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German Pages XXII, 403 [416] Year 2020
Organisationskommunikation
Michael Johann
Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien Langfristige Entwicklungen und Einflüsse auf organisationale Beziehungen
Organisationskommunikation Studien zu Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement Reihe herausgegeben von Günter Bentele, University of Leipzig, Leipzig, Deutschland
Die Reihe „Organisationskommunikation. Studien zu Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement“ zielt darauf, wesentliche Beiträge zur Forschung über Prozesse und Strukturen der Kommunikation von und in Organisationen in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu leisten. Damit kommen vor allem Arbeiten zum Tätigkeits- und Berufsfeld Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement von Organisationen (Unternehmen, politische Organisationen, Verbände, Vereine, Non-Profit-Organisationen, etc.), aber auch zur Werbung oder Propaganda in Betracht. Nicht nur kommunikationswissenschaftliche Arbeiten, sondern auch Beiträge aus angrenzenden Sozialwissenschaften (Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie), den Wirtschaftswissenschaften oder anderen relevanten Disziplinen zu diesem Themenbereich sind erwünscht. Durch Praxisbezüge der Arbeiten sollen Anstöße für den Professionalisierungsprozess der Kommunikationsbranche gegeben werden.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12118
Michael Johann
Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien Langfristige Entwicklungen und Einflüsse auf organisationale Beziehungen
Michael Johann München, Deutschland Dissertation Universität Passau, 2020 u. d. T.: Michael Johann: „Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien. Langfristige Entwicklungen und Einflüsse auf organisationale Beziehungen“.
ISSN 2524-3225 ISSN 2524-3233 (electronic) Organisationskommunikation ISBN 978-3-658-31207-7 ISBN 978-3-658-31208-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektora: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Für meine Mutter
Geleitwort
Michael Johann beschäftigt sich aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive mit dialogorientierter Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien und hat damit ein aktuelles und relevantes Thema der PR-Forschung bearbeitet. Insbesondere für die Teildisziplin der strategischen Kommunikationsforschung bzw. strategischen Organisationskommunikation stellt seine Arbeit eine wertvolle Bereicherung dar. Michael Johann schafft es mit seiner Dissertation, den Forschungsstand sehr detailliert und systematisch aufzuarbeiten, darzustellen und weiter voranzutreiben. Innerhalb der Public Relations lassen sich nach James E. Grunig und Todd Hunt vier organisationsbezogene Ansätze in Abhängigkeit von ihrer Zielsetzung unterscheiden: Propaganda, Informationsverarbeitung, Persuasion und wechselseitiges Verständnis. Die letzten beiden Zielsetzungen in diesem Vier-Phasen-Modell entsprechen einer Zwei-Wege-Kommunikation. Aber nur die Herstellung eines wechselseitigen Verständnisses entspricht einer symmetrischen Kommunikation mit dem Ziel des Dialogs. Bei der Kommunikation auf Augenhöhe handelt es sich quasi um den Königsweg der Public Relations. Und soziale Medien besitzen das Potential, eine derartige Kommunikation zu ermöglichen. Prinzipiell können sich hier Organisationen und Social-Media-User als gleichberechtigte Partner begegnen, die sich wechselseitig austauschen und im Idealfall konstruktiv und gewinnbringend miteinander interagieren. In dieser Situation ist der Rollenwechsel zwischen Produzent und Konsument von kommunikativen Botschaften jederzeit möglich. Soziale Medien ermöglichen quasi paradigmatisch dialogorientierte Public Relations. Und an genau dieser Stelle setzt die Dissertation von Michael Johann an. Das zentrale Anliegen der Arbeit ist die Klärung der Frage, welchen Einfluss soziale Medien auf die Dialogorientierung von Organisationen besitzen und wie sich hierbei die Beziehungen zwischen Organisationen und Usern gestalten? Oder etwas abstrakter: Welche Rolle spielen Public-Relations-Aktivitäten über Social-Media-Kanäle für das organisationale Beziehungsmanagement? Die Beantwortung erfolgt dabei primär für die dialogorientierte Kommunikation auf Facebook unter Rückgriff auf die systemtheoretisch fundierte Segmentierung nach Mikro-, Meso- und Makroebene und unter Einbindung strukturationstheoretischer Perspektiven. VII
VIII
Geleitwort
Für die Arbeit ist zunächst die Erkenntnis zentral, dass der Dialog immer die Folge einer Dialogorientierung ist, aber eine Dialogorientierung per se nicht zwingend zu einem Dialog führen muss. Je schwächer der Dialogbegriff ist, umso stärker stehen die Prozess- und Ergebnisorientierung im Vordergrund. Je stärker der Dialogbegriff ist, umso stärker stehen das Produkt und die Ergebnisoffenheit im Vordergrund. Mit einer systematischen Literaturanalyse untersucht Michael Johann zunächst die Thematisierung dialogorientierter Unternehmenskommunikation in sechs internationalen (PRR, CCIJ, JPRR, IJSC, JCM, PRI) und drei nationalen Fachzeitschriften (SCM, M&K, PUB) über den Zeitraum 1998 bis 2017. Bei den 74 untersuchten Beiträgen handelt es sich überwiegend um empirische Forschung. Nur rund ein Fünftel der Beiträge sind theoretischer Natur. Zudem dominiert in der PR-Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation die Meso-Makro-Perspektive. Die Meso-MesoPerspektive wird hingegen weitgehend vernachlässigt. Meist nehmen die Beiträge ein normativ-produktorientiertes Verständnis ein. Insgesamt fehlt ein distinkter operationaler Zugang zur Dialogorientierung als Prozess. Im nächsten Schritt untersucht Michael Johann die Facebook-Kommunikation von Unternehmen im Zeitraum von 2012 bis 2018 unter Verwendung eines vorbildlich entwickelten Codebuchs. Die Unternehmen wurden hierbei auf Basis des Imageprofile-Rankings des Manager Magazins nach dem Cut-Off-Prinzip ausgewählt. Im Untersuchungszeitraum gibt es einen kontinuierlichen und deutlich wahrnehmbaren Anstieg der Dialogorientierung bei ebenfalls steigender Beziehungsqualität. Das interaktive Potential von Facebook wird grundsätzlich genutzt, neue Facebook-Tools zur Interaktion werden schnell angenommen. Zudem lassen sich deutliche Indizien dafür finden, dass sich auf Seiten der Unternehmen ein professionelles Social-Media- und Community-Management etabliert hat. Bemerkenswert ist, dass die Valenz der Posts und Kommentare auf Userseite über die Zeit negativer wurde. Möglicherweise spiegelt das eine zunehmend fordernde Erwartungshaltung der User gegenüber Unternehmen hinsichtlich der Post-Häufigkeit und Antwortgeschwindigkeit. Ein Beleg für die Effektivität der dialogorientierten Kommunikation auf Facebook zeigt sich darin, dass sich User offensichtlich durch den Interaktionsgrad der Unternehmen gezielt aktivieren lassen. Allerdings gilt einschränkend, dass eine Bereitstellung interaktiver Funktionen nur dann wirkungsstark ist, wenn Unternehmen diese auf Prozessebene bedienen können. Die Verfügbarkeit an sich hat demnach noch keine positiven Effekte, sondern erst der reziproke Austausch. Zur Erfassung der Meso-Mikro-Perspektive führt Michael Johann eine quantitative Online-Befragung unter Kommunikationsverantwortlichen in Unternehmen durch. Bei Unternehmen mit unterstützender Organisationskultur findet sich tendenziell ein höheres Maß an symmetrischer Kommunikation. Diese kann als prozessuale Voraussetzung für eine Dialogorientierung angesehen werden. Zudem sprechen die Befunde für die Bedeutsamkeit der Dialogorientierung im Umfeld des organisationalen Beziehungsmanagements. Michael Johann hat mit seiner multimethodisch arbeitenden Untersuchung einen wertvollen Beitrag zur dialogorientierten Kommunikation als theoretisches Konzept in
Geleitwort
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PR-Forschung und PR-Praxis geleistet. Insgesamt ist ihm eine systematisch aufgebaute, inhaltlich vollständige, handwerklich überzeugende, stringent argumentierende und eine Forschungslücke schließende Dissertation gelungen. Ich wünsche der Arbeit, dass sie zahlreiche Leserinnen und Leser in Wissenschaft und Praxis erreicht, sich als Standardwerk der dialogorientierten Unternehmenskommunikation etabliert und Anschlussforschung anregt. Prof. Dr. Thomas Knieper Digitale und Strategische Kommunikation Universität Passau Deutschland
Danksagung
Dialog ist nicht nur das übergeordnete Thema dieser Dissertation. Er ist auch der Grund dafür, warum ich diese Dissertation vorlegen darf. Für die vielen konstruktiven, motivierenden und manchmal auch ablenkenden Dialoge während der Entstehungszeit möchte ich mich bei einigen Personen bedanken. Mein Dank gilt allen voran meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Knieper, der mir in sechs Jahren als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl immer mit Rat und Tat beiseite stand. In dieser Zeit konnte ich sehr viel lernen, was auch zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen hat. Den Freiraum, den ich dabei stets für eigene Projekte und zur persönlichen Entfaltung hatte, weiß ich sehr zu schätzen. Danken möchte ich auch meiner Zweitbetreuerin Prof. Dr. Cornelia Wolf, von der ich mir stets sicher sein konnte, dass sie ein offenes Ohr für mich hat. Prof. Dr. Cornelia Wolf gilt neben Dr. Katrin Tonndorf vor allem auch großer Dank dafür, dass ich mich in ihr Inhaltsanalyse-Projekt zur Unternehmenskommunikation auf Facebook einbringen und in leitender Funktion zu einer Langzeitstudie weiterentwickeln durfte. Im Kreis meiner Kolleg*innen möchte ich vor allem Dr. Anne-Christin Hoffmann danken, die einen großen Teil dieser Arbeit einem Stresstest unterzogen hat. Für die zahlreichen hilfreichen Anmerkungen bedanke ich mich zudem ganz herzlich bei Prof. Dr. Lars Bülow. Schließlich gilt mein Dank auch Lena Großhauser, Lea Waskowiak und Elisabeth Rohleder, die als studentische Hilfskräfte bei zahlreichen Recherche-, Codierund Übersetzungsarbeiten im Rahmen dieser Arbeit unterstützend tätig waren. Eine besondere Stütze war Leonie Sanke. Sie hat nicht nur die gesamte Arbeit akribisch Korrektur gelesen, sondern auch immer an mich geglaubt und für den notwendigen Ausgleich in den oftmals fordernden Phasen des Promotionsprojekts gesorgt. Dafür bin ich unendlich dankbar. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Mutter Monika, die mir durch ihre beispiellose Selbstlosigkeit den Weg zur Promotion überhaupt erst möglich gemacht hat. München, im Juni 2020
Michael Johann
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Theoretische Bezüge und Forschungsziel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Methodisches Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2 Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 Begriffliche Grundlagen und theoretische Verortung. . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.1 Unternehmenskommunikation als Kommunikation mit Teilöffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.2 Unternehmenskommunikation als Organisationskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.3 Unternehmenskommunikation als strategische Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1.4 Integrierte Theorie der Unternehmenskommunikation . . . . . . . 16 2.2 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2.1 Public Relations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.2 Marketing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2.3 Interne Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.3.1 Organisationsbezug: Symmetrische Kommunikation. . . . . . . . 27 2.3.2 Gesellschaftsbezug: Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.4.1 Beziehungen als Bezugsgröße der Public Relations . . . . . . . . . 37 2.4.2 Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen. . . . . . . . . . . . . 46 2.5 Zentrale theoretische Befunde zur Unternehmenskommunikation. . . . . 50 3
Online-Kommunikation von Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . 54 3.1.1 Digitalisierung und Medienwandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 XIII
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Inhaltsverzeichnis
3.1.2 Relevanz von sozialen Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.1.3 Status Quo der Nutzung sozialer Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.2 Online-PR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2.1 Typologie der Online-PR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2.2 Instrumente und zentrale Funktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.3 Facebook als Untersuchungsgegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.2.4 Interaktivität und Interaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3 Zentrale theoretische Befunde zur Online-Kommunikation von Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4
Dialogorientierte Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4.1.1 Normatives Verständnis: Wurzeln des Dialog-Begriffes. . . . . . 100 4.1.2 Deskriptives Verständnis: Dialogorientierte Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.2 Prinzipien und Grundsätze der dialogorientierten Public Relations . . . . 110 4.3 Dialogorientierte Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation. . . 120 4.4 Zentrale theoretische Befunde zur Dialogorientierung. . . . . . . . . . . . . . 126
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Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: Forschungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5.1 Erkenntnisinteresse in Bezug auf den Stand der Forschung . . . . . . . . . . 131 5.2 Systematische Literaturanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5.2.1 Festlegung des Untersuchungsmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.2.2 Analysekategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.2.3 Ergebnisse der Literaturanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5.2.4 Ergänzende Erkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.3 Zentrale Befunde aus dem Forschungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
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Analytischer Bezugsrahmen und Ausdifferenzierung des Forschungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 6.1 Forschungsleitende Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6.2 Inhaltsanalytische Betrachtung der Facebook-Kommunikation . . . . . . . 172 6.2.1 Methodenbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 6.2.2 Teilforschungsfragen und Hypothesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 6.3 Quantitative Befragung von Unternehmenskommunikator*innen . . . . . 178 6.3.1 Methodenbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 6.3.2 Teilforschungsfragen und Hypothesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf Facebook . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7.1 Methodisches Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7.1.1 Grundgesamtheit und Analyseeinheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 7.1.2 Datenerhebung und Feldphase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Inhaltsverzeichnis
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7.1.3 Operationalisierung und Codebuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7.1.4 Pretest und Gütekriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 7.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 7.2.1 Nutzung des interaktiven Potenzials von Facebook. . . . . . . . . . 206 7.2.2 Auswirkungen der Dialogorientierung auf die Qualität der Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 7.2.3 Unterschiede zwischen den Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 225 7.3 Zusammenfassung, Einordnung und Diskussion der Befunde . . . . . . . . 237 7.4 Zentrale empirische Befunde der Inhaltsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 8
Befragung: Dialogorientierung aus Sicht der Kommunikator*innen. . . . . 253 8.1 Methodisches Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 8.1.1 Auswahlverfahren und Datenerhebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 8.1.2 Operationalisierung und Fragebogen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 8.1.3 Pretest und Gütekriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 8.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 8.2.1 Einflüsse auf die dialogorientierte Unternehmenskommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 8.2.2 Einflüsse auf die Beziehungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 8.2.3 Pfadmodell zur Erklärung der direkten und indirekten Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 8.3 Zusammenfassung, Einordnung und Diskussion der Befunde . . . . . . . . 277 8.4 Zentrale empirische Befunde der quantitativen Befragung. . . . . . . . . . . 287
9 Schlussbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 9.1 Beantwortung der Forschungsfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 9.1.1 Meso-Makro-Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 9.1.2 Meso-Meso-Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 9.1.3 Meso-Mikro-Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 9.2 Implikationen und Anschlussforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 9.2.1 Theoretische Implikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 9.2.2 Praktische Implikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 9.3 Limitationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 10 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Abkürzungsverzeichnis
AMOS Analysis of Moment Structures API Application Programming Interface B2B Business-to-Business B2C Business-to-Consumer Bitkom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien BVDW Bundesverband Digitale Wirtschaft bzw. beziehungsweise CCIJ Corporate Communications: An International Journal CEO Chief Executive Officer CSR Corporate Social Responsibility Destatis Statistisches Bundesamt DOTK Dialogorientierte Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation DPRG Deutsche Public Relations Gesellschaft etc. et cetera Eurostat Statistisches Amt der Europäischen Union FAQ Frequently Asked Questions FF Forschungsfrage GfK Gesellschaft für Konsumforschung H Hypothese HCI Human–computer interaction IfM Institut für Medien- und Kommunikationspolitik IMF International Monetary Fund ILO International Labour Organization IJSC International Journal of Strategic Communication ISIC International Standard Industrial Classification JCM Journal of Communication Management JPRR Journal of Public Relations Research M&K Medien & Kommunikationswissenschaft Mio. Millionen N/A not available XVII
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Abkürzungsverzeichnis
NGO Non-Governmental Organization, Nichtregierungsorganisation NPO Non-Profit-Organisation OPR Organization-Public Relationship OTB Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehung P2P Peer-to-Peer PR Public Relations PRI Public Relations Inquiry PRR Public Relations Review PUB Publizistik QDA Qualitative Data Analysis Q1 erstes Quartal Q2 zweites Quartal Q3 drittes Quartal Q4 viertes Quartal SCM Studies in Communication and Media SPSS Statistical Package for the Social Sciences u. a. unter anderem UNO United Nations Organization US United States, Vereinigte Staaten v. a. vor allem vgl. vergleiche z. B. zum Beispiel
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.1 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation. . . . . . . . . . . . . . . 18 Abbildung 2.2 Forschungsfelder, Disziplinen und Grundfragen der Public Relations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Abbildung 2.3 Überschneidungsbereiche von Public Relations und Marketing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Abbildung 2.4 Zweiseitiges Modell exzellenter Public Relations. . . . . . . . . . . . . . 29 Abbildung 2.5 PR aus Sicht der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Abbildung 3.1 Nutzungsklassen von sozialen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abbildung 3.2 Anzahl der monatlich aktiven Facebook-Nutzer*innen 2009–2019. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Abbildung 3.3 Konzepte der sozialen Interaktion in sozialen Netzwerken. . . . . . . 92 Abbildung 4.1 Konzeptuelle Abgrenzung zwischen Dialogorientierung und Dialog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Abbildung 4.2 Fünf Prinzipien der dialogorientierten Online-PR. . . . . . . . . . . . . . 111 Abbildung 4.3 Fünf Grundsätze der dialogorientierten Online-PR. . . . . . . . . . . . . 116 Abbildung 4.4 Teildimensionen der DOTK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abbildung 5.1 Anzahl der untersuchten Artikel von 1998 bis 2017. . . . . . . . . . . . 142 Abbildung 5.2 Anteile der in den Artikeln untersuchten Themenfelder. . . . . . . . . 144 Abbildung 5.3 Anteile der in den Artikeln untersuchten Plattformen. . . . . . . . . . . 145 Abbildung 5.4 Anteile der in den Artikeln untersuchten Organisationsarten. . . . . 146 Abbildung 5.5 Anteile der den Artikeln zugrunde liegenden Untersuchungsziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Abbildung 5.6 Anteile der in den Artikeln vorherrschenden Perspektiven. . . . . . . 150 Abbildung 5.7 Präsenz der verschiedenen Perspektiven von 1998 bis 2017. . . . . . 152 Abbildung 5.8 Anteile der in den Artikeln zugrunde gelegten Dialog-Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Abbildung 5.9 Präsenz der verschiedenen definitorischen Zugänge von 1998 bis 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Abbildung 6.1 Zusammenfassung des analytischen Bezugsrahmens. . . . . . . . . . . 171 XIX
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 7.1 Schematische Darstellung der Analyseebenen in der Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Abbildung 7.2 Workflow der Codierung der verschiedenen Analyseebenen . . . . . 194 Abbildung 7.3 Verteilung der Indexwerte für die Dialogorientierung. . . . . . . . . . . 213 Abbildung 8.1 Pfadmodell der Effekte auf die Beziehungsqualität . . . . . . . . . . . . 275
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2.1 Die vier Modelle der Public Relations nach Grunig und Hunt (1984). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Tabelle 2.2 Phasen der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit. . . . . . . 33 Tabelle 2.3 Ausgewählte OTB-Studien und Reliabilität der OTB-Teildimensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Tabelle 3.1 Entwicklungsphasen der Public Relations in Deutschland. . . . . . . . . 55 Tabelle 3.2 Strukturelle Spannungsfelder netzwerkorientierter Online-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Tabelle 3.3 Internetnutzung in Deutschland von 1997 bis 2019. . . . . . . . . . . . . . 66 Tabelle 3.4 Nutzung von Social-Media-Plattformen im Jahr 2019. . . . . . . . . . . . 67 Tabelle 3.5 Digitale Herausforderungen für das Kommunikationsmanagement seit 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Tabelle 3.6 Herausforderungen für das Kommunikationsmanagement im Jahr 2019. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Tabelle 3.7 Eigenschaften der Digitalisierten PR, der Internet-PR und der Cluetrain-PR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Tabelle 3.8 Instrumente und Funktionen der Online-PR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Tabelle 3.9 Relevanz von Instrumenten für das Kommunikationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Tabelle 4.1 Ausgewählte DOTK-Studien und Reliabilität der DOTK-Teildimensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Tabelle 5.1 Anzahl relevanter Artikel für die systematische Literaturanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Tabelle 5.2 Kategorien der systematischen Literaturanalyse mit Beispiel-Ausprägungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Tabelle 5.3 Anzahl der untersuchten Artikel nach Art der Beiträge von 1998 bis 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Tabelle 7.1 Übersicht der zu den verschiedenen Zeitpunkten untersuchten Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
XXI
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Tabelle 7.2 Anzahl der Analyseeinheiten auf den verschiedenen Analyseebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Tabelle 7.3 Operationalisierung der relevanten Kategorien der Inhaltsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Tabelle 7.4 Ergebnisse der Intercoder-Reliabilitätstests für die inhaltlichen Kategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Tabelle 7.5 Verteilung der Indikatoren für den Interaktivitätsindex . . . . . . . . . . . 208 Tabelle 7.6 Verteilung der Indikatoren für den Interaktionsindex. . . . . . . . . . . . . 210 Tabelle 7.7 Einfluss der Interaktivität auf die Anzahl der Post-Likes. . . . . . . . . . 215 Tabelle 7.8 Einfluss der Interaktivität auf die Anzahl der Post-Shares. . . . . . . . . 216 Tabelle 7.9 Einfluss der Interaktivität auf die Anzahl der Post-Kommentare. . . . 216 Tabelle 7.10 Einfluss der Interaktivität auf die Anzahl der Seiten-Likes . . . . . . . . 217 Tabelle 7.11 Einfluss der Interaktivität auf die Anzahl der Nutzer*innenposts. . . . 217 Tabelle 7.12 Einfluss der Interaktion auf die Anzahl der Post-Likes . . . . . . . . . . . 218 Tabelle 7.13 Einfluss der Interaktion auf die Anzahl der Post-Shares. . . . . . . . . . . 219 Tabelle 7.14 Einfluss der Interaktion auf die Anzahl der Post-Kommentare. . . . . . 220 Tabelle 7.15 Einfluss der Interaktion auf die Anzahl der Seiten-Likes. . . . . . . . . . 220 Tabelle 7.16 Einfluss der Interaktion auf die Anzahl der Nutzer*innenposts. . . . . 221 Tabelle 7.17 Einfluss der Dialogorientierung auf die Beziehungsqualität . . . . . . . 222 Tabelle 7.18 Zusammenhänge in Bezug auf die Valenz der Kommentare und Posts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Tabelle 7.19 Anteile der Reaktionen auf positive, neutrale und negative Posts . . . 224 Tabelle 7.20 Mittlere Ränge der Industriezweige in Bezug auf die Interaktivität. . 227 Tabelle 7.21 Mittlere Ränge der Industriezweige in Bezug auf die Interaktion. . . 228 Tabelle 7.22 Mittlere Ränge der Industriezweige in Bezug auf die Dialogorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Tabelle 7.23 Mittlere Ränge der Industriezweige in Bezug auf die Beziehungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Tabelle 7.24 Mittlere Ränge der Industriezweige in Bezug auf die Valenz der Kommentare. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Tabelle 7.25 Mittlere Ränge der Industriezweige in Bezug auf die Valenz der Posts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Tabelle 8.1 Interne Konsistenzen der Konstrukte aus der Online-Befragung. . . . 265 Tabelle 8.2 Zusammenfassung der explorativen Faktorenanalyse für die PR-Rollen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Tabelle 8.3 Mittelwerte der Teildimensionen und Konstrukte der Befragung. . . . 269 Tabelle 8.4 Zusammenhänge zwischen den PR-Rollen und der Dialogorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Tabelle 8.5 Zusammenhänge zwischen den PR-Rollen und der Beziehungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Tabelle 8.6 Indirekte Effekte auf die dialogorientierte Kommunikation. . . . . . . . 276 Tabelle 8.7 Indirekte Effekte auf die Beziehungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
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Einleitung
„The time has come to fulfill the dialogic promise.“ (Kent & Taylor, 2016, S. 65)
Längst haben Unternehmen das Potenzial der Online-Kommunikation für sich entdeckt. Zu den meist einfachen Website-Präsenzen aus den Anfangstagen des Internets haben sich im Lauf der Zeit immer mehr interaktive Angebote gesellt. Unternehmen bieten eigene Blogs an, nutzen Plattformen zum Teilen von Bildern und Videos und sind in zahlreichen sozialen Netzwerken vertreten. Was sich unter dem Begriff der ‚sozialen Medien‘ (vgl. Kreutzer, 2018) zusammenfassen lässt, hat sich für Unternehmen und andere Arten von Organisationen als das wichtigste Instrument zur Kommunikation mit relevanten Personen oder Personengruppen entwickelt (vgl. Navarro et al., 2018; Zerfass et al., 2017). Es stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob Unternehmen die sozialen Medien in ihr Kommunikationsinstrumentarium aufnehmen sollten, sondern wie sie die sozialen Medien strategisch nutzen können, um übergeordnete Unternehmensziele zu erreichen (Men & Tsai, 2015a, S. 89). Als Folge des Bedeutungszuwachses von Diensten wie Facebook, Twitter oder YouTube haben sich mit der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle der Kommunikation auf diesen Plattformen neue Aufgabenbereiche in den Kommunikationsabteilungen ergeben. Es ist angesichts dessen nicht verwunderlich, dass sich mit dem Social Media Management ein hoch spezialisierter Berufszweig herausgebildet hat (Moretti & Tuan, 2015, S. 160; Pein, 2015, S. 41; van Looy, 2016, S. 10). Wie sehr die Kommunikationsabteilungen nach Expertise suchen, zeigt ein Blick in Stellenanzeigen in diesem Bereich. Gesucht werden beispielsweise „Content Marketing Manager für Digital & Social Media“ (Monster, 2017), „Communication Manager Influencer & Digital“ (LinkedIn, 2017) oder „Snapchat Manager“ (Jobware, 2017). © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_1
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1 Einleitung
Nicht nur die Kommunikation von Unternehmen hat sich durch die sozialen Medien verändert. Auch im Alltag der Bevölkerung nehmen die sozialen Medien einen hohen Stellenwert ein (Beisch et al., 2019, S. 383). Die Verbreitung der sozialen Medien sowie die hohe Durchdringung mit digitalen Inhalten und mobilen Endgeräten haben dabei eine Wissensgesellschaft geschaffen, in der die Bevölkerung eine konstante Kommunikation von den Unternehmen erwartet (Cardwell et al., 2017, S. 152). Diese wiederum haben die Möglichkeit, durch direkte und interaktive Formen der Kommunikation in den sozialen Medien Beziehungen zu den Nutzer*innen aufzubauen und zu pflegen (Macnamara & Zerfass, 2012, S. 288; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 56).
1.1 Theoretische Bezüge und Forschungsziel Trotz der etablierten Rolle der sozialen Medien im Kommunikationsalltag stehen die meisten Unternehmen vor der Herausforderung, mit der dynamischen Entwicklung digitaler Technologien Schritt zu halten sowie Vertrauen und Beziehungen aufzubauen (Meng et al., 2019, S. 29; Zerfass et al., 2019, S. 57). Mit der Kommunikation in den sozialen Medien geht oftmals die Hoffnung einher, mit den Nutzer*innen auf Augenhöhe interagieren zu können (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 733; Röttger et al., 2018, S. 48). Der zweiseitige Kommunikationsprozess, der durch die genuine Interaktivität der sozialen Medien ermöglicht wird, erlaubt dabei direktere und persönlichere Formen der Ansprache der Nutzer*innen, als dies durch eher klassische Formen der Öffentlichkeitsarbeit (z. B. über Pressemitteilungen) der Fall ist (Kelleher, 2015, S. 282). Im wesentlichen Unterschied zu einseitigen Kommunikationsformen ohne Rückkanal ist es durch einen zweiseitig gerichteten Austausch und die Beobachtbarkeit der Kommunikation in den sozialen Medien denkbar, Standpunkte und Argumente zwischen den Kommunikationsbeteiligten auszutauschen und gemeinsam ausgehandelte Lösungen zu erzielen (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 56). Daher wird insbesondere das Konzept des Dialoges eng mit dem interaktiven Potenzial der sozialen Medien in Verbindung gebracht: „In einer offenen Gesellschaft mit modernen Kommunikationstechnologien können permanent neue Dialoggemeinschaften entstehen“ (Leipziger, 2009, S. 105). Generell hat sich der Dialog zu einem der „schillerndsten Begriffe“ (Hoffjann, 2014, S. 5; Pleil, 2015b, S. 33) in der Öffentlichkeitsarbeit entwickelt, der Forschung und Praxis nachhaltig geprägt hat. Das Dialog-Konzept stammt dabei aus der interpersonalen Kommunikation und beschreibt eine ideale und ethische Form der Kommunikation (Pearson, 1989a, S. 177; Russmann & Lane, 2020, S. 2; Taylor & Kent, 2014, S. 388). Die Übertragbarkeit des Dialog-Konzeptes auf die Kommunikation von Unternehmen gilt als umstritten (vgl. u. a. Ihlen & Levenshus, 2017). Da Unternehmen auch in den sozialen Medien meist eigene (z. B. wirtschaftliche) Interessen verfolgen und ihre Kommunikation somit persuasiv und weniger verständigungsorientiert ausgerichtet ist, stellt sich die Frage, ob die Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien tatsächlich dialogisch sein kann. Andererseits ist es denkbar, dass Unternehmen ihr
1.1 Theoretische Bezüge und Forschungsziel
3
Handeln ganz grundsätzlich an einer ethischen Verhaltensweise orientieren können. Ethikkodizes sind ein Beispiel dafür, dass sich Öffentlichkeitsarbeit und ethisches Handeln nicht zwangsläufig ausschließen (vgl. u. a. Bentele & Seidenglanz, 2018; Bentele & Seiffert, 2014). In der Forschung zum Dialog im Internet lassen sich zwei divergierende Positionen ausmachen. Auf der einen Seite wird oftmals das weitreichende Potenzial hervorgehoben, das die Online-Kommunikation für dialogische Prozesse zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen verspricht (vgl. u. a. Bortree & Seltzer, 2009; Kent & Taylor, 2002). Auf der anderen Seite stehen zahlreiche empirische Befunde, die den Unternehmen attestieren, die Möglichkeiten des Internets und der sozialen Medien nicht auszuschöpfen (vgl. u. a. Rybalko & Seltzer, 2010; Yue et al., 2019). Dabei wird auch kritisiert, dass das Dialog-Konzept häufig nicht in einen übergeordneten Theorierahmen integriert wird, auf Basis dessen die Beziehungen zwischen Unternehmen und Nutzer*innen erfasst werden können (vgl. Hoffjann, 2014, S. 6). Einen solchen Rahmen stellt das Beziehungsmanagement dar. Das Beziehungsmanagement beschreibt allgemein die spezifischen Mittel, mit denen es den Beziehungspartner*innen gelingt, langfristig gut funktionierende Beziehungen aufrechtzuerhalten (Rusbult et al., 2001, S. 96). Der Dialog lässt sich als ein solches Mittel betrachten (vgl. u. a. Gutiérrez-García et al., 2015; Kelleher, 2009; Kent & Taylor, 2002; Theunissen & Wan Noordin, 2012). In diesem Kontext gelten vor allem interaktive Strategien, wie sie beispielsweise für die sozialen Medien typisch sind, als effektiv für den Aufbau und die Pflege von Beziehungen (vgl. u. a. Kelleher, 2009; Men & Tsai, 2015b; Sung & Kim, 2014). Aus den theoretischen Grundüberlegungen ergibt sich das folgende übergeordnete Ziel dieser Arbeit. Damit soll vor allem eine pragmatische Verbindung der Konzepte des Dialoges und der Beziehungen ermöglicht werden:
Ziel
Die Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien soll im Spannungsfeld zwischen dem normativen Anspruch des interpersonalen Dialog-Begriffes und der pragmatischen Umsetzung im Sinne einer Dialogorientierung erfasst werden. Dialogorientierung soll dabei als ein Prozess der reziproken Interaktion verstanden werden, auf Basis dessen Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien aufgebaut und gepflegt werden. Im Rahmen dieser Arbeit soll überprüft werden, welchen Einfluss das interaktive Potenzial der sozialen Medien auf die Dialogorientierung und damit die Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen hat.
Da sich vor allem die Public Relations (PR) als Teilbereich der Unternehmenskommunikation (vgl. Zerfaß, 1996a; Zerfaß, 2010) mit der Frage nach organisationalen Beziehungen beschäftigen (vgl. u. a. Coombs & Holladay, 2015; Grunig et al., 1996;
4
1 Einleitung
Smith, 2012; Toth, 2010), konzentriert sich die vorliegende Arbeit vor allem auf die Rolle der PR für das organisationale Beziehungsmanagement. Bei der Umsetzung dieses Ziels werden mit dieser Fokussierung zahlreiche Lücken in der Forschung zum Dialog und zum Beziehungsmanagement adressiert. Da beide Felder breit erforscht sind, ist ein strukturiertes Vorgehen notwendig, um vorhandene Erkenntnisse nutzbar machen und neue Erkenntnisse generieren zu können. Daher steht zunächst ein systematischer Blick auf die Entwicklung des Forschungsfeldes zu Dialog und Dialogorientierung als leitende Forschungsfrage im Fokus (FF1). Anhand dieser Frage werden die zentralen Forschungslücken in Bezug auf das Beziehungsmanagement zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien herausgearbeitet. Den Vorschlägen von Taylor und Kent (2014, S. 396) folgend soll auf dieser Basis ein konkreter Blick auf die organisationale, die gesellschaftliche und die interpersonale Ebene erfolgen. Dabei dient die systemtheoretisch fundierte Segmentierung nach Ronneberger und Rühl (1992) als makrotheoretischer Bezugsrahmen für die weiteren leitenden Forschungsfragen dieser Arbeit, die sich entlang von drei Ebenen beziehungsweise den verbindenden Perspektiven zwischen diesen Ebenen anordnen lassen (vgl. Dernbach, 2015, S. 147): die Makroebene, die Mesoebene und die Mikroebene. Hierdurch lassen sich Unternehmen als Ganzes, die wechselseitige Interaktion mit ihrer Umwelt sowie unternehmensinterne, akteursbezogene Prozesse für die angestrebte analytische Betrachtung dialogorientierter Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien fruchtbar machen (Dernbach, 1998, S. 65; Röttger, 2015, S. 240; Witmer, 2006, S. 362). Auf der Makroebene nehmen Public Relations eine Funktion als Form der öffentlichen Kommunikation in der und für die Gesellschaft ein (neben anderen Formen wie beispielsweise Journalismus, Werbung, Propaganda). Es stellt sich also die Frage, inwiefern gewinnorientierte Unternehmen in den sozialen Medien vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf der Makroebene (z. B. Digitalisierung, Internationalisierung) das Potenzial zur dialogorientierten Kommunikation mit den Nutzer*innen ausschöpfen (FF2) und welche Auswirkungen die dialogorientierte Kommunikation auf die Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen hat (FF3). Hierbei gilt es insbesondere, die Rolle der interaktiven Kommunikation in den sozialen Medien zu ergründen und damit eine Brücke zwischen der Dialogorientierung als prozessuale Voraussetzung und den Beziehungen zu den Nutzer*innen als Produkt zu schlagen (Meso-Makro-Perspektive; vgl. u. a. Hoffjann, 2014; Ledingham & Bruning, 1998). Auf der Mesoebene steht die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinsichtlich der Strukturen, Strategien und Methoden der kommunizierenden Unternehmen unter Marktbedingungen im Vordergrund. Daher wird es vor allem aus einer komparativen Sicht interessant sein, wettbewerbliche (FF4) wie auch zeitliche (FF5) Unterschiede und Veränderungen herauszuarbeiten. Gerade vergleichende Perspektiven sind in der PR-Forschung rar und stellen damit ein substanzielles Desiderat in den Studien zu überwiegend langfristig ausgerichteten Beziehungsbemühungen von Unternehmen dar (Meso-Meso-Perspektive; vgl. u. a. Ihlen & Levenshus, 2017; Ledingham & Bruning, 1998; McCorkindale & DiStaso, 2014).
1.2 Methodisches Vorgehen
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Auf der Mikroebene wird das konkrete Handeln einzelner oder kollektiver R-Akteur*innen betrachtet. Diesbezüglich soll besonders der Frage nachgegangen P werden, wie die Dialogorientierung (FF6) und die Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien (FF7) von Faktoren auf der Mikroebene beeinflusst werden. Um den Limitationen der Systemtheorie gerade in Bezug auf die Mikroebene entgegenzuwirken, wird der makrotheoretische Anschluss dieser Arbeit um eine strukturationstheoretische Sichtweise ergänzt. So modelliert die Systemtheorie die Public Relations grundsätzlich als ein gesellschaftliches Funktionssystem (Bentele & Wehmeier, 2009, S. 358; Röttger et al., 2018, S. 114). Die Strukturationstheorie dagegen fokussiert sich weniger auf abstrakte Systeme als vielmehr auf die handelnden Akteur*innen (Szyszka, 2013, S. 265; Witmer, 2006, S. 362). Durch die Kombination und insbesondere die Bezugsetzung systemtheoretischer und strukturationstheoretischer Sichtweisen lassen sich die zu untersuchenden Prozesse der Public Relations und der Unternehmenskommunikation vor dem Hintergrund der Interaktion von einzeln handelnden Unternehmenskommunikator*innen mit den Nutzer*innen in den sozialen Medien holistisch erfassen und beschreiben (Meso-MikroPerspektive; vgl. u. a. Röttger, 2015; Szyszka, 2013).
1.2 Methodisches Vorgehen Um sich dem übergeordneten Forschungsziel anzunähern und ein möglichst holistisches Bild der dialogorientierten Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien zu gewinnen, werden insgesamt drei Teilstudien durchgeführt. Zunächst dient eine Analyse des Forschungsstandes der Vermessung des PR-Forschungsfeldes (FF1). Es werden dazu ausgewählte Artikel aus Fachzeitschriften zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen (n = 74) einer systematischen Literaturanalyse unterzogen. Es versprechen sich Auskünfte darüber, auf welchen Untersuchungsanlagen die vorhandene Forschung beruht, welche makrotheoretischen Forschungsperspektiven (Meso-Makro, Meso-Meso, Meso-Mikro) dominieren und wie das Feld mit dem Spannungsverhältnis des Dialog-Begriffes zwischen normativem Anspruch und pragmatischer Umsetzung umgeht. Darüber hinaus lassen sich die zentralen Einflussvariablen im Kontext des Managements der Beziehungen zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien identifizieren. Auf der Grundlage der Ergebnisse der systematischen Literaturanalyse werden die Forschungsinteressen der zweiten und dritten Teilstudie weiter ausdifferenziert. Die zweite Teilstudie stellt eine mehrstufige quantitative Inhaltsanalyse dar (FF2, FF3, FF4, FF5). Dabei werden die Facebook-Aktivitäten von führenden Unternehmen in Deutschland in den Jahren 2012, 2015 und 2018 näher untersucht (N2012 = 70; N2015 = 99; N2018 = 101). Für diese Unternehmen, die in einer Vollerhebung in die Analyse einbezogen werden, wird eine Zufallsauswahl von je bis zu 50 Unternehmensposts im jeweiligen Untersuchungsjahr (n2012 = 3500; n2015 = 4752; n2018 = 4949) sowie
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1 Einleitung
von bis zu je zehn Kommentaren (n2012 = 18698; n2015 = 23303; n2018 = 25172) und je bis zu zehn Antworten auf diese Kommentare erhoben (n2012 = N/A; n2015 = 21838; n2018 = 36804). Zudem werden jeweils bis zu 50 zufällig ausgewählte Nutzer*innenposts zur Analyse ausgewählt (n2012 = 2882; n2015 = 3736; n2018 = 3343). Durch die quantitative Inhaltsanalyse, die im Längsschnittdesign angelegt ist, sollen auf Mesoebene Erkenntnisse über Professionalisierungsprozesse in der dialogorientierten Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien gewonnen werden. Zudem gilt es, die Auswirkungen auf die Beziehungen zu den Nutzer*innen auf der Makroebene zu ergründen. Schließlich wird in einer dritten Teilstudie der Fokus auf die Mikroebene verlagert (FF6, FF7). Hierbei werden Unternehmenskommunikator*innen, welche die Kommunikation ihrer Unternehmen in den sozialen Medien strategisch und operativ verantworten (n = 151), in einer quantitativen Online-Befragung zu ihrer Wahrnehmung der Dialogorientierung und der Qualität der Beziehungen zu den Nutzer*innen befragt. Die Ergebnisse sollen vor allem darüber Auskunft geben, welche Faktoren auf der Mikroebene die Kommunikation auf der Makroebene beeinflussen. Darüber hinaus lassen sich durch die Betrachtung der zentralen Effekte auf die Beziehungsqualität die Befunde der Inhaltsanalyse triangulieren.
