerte Interessenvertretung von Betriebsräten und Gewerkschaften berücksichtigt. Abweichend davon werden zwei verschieden Arten des Gemeinschaftsbezugs vertreten, die das Arbeitsverhältnis Verbands- bzw. gesellschaftsrechtlich bewerten und so wieder personenrechtliches Denken in die Diskussion bringen. Der verbandsrechtliche Ansatz 20 sieht die eigentliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers darin, daß nicht eine isolierte Arbeitsleistung, sondern Arbeit im Verbund geschuldet werde. Dadurch entstehe ein Bedürfnis nach innerbetrieblicher Gerechtigkeit, zu dessen Gewährleistung der Arbeitgeber zwecks Motivierung der Arbeitnehmer gezwungen sei. Daneben sei in der modernen Arbeitswelt eine wachsende Selbständigkeit im Verhältnis zum Arbeitgeber festzustellen, die sich vor allem in dem ständig wachsenden Fachwissen des Arbeitnehmers begründe 21. Arbeitnehmer und Arbeitgeber seien insgesamt zwecks betrieblicher Kooperation aufeinander angewiesen, wobei dem Arbeitgeber nicht die Aggregierierung der Arbeitnehmerinteressen überlassen werden dürften, so daß es im Ergebnis gerechtfertigt sei, die Betriebsautonomie zu Lasten der Individualautonomie auszuweiten. Dabei stelle die Betriebsvereinbarung eine mit Abschluß des Arbeitsvertrags legitimierte und akzeptierte Verbandssatzung des zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber bestehenden Betriebsverbandes dar. M i t entgegengesetzter Zielsetzung, aber gleicher Begründung sieht der gesellschaftsrechtliche Ansatz Adomeits 22 die Abhängigkeit des Arbeitnehmers durch die zahlreichen Schutzgesetze und Mitbestimmungsvorschriften als nahezu überwunden an. Gemeinsam mit dem verbandsrechtlichen Ansatz ist darüber hinaus nicht nur die Annahme eines verbandsrechtlichen Status des Arbeitnehmers, den dieser durch den Beitritt zum Arbeitsverband erwerbe, 19 Vgl. Söllner, Arbeitsrecht, § 28 m 2, S. 248 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 11 Π 7, S. 139 ff.; MünchArbR/Richardi, § 8 Rdnr. 17 jeweils m.w.Nachw. 20 Vgl. Reuter, Privatrechtsordnung, S. 25 ff.; ders., ZfA 1993, 221 ff.; ders., RdA 1991, 193, 195 ff.; ders., Ordo Bd. 36 (1985), S. 51 ff.; Nebel, Normen, S. 54 ff., 109 f., 124 ff., 162 ff. 21 So Reuter, ZÌA 1993, 221,222, 236 Fn. 82. 22 Vgl. Adomeit, Gesellschaftsrechtliche Elemente, S. 10 ff; ders., Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 5 f.; ders., Schutz, S. 90 f.; ders., in: Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, E 10 b), c), d), S. 156 ff.; danach handelt es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein gemischt schuldrechtlich-gesellschaftsrechtliches Rechtsverhältnis ("kooperatives Austauschverhältnis"); ähnlich Zöllner, ZfA 1988, 265, 289 m.w.Nachw.; schon Hueck nahm an, daß der Arbeitsvertrag seine Parallele nicht im Kauf-, sondern im Gesellschaftsrecht finde, vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I, § 22 Π 1, S. 129 und in Anm. zu RAG ARS 33, 172, 175 f.
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§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
sondern auch das Hervorkehren des Begriffs "Mitarbeiter" statt "Arbeitnehmer", gestützt auf die Idee der vertrauenvollen Zusammenarbeit gemäß den §§ 2 I, 74 BetrVG.
2. Der Arbeitnehmer als Mitarbeiter Auch wenn von Adomeit keine Kollektivierung der Arbeitsverhältnisse und damit eine Abkehr vom Vertragsrecht angestrebt wird - inhaltlich geht es primär um eine vermögensrechtliche Teilhabe des Arbeitnehmers am Unternehmensvermögen 23 und insgesamt um eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts 24 -, so bereiten seine Vorschläge doch ebenso wie der verbandsrechtliche Ansatz 25 gedanklich den Weg für eine Erweiterung auch der betrieblichen Mitbestimmung 26 . Sowohl dem Verbands- als auch dem gesellschaftsrechtlichen Ansatz ist zuzugestehen, daß die Zeiten des Taylorismus vorbei sind. Äußerlich gekennzeichnet durch extreme Arbeitsteilung und hierarchischem Führungsstil ging man Anfang des Jahrhunderts und in der Folgezeit von der Vorstellung aus, daß durch psychologische und organisatorische Behandlung die Leistung des Arbeitnehmers wie die einer Maschine gesteuert werden könnte 27 . Der Mensch als betrieblicher Faktor Arbeit hat inzwischen durch arbeits- und sozialrechtliche Normen einen anderen Stellenwert als die anderen beiden objekt-
23 Adomeit wendet sich im Gegenteil gegen die Einbuße arbeitnehmerischer Selbständigkeit durch die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, die der Mündigkeit des Bürgers nicht entsprächen, vgl. in: Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, E 10 d), S. 159; ausdrücklich plädiert er dafür, die Gestaltung übertariflicher Zulagen der vollen Vertragsfreiheit zu belassen, in: Arbeitsrecht für die 90er, S. 79; dagegen will Reuter seine personenrechtliche Betrachtungsweise auf die "ideelle Seite" beschränken, "es gehe ihm um Mitgestaltung durch Mitbestimmung des Betriebsrats", vgl. Privatrechtsordnung, S. 26. 24 Zur Verwirklichung dieser notwendigen Forderung bedarf es indes nicht einer gesellschaftsrechtlichen Betrachtungsweise; vgl. auch die Vorschläge von Schach für eine unternehmensbezogene Liberalisierung des Arbeitsrechts, insbesondere zur rechtlichen Konstruktion einer "Gruppenabsprache" als innerbetrieblicher Rechtsquelle, in: Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 48 ff, 50 f. 25 Vgl. ablehnend Reichold, Sozialprivatrecht, S. 537 ff. 26 Vgl. ablehnend Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, (Hrsg. Beuthien), S. 41, 44 ff, 55 f.; ders., Arbeitsrecht, 1 Π 3, S. 13; MünchAibR/Richardi, § 8, Rdnr. 12, 13; Loritz, ZfA 1991, 1, 10 f.; Ehmann, RdA 1990, 77, 78; Beuthien, FS - E.Wolf, S. 17 ff; ders., in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, S. 27 ff; ders., FS-BAG, S. 1 ff 27 Vgl. Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, S. 96.
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bezogenen Produktionsfaktoren Betriebsmittel und Werkstoffe bekommen28. Dem damit verfolgten Ziel der "Humanisierung der Arbeitswelt" dient auch das Betriebsverfassungsgesetz, indem es den Arbeitnehmer vom Objekt zum Subjekt des betrieblichen Geschehens machen soll 29 ; zum einen ist in den §§ 81 ff, 90, 91, 96 ff BetrVG eine individuelle Interessenwahrnehmung des Arbeitnehmers verankert, zum anderen sind für den Bereich der Mitbestimmung durch das Repräsentativorgan Betriebsrat nach § 75 I I BetrVG dieser und der Arbeitgeber verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fordern, sowie in § 2 I BetrVG als Ziel der Zusammenarbeit der Betriebspartner das Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes normiert ist 30 . Dabei ist allerdings später auf die Frage zurückzukommen, inwieweit der einzelne Arbeitnehmer durch kollektive Mitbestimmung tatsächlich zum Subjekt gemacht wird. Dessen zunächst ungeachtet ist davon auszugehen, daß die betriebliche Mitbestimmung jedenfalls grundsätzlich in der Lage sein kann, die Akzeptanz der Entscheidungen des Arbeitgebers zu erhöhen, wodurch im Ergebnis die Motivation der Arbeitnehmer gesteigert wird 3 1 . Auch in der Arbeitswelt wandelt sich die Stellung des Arbeitnehmers durch fortlaufende Qualifizierung, begründet in der Ersetzung unqualifizierter Arbeiter durch computergesteuerte Automatisierung, die von wenigen qualifizierten Arbeitnehmern kontrolliert wird und der Einführung neuer Arbeitsformen, die zunehmend von der extremen Arbeitsteilung weg- und zur Bildung kleiner autonomer Gruppen 32 hinführt, dem sog. "Postfordismus" 33 . Dabei werden die für die Führung eines Betriebes notwendigen Planungs-, Gestaltung- und Steuerungsaufgaben teilweise auf die Gruppe übertragen und so der Verantwortungsbereich der einzelnen Gruppenmitglieder
28 Vgl. Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, S. 93 ff, 269 f.; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 169 ff ; Rüthers, FS-E.Wolf, S. 565, 570 f. 29 Vgl. die Begründung zum Reg.Entw. BT-Drucks. VI/1786, S. 31, 46 f. hinsichtlich der §§ 81 ff BetrVG; BR-Drucks. 715/70, S. 47; so auch der Bericht der Mitbestimmungskommission zur insofern vergleichbaren Mitbestimmung auf Unternehmensebene, BT-Drucks. VI/334, S. 66 f.; vgl. auch Fitting/ Auffarth/Kaiser/H either, BetrVG, § 75 Rdnr. 21. 30 Vgl. GK-Kreutz, BetrVG, § 75, Rdnr. 65; Dietzföichardi, BetrVG, § 2 Rdnr. 6; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 Π, S. 2 ff; GK-Wiese, BetrVG, vor § 81 Rdnr. 3 ff. mit Darstellung der verschiedenen Entwürfe zur Stärkung der Individualrechte des Arbeitnehmers in der Betriebsverfassung, Rdnr. 7 ff 31 Siehe oben § 1IV. 32 Vgl. dazu Gast, BB 1990, 1637, 1643 f. 33 Vgl. Gaugier, in: Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses (Hrsg. Besters), S. 12, 21; Schach, in: Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 24, 28 f. m.w.Nachw.
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erweitert 34 . Dadurch wird nicht nur die Motivation gefördert 35, sondern gleichzeitig wird auch die Kooperationsbereitschafi des einzelnen für das Unternehmen aufgewertet, da sie für den reibungslosen Ablauf des so gestalteten Arbeitsprozesses notwendig ist. Daher besteht ein Bedürfnis nach individuellen Arbeitsbedinungen, insbesondere bei Arbeitszeit und Entlohnung 36 , also das Gegenteil von Reuters Vorstellung von betrieblichen Arbeitszeit- und Entlohnungssystemen, mit denen sich der Arbeitnehmer mit seiner Eingliederung in den Betrieb abzufinden habe37. Für das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander bedeutet dies, daß sich der einzelne Arbeitnehmer trotz kollektiver Zusammenarbeit mehr als individueller "homo oeconomicus" versteht, der sich seines Wertes für den Betrieb bewußt ist und von daher in erster Linie eigene Interessen verfolgt 38 , insbesondere die Maximierung seiner wirtschaftlichen Vorteile anstrebt. Auch in Team- und Gruppenarbeit will der einzelne Arbeitnehmer nicht nur anteilmäßig am kollektiven Gruppenergebnis, sondern seiner Leistung entsprechend entlohnt werden. Dementsprechend wird in dem auf den einzelnen Arbeitnehmer abgestellten Leistungsentgelt ein Führungsinstrument des Unternehmens gesehen39. Selbst wenn man sich also auf eine soziologische Betrachtungsweise einlassen sollte, kann weder die Fiktion einer Solidarität der Arbeitnehmer - erst recht nicht in einer gemeinsamen Verfolgung von Klasseninteressen - aufrechterhalten werden, noch kann man den
34
Zur von der Gruppe selbständig festgelegten Zielvereinbarung als Bemessungsgrundlage des Entgelts, vgl. Eberhardt, in: Mitarbeitervergütung (Hrsg. Hromadka), S. 26, 30 ff. 35 Siehe auch dazu den Beitrag "Mitdenken macht Spaß" in: Der Spiegel 16/1995, S. 107 ff. 36 Vgl. Zander, AuA 1990, 173 ff.; Gaugier, in: Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses (Hrsg. Besters), S. 12, 21; Schach, in: Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 28; dagegen beschränkt Gast, BB 1990, 1637, 1643, die stetige Zunahme der "Selbstentfaltungswerte" auf die Arbeits- und Organisationsgestaltung. Der von ihm festgestellte gesellschaftliche Wertewandel, der darin besteht, "daß immer mehr Menschen danach streben, selbsbestimmter zu leben und weniger entfremdet zu arbeiten", bezieht sich jedoch zum einen auch auf die essentialia des Arbeitsvertrags und stellt zum anderen nur die tatsächliche Untermauerung des Selbstbestimmungsprinzips dar. 37 Zumal komplexe Systeme allenfalls bei Großbetrieben Anwendung finden (was Sonderabsprachen nicht unmöglich macht), diese aber nur einen kleinen Teil der bestehenden Betriebe ausmachen: nach den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 2, Heft 11, S. 34 f., waren es 1987 lediglich 13,24 %. 38 In diesem Sinne auch Biedenkopf, FS-Coing, Bd. Π, S. 21, 29, der im Jahre 1982 dem Arbeitsrecht eine "bürgerliche" Zukunft voraussagte, wobei er sich auf den gestiegenen Wohlstand der Arbeitnehmer (vergleichbar dem wohlhabender Bürger der Jahrhundertwende) und die Bildungsrevolution berief. 39 Vgl. Bommel, in: Mitarbeitervergütung (Hrsg. Hromadka), S. 100, 102, der die häufig nicht genutzten Möglichkeiten zur Differenzierung mit Hilfe übertariflicher Zulagen beklagt; gegen den Gesichtspunkt der Motivation durch Entgelt Wilfert, in: Mitarbeitervergütung (Hrsg. Hromadka), S. 118, 122.
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Wandel in der Arbeitswelt für die Auffassung anführen, die Belegschaft insgesamt sei eine rechtliche Gemeinschaft. Ist der Arbeitnehmer der heutigen Zeit somit nicht vergleichbar mit dem Proletarier, der sich im 19. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes "verdingen" mußte 40 , so hat sich auch sein Verhältnis zum Arbeitgeber gewandelt. Zwar ist die klassenkämpferische Vorstellung eines unüberbrückbaren Interessengegensatzes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern in der postindustriellen Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht mehr haltbar; jedoch kann weder die tatsächlich bestehende Notwendigkeit zur Kooperation, noch die rechtlich angeordnete Kooperation 41 zwischen Arbeitgeber und betrieblicher Arbeitnehmervertretung die Interessengegensätze verschleiern, selbst wenn diese nicht wie auf tariflicher Ebene so offen zu Tage treten und dies wegen der absoluten Friedenspflicht nach § 74 I I 1 BetrVG und dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit auch nicht dürfen 42 . Das Partnerschaftsgebot des § 2 I BetrVG macht aus den Arbeitnehmern, vertreten durch den Betriebsrat, und dem Arbeitgeber noch keinen Verband oder eine Betriebsgemeinschaft; ganz im Gegenteil ist der Grundgedanke dieser Regelung das Bestehen unterschiedlicher Interessen, für deren Verfolgung vom Gesetzgeber eine Richtschnur gegeben wurde 43 . Gebe es den Interessengegensatz nicht, wäre § 2 I BetrVG eine überflüssige und nicht erklärbare Norm. Daher ist auch die von Kissel aufgestellte These abzulehnen, der aufgrund eines Ausbildung, Schulung und Motivation sowie neuen Führungsverhaltens geänderten Betriebsklimas im Sinne einer corporate identy eine "neue Dimension der Zusammenarbeit" zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sieht 44 . Auf welch tönernen Füßen diese Sichtweise steht, mit der der Betriebsrat zur "entscheidenden Schnittstelle" 45 der solchermaßen beschriebenen inneren Einstellung der Arbeitnehmer zur Arbeit gemacht werden soll, zeigt sich zum einen darin, daß pauschal auf "Gesetz und betriebliche Eigengesetzlichkeiten" verwiesen wird, und zum anderen wird unverhofft aus dem Arbeitnehmer der Betriebsrat, wodurch die Frage aufgeworfen wird, was aus seiner neuen, unabhängigeren Stellung als "Mitarbeiter" wird. 40
Vgl. zur Entwicklung des modernen Arbeitsrechts Hromadka, FS-Der Betrieb, 5. 241, 243 ff.; Wiese, FS-Kissel, S. 1269 ff; Weber, ZfA 1993, 517 ff, speziell zum Partnerschaftsgedanken des BetrVG 1972, S. 549 ff, 552. 41 Zum damit verbundenen Partnerschaftsgedanken, siehe unten § 4 IV 3. 42 Vgl. zum betriebsverfassungsrechtlichen Kooperationsverhältnis und der Reichweite seiner gesteigerten Verhaltenspflichten, v. Hoyningen-Huene, NZA 1987, 577 ff; Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 13 ff; Däubler, AuR 1982, 6, 8 ff ; Konzen, ZfA 1985,492 ff. 43 Vgl. Kreutz, Betriebsautonomie, S. 236 f.; Zöllner, FS-BAG, S. 745, 757. 44 ArbdGegw., Bd. 30 (1993), S. 21,44. 45 So Kissel , ArbdGegw., Bd. 30 (1993), S. 21,44.
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§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß die betriebliche Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber allein die Erfüllung der gegenseitigen Vertragspflichten darstellt, nicht jedoch das Erreichen eines gemeinsamen Zwecks 46 , woran auch der gerne gebrauchte Begriff des "Mitarbeiters" nichts ändern kann, welcher als terminologische Wegbereitung für einen wie auch immer gearteten Gemeinschaftsbezug von Arbeitnehmer und Arbeitgeber dient 47 . Gegen diese Vorstellung sprechen im übrigen die nach wie vor vorhandenen, vielfältigen Abhängigkeiten des Arbeitnehmers.
3. Wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers Die augenfälligste und "eigentliche" 48 Abhängigkeit besteht in der Angewiesenheit auf einen Arbeitsplatz, der es dem Arbeitnehmer ermöglicht, durch die Entlohnung seiner Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten 49. Diese kann von der in der Bundesrepublik praktizierten sozialen Marktwirtschaftsordnung 50 , deren soziale Komponente durch individualrechtliche Schutzgesetze (insbesondere den Kündigungsschutz), Tarifautonomie, betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung und Sozialversicherungsrecht realisiert wird, nicht kompensiert werden, da all diese Schutzmechanismen keine Arbeitsplatz- und damit Einkommensgarantie bedeuten. Das zeigt sich besonders deutlich in der heutigen angespannten wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Lage, der auch mit realitätsfremden Bündnissen für Arbeit und ähnlichen Vorschlägen nicht beizukommen ist. Aus der daraus resultierenden wirtschaftlichen 51 , auch als materiell 52 bezeichneten Abhängigkeit folgt darüber
46 Ebenso Zöllner, FS-BAG, S. 745, 756; Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, (Hrsg. Beuthien), S. 41,44 f. 47 Anders Kissel, ArbdGegw., Band 30 (1993), S. 21, 44, der neben den Aspekten der Menschenwürde und des Sozialstaats aufgrund der Betriebspsychologie das reine Synallagma überwunden sieht und damit den Arbeitnehmer als Mitarbeiter charakterisiert. 48 So Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, (Hrsg. Beuthien), S. 41,49. 49 Vgl. Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, (Hrsg. Beuthien), S. 41, 49 f., 58 f.: "Übernahme einer Art von Lebensunterhaltungsgarantie"; ebenso Reuter, Privatrechtsordnung, S. 24: "sozialpolitische Funktion des Arbeitgebers"; Beuthien, FS E. Wolf, S. 17, 33: "sozialer Schutzauftrag des Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers"; Däubler, Mitbestimmung, S. 3: "ökonomischer Kontrahierungszwang"; allgemein zur Ausrichtung des Arbeitsrechts auf die existentiellen Belange, vgl. Dersch, FS-Herschel, S. 71, 74. 50 Zur Wirtschafts- und Arbeitsverfassung des Grundgesetzes gemäß der Art. 2, 9, 12, 14 und 20 GG vgl. Badura, FS-Rittner, S. 1, 2 ff.; Lerche, FS-Steindorff, S. 897, 906 ffPapier, RdA 1989, S. 137 ff; Ramm, JZ 1991, S. 1 ff; UMchAibR/Richardi, § 1 Rdnr. 26; Scholz, ZfA 1991, 683, 691; Söllner, RdA 1989, 144 ff. 51 Vgl. dazaBeuthien, ZfA 1988, 1, 14; Gamillscheg, AcP 176 (1976), S. 197,205.
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hinaus, daß der Arbeitnehmer primär an seinem Lohn, der Gegenleistung seines Arbeitsvertrags interessiert ist, während das Interesse an der Funkionsfahigkeit des Unternehmens bzw. des Betriebes dagegen als bloßes Mittel zum Zweck zurücktritt. Demgegenüber ist für den Arbeitgeber der Lohn nur ein Kostenfaktor unter mehreren und das Arbeitsverhältnis nur ein Produktionsmittel, für ihn steht die Rentabilität seiner Unternehmung im Vordergrund. Diese für die Arbeitsvertragsparteien unterschiedlichen Bedeutungen des Arbeitsverhältnisses verbieten nicht nur die Annahme der für eine gesellschaftsrechtliche Betrachtungsweise im Sinne Adomeits erforderliche "gemeinsame" Zweckverfolgung 53 , sondern auch die Annahme einer Interessenidentität, um damit eine Belegschaft und Arbeitgeber umfassende Betriebsgemeinschaft zu konstruieren. Daneben ist eine gewisse persönliche Abhängigkeit nicht zu verkennen. Diese drückt sich darin aus, daß der Arbeitnehmer insbesondere bei einem Vollzeitaibeitsverhältnis, welches gegebenenfalls mehrere Jahrzehnte besteht und damit in der Regel Dauerschuldcharakter hat, durch die Einordnung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers bzw. der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Arbeitnehmern 54 und aufgrund weitreichender Weisungsgebundenheit gegenüber dem Arbeitgeber 55 ansatzweise "mehr als Person ergriffen wird als bei schlichten bürgerlich-rechtlichen Austauschverhältnissen" 56 . Dabei liegt die Betonung auf der Umschreibung "schlicht", und 52
So Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, (Hrsg. Beuthien), S. 41,49. Vgl. Lieb, in: Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber ?, (Hrsg. Beuthien), S. 41, 44 ff, 48 ff.; Ehmann, RdA 1990, 77, 78; Das von Arbeitnehmer und Arbeitgeber verfolgte Ziel (Koordination von Kapitaleinsatz, Betriebsleitung und Arbeitskraft zur Gewinnerzielung) ist danach nicht Zweck des Arbeitsvertrages, sondern rechtlich bloßes Motiv. Darüber hinaus wird von Lieb und Ehmann zu Recht vor einer systemwidrigen Kumulation von arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Vorteilen zu Lasten des Arbeitgebers gewarnt. 54 Vgl. BAG AP Nr. 42, 44 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Zeuner, RdA 1975, 84, 85; zu der sich daraus als Unterfall der persönlichen Abhängigkeit ergebenden institutionellen Abhängigkeit vgl. Reuter, ZfA 1975, 85, 86 f. 55 Diese Merkmale bestimmen nach herrschender Meinung typologisch den Begriff der Abhängigkeit und damit auch den Arbeitnehmerbegriff, da eine feste Abgrenzung wegen der fließenden Übergänge bei den verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen nicht möglich ist, vgl. die ständige Rechtsprechung des BAG, AP Nr. 1, 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, vgl. auch BAG AP Nr. 1 zu § 12 a TVG: "soziale Typik"; zum ganzen Bauschke, RdA 1994, 209 ff.; Kunz/Kunz, DB 1993, 326 ff.; Söllner, Arbeitsrecht, § 3 I 3, S. 20 ff.; dagegen kritisch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 4 m 5, S. 43 ff., 47 f. 56 So Lieb, Arbeitsrecht, § 1 Π 2, S. 12; vgl. zur organisatorischen Weisungsgebundenheit Richardis FS-Juristische Gesellschaft zu Berlin, S. 607, 613 ff.; vgl. auch den Bericht der Mitbestimmungskommission zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat (sog. "Biedenkopf-Bericht"), der bei dem Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 mitberücksichtigt wurde (vgl. amtliche Begründung, BT-Drucks. VI/1786, S. 31), wo53
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es ist schon an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß sich durch die genannten Kriterien an der Charakterisierung des Arbeitsverhältnisses als Schuldverhältnis nichts ändert, sondern lediglich je nach Ausgestaltung die vertraglichen Pflichten zu modifizieren sind. Wichtiger noch als diese Kriterien ist die Fremdnützigkeit der Arbeitnehmerleistung, da sich nur aus dieser heraus die dem Arbeitnehmer eigene Schutzbedürftigkeit erklären läßt 57 . Der Arbeitnehmer ist zwar Subjekt am Arbeitsmarkt, nicht dagegen am Wirtschaftsmarkt, da ihm die Selbständigkeit bei der Gütererzeugung und -Verteilung fehlt 58 . Durch die Übertragung seiner "persönlichen" Arbeitskraft und dem damit einhergehenden Verlust der Möglichkeit der eigenen Teilnahme am Wirtschaftsmarkt, das heißt dem Verzicht auf unternehmerische Selbständigkeit59 entsteht das Bedürfnis nach fremder Daseinsvorsorge für die wechselnden Fälle des Lebens wie z.B. Krankheit, Mutterschaft, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter etc 60 . Diese obliegt neben dem Staat in seiner Funktion als Gesetzgeber und Leistungsträger primär dem Arbeitgeber aufgrund seiner Rolle als Nutznießer der fremden Arbeitskraft 61 . Erinnert sei nur an die Durchbrechungen des Grundsatzes "Kein Lohn ohne Arbeit" durch § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz und § 11 Mutterschutzgesetz, an die Verpflichtung des Arbeitgebers, anteilmäßig bzw. ganz für die Arbeitslosen- und Sozialversicherung des Arbeitnehmers aufzukommen oder an die in der Regel gewährte Ergänzung der Renten durch eine freiwilli-
nach sich die Mitbestimmung u.a. begründet in "dem besonderen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Charakter des Arbeitsverhältnisses, wie er durch den Arbeitsvertrag, die organisatorische Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb, die Verfügung über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers und die damit verbundenene, dem Arbeitsverhältnis eigene Autoritätsbeziehung gestaltet wird; die Unterordnung des Arbeitnehmers unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt ist mit seiner Selbstbestimmtheit, mit der ihm rechtlich zuerkannten Möglichkeit, seine Zwecke selbst zu wählen und eigene Initiativen zu entfalten, nur solange vereinbar, als sie ihre Entsprechung in Gestalt der Freiheit der Beteiligung an den Entscheidungen finde, die den Arbeitsprozeß regeln und gestalten", BT-Drucks. VI/334, S. 56. 57 Ebenso Lieb, RdA 1977, 210, 212 ff; ders., Arbeitsrecht, § 1 I 2, S. 4 ff; Wiedemann, Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 14 ff; GK-Kraft, BetrVG, 4. Aufl., § 5 Rdnr. 22; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 10 ff., 145 ff; Konzen, ZfA 1978,451,498 f.; ähnlich das BAG, das zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft ergänzend darauf abstellt, ob eigene Unternehmerrisiken und -chancen getragen werden, AP Nr. 34, 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. dazu Staudinger/Hanau, BGB, §611 Rdnr. 57, 62, 64; zum Verhältnis von Abhängigkeit und Schutzbedürfnis, vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 4 ΙΠ 5 e), S. 48. 58 Vgl. auch Hromadka, FS-Der Betrieb, S. 241, 251; Schaub, Handbuch, § 8 Π 3, S. 31. 59 Zum (fehlenden) Unternehmerrisiko als ein den Arbeitnehmerbegriff bestimmendes Merkmal, vgl. Wank, DB 1992, 90 f. 60 Vgl. Beuthien, FS-BAG, S. 1, 3. 61 So schon v. Gierke, FS-Brunner (1914), S. 37, 60.
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ge betriebliche Altersversorgung 62. Von daher erscheint die persönliche Abhängigkeit im wesentlichen zugleich als eine Unterform der wirtschaftlichen Abhängigkeit, wobei insbesondere das Merkmal der Eingliederung zunächst nicht mehr als eine Beschreibung der Mehrzahl der bestehenden betrieblichen Vollzeitarbeitsverhältnisse bietet. Angemerkt sei noch, daß es der Sache nach nichts anderes bedeutet, wenn man die spezifische Abhängigkeit des Arbeitnehmers als soziale Abhängigkeit 63 bezeichnet, da somit nur das Angewiesensein des Arbeitnehmers auf fremde Daseinsfürsorge besonders hervorgehoben wird 6 4 . Danach ist es wenig überzeugend, den Arbeitnehmer idealisierend als Mitarbeiter zu bezeichnen. Während die Kriterien der Eingliederung und der Zusammenarbeit, woran der Arbeitgeber durch seine Leitung, Planung und Organisation beteiligt ist, noch nicht eindeutig gegen diese Charakterisierung des Arbeitnehmers sprechen, stellt sich die Situation im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit anders dar. Trotz ständiger Verbreitung des kooperativen Führungsstils 65 der Betriebsleitung, bleibt selbst bei dem fortschrittlichsten Prinzip der "Führung im Mitarbeiterverhältnis" (dem sog. Harzburger Modell) die Führungsverantwortung uneingeschränkt beim jeweiligen Vorgesetzten 66. Sicherlich wird die Weisungsgebundenheit durch den im Zusammenhang mit lean management und lean production eingeführte Abbau von betrieblichen Hierarchien und der vermehrten Einführung von Gruppenarbeit aufgeweicht. Eigenständige Entscheidungen hinsichtlich Ort, Zeit (Stichwort Gleitzeit) und Inhalt der Arbeitsleistung sind nach Absprache der Arbeitnehmer untereinander in einem gewissen Rahmen möglich. Nur wird dieser Rahmen vom Arbeitgeber vorgegeben; ebenso verbleibt das Beurteilungsverfahren zur Bemessung des Lohns in den Händen des Unternehmers, geht also nicht auf die Gruppe über 67 . Zusammenfassend kann man sagen, daß die Abhängigkeit des Arbeitnehmers, insbesondere die unterschiedliche Risikoverteilung und der bestehende 62
Vgl. nur Söllner,, Arbeitsrecht, §§ 7, 8, S. 48 ff., § 34 IV, S. 283 ff. m.w.Nachw. Vgl. Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 10; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 - 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Beuthien, FS-BAG, S. 1, 3. 64 Ausdrücklich gegen die Anerkennung jeder Art von Abhängigkeit E. Wolf,\ FSBAG, S. 709, 716 f. 65 Vgl. Baumgarten, Führungsstile, S. 25; Ballerstedt, RdA 1976, 8 ff.; die Förderung eines kooperativen zu Lasten eines hierarchischen Führungsstils als Ziel der (unternehmerischen) Mitbestimmung forderte schon 1970 der damalige Vorsitzende der Mitbestimmungskommision Biedenkopf in: Demokratie und Mitbestimmung, (Hrsg. Utz/Streithofen), S. 286 f.; siehe dazu Loritz, ZfA 1991,1, 6. 66 Vgl. Höhn, Führungsbrevier der Wirtschaft; siehe dazu auch Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, S. 133 f., 138. 67 Vgl. Eberhardt, in: Mitarbeitervergütung (Hrsg. Hromadka), S. 26, 34. 63
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Interessengegensatz es schon im Ansatz ausschließen, das Arbeitsverhältnis als Mitgliedschaftsverhältnis bzw. Arbeitgeber und Belegschaft als Personenverband oder Betriebsgemeinschaft zu charakterisieren.
4. Arbeitsrecht als das Recht der Arbeitsverhältnisse Mag somit durch die wirtschaftliche und eine gewisse persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers die schuldrechtliche Beziehung der Arbeitsvertragsparteien intensiver sein, so reicht jener soziologische Befund jedoch nicht aus, sich über die Systematik des Arbeitsrechts hinwegzusetzen, indem man es insgesamt als "Personenrecht" bzw. "Sonderrecht einer bestimmten Gruppe" oder als "Arbeitnehmerschutzrecht" 68 bezeichnet und daraus weitergehende individual- und kollektivrechtliche Konsequenzen zieht. Als Person tritt auch der Käufer auf, auch wenn sich sein Schuldverhältnis nicht so zeitintensiv wie das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis darstellt und zumeist keinerlei Beziehungen zu anderen Käufern bestehen69. Umgekehrt nimmt der Arbeitnehmer am Rechtsverkehr nicht als "proletarischer Mensch", sondern wie jeder andere als Rechtssubjekt teil. Damit kann das Arbeitsrecht weder als Recht einer Klasse 70 noch eines Standes betrachtet werden 71 . Im Zentrum arbeitsrechtlicher Dogmatik steht nämlich der Arbeitsvertrag, der von den zwei Rechtssubjekten Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschlossen wird. Insofern ist auch der Begriff Arbeitnehmerschutzrecht mißverständlich, als er mit der Definition des Arbeitsrechts als "Sonderrecht des Arbeitnehmers" verknüpft ist 72 . Zwar hat der Gesetzgeber auf die verschieden ausgeprägten Abhängigkeiten und der daraus folgenden Schutzbedürftigkeit mit einer Reihe von individual68 Zur Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers als Grundsachverhalt des Arbeitsrechts und ihrer verschiedenen Gründe, vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 1 I, S. 2 ff; MihichArbR/Richardi, § 6, Rdnr. 15 ff. und gegen ein allgemeines soziales Schutzprinzip in Rdnr. 25; eine enge Verpflechtung von Sozial- und Arbeitsrecht vertreten dagegen Ramm, ZfA 1978, 371 f.; v. May dell, FS-Kissel, S. 761 ff; Gitter, in FSWanagat, S. 153 f., geht sogar von einer Identität von Arbeitsverhältnis und Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts aus. 69 Siehe aber die Entscheidung des RG v. 3. 2. 1914, RGZ 84, 125; ablehnend E. Wolf JuS 1962, 101, 103 f. 70 Anders Däubler, NZA 1988, 857, 863, für den das geltende Arbeitsrecht andere Zwecke verfolgt, als das Zivilrecht: "Es nimmt Emanzipationsinteressen der Arbeiterbewegung auf, indem es Minimalbedingungen für den Austausch Arbeitskraft gegen Lohn aufstellt. Es entfaltet insoweit Schutzfunktion." 71 Vgl. UünchAibR/Richardi, § 1 Rdnr. 7, 9, 26, im Anschluß an Jacobi, Grundlehren (1927), S. 41 ff; siehe auch die von Reichold, Sozialprivatrecht, S. 358 f., 398, vertretene Modernisierungslinie "from status to contract". 72 Dagegen auch MünchArbR/Richardi, § 1 Rdnr. 9: "Tautologie, die den Begriff des Arbeitsrechts auf den Arbeitnehmerbegriff verschiebe".
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rechtlichen Spezialgesetzen wie z.B. Kündigungsschutz-, Urlaubs-, Mutterschutz-, Arbeitsschutz- und Lohnfortzahlungsgesetz und der Gewährleistung einer sozialen Selbstverwaltung, d.h. kollektiver Interessenwahrnehmung durch Gewerkschaften und Betriebsräte auf Grundlage von Betriebverfassungs- und Tarifvertragsgesetz reagiert. Der personale Charakter des bilateralen Arbeitsverhältnisses ist also gesetzlich umgesetzt worden, so wie die Belegschaft (als Zielobjekt des multilateralen Regelungsbereichs) als eine "tatsächliche Gemeinschaft durch das Betriebsverfassungsgesetz als soziale Realität verfaßt wird" 7 3 . In der gesetzlichen Umsetzung findet aber zugleich die soziologische Betrachtungsweise ihre Grenze, da eine weitere Berücksichtigung ihrer außerrechtlichen Erkenntnisse die juristische Dogmatik zurückdrängen und so die Unterschiede zwischen Rechtswissenschaft und den anderen Wissenschaften aufheben würde 74 . Der sich aus der Abhängigkeit ergebende Schutzzweck als Auslegungskriterium arbeitsrechtlicher Normen ist damit neben den individualrechtlichen Sondervorschriften auf die kollektivrechtlichen Vorschriften begrenzt, wodurch es ausgeschlossen ist, das Arbeitsverhältnis durch das Kriterium der Abhängigkeit zu definieren 75. Bei normativer Betrachtungsweise beruht das Arbeitsverhältnis, trotz Einwirkung arbeitsrechtlicher Spezialgesetze, auf einem privatautonom abgeschlossenen Arbeitsvertrag, einer Unterform des Dienstvertrags gemäß § 611 BGB. Soweit Kollektiwerträge Einfluß auf das Arbeitsverhältnis nehmen, kommt diesen nur subsidiärer Charakter als Gestaltungsfaktor zu, schon deshalb weil kollektivrechtliche Verhältnisse nicht in jedem Fall zu bestehen brauchen 76. Primärer Gestaltungsfaktor ist der Arbeitsvertrag, da er die Rechtsgrundlage für den Austausch der synallagmatischen Leistungen ist, selbst wenn Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung von außen normativ auf ihn einwirken 77 . M i t E. Wolf % ist daher das Arbeitsrecht als das "Recht der Arbeitsverhältnisse" zu definieren. Nicht zuletzt kommt mit dieser Begriffsbestimmung zum Ausdruck, daß auch der Arbeitgeber als Partner des Vertrages Interessen hat, deren Verwirklichung es bei der Auslegung von Normen zu berücksichtigen gilt, statt ihn stets nur als Zielscheibe von Ansprüchen 79 anzuse73
Dietz/Richardi, BetrVG, § 1 Rdnr. 10, 13; vgl. auch Konzen, ZfA 1985,485 ff. Vgl. E. Wolf : FS-BAG, S. 709, 720 f. 75 So auch Richardis ZfA 1988, 221, 238 ff., 254 f. 76 Vgl. Richardi, ZfA 1988,221, 252. 77 Ebenso Richardis ZfA 1990, 211, 240; ders., ZfA 1992, 307, 326; ders., NZA 1992, 769, 774; ders., NZA 1992, 961, 963; ders., in: MünchArbR, § 6 Rdnr. 1; Hanau, RdA 1989, 207, 208; Reichold, RdA 1995, 147, 152. 78 FS-BAG, S. 709 Fn. 5; gleichsam einen dritten Weg geht Gast, Vertragsrecht, S. 114, der Arbeitsrecht als das Recht der Arbeit in einer fremden Produktion Veranstaltung definiert; ähnlich Reichold, siehe unten Π 2 b). 79 So Adomeit, ZRP 1987, 75, 76; einschränkend Falkenberg, ZRP 1987, 79. 74
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
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hen; unberücksichtigt bliebe bei anderer Sicht der Umstand, daß sich der Arbeitgeber ebenfalls in einer Art wirtschaftlichen Abhängigkeit befindet, indem er auf die Arbeitskraft des Arbeitnehmers angewiesen ist, um sein Unternehmen zu betreiben 80 . In diesem Sinn wurde das Arbeitsverhältnis bis zum Inkrafitreten des Bürgerlichen Gesetzbuches als Dienstmiete (locatio conductio operarum) betrachtet 81. Nach dieser im Ansatz immer noch zutreffenden Qualifizierung "vermietet" der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft - also als ArbeitskraftgeÄer - an den von dieser Zurverfügungstellung abhängigen Unternehmer. Dieser erhält damit das Recht, diese zu nutzen und ist im Gegenzug zur Errichtung des Mietzins, sprich des Lohns verpflichtet. Diese so erworbene Verfügungsmacht über die in eigener Person zu erbringenden Leistung, § 613 S. 1 BGB, wird eben wegen dieses personalen Aspekts durch Schutzgesetze begrenzt. An der Freiheit der Übertragung ändert dies jedoch nichts, da es sich nach wie vor um einen Akt der Privatautonomie handelt. Infolgedessen ist auch die daraus resultierende rechtliche Beziehung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein privatrechtliches Schuldverhältnis. Daß das Arbeitsverhältnis im Vergleich zu anderen Schuldverhältnissen gesteigerte Nebenpflichten mit sich bringt, bedarf keiner Erklärung durch eine privatrechtsfremde Qualifizierung. Sie sind Folge einer Auslegung des konkreten Arbeitsvertrags nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB 8 2 . Man mag die Nebenpflichten als Treue- und Fürsorgepflichten bezeichnen oder nicht 8 3 , der Sache geht es nur darum, den personalen Charakter des Arbeitsverhältnisses adäquat zu erfassen, d.h. den Umfang insbesondere der Nebenpflichten des Arbeitgebers nicht zu überstrapazieren. Dabei ist es jedem Schuldverhältnis immanent, daß sich die Vertragspartner bis zu einem gewissen Grad, abhängig vom jeweiligen Leistungsinhalt und -dauer, gegenseitig vertrauen müssen und dies auch dürfen 84 . Dementsprechend beinhaltet ein Ar80
Vgl. Gast, Vertragsrecht, S. 41 ff; ders., Rechtsverständnis, S. 181; das ist im übrigen der berechtigte Kern der Auffassung von Reuter, der Arbeitgeber sei auf die Leistungs- und Kooperationbereitschaft der Arbeitnehmer angewiesen, siehe oben § 2 ΠΙ 1 b); dagegen ausdrücklich Däubler, RdA 1994, 169. 81 Vgl. Siepmann, BB 1991, 1931 ff.; Gast, BB 1991, 2076 ff; ders., BB 1993, 66, 68 f. 82 Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 13 ΠΙ, S. 158, § 16, S. 182 ff; Söllner, Arbeitsrecht, § 29 Π, S. 257 f., § 31 Π, S. 265 f.; Wiese, ZfA 1971, 273, 278 ff; GKWiese, BetrVG, vor §§ 81 ff. Rdnr. 11 jeweils m.w.Nachw.; wegweisend auch die Formulierung "Pflicht zur Wahrung schutzwürdiger Interessen des anderen Vertragsteils" im Entwurf der Arbeitsgesetzkommission, vgl. dazu MüKo-Söllner, BGB, § 611 Rdnr. 392 ff. 83 Vehement gegen eine solche Bezeichnung und gegen eine überzogenen Anwendung des § 242 BGB, E. Wolf Arbeitsverhältnis, S. 21 ff; ders., Schuldrecht Π, § 15 A ΠΙ d, S. 181 ff; ders., DB 1971, 1863 ff; Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 79 ff; Ή J.Weber, RdA 1980, 289, 292 f. 84 Vgl. nur Canaris, Die Vertrauenshaftung im Privatrecht.
I. Die Abhängigkeit des Arbeitnehmers als Grundsachverhalt
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beitsverhältnis als vollzeitig ausgeübtes Dauerschuldverhältnis eine Vielzahl von Nebenpflichten. Die daraus resultierende personale Prägung ist indes nicht gleichbedeutend mit einer personenrechtlichen Rechtsnatur, um damit einen Begründungsansatz für die Annahme einer Betriebsgemeinschafl zu schaffen. Ebenso wie die Nebenpflichten im Schuldrecht und nicht in einem Gemeinschaftsgedanken wurzeln, so wäre es verfehlt, diesen auf die Abhängigkeit des Arbeitnehmers zu stützen. Soweit sich die persönliche Abhängigkeit in der Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers gründet, kann dieser lediglich die Rechtswirklichkeit beschreibende Umstand keine Bedeutung für die Bestimmung der Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses haben. Zumindest unvollständig ist auch die Aussage, dem Arbeitgeber obliege die fremde Daseinsvorsorge aufgrund der "allgemeinen Auffassung sozialer Gerechtigkeit" bzw. der "Natur der Sache" 85 , da diese Pflicht rechtlich auf den sie anordnenden Gesetzen beruht, in denen sich der soziale Schutzzweck als Motiv des Gesetzgebers erschöpft. Was schließlich die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers angeht, so ist es schuldrechtlich keine Besonderheit, wenn ein Gläubiger durch rechtsgeschäftliche Erklärung eine nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmte Schuld konkretisiert. Durch das ausgeübte Recht des Arbeitgebers, innerhalb arbeits- und kollektiwertraglichen und gesetzlichen Grenzen Zeit, Ort und Art der Arbeit festzulegen, werden demnach dem Arbeitnehmer keine Pflichten auferlegt, sondern nur eine der Gattung nach schon bestehende Pflicht immer wieder spezifiziert 86. Im übrigen besteht über den Inhalt der Arbeitspflicht hinaus keine Weisungsbefugnis, so daß der Arbeitnehmer insoweit frei ist, seine Privatsphäre zu gestalten. Damit kann weder von einem herrschaftlichen Element gesprochen werden, noch ist insgesamt die Abhängigkeit des Arbeitnehmers ein die Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses bestimmendes Merkmal. Das Arbeitsverhältnis ist mithin trotz gesteigerter materieller und ideeller Schutz- und Rücksichtspflichten ein auf Leistungsaustausch gerichtetes Vertrags- und nicht ein Herrschafts- bzw. Abhängigkeitsverhältnis, das in eine Gemeinschaftsordnung überführt werden dürfte. Es findet seine Grundlage in der Privatautonomie und nicht in der Abhängigkeit des Arbeitnehmers 87.
85
So Wiedemann , Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 14 f., der von einem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis ausgeht; dagegen E. Wolf \ Arbeitsverhältnis, S. 37 f. 86 Vgl. E. Wolf Arbeitsverhältnis, S. 15; ders., FS-BAG, S. 709, 717. 87 Dem entspricht es, wie es Richardi, in: Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 7, zutreffend formuliert, daß das Arbeitsverhältnis nicht ein Teilrechtskreis der Betriebsverfassung ist, sondern einen eigenständigen Rechtskreis bildet; allgemein für die notwendige Rückbesinnung auf die Arbeitvertragsfreiheit, Isele, Juristen-Jahrbuch 8 (1967/68), S. 63 ff.; Zöllner, NJW 1990, 1 ff.; ders., AcP 176 (1976), 221 ff.; ders., JuS 1988, 329, 336; ders., ZfA 1994,423,436; Löwisch, ZÌA 1986, 1 ff.; Martens, JuS
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§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
I I . Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers Mit der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, verstanden als dem "Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen" 8 8 , lassen sich Thesen einer übertriebenen Gemeinschaftsbindung, sei es die Vorstellung von einer Belegschaftsgemeinschaft oder die von einer Betriebsgemeinschaft - und damit korrespondierend des Arbeitsverhältnisses als Gemeinschafts- bzw. Verbandsbeziehung - nicht vereinbaren. Die Verbindung von deutschrechtlichem und sozialistischem Gedankengut, die zu einem personenrechtlichen Verständnis des Arbeitsrechts führt, läßt sich mit dem geltenden Recht nicht in Einklang bringen 89 , da Selbstbestimmung und Mündigkeit des Bürgers die Leitbilder unserer Rechtsordnung sind 90 . Sie sind insbesondere die Grundgedanken der Privatautonomie und damit trotz kollektiver Regelungsbereiche auch die des Arbeitsrechts als Teil der Privatrechtsordnung 91 . Dabei versteht man unter Privatautonomie die durch die Rechtsordnung gewährte und gesicherte Möglichkeit des einzelnen, seine rechtlichen Beziehungen und die ihn betreffenden Rechtsverhältnisse innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu regeln 92 . Verfassungsrechtlich garantiert ist sie allgemein durch Art. 2 I GG, während speziell die Vertragfreiheit beider Arbeitsvertragsparteien als Teil der Berufsausübungsfreiheit in Art. 12 I GG gewährleistet ist 93 . Sowohl der Arbeitgeber 94 als auch der Arbeitnehmer sind also
1987, 337, 341 ff.; Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 105 ff. mit Darstellung der Kontoverse um die Vorschläge des Kronberger Kreises für "mehr Markt im Arbeitsrecht", insbesondere den Gegenstandpunkt von Farthmann, ZRP 1987, 225 ff, der darin das Ende der Sozialverfassung sieht und dagegen Gerechtigkeit, Solidarität und Sozialstaatsgebot ins Feld führt. Für eine Beschränkung der Individualvertragsfreiheit bzw. der Marktwirtschaft im Rahmen der Flexibilisierungsdiskussion vgl. auch Blanke, FS-Gnade, S. 25 ff; Dorndorf, FS-Gnade, S. 39 ff; Za chert, AuR 1988, 129 ff. 88 So BVerfGE 72, 155, 170. 89 So auchMestmäcker, ZHR 137 (1973), S. 97; ders., Gesellschaft, S. 60, 93. 90 Vgl. BVerfGE 65, 1, 41: "Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt"; ähnlich schon BVerfGE 45, 187,227. 91 So bezeichnet das Bundesverfassungsgericht in seinem Handelsvertreterbeschluß vom 7.2.1990, BVerfGE 81, 252, 254 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG m.zust.Anm. Canaris, die Privatautonomie als Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. 92 Vgl. zur bedeutenden Rolle des Privatrechts als Medium der Selbstbestimmung, vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 127, 162 ff; Flume, FS-100 Jahre DJT, Bd. I, S. 135 f.; Zöllner, JuS 1988, 329, 336; so auch das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 81,252, 254: "Privatautonomie ist das Prinzip der Rechtsgestaltung durch die einzelnen Rechtssubjekte nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung". 93 Ausführlich zum verfassungsrechtlichen Schutz Söllner, RdA 1989, 144 ff ; Papier, RdA 1989, 137 ff ; Scholz, ZfA 1981, 265 ff.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
71
grundsätzlich frei, die sie angehenden Arbeitsbedingungen in einem zweiseitigen Schuldverhältnis festzulegen 95. Das individualistische Privatrecht als Recht der "Selbstorganisation von Austauschbeziehungen"96 ist damit das Herzstück der Arbeitsrechtsdogmatik, so daß sich jede darauf erstreckende Kollektivregelung nicht den Kernbestand des synallagmatischen Leistungsaustausches tangieren darf 97 . Läßt man hingegen die Summe der Einzelarbeitsverhältnisse in einem Arbeitsverband aufgehen, mit der Folge, daß die essentialia des Arbeitsvertrages von den Betriebspartnern bestimmt werden, so führt das zwangsläufig zu einer Bevormundung des einzelnen Arbeitnehmers; es realisiert sich eine Gefahr, die bei jeder kollektiven Interessenwahrnehmung besteht98. Damit stellt sich dann das in der Arbeitsordnung bestehende Herrschaftsproblem nur in einem anderen Gewand. Aber auch ohne besondere Berücksichtigung personenrechtlichen Gedankenguts ist festzustellen, daß eine Gefahr der Bevormundung durch kollektive Regelungen besteht. Der Gesetzgeber hat auf die Abhängigkeit des Arbeitnehmers reagiert, indem er ihm unter anderem durch das Betriebsverfassungsgesetz eine Unterstützung in Form der kollektiven Interessenvertretung durch den Betriebsrat ermöglicht. Zwar wurde der Arbeitnehmer insoweit aus seinen bisherigen Abhängigkeiten befreit, jedoch nur um den Preis neuer Abhängigkeiten gegenüber der Kollektivmacht 99 . Insofern ist von einer weiteren Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers auszugehen, nämlich die hinsichtlich eines "Umschlagens von personenbezogenen Rechten des Individuums in organisierte und damit kollektiv institutionalisierte Rechte" 100 .