1.3 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist in insgesamt zehn Kapitel unterteilt. Nach der Einleitung werden in Kapitel 2 die theoretischen Grundlagen zur Unternehmenskommunikation erarbeitet. Dabei werden zunächst zentrale Begriffe definiert und abgegrenzt. Im Anschluss daran werden die relevanten Teilbereiche der Unternehmenskommunikation vorgestellt, wobei der Fokus auf den Public Relations liegt. Mit den Ansätzen der Symmetrischen Kommunikation und der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit wird das theoretische Fundament der PR weiter ausgebaut. Im weiteren Verlauf stehen organisationale Beziehungen im Fokus, ehe die zentralen Befunde dieses Kapitels zusammengefasst werden. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Online-Kommunikation. Dabei wird zunächst auf den Medienwandel eingegangen, der zu einem Bedeutungszuwachs der sozialen Medien geführt hat. Darauf aufbauend geht es um die Online-PR. An dieser Stelle setzt sich die Arbeit vor allem mit den Konzepten der Interaktivität und der Interaktion auseinander. Auch dieses Kapitel endet mit einer Zusammenschau der zentralen Befunde. Kapitel 4 schließt den theoretischen Rahmen ab. Hier geht es um die Konzepte Dialog und Dialogorientierung. Ausgehend von einem normativ-produktorientierten Begriffsverständnis wird ein deskriptiv-prozessorientierter Zugang entwickelt, mit dem sich die Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien theoretisch und analytisch greifen lässt. Die zentralen Erkenntnisse werden auch hier abschließend zusammengetragen.
1.3 Aufbau der Arbeit
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Kapitel 5 behandelt die systematische Analyse des Forschungsstandes. Dabei wird zunächst das konkrete Erkenntnisinteresse festgelegt, bevor methodische Details und die Ergebnisse der Analyse präsentiert werden. Auf Basis dieser Befunde wird in Kapitel 6 der analytische Bezugsrahmen für die Inhaltsanalyse und die Befragung eingegrenzt. Das Forschungsinteresse wird in Form von übergeordneten Forschungsfragen, Teilforschungsfragen und Hypothesen ausdifferenziert. Kapitel 7 widmet sich dann der Inhaltsanalyse zur dialogorientierten Unternehmenskommunikation auf Facebook, während die Befragung der Unternehmenskommunikator*innen in Kapitel 8 Thema ist. Beide Kapitel sind kongruent aufgebaut: Nach den methodischen Details werden jeweils die Ergebnisse präsentiert und schließlich diskutiert. Eine Zusammenfassung der zentralen empirischen Befunde schließt die beiden Kapitel ab. In der Schlussbetrachtung in Kapitel 9 werden die Befunde der Teilstudien zusammengeführt und die übergeordneten Forschungsfragen beantwortet. Dabei werden auch Implikationen thematisiert sowie Möglichkeiten zur Anschlussforschung und methodische Limitationen aufgezeigt. Kapitel 10 schließt die vorliegende Arbeit mit einem kurzen Fazit ab.
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Unternehmenskommunikation
Kommunikation ist zu einem integralen Teil der Unternehmensführung geworden, da sie maßgeblich zum Erfolg eines Unternehmens beiträgt (Bruhn, 2016, S. 2; Zerfaß & Piwinger, 2014, S. 2; Zerfaß et al., 2018, S. 197). Die Gründe dafür sind insbesondere in der Digitalisierung auszumachen, im Zuge derer durch die Kommunikation über Produkte und Dienstleistungen Wettbewerbsvorteile entstehen (u. a. Diga & Kelleher, 2009, S. 442; Will & Porak, 2000, S. 195). Laut einer Studie unter Kommunikationsverantwortlichen in Deutschland stellen vor allem der Aufbau sowie die Pflege von Vertrauen und eines positiven Images zentrale Herausforderungen für Unternehmen dar (Zerfaß et al., 2018, S. 208). Generell nimmt die Relevanz von solchen immateriellen Vermögenswerten1 zu. Sie werden als wichtiger Bestandteil des Unternehmenswertes betrachtet – die kommunikativen Aktivitäten von Unternehmen fungieren dabei wertschöpfend (Zerfaß & Volk, 2019, S. 225). Zerfaß und Volk (2019, S. 226–232) identifizieren in diesem Zusammenhang insgesamt zwölf Kommunikationsziele für Unternehmen, auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch zurückzukommen ist: Mitarbeiter*innen-Verbundenheit, Kund*innenpräferenzen, Publizität, Reputation, Markenaufbau, Unternehmenskultur, Themenführerschaft, Innovationspotenzial, Krisenresilienz, Legitimität, Vertrauen und Beziehungen. Neben dieser Vielfalt an Kommunikationszielen und den sich daraus ergebenden Aufgaben belegen auch stetig steigende Budgets, immer größer werdende Kommunikationsabteilungen sowie die zunehmende Internationalisierung, dass die
1Ein immaterieller Vermögenswert ist „ein identifizierbarer, nicht monetärer Vermögenswert ohne physische Substanz. […] Davon zu unterscheiden ist der Geschäfts- oder Firmenwert“ (Möller & Piwinger, 2014, S. 956). Immaterielle Vermögenswerte umfassen nicht bilanzierte Werte wie das Wissen der Mitarbeiter*innen, die Beziehungen oder die Reputation einer Organisation (Menninger, 2009, S. 351).
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_2
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2 Unternehmenskommunikation
Kommunikation bereits einen wichtigen Beitrag für den Erfolg einer Organisation leistet (Zerfaß & Volk, 2019, S. 4). Es wird deutlich, dass die Unternehmenskommunikation weitaus mehr ist als das reine Sprachrohr eines Unternehmens. So tangieren die Frage nach den Kommunikationsbudgets oder die Tendenz zur Internationalisierung eigentlich klassische betriebswirtschaftliche Themen (vgl. u. a. Brühl, 2016; Krystek & Zur, 2002). Auch die Marktkommunikation als Überschneidungsbereich von Marketing und Public Relations verdeutlicht bestehende Interdependenzen (vgl. u. a. Seidenglanz & Kindermann, 2018). Gleichzeitig erfordern wachsende Kommunikationsabteilungen eine effektive Kommunikation zwischen den einzelnen Mitarbeiter*innen. Dementsprechend ist die Information und Motivation der Belegschaft eine weitere zentrale Herausforderung für die Unternehmensführung (Zerfaß et al., 2018, S. 208). Ein wichtiges Ziel der Kommunikation ist es folglich, auf Entwicklungen auf der Makroebene zu reagieren, um die Wirtschaftlichkeit und Legitimität des Unternehmens in der Gesellschaft zu gewährleisten. Die Kommunikation wird dabei zu einer „Klammer“ (Szyszka, 2017, S. 28) zwischen dem Unternehmen und seinem gesellschaftspolitischen Umfeld. Zu den Akteur*innen im Unternehmensumfeld, die auch maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen können, gehören zum Beispiel Kund*innen, Aktionär*innen, Mitarbeiter*innen und Lieferant*innen, aber auch die Medien und die Politik. Die Liste relevanter Akteur*innen ließe sich noch weiter ergänzen – die umfangreichen und heterogenen Anspruchsgruppen vereint jedoch die Tatsache, dass Unternehmen auf einer gemeinsamen Vertrauensbasis möglichst langfristige Beziehungen mit diesen führen müssen (Hubig, 2014, S. 354). Mast (2019, S. 5) sieht darin auch den Grund dafür, dass die internen und externen Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens zu einem wichtigen Forschungsgegenstand geworden sind. In diesem Kapitel steht daher die Unternehmenskommunikation als zentraler Analysegegenstand im Fokus. Grundsätzlich soll dieses Kapitel für die unterschiedlichen Analyseebenen (Makro, Meso, Mikro) und ihre Verbindungen sensibilisieren und ein Verständnis der zentralen Begriffe grundlegen. Dazu werden in einem ersten Schritt wichtige Begriffe geklärt, das Verständnis von Unternehmenskommunikation dargelegt sowie die Unternehmenskommunikation als Untersuchungsgegenstand grundlegend theoretisch verortet (Abschnitt 2.1). Darauf aufbauend werden aus einer integrativen Sicht die Teilbereiche der Unternehmenskommunikation vorgestellt (Abschnitt 2.2). So soll sichergestellt werden, dass das kommunikative Handeln von Unternehmen gleichermaßen aus Sicht der Public Relations, des Marketings und der internen Kommunikation reflektiert werden kann. Da es im Verlauf dieser Arbeit vor allem um das Beziehungsmanagement von Unternehmen gehen wird, erfolgt in einem weiteren Schritt eine Zuspitzung auf die Public Relations (Abschnitt 2.3). Hier stehen relevante organisations- und gesellschaftsbezogene Zugänge im Fokus. Auf dieser Grundlage werden die Beziehungen zwischen Unternehmen und ihrem gesellschaftlichen
2.1 Begriffliche Grundlagen und theoretische Verortung
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Umfeld näher beleuchtet (Abschnitt 2.4). Dabei interessieren vor allem die Fragen, inwiefern Beziehungen eine zentrale Bezugsgröße der Public Relations darstellen und wie Beziehungen konzeptualisiert werden können. Die zentralen theoretischen Befunde werden abschließend zusammengefasst (Abschnitt 2.5).
2.1 Begriffliche Grundlagen und theoretische Verortung Im Kontext der Kommunikationsaktivitäten von Unternehmen und Organisationen kursieren zahlreiche Begriffe und Konzepte wie etwa ‚Unternehmenskommunikation‘, ‚Organisationskommunikation‘, ‚strategische Kommunikation‘, ‚Kommunikationsmanagement‘, ‚Public Relations‘ oder ‚Marketingkommunikation‘, die zum Teil synonym verwendet werden und analytische Trennschärfe vermissen lassen (Sandhu, 2012a, S. 30). Wie auch in anderen Teilbereichen der Kommunikationswissenschaft koexistieren in den Public Relations und in der Organisationskommunikation zahlreiche Definitionen, Konzepte und Systematisierungsversuche, die einen breiten Konsens entbehren (Merten, 2007, S. 28; Sandhu, 2012a, S. 30). Exemplarisch sei hier der Begriff ‚Public Relations‘ (PR) herausgegriffen, für den Kunczik (2002, S. 24) über 2.000 verschiedene Definitionsversuche feststellt. Eine Konsolidierung ist dabei nicht in Sicht, vielmehr ist eine zunehmende Ausfaserung zu beobachten (Fröhlich, 2015, S. 103). Einerseits belegt dieser Pluralismus an Definitionen die Uneinigkeit des Forschungsfeldes hinsichtlich der Theoriebildung (Merten, 2007, S. 28; Raupp, 2006, S. 33–34; Röttger, 2009, S. 9). Andererseits ermöglicht diese Vielfalt jedoch eine gewisse Flexibilität beim Zugang zu spezifischen Fragestellungen der Organisationskommunikation (Sandhu, 2012a, S. 36). Folglich ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, einen erschöpfenden Überblick über den Gegenstand der dialogorientierten Unternehmenskommunikation und relevanter Bezugsgrößen zusammenzutragen. Vielmehr ist es das Ziel, einen pragmatischen und operationalisierbaren Zugang zum Konzept einer dialogorientierten Unternehmenskommunikation und ihrer Leistung für das Beziehungsmanagement in den sozialen Netzwerken auf Basis einschlägiger Vorarbeiten im Forschungsfeld zu erarbeiten. Im Folgenden werden daher die für den Kontext dieser Arbeit relevanten Begriffe kurz definiert, abgegrenzt und eingeordnet, um sie für die anschließende empirische Untersuchung handhabbar zu machen.
2.1.1 Unternehmenskommunikation als Kommunikation mit Teilöffentlichkeiten Sichtet man deutsch- oder englischsprachige Literatur zu Unternehmenskommunikation und Public Relations, begegnet den Leser*innen eine Vielfalt an Beschreibungen für die Empfänger*innen von Unternehmensbotschaften. So ist es mutmaßlich dem Begriff
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2 Unternehmenskommunikation
der ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ als deutsche Übersetzung für ‚Public Relations‘ (vgl. Oeckl, 1964, S. 36) geschuldet, dass der Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ der Disziplin seit jeher immanent ist. Darüber hinaus wird Unternehmenskommunikation meist im Sinne der Kommunikation mit relevanten Stakeholdern2 verstanden (vgl. u. a. Karmasin & Weder, 2014). Jedoch sind auch Begriffe wie „Zielpublikum“ (Röttger, 2009, S. 19), „Zielgruppe“ (Merten, 2008, S. 43) oder – synonym zum Stakeholder-Begriff – „Anspruchsgruppen“ (Meckel & Will, 2008, S. 293) zu lesen. Auch wenn all diese Begrifflichkeiten kontextabhängig sicherlich ihre Berechtigung haben, ist in Forschung und Praxis zunehmend eine uneinheitliche und teils synonyme Verwendung der Begriffe zu beobachten (Boltres-Streeck & Femers, 2012, S. 17; Rawlins, 2006, S. 1). Wakefield und Knighton (2019) haben aus diesem Grund eine sinnvolle Differenzierung für die Unternehmenskommunikation und Public Relations erarbeitet, die im Kontext dieser Arbeit als Grundlage dienen soll. Mit Blick auf die Auslöser für das Entstehen und das daraus resultierende Verhalten verschiedener Gruppierungen im Umfeld einer Organisation unterscheiden sie zwischen Publikum (audience), Anspruchsgruppe (stakeholder) und Teilöffentlichkeit (public). Das Publikum ist dabei an eine Nachricht (message) gebunden: „The audience does not gather on its own; it comes together because some institutional source—an organization or individual—has enticed an actual or virtual gathering to convey a message to the audience“ (Wakefield & Knighton, 2019, S. 4). Dagegen werden Stakeholder auf der Ebene der Organisation (organization) angesiedelt. Sie stehen eher in positiver Relation zur Organisation und „help sustain the organization and keep it flourishing. This connection is close and ongoing, regardless of any specific messages or issues surrounding the organization—it is more of an institutional or enabling linkage“ (Wakefield & Knighton, 2019, S. 4). Schließlich entstehen Teilöffentlichkeiten (publics) situativ und sind an einzelne Themen (issues) gekoppelt: „Publics usually are their own catalysts, recognizing a mutual concern, having mutual interest in it, and organizing to do something about it.
2Der
Stakeholder-Begriff ist ursprünglich auf Freeman (1984) zurückzuführen und vor allem in den Public Relations weit verbreitet. Zunächst war der Begriff bereits im Jahr 1963 in einer Schrift des Stanford Research Institute verwendet worden, in der Stakeholder als „those groups without whose support the organization would cease to exist“ (Freeman, 1984, S. 31) bezeichnet wurden und womit vor allem das dort herrschende betriebliche Umfeld beschrieben werden sollte. Freeman (1984) greift diese Idee später wieder auf und definiert Stakeholder als „any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the organization’s objectives“ (Freeman, 1984, S. 46). Aufgrund seiner umfassenden begrifflichen und konzeptuellen Auseinandersetzung sowie der Entwicklung eines Stakeholder-Modells gilt Freeman gemeinhin als Begründer der Stakeholder-Theorie (Garvare & Johansson, 2010, S. 738).
2.1 Begriffliche Grundlagen und theoretische Verortung
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They can support a cause […], but generally an entity has angered them enough that they want to coalesce to force some corrective behavior“ (Wakefield & Knighton, 2019, S. 4). In dieser Arbeit wird dabei in Anlehnung an Signitzer (2013, S. 31–32) die Bezeichnung ‚Teilöffentlichkeit‘ als Übersetzung des englischen Begriffes ‚public‘ gewählt. In ihr drückt sich aus, dass sich der Begriff in der PR-Theorie auf eine Gruppe von Menschen bezieht, die über gemeinsame Interessen definiert werden. Eine allgemeine ‚Öffentlichkeit‘, wie sie etwa im Begriff der ‚öffentlichen Meinung‘ häufig Verwendung findet, gibt es in diesem Kontext nicht: „A ‚general public‘ is a logical impossibility. Publics are always specific; they always have some common problem. Thus they cannot be general“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 145; vgl. auch Signitzer, 2013, S. 32). Da sich die vorliegende Arbeit im weiteren Verlauf auf die dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Netzwerken fokussiert, wird nachfolgend der Begriff ‚Teilöffentlichkeiten‘ verwendet. Damit können die meist themen- und anlassbezogenen Kommunikationsprozesse zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen sozialer Netzwerke in Form von Kommentaren zielführend berücksichtigt werden. Dieses Verständnis ermöglicht es zudem, Phänomene der Anschlusskommunikation wie Shitstorms3 (vgl. Himmelreich & Einwiller, 2015; Johnen et al., 2018; Pfeffer et al., 2014) oder Viralität4 (vgl. Kim, 2018; Susarla et al., 2016) zu erfassen, da in diesen auch aus Unternehmenssicht nicht antizipierte Teilöffentlichkeiten involviert sind (Wakefield & Knighton, 2019, S. 5–6).
2.1.2 Unternehmenskommunikation als Organisationskommunikation Als Teil der Kommunikationswissenschaft und damit der empirischen Sozialwissenschaften (Botan & Taylor, 2004, S. 645) kann Unternehmenskommunikation allgemein verstanden werden als „die Aufgabe von Organisationen, mit Stakeholdern leistungsfähige Kommunikationsbeziehungen zu unterhalten und zu pflegen“ (Mast, 2019, S. 8). Damit stehen die Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten, zu
3Shitstorms
beschreiben eine Kommunikationssituation, „in der sich innerhalb kurzer Zeit in den unterschiedlichsten Anwendungen des Social Webs eine große Menge an kritischen Kommentaren über eine Organisation oder Person verbreitet, wodurch die Reputation des angegriffenen Objekts gefährdet wird“ (Himmelreich & Einwiller, 2015, S. 189). 4Viralität beziehungsweise virale Kommunikation bezieht sich auf „strategies that allow an easier, accelerated, and cost reduced transmission of messages by creating environments for an self-replicating, exponentially increasing diffusion, spiritualisation, and impact of the message“ (Welker, 2002, S. 4).
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2 Unternehmenskommunikation
denen auch die relevanten Stakeholder gehören, im Vordergrund. Die Kommunikationsaktivitäten von Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten fallen demnach in den Bereich der Organisationskommunikation (Theis-Berglmair, 2003, S. 18; Weder, 2010, S. 11). Diese umfasst „alle Organisationsformen und -typen sowie deren Kommunikationsaktivitäten“ (Mast, 2019, S. 8) und beschreibt die Kommunikation in und von Organisationen (u. a. Herger, 2004, S. 2; Rademacher, 2009, S. 99; Szyszka, 2006a, S. 210; Theis-Berglmair, 2003, S. 18; Wehmeier, 2008, S. 227). Dabei stehen vor allem die Beziehungen zwischen Organisationen und externen Teilöffentlichkeiten im Fokus (Sandhu, 2012a, S. 31; Theis-Berglmair, 2008, S. 111). Die moderne Gesellschaft (vgl. Baecker, 2007a) gilt gemeinhin als eine Organisationsgesellschaft (vgl. u. a. Gabriel, 1979; Hasse, 2003; Perrow, 1988; Presthus, 1962; Schimank, 2001). Als mesoanalytischer Untersuchungsgegenstand werden Organisationen dabei vor allem in ihrer Rolle als soziale Systeme erfasst. In Anlehnung an die Organisationsforschung (vgl. u. a. Hill et al., 1981; Kieser & Kubicek, 1992; Schreyögg, 1996) lassen sich nach Röttger (2010, S. 121–122) und Röttger et al. (2018, S. 84) wesentliche Merkmale von Organisationen festmachen: • Organisationen verfolgen spezifische Interessen, Zwecke, Ziele und agieren planvoll, • Organisationen werden für eine (begrenzte) Dauer gebildet, • Organisationen sind von ihrer Umwelt abzugrenzen und haben eine Eigenkomplexität, • Organisationen schaffen für ihre Mitglieder eine mehr oder weniger verbindliche Ordnung und Struktur, um die interne Interaktion zu koordinieren und zu steuern, • Organisationen regeln die Zugehörigkeit ihrer Akteur*innen über Mitgliedsrollen, • Organisationen bestehen aus heterogenen Akteurskonstellationen, die zwar übergeordnete Interessen verfolgen, aber auch individuelle Interessen integrieren müssen. Organisationen wirken demnach nach innen und außen, was eine dreifach integrative Perspektive erforderlich macht und den theoretischen sowie empirischen Horizont der vorliegenden Studie aufspannt (vgl. Kapitel 6): Aus der Meso-Makro-Perspektive, die allgemein das Verhältnis zwischen einer Organisation und ihrer gesellschaftlichen Umwelt betrachtet (Röttger et al., 2018, S. 85–86), soll zunächst ergründet werden, wie gewinnorientierte Unternehmen über dialogorientierte Kommunikationsangebote in den sozialen Medien Beziehungen zu (externen) Teilöffentlichkeiten pflegen. Aus der Meso-Meso-Perspektive, die sich dem Verhältnis von Organisationen untereinander widmet (Röttger et al., 2018, S. 86), soll zudem erforscht werden, wie sich einerseits die dialogorientierte Kommunikation der untersuchten Unternehmen untereinander unterscheidet und wie sie sich andererseits im zeitlichen Verlauf verändert hat. Aus der MesoMikro-Perspektive, die das Verhältnis zwischen einer Organisation und ihren zugehörigen
2.1 Begriffliche Grundlagen und theoretische Verortung
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Individuen beleuchtet (Röttger et al., 2018, S. 86), interessiert schließlich, welche Rolle dabei die jeweils agierenden Unternehmenskommunikator*innen vor dem Hintergrund übergeordneter Unternehmensziele spielen.
2.1.3 Unternehmenskommunikation als strategische Kommunikation Unternehmenskommunikation soll aufgrund ihrer Organisationsgebundenheit (vgl. Abschnitt 2.1.2) und ihrer Ausrichtung auf die verschiedenen Teilöffentlichkeiten (vgl. Abschnitt 2.1.1) vor allem auch als strategische Unternehmenskommunikation verstanden werden. Diese Auffassung liegt in der betriebswirtschaftlichen Perspektive auf die Unternehmenskommunikation begründet (Zerfaß, 2010, S. 235–286). Generell wird strategische Kommunikation mit Blick auf ihre Zweckgebundenheit als „purposeful use of communication by an organization to fulfill its mission“ (Hallahan et al., 2007, S. 3) definiert. Dementsprechend bezieht sich strategische Kommunikation auf „all communication that is substantial for the survival and sustained success of an entity. Specifically, strategic communication is the purposeful use of communication by an organization or other entity to engage in conversations of strategic significance to its goals“ (Zerfass et al., 2018, S. 493). Als Varianten strategischer Kommunikation gelten insbesondere Werbung, Public Relations, interne Kommunikation, Kampagnenkommunikation und Marketingkommunikation (Röttger et al., 2013, S. 11). Unternehmenskommunikation ist also dann strategisch, wenn sie übergeordnete Unternehmensziele unterstützt und zum Leistungserfolg oder zum Aufbau und zur Erhaltung immaterieller Werte, wie beispielsweise dem Image eines Unternehmens, beiträgt (Zerfaß, 2014, S. 23). Sie fungiert als „Stabilisator und Sinnstifter“ (Karmasin & Weder, 2014, S. 99) zwischen einem Unternehmen und seinen Teilöffentlichkeiten und dient dem „Management von Kommunikationsbeziehungen“ (Röttger, 2010, S. 121; Zerfaß, 2010, S. 141). Aufgabe des Kommunikationsmanagements ist es folglich, die Unternehmenskommunikation zu planen, zu organisieren und zu kontrollieren (Zerfaß, 2014, S. 59). Der Aufbau und die Pflege langfristiger Beziehungen zu relevanten Teilöffentlichkeiten ist dabei ein zentraler Beitrag der strategischen Unternehmenskommunikation (Zerfaß, 2014, S. 31). Beziehungsmanagement wird daher im weiteren Verlauf dieser Arbeit als eine wichtige Aufgabe für die strategische Unternehmenskommunikation verstanden – speziell für die Public Relations (u. a. Bruhn, 2006, S. 107; Coombs & Holladay, 2015, S. 691; Grunig, 2006, S. 158–159; Grunig & Grunig, 2008, S. 399; Ledingham & Bruning, 1998, S. 56; Smith, 2012, S. 843; Tonndorf & Wolf, 2015, S. 236; vgl. auch Abschnitt 2.4).
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2 Unternehmenskommunikation
2.1.4 Integrierte Theorie der Unternehmenskommunikation Vor dem Hintergrund der allgemeinen Verortung der Unternehmenskommunikation in Abschnitt 2.1.3 folgt diese Arbeit im Speziellen dem Verständnis von Unternehmenskommunikation nach Zerfaß (1996a, 2010). Seine erstmals im Jahr 1996 veröffentlichte integrierte Theorie der Unternehmenskommunikation überwindet disziplinäre Grenzen und vereint kommunikationstheoretische, sozialtheoretische und betriebswirtschaftliche Perspektiven auf die Unternehmenskommunikation (vgl. Zerfaß, 1996a; im Folgenden Zerfaß, 2010). Ausgangspunkt der sozialtheoretischen Verortung ist das menschliche Handeln im individuellen oder unternehmerischen Kontext, das durch bestimmte Zwecke und eine grundsätzliche Selbstbezüglichkeit gekennzeichnet ist (Zerfaß, 2010, S. 86–94). Die strukturellen Bedingungen für diese Art des sozialen Handelns stellen sogenannte Schemata dar. Sie sind reproduzierbare und modifizierbare Wissens- und Handlungsmuster, die auf praktisches und intentionales Handeln abzielen (Zerfaß, 2010, S. 95–103). Zudem werden innerhalb moderner Gesellschaften Systeme als Organisationsformen sozialer Interaktionen unterschieden, die in Form von unterschiedlichen Sphären im Sinne von Handlungsfeldern miteinander verknüpft sind (Zerfaß, 2010, S. 104–113). Schließlich geht es für die Organisationsmitglieder um die soziale Integration bestimmter Handlungsweisen, die auf verschiedenen Integrationsmechanismen beruht und die die Berücksichtigung der verschiedenen Interaktionspartner*innen erfordert (Zerfaß, 2010, S. 114–137). Im Hinblick auf die kommunikationstheoretische Verortung postuliert Zerfaß (2010, S. 144–192), dass kommunikative Handlungen von Unternehmen eine individuelle Form des sozialen Handelns und darauf basierende Kommunikationsprozesse Formen symbolischer Interaktionen sind. In einer auf Wechselseitigkeit beruhenden Interaktion dieser kommunikativen Handlungen werden über kommunikative Schemata konkrete Handlungen sowie persuasive, argumentative und informative Einflüsse erzielt, die er in den Mittelpunkt seiner PR-Theorie rückt. Die Unternehmenskommunikation ist dabei stets gesellschaftlich eingebettet. Es lassen sich sogenannte ‚Sphären‘ und ‚Foren‘ als wesentliche Strukturkomplexe in der Gesellschaft unterscheiden (Zerfaß, 2010, S. 192– 208). Die Kommunikationsprozesse, die dort stattfinden, tragen letztlich sowohl im Nahbereich als auch im Fernbereich eines Unternehmens zur sozialen Integration bei (Zerfaß, 2010, S. 208–231). Die betriebswirtschaftliche Verortung basiert vor allem auf Ansätzen der Managementforschung. Im Zentrum des betriebswirtschaftlichen Handelns steht die Unternehmensstrategie, die als Managementaufgabe betrachtet wird und strukturellen Rahmenbedingungen folgt (Zerfaß, 2010, S. 236–272). Unternehmen sind dabei mit einer „duale[n] Rolle“ (Zerfaß, 2010, S. 284) konfrontiert, denn sie nutzen sich ihnen bietende Freiräume zur Durchsetzung ihrer Strategien, sind jedoch gleichzeitig von der Legitimität ihres Handelns im Sinne der gesellschaftlichen Akzeptanz abhängig.
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nternehmen weisen nach Zerfaß (2010, S. 272–283) zudem eine spezifische innere U Struktur auf, in der ihre Mitglieder tätig sind. Nach außen sind Unternehmen stets in das Marktumfeld und das gesellschaftspolitische Umfeld eingebettet. Der hier umrissene interdisziplinäre Zugang zur Unternehmenskommunikation bietet sich an, um das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen in einer modernen Mediengesellschaft zu erfassen (vgl. auch Zerfaß, 2014, S. 23). Zudem erweist sich eine derartige integrative Sichtweise mit Blick auf „die Rollenvielfalt potenzieller Kommunikationspartner, die Interdependenz verschiedener Kommunikationsarenen und den sphärenübergreifenden Charakter systemischer Teilöffentlichkeiten“ (Zerfaß, 2010, S. 309) im operativen Kommunikationsalltag von Unternehmen als schlüssig. Forschungsleitend soll in dieser Arbeit folglich eine integrierte Sicht auf die Unternehmenskommunikation gelten (vgl. auch Zerfaß, 2010, S. 289): Unternehmenskommunikation
„Als Unternehmenskommunikation bezeichnet man alle gesteuerten Kommunikationsprozesse, mit denen ein Beitrag zur Aufgabendefinition und -erfüllung in gewinnorientierten Wirtschaftseinheiten geleistet wird und die insbesondere zur internen und externen Handlungskoordination sowie Interessenklärung zwischen Unternehmen und ihren Bezugsgruppen (Stakeholdern) beitragen. […] Die zugrunde liegenden Kommunikationsaktivitäten sind symbolische Handlungen, die von Organisationsmitgliedern (Führungskräften, Kommunikationsverantwortlichen) oder ihren Beauftragten (Agenturen) initiiert werden und eine Verständigung sowie darauf aufbauend eine Beeinflussung bestimmter Rezipienten oder eine Veränderung des eigenen Wissens zum Ziel haben.“ (Zerfaß, 2014, S. 23)
Unternehmenskommunikation setzt sich dabei aus den Teilbereichen Public Relations, Markt- beziehungsweise Marketingkommunikation und interne Kommunikation zusammen, die idealerweise einer integrierten Kommunikationsstrategie folgen (vgl. Abbildung 2.1). Das Leitbild der integrierten Kommunikation „verweist darauf, dass diese Teilbereiche der Unternehmenskommunikation ebenso wie konkrete Vorgehensweisen stets gesamthaft betrachtet sowie inhaltlich, formal, zeitlich und dramaturgisch abgestimmt werden müssen“ (Zerfaß, 2014, S. 24). Die Aufgaben der Unternehmenskommunikation konzentrieren sich dabei vor allem nach innen auf die soziale Integration innerhalb des Unternehmens (Meso-Mikro-Perspektive) sowie nach außen auf die Integration des Unternehmens in den Markt und in die Gesellschaft (Meso-Makro-Perspektive) (Zerfaß, 2014, S. 24). Dieses Leitbild erscheint für den Kontext der Online-Kommunikation von Unternehmen besonders interessant, denn eine integrierte Kommunikation, die das Potenzial der Online-Kommunikation auszuschöpfen weiß, verspricht Potenzial für „Interaktion und Dialog“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 736) mit relevanten Teilöffentlichkeiten.
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Abbildung 2.1 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation. (Quelle: eigene Darstellung nach Zerfaß (2014, S. 44))
Im folgenden Kapitel werden die in Abbildung 2.1 aufgeführten Teilbereiche der Unternehmenskommunikation (Interne Kommunikation, Public Relations, Marktkommunikation) vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel beschriebenen integrierten Sichtweise näher betrachtet. Darauf aufbauend erfolgt im weiteren Verlauf eine Vertiefung PR-relevanter Ansätze, ehe das Beziehungsmanagement als kommunikatives Ziel der Public Relations im Fokus steht.
2.2 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation Im Kontext der verschiedenen Aufgaben, Formen und Instrumente, die aus der strategischen Ausrichtung der Unternehmenskommunikation hervorgehen, liegt es nahe, die Unternehmenskommunikation weiter auszudifferenzieren (vgl. Zerfaß, 2010, 2014). Generell existieren zur Systematisierung der Unternehmenskommunikation zahlreiche Ansätze, die sich vor allem an verschiedenen Problemen, Bezugsgruppen und Zielen orientieren, wobei meist eine grundlegende Unterscheidung zwischen Public Relations und Marketing erfolgt (Hoffjann, 2018, S. 6–7). Im Folgenden werden die verschiedenen Teilbereiche der integrierten Unternehmenskommunikation nach Zerfaß (2010) im Hinblick auf ihre Relevanz für den theoretischen und empirischen Kontext dieser Arbeit betrachtet. Durch einen eher breiten Zugang zu diesen Teilbereichen sollen eine belastbare theoretische Verortbarkeit und ein operationalisierbares Fundament für die empirische Bearbeitung im weiteren Verlauf dieser Arbeit grundgelegt werden.
2.2 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation
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2.2.1 Public Relations Grundsätzlich stehen die „Sicherung prinzipieller Handlungsspielräume und die Legitimation konkreter Strategien“ (Zerfaß, 2010, S. 302) im Zentrum der Public Relations. Der Begriff ‚Public Relations‘ soll hier aus wissenschaftlicher Perspektive (vgl. McQuail, 1994) konkret als das „Management von Informations- und Kommunikationsprozessen zwischen Organisationen einerseits und ihren internen oder externen Umwelten […] andererseits“ (Bentele, 1997a, S. 22–23) beziehungsweise als das „management of communication between an organization and its publics“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 6) verstanden werden.5 Dieser Zugang verdeutlicht, dass es sich bei den Public Relations um ein multidisziplinäres Forschungsfeld handelt, das sich mit Blick auf die Aspekte Management, Kommunikation, Organisation und Öffentlichkeit(en) bearbeiten lässt und neben der Kommunikationswissenschaft beispielsweise auch von der Betriebswirtschaft oder der Soziologie erschlossen werden kann (vgl. Abbildung 2.2). Daher verfolgt die vorliegende Studie eine möglichst integrative und interdisziplinäre Sichtweise auf die PR als Teil der strategischen Unternehmenskommunikation (vgl. Zerfaß, 2010) – mit dem Ziel, relevante Ansätze für die nachfolgende empirische Untersuchung fruchtbar zu machen.
Abbildung 2.2 Forschungsfelder, Disziplinen und Grundfragen der Public Relations. (Quelle: eigene Darstellung nach Grunig & Hunt (1984, S. 8) und Röttger et al. (2018, S. 15))
5Vgl.
ausführlich zur Entwicklung und zu den verschiedenen Definitionen des Begriffes ‚Public Relations‘ u. a. Fröhlich, 2015; Harlow, 1976, 1977; Hutton, 1999; Kunczik, 2002; Merten, 2008; Verčič et al., 2001.
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Gesellschaftsbezogene Zugänge zu den Public Relations Da diese Arbeit in der Kommunikationswissenschaft beheimatet ist, bietet sich ein breiter Zugang zu den Public Relations an. In gesellschaftsbezogenen Zugängen werden den Public Relations ein zentraler Stellenwert in der Gesellschaft und relevante gesellschaftliche Funktionen zugeschrieben. Aus diesem Grund basieren entsprechende PR-Theorien häufig auf sozialtheoretischen6 Entwürfen, wie beispielsweise der Systemtheorie (Luhmann, 1984) oder der Strukturationstheorie (Giddens, 1986, 1988) (Röttger et al., 2018, S. 111). Eine systemtheoretische Modellierung eignet sich nach Merten (2009, S. 68) bestens für Untersuchungen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene. Systemtheoretische Entwürfe, wie sie beispielsweise bei Ronneberger und Rühl (1992) zu finden sind, werden jedoch auch immer wieder dafür kritisiert, den „Systemcharakter der PR nicht hinreichend plausibel herausarbeiten“ (Röttger et al., 2018, S. 114) zu können. Außerdem wird beanstandet, dass sie zumeist subjektlos sind, also das handelnde Individuum ausklammern. Löffelholz (1997, S. 188) schlägt daher beispielsweise vor, PR wie auch Politik oder Wirtschaft als eine operative Form von Systemen zu betrachten. Görke (2008, S. 181–185) wiederum sieht PR vielmehr als Leistungssystem vor dem Hintergrund der Öffentlichkeit als übergeordnetes Funktionssystem. Auch strukturationstheoretische Entwürfe werden häufig kritisch beurteilt. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, Struktur und Handlung und deren Verschränkung nicht ausreichend miteinander in Beziehung zu setzen, was oftmals zu einer unnötigen Überkomplexität der Beschreibung führt (Falkheimer, 2007, S. 290; Osterloh & Grand, 2000, S. 357–358; Röttger, 2015, S. 239). Auch wenn die angeführte Kritik durchaus berechtigt ist, bieten beide Arten des Zugangs gerade in ihrer Bezugsetzung zueinander das Potenzial, Prozesse der Public Relations und der Unternehmenskommunikation vor dem Hintergrund der Interaktion von Organisationen mit relevanten Teilöffentlichkeiten holistisch zu erfassen (Röttger, 2015, S. 239; Szyszka, 2013, S. 265–269; vgl. auch Abschnitt 3.2.4). So lässt die Systemtheorie grundsätzlich eine nachvollziehbare Modellierung von Public Relations im Sinne eines gesellschaftlichen Funktionssystems zu (Bentele & Wehmeier, 2009, S. 358; Röttger et al., 2018, S. 114). Der Strukturationstheorie wird nachgesagt, dass sie die Limitationen der Systemtheorie überwinden kann, indem sie sich weniger auf abstrakte Systeme als vielmehr auf konkrete Akteur*innen bezieht (Szyszka, 2013, S. 265; Witmer, 2006, S. 362). Sie fungiert dementsprechend „between managerial, functionalistic and prescriptive traditions and critical and interpretative approaches“ (Falkheimer, 2007, S. 292) beziehungsweise als „Scharnier zwischen systemtheoretischen und handlungstheoretischen Ansätzen“ (Szyszka, 2013, S. 265). Indem systemtheoretische und strukturationstheoretische Annahmen miteinander in Bezug gesetzt werden, lassen sich Unternehmen als Ganzes, die wechselseitige
6Vgl.
zur Anschlussfähigkeit von sozialtheoretischen Entwürfen an die PR Ihlen et al., 2009.
2.2 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation
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Interaktion mit ihrer Umwelt sowie unternehmensinterne, akteursbezogene Prozesse für die Forschung fruchtbar machen (Dernbach, 1998, S. 65; Röttger, 2015, S. 240; Witmer, 2006, S. 362; vgl. auch Kapitel 6). Im systemtheoretisch fundierten Verständnis von Ronneberger und Rühl (1992) ist PR schließlich ein sich selbsterzeugendes, selbstorganisierendes, selbsterhaltendes und selbstreferenzielles System, das auf Makroebene (Beziehung der PR zur Gesamtgesellschaft, sogenannte PR-Funktionen), Mesoebene (Beziehung der PR zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen, sogenannte PR-Leistungen) und Mikroebene (Beziehung der PR zu Organisationen und psychischen Systemen, sogenannte PR-Aufgaben) beobachtet werden kann (Röttger et al., 2018, S. 112–113). Public Relations fungieren dabei als Teil des publizistischen Systems und als ein spezifischer Typ der öffentlichen Kommunikation. Sie stehen stets in einem gesellschaftlichen Funktionszusammenhang, sind in Bezug auf die Unternehmenskommunikation vor allem aber wirtschaftlich ausgerichtet (Ronneberger & Rühl, 1992, S. 253). Gerade aus diesem Grund scheint die empirische Beschäftigung mit dem Beziehungsmanagement von Unternehmen vor dem Hintergrund eines gesellschaftsbezogenen Zugangs vielversprechend, denn Unternehmen sind auf monetären Gewinn und die Gunst der Öffentlichkeit angewiesen (Becker, 1998, S. 187; Eberl & Schwaiger, 2005, S. 851; Hasse, 2003, S. 21). Organisationsbezogene Zugänge zu den Public Relations Der wirtschaftliche Funktionszusammenhang von Public Relations lässt sich auch bei solchen kommunikationswissenschaftlichen Zugängen integrieren, in denen vor allem die Organisationen selbst im Fokus stehen. Diese organisationsbezogenen Ansätze rücken die Mesoebene in das Zentrum der PR-Forschung und grenzen sich bewusst von akteursbezogenen Ansätzen auf der Mikroebene ab. Auf ihr spielt sich der Großteil der PR-Forschung ab (Röttger et al., 2018, S. 83), wobei häufig die Vernachlässigung der Meso-Makro-Perspektive kritisiert wird (Holtzhausen, 2000, S. 95). Konkret ist Forschung gefordert, die theoretisch wie empirisch in der Lage ist, „verstärkt von wissenschaftlichen Problemstellungen auf der analytischen Makroebene auszugehen und diese im Hinblick auf ihre Beeinflussung durch spezifische PR-Aktivitäten auf der Mesoebene zu untersuchen“ (Röttger et al., 2018, S. 87). Die zentrale Funktion organisationsbezogener Ansätze besteht in der Legitimation der Interessen und des Handelns der Organisationen gegenüber ihren Teilöffentlichkeiten (Röttger et al., 2018, S. 8, 100). Legitimation ist dabei „kein Selbstzweck“ (Hoffjann, 2009, S. 304), sondern erhöht die gesellschaftliche Akzeptanz von Organisationen und schafft – gerade im Fall von gewinnorientierten Unternehmen – den notwendigen Handlungsspielraum für wirtschaftliches Handeln auf Basis langfristiger Stakeholder-Beziehungen (Jarren & Röttger, 2009, S. 33–34; Hoffjann, 2007, S. 128; 2009, S. 304). Aufgabe der Public Relations ist es daher, verschiedene gesellschaftliche Umweltsysteme im Interesse der eigenen Organisation zu beobachten, die wiederum als Teilbereiche verschiedener gesellschaftlicher Funktionssysteme betrachtet werden können (Röttger, 2010, S. 210; Szyszka, 2009a, S. 146). Somit sind Public Relations
22
2 Unternehmenskommunikation
als beobachtender und auf Basis dieser Beobachtungen reflektierender und handelnder Teilbereich des öffentlichen Gesamtsystems einzuordnen. Als zentrale Bezugsgrößen der Public Relations gelten in diesem Zusammenhang Vertrauen und Glaubwürdigkeit, Image und Reputation sowie Dialog und Verständigung (Fröhlich et al., 2015, S. 381– 479; Röttger et al., 2018, S. 123–148). Zu den organisationsbezogenen Ansätzen gehören bereits angesprochene Theorien und Ansätze wie beispielsweise der Stakeholder-Ansatz (Freeman, 1984; vgl. auch Abschnitt 2.1.1) oder die integrierte Theorie der Unternehmenskommunikation (Zerfaß, 2010, 2014; vgl. auch Abschnitt 2.1.4). Vor allem letztere ist forschungsleitend für diese Arbeit. Darüber hinaus hat die Forschung auch in Bezug auf organisationsbezogene Ansätze systemtheoretisch fundierte Zugänge erarbeitet, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit zurückgegriffen wird (vgl. u. a. Faulstich, 2000; Grunig & Hunt, 1984; Knorr, 1984; Szyszka, 2004, 2009a).7
2.2.2 Marketing Neben der PR ist die Markt- beziehungsweise Marketingkommunikation ein konstituierendes Element der Unternehmenskommunikation (Zerfaß, 2010, 2014). Marketingkommunikation ist weniger konsensual, dafür eher persuasiv orientiert und auf konkrete Anschlusshandlungen hin ausgerichtet (Zerfaß, 2010, S. 299). Während in den Public Relations, wie es der Begriff an sich andeutet, Beziehungen mit Teilöffentlichkeiten im Fokus stehen (vgl. u. a. Coombs & Holladay, 2015; Grunig et al., 1996; Smith, 2012; Toth, 2010; vgl. auch Abschnitt 2.4), existieren im Marketing ganz unterschiedlich ausgerichtete Definitionen. Aktivitätsorientierte Ansätze, die insbesondere marktgerichtete Maßnahmen beleuchten, wie auch führungsorientierte Ansätze, bei denen auf die Märkte ausgerichtete unternehmerische Entscheidungen im Fokus stehen, spielen im Kontext dieser Arbeit eine eher untergeordnete Rolle (Homburg, 2017, S. 8–9). Dagegen bieten beziehungsorientierte Ansätze einen guten Zugang zur dialogorientierten Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien. Sie sind auf den Aufbau und Erhalt langfristiger Beziehungen mit relevanten Teilöffentlichkeiten ausgerichtet. Der reine Absatz tritt im sogenannten Relationship Marketing, das seit den 1990er Jahren zunehmend an Relevanz gewinnt8, hinter das Ziel einer hohen Kund*innenbindung
7Daneben
wird in der PR-Forschung auch auf kybernetische Modelle (vgl. u. a. Cutlip et al., 2006; Long & Hazleton, 1987; Nothhaft & Wehmeier, 2009) und neo-institutionalistische Ansätze (vgl. u. a. Fredriksson et al., 2013; Sandhu, 2009, 2012b; Scott, 2008) zurückgegriffen, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht zur Anwendung kommen, aber Potenzial für künftige Studien bieten. 8Vgl. ausführlich zur Entwicklung des Relationship Marketings u. a. Backhaus, 1997; Berry, 1983; Diller & Kusterer, 1988a, 1988b; Grönroos, 1990, 1995.
2.2 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation
23
beziehungsweise Kund*innenloyalität zurück: „Die wesentliche Auswirkung dieser Perspektive […] liegt darin, dass die häufig vorzufindende Fokussierung auf einzelne Transaktionen mit Kunden durch eine Fokussierung auf Geschäftsbeziehungen ersetzt wird“ (Homburg, 2017, S. 8). Folglich soll der Begriff ‚Marketing‘ in dieser Arbeit vor allem bezogen werden auf die „Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die aktuellen und potentiellen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten. Durch eine dauerhafte Befriedigung der Kundenbedürfnisse sollen die Unternehmensziele im gesamtwirtschaftlichen Güterversorgungsprozess verwirklicht werden“ (Meffert, 1974, S. 8). Die Bedürfnis orientierung stellt auch für Kotler (1967) den Grundgedanken des Marketings dar. Demnach meint Marketing: „The analyzing, organizing, planning and control of the firm’s customer-impinging resources, policies, and activities with a view to satisfying the needs and wants of chosen customer groups at a profit“ (Kotler, 1967, S. 12).9 Es sei an dieser Stelle nochmals auf die Vielfalt und Heterogenität der existierenden Definitionen hingewiesen. Die beiden genannten Begriffsbestimmungen eignen sich als definitorische Grundlage für den weiteren Verlauf dieser Arbeit, da sie den Management- und Beziehungsaspekt des Marketings betonen. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich in der Unternehmenskommunikation und in den Public Relations die Beziehungen zwischen Organisationen und dem externen Umfeld zu einem Schwerpunkt der Forschung und der Praxis entwickelt haben (Sandhu, 2012a, S. 31; Theis-Berglmair, 2008, S. 111). Sowohl Public Relations als auch Marketing gelten als die zwei Schlüsselkomponenten externer Funktionen von Unternehmen, die fünf idealtypische Beziehungszustände annehmen können: (1) getrennte, aber identische Funktionen, (2) überlappende, aber unabhängige Funktionen, (3) Marketing als eine Teilfunktion von Public Relations, (4) Public Relations als eine Teilfunktion des Marketings oder (5) Public Relations und Marketing als die gleiche Funktion (Kotler & Mindak, 1978). Hutton (1996, S. 156–157) zufolge existieren beide Bereiche nicht nebeneinander her, sondern stehen in enger Beziehung zueinander. Durch die verschiedenen Überschneidungsbereiche ergeben sich meso- und mikroanalytisch betrachtet verschiedene Aufgaben- und Aktivitätsfelder (z. B. Produktkommunikation, Corporate Advertising), die sich teils überschneidend, teils ergänzend rund um die Bereiche Marketing, Werbung, Marketing-Kommunikation und Public Relations integrieren lassen (vgl. Abbildung 2.3).
9Vgl.
ausführlich zur Entwicklung und den verschiedenen Definitionen des Begriffes ‚Marketing‘ u. a. Grönroos 1989, 2006; Liu, 2017; Meffert et al., 2012.
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2 Unternehmenskommunikation
Abbildung 2.3 Überschneidungsbereiche von Public Relations und Marketing. (Quelle: eigene Darstellung nach Hutton (1996, S. 157))
2.2.3 Interne Kommunikation Public Relations und Markt- beziehungsweise Marketingkommunikation beschreiben zusammen die externe Kommunikation eines Unternehmens (Meso-Makro-Perspektive). Dieser steht als dritter Teilbereich der Unternehmenskommunikation die interne Kommuni kation10 gegenüber (Meso-Mikro-Perspektive) (Zerfaß, 2010, 2014). Sie hat besonders für große und mittlere Unternehmen in den vergangenen Jahren an Relevanz gewonnen (Huck-Sandhu, 2016, S. 1; vgl. auch Spachmann & Huck-Sandhu, 2013). Die interne Kommunikation beschäftigt sich vor allem mit den Kommunikationsprozessen zwischen den Organisationsmitgliedern sowie mit der Strukturierung und Steuerung der Leistungserbringung (Zerfaß, 2010, S. 290). Allgemein umfasst sie „alle formalen und informellen Kommunikationsprozesse zwischen Organisationsmitgliedern […], die wesentlich durch die Organisation als Einflussgröße geprägt sind“ (Huck-Sandhu, 2016, S. 2). Aus strategischer Perspektive geht es bei der internen Kommunikation insbesondere um die Optimierung der kommunikativen Aktivitäten der Mitglieder einer Organisation (Szyszka & Malczok, 2016, S. 33). Mit der internen Kommunikation steht und fällt auch die externe Kommunikation, denn interne Prozesse wirken sich auch auf die Beziehungen zu externen Teilöffentlichkeiten aus (Huck-Sandhu, 2016, S. 3; Kent & Taylor, 2002, S. 31).
10Zerfaß
(2010, S. 290) verwendet hier irritierenderweise auch den Begriff der ‚Organisationskommunikation‘, um Kommunikationsprozesse innerhalb von Unternehmen zu beschreiben. Röttger et al. (2018, S. 95) weisen darauf hin, dass eine derartige synonyme Verwendung im Widerspruch zur gängigen Begriffsverwendung von ‚Organisationskommunikation‘ (im Sinne von Abschnitt 2.1.2) steht.
2.2 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation
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Da sie auf diese Weise einen wesentlichen handlungsleitenden Beitrag für die Organisationsmitglieder leistet und dem organisationalen System Struktur verleiht, soll für den Kontext dieser Arbeit folgende Definition herangezogen werden: „Unter interner Kommunikation werden alle Prozesse formeller, informeller und darauf bezogener instrumenteller Kommunikation verstanden, die sich innerhalb der Strukturen eines Organisationssystems vollziehen und die Kopplung von Struktur und Mitgliedern als Kommunikation und Beziehung beeinflussen“ (Szyszka & Malczok, 2016, S. 37). Die interne Kommunikation setzt dieser Definition folgend auf drei Ebenen an: formell, informell und instrumentell (Szyszka, 2006b, S. 55–62; Szyszka & Malczok, 2016, S. 34–37). Die formelle interne Kommunikation beschäftigt sich mit den Prozessen, welche Struktur und Handlung einer Organisation gewährleisten (Szyszka & Malczok, 2016, S. 34; Zerfaß, 2010, S. 293–297). Als „Abbild der entschiedenen Entscheidungsprämissen“ (Luhmann, 2000, S. 222–223) legt die formelle interne Kommunikation systemtheoretisch begriffen einen sinnstiftenden und strukturierenden Rahmen für alle Organisationsmitglieder fest. Dem gegenüber steht die informelle interne Kommunikation, die nicht unmittelbar an die strategischen Ziele der Organisation angeschlossen sein muss und entlang spezifischer Netzwerkmuster zwischen den Mitgliedern einer Organisation erfolgt (Szyszka & Malczok, 2016, S. 34–35). Sie basiert auf Verständigung der Mitglieder untereinander, wodurch sich relevante Verstehensprozesse und Kommunikationsroutinen etablieren. Auch wenn sie wenig formalisiert ist und nicht unmittelbar zum Erreichen der Ziele beiträgt, sollte ihre Rolle nicht unterschätzt werden, da sie „mittelbar organisationsund handlungskonstituierend“ (Szyszka & Malczok, 2016, S. 34) wirkt. Schließlich richtet die instrumentelle interne Kommunikation ihr Augenmerk auf die Verwirklichung und Optimierung interner Kommunikationsprozesse. Da sie gezielt Einfluss auf Verstehens- und Entscheidungsprozesse nimmt, wird sie auch als „internes Kommunikationsmanagement“ (Szyszka & Malczok, 2016, S. 35) bezeichnet. Die Organisationsmitglieder werden dabei als Kollektiv betrachtet (vgl. Malczok, 2014), das durch stetige Optimierung zur organisationalen Wertschöpfung beitragen kann (Mast, 2014, S. 1129). Aus analytischer Sicht bietet sich vor allem das Konzept der Organisationskultur (vgl. u. a. Berthon et al., 2001; Dixon & Dougherty, 2010; Martin, 1992; Tsui et al., 2006; Wiener, 2018) an, um die Relevanz der internen Kommunikation und der verschiedenen Ebenen im Kontext dieser Arbeit zu erfassen. Systemtheoretisch gesehen ist sie ausschlaggebend für das Systemgedächtnis und leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Pflege von Umweltbeziehungen (Theis-Berglmair, 2015, S. 55). Organisationskultur soll hier verstanden werden als „the sum total of shared values, symbols, meanings, beliefs, assumptions, and expectations that organize and integrate a group of people who work together“ (Sriramesh et al., 1992, S. 591). Die Bezugnahme auf die Organisationskultur scheint zudem geeignet, da sie als wichtiger Faktor bei der Wahl relevanter Kommunikationsstrategien gilt (vgl. u. a. Hein, 1990; Sriramesh et al., 1992) und dementsprechend unmittelbaren Einfluss auf das Kommunikations- und Informationsverhalten der Organisationsmitglieder ausübt (Semling, 2009, S. 7; Szyszka & Malczok, 2016, S. 36; Zerfaß, 2014, S. 47).
26
2 Unternehmenskommunikation
Aus handlungstheoretischer Sicht könnte in Bezug auf die Ebenen der internen Kommunikation die Frage nach den individuellen Rollen der Kommunikator*innen im beruflichen Alltag relevant sein. Rollen werden hier allgemein definiert als „recurring actions of an individual, appropriately interrelated with the repetitive activities of others“ (Katz & Kahn, 1978, S. 189). Die Rollenforschung in der PR wurde vor allem durch die Arbeiten von Broom und Smith und später auch von Dozier geprägt (vgl. Broom & Dozier, 1986; Broom & Smith, 1979; Broom, 1982; Dozier, 1984; Dozier & Broom, 1995, 2006). Broom und Smith (1979) schlugen zunächst fünf PR-Rollen zur Beschreibung der Beziehung von PR-Praktiker*innen zu ihrem Umfeld vor. Diese wurden später in weiteren empirischen Arbeiten auf vier (vgl. Broom, 1982) und schließlich auf zwei zentrale Rollenkonzepte verdichtet (vgl. Dozier, 1984): PR-Manager*innen und PRTechniker*innen. Diese beiden Rollenkonzepte, welche die Forschung nachhaltig geprägt haben, unterscheiden sich in ihrem Einfluss auf die Organisationspolitik. Während PRManager*innen unmittelbar in kommunikationspolitische Entscheidungen und in die Planung von PR-Maßnahmen involviert sind, nehmen die PR-Techniker*innen eine operative Rolle ein, indem sie überwiegend an der technisch-gestalterischen Umsetzung von konkreten PR-Aktivitäten beteiligt sind (Dozier, 1984, S. 16–17).
2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, wie heterogen die theoretischen Zugänge zur Unternehmenskommunikation gestaltet sein können. Da die Meso-Makro- und die Meso-Mikro-Perspektive auf die dialogorientierte Unternehmenskommunikation als Form des Beziehungsmanagements im Fokus dieser Arbeit stehen, erfolgt im weiteren Verlauf eine Zuspitzung auf relevante Zugänge der Public Relations. Denn Beziehungen sind zu einem „defining aspect of the identity for general public relations research“ (Coombs & Holladay, 2015, S. 691) geworden. Wenngleich sich hier zahlreiche Theorien und Modelle heranziehen ließen, sind für diese Untersuchung erstens vor allem solche Zugänge von Nutzen, in denen auf Verständigung beruhende Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten mitgedacht werden. Zweitens bietet sich die Wahl solcher Theorien an, die eng mit dem Konzept der Dialogorientierung diskutiert werden (Röttger et al., 2018, S. 145–146). Schließlich sollen drittens durch die Auswahl in einem integrativen Sinne sowohl die organisationsbezogene als auch die gesellschaftsbezogene Sichtweise der PR berücksichtigt werden. Auch wenn durch die Ausrichtung auf die Public Relations schließlich ein deutlicher Zuschnitt erfolgt, werden die Marktkommunikation und die interne Kommunikation nicht vollständig ausgeblendet. So ist einerseits zu erwarten, dass sich in der Untersuchung der externen Unternehmenskommunikation im Sinne der Meso-Makro-Perspektive Elemente der Public Relations und der Marktkommunikation gleichermaßen widerspiegeln. Andererseits spielen Elemente der internen Kommunikation für Analysen auf der Mikroebene eine Rolle, beispielsweise wenn es um den Einfluss der Unternehmenskultur auf externe Kommunikationsprozesse geht.
2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze
27
2.3.1 Organisationsbezug: Symmetrische Kommunikation Das moderne Forschungsfeld der Public Relations ist insbesondere durch die Arbeiten des US-amerikanischen Forschers James E. Grunig geprägt (vgl. u. a. Grunig & Hunt, 1984; Dozier et al., 1995; Grunig et al., 2002; Grunig, 1992). In diesem gesamten „Grunigian Paradigm“ (Moloney, 2006, S. 52) sind es vor allem die Vier Modelle der Public Relations (vgl. Grunig & Hunt, 1984) und das Zweiseitige Modell exzellenter Public Relations (vgl. Dozier et al., 1995), welche die Mesoebene als zentrale Analyseeinheit der PR-Forschung in den Vordergrund gerückt haben. Damit haben Grunig und Hunt (1984) auch einen wesentlichen Einfluss auf die deutsche PR-Forschung genommen (Jarren & Röttger, 2015, S. 35). Mit ihrer systemtheoretisch fundierten Annahme (Grunig & Hunt, 1984, S. 8–9), dass Public Relations im Idealzustand auf einer Symmetrischen Kommunikation beruhen, rücken relevante Teilöffentlichkeiten auf eine Augenhöhe mit Organisationen und damit auch die Frage nach dem Management der Beziehungen zwischen diesen beiden Systemen in den Fokus der Forschung (Simtion, 2016, S. 105; vgl. auch Grunig, 1992; Hon & Grunig, 1999). Organisationen kommunizieren symmetrisch, wenn die PR auf Aushandlungsprozesse und Strategien zur Konfliktlösung zurückgreift, um symbiotische Veränderungen von Ideen, Einstellungen und Verhaltensweisen sowohl bei der Organisation als auch bei den Teilöffentlichkeiten herbeizuführen (Grunig, 1989, S. 29). Symmetrische Kommunikation kann demnach verstanden werden als interaktives kommunikatives Verhalten, durch das zwei oder mehrere Teilsysteme gemeinsam Wahrnehmungen und Einstellungen konstruieren, sodass sie sich entweder synergetisch oder symbiotisch zueinander verhalten (Huang, 2004, S. 334). Grunig und Hunt (1984, S. 8) gehen in ihren Überlegungen davon aus, dass veränderte Rahmenbedingungen in der Kommunikation zwischen Organisationen und ihrer Umwelt dazu geführt haben, dass sich Public Relations als ein Teilsystem von Organisationen herausgebildet haben. Sie stehen funktional gesehen „at the edge of the organization, serving as a liaison between the organization and the external groups and individuals. They have one foot in the organization and one outside“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 9). Public Relations bedienen in diesem Sinne einen zweifach reziproken Kommunikationsprozess (Grunig & Hunt, 1984, S. 10). Auf der einen Seite gilt es, Kommunikation mit den Teilöffentlichkeiten zu führen, auf der anderen Seite steht die PR vor dem Hintergrund der strategischen Ausrichtung im kommunikativen Austausch mit dem Organisationsmanagement.11 Aufbauend auf diesen Rahmenbedingungen und einer historischen Perspektive kondensieren Grunig und Hunt (1984, S. 22) schließlich vier Modelle der Public Relations: das Publicity-Modell, das Informationsmodell,
11PR
ist in diesem Sinne, wie bereits dargelegt, das „management of communication between an organization and its publics“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 6). Aus diesem Grund gilt PR auch als eine Funktion des strategischen Managements von Organisationen (vgl. Grunig, 2006).
28
2 Unternehmenskommunikation
das Modell der Asymmetrischen Kommunikation und das Modell der Symmetrischen Kommunikation (vgl. Tabelle 2.1). Tabelle 2.1 Die vier Modelle der Public Relations nach Grunig und Hunt (1984). (Quelle: eigene Darstellung nach Grunig und Hunt (1984, S. 22) und Röttger et al. (2018, S. 88)) Publicity
Information
Asymmetrische Kommunikation
Zweck
Propaganda
Verbreitung von Informationen
Wissenschaftliche Wechselseitiges Überzeugung Verständnis
Art der Kommunikation
Einweg: Wahrheit nicht wesentlich
Einweg: Wahrheit wesentlich
Zweiweg: unausgewogene Wirkungen
Sender ⇄ Empfänger
Kommunikations- Sender → modell Empfänger
Sender → Empfänger
Art der Forschung
Verständlichkeits- Evaluation von studien Einstellungen
quantitativ (Reichweite)
Symmetrische Kommunikation
Zweiweg: ausgewogene Wirkungen
Gruppe ⇄ Gruppe
Evaluation von Verständigung
Im Publicity-Modell (Grunig & Hunt, 1984, S. 21–46) steht die Aufmerksamkeit für die eigene Organisation im Fokus. Die Kommunikation vollzieht sich in diesem Modell einseitig von der Organisation zu den relevanten Teilöffentlichkeiten. Da die breite öffentliche Wahrnehmung das primäre Ziel ist, spielt der Wahrheitsgehalt der kommunizierten Inhalte eine nachrangige Rolle. Die Kommunikation verfolgt daher eine einseitige „propaganda function“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 21), die oftmals auf unvollständigen, verfälschten oder halbwahren Informationen beruht. Dagegen hat im Informationsmodell (Grunig & Hunt, 1984, S. 21–46) der Wahrheitsgehalt der kommunizierten Informationen eine hohe Relevanz. Hier ist es das Ziel, die Teilöffentlichkeiten mittels einseitig gerichteter Kommunikation mit Informationen zu versorgen. Dies muss allerdings nicht zwingend einem „persuasive intent“ folgen (Grunig & Hunt, 1984, S. 22). Die Rolle der PR beschränkt sich hier auf eine Art Informations-Outlet, das primär auf Verlautbarung und nicht auf die Rückmeldung der Teilöffentlichkeiten ausgerichtet ist. Diese Feedbackschleife spielt jedoch in den beiden auf Zweiweg-Kommunikation basierenden Modellen eine essenzielle Rolle. Das Modell der Asymmetrischen Kommunikation (Grunig & Hunt, 1984, S. 21–46) ist vor allem auf Überzeugung ausgerichtet. Die PR agiert auf der Grundlage von wissenschaftlichen Befunden „about attitudes and behavior to persuade publics to accept the organization’s point of view to behave in a way that supports the organization“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 22). Schließlich spielt im Modell der Symmetrischen Kommunikation (Grunig & Hunt, 1984, S. 21–46) das „mutual understanding“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 22) zwischen der Organisation und den Teilöffentlichkeiten eine ausschlaggebende Rolle. Die Persuasion tritt daher hinter die Verständigungsorientierung zurück. In diesem Modell sind die am zweiseitigen Kommunikationsprozess Beteiligten kommunikativ gleichberechtigt, wobei Einstellungs- und Verhaltensänderungen auf beiden Seiten
2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze
29
als möglich betrachtet werden. Die Ausgewogenheit der Wirkungen dieser auf gegenseitigem Verständnis beruhenden Prozesse unterscheidet dieses Modell substanziell von den anderen drei Modellen (Röttger et al., 2018, S. 89). Das Modell der Symmetrischen Kommunikation ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt ethischer Public Relations. Es gilt als Idealform für das organisationale Beziehungsmanagement (Brown, 2010, S. 308; Grunig et al., 2002, S. 548; Waters, 2007, S. 63) und wird auf diese Weise zum „normative[n] Leitbild der PR“ (Simtion, 2016, S. 85), was in der Folge immer wieder die Grundfrage nach dem Stellenwert einer ethisch-moralischen Kommunikation in der PR aufgeworfen hat (vgl. u. a. Avenarius & Bentele, 2019; vgl. auch Abschnitt 4.1.2). Da Symmetrische Kommunikation eng mit dem Konzept des Dialoges in Verbindung steht (u. a. Grunig & Hunt, 1984, S. 23; Grunig & Grunig, 1992, S. 308; Grunig, 2001, S. 12), das als eine ähnliche Utopie in der PR-Forschung betrachtet wird (vgl. Kapitel 4), steht das Konzept seit jeher in der Kritik (vgl. u. a. Brown, 2010; Davidson, 2016; Kunczik, 1990; Laskin, 2009; McKie, 2001; Pieczka, 1996; Stoker & Tusinski, 2006). Das Modell der Symmetrischen Kommunikation sowie die anderen Modelle sollen daher als Leitbilder für grundsätzlich unterschiedliche Leistungen der PRArbeit betrachtet werden (Grunig et al., 1996, S. 220; Zerfaß, 2010, S. 68). Die vier Modelle der Public Relations nach Grunig und Hunt (1984) stellen die Grundlage für die empirische Überprüfung ihrer Effektivität durch Grunig, Grunig und Dozier (2002) dar, die es sich in einer Langzeitstudie in über 300 Organisationen zur Aufgabe gemacht haben, Merkmale exzellenter Public Relations herauszuarbeiten. Das daraus entstandene Zweiseitige Modell exzellenter Public Relations stellt eine Weiterentwicklung der vier PR-Modelle dar (vgl. Abbildung 2.4).
Abbildung 2.4 Zweiseitiges Modell exzellenter Public Relations. (Quelle: eigene Darstellung nach Dozier et al. (1995, S. 48) und Grunig et al. (1996, S. 219))
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2 Unternehmenskommunikation
Das weiterentwickelte Modell (vgl. Dozier et al., 1995) geht davon aus, dass sich die Interessen der Organisationen und die der Teilöffentlichkeiten grundsätzlich unterscheiden oder gar ausschließen. Die PR fungiert zwischen diesen sogenannten „kooperativen Antagonisten“ (Grunig et al., 1996, S. 218) als vermittelnde Instanz, indem sie auf Basis von Aushandlungen und Kooperationen zufriedenstellende Kompromisse in der symmetrischen Win-Win-Zone anstrebt. Ihre Aufgabe besteht also darin, die Position der Teilöffentlichkeiten in Richtung der Organisationsinteressen zu lenken, wohingegen die Position der organisationsinternen Führung an die der Bezugsgruppen angenähert werden muss. Lösungen, die außerhalb des Win-Win-Bereiches liegen, sind mindestens für einen der beiden Antagonisten unbefriedigend und führen zu instabilen Beziehungsverhältnissen. Während auf der linken Seite des Modells die Organisationsinteressen zum Nachteil der Teilöffentlichkeiten dominieren, stehen rechts die Interessen der Teilöffentlichkeiten zum Nachteil der Organisation im Vordergrund. Je nach Kommunikationssituation ergeben sich verschiedene Modell-Konstellationen. In der asymmetrischen Konstellation setzen sich die Interessen der internen Führungsschicht durch, was die Persuasion oder Manipulation der Teilöffentlichkeiten durch die PR zur Folge hat. In der kooperativen Konstellation nimmt die PR eine vermittelnde Rolle ein und versucht die Führung, von einer Lösung im Sinne der Teilöffentlichkeiten zu überzeugen. In der als ideal betrachteten symmetrischen Konstellation wird durch die PR schließlich eine für beide Seiten akzeptable Lösung erreicht. Dabei können durchaus asymmetrische Taktiken zum Einsatz kommen, um eine symmetrische Lösung zu erreichen (Dozier et al., 1995, S. 48–49). Allerdings bleibt zu hinterfragen, ob das organisationsbezogene Modell tatsächlich in der Lage ist, die komplexe kommunikative Praxis der Public Relations, die gesellschaftspolitische Bedeutung von Organisationen sowie komplexe Akteurskonstellationen ausreichend zu erfassen (Röttger et al., 2018, S. 89–90). Zudem wird dem Modell Wider sprüchlichkeit vorgeworfen, zumal Public Relations meist nicht in einer unabhängigen Vermittlungsrolle fungieren, sondern einer „strategisch-interessengeleitete[n] Grundorientierung“ (Preusse, 2016, S. 74) folgen, die von Dozier et al. (1995) nur unzureichend reflektiert wird. Nichtsdestoweniger gilt das Modell exzellenter Public Relations als einer der „wichtigsten Referenzpunkte der funktionalen PR-Forschung“ (Sandhu, 2012a, S. 51). Die Grundannahmen auf Basis des Konzeptes der Symmetrischen Kommunikation dienen wie in vielen anderen Folgearbeiten (vgl. u. a. Gowthorpe, 2004; Hoffmann & Aeschlimann, 2017; Ingenhoff & Koelling, 2009; Kent & Lane, 2017; Kent & Taylor, 1998, 2002; Madichie & Hinson, 2014; Sweetser & Weaver Lariscy, 2008; Tonndorf & Wolf, 2014, 2015) auch im Rahmen dieser Arbeit als organisationsbezogener Ausgangspunkt für die Erforschung dialogorientierter Unternehmenskommunikation im Internet.
2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze
31
2.3.2 Gesellschaftsbezug: Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit Mit dem organisationsbezogenen Zugang über das Konzept der Symmetrischen Kommunikation soll die Meso-Makro-Perspektive einer dialogorientierten Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien theoretisch und analytisch greifbar werden. Aus der Meso-Mikro-Perspektive bietet der Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Burkart, 1993a, 1993b, 2008, 2013; Burkart & Probst, 1991) einen vielversprechenden Zugriff auf die Thematik, denn die Verständigungsorientierung zielt auf die Gewährleistung „eines möglichst ‚störungsfrei‘ ablaufenden Kommunikationsprozesses zwischen dem PR-Auftraggeber und den jeweils relevanten Teilöffentlichkeiten“ (Burkart, 2013, S. 444). Auf diese Weise stellt sie die „Bedingungen für einen konstruktiven Dialog her“ (Burkart, 1993a, S. 50). Der Ansatz wird zu den gesellschaftsbezogenen Zugängen zu den Public Relations gezählt (Röttger et al., 2018, S. 111; vgl. auch Abschnitt 2.2.1), auch wenn er bislang nicht ausreichend in Bezug auf die Relevanz für gesellschaftliche Prozesse reflektiert wird (Dernbach, 2015, S. 146). Er geht dabei von zwei Prämissen aus. Einerseits postuliert Burkart (2013, S. 438– 439), dass die Mitglieder der Gesellschaft aufgrund von Vertrauensverlusten in Politik und Wissenschaft zunehmend ihre Partizipationsmöglichkeiten wahrnehmen. Der PR-Prozess muss sich daher immer stärker an den Interessen und Erwartungen der Teilöffentlichkeiten orientieren (soziologische Prämisse). Andererseits setzt Burkart (2013, S. 439) voraus, dass menschliche Kommunikation grundsätzlich auf wechselseitige Verständigung ausgelegt ist, die damit „als Mittel zum Zweck der Realisierung jeweils spezifischer Interessen“ (Burkart, 1993a, S. 24) zu verstehen ist. Dadurch erfährt die Kommunikationsleistung der Public Relations eine Aufwertung (kommunikationstheoretische Prämisse). Nach Burkart (1993a, S. 19–38) spielt das Modell der Symmetrischen Kommunikation nach Grunig und Hunt (1984) auch für die Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle. Viel entscheidender für den Ansatz ist jedoch die Theorie des kommunikativen Handelns nach Habermas (1981, 1984). Seine diskursrelevanten Geltungsansprüche (vgl. Habermas, 1984) stellen das Grundgerüst für die Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit dar (Burkart, 2013, S. 439–440): • Verständlichkeit: Die Kommunikationspartner*innen folgen den Regeln einer gemeinsamen Sprache und besitzen die Fähigkeit der verständlichen Formulierung. • Wahrheit: Die Kommunikationspartner*innen treffen Aussagen über die Wirklichkeit, deren Existenz von allen Beteiligten anerkannt wird. • Wahrhaftigkeit: Die Kommunikationspartner*innen gehen nicht von möglicherweise täuschenden, sondern von den tatsächlichen Absichten der Beteiligten aus.
32
2 Unternehmenskommunikation
• Richtigkeit: Die Kommunikationspartner*innen halten mit ihren individuellen Interessen die geltenden Werte und Normen ein. Werden diese Geltungsansprüche verletzt und damit die Verständigungsorientierung gefährdet, setzt ein Diskurs ein, der „überzeugende Argumente, mit denen Geltungsansprüche eingelöst oder zurückgewiesen werden können“ (Habermas, 1981, S. 48), generieren soll. Diskurse müssen daher frei von inneren und äußeren Zwängen sein, damit Argumente zwanglos zu einem Konsens führen können (Burkart, 2013, S. 441; Habermas, 1984, S. 116). Habermas (1984) betont zudem die Notwendigkeit einer „symmetrische[n] Verteilung der Chancen, Sprechakte zu wählen und auszuführen“ (Habermas, 1984, S. 177). Dementsprechend ist das Ziel von verständigungsorientierter PR, Einverständnis zwischen den an der Kommunikation beteiligten Parteien zu schaffen (Burkart, 1993a, S. 25; 2013, S. 440). Es sei jedoch betont, dass es nicht die Aufgabe der Public Relations ist, Konflikte zu lösen, sondern die Voraussetzungen für eine mögliche Lösung zu schaffen (Röttger et al., 2018, S. 142). Diese Voraussetzungen und der Begriff des ‚Einverständnisses‘ beziehen sich auf „das wechselseitige Verstehen, geteilte Wissen, beiderseitige Vertrauen und auf die wechselseitige Akzeptanz (Richtigkeit bzw. Legitimität)“ (Burkart, 2013, S. 440) im Kommunikationsprozess. Habermas (1984) bezeichnet Verständigung daher auch als „Mechanismus der Handlungskoordinierung, der die Handlungspläne und die Zwecktätigkeiten der Beteiligten zur Interaktion zusammenfügt“ (Habermas, 1981, S. 143). Die unterschiedlichen Partikularinteressen, die das kommunikative Handeln der Beteiligten steuern, sind also grundsätzlich legitim, auch wenn diese durch erfolgreiche PR-Arbeit in Kompromissen münden.
Abbildung 2.5 PR aus Sicht der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit. (Quelle: eigene Darstellung nach Burkart (2008, S. 230; 2013, S. 445))
2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze
33
Ein „störungsfrei“ (Burkart, 2013, S. 444) ablaufender Kommunikationsprozess ist also die zentrale Bezugsgröße der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit. Störanfällig ist der in Abbildung 2.5 illustrierte Kommunikationsprozess nach Burkart (1993a, S. 26–27; 2013, S. 444–446) auf drei Ebenen. So muss zum einen der zu thematisierende Sachverhalt eindeutig sein. Es muss Konsens darüber herrschen, was unter dem Sachverhalt zu verstehen ist. Dementsprechend muss der Wahrheitsgehalt von Behauptungen und Erklärungen der Organisation gewährleistet sein. Zudem muss im Sinne der involvierten Kommunikator*innen nachvollziehbar sein, wer in der Organisation für die zu vermittelnden Sachverhalte verantwortlich ist. Die Wahrhaftigkeit im Sinne einer Vertrauenswürdigkeit der Organisation sowie ihrer Vertreter*innen darf nicht strittig sein. Zum anderen ist es erforderlich, dass im Hinblick auf die vertretenen Interessen transparent ist, warum die spezifischen Interessen verfolgt werden. Über die Legitimität dieser Interessen muss Konsens herrschen (vgl. Burkart, 1993a, S. 26–27; 2013, S. 444–446). Der Kommunikationsprozess, der sich entlang dieser Ebenen modellieren lässt, folgt dramaturgisch vier Phasen, die aufeinander aufbauen und im Sinne der Theorie des kommunikativen Handelns in einem Diskurs und schlussendlich einer gemeinsamen Situationsdefinition münden. Burkart (1993a, S. 29–34; 2013, S. 446–450) zufolge haben diese Phasen gleichermaßen Relevanz für die objektive, die subjektive und die soziale Welt (vgl. Tabelle 2.2). Tabelle 2.2 Phasen der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit. (Quelle: eigene Darstellung nach Burkart (1993a, S. 34)) Phase
Themen und Sachverhalte
Organisation und Personen
Legitimität des Interesses
Information
Festlegung/Definition relevanter Sachverhalte und Begriffe sowie Erläuterung der Konsequenzen
Erläuterung des Selbstbildes und der Absichten sowie Bekanntgabe von Ansprechpersonen
Rechtfertigung des Interesses durch Angabe von Gründen
Diskussion
Auseinandersetzung mit den relevanten Sachverhalten beziehungsweise Begriffen
kann nicht diskutiert werden
Auseinandersetzung über die Angemessenheit der Begründungen
Diskurs
Einigung über Richtlinien zur Einschätzung von Sachurteilen
kann nicht diskursiv eingelöst werden
Einigung über Richtlinien zur Einschätzung von moralischen Urteilen
Situationsdefinition
Einigung über die Sachurteile
Einigung über die Einigung über die Vertrauenswürdigkeit moralischen Urteile der Handlungstragenden
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2 Unternehmenskommunikation
Burkart (1993, 2013) greift damit das Konzept der „drei Welten“ von Habermas (1981, S. 149) auf, das die Beziehungen, in die Kommunikator*innen mit ihren Äußerungen treten können, beschreiben. Während die objektive Welt die Gegenstände, über die wahre Aussagen getroffen werden können, umfasst, bezieht sich die subjektive Welt auf individuelle Empfindungen und Erlebnisse der Kommunikator*innen. Die soziale Welt beschreibt schließlich die verschiedenen wert- und normorientierten interpersonalen Beziehungen (vgl. Burkart, 2013, S. 440). Die Phase der Information dient der Versorgung mit dem entscheidungsrelevanten Wissen. Dabei ist es die Aufgabe der Public Relations, alle Beteiligten für einen symmetrischen Verständigungsprozess über alle notwendigen Aspekte eines Sachverhalts zu informieren (vgl. Burkart, 1993a, S. 29–30; 2013, S. 446–447). Ist diese Voraussetzung erfüllt, übernimmt die Public Relations in der Phase der Diskussion eine moderierende Rolle und schafft somit die Voraussetzungen für eine direkte Interaktion der Beteiligten (vgl. Abschnitt 3.2.4). Im Fokus der Diskussionsphase steht die Beschäftigung mit den relevanten Sachverhalten, den Partikularinteressen und den Begründungen dafür (vgl. Burkart, 1993a, S. 30–31; 2013, S. 447–448). In der Regel ist ein Konsens auf Basis der Diskussion relevanter Sachverhalte nicht zu erwarten, da hierbei einzelne Aussagen, Kommunikator*innen oder die gesamte Legitimität der Handlungen angezweifelt werden. Daher schließt sich an die Diskussion die Phase des Diskurses an. Dieser zielt darauf ab, ein „problematisch gewordenes Einverständnis durch Begründung wiederherzustellen“ (Burkart & Probst, 1991, S. 64). Wie bereits angesprochen, geht es hier auch um die Klärung der zentralen Geltungsansprüche (vgl. Burkart, 1993a, S. 31–32; 2013, S. 448–449). Der Diskurs mündet letztlich in einer von den Beteiligten akzeptierten Situationsdefinition. Sie zielt aufgrund der generell utopischen Vorstellung eines Konsenses auf einen „rationalen Dissens“ (Burkart, 1993a, S. 35; 2013, S. 450; vgl. auch Miller, 1992). Dabei geht es um die Legitimität der vorgebrachten Argumente und der verschiedenen Interessen sowie um die Vertrauenswürdigkeit der Handlungstragenden. Diese Situationsdefinition ist der Ausgangspunkt für Anschlusshandlungen (vgl. Burkart, 1993a, S. 32–34; 2013, S. 449–450). Burkart (1993a) evaluierte seinen Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit ursprünglich im Rahmen der Krisenkommunikation zum geplanten Bau von Sonderabfalldeponien in Niederösterreich. Er definiert in diesem Kontext Kriterien, nach denen die Verständigungsorientierung in den Phasen Information, Diskussion und Diskurs aus Sicht der Kommunikator*innen, der Medien und der Rezipient*innen als erfolgreich einzustufen ist. Da der Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit für die vorliegende Studie vor allem für die Untersuchung der MesoMikro-Perspektive relevant ist, bietet sich ein Blick auf die Kriterien im Bereich der Kommunikator*innen an. In der Phase der Information steht dabei die „Qualität des Informationsangebotes“ (Burkart, 2013, S. 446) im Mittelpunkt. Die Verständigungsorientierung ist erfolgreich, wenn adäquate Informationen angeboten und begründet wurden. Als Evaluationsinstrument nennt Burkart (2013, S. 446) hier die
2.3 Relevante PR-theoretische Ansätze
35
Inhaltsanalyse. In der Phase der Diskussion ist Verständigungsorientierung gegeben, wenn die Kommunikator*innen versuchen, ihr Vorgehen nachvollziehbar zu machen. Als Evaluationsmethoden bieten sich hier Befragungen und Inhaltsanalysen an (Burkart, 2013, S. 448). Der Diskurs ist für die Kommunikation erfolgreich, wenn Sachurteile erläutert und das Handeln gerechtfertigt wird. Auch hier empfiehlt Burkart (2013, S. 449) Inhaltsanalysen zur Evaluation. Der Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit wurde in der PR-Forschung „vielfach rezipiert, kommentiert und kritisiert“ (Burkart, 2013, S. 438). Ähnlich wie auch im Modell der Symmetrischen Kommunikation sowie in vielen anderen PR-theoretischen Ansätzen, die auf Verständigung beruhen, bietet die Rolle der Public Relations im Kommunikationsprozess immer wieder Anlass zur Kritik. Auch wenn Burkart (1993a) davon ausgeht, dass Verständigungsorientierung eine „Idealvorstellung von gelungener Kommunikation [ist], die in der Realität überhaupt nur annäherungsweise erreicht werden kann“ (Burkart, 1993a, S. 268), besteht ein Kernproblem12 darin, dass Public Relations von einer Organisation und deren strategischen Interessen abhängig sind und einen prinzipiell ergebnisoffenen Prozess der Verständigung mit relevanten Teilöffentlichkeiten gestalten sollen (Röttger et al., 2018, S. 144). Wieder stellt sich hier die Frage nach der ethisch-normativen Funktion von PR am Berührungspunkt von Organisationen und gesellschaftlicher Umwelt (vgl. u. a. Dorer & Marschik, 1995). Schließlich unterscheidet schon Habermas (1981, S. 385; 1984, S. 576) ganz grundsätzlich zwischen strategischem Handeln (im Sinne von erfolgsorientiertem Handeln) und verständigungsorientiertem Handeln: „Indem PR als strategische Kommunikation einseitige Interessen vertritt und nicht grundlegend Entscheidungs- und Interessenstrukturen zur Disposition gestellt werden, kann kein Diskurs im Sinne der Theorie des kommunikativen Handelns geführt werden“ (Röttger et al., 2018, S. 145). Auch wenn dieser grundsätzliche Konflikt der PR nicht von der Hand zu weisen ist, eignet sich der Ansatz als grundsätzlicher Bezugsrahmen für eine analytische Untersuchung dialogorientierter Unternehmenskommunikation im Internet. Götzenbrucker (2012, S. 216–218) weist sogar auf das Potenzial des Ansatzes der Verständigungsorientierten Öffentlichkeit für die Erforschung von Kommunikationsprozessen im Web 2.0 hin. Ein Blick in die Forschung zeigt, dass der Ansatz durchaus auch für Fragestellungen der Online-Kommunikation herangezogen wird (vgl. u. a. Seethaler, 2012; Thummes & Malik, 2015), wenngleich symmetrische (vgl. Grunig & Hunt, 1984) und dialogorientierte Zugänge (vgl. Kent & Taylor, 1998) klar dominieren.