94 Vgl. Söllner, RdA 1989, 144 ff., der sich zutreffend gegen die vereinzelt anzutreffende einseitige Sichtweise wendet, die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers allein auf Art. 14 GG zu stützen. 95 Einen kurzen Überblick über die Grenzen individueller Abreden gibt Boemke, NZA 1993,532, 534 ff. 96 So Zöllner, JuS 1988, 329, 336; vgl. auch Mestmäcker, ZHR 137 (1973), 97 ff. 97 Es sei denn, eine kollektive Regelung ist für den Arbeitnehmer günstiger. 98 Ebenso Blomeyer, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 155, 170 f.; Boewer, RdA 1974, 72; v. Hoyningen-Huene, ZRP 1978, 181, 183; Rüthers, in: Zwei Arbeitsrechtliche Vorträge (Hrsg. Rüthers/Boldt), S. 40; Hromadka, FS-Der Betrieb, S. 241, 263; ebenso im Hinblick auf die Lehre von der notwendigen Mitbestimmung, wonach die Mitbestimmung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für Vertragsabreden ist, Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 24 ff; ders., Festgabe für v.Lübtow, S. 755, 779 ff.; ders., Kollektivgewalt, S. 291 ff; ders., RdA 1983, 201, 278,282 f. 99 So Krejci, Arbeitnehmerrechte, S. 259 f.; vgl. auch zu der verlagerten Abhängigkeit des Arbeitnehmers, Belling , Haftung, S. 41 ff. 100 Formulierung von Schelsky (in: Die Soziologen und das Recht, S. 137 f.), der die Autonomie der Person gegenüber Organisationen als eine der Leitideen des Recht entwickelt hat.
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
72
1. Die Bedeutung des Günstigkeitsprinzips Um eine kollektive Bevormundung auszuschließen, umfaßt die Arbeitsvertragsfreiheit das Günstigkeitsprinzip, welches es dem Arbeitnehmer rechtlich ermöglicht, aufgrund seiner individuellen Leistung 101 mehr für sich "herauszuholen" als es die Kollektiwerträge verbindlich für die Vertragsparteien vorschreiben 102 . Dies gilt - untechnisch gesprochen - im übrigen auch im Verhältnis zu den anderen "Mit"-Arbeitnehmern, da der einzelne am Arbeitsplatz zwar nicht so isoliert wie "der Mensch in der Straßenbahn" 103 ist, aber dennoch z.B. am Fließband oder hinter der Hotelbar (also in Sachleistungs- und Dienstleistungsbetrieben) eigene Interessen hat, deren Durchsetzung ihm rechtlich durch das Günstigkeitsprinzip ermöglicht wird. Neben der Motivation durch Mitbestimmung, die durch Wahrnehmung des Belegschaftsinteresses das für die Schaflung optimaler Arbeitsbedingungen notwendige Betriebsklima sorgt, findet der Leistungswille nicht minder seine Grundlage in der Höhe des Entgelts, sei es tariflicher bzw. übertariflicher Lohn oder freiwillige betriebliche Sozialleistung. Von daher gebietet das arbeitsrechtliche Schutzprinzip 104 nicht nur den Schutz vor dem Arbeitgeber, sondern auch den vor dem Kollektiv. Dies kommt in der verfassungsrechtlichen Anerkennung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 I GG bzw. Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG zum Ausdruck, wodurch eine Zuständigkeitsvermutung für das Individuum begründet wird. Das Arbeitsverhältnis ist wie jedes andere Rechtsverhältnis ein "Ordnungsverhältnis zwischen Menschen" 105 . Als Ordnungsträger kommen zunächst Staat oder Individuum in Betracht, wobei sich die Verfassung grundsätzlich für den Einzelnen entschieden hat. Nur ausnahmsweise findet eine gesetzliche Verschiebung der Trägerschaft auf organisatorisch verselbständigte Personenvereinigungen statt, wie z.B. durch die Betriebsverfassung 106. Herrschaft über das Arbeitsverhältnis tragen demnach in der Regel weder Staat noch Sozialpartner, sondern die Arbeitsvertragsparteien und mithin auch der Arbeitnehmer. Dies ergibt sich im übrigen ebenso aus 101
So umfaßt das Günstigkeitsprinzip auch das Leistungsprinzip, vgl. Siebert, FSNipperdey, S. 119, 126; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Π/1, § 30 I 2, S. 572; Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 81 ff. 102 Neben dem Verbot der kollektiven Festschreibung von Höchsarbeitsbedinungen hat es eine besondere Bedeutung für die immer notwendiger werdende Flexibilisierung des Arbeitsrechts, vgl. dazu Zöllner, ZfA 1988, 265 ff.; Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 90, 102 ff, 105 ff.; Linnenkohl, ZfA 1994, 89 ff. 103 Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135, 144. 104 In diesem sehen Wiedemann , Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 22 f., und Hermann, ZfA 1989, 577, 619 f., den Geltungsgrund des Günstigkeitsprinzips. 105 Vgl. E. Wolfs "Reale Rechtslehre", Allgemeiner Teil, S. 1; ders., Festgabe für v.Lübtow, S. 109, 131 ff.; vgl. dazu Diederichsen, FS-E.Wolf, S. 47 ff. 106 Vgl. Ramm, JZ 1991, 1,4 f.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
73
dem Subsidiaritätsprinzip, wonach es dem Staat bzw. dem größeren gesellschaftlichen Verband verwehrt ist, Ordnungsfragen an sich zu ziehen, die der einzelne bzw. der kleinere Lebenskreis (z.B. die Familie oder der Betrieb) aus eigener Kraft ebenso leisten können 107 . Dementsprechend begrenzt das in § 4 I I I TVG geregelte und auch für das Betriebsverfassungsrecht analog geltende 108 Günstigkeitsprinzip die gemäß § 77 I V BetrVG zwingende Wirkung einer Betriebsvereinbarung, indem es dem einzelnen Arbeitnehmer ein Mindestmaß an Selbstverantwortung bei der rechtlichen Gestaltung seiner Arbeitsbedingungen garantiert und im Sinne eines Leistungsprinzips die kollektivrechtliche Regelung von Höchstarbeitsbedingungen unterbindet 109 . Es findet als ein freiheitlich-rechtsstaatliches Element der geltenden Wirtschafts- und Sozialverfassung seine Grundlage in der Privatautonomie 110 , wobei sich seine Geltung nicht nur auf Einzelabreden, sondern auch auf allgemeine Arbeitsbedingungen erstreckt, da diese trotz ihres kollektiven Erscheinungsbildes vertraglicher Rechtsnatur sind 1 1 1 . Hinsichtlich seines Wirkungskreises stellt das Günstigkeitsprinzip angesichts des hohen Stellenwertes der individuellen Vertragsfreiheit nicht nur eine Kollisionsnorm zwischen zwei bestehenden Regelungen, sondern auch eine
107
Vgl. dazu Düng, JZ 1953, 198; Küchenhoff, RdA 1959, 201, 204 f.; Schmidt, Günstigkeitsprinzip, S. 70 ff. m.w.Nachw. aus der arbeits- und verfassungsrechtlichen Literatur. Allerdings erscheint die Warnung Richardis, Kollektivgewalt, S. 52, 54 ff, vor einer verselbständigten Subsidiaritätslehre berechtigt, nach der es sich folgerichtig angewendet bei der Rechtsetzungsbefugnis der Tarif- und Betriebspartner um eine originäre Befugnis handeln müßte. Mit der Übertragung der Ordnungsträgerschaft wird indes kein vom Staat vollkommen verselbständigter Bereich geschaffen, da auch die Sozialpartner an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sind. 108 Ganz herrschende Meinung, vgl. die Entscheidung des Großen Senats vom 16. 9. 1986, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C Π 3 der Gründe; GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rdnr. 199-201 m.w.Nachw. 109 Vgl. Belling , Günstigkeitsprinzip, S. 81 ff.; zum Leistungsprinzip im Tarifrecht, vgl. Wiedemann , FS-BAG, S. 635 ff. 110 Vgl. Säcker, Gruppenautonomie, S. 293 f.(auf einzelvertragliche Abreden beschränkt); Martens, RdA 1983, 217, 222; ders., JuS 1987, 337, 341 f.; Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 56, 107 ff., 111 ff; ders., DB 1982, 2514; ders., DB 1987, 1888, 1890; Karakatsanis, S. 111; GK-Kreutz, § 77 Rdnr. 204; von einem "verfassungsmäßig anerkannten Grundsatz des Arbeitsrechts" gehen aus, BAG AP Nr. 2, 3 zu § 4 TVG Angleichungsrecht; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Π/1, § 13 VE, S. 232 f.; Schaub, Handbuch, § 204 VI 1; der Große Senat schließlich spricht von einem "allgemeinen Grundsatz", AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C Π 3 b) der Gründe. 111 Allerdings schränkt der Große Senat die Wirkung des Günstigkeitsprinzip bei einer Verschlechterung allgemeiner Arbeitsbedingungen durch nachfolgende Betriebsvereinbarung mittels eines kollektiven Günstigkeitsvergleichs ein, vgl. AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C Π 4 der Gründe; zur heftigen Kritik an dieser Konstruktion vgl. die Nachweise bei GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rdnr. 221.
74
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
Auslegungsregel für Mitbestimmungstatbestände dar 1 1 2 . Als "allgemeiner Grundsatz des Betriebsverfassungsrechts" 113 ist es ein im Rahmen objektivteleologischer Auslegung zu berücksichtigendes Rechtsprinzip. Es ist daher schon bei der Frage nach der Reichweite einer betriebsverfassungsrechtlichen Norm heranzuziehen, indem es der Gestaltungsmacht des Betriebsrats eine verbindliche Grenze setzt 114 . Soweit es um die Leistung des Arbeitnehmers oder sonstigen originär individuellen Gesichtspunkten im Rahmen des synallagmatischen Leistungsaustausches geht, ist die dem Arbeitsvertrag zuzuordnende Austauschgerechtigkeit betroffen. Um diesen Kernbereich individueller Regelungsbefugnis zu wahren, gilt es die Ordnungswirkung einer Betriebsvereinbarung auszuschließen, d.h. insofern greift ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht ein. Demgegenüber leugnet Reuter von seinem Standpunkt aus konsequent sowohl den Gesichtspunkt der Bevormundung 115 , als auch die Geltung des Günstigkeitsprinzips als Schranke der Kollektivmacht der Betriebspartner 116. Der Schutz der Freiheit vollziehe sich nicht über das Günstigkeitsprinzip, sondern über das Übermaßverbot, welches Beschränkungen der Vertragsfreiheit gestatte, die durch das Anliegen innerbetrieblicher Gerechtigkeit legitimiert seien. Diesem Anliegen dienten betriebliche Entlohnungssysteme, so daß Abweichungen nach unten und oben im Einzelfall unterbunden werden müßten. Dem stehe nicht das Verfassungsrecht entgegen, da es sich beim verfaßten Betrieb nicht um einen Zwangsverband, sondern um einen Arbeitsverband mit freiwilliger Zugehörigkeit handele 117 . Der Aspekt der Bevormundung sei dem Denken der geistigen Väter der Betriebsverfassungsidee und den Schöpfern der Betriebsverfassungsgesetze fremd, da die Alternative zur Regelung von Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung in der einseitigen Regelung durch den Arbeitgeber bestehe118. Das mache den Rückgriff auf das allgemeine Verbandsrecht möglich, wodurch die Betriebsvereinbarung vergleichbar mit der Vereinssatzung ihre privatautonome Legitimation nicht aus
112 Vgl. Reichold, RdA 1995, 147, 151; ähnlich Joost, ZfA 1993, 257, 274 f., 277; übereinstimmend, aber kritisch hinsichtlich des Begriffs "Auslegungsregel" Belling , DB 1987, 1888, 1892, wegen der vom Großen Senat vorgenommenen teleologischen Reduktion des Günstigkeitsprinzips durch einen kollektiven Günstigkeitsvergleich bei Sozialleistungen. 113 So BAG-GS, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C Π 3 b) der Gründe. 114 Siehe unten § 7. 115 So auch Gast, Arbeitsvertrag, S. 361 f.; GK-Wiese, BetrVG, § 87, Rdnr. 89. 116 Vgl. Reuter, ZfA 1993, 221, 244 ff., 253; ders., Ordo Bd. 36 (1985), S. 51, 75. 1,7 Ebenso Nebel, Normen, S. 124 ff.; Galperin, ArbdGegw, Bd. 1 (1963), S. 75, 82 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 52 Β ΠΙ, S. 1090; Travlos-Tzanetos, S. 47, aber die Freiwilligkeit des Beitritts relativierend, S. 70. 118 ZÌA 1993, 221,233 f.; RdA 1991, 193, 197.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
75
dem inhaltlichen Einverständnis, sondern aus dem freiwilligen Eintritt und Verbleiben im Verband beziehe. Diese Thesen sind deshalb nicht tragfähig, weil sie ohne Notwendigkeit die Freiheit des einzelnen auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages reduzieren. Die Geltung des Günstigkeitsprinzips kann man nicht einfach negieren, um so den Weg für die Schaffung einer umfassenden innerbetrieblichen Gerechtigkeit frei zu machen. Und selbst mit dem von Reuter favorisierten Übermaßverbot wäre es unvereinbar, durch Betriebsvereinbarungen Höchstarbeitsbedingungen festzusetzen, da dies mit dem Schutz des Arbeitnehmers als Ziel der Mitbestimmung nichts mehr zu tun hätte und damit unverhältnismäßig wäre 1 1 9 . Auch wäre es widersprüchlich, den Betriebspartnern eine weiterreichende Regelungskompetenz als den Tarifvertragsparteien einzuräumen, die nur Mindestarbeitsbedingungen vereinbaren können 120 . Schließlich kann sich die Reduktion der Privatautonomie weder aus einem privatautonomen Verständnis der Mitbestimmung, noch aus ihrer behaupteten Alternative, nämlich dem einseitigen Diktat des Arbeitgebers 121 ergeben.
2· Privatautonomes Verständnis der Mitbestimmung a) Mitbestimmung als Fremdbestimmung In jeder Betriebsvereinbarung liegt eine Einschränkung der Individualautonomie; konstatiert man aber aufgrund des Günstigkeitsprinzips deren grundsätzlichen Vorrang, so muß dem einzelnen Arbeitnehmer auch die Möglichkeit eröffnet sein, über die freie Arbeitsplatzwahl hinaus Einfluß auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Dementsprechend ist es nicht überzeugend, die Einschränkung der Individualautonomie durch ein privatautonomes Verständnis der Mitbestimmung zu relativieren. Vielmehr stellt sich die ausgeübte Kollektivmacht der Betriebspartner aufgrund ihrer normativen Wirkung nach § 77 I V 1 BetrVG als "fremdbestimmte Zwangsordnung" dar, woran weder die Konstruktion einer freiwilligen Eingliederung in den Betriebsverband 122, noch der Umstand, daß der Betriebsrat von den Arbeitnehmern gewählt wird 1 2 3 , etwas ändern 124 .
119
Vgl. Richardi, Kollektivgewalt, S. 368; ders., RdA 1983, 201, 216; Dietz/Richardi, BetrVG, § 77 Rdnr. 98; GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rdnr. 204. 120 Vgl. Richardi, RdA 1983, 201, 216; Säcker, AR-Blattei, Betriebsvereinbarung I, DÜ2b. 121 Siehe dazu unten II 3.
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
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Eine wirkliche Freiheit des Beitritts bzw. des Fernbleibens besteht insofern nicht, als der Betriebsrat automatisch, also unabhängig davon ob es von dem einzelnen gewollt ist oder nicht, alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer vertritt und der einzelne sich dem nur durch Aufgabe seines Arbeitsplatzes entziehen kann, was ihm angesichts der materiellen Abhängigkeit in der Regel nicht ratsam erscheinen kann 1 2 5 . Im übrigen überdehnt es den Inhalt von Freiheit, die freiwillige Eingliederung zur Grundlage eines privatrechtlichen Sanktionierungsakts zu machen, da es mit einem Gewerkschaftsbeitritt vergleichend an der Finalität der Mitgliedschaft und Unterordnung fehlt. Die Repräsentation durch den Betriebsrat ist ausschließlich zwingende Nebenfolge der Betriebszugehörigkeit 126 . Der Betriebsrat ist selbst in seiner Zusammensetzung nicht privatautonom, sondern nur durch Wahl legitimiert, wodurch es ausgeschlossen ist, die nachfolgende Gestaltung der Arbeitsverhältnisse durch Betriebsvereinbarung als Akt der Privatautonomie zu werten 127 , zumal er aufgrund seiner fehlenden Weisungsgebundenheit gegenüber den Arbeitnehmern 1 2 8 als unabhängiger Dritter auftritt. Es handelt sich insgesamt nicht um ein imperatives Mandat, da die Arbeitnehmer den Betriebsrat nicht absetzen 1 2 9 , nicht das Vertrauen entziehen und nicht dessen Beschlüsse außer Kraft
122
288 f.
Allein auf die Eingliederung abstellend, Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. ΙΠ, S. 275,
123 Auf eine privatautonome Legitimation durch Wahl abstellend Jahnke, Tarifautonomie, S. 111 ff., 116 ff.; Säcker, Gruppenautonomie, S. 344 f., 451; ders., ZfASonderheft 1972, S. 41, 50; Hönn, Kompensation, S. 213 f.; Gast, Rechtsverständnis, S. 185 f.; ders., Vertragsrecht, S. 75 ff.; Hanau, JZ 1969, 642, 643. 124 Vgl. GK-Kreutz, BetrVG, § 77, Rdnr. 193 m.w.N.; ders., Betriebsautonomie, S. 61 ff., 68 ff., 99 ff., 209; Richardi, Kollektivgewalt, S. 309 ff., 312 f., 316; Biomeyer, FS-BAG, S. 17, 24; Belling, Haftung, S. 54 ff.; Beuthien, ZfA 1983, 141, 164; Canaris, JuS 1989, 161, 167; Heinze, ZfA 1988, 53, 55; Kempen, ArbdGegw. Bd. 30 (1993), S. 97, 108; v. Stebut, FS-Kissel, S. 1143 f.; Käppier, NZA 1991, 745, 750; dies., FS-Kissel, S. 475, 480; Thiele, in GK, BetrVG, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 51 spricht zurückhaltender davon, daß der Einzelne im Bereich der kollektiven Angelegenheiten in einer Sphäre "verdünnter Freiheit" stehe. 125 Das räumt auch Reuter, ZfA 1995, 1, 62, ein, meint aber, diese Grenze der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft im Arbeitsverband Betrieb stimme exakt mit derjenigen der Freiwilligkeit der Inanspruchnahme traifvertraglichen Schutzes überein. 126 Vgl. Belling, Haftung, S. 55. 127 Vgl. Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 13; anders BVerfGE 73, 262, 268 f. 128 Vgl. BVerfG AP Nr. 31 zu Art. 9 GG, unter m 2 a der Gründe; zum Verhältnis von Betriebsrat und Arbeitnehmer vgl. auch v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 4 ffl 3, S. 58 ff. 129 § 23 I BetrVG sieht nur die antragsabhängige Auflösung durch das Arbeitsgericht vor.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
77
setzen können 130 . Die Beteiligungrechte übt der Betriebsrat damit nicht stellvertretend im Sinne der §§ 164 ff. oder sonst rechtgeschäftlich legitimiert 131 , sondern kraft eigener, lediglich durch das Betriebsverfassungsgesetz und nicht durch Wahl zugewiesener Rechtszuständigkeit aus 132 , auch wenn sich diese als fremde Interessenwahrnehmung von den Arbeitnehmerinteressen in einem ideellen Sinn ableitet 133 . Die Legitimationsgrundlage für die Regelungsbefugnis unterscheidet sich somit schon im Grundsätzlichen von der einer Vereins- oder Gesellschaftssatzung. Auch wenn es in der Betriebsverfassung nicht um kollektive Selbstbestimmung134, sondern primär um die Förderung der individuellen Selbstbestimmung geht, so wird diese doch dadurch kollektiviert, indem es dem Betriebsrat bei kollektiven Tatbeständen obliegt, die Interessen der Arbeitnehmer "auf einen Nenner zu bringen" 135 . Ohne Bedeutung ist der insofern formalrechtliche Streit, inwieweit die Belegschaft durch das Betriebsverfassungsgesetz zu einem teilrechtsfahigen Verband zusammengefaßt wird 1 3 6 , da es sich jedenfalls angesichts des zuvor Ausgeführten um einen Zwangsverband handeln würde. Die kollektive Interessenwahrnehmung und das damit verbundene Kollektivinteresse der Belegschaft führt in diesem Bereich zu einer Unterordnung des Individualinteresses. Die Freiheit, das Individualinteresse selbst zu verfolgen, wird durch die Teilnahme an einer Mehrheitswahl nicht einmal im Ansatz verwirklicht. Insofern kann durch die demokratische Zusammensetzung des Betriebsrats der Gefahrdung der individuellen Selbstbestimmung nicht wirksam begegnet werden, zumal insbesondere die nachfolgende Tätigkeit dem Einfluß der Arbeitnehmer entzogen ist. Die individuelle Selbstbestimmung ist durch Art. 2 I GG bzw. die des Ar-
130
Ausführlich Belling , Haftung, S. 56 f. m.w.Nachw. Vgl. zur Vertreterkonstruktion GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rdnr. 183 m.w.Nachw. 132 Vgl. Kreutz, Betriebsautonomie, S. 22 ff., 30; Heinze, ZfA 1988, 53, 62. 133 Zutreffend geht daher Heinze, ZfA 1988, 53, 55 ff., 71 ff., von einem Treuhandverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Betriebsrat aus. Dagegen nimmt ein Teil der Lehre an, daß die Mitbestimmungsrechte originär den einzelnen Arbeitnehmern zustünden und dem Betriebsrat lediglich als Funktionsbefugnis zur Ausübung gesetzlich zugewiesen seien, vgl. Belling/Liedmeier, SAE 1990, 166, 169 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 52 A I, S. 1085 f.; Weitnauer, FS-Duden, S. 705, 710; im Ergebnis herrscht allerdings Einigkeit darüber, daß es sich um keine selbstbestimmt autorisierte Form der Vertretung handelt. 134 So aber v.Hoyningen-Huene, RdA 1992, 355, 356 unter Berufung auf Sinzheimer. Der allgemeine Schutzzweck betrieblicher Mitbestimmungrechte und deren Fremdnützigkeit lassen indes nicht den Schluß v.Hoyningen-Huenes zu, der Betriebsrat sei nicht "ausschließlich ein Repräsentant des Betriebsrats, sondern vielmehr eine demokratisch legitimierte Institution des Betriebes". 135 Vgl. GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 39 f. 136 Zu dieser Diskussion und der damit verbunden Frage, ob die Belegschaft Träger der Mitwirkungsrechte ist, vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 45 Π, S. 462 m.w.Nachw. 131
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§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
beitnehmers seine Arbeit betreffend ist durch Art. 12 GG gewährleistet, ganz im Gegensatz zur Betätigung des Betriebsrats, die keinen Verfassungsrang besitzt 1 3 7 . Damit ist es nicht vereinbar, wenn im arbeitsteiligen Prozeß die dem einzelnen Arbeitnehmer zustehende Zuständigkeit zur Vertragsgestaltung "zur Sache der vielen Zusammenarbeiter" 138 erklärt wird, um so die individuelle Interessenverfolgung allein durch die Beteiligung an der Wahl des Betriebsrats wirksam werden zu lassen. Das ist dann nicht der behauptete gestaltende Einfluß, sondern nachfolgende Bevormundung.
b) Mitbestimmung als Sozialprivatrecht Im Zusammenhang mit der Frage nach einem privatautonomen Verständnis der Mitbestimmung ist schließlich auf die neuerdings von Reichold entwickelte These von der dogmatischen Einordnung der "Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht" 139 einzugehen, mit der er sich gegen die Annahme einer Zwangsrepräsentation wendet. Die Betriebsverfassung ist nach seiner Auffassung vertragsrechtsakzessorisch 140, was bedeute, daß das Betriebsverfassungsgesetz als Organisations- und Verfahrensgesetz ein soziales Privatrecht der vertrauensvollen Kooperation und Koordination verwirklichen solle. Dabei bestehe das Wertfundament für das durch Betriebsverfassung gesetzlich, ansonsten vertraglich strukturierte Sozialprivatrecht der "Freiheit auf Gegenseitigkeit" im Arbeitsverhältnis - unter Rückgriff besonders auf die erste der drei Leitideen des Rechts von Schelsky - im Reziprozitäts-Prinzip der "Gegenseitigkeit auf Dauer" (erste Leitidee), wobei die Amtsbefugnisse des Betriebsrats die Vertrags- und Organisationsabhängigkeit des einzelnen Arbeitnehmers bezüglich der betrieblichen Arbeitsbedingungen kompensieren und "Gleichheit bei Verschiedenheit" (zweite Leitidee) ermöglichen sollen, allerdings ohne daß es zur Bevormundung des Einzelnen durch die Betriebspartner kommen dürfe
137 Vgl. BVerfG, AP Nr. 7 zu Art. 9 GG; vgl. auch Reichhold, Sozialprivatrecht, S. 495; davon zu trennen ist die verfassungsrechtliche Ableitbarkeit der Betriebsverfassung; nach Kempen (RdA 1994, 140, 150), Loritz (ZÌA 1991, 1, 15 ff.) und Reichhold (Sozialprivatrecht, S. 488 ff. m.w.Nachw. in Fn. 474) stellt das Betriebsverfassungsgesetz grundrechtskonkretisierende Ausübungsregelungen der Berufsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern dar, während Jahnke (Tarifautonomie, S. 40) und Stark (Leistungspflichten, S. 117) das Sozialstaatsprinzip als Grundlage sehen. 138 So aber Gast, Rechtsverständnis, S. 185 f.; Reuter, ZfA 1975, 85, 86 f. unter Verweis auf Gamillscheg, FS-Fechner, S. 135 ff., 139 ff. 139 So der Titel seiner jüngst erschienenen Habilitationsschrift. 140 Vgl. Sozialprivatrecht, S. 186 ff., 537 ff.; ders., RdA 1995, 147, 152. Dabei meine Vertragsrechtsakzessorietät das Schutzbedürfnis aufgrund dauerhafter arbeitsvertraglicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers und dessen institutionelle Abhängigkeit vom Organisationszusammenhang Betrieb durch Eingliederung.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
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(dritte Leitidee) 141 . Aufgrund der Vertragsrechtsakzessorietät der Betriebsverfassung finde die Normenwirkung der Betriebsvereinbarung ihre alleinige Legitimation im Arbeitsvertrag. Die Betriebsvereinbarung materialisiere das dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung aufgrund Arbeitsvertrag eingeräumte einseitige Weisungs- bzw. Gestaltungsrecht bezüglich der betrieblichen Arbeitsbedingungen durch Gestaltungsteilhabe sozialverträglich (Verteilungsbzw. Behandlungsgerechtigkeit). Sie sei daher als Struktur "vertraglicher Leistungsbestimmung" material Vertragsrecht im Sinne eines Quasi-Vertrags und nur formal aufgrund der Amtsbeziehung innerbetriebliche Rechtsetzung142. Dem kann so nicht gefolgt werden. Reichholds These von der Betriebsverfassung als "soziales Privatrecht der Koordination (als neues Paradigma der Freiheit)" und einhergehend ihrer privatrechtlichen Legitimation ist mit dem herkömmlichen Verständnis von Privatautonomie als Prinzip der Rechtsgestaltung durch die einzelnen Rechtssubjekte nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung nur schwer vereinbar. Man sollte die dogmatisch schwierige Einordnung der Betriebsverfassung in das Privatrecht auch nicht dadurch zu begründen versuchen, indem man dieses als "genuines Sozialrecht, soweit es den Verkehr der Bürger untereinander ordnet", und Freiheit als Freiheit "durch Geselligkeit" definiert 143 . Statt die Betriebsverfassung an das Privatrecht heranzufuhren, wird das Privatrecht bzw. das Verständnis von Privatautonomie ausgedehnt, allerdings um den Preis einer unvertretbaren Abkehr von der Pri-
141
Vgl. Sozialprivatrecht, S. 496 f., 513, 527: Die dauerhafte vertragliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Weisungsrecht und seine institutionelle Abhängigkeit vom arbeitsteiligen Organisationszusammenhang Betrieb bedürften einer Angemessenheitskontrolle durch den Betriebsrat, so wie es die Gleichheit bei Verschiedenheit es auch "horizontal" innerhalb der Belegschaft zu vermitteln gelte, da insofern das "Gesetz der großen Zahl" (von Arbeitnehmern) gelte. Insgesamt konkretisiere die Betriebsverfassung die soziale Verantwortung des Arbeitgebers dergestalt, daß die Beteiligung des Betriebsrats als Vertragshelfer auf die "Sozialgerechtigkeit" betrieblicher Arbeitsbedingungen hinwirken solle. Dabei ist anzumerken, daß der in Anschluß an Köndgen (Selbstbindung, S. 240 ff.) konstatierte "dem Schuldrecht unbekannte intensive Sozialkontakt" mit einhergehenden Gegenseitigkeitserwartungen aufgrund der vertraglichen Dauerbeziehung gibt zutreffend die personale Prägung des Arbeitsverhältnisses wieder. Schief ist es aber, das gesamte Arbeitsrecht, vergleichend mit dem Verbandsrecht und dem Familienrecht, als Sozialprivatrecht zu werten. Denn die Berücksichtgung der personalen Prägung ist auf die arbeitsrechtlichen Sondergesetze beschränkt, vgl. oben. 142 Sozialprivatrecht, S. 542, 545, im Anschluß an Hanau, RdA 1989, 207, 208, der eine Leistungsbestimmung durch Dritte annimmt; ähnlich Kempen, ArbdGgw. Bd. 30 (1993), S. 97, 117, nach dem "es bei der Betriebsverfassung um die rechtliche Absicherung der grundrechtlichen Entfaltungsfreiheit von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz nach Art. 12 I GG, also quasi um die Fortsetzung des § 315 BGB mit modernen verfahrensförmigen Mitteln geht". 143 Sozialprivatrecht, S. 434 f.
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
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vatautonomie als Prinzip der individualistischen Interessenverfolgung 144. Dabei kann die rechtstheoretische Frage nach der Selbstbestimmung in oder durch Organisationen und damit gleichbedeutend die Frage nach den Begründungsversuchen für die mannigfaltigen Beschränkungen der Privatautonomie hier nicht beantwortet werden 145 . Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, im einzelnen auf den von Reichold propagierten Struktur-WertDualismus einzugehen, der die zentrale Begründung für seine Auffassung darstellt. Kurz zusammengefaßt, benötige die Privatautonomie als ausfüllungsbedürftiger Grundwert (als Regelungsziel) die der jeweiligen Ordnungsaufgabe angepaßten Strukturen (Regelungstechniken), d.h. sie erfordere die Rechtsordnung als Korrelat 1 4 6 . Die Vertragsfreiheit bedürfe im Betrieb als einer auf hoher Zweckrationalität bedachten arbeitsteiligen Veranstaltung besondere Strukturen, die die Betriebsverfassung biete. Jene sei in ihrer reinen liberalen Form (§§ 241, 305 BGB) gerade nicht "pars pro toto der Privatautonomie" 147 , sondern lediglich eine bestimmte strukturelle Ausprägung des Selbstbestimmungsprinzips. Allerdings ist selbst unter dieser Prämisse, daß es dem Gesetzgeber frei steht, zur Gestaltung der Privatautonomie noch andere Akttypen zu schaffen 148 , ein Minimum an Freiheit, d.h. irgendein Freiwilligkeitsmoment für die Annahme von Selbstbestimmtheit zu fordern, um im Ergebnis der Betriebsverfassung eine privatrechtliche Legitimität zu verschaffen. Anders als der Tarifvertrag, der grundsätzlich durch die freiwillige Gewerkschaftszugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers Wirkung für diesen entfaltet, ist der Arbeitnehmer in keiner wie auch immer gearteten freiheitlichen Hinsicht an der Betriebsvereinbarung beteiligt, so daß sich an der Fehlerhaftigkeit der Gesamtkonstruktion auch nichts durch die weitere Annahme Reicholds ändert, daß der Kernbereich des Arbeitsverhältnisses nicht tangiert werden dürfe. Zudem mag man der Auffassung sein, Vertragsfreiheit stehe nicht für Privatautonomie, so muß doch jene innerhalb der bestehenden freiheitlichen Rechtsordnung als erste unter gleichen Akttypen zur Realisierung
144
So Flume , FS-100 Jahre DJT, Bd. I, S. 137, 145; ders., Rechtsgeschäft, S. 1 f., 10 f., 18. 145 Vgl. Mestmäcker, Gesellschaft, S. 48, 56 ff ; einen knappen Überblick gibt Zöllner, JuS 1988, 329, 333 ff. 146 Sozialprivatrecht, S. 2 f., 408 ff., 544 f.; so auch schon Gast, Vertragsrecht, S. 83, allerdings ohne diese rechtstherotische Begründung: "In Wahrheit handelt es sich dabei um die Positivität der Privatautonomie", und in: Tarifautonomie, S. 6 f.: "Privatautonomie hat für den Lebensbereich Produktionsprozeß, für die rechtliche Rolle des Arbeitnehmers eine institutionelle Verfassung erhalten: als Bedingung ihrer Ausübbarkeit". 147 Ebenso Richardi, Kollektivgewalt, S. 42 f. und Kreutz, Betriebsautonomie, S. 119 ff., 122 f. gegen Flume, Rechtsgeschäft, S. 6; ders., FS-100 Jahre DJT, Bd. I, S. 135, 140. 148 So Richardi, Kollektivgewalt, S. 43.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
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von SWfo/bestimmung gewertet werden. Besonders im Arbeitsrecht gerät man dagegen sehr leicht mit dem dogmatischen Erklärungsversuch eines Sozialprivatrechts in das gefahrliche Fahrwasser des altbekannten Arguments, Freiheit im Betrieb realisiere sich für den einzelnen Arbeitnehmer nur mittels Vertretung durch den Betriebsrat 149 . Solchermaßen läßt sich dann praktisch jede Einschränkung der Privatautonomie legitimieren 150 . Außer acht gelassen wird dabei, daß es angesichts der oben dargestellten verselbständigten Stellung des Betriebsrats gerade nicht der einzelne Arbeitnehmer ist, der bei kollektiven Regelungen die Fäden in der Hand hält. Mithin kann der Arbeitnehmer insofern nicht als Rechtssubjekt betrachtet werden und daher stellt die Betriebsvereinbarung trotz Unterstützungsfunktion eine "Fremdbestimmungs- und Zwangsordnung" dar. Es ist jedenfalls vorzugswürdig, sehenden Auges in "die Falle einer Sondergesetzgebung" 151 - denn nichts anderes ist das Betriebsverfassungsgesetz - zu gehen, statt eine etwas gekünstelt wirkende Konstruktion eines Sozialprivatrechts im Rahmen eines "personfunktionalen Wertesystems" anzunehmen. Denn die von Reichold propagierte Sicherung der solchermaßen im Ansatz reduzierten Privatautonmie durch das Günstigkeitsprinzip ließe sich leicht durch weitere sozial motivierte Einschränkungen aufweichen. Sicherlich sind sowohl die Dichotomie des Arbeitsrechts, als auch die Tatsache, daß einheitliche Grund- und Strukturprinzipien der Betriebsverfassung nicht feststellbar sind, dogmatisch unbefriedigend 152 . Dem "Fehlen eines archimedischen Punktes betriebsverfassungsrechtlicher Dogmatik" 1 5 3 kann mit diesem Eingeständnis zwar nicht abgeholfen werden, was allerdings dann für eine schlüssige Dogmatik des Betriebsverfassungsrechts nicht schädlich ist, wenn bei der Lösung einer Rechtsfrage berücksichtigt wird, daß der Betriebsrat nur Mittel zum Zwecke des Schutzes ist 1 5 4 . Dabei ist Schutz vor dem Arbeitgeber absolut identisch mit der Freiheit für den Arbeitnehmer. Es ist ein und derselbe Aspekt, lediglich von zwei verschiedenen Seiten her betrachtet. Insofern ist es unverständlich, wenn sich Reichhold auf die Vorstellung der Betriebsverfassung als Organisation der
149
Vgl. sogleich unter Π 3. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Reichold spricht sich ausdrücklich für eine Trennung von "horizontaler Verteilungsgerechtigkeit (kollektive "Betriebsbeziehung") und vertraglicher Austauschgerechtigkeit (individuelle "Leistungsbeziehung") aus, wobei eine restriktive Interpretation jener Mitbestimmungstatbestände vorzunehmen sei, die unmittelbar die Leistungsbeziehung tangieren, vgl. RdA 1995, 147, 155 f. 151 So die im Zusammenhang mit dem Betriebsverhältnis von Arbeitgeber und Betriebsrat gebrauchte Formulierung von Reichold, Sozialprivatrecht, S. 499. 152 Vgl. v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 4, S. 45 ff. 153 So Heinze, ZfA 1988, 53, 55. 154 Vgl. unten § 4. 150
6 Wittgniber
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
82
Freiheit versteift und sich gegen eine Schutzrechtsdogmatik wendet 155 . Sein Freiheitspostulat bringt nämlich für die Auslegung von Normen im Vergleich zum Abstellen auf das Selbstbestimmungsprinzip keine erkennbar neuen Aspekte; beides ist zugegebenermaßen denkbar unbestimmt. Allerdings bietet das Abstellen auf die "individuelle" Selbstbestimmung - so wie sie hier in ihrem ursprünglichen Sinne verstanden wird - den Vorteil, daß man die Verselbständigungstendenzen betrieblicher Mitbestimmung unter Bezug auf den allgemeinen Schutzzweck begrenzen kann. Es ist in diesem Zusammenhang mißlich, wenn der umstrittenen Frage nach dem allgemeinen Zweck betrieblicher Mitbestimmung keine besondere Bedeutung zugemessen wird 1 5 6 , ist doch gerade der verbreitet vertretene Teilhabezweck relevant für eine extensive Auslegung von Mitbestimmungstatbeständen157. Die statt dessen aufgestellte These von der Betriebsverfassung als "Organisation der Freiheit, die es den Arbeitnehmern ermöglichen soll, statt erduldeter Unfreiheit aktive Freiheit selbstverantwortlich mitzugestalten" 158 , beinhaltet selbst den schon rein formalen Widerspruch hinsichtlich der Verwirklichung von Freiheit, indem es bei der Einrichtung der Betriebsverfassung um die Freiheit des einzelnen Arbeitnehmers gehen soll, dieser aber im Rahmen der Betriebsratstätigkeit gerade nicht "aktiv mitgestaltet", sondern diese fremdbestimmt passiv erduldet 159 . Von daher ist mit Kreutz die Betriebsvereinbarung als pùvaiheteronomes Rechtsgeschäft 160 zu charakterisieren 161 , da diese zwar aufgrund privatrechtlichen Vertrages zwischen den Betriebspartnern rechtsgeschäftlicher Natur ist, für ihre rechtliche Wirkung aber der von § 77 I V 1 BetrVG anerkannte Wille der Betriebspartner entscheidend ist 1 6 2 . Der Arbeitnehmer ist bis auf den mit
155
Sozialprivatrecht, S. 485 f., 533 f., siehe aber auch S. 545. Sozialprivatrecht, S. 534 Fn. 656, 545. Das problemlose Nebeneinanderstellen von Schutz-, Ordnungs- und Integrationszweck verkennt deren Bedeutung für die Reichweite von Mitbestimmungstatbeständen, siehe unten. 157 Vgl. unten § 4 I V 3, § 5 12, § 7Π2. 158 Sozialprivatrecht, S. 434: Der Betriebsrat sei Medium der Freiheit im Herrschaftsbereich Betrieb und nur als solches legitimierbar. 159 Vgl. zu anderen Ämtern wie z.B. Vormund, Pfleger etc., die die Privatautonomie Dritter fünktionsgerecht erhalten sollen, diese aber gleichzeitig notwendigerweise einschränken, Belling, Haftung, S. 141 ff. m.w.Nachw. 160 Betriebsautonomie, S. 99 ff., 109 f. und zur folgerichtigen Kennzeichnung der Stellung des Betriebsrats als Betriebsvormundschaft, S. 156 ff., 164; ders., GK, BetrVG, § 77 Rdnr. 193; dem folgend Canaris , JuS 1989, 161, 167; Hönn, Kompensation, S. 213; Ν ause, Grenzen, S. 92 ff; kritisch Gast, Vertragsrecht, S. 81 ff; Jahnke, Tarifautonomie, S. 112; Staudinger/Richardi, BGB, vor § 611 Rdnr. 1431. 161 Allgemein zu heteronomen Bindungen im Privatrecht, vgl. Adomeit, FS-Kelsen, S. 9, 10 f. 162 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß der Arbeitgeber als Partner der Betriebsvereinbarung ein Mittel zur Befreiung von einzelvertraglichen Pflichten bekommt, vgl. Richardi, ZfA 1992, 307, 309. 156
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
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dem Arbeitgeber bestehenden Arbeitsvertrag nicht an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen aktiv beteiligt, so daß sich sein Mitwirken auf die Herstellung der Geltungsvoraussetzung für die Betriebsvereinbarung beschränkt. Übereinstimmend läßt sich zwar feststellen, daß der Betriebsrat lediglich Unterstützungsfunktion hat. Die daraus folgende Subsidiarität kollektiver Regelungen läßt sich indes hinreichend mit der hier vertretenen Auffassung des Arbeitsrechts als Recht der Arbeitsverhältnisse und der zentralen Bedeutung der durch das Günstigkeitsprinzip geschützten Privatautonomie des Arbeitnehmers erklären, ohne von einem Sozialprivatrecht ausgehen zu müssen. Auf der Grundlage, daß die Betriebsvereinbarung von außen normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirkt, kann die Betriebsratstätigkeit, zwar ohne wohlklingende Bezeichnung, aber doch in der Sache richtig als Annex zum bilateralen Schuldverhältnis eingeordnet werden, der somit die gleiche Rechtsnatur wie diesem zukommt. Soweit von Reichold vertreten wird, das Betriebsverfassungsgesetz organisiere Freiheit auf Gegenseitigkeit, indem es die Grundrechtspositionen des Art. 12 GG beider Arbeitsvertragsparteien zu einem schonenden Ausgleich zwischen Zweck- und Menschengerechtigkeit bringe, trifft das in dieser Pauschalität nicht zu. Das zeigt sich an § 87 I Nr. 10 BetrVG, der zwar aufgrund einer systematischen Auslegung nur die technisch-formelle Seite der Lohngestaltung regeln soll, indes über die von der herrschenden Meinung als zulässig erachteten mittelbaren Auswirkung auf die Lohnhöhe auch das Synallagma mitumfassen kann. Daher kann es notwendig sein - entgegen dem konstatierten non liquet der beiderseitigen grundrechtlichen Berufsausübungsfreiheiten 163 - unter Berücksichtigung der Unternehmensautonomie die Reichweite der Betriebsautonomie festzustellen. Damit läßt sich auch der von ihm favorisierte Trennung von mitbestimmungsfreier Austausch- und mitbestimmter Verteilungsgerechtigkeit nichts Neues zur Reichweitenbestimmung entnehmen; er selbst kennzeichnet dies zutreffend mit "Kardinalproblem" und "heiklem Nebeneinander" 164 und gesteht damit die mangelnde Trennschärfe ein, was letztlich die Auslegung so schwierig macht. Obwohl damit die Begründung für die rechtliche Einordnung insgesamt nicht zu überzeugen vermag, läßt sich feststellen, daß im Ergebnis, insbesondere was die Reichweite des § 87 I Nr. 10 BetrVG angeht, im wesentlichen keine Unterschiede zu der hier vertretenen Auffassung bestehen. Nicht nur die Bedeutung des Günstigkeitsprinzips wird betont, sondern es findet auch der Aspekt der Gefahr einer Bevormundung durch den Betriebsrat die notwendige Berücksichtigung.
163 164
Sozialprivatrecht, S. 493 f. Sozialprivatrecht, S. 514, 527.
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§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
3· Generelle Ohnmächtigkeit des Arbeitnehmers Soweit in der Literatur gegen den Aspekt der drohenden Bevormundung die notwendige Beschränkung der einseitigen Dispositionsbefügnis des Arbeitgebers entgegengehalten wird, kommt darin die weit verbreitete Vorstellung von einem ohnmächtigen Arbeitnehmer zum Ausdruck. Nach Hoffmann werde dem einzelnen Arbeitnehmer nichts genommen, was er je zuvor typischerweise effektiv gehabt hätte, sondern es werde ihm erst Gelegenheit gegeben, Einfluß auf die Gestaltung der Betriebs- und Arbeitsordnung zu nehmen und dadurch seine individuelle Position zu stärken 165 . Damit korrespondiert die Vorstellung von der wirtschaftlichen, sozialen und intellektuellen 166 Überlegenheit des Arbeitgebers.
a) Gestörte Vertragsparität Indes verkürzt eine solche Betrachtungsweise die Funktion des Arbeitsrechts auf den Mechanismus von Macht und Gegenmacht. Aus dem Grad der behaupteten Abhängigkeit des Arbeitnehmers ergibt sich danach der Grad der Macht, der zur Überwindung der Abhängigkeit notwendig erscheint 167 . So folgt aus der Annahme eines ohnmächtigen Arbeitnehmers die Erforderlichkeit einer umfassenden Gegenmacht des Betriebsrats, die mit möglichst weitgehenden Mitbestimmungsrechten zu verwirklichen ist. Das Arbeitsrecht geht dagegen dem Selbstbestimmungsgedanken folgend im Grundsatz von einem freien Arbeitnehmer aus - im Betriebsverfassungsrecht durch das Günstigkeitsprinzip vermittelt -, der trotz insbesonderer wirtschaftlicher Abhängigkeit befugt ist, seine Vorstellungen selbst in den Arbeitsvertrag einzubringen bzw. dies zu versuchen 168 . Auch muß bezweifelt werden, daß der einzelne Arbeitnehmer generell unmündig bzw. unfähig ist, seine Interessen gegenüber dem
165 Vgl. Hoffmann, AuR 1971, 271, 276 f.; Simiti s/Weiss, DB 1973, 1240, 1241 Fn. 8; dem folgend Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis, S. 67; auch nach Farthmann "können nach einer mehr als hundertjährigen Erfahrung die Rechte des einzelnen am effektivsten dadurch gestärkt werden, daß man ihm ein kollektives Vertretungsorgan an die Seite stellt, das unabhängig und selbständig dem Arbeitgeber gegenübertreten kann. Alles andere ist mehr oder weniger Theorie, oder was noch schlimmer ist, die Methode des 'divide et impera' ist eine Schwäche und nicht eine Stärkung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers", 150. Sitzung des Bundestags vom 10. November 1971, BT-Protokolle, 8599 (D), zitiert nach Blomeyer, Gedächtnisschrift fÜrDietz, S. 154, 157. 166 So insbesondere Säcker, Gruppenautonomie, S. 88 ff. Grundlegend zur sog. strukturellen Unterlegenheit, BAG ν. 16. 3. 1994, BAGE 76, 155, 166 ff. 167 Vgl. Mestmäcker, Gesellschaft, S. 60, 93. 168 Vgl. Richardi, NZA 1992, 961, 966.