12Vgl. für einen Überblick über weitere Kritikpunkte am Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit und eine Entgegnung auf diese Kritik Burkart, 2013, S. 451–457.
36
2 Unternehmenskommunikation
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten stellen für die Unternehmenskommunikation und speziell für die PR eine wichtige Bezugsgröße dar (Johann et al., 2018, S. 145). Aus strategischer Sicht ist ein Unternehmen abhängig von „supportive relationships with stakeholders in order to implement decisions and achieve organisational goals“ (Grunig, 2009, S. 12). Auch im Stakeholder-Ansatz (vgl. Freeman, 1984; Freeman & Gilbert, 1987; Freeman et al., 2010; Karmasin & Weder, 2014) gelten Beziehungen als wichtiges soziales Kapital eines Unternehmens. Szyszka versteht in diesem Zusammenhang unter Beziehungskapital den „erworbene[n] soziale[n] Kredit, den ein Unternehmen bilateral bei einer Stakeholder-Gruppe und multilateral innerhalb seines Beziehungsnetzwerks besitzt“ (Szyszka, 2014, S. 2) beziehungsweise „die Wertschätzung, die ein Unternehmen in seinem sozialen Umfeld und damit bei seinen Stakeholdern genießt“ (Szyszka, 2017, S. 29). Der Aufbau und die Pflege möglichst nachhaltiger Einzelbeziehungen und ganzer Beziehungsnetzwerke müssen demnach als eine Management-Funktion gesehen werden (Bentele & Will, 2008, S. 164). Auf diese Weise leistet das Beziehungsmanagement einen wichtigen Beitrag zur Legitimierung des Handelns von Unternehmen (Karmasin & Weder, 2014, S. 93–95; Will, 2007, S. 7–11). Beziehungen sind somit auch eine Voraussetzung für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Formen der symmetrischen und dialogorientierten Kommunikation gelten als der Schlüssel für eine erfolgreiche Pflege dieser Beziehungen (Dozier et al., 1995, S. 49; Grunig et al., 2002, S. 548; Mast, 2019, S. 319; Zerfaß, 2010, S. 70). Dass Public Relations vor allem aus gesellschaftstheoretischer Sicht als Beziehungsmanagement aufgefasst werden können, ist bereits bei Ronneberger und Rühl (1992) verankert. Dementsprechend ist PR ein Merkmal moderner Gesellschaften, „in denen die Motive und Lebensweisen der Menschen durch Freiheit und Frieden, durch Arbeit und Beruf, durch Sicherheit und Chancengleichheit, durch soziales Vertrauen, soziale Verantwortung sowie durch weitere Lebensgrundlagen von bisher unbekannter Komplexität ermöglicht werden“ (Ronneberger & Rühl, 1992, S. 19). Das angesprochene soziale Vertrauen kann als eine Voraussetzung für den Aufbau von Beziehungen zu Teilöffentlichkeiten begriffen werden. Systemtheoretisch betrachtet besteht nun die spezielle Leistung der PR darin, Beziehungen auf und zwischen den verschiedenen Systemebenen herzustellen (Merten, 2009, S. 68; Trujillo & Toth, 1987, S. 208). Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die Bezugsgröße der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten in der PR näher betrachtet. Im Zuge dessen erfolgt eine Klärung relevanter Begriffe. Schließlich wird mit dem Konzept der Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen die Grundlage für die Operationalisierbarkeit im Kontext der dialogorientierten Unternehmenskommunikation geschaffen.
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
37
2.4.1 Beziehungen als Bezugsgröße der Public Relations Beziehungen standen nicht immer im Fokus der PR-Forschung. Basierend auf einer systematischen Analyse von Abstracts in PR-Fachartikeln aus einem Zeitraum von zehn Jahren kam Ferguson (1984) zu der Erkenntnis, dass das Konzept der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten den vielversprechendsten Zugang für innovative Theoriebildung im Feld der Public Relations bietet. Fergusons (1984) Empfehlung, Beziehungen in den Fokus der PR-Forschung und der PR-Praxis zu rücken, hat die Disziplin seitdem nachhaltig geprägt. Allerdings war dies nicht allein der Grund dafür, dass es zu einem Paradigmenwechsel in der PR-Forschung kam. Vielmehr waren es parallele Entwicklungen in Forschung und Praxis, die eine Fokussierung auf die Beziehungsperspektive zur Folge hatten und Beziehungen zu einem zentralen Bezugspunkt der Forschung avancieren ließen. Die Voraussetzungen für diese Entwicklung, die als Relational Turn bezeichnet werden soll, werden im Folgenden kurz zusammengefasst. Der Relational Turn der PR-Forschung Generell lässt sich seit den 1990er Jahren eine Veränderung der Anforderungen an das Management der Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten beobachten (Einwiller, 2014, S. 373). Ledingham (2001) verweist auf „pivotal developments which spurred emergence of the relational perspective as a framework for public relations study, teaching, and practice“ (Ledingham, 2001, S. 286). Dementsprechend lassen sich insgesamt elf teils immer noch anhaltende Entwicklungen in Forschung (Punkte 1 bis 4) und Praxis (Punkte 5 bis 11) identifizieren, die den Bedeutungszuwachs von Beziehungen als Bezugsgröße der Unternehmenskommunikation und der Public Relations erklären. Diese sind vor allem auf der Makroebene zu verorten und lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Einwiller, 2014, S. 373–374; Einwiller & Will, 2002, S. 102–103; Ledingham, 2001, S. 286–287; Ledingham, 2003, S. 182–183; van Riel & Fombrun, 2004, S. 6–8): 1. Beziehungen als Gegenstand der PR-Forschung: Fergusons (1984) Appell, dass die „unit of study should not be the organization, nor the public, nor the communication process. Rather the unit of study should be the relationship between organizations and their publics“ (Ferguson, 1984, S. ii) war der Startpunkt für die zunehmende Perspektivenverlagerung auf das Beziehungsgeflecht von Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten. Damit veränderte das Forschungsfeld seine Ausrichtung grundlegend. 2. Komponenten der Beziehungen zwischen Organisationen und Öffentlichkeiten: Die Forschung war zunehmend in der Lage, die Komponenten einer Beziehung zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten sowie den Zusammenhang dieser Beziehungen mit individuellen Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu erschließen. Darüber hinaus wurden Instrumente zur Messung
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2 Unternehmenskommunikation
dieser Beziehungen entwickelt (vgl. u. a. Hon & Grunig, 1999; Huang, 2001; Ledingham, 2003). 3. Modellierbarkeit von Beziehungen zwischen Organisationen und Öffentlichkeiten: Durch die wissenschaftliche Erschließung des Feldes war es möglich, Modelle der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten zu entwickeln. Diese Modelle greifen beispielsweise Entwicklungen, Eigenschaften, Konsequenzen oder Pflege- und Monitoringstrategien auf (vgl. u. a. DeVito, 1993; Knapp, 1978; Knapp et al., 2014). 4. Public Relations als Management-Funktion: Die Auffassung, dass Public Relations und damit das Beziehungsmanagement eine Management-Aufgabe sind (vgl. u. a. Cutlip et al., 2006; Grunig, 2006; Ledingham, 2006), hat dazu geführt, dass Managementkonzepte und Managementprozesse in die PR-Praxis Einzug gehalten haben. Diese Neukonzeption machte es für die PR beispielsweise erforderlich, den Managementprozess (Analyse, Planung, Umsetzung, Kontrolle) zu inkorporieren (vgl. u. a. Steinmann & Hasselberg, 1988; Steinmann & Zerfaß, 1995; Zerfaß, 2010). 5. Globalisierung: Beziehungen gewinnen vor allem auch durch den gestiegenen Kommunikationswettbewerb an Relevanz. Die Verwischung nationaler Grenzen aufgrund der anhaltenden Globalisierung führt zu einer Verschärfung des Wettbewerbs. Stabile und langfristige Beziehungen sind daher nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben und auf verschiedenen Märkten agieren zu können (vgl. u. a. Elmer, 2007; Femers, 2004; Inoue, 2018; Sriramesh & Verčič, 2007). 6. Homogenisierung von Produkten und Leistungen: Sowohl die Globalisierung als auch die Digitalisierung und Technisierung tragen zu einer Annäherung von Produkten und Dienstleistungen bei. Eine Differenzierung durch stabile Beziehungen kann dabei Wettbewerbsvorteile verschaffen (vgl. u. a. Gebauer et al., 2011; Krafft, 1999). 7. Sichtbarkeit von Unternehmen: In der Gesellschaft herrscht ein steigendes Interesse an Wirtschafts- und Finanzthemen, welches die Massenmedien nicht mehr vollständig abdecken können (vgl. u. a. Brandstetter, 2017; Mast, 2012; van Dalen et al., 2017). Zudem werden Unternehmen häufig durch Skandalisierungstendenzen in der Medienberichterstattung thematisiert (vgl. u. a. Eisenegger & Vonwil, 2004; Imhof, 2008). Dies erfordert vor allem seitens gewinnorientierter Unternehmen eine stetige Kommunikation und ein nachhaltiges Beziehungsmanagement. 8. Informationsverfügbarkeit und Transparenz: Durch die zunehmende Präsenz und Aktivität von Unternehmen im Internet und in den sozialen Medien steht grundsätzlich eine Fülle von Unternehmensinformationen zur Verfügung. Direkte Kommunikationsformen und die Verlagerung von Kommunikationsprozessen auf Plattformen wie Facebook oder Twitter haben die Erwartungen der Nutzer*innen an Unternehmen in Bezug auf die Pflege von Beziehungen erhöht (vgl. u. a. Gearhart & Maben, 2019; Reinartz, 2018; Winkler & Pleil, 2019).
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
39
9. Informationsüberlastung und Werbesättigung: Durch das Informationsüberangebot ringen Unternehmen um Aufmerksamkeit. Während die Werbung dabei an Relevanz verliert, setzen Unternehmen verstärkt auf den Beziehungsaufbau über PR-Maßnahmen zur Sicherstellung der Aufmerksamkeit, beispielsweise im Rahmen der Corporate Social Responsibility oder durch Storytelling (vgl. u. a. Krüger, 2017; Lim & Greenwood, 2017). 10. Rolle des Kapitalmarktes: Die Anforderungen der Financial Community an das Beziehungsmanagement im Sinne der Investor Relations ist kontinuierlich gestiegen. Der Kapitalmarkt spielt dabei für die Kapitalbeschaffung von Unternehmen eine wichtige Rolle (Hockerts & Moir, 2004; Hoffmann & Fieseler, 2012). 11. Aktivismus der Teilöffentlichkeiten: NGOs und Protestbewegungen üben zunehmend Druck auf Unternehmen aus und professionalisieren ihre eigenen Kommunikationsaktivitäten. Sie genießen meist ein hohes Vertrauen, sodass die Meinung anderer Teilöffentlichkeiten dadurch beeinflusst werden kann (vgl. u. a. Burchell & Cook, 2013; Schwarz & Fritsch, 2014). Der auf diese Faktoren zurückzuführende Relational Turn hat letzten Endes auch die Grundfesten der PR gestärkt, indem durch die Verschiebung auf die Beziehungsdimension vor allem ihre Legitimationsfunktion untermauert wird (Sallot et al., 2003, S. 32). Zudem gewinnt dadurch das Kommunikationsmanagement an Bedeutung, denn „goals are developed around relationships [and] communication is used as a strategic tool in helping to achieve those goals“ (Ledingham & Bruning, 1998, S. 63). Beziehungen müssen in diesem Sinne ‚gemanaget‘, also strategisch aufgebaut und gepflegt werden. Beziehungen als Konzept der interpersonalen Kommunikation Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen erfolgt eine Annäherung an die Begriffe ‚Beziehung‘ und ‚Beziehungsmanagement‘ aus der Perspektive der Public Relations. Da es diesbezüglich keine allgemein akzeptierte Definitionsgrundlage gibt (vgl. Broom et al., 2000), soll vor allem auf US-amerikanische Zugänge zurückgegriffen werden. Dort wurden insbesondere Ansätze der interpersonalen Kommunikation (vgl. u. a. Ledingham, 2003; Ledingham & Bruning, 1998; Ledingham, et al., 1997; Thomlison, 2000; Toth, 2000; Wood, 1995), der interorganisationalen Kommunikation (vgl. u. a. Broom et al., 2000; Oliver, 1990), der Sozialpsychologie (vgl. u. a. Hon & Grunig, 1999), der Psychotherapie (vgl. u. a. Broom et al., 2000) und des Marketings (vgl. u. a. Hon & Grunig, 1999) für die Public Relations fruchtbar gemacht. Angelehnt an die Auffassung der interpersonalen Kommunikation werden Beziehungen verstanden als „[c]onnection that exists when (1) the interactants are aware of each other and take each other into account, (2) there is some exchange of influence, and (3) there is some agreement about what the nature of the relationship is and what the appropriate behaviors are given the nature of the relationship“ (Berko et al., 1997,
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2 Unternehmenskommunikation
S. 448). Eine darauf aufbauende und für die Erforschung von Organisationsbeziehungen oft zitierte Definition beschreibt Beziehungen als „set of expectations two parties have for each other’s behavior based on their interaction patterns“ (Thomlison, 2000, S. 178). Auch Coombs und Holladay (2015, S. 691) weisen darauf hin, dass es mit dem Ziel einer „mutual activity of creating meaning“ (Trenholm & Jensen, 2008, S. 29 in Coombs & Holladay, 2015, S. 691) Gemeinsamkeiten zwischen der interpersonalen Kommunikation und der PR gibt. Die (Ko-)Kreation von Bedeutung spielt dabei bereits bei Botan und Taylor (2004) eine wichtige Rolle. Sie sehen die PR der 1980er und 1990er Jahre in einem Transformationsprozess weg von einer funktionalen hin zu einer ko-kreationalen Perspektive: „The cocreational perspective sees publics as cocreators of meaning and communication as what makes it possible to agree to shared meanings, interpretations, and goals. This perspective is long term in its orientation and focuses on relationships among publics and organizations“ (Botan & Taylor, 2004, S. 652). Sie setzen den kokreationalen Ansatz damit in direkte Verbindung mit dem Beziehungsmanagement sowie mit symmetrischen und dialogorientierten Formen der Organisationskommunikation (Botan & Taylor, 2004, S. 652–653). Jedoch stellt sich die Frage, inwieweit eine so enge Verzahnung mit der interpersonalen Kommunikation zielführend ist. Coombs und Holladay (2015, S. 691) bemängeln an der ko-kreationalen Perspektive, dass es in der PR immer um Beziehung einer Organisation zu mehreren Teilöffentlichkeiten geht. Dem Prozess der interpersonalen Kommunikation liegt jedoch dezidiert die dyadische Kommunikation zwischen zwei Personen zugrunde (vgl. Trenholm & Jensen, 2008). Sie machen ihre Kritik unter anderem auch an in der Online-Kommunikation kursierenden Begrifflichkeiten der interpersonalen Kommunikation wie ‚Engagement‘, ‚Listening‘ und ‚Konversationen‘ fest – auch die Verwendung des Begriffes ‚Dialog‘ scheint vor diesem Hintergrund problematisch (vgl. Kapitel 4). In Anbetracht der strategischen Orientierung der PR sei die Verankerung in der interpersonalen Kommunikation „more of an illusion perpetuated by public relations rather than an actual transformation to the type of genuine two-way communication we find central to interpersonal relationships“ (Coombs & Holladay, 2015, S. 691). Die Übertragbarkeit von Konzepten der interpersonalen Kommunikation auf die Unternehmenskommunikation ist streitbar, wenngleich vielfach in der PR-Forschung praktiziert. Axiome des Beziehungsmanagements Auch Bruning (2001) war sich der Kritik an der zu unreflektierten Übertragung des interpersonalen Beziehungsverständnisses auf die Public Relations bewusst. Er formulierte aus diesem Grund zehn „axioms of relationship management“ (Bruning, 2001, S. 7), um das Verständnis für das Beziehungsgeflecht zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten für die Forschung und die Praxis greifbarer zu machen. Als Grundlage dafür dienen die Axiome der interpersonalen Kommunikation (vgl. DeVito, 1993), die
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
41
er für die PR gangbar machte. Er schlägt damit die bis dato fehlende Brücke zwischen dem traditionellen Verständnis von Beziehungen in der interpersonalen Kommunikation und der interessengeleiteten Auffassung, wie sie sich im Beziehungsmanagement von Organisationen manifestiert. Das erste Axiom des Beziehungsmanagements besagt, dass die Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten transaktional sind. Sowohl die Forschung als auch die Praxis sollte berücksichtigen, dass Beziehungen auf Dauer angelegt und in einem ständigen Wandel begriffen sind, was Auswirkungen auf die Erstellung und Verbreitung von PR-Botschaften hat. Es gilt, die individuellen Erfahrungen zu verstehen, welche die Beziehung zwischen einem Unternehmen und den Teilöffentlichkeiten in der Vergangenheit geprägt haben. Relevant sind zudem die Faktoren, die den aktuellen Status der Beziehung beeinflussen, und die Art der Beziehung, die sowohl von der Organisation als auch von den Mitgliedern der Teilöffentlichkeiten in Zukunft gewünscht wird. Infolgedessen befinden sich Beziehungen in einem kontinuierlichen Prozess des Wandels. Das Beziehungsmanagement muss sich an diese Veränderungen nach innen und außen anpassen (Bruning, 2001, S. 7–8). Im zweiten Axiom betont Bruning (2001, S. 8), dass Organisationen und ihre Teilöffentlichkeiten voneinander abhängig sind. Beide Seiten müssen ein gemeinsames Verständnis dafür haben, dass der Erfolg des einen vom Erfolg des anderen abhängt, und dass Veränderungen Einfluss auf beide Beziehungspartner*innen haben. Dieser aus der Systemtheorie stammende Grundgedanke muss beiderseits akzeptiert werden. Zudem muss Einigkeit darüber herrschen, dass die Beziehungen, die initiiert, entwickelt und gepflegt werden, von gemeinsamem Nutzen sein müssen, wenn beide Seiten profitieren wollen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist die gegenseitige Abhängigkeit eine Stärke, die für die Organisation wie für ihre Teilöffentlichkeiten in vorteilhaften Beziehungen münden kann (Bruning, 2001, S. 8). Das dritte Axiom drückt aus, dass Kommunikation unvermeidlich ist. Die PR muss erkennen, dass die Mitglieder der Teilöffentlichkeiten jeder organisationalen Handlung Bedeutung beimessen. Genau wie Menschen können Organisationen nicht nicht kommunizieren (vgl. Watzlawick et al., 1967). Daher muss die PR mit den wichtigsten Mitgliedern der Teilöffentlichkeiten proaktiv kommunizieren und sich bewusst sein, wie der kommunikative Austausch von diesen interpretiert wird und welche Formen der Kommunikation und des Verhaltens diese bevorzugen. Die Kommunikation der Teilöffentlichkeiten und ihre Präferenzen müssen zudem kontinuierlich erforscht werden, um Strategien für ein optimiertes Beziehungsmanagement zu entwickeln. Auf diese Weise kann die Kommunikation sowohl in Krisen- als auch in Nichtkrisensituationen erleichtert werden (Bruning, 2001, S. 8). Das vierte Axiom besteht darin, dass Organisationskommunikation als irreversibel betrachtet wird. Bereits kommunizierte Botschaften lassen sich nicht rückgängig machen, unabhängig davon, wie sie relativiert, negiert oder eingeschränkt werden
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2 Unternehmenskommunikation
können.13 Daher ist es erforderlich, dass die PR relevante Themen vollständig durchdringt und versteht, inwiefern die Themen sowohl die Organisation als auch die Teilöffentlichkeiten beeinflussen. Da die PR meist schnell auf auftretende Probleme reagieren muss, bedarf es auch diesbezüglich kontinuierlicher Forschung, um belastbare und entscheidungsrelevante Informationen zu generieren (Bruning, 2001, S. 8–9). Das fünfte Axiom besagt, dass die PR-Arbeit dem Einfluss kultureller Variablen unterliegt. Sowohl die Organisationskultur als auch die Kommunikationskultur der Teilöffentlichkeiten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Zudem können Unterschiede im Hinblick auf den soziodemographischen und sozioökonomischen Status sowie Variablen wie die kulturelle Prägung oder die Sozialisation der relevanten Teilöffentlichkeiten Einfluss auf die Kommunikation nehmen. Diese Einflüsse können beispielsweise Auswirkungen auf Form und Struktur von Botschaften, den Kommunikationsstil, die Kommunikationsform oder den Inhalt der Botschaft haben. Ein klares Verständnis davon, wie sich derartige Variablen auf die Wahrnehmung von Botschaften in den Teilöffentlichkeiten auswirken, dient der Effektivität der PR-Arbeit und unterstützt damit den Aufbau und die Pflege von Beziehungen (Bruning, 2001, S. 9). Das sechste Axiom geht davon aus, dass die Entwicklung von Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten ein Anpassungsprozess ist. Demnach entwickeln sich Beziehungen in verschiedenen Phasen, die durch die jeweils erlebten Botschaften und Verhaltensweisen und eine effektive Anpassung aneinander geprägt werden (vgl. Broom et al., 2000; Bruning & Ledingham, 1998). Um die Beziehung zu den Teilöffentlichkeiten positiv zu beeinflussen, sollten Organisationen nicht nur ihre guten Absichten kommunizieren, sondern auch danach handeln. Auf diese Weise sollen sich Organisationen der Bedürfnisse der Teilöffentlichkeiten bewusst werden und auf diese eingehen. Je nachdem, in welchem Zustand sich die Beziehung befindet, müssen Strategien entwickelt oder angepasst werden, die auf den Bedürfnissen und Erwartungen der Beziehungspartner*innen basieren (Bruning, 2001, S. 9). Im siebten Axiom postuliert Bruning (2001, S. 10), dass die Kommunikation zwischen einer Organisation und ihren Teilöffentlichkeiten sowohl eine inhaltliche als auch eine relationale Dimension hat. Wie auch bei der interpersonalen Kommunikation bezieht sich die inhaltliche Dimension auf die Erwartungen der Organisation an sich selbst und an die Teilöffentlichkeiten. Dagegen zielt die relationale Dimension auf die Definition
13Angesichts der Weiterentwicklung der technologischen Möglichkeiten im Internet und in den sozialen Medien muss dieses Axiom zumindest vor dem Hintergrund der Interaktivität moderner Plattformen hinterfragt werden (vgl. Abschnitt 3.2.4). So lassen sich beispielsweise Inhalte (z. B. Facebook-Posts) in den sozialen Medien verändern oder gänzlich löschen. Zahlreiche Studien belegen, dass das Löschen von Inhalten eine durchaus gängige Praxis ist (vgl. u. a. Almuhimedi et al., 2013; Child et al., 2012; Dekay, 2012; Raynes-Goldie, 2010; Wang et al., 2011). Es ist letztendlich eine Frage der Dynamik der Produktion und der Rezeption sowie der Zuverlässigkeit der Plattformbetreiber*innen, inwieweit die Kommunikation in den sozialen Medien dabei als irreversibel betrachtet werden kann.
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
43
der Beziehung zwischen der Organisation und ihren Teilöffentlichkeiten. Auch hier geht es um die Ergründung und das Verstehen von Erwartungen der Teilöffentlichkeiten. Organisationen können so einerseits das inhaltliche Verständnis ihrer Botschaften maximieren. Andererseits können sie relationale Botschaften auf Grundlage des Kontexts, der Art der Beziehung und der beteiligten Teilöffentlichkeiten anpassen (Bruning, 2001, S. 10). Das achte Axiom fordert, dass Beziehungen vor allem dem Zweck eines gemeinsamen Nutzens dienen sollten. Da sich der Fokus der PR von der reinen Verbreitung von Botschaften hin zum Beziehungsmanagement verlagert hat (vgl. Ledingham, 2001), sollten Organisationen prüfen, durch welche Aktivitäten und durch welchen Ressourceneinsatz sich die Beziehungen nachhaltig verbessern lassen. Demnach sollte es die Aufgabe der Forschung sein, neben der Betrachtung des Outputs auch den Outcome der Kommunikation im Sinne daraus resultierender Meinungen und Absichten zu untersuchen (Bruning, 2001, S. 10).14 Nach dem neunten Axiom bauen Organisationen und ihre Teilöffentlichkeiten verschiedene Arten von Beziehungen auf. Diese können sich in komplementären oder symmetrischen Beziehungen manifestieren. In einer komplementären Beziehung besitzt eine Seite eine Fähigkeit und/oder Ressource, die für die Befriedigung der Bedürfnisse oder Ziele der anderen Seite nützlich ist. Damit diese Art von Beziehung für beide Seiten vorteilhaft ist, ist es unerlässlich, dass „the benefits provided are consummate with expenditure“ (Bruning, 2001, S. 10).15 In einer symmetrischen Beziehung identifizieren sich beide Seiten in hohem Maße miteinander. Der Erfolg dieser Art der Beziehung besteht in der gegenseitigen Abhängigkeit voneinander. Beide Seiten verpflichten sich zu einer offenen und ehrlichen Art der Kommunikation und handeln so in beiderseitigem Interesse (Bruning, 2001, S. 10–11). Schließlich besagt das zehnte Axiom, dass sowohl die Organisationen als auch die Teilöffentlichkeiten Interaktionserwartungen haben. Beide Seiten erwarten beispielsweise bestimmte Kommunikationsformen und Interaktionsmuster. Dabei spielen technologiebasierte interaktive Kommunikationsformen (z. B. die Kommunikation
14Die Begriffe ‚Output‘ und ‚Outcome‘ stammen aus der PR-Evaluation. Sie beschreiben verschiedene Wirkungsstufen der Unternehmenskommunikation. Der Output bezieht sich im Kontext der vorliegenden Arbeit auf die Reichweite der Kommunikationsinhalte. Indikatoren diesbezüglich sind beispielsweise die Anzahl von Reaktionen auf einen Facebook-Post. Dagegen stehen beim Outcome die Meinungen und Absichten der Teilöffentlichkeiten im Vordergrund, was Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen einem Unternehmen und den Teilöffentlichkeiten zulässt (Rolke & Zerfaß, 2014, S. 872–878; vgl. auch Abschnitt 7.1.3). 15Brunig (2001, S. 10) spielt hier auf eine Art ‚Kosten-Nutzen-Abwägung‘ an, was einen rein rationalen Entscheidungsprozess suggeriert. In Anlehnung an die Soziologie und die Sozialpsychologie ist jedoch davon auszugehen, dass menschliche Entscheidungen sowohl von rationalen (rational choice) als auch von emotionalen (emotional choice) Faktoren beeinflusst werden (vgl. u. a. Barbalet, 1998; Elster, 2009; Frank, 2004; Williams, 2001).
44
2 Unternehmenskommunikation
in sozialen Netzwerken) eine immer größere Rolle, welche zu einer Veränderung der Erwartungshaltung beitragen. Dies erfordert eine stetige Anpassung der Botschaften. Auf diese Weise kann ein (echter) symmetrischer Zugang zu den Teilöffentlichkeiten entwickelt werden, der für beide Seite angemessen und effektiv ist (Bruning, 2001, S. 11). Diese zehn Axiome „provide a better understanding of the perceptual, evaluative, and behavioral influences that can affect the ways in which organization-public relationships are managed“ (Bruning, 2001, S. 11). Aus ihnen lassen sich u nmittelbar Implikationen für die empirische Untersuchung der dialogorientierten Unternehmenskommunikation in den sozialen Netzwerken ableiten. Die folgenden als Thesen formulierten Implikationen spannen gleichzeitig den Erwartungshorizont dieser Arbeit auf: • Beziehungen verändern sich stetig. Die Forschung ist somit dazu aufgefordert, langfristige Entwicklungen stärker in den Blick zu nehmen (z. B. durch Längsschnittstudien). • Beziehungen beruhen auf gegenseitiger Abhängigkeit. Um sie erforschen zu können, müssen die Perspektive der Unternehmen (Mesoebene), die Perspektive der Teilöffentlichkeiten (Makroebene) sowie die Perspektive der Kommunikator*innen (Mikroebene) berücksichtigt werden. • Beziehungen werden von außen beeinflusst und passen sich nach innen und außen an. Daher müssen Variablen einbezogen werden, welche diese Einflüsse erklären können (z. B. die Unternehmenskultur). • Beziehungen dienen einem gemeinsamen Nutzen. Dieser Nutzen kann auf verschiedenen Ebenen untersucht werden (z. B. Output und Outcome). • Beziehungen basieren auf Interaktion. Die Forschung muss somit die Rolle interaktiver Kommunikationsmöglichkeiten (z. B. von sozialen Netzwerken) und die Auswirkungen auf die Beziehungen stärker ins Visier nehmen. Unter Berücksichtigung der Axiome und der Implikationen für die Forschung wird zur empirischen Untersuchung von Unternehmensbeziehungen eine von Coombs und Holladay (2015, S. 691) vorgeschlagene prozessorientierte Betrachtung angestrebt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei besonders auf dem Prozess der Interaktion zwischen den Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten. So soll auch sichergestellt werden, dass die Teilöffentlichkeiten nicht als passive Rezipient*innen, sondern als in einem interaktiven Kommunikationsprozess stehende, gleichberechtigte Kommunikationspartner*innen betrachtet werden (Gronstedt, 1997, S. 39). Aus Sicht der Unternehmenskommunikation drängt sich schließlich die Frage auf, wie dieser Prozess der Interaktion organisationsseitig gesteuert werden kann.
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
45
Beziehungsmanagement als Aufgabe der Public Relations Vor dem Hintergrund des Managementprozesses umfasst die Interaktion zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten Aufgaben der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle, mit denen sich vor allem die Public Relations beschäftigen (Bruhn, 2006, S. 107; Grunig, 2006, S. 158–159; Ledingham & Bruning, 1998, S. 56; Mast, 2019, S. 319–322; Meckel & Will, 2008, S. 293). Damit rücken die „specific means by which partners manage to sustain long-term well-functioning, relationships“ (Rusbult et al., 2001, S. 96) in den Vordergrund. Dies wird in der Literatur mit den Begriffen ‚Beziehungsmanagement‘ oder ‚Beziehungspflege‘ umschrieben. Die Beziehungspflege wird dabei als Teil des organisationalen Beziehungsmanagements betrachtet, welcher neben der Pflege bestehender Beziehungen vor allem auch auf den Aufbau neuer Beziehungen zielt. Karmasin und Weder (2014, S. 90) heben im Rahmen des Stakeholder-Managements hervor, dass es beim Beziehungsmanagement nicht nur um die einseitige Vermittlung von Interessen oder Informationen durch die Organisationen gehen sollte, sondern auch um die Berücksichtigung der Interessen und Erwartungen der Teilöffentlichkeiten. Auch seitens der Teilöffentlichkeiten wächst damit die Verantwortung für ein funktionierendes Beziehungsmanagement. In Anlehnung an Gottwalds (2006) netzwerkorientiertes Verständnis von Beziehungen bedeutet Beziehungsmanagement aus Sicht der Unternehmenskommunikation: • „Kommunikative Koordination zwischen autonomen Akteuren zur Erreichung gemeinsamer Resultate, • freiwillige, reziproke, horizontale Muster von Kommunikation und Austausch, • Entwicklung von Managementkonzepten für diffuse, informelle Strukturen und einen starken Einfluss von Personen (Personalisierung), • [k]ommunikativer Erhalt der Relationen bei unterschiedlichen Formen der Stabilität von Beziehungszusammenhängen, unterschiedlichem Organisationsgrad der Beziehungen zu den jeweils einzelnen Stakeholdern (von flüchtigen Allianzen über Austauschnetzwerke bis hin zu stabilen, institutionalisierten Netzwerken)“ (Karmasin & Weder, 2014, S. 90). In dieser „Idee dialogischer Kollaboration“ (Karmasin & Weder, 2014, S. 90) wird die Verbindung von Beziehungsmanagement zu symmetrischen und verständigungsorientierten Modellen der Public Relations evident. Damit das Beziehungsmanagement erfolgreich ist, muss der Kommunikationsprozess symmetrisch gelagert sein und auf Freiwilligkeit basieren. Nur auf diese Weise dient das Beziehungsmanagement letztendlich auch der Legitimation der Organisation (Karmasin & Weder, 2014, S. 90). Der Managementprozess trägt also nicht primär zum Erreichen von Unternehmenszielen durch Information und Persuasion bei, sondern „establishes and maintains mutually
46
2 Unternehmenskommunikation
beneficial relationships between an organization and the publics on whom its success or failure depends“ (Cutlip et al., 2006, S. 5). Die Betonung liegt auf dem gemeinsamen Nutzen, den sowohl die Unternehmen als auch die Teilöffentlichkeiten aus einer funktionierenden Beziehung ziehen können und der als normativer Bezugsrahmen für die Public Relations dienen soll. Auf Basis der Vorüberlegungen zum Relational Turn, zum grundlegenden Begriffsverständnis und zur Managementperspektive wird der Begriff des ‚Beziehungsmanagements‘ im Kontext dieser Arbeit aus der Sicht der Public Relations wie folgt definiert: Beziehungsmanagement
Das Beziehungsmanagement umfasst die Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle von strategisch gewählten Maßnahmen für den Aufbau und die Pflege von langfristigen Beziehungen zwischen einer Organisation und ihren Teilöffentlichkeiten. Eine Beziehung beschreibt dabei den Prozess, in dem die beteiligten Beziehungspartner*innen freiwillig miteinander in Interaktion treten und basierend auf ihren jeweiligen Erwartungen Einfluss aufeinander ausüben. Das normative Ziel des Beziehungsmanagements ist es, durch symmetrische und verständigungsorientierte Kommunikationsformen einen gemeinsamen Nutzen für die Beziehungspartner*innen zu schaffen.
2.4.2 Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen Die Hauptaufgabe des Beziehungsmanagements in den Public Relations liegt darin, die Interessen der Organisation und ihrer Teilöffentlichkeiten auszubalancieren, wobei im Idealfall ein gemeinsamer Nutzen angestrebt werden soll. Für die empirische Untersuchung dieses Prozesses wird damit das Konzept der Organisations-TeilöffentlichkeitsBeziehung (OTB)16 relevant: „The appropriate unit of measurement of public relations impact is the organization-public relationship“ (Ledingham, 2003, S. 188). Lange fehlte es der Forschung jedoch an einer belastbaren theoretischen Basis und konzeptuellen Definition (Broom et al., 1997, S. 96; Huang, 2001, S. 64; Ledingham & Bruning, 1998, S. 56). Wichtige Meilensteine stellen unter anderem die Modelle von Broom et al. (1997, 2000) sowie Grunig und Huang (2000) dar. Sie machten mit ihren Überlegungen zu den Einflussfaktoren (z. B. Wahrnehmungen, Motive, Bedürfnisse, Verhaltensweisen),
16Das aus der US-amerikanischen Forschung stammende Konstrukt der Organization-Public Relationships (OPRs) (vgl. u. a. Broom et al., 2000; Ledingham, 2003; Ledingham & Bruning, 1998) wird in dieser Arbeit mit dem Begriff ‚Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen‘ (OTBs) übersetzt. Dies hat keinen Einfluss auf die im Konzept verankerten inhaltlichen Teildimensionen.
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
47
Zuständen (z. B. Formen, Teildimensionen, Strategien) und zu der Qualität (z. B. Output, Outcome) OTBs für die PR-Forschung greifbarer. Eine wegweisende Studie stammt schließlich von Ledingham und Bruning (1998). Sie definieren OTBs als „the state that exists between an organization and its key publics in which the actions of either entity impact the economic, social, political and/or cultural well-being of the other entity“ (Ledingham & Bruning, 1998, S. 62). Diese Definition soll auch für den Forschungskontext dieser Arbeit gelten. Auf Basis von qualitativen Vorstudien erarbeiteten Ledingham und Bruning (1998, S. 59–64) insgesamt fünf grundlegende Teildimensionen von OTBs, die anschließend in einer quantitativen Befragung validiert wurden: Vertrauen (trust), Offenheit (openness), Involvement (involvement), Investment (investment) und Verbundenheit (commitment). Ledingham und Bruning (1998) stellen damit 14 Jahre nach dem durch Ferguson (1984) eingeläuteten Paradigmenwechsel erstmals einen empirisch operationalisierbaren Zugang zu den Beziehungen von Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten zur Verfügung. In der PR-Forschung wurde das Konzept breit aufgegriffen, was zu einem rasanten Anstieg von Studien zu OTBs führte (vgl. Cheng, 2018; Heath, 2001; Huang & Zhang, 2013, 2015; Ki & Shin, 2006, 2015; Pasadeos et al., 2010). Dabei wurden weitere Instrumente zur Erfassung der Teildimensionen und Qualität von OTBs zum Ziel der genaueren Beschreibung von Beziehungen von Organisationen zu ihren Teilöffentlichkeiten entwickelt (vgl. Bruning & Galloway, 2003; Bruning & Ledingham, 1998; Grunig & Huang, 2000; Hon & Grunig, 1999; Huang, 2001; Jo, 2006; Ki & Hon, 2006; Ledingham, 2003; Ledingham et al., 1997).17 Kritische Perspektiven und Limitationen des Konzeptes Die Kritik am Konzept der OTBs lässt sich im Wesentlichen an vier Punkten festmachen (Broom et al., 1997, S. 92; Cheng, 2018, S. 124–130; Huang & Zhang, 2015, S. 4): So ist erstens zu kritisieren, dass der Beziehungsbegriff unter Annahme einer einheitlichen Bedeutung häufig nicht weiter geklärt wird, was auch eine zu idealistische Sichtweise auf das Ziel des gegenseitigen Nutzens nach sich zieht. Zweitens ist in der Forschung eine Tendenz zur Verwechslung relevanter Konstrukte (z. B. Einflussvariablen, Teildimensionen) zu beobachten. Drittens werden Beziehungen meist als nur zweiseitige Konstellationen betrachtet und komplexere Einflüsse weiterer Beziehungspartner*innen ignoriert. Schließlich konzentriert sich viertens ein Großteil der Forschung auf die
17Die in der Literatur teils synonymen und nicht trennscharf verwendeten Bezeichnungen für die Teildimensionen (z. B. trust, openness, involvement, investment, commitment), Strategien (z. B. access, positivity, openness, assurances of legitimacy, networking, sharing of tasks) und Outcomes (z. B. trust, control mutuality, relationship satisfaction, relationship commitment, exchange relationship, communal relationship) werden übersetzt, sofern die Originalbezeichnung nicht auch in der deutschsprachigen Fachliteratur üblich ist.
48
2 Unternehmenskommunikation
situationale Beschreibung der Prozesse, durch die Beziehungen aufgebaut werden, und weniger auf langfristige Zustände der Beziehungen, die durch den Prozess im Sinne eines Outcomes erreicht werden. Es leuchtet ein, dass im Rahmen einer einzigen Studie nicht auf alle Limitationen der bisherigen Forschung eingegangen werden kann. Nichtsdestoweniger sollen einige dieser Kritikpunkte in dieser Arbeit gezielt adressiert oder zumindest im Nachgang reflektiert werden (vgl. Abschnitt 9.3). Outcomes von Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen Da Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten ein Ergebnis der Kommunikation darstellen, werden OTBs im Kontext dieser Arbeit als abhängige Variable betrachtet. Es bietet sich folglich an, einen solchen Zugang zu wählen, bei dem OTBs als Outcome (und weniger als der bloße Prozess) des Beziehungsmanagements aufgefasst werden. Damit wird auch der Forderung nachgekommen, über eine reine Prozessbeschreibung hinauszugehen (vgl. Broom et al., 1997, S. 92; Huang & Zhang, 2015, S. 4). Einen aussichtsreichen Ansatz, der diese Voraussetzungen erfüllt, bieten Hon und Grunig (1999). Sie bauen ihren Zugang zu OTBs über die vier Teildimensionen Vertrauen (trust), Gleichberechtigung (control mutuality), Verbundenheit (commitment) und Zufriedenheit (satisfaction)18 als „outcomes of an organization‘s relationship with key constituencies“ (Hon & Grunig, 1999, S. 3) auf. Ihr Zugang ist – wie bei vielen anderen auch – in der interpersonalen Kommunikation verankert und wurde in zahlreichen Studien erfolgreich aus Perspektive der Organisationen und Teilöffentlichkeiten im ForProfit- und Non-Profit-Bereich angewendet. Auch die Reliabilität der Skala wurde mehrfach bestätigt (vgl. Tabelle 2.3). Die Teildimension des Vertrauens (trust) spielt sowohl in der interpersonalen (vgl. Canary & Cupach, 1988) als auch in der Unternehmenskommunikation (vgl. Rawlins, 2008) eine wichtige Rolle. Vertrauen gilt dabei als wichtige Voraussetzung für die Reputation von Organisationen (vgl. u. a. Hong & Yang, 2009; Yang, 2007). Es wird verstanden als „one party’s level of confidence in and willingness to open oneself to the other party“ (Hon & Grunig, 1999, S. 19). Das Vertrauen in die Beziehung zwischen einer Organisation und ihren Teilöffentlichkeiten beeinflusst dabei vor allem die Verbundenheit und das Verhalten (vgl. u. a. Hong & Cha, 2013; Jo, 2018; Kang, 2014; Ki & Hon, 2007; Morgan & Hunt, 1994). Die Teildimension der Gleichberechtigung (control mutuality) bezieht sich darauf, dass sich alle Beziehungspartner*innen bewusst sind, dass sie eine gewisse ‚Macht‘ in der Beziehung haben (vgl. Grunig & Huang, 2000). Gleichberechtigung lässt sich in diesem Kontext definieren als „the degree to which parties agree on who has rightful power to influence one another“ (Hon & Grunig, 1999, S. 19). An dieser Stelle sei die Verankerung des Konzeptes in der interpersonalen Kommunikation betont. Gleichberechtigung bezieht sich hier ganz ähnlich auf das Ausmaß, in dem sich beide Parteien
18Die
Übersetzung der Teildimensionen wurde in Anlehnung an Burger (2011) gewählt.
2.4 Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
49
darüber einig sind, wer das Recht hat, die andere Partei zu beeinflussen (Canary et al., 2002, S. 397). Die PR-Forschung zeigt dabei, dass der Grad der Gleichberechtigung das Verhalten der Teilöffentlichkeiten sowie andere Outcomes wie Vertrauen, Verbundenheit und Zufriedenheit vorhersagt (vgl. u. a. Bortree, 2010; Dhanesh & Duthler, 2019; Jo, 2018; Sargeant & Lee, 2004; Sisson, 2017; Waters & Bortree, 2010). Tabelle 2.3 Ausgewählte OTB-Studien und Reliabilität der OTB-Teildimensionen. (Quelle: eigene Darstellung und Ergänzung nach Huang und Zhang (2015, S. 12–13)) Reliabilitätswerte (Cronbachs α) der OTB-Teildimensionen Autor*innen
Perspektive
Sektor
Vertrauen
GleichVerbundenberechtigung heit
Zufriedenheit
Huang, 2001
Organisation
Non-Profit
.71 .75
.58 .73
.73 .72
.79 .74
For-Profit
.79
.55
.75
.85
Jo & Kim, 2003 Teilöffentlichkeiten Jo et al., 2004
.86
.85
.84
.88
Yang & Grunig, Teilöffentlichkeiten Non-Profit 2005 und For-Profit
Teilöffentlichkeiten Non-Profit
.74 bis .79
.66 bis .72
.75 bis .80
.73 bis .80
Jo, 2006
.79 .86
.86 .84
.79 .73
.78 .80
Ki & Hon, 2007 Teilöffentlichkeiten Non-Profit
.88
.87
.86
.89
Ki & Hon, 2009 Teilöffentlichkeiten Non-Profit
.93
.93
.90
.92
Bortree, 2010
Teilöffentlichkeiten Non-Profit
.80
.82
.83
.85
Seltzer & Zhang, 2011
Teilöffentlichkeiten Non-Profit
.84
.79
.85
.81
Shen & Kim, 2012
Teilöffentlichkeiten For-Profit
.80
.68
.86
.91
Saffer et al., 2013
Teilöffentlichkeiten For-Profit
.87
.75
.90
.94
Men & Stacks, 2014
Organisation
.92
.91
.88
.87
Grunig & Teilöffentlichkeiten Non-Profit Hung-Baesecke, und 2015 For-Profit
.90
.91
.87
.89
Men & Tsai, 2015b
Teilöffentlichkeiten For-Profit
.74
.92
.81
.89
Lian & Yoong, 2017
Teilöffentlichkeiten For-Profit
.84
.91
.89
–
Jo, 2018
Teilöffentlichkeiten Non-Profit
.94
.81
.79
.75
Teilöffentlichkeiten For-Profit und Organisation
For-Profit
50
2 Unternehmenskommunikation
Die Teildimension der Verbundenheit (commitment) wird definiert als „the extent to which one party believes and feels that the relationship is worth spending time to maintain and promote“ (Hon & Grunig, 1999, S. 20). Dabei geht es sowohl um die Kontinuität als auch um affektive beziehungsweise emotionale Aspekte des Beziehungsmanagements (vgl. Grunig & Huang, 2000). Im Kontext der Public Relations hat die Forschung gezeigt, dass das Ausmaß der Verbundenheit das Verhalten der Teilöffentlichkeiten beeinflusst und mit Vertrauen und Gleichberechtigung im Zusammenhang steht (vgl. u. a. Bortree, 2010; Harrison et al., 2017; Jo, 2018; Ki & Hon, 2007). Schließlich ist der Grad der Beziehungszufriedenheit eine der wichtigsten Voraussetzungen für funktionierende Beziehungen in der interpersonalen Kommunikation (vgl. Canary & Stafford, 1992; Dainton et al., 1994; Hendrick, 1988). Die Teildimension Zufriedenheit (satisfaction) lässt sich hier als „the extent to which one party feels favorably toward the other because positive expectations about the relationship are reinforced“ (Hon & Grunig, 1999, S. 20) verstehen. Dabei konnte für die Public Relations empirisch aus Sicht der Teilöffentlichkeiten nachgewiesen werden, dass der Grad an Zufriedenheit ein starker Prädiktor für Vertrauen und die Beziehungsqualität ist und sich positiv auf das Verhalten der Teilöffentlichkeiten auswirkt (vgl. u. a. Bortree & Waters, 2008; Jo, 2018; Kang, 2014; Ki & Hon, 2007). Die beschriebenen Teildimensionen dienen im weiteren Verlauf dieser Arbeit zur Operationalisierung der Outcomes von OTBs (vgl. Abschnitt 7.1.3, 8.1.2). Inwieweit die Online-Kommunikation von Unternehmen dabei unter anderem von den verschiedenen Funktionen der sozialen Medien profitiert und welche Rolle die Interaktivität der Plattform Facebook spielt, wird im folgenden Kapitel erläutert. Zunächst werden jedoch die zentralen theoretischen Befunde zu den Rahmenbedingungen der Unternehmenskommunikation zusammengefasst.
2.5 Zentrale theoretische Befunde zur Unternehmenskommunikation Dieses Kapitel hat gezeigt, wie heterogen der Zugang zur Unternehmenskommunikation und ihren Teilbereichen ist. Das Ziel war es dabei, grundlegende Begriffe im Kontext der Unternehmenskommunikation zu definieren und diese Arbeit disziplinär zu verorten. Zudem wurde die Relevanz von unterschiedlichen Analyseebenen (Makroebene, Mesoebene, Mikroebene) und ihren Verbindungen herausgearbeitet. Dadurch und durch die gezielte Fokussierung auf Public Relations und das Beziehungsmanagement konnte ein erster Grundstein für den analytischen Bezugsrahmen gelegt werden. Nachfolgend werden die zentralen theoretischen Befunde dieses Kapitels noch einmal thesenartig zusammengefasst: • Die Unternehmenskommunikation ist eine Form der Organisationskommunikation. Sie findet mit verschiedenen Teilöffentlichkeiten im gesellschaftspolitischen Umfeld des Unternehmens vor dem Hintergrund der strategischen Unternehmensziele statt.
2.5 Zentrale theoretische Befunde zur Unternehmenskommunikation
51
• Unternehmenskommunikation ist nach innen (interne Kommunikation) und nach außen (externe Kommunikation) gerichtet. Sie kann daher aus der Meso-Mikro-Perspektive in Bezug auf Fragen der sozialen Integration oder aus der Meso-Makro-Perspektive im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration betrachtet werden. Zudem ermöglicht die Meso-Meso-Perspektive eine vergleichende Sichtweise zwischen verschiedenen Organisationen oder den Vergleich im zeitlichen Verlauf. • Im Verständnis der Theorie der integrierten Unternehmenskommunikation lassen sich Public Relations, Marketing und interne Kommunikation als Teilbereiche der Unternehmenskommunikation ausdifferenzieren. Kommunikationstheoretische und sozialtheoretische Zugänge finden dadurch ebenso Berücksichtigung wie betriebswirtschaftliche Perspektiven. Alle drei Bereiche haben gleichermaßen Einfluss auf das kommunikative Auftreten eines Unternehmens. Dabei ist der Bereich der Public Relations besonders für das Beziehungsmanagement eines Unternehmens von Bedeutung. • Public Relations können durch gesellschaftsbezogene und organisationsbezogene Modellentwürfe erfasst werden. Dieser Arbeit liegt hinsichtlich ihrer makrotheoretischen Verankerung ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das durch Überlegungen aus strukturationstheoretischen Entwürfen ergänzt wird. Auf diese Weise lassen sich Unternehmen, ihre gesellschaftliche Umwelt, einzelne Akteur*innen sowie relevante Interaktionsprozesse analytisch ergründen. • Der gesellschaftsbezogene Zugang erfolgt über den Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit. Sie dient der Untersuchung der Meso-Mikro-Perspektive. Dagegen wird die Meso-Makro-Perspektive über den organisationsbezogenen Zugang im Modell der Symmetrischen Kommunikation ergründet. Beide Ansätze beschreiben Public Relations aus einer ethisch-normativen Sichtweise, was als limitierender Faktor betrachtet werden soll. • Das Management der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten ist eine zentrale Aufgabe der Public Relations und damit eine wichtige Bezugsgröße der Unternehmenskommunikation. Beziehungen sind ein Konzept der interpersonalen Kommunikation. Wird das Konzept auf Organisationen und ihre Teilöffentlichkeiten übertragen, ergeben sich wichtige Implikationen für die Forschung, wie die stärkere Berücksichtigung interaktiver Prozesse, die Verlagerung des Fokus auf Beziehungsoutcomes, die Betrachtung von langfristigen Entwicklungen sowie die Berücksichtigung von Einflussvariablen. • Das Konzept der Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen (OTBs) ermöglicht einen operationalisierbaren Zugang zum Beziehungsmanagement von Unternehmen. Relevante Teildimensionen sind in diesem Zusammenhang Vertrauen, Gleichberechtigung, Verbundenheit und Zufriedenheit.
52
2 Unternehmenskommunikation
Forschungsziel 1
Auf Basis der theoretischen Befunde zur Unternehmenskommunikation ist es das Ziel dieser Arbeit, das Beziehungsmanagement von Unternehmen in den sozialen Medien zu erforschen. Dabei wird eine strikte konzeptuelle und analytische Trennung zwischen den Teildimensionen und Einflussfaktoren von OTBs gewährleistet. Zudem werden auf Basis einer Output- und Outcome-orientierten Betrachtung Aussagen über die Qualität der zu untersuchenden OTBs getroffen. Durch eine langfristige Betrachtung der Dialogorientierung in der Unternehmenskommunikation sollen ferner Implikationen für die Erforschung von OTBs in ähnlichen Längsschnittstudien erarbeitet werden (vgl. Kapitel 6).
Diese Grundlagen und forschungsleitenden Annahmen dienen im weiteren Verlauf als theoretisches und empirisches Fundament für die Online-Kommunikation von Unternehmen (Kapitel 3) und für die dialogorientierte Unternehmenskommunikation (Kapitel 4). Im folgenden Kapitel wird aufgezeigt, dass die Online-PR durch technologische Fortschritte und veränderte Nutzungsgewohnheiten der Nutzer*innen ein immer relevanterer Bereich der Unternehmenskommunikation wird und auf diese Weise maßgeblich zur Wahrnehmung von Unternehmen durch die Teilöffentlichkeiten beiträgt.
3
Online-Kommunikation von Unternehmen
Seit Mitte der 1990er Jahre ist eine beschleunigte Veränderung der Medienlandschaft und in Verbindung damit auch der Kommunikationswissenschaft zu beobachten (Neuberger, 2015, S. 21). Besonders das Internet und Fortschritte in der mobilen Kommunikation (vgl. Wolf, 2014, S. 26–59) sind prägend für aktuelle gesellschaftliche Kommunikationsprozesse, was den Fokus der Forschung zunehmend auf die OnlineKommunikation gelenkt hat. Online-Kommunikation beschreibt hier „die Gesamtheit netzbasierter Kommunikationsdienste, die den einzelnen Kommunikationspartner via Datenleitung potenziell an weitere Partner rückkoppeln und ein ausdifferenziertes Spektrum verschiedenartiger Anwendungen erlauben“ (Rössler, 2003, S. 506). Der beschriebene Wandel ist aus der gemeinhin anerkannten Perspektive des Sozialkonstruktivismus (vgl. u. a. Bijker et al., 1987; Bijker & Law, 1992; MacKenzie & Wajcman, 1999; Pinch & Bijker, 1984; Williams, 1997; Williams & Edge, 1996) auf soziale Anpassungsprozesse im Zuge neuer technologischer Entwicklungen zurückzuführen (Müller, 2016, S. 42; vgl. auch Hickethier, 2003; Lange & Seeger, 1997; Neverla, 1998). Wesentlich für den Bedeutungszuwachs des Internets als Kommunikationsmedium sind also einerseits der technische Fortschritt im Zuge der Digitalisierung, andererseits aber auch individuelle Entscheidungen bei der Mediennutzung (Dogruel, 2012, S. 346–358; Latzer, 2013, S. 248–249). Der Wandel von öffentlichen Kommunikationsprozessen stellt vor allem für die Unternehmenskommunikation eine Herausforderung dar, da sich dadurch parallel zu den gesellschaftlichen Entwicklungen auch die Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten und Distributionslogiken von Unternehmen grundlegend verändert haben (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 733; Rommerskirchen, 2019, S. 55; Röttger et al., 2018, S. 178; Will & Porak, 2000, S. 195; Zerfaß, 2010, S. 418). Die Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen treten dabei zunehmend in den Hintergrund, wohingegen die Kommunikation eine Aufwertung erfährt. Schon früh erkannten Forschung und Praxis, © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_3
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3 Online-Kommunikation von Unternehmen
dass die Online-Kommunikation einen bedeutenden Erfolgsfaktor bei der Aktivität von Unternehmen im Internet darstellt (Breuer & Brenner, 2004, S. 246; Will & Porak, 2000, S. 195). Das Internet und seine verschiedenen Anwendungen, zu denen beispielsweise auch die sozialen Medien gehören, tragen also mit Blick auf die eben angeführte Definition von Online-Kommunikation maßgeblich zu einer zunehmenden Vernetzung zwischen den beteiligten Kommunikationspartner*innen bei. In Anbetracht der in Kapitel 2 erarbeiteten Grundlagen ist folglich anzunehmen, dass sich durch die Online-Kommunikation auch die Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten nachhaltig verändern. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen war es vor allem die PR-Forschung, die das Potenzial des Internets „as a tool for dialogue and two-way communication“ (Kelleher, 2009, S. 172) hervorhob. Bevor das hier angedeutete Konzept des Dialoges beziehungsweise der Dialogorientierung ausführlicher diskutiert werden kann (vgl. Kapitel 4), ist es erforderlich, genauer auf die OnlinePR als Subsystem der Public Relations einzugehen. Angesichts dieser grundsätzlichen Überlegungen ist es das Ziel dieses Kapitels, die Rahmenbedingungen der Online-Kommunikation von Unternehmen zu beleuchten. Dazu werden zunächst relevante Veränderungen auf gesellschaftlicher und technologischer Ebene betrachtet (Abschnitt 3.1). So soll gezeigt werden, dass die Digitalisierung und der Medienwandel zu einer veränderten Mediennutzung seitens der Unternehmen (Mesoebene) und der Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten (Makroebene) geführt haben. Insbesondere wird hierbei auf die Relevanz der sozialen Medien fokussiert. Darauf aufbauend erfolgt ein tieferer Einblick in die Online-PR (Abschnitt 3.2), wobei vor dem Hintergrund der verschiedenen Typen und Instrumente der Online-PR die spezielle Rolle von Facebook als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit erschlossen werden soll. In diesem Zusammenhang wird auch näher auf das Potenzial der sozialen Medien für die Interaktion zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten eingegangen.
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation Die Unternehmenskommunikation und die Public Relations sind keine statischen Gebilde, sondern passen sich seit jeher an ihre gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen an. So kann beispielsweise das einflussreiche Modell der Symmetrischen Kommunikation auch als Folgemodell des Informationsmodells und des Modells der Asymmetrischen Kommunikation betrachtet werden (Grunig & Hunt, 1984, S. V). Nach Auffassung von Grunig und Hunt (1984, S. 25–43) sind ihre einflussreichen Vier Modelle der Public Relations ohnehin als historische Entwicklung zu verstehen, wobei sie das Publicity-Modell im Zeitraum zwischen 1850 und 1900 und das Informationsmodell zwischen 1900 und den 1920er Jahren verorten. Das Modell der Asymmetrischen Kommunikation dominiert schließlich bis weit in die 1960er und 1970er Jahre, bis es
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
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durch das Modell der Symmetrischen Kommunikation abgelöst wird. Einschränkend muss hier jedoch angemerkt werden, dass die Übergänge dieser Phasen beziehungsweise Modelle fließend sind und dass sie eine belegbar historische Verankerung vermissen lassen (Faulstich, 2000, S. 14). Vor allem muss auch hinsichtlich der Entwicklung einer symmetrischen Kommunikationskultur eingestanden werden, dass „even today practitioners are only beginning to adopt it“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 25). Auch für die Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland gibt es periodische Ansätze, welche die Einflüsse der Makroebene auf das System der Public Relations verdeutlichen (vgl. u. a. Bentele, 1997b; Bentele, 2013; Szyszka, 2009b, 2011a, 2011b). Bentele (2013, S. 221) identifiziert beispielsweise auf der Grundlage einer historischen Fundierung neben einer vorgeschichtlichen Phase insgesamt sieben Perioden der PR (vgl. Tabelle 3.1).
Tabelle 3.1 Entwicklungsphasen der Public Relations in Deutschland. (Quelle: eigene Darstellung nach Bentele (2013, S. 221) und Röttger et al. (2018, S. 28)) Entwicklungsphase
Zentrale gesellschaftliche Prozesse
Vorgeschichte
• staatliche Pressepolitik, funktionale Public Relations • Entwicklung eines Instrumentariums
1. Periode (ca. 1850–1918): Entstehung des Berufes
•E ntwicklung erster Presseabteilungen in Politik und Wirtschaft • Kriegspressearbeit
2. Periode (1918–1933): • Ausbreitung von Presseabteilungen in diversen gesellschaftKonsolidierung und Wachstum lichen Bereichen •P R-Abteilungen (z. B. in Wirtschaft, Politik, kommunalen Verwaltungen) 3. Periode (1933–1945): NS-Pressearbeit
• p arteiideologisch dominierte Pressearbeit im Zuge politischer Propaganda • s taatliche und parteiliche Lenkung von Journalismus und Pressearbeit
4. Periode (1945–1958): Neubeginn und Aufschwung
• Aufschwung und Orientierung an amerikanischen Vorbildern • Entwicklung eines beruflichen Selbstverständnisses • schnelle Entwicklung des Berufsfeldes (v. a. in der Wirtschaft)
5. Periode (1958–1985): • Entwicklung eines beruflichen Selbstbewusstseins Konsolidierung des Berufsfelds • Gründung des Berufsverbands DPRG • Beginn der außerakademischen Aus-/Weiterbildung 6. Periode (1985–1995): Boom des Berufsfeldes, Professionalisierung
• starke Entwicklung des PR-Agentursektors • Akademisierung und Professionalisierung des Berufsfeldes • Verwissenschaftlichung und akademische PR-Ausbildung
7. Periode (1995 bis heute): • Auswirkungen der Digitalisierung auf die OrganisationsEinfluss des Internets, kommunikation Globalisierung, soziale Medien • I nternationalisierung der Kommunikation, Ausbildung und Forschung
56
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Diese Entwicklung zeigt, dass die Digitalisierung einen wichtigen Transformationsprozess auf der Makroebene darstellt, der sowohl die Praxis als auch die Erforschung der Public Relations nachhaltig prägt. Die Entwicklung der Public Relations gilt generell als ein „ethical and technological maturation process“ (Hoy et al., 2007, S. 192) und ist somit unmittelbar an den technologischen Fortschritt gekoppelt. Aber nicht nur die Unternehmenskommunikation durchlebt auf diese Weise einen Wandel, auch für die Teilöffentlichkeiten eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Interaktion mit den Unternehmen, denn „[z]u den massenmedial vermittelten Formen der Öffentlichkeit haben sich neue digitale Öffentlichkeitsformen hinzugesellt, zur einseitigen Medienkommunikation sind erweiterte sequentielle Interaktionsmodi hinzugetreten“ (Hahn et al., 2015, S. 13). Aus diesem Grund scheint es lohnend, sich mit der Digitalisierung als dem wichtigsten Transformator der Public Relations mit Blick auf die Potenziale der dialogorientierten Online-Kommunikation zu beschäftigen. Jedoch sei an dieser Stelle betont, dass makrotheoretische Annäherungsversuche über Ontologien wie den Medienwandel oftmals aufgrund ihrer Normativität, ihrer nur schwierigen Nachweisbarkeit und ihrer oftmals starken Übergewichtung kritisch zu betrachten sind (Schultz & Wehmeier, 2010, S. 411; Winkler & Pleil, 2019, S. 453). Hinzu kommt, dass die Digitalisierung nicht der einzige Einflussfaktor ist, der die PR und die Unternehmenskommunikation besonders prägt. Beispielsweise identifizieren Röttger et al. (2018, S. 41–50) mit der Globalisierung und der Medialisierung mindestens zwei weitere zentrale Rahmenbedingungen. Schnell wird klar, dass Systeme wie Public Relations einem komplexen Geflecht aus gesellschaftlichen Einflüssen auf der Makroebene unterliegen. Jedoch weisen Winkler und Pleil (2019, S. 453) auch darauf hin, dass ohne eine makrotheoretische Anbindung durch derartige Ontologien ein analytischer Zugang zu Fragestellungen der Auswirkungen auf die Gesellschaft kaum möglich ist. Aus diesem Grund folgt diese Arbeit dem Ansatz von Winkler und Pleil (2019), die in Anlehnung an Baeckers (2007a, 2007b, 2007c, 2008, 2011a, 2011b) Entwürfe zu einer nächsten Gesellschaft1 einen dreiteiligen Zugang zur Online-Kommunikation identifizieren.2 So beschreiben Winkler und Pleil (2019, S. 456–468) neben einem nutzerzentrierten und datenzentrierten Entwurf insbesondere einen dominanten dialogzentrierten Entwurf der Online-Kommunikation. Dieser soll als Ausgangspunkt für die anschließende analytische Annäherung dienen (vgl. Kapitel 4).
1Die
nächste Gesellschaft wird als eine Weiterentwicklung der modernen Gesellschaft betrachtet. Sie „unterscheidet sich von der modernen Gesellschaft wie die Elektrizität von der Mechanik. Schaltkreise überlagern Hebelkräfte. Instantaneität erübrigt Vermittlung“ (Baecker, 2011a, S. 9). Ihre Strukturform „ist nicht mehr die funktionale Differenzierung, sondern das Netzwerk“ (Baecker, 2011a, S. 9). 2Vgl. ausführlich dazu auch Winkler, 2014.
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
57
Darüber hinaus bietet sich das Verständnis der deskriptiv-analytischen Gesellschaftstheorie als Fundament für diese Arbeit an, da durch einen derartigen Zugang eine normative Argumentation umgangen werden kann (Winkler & Pleil, 2019, S. 453). Dies lässt eine praxisorientierte Sichtweise auf die Dialogorientierung in der Organisationskommunikation im Internet und in den sozialen Medien zu. Zudem knüpft der Zugang aufgrund seiner systemtheoretischen Verankerung nahtlos an die bisherigen Ausführungen zur Unternehmenskommunikation (vgl. Abschnitt 2.1.4) beziehungsweise zu den Public Relations (vgl. Abschnitt 2.2.1) an. Die Systemtheorie ist hier auch entgegen der Kritik an ihrem Strukturkonservativismus durchaus „geeignet für die Erklärung gesellschaftlichen Wandels“ (Winkler, 2014, S. 21). Der Zugang ist schließlich robust gegenüber deterministischen Annahmen, da er keine starren Prognosen anstellt, „sondern allgemeiner von medienbedingten Fokusverlagerungen in gesellschaftlichen Kultur- und Strukturformen sowie damit einhergehenden Ambivalenzen ausgeht“ (Winkler & Pleil, 2019, S. 453). Zentral für den Ansatz ist demnach die Annahme, dass die moderne Gesellschaft auf technologischem Fortschritt und dem Bedeutungszuwachs der Massenmedien fußt (vgl. Baecker, 2007a). Damit geht vor allem eine nicht intendierte „Vergleichbarkeit und Kritisierbarkeit von Inhalten“ (Winkler & Pleil, 2019, S. 453) einher. Dies hat dazu geführt, dass die PR als Funktionssystem versucht, aus Sicht der Organisation „wünschenswerte Wirklichkeiten“ (Merten & Westerbarkey, 1994, S. 210) in die massenmediale Logik einzuspeisen. Winkler und Pleil (2019, S. 454) sehen darin auch den Grund dafür, warum Organisationen vor allem auf dialogorientierte Formen des Beziehungsmanagements zurückgreifen, auch wenn davon auszugehen ist, dass die Orientierung an der massenmedialen Logik nicht zuletzt durch die technologischen Rahmenbedingungen die „asymmetrische[n] Machtverteilungen zwischen Kommunikator und Publikum verfestigen“ (Winkler, 2014, S. 53). Im Gegensatz zur modernen Gesellschaft sind in der nächsten Gesellschaft, an deren Schwelle sich die Gesellschaft derzeit befindet, die digitalen Medien, vor allem aber der Computer, die Triebfeder des sozialen Wandels (vgl. Baecker, 2007a, 2007b). Der erreichte technologische Fortschritt eröffnet dabei die Möglichkeit, den „modernitätstypischen Überschuss an Vergleichbarkeit“ (Winkler, 2014, S. 40) zu bewältigen. Die Auslagerung und Automatisierung eines Teils der Kommunikation durch digitale Prozesse führen zu einer wachsenden Flexibilität und einer zunehmenden relationalen Netzwerkbildung (Winkler & Pleil, 2019, S. 454). Aus Sicht der Public Relations bedeutet dies, dass der Bedeutungszuwachs des Beziehungsmanagements (vgl. Abschnitt 2.4) auf die zunehmende Netzwerkbildung zurückzuführen ist. Dabei ergeben sich nach Winkler (2014, S. 272–284) drei übergeordnete Ebenen verschiedener struktureller Spannungsfelder für die OnlineKommunikation (vgl. Tabelle 3.2):
58
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Tabelle 3.2 Strukturelle Spannungsfelder netzwerkorientierter Online-Kommunikation. (Quelle: eigene Darstellung nach Winkler (2014, S. 283)) Ebene der Netzwerkbildung
Spannungsfelder auf organisationaler Ebene
informale Netzwerke
• Ausbildung mitunter parasitärer Eigendynamiken • erhöhte Außenöffnung und Visibilität im Internet • beschränkte formale Kontrolle der Organisationskultur
Netzwerke an Grenzstellen
• gesteigerte Beziehungs- und Vernetzungsanforderungen im Internet • Authentizitätszweifel als externes Druckmittel • beschränkte formale Kontrolle durch sogenannte ‚Social-MediaGuidelines‘
öffentliche Netzwerke
• notwendige Adaptionsbereitschaft an Eigendynamiken • erschwerter Zugriff bei fehlenden Reziprozitätserwartungen • algorithmische Verstärkung und Archivierung im Internet
Auf Ebene der informalen Netzwerke geht es vor allem um „abseits formaler Vorgaben flexible Quervernetzungen in der Organisation“ (Winkler, 2014, S. 273). Informale Strukturen wurden bereits in Zusammenhang mit der internen Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.2.3) und dem netzwerkorientierten Verständnis von Beziehungen (vgl. Abschnitt 2.4.1) diskutiert. Winkler (2014) weist hier auf potenzielle Eigendynamiken bei solchen Prozessen hin, die sich möglicherweise „aufgrund ihrer eigenen Reziprozitätserwartungen und Wertelogiken […] auch immer stärker von der formalen Organisation entkoppeln“ (Winkler, 2014, S. 275). Er relativiert damit die oftmalige Euphorie in Bezug auf den kollaborativen Charakter der sozialen Medien. Davon ausgehend besteht durch die zunehmende gesellschaftliche Beobachtbarkeit informaler Kommunikationsprozesse – beispielsweise durch die verschiedenen Partizipationsformen in den sozialen Medien – die Gefahr, dass interne Prozesse nach außen dringen, sich verselbstständigen und die eigentlich vorherrschende Organisationskultur die Steuerungshoheit verliert (Winkler, 2014, S. 275–276). Besonders das Social Media Management (vgl. u. a. Montalvo, 2011; Pein, 2015; van Looy, 2016) als Teil des Kommunikationsmanagements ist hier mit der Herausforderung konfrontiert, Strukturen zu schaffen, die eine effektive und effiziente Kollaboration der beteiligten Kommunikator*innen im Sinne der Organisationsziele ermöglichen. In Bezug auf die Netzwerke an Grenzstellen konstatiert Winkler (2014) eine Veränderung durch die Kommunikation im Internet und in den sozialen Medien: „Beziehungs- und Netzwerkpflege weitet sich nicht nur auf immer mehr Adressen aus. Sie wird dabei zunehmend auch von außen beobachtbar und beurteilbar“ (Winkler, 2014, S. 276) und folgt nicht nur mehr einer funktionalen Logik. Diese Veränderung wurde bereits im Kontext des Relational Turn skizziert (vgl. Abschnitt 2.4.1). Der Umstand erfordert seitens der Organisationen ein Umdenken und das Bereitstellen entsprechender Ressourcen, um Beziehungen an den Grenzstellen zu den verschiedenen Teilöffentlichkeiten nachhaltig pflegen zu können. Überdies erhöht beispielsweise die permanente Beobachtbarkeit der Kommunikation in den sozialen Medien den Druck auf
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
59
die Organisationen, die veränderte Erwartungshaltung der Teilöffentlichkeiten konstant zu bedienen (Winkler, 2014, S. 277–278). Je mehr die Unternehmen also im Internet und in den sozialen Medien aktiv sind, desto eher sind sie „auf eines ihrer ethischen Schlüsseldilemmata zurückgeworfen, nämlich, ob ihr Tun nun tatsächlich der Wahrung sozialer oder nicht doch nur organisationaler Interessen gelte“ (Winkler, 2014, S. 277). Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass Beziehungen im interpersonalen Sinne vor allem auf informalen Netzwerken basieren und daher nicht zwangsläufig mit übergeordneten Organisationsinteressen im Einklang stehen müssen (Winkler, 2014, S. 279). Dies ist insbesondere aus der Sicht des Kommunikationsmanagements relevant, da mit sogenannten ‚Social-Media-Guidelines‘ eine formale Kontrolle geschaffen werden soll, gleichzeitig jedoch die Dynamik des Internets und der sozialen Medien ein individuelles, situatives Agieren der Kommunikator*innen unabdingbar macht. Hinsichtlich der öffentlichen Netzwerke sieht Winkler (2014, S. 281) trotz evidenter Vorteile beim Netzwerkaufbau grundlegende Herausforderungen hinsichtlich der zwiespältigen Rolle der PR als Vermittlungsinstanz zwischen einer Organisation und ihren Teilöffentlichkeiten. Dieser Zwiespalt wurde in ähnlicher Art und Weise bereits im Kontext der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit thematisiert (vgl. Abschnitt 2.3.2). Demnach befindet sich die PR in einem „Authentizitätsdilemma“ (Winkler, 2014, S. 281), muss sie doch Organisationsziele verfolgen und gleichzeitig die Interessen der Teilöffentlichkeiten zum gegenseitigen Nutzen integrieren. Außerdem erschwert die oftmalige Autonomie öffentlich gebildeter Netzwerke die Teilhabe der Organisation, was möglicherweise den abweichenden Reziprozitätserwartungen in diesen Netzwerken geschuldet ist (Winkler, 2014, S. 281). Schließlich sei auf die Folgen „algorithmischer Aggregationslogiken“ (Winkler, 2014, S. 282) hingewiesen, die oft dazu führen, dass die Online-Kommunikation nicht zuletzt auch durch Methoden des Monitorings zu sehr quantifiziert und damit reduziert wird. Dementsprechend liegt die Forderung nahe, eher „in den diskursiven Kern derartiger Netzwerke vorzudringen“ (Winkler, 2014, S. 282), um die Netzwerkbildung im öffentlichen Kontext zu begünstigen. Vor dem Hintergrund dieser kurz umrissenen Entwicklungen auf der Makroebene und der entsprechenden Spannungsfelder, die sich auf der Mesoebene ergeben, werden im Folgenden die Digitalisierung und der Medienwandel als zentrale transformierende Prozesse moderner – oder um in der Rhetorik Baeckers (2007a) zu bleiben – ‚nächster‘ Public Relations betrachtet. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den sozialen Medien, die sowohl für die Unternehmen als auch für die Nutzer*innen in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten ein wichtiges Instrument zum gegenseitigen Austausch und zum Beziehungsmanagement darstellen.
3.1.1 Digitalisierung und Medienwandel Die Kommunikation über das Internet und seine vielfältigen Kommunikationsplattformen durchdringt die Gesellschaft zunehmend. Die Online-Kommunikation gehört
60
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
mittlerweile auch zum „Standard der Organisationskommunikation“ (Röttger et al., 2018, S. 48). Dementsprechend haben sich die Angebots- und Rezeptionsstrukturen im Kontext der Unternehmenskommunikation verändert (Zerfaß, 2010, S. 418). Diese Entwicklungen können unter den Begriff des ‚Medienwandels‘ zusammengefasst werden, der „die nachhaltigen Veränderungen der technischen Kommunikationskanäle, Organisationen und sozialen Institutionen […], die die Kommunikation in einer Gesellschaft ermöglichen und vermitteln und dadurch auch mitbestimmen und prägen“ (Müller, 2016, S. 33), beschreibt. In diesem Kommunikationsumfeld trägt besonders die Partizipationskultur des Web 2.0 (vgl. O‘Reilly, 2007) zur Interaktion und zum Aufbau und der Pflege von Beziehungen zwischen den beteiligten Beziehungspartner*innen bei (Hohlfeld & Godulla, 2015, S. 11; Schmidt, 2013, S. 16; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 56). Neuberger (2015) stellt fest, dass der Medienwandel die Bedingungen für die Interaktion und damit auch die „Beziehungen zwischen Leistungsträgern und -empfängern in den diversen gesellschaftlichen Teilsystemen“ (Neuberger, 2015, S. 31) verändert hat. Gerade aus der Perspektive des PR-Systems ist es daher notwendig, die Auswirkungen von digitalen Kommunikationsangeboten auf das Management der Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten durch die Forschung ins Visier zu nehmen. Wie sich damit andeutet, bezieht sich der Medienwandel nicht ausschließlich auf technische Veränderungen, sondern gerade auch auf die Prozesse und Auswirkungen innerhalb der Gesellschaft (Müller, 2016, S. 33). Die angesprochene Partizipationskultur kann so einerseits als Resultat einer zunehmenden Vermischung der klassischen Produzent*innen- und Konsument*innen-Rollen erklärt werden, was auch mit den Begriffen der ‚Prosument*innen‘ oder des ‚Prosumers‘ umschrieben wird (vgl. Knieper et al., 2011; Toffler, 1980). Diese Hybridisierung führt also dazu, dass potenziell alle Nutzer*innen mehr oder weniger aktiv an Online-Diskussionen teilnehmen können: „Individualisierter Ausdruck, Vernetzung und Austausch als neue Formen der Kommunikation sind wichtige Belege dafür, dass das Web 2.0 […] eine neue Qualität in die Funktionen und Formen gesellschaftlicher Kommunikation eingeführt hat“ (Meckel, 2008, S. 23). Insbesondere die zunehmende Vernetzung der Gesellschaft hat immer mehr an Bedeutung gewonnen. Castells (2001) erkennt dabei bereits zur Jahrtausendwende, dass es „Netzwerke als Form sozialer Organisation auch zu anderen Zeiten und in anderen Räumen gegeben [hat], aber das neue informationstechnologische Paradigma […] die materielle Basis dafür [schafft], dass diese Form auf die gesamte gesellschaftliche Struktur ausgreift und sie durchdringt“ (Castells, 2001, S. 527). Der große Erfolg von sozialen Online-Netzwerken wie Facebook oder Twitter ist also einerseits eine Konsequenz eines technologisch bedingten kommunikativen Zusammenrückens der Gesellschaft. Andererseits hat die Verlagerung öffentlicher Kommunikationsprozesse in digitale Umgebungen auch zu einer kommunikativen Entgrenzung geführt. Besonders im Zuge der Globalisierung und der Internationalisierung von Unternehmen bietet dies die Möglichkeit, über nationale und mediensystemische Grenzen hinweg relevante Teilöffentlichkeiten zu erreichen. Das führt jedoch zu der Frage, wie sich Unternehmen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Nationen und Kulturen und
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
61
deren jeweiliger Spezifika präsentieren (Huck-Sandhu, 2015, S. 762; Röttger et al., 2018, S. 44). Die gesellschaftliche Vernetzung der Nutzer*innen über Ländergrenzen hinweg führt folglich auch dazu, dass interkulturelle Kompetenzen immer relevanter für die Unternehmenskommunikation werden. Somit tragen die technologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Web 2.0 zur Entstehung oft spontaner, virtueller Teilöffentlichkeiten bei, denn „die Selektions- und Zugangsschranken sind vergleichsweise niedrig und anders beschaffen als in der analogen Welt“ (Theis-Berglmair, 2014, S. 154). Dieser Umstand wirkt sich vor allem auf das Mediensystem der Gesellschaft aus. Zwar sind beispielsweise Journalist*innen auch weiterhin dafür zuständig, Unternehmensinformationen auf professionelle Weise auszuwählen, aufzubereiten und einem dispersen Publikum zugänglich zu machen. Jedoch führt die Partizipationskultur des Web 2.0 zu einer zunehmenden Erosion der dominierenden Stellung des Journalismus hinsichtlich der Publikation von Inhalten und der Bewertung und Filterung veröffentlichter Informationen (Neuberger, 2009, S. 36–40). Auch wenn Röttger et al. (2018, S. 43) im Bedeutungszuwachs der Medienarbeit, der zunehmenden Ausrichtung der Unternehmenskommunikation an den medialen Darstellungsweisen sowie in der steigenden Professionalisierung Anzeichen für Medialisierungsprozesse in der PR sehen (vgl. Raupp, 2009, S. 265–266), wird die Unternehmenskommunikation direkter. Aus strategischer Sicht sind eigene Auftritte in den sozialen Medien unabdingbar geworden, hat man doch darüber einen ‚direkten Draht‘ zu den relevanten Teilöffentlichkeiten wie etwa Kund*innen oder Kritiker*innen. Zudem rücken mit den sogenannten ‚Social Media Influencern‘ weitere Teilöffentlichkeiten in den Fokus, die einen strategischen Einfluss auf das organisationale Beziehungsgeflecht nehmen können. Sie werden definiert als „third-party actors that have established a significant number of relevant relationships with a specific quality to and influence on organizational stakeholders through content production, content distribution, interaction, and personal appearance on the social web“ (Enke & Borchers, 2019, S. 267). Inwiefern der Prozess der Ausdifferenzierung beziehungsweise Fragmentierung in verschiedene Teilöffentlichkeiten vom Medienwandel beeinflusst wird, muss durch die Forschung genauer hinterfragt werden (vgl. u. a. Dahlgren, 2005; Habermas, 2008). Unabhängig vom übergeordneten Wandel von einer massenmedialen zu einer Netzwerköffentlichkeit (mit den beschriebenen Implikationen für die informalen und die öffentlichen Netzwerke sowie die Netzwerke an den jeweiligen Grenzstellen) sind die Möglichkeiten zur öffentlichen Kommunikation – und damit auch die der Unternehmenskommunikation – variantenreicher geworden (Röttger et al., 2018, S. 55). Als Potenziale und Wesenszüge der digitalen Unternehmenskommunikation werden dabei häufig Begriffe wie ‚Interaktivität‘, ‚Virtualität‘, ‚Dialog‘, ‚Netzstruktur‘, ‚Fragmentierung‘, ‚Hypermedialität‘, ‚Globalität‘, ‚Zeitunabhängigkeit‘ oder ‚Multimedialität‘ genannt (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 736; Röttger et al., 2018, S. 48; Westermann, 2004, S. 153–162). Auf einen Teil dieser Potenziale wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit nochmals genauer zurückgekommen. Ihnen gemeinsam ist die „Hoffnung,
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dem normativen Anspruch der Dialogorientierung bzw. der Zweiweg-Kommunikation der PR im Sinne […] der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit […] näher zu kommen“ (Röttger et al., 2018, S. 48). Gerade der Dialog spielt in der OnlineKommunikation im Sinne einer normativen Zielsetzung eine zentrale Rolle. Ob und inwieweit die digitale Unternehmenskommunikation dies aber überhaupt zu leisten vermag, wird an späterer Stelle genauer diskutiert (vgl. Kapitel 4). Es soll zunächst ein Überblick über die Nutzung und die Relevanz von Online-Angeboten sowohl für die Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten als auch für die Unternehmen erfolgen.