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
85
Arbeitgeber durchzusetzen 169. Die Wahrheit liegt, wie es so schön heißt, in der Mitte: der Arbeitnehmer ist nicht mehr allein schutzbedürftiger Proletarier, aber noch lange nicht auf einer Stufe mit dem Arbeitgeber stehender Mitarbeiter. Dagegen wird in verschiedenen Bereichen des Privatrechts mit der Figur der gestörten Vertragsparität argumentiert, um das Grundkonzept der Privatautonomie, die selbstbestimmte Gestaltung der Rechtsbeziehungen, zu beschränken 170 . Abhängigkeit bzw. Vertragsimparität bedeuten indes nicht zwangsläufig Ohnmächtigkeit. Mit Zöllner 171 und Kreutz 172 ist davon auszugehen, daß ein Beweis der gegenteiligen These nicht erbracht werden kann, da kein Maßstab zur Überprüfung besteht 173 . Unfähigkeit zur Durchsetzung in Vertragsverhandlungen kann man schlechterdings messen. Die Auffassung von einer generellen Überlegenheit des Arbeitgebers krankt schon an ihrer typisierenden Betrachtungsweise, die weder die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten in der Person des Arbeitnehmers - begründet in den verschiedenen Qualifizierungen -, noch die des einzelnen Unternehmens - je nach dem welche Arbeitsstelle zu besetzen ist - berücksichtigt. Vertragsabschluß und -inhaltssituation sind zu vielgestaltig, um den Arbeitnehmer allgemein zum Unterlegenen zu stempeln. Das Kräfteverhältnis hängt zusätzlich von der konjunkturellen Lage ab: in Zeiten der Hochkonjunktur und des Arbeitskräftemangels führt die Angewiesenheit des Arbeitgebers auf die Arbeitskraft zu einer schwindenen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Arbeitnehmer, während diese in Zeiten der Rezession in aller Schärfe hervortritt 174 ; daneben ist aber auch konjunkturunabhängig der arbeitsteilig produzierende Arbeitgeber auf Arbeitnehmer angewiesen. Neben gefragten Spezialisten und qualifizierten Arbeitnehmern (der Fachkräftemangel wird von praktisch jeder Branche beklagt) wird allgemein die Abhängigkeit durch die bereits angesprochene Stärkung der Position der Arbeitnehmer aufgrund der Normen des Individuai-, Kollektiv- und Sozialrechts relativiert. Das ist der berechtigte Kern von Ado169
Vgl. gegen die so verstandene Ungleichgewichtsthese Zöllner, AcP 176 (1976), 221 ff.; ders., AcP 188 (1988), 85, 99; ders., RdA 1989, 152, 156; ders., NJW 1990, 1, 4 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 1 I 1, S. 3; Martens, JuS 1987, 337, 342; allgemein in diesem Sinne Hönn, JuS 1990, 953, 956; vgl. zur Gegenansicht Säcker, Gruppenautonomie, S. 88 f.; H.Hanau, Individualautonomie, S. 85 ff.; Dieterich, RdA 1995, 129, 135. 170 So exemplarisch im Mietrecht, vgl. dazu und zu anderen Beispielen Zöllner, JuS 1988, 329, 334 f. m.w.Nachw. 171 AcP 176(1976), S. 221, 229 f. 172 Betriebsautonomie, S. 165 ff. 173 Zum Problem der Bestimmbarkeit von Ungleichgewichtslagen, vgl. Preis, Vertragsgestaltung, S. 216. 174 Vgl. den Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, Teil IV, S. 16; Reuter, ZfA 1975, 85, 86; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 169; gegen diesen Gesichtspunkt, Dorndorf, FS-Gnade, S. 39,44 f.; anders auch das Bundesarbeitsgericht in BAGE 76, 155, 169.
§ 3 Abkehr des Arbeitsrechts vom Privatrecht
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meits These von der geschwundenen Abhängigkeit, auch wenn diese allerdings nicht verschwunden ist. Echte Kompensation der materiellen Abhängigkeit ist durch das rechtliche Schutzwerk nicht möglich, da der Arbeitnehmer am Wirtschaftsverkehr nur über den Arbeitgeber teilnimmt, indem er von diesem seine Entlohnung erhält, dem Arbeitgeber hingegen kraft seines Eigentums die Nutzung der Produktionsmittel und -ergebnisse zukommt 175 . Insgesamt läßt sich die These von den "sozio-ökonomischen"176 Ungleichgewichten weder mit letzter Bestimmtheit belegen, noch verneinen. Es ist aber jedenfalls verfehlt, von einer generellen Ohnmächtigkeit bzw. Objektstellung des Arbeitnehmers auszugehen, um so durch die Annahme eines stets einseitigen Arbeitgeberdiktats die Betriebsratszuständigkeit zu begründen oder auszuweiten. Wäre dem nicht so, dann hätte der Gesetzgeber wohl dafür gesorgt, daß in jedem betriebsratsfähigen Betrieb ein Betriebsrat besteht 177 ; indes sieht das Betriebsverfassungsgesetz keinen Einrichtungszwang vor. Letztlich gehen Argumentationen mit der Vertragsimparität allein deswegen fehl, weil sie an der Funktion der Privatautonomie vorbeizielen. Nicht nur, weil sich gezeigt hat, daß der freie Markt von Angebot und Nachfrage besser zur allgemeinen Wohlstandsmehrung geeignet ist. Viel wichtiger ist die Einsicht, daß die Privatautonomie der Selbstbestimmung dient, die ohne jene überhaupt nicht denkbar wäre 178 . Der Vertrag stellt daher ungeachtet des bestehenden Ungleichgewichts der Vertragspartner einen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber her, mit dem sich die grundrechtlich verbürgte Freiheit beider verwirklicht 179 . Ob der Austausch der Leistungen gerecht ist, bleibt dabei grundsätzlich ihrer Bewertung überlassen. Dagegen ist es nicht das Ziel des Vertragsmechanismus, soziale Gerechtigkeit 180 herbeizuführen, wozu er als Zweierbeziehung auch gar nicht in der Lage wäre. Dasselbe gilt im wesentlichen hinsichtlich der in der Praxis üblicherweise verwendeten Formulararbeitsverträgen und anderen Allgemeinen Arbeitsbedingungen wie der Gesamtzusage und der betrieblichen Übung. Dabei ist nicht nur der Formulararbeitsvertrag, sondern es sind auch Gesamtzusagen und Betriebsübungen als individualrechtliche Gestaltungsfaktoren zu charakterisie175
Vgl. Lieb, Arbeitsrecht, § 1 Π 3, S. 13; Richardi, Kollektivgewalt, S. 115. So Moll, Mitbestimmung, S. 176. 177 So zutrefffend Schlüter, DB 1972, 92, 139, 141; Bommermann, Wirksamkeitsvoraussetzung, S. 88. 178 So Zöllner, JuS 1988, 329, 335 f., der deutlich die negativen Folgen eines übertrieben sozialen Schutzgedankens formuliert; ebenso Rüthers, FS-E.Wolf, S. 565, 571 ff.; Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er, S. 66 f., 77, 106 ff. 179 So Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 240 ff.; ders., RdA 1989, 152, 156. 180 Im Sinne von "sozialpolitischer Richtigkeit", vgl. Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 240 ff.; ders., NJW 1990, 1, 5; zu der auf der ausgleichenden Gerechtigkeit beruhenden vertraglichen Richtigkeitsgewähr vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130, 149 ff. 176
Π. Die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers
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ren 1 8 1 . Insbesondere der Formulararbeitsvertrag zeichnet sich dadurch aus, daß inhaltsgleiche Vereinbarungen mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern getroffen werden. Trotz der gleichwohl bestehenden Möglichkeit von Sonderabreden, wird im Regelfall nicht im engeren Sinne verhandelt. Hier zeigt sich besonders deutlich die Überforderung des Arbeitsvertrags, was die inhaltliche Gestaltungsfreiheit angeht. Zutreffend fuhrt Zöllner aus, daß "die Zurückdrängung des individuell ausgehandelten Einzelvertrags durch Instrumente, die in ihrer Wirkung kollektiv sind, ein sachlich notwendiger Prozeß ist, der primär nichts mit der Frage zu tun hat, ob der eine Vertragspartner wirtschaftlieh mächtiger ist als der andere" 182 . Nicht nur dem Arbeitnehmer fallt es schwerer, Sonderabreden durchzusetzen, sondern auch der Arbeitgeber ist aufgrund der Rationalisierungs- und Ordnungsgründe Allgemeiner Arbeitsbedingungen in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt. Gleichwohl kommt auch durch sie ein Interessenausgleich zustande, nur eben in einem verkürzten Verfahren. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Herstellung von Austauschgerechtigkeit allein dem Schuldverhältnis, sei auf einzelvertraglicher oder auf einheitlicher Regelung begründet, überlassen bleiben muß, ohne daß dieser Grundsatz durch soziale Schutzmechanismen wie der Mitbestimmung z.B. nach § 87 I Nr. 10 BetrVG aufgeweicht werden dürfte.
b) Kollision von Individual - und Kollektivinteresse Die hier vertretene Ansicht stellt im übrigen nicht die von Säcker 183 beanstandete idealistische Verabsolutierung des Selbstbestimmungsprinzips dar, da die Privatautonomie nicht um ihrer selbst willen, sondern als Privatautonomie des Arbeitnehmers zur Geltung gebracht werden soll 1 8 4 , was freilich nur einsichtig ist, wenn man nicht von einem einseitigen Diktat des Arbeitgebers auf der privatrechtlichen Ebene ausgeht 185 . Nur weil der Arbeitnehmer nicht dem Arbeitgeber gleichgestellt werden kann, bedeutet das, daß sein Wohl und Wehe im Arbeitsverhältnis von einer kollektiven Interessenwahrnehmung abhängig ist. Davon abgesehen ist es eine schiefe Sicht, wenn mit einer Stärkung 181 Zur umstrittenen vertraglichen Deutung der beiden letzt genannten Gestaltungsfaktoren, vgl. MMchArbR/Richardi, § 12 Rdnr. 33 ff. 182 AcP 176 (1976), 221, 231; dagegen Bakopoulos, Zuständigkeitsverteilung, S. 62 Fn. 14. 183 ZfA 1972, Sonderheft, S. 41, 56 f.; Gruppenautonomie, S. 351; AR-Blattei, D Betriebsvereinbarung, I D Π 4 c; so auch schon Hanau, JZ 1969, 642, 643. 184 Ähnlich Reichold, RdA 1995, 147, 151, wonach "Integrität und Autonomie der Person auch gegenüber sogenannten organisatorischen Sachzwängen zu wahren sind". 185 Vgl. stellvertretend Strieder, BB 1980, 420, 423: "Faktische Alleinbestimmung des Arbeitgebers bei 'freien' Aushandeln auf individueller Ebene"; ähnlich Gast, Tarifautonomie, S . U .
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der individuellen Position und Kompensation der Ohnmächtigkeit durch die Beteiligung des Betriebsrats argumentiert wird, da es durch die Mitbestimmung zu einer Kollektivierung der Arbeitnehmerinteressen und Unterordnung von Individualinteressen kommt. Der Betriebsrat handelt als Repräsentant der Arbeitnehmer grundsätzlich in deren kollektiven Interesse und nur ausnahmsweise im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers, z.B. bei der Lage des Urlaubs gemäß § 87 I Nr. 5, 2. Alt. BetrVG. So soll das Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 10 BetrVG Verteilungsgerechtigkeit gewährleisten, also die gerechte Relation der einzelnen Vergütungen zueinander. Dieses Kollektivinteresse im multilateralen Regelungsbereich ist aber nicht unbedingt identisch mit dem Individualinteresse, so daß Kollisionen im Rahmen der mehrheitlichen Interessenwahrnehmung vorprogrammiert sind 186 . Um so mehr eigene Vorstellungen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber aufgrund seiner Freiheit realisieren konnte, um so mehr werden sich Kollektiv- und Individualinteresse widersprechen 187 . Während eine an soziologische Theorien anknüpfende institutionelle Betrachtungsweise dazu führt, die Interessen der Organisation (für den verfaßten Betrieb sind dies die sog. Solidarinteressen) über die Interessen des Einzelnen zu stellen 188 , muß eine an den Grundwerten der Arbeitsverfassung orientierte Auslegung diesen Konflikt nach dem die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit des einzelnen schützende Günstigkeitsprinzip zugunsten des Individualinteresses auflösen. Dabei dürfen zwei Gesichtspunkte nicht außer acht gelassen werden, nämlich daß erstens die Mitbestimmung des Betriebsrats trotz Wahrnehmung kollektiver Interessen letztlich dem Schutz und der Förderung des einzelnen Arbeitnehmers dienen soll 1 8 9 , und zweitens das Mitbestimmungsrecht nicht nur den Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer daran hindert, im jeweiligen Regelungsbereich die sie angehenden Entscheidungen zu treffen 190 . Über die erste Hürde kommt man mit der Einsicht hinweg, daß jeder andere Weg als eine repräsentative Form für 186 Ebenso Blomeyer, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 147, 156; Rüthers, in: Zwei arbeitsrechtliche Vorträge (Hrsg. Rüthers/Boldt), S. 10 f.; Hurlebaus, S. 67 f. 187 Auch Kissel , ArbdGegw., Band 30 (1993), S. 21, 23, erkennt an, daß es sich bei dem Kollektivinteresse nicht um eine bloße Addierung der Individualinteressen handelt und daß der einzelne Arbeitnehmer dann, wenn es ihm günstig erscheint, aus der Betriebsgemeinschaft und damit aus der Betriebssolidarität auszuscheiden geneigt ist. Den Schluß, daß eine Betriebssolidarität folglich als Fiktion erscheint, zieht er jedoch nicht. 188 Vgl. Mestmäcker, Gesellschaft, S. 48, 57. Man erinnere sich dabei z.B. an die überspitzte Forderung PotthoJJs, siehe oben, §311. 189 Insoweit unstreitig, vgl. Is eie, RdA 1962, 373 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Band Π/2, § 51 Α Π, S. 1062 f.; Dietz/Richardi, BetrVG, Vor § 1, Rdnr. 1; GK-Wiese, BetrVG, vor §§ 81 ff. Rdnr. 3; Söllner, RdA 1968, 439; ders., Arbeitsrecht, § 21 m 2, S. 180; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 44 ΠΙ 4, S. 441\Jahnke t ZfA 1980, 863, 882. 190 Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 7; Hromadka, SAE 1990, 22, 23; Lieb, ZfA 1978, 179, 204 f.
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die prinzipiell anzuerkennende Mitbestimmung - also Modelle basisdemokratischer Mitwirkung an den Entscheidungen des Arbeitgebers - in der Praxis nicht gangbar ist 1 9 1 , auch wenn dies die Zweifel am Nutzen der ständigen Erweiterung der kollektiven Interessenwahrnehmung für den einzelnen Arbeitnehmer nicht ausräumt 192 . Die zweite Hürde hingegen kann weder mit einem generell zu bejahenden Schutzbedürfnis, noch mit dem Hinweis, "Preis der Mitbestimmung" sei es, daß die "Teilhabe an der Gestaltung genereller Tatbestände zur Unterordnung abweichender Individualinteressen einzelner Arbeitnehmer unter die vom Betriebsrat wahrgenommenen kollektiven Interessen führen kann" 1 9 3 . Richtig ist dies zwar insoweit, als für die Mitbestimmung ein kollektiver Tatbestand Voraussetzung ist; indes hat gerade der einzelne Arbeitnehmer keine Teilhabe an der Gestaltung 194 , so daß nur von einer Stärkung der Arbeitnehmerseite gesprochen werden kann. Daher ist der Preis der Mitbestimmung so niedrig wie möglich zu halten, und um das sicherzustellen, ist eine schon im Grundsatz eher restriktive Auslegung der Mitbestimmungstatbestände vorzugswürdig. Nach alledem ist allerdings daraufhinzuweisen, daß nicht für eine uneingeschränkten Überlassung der Arbeitsordnung den Gesetzen des Marktes eingetreten werden soll. Dies schon deshalb, weil der Gesetzgeber zu Recht auf den personalen Charakter des Arbeitsverhältnisses und die Angewiesenheit des Arbeitnehmers zum "Broterwerb" mit entsprechend sozial motivierten Gesetzen reagiert hat, die insbesondere den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sichern sollen. Für das bestehende Arbeitsverhältnis zielen diese in erster Linie auf die Sicherung des Lebensunterhalts, wobei es allerdings bedeutsam ist, zwischen Soziallohn als Mindestschutz auf der einen Seite und Leistungslohn auf der anderen Seite zu differenzieren 195 . Es ist insofern eine Besinnung auf die zivilrechtlichen Grundlagen des Arbeitsrechts notwendig, da nur auf diese Weise der freiheitlichen Konzeption der Rechtsordnung Rechnung getragen wird. Dem Arbeitgeber räumt dies einen flexiblen Handlungsspielraum ein, den er als Unternehmer benötigt, während dem Arbeitnehmer nicht gänzlich seine Vertragsfreiheit durch Kollektivierung verlustig geht. Von daher ist eine Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene - besonders in Entgeltfragen - darauf auszurichten, daß die Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber nicht
191
Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 43 I 3, S. 438 f. So auch Loritz, ZfA 1991, 1, 9 f. 193 Vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 88, 89. 194 Zu dem damit verbundenen Aspekt der wachsenden Entfremdung des Betriebsrats von den Arbeitnehmern und der Gefahr verselbständigten Handelns, vgl. Belling , Haftung, S. 49 ff.; Buchner, in: Innerbetriebliche Arbeitnehmerkonflikte (Hrsg. Tomandl) S. 35,47. 195 So auch Hromadka, FS-Der Betrieb, S. 241, 263. 192
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durch eine kollektivrechtliche Bevormundung durch den Betriebsrat ersetzt wird, sprich sie ist am Grundsatz der Subsidiarität auszurichten 196 .
4. Freiheit und Gleichheit beim Entgelt Begreift man somit das Arbeitsverhältnis als das, was es rechtlich ist, nämlich ein auf Dauer und auf Austausch von Leistungen angelegtes Schuldverhältnis aufgrund eines freien Vertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, so hat man den Gegenpol zum behaupteten Zweck der Mitbestimmung in Entgeltfragen, nämlich die Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit als Ausfluß der Gleichheit 197 . Dieses Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit 198 gilt es auch bei der Auslegung betriebsverfassungsrechtlicher Normen systemwahrend aufzulösen; dies geschieht nicht durch die einseitige Hervorhebung einer behaupteten Kollektivität der Arbeitsverhältnisse, um sie aus dem Fundament der Freiheit herauszuführen. Beides, freier Austausch und gleiche Verteilung sind zwei Seiten einer Medaille, da die Verteilung von Geldleistungen ohne deren Austausch im bilateralen Verhältnis nicht denkbar ist. Austausch- und Verteilungsgerechtigkeit beim Lohn hängen daher eng zusammen 199 , was letztlich in der Annahme deutlich wird, daß die Mitbestimmung eine mittelbare Auswirkung auf die Lohnhöhe haben kann und in der Regel auch hat. Genau in dieser mangelhaften Abgrenzbarkeit liegt das Problem des § 87 I Nr. 10 BetrVG. Mit der kaum möglichen Trennung von Lohnpolitik und -gerechtigkeit bekommt indes die Frage nach einer kollektivrechtlichen Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit eine andere als die behauptete Bedeutung: sie ist kein zentrales Problem, schon gar nicht als betrieblicher Ausschnitt des gesellschaftlichen Problems einer gerechten Einkommensverteilung, das ohne Rücksicht auf Kosten der Privatautonomie zu lösen wäre. Bei der Bestimmung der Reichweite eines Mitbestimmungsrechts, welches der Verteilungsgerechtigkeit dienen soll, kann die rechtliche Beziehung zwischen einzelnem Arbeitnehmer und Arbeitgeber und die damit beiderseits verfolgten Interessen, nämlich die Erbringung von möglichst hohen gegenseitigen Leistungen, folglich nicht mit dem Argument ausgeblendet werden, der 196
Richardi, Betriebsverfassung, S. 24 ff., folgend hat die sich aus dem Betriebsverfassungsrecht ergebende Mitbestimmung also nicht die Beseitigung, sondern die Unterstützung der Vertragsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers zum Ziel. 197 Zum vergleichbaren Zielkonflikt zwischen Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit beim Arbeitsplatzbestand, vgl. Schellhaaß, ZfA 1984, 139, 141 ff. 198 Vgl. allgemein zum Verhältnis von Freiheit und Gleichheit im Arbeitsrecht Fabricius, FS-Fechner, S. 171, 193 ff; allgemein zum Verhältnis von Freiheit des Marktes und Gerechtigkeit der Verteilung, vgl. C.F. Weizsäcker, Soziale Gerechtigkeit, S. 151 ff. 199 Vgl. Zöllner, ZfA 1993, 169.
ΠΙ. Ergebnis
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Arbeitsvertrag gehe auf jenes Regelungsproblem nicht ein. Der Regelungsbereich der Betriebsverfassung beginnt nicht ohne weiteres im direkten Anschluß an den Vertragsabschluß und der Aufnahme der Tätigkeit im Betrieb, indem sich das Arbeitsverhältnis in ein Betriebsverhältnis umwandeln würde. Auf diesen Mechanismus läßt sich die Funktion des Arbeitsvertrags nicht verkürzen, da sich darin die Privatautonomie nicht erschöpft. Vielmehr besteht im Betrieb das Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit weiter. Der Arbeitnehmer sieht sich mit seinem Individualinteresse in einem Beziehungsdreieck zum einen dem Arbeitgeberinteresse auf dem Gebiet der Freiheit und zum anderen dem durch den Betriebsrat definierten Kollektivinteresse nach Gleicheit gegenüber, das gleichzeitig gegenüber dem Arbeitgeber besteht. Unter der Prämisse, daß der Arbeitsvertrag das vorrangige Mittel der Selbstbestimmung ist, muß, um so näher ein Regelungsgegenstand der Austauschbeziehung zuzuordnen ist, das kollektive Interesse nach Gleicheit zurückstehen.
I I I . Ergebnis Hinsichtlich der Belegschaft bleibt festzuhalten, daß diese jedenfalls als soziale Realität erscheint, daß aber die sozialen bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Beziehungen der Arbeitnehmer für sich allein nicht als Begründung für die Reichweite von Mitbestimmungsrechten in sozialen Angelegenheiten dienen können. Die Besonderheit der abhängigen MZusammen"-Arbeit im Betrieb einseitig hervorzuheben, indem man personale und kooperative Elemente in das Arbeitsverhältnis hineininterpretiert, bedeutet einzelne Interessengewährleistungen der Arbeitsrechtsordnung, namentlich die Individualautonomie der Arbeitsvertragsparteien und dabei insbesondere die des Arbeitnehmers unter dem Deckmantel des für ihn angeblichen Vorteils fallen zu lassen. Davon abgesehen ist es schon verfehlt, mit soziologischen Begründungsansätzen und sei es auch im modernen Gewand der ökonomischen Analyse des Rechts im Rahmen einer dogmatischen Frage zu argumentieren. Das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander hat als Nebenverhältnis zum bilateralen Regelungsbereich nur subsidiären Charakter, wodurch es ausgeschlossen ist, jenes in das Zentrum der Prüfung der Reichweite eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats zu stellen. Insbesondere Regelungsgegenstände, die sich dem individuellen Arbeitsverhältnis zuordnen lassen, müssen danach der Regelungskompetenz der Betriebspartner entzogen sein. Kriterien für eine Zuordnung sind die Interessen aller Beteiligten und deren Gewichtung, also letztlich eine Abwägung der rechtlich verankerten Interessengewährleistungen. Die sogenannte dritte Dimension des Arbeitsrechts, sprich das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander im Sinne einer nach Herschel "horizontalen Einbettung des Arbeitsverhältnisses zu den Mit-
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arbeitern h i n " 2 0 0 , ist dabei nicht weiter zu berücksichtigen, als es um das Vorliegen eines kollektiven Tatbestandes als Voraussetzung für ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 10 BetrVG geht. Für die Auslegung der Norm bedeutet das insgesamt folgendes: soweit mit der "Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit" zum Ausdruck kommen soll, daß sich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht auf die Lohnhöhe, also auf die Austauschgerechtigkeit bezieht, ist dem zuzustimmen. Darin erschöpft sich allerdings der rechtliche Bedeutungsgehalt dieses Begriffs. Als spezielle ratio legis, die im Sinne eines "immer wenn, dann"-Rasters 201 positiv ein Mitbestimmungsrecht begründet, taugt er nicht.
200 201
AuR 1984, 204. So Matthe*, NZA 1987, 289,290.
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung Greift man nun im Rahmen einer objektiv-teleologischen Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG auf den allgemeinen Zweck notwendiger Mitbestimmung zurück, so trifft man auf vier in Rechtsprechung und Literatur vertretene Zielsetzungen - nämlich Schutz-, Ordnungs-, Teilhabe-, und Integrationszweck -, wobei das Bestehen und das Verhältnis untereinander im einzelnen umstritten sind. Dabei geht es um die zwei möglichen Grundverständnisse hinsichtlich der Stellung des Betriebsrats, entweder als eine Einrichtung der Machtbegrenzung oder eine der Mitgestaltung 1 .
I. Der Schutzzweck im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer Die allgemeine Meinung sieht zu Recht den Schutz des Arbeitnehmers als Zweck der Mitbestimmung, wobei allerdings nicht immer deutlich gemacht wird 2 , ob der einzelne oder die "Arbeitnehmerschaft" gemeint ist. Aus der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ergibt sich - nach der hier vertretenen, privatautonom ausgerichteten Auffassung jedoch nur eingeschränkt - die Notwendigkeit, durch die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes "die Grundsätze der Selbstbestimmung 3 , die Achtung vor der Würde des Menschen und den Ausgleich oder den Abbau einseitiger Machtstellungen durch Kooperation der Beteiligten und die Mitwirkung an Entscheidungen durch die von den Entscheidungen Betrof-
1
So von v.Hoyningen-Huene, NZA 1991, 7. Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit; BAG, AP Nr. 3, 4 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG, AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Hueck/Nipperdey, Arbeitrecht, Bd. Π/2, § 51 Α Π, S. 1062 ff. unter zusätzlicher Begründung mit der Demokratie und Partnerschaft im Betrieb; Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 7; Galperin/Löwisch, BetrVG, vor § 74 Rdnr. 6; Fitting/Auffarth/Kaiser/ Heither, BetrVG, § 1 Rdnr. 138 f.; GK-Wiese, BetrVG, vor § 81 Rdnr. 3, § 87 Rdnr. 73; ders., FS-BAG, S. 661, 662; Jahnke, Tarifautonomie, S. 26 f., 123 ff; ders., ZfA 1980, 863, 882 ff.; Isele y RdA 1962, 373 f.; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 153 ff., 201 ff; Gast, Arbeitsvertrag, S. 101 ff; Moll, Mitbestimmung, S. 176; Rüthers, in: Zwei arbeitsrechtliche Vorträge (Eisg.Rüthers/Boldt), S. 14 f., 33 f. 3 Das Prinzip der Selbstbestimmung hebt insbesondere GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 27 ff, 31 ff. hervor. 2
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
94
fenen" 4 zu verwirklichen. Es geht also, anders formuliert, um den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers als Persönlichkeit 5, womit allerdings nur eine sehr grobe Zielrichtung der Mitbestimmung festgestellt werden kann. Dabei ist die teilweise gezogene Schlußfolgerung, von der gesetzlichen Intention her stünden primär immaterielle Interessen des Arbeitnehmers im Vordergrund 6, nicht zutreffend. Diese Ansicht, die im Rahmen des § 87 I Nr. 10 BetrVG damit argumentiert, bezweckt sei der Schutz vor einer einseitigen und willkürlichen Lohngestaltung, mithin die innere Stimmigkeit, Angemessenheit und Transparenz des innerbetrieblichen Lohngefüges 7, verkennt nicht nur die praktisch unmögliche Trennung von Lohngerechtigkeit und Lohnpolitik, d.h. die mittelbare Auswirkung auf die materielle Seite des Lohns. Auch ist für die Beteiligungrechte davon auszugehen, daß der bezweckte Schutz je nach dem Regelungsbereich der einzelnen Norm variiert. § 87 I Nr. 10 BetrVG als eine den Lohn und somit eine materielle Arbeitsbedingung betreffende Regelung dient danach dem Schutz materieller, sprich wirtschaftlicher Interessen8, auch wenn die Lohnhöhe selbst nicht der Mitbestimmung unterliegt. Insofern bietet § 87 I Nr. 10 BetrVG einen formalrechtlichen Schutz9 durch die Beteiligung des Betriebsrats im Bereich der Lohnfindung, so wie durch die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten allgemein die Arbeitnehmerinteressen bei der Gestaltung der sie berührenden Fragen gleichberechtigt berücksichtigt werden
4
So der Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, S. 65; allerdings ist gegen eine generelle Verwendung des Aspekts des Schutzes der Menschenwürde (so insbesondere Söllner, RdA 1968, 437, 439; ders., Arbeitsrecht, S. 180) einzuwenden, daß er im Bereich der Entlohnungsfragen, also bei materiellen Arbeitsbedingungen angesichts tariflicher Mindestbedingungen auch für die Frage nach einem Mitbestimmungsrecht bei übertariflichen Zulagen keine Bedeutung hat; so auch Kreutz, Betriebsautonomie, S. 188 ff., zum Direktionsrecht des Arbeitgebers. 5 Vgl. auch die zutreffende Feststellung bei Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I, § 7 ΠΙ, S. 29, wonach das Recht der Betriebsverfassung "im Grunde nur eine besondere Form des Schutzes des einzelnen Arbeitnehmers, seiner Interessen und seiner Persönlichkeit, allerdings eine eigenartige Form, die auf dem Gedanken der Selbsthilfe der Arbeitnehmer beruht und dafür geeignete Rechtsformen zur Verfügung stellen will". 6 Vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 51 Α Π, S. 1063; Jahnke, Tarifautonomie, S. 129 ff., 133: leitende Gesichtspunkt seien die Gerechtigkeit, Billigkeit und Transparenz; ders., ZfA 1980, 863, 883 ff.; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 27. 7 Vgl. Jahnke, Tarifautonomie, S. 131 ff.; ders., ZfA 1980, 863, 884 f.; Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 493; Moll, Mitbestimmung, S. 89, 186. 8 Vgl. Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1278 mit weiteren Normbeispielen für die drei Bereiche leiblicher, materieller und ideeller Schutz. 9 Vgl. Wiese, ZfA 1989, 645, 657.
Π. Der Ordnungszweck im Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitnehmer
95
sollen 10 . Begrenzt werden soll also die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers wegen seiner faktisch überlegenen Verhandlungsposition.
I I . Der Ordnungszweck im Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitnehmer Ferner wird die Auffassung vertreten, daß die Beteiligungsrechte des Betriebsrats vorrangig bzw. neben dem Schutzzweck gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer einen Ordnungszweck gegenüber dem Betrieb als Gemeinschaft und im Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander verfolgen 11 . Das Betriebsverfassungsgesetz bezwecke die Errichtung einer Betriebsverfassungsordnung als eines homogenen Bestandteils der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialverfassung, deren Realisierung eine objektive Ordnungsaufgabe sei. Die durch das Betriebsverfassungsgesetz vorgegebenen Betriebsordnung werde durch die Betriebsvereinbarung ausgeformt und enthalte die Grundbedingungen des betrieblichen Zusammenlebens12. Somit habe der Ordnungszweck zwei Ausformungen 13 : zum einen komme der Betriebsvereinbarung eine Rationalisierungsfunktion zu, indem sie kraft ihrer normativen und unmittelbaren Wirkung für alle Betriebsangehörigen einheitliche Arbeitsbedingungen schaffe, ohne daß der Arbeitgeber auf rechtsgeschäftliche Handlungen (Einzelverträge, Änderungskündigungen, Ausübung des Direktionsrechts) mit bzw. gegenüber allen Arbeitnehmern angewiesen sei; zum anderen bestehe eine Ausgleichsfunktion, die sich darin ausdrücke, daß der Betriebsrat eine Abstimmung der Einzelinteressen der Arbeitnehmer vorzunehmen habe14. Dabei müßten etwaige Individualinteressen und damit vertragliche Regelungen ungeachtet ihrer Günstigkeit zurückstehen, "wenn ausreichende sachliche Gesichtspunkte eine kollektive Regelung der betrieblichen Ordnung erforderlich erscheinen las-
10
Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 7 m.w.Nachw. Vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG 1952; BAG, AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 124; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr.6; Löwisch, DB 1983, 1709, 1710; Rüthers, in: Zwei Arbeitsrechtliche Vortrage (Bisg.Rüthers/Boldt), S. 7, 33 ff.; Siebert, FS-Nipperdey, S. 119, 122 f.; ders., RdA 1958, 161, 163; Galperin/Siebert, BetrVG, vor § 56 Rdnr. 9; Canaris , AuR 1966, 129, 130 f.; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 293; Karakatsanis, S. 31 ff., 56, 108 f.; Travlos-Tzanetatos, S. 49 f., 64; Biberacher, Rechtssetzungsmacht, S. 120 ff., 126 f.; H. Hanau, Individualautonomie, S. 105 ff., 146; Jobs, OB 1986, 1120, 1121 f. 12 So Biberacher, Rechtssetzungsmacht, S. 121 f. 13 Vgl. Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 124; siehe dazu auch Kreutz, Betriebsautonomie, S. 198 f.,H. Hanau, Individualautonomie, S. 76 f. 14 So auch Reuter, ZfA 1975, 85, 88 f., wonach "kollektive Regelungen außer der Blockade des arbeitgeberischen Eigennutzes auch die gerechte Abstimmung der verschiedenen Einzelinteressen durch die Suche nach einem gemeinsamen Nenner erforderlich machen". 11
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
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sen" 15 . Solche Gesichtspunkte seien organisatorische Erfordernisse im Sinne der Rationalisierungsfunktion und sozialpolitische Zielsetzungen.
I I I . Der Teilhabezweck im Verhältnis Arbeitgeber/Belegschaft Besondere Eigendynamik hat der Begriff der "innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit" durch die Annahme gewonnen, daß die notwendige Mitbestimmung des Betriebsrats einen Teilhabezweck verfolge. Dieser mit Nachdruck von Wiese 16 vertretenen Auffassung folgen weite Teile des Schrifttums 17 und inzwischen auch das Bundesarbeitsgericht 18. Danach sei das Arbeitsrecht über seinen ursprünglichen Schutzzweck hinausgewachsen, indem es die Rechtsposition des einzelnen Arbeitnehmers und der Arbeitnehmer insgesamt zu stärken sucht, um sie gleichberechtigt die Arbeitsbedingungen mitgestalten zu lassen. Dementsprechend sollen die Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten eine gleichberechtigte Teilhabe der durch den Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmerseite an den sie betreffenden Entscheidungen gewährleisten. Durch diese Berücksichtigung der ideellen Arbeitnehmerinteressen beginne sich die Stellung des Arbeitnehmers vom schutzbedürftigen Objekt zum mitwirkenden Subjekt bei der Gestaltung arbeitsrechtlicher Beziehungen zu wandeln, und es werde das Prinzip formaler Gleichheit durch das Prinzip materieller Gleichberechtigung ersetzt 19. Aufgrund des generell zu bejahenden Schutzbedürfnisses und des Partnerschaftsgedankens habe der Betriebsrat bei kollektiven Tatbeständen darüber zu entscheiden, wie die Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen seien, wobei die notwendige Mitbestimmung nicht durch das Günstigkeitsprinzip verdrängt werden dürfe 20 . Bei den die 15
34.
16
Vgl. Rüthers, in: Zwei Arbeitsrechtliche Vorträge, (Hrsg. Rüthers/Boldt),
S. 7,
FS-BAG, S. 661, 662; Initiativrecht, S. 11, 26, 34 f., 44; ZÌA 1989, 645, 650 ff; GK-BetrVG, § 87 Rdnr. 73 f. 17 Vgl. Dütz/Schulin, ZfA 1975, 103, 113; Richardi, RdA 1983, 201, 278, 280; Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 80, 133; Galperin/Löwisch, BetrVG, vor § 74 Rdnr. 4, § 87 Rdnr. 50; Preis, DB 1973, 474, 477; Jobs, DB 1986, 1120, 1121; Reuter, Privatrechtsordnung, S. 35; Stark, Leistungspflichten, S. 78 f., 136 f.; Kissel , RdA 1988, 193, 194; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 69, S. 1392; ähnlich Jahnke, ZÌA 1980, 863, 883 f.; ders., Tarifautonomie, S. 130; Gast, Arbeitsvertrag, S. 106. 18 Vgl. BAG (GS) v. 3. 12. 1991, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C Π der Gründe; BAG ν. 24. 2. 1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG ν. 26. 5. 1988, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes; BAG ν. 18. 4. 1989, AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; BAG ν. 4. 7. 1989, AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; BAG ν. 30. 1. 1990, AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang. 19 So Wiese, Initiativrecht, S. 11. 20 GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 89, 92.
IV. Der Schutzzweck als Begrenzung der Betriebsautonomie
97
Belegschaft oder andere Arbeitnehmer gleichermaßen betreffende Regelungen gehe es nicht nur um die individuelle Interessenwahrnehmung gegenüber dem Arbeitgeber, sondern zugleich um die Durchsetzung kollektiver Interessen sowie den Interessenausgleich unter den betroffenen Arbeitnehmern 21. In dieselbe Richtung geht auch eine Literaturauffassung, nach der die betriebliche Mitbestimmung neben dem allgemeinen Schutzzweck in erster Linie einen Integrationszweck verfolgt 22 . Gestützt auf die Ausführungen der Mitbestimmungskommission, wonach der Arbeitnehmer durch die Institutionen der Betriebsverfassung "in die Lage versetzt wird, eigene Initiativen zur Wahrung seiner Interessen in dem Bereich zu entfalten, in dem nach arbeitsvertraglicher Regelung der Arbeitgeber allein entscheidet"23, diene die kollektivrechtliche Beteiligung der Arbeitnehmer der Verwirklichung des Gedankens der betrieblichen Partnerschaft. Der einzelne Arbeitnehmer werde aus seiner "Objektsituation" befreit, indem der Betriebsrat die Interessen der Belegschaft gegenüber den Plänen der Betriebsleitung ins Spiel bringe und auf gleichberechtigter Basis zum Wohl des Betriebes ein Kompromiß erstrebt werde 24 . Gleichzeitig bezwecke die Mitbestimmung eine Integration des einzelnen Arbeitnehmers, da sie den sozialen Ausgleich von innerbetrieblichen Spannungen verfolge.
IV. Der Schutzzweck als Begrenzung der Betriebsautonomie Ordnungs-, Teilhabe- und Integrationszweck als Grundlage einer grundsätzlich extensiven Auslegung betriebsverfassungsrechtlicher Normen ist es gemeinsam, daß durch sie der an sich anerkannte Schutzzweck im jeweiligen Sinne umdefiniert wird, obwohl an sich allgemein angenommen wird, daß die betriebliche Mitbestimmung letztlich den einzelnen Arbeitnehmer schützen soll. Soweit sich die Vertreter eines Teilhabe- bzw. die eines Integrationszwecks gegen einen Ordnungszweck aussprechen, bezieht sich das nur auf die Annahme einer Rationalisierungsfunktion; eine Affinität hingegen besteht bezüglich der Annahme, der Betriebsrat habe einen Ausgleich divergierender Arbeitnehmerinteressen herbeizuführen.
21
Wiese, ZfA 1989, 645,651. Vgl. Galperin, RdA 1962, 366 ff; Siebert, RdA 1958, 161, 163; Bulla, RdA 1965, 121 ff.; Adomeit, Regelungsabrede, S. 54 ff.; Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 7; Richardi, Kollektivgewalt, S. 292; ders., in: Festgabe für Lübtow, S. 761 f. 23 BT-Drucks. W334, S. 59. 24 So Adomeit, Regelungsabrede, S. 54 f., unter Bezugnahme auf den Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. IV/334, S. 66 f. 22
7 Wittgniber
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
98
1. Betriebliche Ordnung Dabei ist die Annahme, § 87 bezwecke betriebseinheitliche Regelungen im mitbestimmten Bereich, schon im Ansatz verfehlt. Eine solche kann auch durch den Arbeitgeber allein auf vertraglicher Ebene herbeigeführt werden 25 , was sich auch darin zeigt, daß eine betriebliche Ordnung ebenso in betriebsratlosen Betrieben besteht26. Schwerer noch als die damit mangelnde Erforderlichkeit der Mitbestimmung für die Schaffung einer einheitlichen Ordnung wiegt jedoch, daß die generelle Einheitlichkeit der betrieblichen Ordnung nach dem Wertsystem des Grundgesetzes keinen Selbstwert darstellt, den es zu berücksichtigen gilt 2 7 . Die im Gegensatz dazu verfassungsrechtlich gewährleistete Privatautonomie gebietet in diesem Zusammenhang zweierlei: den grundsätzlichen Vorrang der individuellen Gestaltungsfreiheit und daraus folgend, daß die Schaffung einer einheitlichen Ordnung dem Schutz des einzelnen dienen muß 28 , was jedoch nur ausnahmsweise der Fall sein kann wie z.B. bei der Mitbestimmung bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten etc., § 87 I Nr. 7 BetrVG. Der Grundsatz der Selbstbestimmung und das Günstigkeitsprinzip stehen der Annahme einer Rationalisierungsfunktion demnach entgegen; betriebseinheitliche Regelungen sind insofern nur Folge, nicht Zweck einer Betriebsvereinbarung.
2. Das Verhältnis von Schutz- und Ausgleichsfunktion Dagegen ist die Annahme einer Ausgleichsfunktion durchaus zutreffend. Soweit, wie im Regelfall, ein Mitbestimmungsrecht einen kollektiven Tatbestand voraussetzt, hat der Betriebsrat die Aufgabe, die Individualinteressen der Arbeitnehmer aufeinander abzustimmen, was wohl von niemandem ernsthaft bezweifelt wird. Fraglich ist indes das Konkurrenzverhältnis von Schutz- und Ausgleichsfiinktion betrieblicher Mitbestimmung. Knüpft man an den Grundgedanken der Mitbestimmung an, so muß dem Schutzzweck der Vorrang zukommen. Das Betriebsverfassungsgesetz ist mit der Intention geschaffen worden, die Gefahr einer Übermacht des Arbeitgebers bei der Leitung des Betriebes zu begrenzen und die Privatautonomie der Arbeitnehmer zu fördern 29, hingegen war es nicht das Ziel, eine Sozialautonomie der Belegschaft zu installieren 30 . Dabei wird der Schutz vor einer einseitig an den Interessen des 25 26 27 28 29 30
So auch Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1274 f. Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 7. So zutreffend Belling. , DB 1982, 2513,2515. Vgl. Biedenkopf in: Festgabe für Kronstein, S. 79, 91. Vgl. BT-Drucks. VI/334, S. 65. Vgl. Belling/Liedmeier, SAE 1990, 166, 169.
IV. Der Schutzzweck als Begrenzung der Betriebsautonomie
99
Arbeitgebers orientierten Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch eine nach § 87 I I BetrVG erzwingbare kollektive Ordnung bewerkstelligt. Die Mitbestimmung ist damit primär eine "Hilfskonstruktion" für eine angemessene Gestaltung des Arbeitsverhältnisses 31. Die gegenteilige Sicht, die den Ausgleich der einzelnen Arbeitnehmerinteressen als vorrangigen Zweck betrachtet, stellt dagegen eine von den Gesetzesmaterialien nicht gedeckte Aufwertung des multilateralen Regelungsbereichs dar, die wegen ihrer soziologischen Betrachtungsweise und ihrer tendenziellen Abkehr von der Arbeitsvertragsfreiheit abzulehnen ist.
3. Management by Betriebsverfassung ? Was schließlich die Annahme einer Teilhabe- bzw. Integrationsfunktion angeht, so steht dieser entgegen, daß sie die Grenzen der Betriebsautonomie sowohl im Verhältnis zur Stellung des einzelnen Arbeitnehmers, als auch im Verhältnis zur Arbeitgeberstellung überdehnt. Mit Blick auf den einzelnen Arbeitnehmer wird zwar zutreffend die Zielrichtung der Mitbestimmung erfaßt, die in der Begrenzung der Arbeitgeberbefugnisse, also im Schutz zu sehen ist. Allerdings blendet sie aus, daß auch der Arbeitnehmer durch kollektivrechtliche Regelungen in der Ausübung seiner Privatautonomie gehindert ist, was entscheidend gegen einen Teilhabezweck spricht 32 . Das Gegenargument eines "generell zu bejahenden Schutzbedürfnisses" stellt eine einseitige Hervorhebung der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers dar, eine These, die in dieser Verallgemeinerung abzulehnen ist 33 . Auch im betrieblichen Arbeitsverhältnis behält die Privatautonomie als Freiheitsverwirklichung ihren Sinn, so wie durch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats die Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers geschützt werden soll. Das Manko, daß an sich der einzelne geschützt werden soll, die Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten - jedenfalls bei der überwiegenden Zahl der Tatbestände - kraft Natur der Sache nur zur Durchsetzung von Kollektivinteressen dienen kann, ist praktisch nicht zu überwinden. Die gegenteiligen Denkmodelle wurden aufgezeigt: entweder man erklärt Kollektiv- und Individualinteressen für identisch, notfalls unter Zuhilfenahme eines sog. Solidaritätsprinzips oder man geht davon aus, Individualinteressen würden nicht anders real als durch das Kollektivinteresse. Bei-
31 So GMüller, BB 1957, 409, 410; vgl. auch Blomeyer, Gedächtnisschrift für Dietz, 147, 157\ Jahnke, Tarifautonomie, S. 102. 32 Ebenso Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 7; Hromadka, SAE 1990, 22, 23 f.; ders., DB 1991, 2133, 2137 für den Bereich der übertariflichen Zulagen. 33 Siehe oben § 3 Π 3.
100
§4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
des hat indes mit Selbstbestimmung nicht mehr viel gemeinsam, auch wenn man nicht davon ausgehen kann, daß der Betriebsrat typischerweise Individualinteressen mißachtet; nur nimmt er diese eben nicht wahr, woran auch die Möglichkeit eines vom Arbeitnehmer angestrengten Beschwerdeverfahrens nach § 85 I I BetrVG nichts ändert 34 . Der daraus zu ziehende Schluß kann nur sein, daß man die Individualinteressen der Arbeitnehmer nicht erst bei abweichenden Individualabreden, sondern schon bei der Reichweitenbestimmung des Mitbestimmungstatbestands insofern berücksichtigt, als eine das Synallagma betreffende Regelungsfrage nicht der Kompetenz des Betriebsrats unterliegt. M i t einem "Vorrang des Teilhabegedankens"35 dagegen entledigt man sich einer sinnvollen Reichweitenbestimmung notwendiger Mitbestimmung, die in dem Schutz des einzelnen liegt. Diese konsequent angewandt führt zu einem Entfallen eines Mitbestimmungsrecht in den Fällen, in denen ein Schutz nicht erforderlich ist, wohingegen man mit einem Teilhabezweck auch dann noch eine Mitbestimmung begründen kann, da er das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts vom Schutzzweck unabhängig gewährleistet. Damit wird unter dem Deckmantel des angeblichen Vorteils für den bzw. die Arbeitnehmer das dogmatische Fundament für eine ständig ausufernde Auslegung betrieblicher Mitbestimmungstatbestände gelegt, die nicht nur im Hinblick auf die Hilfsfunktion des Betriebsrats bedenklich ist. Auch mit Blick auf den Arbeitgeber als eigentlicher Stoßrichtung der Betriebsverfassung ist ein Teilhabe- bzw. Integrationszweck betrieblicher Mitbestimmung abzulehnen. Zwar kann der Arbeitgeber in Angelegenheiten, die unter § 87 BetrVG fallen, nicht allein entscheiden, so daß der Betriebsrat insoweit voll gleichberechtigt tätig wird und aufgrund seines Initiativrechts nicht einmal auf eine Regelung seitens des Arbeitgebers warten muß. M i t Teilhabe ist nur umschrieben, daß es sich insofern um eine notwendige Mitbestimmung handelt. Andererseits sollte der Betriebsrat trotz Mitentscheidungsbefügnis und Einigungsnotwendigkeit in sozialen Angelegenheiten durch das Betriebsverfassungsgesetz nicht zum Mitunternehmer gemacht werden 36 . Von daher kann die gleichberechtigte Mitbestimmung nur als Mittel zum Schutz des Arbeitnehmers gesehen werden, sie selbst stellt keinen Zweck dar 37 . Auch wenn die Beteiligung des Betriebsrats nach allgemeiner Meinung kein Selbstzweck sein soll 38 , kommt doch der ihr beigelegte Teilhabegedanken dem - vorsichtig 34
Anders Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1283 und ZfA 1989, 645, 648, 658. Vgl. Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1282. 36 Vgl. BT-Drucks. VI/1786, S. 31. 37 So auch Hromadka, SAE 1990, 22, 23 f.; dagegen unter Zugrundelegung des Demokratiegedankens, GK-Thiele, BetrVG, 4.Aufl., Einl. Rdnr. 21. 38 Vgl. Wiese, ZfA 1989, 645, 649 f., der sich vehement dagegen wendet, daß Hurlebaus (Fehlende Mitbestimmung, S. 24 f.), den Teilhabezweck dahingehend vrsteht, Sinn und Zweck der Mitbestimmung sei die Mitbestimmung. 35
IV. Der Schutzzweck als Begrenzung der Betriebsautonomie
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formuliert - äußerst nahe 39 , indem er der Beteiligung als solcher einen "Eigenwert" 40 zuspricht. Es ist unumstritten, daß die Mitbestimmung des Betriebsrats durchaus positive Auswirkungen haben kann 41 . Nur kann man dies nicht idealisierend als ihren Zweck ansehen, da sie weder durchweg einen uneingeschränkten Vorteil für den einzelnen Arbeitnehmer darstellt, noch das Verhältnis von Betriebs- und Unternehmensautonomie richtig abbildet. Deutlich wird das an den mit dem Teilhabe- bzw. Integrationszweck identischen Gedanken der betrieblichen Demokratie und der betrieblichen Partnerschaft 42. Am deutlichsten zeigt dabei der Teilhabezweck seine Intention in der Forderung v. Hoyningen-Huenes, man solle "den Betriebsrat heute und in den 90er Jahren nicht als Einrichtung der Machtbegrenzung, sondern als Chance zur Mitgestaltung im Betrieb betrachten. Die moderne Devise sollte lauten: Management by Betriebsverfassung" 43. Als Teil der politischen Forderung nach Verwirklichung einer "Wirtschaftsdemokratie" beinhaltet der Gedanke der betrieblichen Demokratie die Vorstellung, daß die Demokratie im Staat erst dann materiell erfüllt sei, wenn die Gesellschaft und dabei insbesondere die Wirtschaft demokratisiert werde 44 . Demokratie bedeute insofern Teilhabe durch Information und Mitwirkung deijenigen, die durch Entscheidungen betroffen sind 45 . Es gehe darum, die Herrschaft des Arbeitgebers über die Betriebsgestaltung durch Beteiligung von Arbeitnehmervertretern zu beschränken 46. Auf Unternehmensebene ist der Forderung nach Demokratisierung zuletzt durch das Mitbestimmungsgesetz 1976 Rechnung getragen worden, durch das in Ergänzung zur Montanmitbestimmung und zum Betriebsverfassungsgesetz 1952 eine paritätische Mitbestimmung für weitere Unternehmen installiert wurde. Anders dagegen stellt sich die rechtliche Lage auf der Betriebsebene dar. Ungeachtet dessen, ob eine kooperative Unternehmensverfassung verfassungsmäßig 47 oder auch nur wünschenswert ist, findet allerdings echte Teilhabe im Sinne von Mitsprache und Mitverantwortung ausschließlich auf der Unternehmens- und nicht auf der Betriebsebene statt, schon allein vor dem Hintergrund, weil es dem Betriebsrat 39
Deutlich Hromadka, DB 1991, 2133, 2136: "Erhebung der Mitbestimmung zum Selbstzweck"; ähnlich Ramrath, DB 1991, 2593, 2600 Fn. 82. 40 Vgl. Adomeit, Regelungsabrede, S. 55. 41 Vgl. oben § 1IV. 42 Vgl. dazu Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 51 Π, S. 1062. 43 N Z A 1991,7, 11. 44 Vgl. dazu Badura, RdA 1976, 275, 279 ff; v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 Π 2, S. 3 f.; Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1280 f. jeweils m.w.Nachw. 45 Vgl. v. Hoyningen-Huene, Bertriebsverfassungsrecht, § 1 Π 2, S. 3 f. 46 Vgl. MünchArbR/Richardi, § 6 Rdnr. 5; GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einl., Rdnr. 20 f. 47 Vgl. dazu kritisch Lieb, Arbeitsrecht, § 5 ΙΠ, S. 136 f.