3.1.2 Relevanz von sozialen Medien Angesichts der diskutierten Prozesse auf der Makroebene scheint es selbstverständlich geworden zu sein, zu jeder Zeit und an jedem Ort online und erreichbar zu sein – sowohl seitens der Nutzer*innen als auch seitens der Unternehmen. Dank mobiler Endgeräte und entsprechend optimierter Anwendungen ist die „ubiquitäre computervermittelte Kommunikation immer besser in die reale Welt“ (Wolf, 2014, S. 59) integriert. Dies führt auch dazu, dass die Nutzer*innen ihre eigene Meinung jederzeit öffentlich kundtun können (Michelis, 2014, S. 1). Es ist demnach nicht mehr nötig, sich lediglich „von der Werbung der Unternehmen berieseln zu lassen und passiv zu konsumieren“ (Kollmann, 2013, S. 28) – vielmehr obliegt es den Nutzer*innen, in welchem Maße sie Informationen über ein Produkt oder eine Dienstleistung beziehen möchten und wie sie mit anderen Nutzer*innen und den Unternehmen kommunizieren. Dies lässt sich auch in der bereits angesprochenen Konvergenz der Nutzer*innenrollen zu den sogenannten ‚Prosument*innen‘ reflektieren (Knieper et al., 2011). Die Macht des Einzelnen, eigene Ansichten an eine Vielzahl von Rezipient*innen zu senden, wächst und setzt die Unternehmen zunehmend im Sinne einer „Instant-Mentalität“ (Mast, 2019, S. 321) unter Druck. Zudem birgt der Einsatz von sozialen Medien auch Risiken, die exemplarisch an Phänomenen wie Fake News3 (vgl. u. a. Gelfert, 2018; Johann & Wagner, 2020; Tandoc et al., 2018), Hassrede4 (vgl. u. a. Schmitt, 2017; Sponholz, 2018) oder Shitstorms5 (vgl. u. a. Johnen et al., 2018; Pfeffer et al., 2014) festgemacht werden können.
3Der
Begriff Fake News beschreibt „the deliberate presentation of (typically) false or misleading claims as news, where the claims are misleading by design“ (Gelfert, 2018, S. 108). 4Der Definition des Europarates folgend meint Hassrede „all forms of expression, which spread, incite, promote, or justify racial hatred, xenophobia, anti-Semitism or other forms of hatred based on intolerance including: intolerance expressed by aggressive nationalism and ethnocentrism, discrimination and hostility against minorities, migrants and people of immigrant origin“ (Council of Europe, 1997, S. 106). 5Zur Definition von Shitstorms vgl. Abschnitt 2.1.1.
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
63
Diesen Herausforderungen, die von der Entwicklung und der Logik der sozialen Medien profitieren, müssen sich Unternehmen und ihre strategische Kommunikation stellen, wenn sie mit dem Medienwandel erfolgreich Schritt halten wollen. Soziale Medien werden allgemein definiert als „group of Internet-based applications that build on the ideological and technological foundations of Web 2.0, and that allow the creation and exchange of User Generated Content“ (Kaplan & Haenlein, 2010, S. 61). Ein einheitliches und integratives Verständnis konnte sich jedoch aufgrund der dynamischen Entwicklung einzelner Plattformen und teils synonymer Begriffsverwendungen bislang nicht durchsetzen (Obar & Wildman, 2015, S. 745–746). Soziale Medien nehmen hinsichtlich ihrer Kommunikationsformen grundsätzlich „einen neuartigen Raum zwischen der massenmedialen und der interpersonalen Kommunikation“ (Schmidt, 2013, S. 11) ein, was zu einer Ausdifferenzierung verschiedener Plattformen geführt hat. Nach Kreutzer (2018, S. 8) lassen sich dabei grundsätzlich drei idealtypische Nutzungsklassen unterscheiden, die sich je nach Plattform auch überschneiden können: Kommunikation, Content-Sharing und Kooperation (vgl. Abbildung 3.1).
Abbildung 3.1 Nutzungsklassen von sozialen Medien. (Quelle: eigene Darstellung nach Kreutzer (2018, S. 8))
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3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Auf Kommunikation zielen insbesondere Blogs, Microblogs (z. B. Twitter), berufliche und private soziale Netzwerke (z. B. Xing, LinkedIn, Facebook) sowie MessengerDienste (z. B. WhatsApp, Facebook Messenger, Snapchat) ab. Darüber hinaus gehören Social-Bookmarking-Plattformen (z. B. Delicious, Digg) sowie Foren und OnlineCommunities (z. B. Reddit, 4chan) zu dieser Nutzungsklasse. Plattformen wie zum Beispiel Instagram, Pinterest, Flickr, Slideshare, Vimeo oder YouTube lassen sich dagegen dem Content-Sharing zuordnen. Die Inhalte können hier in Form von Text, Foto, Video oder Audio beziehungsweise in Form von multimedialen Inhalten geteilt werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass auch soziale Netzwerke auf dem Prinzip des ContentSharings basieren und daher Plattformen wie Instagram auch den sozialen Medien und umgekehrt zugeordnet werden können – je nachdem ob die Inhalte oder die Beziehungen zwischen den Nutzer*innen im Vordergrund stehen. In der dritten Nutzungsklasse geht es schließlich um die Kooperation zwischen den Nutzer*innen. So werden auf Bewertungs- und Auskunftsplattformen einzelne Erfahrungen mit Produkten oder Dienstleistungen geteilt (z. B. holidaycheck.de, yelp.de) oder in Form von Kollaboration Wikis aufgebaut (z. B. Wikipedia, Wiktionary) (Kreutzer, 2018, S. 7–8). Angesichts der starken Überschneidungsbereiche – wie eben schon angedeutet – und der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Plattformen definieren Obar und Wildman (2015, S. 746–747) soziale Medien über vier zentrale Wesensmerkmale. Demnach kennzeichnen sich soziale Medien einerseits dadurch, dass sie internetbasierte Anwendungen des Web 2.0 sind (vgl. O’Reilly, 2007). Web 2.0-Anwendungen haben dabei die Interaktivität der Kommunikation zwischen den Nutzer*innen deutlich erhöht. Ihre Evolution ist jedoch nicht nur allein das Ergebnis technologischer Fortschritte, sondern auch eines wirtschaftlichen, sozialen und ideologischen Wandels (Kaplan & Haenlein, 2010, S. 61). Anwendungen des Web 2.0 sind so konzipiert, dass die Nutzer*innen in der Lage sind, Inhalte zu erstellen, zu interagieren, zusammenzuarbeiten und sich am Prozess der Produktion und der Rezeption von Inhalten zu beteiligen (Obar & Wildman, 2015, S. 746). Soziale Medien sind in diesem Sinne ein Ort, an dem Inhalte durch die Nutzer*innen stetig in partizipativer und kollaborativer Art und Weise angepasst werden (Kaplan & Haenlein, 2010, S. 61). Als zweites Merkmal von sozialen Medien identifizieren Obar und Wildman (2015, S. 746–747) den sogenannten User-Generated Content, also die Inhalte, die von den Nutzer*innen erstellt werden. Demnach ist das Web 2.0 „the ideology and user-generated content is the fuel“ (Obar & Wildman, 2015, S. 746). Diese Inhalte zeichnen sich dadurch aus, dass sie von den Nutzer*innen mehr oder weniger öffentlich zugänglich gemacht werden, dass ein gewisser Grad an Kreativität bei der Erstellung erkennbar ist und dass die Inhalte nicht im professionellen Kontext professioneller Routinen und wirtschaftlicher Interessen entstehen (Kaplan & Haenlein, 2010, S. 61). Gerade im Hinblick darauf, dass im vergangenen Jahrzehnt vor allem auch Organisationen die sozialen Medien für sich entdeckt haben, ist besonders das letztere Kriterium streitbar, wenn man beispielsweise Unternehmen als eine Nutzungsgruppe in den sozialen Medien betrachten möchte. Ein weiteres Kennzeichen sozialer Medien besteht nach Obar und Wildman (2015, S. 747) in den individuellen Profilen, welche die Nutzer*innen auf den Plattformen
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
65
anlegen können. Sie stellen vor allem den „backbone“ (Boyd & Ellison, 2007, S. 211; Obar & Wildman, 2015, S. 747) der sozialen Netzwerke dar und enthalten Informationen zur Identifizierung der Nutzer*innen. Soziale Netzwerke werden allegmein verstanden als „web-based services that allow individuals to (1) construct a public or semi-public profile within a bounded system, (2) articulate a list of other users with whom they share a connection, and (3) view and traverse their list of connections and those made by others within the system“ (Boyd & Ellison, 2007, S. 211). Die Informationen (z. B. Name, Profilbild, Interessen), welche die Nutzer*innen auf ihren Profilen angeben können, variieren dabei von Plattform zu Plattform. Profile ermöglichen schließlich durch ihre Auffindbarkeit auf Basis der angegebenen Informationen die Interaktion zwischen den Nutzer*innen. Charakteristisch für soziale Medien ist nach Obar und Wildman (2015, S. 747) daher, dass soziale Medien die Entwicklung sozialer Beziehungen durch die Vernetzung zwischen den einzelnen Nutzer*innen erleichtern. Die Vernetzung, die oftmals zwischen sich zuvor völlig unbekannten Nutzer*innen stattfindet, wird hier als Ausgangspunkt für den Aufbau von Beziehungen betrachtet (Boyd & Ellison, 2007, S. 211). Kaplan und Haenlein (2010, S. 62) weisen in diesem Kontext darauf hin, dass die Preisgabe von Informationen im Sinne einer Selbstoffenbarung eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau von Beziehungen ist, auch wenn die Art und Nomenklatur dieser Verbindungen von Plattform zu Plattform unterschiedlich sind (Boyd & Ellison, 2007, S. 211). Auf Basis dieser Vorüberlegungen wird eine eigene Arbeitsdefinition von sozialen Medien entwickelt. Sie bildet mit Blick auf die verschiedenen Eigenschaften der jeweiligen Plattformen im weiteren Verlauf die Grundlage für die theoretische und empirische Erfassung der Nutzung von sozialen Medien durch die Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten einerseits und durch die Unternehmen andererseits:
Soziale Medien
Soziale Medien bezeichnen die Gesamtheit von sich stetig weiterentwickelnden und ausdifferenzierenden Plattformen im Web 2.0, die auf dem interaktiven Austausch von Informationen beruhen. Auf den Plattformen haben die Nutzer*innen die Möglichkeit, individuelle Profile anzulegen und Informationen selbst zu offenbaren. Dabei vernetzen sich die Nutzer*innen untereinander, kommunizieren wechselseitig und erstellen und verbreiten Inhalte. Auf diese Weise bauen die einzelnen Nutzer*innen Beziehungen untereinander auf.
3.1.3 Status Quo der Nutzung sozialer Medien Angesichts des Medienwandels und der beschriebenen Eigenschaften von sozialen Medien sind die Nutzer*innnen in den Teilöffentlichkeiten speziell im PR-Prozess als aktive, interaktive und gleichberechtigte Teilnehmer*innen an einem fortwährenden
66
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Kommunikationsprozess zu betrachten (Gronstedt, 1997, S. 39). Diese Teilöffentlichkeiten stellen gleichsam einen „vormedialen Raum der Meinungsbildung“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 742) dar und kennzeichnen sich durch eigene Aufmerksamkeitsregeln und eigene Stile der Kommunikation (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 742). Da Unternehmen an dieser Stelle gezielt andocken (müssen), um strategische Beziehungen zu ihren Teilöffentlichkeiten aufzubauen und zu pflegen, gilt es, einen Überblick über die Nutzung von Online-Plattformen seitens der Nutzer*innen und der Unternehmen zu gewinnen. Eine solche Gegenüberstellung lässt Aussagen über den Status Quo und die Effektivität der Online-Kommunikation von Unternehmen zu und liefert das argumentative Fundament für die Notwendigkeit einer dialogorientierten Unternehmenskommunikation. Nutzung aus Sicht der Teilöffentlichkeiten Möchte man Aussagen über die mediale Internetnutzung der Bevölkerung in Deutschland treffen, bietet sich ein Blick in die seit 1997 jährlich durchgeführte ARD/ZDFOnlinestudie an. Im Jahr 2019 belegt die Studie, dass das Internet einen Dreh- und Angelpunkt im Kommunikationsalltag der Bevölkerung darstellt (vgl. Beisch et al., 2019). Tabelle 3.3 Internetnutzung in Deutschland von 1997 bis 2019. (Quelle: eigene Darstellung nach Beisch et al. (2019, S. 375)) Altersgruppe
1997
2000
2003
2006
2009
2012
2015
2018
2019
14–19 Jahre
6
49
92
97
98
100
100
100
100
20–29 Jahre
13
55
82
87
95
99
98
100
100
30–39 Jahre
12
41
73
81
89
98
94
99
99
40–49 Jahre
8
32
67
72
80
89
92
98
98
50–59 Jahre
3
22
49
60
67
77
83
97
95
60–69 Jahre
1
8
20
29
39
63
67
82
85
ab 70 Jahren
0
1
5
11
16
20
38
65
58
gesamt
7
29
54
60
67
76
80
90
89
Zeitraum: 1997–2019; Anteile in Prozent Basis: deutschsprachige Bevölkerung; Angabe mindestens ‚selten genutzt‘ n1997 = 1003; n2000 = 1005; n2003 = 2633; n2006 = 1820; n2009 = 1806; n2012 = 1800; n2015 = 1800; n2018 = 2009; n2019 = 2000
Vor allem bei jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren ist das Internet fest im Medienrepertoire verankert. Selbst von den Personen im Alter von 60 bis 69 Jahren nutzen 85 Prozent das Internet (vgl. Tabelle 3.3). Im Durchschnitt nutzt ein Viertel (25 %) der Bevölkerung täglich soziale Netzwerke wie Facebook oder Instagram, wobei die 30- bis 49-Jährigen mit 43 Prozent vor den 14- bis 29-Jährigen mit 31 Prozent liegen (Beisch et al., 2019, S. 381–382). Die Kommunikation in den sozialen Netzwerken
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
67
stellt für diese Gruppen demnach neben der Nutzung von Messenger-Diensten, Suchmaschinen und E-Mails die wichtigste Angebotsklasse im Internet dar. Hinsichtlich der verschiedenen Plattformen belegen Facebook und Instagram im Jahr 2019 die Spitzenpositionen unter den sozialen Netzwerken. Nur WhatsApp als Messenger wird von den Nutzer*innen noch intensiver genutzt (vgl. Tabelle 3.4). Tabelle 3.4 Nutzung von Social-Media-Plattformen im Jahr 2019. (Quelle: eigene Darstellung nach Beisch et al. (2019, S. 383)) Plattform
14–29 Jahre
30–49 Jahre
50–69 Jahre
ab 70 Jahren
gesamt
WhatsApp
98
90
70
31
75
Facebook
48
46
19
6
31
Instagram
59
17
5
0
19
Snapchat
33
2
0
-
7
Twitter
6
7
2
-
4
Xing
4
6
2
-
3
LinkedIn
3
3
3
-
2
Twitch
12
4
-
-
4
TikTok
7
1
-
-
2
Zeitraum: 2019; Anteile in Prozent Basis: deutschsprachige Bevölkerung; Angabe mindestens ‚wöchentlich genutzt‘ n = 2000 Notiz: In der Studie wird nicht näher erläutert, inwiefern zwischen den Angaben ‚0‘ und ‚-‘ zu unterscheiden ist. Es wird angenommen, dass erstere Angabe einen abgerundeten Wert darstellt, wohingegen zweitere ausdrückt, dass kein einziger zutreffender Fall gefunden wurde.
Eine ähnliche Durchdringung stellt auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) in seiner Studie zu den SocialMedia-Trends 2018 fest. Demnach nutzen 14- bis 29-Jährige im Schnitt fünf, die 30bis 49-Jährigen durchschnittlich drei soziale Netzwerke, wobei auch hier Facebook und Instagram als soziale Netzwerke dominieren (Bitkom, 2018, S. 2–3). Angesichts der langfristigen Entwicklungen und der generationalen Unterschiede ergibt sich ein stabiles Bild der Social-Media-Nutzung in Deutschland: „Auch wenn an vielen Stellen ihr Niedergang verkündet wird, ist die für die Gesamtbevölkerung wichtigste Plattform eindeutig Facebook“ (Beisch et al., 2019, S. 383). Allerdings muss an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, dass die reine Häufigkeit der Nutzung nicht zwangsläufig als valider Indikator für die Relevanz der Plattformen herangezogen werden kann. Zudem werden durch die gewählten Altersgruppierungen mögliche Unterschiede nivelliert. Insofern muss der Befund von Beisch et al. (2019, S. 383) unter Vorbehalt betrachtet werden. Dies bestätigt auch die Nutzungshäufigkeit von Instagram, das in den vergangenen Jahren deutlich Zulauf erhalten und Facebook als beliebtestes
68
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
etzwerk in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen überholt hat. Auch Snapchat ist N besonders bei den jüngeren Nutzer*innen beliebt. Andere Plattformen spielen eine untergeordnete Rolle (Beisch et al., 2019, S. 383–384; Bitkom, 2018, S. 5). In Bezug auf die Nutzungsmotive stehen die Kontaktpflege beziehungsweise die Individualkommunikation, die mediale Nutzung (z. B. Streaming, Videos, Musik, Podcasts) sowie die Informationssuche bei den Nutzer*innen im Vordergrund (Beisch et al., 2019, S. 378; Bitkom, 2018, S. 7–10; vgl. auch Bryant & Marmo, 2012; Jensen, 2015). Aber auch die Interaktion mit Unternehmen und Marken spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Demnach sucht über ein Drittel (38 %) der deutschen Internet-Nutzer*innen nach Angeboten für Produkte und Dienstleistungen in den sozialen Medien. Viele wollen dabei auch über Unternehmen und Marken auf dem Laufenden bleiben (31 %). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Bundesverband der Deutschen Wirtschaft (BVDW), nach dessen Studie die Suche nach Information über Unternehmen und Produkte zu den häufigsten Aktivitäten in den sozialen Medien gehört (BVDW, 2018, S. 55). Abgesehen von der Informationssuche werden die sozialen Medien auch dafür genutzt, um sich aktiv bei Unternehmen zu beschweren (Bitkom, 2018, S. 7). Eine repräsentative Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zur Instagram-Nutzung belegt zudem, dass die Nutzer*innen neben persönlichen Kontakten und Prominenten vor allem auch Unternehmen folgen (GfK, 2018). Wie die Forschung verdeutlicht, erfolgt die Vernetzung mit Unternehmen in den sozialen Medien mit dem Ziel, die eigene Identität und das Involvement vor dem Hintergrund sozialer Vergleichsprozesse zu steuern (vgl. u. a. Hollenbeck & Kaikati, 2012; Ozimek & Bierhoff, 2016; Schau & Gilly, 2003; Shu & Chuang, 2011; Wallace et al., 2012). Boardman (2019) weist in ihrer Studie zur Facebook-Nutzung darauf hin, dass es durchaus generationale Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Frage gibt, warum sich Nutzer*innen mit Unternehmen vernetzen. Altersübergreifende Motive sind der Zugang zu Rabatten und Angeboten, die Möglichkeiten zur Inspiration und das Erhalten von Informationen über neue Produkte (Boardman, 2019, S. 123–125, 127), was bisherige Forschungsbefunde stützt (vgl. u. a. Gummerus et al., 2012; Meier & Schäfer, 2018; Muntinga et al., 2011; Tsai & Men, 2013). Dagegen ist bei den 20bis 29-Jährigen ein höherer Stellenwert interaktiver Formen der Kommunikation zu erkennen. Sie wollen an Gewinnspielen teilnehmen, Möglichkeiten zur direkten Kontaktaufnahme nutzen und über die Unternehmen auf dem Laufenden bleiben. Auch die 30- bis 39-Jährigen wollen informiert bleiben. Sie suchen darüber hinaus nach Produktbewertungen und Erfahrungsberichten anderer Nutzer*innen (Boardman, 2019, S. 125, 127). In Bezug auf die Frage, warum Nutzer*innen Unternehmen und Marken auf Facebook nicht folgen, werden Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren evident. Während Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Privatsphäre sowie der Informationsüberfluss und die reine private Nutzung vor allem für die Gruppen ab 30 Jahren ausschlaggebend sind, sind die 20- bis 29-Jährigen offener und risikobereiter. Für sie scheint es keinen Grund zu geben, Facebook nicht zu nutzen (Boardman, 2019, S. 126–128).
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
69
Nutzung aus Sicht der Unternehmen Angesichts der hohen Relevanz von sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram für die Teilöffentlichkeiten im Unternehmensumfeld ist es nicht verwunderlich, dass eine Präsenz auf den entsprechenden Plattformen materielle und immaterielle Anreize bietet. Belegbar ist dies unter anderem durch die kontinuierlich steigenden Unternehmensausgaben für Werbung in den sozialen Medien (Statista Digital Market Outlook, 2019). Die Aktivität in den sozialen Medien soll dabei das Erreichen von Werbe- und Marketingzielen unterstützen (Bitkom, 2012, S. 11). So erhoffen sich Unternehmen vom Einsatz sozialer Medien neben steigenden Verkäufen eine Steigerung der Aufmerksamkeit, des Traffics und der Kontaktzahlen sowie eine höhere Kund*innenloyalität (Social Media Examiner, 2019, S. 7–10). Wie bei den Nutzer*innen hat sich vor allem bei den B2C-Unternehmen Facebook als wichtigste Plattform etabliert. Der jeweilige Auftritt wird zum Großteil durch zuständige Mitarbeiter*innen beziehungsweise durch ein zuständiges Team innerhalb der Unternehmen kuratiert (Bitkom, 2012, S. 16; Hootsuite, 2018, S. 7). Darüber hinaus kann der richtige Einsatz von sozialen Medien auch das Erreichen von PR-Zielen unterstützen (vgl. Abschnitt 3.2). Vor allem Facebook ist hier im Sinne von „Image-Werbung“ (Weitzel et al., 2019, S. 19) ein beliebtes Instrument für Unternehmen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) und des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) nutzten im Jahr 2017 insgesamt 46 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland soziale Medien, wobei mit wachsender Unternehmensgröße auch der Anteil der in den sozialen Medien vertretenen Unternehmen steigt. So waren nur 43 Prozent der Unternehmen mit zehn bis 49 Beschäftigen auch in den sozialen Medien vertreten, wohingegen bereits 57 Prozent der Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten dort aktiv waren. Unternehmen, die 250 oder mehr Person beschäftigen, wiesen mit 72 Prozent eine noch stärkere Durchdringung auf (Destatis, 2017, S. 30). Zwar ist die Nutzung von sozialen Medien durch Unternehmen in Deutschland von durchschnittlich 46 Prozent im Jahr 2017 auf 49 Prozent im Jahr 2019 gestiegen, jedoch rangiert Deutschland im europäischen Vergleich nur auf Platz 24 und damit im unteren Drittel hinter Ländern wie beispielsweise Malta (87 %), Norwegen (78 %), Schweden (72 %), Griechenland (75 %), Österreich (60 %) oder Frankreich (50 %) (Eurostat, 2019). Als Hauptmotive für die Nutzung der sozialen Medien werden in Deutschland die Gestaltung des Unternehmensprofils und die Darstellung von Produkten und Dienstleistungen genannt. Daneben stellen die Personalrekrutierung sowie der Erhalt und die Beantwortung von Kund*innenanfragen die wichtigsten Nutzungsgründe dar (Destatis, 2017, S. 31). Einen umfassenden Überblick über unter anderem den Status Quo der Mediennutzung in der Organisationskommunikation bietet der European Communication Monitor. Die größte transnationale Befragung von Kommunikator*innen weltweit gibt seit 2007 Einblicke in aktuelle Herausforderungen und Perspektiven des Kommunikationsmanagements (vgl. Zerfass et al., 2019). Dabei spielen auch die Herausforderungen der Digitalisierung eine zentrale Rolle (vgl. Tabelle 3.5).
70
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Tabelle 3.5 Digitale Herausforderungen für das Kommunikationsmanagement seit 2014. (Quelle: eigene Darstellung nach Zerfass et al. (2019, S. 56)) Digitale Herausforderungen
2014
2015
2016
2017
2018
2019
Geschwindigkeit und Umfang des Informationsflusses
34
32
38
36
32
33
Entwicklung der Digitalisierung und der sozialen Medien
32
37
37
40
37
30
begrenzte Ressourcen bei steigender Zahl relevanter Kanäle und Teilöffentlichkeiten
31
33
34
35
32
30
Nutzung von Big Data und/oder Algorithmen zur Kommunikation
-
-
23
27
23
28
Zeitraum: 2014–2019; Anteile in Prozent Basis: Kommunikationsmanager*innen in Europa; Angabe der drei größten Herausforderungen n2014 = 2777; n2015 = 2253; n2016 = 2710; n2017 = 3387; n2018 = 3096; n2019 = 2689
Diese Entwicklung lässt das Erreichen eines gewissen Grades der Professionalisierung in der digitalen Organisationskommunikation vermuten, denn seit 2017 ist der Anteil der Befragten, die diesen Herausforderungen Relevanz zuschreiben, leicht rückläufig. Eine Ausnahme stellt dabei die Nutzung von Big Data und/oder Algorithmen zur Kommunikation dar, welche im Jahr 2019 einen Höchststand in der Relevanzbeurteilung erreicht. Nichtsdestoweniger werden von rund einem Drittel der befragten Kommunikationsverantwortlichen die Geschwindigkeit und der Umfang des Informationsflusses, die Entwicklung der Digitalisierung und der sozialen Medien sowie die begrenzten Ressourcen in diesem Kontext weiterhin als die zentralen Herausforderungen identifiziert. Hinzu tritt vor allem die Aufgabe, das Vertrauen relevanter Teilöffentlichkeiten aufzubauen und zu pflegen (Zerfass et al., 2019, S. 54) (vgl. Tabelle 3.6): Tabelle 3.6 Herausforderungen für das Kommunikationsmanagement im Jahr 2019. (Quelle: eigene Darstellung nach Zerfass et al. (2019, S. 57)) Herausforderungen
Unternehmen
Regierungsorganisationen
Non-ProfitBeratungen Organisationen und Agenturen
Aufbau und Pflege von Vertrauen
37
40
43
36
Geschwindigkeit und Umfang des Informationsflusses
35
32
30
30
neue Wege zur Erstellung und Verbreitung von Inhalten
32
32
35
29
(Fortsetzung)
3.1 Wandlungsprozesse in der Unternehmenskommunikation
71
Tabelle 3.6 (Fortsetzung) Herausforderungen
Unternehmen
Regierungsorganisationen
Non-ProfitBeratungen Organisationen und Agenturen
begrenzte Ressourcen bei steigender Zahl relevanter Kanäle und Teilöffentlichkeiten
31
30
39
26
Entwicklung der Digitalisierung und der sozialen Medien
31
30
26
30
Nutzung von Big Data und/ oder Algorithmen zur Kommunikation
26
28
26
32
Rolle der Kommunikation zur Unterstützung von Top-Management-Entscheidungen
25
25
27
30
Verknüpfung von Strategie und Kommunikation
23
16
20
30
nachhaltige Entwicklung und soziale Verantwortung
24
22
21
20
18 steigende Anforderungen an die Transparenz und aktive Teilöffentlichkeiten
22
19
18
18
22
15
19
Transformation der Kommunikation für mehr Agilität und Flexibilität
Zeitraum: 2019; Anteile in Prozent Basis: Kommunikationsmanager*innen in Europa; Angabe der drei größten Herausforderungen n = 2689
Hinsichtlich der verschiedenen Organisationsarten lässt sich folgern, dass gewinnorientierte Unternehmen aktuell durchaus anderen Herausforderungen gegenüberstehen als beispielsweise Non-Profit- oder Regierungsorganisationen. So beschäftigen Unternehmen vor allem die Geschwindigkeit und der Umfang des Informationsflusses. Dieser Umstand kann womöglich dadurch erklärt werden, dass sie getrieben durch die Erwartungen der Nutzer*innen besonders aktiv im Internet und in den sozialen Medien agieren müssen. Generell sind seitens der Teilöffentlichkeiten „gewandelte Kommunikationsansprüche“ (Mast, 2019, S. 321) zu verzeichnen. Diese äußern sich
72
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
vor allem im „Bedürfnis nach individueller Ansprache“ (Reinartz, 2018, S. 125), was die Unternehmen hinsichtlich der Effektivität und der Effizienz ihrer Kommunikation unter Druck setzt. Reinartz (2018, S. 129–136) identifiziert vor diesem Hintergrund verschiedene Handlungsfelder für Unternehmen. Dazu gehört, dass sich die Kontrolle im Kommunikationsprozess immer mehr von den Unternehmen zu den Teilöffentlichkeiten verlagert (Reinartz, 2018, S. 129). Dadurch, dass Formen der direkten Kommunikation immer weniger wirksam sind, ist es zudem erforderlich, dass die Unternehmenskommunikation mehr Kontext zur Verfügung stellt, sodass relevante Entscheidungsprozesse beeinflusst werden können (Reinartz, 2018, S. 129–136). Weiterhin erfordert die Verschiebung des Kommunikationsprozesses, dass die Kreation der Botschaften analytisch fundiert werden muss, um optimal auf die Bedürfnisse eingehen zu können (Reinartz, 2018, S. 130–131). Mit der Kredibilität der Positionierung und der Botschaften der Unternehmen ergibt sich eine weitere Herausforderung, die es vor dem Hintergrund des Medienwandels und der damit einhergehenden komplexen Beziehungsgeflechte zu bewältigen gilt (Reinartz, 2018, S. 131–132). Zudem ist es im Sinne der Kontinuität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Teilöffentlichkeiten unerlässlich, Strukturen zu schaffen, welche die unmittelbare Versorgung mit nützlichen und relevanten Informationen gewährleisten (Reinartz, 2018, S. 132–136). Angesichts dieser Entwicklungen und der neuen Handlungsfelder sind das Internet und die sozialen Medien nicht einfach als ein zusätzliches Instrument der Unternehmenskommunikation zu werten. Vielmehr haben sie die „Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern und damit die Rahmenbedingungen der Unternehmenskommunikation selbst verändert“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 739). Für das Kommunikationsmanagement von Unternehmen bieten sich neben den bereits angesprochenen Herausforderungen und Risiken vor allem auch Chancen. So kann das Internet zur Informationsquelle und zu einem Management-Tool werden, wovon die Kollaboration und die Projektsteuerung profitieren können. Dadurch, dass auch immer mehr Informationen als Planungsgrundlage zur Verfügung stehen – beispielsweise durch die Analyse der öffentlichen Meinung mittels Social Media Monitoring –, lässt sich darüber hinaus der Managementprozess der Kommunikation gewinnbringend unterstützen (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 740–742). Die digitalen Kanäle lassen sich zudem strategisch nutzen, um PR-Ziele zu erreichen, wenn relevante Teilöffentlichkeiten erreicht und entsprechende Arbeitsabläufe etabliert werden (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 743–745). Folglich ist der Aufbau effektiver Management-Strukturen erforderlich, um die sozialen Medien strategisch bespielen zu können. Das sogenannte ‚Social Media Management‘ hat sich dabei in den vergangenen Jahren sogar als eigener Berufszweig in den Public Relations und im Marketing etabliert. Es umfasst Aufgaben und erfordert Kompetenzen in den Bereichen der Strategie- und Content-Entwicklung, des Community Managements, des Monitorings und der Analyse von Online-Aktivitäten sowie des Change Managements (vgl. u. a. Montalvo, 2011; Moretti & Tuan, 2015, Pein, 2015; van Looy, 2016).
3.2 Online-PR
73
Gerade ein funktionierendes Community Management sollte für die Unternehmen angesichts der veränderten Erwartungshaltung und der steigenden Aktivität der Nutzer*innen in den sozialen Medien angestrebt werden. Denn vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen Ausdifferenzierung verschiedener virtueller Teilöffentlichkeiten ist es möglich, gezielte „Feedback- und Dialogangebote […] als Bausteine des digitalen Beziehungsmanagements“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 743) zu implementieren. Mit den partizipativen und interaktiven Potenzialen, welche die sozialen Medien bieten, sind Unternehmen also in der Lage, unmittelbar auf die Bedürfnisse der Teilöffentlichkeiten einzugehen und langfristig stabile Beziehungen aufzubauen.
3.2 Online-PR In der PR-Praxis wurden die neuen technologischen Möglichkeiten des Internets zunächst als Instrumente zur schnellen und kostengünstigen Verbreitung von Informationen verstanden. Bald setzte jedoch die Erkenntnis ein, „dass das Internet vielfältige Möglichkeiten für den dialogorientierten, reziproken Austausch und für partizipative Kommunikationsprozesse bietet“ (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 40). Spätestens mit der Zunahme der interaktiven Möglichkeiten im Web 2.0 (vgl. O’Reilly, 2007) hat diese Perspektive weiter an Bedeutung gewonnen und die Relevanz der OnlinePR gestärkt (Hurme, 2001, S. 73). Ähnlich wie Public Relations im Allgemeinen (vgl. Abschnitt 2.1.3) wird die Online-PR als Form der strategischen Online-Kommunikation von Organisationen definiert: Strategische Online-Kommunikation
„Strategische Online-Kommunikation umfasst alle gesteuerten Kommunikationsaktivitäten, von […] Organisationen im Internet und Social Web, die der internen und externen Handlungskoordination mit Stakeholdern und der Interessenklärung dienen und damit einen Beitrag zur Realisierung der übergeordneten Organisationsziele […] leisten sollen. Hierbei werden das Internet als technische Infrastruktur und verschiedene dort verfügbare Plattformen und Instrumente als Medien für die Kommunikation und Interaktion genutzt. Dadurch können Organisationen monologische oder dialogorientierte Kommunikationsprozesse initiieren, aber auch an Kommunikationen Dritter partizipieren. In Abhängigkeit von den jeweiligen Zielen und Beziehungen werden verschiedene Kommunikationsmodi […] und unterschiedliche Formen der kommunikativen Einflussnahme […] realisiert. Systematisch unterscheidbare Teilbereiche der Organisationskommunikation im Internet sind die Interne Online-Kommunikation, Online-Marktkommunikation, Online-Finanzkommunikation […] sowie die Online-PR […]. Diese Bereiche unterscheiden sich durch die zugrunde
74
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
liegenden Beziehungsmuster zwischen den beteiligen Akteuren und aufgrund der gesellschaftlichen Koordinationsformen, die einen Rahmen für das jeweilige soziale Handeln und damit auch die Kommunikation bilden.“ (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 47–48)
In der Forschung wird bereits seit dem Ende der 1990er Jahre über das Potenzial neuer Online-Technologien für die Public Relations diskutiert (vgl. u. a. Coombs, 1998; Heath, 1998; Kent & Taylor, 1998). Eine der ersten Untersuchungen in diesem Kontext stellte Johnson (1997) an, die anhand von Leitfadeninterviews mit PR-Praktiker*innen zu dem Schluss kam, dass der Einsatz von interaktiven Plattformen die Möglichkeiten zur symmetrischen Kommunikation begünstigt (Johnson, 1997, S. 233). Generell werden die sozialen Medien aufgrund ihres interaktiven Charakters immer wieder mit der Möglichkeit einer symmetrischeren Kommunikation zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten assoziiert (Etter, 2014, S. 329; Macnamara & Zerfass, 2012, S. 288; Moreno et al., 2015, S. 242). Daher wird im Folgenden genauer auf die verschiedenen Typen der Online-PR sowie auf die wichtigsten Instrumente und Plattformen eingegangen. Zudem erfolgt eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Konzept der Interaktivität im Kontext von Symmetrischer Kommunikation und OTBs.
3.2.1 Typologie der Online-PR Mit dem Medienwandel einerseits und dem Relational Turn der PR (vgl. Abschnitt 2.4.1) andererseits hat sich nicht nur die organisationale Kommunikation verändert. Auch seitens der Teilöffentlichkeiten hat eine Verschiebung „from an overwhelmingly massmediated approach to a much more conversational, relationship-building approach“ (Kelleher, 2015, S. 282) stattgefunden. Dabei wäre es jedoch illusorisch zu glauben, dass in der PR mit dem Internet und den sozialen Medien eine endgültige Verlagerung weg vom Informations- und asymmetrischen Modell hin zum idealen Modell der Symmetrischen Kommunikation stattgefunden hätte (vgl. Grunig & Hunt, 1984, S. 22). Auch wäre die Annahme vermessen, dass die sozialen Medien klassische Kanäle und Instrumente der PR ersetzen würden (Hurme, 2001, S. 74). Das Internet, die sozialen Medien und die Konstituierbarkeit virtueller Teilöffentlichkeiten sind vielmehr als zusätzliche Herausforderung zu sehen, die die Aufgaben der PR erweitert, was wiederum ihre Bedeutung für die gesamte Organisation stärkt (Diga & Kelleher, 2009, S. 442; Porter & Sallot, 2005, S. 117). Die Ausdifferenzierung der Kommunikationsmöglichkeiten durch die Entstehung und Weiterentwicklung neuer Plattformen führen schließlich zu einem „Nebeneinander unterschiedlicher Paradigmen“ (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 53), was auch mit einem gewissen Verlust der Steuerungshoheit einhergeht (Röttger et al., 2018, S. 178).
3.2 Online-PR
75
Folglich können drei Typen der Online-PR unterschieden werden, die ähnlich wie die Modelle von Grunig und Hunt (1984) eine Entwicklung der Online-PR beschreiben: Digitalisierte PR, Internet-PR und Cluetrain-PR. Sie lassen sich neben den jeweiligen Zielen anhand des zugrunde liegenden Paradigmas, der typischen Elemente und Maßnahmen, der Rolle der PR beziehungsweise der Teilöffentlichkeiten, der Anforderungen an die PR, des kommunikativen Aufwands und der Rolle der PR im Kommunikationsprozess unterscheiden (Pleil, 2007, S. 16–20; Pleil, 2015a, S. 1032– 1035; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 53–57). Die Digitalisierte PR gilt als das „Basismodell der Online-PR“ (Pleil, 2007, S. 17; Pleil & Zerfaß, 2015, S. 55). Organisationen stellen hierbei für das Internet aufbereitete Informationen zur Verfügung. Die Kommunikation orientiert sich bei diesem Typ am Paradigma der Internet-Galaxie im Sinne von Castells (2005), für den das Internet „das Gewebe ist, auf dem unser Leben beruht“ (Castells, 2005, S. 9) und damit eine wichtige Rahmenbedingung einer digitalen Gesellschaft darstellt. Die Nutzer*innen nehmen vor allem eine rezipierende Rolle ein und die Kommunikation der Organisationen ist monologisch angelegt (Pleil, 2007, S. 17; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55). Ähnlich wie im Informationsmodell von Grunig und Hunt (1984, S. 21–46) stehen bei der digitalisierten PR die Präsenz der Organisation im Internet und die Übermittlung von Informationen im Vordergrund. Das Internet und die sozialen Medien fungieren hier eher als „outlet for disseminating information“ (McCorkindale & DiStaso, 2014, S. 10). Eine zentrale Rolle nimmt in diesem Zusammenhang das sogenannte Corporate Publishing ein, das „ein Instrument der Unternehmenskommunikation [ist], das sich der Mittel des Journalismus bedient, um die Aufmerksamkeit von Zielgruppen zu erreichen“ (Weichler, 2014, S. 770). Die Verbreitung von klassischen Publikationen, wie etwa von Geschäftsberichten oder Pressemitteilungen, wird mit verhältnismäßig wenig Aufwand als Zusatzleistung durch das Kommunikationsmanagement auf die verschiedenen OnlinePlattformen ausgeweitet. Dies erfordert vor allem die „Kommunikationskompetenz der analogen Welt, ergänzt durch ein Verständnis von Hypermedialität und Usability“ (Pleil, 2007, S. 17; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55). Der Typus der Internet-PR basiert ebenfalls auf den Grundannahmen der Internet-Galaxie (vgl. Castells, 2005). Hier steht ebenfalls die Verbreitung von Informationen im Fokus, wobei „indirekte Rückkanäle“ (Pleil, 2007, S. 17; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55) wie beispielsweise Kontaktformulare oder Methoden der Evaluation (z. B. Usability-Tests, Nutzer*innenbefragungen) vorhanden sind. Dieser Typus weist Ähnlichkeiten mit dem Modell der Asymmetrischen Kommunikation von Grunig und Hunt (1984, S. 21–46) auf, da er vor allem eine Persuasionsleistung erbringen soll. Letztendlich wird somit eine stetige Optimierung des Informationsangebots angestrebt, wobei es nicht nur die formale, sondern auch die inhaltliche Gestaltung zu verbessern gilt (Pleil, 2007, S. 17; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55). Die Internet-PR trägt somit dem Umstand Rechnung, dass das Web 2.0 per definitionem ein Ort ist, an dem Inhalte partizipativ und kollaborativ entstehen und weiterverbreitet werden (Kaplan & Haenlein, 2010, S. 61; Obar & Wildman, 2015, S. 746). Auch hier sind die Nutzer*innen in
76
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
einer überwiegend rezipierenden Position, wenngleich es durch die genannten Rückkopplungsmöglichkeiten zumindest rudimentäre und für andere Kommunikationspartner*innen größtenteils unsichtbare Möglichkeiten zur Interaktion mit den Organisationen gibt (Pleil, 2007, S. 17; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55). Aus der Sicht des Kommunikationsmanagements müssen die zu kommunizierenden Inhalte stets im Rückgriff auf die Methoden der empirischen Sozialforschung optimiert werden, was zu einer zunehmenden Spezialisierung hinsichtlich der Verantwortlichkeiten führt. Dies deckt sich mit Studien zum Social Media Management, die von verschiedenen strategischen Rollen beim organisationalen Management der Kommunikation in den sozialen Medien ausgehen (vgl. u. a. Neill & Lee, 2016; Neill & Moody, 2015).6 Als dritter Typus der Online-PR wird die Cluetrain-PR in der „Google-Welt“ verortet (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55). Damit spielen Zerfaß und Pleil (2015) auf eine Veränderung der Struktur der öffentlichen Kommunikation durch die Digitalisierung an (vgl. auch Macnamara, 2010; Pleil, 2015b; Schmidt, 2011; Zerfaß & Boelter, 2005). Der Begriff der ‚Cluetrain-PR‘ geht dabei auf das sogenannte Cluetrain-Manifest (vgl. Levine et al., 2000) zurück, in dem 95 Thesen zur Veränderung der Gesellschaft durch das Internet aufgestellt wurden (Pleil, 2007, S. 19; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55–56). Dieser marketingorientierte Ansatz geht aufbauend auf der prominenten These „Markets are conversations“ (Levine et al., 2000, S. xii) von einer grundlegenden Veränderung der Beziehung zwischen der Teilöffentlichkeit der Kund*innen und den Unternehmen aus und schlägt damit eine Brücke zur interpersonalen Kommunikation. Dementsprechend lässt sich die Cluetrain-PR als „dialog- und netzwerkorientiert“ (Pleil, 2007, S. 19) charakterisieren und zeigt damit eine starke Ähnlichkeit zum Modell der Symmetrischen Kommunikation (Grunig & Hunt, 1984, S. 21–46) und zum Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (Burkart, 1993a, 1993b, 2008, 2013). Zerfaß und Pleil (2015, S. 55) setzen in Anlehnung an Bentele et al. (1996) Dialogorientierung mit Dialogbereitschaft gleich (vgl. ausführlich zum Konzept der Dialogorientierung Abschnitt 4.1). Organisationen müssen demnach in der Lage sein, sich bei Bedarf mit den Teilöffentlichkeiten auf eine kommunikative Augenhöhe zu begeben. Hierbei muss akzeptiert werden, dass diese eigenen Interessen folgen und sich untereinander austauschen. Die Klärung der Interessen erfolgt schließlich durch „informative, persuasive oder argumentative Kommunikationsprozesse“ (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 56). Mit der Netzwerkorientierung der Cluetrain-PR ist hingegen vor allem das Management der Beziehungen zwischen
6Neill
und Moody (2015) unterscheiden basierend auf einer qualitativen Studie in zwei Fokusgruppen und einer anschließenden quantitativen Befragung zwischen insgesamt neun verschiedenen Aufgabenbereichen beziehungsweise Rollen im Social Media Management: Internal Collaborator, Policy Maker, Policing, Technology Tester, Communications Organizer, Issues Manager, Relationship Analyzer, Master of Metrics und Employee Recruiter. In einer Folgestudie weisen Neill und Lee (2016) anhand von zwei quantitativen Befragungen insgesamt sieben Rollen nach: Social Media Technician, Social Listening and Analytics, Online Media Relations, Policy Maker, Employee Recruiter, Internal Social Media Manager und Policing.
3.2 Online-PR
77
den beteiligten Kommunikationspartner*innen gemeint (vgl. Raupp, 2011; Zerfaß, 2010). Durch den zweiseitig gerichteten Austausch und die generelle Beobachtbarkeit der Kommunikation in diesen Netzwerk-Konstellationen ergibt sich schließlich auch der wesentliche Unterschied zur Internet-PR, die nur über rudimentäre und einseitige Rückkanäle verfügt: Das Ziel besteht in der Verständigungsorientierung und Argumentation. Sowohl die Dialog- als auch die Netzwerkorientierung profitieren dabei von der strategischen Nutzung der Interaktivität der sozialen Medien, was seitens der Organisationen den Einsatz eines gezielten Monitorings und eines Handlungsrahmens im Sinne einer „Governance“ (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 56) erforderlich macht. In Tabelle 3.7 werden die zentralen Eigenschaften der Digitalisierten PR, der InternetPR und der Cluetrain-PR als verschiedene Typen der Online-PR noch einmal im Überblick zusammengefasst. Tabelle 3.7 Eigenschaften der Digitalisierten PR, der Internet-PR und der Cluetrain-PR. (Quelle: eigene Darstellung nach Pleil (2007, S. 18) und Zerfaß und Pleil (2015, S. 54)) Digitalisierte PR Paradigma
Typische Elemente • Text und Bild • Web-Design • HCI
Strategien und Maßnahmen
Cluetrain-PR Google-Welt
• Kontaktformulare • Usability-Tests • Nutzungsstatistiken • zum Teil Multimedialität
• Zeigen von Präsenz • D urchsetzung von • Vermittlung von Interessen Basisinformationen • ggf. Campaigning
Rolle der • Rezipient*innen Teilöffentlichkeiten
Anforderungen an die Online-PR
Internet-PR
Internet-Galaxis
• Online-Monitoring • Social Software • Dominanz der Inhalte
• Aufbau von Reputation • Internet als Handlungsraum • Personalisierung • Storytelling • Beziehungsmanagement
• Gleichberechtigung der • Rezipient*innen mit an der Kommunikation begrenzten Handlungsmöglichkeiten beteiligten Partner*innen • gelegentlicher • Organisation in Rückkanal Netzwerken
• PR-Kompetenz der • Content Management • Sozialforschung analogen Welt • Verständnis der Hypermedialität
• strategische und soziale Kompetenz • besondere Vertrauensposition • Coaching anderer Organisationsmitglieder (Fortsetzung)
78
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Tabelle 3.7 (Fortsetzung) Digitalisierte PR
Internet-PR
Cluetrain-PR
Aufwand für die Online-PR
• relativ gering • o ft Zusatzleistung der bestehenden PR-Abteilung
• e igene Stelle(n) für Online-PR • h oher technischer Aufwand
• hoher Zeitaufwand • kontinuierliche Aufgabe
Rolle der Online-PR
• ausführend
• kanalisierend
• Herstellen von Offenheit • Empowerment
Hauptziel
• Information
• Persuasion
• Verständigung • Argumentation
Die beschriebene Typologie zeigt analog zu den vier Modellen der Public Relations von Grunig und Hunt (1984), wie unterschiedlich die Informationsflüsse und die Einbindung der Kommunikationspartner*innen in der Online-PR sein können. Die verschiedenen Typen sollten daher vielmehr als prototypische Formen betrachtet werden, wobei die Cluetrain-PR einen normativen Idealzustand darstellt. Es ist davon auszugehen, dass in der Praxis der Online-PR aufgrund von „Ressourcenproblemen, enormem Zeitdruck und der geringen Halbwertzeit von Innovationen im Online-Bereich“ (Schultz & Wehmeier, 2010, S. 426) meist nur die rudimentäreren Formen oder Mischformen zum Einsatz kommen. Zudem gibt es empirische Hinweise darauf, dass Unternehmen eher im Krisenfall zu verständigungsorientierteren Formen greifen als im kommunikativen Alltag (Cheng et al., 2020, S. 9; Röttger et al., 2018, S. 178; Smith et al., 2018, S. 572). Gerade vor dem Hintergrund der Beschleunigung von digitalen Kommunikationsprozessen (Meckel, 2008, S. 478– 479) und der zunehmenden Ausdifferenzierung von Plattformen wäre es utopisch zu glauben, dass Unternehmen das Potenzial des Internets und der sozialen Medien ausschöpfen (können). Die Typologie der Online-PR verdeutlicht diesbezüglich, dass mit zunehmender Symmetrie des Kommunikationsprozesses auch zunehmende Ressourcen und Kompetenzen seitens des Kommunikationsmanagements erforderlich sind. Schließlich sollte auch in der Online-PR bedacht werden, dass Unternehmenskommunikation letztendlich immer Auftragskommunikation ist. Das organisationale Handeln steht in diesem Zusammenhang in einem Spannungsfeld zwischen den Zielen der Organisation und den Erwartungen der Teilöffentlichkeiten. Hinzu kommen speziell in der Online-PR die technischen Rahmenbedingungen, die es seitens der Unternehmen zu beachten gilt (Zerfaß & Pleil, 2015, S. 65). Jedoch wird eine zu technikorientierte Sichtweise häufig kritisiert, denn letztendlich geht
3.2 Online-PR
79
es immer um soziale Interaktionsprozesse zwischen den Kommunikator*innen in den Organisationen und den Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten (Schultz & Wehmeier, 2010, S. 423–424). Anhand dieser Typologie und den damit verbundenen Zielsetzungen der Online-PR zeigt sich zudem, dass grundsätzlich zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um das Erreichen von Organisationszielen zu unterstützen. Im nächsten Schritt erfolgt daher ein grober Überblick über die verschiedenen Instrumente und ihre spezifischen Funktionen, die Unternehmen zur Kommunikation im Internet zur Verfügung stehen. Innerhalb dieses breiten Instrumentariums soll besonders Facebook betrachtet werden.
3.2.2 Instrumente und zentrale Funktionen Durch das Internet und die sozialen Medien haben sich einerseits die Mediennutzungsgewohnheiten gewandelt (vgl. Abschnitt 3.1.3) und andererseits die Medienangebote selbst verändert (Zerfaß, 2010, S. 418). Die diversen Angebote und Plattformen stellen eine disruptive Form der Innovation dar, „die grundlegende Geschäftsmodelle von Unternehmen in allen Branchen erschüttern kann […] und gleichzeitig neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Kommunikationsprozessen mit internen und externen Bezugsgruppen bietet“ (Zerfaß & Sandhu, 2008, S. 303). So gilt es letztendlich für die Unternehmen, die zahlreichen Instrumente (z. B. soziale Medien, Blogs, Foren) und die dazugehörigen Plattformen in Einklang mit der Unternehmensstrategie zu bringen und sie für das Kommunikationsmanagement fruchtbar zu machen. Nach Zerfaß (2010, S. 418) stellt das Internet grundsätzlich kein eigenes Medium dar, sondern einen Verbund verschiedenartiger Plattformen und Kommunikationsmodi. Hinsichtlich der Plattformen kann dabei zwischen Nachrichtenplattformen, Meinungsplattformen, Communities, Weblogs, Online-Magazinen und Portalen unterschieden werden. Kommunikationsmodi umfassen das Instant Messaging, Chats, E-Mail, Mailing-Listen, Newsgroups, P2P-Dienste, Datenbanken und Websites (Zerfaß, 2010, S. 419). Eine Systematisierung der verschiedenen Instrumente der Online-PR findet sich beispielsweise bei Ruisinger (2011, S. 176–226), bei Schultz und Wehmeier (2010, S. 418–419), bei Pleil und Zerfaß (2014, S. 746–747) oder bei Zerfaß und Pleil (2015, S. 68–69). Tabelle 3.8 liefert einen Überblick über die wichtigsten Instrumente und Funktionen der Online-PR. Zudem werden den einzelnen Instrumenten ausgewählte Studien zugeordnet, die im Zusammenhang mit dem Management der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten bereits wichtige Erkenntnisse geliefert haben.
• spezielle Website für einzelne Themen, Kampagnen, Events etc.
•N achrichtenbereich für Journalist*innen
• Publikation von Neuheiten • zielgruppenbezogene Aufbereitung
• Berichte zu Branchenthemen • Mitarbeiterblogs • Begleitung von Events • Themenblogs • Eventblogs
• kurze Nachrichten, oft mit Links zu weiterführenden Informationen
Microsite
Corporate Press Room
E-Mail-Newsletter
Corporate Blog
Microblogging
• spezifische Kanäle auf Twitter • personenbezogen oder themenbasiert
• Kunden-Newsletter • Investor-RelationsNewsletter
• Presseservice mit Texten, Bildmaterial, Publikationen
• Website zu CSR-Initiativen • Website zu einzelnen Kampagnen oder Produkten
• Internetauftritt eines Unternehmens oder einer Marke
• umfassende Präsentation eines Unternehmens
Website
Beispiele
Beschreibung
Instrumente
Jackson, 2006; Merisavo & Raulas, 2004
González-Herrero & Ruiz de Valbuena, 2006; Pettigrew & Reber, 2010; Vázquez Sande et al., 2017
• Teaserfunktion • Aufmerksamkeitssteuerung • Herstellen von Nähe
(Fortsetzung)
Rybalko & Seltzer, 2010; Saffer et al., 2013; Shin et al., 2015
Cho & Huh, 2010; Kelleher • weniger formelle & Miller, 2006; Waters et al., Information 2014 • Angebot zur dialogorientierten Kommunikation • Herstellen von Nähe
• Information spezifischer Teilöffentlichkeiten
• Information und Service für Journalist*innen • Archiv für Texte und Bilder
Chen, 2007; Jun, 2011; Levenshus, 2010
Ingenhoff & Koelling, 2010; Ki & Hon, 2006; Park & Reber, 2008
• Selbstdarstellung durch permanente Präsenz • ggf. weitere Funktionen (z. B. Vertrieb) • zeit- oder themenbezogene Kommunikation • gestalterische Freiheit • positive Effekte für die Suchmaschinenoptimierung
Relevante OTB-Studien
Funktionen
Tabelle 3.8 Instrumente und Funktionen der Online-PR. (Quelle: eigene Darstellung und Ergänzung nach Zerfaß und Pleil (2015, S. 68–69))
80 3 Online-Kommunikation von Unternehmen
• Präsenz in einer bestehenden Gao, 2016; Shin et al., 2015; • Profile, Fanseiten und •N utzung großer oder Waters et al., 2009 Online-Community Gruppen bei Facebook zielgruppengenauer unabhängiger sozialer Netz- • spezifische Seiten für Events • dialogorientierte Kommunikation oder Gruppen werke
• gemeinschaftlich erstellte Websites
• öffentlich gespeicherte und verschlagwortete Bookmarks
Soziale Netzwerke
Wiki
Social Bookmarking
• Bookmarksammlungen zu Fachthemen
• Produktwikis • Themenwikis • interne Projektwikis
• Orientierung • Aufmerksamkeitssteuerung
• Kollaboration • Beteiligung der Teilöffentlichkeiten
(Fortsetzung)
Eyrich et al., 2008
Eyrich et al., 2008
Ewing et al., 2019; Koehler, 2014
• Festigung und Ausbau von Beziehungen zu Teilöffentlichkeiten • Innovation und Service
• virtuelle Gemeinschaften mit • Communitys für Kunden*innen oder Mitverschiedenen Funktionen arbeiter*innen • Präsentation der Mitglieder • Innovations-Communitys • Diskussionen
Gorsky et al., 2010; Pitta & Fowler, 2005
eigene Community, Social Network
• Produktforen • Aktionärsforen
• Vernetzung von Teilöffentlichkeiten untereinander • dialogorientierte Kommunikation • Service
• strukturierte Diskussionen • häufig im Frage-/ Antwortformat
Bruce & Lin, 2009; Waters & Jones, 2011; Wrather, 2016
• Information und Unterhaltung von Teilöffentlichkeiten
Forum
• Themenpodcast • Interviewreihe in einem Unternehmens-Kanal bei YouTube
• regelmäßiges Audio- oder Videoformat
Relevante OTB-Studien
Funktionen
Audio-/ Video-Podcast
Beispiele
Beschreibung
Instrumente
Tabelle 3.8 (Fortsetzung)
3.2 Online-PR 81
Bonsón et al., 2014; Koehler, 2014; Lee & Watkins, 2016
• Bereitstellen von Fotos, Präsentationen, Videos etc.
File Sharing Community
• Information und Präsenz in den Communitys • Einbindung eigener Inhalte in die Angebote von Dritten
Bossio, 2017; Zerfass & Schramm, 2014
• Vernetzung von Social-Media-Aktivitäten • Schaffen von integrierten Zugängen
• Integration der Unternehmens-Aktivitäten • meist als Bereich der Corporate Website
• Newsroom, der alle Social-Media-Aktivitäten einer Organisation bündelt
Social Media Newsroom • Gruppen beziehungsweise Channels auf YouTube (Videos), Flickr (Fotos) etc.
Ha & Chan‐Olmsted, 2001; Nysveen et al., 2005
• Information • Unterhaltung
• Magazine von Markenartikler*innen • Mitarbeiter*innenmagazine
• komplette Sendungen • Distribution über das Internet
Web-TV
Relevante OTB-Studien
Funktionen
Beispiele
Beschreibung
Instrumente
Tabelle 3.8 (Fortsetzung)
82 3 Online-Kommunikation von Unternehmen
3.2 Online-PR
83
Wie der Überblick über die verschiedenen Instrumente der Online-PR verdeutlicht, ist das durch das Kommunikationsmanagement zu bespielende Feld groß und heterogen. Dieser Umstand manifestiert sich nicht zuletzt auch in den verschiedenen Funktionen der Online-PR, die von der reinen Präsenzsteigerung (z. B. durch Websites, Bookmarking, File Sharing) über die Verbreitung von Informationen (z. B. durch Newsletter, Podcasts) bis hin zur Beteiligung und Vernetzung (z. B. durch Foren, Wikis) sowie zum dialogorientierten Austausch (z. B. durch soziale Netzwerke, Blogs) reichen. Mit der zunehmenden Vielfalt an Plattformen im Internet hat dabei auch die Forschung zum Beziehungsmanagement an Fahrt aufgenommen (Cheng, 2018, S. 120; Huang & Zhang, 2015, S. 18). Während vor allem Websites, Corporate Blogs, Microblogs und die sozialen Medien im Fokus bisheriger Studien stehen, gibt es durchaus noch unterrepräsentierte Bereiche. So bieten Instrumente wie beispielsweise Wikis, Social Bookmarking und interne soziale Netzwerke auch weiterhin vielversprechende Möglichkeiten für Anschlussforschung in diesem Bereich. Was die Nutzung dieser Instrumente angeht, unterstreichen die Ergebnisse des European Communication Monitor zuletzt im Jahr 2017 die Relevanz der sozialen Netzwerke für das Kommunikationsmanagement (Zerfass et al., 2017) (vgl. Tabelle 3.9).7 Tabelle 3.9 Relevanz von Instrumenten für das Kommunikationsmanagement. (Quelle: eigene Darstellung nach Zerfass et al. (2017, S. 59–60)) Instrumente
vorhergesagte Wichtigkeit 2017 (in 2014)
wahrgenommene Wichtigkeit 2017 (in 2017)
vorhergesagte Wichtigkeit 2020 (in 2017)
soziale Medien und Netzwerke (z. B. Facebook, Twitter, Blogs)
89
90
93
Online-Kommunikation (Websites, E-Mails, Intranets)
93
83
83
Medien- und Pressearbeit mit Online-Medien
91
82
80
mobile Kommunikation (Apps, mobile Websites)
91
80
92
Medien- und Pressearbeit mit TV- und Radio-Medien
61
61
53
(Fortsetzung)
7Auch
wenn die Studie jährlich durchgeführt und veröffentlicht wird (vgl. Abschnitt 3.1.3) und wichtige Einblicke in aktuelle Entwicklungen des Kommunikationsmanagements liefert, schwankt der Detailgrad der Auswertung. So wurde die Wichtigkeit verschiedener Offline- und OnlineInstrumente zuletzt im Jahr 2017 in den Ergebnisbericht aufgenommen.
84 Tabelle 3.9 (Fortsetzung) Instrumente
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
vorhergesagte Wichtigkeit 2017 (in 2014)
wahrgenommene Wichtigkeit 2017 (in 2017)
vorhergesagte Wichtigkeit 2020 (in 2017)
42
57
37
Face-to-Face-Kommunikation 89
90
93
Veranstaltungen
93
83
83
Corporate Publishing (z. B. Mitarbeiter*innenMagazine)
80
79
76
non-verbale Kommunikation (Erscheinungsbild, Architektur)
61
63
61
Medien- und Pressearbeit mit Print-Medien
Zeitraum: 2014–2020; Anteile in Prozent Basis: Kommunikationsmanager*innen in Europa; Angabe der wahrgenommenen/ vorausgesagten Wichtigkeit n2014 = 2631; n2017 = 3239
Es wird deutlich, dass die sozialen Medien und die sozialen Netzwerke neben der Faceto-Face-Kommunikation die wichtigsten Instrumente des Kommunikationsmanagements darstellen, um relevante Teilöffentlichkeiten zu adressieren (Zerfass et al., 2017, S. 59–60). Die Einschätzung der befragten Kommunikator*innen zeigt ferner, dass die Entwicklung klassischer Online-Instrumente wie Websites, E-Mails und Intranets im Jahr 2014 wichtiger beurteilt wurde, als sie tatsächlich drei Jahre später wahrgenommen wurde. Im Gegensatz dazu haben die sozialen Medien die prognostizierte Wichtigkeit übertroffen, wobei bis zum Jahr 2020 ein weiterer Anstieg der Relevanz erwartet wird. Soziale Medien sind dabei vor allem für Unternehmen, Regierungsorganisationen und Non-ProfitOrganisationen relevant (Zerfass et al., 2017, S. 62). Auch für die mobile Kommunikation über Apps und mobile Websites wird bis 2020 ein deutlicher Bedeutungszuwachs prognostiziert. Im Gegensatz dazu hat die klassische Medien- und Pressearbeit mit Print-, Online-, TV- und Radio-Medien kontinuierlich an Wichtigkeit für das Kommunikationsmanagement eingebüßt. Es scheint, als könnten die Organisationen ihre relevanten Teilöffentlichkeiten auch auf anderem Wege erreichen (Zerfass et al., 2017, S. 63).8 8Bei
der Interpretation dieser Befunde muss berücksichtigt werden, dass hier nach der Einschätzung der Relevanz im Hinblick auf die jeweils zu erreichenden Teilöffentlichkeiten gefragt wurde. Da die Teilöffentlichkeiten heterogen zusammengesetzt sind, leuchtet es ein, dass über verschiedene Kanäle und mit verschiedenen Instrumenten auch unterschiedliche Teilöffentlichkeiten adressiert werden. So ist davon auszugehen, dass die klassische Medien- und Pressearbeit vor allem auf Journalist*innen abzielt, wohingegen in den sozialen Medien beispielsweise Kunden*innen im Vordergrund stehen. Daher verbietet sich an dieser Stelle ein direkter Vergleich zwischen den einzelnen Plattformen.
3.2 Online-PR
85
Angesichts des nachgewiesenen Bedeutungszuwachses der sozialen Medien als Instrumente der Unternehmenskommunikation und der Relevanz von Facebook für die Nutzer*innen in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten (vgl. Abschnitt 3.1.3) wird der Fokus im nächsten Schritt konkreter auf Facebook gerichtet. Dies begründet sich ferner darin, dass sich Facebook als wichtige Plattform sowohl für das organisationale (vgl. Dekay, 2012; Wright & Hinson, 2017) als auch für das interpersonale Beziehungsmanagement (vgl. Bryant & Marmo, 2012; Jensen, 2015) etabliert hat.
3.2.3 Facebook als Untersuchungsgegenstand Die Ursprünge von Facebook gehen auf das Jahr 2004 zurück, in dem das soziale Netzwerk durch den damaligen Studenten Mark Zuckerberg an der Harvard University entwickelt wurde. Bereits im Jahr 2003 hatte Zuckerberg mit FaceMash ein VorläuferNetzwerk entwickelt, auf dem Bilder von Studentinnen bewertet werden konnten. Da diese Bilder ohne Erlaubnis verwendet wurden, musste die Seite aufgrund von Protesten nach wenigen Tagen wieder eingestellt werden. Die im Anschluss daran entwickelte Plattform war ursprünglich unter dem Namen ‚thefacebook‘ bekannt und lediglich für die Studierenden der Harvard University gedacht. Sie fand derartig immensen Anklang, dass sie bereits nach zwei Wochen mehr als zwei Drittel aller Studierenden als Nutzer*innen gewinnen konnte. Danach nahm das Netzwerk die gesamten Universitäten der Vereinigten Staaten und schließlich Hochschulen im Ausland ins Blickfeld (IfM, 2018). Bereits zum Ende des Jahres 2004 erreichte die Plattform die Marke einer Million Nutzer*innen. Die Freischaltung der Plattform, die mittlerweile in ‚Facebook‘ umbenannt wurde, für alle Internetnutzer*innen erfolgte schließlich im September 2006, was zu einem Anstieg auf 12 Millionen Nutzer*innen führte (Facebook, 2019a; IfM, 2018). Die Evolution der Plattform ist seitdem geprägt von weitreichenden technischen und akquisitorischen Weiterentwicklungen.9 Facebook verzeichnet dabei einen kontinuierlichen Anstieg der monatlich aktiven Nutzer*innen.10 Ende des Jahres 2019 nutzten knapp 2,5 Milliarden Personen weltweit die Plattform (vgl. Abbildung 3.2).
9Für
einen ausführlichen Überblick über ausgewählte Meilensteine der historischen Entwicklung von Facebook vgl. Anhang A1. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Entwicklung und Expansion der Plattform seit jeher so rasant verlaufen, „dass selbst Fachleute es manchmal schwer haben, mit den Entwicklungen Schritt zu halten“ (Schwindt, 2012, S. 11). 10Nutzer*innen sind monatlich aktiv, wenn sie bei Facebook registriert sind und sich innerhalb eines Monats mindestens einmal über die App oder einen webbasierten beziehungsweise mobilen Browser in ihr Facebook-Profil einloggen (Facebook, 2020, S. 6).
86
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Abbildung 3.2 Anzahl der monatlich aktiven Facebook-Nutzer*innen 2009–2019. (Quelle: eigene Darstellung nach Facebook (2020))
Seit November 2007 bietet die Plattform auch für Unternehmen die Möglichkeit, eine eigene Seite anzulegen und eröffnet damit einen vollkommen neuen Zugang zu den relevanten Teilöffentlichkeiten. Zum Ende des Jahres 2019 waren mehr als 140 Millionen Unternehmensseiten auf Facebook registriert (Facebook, 2019b). Für die unternehmerische Nutzung von Facebook sprechen zum einen die bereits angesprochene gesellschaftliche Durchdringung der Plattform und die daraus folgende hohe Reichweite in den Teilöffentlichkeiten (vgl. Beisch et al., 2019, S. 383; Facebook, 2020). Zum anderen führt die Interaktivität der Plattform zu einer vergleichsweise hohen Verweildauer und Partizipation der Nutzer*innen (Ahlden, 2012, S. 50; Grabs & Bannour, 2011, S. 289). Für Unternehmen scheint es folglich lohnend, mit einem eigenen Auftritt auf Facebook präsent zu sein, da sich hier ein großer Teil der Nutzer*innen aus den relevanten Teilöffentlichkeiten (z. B. Kund*innen) aufhält und gezielt ansprechen lässt. Auf diese Weise eignet sich Facebook als „interactive forum“ (McAllister-Spooner, 2012, S. 320) vor allem zur Unterstützung von Marketing- und PR-Aktivitäten (vgl. Abschnitt 3.1.3). Unternehmen können demnach Facebook dazu nutzen, um ganz im Sinne der Cluetrain-PR (vgl. Pleil, 2007; Zerfaß & Pleil, 2015) gezielt mit ihren Teilöffentlichkeiten zu interagieren (Graham, 2014, S. 368; Henderson & Bowley, 2010, S. 238; Ihlen & Levenshus, 2017, S. 228; Kelleher & Sweetser, 2012, S. 113). Damit wird die Plattform als Gegenstand für die Untersuchung von OTBs interessant. Es bestehen dabei vielfältige Möglichkeiten zur Interaktion zwischen den Unternehmen und ihren relevanten Teilöffentlichkeiten, die sich aus den verschiedenen Funktionen der technischen Infrastruktur ergeben. Auf diese Möglichkeiten beziehungsweise Funktionen soll abschließend im groben Überblick eingegangen werden.
3.2 Online-PR
87
Ähnlich wie bei den Profilen von Privatpersonen bietet Facebook Unternehmen grundsätzlich die Funktion, zunächst einseitig gerichtete Posts zu verfassen. Diese können Texte, Bilder und/oder Videos enthalten. Die Nutzer*innen haben die Möglichkeit, diese Unternehmensposts zu kommentieren. Auf diese Kommentare wiederum können die Unternehmen oder andere Nutzer*innen antworten. Zudem muss zwischen verschiedenen Seitenbereichen unterschieden werden, die sich im Laufe der Zeit kontinuierlich verändert haben (vgl. Anhang A1).11 Neben dem Bereich der ‚Startseite‘, auf der meist die Unternehmensposts in umgekehrter chronologischer Reihenfolge zu sehen sind, gibt es Bereiche wie beispielsweise ‚Fotos‘, ‚Videos‘ oder ‚Info‘, die weiterführende Informationen (z. B. zum Unternehmen selbst, zu den Produkten und Dienstleistungen oder zu den Kontaktmöglichkeiten) bieten. Diese Bereiche können von den Unternehmen teils selbst angepasst und individuell mit Inhalten bespielt werden, teils sind sie von Facebook vorgegeben. Im Bereich ‚Community‘ können darüber hinaus die Nutzer*innen eigene Posts auf der Seite hinterlassen. Es obliegt dabei den Unternehmen, ob dieser Bereich aktiviert ist oder nicht. Auf der Ebene der Posts und Kommentare stehen mit dem sogenannten ‚Gefällt-mir-Button‘ (‚Likes‘ beziehungsweise seit 2016 ‚Reactions‘), der Teilen- (‚Shares‘) und der Kommentar-Funktion (‚Comments‘) zudem verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die auf die Resonanz der Inhalte schließen lassen. In der Forschung stellen diese Funktionen meist Indikatoren für die Popularität und die Viralität der Inhalte sowie für die Verbundenheit der Nutzer*innen mit den Unternehmen dar (vgl. u. a. Bortree & Seltzer, 2009; Gálvez-Rodríguez et al., 2018; Haro-de-Rosario et al., 2016). Da bereits mehrfach das Potenzial der sozialen Medien zur Interaktion mit den Nutzer*innen hervorgehoben wurde und dies generell ein Paradigma der Kommunikation in den sozialen Medien darstellt, ist es erforderlich, genauer auf das Konzept der Interaktivität einzugehen. Dabei ist es das Ziel, einen für die folgende Untersuchung operationalisierbaren Zugang zur interaktiven Unternehmenskommunikation auf Facebook zu entwickeln.
3.2.4 Interaktivität und Interaktion Der Bedeutungszuwachs der Online-PR wird oft mit der Interaktivität des Web 2.0 und der sozialen Medien begründet, wonach Formen der sozialen Interaktion zwischen
11Die
Bezeichnung der Funktionen sowie der grundsätzliche Funktionsumfang werden mit dem Stand Januar 2020 angegeben. Es ist nicht auszuschließen, dass sich diese auch in Zukunft aufgrund der dynamischen Entwicklung der Plattform weiterhin verändern. Welche Konsequenzen dies für die Erforschung der Facebook-Kommunikation vor allem im Hinblick auf Längsschnittuntersuchungen hat, soll im Rahmen der Limitation dieser Arbeit diskutiert werden (vgl. Abschnitt 9.3).
88
3 Online-Kommunikation von Unternehmen
den beteiligten Nutzer*innen ermöglicht werden (Cornelissen, 2011, S. 154; Kaplan & Haenlein, 2010, S. 66; Macnamara & Zerfass, 2012, S. 293; Zerfaß, 2010, S. 420). Das Internet und die sozialen Medien bringen dabei die Unternehmen und ihre Teilöffentlichkeiten durch die beschriebenen Entwicklungen auf technologischer und sozialer Ebene ein Stück näher zusammen, denn „kein anderer Kommunikationskanal bietet so viele Möglichkeiten der Interaktivität im Sinne der Interaktion […] mit wichtigen Bezugsgruppen“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 736). Was in dieser Aussage jedoch nahezu gleichgesetzt wird, bedarf einer konzeptuellen Unterscheidung. Grundsätzlich ist die Interaktivität eines technischen Mediums die Voraussetzung für Interaktionsprozesse (Neuberger, 2007, S. 43–44; Rafaeli, 1988, S. 119). Es muss hier also „zwischen Potenzial und Prozess“ (Neuberger, 2007, S. 44) differenziert werden. Das Potenzial soll in Anlehnung an Kiousis (2002, S. 372) definiert werden, der auf Basis einer Literaturanalyse eine vor allem für die Online-Kommunikation praktikable Definition destilliert hat: Interaktivität
„Interactivity can be defined as the degree to which a communication technology can create a mediated environment in which participants can communicate (one-to-one, one-to-many, and many-to-many), both synchronously and asynchronously, and participate in reciprocal message exchanges […]. With regard to human users, it additionally refers to their ability to perceive the experience as a simulation of interpersonal communication and increase their awareness of telepresence.“ (Kiousis, 2002, S. 372)
In diesem Sinne repräsentieren die verschiedenen technischen Funktionen von Facebook das Potenzial der Interaktivität, wohingegen die Nutzung dieser Funktionen durch die beteiligten Nutzer*innen den Prozess der Interaktion beschreibt. Diese Annahme deckt sich auch mit Sundars (2004, S. 388) Auffassung, dass Interaktivität vor allem als Eigenschaft eines Mediums betrachtet werden muss. Besonders Facebook bietet dabei durch zahlreiche funktionale und inhaltliche Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Interaktivität das Potenzial für den Aufbau einer „two-way friendship“ (Colleoni, 2013, S. 235). Die Freundschaftsmetaphorik in dieser Aussage unterstreicht zum einen, wie sehr die Logik der Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien auf den Mechanismen und Annahmen der interpersonalen Kommunikation beruht. Dies hatte sich bereits beim Relational Turn der PR (vgl. Abschnitt 2.4) angedeutet und wird durch die organisationale Nutzung von Facebook besonders evident, zumal die Plattform ursprünglich für die interpersonale Online-Kommunikation geschaffen wurde
3.2 Online-PR
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(vgl. Abschnitt 3.2.3).12 Boyd (2006, o. S.) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es durchaus Unterschiede zwischen Online- und Offline-Freundschaften gibt und Freundschaften in den sozialen Netzwerken vor allem auf einem egozentrischen Netzwerk basieren, in dem der relevante Kontext seitens der Sender*innen gesetzt wird. Daraus folgt, dass die Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten in den sozialen Medien nicht zwangsläufig dem Anspruch der Gleichberechtigung (Hon & Grunig, 1999, S. 19) gerecht werden muss und dass das klassische Machtgefälle durchaus auch online Bestand haben kann (Winkler, 2014, S. 53). Zum anderen zeigt sich daran anknüpfend, dass die Zweiseitigkeit der Kommunikation oftmals als Idealzustand der Online-Kommunikation angenommen wird. Was auch schon für das Modell der Symmetrischen Kommunikation galt (vgl. Grunig & Hunt, 1984; vgl. auch Abschnitt 2.3.1), ist jedoch keine hinreichende Bedingung für den Prozess der Interaktion. So unterscheidet Rafaeli (1988, S. 119) zwischen zweiseitiger (nicht-interaktiver), reaktiver (quasi-interaktiver) und interaktiver Kommunikation: „Two-way communication is present as soon as messages flow bilaterally. Reactive settings require, in addition, that later messages refer to […] earlier ones. Full interactivity […] differs from reaction in the incorporation of […] earlier reference“ (Rafaeli, 1988, S. 119). Neuberger (2007, S. 39; vgl. auch Walther et al., 2005, S. 642) schlägt jedoch aufgrund der unzureichenden theoretischen Fundierung und mangelnden empirischen Anwendung dieses Zugangs ein erweitertes Verständnis von interaktiver Kommunikation vor: Interaktion
Interaktion beziehungsweise interaktive Kommunikation bezeichnet den Prozess der wechselseitigen Kommunikation, bei dem ein gewisser Grad der Bezugnahme auf die vorherige Kommunikation gegeben sein muss. Variabel sind dabei: „die Art der Bezugnahme, wobei zwischen der Bezugnahme auf der Objektebene
12An dieser Stelle stellt sich die Frage, inwieweit Interaktionsprozesse zwischen den Organisationen und den Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten auch durch das Konzept der Parasozialen Interaktion erfasst werden können. Schließlich interagieren in sozialen Netzwerken wie Facebook Personen mit Unternehmen beziehungsweise mit deren stellvertretenden Kommunikator*innen. Parasoziale Interaktion beschreibt dabei das „interpersonal involvement of the media user with what he or she consumes […], including seeking guidance from a media persona, seeing media personalities as friends, imagining being part of a favorite program’s social world, and desiring to meet media performers“ (Rubin et al., 1985, S. 156; vgl. auch Hartmann, 2010; Horton & Wohl, 1956). Da sich das Konzept vor allem auf die Sicht der Rezipient*innen fokussiert und im Rahmen dieser Arbeit eine organisationszentrierte Perspektive im Vordergrund steht (vgl. Kapitel 6), soll diese Frage zunächst nicht weiterverfolgt werden. Im Kontext der Anschlussforschung wird allerdings noch einmal darauf zurückzukommen sein (vgl. Abschnitt 9.2).
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zu früheren Mitteilungen (reaktiv) und der Bezugnahme auf der Metaebene zu Relationen zwischen früheren Mitteilungen (interaktiv […]) unterschieden werden kann, […] die Länge der Kette von Mitteilungen, die wechselseitig aufeinander bezogen sind, und der Explikationsgrad der Bezugnahme, die vom ausdrücklichen Zitat der Mitteilung und der Namensnennung des Kommunikators bis zur impliziten Orientierung an unterstelltem Vorwissen (Strukturen) reichen kann“ (Neuberger, 2007, S. 39).
Legt man zudem das systemtheoretische Verständnis von Interaktion zugrunde, ergibt sich ein weiteres Dilemma, da Interaktion aus systemtheoretischer Perspektive grundsätzlich „durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen“ (Luhmann, 1996, S. 11) wird und die Anwesenheit der Kommunikationspartner*innen erfordert. Luhmann (1996) bezieht sich dabei jedoch vor allem auf die klassischen Massenmedien, die technisch vermittelt, indirekt, unidirektional und öffentlich ein disperses Publikum zu erreichen versuchen (vgl. Maletzke, 1963). Auch die Mediensoziologie (vgl. u. a. Sutter, 1999, 2010) steht der Verwendung des Interaktionsbegriffes im Zusammenhang mit medialer oder gar digitaler Kommunikation kritisch gegenüber. Demnach sei die „moderne Gesellschaft“ (Sutter, 2010, S. 101) hochgradig abhängig von der Massenkommunikation, die nicht von der vermeintlichen Interaktivität des Internets ersetzt werden könne. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Einschränkungen auch in der „nächsten Gesellschaft“ (Baecker, 2011a, S. 9) Bestand haben, zumal von grundlegenden technologischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen auszugehen ist. Die kommunikativen Prozesse, die im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden sollen, liegen demnach „vollkommen außerhalb des Theoriehorizonts“ (Weßler, 1999, S. 31) eines systemtheoretischen Zugangs. Auch Neuberger (2007) weist darauf hin, dass die systemtheoretische Perspektive nicht aufrechtzuerhalten ist, „wenn die Differenz zwischen Kommunikation unter Anwesenden und öffentlicher, medial vermittelter Kommunikation schwindet, weil auch diese interaktionsfähig wird“ (Neuberger, 2007, S. 43). Eine Abhilfe schafft in diesem Fall der Rückgriff auf die Strukturationstheorie (vgl. Giddens, 1986, 1988). Generell ist eine ergänzende Perspektivierung durch einen strukturationstheoretischen Zugang in der PR-Forschung ein geeigneter Weg, um Interaktionsprozesse auf der Makro-, Meso- und Mikroebene gleichermaßen berücksichtigen zu können (Röttger, 2015, S. 239; Szyszka, 2013, S. 265–269; Zerfaß, 2010, S. 392; Zühlsdorf, 2002, S. 217; vgl. auch Abschnitt 2.2.1). So zielt die Analyse der Strukturierung sozialer Systeme dezidiert auf die Frage ab, „wie diese in Interaktionszusammenhängen produziert und reproduziert werden“ (Giddens, 1988, S. 77). Giddens (1988) greift hier auf den Begriff der ‚Sozialintegration‘ zurück, der die „Reziprozität
3.2 Online-PR
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zwischen Akteuren in Kontexten von Kopräsenz“ (Giddens, 1988, S. 81) beschreibt. In der integrierten Theorie der Unternehmenskommunikation nach Zerfaß (2010, S. 123– 124) findet sich diese Betrachtungsweise bei der Beschreibung von Beziehungen im Nahbereich von Unternehmen wieder (vgl. Abschnitt 2.1.4). Die Kopräsenz bei Giddens (1988, S. 81) kann mit Luhmanns (1996, S. 33) Erfordernis der Anwesenheit der Kommunikationspartner*innen in Bezug gesetzt werden. Aufbauend auf strukturationstheoretischen Überlegungen sieht Windeler (2001, S. 256) jedoch neben der Face-to-Face-Kommunikation auch die mediale Kommunikation beispielsweise via Telefon, Fax oder Internet als Form der Sozialintegration. Generell muss angesichts des Medienwandels berücksichtigt werden, „dass die technischen Möglichkeiten der computervermittelten Interaktion vollkommen neue Kommunikationsräume schaffen, in denen die unmittelbare Ko-Präsenz der Interaktionspartner nicht mehr notwendig ist“ (Kneidinger-Müller, 2017, S. 68). Auf Basis dieser Überlegungen folgt die vorliegende Arbeit dem beschriebenen erweiterten Verständnis von Interaktion – gerade auch, weil in der interaktiven Online-Kommunikation zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten unweigerlich Beziehungsprozesse stattfinden (vgl. u. a. Avidar, 2013; DiStaso & McCorkindale, 2013; Kim et al., 2014; O‘Neil, 2014; Shin et al., 2015; Sundstrom & Levenshus, 2017; Waters et al., 2014). Es sei jedoch nochmals betont, dass sich die Interaktionsprozesse in der medialen Kommunikation zwar ähneln, sich jedoch in Bezug auf ihre Qualität von denen in der interpersonalen Kommunikation im Sinne einer Kopräsenz (vgl. Giddens, 1988) beziehungsweise Anwesenheit (vgl. Luhmann, 1996) unterscheiden, denn die Nutzung sozialer Medien entspricht nicht zwangsläufig einer sozialen Interaktion (Hall, 2018, S. 174). Somit sind unterschiedliche Interaktivitätsgrade und Interaktionsmöglichkeiten in der Facebook-Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten zu erwarten. Dabei muss hinsichtlich der verschiedenen Interaktionsformen differenziert werden, wobei speziell die Interaktion über Facebook eine Form der mediatisierten sozialen Interaktion darstellt, die unterschiedlich intensiv ausgestaltet sein kann (Hall, 2018, S. 165–167). Soziale Interaktion wird allgemein definiert als „zwischen (wenigstens zwei) Partnern ablaufendes Geschehen […], in dem die jeweiligen Partner aufeinander bezogen handeln, d. h. also: Sie wirken aufeinander ein“ (Burkart, 2002, S. 59). Zentrale Voraussetzungen sind dabei „(1) mutual acknowledgment by both partners of a shared relationship, (2) conversational exchange, and (3) focused attention by both partners on that exchange“ (Hall, 2018, S. 165). Hall (2018, S. 165–167) stuft mit besonderem Fokus auf die Nutzung von sozialen Netzwerken insgesamt fünf verschiedene Konzepte der sozialen Interaktion ab: soziale Aufmerksamkeit, unfokussierte Interaktion, routinierte unpersönliche Interaktion, fokussierte soziale Interaktion und Tiefenkommunikation (vgl. Abbildung 3.3).