102
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
insofern an der dafür notwendigen Sachkompetenz fehlt 48 . Von Demokratie im Betrieb kann auch deshalb keine Rede sein, da sich ein für die Gesellschaft geltendes Staatsprinzip nicht auf das hierarchisch strukturierte Gebilde von Produktionsfaktoren, zu dem die Arbeitnehmer durch schuldrechtliche Bindung gehören, übertragen läßt. Soweit aus diesem Grund von einem untechnischen Demokratiebegriff im Sinne von "sozialer Selbstbestimmung und Selbstverwaltung" 49 ausgegangen wird 5 0 , stellt dies die bekannte Vertauschung von Mittel und Zweck der Mitbestimmung dar. Es ist nicht Ziel des Betriebsverfassungsgesetzes, den Betrieb zu demokratisieren bzw. ihn in eine kollektive Selbstverwaltung zu überführen 51, sondern alleiniger Zweck ist es im Gegensatz zur Mitbestimmung auf Unternehmensebene, den Schutz des Arbeitnehmers vor einer Stellung als bloßen Produktionsfaktor durch Mitbestimmung zu gewährleisten, ihn also bei der Verwirklichung der Privatautonomie zu unterstützen 52. Insofern ist die Annahme, "durch die Teilhabe werde zugleich der Schutz verwirklicht" 53 , durchaus zutreffend. Allerdings wird dieses Verhältnis ins Gegenteil verkehrt, wenn bei Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ein "Vorrang des Teilhabegedankens gegenüber dem Schutzgedanken" 54 konstatiert wird. Es ist unstrittig, daß ein Mitbestimmungsrecht bei kollektiven Tatbeständen grundsätzlich in Betracht kommt und eingreift, wenn die weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Des sogenannten Teilhabegedankens als Ausfluß einer betrieblichen Demokratie bedarf es insofern zur Begründung nicht, da sich jenes Erfordernis unzweifelhaft aus der Gesetzesbegründung ergibt. Er dient vielmehr im Rahmen des § 87 I Nr. 10 BetrVG dazu, das dogmatische Fundament für eine extensive Auslegung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals "kollektiver Tatbestand" zu legen. Deutlich wird das durch das Argument, daß der Schutzgedanke selbst dann verwirklicht werde, wenn bei kollektiven Regelungen abweichende Individualinteressen untergeordnet würden 55 . Damit wird der ursprüngliche Schutzauftrag des Betriebsrats letztlich fallengelassen, indem er bei der für ein Mitbestimmungsrecht zentralen Frage nach dem Vorliegen eines kollektiven Tatbestands keine 48
Vgl. Loritz, ZfA 1991, 1, 22 f. Grundlegend im Zusammenhang mit Art. 165 WRV Sinzheimer, Verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung, S. 393 ff.; vgl. dazu Badura, RdA 1976, 275, 279 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 51 Π 2, S. 1063. 50 Vgl. GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 21, 31; v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 Π 2, S. 4; Badura, RdA 1976, 275, 279. 51 So aber v.Hoyningen-Huene, RdA 1994, 355, 356. 52 So auch ausdrücklich Isele, RdA 1962, 373, 375 und in: FS-Schwinge, S. 143, 145. 53 Vgl. BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung, unter C Π 1. a) der Gründe. 54 Vgl. Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1282. 55 Vgl. Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1282. 49
IV. Der Schutzzweck als Begrenzung der Betriebsautonomie
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Berücksichtigung findet. Das Abstellen auf eine kollektive Selbstverwaltung führt dazu, individuelle Aspekte eines zu subsumierenden Sachverhalts unter den Tisch fallen zu lassen. Außerdem ist ein weitergehendes Verständnis der betrieblichen Mitbestimmung in Richtung Wirtschaftsdemokratie weder ausweislich der Gesetzesmaterialien bezweckt 56 , noch mit dem Grundsatz der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit vereinbar 57. Die soziale Selbstverwaltung ist vielmehr der Unternehmensebene vorbehalten, woran auch nichts der Umstand ändert, daß die Mitwirkungsbefügnisse des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten grundsätzlich stärker ausgestaltet sind als in wirtschaftlichen, die Unternehmensführung mehr betreffenden Angelegenheiten. Selbst aufgrund der Einigungsnotwendigkeit der Betriebsparteien im Rahmen des § 87 BetrVG kann deren Zielsetzung nicht in einem Demokratieprinzip gefunden werden, da der Betriebsrat durch das Betriebsverfassungsgesetz gerade nicht zum Mitunternehmer aufgerufen ist 58 . Der Partnerschaftsgedanke schließlich ist der Sache nach nichts anderes als die in §§ 2 I, 74 I BetrVG angeordnete Kooperationsmaxime, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat vertrauensvoll zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammenarbeiten sollen. Einen darüberhinausgehenden Bedeutungsinhalt weist er nicht auf. Jedoch wird mit dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit weder ein Ziel betrieblicher Mitbestimmung definiert, noch werden die Arbeitnehmer zum "Partner" des Arbeitgebers. Teilhabe- und Partnerschaftsgedanke betreffen ausschließlich das "wie" der Mitbestimmung, das heißt die Art und Weise ihrer Ausübung, wohingegen das "ob" der Mitbestimmung, mithin das Bestehen und der Umfang eines Mitbestimmungsrechts davon unberührt bleiben. Ersterer umschreibt die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte, also insbesondere die Einigungsnotwendigkeit in sozialen Angelegenheiten oder die bloße Mitwirkung durch abgestufte Rechte wie z.B. Informations- und Anhörungsrechte bei anderen Tatbeständen59, wobei nur im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung von einer echten Teilhabe gesprochen werden kann. Letzterer zieht in §§ 2 I, 74 I BetrVG, ergänzt durch die Friedenspflicht nach § 74 I I BetrVG, lediglich den Betriebspartnern Arbeitgeber und Betriebsrat Grenzen bei der Verfolgung ihrer gegensätzlichen Interessen. Insbesondere aber ist der Partnerschaftsgedanke nicht Selbstzweck des Betriebsverfassungsrechts 60, das heißt seine Verwirklichung ist abhängig von dem Bestehen eines Mitbestimmungsrechts, dessen Eingreifen ohne Blick 56
Vgl. BT-Drucks. VI/ 1786, S. 31. Siehe oben § 1 Π 2 b). 58 Vgl. Biedenkopf, BB 1972, 1516 ff. 59 Vgl. zu den einzelnen Arten der Beteiligungsrechte v.Hoyningen-Huene, triebsverfassungsrecht, § 11 12, S. 190 ff. 60 So auch Kreutz, Betriebsautonomie, S. 238 f. m.w.Nachw. 57
Be-
104
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
auf die insofern nachrangige betriebliche Partnerschaft festzustellen ist. Betriebliche Mitbestimmung dient nicht dem "sozialen Ausgleich" zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern "als solchem" 61 . Eine Verhaltensmaxime für gemeinsames Handeln kann nämlich erst dann einsetzen, wenn dieses gesetzlich vorgeschrieben ist. Bringt man schließlich die Arbeitnehmer in Verbindung mit dem Partnerschaftsgedanken, so findet sich diesbezüglich der zentrale Begründungsansatz bei Hueck/Nipperdey im Zusammenhang mit dem Streit um die Rechtsträgerschaft von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten. Danach sei es "soziologisch, sozialpolitisch und menschlich bedeutsam, die Arbeitnehmer im Betrieb als Rechtsträger anzuerkennen und ihnen das Bewußtsein zu geben, Mitarbeiter und Partner zu sein" 62 . Es muß schon bezweifelt werden, daß ein Partnerschaftsbewußtsein durch die Vetretung seitens des Betriebsrats entsteht 63 ; selbst die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf des BetrVG 1972 fuhrt aus, daß "trotz der umfassenden Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft durch den Betriebsrat beim einzelnen Arbeitnehmer insbesondere in größeren Betrieben vielfach das Gefühl einer bloßen Objektstellung weiterbesteht" 64. Letztlich mag dies dahinstehen, bedeutsam ist allein, sich die Entwicklungslinie dieser Ansicht zu verdeutlichen. Aufgrund soziologischer Betrachtung wegen der angeblich größeren Lebensnähe des Arbeitsrechts und darauf gründender Überbetonung der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb wird ein generelles Schutzbedürfnis wegen der Abhängigkeit des Arbeitnehmers und damit korrespondierender einseitiger Gestaltungsmacht des Arbeitgebers angenommen, welchem nur durch betriebsrätliche Vertretung zum Zwecke der Teilhabe und Partnerschaft genügt werde. Der damit im Sinne einer Mitverantwortung der durch den Betriebsrat repräsentierten Belegschaft für den Betrieb 65 idealisierte Partnerschaftsgedanke und der darauf beruhende Teilhabezweck verdecken indes, daß der einzelne Arbeitnehmer gerade nicht an den Entscheidungen beteiligt ist und kollektive Regelungen nicht nur den Arbeitgeber, sondern auch ihn an der Ausübung seiner Privatautonomie hindern. So stilisiert wird der Gedanke der betrieblichen Partnerschaft überstrapaziert, so wie die Teilhabe falschlich zum Zweck der Mitbestimmung umdefiniert wird.
61 62 63 64 65
So Kreutz, Betriebsautonomie, S. 238 Fn. 218. Vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. Π/2, § 52 A I, S. 1086. In diesem Sinne auch Kreutz, Betriebsautonomie, S. 29 f. BR-Drucks. 715/70, S. 47. Vgl. GK-Thiele, BetrVG, 4. Aufl., Einl., Rdnr. 61.
V. Ergebnis zum ersten Teil
105
4. Zwischenergebnis Nach alledem ist jede sozialpoltische Umdeutung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, sei es durch die Annahme eines vorrangigen Ordnungsoder die eines Teilhabe- bzw. Integrationszwecks, abzulehnen. Insbesondere wenn man der betrieblichen Mitbestimmung einen Teilhabezweck zugrundelegt, gerät man automatisch in ein privatrechtsfremdes Grundverständnis des Betriebsverfassungsrechts. Vielmehr liegt diesem ausschließlich ein Schutzzweck zugrunde, ratio legis ist mithin die Unterstützung der Privatautonomie des Arbeitnehmers als Schutz vor dem Arbeitgeber. Der Schutzzweck begrenzt zugleich die Gestaltungsmacht des Betriebsrats. Denn der mit der Zwangsrepräsentation einhergehende Freiheitsverlust des Arbeitnehmers 66 darf nicht weiter gehen, als es dieser Zweck erfordert 67. Die eingangs angesprochene Frage nach dem Grundverständnis von der Funktion des Betriebsrats ist dahingehend zu beantworten, daß es sich bei ihm um eine Einrichtung der Machtbegrenzung und nicht der Mitgestaltung handelt. Er ist primär Repräsentant der Arbeitnehmer und nur sekundär Institution des Betriebes.
V. Ergebnis zum ersten Teil Die ins Zentrum der Auslegung gerückte Frage nach einer in der Gewährleistung von Lohngerechtigkeit liegenden ratio legis verstellt den Blick darauf, daß sich die Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats in Entgeltfragen letztlich nur durch das Verhältnis zu den anderen Gestaltungsfaktoren des Entgelts bestimmen läßt. Das gilt um so mehr, als diese spezielle ratio legis in Verbindung mit der in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Annahme eines Teilhabe- bzw. Integrationszwecks geeignet ist, eine systemwidrige Eigendynamik zu entwickeln und damit die an sich anerkannten Grenzen des Mitbestimmungsrechts zu überschreiten. Dagegen ist es Ziel der Rechtsdogmatik, die sich gegenseitig bedingenden Forschungsgegenstände, nämlich Inhalt und Systematik des geltenden Rechts zu erfassen, um so durch Einpassung in das Gesamtgefüge die Reichweite und Grenzen einer Rechtsvorschrift abschließend beurteilen zu können 68 . Dabei kommt für § 87 I Nr. 10 BetrVG hinzu, daß ein subsumierbarer Begriff angesichts der generalklauselartigen Weite weder mit dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal "betriebliche Lohngestaltung", noch mit dessen Konkretisierung "innerbetriebliche Lohngerechtigkeit" zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber hat offensichtlich darauf verzichtet, einen optimalen Ausgleich der beteiligten Interessen in dieser Norm 66 67 68
Vgl. oben § 2 m.2.a). Im Ergebnis ebenso Belling , Haftung, S. 42. Vgl. Dütz/Schulin, ZfA 1975, 103, 104 f.
106
§ 4 Der allgemeine Sinn und Zweck der notwendigen Mitbestimmung
festzuschreiben. Die Reichweite der Norm kann demnach nicht aus ihr selbst heraus ermittelt werden, zumal die Frage nach einem besonderen Mitbestimmungszweck nicht sinnvoll ist. Für die Auslegung bedeutet dies, daß es allein darauf ankommt, Wertungswidersprüche zu vermeiden bzw. die Interessengewährleistungen anderer arbeitsrechtlicher Normen zu berücksichtigen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 10 BetrVG darf demzufolge nicht zu Widersprüchen innerhalb des bestehenden Systems der arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren und der hinter ihnen stehenden Autonomiebereiche - Tarif-, Unternehmens- und Individualautonomie - führen, das heißt es kann nur soweit bestehen, als es sich in dieses System einfügen läßt, wobei im Rahmen der Auslegung der Schutzzweck der Mitbestimmung zugrundezulegen ist. Dabei ist die Mitbestimmung nach dem gesetzgeberischen Willen auf kollektive Tatbestände beschränkt. An diesem Maßstab ist im folgenden das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei übertariflichen Zulagen zu prüfen.
2. Teil
Voraussetzungen und Grenzen des Mitbestimmungsrechts bei übertariflichen Zulagen § 5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts Gesetzlich begrenzt wird die Betriebsautonomie durch den im Einleitungssatz des § 87 I BetrVG normierten Tarifvorrang und durch den Tarifvorbehalt des §77 I I I BetrVG.
I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG Nach dem Eingangssatz des § 87 I BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur dann, wenn eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Während der Gesetzesvorrang für den Zulagenbereich keine Rolle spielt, stellt sich die rechtliche Situation im Hinblick auf die in der Praxis üblichen Entgelttarifverträge anders dar. Hier stellt sich die Frage nach der Reichweite der Sperrwirkung einer tariflichen Regelung oder genauer gesagt, welche Anforderungen an ihre Beschaffenheit zu stellen sind, was von der seit jeher umstrittenen ratio legis des Eingangssatzes abhängt.
1. Bedeutung des Tarifvorrangs a) Entbehrlichkeit
des doppelten Schutzes der Arbeitnehmer
Zum einen wird dessen Normzweck nach der namentlich von Wiese vertretenen Auffassung und ihm folgend in der Rechtsprechung allein aus der ratio legis der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten hergeleitet 1, welche in 1
BAG-GS v. 3. 12. 1991, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; BAG ν. 24. 2. 1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG ν. 18. 4. 1989, AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Wiese, FS-BAG, S. 661, 662; ders., in: GK-BetrVG, § 87 Rdnr. 41; Jahnke, Tarifautonomie, S. 159 ff.; Simitis/Weiss, DB 1973,1240, 1246 ff.; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 221 f.; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 42, 45; zum BetrVG 1956, vgl. Nikisch, Arbeitsrecht Bd. ΙΠ, S. 378 f.; einschränkend im Hinblick auf die ratio
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§5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts
der inzwischen überwiegenden Meinung darin besteht, im Hinblick auf die soziale Abhängigkeit des Arbeitnehmers und des Teilhabegedankens einzelvertragliche Vereinbarungen wegen der dabei gestörten Vertragsparität zurückzudrängen und das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers durch kollektive betriebliche Regelungen zu ersetzen2. Sei danach ein solcher Schutz der Arbeitnehmer schon durch eine tarifliche Regelung gegeben, wäre eine betriebliche Mitbestimmung nicht notwendig, worin die Bedeutung des Tarifvorrangs liege. Auf der Grundlage dieses Normzwecks hatte der 1. Senat noch in seiner Entscheidung vom 31.1.1984 angenommen, daß eine tarifliche Entgeltregelung ein Mitbestimmungsrecht bei übertariflichen Zulagen ausschließt3. Diese seien wie das tarifliche geregelte Arbeitsentgelt schlichtes Entgelt für die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitnehmers und daher dem Gegenstand nach ebenfalls tariflich geregelt. Dem Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 I Nr. 10 BetrVG sei Genüge getan, wenn ein Tarifvertrag den Zeitlohn nach bestimmten Lohn- und Gehaltsgruppen regele, da somit die Tarifvertragsparteien bestimmt hätten, wie die Lohngerechtigkeit im Sinne eines billigen Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern verwirklicht wird. Dagegen würde eine mitbestimmte Regelung über übertarifliche Zulagen eine im Hinblick auf § 87 I ES BetrVG unzulässige Ersetzung der tariflichen Regelung darstellen, da die damit herbeigeführte betriebliche Lohngerechtigkeit wegen der Berücksichtigung zusätzlicher Gesichtspunkte nicht mit der tariflichen übereinstimmen würde. Angeregt durch eine kritische Anmerkung v.Hoyningen-Huenes 4 an dieser Entscheidung, vollzog der 1.Senat mit Beschluß vom 17.12.19855 wiederum unter Rekurs auf Wiese die entscheidende Kehrtwende in der Zulagenrechtdes § 77 ΠΙ BetrG, v.Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 796; v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 12 I 2, S. 237 f.; Kissel , ArbRdGgw. Bd. 30 (1993), S. 21, 24; ders., NZA 1986, 73, 76 f.; ders., NZA 1995, 1, 4 f.; Gast, BB 1987, 1249, 1250; Richardi, Anm. zu AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; Weyand, AuR 1989, 193, 195. 2 Vgl. zusätzlich die Nachweise oben § 4 ΙΠ. 3 AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang m.zust.Anm. Wiedemann, unter Verweis auf Wiese, FS-BAG, S. 661 ff., und dem von ihm vertretenen Zweck des Einleitungssatzes. 4 SAE 1985, 298, 300. 5 AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang mit abl. Anm. Kraft, seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG-GS v. 3. 12. 1991, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C Π der Gründe, sowie BAG ν. 24. 11. 1987, 10. 2. 1988 und 14. 12. 1993, AP Nr. 31, 33, 65 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ebenso GKWiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 680; Löwisch, AR-Blattei, Betriebsverfassung XIV B, Anm. zu Entsch. 91; Herbst, DB 1987, 738; Trittin, AuR 1991, 329, 330 f.; Weyand, AuR 1993, 1,6.
I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG
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sprechung. Plötzlich genügt ein Entgelttarifvertrag nicht mehr dem Schutzbedürfhis der Arbeitnehmer, mit dem Argument, daß dieser nur Mindestarbeitsbedingungen setze, wodurch seine Regelungen für übertarifliche Zulagen gerade nicht diejenige Schutzwirkung entfalten könne, um derentwillen dem Betriebsrat bei der Lohngestaltung ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt worden sei6. Der rechtlichen Wertung liegt damit ein aufgespaltener Entgeltbegriff zugrunde und dementsprechend werden die Regelungskompetenzen verteilt: den Tarifvertragsparteien obliegt die Regelung des Grundlohns, den Betriebsparteien die der Zulagen. Dementsprechend führt der Große Senat aus, daß die Kriterien für übertarifliche Zulagen ohnehin nicht nach den Vorgaben von Tarifverträgen verteilt würden, so daß es allein um die Alternative gehe, ob der Arbeitgeber allein die Kriterien für die Verteilung bestimme oder ob er sich mit dem Betriebsrat darüber einigen muß7. Um ersteres auszuschließen, darf der TarifVorrang nicht eingreifen. Die Richtigkeit der beiden Prämissen eines Teilhabezwecks und eines aufgespaltenen Entgeltbegriffs vorläufig unterstellt, erscheint dieses Ergebnis zunächst schlüssig.
b) Sicherung der Tarifautonomie
aa) Rückgriff auf die ratio des Tarif vorbehalts M i t der Entbehrlichkeit doppelten Schutzes allein ist indes der Sinn des § 87 I ES BetrVG nicht abschließend festgelegt. Vielmehr dient er wie der Tarifvorbehalt des § 77 I I I BetrVG ebenso der Sicherung der Tarifautonomie vor konkurrierenden Regelungen auf betrieblicher Ebene8, da es ansonsten nicht zu erklären wäre, warum auch günstigere betriebliche Regelungen nicht erzwungen werden dürfen 9. Soweit dem entgegengehalten wird, im Bereich der notwendigen Mitbestimmung bei materiellen Arbeitsbedingungen gewährleiste schon der § 77 I I I BetrVG das Normsetzungsmonopol der Tarifpartei6
Unter Β Π 3 der Gründe. BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C Π 2 c) aa) der Gründe. 8 Vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 115; Lieb, ZfA 1978, 179, 204 ff.; Säcker, ZÌA Sonderheft 1972, S. 41, 64; ders., BB 1979, 1201, 1203; Moll, Tarifvorrang, S. 18 ff., 26 f.; Wiedemann/Stumpf TVG, § 4 Rdnr. 275 f.; Birk, Anm. zu EzA Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht; Wank, RdA 1991, 129, 137; Kraft, FSMolitor, S. 207, 212 f.; Reuter, Vergütung, S. 26 ff.; Joost, ZfA 1993, 257, 266 f.; so auch noch der 1.Senat in seinem Beschluß vom 22. 12. 1981, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Β ΠΙ 3 der Gründe. 9 So Lieb, ZfA 1978, 179, 205; Moll, Tarifvorrang, S. 19. 7
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§ 5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts
en 10 , ist von dem grundsätzlichen Streit um diese Frage 11 abgesehen nicht recht einsichtig, warum der Einleitungssatz des § 87 I BetrVG in dieser Hinsicht vom Tarifvorbehalt abhängig sein sollte; im übrigen ist es nicht ungewöhnlich, daß eine Norm mehrere Zwecke gleichrangig nebeneinander verwirklichen soll 12 . Auch der Einwand, unberücksichtigt bliebe die Bedeutung des Gesetzesvorbehalts, da der Gesetzgeber mit Sicherheit keines Schutzes bedürfe und eine unterschiedliche Zwecksetzung innerhalb einer Vorschrift nicht in Betracht komme 13 , vermag insofern nicht zu überzeugen, als letzteres durchaus vorstellbar ist, denn warum sollte der Gesetzgeber nicht der Einfachheit halber zwei voneinander unabhängige Regelungsziele in einem Absatz festschreiben. Insgesamt gebietet es allein schon die in Art. 9 I I I GG getroffene Grundsatzentscheidung für ein funktionierendes Tarifwesen, dessen Schutz als Gesichtspunkt bei der Auslegung deijenigen Normen zu berücksichtigen, die das Verhältnis zu anderen Gestaltungsfaktoren bzw. deren Grundlagen regeln. Wenn dabei im Hinblick darauf teilweise vermittelnd eingeräumt wird, daß man durchaus von zwei Zwecksetzungen ausgehen kann, wobei aber dem Konkurrenzschutzgedanken lediglich die Funktion einer ratio generalis zugewiesen wird, "wohingegen die aus dem speziellen Sinn und der Bedeutung des § 87 BetrVG abgeleitete andere Zweckbestimmung die ratio specialis des Eingangssatzes ist" 1 4 , so entbehrt dies nicht nur jeder Begründung, sondern dann sollte auch konsequent der hier vertretene Ansatz verworfen werden. Wenn die für § 77 I I I BetrVG anerkannte ratio legis auch für den Einleitungssatz des § 87 I BetrVG Anwendung findet, muß sie Bedeutung für die Entbehrlichkeit des doppelten Schutzes haben.
bb) Gefährdung durch betriebliche Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen Die Rechtsprechung und die ihr folgenden Literaturvertreter haben damit schon deswegen kein Problem, da sich nach deren Meinung das Mitbestim10
Vgl. Wiese, FS-BAG, S. 661 Fn. 8; Jahnke, Tarifautonomie, S. 161; Hromadka, DB 1986, 1921, 1922; dersDB 1988, 2636, 2640; dagegen Moll, Tarifvorrang, S. 19 Fn. 37. 11 Siehe unten Π; zu recht wendet sich Wiese, SAE 1989, 6 ff., energisch gegen die nunmehr vom BAG vertretene Vorrangtheorie, das ihm damit ausnahmsweise einmal die Gefolgschaft verweigert und in Verbindung mit dem übereinstimmend favorisierten Zweck des Tarifvorrangs der Mitbestimmung in materiellen Angelegenheiten und damit in Lohnfragen Tür und Tor öffnet. 12 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 92 ff; Hönn, Kompensation, S. 73. 13 Vgl. Wiese, FS-BAG, S. 661, 664; ders., in: GK, BetrVG, § 87 Rdnr. 40; Jahnke, Tarifautonomie, S. 160; Hromadka, DB 1988, 2636,2640. 14 Vgl. Bakopoulos, Zuständigkeitsverteilung, S. 115.
I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG
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mungsrecht gerade nur auf die den Tariflohn übersteigende Zulage bezieht und von daher die Tarifautonomie nicht in Mitleidenschaft gezogen werden kann. A n dieser Annahme eines aufgespaltenen Entgeltbegriffs 15 stört indes, daß sie die Funktion der übertariflichen Zulage, nämlich die Erhöhung des Entgelts, außer Betracht läßt. Sie ist damit notwendig selbst Teil dieses Entgelts 16 . Anders nämlich als die außertarifliche Zulage knüpft die übertarifliche an die Regelungen des Tarifvertrages an, so daß es seltsam anmutet, diese als eigenständigen Regelungsbereich zu begreifen. Der gegenteiligen Sicht liegt unausgesprochen die Vorstellung von Reuter zugrunde, wonach im Betrieb nicht ein reiner Arbeitsmarktlohn, sondern ein EfEzienzlohn gezahlt wird, der sich an der Integrationsleistung des Arbeitnehmers orientiert und insgesamt der Schaffung eines positiven Betriebsklimas dienen soll 17 , womit die Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit in den Mittelpunkt der rechtlichen Erwägungen rückt. Auf dieser Grundlage erscheint fälschlich die mitbestimmte Zulagenverteilung ausschließlich als Frage der Betriebsorganisation, die die tarifliche Regelungsebene unberührt läßt, oder verkürzt gesagt, danach wird auf betrieblicher Ebene ein anderer als der tarifliche Lohn gezahlt. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich bei der Aufspaltung des Lohns in einen tariflichen und in einen übertariflichen Bestandteil um einen Folgeschaden der Topftheorie handelt, mit der ursprünglich nur die Mitbestimmungsfreiheit des sog. Dotierungsrahmens beschrieben werden sollte. Was bei Sozialleistungen und Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wegen ihrer in der Regel gegebenen Begrenzung in der Gesamtsumme seinen, wenn auch zweifelhaften Sinn macht, um der Freiwilligkeit der Gewährung Rechnung zu tragen, führt offensichtlich zu der Versuchung, die dort angewandten Grundsätze auch auf andere freiwillige Leistungen zu übertragen und dafür bedarf es eben derselben Betrachtungsweise 18. Daß übertarifliche Zulagen Bestandteil des Gesamtlohns sind, wird schon auf den ersten Blick erkennbar in den Fällen, in denen der Arbeitgeber die 15 Diese Sichtweise muß sich zu recht harsche Kritik gefallen lassen, vgl. Kraft, Anm. zu AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang: "Sophisterei"; ders., FS-Molitor, S. 207, 212: "Haarspalterei"; Stege/Rinke, DB 1991, 2386, 2387: " Gekünstelte Aufspaltung". 16 Vgl. Kraft, FS-Molitor, S. 207, 212; Joost, ZfA 1993, 257, 267; Stege/Rinke, DB 1991, 2386, 2387; Lieb, SAE 1990, 226, 230; SAE 1993, 114, 116; Goos, NZA 1986, 701, 703; Kappes, DB 1986, 1520; Hönsch, BB 1988, 700; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 510. 17 Vgl. Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, siehe dazu oben § 2 ΠΙ 1 b).; deutlich in diesem Sinne im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines kollektiven Tatbestands, BAG ν. 14. 6. 1994, AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, vgl. unten § 612. 18 Die Annahme eines gerecht zu verteilenden Zulagentopfes hat daneben grundlegende Bedeutung für das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands, siehe § 6 ΠΙ 2.
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§ 5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts
Zulagen der Höhe nach als Prozentsatz des jeweiligen Tariflohns gewährt oder nur ein Effektivlohn vereinbart ist, aus dem die Zulagenhöhe erst herausgerechnet werden müßte. Aber selbst wenn die tariflichen Entgelte ungleichmäßig durch Zulagen aufgestockt werden und damit ein sich über der tariflichen Ebene erhebendes "zerklüftetes Gebirge" entsteht19, kann das keine Kompetenz des Betriebsrats zur Neuregelung des "betrieblichen Zulagengestrüpps" 20 zur Folge haben. Begreift man die Zulage richtig als Entgelt und nicht als "Zulage dazu", greift die dafür angeführte Begründung nicht durch, die Tarifautonomie könne nicht tangiert werden, weil sich eine den Zulagenbereich regelnde Betriebsvereinbarung nur auf das Entgelt beziehe, welches den tariflichen Mindeststandard überschreite. Vielmehr eröffnet eine Mitbestimmung über die Vergabekriterien dem Betriebsrat die Möglichkeit der Profilierung gegenüber den Gewerkschaften vor den Arbeitnehmern und damit geht eine schwindende Attraktivität der gewerkschaftlichen Vertretung einher 21 . Dieser bzw. der Tarifautonomie kommt die grundsätzliche Aufgabe zu, eine Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens durch in Gemeinschaft mit den Arbeitgeberverbänden festgelegter Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen herbeizuführen 22 , was nicht durch einen Ansehensverlust aufgrund besserer betrieblicher Regelungen untergraben werden darf 23 . Daß dies gerade für die Gestaltung des Lohns von besonderer Relevanz ist, wird von niemandem bezweifelt. Nun kann zwar der Betriebsrat wegen der Mitbestimmungsfreiheit des Gesamtvolumens des Zulagenbereichs keine Begünstigung für alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer heraushandeln, aber durch erzwingbar andere Verteilungskriterien kommt es bei einzelnen Arbeitnehmergruppen im Ergebnis zu einem höheren Effektivlohn, den diese wohl kaum als Erfolg der sie vertretenen Gewerkschaft ansehen. Insbesondere im Anschluß an Tariflohnerhöhungen besteht die Gefahr einer betrieblichen Lohnrunde, in der festgelegt wird, wie der dadurch veränderte oder gleichgebliebene Zulagenbereich im Hinblick auf den Tariflohn zu verteilen ist 24 . Insgesamt bekommt der Betriebsrat einen Zugriff
19
So Trittin, AuR 1991, 329, 330 f. So Tnttin, AuR 1991, 329, 331. 21 Ebenso Joost, ZfA 1993, 257, 267; Kraft, FS-Molitor, 207, 213; Reuter, ZfA 1995, 1, 64; ders., RdA 1994, 152, 166; siehe aber auch ders. oben bei Fn. 17; zu dieser grundsätzlichen Frage vgl. Biedenkopf Tarifautonomie, S. 278 ff.; 303 ff.; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 33 ff., 69 ff. 22 Vgl. BVerfGE 18, 18, 27 f.; GMüller, AuR 1992, 257 ff. m.w.Nachw. 23 Dies sieht auch der 1.Senat, wenn er in seinem Beschluß vom 24. 2. 1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972, mit der er sich der Vorrangtheorie anschloß, ausführt: "Die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifvertrag kann durch betriebliche Regelungen, die notwendig an den jeweiligen betrieblichen Besonderheiten orientiert sind und gesamtwirtschaftliche Erwägungen unberücksichtigt lassen können, präjudiziell und in bestimmte, möglicherweise nicht gewollte Bahnen gelenkt werden". 24 Vgl. zu dem praktisch wichtigsten Fall der Anrechnung, unten § 7. 20
I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG
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auf die Entgelthöhe, die im Hinblick auf die Ordnungsfunktion der Gewerkschaften kaum haltbar ist. Auf der Grundlage eines einheitlichen Entgeltbegriffs bedarf es also nicht nur keines weiteren Schutzes der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat bezüglich der Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit, weil dafür schon die Tarifvertragsparteien gesorgt haben, sondern darüber hinaus stellt ein Mitbestimmungsrecht über die Vergabekriterien durch die daraus resultierende Ersetzung der von den Tarifpartnern festgelegten Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit eine Gefährdung der Tarifautonomie dar, die durch § 87 I ES BetrVG gerade verhindert werden soll, ganz wie es das Bundesarbeitsgericht noch 1984 zutreffend festgestellt hatte. Allerdings ist anzumerken, daß man nicht leichtfertig das beliebte Argument einer Gefahrdung der Tarifautonomie ins Feld führen darf. Dies geschieht allzu vorschnell im Rahmen der verschiedensten arbeitsrechtlichen Fragen 25 , angefangen als Reaktion der Gewerkschaften anläßlich der alljährlichen von außen an die Tarifpartner herangetragene Mahnung, realitätsorientierte Abschlüsse anzustreben, über die tarifvertragliche Kompetenzerweiterung der Betriebsparteien 26 bis hin zum Vorschlag gesetzlicher Tariföffnungsklauseln27. Gleichwohl tut sich eine beachtliche Entwicklungslinie auf, die weg von der Tarif-, hin zu einer Stärkung der Betriebsautonomie führt. Diese ist, wie die Forderung nach mehr Vertragsrecht im Arbeitsrecht, Teil der aktuellen Diskussion um dessen zukünftige Ausrichtung, welche auf der einen Seite von Deregulierung, auf der anderen Seite von Restauration 28 geprägt ist 29 . Allein die Tarifautonomie betrachtet, zeigt sich schon abseits
25 Vgl. zu den echten und vermeintlichen Gefährdungen der Tarifautonomie, Buchner, FS-Kissel, S. 97 ff. 26 Vgl. dazu Kissel, NZA 1986, 73 ff; Weyand, AuR 1989, 193, 196 ff; Zachert, Sicherung und Gestaltung, S. 45 ff. 27 So der inzwischen berühmt berüchtigte Vorschlag Nr. 86 der Deregulierungskommision: "Der Tarifvertrag kann im Notfall durch Betriebsvereinbarung zeitweilig abbedungen werden"; vgl. dazu die ausführliche und ablehnende Stellungnahme von Kempen, ArbdGgw. Bd. 30 (1993), S. 97, 99 ff; vgl. auch Reuter, RdA 1991, 193, 201 f. und RdA 1994, 152, 159 ff, der sich für eine Betriebsvereinbarungsdispositivität des Tarifvertrags ausspricht. 28 Vgl. pointiert Gast, Tarifautonomie, S. 36 f., der als Anhänger einer erweiterten Betriebsautonomie meint, der Zweifel an der Kooperationsfahigkeit von Gewerkschaft und Betriebsrat, der Grundlage des Tarifprivilegs darstelle, habe "eine museal werdende Zwangsveranstaltung, die nach Wegfall ihrer Realbedingungen zur Wohltat ihrer Destinare und Funktionäre am Leben zu erhalten sei", im Sinn. 29 Schon in ruhigeren Zeiten, als z.B. die Mitbestimmungsrechte nach § 87 I Nr. 3 und 10 BetrVG in der Praxis noch keine große Rolle spielten, wurde die Konkurrenz im Vertretungsanspruch problematisiert, allerdings nicht so dramatisch. Von Gewerkschaftsseite wurde das Partnerschaftsgebot des § 2 I BetrVG wegen seiner entsolidarisierenden Wirkung und damit einhergehendem Attraktivitätsverlust der Gewerkschaften angegriffen (vgl. Muhr, AuR 1982, 1, 2 f.), von der anderen Seite kam der Vor8 Wittgruber
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rechtlicher Erwägungen ihre tatsächliche Funktionskrise, was besonders deutlich an der immer häufiger anzutreffenden Flucht der Arbeitgeber aus dem Tarifvertrag und an der Mißachtung der die Tarifautonomie schützenden Vorschriften seitens der Betriebspartner wird 3 0 . Auch hinsichtlich des Nutzens gewerkschaftlicher Tariflohnpolitik kann man durchaus geteilter Meinung sein. Aus diesem Grund fordert z.B. Adomeit eine Stärkung der Stellung des Betriebsrates, insbesondere hinsichtlich ablösender Betriebsvereinbarungen, gleichzeitig spricht er sich aber für eine uneingeschränkte Überlassung des Zulagenbereichs an die Vertragsfreiheit aus 31 . Darin wird der richtige Ansatz deutlich, daß ausschließlich anhand des konkret zu regelnden Bereiches eine Zuordnung zu den einzelnen Regelungsebenen erfolgen muß und vor allen Dingen eine fehlende Regelungskompetenz auf tariflicher Ebene nicht automatisch eine betriebliche begründen kann, da es nach wie vor, von der gesetzlichen abgesehen, drei zu beachtende Gestaltungsebenen der Arbeitsbedingungen gibt. Dementsprechend ist der Streit um die Zukunft des Arbeitsrechts nicht allein auf das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie zu verkürzen, so wie es zuweilen gehandhabt wird. Ebenso liegt die Krise der Tarifautonomie nicht allein im Betriebsverfassungsrecht mit seinem immanenten Systembruch einer Erstreckung des Mitbestimmungsrechts auf materielle Arbeitsbedingungen wie in § 87 I Nr. 10 BetrVG begründet, sondern ist insofern hausgemacht, als durch zu hohe Abschlüsse der Tarifvertrag seinen Charakter als Mindesstandard verliert 32 und die Arbeitsvertragsparteien immer weniger von ihrer Freiheit Gebrauch machen 33 . Vor diesem Hintergrund liegt die Rechtsprechung zur Mitbestimmungspflichtigkeit des Zulagenbereichs sozusagen voll im Trend, wobei sich allerdings Weyand problembewußter zeigt, indem er trotz seiner insgesamt äußerst mitbestimmungsfreundlichen Sichtweise34 auf die Gefahren für die Tarifauto-
wurf, der Betriebsrat sei "der verlängerte Arm der Gewerkschaft" (vgl. Kraft, ZfA 1973, 243 ff; Hacker, Betriebsverfassungsgesetz, S. 91 ff.) 30 Aus diesem Grunde wirft Reuter, ZfA 1993, 221, 247, die Frage auf, ob § 77 m BetrVG überhaupt noch geltendes Recht ist. 31 So schlägt Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er, S. 79, im Hinblick auf die sich seiner Meinung nach als hinderlich erwiesene Mitbestimmung des Betriebsrats in diesem Bereich als gesetzliche Bestimmung vor: "In der Gestaltung übertariflicher Zulagen haben Unternehmer und Arbeitnehmer auch in diesem Bereich volle Vertragsfreiheit". Das wird bei realistischer Betrachtung wohl ein frommer Wunsch bleiben. 32 Zur Kritik an der solchermaßen ausgeübten Tarifautonomie unter dem Gesichtspunkt funktionierender Marktwirtschaft, vgl. Zöllner, ZfA 1994,423,432 f. 33 So zutreffend Heinze, NZA 1995, 5, 6, 8. 34 Nach seiner Auffassung greift z.B. der Tarifvorrang nicht ein, vgl. AuR 1991, 1, 6; ebenso Zachert, Sicherung und Gestaltung, S. 42 ff., der trotz tarifpolitischer Bedenken im Ergebnis "Chancen für eine vorwärtsweisende Dialektik zwischen beiden Ebenen" sieht.
I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG
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nomie hinweist und damit zeigt, auf welch sensibles Terrain man sich mit einer betrieblichen Mitgestaltung übertariflicher Zulagen begibt. Unter dem Eindruck von Reuters Thesen zeichnet er, um die Ordnungsfünktion des Tarifwesens besorgt, die mögliche Tendenz nach, die von der propagierten Krisenkompetenz der Betriebsräte hin zu Werkvereinen mit gewerkschaftsähnlicher Funktion führt 35 . Selbst wenn man ganz formal betrachtet nur darauf abstellt, daß der übertarifliche Bereich schon definitionsgemäß der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, insbesondere den Gewerkschaften als vorrangigem Schutzorgan der Arbeitnehmer entzogen ist 36 , bleibt ein weiterer Schritt in Richtung Verdrängungswettbewerb unverkennbar, den der Tarifvorrang mit zu verhindern sucht.
2. Beschaffenheit der tariflichen Regelung a) Mindestanforderungen
des Schutzes
Dessen unbekümmert begründet die herrschende Meinung zumindest einen funktionalen Gleichrang der Betriebsautonomie, indem sie den Anwendungsbereich des § 87 I ES BetrVG auf ein Minimum verengt. Wie eine tarifliche Regelung beschaffen sein muß, um hinreichenden Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten, wurde im Laufe der Zeit verschiedentlich definiert, so z.B. daß sie einigermaßen vollständig und keiner ergänzenden betrieblichen Regelung bedürfe 37. Unter Zugrundelegung des Teilhabezwecks notwendiger Mitbestimmung lautet die Formel jetzt, daß es darauf ankommt, daß eine Tarifnorm "eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst abschließend und zwingend regelt und das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers beseitigt" 38 . Mit Fug und Recht hat das Hromadka als Schlußakkord bezeichnet39, denn höher können die Anforderungen an eine tarifliche Regelung nicht geschraubt werden. Dies führt im Ergebnis sowohl zu einem bedenklichen funktionalen Vorrang der Betriebsautonomie gegenüber der Tarifautonomie, als auch einer unvertretbaren Beschränkung der individualrechtlichen Gestaltungsfaktoren.
35
AuR 1993,1,6. Vgl. zu den verschieden unwirksamen Tarifvertragsklauseln, oben in der Einleitung unter I. 37 Vgl. BAG v. 18. 3. 1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; zu anderen Definitionen in der Rechtsprechung vgl. Moll, Tarifvorrang, S. 24.; Wiese, FSBAG, S. 661, 672 ff. 38 So der 2. Leitsatz des BAG ν. 18. 4. 1989, AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ebenso der Große Senat, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C Π 2 c) bb) der Gründe. 39 SAE 1990,22. 36
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§ 5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts b) Bedeutung der Schutzfunktion
Wenn man aus Schutz Teilhabe macht, verändert sich zwangsläufig die gesamte Intention des Tarifvorrangs. Dann geht es nicht mehr allein um die Entbehrlichkeit doppelten Schutzes der Arbeitnehmer, sondern um das Grundverhältnis der zwei kollektivrechtlichen Regelungsebenen, denen sich der Arbeitgeber ausgesetzt sieht, und zwar dahingehend, daß Tarifautonomie und Betriebsautonomie auf eine Stufe gestellt werden. Daraus erklären sich die überzogen strengen Anforderungen an die tarifliche Regelung, wobei der Passus "und das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers beseitigt" seine einzige Begründung in dem Teilhabezweck findet. Mit dem Blick auf den Arbeitgeber als Unternehmer fallt diese Auffassung um so leichter, als fälschlich davon ausgegangen wird, daß Mitbestimmungsrechte nicht unter dem Vorbehalt mangelnden Eingriffs in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit stünden 40 , so daß man aus dieser Richtung gegen den Einwand, was solchermaßen aus der Unternehmensautonomie wird, abgesichert ist. Daß die Annahme eines Teilhabezwecks notwendiger Mitbestimmung als insgesamt sozialpolitische Umdeutung zu Lasten von Individual- und Unternehmensautonomie abzulehnen ist, wurde bereits festgestellt. Richtig erkannt wird von der neueren Rechtsprechung, daß der Tarifvertrag nur Mindestarbeitsbedingungen gewährleistet, aber die sich daraus ergebende Konsequenz, daß die Arbeitsbedingungen jenseits dieses Standards automatisch dem Individualbereich zuzuordnen sind, wird nicht gezogen. Daran ist man auch gehindert, wenn man davon ausgeht, daß dem Arbeitgeber jede Gestaltungsmöglichkeit genommen sein muß. Indes ist der Betriebsrat weder zum Mitunternehmer aufgerufen, noch ist ein Teilhabezweck mit der Vertragsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers vereinbar, da die notwendige Mitbestimmung auch ihn in seiner Privatautonomie beschränkt 41 . A m Beispiel der übertariflichen Zulagen zeigt sich daneben die Gefahrdung der Tarifautonomie durch die inzwischen herrschende gegenteilige Sicht. Es geht gar nicht mehr um den Schutz der Arbeitnehmer, sondern darum, mit diesem Begriff unter anderem auch den übertariflichen Bereich der Regelungskompetenz des Betriebsrats zu unterstellen. Ginge es wirklich nur um den Schutz der Arbeitnehmer, dann müßte konsequenterweise das tarifliche Regelungssystem dem Erfordernis von Verteilungsgerechtigkeit genügen, da sich die vom Arbeitgeber gewährten Zulagen ebenso wie jenes auf die Entgelthöhe beziehen, indem sie Teil des Effektivlohns sind. Bleibt man dem herkömmlichen Schutzzweck im Sinne einer Unterstützungsfunktion des Betriebsrats für die individuelle Vertragsfreiheit verhaftet, erschließt sich unter dem Gesichtspunkt, daß die Arbeitnehmer solchermaßen
^vgijimb). 41 Vgl. § 4 I V 3.
I. Der Tarifvorrang gemäß § 871 Eingangssatz BetrVG
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keines weiteren Schutzes bedürfen, dem Tarifvorrang ein weiterer, viel wichtigerer Sinn, nämlich der Schutz des Arbeitgebers vor doppelter Mitbestimmung 42 . Daß tariflichen Regelungen als Mindestarbeitsbedingungen wegen § 4 I I I TVG der abschließende Charakter fehlt, bedeutet nicht zwangsläufig, daß damit ein betrieblich mitbestimmter Regelungsbereich eröffnet wird. Vielmehr ist der übertarifliche Bereich nach dem Sinn des Günstigkeitsprinzips der individuellen Ausgestaltung zugewiesen, so daß sich eine Kollektivierung per Betriebsrat verbietet 43 . Auf der vertraglichen Ebene soll der Arbeitnehmer sein Glück versuchen - alles andere stellt eine unnötige Bevormundung dar - und der Arbeitgeber soll Lohnpolitik betreiben können 44 . Dabei darf der Betriebsrat hinsichtlich der Lohnhöhe, auch nicht "mittelbar" über mitbestimmte Verteilungskriterien, keineswegs da weiter machen können, wo die Gewerkschaft aufgehört hat und mit Abschluß des Tarifvertrags wegen der Friedenspflicht im nachhinein gar nicht weiter machen dürfte 45 . Was dieser verwehrt ist, kann schlechterdings nicht dem Betriebsrat erlaubt sein. Daß es diesen kollektivfreien Bereich gibt und geben muß, erkennt der 1. Senat selbst an, indem er ausführt, daß der Arbeitgeber neben einer mitbestimmten Zulagenregelung "nicht gehindert ist, das Entgelt eines Arbeitnehmers weiter zu erhöhen" 46 , womit er nebenbei bemerkt auch als Freud'schen Fehlleistung sich selbst widersprechend bestätigt, daß die Zulage zum Entgelt gehört und mithin keinen eigenständigen Regelungsbereich darstellt. Letztlich stellt sich das Problem als eine Frage der Zuordnung dar. Entweder die Zulage gehört zum multilateralen oder zum bilateralen Regelungsbereich, wobei § 87 I ES BetrVG als Ausdruck des Gesamtsystems der die materiellen Arbeitsbedingungen betreffenden Gestaltungsfaktoren gewährleisten soll, daß der nach 42
Vgl. Lieb, ZfA 1978, 179, 205; Hromadka, DB 1986, 1921, 1922; ders., DB 1988, 2636, 2640; ders., DB 1991, 2133, 2136; ders., SAE 1990, 22, 24; Wiedemann , Anm. zu AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Hönsch, BB 1988, 700; dagegen ausdrücklich BAG AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; v.HoyningenHuene, SAE 1985, 298, 300; zu kurz gegriffen ist daher die von Gast, Tarifautonomie, S. 23 ff, vorgenommene Beschränkung auf zwei Auslegungsmodelle des Einleitungssatzes des § 87 BetrVG, nämlich "Tarifschutz" (= pro Koalition) und "Arbeitnehmerschutz" (= pro Betrieb), da dies voraussetzt, daß die Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat gleichzusetzen sind. 43 Vgl. Kraft, FS-Molitor, S. 207, 212; Lieb, ZÌA 1988, 413, 446; kritisch auch Buchner, FS-Kissel, S. 97, 113. 44 Dagegen stempelt Gast, Tarifautonomie, S. 11, 31, die solchermaßen vorgenommene Interessenausgleichung als "gelegentlichen Reflex aus der Interessenbefriedigung des Arbeitgebers" ab und beantwortet damit die von ihm zu recht aufgeworfene Frage, warum eigentlich die Arbeitnehmer vor individuellen Gewährleistungen des Arbeitgebers zu schützen sind. 45 Zu diesem Aspekt vgl. Säcker, BB 1979, 1201, 1203; Joost, ZfA 1993, 257, 268 f., Eich, DB 1980, 1340, 1341 f. 46 AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Β Π 5 der Gründe.
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§ 5 Gesetzlich normierte Schranken eines Mitbestimmungsrechts
§ 4 I I I TVG dem Synallagma zugewiesene übertarifliche Bereich dort verbleibt.
3. Ergebnis Im Ergebnis bleibt bei einer Mitbestimmung des Betriebsrats bei übertariflichen Zulagen sowohl eine je nach Sichtweise zumindest latente Gefährdung der Tarifautonomie - nach der hier vetretenen Auffassung greift schon aus diesem Grund die Regelungssperre ein -, als auch eine nicht hinnehmbare Einschränkung des bilateralen Regelungsbereichs festzuhalten, was man insgesamt nur als systemwidrig bezeichnen kann. Erstere ist durch Art. 9 I I I GG verfassungsrechtlich gewährleistet und durch § 87 I ES BetrVG geschützt, letzterer durch Günstigkeitsprinzip und unternehmerische Entscheidungsfreiheit aufgrund der Art. 2, 12 GG. Innerhalb dieser rechtlichen Eckdaten bleibt kein Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats bei übertariflichen Zulagen, d.h. Entgelttarifverträge sperren eine diesbezügliche Regelungskompetenz des Betriebsrats. Während die viel diskutierte Verlagerung von Regelungskompetenzen von tariflicher auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene vielleicht gerade noch mit dem Argument der größeren Sachnähe der Betriebspartner legitimiert werden könnte 47 , was allerdings in einer gefahrlichen Nähe zur im Rahmen der Normauslegung unzulässigen Rechtspolitik stünde 48 , ist ein Mitbestimmungsrecht nach der in dem Eingangssatz des § 87 BetrVG in Verbindung mit dem Günstigkeitsprinzip nach § 4 I I I TVG zum Ausdruck kommenden Systematik der arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren im Hinblick auf den Individualbereich unvereinbar. Das fuhrt gleichzeitig zur weiteren Voraussetzung für ein Mitbestimmungsrecht nach § 871 Nr. 10 BetrVG über, nämlich inwieweit es sich überhaupt bei dem Zulagenbereich um einen kollektiven Tatbestand handelt.
I I . Der Tarifvorbehalt gemäß § 77 I I I BetrVG Zuvor ist noch kurz festzustellen, daß dem in § 77 I I I BetrVG normierten Tarifvorbehalt, wonach eine Regelungssperre für Betriebsvereinbarungen über Arbeitsentgelte und andere Arbeitsbedingungen besteht, soweit diese entweder durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nach der hier vertretenen Auffassung keine besondere Bedeutung zukommt. Im übrigen schließt der Tarifvorbehalt schon von seinem Wortlaut her nicht ein Mitbe47 48
In diese Richtung GMüller, AuR 1992, 257, 260 f. Man kann darin natürlich auch eine "aktualisierende Auslegung" sehen.
. Der T a r i f v o r a
gemäß § 7
BetrVG
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stimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten, sondern nur den Abschluß von Betriebsvereinbarungen in diesem Bereich aus. Dagegen hat sich der Große Senat in seiner Zulagenentscheidung dem Streit um das Verhältnis von Tarifvorrang und Tarifvorbehalt gewidmet und sich entgegen der herrschenden Zwei-Schranken-Theorie mit ausführlicher Begründung der Vorrangtheorie angeschlossen49. Danach steht für die Praxis fest, daß § 77 I I I BetrVG im Bereich des § 87 I BetrVG keine Anwendung findet, mit der Folge, daß sich die betriebliche Mitbestimmung auch auf den üblicherweise tarifvertraglich geregelten Bereich erstreckt. Hieran zeigt sich ein weiteres Mal, wie bemüht die Rechtsprechung ist, die Betriebsautonomie im Ergebnis mit der Tarifautonomie gleichzustellen, was in diesem Zusammenhang dahinstehen mag.
49
AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C I der Gründe; dies entspricht ständiger Rechtsprechung seit der Entscheidung des 1.Senats v. 24. 2. 1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 mit krit. Anm. Richardi = SAE 1989, 1 ff. mit abl. Anm. Wiese; vgl. auch die übersichtliche Darstellung des Meinungsstands bei Wank, RdA 1991, 129 ff. und Hromadka, DB 1987, 1991 ff.
§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen Individuelle Regelungen von Arbeitsbedingungen begrenzen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 10 BetrVG, oder positiv ausgedrückt, "Betriebliche Lohngestaltung" im Sinne des § 87 I Nr. 10 BetrVG als Voraussetzung für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Gewährung oder nachträglichen Änderung übertariflicher Zulagen setzt unstreitig das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands voraus. Die Problematik beginnt aber, wenn man nach der ungeklärten Abgrenzung von den mitbestimmungsfreien Individualtatbeständen fragt. Dazu werden im Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten allgemein drei Meinungen vertreten 1. Nach der herrschenden Meinung zum BetrVG 1952 lag ein kollektiver Tatbestand dann vor, wenn von einer Maßnahme eine größere, nämlich im Verhältnis zur Gesamtzahl nicht unerhebliche Anzahl von Arbeitnehmern erfaßt werde (sog. "quantitatives Kollektiv") 2 . Auch wenn sich heute niemand mehr offiziell zu dieser Auffassung bekennt, ist sie doch von großer Bedeutung für die Abgrenzungsproblematik, da immer noch vertreten wird, der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer käme Indizfunktion zu 3 . Aktuell stehen sich zwei Ansätze gegenüber. Zum einen soll es darauf ankommen, daß ein "qualitativer" Kollektivtatbestand vorliege, was immer dann der Fall sei, wenn eine Angelegenheit nach ihrem Gegenstand einen kollektiven Bezug habe, weil sie kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berühre 4. Im Gegensatz zu dieser Auffassung, die den Regelungsgegenstand als Abgrenzungskriterium heranzieht, kommt es schließlich nach einer anderen Meinung darauf an, ob eine abstrakt-generelle Regelung vorliege 5. Ausschlaggebend sei damit zunächst
1
Vgl. zum folgenden Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 20 ff; Röckl, Generelle Maßnahme, S. 77 ff. jeweils m.w. Nachw. 2 Vgl. BAG v. 1. 2. 1957, AP Nr. 4 zu § 56 BetrVG 1952 m.Anm. Küchenhoff.; BAG v. 16. 12. 1960, AP Nr. 22 zu § 56 BetrVG 1952 Entlohnung; BAG ν. 31. 1. 1969, AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG 1952 Entlohnung; Galperin/Sieberi, BetrVG, vor § 56 Rdnr. 8 ff; Siebert/Hilger, BB 1955, 670; Strasser, RdA 1956, 448,449. 3 Vgl. BAG v. 18. 11. 1980, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 10. 4 Vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 16; ders., SAE 1983, 325, 326; Hess/ Schlochauer/Glaubitz, § 87 Rdnr. 20 f., 471; MünchArbR-Mzrtte, § 333 Rdnr. 100; Jahnke, SAE 1983, 145, 146; ders., ZfA 1980, 863, 885; Reuter, SAE 1981, 242. 5 Vgl. Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 6 ff; Stege/Weinsbach, BetrVG, § 87 Rdnr. 16 f.; Hueck, RdA 1962, 376.
I. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
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der Wille des Arbeitgebers, da er entscheidet, ob er eine kollektive Regelung oder eine individuelle Maßnahme anstrebt, es sei denn, hinter einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen verberge sich feststellbar eine kollektive, an abstrakten Merkmalen orientierte Ordnung. Trotz dieser Grundpositionen ist keine Voraussetzung des § 87 I Nr. 10 BetrVG im Hinblick auf übertarifliche Zulagen dermaßen ungeklärt geblieben und einem solchen Wandel unterlegen, wie die des kollektiven Tatbestands. Dies zeigt sich an der Entwicklung der Rechtsprechung und den Literaturmeinungen zu dieser Frage.
I· Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 1. Entwicklung bis zur Entscheidung des Großen Senats Nachdem das Bundesarbeitsgericht mit der Entscheidung vom 18.11.1980 ein quantitatives Kollektiv als Kriterium mit der Begründung aufgegeben hatte, daß ein quantitatives Merkmal ohne dezisionistische Festlegung keinen Maßstab ergebe, es andererseits aber für die betriebliche Praxis unzumutbar sei, mit der nichtssagenden Formel einer "relativ nicht unerheblichen Anzahl von Arbeitnehmern" arbeiten zu müssen6, ging es in der Folgezeit zu § 87 I Nr. 10 BetrVG von der Notwendigkeit einer abstrakt-generellen Regelung aus7. I m Zuge der überraschenden Kehrtwendung der Rechtsprechung des 1. Senats zur Frage nach einem Mitbestimmungsrecht bei übertariflichen Zulagen wurde dies aufgegeben 8, um schließlich 1987 auf die Entscheidung vom 17.12.1985 bezugnehmend auszuführen, "eine Einzelfallregelung, die der Mitbestimmung des Betriebsrats nicht unterliegt, liegt nur dann vor, wenn es sich wirklich um die Gestaltung eines oder mehrerer Arbeitsverhältnisse handelt und besondere, den jeweiligen Arbeitnehmer betreffende Umstände die Maßnahme veranlassen oder inhaltlich bestimmen"9. Das Mitbestimmungs-
6
Vgl. BAG AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit. Vgl. BAG v. 8. 3. 1983, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 31. 1. 1984, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972. 8 Vgl. BAG v. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang, unter Β Π 5 der Gründe: "Dieses Mitbestimmungsrecht kann nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß der Arbeitgeber sich nicht selbst binden und daher gerade keine allgemeine Regelung will und eine solche ausdrücklich ausschließt.... Der Senat verkennt dabei nicht, daß es für den Arbeitgeber ... sachliche Gründe dafür geben kann, Zulagen nicht nach einer bestimmten Regelung zu gewähren .... Diese Gründe stehen jedoch einem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen". 9 Vgl. BAG v. 24. 11. 1987, AP Nr. 31 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, bei gleichzeitiger Bezugnahme auf die zur Anordnung von Überstunden ergangene Ent7
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
recht dürfe nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß der Arbeitgeber sich vorbehalte, jeweils individuell entscheiden zu wollen, da dies dem Zweck des Mitbestimmungsrechts widerspreche. Auch wenn die Mitbestimmungspflichtigkeit in beiden Entscheidungen letztlich darauf gestützt wurde, daß die Gewährung übertariflicher Zulagen an einen großen Teil der Arbeitnehmer des Betriebes einen kollektiven Tatbestand darstelle, wurde inhaltlich die Lehre vom qualitativen Kollektiv übernommen. Dies wurde durch den Großen Senat bestätigt und dahingehend durch die vom 1. Senat schon vorher aufgestellte Formulierung ergänzt, die Abgrenzung richte sich danach, "ob es um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht" 10 , wobei die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sei, ob ein kollektiver Tatbestand vorliege. Darüber hinaus gehe es bei der "Änderung der Verteilungsgrundsätze" für über- bzw. außertarifliche Zulagen infolge Anrechnung oder Widerruf stets um die Strukturformen des Entgelts 11 .
2. Folgeentscheidungen des 1. Senats Anknüpfend an diese Ausführungen hat der 1. Senat sich in einer ganzen Reihe von Entscheidungen mit der Frage nach der Kollektivität übertariflicher Zulagen anläßlich einer Anrechnung beschäftigen müssen. Dabei kommt er regelmäßig zum Vorliegen eines kollektiven Tatbestands, wobei zunächst stets die wenig hilfreichen Ausführungen des Großen Senats wiederholt werden. Ausdrücklich betont der 1. Senat, daß ein kollektiver Tatbestand nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß der Arbeitgeber die Höhe der Zulagen nicht anhand abstrakt definierter Kriterien bestimmt, sondern nach einer Liste nicht näher gewichteter Gesichtspunkte, da gerade dann die Gefahr einer einseitigen, willkürlichen Lohngestaltung bestehe12. Auch komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber eine Regelung aufstellt, da selbst bei der Überprüfung der jeweiligen Höhe einer Vielzahl von Arbeitnehmern gewährten Zulage ein kollektiver Bezug gegeben sein könne.
Scheidung desselben Senats v. 21. 12. 1982, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit. 10 BAG-GS v. 3. 12. 1991, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C ΠΙ 3 dd) der Gründe; so schon BAG AP Nr. 5, 7, 14, 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 11 Siehe dazu unten § 711 a). 12 Vgl. z.B. BAG v. 22. 9. 1992- 1 AZR 459/90 -, AP Nr. 56 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung.
I. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
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Diesen leitet der 1. Senat in seinem Urteil vom 22.9.1992 - 1 AZR 405/90 13 schon aus der Entstehungsgeschichte des von ihm entschiedenen Falles ab, indem nämlich der Arbeitgeber die ursprünglich bestehende Leistungsentlohnung auf ein individuell abgestimmtes Festentlohnungssystem nach einheitlichen Kriterien umstellte. Ergänzend wird zur Begründung darauf verwiesen, daß der Arbeitgeber in allen Fällen die Möglichkeit einer Anrechnung für sich in Anspruch nahm. In zwei anderen Entscheidungen von diesem Tag, die grundlegend für die weitere Entwicklung waren, schwenkt der 1. Senat - 1 AZR 459/90 14 und 1 AZR 460/90 15 zur Begründung des kollektiven Bezugs auf den Grund der Anrechnungsentscheidung um. Bei der Anrechnung von Leistungszulagen ergebe sich der kollektive Bezug daraus, daß bei der Prüfung seitens des Arbeitgebers, ob er anrechnen will, sowohl die Leistungen eines jeden Arbeitnehmers zu den abstrakt-generell bestimmten Mindestanforderungen des betrieblichen Leistungsniveaus, als auch die Leistung der einzelnen Arbeitnehmer zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müßten. Der Wert eines Arbeitnehmers hänge nämlich ganz wesentlich davon ab, wie wichtig dieser für den Betrieb sei und nicht nur von dessen persönlichen Fähigkeiten oder Arbeitsmarktgesichtspunkten. Es bestehe mithin bei einer solchen Leistungsbeurteilung ein innerer Zusammenhang zwischen den Anrechnungs- bzw. Nichtanrechnungsentscheidungen bei anderen Arbeitnehmern. Mit dieser Begründung bejaht der 1. Senat einen kollektiven Tatbestand für den von ihm entschiedenen Fall, daß der Arbeitgeber aufgrund seiner Ansicht nach nicht zufriedenstellender Leistungen eines Arbeitnehmers 16 diesem die Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage voll anrechnet, wobei zusätzlich darauf abgestellt wird, daß es als Indiz für das Vorliegen eines kollektiven Tatbestand zu werten sei, daß im entschiedenen Fall 80% der bei dem Arbeitgeber beschäftigten 380 Arbeitnehmer eine übeltarifliche Zulage gewährt wird und in 13 Fällen angerechnet wurde. Diese Grundsätze gelten nach der Entscheidung - 1 AZR 460/90 17 auch bei der Anrechnung, die vom Arbeitgeber mit einer auf krankheitsbedingten Beeinträchtigungen und Ausfallzeiten beruhenden Leistungsminderung des Arbeitnehmers begründet wird, weil es für die Höhe der Zulage allein auf die erbrachte Leistung ankomme, so daß dann ein kollektiver Tatbestand gegeben sei.
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AP Nr. 55 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm.Kraft. AP Nr. 56 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm.Henssler. 15 AP Nr. 60 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm .Henssler. 16 Der beklagte Arbeitgeber bemängelte vor allem die Eigeninitiative des klagenden Arbeitnehmers. 17 AP Nr. 62 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 14
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
Schließlich wurde in zwei weiteren Urteilen vom 22.9.1992 ein Mitbestimmungsrecht verneint. Im Redakteur-Fall - 1 AZR 235/90 18 wird ofifengelassen, ob die Anpassung der Vergütung durch Anrechnung einen kollektiven Tatbestand darstellt (gleichwohl wird eine Änderung der Verteilungsgrundsätze angenommen), da nach Auffassung des 1. Senats ein Mitbestimmungsrecht schon deshalb ausscheide, weil es an einem Regelungsspielraum für eine anderweitige Anrechnung fehle, indem ausschließlich bei dem betroffenen Redakteur eine Änderung des Tariflohns wegen eines Tarifgruppenwechsels zu einem bestimmten Stichtag, sog. Beschäftigungsjahressprung, eingetreten sei. Da die kurz zuvor erfolgte volle Weitergabe der Tariflohnerhöhung an alle Arbeitnehmer insoweit außer Betracht zu bleiben hatte, gab es für den Arbeitgeber keine andere Möglichkeit der Verteilung. Im Pfortner-Fall - 1 AZR 461/90 19 wurde dagegen schon das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands verneint. Zwar wird wieder davon ausgegangen, daß die Anrechnung aus Leistungsgesichtspunkten wegen des inneren Zusammenhangs mit anderen Anrechnungsentscheidungen einen kollektiven Bezug aufweist, jedoch sah der 1. Senat diesen im konkreten Fall nicht als gegeben an. Der Arbeitnehmer übte wegen eines Arbeitsunfalls nicht mehr seine Tätigkeit als Stapelfahrer, sondern die tariflich niedriger gruppierte Tätigkeit als Pförtner aus, weshalb der Arbeitgeber anläßlich einer Tariflohnerhöhung durch deren Anrechnung eine Angleichung an den Tariflohn für Pförtnertätigkeit herbeiführen wollte. Darin wurde ein allein in der Person des Arbeitnehmers begründeter Umstand für die Anrechnung gesehen. Mit dem Beschluß vom 27.10.1992 - 1 ABR 17/92 20 muß te sich der 1. Senat mit einer ganzen Palette von Fallgestaltungen beschäftigen. Er bestätigt wiederum seine Rechtsprechung zur Anrechnung aus Leistungsgründen und weitet sie auf die verhaltensbedingte Anrechnung aus, da Vergleichsmaßstab für den Arbeitgeber ähnlich dem Leistungsvergleich das (Wohl-) Verhalten anderer Arbeitnehmer sei. Gleiches gelte für die Anrechnung wegen einer kurz zuvor erfolgten Gehaltserhöhung, indem dieser Entscheidung die vergleichende Überlegung zugrunde liege, daß eine volle Weitergabe der Tariferhöhung eine ungerechtfertigte Bevorzugung gegenüber anderen Zulagenempfangern darstelle. Neben der vergleichenden Überlegung des Arbeitgebers als kollektiven Bezug der Anrechnung wird dieser in den Fällen des wegen Mutterschutz, Erziehungsurlaub oder Langzeiterkrankung ruhenden Arbeitsverhältnisses damit begründet, daß dies Sachverhalte darstellten, die nicht unmittelbar auf die betroffenen Arbeitnehmer beschränkt sei, sondern als abstrakter Grundsatz jeden anderen Arbeitnehmer treffen könne. Rechne der Arbeitgeber weiterhin an wegen der Kürze der Betriebszu-
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AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm.Kraft. AP Nr. 57 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm Henssler. AP Nr. 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung.
I. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
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gehörigkeit oder wegen der absehbaren Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so setze er einen von ihm aufgestellten allgemeinen Entlohnungsgrundsatz um, der nicht von individuellen Besonderheiten einzelner Arbeitnehmer abhänge, sondern einen inneren Zusammenhang zu anderen Arbeitnehmern aufweise. Einzig für den Fall, daß die Anrechnung auf dem Wunsch des Arbeitnehmers beruht, sah der 1. Senat einen Sachverhalt, der sich durch einen allein in der Person des Arbeitnehmers bestehenden Umstandes auszeichnet. Dieser führte nachteilige steuerliche Auswirkungen einer vollen Weitergabe der Tariflohnerhöhung an, was zwar nach Auffassung des 1. Senats auch bei anderen Arbeitnehmern auftreten könne, für sich allein aber keinen kollektiven Bezug begründe, da insoweit kein übergeordneter Lohngrundsatz bestehe, der umgesetzt würde. In der Entscheidung vom 23. 3. 1993 - 1 AZR 582/92 21 wurde in Anlehnung an die zuletzt aufgeführten Fallgestaltungen ein allgemeiner Entlohnungsgrundsatz darin gesehen, daß der Arbeitgeber gegenüber drei Arbeitnehmern aus dem gleichen Grund angerechnet hatte. Bei diesen stimmte die tatsächliche Tätigkeit mit der Tarifgruppe nicht mehr überein, woraufhin der Arbeitgeber durch Anrechnung der Zulage den Efifektivlohn dieser Arbeitnehmer der geringerwertigen Tätigkeit angleichen wollte, während er den anderen Arbeitnehmern die Tariferhöhung voll weitergab. Nach der Lesart des 1. Senats war mit dieser Umsetzung des Entlohnungsgrundsatzes auch das Gesamtgefüge der Zulagen betroffen, indem die volle Weitergabe an die drei betroffenen Arbeitnehmer als eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung gegenüber anderen Zulagenempfangern angesehen wurde. In dem Sonderbonus-Fall vom 14.6.1994 - 1 ABR 63/93 22 machte der Betriebsrat erfolgreich ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Festlegung der Grundsätze für die Verteilung eines "individuellen Sonderbonus" an jeweils 10 Arbeitnehmer geltend. Wiederum bestätigte der 1. Senat seine Auffassung, daß Leistungsgesichtspunkte - im konkreten Fall bezweckte der Arbeitgeber unter anderem jeweils die Honorierung großen Einsatzes, guter Einarbeitung, betrieblicher Doppelbelastung, der Senkung der Fehlerquote, guter Arbeitsqualität bzw. Förderungswürdigkeit einzelner Arbeitnehmer - typischerweise kollektiven Bezug hätten. Dies gelte auch für soziale Erwägungen des Arbeitgebers 23, da diese einen Vergleich mit der sozialen Lage anderer Arbeit-
21
AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm .Hromadka. AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 23 Konkret ging es zum einen um eine alleinerziehende Mutter, zum anderen um eine Teilzeitbeschäftigte, die der Arbeitgeber einmalig durch die Sonderzulage unterstützen wollte. 22
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§6
bertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
nehmer erforderten. Soweit der Arbeitgeber arbeitsmarktpolitische Gründe angab, macht der 1. Senat immerhin deutlich, daß dies durchaus die individuelle Lohngestaltung betreffen kann, schränkt dies aber wieder sofort dadurch ein, daß eine "pauschale Berufung" des Arbeitgebers auf Arbeitsmarktgründe nicht ausreichend sei, um den individuellen Charakter einer Sonderzulage zu begründen. Vielmehr kann nach seiner Meinung damit auch ein kollektives Regelungsproblem gegeben sein, was zum einen an der weiten Verbreitung der ganzen Belegschaften gezahlten, übertariflichen Arbeitsentgelte deutlich werde und zum anderen deswegen, weil sich die vom Arbeitgeber verfolgte Betriebsbindung der Arbeitnehmer nicht nur durch individuelle Forderungen veranlaßt werde, sondern vielfach ein personalwirtschaftliches Erfordernis bezogen auf bestimmte Arbeitnehmergruppen oder gar ganze Belegschaften darstelle. Den vorläufigen Abschluß bildet die Entscheidung vom 18.10.1994 - 1 ABR 17/94 24 , mit den sogenannten Halbgruppenzulagen, gemeint sind zwischen den Tarifgruppen liegende Zulagen, ein kollektiver Bezug bescheinigt wurde. Der Vortrag des Arbeitgebers, die übertarifliche Zulage wäre in drei Fällen individuell mit solchen Arbeitnehmern vereinbart worden, die nicht bereit gewesen seien, einen Arbeitsvertrag zum Tarifgehalt abzuschließen, und auch im übrigen wären bei der Gewährung Kriterien wie Ausbildung, Erfahrung, Alter, Einstellungsbedarf und Wirtschaftssituation zugrunde gelegt worden, konnte den 1. Senat nicht dazu veranlassen, von dem Vorliegen individueller Tatbestände auszugehen. Diese Kriterien sind nämlich nach seiner Auffassung ohne weiteres verallgemeinerungsfahig, entscheidend sieht der 1. Senat aber das Belegschaftsinteresse dadurch betroffen, daß sich aus dem Umstand, daß eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitnehmern - im konkreten Fall 38 von 237 Beschäftigten, also etwa 1/6 der Belegschaft - Zulagen empfange, verbunden mit der Einheitlichkeit der Zulage eine Zulagenstruktur erkennen lasse. Der Arbeitgeber schaffe eine allgemeine Lohnstruktur, indem er eine Vielzahl von Arbeitnehmern einheitlich anders entlohne als andere Arbeitnehmer. Insgesamt läßt sich festhalten, daß der 1. Senat die Abgrenzungsproblematik durch die Auffassung angereichert hat, ein kollektiver Bezug liege immer dann vor, wenn der Anrechnungsentscheidung eine vergleichende Betrachtung mit anderen Arbeitnehmern zugrunde liegt oder sie auf einem abstrakten Grundsatz beruht, der nicht auf die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer be24
AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm Joost, vgl. auch die Mitbestimmung bei übertariflichen Festlohnvereinbarungen, wenn der Arbeitgeber durch Aufstellung von Festlohngruppen nach einem abstrakt-generellen System Gehaltserhöhungen vornimmt, BAG ν. 28. 9. 1994 - 1 AZR 870/93, AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm .Reichold.
Π. Literaturauffassungen zur Kollektivität des Zulagenbereichs
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schränkt ist, sondern jeden anderen Arbeitnehmer in gleicher Weise betreffen kann. Dies nimmt er in praktisch jeder Fallkonstellation mit Ausnahme der vom Arbeitnehmer erwünschten Anrechnung an, was freilich ein schwacher Trost ist 25 .
I L Literaturauffassungen zur Kollektivität des Zulagenbereichs Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat vielfältige Kritik, aber auch Zustimmung erfahren, wobei die teilweise zusätzlich angeführten Begründungen im einzelnen voneinander abweichen26.
1. Grundsätzliche Kollektivität Ein Teil der Literatur bejaht grundsätzlich das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands bei der Zulagengewährung bzw. -anrechnung, um im Ergebnis zumindest dem Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen eines bzw. mehrerer Einzelfälle aufzuerlegen. So vertritt Weyand die Auffassung, daß allein die Existenz übertariflicher Lohnbestandteile im Betrieb ein hinreichender Beleg für den kollektiven Bezug der Maßnahme sei, da sie eine typische, wenn nicht gar notwendige Begleiterscheinung des großflächigen Tarifsystems darstellten 27. Die generelle Regelung sei geradezu systemnotwendig, um dem zuweilen sensiblen Lohngefüge im Betrieb Rechnung zu tragen, so daß im Regelfall die Gewährung, unabhängig von der Zahl der Arbeitnehmer, nur unter kollektiven Gesichtspunkten denkbar sei. Ebenso geht Hunold davon aus, daß die Vergabe von Zulagen im Zweifel immer mitbestimmungspflichtig sei, da sich Lohnund Gehaltsfestsetzungen kaum noch völlig ungeregelt vollzögen, zumindest würden finanzielle Größenordnungen im Rahmen einer Personalkosten-
25
Noch weitergehend, aber ganz auf dieser Linie sieht das BAG die Lage der Arbeitszeit bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern trotz individueller Wünsche als mitbestimmungspflichtig an, AP Nr. 24 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, ebenso wie die Überstunden oder den Schichtwechsel eines einzelnen Arbeitnehmers, AP Nr. 18, 35 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit. 26 Vgl. neben den im folgenden aufgeführten Autoren, Weber/Hoß, NZA 1993, 1 ff; Gaul, Anm. zu EzA Nr. 30 zu § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung, S. 48 ff; Löwisch, AR-Blattei, BetrV XIV B, Anm. zu Entsch.91; Schwab, BB 1993, 495 ff; Stege/Schneider, DB 1992, 2342, 2344; Schneider, DB 1993, 2530, 2531 f.; Henssler Anm. zu BAG AP Nr. 54-56 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Rau, Anrechnung, S. 93 f.; MünchArbR-Mrti/ies, § 333 Rdnr. 99 f.; Wiese, NZA 1990, 793, 799 f. 27 AuR 1993, 1,7.
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
planung bzw. Budgetierung festgelegt 28. In diesem Sinne argumentiert auch Herbst, nach dem die übertarifliche Bezahlung auch nur eines Arbeitnehmers alle anderen Arbeitnehmer des Betriebes oder einer bestimmten Arbeitnehmergruppe dadurch negativ betreffe, daß diese weniger Entgelt erhielten, bzw. daß durch die einzelne übertarifliche Bezahlung die Verteilungsmasse für die übrigen geschmälert werde 29 . Nach dem Zweck des § 87 I Nr. 10 BetrVG, der Verwirklichung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit, sei dann gerade die Beteiligung der Arbeitnehmervertretung gefordert. Ähnlich geht Kohte davon aus, daß übertarifliche Zulagen nach einem System und nicht nach mitbestimmungsfreien individuellen Gesichtspunkten vergeben würden 30 . Die Kollektivität von Anrechnungen aufgrund von Leistungsvergleichen ergebe sich daraus, daß es um die betriebliche Sphäre gehe, da eine allgemeine Leistungsnorm gesichert werden solle. Abweichend davon vertritt Oetker speziell zur Kollektivität von Anrechnungen, daß nicht der kollektive Bezug einer Angelegenheit, sondern der Schutzzweck der § 87 I Nr. 10 BetrVG entscheidend sei 31 . Dieser sei dann berührt, wenn sich aus der Anrechnung bei objektiver Betrachtung ableiten lasse, daß der Entscheidung eine abstrakt-generelle Regelung zugrunde liege, so daß die Anrechnung als Vollzug eines abstrakt-generellen Vergütungsgrundsatzes zu bewerten sei. Auf das Vorliegen eines solchen Vergütungsgrundsatzes lasse sich aus dem Grund der konkreten Anrechnungsentscheidung schließen. Verfahre der Arbeitgeber dabei nach einer allgemeinen Regel, so liege ein Vergütungsgrundsatz vor. Dies sei zum einen dann gegeben, wenn der Arbeitgeber die unterlassene Anrechnung bei bestimmten Sachverhalten für nicht gerechtfertigt erachte, sondern als abstrakte Regel auch bei unbestimmt vielen Arbeitnehmern zutreffen könnten 32 . Zum anderen liege eine allgemeine Regel vor, wenn die konkrete Anrechnung nach dem für sie gegebenen Grund nur vorgenommen werden könne, wenn der betroffene Arbeitnehmer hierfür mit anderen Arbeitnehmern verglichen werden müsse, bei denen die Anrechnung aus diesem Grunde unterbleibe 33 .
28
DB 1981, Beil. Nr. 26, 1, 11. DB 1987, 738; AiB 1986, 186, 187. 30 EzA Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung. 31 SAE 1993, 360, 362 f. 32 Damit kommt Oetker zum selben Ergebnis wie das BAG in seinem Beschluß v. 27. 10. 1992. 33 Vgl. auch Jahna, Anrechnung, S. 257 ff, der dieser Lösung folgt, sie aber zusätzlich mit der Argumentation von Weyand und Kohte verbindet. 29
Π. Literaturauffassungen zur Kollektivität des Zulagenbereichs
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2. Subjektive Bestimmung seitens des Arbeitgebers Dagegen steht ein Teil der Literatur der Annahme einer grundsätzlichen Kollektivität des übertariflichen Zulagenbereichs kritisch gegenüber, indem primär der Wille bzw. die Zwecksetzung des Arbeitgebers in seiner Rolle als distributor die Abgrenzung zur Vielzahl mitbestimmungsfreier Einzelfallregelungen entscheiden soll. In seiner Anmerkung zum Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 31.1.1984 34 geht v. Hoyningen-Huene davon aus, daß ein Arbeitgeber dann nicht kollektiv handele, wenn er keine allgemeine Regel aufstelle und diese sogar ausschließe35. Wenn es der Arbeitgeber - wie in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall - ausdrücklich den jeweiligen Abteilungsvorständen überlasse, nach einem Bündel von Kriterien über die Vergabe von Zulagen zu entscheiden, wolle er sich durch diese auf miteinander nicht vergleichbaren individuellen Grundlagen die Abwägung aller im Einzelfall erheblichen Umstände offen halten. Ein kollektiver Tatbestand könne sich aber dann ergeben, wenn sich im Laufe der Zeit herausstelle, daß in Wahrheit doch ein gewisses Schema der Einzelentscheidungen zugrunde liege. Auch Hromadka bejaht Kollektivität nur unter der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nach einer abstrakten Regel, also systematisch und nicht nach individuellen Gesichtspunkten verfahre; Generalität der Regelung und kollektiver Bezug allein reichten nicht aus 36 . Der Arbeitgeber treffe bei unbenannten übertariflichen Zulagen keine generellen Entscheidungen, sondern bemühe sich in jedem Fall um individuelle Lohngerechtigkeit. Daraus folge, daß sowohl Gewährung, als auch Aufstockung, Umverteilung, Anrechnung und Kürzung grundsätzlich mitbestimmungsfrei seien 37 . Verfolge dagegen der Arbeitgeber Zwecke wie Leistung, soziale Gesichtspunkte oder Dienstjahre, habe der Betriebsrat über die nähere Ausgestaltung mitzubestimmen38. Dabei komme eine Aufspaltung einer einheitlichen übertariflichen Zulage, die sowohl unbenannte als auch benannte Teile enthalte, wegen der dem Arbeitgeber allein zustehenden Befugnis zur Zwecksetzung nicht in Betracht.
34
BAG AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. SAE 1985,298, 299 f. 36 DB 1986, 1921, 1923; DB 1988, 2636, 2642; DB 1991, 2133, 2135; DB 1992, 1573, 1576; EWiR § 87 BetrVG 1/93, S. 333 f.; Anm. zu AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 37 DB 1988, 2636, 2643. 38 DB 1986, 1921, 1924. 35
9 Wittgruber
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
Ebenso sprechen sich Kraft 39, Kappes 40, Hönsch A\ Reichold* 2. Lieb , Joost 44 und Goos45 dafür aus, daß eine Vielzahl von individuellen Regelungen noch keinen kollektiven Tatbestand darstellen, sondern daß dafür ein systematisches Vorgehen des Arbeitgebers erforderlich sei. Danach ist also letztlich der Zweck bzw. die Art der Zulagen entscheidend für ihre Kollektivität: wenn eine Zulagenregelung bewußt nicht an abstrakte, betriebsbezogene Merkmale wie Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers anknüpfe, gebühre der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers, ob und an wen er eine Zulage gewähren will, der Vorrang vor dem Gesichtspunkt des kollektiven Regelungsbedürfhis-
I I I . Stellungnahme Festgehalten werden kann ausschließlich die Übereinstimmung der vertretenen Auffassung darin, daß ein kollektiver Tatbestand gegeben ist, wenn der Arbeitgeber nach einer bestimmten Regel verfahrt. Darüber hinaus stellt die Diskussion um die Abgrenzungsproblematik bei übertariflichen Zulagen ein Konglomerat der grundsätzlich vertretenen drei Meinungen dar, die im wesentlichen mit drei Oberbegriffen geführt wird, der "Generalität der Regelung", des "kollektiven Bezugs der Angelegenheit" und der "Abstraktheit der Regelung", wobei entweder in verschiedener kumulativer Anwendung oder mal der eine, mal der andere entscheidend für das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands sein soll. Dabei ist begrifflich mit Generalität einer Regelung gemeint, daß eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist, abstrakt ist sie, wenn bei der Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht auf besondere persönliche Umstände Rücksicht genommen wird, sondern wenn die betroffenen Arbeitnehmer mittels objektiv festgelegter Kriterien bestimmt werden müssen47. Der kollektive Bezug schließlich knüpft an den Gegenstand der Regelung an und soll gegeben sein, wenn Belegschaftsinteressen betroffen 39
Anm. zu AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Anm. zu AP Nr. 54, 55 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; FS-Molitor, 207,219 ff.; FS-Rittner, 285, 290. 40 DB 1986, 150, 1521. 41 BB 1988, 700, 701 f.; BB 1988, 2312, 2313. 42 AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; RdA 1995, 147, 157 f. 43 SAE 1993, 114, 116 f. 44 Anm. zu AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 45 NZA 1986, 701, 703 f. 46 So Kraft, FS-Molitor, 207, 220; ders., AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Reichold, RdA 1995, 147, 157, spricht insofern von einer "ZweckbestimmungsSouveränität des Arbeitgebers". 47 Vgl. LAG Schleswig-Holstein, DB 1988, 556, 557; Hromadka, DB 1988, 2636, 2642; ders., DB 1991, 2133, 2135.
ΠΙ. Stellungnahme
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werden. Der dabei von der Rechtsprechung stereotyp verwendeten Formel, ein kollektiver Tatbestand liege vor, wenn es "um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen gehe", kann wegen ihres nichtssagenden Inhalts keine Bedeutung zukommen, das Bundesarbeitsgericht benutzt sie erkennbar selbst lediglich als Floskel 48 . Wenig fruchtbar ist auch der Ansatz von Gaul, aus einer Gesamtschau heraus, mit Hilfe einer typologischen Betrachtungsweise zu prüfen, welche Merkmale insgesamt indiziell für eine individuelle und welche für eine kollektive Bewertung übertariflicher Zulagen sprechen 49. Die dafür notwendige Gewichtung der so gefundenen Elemente führt lediglich direkt wieder in die Abgrenzungsproblematik hinein, die auch nicht mit einem mehr oder weniger begründeten Verdacht 50 oder einer Umfunktionierung in eine Beweislastfrage 51 entschieden werden kann.
1. Generalität der Regelung Für deren Lösung ist es besonders mißlich, daß verbreitet auf eine Indizwirkung der Anzahl involvierter Arbeitnehmer abgestellt wird. Diese entwickelt gerade in der Rechtsprechung eine fatale Bedeutung. Betrachtet man die Folgeentscheidungen des 1. Senats, so zeigt sich, daß die Begründungen für die bis auf einen Fall angenommene Kollektivität der Anrechnung letztlich auf der Annahme eines quantitativen Kollektivs beruhen. Deutlich wird das z.B. dann, wenn man den Pförtner-Fall vom 22.9.1992 52 mit der Entscheidung vom 23.3.1993 53 vergleicht. In beiden Fällen ging es um eine Anrechnung gegenüber einem bzw. mehreren Arbeitnehmern, deren tatsächliche Tätigkeit nicht mehr ihrer Eingruppierung entsprach, woraufhin der Arbeitgeber durch Anrechnung der Zulage den Effektivlohn der geringerwertigen Tätigkeit angleichen wollte. Während es sich bei der Anrechnung gegenüber dem zum Pförtner umgeschulten Arbeitnehmer um eine ausschließlich einzelfallbezogene Maßnahme handeln soll, stellt der 1. Senat im Falle von drei betroffenen Arbeitnehmern auf das Vorliegen des gleichen Grundes bei mehreren Personen ab und mißt überdies der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer Indizwirkung zu. Die von ihm angeführte Begründung für diese unterschiedliche rechtliche Behandlung, daß nämlich der Pförtner-Fall auf "anderen tatsächlichen Grundlagen" beruhe, indem die Anrechnung nicht als "Ergebnis einer Überprüfung 48
Vgl. Hromadka, EWiR § 87 BetrVG 1/93, 333; Lieb, SAE 1993, 114, 116. EzA Nr. 30 zu § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung. 50 So Schwab, BB 1993, 495, 496. 51 In diese Richtung aber Reichold, Anm. zu AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 52 BAG - 1 AZR 461/90 -, AP Nr. 57 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 53 BAG - 1 AZR 582/92 -, AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 49
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nach einem Raster abstrakter Kriterien" erfolgt sei, kann insofern nicht überzeugen. Überdies führt der 1. Senat stets aus, daß generelle Regelungsfragen vorstellbar seien, die vorübergehend nur einen Arbeitnehmer beträfen 54, so daß er durchaus einen kollektiven Bezug hätte annehmen können, was er wohl bei mehreren Pfortnern auch getan hätte. Augenscheinlich lehnt sich die Rechtsprechung für die Abgrenzung von Individual- und Kollektivbereich doch entscheidend an die überkommene Lehre vom quantitativen Kollektiv an, auch wenn ausdrücklich betont wird, daß der Umstand allein, daß es sich nicht nur um einen, sondern um mehrere Arbeitnehmer handelt, noch nicht zur Bejahung eines kollektiven Tatbestands genüge. Daß solchermaßen keine sachgerechten Lösungen für die Abgrenzungsproblematik zu finden sind, hat das Bundesarbeitsgericht 1980 selbst festgestellt. Somit kann Parallelität der individuellen Umstände allein das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands nicht begründen 55. Daß eine Maßnahme des Arbeitgebers mehrere Arbeitnehmer betrifft, kann als wenig aussagekräftiges Indiz nicht als Begründung für eine Berührung des Kollektivinteresses dienen 56 .
2. Kollektiver Bezug der Angelegenheit Zweifelhaft ist indes, ob der von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur favorisierte "kollektive Bezug" einer Angelegenheit, d.h. das Anknüpfen an den Regelungsgegenstand, entscheidend sein kann. Dieser kollektive Bezug ist zunächst der Sache nach nichts anderes als daß eine Vielzahl von Arbeitnehmern von einer Maßnahme betroffen ist, auch wenn der 1. Senat nicht müde wird zu betonen, daß letzteres nur ein Indiz für den Kollektivbezug sei. Man wird den Eindruck nicht los, daß sich der 1. Senat bemüht, den Zulagenbereich kollektiv zu erfassen. Dabei müßte es ihn selbst irritieren, daß er je nach Fallgestaltung die Begründungen wechseln muß, um einen kollektiven Bezug annehmen zu können. Mal wird auf einen Vergleich mit anderen Arbeitnehmern abgestellt, dann auf den Umstand, daß mehreren Anrechnungen der gleiche Grund unterliege und schließlich mal darauf, daß der Arbeitgeber einen generellen Entlohnungsgrundsatz aufgestellt habe57. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß sogar für die Arbeitsmarktzulage als letzter Bastion des Individualbereichs ein kollektiver Bezug mit dem Gesichts-
54 Kritisch dazu auch Hromadka, Anm. zu AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Reichold, RdA 1995, 147, 149. 55 Vgl. Lieb, SAE 1993, 114, 116 f. 56 Vgl. Heinze, ZÌA 1988, 53, 82 f. 57 Vgl. z.B. BAG v. 27. 10. 1992, AP Nr. 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. zur Kritik auch Hromadka, Anm. zu AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung.
ΠΙ. Stellungnahme
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punkt eines "personalwirtschaftlichen Erfordernisses" 58 bezogen auf die Arbeitnehmerschaft konstruiert wird 5 9 , obwohl diese Zulage eindeutig unbenannt und damit dem Austarieren von Leistung und Gegenleistung dienend dem Austauschverhältnis von Arbeitnehmer und Albeitgeber angehört. Daran wird deutlich, daß man in zweifelhafter Weise in praktisch jeder Fallkonstellation einen kollektiven Tatbestand annehmen kann, zumal wenn die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer dabei berücksichtigt wird, die in jeder Entscheidung in einem Atemzug zur Begründung mitangeführt wird. Von dem auf der weiten Verbreitung beruhenden kollektiven Erscheinungsbild übertariflicher Zulagen ist jedoch nicht ohne weiteres auf einen kollektivrechtlichen Regelungsbereich zu schließen60. Deswegen bemüht sich die der Rechtsprechung folgende Literatur mehr noch als jene, den Normzweck des § 87 I Nr. 10 BetrVG als Begründung für die gefundenen Ergebnisse heranzuziehen 61. Damit operiert man indes nur wieder mit den Worthülsen der "innerbetrieblichen Lohngerechtiçkeit" und dem "Schutz der Arbeitnehmer vor einer einseitigen Lohngestaltung des Arbeitgebers". Hiermit befindet man sich in bester Tradition institutionellen Denkens (politisch wertfrei verstanden), mit dem der Betrieb bzw. die Belange der Belegschaft vor allen anderen rechtlichen Gesichtspunkten, namentlich den Interessengewährleistungen des einzelnen Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, Berücksichtigung finden. Das zeigt sich in der Annahme, daß der kollektive Bezug einer Maßnahme nur verneint werden könne, wenn ausschließlich die Besonderheiten des konkreten Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf gerade den einzelnen Arbeitnehmer betreffende Umstände Maßnahmen erforderten und bei einander ähnlichen Maßnahmen gegenüber mehreren Arbeitnehmern kein innerer Zusammenhang bestehe62. Ergänzend führt Löwisch aus, daß eine Gestaltung mehrerer konkreter Arbeitsverhältnisse nicht angenommen werden könne, wenn Zulagen an einen ins Gewicht fallenden Teil
58
BAG AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. Bezeichnend ist im übrigen, daß dabei zusätzlich die "weite Verbreitung übertariflicher Zulagen, die ganzen Belegschaften gezahlt würden" angeführt wird. 60 Man fühlt sich an die Entscheidung des Großen Senats zur ablösenden Betriebsvereinbarung erinnert, der in Allgemeinen Arbeitsbedingungen gewährten Sozialleistungen einen kollektiven Bezug bescheinigte und so diese Regelungsfrage dem kollektivrechtlichen Bereich öffnete, wobei er ein systemfremdes kollektives Günstigkeitsprinzip kreierte, vgl. BAG-GS, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. 61 Vgl. Henssler, Anm. zu AP Nr. 56, 57, 58, 60 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Oetker, SAE 1993, 360, 362, der darüberhinaus die Abgrenzungsformel "Strukturprinzipien des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen" für eine "billigenswerte Überlegung" hält. 62 So BAG v. 22. 9. 1992, AP Nr. 56, 60 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Verweis aufGK-07e.se, BetrVG, § 87 Rdnr. 25 und Herbst, DB 1987, 738. 59
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der Belegschaft vergeben würden 63 . Damit wird wenigstens die enge Verknüpfung von quantitativem und qualitativem Kollektiv klargestellt, die sonst meist mit der Formulierung einer bloßen Indizfunktion der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer fast schamhaft ausgeführt wird. Enger kann man den kollektivfreien Individualbereich nicht mehr fassen, es sei denn, man nimmt den nächsten kleinen rechtlichen Schritt und unterwirft die Höhe des Entgelts bzw. der hier interessierenden Zulagen nicht nur einer mittelbaren, sondern einer unmittelbaren Mitbestimmung durch den Betriebsrat. Deutlich wird die Gefahr für den Individualbereich durch das Genügenlassen eines Kollektivbezugs im übrigen an den Stellungnahmen, die weitere Begründungen anführen, wie die schon angesprochene Topftheorie. Damit steht nicht mehr die Belegschaft allein im Mittelpunkt der Erwägungen bezüglich der Herstellung von Gerechtigkeit, sondern zusätzlich wird auf die Leistungen selbst abgestellt. Das ist an sich nur logisch, denn nur wo etwas verteilt wird, stellt sich die Frage nach dem "wie" der Verteilung, insbesondere ihrer im Verhältnis zu anderen Empfangern gerechten Ausgestaltung. Die Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit nährt sich folglich von der Annahme der Bereitstellung der finanziellen Mittel in einem Topf als Gesamtzulagenvolumen, aus dem dann in einem zweiten Schritt verteilt werde 64 . Daß es sich dabei jedenfalls bei unbenannten übertariflichen Zulagen wie der Teuerungs- und Arbeitsmarktzulage 65 wegen ihrer ausschließlich die Austauschgerechtigkeit betreffenden Funktion zumeist um eine betriebswirtschaftliche Endkontrolle handelt, die der Arbeitgeber vornimmt, wird dabei allerdings außer acht gelassen 66 . Es wird nichts verteilt, vielmehr handelt es sich um eine Vielzahl, voneinander unabhängiger und nicht in einem Topf zusammengefaßter Leistungen. Hier zeigt sich spätestens, wie problematisch es ist, mit Hilfe einer speziellen ratio legis der Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit die Reichweite des § 87 I Nr. 10 BetrVG zu bestimmen. Die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit ist eben nicht der einzige rechtliche Gesichtspunkt, den es zu verwirklichen gilt, sondern dieser muß sich mit anderen rechtlich gewährleisteten Interessen in Einklang bringen lassen. Es fragt sich insbesondere, was aus der Freiwilligkeit des Zulagenbereichs wird.
63
Vgl. AR-Blattei, (D) BetrV XIV B, Anm. zu Entsch. 91. Vgl. Herbst, DB 1987, 738 f. 65 Vgl. oben Einl. Π. 66 Vgl. Lieb, SAE 1993, 114, 117, der die Gesamtdotation zutreffend als "ebenso rechts- wie realitätsferne" Vorstellung bezeichnet; vgl. auch Hromadka, DB 1991, 2133, 2135; Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung. 64
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3. Abstraktheit der Regelung Über das Erfordernis der "Abstraktheit" findet der Wille des Arbeitgebers Eingang als Abgrenzungskriterium. Letztlich spitzt sich die Diskussion damit auf die Frage zu, ob ein Mitbestimmungsrecht eine Regelung schaffen soll oder ob bzw. inwieweit sie eine bestehende, vom Arbeitgeber geschaffene Regelung mitgestalten soll. Dabei liegen die Argumentationen neben der Sache, welche die Kollektivität des Zulagenbereichs als systemnotwendig erachten 67. Nicht nur, daß man mit einem kollektiven Erscheinungsbild 68 praktisch jedwede Mitbestimmung unabhängig von anderen rechtlichen Gesichtspunkten und damit systemwidrig begründen kann - erinnert sei an die soziologisch determinierten Auffassungen wie die Verbandsthese von Reuter, die sogar unmittelbar die Lohnhöhe der Mitbestimmung unterwirft, und Dorndorfs ökonomischer Analyse des Rechts zur Begründung eines generell anzunehmenden kollektiven Tatbestands69 -, sondern dieser Ansatz geht schon deswegen fehl, da es bei der Mitbestimmung nach § 87 I BetrVG nicht darum geht, Arbeitsbedingungen der Mitbestimmung zu unterwerfen, weil sie nur einheitlich für alle Arbeitnehmer bzw. einem abgrenzbaren Teil geregelt werden könnten 70 , sondern um Verteilungsgerechtigkeit als Gleichbehandlung zu verwirklichen. Auch wenn Mitbestimmung als Mitgestaltung über den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als einer reinen Rechtsfrage hinausgeht, ist das Anliegen doch dasselbe71. Sowohl der individualrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, als auch die kollektivrechtliche Mitbestimmung haben beim Entgelt mit der individuellen Lohngestaltung nichts zu tun und sind schon von daher vergleichbar. Zweck der Mitbestimmung bei betrieblichen Entgeltfiragen ist der Schutz der Arbeitnehmer, nämlich im Sinne der Gleichheit jedes einzelnen im Vergleich zu den anderen Arbeitnehmern, also insgesamt Gleichbehandlung als Kollektivinteresse 72 . Dieser Aspekt kann nicht allein schon 67 So aber Kohte, EzA Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; Weyand, AuR 1993, 1, 7; Hunold, DB 1981, Beil. Nr. 26, 1, 11; Herbst, DB 1987, 738, 739; Jahna, Anrechnung, S. 259 f. 68 Ähnlich das BAG ν. 14. 6. 1994, AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 69 Siehe oben § 2 ΠΙ. 1 .b). 70 A.A. v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 12 11, S. 233. 71 Vgl. Reichold, RdA 1995, 147, 157; Schwab, BB 1993, 495, 496; selbst das BAG räumt in seiner Entscheidung v. 16. 7. 1991, AP Nr. 49 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, ein, daß der Sinn der Mitbestimmung auch in der Gewährleistung der gleichmäßigen Behandlung der Arbeitnehmer liege; einschränkend Hromadka, DB 1988, 2636,2642; siehe auch oben § 1 ΠΙ. 72 Angemerkt sei, daß das BAG die Erstreckung des Einsichtsrechts des Betriebsrats auf übertarifliche Zulagen damit begründet, daß dieser nach § 75 I BetrVG auch darüber zu wachen habe, daß die Arbeitnehmer nach Recht und Billigkeit und gemäß dem Gleichbehandlungsgrundsatz behandelt würden, AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972.
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deswegen greifen, weil es zwischen den Arbeitnehmern eine imaginäre Verteilungsmasse gerecht aufzuteilen gelte, d.h. daß das Kollektivinteresse berührt wäre 73 . Dagegen vertritt H.Hanau auf Grundlage der Topftheorie, daß bei der Vergabe von übertariflichen Zulagen die Arbeitnehmer sämtlich potentielle Rivalen um die Gunst des Arbeitgebers bei der Verteilung des vorgegebenen Geldvolumens seien. Überlasse man die Vergabe individuellem Aushandeln, kämen nach dem Prioritätsprinzip nur eine begrenzte Anzahl zum Zuge bis der Topf letztlich geleert sei 74 . Diese Vorstellung mutet angesichts der vom Arbeitgeber mit der Zulagengewährung verfolgten Zwecke seltsam an, die damit gerade nicht auf dem Windhundprinzip beruht. Ebenso wird nicht zwingend etwas "verteilt", nur weil viele jeweils etwas von einem erhalten. Die Arbeitnehmer sitzen darüber hinaus nicht automatisch deswegen rechtlich in einem Boot, nur weil sie Angehörige der Belegschaft bzw. eines Teils derselben sind. In erster Linie ist der einzelne Arbeitnehmer, geschützt vor kollektivrechtlichen Regelungen durch das Günstigkeitsprinzip, Vertragspartner des Arbeitgebers, dessen Vertragsfreiheit insofern ebenfalls im Kernbereich durch die Art. 2 I, 12 GG, §§ 241, 305 BGB gewährleistet wird. Ein insoweit kollektivfreier Regelungsbereich muß folglich gegeben sein. Es ist daher schlicht zu kurz gegriffen, wenn hiergegen im Rahmen des kollektiven Bezugs der Angelegenheit "Zulagengewährung" die mittelbare Betroffenheit aller Arbeitnehmer durch die Stellung des Einzelnen als Teil des Gesamtgefüges angeführt wird 7 5 . Damit allein kann die Frage nicht beantwortet werden, wann der Betriebsrat für einen gerechten Interessenausgleich unter den Arbeitnehmern zu sorgen hat. Zum Teil eines kollektivrechtlichen Gesamtgefüges wird der Arbeitnehmer noch nicht durch Eingliederung in die Belegschaft, d.h. das Gleichbehandlungsproblem stellt sich erst bei einer gemeinschafts- bzw. betriebsbezogenen Maßnahme des Arbeitgebers. Dieser kollektive Gemeinschaftsbezug wird erst vom Arbeitgeber durch ein Verfahren nach einer allgemeinen Regel hergestellt, da er analog dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verpflichtet ist, eine allgemeine Regel aufzustellen 76 , sondern individuelle Gesichtspunkte wie zum Beispiel die Gehaltsdifferenz zu anderen vergleichbaren Arbeitnehmern berücksichtigen darf 77 . Grundlage der Gleichbehandlungspflicht ist der "Normvollzug" 78 , nicht 73
In diesem Sinne aber Herbst, DB 1987, 738. Individualautonomie, S. 97. 75 So z.B. Jahna, Anrechnung, S. 258, für die Anrechnung als mitbestimmungspflichtige Veränderung der Zulagenrelationen. 76 Vgl. BAG v. 19. 8. 1992 und v. 15. 11. 1994, AP Nr. 102, 121 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 77 Vgl. Joost, Anm. zu AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 78 So Bötticher, RdA 1953, 161, 162, 165; vgl. auch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 17 ΠΙ 2, S. 196; Konzen, FS-G.Müller, S. 245, 251 f.; Blomeyer, FS-G.Müller, S. 51,59. 74
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aber der Umstand, daß eine Frage das nicht näher faßbare Belegschaftsinteresse berührt, so daß die Schaffung einer Norm unter dem Aspekt der Gleichbehandlung geboten wäre 79 . Bei übertariflichen Zulagen geht es zunächst um individuelle Lohngerechtigkeit 80 , also um Lohnpolitik, die dem Zugriff des Betriebsrats bis auf eine mittelbare Beeinflussung anerkanntermaßen entzogen ist. Jene kann der Arbeitgeber grundsätzlich allein gestalten. Dieses unmittelbar auf der Unternehmensautonomie beruhende Recht kann ihm mithin durch die Betriebsverfassung nicht unfreiwillig entzogen werden, da diese den Betriebsrat gerade nicht zum Mitunternehmer macht 81 . Nur soweit sich der Arbeitgeber daher einer Bindung unterwirft, indem er eine abstrakte Regel aufstellt oder wenigstens eine erkennen läßt, muß er sich eine Mitentscheidungsbefugnis des Betriebsrats als Repräsentant der Arbeitnehmer gefallen lassen. Stellt er also Kriterien für die erstmalige oder geänderte Vergabe von Zulagen auf, so hat der Betriebsrat insoweit bei der näheren Gestaltung der somit geschaffenen Verteilungsgrundsätze (dem sog. Leistungsplan) mitzubestimmen, als ein Regelungsspielraum verbleibt 82 . Eine zentrale Rolle spielt dagegen für die Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur die Prämisse, daß es dem Arbeitgeber verwehrt sein müsse, durch eine Vielzahl von individuellen Absprachen ein Mitbestimmungsrecht zu umgehen. So meint Jahnke, daß die Abstraktheit deswegen kein Kriterium für Kollektivität sein dürfe, da es sonst der Formulierungskunst des Arbeitgebers überlassen wäre, eine Angelegenheit mehr oder weniger konkret und damit als Einzelfall zu behandeln83. Daraus folgt dann, daß dem "Selbstbindungswillen" 84 des Arbeitgebers keine Bedeutung zugemessen wird, was zwar 79
Vgl. v.Hoyningen-Huene, SAE 1985, 298, 301; Kraft, Anm. zu AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang. 80 Vgl. Hromadka, DB 1992, 1573, 1576; ders., DB 1991, 2133, 2135. 81 Vgl. oben § 4 IV 3. 82 Vgl. zu diesen von den Sozialleistungen übernommenen Grundsätzen, GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 619, 626, 655. 83 SAE 1983, 145, 146; dem folgend Jahna, Anrechnung, S. 254; vgl. auch Wiese, SAE 1983, 325, 327; ders., in: GK, BetrVG, § 87 Rdnr. 19. An dem Problem vorbei geht im übrigen die Argumentation, daß die Regelung erst durch die Mitbestimmung geschaffen werden solle und deswegen nicht zur Voraussetzung der Mitbestimmung gemacht werden könne (so Jahnke und Jahna, a.a.O.), denn es geht ja gerade um die Frage, ob der Betriebsrat eine Regelung erzwingen kann. Diese Argumentationsweise findet sich in ähnlicher Form beim Bundesarbeitsgericht bei der von ihm verneinten Frage nach einer Berücksichtigung der untenehmerischen Entscheidungsfreiheit, wenn es von einer Beschränkung des Mitbestimmungsrechts spricht, wo es doch erst darum geht, die Reichweite über den möglichen Regelungsgegenstand festzustellen, vgl. kritisch Lieb, ZfA 1988,413,435 f. 84 Vgl. Reichold, RdA 1995, 147, 157.
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
insofern zutreffend ist, als daß sich hinter einer Vielzahl von Individualregelungen eine kollektive, an abstrakten Merkmalen orientierte Ordnung verbergen kann. Daher kann einer Erklärung des Arbeitgebers, eine mitbestimmte Regel nicht zu wollen, keine Bedeutung zukommen, wenn seinem Vorgehen objektiv erkennbar ein System zugrunde liegt 85 . In der Konsequenz kann das aber nicht dazu führen, daß der Wille des Arbeitgebers generell unbeachtet bleibt. Denn nach wie vor soll der Arbeitgeber, auch nach dem Bundesarbeitsgericht, in seiner Zwecksetzung frei sein. Vor allen Dingen muß er nicht stets nach bestimmten Kriterien verfahren, um eine Behandlung der Arbeitnehmer nach gleichen Grundsätzen zu gewährleisten 86. Dies zeigt sich an der übertariflichen Zulage, die durchaus aufgrund mitbestimmungsfreier Zwecksetzung statt mitbestimmungspflichtiger Kriterienauswahl beruhen kann. Und daß Kriterien nicht mit Zwecken gleichzusetzen sind, ergibt sich zwangsläufig aus der dem Arbeitgeber zukommenden Unternehmensautonomie. Wenigstens das Danaergeschenk der "vier Freiheiten des Arbeitgebers", mit dem die Rechtsprechung Unternehmensautonomie und Freiwilligkeit der Gewährung berücksichtigen will, sollte beachtet werden. Hier wirkt es sich aus, daß das Bundesarbeitsgericht falschlich davon ausgeht, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ständen nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt, daß durch sie nicht in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingegriffen werden dürfe 87 . Dies wird dann so verstanden, daß es für die Bestimmung der Reichweite von Mitbestimmungsrechten unerheblich sei, daß die unternehmerische Freiheit tangiert wird 8 8 . Das an sich anerkannte Interesse an einer effektiven Unternehmensleitung gerät damit unter die Räder eines übermächtigen Gleichheitsgedanken, dem die betriebliche Lohnpolitik nicht verpflichtet ist. So muß die von Trittin für den Zulagenbereich rhetorisch gestellte und vom ihm verneinte Frage, ob es weiterhin das Vorrecht des Arbeitgebers sein solle, Lohnpolitik allein am Betriebsrat vorbei zu betreiben 89, eindeutig bejaht werden. Deutlicher als an dieser Fragestellung kann es nicht gemacht werden, worum es bei übertariflichen Zulagen geht, nämlich um grundsätzlich mitbestimmungsfreie Lohnpolitik. Und nur soweit der Arbeitgeber durch das Setzen von betriebsbezogenen Zwecken betriebliche Lohngestaltung betreibt, hat der Betriebsrat 85 Vgl. Hromadka, DB 1991, 2133, 2135; ebenso Reichold, Anm. zu AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, der aber aufgrund seiner Illese der Betriebsverfassung vom Sach- und Zweckgerechtigkeit gebundenen Sozialprivatrechts von einem zu unterstellenden Systembezug ausgeht und daher dem Arbeitgeber die Darlegungslast für das Vorliegen einer Ausnahme aufbürdet. 86 So aber Löwisch, AR-Blattei, BetrV XIV B, Anm. zu Entsch. 91; Jahna, Anrechnung, S. 255. 87 Vgl. BAG AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAG AP Nr. 10 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 88 Vgl. kritisch auch Kraft, ZfA 1995,419,427. 89 AuR 1991,329, 331.
IV. Folgerungen für den Umfang des Mitbestimmungsrechts
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nach § 87 I Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen. Der telos dieser Norm, wonach der Betriebsrat ausschließlich an gemeinschafts- bzw. betriebsbezogener Lohngestaltung zu beteiligen ist, gebietet daher die Reduktion der Mitbestimmung auf die Ausgestaltung der vom Arbeitgeber aufgestellter Grundsätze für die Vergabe von freiwilligen Leistungen 90 . Das Mitbestimmungsrecht umfaßt indes nicht die Befugnis, über die Zwecksetzung des Arbeitgebers hinweg eine generelle Zulagenregelung zu erzwingen 91 . Nur dieses Ergebnis entspricht der grundrechtskonformen Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG, die in Angelegenheiten, in denen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit berührt wird, notwendig wird 9 2 . Ein kollektiver Tatbestand liegt demnach nur dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber eine abstrakt-generelle Regelung aufgestellt hat.
IV. Folgerungen für den Umfang des Mitbestimmungsrechts 1. Unbenannte Zulagen Für die Gewährung übertariflicher Zulagen bedeutet dies nach allem, daß unbenannte übertarifliche Zulagen, also Arbeitsmarkt-, Halbgruppen- und Teuerungszulagen 93 auch bei vielfachem Auftreten jeweils ausschließlich die Höhe des Gesamtentgelts und damit die Austauschgerechtigkeit betreffen, so daß grundsätzlich kein kollektiver Tatbestand angenommen werden kann 94 . Das Problem der Gleichbehandlung stellt sich insofern nicht, als kein Regelungsspielraum für kollektive Aspekte verbleibt, weil der Arbeitgeber diesbezüglich mitbestimmungsfirei einen abschließenden, nicht belegschaftsbezogenen Zweck gesetzt hat. Da es keinen (kollektiven) Leistungsplan gibt, darf der Betriebsrat diesen "planlosen" Zustand auch nicht durch seine Gerechtigkeitsvorstellungen verändern. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Arbeitgeber selbst Gruppen aufstellt und durch diese betriebsbezogene Maßnahme einen kollektiven Regelungsbereich eröffnet 95. Bei der Aufstellung ist dann der Betriebsrat zu beteiligen, insbesondere an der Festlegung der Abstände zwischen den einzelnen Entgeltgruppen, auch wenn
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Vgl. Reichold, RdA 1995, 147, 157. Vgl. Kraft, FS-Rittner, S. 285, 290. 92 Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 67 m.w.Nachw.; siehe auch § 1 Π2. 93 Sie dienen der Verfeinerung bzw der Ergänzung des Tarifentgelts. 94 Vgl. Hromadka, DB 1988, 2636, 2642, 2645 f.; ders., DB 1991, 2133, 2136 f.; Kraft, FS-Molitor, S. 207, 222; Reichold, RdA 1995, 147, 158; Joost, Anm. zu AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 95 So im Fall des BAG AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 91
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
nicht zu verkennen ist, daß der Betriebsrat damit einen unter dem Gesichtspunkt verbotener Lohnpolitik bedenklichen Einfluß auf die Lohnkurve bekommt 9 6 , was sich aber noch unter die bloß mittelbare Auswirkung fassen läßt, wenn man dieses Kriterium einmal anwenden will.
2. Benannte Zulagen Anders stellt es sich dagegen bei der benannten übertariflichen Zulage, also insbesondere den Leistungs-, Erschwernis- und Sozialzulagen dar. Den solchermaßen gesetzten Zwecken ordnet der Arbeitgeber nur einen bestimmten Entgeltteil zu, im übrigen verbleibt aber ein systematisches, sprich kollektives Vorgehen des Arbeitgebers, so daß er dem Betriebsrat insoweit einen Regelungsspielraum für die weitere Ausgestaltung des Entlohnungsgrundsatzes einräumt 97 . Dazu gehört insbesondere die Festlegung der anspruchsbegründenden Kriterien und das Verfahren zur Festsetzung der Zulagenhöhe98. Mitbestimmungpflichtig ist es somit z.B., wenn für Leistungszulagen je Beurteilungsmerkmal Punkte vergeben werden und bestimmt wird, ob der Geldwert für alle Arbeitnehmer gleich sein soll oder ob Differenzierungen vorgenommen werden sollen 99 . Bei Erschwerniszulagen umfaßt das Mitbestimmungsrecht die Erstellung eines Katalogs erschwerniszuschlagspflichtiger Arbeiten, die Zuordnung der einzelnen Zuschlagspflichtigen Arbeiten zu bestimmten Lästigkeitsgruppen und die Festlegung des Verhältnisses der für die Arbeiten der einzelnen Lästigkeitsgruppen zu zahlenden Zulagen zueinander 100 .
3. Einheitliche Zulagen Kein kollektiver Tatbestand ist gegeben, wenn der Zulagengewährung ein ungewichteter Katalog von individuellen und betriebsbezogenen, d.h. abstraktgenerellen Kriterien zugrundeliegt, da der Arbeitgeber bei diesen einheitlichen
96 Vgl. kritisch Lieb, ZfA 1978, 179, 202 f., zur paralell gelagerten Problematik der Mitbestimmung bei der Vergütung von AT-Angestellten. 97 Vgl. Hromadka, DB 1988, 2636, 2646; ders., DB 1991, 2133, 2137; Reichold, RdA 1995, 147, 157. 98 Vgl. BAG v. 14. 12. 1993, AP Nr. 65 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 226 h. 99 Vgl. BAG v. 22. 10. 1985, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn mit zust. Anm. Strecket, GK -Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 655; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 486. 100 So BAG v. 22. 12. 1981, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.zust.Anm. Heckelmann', Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 485.
IV. Folgerungen für den Umfang des Mitbestimmungsrechts
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Zulagen insgesamt keine kollektive Regelungszwecke verfolgt 101 . Der Betriebsrat kann im übrigen kein Aufspalten der einheitlich gewährten Zulage in verschiedene Teile wie z.B. in eine Arbeitsmarkt-, in eine Leistungs- und in eine Sozialzulage verlangen, da dies ein Setzen von Zwecken darstellt, das allein dem Arbeitgeber vorbehalten ist.
4· Nachträgliche Veränderung der Gewährung Schließlich muß auch die nachträgliche Veränderung der Gewährung, insbesondere durch Anrechnung auf eine Tariflohnerhöhung auf einem vom Arbeitgeberwillen getragenen Zulagensystem beruhen 102 . Der vom Bundesarbeitsgericht statt dessen herangezogene Anrechnungsgrund kann keine Kollektivität begründen, da es nach dem oben Ausgeführten weder genügen kann, daß ein individueller Umstand als abstrakte Regel denkbar ist, noch daß sich diese Regel aus einem Vergleich mit anderen Arbeitnehmern ergibt 103 . Nicht die Möglichkeit einer abstrakten Regel, sondern ihr tatsächliches Vorliegen ist entscheidend. Denn jede nicht willkürliche Entscheidung, die individuelle Umstände berücksichtigt, läßt sich auf einen verallgemeinerungsfähigen Grundsatz zurückführen, so daß eine Vergleichsmöglichkeit oder -notwendigkeit im Hinblick auf die Notwendigkeit eines kollektivfreien Regelungsbereichs eine unbrauchbare Abgrenzungsformel darstellt 104 . Begreift man das Arbeitsverhältnis als Recht der Arbeitsverhältnisse, so betrifft insbesondere die vom Arbeitgeber vorgenommene Bewertung der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers als lediglich vertragsgerechte Mindest 105 - bzw. Normalleistung oder als übertariflich zu entlohnende Anstrengung ausschließlich das Synallagma, indem der Arbeitgeber nichts anderes macht, als die Erfüllung oder Übererfüllung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht festzustellen, ähnlich der Konkretisierung der nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Arbeitsschuld durch das Weisungsrecht 106 . Dies ist ein lohnpolitischer Entscheidungsvorgang, wobei durch einen vergleichenden Blick auf andere Arbeitnehmer aus dieser mitbestimmungsfreien Zwecksetzung noch keine mitbestimmungs101 Vgl. Hromadka, DB 1986, 1921, 1924; ders., DB 1991, 2133, 2137; Kraft, FSMolitor, S. 207, 222; ders., Anm. zu AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; Reichold, RdA 1995, 147, \51,Lieb, SAE 1993, 114, 116. 102 Vgl. Schwab, BB 1993, 495, 498; Reichold, RdA 1995, 147, 158; Hromadka, Anm. zu AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; siehe auch unten § 71.1.b). 103 So aber Oetker, SAE 1993, 360, 362 f. 104 Vgl. Henssler, Anm. zu AP Nr. 56, 57, 58, 60 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Joost, Anm. zu AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 105 Vgl. BAG AP Nr. 56, 60 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 106 Vgl. auch Rolfs, Anm. zu EzA Nr. 44 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung.
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§ 6 Übertarifliche Zulagen als Einzelfallregelungen
Pflichtigen Verteilungskriterien werden. In diesem Sinn weist Schwab speziell zur Anrechnung unter Leistungsgesichtspunkten zutreffend darauf hin, daß der Arbeitgeber anläßlich einer Tariflohnerhöhung mitbestimmungsfrei den Zweck dahingehend verändern kann, daß er die Zulage in einen leistungsbezogenen und in einen leistungsunabhängigen Teil aufspaltet, wobei es ihm überlassen ist, das Maß des zur Anrechnung führenden Leistungsdefizits zu definieren 107 .
107
BB 1993, 495, 498 f.; dagegen Oetker, SAE 1993, 360, 363, der unter Mißachtung des Freiwilligkeitsgrundsatzes die Änderung des Zulagenzwecks für mitbestimmungspflichtig hält.
§ 7 Besondere Probleme Gesonderte Aufmerksamkeit ist schließlich dem Kriterium der "Änderung der Verteilungsgrundsätze" zuzuwenden, von dem die Rechtsprechung ein Mitbestimmungsrecht bei der nachträglichen Veränderung der Zulagengewährung abhängig macht. In ihm zeigt sich in besonderer Schärfe die insgesamt fehlerhafte Konzeption der Rechtsprechung. Die Mitbestimmung nach § 87 I Nr. 10 BetrVG beruht bekanntlich auf der Kette "betriebliche Lohngestaltung", "Betroffenheit der Lohngerechtigkeit im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit", "Kollektivität kraft kollektiven Bezugs", "Strukturformen des Entgelts" und zuletzt "Änderung der Entlohnungs- bzw. Verteilungsgrundsätze" bei der nachträglichen Veränderung der Zulagengewährung. Zwei Fragenkomplexe stellen sich dabei, nämlich zum einen, wann eine solche Änderung anzunehmen ist, und zum anderen, was überhaupt tauglicher Anknüpfungspunkt für ein Mitbestimmungsrecht ist, womit das Verhältnis der Betriebsautonomie zu den Rechten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Mittelpunkt rückt, also zur Unternehmens- und zur Individualautonomie. Hauptschlachtfeld der Diskussion ist dabei die Anrechnung übertariflicher Zulagen auf eine Tariflohnerhöhung 1 .
I. Die Änderung der Verteilungsgrundsätze 1. Bezugspunkt und Bezugsgrößen für die Feststellung einer Veränderung a) Die Grundsätze des Großen Senats Der Große Senat nimmt als Bezugspunkt für die Frage nach der Änderung der Verteilungsgrundsätze das Verhältnis der Zulagen zueinander 2. Eine Änderung der Verteilungsgrundsätze liegt demnach dann vor, wenn sich das rechnerische Verhältnis der Zulagen zueinander ändert. Der Große Senat bildet dabei Fallgruppen, nach denen sich die Verteilungsgrundsätze bei einer Anrechnung ändern bzw. dieselben bleiben. Zu einem veränderten Vertei-
1 Im allgemeinen also beim Abschluß eines neuen Tarifvertrags, dies gilt aber ebenso für jedes Ansteigen der tariflichen Entlohnung wie z.B. dem sog. Beschäftigungsjahressprung, vgl. BAG ν. 22. 9. 1992, AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. auch Schneider, DB 1993, 2530, 2531. 2 BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung, unter C HI 5 der Gründe.
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§ 7 Besondere Probleme
lungsschlüssel kommt es demzufolge zum einen bei einer unterschiedlichen Anrechnung (entweder eines unterschiedlich hohen Betrages oder Prozentsatzes)3, zum anderen sowohl bei einer Anrechnung eines einheitlichen DMBetrages auf verschieden hohe Zulagen, als auch bei einer prozentual gleichmäßigen Anrechnung der Tariflohnerhöhung, wenn der Arbeitgeber unterschiedlich hohe Zulagen gewährt, es sei denn, die Zulagen stehen in einem einheitlichen und gleichen Verhältnis zu den jeweiligen Tariflöhnen und diese werden um den gleichen Prozentsatz erhöht (also z.B. der Arbeitgeber rechnet bei einer Tariflohnerhöhung von 6% auf die in Höhe von 10% des jeweiligen Tariflohns gewählten Zulagen 4% an) 4 . Zu einer Änderung kommt es also insbesondere in drei Fallgestaltungen, nämlich wenn unterschiedlich hohe Zulagen zum jeweiligen Tariflohn gezahlt werden, oder wenn die Tariflöhne um einen unterschiedlichen Prozentsatz erhöht werden und schließlich in dem Fall, daß alle Arbeitnehmer bisher einen bestimmten Sockelbetrag erhalten, die prozentual gleichmäßige Anrechnung aber dazu führt, daß die Zulage einiger Arbeitnehmer diesen Sockelbetrag nicht mehr erreicht 5. Zu keiner Änderung der Verteilungsgrundsätze kommt es dagegen grundsätzlich, wenn der Arbeitgeber alle Zulagen um den gleichen Prozentsatz kürzt, es sei denn wiederum, dies führt bei einigen Arbeitnehmern zum Unterschreiten eines vorher gewährten Zulagensockels6.
b) Kritik Es soll darauf verzichtet werden, die Fallgruppen des Großen Senats rechnerisch darzustellen, da dies bereits ausführlichst in der Literatur geschehen ist, wobei fortlaufend neue Beispiele entdeckt werden, die in der Entscheidung nicht berücksichtigt wurden 7 . Der Umfang der Zahlenwerke und ihrer Re3
Unter C ΠΙ 5 a) der Gründe; das ist unter der Voraussetzung eines Mitbestimmungsrechts bei übertariflichen Zulagen unstreitig, vgl. Ramrath, DB 1990, 2593, 2598; Lieb, SAE 1990, 226, 228 ff.; Oetker, RdA 1991, 16, 28; Hromadka, DB 1991, 2133, 2138; Wiese, NZA 1990, 793, 801; Meisel, BB 1991, 406, 410; Hönsch, BB 1988, 2312, 2315. 4 So in der Entscheidung des 1.Senats v. 11. 8. 1992 - 1 AZR 100/88, n.v. 5 Unter C m 5 b) aa) der Gründe. 6 Unter C ΠΙ5 b) bb) der Gründe. 7 Vgl. Schwab, BB 1993, 495, 498 ff.; Stege/Schneider, DB 1992, 2342 ff.; Stege/Weinspach, BetrVG, § 87 Rdnr. 174 d ff. Schukai, NZA 1992, 967, 968 ff.; Ziepke, Anrechnung, S. 63 ff.; Rau, Anrechnung, S. 135 ff.; besonders umfassend Jahna, Anrechnung, S. 149 - 230, der in 80 Tabellen die Änderung der Zulagenrelationen bei den verschiedenen Anrechnungsmöglichkeiten darstellt. Wem das zu ausführlich ist, dem sei zur rechnerischen und bildlichen Verdeutlichung Hromadka, DB 1992, 1573, 1574 ff. empfohlen. Instruktiv zum Verhältnis von tariflichen und vertraglichen Lohn, Ramrath, m 1991, 2593 ff.
I. Die Änderung der Verteilungsgrundsätze
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chenoperationen müßten jedenfalls an sich schon den Verdacht nahelegen, daß irgend etwas mit dem gewählten Bezugsmaßstab nicht stimmt. Will der Arbeitgeber danach mitbestimmungsfrei anrechnen, muß er den anzurechnenden Prozentsatz der Tariflohnerhöhung auf die Gesamtsumme der Zulagen umrechnen und jede einzelne Zulage dann um diesen Prozentsatz kürzen 8. In der Praxis lassen sich anhand dieser Voraussetzung mitbestimmungsfreie Anrechnungen kaum durchführen, dies insbesondere wegen der verschiedenen vertraglichen Gestaltung der Zulagengewährung 9. Rechtlich bewertet zeigt sich wieder das Grundübel dieser Auffassung, indem diese nicht nur einseitig von der Vorstellung der Belegschaft als Objekt eines notwendigen Interessenausgleichs, was zugegebenermaßen bis zu einem gewissen Grad richtig ist 10 , sondern darüber hinaus von der Vorstellung von Finanztöpfen beherrscht wird. Diese kollektive Erfassung der finanziellen Leistungen mag ihre Richtigkeit bei freiwilligen Sozialleistungen und der betrieblichen Altersversorgung haben, nicht jedoch für den Bereich übertariflicher Zulagen. Vom gegenteiligen Standpunkt des Großen Senats ist es zunächst konsequent, allein auf das Verhältnis der Zulagen zueinander abzustellen. Das ändert aber nichts an der Fehlerhaftigkeit der Prämisse, da übertarifliche Zulagen nicht als eigenständiger Teil des Entgelts gesehen werden können 11 . Entscheidend muß daher das Verhältnis der Effektivlöhne sein, mit der Folge, daß eine teilweise gleichmäßige Anrechnung um einen bestimmten Betrag mangels Änderung der Verteilungsgrundsätze mitbestimmungsfrei ist 12 . Unverständlich ist es auch, daß es nach der Rechtsprechung nicht mehr darauf ankommt, ob der Arbeitgeber zuvor oder mit der nachträglichen Änderung der Zulagen einen neuen Verteilungs- sprich Entlohnungsgrundsatz im 8
Vgl. Hromadka, DB 1992, 1573, 1574 f.; Stege/Schneider, DB 1992, 2342, 3244, Beispiel Nr. 8: 5 Arbeitnehmer erhalten Tariflöhne in Höhe von 4000 DM und in steigender Folge jeweils eine Zulage von 100 - 500 DM. Will der Arbeitgeber eine Tariflohnerhöhung von 5%, d.h. 200 DM zur Hälfte auf die Zulagen anrechnen, so bedeutet das eine Kürzung des Gesamtvolumens um 500 DM (200 DM : 2 = 100 DM und dies mal 5). Dies stellt ein Drittel des bisherigen Gesamtvolumens in Höhe von 1.500 DM dar (100 DM + 200 DM + 300 DM + 400 DM + 500 DM), so daß der Arbeitgeber jede einzelne Zulage um 33,3% kürzen kann. 9 Kritisch ebenso Richardi, NZA 1992, 961, 962; Hromadka, DB 1992, 1573. 10 Vgl. oben § 4 I V 2. 11 Vgl. oben § 5 11 b). 12 Ebenso Hromadka, DB 1992, 1573, 1577; Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; Hönsch, BB 1988, 2312, 2313 f.; Eich, DB 1980, 1340, 1342; Lieb, SAE 1990, 226, 230; ders., SAE 1993, 114 f., der deutlich den nivellierenden Effekt der Rechtsprechnung aufzeigt, indem die (mitbestimmungsfreie) prozentual gleichmäßige Anrechnung im Ergebnis dazu führt, daß die Zulagen um unterschiedlich hohe Beträge angehoben werden, und insofern ein "möglicherweise damit angestrebtes traifpolitisches Ziel des Senats" konstatiert; dagegen dem Großen Senat folgend Schwab, BB 1993,495,497; Jahna, Anrechnung, S. 122 ff. 10 Wittgruber
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§ 7 Besondere Probleme
Sinne des § 87 I Nr. 10 BetrVG aufgestellt hat, was angesichts des Wortlauts des Gesetzes verwundert und im übrigen im Widerspruch zu den Ausführungen steht, es komme auf eine Änderung der Verteilungsgrundsätze an. Nach dem oben Gesagten13 muß zunächst festgestellt werden, ob der Arbeitgeber bei der Vergabe nach einer abstrakt-generellen Regel verfahren ist, und dann in einem zweiten Schritt, ob sich der Arbeitgeber bei der nachträglichen Änderung im Rahmen dieser Entlohnungsgrundsätze gehalten hat 14 . Selbst wenn ersteres zu bejahen und letzteres zu verneinen ist, kommt noch die Möglichkeit in Betracht, daß der Arbeitgeber eine kollektiv vergebene Zulage nachträglich in eine individuelle Zulage ändert, indem er ihr mitbestimmungsfrei einen anderen Zweck beilegt, so daß diese nicht Eingang in die Prüfung einer Veränderung der Verteilungsgrundsätze finden kann. Von daher ist es zu kurz gegriffen und nicht überzeugend, wenn der 1. Senat der Auffassung ist, daß sich die Verteilungsgrundsätze allein dadurch ändern würden, weil eine Anrechnung im konkreten Fall einen kollektiven Tatbestand darstelle, wobei es unerheblich sei, ob sich nur eine oder mehrere Zulagen nachträglich änderten 15 . Letzteres ist insofern zutreffend, als bei Bestehen eine kollektiven Zulagenstruktur diese selbst durch die Anrechnung bei einem einzigen Arbeitnehmer verändert werden kann, das entbindet jedoch nicht von der Prüfung, ob eine solche überhaupt besteht. Schließlich ist daraufhinzuweisen, daß nicht unterschiedslos jede Zulage in die Verteilungsrechnung aufgenommen werden kann, so wie es die Rechtsprechung annimmt und damit nicht nur den Bezugsmaßstab, sondern dabei noch die Bezugsgrößen falsch definiert. Nicht nur individuelle, sondern auch nach dem Vertragsinhalt tarifbeständige Zulagen 16 müssen außer acht blei-
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Vgl. oben § 6 I V 4. Vgl. Hromadka, Anm. zu AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ders., DB 1991, 2133, 2138; ebenso Schukai, NZA 1992, 967, 968; dagegen verteidigt Rau, Anrechnung, S. 81, den Großen Senat damit, daß aus den Gesetzesbegriffen Entlohnungsgrundsätzen und Entlohnungsmethoden nicht der Schluß gezogen werden könne, daß den Vergabekriterien ein System zugrundeliegen müsse, fuhrt aber direkt im Anschluß sich selbst widersprechend aus, daß für ein Mitbestimmungsrecht eine systematischen Regelung von Bedeutung sei. 15 Vgl. z.B. BAG AP Nr. 54, 55, 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 16 Grundsätzlich nimmt die übertarifliche Zulage lediglich eine Tariflohnerhöhung vorweg, d.h. ihr liegt konkludent eine dahingehende clausula rebus sie stantibus zugrunde (vgl. Eich, DB 1980, 1340, 1344), mit der Folge, daß jene von ihr aufgesogen wird, vgl. auch unten Π 1. Tarifbeständig, d.h. nicht anrechenbar ist eine Zulage dagegen zum einen dann, wenn es ausdrücklich vereinbart wurde, oder wenn sich dies im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung ergibt, was das BAG bei (benannten) übertariflichen Zulagen annimmt, die besondere Leistungen, Fähigkeiten, Arbeitserschwernisse oder andere besondere Umstände eines Einzelfalls abgelten sollen, wobei ein weiteres Kennzeichen ist, wenn der Arbeitgeber bei der Lohnabrechnung die Zulage besonders ausgewiesen hat, vgl. BAG AP Nr. 6, 12 zu § 4 TVG Übertariflicher 14
I. Die Änderung der Verteilungsgrundsätze
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ben 17 , da die insoweit durch das Günstigkeitsprinzip geschützte vertragliche Abrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Vorrang vor einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hat 18 . Notwendigerweise kommt es durch eine gleichmäßig prozentuale Anrechnung einer Tariflohnerhöhung zu einer Änderung der Zulagenrelationen, wenn im Betrieb tarifbeständige und solche Zulagen, die durch eine Tariflohnerhöhung aufgesogen werden, nebeneinander bestehen. Erstere stehen einer kollektivrechtlichen Umverteilung durch Betriebsvereinbarung wegen des Günstigkeitsprinzips nicht zur Verfügung, d.h. der Arbeitgeber kann mitbestimmungrechtlich nicht zu einer Anrechnung auf tarifbeständige Zulagen gezwungen werden, da die betroffenen Arbeitnehmer einen geschützten Anspruch auf die volle Weitergabe der Tariflohnerhöhung haben. Dasselbe gilt prinzipiell für den Fall, daß die Zulage zum einen Teil frei widerruflich 19 und zum anderen Teil anrechenbar vereinbart wurde, da der Arbeitgeber durch ein Mitbestimmungsrecht nicht verpflichtet werden kann, über die teilweise erfolgte Aufsaugung hinaus im Wege des Widerrufs
Lohn und Tariflohnerhöhung; BAG AP Nr. 54, 55 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG v. 23. 3. 1993, AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; dagegen geht das BAG bei unbenannten Zulagen von einer Anrechbarkeit aus, selbst wenn die Zulage über längere Zeit zusätzlich zum Tariflohn gezahlt wurde, wobei auch kein Anspruch aus betrieblicher Übung vergleichbar den Rechtsgrundsätzen zu Gratifikationen entstehen kann, vgl. AP Nr. 13, 15 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung m.Anm.Herschel·, AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; kritisch dazu Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 4 Rdnr. 173 a.; zur Verrechenbarkeit wegen Zweckgleichheit von betrieblicher und tariflicher Zulage, vgl. Hunoldt, DB 1981, Beilage Nr. 26, S. 1, 10. 17 So aber BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C ΠΙ 5 b bb der Gründe; dem zustimmend, Schwab, BB 1993, 495, 498, für den Fall, daß der Betriebsrat der bisherigen Zulagenordnung nicht zugestimmt hat. 18 Vgl. Richardi, NZA 1992, 961, 963 ff., 965, der zutreffended formuliert, daß "das Mitbestimmungsrecht in der Interpretation des Großen Senats mit der Heckenschere über die vertraglich vereinbarten Entgeltleistungen geht"; vgl. zum Herausnehmen anrechnungfester Zulagen auch BAG ν. 22. 9. 1992, AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; dagegen LAG Köln v. 21. 1. 1994, DB 1994, 1628. 19 Im Gegensatz zur Anrechenbarkeit besteht beim Widerrufs vorbehält die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Zulage auf den erhöhten Tariflohn aufzustocken, es sei denn, er übt den Vorbehalt aus, wodurch der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf die Zulage verliert. Der Arbeitgeber unterliegt dabei der Grenze des § 315 I BGB, d.h. er kann nur nach billigem Ermessen widerrufen. Eine davon abweichende Vereinbarung gemäß § 319 Π BGB, wonach der Arbeitgeber den Widerruf nach freiem Ermessen ausüben kann, nach der Rechtsprechung "jedenfalls soweit unzulässig, wie sie sich auf Bestandteile des laufenden Entgelts bezieht", so BAG ν. 13. 5. 1987, AP Nr. 4 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle. Ähnlich ist nach Preis, FS-Kissel, S. 879, 892, 913, der Bestand eines Widerrufsvorbehalts, der sich auf synallagmatische Pflichten bezieht, von der Aufnahme eines am § 2 KSchG zu messenden Widerrufsgrunds abhängig; in diesem Sinne auch unter Betonung des Bestandsschutzinteresses des Arbeitnehmers, Rolfs, Anm. zu EzA Nr. 44 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung. Allgemein zur Inhaltskontrolle, Preis, Vertragsgestaltung, § 9.
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§ 7 Besondere Probleme
die Zulage anzurechnen 20. Auch hier wird nicht ein etwaig bestehender kollektiver Verteilungsgrundsatz verändert, da der Arbeitgeber die Anrechnung lediglich der vertraglichen Abrede entsprechend vornimmt 21 . Folglich ist es unzutreffend, wenn der Große Senat davon ausgeht, daß sich sowohl bei jeder prozentual gleichmäßigen Anrechnung sämtlicher Zulagen die Verteilungsgrundsätze änderten, es sei denn, diese stünden in einem einheitlichen und gleichen Verhältnis zum jeweiligen Tariflohn und die Tariflöhne würden um den gleichen Prozentsatz erhöht werden, als auch bei jeder unterschiedlichen Anrechnung eine Änderung anzunehmen sei.
2. Entfallen des Mitbestimmungsrechts trotz Änderung der Verteilungsgrundsätze a) Rechtliches und tatsächliches Hindernis Trotz Veränderung der Verteilungsgrundsätze soll nach Ansicht des Großen Senats ein Mitbestimmungsrecht entfallen, wenn diesem ein tatsächliches oder rechtliches Hindernis entgegensteht22. Ein tatsächliches Hindernis liege bei der Reduzierung des Zulagenvolumens auf Null vor, während ein rechtliches Hindernis bei einer vollständigen gleichmäßigen Anrechnung einer Tariflohnerhöhung gegeben sei 23 . Hinsichtlich des vollständigen Wegfalls aller Zulagen infolge einer Anrechnung ist nur zu bemerken, daß es mißverständlich ist, von einem tatsächlichen Hindernis für das Mitbestimmungsrecht zu sprechen, wo doch schon mangels Gegenstand überhaupt kein solches besteht; der Sache nach ist es aber insofern richtig, als nur dort wo, noch etwas da ist, etwas verteilt werden kann 24 . Ebenso zutreffend ist es, von einem Entfallen des Mitbestimmungsrechts auszugehen, wenn eine Tariflohnerhöhung vollständig angerechnet wird, da dem Arbeitgeber darüber hinaus kein Regelungsspiel20 Vgl. Richardi, NZA 1992, 961, 964 f.; dagegen ausdrücklich BAG AP Nr. 58 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Π 2 c) der Gründe; Schwab, BB 1993, 495, 498; Jahna, Anrechnung, S. 147 f., mit der Begründung, originäre Beteiligungsrechte des Betriebsrats stünden nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien. Damit übersieht er, daß es gerade um die Abgrenzung von Individual- und Betriebsautonomie geht, wofür mit dem Begriff "originär" in keiner Weise gedient ist. 21 Vgl. Richardi, NZA 1992, 961, 965. 22 Darüberhinaus entfällt es, wenn der Betriebsrat bei der Einführung der Zulagen vorweggenommen der Art und Weise einer späteren Anrechnung zugestimmt hat, vgl. BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung, unter C m 4 der Gründe; vgl. zu diesem Aspekt schon Wiese, NZA 1990, 793, 800. 23 Unter C m 6 der Gründe. 24 Vgl. Richardi, NZA 1991, 961, 962 f.; Stege/Schneider, DB 1992, 2342; dagegen unterliegt nach Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrV, § 87 Rdnr. 259, schon die Abschaffung der Zulagen der Mitbestimmung.
I. Die Änderung der Verteilungsgrundsätze
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räum zu einer weitergehenden Anrechnung verbleibt 25 . Jede andere vom Betriebsrat durch Anrechnung angestrebte Umverteilung hätte zur Folge, daß bei anderen Arbeitnehmern über die Tariflohnerhöhung hinaus gekürzt werden müßte. Selbst für dahingehende Änderungskündigungen zur Beseitigung der entgegenstehenden Ansprüche auf die um die Tariflohnerhöhung gekürzte Zulage würde es an der Wirksamkeit mangeln, da der Wille zur Umverteilung als sachlicher Grund hierfür nicht genügt. Dasselbe gilt für den an sich in den Grenzen des § 315 I BGB freien Widerruf anläßlich einer Tariflohnerhöhung, da dieser auch insoweit bedingt ist 26 . Ausdrücklich betont dabei der Große Senat, daß der Betriebsrat unabhängig von einer Tariflohnerhöhung kraft seines Initiativrechts eine Änderung der Vergabekriterien herbeiführen kann, so daß man sich fragt, warum dies nicht in jedem Fall genügen sollte.
b) Vollständige Reduzierung und Neugewährung Indessen stellt sich in diesem Zusammenhang eine Folgefrage, die neuerdings wiederholt vom 1. Senat zu entscheiden war, nämlich welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn der Arbeitgeber vollständig und gleichmäßig anrechnet, dann aber nach einer gewissen Zeit wieder Zulagen einführt. Offensichtlich versuchten in der Folgezeit einige Arbeitgeber, sich die Grundsätze des Großen Senats zunutze zu machen, um zunächst mitbestimmungsfrei anzurechnen und im nachhinein Anhebungen des Entgelts vorzunehmen, einem angesichts der Länge eines unter Umständen vor der Einigungsstelle ausgetragenen Mitbestimmungsverfahrens durchaus verständlichen Vorgehen. Hier schiebt nun der 1. Senat einen Riegel vor, indem er bei einem "unmittelbaren Zusammenhang" von vollständiger Anrechnung und darauffolgender Neugewährung übertariflicher Zulagen insgesamt eine mitbestimmungspflichtige Änderung der Verteilungsgrundsätze sieht. Dabei soll es nicht auf eine Absicht des Arbeitgebers zur Umgehung eines Mitbestimmungsrechts ankommen, allein entscheidend sei eine geplant einheitliche
25 Ebenso Hromadka, DB 1988, 2636, 2644; Schukai, NZA 1992, 967, 970; Schneider, DB 1993,2530, 2532; Schwab, BB 1993, 495, 500; ein rechtliches Hindernis liegt dementsprechend auch vor, wenn die Änderung des Tariflohns nur bei einem Arbeitnehmer auftritt, also nur bei diesem angerechnet werden kann, vgl. BAG ν. 22. 9. 1992, AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; überflüssig ist daher im übrigen der von Jahna, Anrechnung, S. 47 ff., unternommene Versuch, § 275 BGB als Erklärungsmodell heranzuziehen; gegen ein Entfallen des Mitbestimmungsrechts unter Hinweis auf die individualrechtlichen Möglichkeiten des Arbeitgebers, Fitting/ Auffarth/Kaiser/H either, BetrVG, § 87 Rdnr. 325; Däubler/Kittner/Klebe, betrVG, §87 Rdnr. 258. 26 Unter C f f l ó b ) cc) der Gründe, unter Verweis auf Hromadka, DB 1988, 2636, 2644; dagegen Weyand, AuR 1993, 1, 8.
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Konzeption des Arbeitgebers, in einem zweistufigen Verfahren mit einer vollständigen Kürzung eine spätere Vergabe vorzubereiten 27. Kriterien dafür seien Äußerungen des Arbeitgebers und die Gesamtumstände und dabei insbesondere der zeitliche Abstand zwischen Mitteilungen der Anrechnungs- und der Neuvergabeentscheidung 28. So hatte in dem ersten der vom 1. Senat entschiedenen Fälle 29 einen Tag nach der Mitteilung von der vollumfänglichen Anrechnung der Arbeitgeber per Aushang eine erneute Zulageneinführung noch für das laufende Jahr in Aussicht gestellt 30 . Ähnlich hieß es im nächsten Fall in einer internen Mitteilung des Arbeitgebers an seine Marktleiter, daß "im Nachhang" Erhöhungen vorgenommen werden könnten 31 , so wie in der Entscheidung vom 17.1.1995 den Arbeitnehmern zwar die volle Anrechnung mitgeteilt wurde, daß sich aber der Arbeitgeber in demselben Schreiben "eine nachfolgende Überprüfung der übertariflichen Zulage auf deren Angemessenheit" vorbehielt 32 . Darin und in der schon drei Monate später erfolgten Gewährung von in der Gesamtsumme "erheblichen" Einmalzahlungen sah der 1. Senat eine einheitliche Regelungskonzeption33. Zwei Sonderfalle stellen schließlich die beiden Entscheidungen vom 14.2.199534 dar, in denen sowohl die Nichtanrechnung der ersten Tariflohnerhöhung und die volle Anrechnung der zweiten Erhöhung aufgrund eines zweistufigen Tarifvertrags, als auch eine
27 Vgl. BAG v. 11. 8. 1992, AP Nr. 53 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG v. 3. 5. 1994, AP Nr. 75 zu § 87 BerVG 1972 Lohngestaltung = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972; BAG ν. 17. 1. 1995, AP Nr. 71 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; so schon der 3.Senat zum gänzlichen Widerruf, BAG ν. 3. 8. 1982, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung mit insofern zust. Anm. Misera , unter Fortführung der Entscheidung des 5.Senats v. 17. 12. 1980, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. zu diesen beiden Entscheidungen Wiese, NZA 1990, 793, 803 f. 28 Vgl. BAG AP Nr. 71 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Β Π 3 c) der Gründe. 29 BAG, AP Nr. 53 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 30 Wörtlich hieß es dort: "Wir können bei einem besseren Jahresergebnis für 1989 unsere ehrlichen und fleißigen Mitarbeitern mit Leistungszulagen bzw. Prämien belohnen und werden das auch durchführen. Den Querulanten, Zuspätkommern und Krankfeiernden erteilen wir auch zur Gerechtigkeit der ehrlichen Mitarbeiter eine deutliche Absage." 31 BAG AP Nr. 75 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 32 Interessanterweise soll nach streitigem Vortrag des Betriebsrats der Betriebsleiter ihm gegenüber ausgeführt haben, man werde schon Mittel und Wege finden, denjenigen Arbeitnehmern übertarifliche Zulagen zukommen zu lassen, denen man sie wirklich zukommen lassen wolle. Deutlicher kann das praktische Dilemma der Arbeitgeber, daß die Rechtsprechung an der Funktion des Zulagenbereichs vorbeigeht, nicht werden, und ist ein schönes Beispiel dafür, daß der gesamte Zulagenbereich mit Blick auf den einzelnen Arbeitnehmer und damit individuell gehandhabt wird, es sich also grundsätzlich nicht um einen kollektiven Tatbestand handelt. 33 BAG AP Nr. 71 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 34 BAG AP Nr. 72, 73 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
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lineare Erhöhung des Tariflohns und die Erhöhung der Zulagen um denselben Prozentsatz mit deren darauf folgender vollständiger Anrechnung auf eine tarifvertraglich neugeschaffene Zulage als jeweils einheitlichen und damit wegen der Eröffnung eines Entscheidungsspielraums für den Arbeitgeber mitbestimmungspflichtigen Vorgang gewertet wurden 35 . Das beschriebene Verhalten mag man jeweils für eine einheitliche Konzeption des Arbeitgebers ausreichen lassen, indes setzt sich der 1. Senat mit diesen Entscheidungen in direkten Widerspruch zu der auch von ihm anerkannten Mitbestimmungsfireiheit des Dotierungsrahmens. Diesen kann der Arbeitgeber jederzeit auf Null reduzieren, da es sich um Lohnpolitik handelt, so daß es nicht angeht, ihn über den Umweg einer einheitlichen Konzeption an die Zulagengewährung zu binden. Ebenso ist der Arbeitgeber frei, eine Tariflohnerhöhung voll weiterzugeben, d.h. nicht anzurechnen. Daher geht auch die Argumentation an der Sache vorbei, daß der Arbeitgeber mit seiner Maßnahme ein Mitbestimmungsrecht umgehen will oder auch nur objektiv ausschließt36, da ein solches gerade nicht besteht37. Bei der gebotenen Trennung von mitbestimmungsfreiem Zulagenumfang und mitbestimmter Neuverteilung hat ersteres in jedem Fall außer Betracht zu bleiben, kann also nicht in einer besonderen Art der Vorwirkung in den mitbestimmten Bereich einbezogen werden. Gleichwohl ist für die Praxis die Mitbestimmungsfreiheit einer vollständigen Anrechnung oder Widerrufs getrost zu streichen. So hätte es den Arbeitgebern in den entschiedenen Fällen wohl kaum genützt, wenn sie vorsichtiger handelnd keinen Neuverteilungswillen zum Ausdruck gebracht hätten, da dieser ohne weiteres konstruierbar ist, zumal völlig unklar ist, wie lange der zulagenlose Zeitraum sein muß. Letztlich kann das dahingestellt bleiben, da sich die Unternehmen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten abgesehen in aller Regel aus den verschiedensten Gründen veranlaßt sehen, Zulagen durchgehend zu gewähren. Man kann insgesamt davon ausgehen, daß angesichts der insofern gefestigten Rechtsprechung die Arbeitgeber in Zukunft Abstand von dieser Vorgehensweise nehmen werden, so daß sich dieses Problem weitestgehend von allein erledigt.
I I . Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung Es bleibt schließlich darauf einzugehen, was genau Anknüpfungspunkt für ein Mitbestimmungsrecht bei der nachträglichen Veränderung der Zulagen-
35
Der Rechtsprechung folgend Fitting/ Aujfarth/Kaiser/H either, BetrVG, § 87 Rdnr. 326; Däuhler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rdnr. 259. 36 Anders Schneider, DB 1993, 2530, 2533; Schwab, BB 1993,495, 500. 37 Ebenso Lieb, SAE 1990, 226, 231; ders., SAE 1993, 114, 119.
152
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gewährung sein soll. Damit ist letztlich das Verhältnis der Betriebsautonomie zur Unternehmensautonomie und der individualrechlichen Gestaltungsebene angesprochen, also die Bedeutung der Vertragsgestaltung, der Wirksamkeit individualrechtlicher Regelungen und das Günstigkeitsprinzip.
1. Anrechnung und Widerruf als Lohngestaltung Nach Ansicht des Großen Senats bestehen die von ihm aufgestellten Voraussetzungen für ein Mitbestimmungsrecht unabhängig davon, ob die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen eine gestaltende Entscheidung des Arbeitgebers oder lediglich die Feststellung einer Automatik ist, da allein entscheidend die Änderung der Verteilungsgrundsätze ist 38 . Dasselbe gelte für den Widerruf. Der Große Senat hat damit mit einem Federstrich die ausführlich geführte Diskussion um das Bestehen oder Nichtbestehen einer sogenannten Tarifautomatik obsolet gemacht. Im Vorfeld der Entscheidung wurde überwiegend geltend gemacht, daß ein Mitbestimmungsrecht nicht ohne weiteres an Anrechnung oder Widerruf als solchen angeknüpft werden könne, da es sich nicht in jedem Fall um eine "Gestaltung" handele39. Zutreffend wird davon ausgegangen, daß es insofern auf die Vertragsgestaltung ankommt. Ist nichts ausdrücklich vereinbart, so kommen zwei Möglichkeiten hinsichtlich des Schicksals übertariflicher Zulagen bei einer Tariflohnerhöhung in Betracht, die im Wege der Auslegung zu ermitteln sind. Entweder die Zulage ist nicht gesondert ausgewiesen, so daß sie neben dem Tariflohn nur einen unselbständigen Rechnungsposten innerhalb einer vereinbarten Gesamtvergütung darstellt 40 oder aber es ist umgekehrt kein Effektivlohn der Höhe nach vereinbart, sondern die Zulage wird rechtlich selbständig neben dem Tariflohn
38 Unter C ΙΠ 3, 5 der Gründe. Zu recht wendet Richardi, NZA 1992, 961, 963, dagegen ein, daß schon vom Wortlaut des § 871 Nr. 10 BetrVG her der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, für einen Fortbestand des Verteilungsschlüssels im Zusammenhang mit einer Tariflohnerhöhung zu sorgen. 39 Vgl. die Rechtsprechung des 4. und des 5.Senats, BAG ν. 4. 6. 1980, AP Nr. 13 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung; BAG ν. 8. 12. 1982, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung; BAG ν. 16. 4. 1986, BB 1987, 1542 ff.; BAG ν. 3. 6. 1987, AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG v. 28. 10. 1987, BB 1988, 702 ff.; Hromadka, DB 1988, 2636, 2644; ders., DB 1991, 2133, 2138 f.; Ramrath, DB 1990, 2593, 2601 f.; Oetker, RdA 1991, 16, 19 ff., 27 ff.; MeiseU BB 1991, 406, 409; Schwab, BB 1993, 495, 501; Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; Hanau, Anm. zu EzA Nr. 17 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; Lieb, SAE 1990, 226, 227 tt.\Hönsch y BB 1988, 2312, 2314 f. 40 Vgl. Oetker, RdA 1991, 16, 19 f., der dies "Einheitsprinzip" nennt.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
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gewährt 41 . Nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung - unter Berücksichtigung des mit der Gewährung verfolgten Zwecks - ist ersteres bei unbenannten Zulagen anzunehmen42, da bei diesen die Gesamtvergütung im Mittelpunkt des Interesses der Vertragsparteien steht, letzteres bei benannten Zulagen, die also besondere Leistungen des Arbeitnehmers honorieren oder andere besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigen 43. Als bloßer Rechnungsposten wird eine Zulage automatisch um den Betrag einer Tariflohnerhöhung aufgesogen, so daß sich lediglich das rechnerische Verhältnis der beiden Bestandteile des einheitlichen Vergütungsanspruchs dahingehend verschiebt, daß der tarifvertraglich geschützte Teil erhöht wird. Erklärt der Arbeitgeber gleichwohl die Anrechnung, so hat das nur deklaratorischen Charakter, indem die Tarifautomatik bestätigt wird, d.h. es liegt grundsätzlich keine Lohngestaltung seinerseits vor. Soll dagegen die Zulage rechtlich selbständig sein, d.h. ist diese nach dem Willen der Vertragsparteien tarifbeständig 4 4 , folgt daraus, daß eine Anrechnung ausscheidet und der Arbeitnehmer auch nach einer Tariflohnerhöhung seinen ungeschmälerten Anspruch auf die Zulage behält. Abweichend von diesen beiden Fallgestaltungen findet sich in aller Regel in den Zusagen der Vorbehalt, daß die freiwillige Leistung anläßlich einer Tarifänderung neu festgesetzt bzw. angerechnet oder widerrufen werden kann 45 . Auch darin ist im Zweifel nur ein deklaratorischer Hinweis auf die Aufsaugung der Zulage im Falle einer Tariflohnerhöhung zu sehen46, da nicht ohne weitere Anhaltspunkte davon ausgegangen werden kann, daß der Arbeitgeber sich durch die Aufnahme eines Vorbehalts in dem Sinne stärker binden will, daß die Zulage grundsätzlich in voller Höhe zum neuen Tariflohn weiter zu zahlen ist. Dies wäre ein Schritt in Richtung Tarifbeständigkeit, die jedenfalls bei unbenannten Zulagen wegen der Notwendigkeit flexiblen Handelns in diesem Bereich kaum vom Arbeitgeber gewollt ist. Ein Anrechnungsvorbehalt dient vielmehr unter betriebspsychologischen Gesichtspunkten dazu, den Ar-
41
Vgl. Oetker, RdA 1991, 16, 21: 'Trennungsprinzip". Diese können natürlich auch separat vereinbart werden, sind dann aber gleichwohl im Zweifel nicht bestandsfest, vgl. Lieb, SAE 1990, 226, 227 f. 43 Vgl. BAG AP Nr. 5, 7 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung; siehe weitere Nachw. oben Fn. 6.; kritisch zu dieser Auslegungsmaxime und zur Tarifautomatik als rechtlichem Prinzip, Roback/Wolter, ArbRGegw., Bd. 21 (1984), S. 71, 75 ff.; Joost, JuS 1989, 274, 277 f.; dagegen Lieb, SAE 1990, 226, 229. 44 Das ist auch dann der Fall, wenn ausdrücklich vereinbart ist, daß die Zulage zum jeweiligen Tariflohn zu zahlen ist. 45 Vgl. Oetker, RdA 1991, 16, 21, der darin ein eigenständiges "Vorbehaltsprinzip" sieht. 46 Vgl. Lieb, SAE 1990, 226, 229; Oetker, RdA 1991, 16, 24; Schwab, BB 1993, 495, 501, Schüren, RdA 1991, 139, 144. 42
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§ 7 Besondere Probleme
beitnehmern zu verdeutlichen, daß die übertarifliche Entlohnung lediglich eine zukünftige Tariflohnerhöhung vorwegnimmt 47 . Nach allem kann nicht in jeder Anrechnung eine gestaltende Entscheidung des Arbeitgebers gesehen werden 48 . Eine solche liegt nicht bei einer gleichmäßigen vollständigen Anrechnung der Tariflohnerhöhung vor, da der Arbeitgeber nur die Tarifautomatik wirksam werden läßt 49 . Ebenso verhält es sich bei einer gleichmäßigen teilweisen Anrechnung, da sich hier zwar das Verhältnis der Effektivlöhne - und nur auf dieses kommt es nach der hier vertretenen Auffassung an - zueinander verändert, was aber lediglich automatische Folge der Tariflohnerhöhung ist, von der sich der Arbeitgeber leiten läßt. Rechnet dagegen der Arbeitgeber unterschiedlich an, so liegt fraglos eine gestaltende Entscheidung vor. Aber selbst wenn man in der jeweiligen Anrechnung oder in dem Widerruf 5 0 eine Lohngestaltung sieht, ist diese in jedem Fall als mitbestimmungsfrei zu erachten, so daß die Diskussion um das Bestehen einer Tarifautomatik nicht den eigentlichen Kern des Problems trifft, obwohl das beschriebene Zusammenspiel von tariflichen und vertraglichen Entgeltanspruch verdeutlicht, wie begrenzt ein Mitbestimmungsrecht zwischen diesen beiden Gestaltungsfaktoren zum Tragen kommen kann. Nach allgemeiner Meinung zählt sowohl der Änderungsvorbehalt als auch die Anrechnung bzw. der Widerruf selbst zu den mitbestimmungsfreien Vorgaben, da diese ausschließlich den Dotierungsrahmen der Zulagen betreffen 51. Da der Arbeitgeber wegen der Freiwilligkeit der Leistungen nicht gezwungen werden kann, diese zu erbringen, kann er sie auch jederzeit ganz oder teilweise einstellen 52 , so daß mitbestimmungs-
47
Vgl. Ziepke, BB 1981, 61, 64; Hunold, DB 1981, Beilage Nr. 26, S. 10. Anders der 1.Senat in seinen Vorlagebeschlüssen, AP Nr. 43, 44 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Β 14 der Gründe, wonach der Arbeitgeber anläßlich einer Tariflohnerhöhung entscheiden müsse, ob er diese voll weitergibt oder ganz oder teilweise auf Zulagen anrechnet. Selbst wenn das Verhältnis der verbleibenden Zulagen unverändert bliebe, stelle sich die Frage nach einer anderen Verteilung, vgl. unter Β Π 1 der Gründe (so schon Mache, DB 1989, 2170, 2171; Herbst, DB 1987, 738, 741 f.). Diesem extrem weitgehenden Ansatz, der jede Anrechnung der Mitbestimmung unterwarf, ist der Große Senat zu recht nicht gefolgt. 49 So noch der 1.Senat in seiner Entscheidung vom 24. 11. 1987, AP Nr. 31 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Β Π 3 der Gründe, wo in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Teil der Literatur davon ausgegangen wurde, daß eine solchermaßen bewirkte Änderung des Zulagengefüges ihren Grund in der bereits bestehenden Zulagenordnung hat, also nicht auf einer Entscheidung des Arbeitgebers beruht. 50 Dieser stellt, wenn er unabhängig von einer Tariflohnerhöhung erfolgt, immer eine gestaltende Entscheidung dar. 51 Vgl. Wiese, NZA 1990, 793, 795; Hönsch, BB 1988, 2312, 2314. 52 Vgl. BAG AP Nr. 26, 33 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 643 m.w.Nachw. 48
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
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pflichtig allenfalls eine davon zu trennende Entscheidung über die Neuverteilung der Leistungen ist 5 3 . Dies räumt an sich auch der Große Senat ein, indem er ausführt, daß nicht die Kürzungsentscheidung, sondern allein die Änderung des Verteilungsgrundsatzes der Mitbestimmung unterliegt 54 . Gleichzeitig geht er aber davon aus, daß die Kürzung der einzelnen Zulagen nur unter Beibehaltung des bisherigen Verteilungsgrundsatzes zulässig ist, also Anrechnung und Widerruf selbst mitbestimmungspflichtig sind. Dies führt direkt zu der Frage, wie sich diese Annahme mit dem bilateralen Regelungsbereich verträgt, wobei selbst unter der Prämisse einer alleinigen Mitbestimmungspflichtigkeit der Verteilungsentscheidung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats problematisch bleibt.
2. Das Verhältnis zum bilateralen Regelungsbereich Die Problematik zeigt sich besonders deutlich an den individualrechtlichen Folgen der noch nicht ausgeübten bzw. unterbliebenen Mitbestimmung nach § 87 I BetrVG.
a) Individualrechtliche Folgen unterbliebener Mitbestimmung im Bereich des §871 BetrVG Grundsätzlich sind zwei Lösungen für diese gesetzlich nicht geregelte Frage denkbar: entweder schlägt ein Mitbestimmungsrecht automatisch auf die individualrechtliche Ebene durch, indem auf dieser Ebene getroffene Regelungen ipso iure unwirksam sind, oder aber der Betriebsrat muß sein Recht geltend machen und erst eine daraufhin gefundene Regelung - sei es freiwillig oder durch Spruch der Einigungsstelle - verdrängt eine individualrechlich getroffene Vereinbarung bzw. eine einseitige rechtsgeschäftliche Maßnahme. Dementsprechend, wenn auch nicht in dieser reinen Form, stehen sich in Literatur und Rechtsprechung zwei Ansätze gegenüber.
aa) Theorie der notwendigen Mitbestimmung Nach der von der herrschenden Meinung vertretenen Theorie der notwendigen Mitbestimmung, auch Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung genannt, 53
Vgl. Wiese, NZA 1990, 793, 801 f.; Bommermann, DB 1991, 2185, 2189; Rau, Anrechnung, S. 148 ff. 54 Unter C m 5 der Gründe.
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§ 7 Besondere Probleme
ist die Beachtung des Mitbestimmungsrechts Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen des Arbeitgebers im Bereich des § 87 I BetrVG, d.h. einseitig getroffene Maßnahmen des Arbeitgebers sind grundsätzlich individualrechtlich unwirksam 5 5 . Dem hat sich der Große Senat in seiner Zulagenentscheidung angeschlossen56. Während er es bei der Begründung bewenden läßt, daß die Unwirksamkeit sowohl als Sanktion für betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers diene, als auch verhindern solle, daß der Arbeitgeber dem Einigungszwang durch arbeitvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten umgehe, wird insbesondere von Wiese der Teihabezweck betrieblicher Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ins Feld geführt 57 . Dieser Bereich sei den Betriebspartnern zur eigenverantwortlichen und gleichberechtigten Regelung zugewiesen, so daß diese Angelegenheiten nur gemeinsam geregelt werden könnten. Durch die gleichberechtigte Teilhabe werde das Vertragsprinzip als wichtigste Ausprägung der Privatautonomie und damit die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer auf der kollektiven Ebene verwirklicht und um dies zu gewährleisten, könne ohne Beteiligung des Betriebsrats keine gegenüber dem Istzustand neue Regelung wirksam zustande kommen 58 . Allerdings wird die Unwirksamkeitsfolge verschiedentlich eingeschränkt. Zum überwiegenden Teil wird davon ausgegangen, daß Ansprüche der Arbeitnehmer auf bereits gewährte oder noch zu gewährende Gegenleistungen für von ihnen erbrachte Leistungen bestehen bleiben, wobei entweder auf § 242 BGB 5 9 , auf die Grundsätze über faktische Vertragsverhältnisse 60 oder auf eine analoge Anwendung der Arbeitsschutzregelungen 61 zur Begründung zurückgegriffen wird. Abweichend davon nimmt v. Hoyningen-Huene auch eine Wirksamkeit von Leistungszusagen für die Zukunft an, wenn es sich um eine die Arbeitnehmer be-
55 Vgl. BAG v. 3. 8. 1982, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.Anm.Msera; BAG ν. 31. 1. 1984, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 74 ff; 88 ff., 94, 99, 689; v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 12 I 5, S. 246 ff; ders., DB 1987, 1426, 1428 ff; Jahnke, SAE 1983, 145, 147; Säcker, ZFA 1972, Sonderheft, S. 41, 56 f.; Rüthers, in: Zwei Arbeitsrechtliche Vorträge (Hrsg. Rüthers/Boldt), S. 7, 14 ff; Fitting/ Auffarth/Kaiser/ Heither, BetrVG, § 87 Rdnr. 23; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rdnr. 4; Rau, Anrechnung, S. 117 f.; einschränkend auch Dieterich, NZA 1984, 273, 277; Pfarr, BB 1983,2001,2008 f.; Däubler, AuR 1984,1, 12 f. 56 BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter D Π der Gründe. 57 Vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 74, 75; v.Hoyningen-Huene, DB 1987, 1426, 1428. 58 Vgl. Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1283 f. 59 Vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 99 m.w.Nachw., wonach sich der Arbeitgeber nicht auf sein eigenes rechtswidriges Verhalten berufen dürfe. 60 So die Rechtsprechung, vgl. BAG AP Nr. 3,4 zu § 56 BetrVG 1952 Entlohnung. 61 So Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 20.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
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günstigende Maßnahme handele 62 . Schließlich beschränkt ein Teil der Lehre die Unwirksamkeitsfolge auf den sog. Verteilungsplan, da vom Betriebsrat mitbestimmte, später aufgestellte Verteilungsgrundsätze nicht an entstandenen Besitzständen scheitern dürften 63 . Das Vertragsangebot des Arbeitgebers selbst könne nicht unwirksam sein, da es mitbestimmungsfrei ergehe.
bb) Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung Dagegen geht die von Dietz 64 begründete und insbesondere von Richardi 65 weiterentwickelte und mit Nachdruck vertretene Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung, auch als Theorie vom Regelungsanspruch bezeichnet, davon aus, daß zwar der Wirksamkeitstheorie zugrundeliegende Rechtsgedanke einer Verklammerung von Mitbestimmungsrecht und Einzelarbeitsverhältnis durchaus Anerkennung verdiene, daß aber die Unwirksamkeit bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts im Rahmen eines bewegliches Systems von Sanktionen den Besonderheiten des Mitbestimmungstatbestandes entsprechen müsse. Dabei sei der Rechtsgedanke entscheidend, daß eine betriebsverfassungsrechtliche Pflichtwidrigkeit dem Arbeitgeber keinen Rechtsvorteil im Rahmen des Einzelarbeitverhältnisses geben könne. So seien Lohnvereinbarungen trotz Verstoßes gegen § 87 I Nr. 10 BetrVG wirksam, es sei denn, der Arbeitgeber wolle sich einer betrieblichen Einigung durch Abschluß von Einzelvereinbarungen entziehen und dadurch Einzelansprüche der Arbeitnehmer beeinträchtigt würden. Ähnlich sind nach Hurlebaus freiwillige Abreden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in 87 I Nr. 10 BetrVG unterfallenden Angelegenheiten wirksam, da dieser Tatbestand nur den Schutz vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers bezwecke66. Auch nach Lieb 67 und Zöllner/Loritz 68 kommt eine Unwirksamkeit im Hinblick auf die arbeitnehmerschützende Funktion des Betriebsverfassungsgesetzes nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats den Arbeitnehmern günstige Rechtspositionen einräumt
62
DB 1987, 1426,1430; ähnlich Däubler, AuR 1984, 1, 12 f. Vgl. Pfarr, BB 1983, 2001, 2008 f.; Dieterich, NZA 1984, 273, 211. 64 FS-Nipperdey, Bd. I, S. 147 ff.; Mitbestimmungsrecht, S. 7 ff. 65 In: Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 80 ff., 103 ff; Kollektivgewalt, S. 291 ff; ZfA 1976, 1, 35 ff.; Festgabe für v.Lübtow, S. 755, 759 ff.; Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 18 ff.; RdA 1983, 278, 282 ff. 66 Fehlende Mitbestimmung, S. 111 ff., 119, 133; so schon grundsätzlich Richardi, Festgabe für v.Lübtow, S. 755, 760 ff.; Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 107. 67 Arbeitrecht, § 8 m 1, S. 224. 68 Arbeitsrecht, § 45 V 3, S. 514 f. 63
158
§ 7 Besondere Probleme cc) Würdigung
Insgesamt ist es etwas schief, von einer Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung zu sprechen, es handelt sich vielmehr um einen Sammelbegriff für verschiedene Positionen, die nicht durchweg eine lediglich erzwingbare Mitbestimmung vertreten 69 . Einigendes Moment ist indes die gemeinsame Annahme, daß die von der Wirksamkeitstheorie grundsätzlich angenommene Unwirksamkeit nicht in jedem Fall interessengerecht ist. Gegen die Wirksamkeitstheorie wird zu recht eingewandt, daß sie gegen den Zweck der Mitbestimmung verstößt, indem sie einseitig die Ordnungsfunktion in den Mittelpunkt rückt und dadurch zu einer partiellen Entmündigung und Bevormundung der Arbeitnehmer führt 70 , einer Gefahr die durch die Mitbestimmung des Betriebsrats immer droht. Hier ist indes nicht der Ort, sich mit allen Einzelheiten der vertretenen Theorien oder gar den verschiedenen Einzelstreitfragen 71 auseinanderzusetzen 72, zumal selbst die Vertreter der notwendigen Mitbestimmung das Unwirksamkeitsverdikt nicht in jedem Fall annehmen wollen, so daß es allein entscheidend auf die Feststellung ankommt, daß eine schematisch angenommene Unwirksamkeit nicht systemgerecht ist und im Gesetz selbst keine Stütze findet 73. Dabei zeigt schon ein kurzer Blick auf die grundlegenden Argumente der Wirksamkeitstheorie deren Schwächen. Wie bereits ausgeführt, kann der notwendigen Mitbestimmung kein Teilhabezweck zugrundelegt werden 74 , so daß schon die Prämisse der Wirksamkeitstheorie nicht zu überzeugen vermag; dasselbe gilt im übrigen für das auch in diesem Zusammenhang angeführte, generell zu bejahende Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer 75 , das in dieser Pauschalität unhaltbar ist 76 . Demnach kann man 69 Vgl. z.B. Hanau, RdA 1973, 281, 289 ff., der die Unwirksamkeit zusätzlich an eine Rüge des Betriebsrats hinsichtlich der Verletzung seines Mitbestimmungsrechts bindet; ähnlich H.Hanau, Individualautonomie, S. 199 ff., der allerdings abweichend die Unwirksamkeit auf den Verteilungsplan beschränkt. 70 Vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 55 ff.; Schlüter, DB 1972, 139, 140; Fenn, ZÌA 1971, 347, 384. 71 Zum Beispiel der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften mit Dritten und von Weisungen oder der Frage, ob eine Unwirksamkeit nachträglich durch Zustimmung des Betriebsrats heilbar ist, vgl. dazu Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 47 V, S. 513 ff.; Bommermann, Wirksamkeitsvoraussetzung, S. 12 ff. 72 Vgl. dazu ausführlich mit umfangreichen Nachweisen die Dissertationen von Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung; Bommermann, Wirksamkeitsvoraussetzung; Schlünder, Mißachtung der Betriebsverfassung. 73 Vgl. Schlochauer, in: Änderung (Hrsg. Hromadka), S. 221, 236 ff.; Hromadka, DB 1991, 2133, 2134 f. 74 Siehe oben § 4IV. 75 Vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 89; ebenso auch bei freiwilligen Abreden, Säcker, ZfA 1972, Sonderheft, S. 56 f.; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 1,19. 76 Siehe oben § 3 Π 3.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
159
schlechterdings die kollektivrechtliche Beteiligung des Betriebsrats als rechtsnotwendigen Bestandteil der individualrechtlichen Maßnahme selbst sehen77, zumal eine restriktiv angenommene Unwirksamkeit schon von daher geboten ist, da nicht ohne weiteres einsehbar ist, wie eine Pflichtwidrigkeit des Arbeitgebers im Treuhandverhältnis zum Betriebsrat individuelle Rückwirkung auf das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben soll, da der Betriebsrat gerade kein Mitbestimmungrecht hinsichtlich der konkreten Umsetzung der mitbestimmten Entlohnungsgrundsätze im Einzelfall hat 78 . Als Sanktion 79 schließlich, so wie die Rechtsprechung die Unwirksamkeitsfolge begreift, ist diese als nicht in jeder Fallkonstellation notwendig zu erachten, wenn man wie hier, der notwendigen Mitbestimmung einen Schutzzweck zugrundelegt. Eine individuelle Abrede muß daher grundsätzlich Bestand haben, wenn die Arbeitnehmer keines Schutzes bedürfen. Auch ist zu berücksichtigen, daß der Betriebsrat, vorausgesetzt er hat in einer Angelegenheit ein Mitbestimmungsrecht, auf dessen Grundlage jederzeit initiativ werden und gegebenenfalls eine Regelung über einen Einigungsstellenspruch herbeiführen, so daß die Arbeitnehmer keineswegs schutzlos gestellt sind, wenn man nicht von einer automatischen Unwirksamkeit ausgeht80. Als Sanktionsmöglichkeit kommt schließlich der kollektivrechtliche Rechtsbehelf des § 23 I I I BetrVG in Betracht 81 , soweit der Arbeitgeber betriebsverfassungswidrig handelt 82 . Vor allen Dingen darf angesichts des Schutzzwecks eine die Arbeitnehmer begünstigende Maßnahme des Arbeitgebers nicht unwirksam sein. Zutreffend hat daher schon der Große Senat in seiner Entscheidung zur ablösenden Betriebsvereinbarung unter Bezugnahme auf Richardi ausgeführt, daß zwar die Unwirksamkeitsfolge eine geeignete Sanktion sein kann, letztlich entscheidend dafür aber sein muß, daß dem Arbeitgeber kein Vorteil aus einem betriebsverfassungswidrigen Ver-
77
1432. 78
So aber GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 77; v.Hoyningen-Huene, DB 1987, 1426,
Vgl. Heinze, ZÌA 1988, 53, 79. Gegen ein solches Verständnis der Unwirksamkeitsfolge ausdrücklich Ramrath, DB 1990, 2593,2600; Wiese, FS-Kissel, S. 1269, 1284. 80 Vgl. ebenso Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rdnr. 81 ff; Schlochauer, in: Änderung (Hrsg.Hromadka), S. 221, 236 f.; Schlüter, DB 1972, 139, 142; Bommermann, WirksamkeitsVoraussetzung, S. 100. 81 Vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rndr. 81 ff; Bommermann, Wirksamkeitsvoraussetzung, S. 100; Hromadka, DB 1991, 2133, 2135; dagegen hält v.Hoyningen-Huene, DB 1987, 1426, 1428, den Verweis auf Initiativrecht und Unterlassungsanspruch für eine innere Aushöhlung des Mitbestimmungsrechts. 82 Bezeichnenderweise hat der 1.Senat in einer zur Mitbestimmungspflichtigkeit von Zulagen ergangenen Entscheidung vom 3. 5. 1994 - 1 ABR 24/93, AP Nr. 75 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972, unter Abkehr von seiner ständigen Rechtsprechung das Erfordernis einer "groben" Pflichtverletzung aufgegeben; vgl. dazu Richardi, NZA 1995, 8 ff. 79
§ 7 Besondere Probleme
160
halten erwachsen darf 83 . Dabei ist im folgenden nicht nur auf den speziellen Mitbestimmungstatbestand, sondern auch auf den konkreten Regelungsgegenstand abzustellen, wobei im Spannungsverhältnis von multilateralen und durch freie Zwecksetzung und Günstigkeitsprinzip geschützten bilateralen Regelungsbereich sowohl die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers, als auch die des Arbeitgebers zu berücksichtigen sind.
b) Grundfall:
Erstmalige Gewährung von Zulagen
Wie problematisch die Rechtsprechung zu übertariflichen Zulagen ist, zeigt sich bereits an deren erstmaligen Gewährung, die als Grundfall für die rechtliche Beurteilung der späteren Veränderung dient. Plant der Arbeitgeber die Einführung von übertariflichen Zulagen, so hat er nach herrschender Meinung den Betriebsrat zu beteiligen, da es sich um die Einführung einer neuen Entlohnungsmethode im Sinne des § 87 I Nr. 10 BetrVG handelt 84 . Der Betriebsrat hat danach nicht nur ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des Verteilungsplans, also des "Wie" der Maßnahme, sondern auch hinsichtlich des O b " . Zwar sei der Arbeitgeber in der Entscheidung frei, ob er eine freiwillige Leistung gewähren will, d.h. der Betriebsrat könne die Einführung nicht erzwingen, dieser könne aber kraft seines Vetorechts die Einführung verhindern, da diese an seine Zustimmung gebunden sei 85 . So meint Wiese, der Betriebsrat müsse über die Einigungsstelle sowohl andere, von ihm für wichtiger gehaltene Leistungen zusätzlich, als auch eine Umwandlung der individualrechtlich zugesagten Leistungen für einen anderen Zweck erwirken können 86 . Ist der Arbeitgeber mit den Vorstellungen des Betriebsrats hinsichtlich des "Wie" innerhalb des mitbestimmungsfreien Rahmens von Umfang, Zweck und begünstigten Arbeitnehmerkreis nicht einverstanden, kann er nach dieser Auffassung immer noch von einer Einführung absehen. Kommt es daher nach einem Scheitern der Verhandlungen zu einem dem Betriebsrat folgenden Einigungsstellenspruch, steht der Arbeitgeber vor der Wahl, die veränderte Vergabe um-
83
BAG-GS, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C ΠΙ4 der Gründe. Vgl. BAG v. 8. 12. 1981, AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 17. 12. 1985, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang; BAG ν. 13. 1. 1987, AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 10. 2. 1988, AP Nr. 33 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 99, 622, 640, 655; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 226 a, 226 i; MtinchArbR-Matthes, § 333 Rdnr. 22 ff.; ders., NZA 1987, 289,293. 85 Vgl. Heckelmann, Anm. zu AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung: "Reine Negativkompetenz"; dagegen Herbst, DB 1987, 738, 740 f., der unter Verwerfung des Freiwilligkeitsgrundsatzes ein Initiativrecht annimmt. 86 GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 99; nach Galperin/Löwisch, § 87 Rdnr. 226 i, ist dies auf den begünstigten Personenkreis auszuweiten. 84
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
161
zusetzen oder auf die Verwirklichung der Zulagenvergabe ganz zu verzichten. Wie das mit der gleichzeitig angenommenen Mitbestimmungsfreiheit lohnpolitischer Entscheidungen des Arbeitgebers, insbesondere der Zweckbestimmung zu vereinbaren ist, bleibt rätselhaft 87. Diese Auffassung ist aber nicht nur mit der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers, sondern auch mit der Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers unvereinbar 88. Nach dem Bundesarbeitsgericht soll die Unwirksamkeitsfolge verhindern, daß der Arbeitgeber den Einigungszwang mit dem Betriebsrat dadurch umgeht, daß er auf individualvertragliche Regelungsmöglichkeiten ausweicht 89 ; dabei sei schon hier angemerkt, daß mit demselben Argument dem Selbstbindungswillen des Arbeitgebers für das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands keine Bedeutung zugemessen wird 9 0 . Führt der Arbeitgeber gleichwohl übertarifliche Zulagen ein, indem er diese ohne Absprache mit dem Betriebsrat individualvertraglich mit den Arbeitnehmern vereinbart, so ist nach der Wirksamkeitstheorie die mitbestimmungswidrige Leistungsgewährung unwirksam, allerdings dadurch eingeschränkt, daß der Arbeitgeber nicht die Zulagen für bereits erbrachte Arbeitsleistungen zurückfordern können soll. Hier stößt nun das Unwirksamkeitsverdikt auf das Günstigkeitsprinzip. Der Konflikt von Ordnungsdenken und Freiheit des einzelnen tritt offen zutage, indem Rechtsprechung und herrschende Lehre vertraglichen Abreden für die Zukunft die Wirksamkeit versagen, obwohl es sich um eine die Arbeitnehmer jeweils begünstigende Maßnahme handelt. Exemplarisch will Wiese bei kollektiven Tatbeständen durch Einheitsregelung keine vertraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer auf zusätzliche Leistungen begründet wissen, weil ansonsten die Mitbestimmung über das "Ob" zusätzlicher Leistungen praktisch leerliefe 91. Dem kann sowohl unter dem Gesichtspunkt, daß dem Arbeitgeber kein Vorteil aus seinem betriebsverfassungswidrigen Verhalten erwächst, als auch wegen des Günstigkeitsprinzips nicht gefolgt werden. Vordergründig scheint letzteres mit der Unwirksamkeit vertraglicher Abreden nichts zu tun zu haben92. Streng genommen handelt es sich bei dem Günstigkeitsprinzip um eine Kollisionsre-
87 Ablehnend auch Kraft, Anm. zu AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ders., FS-Molitor, S. 207, 218; ähnlich Misera , Anm. zu AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 88 Vgl. Joost, ZfA 1993, 257, 268. 89 BAG-GS, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter D Π der Gründe; das entspricht der herrschenden Meinung, vgl. GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 94 m.w.Nachw. 90 Vgl. Jahnke, SAE 1983, 145, 146; Wiese, SAE 1983, 325, 327; siehe auch oben
§6 m 3. 91
GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 99; ders., NZA 1990, 793, 798. Vgl. in diesem Sinne ausdrücklich Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 32 f.; Rau, Anrechnung, S. 123 f. 92
11 Wittgruber
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§ 7 Besondere Probleme
gel zwischen vertraglicher und betriebsverfassungsrechtlicher Gestaltungsebene, die damit eine wirksame vertragliche Regelung voraussetzt. Besteht aber ein Mitbestimmungsrecht als Voraussetzung für eine betriebliche Gestaltung, führt eine daraus folgende Unwirksamkeit einer vertraglichen Regelung dazu, daß das Günstigkeitsprinzip keine Anwendung finden kann. Dieses soll aber sichern, daß durch betriebsverfassungsrechtliche Regelungen keine Höchstarbeitsbedingungen geschaffen werden 93 , was mit dem Selbstbestimmungsrecht und der damit verbundenen Möglichkeit zur individuellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen unvereinbar wäre 94 . Daraus folgt zwingend, daß es kein abschließendes Entlohnungssystem im Betrieb geben kann, das den gesamten, innerbetrieblicher Regelung zugänglichen Teil des Entgelts allgemeinen Merkmalen unterwirft. 95 Dies wurde selbst vom 1.Senat in seiner für die Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen wegweisenden Entscheidung vom 17.12.1985 anerkannt, indem er ausführt, "daß der Arbeitgeber durch eine mitbestimmte Regelung über die von ihm bislang gewährte betriebliche Zulage im Einzelfall nicht gehindert ist, das Entgelt eines Arbeitnehmers weiter zu erhöhen, bedarf keiner Darlegung" 96 . Auch Wiese räumt ausdrücklich ein, daß das Günstigkeitsprinzip abweichende individuelle Vereinbarungen gegenüber bestehenden kollektiven Regelungen ermögliche, schränkt dies aber dadurch wieder ein, daß die notwendige Mitbestimmung bei kollektiven Tatbeständen nicht durch das Günstigkeitsprinzip ausgehöhlt werden dürfe 97 . Selbst unterstellt, diese Annahme träfe zu, ist die Rechtsprechung zu übertariflichen Zulagen mit dem Günstigkeitsprinzip nicht in Einklang zu bringen. Letztlich führt dies zu der zentralen Frage zurück, wann ein das Mitbestimmungsrecht auslösender kollektiver Tatbestand gegeben ist. Es erscheint als bloßes Lippenbekenntnis, für die Annahme eines kollektiven Tatbestands einen kollektiven Bezug ausreichen zu lassen und so auch unbenannte übertarifliche Zulagen grundsätzlich dem Mitbestimmungsrecht zu unterwerfen, wenn gleichzeitig aber von einer Unwirksamkeit dieser Leistungen ausgegangen wird, die als die Entgelthöhe betreffend durch das Günstigkeitsprinzip geschützt werden. Besonders deutlich wird das, wenn eine mitbestimmte Zulagenregelung besteht und der Arbeitgeber jeweils einzelvertraglich gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern eine Zulagenerhöhung vornimmt. Unter der Prämisse, daß es 93
Aus dem gleichen Grund hält das BAG Anrechnungsklauseln in Tarifverträgen für unwirksam, vgl. AP Nr. 8 zu § 4 TG Effektivklausel; AP Nr. 10 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung. 94 Allgemeine Meinung, vgl. GK-Kreutz y BetrVG, § 77 Rdnr. 204; Dietz/Richardi, BetrVG, § 77 Rdnr. 98. 95 Ebenso Hromadka, DB 1988, 2636, 2641. 96 BAG, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang, unter Β Π 5 der Gründe; vgl. auch ausdrücklich in diesem Sinne BAG ν. 31. 1. 1984, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG Tarifvorrang. 97 GK -Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 92, 99.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
163
sich dabei insgesamt um einen kollektiven Tatbestand handelt - und zu diesem Ergebnis käme man im Zweifel mit der Rechtsprechung, die recht offenherzig auch bei Individualzusagen einen kollektiven Bezug konstruiert 98 -, fuhrt dies zur Unwirksamkeit der Zulagengewährung 99, einem Ergebnis, das nur durch Beseitigung des individualistischen Günstigkeitsprinzips möglich ist 1 0 0 . Und selbst wenn man richtigerweise die Wirksamkeit zunächst bejahen würde, wäre irgendwann ein Punkt erreicht, in dem man in der Vergabe einen kollektiven Tatbestand sehen könnte, der eine Mitbestimmung des Betriebsrats mit den bekannten nivellierenden Folgen auf den Plan ruft 1 0 1 . In allem zeigen sich die Nachwehen der Entscheidung des Großen Senats zur verschlechternden Betriebsvereinbarung 102, mit der der kollektive Bezug von Leistungen nach langem Streit endgültig hoffähig gemacht wurde, freilich beschränkt auf die Frage der Ablösbarkeit von in Allgemeinen Arbeitsbedingungen gewährten Sozialleistungen, also von individualrechtlich wirksam begründeten Zusagen. Zwar betrifft dies inhaltlich ein anderes Problem, allerdings kann sich angesichts der davon offensichtlich beeinflußten Rechtsprechung zu übertariflichen Zulagen der Teil der Lehre in seiner Auffassung bestärkt sehen, der der individualvertraglichen Besserstellung eines Arbeitnehmers die Wirksamkeit versagt, wenn diese automatisch zu einer Benachteiligung eines bzw. anderer Arbeitnehmer führt, also konsequent angewandt z.B. auch der individualvertraglichen Gewährung von Zulagen über den in einer Betriebsvereinbarung festgelegten Leistungsplan hinaus 103 . In diesem Sinn ar98
Vgl. z.B. den Sonderbonus-Fall, BAG AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, wonach selbst Arbeitsmarktgründe nicht ohne weiteres für den individuellen Charakter einer Zulage genügen. 99 Anders dagegen wäre der Fall zu beurteilen, daß ursprünglich kein kollektiver Tatbestand gegeben war, sondern daß dieser erst sukzessive durch eine nach außen erkennbar werdende Regel der Vergabe entsteht. Dann sind unstreitig die Zulagen wirksam vergeben worden, vgl. Wiese, NZA 1990, 793, 799; H.Hanau, Individualautonomie, S. 221. 100 Kritisch Joost, ZfA 1993,257, 274i:,Lieb, ZfA 1988,413,446. 101 Vgl. Hromadka, DB 1986, 1921, 1924, der diese Entwicklung zutreffend als "Schraube ohne Ende" beschreibt, da der durch einen vom Betriebsrat initiierten Verteilungsplan für den Arbeitgeber die Überlegung nach einer weiteren Erhöhung nach sich zieht, was wiederum irgendwann ein Mitbestimmungsrecht herbeiführen würde und so weiter. 102 BAG-GS, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. 103 Vgl. Galperin/Löwisch, BetrVG, § 77 Rdnr. 96; Säcker, AR-Blattei, Betriebsvereinbarung I, D Π 2 c; Pfarr, BB 1983, 2001, 2004, auf die der Große Senat bei der Schaffung des kollektiven Günstigkeitsvergleichs hinweist, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C Π 4 der Gründe; allerdings verneint dieser Teil der Lehre ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des "Ob" der Gewährung, d.h. des Vertragsangebots des Arbeitgebers und kommt so zur Wirksamkeit der vertraglichen Zusagen, vgl. die Nachw. oben Fn. 21; modifizierend Joost, RdA 1989, 7, 18, nach dem das Günstigkeitsprinzip im mitbestimmungsrechtlichen Regelungsbereich keine Anwendung fm-
164
§ 7 Besondere Probleme
gumentiert ausdrücklich z.B. Herbst bei der Frage nach der Kollektivität von Zulagen, indem die übertarifliche Bezahlung auch nur eines Arbeitnehmers alle anderen Arbeitnehmer dadurch negativ betreffe, daß diese weniger Entgelt erhielten, indem die Veteilungsmasse für die anderen geschmälert würden 104 . Es zeigt sich im Arbeitsrecht verstärkt eine Tendenz, das Günstigkeitsprinzip und damit die Vertragsfreiheit von verschiedenen Seiten her auszuhebeln. Entweder geschieht dies durch die extensive Annahme eines ein Mitbestimmungsrecht begründenden kollektiven Tatbestands und der daraus resultierenden Unwirksamkeit vertraglicher Vereinbarungen oder aber der günstigeren Abrede wird eine Drittwirkung beilegt, um damit im nachhinein dem Günstigkeitsprinzip die Wirksamkeit zu versagen. Dabei ist es irrelevant, wo man den Hebel ansetzt. Die Argumentationsschiene ist immer dieselbe: Zusammenfassung von Leistungen des Arbeitgebers in einem Topf und von Arbeitnehmern in der Belegschaft mit der Folge eines notwendigen Interessenausgleichs der so verbundenen Arbeitnehmer wegen der in einem kollektiven Bezug stehenden Leistungen, wobei individuelle Abweichungen nach oben das Gesamtgefüge stören und folglich zwecks Schaffung von Verteilungsgerechtigkeit einer Mitbestimmung bedürfen, nach unten hingegen im Zuge der Mitbestimmung wegen der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit gerechtfertigt scheinen. Das ganze noch untermauert mit einem den Schutzgedanken letztlich verdrängenden Teilhabezweck notwendiger Mitbestimmung und der damit verbundenen Annahme, daß selbst bei freiwilligen Abreden zwischen Arbeitgeber und den Arbeitnehmern im mitbestimmten Bereich ein Schutzbedürfnis bestehe 105 , beschreibt vereinfacht diese Grundposition, mit der die Innenschranken der Betriebsautonomie auf ein Minimum geführt werden. Mit der Individualautonomie ist das alles nicht mehr unter einen Hut zu bringen. Gerade wenn man von einem weiten Verständnis des Begriffs "kollektiver Tatbestand" ausginge, wäre es zwingend geboten, eine Maßnahme des Arbeitgebers, die auf einer freiwilligen vertraglichen Vereinbarung beruht, als wirksam zu erachten 106 , insbesondere dann, wenn es um einen die materiellen Ar-
det, soweit betriebsverfassungs- und individualvertragliche Regelung denselben Gegenstand betreffen, was aber nicht auf Geldleistungen zutreffe, da diese lediglich auf den gleichen Gegenstand gerichtet seien; diese Drittwirkungslehre zu recht mit Hinweis auf den individualistischen Charakter des Günstigkeitsprinzip ablehnend, GKKreutz, BetrVG, § 77 Rdnr. 216 m.w.Nachw.; Belling , Günstigkeitsprinzip, S. 173 ff. 104 DB 1987, 738. 105 Vgl. Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 16, 19; Säcker, ZfA 1972, Sonderheft, S. 56 f. 106 So Lieb, Arbeitsrecht, 3. Aufl., S. 179; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 68 ff., 131 ff, der zutreffend daraufhinweist, daß dabei aus Schutzgesichtspunkten nicht zwischen Individualzusagen und Allgemeinen Arbeitsbedingungen unterschieden werden muß, S. 70 f.; vgl. auch Däubler, AuR 1984, 1, 12 f.; ablehnend GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 89; v.Hoyningen-Huene, DB 1987, 1426, 1429.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
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beitsbedingungen betreffenden Mitbestimmungstatbestand wie § 87 I Nr. 10 BetrVG handelt. Das stellt dann keine von Wiese befürchtete Aushöhlung der Regelungskompetenz des Betriebsrats für kollektive Tatbestände durch das Günstigkeitsprinzip dar, sondern lediglich eine angesichts des Schutzzwecks notwendige Reduktion des Mitbestimmungsrechts.
c) Übertragung auf die Kürzung der Zulagengewährung Bei einer nachträglichen Kürzung, sei es durch Anrechnung oder durch Widerruf, haben die Arbeitnehmer bereits jeweils einen in der Höhe festgelegten Anspruch auf die Zulage, so daß sich die rechtliche Situation komplizierter darstellt. Hier rücken zusätzlich die Rechte des Arbeitgebers in den Mittelpunkt der Betrachtung, indem sich die Frage stellt, ob er als Vertragspartner an die bisherige Zulagengewährung gebunden ist, wenn er den Betriebsrat an der vorgenommenen Kürzung nicht beteiligt. Anerkanntermaßen darf die Gesamtsumme, die der Arbeitgeber für die Zulagengewährung aufbringen muß, nicht festgeschrieben werden, da der Arbeitgeber dazu wegen der Mitbestimmungsfreiheit des sog. Dotierungsrahmens nicht gezwungen ist. Glücklicher formuliert, das Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 10 BetrVG muß "kostenneutral" sein 107 .
aa) Die Rechtsprechung zur Festschreibung des sog. Gesamtvolumens Gleichwohl hält der Große Senat bei einer Änderung der Verteilungsgrundsätze den Arbeitgeber für verpflichtet, die Zulagen bis zu einer Einigung mit dem Betriebsrat bzw. einem Spruch der Einigungsstelle in jeweils voller Höhe weiter zu zahlen 108 . Denn nach seiner Ansicht sind Anrechnung bzw. Widerruf mitbestimmungspflichtig, so daß diese einseitigen rechtsgeschäftlichen Maßnahmen des Arbeitgebers aufgrund der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer unwirksam sind, wenn ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des Leistungsplans nicht beachtet wird 1 0 9 . Eine "überschießende Wirkung" 1 1 0 der mitbestimmten Verteilungsentschei107
So Heinze, NZA 1986, 1; dagegen für eine zulässige mittelbare Erhöhung, Dietz/Richardi, BetrVG, § 87 Rdnr. 546. 108 So schon der 1. Senat, BAG AP Nr. 43,44 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C I der Gründe. 109 AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter D Π der Gründe; so auch Herbst, DB 1987, 738, 742; Mache, DB 1989, 2170, 2171; Trittin, AuR 1991, 329; Misera , Anm. zu AP Nr. 12 zu § 87 BetrV 1972 Lohngestaltung. 110 So der Begriff von Hanau, RdA 1989, 207, 209; ders., Anm. zu EzA Nr. 17 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung.
166
§ 7 Besondere Probleme
dung auf die mitbestimmungsfreie Anrechnung sieht der Große Senat deswegen nicht gegeben, weil der Arbeitgeber die Möglichkeit habe, bis zu einer endgültigen Einigung mit dem Betriebsrat die Tariflohnerhöhung ohne Änderung der Verteilungsgrundsätze mitbestimmungsfrei anzurechnen, womit er allerdings dem Arbeitgeber wiederum die oben angesprochenen komplizierten Rechenoperationen zumutet. Der 1. Senat hat dagegen in seinen beiden Vorlagebeschlüssen der Problematik mehr Aufmerksamkeit zugewandt und einige Lösungsmöglichkeiten in Betracht gezogen 111 , letztlich es aber bei der Feststellung bewenden lassen, daß "der Arbeitgeber unter Umständen gezwungen werden kann, 'freiwillige' Leistungen zu erbringen, die er in der bisherigen Höhe nicht erbringen w i l l " 1 1 2 . Offen läßt der 1. Senat die von ihm nur kurz angesprochene Möglichkeit, dem Arbeitgeber die Befugnis einzuräumen, die Anrechnung unter Vorbehalt der späteren Einigung mit dem Betriebsrat sofort vorzunehmen. Darüber hinaus einer späteren mitbestimmten Verteilungsregelung Rückwirkung beizulegen, hält er für bedenklich, indem die Gefahr bleibe, daß der Arbeitgeber nach der neuen Regelung die zuviel gezahlte Zulagen nicht zurückfordern könne. Der Möglichkeit schließlich, daß der Arbeitgeber zunächst die Zulagen vollständig kürzt und der Betriebsrat erst bei der Neugewährung beteiligt wird, gegebenenfalls wieder mit Rückwirkung der mitbestimmten Regelung, sieht der 1. Senat im Widerspruch zu zwei Entscheidungen des 3. und des 5. Senats 113 , wonach die Wirksamkeit einer vollständigen Reduzierung davon abhängig ist, daß die Gewährung von Zulagen auf Dauer eingestellt werden; angesichts seiner eigenen Rechtsprechung in letzter Zeit bleibt dieser Weg unter dem Gesichtspunkt der Umgehung eines Mitbestimmungsrechts verschlossen 114.
bb) Unwirksamkeit der Neuverteilungsentscheidung Die Rechtsprechung ist schon im Ansatz verfehlt, denn die Anrechnung selbst kann, wie bereits festgestellt, schon deshalb nicht unwirksam sein, da sie nicht tauglicher Anknüpfungspunkt für ein Mitbestimmungsrecht ist 1 1 5 . Nur wo etwas im Arbeitsverhältnis bestimmt wird, kann eine Mitbestimmung anknüpfen bzw. ihre Nichtbeachtung eine Unwirksamkeitsfolge nach sich ziehen. Bei der teilweisen Anrechnung handelt es sich nicht um eine Verringe111
Vgl. BAG v. 13. 2. 1990, AP Nr. 43, 44 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C I der Gründe. 112 Unter C ΠΙ der Gründe. 113 AP Nr. 4, 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 114 Vgl. oben 1.2.b); diese Lösung dürfte wohl auch kaum im Interesse der Arbeitnehmer liegen. 115 Vgl. oben Π.Ι.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
167
rung, sondern um eine Aufstockung der Zulagensumme, da sich diese durch die Tariflohnerhöhung automatisch um deren Gesamtbetrag vermindert 116 . Mitbestimmt ist folglich nur die Nichtanrechnung, die zu einer Anhebung der Effektivlöhne führt, die Anrechnung selbst unterliegt dagegen ausschließlich individualrechtlichen Grenzen wie § 315 BGB und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz 117. Von daher ist die spätere Änderung des Zulagenbereichs rechtlich genauso zu behandeln wie die erstmalige Gewährung und unterliegt damit denselben Unstimmigkeiten im Verhältnis zum Günstigkeitsprinzip. Läßt man diese zunächst einmal außer acht, so hat jedenfalls ein Mitbestimmungsrecht die Mitbestimmungsfreiheit des Dotierungsrahmens zu wahren. Das ist nach allgemeiner Meinung unstreitig und dies kann auch gar nicht anders sein, wenn man mit dem Schutz des Kernbereichs der Unternehmensautonomie auf Betriebsebene ernst machen will. Soweit dies vereinzelt anders gesehen wird, wie z.B. von Trittin, nach dem es für den Arbeitgeber "keine unbillige Härte" darstelle , wenn dieser bis zu einer Neuregelung an dem alten Dotierungsrahmen festgehalten werde 118 , wird weit über das Ziel betrieblicher Mitbestimmung hinausgegangen, selbst wenn man ihr einen zweifelhaften Teilhabegedanken zugrunde legen würde. Der Betriebsrat muß eben nicht im Rahmen der Mitbestimmungstatbestände unbeschränkt vom Arbeitgeber beteiligt werden, auch wenn dies für manchen nur schwer einsichtig ist, weil die Wertungen des geltenden Rechts, wonach Lohnpolitik dem Zugriff des Betriebsrat entzogen ist, verkannt werden. Freiwillige Leistungen sind ein Beispiel dafür. So hat der Arbeitgeber auch im Hinblick auf das Betriebsverfassungsgesetz das Recht, jederzeit, ebenso anläßlich einer Tariflohnerhöhung, das Zulagenvolumen zu kürzen. Das hat zur Folge, daß der Arbeitgeber bis zu einer Einigung mit dem Betriebsrat eine den Dotierungsrahmen reduzierende Regelung treffen können muß, was umgekehrt bedeutet, daß die Arbeitnehmer
116
Vgl. Hromadka, DB 1991, 2133, 2138; ders., Anm. zu AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Hanau, Anm. zu EzA Nr. 17 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; Lieb, SAE 1990, 226, 230 f.; Wiese, NZA 1990, 793, 801 ff; Ramrath, DB 1990, 2597, 2600 f.; Oetker, RdA 1991, 16, 29 ff; Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; Meisel, BB 1991, 406, 411; Bommermann, DB 1991, 2185, 2189 f.; Schwab, BB 1993, 495, 501; Rau, Anrechnung, S. 148 ff; H.Hanau, Individualautonomie, S. 213; Reichold, Anm. zu AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. auch BAG AP Nr. 7, 8 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung. 117 Vgl. BAG v. 22. 8. 1979, AP Nr. 11 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung, wonach die Tariflohnerhöhung für sich gesehen bereits ein sachlicher, die Anrechnung rechtfertigender Grund für § 315 I BGB sei; so auch AP Nr. 57 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; zum Gleichbehandlungsgrundsatz als Grenze der Anrechnung, vgl. BAG AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; kritisch zum ganzen Preis, FS-Kissel, S. 879, 894 ff. 118 AuR 1991, 329, 333; ähnlich Mache, DB 1989, 2170, 2171; Pfarr, BB 1983, 2001,2003.
168
§ 7 Besondere Probleme
sich nicht auf die Unwirksamkeit der einzelnen individualrechtlichen Kürzungen durch Anrechnung oder Widerruf berufen und eine Weiterzahlung der jeweiligen Zulagen in der bisherigen Höhe verlangen können, also insgesamt die Summe aus neuem Tariflohn zuzüglich der ursprünglichen Zulage. Erst recht entstehen entgegen einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts 119 durch das Übergehen von Mitbestimmungsrechten mangels ersichtlicher Anspruchsgrundlage keine Ansprüche auf eine Leistung, die die bisherige Zulagenhöhe übersteigt 120 , ein solcher ergibt sich allenfalls aus dem individualrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz 121. Selbst auf Grundlage der Theorie der notwendigen Mitbestimmung ergibt sich somit im Gegensatz zur Rechtsprechung, daß allein die Entscheidung über die Neuverteilung unwirksam sein kann, mit der Folge, daß die Zulagen der Höhe nach ohne wirksame Rechtsgrundlage geleistet werden bis eine mitbestimmte Regelung des Leistungsplans getroffen wird 1 2 2 . Danach schlägt also die Unwirksamkeit voll auf die individualrechtliche Ebene durch. Abweichend davon sind nach H.Hanau nicht die Kürzung der Zulagen im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer unwirksam 123 , sondern die Unwirksamkeitssanktion beziehe sich lediglich auf das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander 124 . Aus dieser Unwirksamkeit des vom Arbeitgeber einseitig aufgestellten Leistungsplans folge eine relative Unwirksamkeit der individualrechtlich ausgeschütteten Zulagen, da die Rechtsgrundlage der Leistungen an die einzelnen Arbeitnehmer einer kollektivrechtlichen Umverteilung durch die Betriebsparteien nicht im Wege stehen dürfe. Zwar kann nach 119 Vgl. BAG v. 11. 8. 1992 - 1 AZR 279/90, AP Nr. 53 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; siehe aber auch die einschränkenden Ausführungen des 1. Senats in seinen Entscheidungen vom 20. 8. 1991, AP Nr. 50 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung und vom 28. 9. 1994, AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter Π 2 der Gründe. 120 Vgl. Hanau, EWiR § 87 BetrVG 2/93, S. 645 f.; Reichold, Anm. zu AP Nr. 68 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Ramrath, DB 1990, 2593,2602. 121 Vgl. BAG AP Nr. 36, 42, 43, 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; Ziepke, Anrechnung, S. 14 ff.; MünchAibR-Matthes, § 333 Rdnr. 102; kritisch Hromadka, Anm. zu AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; ders., DB 1987, 2519 ff. 122 Vgl. Wiese, NZA 1990, 793, 802; zum Wideruf Misera, Anm. zu AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; GK-Wiese, BetrVG, § 87 Rdnr. 94, 643 f. 123 Das führt dazu, daß der Rahmen des zukünftigen Verteilungsplans durch die wirksam ergangenen Zusagen feststeht. Dies ist Konsequenz seiner These, daß § 87 I Nr. 10 BetrVG lediglich eine Ausgleichsfunktion habe, was wenigstens als konsequente Beschränkung der Unwirksamkeitsfolge im Hinblick auf die so definierte ratio legis zu erachten ist, im Gegensatz zur auch den Interessenausgleich anführenden Wirksamkeitstheorie, die darüberhinaus das Synallgma mit einbezieht. 124 Individualautonomie, S. 199 ff., 209 ff.; in diesem Sinne im Rahmen der ablösenden Betriebsvereinabrung auch Pfarr, BB 1983, 2001, 2009; Dieterich, NZA 1984, 273, 277; vgl. zur relativen Unwirksamkeit auch Schüren, RdA 1991, 139, 142.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
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dieser Ansicht der Arbeitgeber zunächst individualrechtlich wirksam die Kürzungen vornehmen, sobald aber der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht geltend mache, sei der Arbeitgeber nach § 2 I BetrVG verpflichtet, davon die Arbeitnehmer in Kenntnis zu setzen, so daß ab diesem Zeitpunkt kein schützenswertes Vertrauen der Arbeitnehmer an einem Bestand des nicht mitbestimmten Verteilungsplan entstehe könne. Deutlich wird daran, worum es in der Regel bei der Mitbestimmung nach § 87 I Nr. 10 BetrVG bei Leistungen, die das Austauschverhältnis betreffen, geht bzw. worauf diese zumindest hinausläuft, nämlich auf eine "Umverteilung", auch wenn durchweg die Durchsichtigkeit und die Angemessenheit des Lohngefüges aufgrund mitbestimmter Verteilungskriterien angeführt werden. Die Umverteilung fällt allerdings nicht unter die Kompetenz des Betriebsrats, da es sich um Lohnpolitik handelt, wobei auch die Abgrenzung von mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen der Mitbestimmung auf die Entgelthöhe entgegen der allgemeinen Meinung keine Abhilfe schafft. Folgerichtig müßten Anrechnung und Widerruf insgesamt, d.h. unabhängig von der rechtlichen Konstruktion mitbestimmungsfrei sein 125 . Besonders deutlich wird das in dem angenommenen Fall, daß eine Tariflohnerhöhung einen Teil der Tarifgruppen besonders begünstigt, z.B. die Tariflöhne um 4% mindestens aber um einen Sockelbetrag von 150,- D M erhöht werden. Hier soll der Betriebsrat durch sein Mitbestimmungsrecht eine unterschiedliche Kürzung herbeiführen können, da ansonsten der Arbeitgeber durch eine gleichmäßige teilweise, z.B. hälftige Anrechnung die auf der tariflichen Ebene erfolgte Differenzierung in der betrieblichen Umsetzung wieder aufheben könnte, wodurch die Lohngerechtigkeit betroffen sei 126 . Der Betriebsrat wird nach der Rechtsprechung in einem solchen Fall durchsetzen können, daß entsprechend dem Sinn des Sockelbetrags bei kleineren Zulagen eine geringere, bei höheren Zulagen eine größere Anrechnung vorgenommen wird 1 2 7 . Von dem damit falschen Bezugspunkt für ein Mitbestimmungsrecht abgesehen, verstößt die von Teilen der Literatur weiterhin vertretene Annahme, die gleichmäßige Weitergabe einer Kürzung sei unter dem Gesichtspunkt der Lohngerechtigkeit als nur eine von mehreren möglichen Entscheidungen mitbestimmungspflichtig 1 2 8 , gegen den Grundsatz, daß der Arbeitgeber in seiner Zwecksetzung frei
125
So richtig Eich, DB 1980, 1340, 1342; Hromadka, DB 1988, 2636, 2644; vgl. auch Ziepke, BB 1981, 71 ff. 126 vgl. Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rdnr. 226 g; Löwisch, AR-Blattei, (D) BetrV XIV B, Anm. zu Entsch. Nr. 91. 127 Vgl. zum Teilwiderruf, BAG ν. 10. 2. 1988, AP Nr. 33 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung = EzA Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung mit kritischer Anm. Glaubit?, kritisch auch Stege/Rinke, DB 1991, 2386, 2388. 128 Vgl. BAG v. 13. 1. 1987, AP Nr. 26 zu BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG ν. 13. 2. 1990, AP Nr. 43, 44 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Herbst, DB 1987,
170
§ 7 Besondere Probleme
ist 1 2 9 . Er kann mitbestimmungsfrei übertarifliche Zulagen zum Zwecke der allgemeinen Erhöhung des Tariflohns oder zur Korrigierung der beispielsweise durch einen Sockelbetrag verursachten Nivellierung des Entgeltgefüges gewähren. Damit wird gleichzeitig deutlich, daß die unbenannte übertarifliche Zulage die Leistungsbeziehung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer betrifft, die nicht der Mitbestimmung durch den Betriebsrat unterfallt. Demgegenüber hat man überwiegend mit den Begriffen der "innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit" und der bloß "mittelbaren Auswirkung" auf die lohnpolitischen Entscheidungen des Arbeitgebers einen hervorragenden Ausweg aus diesem Dilemma geschaffen, das wegen deren Unbestimmtheit schwer zu widerlegen ist, außer eben, daß eine sinnvolle Abgrenzung von mitbestimmungsfreiem und mitbestimmtem Bereich nicht möglich ist.
cc) Rückwirkung der mitbestimmten Regelung Schiebt man diesen an sich durchgreifenden Einwand einmal unter Anerkennung der Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit beiseite, sind die Probleme noch nicht ausgeräumt, denn immer noch bleibt die Reichweite der Unwirksamkeit fraglich. Überwiegend wird der späteren mitbestimmten Regelung einer Neuverteilung Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Anrechnung beigelegt 130 . Dies führt dann zu der Frage, was im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und denjenigen Arbeitnehmern gilt, deren Zulagenhöhe im Ergebnis geringer ausfallt, als bei der zunächst vom Arbeitgeber vorgenommenen Anrechnung 131 . Um dem Arbeitgeber eine Rückforderung zu ermöglichen, muß er nach dieser Ansicht das einen RückZahlungsanspruch ausschließende Vertrauen der insofern begünstigten Arbeitnehmer beseitigen, indem er den Arbeitnehmern zum Zeitpunkt der geplanten Kürzung mitteilt, daß die Leistungen nur unter dem Vorbehalt einer späteren, rückwirkenden betrieblichen Regelung gezahlt würden. Diese Lösung führt indes nicht nur wieder zu einer Vermengung von mitbestimmungsfreiem und mitbestimmtem Bereich, sondern auch zu einem für die Praxis unerfreulichen Schwebezu738, 741 f., Mache, DB 1989, 2170, 2171; H.Hanau, Individualautonomie, S. 215; der Große Senat stellt demgegenüber allein auf die Änderung der Verteilungsgrundsätze ab, d.h. nicht in jedem Fall sieht er die Lohngerechtigkeit betroffen. 129 Ebenso Kraft, FS-Molitor, S. 207, 222. 130 Vgl. Wiese, NZA 1990, 793, 802 f.; Hanau, RdA 1989, 207, 209 f.; Bommermann, DB 1991, 2185, 2188 f.; Meisel, BB 1991, 406, 411 f.; Ramrath, DB 1990, 2593, 2600; Schwab, BB 1993, 495, 501; abweichend davon bezieht H.Hanau, Individualautonomie, S. 206 f., entsprechend seiner modifiziert vertretenen Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung die Rückwirkung auf den Zeitpunkt eines Änderungsbegehrens des Betriebsrats zurück. 131 Vgl. Wiese, NZA 1990, 793, 803.
Π. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung
171
stand, in dem der Arbeitgeber nicht sicher sein kann, die überzahlten Beträge zurückzuerhalten und die Arbeitnehmer damit rechnen müssen, bereits erhaltene Beträge zurückzahlen zu müssen 132 . Ebenso unpraktikabel ist sowohl die von Hromadka vorgeschlagene Gegenstrategie, der Arbeitgeber solle bis zu einer Einigung mit dem Betriebsrat nur die alten Effektivlöhne weiterzahlen und dann vergleichbar mit der rückwirkend vereinbarten Tariflohnerhöhung die übertarifliche Zulage rückwirkend regulieren 133 , als auch die von Wiese vorgeschlagene Möglichkeit des Arbeitgebers, eine Überbezahlung mit der nächsten Zulage zu verrechnen 134 , um der Gefahr einer nicht realisierbaren Rückforderung zu entgehen. So erscheint nach allem die Auffassung vorzugswürdig, den Wertungswiderspruch gleichsam als Notlösung wenigstens für den praktisch wichtigsten Fall der teilweisen gleichmäßigen Anrechnung durch eine diesbezügliche einseitige Gestaltungsbefugnis des Arbeitgebers aufzulösen und dabei einer Neuregelung keine Rückwirkung beizulegen 135 . Unter der Prämisse, daß dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei dem Leistungsplan für die Gewährung übertariflicher Zulagen zukommt, kann dieser aufgrund seines insoweit bestehenden Initiativrechts jederzeit eine neue Verteilungsregelung herbeiführen, insbesondere kann er - worauf Lieb hinweist 136 - schon im Vorfeld einer sich abzeichnenden Anrechnung Verhandlungen mit dem Arbeitgeber anstrengen, um die Zeitspanne mitbestimmungsfreier Vergabe zu verkürzen oder sogar ganz auszuschließen. Dadurch wird die mißliche Folge der Theorie der notwendigen Mitbestimmung vermieden, die Unwirksamkeit der Kürzung der einzelnen Zulagen und die damit verbundene Weiterzahlung in ursprünglicher Höhe durch einen Vorbehalt späterer Rückzahlung abmildern zu müssen. Selbst wenn man also ein Recht des Betriebsrats zur Herbeiführung anderer Vergabekriterien zwecks Schaffung von Verteilungsgerechtigkeit anerkennt, wiegt die ganz überwiegend anerkannte Rechtsstellung des Arbeitgebers, betriebliche Lohnpolitik allein zu betreiben, schwerer, da diese Position durch ein Mitbestimmungsrecht vollständig vereitelt wird, während der Betriebsrat zu jedem Zeitpunkt initiativ werden kann 1 3 7 . Somit sollte dem Arbeitgeber die
132
S. 148.
Ebenso Lieb, SAE 1990, 226, 231; Oetker, RdA 1991, 16, 30; Rau, Anrechnung,
133 DB 1991, 2133, 2139, siehe aber auch die Kritik an der Unwirksamkeitstheorie auf S. 2134 f. 134 NZA 1990, 793,803. 135 Vgl. Lieb, SAE 1990, 226, 232; Oetker, RdA 1991, 16, 28 f.; Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung; siehe auch Wiese, NZA 1990, 793, 802; kritisch Hromadka, DB 1991, 2133, 2139. 136 SAE 1990, 226, 232.
172
§ 7 Besondere Probleme
Befugnis zugestanden werden, teilweise gleichmäßig anzurechnen, d.h. linear die Zulagen zu kürzen 138 .
I I I . Ausblick Der Praxis wird das alles nicht helfen: weder wird sich die Rechtsprechung in absehbarer Zeit ändern, noch wird der Gesetzgeber den \on Adomeit 139 aufgeworfenen Vorschlag verwirklichen, ausdrücklich normiert den Zulagenbereich dort anzusiedeln, wo er hingehört, nämlich in das Arbeitsvertragsrecht. Angesichts der von der Rechtsprechung geschaffenen Schwierigkeiten, erwähnt seien insbesondere der extensiv ausgelegt kollektive Tatbestand, die notwendigen Rechenoperationen zur Erlangung von Mitbestimmungsfreiheit der späteren Zulagenveränderung und die Mitbestimmungspflichtigkeit der vollständigen Reduzierung und Neugewährung, wird es darauf hinauslaufen, daß Zulagen verstärkt aufgrund einer Betriebsvereinbarung gewährt werden, in der dann auch Verfahrensregelungen bei Tariflohnerhöhungen aufgenommen werden können. Dort könnte dann z.B. festgelegt werden, daß der Arbeitgeber berechtigt ist, auch nach einer Tariflohnerhöhung, die bisherigen Effektivlöhne weiter zu bezahlen, und daß eine notwendige Zustimmung des Betriebsrats zur Erhöhung der Effektivlöhne als erteilt gilt, wenn der Betriebsrat nicht binnen zwei Wochen nach Unterrichtung über diese geplante Maßnahme dem Arbeitgeber eine andere Verteilung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Gesamtvolumens vorschlägt 140 . Enthält die Betriebsvereinbarung darüber keine Regelung und wird anläßlich einer Tariflohnerhöhung eine Neuverteilung angestrebt, so gibt es drei Möglichkeiten 141 . Entweder die Betriebsvereinbarung ist befristet, was keine Probleme aufwirft. Oder die Betriebspartner einigen sich auf eine neue Regelung, dann verdrängt diese ebenso unproblematisch nach dem Grundsatz "lex posterior deroga legi priori" die alte Betriebsvereinbarung 142. Schließlich kann der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung kündigen, wenn eine problemlose
137
Ebenso Oetker, RdA 1991, 16, 31 ff., der ausführlich eine Güter- und Interessenabwägung mit dem Ziel praktischer Konkordanz vornimmt; ebenso im Ergebnis Reuter, Anm. zu EzA Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, der die Unwirksamkeitstheorie wegen ihrer überschießenden Wirkung durchbrechen will. 138 So Lieb, SAE 1990, 226, 232; dagegen will Oetker, RdA 1991, 16, 33, nur eine prozentual geichmäßige Kürzung zulassen. 139 Arbeitsrecht für die 90er, S. 79. 140 So Punkt (2) und (4) des von Schukai, NZA 1992, 967, 970, vorgenommenen Entwurfes einer Betriebs Vereinbarung. 141 Vgl. Schüren, RdA 1991, 139, 142. 142 Vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, § 77 Rdnr. 118.
ΠΙ. Ausblick
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Neuregelung nicht in Sicht ist, wobei es darauf ankommt, ob es sich dabei um eine Beendigungs- oder um eine Änderungskündigung handelt. Ersteres führt nach dem 1. Senat dazu, daß die Regelungen der gekündigten Betriebsvereinbarung nach Ablauf der Kündigungsfrist keine Wirkungen mehr entfalten, d.h. die Arbeitnehmer keine Ansprüche mehr haben 143 . Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gesamtregelung in zwei Betriebsvereinbarungen aufgespalten ist - einer über das Gesamtvolumen als sog. "freiwillige Betriebsvereinbarung" und einer weiteren über die Verteilungsgrundsätze - oder in einer teilmitbestimmten einheitlichen Betriebsvereinbarung festgelegt ist, da in jedem Fall die mitbestimmten Regelungen gegenstandslos werden. Kündigt der Arbeitgeber indes, um den Dotierungsrahmen zu verringern, soll die Betriebsvereinbarung in Anlehnung an die Mitbestimmungspflichtigkeit der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen bis zu einer Neuregelung nachwirken, d.h. solange behalten die Arbeitnehmer ihre Ansprüche in der ursprünglichen Höhe, mit der Begründung, daß die Neuverteilung der Mitbestimmung des Betriebsrats unterfalle 144 . Man sieht, auch diese Lücke ist geschlossen, allerdings wieder um den Preis, daß die Mitbestimmungsfreiheit des vom Arbeitgeber aufzuwendenden Gesamtvolumens zum Lippenbekenntnis verkommt. Da eine langfristige Einstellung übertariflicher Entlohnung und damit eine Beendigungskündigung praktisch nicht in Betracht kommt, kann dem Arbeitgeber nur resignierend geraten werden, auf eine wie eingangs beschriebene Betriebsvereinbarung hinzuwirken, die soweit wie möglich individuelle Entscheidungsspielräume bei der Gewährung einräumt.
143
Vgl. BAG v. 21. 8. 1990, NZA 1990, 190 mit Besprechung von Reuter, in: JuS 1991, 521 f.; zum Streitstand über die Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung; GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rdnr. 331 ff. jeweils m.w.Nachw. 144 Vgl. BAG v. 26. 10. 1993, EzA Nr. 53 zu § 77 BetrVG 1972 unter Verweis auf BAG AP Nr. 53 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, siehe oben I.2.b); vgl. kritisch dazu Lieb, Arbeitsrecht, § 8 I 3, S. 215; Reuter, JuS 1994, 892 f.; diese Entscheidung entspricht im Ergebnis dem Vorschlag von Schirge, DB 1991, 441, 444, auch den Dotierungsrahmen der erzwingbaren Mitbestimmung zu unterwerfen um so einer Betriebsvereinbarung Nachwirkung zu verleihen.
Zusammenfassung der Ergebnisse Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Entgeltfragen in der Lesart der Rechtsprechung ist ein trauriges Beispiel für mißverstandenen Sozialschutz. Es geht inzwischen nicht mehr darum, den Anfängen einer lohnpolitischen und damit unternehmensbezogenen Kompetenz des Betriebsrats zu wehren, da dieser Punkt zu Beginn der achtziger Jahre längst überschritten wurde. Es scheint eine Frage der Zeit, wann auch diese an sich anerkannte Schranke der Betriebsautonomie fallt und dem Betriebsrat eine generelle Bestimmung der Entgelthöhe zugestanden wird. Dabei erweist sich die für diese Entwicklung verantwortliche Verwendung der "Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit" als spezielle ratio legis des § 87 I Nr. 10 BetrVG nicht nur als untauglich für die Reichweitenbestimmung der Norm, sondern darüber hinaus nicht zuletzt unter dem Eindruck der Rechtsprechung zur Mitbestimmungspflichtigkeit des übertariflichen Zulagenbereichs als unvertretbare Einschränkung insbesondere der Arbeitsvertragsfreiheit. Die Auslegung hat sich dagegen an dem System der arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren und den ihnen zugrunde liegenden Autonomiebereichen, also Individuai-, Unternehmens- und Tarifautonomie, zu orientieren. Eine einseitige Hervorhebung der sog. dritten Dimension des Arbeitsrechts, sprich des multilateralen Regelungsbereichs verbietet sich im Hinblick auf die rein schuldrechtliche Rechtsnatur des bilateralen Arbeitsverhältnisses als Gegenpol zur Notwendigkeit der zu verwirklichenden Verteilungsgerechtigkeit. Das Arbeitsverhältnis weist keinerlei kooperative oder personale Elemente auf, so daß das Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit nicht durch dessen kollektive Einbettung zugunsten letzterer aufgelöst werden kann. Ebensowenig lassen sich Arbeitgeber und Belegschaft als Personenverband oder Betriebsgemeinschaft begreifen, um solchermaßen dem Kollektivgedanken Vorrang einzuräumen. In diesem Zusammenhang ist auch Abstand von soziologischen Betrachtungsweisen zu nehmen, unerheblich ob sie als empirische Methode, als betriebswirtschaftliche Erkenntnisse oder als ökonomische Analyse des Rechts daherkommen. Zugegebenermaßen beginnt das Problem schon im Gesetz selbst mit seiner Unbestimmtheit und dem ihm innewohnenden Systembruch, was die Mitbestimmungspflichtigkeit bzw. -freiheit von formellen und materiellen Arbeitsbedingungen angeht. Dies bedeutet indes keinen Freibrief für ein schrittweises Entfernen von der deutlichen Intention des Gesetzgebers eines freien Kernbe-
Zusammenfassung der Ergebnisse
175
reichs unternehmerischer Entscheidungen bei der Norminterpretation. Die betriebliche Mitbestimmung hat unbestreitbar größtenteils die mit ihr bezweckten positiven Folgen für die Arbeitnehmer, die eigentliche Problematik liegt vielmehr in der einseitig an einer Qualifizierung des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht und an dem Teilhabegedanken orientierten Auslegung. Die Mitbestimmung des Betriebsrats soll die Privatautonomie des Arbeitnehmers unterfangen, kann und soll diese aber nicht ersetzen. Das läßt sich weder mit einer generellen Ohnmächtigkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, noch mit der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers mit der daraus resultierenden Zusammenarbeit mit anderen Arbeitnehmern begründen. Der Arbeitnehmer ist in erster Linie Individuum und nur sekundär Mitglied der verfaßten und repräsentierten Belegschaft. Dabei sollte man den idealisierenden Begriff des Mitarbeiters vermeiden, da der Arbeitnehmer nach wie vor nicht freie, sondern abhängige Dienste leistet. Darin findet neben den anderen Schutzmechanismen die Betriebsverfassung ihre Legitimation. In diesem Zusammenhang verwundert es, daß gerade die diesen Begriff verwendenden Stimmen in der Literatur unversehens die damit intendierte Aufwertung der Stellung des Arbeitnehmers für eine extensive Beteiligung des Betriebsrats anführen. Indes ist der einzelne Arbeitnehmer mit seinen Interessen weder mit der Belegschaft, noch mit dem Betriebsrat gleichzusetzen. Bei normativer Betrachtungsweise beruht das Arbeitsverhältnis trotz Abhängigkeit des Arbeitnehmers und notwendigem Interessenausgleichs innerhalb der Belegschaft auf einem privatautonom abgeschlossenen Arbeitsvertrag, der damit primärer Gestaltungsfaktor ist. Geschützt wird die solchermaßen im Arbeitsverhältnis zum Ausdruck kommende Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers durch das Günstigkeitsprinzip, durch welches die eine fremdbestimmte Zwangsordnung darstellende Kollektivmacht begrenzt wird. Es gewährleistet, daß der Arbeitnehmer für sich bessere Arbeitsbedingungen aushandeln kann. Dagegen haben kollektivrechtliche Regelungen lediglich Unterstützungsfunktion. Insgesamt läßt sich das Arbeitsrecht als Recht der Arbeitsverhältnisse begreifen, woraus für die Auslegung des § 87 I Nr. 10 BetrVG eine Ausrichtung am Grundsatz der Subsidiarität folgt. Arbeitsbedingungen, die das Synallagma betreffen, sind als mitbestimmungsfrei zu erachten, was auch nicht mit der sibyllinischen Umschreibung einer bloß mittelbaren Auswirkung ausgehebelt werden darf. Dabei verfolgt die betriebliche Mitbestimmung einen Schutz- und nicht einen Teilhabezweck. Wohl verstandener Schutz schlägt ansonsten in Bevormundung um und einseitiges Arbeitgeberhandeln wird schrankenlos verhin-
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Zusammenfassung der Ergebnisse
dert. Ersteres verbietet die Privatautonomie des einzelnen Arbeitnehmers, letzteres die Unternehmensautonomie des Arbeitgebers. Beides ist schlechterdings nicht vereinbar mit der Funktion des Betriebsrats als Instrument der Machtbeschränkung. Der Tarifvorrang des § 87 I ES BetrVG dient neben der Entbehrlichkeit des doppelten Schutzes wie der Vorbehalt nach § 77 III BetrVG auch der Sicherung der Tarifautonomie. Die übertarifliche Zulage betrifft die Höhe des Entgelts, so daß es durch eine mitbestimmte Regelung über die Verteilungskriterien zu einem Attraktivitätsverlust bei den Gewerkschaften kommen kann, der im Hinblick auf die Ordnungsfunktion des Tarifwesens bedenklich ist. Unter Zugrundelegung des Schutzgedankens notwendiger Mitbestimmung ergibt sich folgendes Zusammenspiel der das Entgelt betreffenden Gestaltungsfaktoren. Die tariflichen Regelungen stellen wegen des Günstigkeitsprinzips Mindestarbeitsbedingungen dar, wodurch dem Schutz der Arbeitnehmer hinreichend Genüge getan ist. Der übertarifliche Bereich dient der Interessenverfolgung des einzelnen Arbeitnehmers und des Arbeitgebers. Jener soll das für ihn Bestmögliche herausholen können, der Arbeitgeber kann die zur Führung seines Unternehmens notwendige Lohnpolitik betreiben. Für eine Mitbestimmung des Betriebsrats bleibt kein Raum, da er seine Gerechtigkeitsvorstellungen weder an die Stelle der Tarifpartner, noch der Arbeitsvertragsparteien setzen darf. Hinsichtlich des Erfordernisses eines kollektiven Tatbestands ist festzuhalten, daß es entgegen der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur nicht auf einen kollektiven Bezug der Angelegenheit, sondern entscheidend darauf ankommt, ob eine abstrakt-generelle Regelung besteht, d.h. ob der Arbeitgeber eine systematische Vergabe erkennen läßt. Die Mitbestimmung des Betriebsrats soll die Gleichbehandlung gewährleisten, und an diese sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, dessen anerkannte Grundlage der Normvollzug ist. Demnach handelt es sich bei allgemeinen und einheitlichen Zulagen grundsätzlich um Einzelfallregelungen, da sie die Austauschgerechtigekit betreffen. Benannten Zulagen dagegen liegt ein belegschaftsbezogenes Handeln des Arbeitgebers zugrunde, das einen kollektiven Tatbestand darstellt. Schließlich muß auch die nachträgliche Veränderung der Gewährleistung, insbesondere durch Anrechnung anläßlich einer Tariflohnerhöhung auf einem System beruhen, entweder daß eines erstmals aufgestellt oder ein bestehendes geändert wird. Für das Eingreifen des Mitbestimmungsrechts genügt es nicht allein, daß sich durch die Anrechnung die Zulagenrelationen ändern, wobei damit im übrigen schon der Bezugspunkt falsch gewählt ist. Wenn man auf die Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit abstellt, muß es auf das Verhältnis der Effektivlöhne ankommen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Anknüpfungspunkt für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann, wenn überhaupt, nur die von der allein individualrechtlichen Schranken unterliegenden Anrechnung zu trennende Neuverteilung der Zulagen sein. Nur letztere kann nach der abzulehnenden Wirksamkeitstheorie als unwirksam erachtet werden. Für den Zeitraum, bis es zu einer mitbestimmten und damit wirksamen Neuverteilungsregelung kommt, darf die vom Arbeitgeber aufgewendete Gesamtsumme im Hinblick auf die "vier Freiheiten" dadurch nicht festgeschrieben sein. A m sinnvollsten wäre es, den Betriebsrat auf sein Initiativrecht zu verweisen und den mitbestimmten Verteilungskriterien wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten keine Rückwirkung beizumessen, dies zumindest für den praktisch wichtigsten Fall der teilweisen gleichmäßigen Anrechnung.
12 Wittgruber
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Sachregister
Abhängigkeit 13, 35,40,46, 53 f., 56 f., 62 ff., 76 ff., 84 ff., 89, 93, 99, 104, 108, 175 Abhängigkeitsverhältnis 69 ablösende Betriebsvereinbarungen 51, 114 Abstraktheit 130, 135, 137 Allgemeine Arbeitsbedingungen 44, 86, 133, 163 f. Änderung der Verteilungsgrundsätze 122,124,143 ff., 148 f., 152, 165 f., 170 Änderungsvorbehalt 154 Anrechenbarkeit 147 Anrechnung 12, 14, 16,25, 112, 122 ff, 127 ff, 131, 135 ff, 141, 143 ff, 151 ff, 161, 165 ff, 173, 176 Anrechnungs vorbehält 153 Arbeitnehmerschutzrecht 66, 175 Arbeitsmarktlohn 111 Arbeitsmarktzulage 19, 132, 134 Arbeitsmarktzulagen 18 Arbeitsverband 40,42, 57, 71, 74, 76, 188 Arbeitsverhältnis 33, 37 ff, 49, 53, 55 ff., 63 f., 66 ff, 72, 78, 83, 87, 89 ff, 141, 166, 174 f. aufgespaltener Entgeltbegriff 111 Aufsaugimg 15, 147, 153 Aufstockung 17, 129, 167 Ausfallzeiten 123 Ausgleichsfunktion 43, 95, 98, 168 außertarifliche Zulage 19,111 Austauschbeziehung 91
Austauschgerechtigkeit 33,74,81, 87, 92,134,139 Bedürfnisprinzip 34 Beitragsprinzip 33 Benannte Zulagen 140 Besitzstandsklausel 15 betriebliche Lohngestaltung 12, 21 ff, 29 Betriebsautonomie 13,41, 56 f., 59, 61, 76 f., 80, 82 f., 85, 93 ff, 97, 99, 103 f., 107, 113, 115 f., 119, 143,148, 152, 164,174 Betriebsfrieden 12 Betriebsgemeinschaft 40, 54, 55 f., 61,63,66, 69 f., 88, 174 Betriebsklima 61,72 Betriebsordnung 55, 95 Betriebsvereinbarung 41 f., 51, 57, 67, 73ff., 79 ff, 87, 95, 98, 112 f., 133, 147, 159, 163, 172 ff. Bevormundung 71 f., 74, 78, 83 f., 90,117, 158,175 bilateraler Regelungsbereich 14, 37, 91, 117, 155, 160 Dauerschuldverhältnis 39, 66, 69 Dotierungsrahmen 51,111, 151, 154, 165, 167, 173 Dritte Dimension 13,37,91 Effektivgarantieklausel 15 Effektivlohn 112, 125,131, 152 Effizienzlohn 44, 111
Sachregister Eingliederung 13,42,46, 50, 53, 56, 60, 65,69, 75 f., 104, 136, 175 Einheitliche Zulagen 140 Einzelfallregelung 121 empirische Methode 49 Entgelthöhe 29 f., 113, 116, 162,169, 174 Festentlohnungssystem 123 Formulararbeitsvertrag 86 f. Freiheit 34,49, 54, 64, 68, 71, 74 ff., 78 f., 81 ff., 86, 88, 90, 114, 138, 161, 174 Freiwilligkeitsgrundsatz 23, 27 Fremdbestimmung 75 Friedenspflicht 61,103,117 Gehaltsgruppen 11 Gemeinschaftsgedanke 55, 69 Gerechtigkeit als Fairneß 35 Gerechtigkeit als Maxime 32 gesellschaftsrechtlicher Ansatz 57 gestaltende Entscheidung 154 Gestaltungsfaktor 38, 53, 67, 175 Gleichbehandlungsgrundsatz 31, 135 f., 167 f., 176 Gleichheit 32, 35, 78 f., 90 f., 96, 135, 174 Günstigkeitsprinzip 13, 18, 52, 72 ff., 81, 83 f., 88, 96, 98, 118, 133, 136, 147, 152, 160 ff., 167, 175 Halbgruppenzulagen 18, 126 Harzburger Modell 65 Herrschaftsverhältnis 69 Initiativrecht 11, 25, 96, 109, 159 f., 177 Innenschranken der Betriebsautonomie 164 innerbetriebliche Lohngerechtigkeit 22, 35 f., 96,164, 170 Integrationszweck 82, 93, 96 f., 100 f.
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Interessenwahrnehmung 52, 59,67, 71,77, 87 ff., 97 iustitia commutativa 32 iustitia distributiva 32 Klassenkämpferische Thesen 13 Klassenkampftheorie 48 kollektiver Tatbestand 37, 89, 98, 102, 118, 120, 122 ff., 129 ff., 133, 139 f., 146,150,162 ff. 176 Kollektivierung 58, 88 f., 117 Kollektivität 90, 122, 127 ff., 135, 137, 141, 143, 164 Kürzung 14, 51,129, 145, 150, 155, 165, 168 ff. Leistungsplan 137, 139,163, 171 Leistungszulagen 18, 123,140,150 Lohngerechtigkeit 12,21 f., 28 ff., 32 f., 35, 37 f., 42, 94, 96, 105, 108, 111, 128 f., 133 f., 137, 143, 164, 169 f., 174 Lohngruppen 17 Lohnpolitik 17, 30,45, 90, 94, 117, 137 f., 140, 151, 167, 169, 171, 176 Lohnschere 17 Materielle Arbeitsbedingungen 25 f., 94, 109, 117,165,174 Mindestarbeitsbedingungen 33, 75, 109, 116 f., 176 Mitarbeiter 58, 61 f., 65, 85, 104, 150 Mitbestimmung 11,13 f., 21 ff., 29, 31 f., 35, 37 f., 40,43 f., 48, 51, 58 f., 62 ff., 71 f., 75, 78, 82, 86 ff., 93 ff., 109 f., 112, 114 ff., 126, 134 f., 137, 139 f., 143, 148, 151, 154 f., 157 f., 161, 164, 166, 168 ff. mittelbare Auswirkungen 83,170, 175 Mitwirkungsrechte 11,26,77 Motivation 18,44, 59, 60 f., 72
200 multilateraler Regelungsbereich 37,42 Neugewährung 149, 166, 172 Neuvergabeentscheidung 150 Neuverteilungsentscheidung 166 Normsetzungsmonopol 110 Normzweck 107, 133 Ökonomische Analyse 44,46, 91 Ordnungszweck 95, 97 Partnerschaftsgedanke 61, 96, 103 f. personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis 39, 55, 56 Personenverband 66,174 persönliches Herrschafts- und Gewaltverhältnis 54 Phänomenologie 46,48 Postfordismus 59 Prämienlohn 11,18 Privatautonomie 13, 50,53,61, 68 ff., 73, 75 f., 79 ff., 85 ff., 90, 98 f., 102, 104 f., 116, 156 f., 175 Produktionsfaktoren 43, 59, 102 Qualitativer Kollektivtatbestand 120 quantitatives Kollektiv 120,121 Rationalisierungsfunktion 95 ff. Rechnungsposten 152 f. Rechtsanwendung 33,47 Rechtsnatur der Belegschaft 40 f. Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses 39 f., 56, 69 Rechtspolitik 47, 118 Rechtssoziologie 33, 35,40,45 f., 48 ff., 54 relative Unwirksamkeit 168 Rückwirkung 159, 166, 170 f., 177 Schutzfunktion 66, 116 Schutzprinzip 66, 72
Sachregister Schutzzweck 51,67,69,77,82,93, 95 ff., 100, 105 f., 108, 116, 128, 159 Selbstbestimmung 13,54,70,77, 79 f., 82, 86, 91, 93, 98 ff., 102, 156,175 Selbstbindungswille 161 Sockelbetrag 144,169 Solidarinteressen 43, 88 Solidaritätsprinzip 51 f. Sonderbonus-Fall 125, 163 Sozialautonomie 98 Sozialprivatrecht 13,43, 50, 53, 58, 66, 78 ff. Sozialschutz 174 Sozialzulagen 19, 140 Sphärentheorie 39 Strukturformen des Entgelts 21,122, 131,143 Subsidiaritätsprinzip 73 Synallagma 62, 83, 100,118, 141, 175 Tarifautomatik 152 ff. Tarifautonomie 14, 39, 62, 76, 78, 80, 82, 87, 93 ff., 99, 107, 109 ff., 174, 176 Tariflohnerhöhung 12,14 f., 17, 123 ff., 141 ff., 162,166 f., 169, 171 f., 176 Tarifvorbehalt 107,109, 118 Tarifvorrang 12, 19,21,27 f., 31, 93, 96, 107 ff., 114 f., 117, 119, 121, 130, 137, 141, 147, 160, 162, 176 Taylorismus 58 Teilhabezweck 13, 82, 96, 99, 100 f., 104 f., 116, 158, 164, 175 teilweise gleichmäßige Anrechnung 171, 177 Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung 157 f., 170 Theorie der notwendigen Mitbestimmung 155, 168, 171 Topftheorie 111,134,136
Sachregister Treuhandverhältnis 77, 159 Übermaßverbot 74 f., 179 Überstunden 11,121,127 übertarifliche Zulagen 14, 17 f., 21, 27, 30, 108 f., 111, 121, 128, 135, 139, 145, 150, 161, 170 Umverteilung 30, 51, 129, 147, 149, 168 f. Unbenannte Zulagen 139 Unternehmensautonomie 25 f., 30, 83, 101, 116, 137 f., 152, 167, 175 Unternehmensverfassung 101 unternehmerische Entscheidungsfreiheit 24,26 f., 103,116,118, 138 f. Unterstützungsfunktion des Betriebsrats 116 Verbandsrechtlicher Ansatz 57 f. Verdienstsicherungsklausel 15 Verfahrensgerechtigkeit 35 Verteilungsgerechtigkeit 13,21, 30 f., 33, 37 f., 43, 81, 83, 88, 90, 92, 113, 116, 134 f., 143, 164, 171, 174, 176
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Verteilungsgrundsätze 14, 137, 143, 145 f., 148, 152,157, 165,170, 173 Verteilungskriterien 31, 112, 117, 142, 169, 176, 177 Vertragsfreiheit 11,13 f., 53, 58, 73 f., 80, 89 f., 95, 114, 116, 136, 161, 164 Vertragsparität 84 f., 108, 183 Vertragsprinzip 156 Vertragsrechtsakzessorietät der Betriebsverfassung 79 vertrauensvolle Zusammenarbeit 61 Vetorecht 25,160 völkisches Rechtsdenken 49 Vorrangtheorie 110,112,119 Vorverständnis 38 Widerrufsvorbehalt 147 Wirtschaftsdemokratie 101, 103 Zulagensockel 144 Zulagensystem 141 Zwangsverband 74, 77 Zwei-Schranken-Theorie 119