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3 Online-Kommunikation von Unternehmen
Abbildung 3.3 Konzepte der sozialen Interaktion in sozialen Netzwerken. (Quelle: eigene Darstellung nach Hall (2018, S. 167))
Auch wenn sich die Interaktivität der verschiedenen Plattformen und Angebote in den sozialen Medien grundlegend unterscheidet, ist die zentrale Aktivität in den sozialen Medien das Browsing (oder auch Lurking), also das bloße Betrachten von Inhalten, die andere Nutzer*innen erstellt haben (Hall, 2018, S. 165–166). Hall (2018, S. 166) weist jedoch darauf hin, dass weder das reine Rezipieren noch das reine Erstellen und Posten von Inhalten eine Form der sozialen Interaktion im Sinne der zuvor genannten Definitionen darstellt. Da diese Verhaltensweisen jedoch zu gängigen Praktiken in den sozialen Netzwerken geworden sind (vgl. Ancu, 2012; Bazarova, 2012; Larsson, 2015; Tosun, 2012), umschreibt Hall (2018, S. 166–167) die empfangsbasierte Nutzung als Konzept sozialer Aufmerksamkeit und die sendungsbasierte Nutzung als Konzept unfokussierter Interaktion (vgl. auch Goffman, 1963). Vor allem beim ersten Konzept fehlen die Fremdorientierung und die gegenseitige Wahrnehmung der Interaktionspartner*innen, wodurch es als Form der sozialen Interaktion in den sozialen Netzwerken ausscheidet. Allerdings gesteht Hall (2018, S. 166) ein, dass sich in den sozialen Netzwerken insbesondere mit dem ‚Liken‘ und Kommentieren von Beiträgen zwei Praktiken herausgebildet haben, die zumindest eine rudimentäre Form der Interaktion darstellen. Dabei sind diese Praktiken im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den Interaktionspartner*innen unterschiedlich zu gewichten. So hat das ‚Liken‘ eines Posts oder eines Kommentars keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den Interaktionspartner*innen: „[O]ne-click
3.2 Online-PR
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acknowledgment does not strengthen relationship ties“ (Hall, 2018, S. 166; vgl. auch Burke & Kraut, 2014). Im Gegensatz dazu beschreibt Hall (2018, S. 166) Kommentare und Posts, die gezielt an andere Nutzer*innen (also auch an Unternehmen) gerichtet werden, als ein Konzept der fokussierten sozialen Interaktion (vgl. auch Goffman, 1963). Sie entsprechen dem zugrunde gelegten Verständnis der sozialen Interaktion, da es hier um die gegenseitige Anerkennung, Diskussion und den individuellen Umgang mit den jeweiligen Interaktionspartner*innen geht. Posts und Kommentare gelten dabei als Indikatoren für enge Beziehungen (vgl. auch Burke & Kraut, 2014; Bryant & Marmo, 2012; McAndrew & Jeong, 2012; Smock et al., 2011). Es werden an dieser Stelle Ähnlichkeiten zum Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit offensichtlich. Die Phase der Diskussion stellt dabei eine wichtige Voraussetzung für die Interaktion der Beteiligten dar (vgl. Burkart, 1993a, 2013; vgl. auch Abschnitt 2.3.2). Zwischen der unfokussierten Interaktion und der fokussierten sozialen Interaktion steht das Konzept der routinierten unpersönlichen Interaktion (Hall, 2018, S. 164; vgl. auch Goffman, 1963). Kommunikationsroutinen in den sozialen Netzwerken beziehen sich auf vordefinierte, „scripted exchanges with interchangeable others“ (Hall, 2018, S. 164). Als Beispiele hierfür können Geburtstagsgrüße oder das Teilen von Posts angeführt werden. Sie repräsentieren eher „casual or acquaintance relationships“ (Hall, 2018, S. 164; vgl. auch Bryant & Marmo, 2012). Besonders das Teilen von Posts ist durch die technische Infrastruktur der meisten sozialen Netzwerke als eine eher niederschwellige Form der Interaktion zu werten. Schließlich modelliert Hall (2018, S. 167) mit dem Konzept der Tiefenkommunikation einen normativen Idealzustand der Interaktion. Dabei geht es vor allem um die Nähe der Kommunikationspartner*innen, die in einem permanenten Austausch ihre Beziehung pflegen. Da in sozialen Netzwerken wie Facebook besonders die Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen die gemeinsame Basis und gegenseitigen Erwartungen für die Interaktion zwischen den Unternehmen und den Teilöffentlichkeiten prägen (Kim et al., 2014, S. 357; vgl. auch Boyd, 2006; Thomlison, 2000), ist der inhaltliche und zeitliche Horizont für einen solchen Austausch begrenzt. Dies gilt auch für interaktive Funktionen wie beispielsweise private Chats zwischen Unternehmen und Kund*innen. Damit ist in Anlehnung an Hall (2018, S. 167) anzunehmen, dass die Tiefenkommunikation zwischen den Interaktionspartner*innen nicht erreicht werden kann – sowohl in Bezug auf interpersonale Interaktionen und Beziehungen als auch auf OTBs. Vergleichbare Diskrepanzen haben sich auch im Rahmen der symmetrischen (vgl. Abschnitt 2.3.1) und verständigungsorientierten Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.3.2) angedeutet. Äquivalent dazu soll die Tiefenkommunikation als normativer Idealzustand gelten, der in der Kommunikation zwischen Organisationen und Nutzer*innen in den sozialen Medien nicht erreicht werden kann. In Bezug auf die vorliegende Untersuchung soll Halls (2018) Konzeptualisierungsvorschlag als Grundlage für die Operationalisierung der verschiedenen Interaktionsformen auf Facebook dienen. Damit kommt diese Arbeit der Forderung nach, dass die Forschung
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die konzeptuellen und operationalen Definitionen der sozialen Interaktion bei der Untersuchung der Nutzung sozialer Medien sorgfältig aufeinander abstimmen sollte (Hall, 2018, S. 176). Soziale Netzwerke, allen voran Facebook, bieten folglich nach dem hier entwickelten Verständnis für Unternehmen die Möglichkeit, mit ihren relevanten Teilöffentlichkeiten zu interagieren und umgekehrt. Inwieweit dabei die dialogorientierte Kommunikation eine zentrale Rolle spielt, wird im nächsten Kapitel erläutert. Zunächst werden jedoch die zentralen theoretischen Befunde zur Online-Kommunikation von Unternehmen in einem Überblick zusammengetragen.
3.3 Zentrale theoretische Befunde zur Online-Kommunikation von Unternehmen Das Ziel dieses Kapitels war es, die grundlegenden Rahmenbedingungen der Kommunikation von Unternehmen im Internet und in den sozialen Medien zu beleuchten. Dabei waren es vor allem Entwicklungen auf der Makroebene – allen voran die Digitalisierung und der Medienwandel –, durch die sich die Mediennutzung auf der Mikroebene verändert hat. Konkret haben insbesondere die sozialen Medien als ein Phänomen des Web 2.0 einen deutlichen Bedeutungszuwachs erfahren. Gerade Facebook konnte sich dabei als fester Bestandteil im Medien- und Kommunikationsrepertoire der Nutzer*innen etablieren. Auch Unternehmen haben schnell die Potenziale des sozialen Netzwerkes erkannt und forcierten in der Folge ihre PR-Arbeit zunehmend in diese Richtung. Nicht zuletzt durch vielversprechende Möglichkeiten zur unmittelbaren Interaktion mit den relevanten Teilöffentlichkeiten wurde die Relevanz der Online-PR nachhaltig gestärkt. Demnach hat sich die Mediennutzung nicht nur auf der Mikroebene verändert – auch auf der Mesoebene ist ein Kommunikationsverhalten zu attestieren, dessen eigentliche Wurzeln, getragen vom Relational Turn der PR, in der interpersonalen Kommunikation zu verorten sind. Zur Veranschaulichung dieser und weiterer grundlegender Entwicklungen im Zusammenhang mit der Online-Kommunikation von Unternehmen sollen auch in diesem Kapitel abschließend die zentralen theoretischen Befunde thesenartig zusammengetragen werden: • Sowohl der technische Fortschritt im Zuge der Digitalisierung als auch individuelle Entscheidungen bei der Mediennutzung haben letztendlich zu einem Bedeutungszuwachs des Internets und der sozialen Medien geführt. Die Unternehmenskommunikation hat sich an diese Veränderungen angepasst. • Die unter dem Begriff des Medienwandels subsumierte Transformation einer klassisch massenmedialen Öffentlichkeit zu einer Netzwerköffentlichkeit beziehungsweise von einer modernen zu einer nächsten Gesellschaft hat die Möglichkeiten zur öffentlichen Kommunikation – daher auch zur Unternehmenskommunikation – bereichert. • Das Internet umfasst zahlreiche interaktive Angebote, die unter dem Begriff der sozialen Medien zusammengefasst werden. Innerhalb der sich stetig ausdifferenzierenden
3.3 Zentrale theoretische Befunde zur Online-Kommunikation von Unternehmen
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und weiterentwickelnden Landschaft dieser sozialen Medien hat sich vor allem Facebook als zentrale Plattform etabliert. Dies gilt sowohl für das Informations- und Kommunikationsverhalten der Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten (Makroebene) als auch für das Beziehungsmanagement der Unternehmen (Mesoebene). • Die sozialen und technologischen Entwicklungen haben in der Konsequenz die Online-PR als Form der Unternehmenskommunikation aufgewertet. Dabei bietet das soziale Netzwerk Facebook durch seine genuin interpersonale Kommunikationslogik einen idealen Anknüpfungspunkt für das organisationale Beziehungsmanagement. • Facebook bietet durch seine technische Evolution zahlreiche Funktionen für Unternehmen und die Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten, um in einen wechselseitigen Kommunikationsprozess zu treten. In diesem Sinne wohnt dem sozialen Netzwerk ein mehr oder weniger genutzter Grad an Interaktivität inne. Die Intensität der Interaktion auf Basis der Nutzung dieser Funktionen ist durch die unterschiedlichen Konzepte der Interaktionen operationalisierbar: Formen der unfokussierten Interaktion (z. B. Likes), der routinierten unpersönlichen Interaktion (z. B. Shares) und der fokussierten sozialen Interaktion (z. B. Kommentare) bieten einen analytischen Zugang zur Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Teilöffentlichkeiten auf Facebook. Forschungsziel 2
Dieses Kapitel hat verdeutlicht, dass die Interaktivität der sozialen Medien dem organisationalen Beziehungsmanagement zuträglich ist. Die Konzepte der Interaktivität und der sozialen Interaktion dienen aus diesem Grund als forschungsleitender analytischer Bezugspunkt für den weiteren Verlauf dieser Arbeit. Konkret soll dabei untersucht werden, wie Unternehmen das Potenzial zur Interaktion mit den Nutzer*innen auf Facebook nutzen und welche Auswirkungen dies auf die Beziehungen zu den Teilöffentlichkeiten hat (vgl. Kapitel 6).
Immer wieder wird im Zusammenhang mit der Online-Kommunikation auf das dialogische Potenzial von sozialen Medien wie Facebook Bezug genommen. Im weiteren Verlauf (vgl. Kapitel 4) soll daher gezeigt werden, inwiefern mit dem Dialog ein weiteres Konzept aus der interpersonalen Kommunikation auf die Kommunikation in den sozialen Medien und auf die Unternehmenskommunikation übertragen wurde. Das folgende Kapitel zeigt, dass eine solche Anwendung oft an der Normativität des DialogBegriffes scheitert und bietet mit dem Konzept der Dialogorientierten OrganisationsTeilöffentlichkeits-Kommunikation ein operationalisierbares Konstrukt zur Analyse von Beziehungsprozessen zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten in den sozialen Medien.
4
Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass der gesellschaftliche und der technologische Wandel nicht nur individuelle Kommunikationsroutinen nachhaltig verändert haben. Auch der Unternehmenskommunikation stehen dadurch zahlreiche Möglichkeiten zur Interaktion mit ihren Teilöffentlichkeiten zur Verfügung. Besonders soziale Netzwerke wie Facebook gelten als „multifunktionale Plattformen […], die ihren Mitgliedern wie auch Unternehmen verschiedene Formen der Präsenz und des Dialoges ermöglichen“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 733). Beschäftigt man sich mit dem interaktiven Potenzial des Internets und der sozialen Medien, begegnet man zwangsläufig dem Begriff ‚Dialog‘. Jedoch ist der Dialog nicht nur ein „Modethema“ (Zerfaß, 1996b, S. 23), ein „Modebegriff“ (Röttger et al., 2018, S. 140) oder ein „PRWort des Jahres“ (Szyszka, 1996, S. 81), das „seit geraumer Zeit Konjunktur“ (Zerfaß, 1996b, S. 23) hat. Vielmehr hat sich der Dialog zu einem der „schillerndsten Begriffe“ (Hoffjann, 2014, S. 5; Pleil, 2015b, S. 33) der Public Relations entwickelt und sowohl Forschung als auch Praxis nachhaltig geprägt. Winkler und Pleil (2019, S. 456–460) attestieren der Online-PR einen dominanten dialogzentrierten Selbstentwurf, der seinen Ursprung in den sozialen Entwicklungen hin zu einer Netzwerkgesellschaft hat (vgl. Abschnitt 3.1). In diesem Entwurf steht die Beziehung zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten im Vordergrund, wobei seitens der Forschung meist ausgelotet wird, inwieweit die Online-PR das interaktive Potenzial der jeweiligen Plattformen auszuschöpfen vermag (Winkler & Pleil, 2019, S. 457). Dabei ist eine zunehmende Abwendung der Forschung von einer ethischen Auffassung der Online-PR zugunsten einer pragmatischeren Perspektive festzustellen. Dies scheint für die PR-Forschung aussichtsreich zu sein, da sie sich so „von überhöhten normativen Erwartungen löst und stärker an vorzufindenden
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_4
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medialen Gegebenheiten und Nutzungsformen orientiert“ (Winkler & Pleil, 2019, S. 459–460). Folglich knüpft diese Arbeit daran an, indem sie eine praxisorientierte Sichtweise auf das Dialog-Konzept entwickelt und sich von normativen Erwartungen abgrenzt. Dass der Dialog eng mit idealen und normativen Formen der Kommunikation verbunden ist, hat sich bereits im Zusammenhang mit der symmetrischen und der verständigungsorientierten Kommunikation angedeutet (vgl. u. a. Burkart, 1993a, 2013; Grunig & Hunt, 1984; vgl. auch Abschnitt 2.3.1, 2.3.2). Der Begriff wurde ferner auch schon im Zusammenhang mit der Cluetrain-PR angesprochen, die im Wesentlichen auf der Verständigung und der Gleichberechtigung der Kommunikationspartner*innen basiert (vgl. Pleil, 2007; Zerfaß & Pleil, 2015; vgl. auch Abschnitt 3.2.1). Jedoch wurde bislang noch nicht ausreichend diskutiert, inwieweit Dialog in der Unternehmenskommunikation ähnlich wie Symmetrie und Verständigungsorientierung als ein nicht erreichbarer Idealzustand zu betrachten ist. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass Unternehmen vor allem die sozialen Medien nutzen, um mit den Teilöffentlichkeiten in Kontakt zu treten und Beziehungen zu den Nutzer*innen aufzubauen und zu pflegen. Habermas (1981, S. 384) sieht jedoch eine wesentliche Diskrepanz zwischen verständigungsorientiertem (kommunikativem) und erfolgsorientiertem (instrumentellem/ strategischem) Handeln. Dabei strebt Verständigung auf der Basis von gemeinsamen Überzeugungen nach einem „Einverständnis, welches den Bedingungen einer rational motivierten Zustimmung zum Inhalt einer Äußerung genügt“ (Habermas, 1981, S. 387), wohingegen strategisches Handeln individualistisch motiviert ist (vgl. Abschnitt 2.3.2). Diese Diskrepanz steckt folglich das grundlegende Spannungsfeld für die Auseinandersetzung mit dem Dialog-Begriff ab. Es stellt sich also die Frage, inwieweit sowohl die Online-Kommunikation als auch die strategisch geleitete Unternehmenskommunikation tatsächlich zum Dialog zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten beitragen können. Umgekehrt scheint es zudem notwendig, die Interaktion zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen im Internet vor dem Hintergrund des Dialog-Begriffes definitorisch zu erfassen, sollte dieser – ähnlich wie Symmetrie und Verständigung – als Idealform nicht anwendbar sein. Das Ziel dieses Kapitels ist es demnach, den Begriff des ‚Dialoges‘ und seine Bedeutung für die Public Relations zu erschließen. Hierzu werden zunächst verschiedene Zugänge zum Dialog-Begriff vorgestellt (Abschnitt 4.1). Es wird ausgehend von einem in der interpersonalen Kommunikation wurzelnden normativen Verständnis gezeigt, dass der klassische Dialog für die Online-Kommunikation von Unternehmen nicht geeignet ist und sich vielmehr ein deskriptives Verständnis im Sinne einer Dialogorientierung anbietet. Dieser deskriptive Zugang wird über eine Vorstellung zentraler Prinzipien und Grundsätze der dialogorientierten Public Relations (Abschnitt 4.2) schließlich in das empirisch operationalisierbare Konzept der Dialogorientierten Organisations- Teilöffentlichkeits-Kommunikation überführt (Abschnitt 4.3). Eine Zusammenfassung der zentralen theoretischen Befunde schließt den letzten theoretischen Baustein dieser Arbeit ab (Abschnitt 4.4).
4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung
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4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung Das Konzept des Dialoges spielt für die Public Relations sowohl in der Forschung als auch in der Praxis seit geraumer Zeit eine wichtige Rolle. Dies liegt mitunter daran, dass Grunig und Hunt (1984, S. 23) ihr einflussreiches Modell der Symmetrischen Kommunikation um den Begriff des ‚Dialoges‘ herum aufbauen. Insbesondere in Bezug auf die Community Relations1 sprechen sie wiederholt von „dialogue sessions“ (u. a. Grunig & Hunt, 1984, S. 27, 246, 269, 276), die zwischen Unternehmen und Vertreter*innen aus den relevanten Teilöffentlichkeiten stattfinden sollen. Dabei setzen sie die symmetrische Kommunikation mehr oder weniger mit dem Dialog-Begriff gleich. Die Kommunikationsarbeit von Unternehmen soll somit idealerweise auf einem „twoway symmetric communication process, a dialogue rather than a monologue“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 278) beziehungsweise auf einem „symmetric dialogue between the oranization and key publics“ (Grunig & Hunt, 1984, S. 339) basieren. Allerdings herrscht Uneinigkeit über die Verwendung des Begriffes, was sich in den zahlreichen Versuchen widerspiegelt, Dialog zu definieren (Kent & Taylor, 2002, S. 21; Szyszka 1996, S. 81; Zerfaß, 1996b, S. 26; vgl. u. a. Gutiérrez-García et al., 2015; Kent & Taylor, 1998; Pieczka, 2011; Taylor & Kent, 2014; Theunissen & Wan Noordin, 2012; Yang et al., 2015). Grundsätzlich sind in der Debatte, die sich um den Dialog-Begriff gebildet hat, zwei Zugänge auszumachen: der Zugang über ein normatives Verständnis und der Zugang über ein deskriptives Verständnis (Hoffjann, 2014, S. 6). Im normativen Verständnis ist ein Dialog grundsätzlich ergebnisoffen und stellt eine ethisch-normative Form der Kommunikation dar (Hoffjann, 2014, S. 6; vgl. auch Grunig & Grunig, 1992; Kent & Taylor, 1998; Taylor & Kent, 2014). Im deskriptiven Verständnis ist Dialog ein wechselseitiger Kommunikationsprozess, bei dem es zu einem Rollenwechsel der Kommunikationspartner*innen kommt (Hoffjann, 2014, S. 6; vgl. auch Szyszka, 1996; Zerfaß, 1996b; Zerfaß & Droller, 2015). Diese beiden Verständnisse sollen im weiteren Verlauf als produktorientierter beziehungsweise prozessorientierter Zugang verstanden werden (vgl. Kent & Taylor, 1998, S. 323).
1Die
Community Relations stellen einen Teilbereich der Public Relations dar. Community Relations, die im deutschen Sprachgebrauch auch als Nachbarschafts-PR oder Standort-PR bezeichnet werden, umfassen die Kommunikationsarbeit in unmittelbarer Umgebung des Standortes einer Organisation (Bentele & Nothaft, 2008, S. 347). Konkret können sie in Anlehnung an das Boston College’s Center for Corporate Community Relations definiert werden als „the state of relations between the company and the communities (local, national, or global) in which it has a presence or impact. It encompasses programs which advance the interest of both the company and its communities, such as: donations and contributions of all kinds, employee volunteerism, community-based programs, relationships with civic, professional, and nonprofit organizations, and corporate citizenship activities“ (Waddock & Boyle, 1995, S. 135).
100
4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Beide Zugänge haben ihre Berechtigung, es hängt jedoch vom spezifischen Kontext ab, welches Verständnis zugrunde gelegt werden kann. Ist die Unternehmenskommunikation – wie im Kontext dieser Arbeit – der Untersuchungsgegenstand, so stellt sich die Frage, inwieweit die strategische Ausrichtung der Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.1.3) ein normatives Begriffsverständnis zur Utopie macht. Begründet liegt dieses Problem zum einen darin, dass die PR-Forschung seit jeher versucht, ohne die eigentlich notwendige Reflexion Konzepte und Begriffe aus der interpersonalen Kommunikation für die Kommunikation von Unternehmen handhabbar zu machen. Ähnliches war auch bereits hinsichtlich der Symmetrischen Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.3.1), der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Abschnitt 2.3.2), des Beziehungsmanagements (vgl. Abschnitt 2.4.1) und der Interaktion (vgl. Abschnitt 3.2.4) festzustellen. Zum anderen erweist sich durch den Erfolg der sozialen Medien der Rückgriff auf die Dialog-Rhetorik verführerisch, stellen diese doch genuin interpersonale Kommunikationsplattformen dar (vgl. Abschnitt 3.2.3). Erschwerend kommt hinzu, dass – unabhängig vom jeweiligen Zugang – der Dialog-Begriff meist nicht „in einen übergeordneten theoretischen Rahmen [eingebettet wird], mit dem die Beziehungen zwischen der PR und ihren Bezugsgruppen erklärt werden“ (Hoffjann, 2014, S. 6). Für die empirische PR-Forschung heißt das: Problematisch wird es dann, wenn eine produktorientierte Definition zugrunde gelegt wird, jedoch eigentlich die Prozesse im Fokus des Erkenntnisinteresses stehen (vgl. Kapitel 5). Da sich diese Arbeit im analytischen Teil mit der dialogorientierten Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien (speziell auf Facebook) beschäftigt, soll hier ein dezidiert prozess- und praxisorientierter Zugang etabliert werden (vgl. Lane, 2014a). Es sei bereits an dieser Stelle betont, dass es nicht das Ziel dieser Arbeit ist, Dialog im Sinne der produktorientierten Sichtweise zu messen. Zur konzeptionellen und analytischen Trennung werden daher die normativen Wurzeln des Dialog-Begriffes beleuchtet, ehe in Abgrenzung dazu ein operationalisierbares deskriptives Verständnis herausgearbeitet wird.
4.1.1 Normatives Verständnis: Wurzeln des Dialog-Begriffes Dialog ist ein komplexes und traditionsreiches Konzept, das bereits von altgriechischen Rhetorikern und Philosophen wie Sokrates und Platon diskutiert wurde (vgl. u. a. Anderson, 2003; Barth & Krabbe, 1982; Lueken, 1996; Zappen, 2004). In diesem Sinne ist Dialog „das Medium, in dem allein sich philosophisches Wissen bilden und vermitteln lässt“ (Lueken, 1996, S. 60; Hervorhebung im Original). Sowohl Platon als auch Sokrates positionieren sich vor diesem Hintergrund medienkritisch, denn im Gegensatz zur gesprochenen Rede ist in der Verschriftlichung keine Kontrolle der Rezeption und Wirkung des Gemeinten möglich: „Der philosophische Dialog […] zielt also auf Geltung, Einsicht, Wissen – und nutzt dabei die Stärken der gesprochenen, kontext- und situationsverbundenen Sprache“ (Lueken, 1996, S. 61; vgl. auch Wieland, 1982).
4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung
101
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keimte in verschiedenen Disziplinen ein erneutes Interesse am Dialog auf, wobei besonders interpersonale, ethische, (religions-) philosophische, psychologische und rhetorische Einflüsse zu erkennen sind (vgl. u. a. Anderson et al., 1994; Arnett, 1994; Botan, 1992, 1997; Buber, 1970, 1999; Habermas, 1981; Johannesen, 2002; Laing, 1969; Pearson, 1989a, 1989b; Rogers, 1992). Für das normative Verständnis sind dabei vor allem die Arbeiten von Buber (1970, 1999), Rogers (1961, 1992), Gadamer (1979, 1980, 1989), Bakhtin (1981, 1986), Bohm (1985, 2006) und Freire (1990) prägend.2 Diese verschiedenen disziplinären Strömungen lassen sich hinsichtlich der Kommunikationsmotive beziehungsweise der Orientierung an den Kommunikationspartner*innen sowie der konkreten Umsetzung und der Outcomes vergleichen. Lane (2014a, S. 25) folgert aus einem systematischen Vergleich entlang dieser Dimensionen, dass der Dialog im normativen Sinne von der gegenseitigen Wertschätzung und Abhängigkeit der Kommunikationspartner*innen motiviert sein muss. Dabei respektieren die Kommunikationspartner*innen das Recht der jeweils anderen, ihre Meinungen und Gedanken zu äußern. Die Kommunikationspartner*innen bemühen sich um ein Verständnis für diese Meinungen. Hinsichtlich der Umsetzung ist eine grundsätzliche Bereitschaft zur Einbeziehung und Reaktion erforderlich – auch gegenüber Beteiligten, die über weniger Macht in der jeweiligen Dialog-Konstellation verfügen. Darüber hinaus sind das Zuhören und Sprechen über für wichtig erachtete Aspekte eine Voraussetzung (Lane, 2014a, S. 25). Es sollen grundsätzlich alle Ideen und Gedanken geäußert werden (dürfen) und in die Entscheidungsfindung einfließen. Ehrlichkeit und Offenheit in Bezug auf die eigene Position sind ebenso wichtig wie die Akzeptanz der Tatsache, dass es divergierende Standpunkte geben kann. Als Outcomes eines funktionierenden Dialoges sieht Lane (2014a, S. 25) gegenseitiges Verständnis, Respekt, Rücksicht und geteilte Macht. Dialog gilt in diesem Sinne folglich als eine Idealform der Kommunikation (Russmann & Lane, 2020, S. 2) beziehungsweise als „one of the most ethical forms of communication“ (Taylor & Kent, 2014, S. 388). Ein einheitliches Begriffsverständnis ist angesichts verschiedener normativer und disziplinärer Ansprüche an den Dialog kaum möglich (vgl. Lane, 2014a). Daher bietet es sich an, einen definitorischen Minimalkonsens anzustreben, der auf der systematischen Analyse normativer Zugänge von Lane (2014a, S. 35) fußt. Als Arbeitsdefinition soll für den vorliegenden Kontext demnach folgendes Verständnis des Dialog-Begriffes gelten:
2Vgl.
für einen ausführlichen Überblick und eine Gegenüberstellung dieser normativ ausgerichteten Arbeiten Lane, 2014a, S. 26–34 sowie Anderson et al. ,2004.
102
4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Dialog
Dialog ist im normativen Verständnis eine ethisch überlegene und ergebnisoffene Form der Kommunikation, die von dem gegenseitigen Respekt und der Offenheit der Dialogbeteiligten geprägt ist. Die Artikulation von Informationen und Meinungen ist dabei der Ausgangspunkt für die reziproke Interaktion der Beteiligten mit dem Ziel, gegenseitiges Verständnis auf Basis einer gleichberechtigten Machtstruktur zu schaffen. In diesem Sinne beschreibt der Dialog den Beziehungszustand der Dialogbeteiligten.
Aus dieser grundlegenden definitorischen Annäherung wird ersichtlich, dass der Dialog aus normativ-produktorientierter Perspektive den Prozess der Interaktion beinhaltet. Oder anders ausgedrückt: Die reziproke Interaktion zwischen den Dialogbeteiligten ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Dialog. Damit wird offensichtlich, dass der Dialog in seiner normativen Bedeutung nicht für die Unternehmenskommunikation anwendbar ist, denn allein das „Ziel der Realisierung partikularer Interessen steht der Ergebnisoffenheit des Dialogs in der Regel entgegen“ (Röttger et al., 2018, S. 48). Nichtsdestoweniger sind Unternehmen von der Legitimation des gesellschaftspolitischen Umfeldes abhängig (vgl. Abschnitt 2.1.4, 2.2.1), was letztendlich auch die Daseinsberechtigung der PR erklärt, da sie unter anderem auf eine „Veränderung des gesellschaftspolitischen Beziehungsgeflechts“ (Zerfaß, 1996b, S. 50) abzielt. Befindet sich die Unternehmenskommunikation folglich in einer Art DialogDilemma, da sie ihren eigenen normativen Ansprüchen per definitionem nicht gerecht werden kann? Zerfaß (1996b, S. 51) verwendet angesichts dieses Spannungsfeldes den Begriff der ‚Dialogorientierung‘, um die Gesamtheit der Argumentationsprozesse zu beschreiben, die zur gesellschaftspolitischen Legitimation einer Organisation zum Einsatz kommen. Die Dialogorientierung kann folglich als eine Art Brückenkonzept verstanden werden, das weniger eine produktorientierte als vielmehr eine prozessorientierte Perspektive beschreibt. Auch Szyszka (1996, S. 95) erkannte eine Diskrepanz zwischen dem normativen Anspruch des Dialog-Konzeptes im Sinne einer Denkhaltung und der pragmatischen Wirklichkeit – nämlich, dass die Dialogorientierung in der Praxis oftmals als zweckrationales Kommunikationsinstrument betrachtet wird. Dabei stellt er fest, dass „sich Organisationen nur selten vom Pol der Zweckrationalität weiter wegbewegen, als es zur unmittelbaren oder mittelbaren Realisierung des Organisationszwecks unbedingt erforderlich ist“ (Szyszka, 1996, S. 95). Vor diesem Hintergrund und in Anlehnung an das systemtheoretisch fundierte Modell der Symmetrischen Kommunikation unterscheidet Szyszka (1996, S. 102–103) zwischen drei Typen der dialogorientierten Unternehmenskommunikation: dem Idealtyp, dem Realtyp und dem Fassadentyp. Der Idealtyp ist gleichzeitig ein „Irrealtyp“ (Szyszka, 1996, S. 103). Denn der Ideal typ misst sich am normativen Anspruch des Dialog-Begriffes, was eine vollkommene
4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung
103
Ergebnisoffenheit der Kommunikation bedeuten würde. Da Organisationen jedoch strategisch agieren, würden sie durch die Inkaufnahme dieser Offenheit ihre eigentlichen Interessen aufgeben und damit ihre Existenz riskieren (Szyszka, 1996, S. 102– 103). Im Gegensatz dazu ist im Realtyp eine Koexistenz von Ergebnisoffenheit und Ergebnisorientierung möglich, wobei die Ergebnisorientierung eine dominierende Rolle einnimmt. Vor allem wenn langfristig strategische Vorteile für eine Organisation in Aussicht stehen, kann eine Relativierung von kurz- oder mittelfristigen Interessen durchaus möglich sein. Darin sind die Grundannahmen des normativen DialogKonzeptes und der Verständigungsorientierung (vgl. Abschnitt 2.3.2) erkennbar, wonach abweichende Positionen – wenn auch eher als Mittel zum Zweck – akzeptiert werden (Szyszka, 1996, S. 103). Schließlich spiegelt sich im Fassadentyp die bis heute gültige Erkenntnis wider, dass der Dialog-Begriff „zweckentfremdet und instrumentalisiert“ (Szyszka, 1996, S. 103) wurde. Bei diesem Typ geht es weniger um die Schaffung eines gegenseitigen Verständnisses als vielmehr um die Information und Persuasion unter dem Deckmantel eines Dialoges. Der (vermeintliche) Dialog wirkt hier täuschend und blendend und dient ausschließlich dem Erreichen der Organisationsziele (Szyszka, 1996, S. 103). Eine ähnliche Sichtweise bietet Zühlsdorf (2002, S. 95–106) auf Basis ihrer strukturationstheoretischen Analyse der Interaktion zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten an. Ihr zufolge ist von einem starken Dialog-Begriff auszugehen, wenn als Erwartungshorizont ein normatives Ideal und eine völlige Ergebnisoffenheit gelten. Dieses Verständnis entspricht im Wesentlichen dem Idealtyp bei Szyszka (1996, S. 102–103). Dem gegenüber steht ein schwacher Dialog-Begriff. Dieser charakterisiert sich durch eine rein pragmatische und ergebnisorientierte Ausrichtung, was dem Fassadentyp bei Szyszka (1996, S. 103) nahekommt. Dazwischen befindet sich der abgeschwächte Dialog-Begriff, der zwischen dem Idealzustand und dem pragmatischen Anspruch oszilliert. Ähnlich wie bei Szyszkas (1996, S. 103) Realtyp können die Ergebnisorientierung und die Ergebnisoffenheit gegeneinander abgewogen werden. Erneut wird offensichtlich, dass eine derartige Inbezugsetzung von systemtheoretischen und strukturationstheoretischen Zugängen gewinnbringend für die PR-Forschung sein kann (vgl. Abschnitt 2.1.1). An dieser Stelle sei nochmals betont, dass im Einklang mit Szyszka (1996; vgl. u. a. auch Kent & Theunissen, 2016; Lane, 2014a, 2014b, 2018; Theunissen & Wan Nordin, 2012; Zühlsdorf, 2002) Dialog in seiner normativ-produktorientierten Bedeutung weder praktikabel für die PR-Praxis noch analysierbar für die PR-Forschung ist. Dementsprechend wird im Rahmen dieser Arbeit auch nicht der Dialog zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten in den sozialen Medien untersucht. Vielmehr lohnt sich ein deskriptiv-prozessorientierter Zugang über die bereits genannte Dialogorientierung. Im nächsten Schritt wird daher das Konzept der Dialogorientierung genauer definiert, vertieft und für die Analyse der Unternehmenskommunikation handhabbar gemacht.
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4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
4.1.2 Deskriptives Verständnis: Dialogorientierte Kommunikation Es wurde deutlich, dass der Dialog als normativ-produktorientiertes Konzept nicht geeignet ist, um Beziehungsprozesse zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten theoretisch zu beschreiben und empirisch zu untersuchen. Dennoch erleichtern gerade das Internet und die sozialen Medien durch ihre Interaktivität im Sinne des Interaktionspotenzials (vgl. Abschnitt 3.2.4) den wechselseitigen Kommunikationsprozess zwischen Unternehmen und den einzelnen Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten. Der Fokus liegt hier also auf dem Prozess, bei dem es zu einem Rollenwechsel kommt und der deskriptiv erfasst werden kann (Hoffjann, 2014, S. 6). Mit Blick auf die Arbeitsdefinition des normativen Dialogverständnisses (vgl. Abschnitt 4.1.1) stellt folglich die reziproke Interaktion zwischen den Dialogbeteiligten einen vielversprechenden Zugang für die Erfassung des organisationalen Beziehungsmanagements durch die Dialogorientierung in den sozialen Medien dar. Der Prozess der Reziprozität gilt folglich als eine Grundvoraussetzung für den Dialog (Szyszka, 1996, S. 84). Reziprozität soll hier als die Wechselseitigkeit der Kommunikation verstanden werden, wobei nach der Auffassung der Systemtheorie die „Leistung des einen […] unter der Bedingung der Gegenseitigkeit von der Leistung des anderen abhängig gemacht“ (Luhmann, 1984, S. 186) wird. Für Beziehungsprozesse bedeutet dies, dass Reziprozität als „internes Regulativ“ (Luhmann, 1997, S. 649) zwischen den beteiligten sozialen Segmenten (hier also den Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten) wirkt. Sie gewährleistet auf diese Weise auch die Gleichberechtigung der Beziehungspartner*innen im Sinne der „Resymmetrisierung von zeitlichen und sozialen Asymmetrien“ (Luhmann, 1997, S. 654). Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass die Wechselseitigkeit der Kommunikation im prozessorientierten Zugang zum Dialog ausschlaggebend für die Beziehung zwischen den Dialogbeteiligten ist. Dieses deskriptive Verständnis ist daher auch anschlussfähig an die Ansätze der Symmetrischen Kommunikation und der Verständigungsorientierung, da in diesen die Gleichberechtigung der Kommunikationspartner*innen eine zentrale Prämisse ist. An der Stelle sei auch nochmals auf die Relevanz der Interaktion (vgl. Abschnitt 3.2.4) der Beteiligten verwiesen, denn der Dialog gilt auch ganz im Sinne Platons und Sokrates als die „Grundform der dyadischen Interaktion“ (Delhees, 1994, S. 25).3 Das „Verkaufsgespräch zwischen Verkäufer und Einkäufer“ (Delhees, 1994, S. 25) ist dabei durchaus eine Ausprägung des dialogischen Prozesses. Dies unterstreicht nochmals die Notwendigkeit für die grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem normativen und einem deskriptiven Verständnis des DialogKonzeptes.
3Delhees
(1994, S. 25) weist in diesem Kontext auch darauf hin, dass ohne die Gleichberechtigung der Dialogbeteiligten grundsätzlich keine Interaktion möglich ist. Folglich ist davon auszugehen, dass sich Reziprozität und Interaktion in gewisser Weise gegenseitig bedingen.
4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung
105
Es ist grundsätzlich nachvollziehbar, dass der Dialog im normativen Sinne aus Sicht der PR-Praxis ein erstrebenswertes Produkt der Kommunikation ist. Ungeachtet seiner tatsächlichen Erreichbarkeit muss der Weg dorthin, also der Prozess, vor allem für die Kommunikator*innen pragmatisch erschließbar sein (Kent & Taylor, 2002, S. 30). Die Frage für die PR-Forschung ist folglich, wie der Prozess des Dialoges auf der Mikroebene theoretisch erklärt und analytisch erfasst werden kann. Wie schon angedeutet, soll hier das Konzept der dialogorientierten Public Relations gangbar gemacht werden. Allein die Semantik des Begriffes deutet dabei bereits an, dass die Dialogorientierung nicht dem strengen normativen Anspruch des Dialoges unterworfen ist (Szyszka, 1996, S. 81). Darüber hinaus betont der Aspekt der Orientierung die prozessuale Ausrichtung. Damit der Begriff der ‚Dialogorientierung‘ im Folgenden zielführend definiert werden kann, ist zunächst ein Blick in die englischsprachige Forschung nötig, um die allgemeinen theoretischen Anknüpfungspunkte zu den Public Relations zu verstehen. Das Konzept der dialogorientierten Public Relations hat seine Wurzeln in den Arbeiten von Pearson (1989a, 1989b), der einen ethischen Zugang zu den Public Relations etablieren wollte. Aufbauend auf den Arbeiten von Habermas (1981, 1984) fußt eine ethische PR-Praxis nach Pearson (1989a, S. 177) weniger auf einer monologischen Kommunikationspolitik als vielmehr auf einer dialogischen Systemorientierung. Ob und inwieweit die PR-Praxis ethisch sein kann, war generell lange eine unbeachtete Frage in der Forschung (Avenarius & Bentele, 2019, S. 5–6). Diese Frage geht zwangsläufig mit normativen Aspekten einher, die im Zuge der Ansätze der Symmetrischen Kommunikation und der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit bereits angesprochen wurden (vgl. Abschnitt 2.3). Ihre Idealformen gelten daher meist als utopisch und als nicht praktikabel: „Wir müssen es zur Kenntnis nehmen, weil Moral auch stets ein Stück Utopie ist. Das gilt schon für Personen, wie viel mehr für Organisationen! Heiligmäßig zu sein, hat nicht einmal bei Kirchen funktioniert. Sie bedürfen dazu der Katechismen; die Public Relations auch“ (Avenarius & Bentele, 2019, S. 9). Aus Sicht der Praxis ist dabei festzustellen, dass die Notwendigkeit für ethisches Handeln durchaus gegeben ist. So gibt es nahezu in allen führenden Unternehmen in Deutschland Ethikkodizes oder entsprechende Richtlinien, die als Erwartungshorizont für die Kommunikation mit den Teilöffentlichkeiten gelten (Bentele & Seidenglanz, 2018, S. 262; Bentele & Seiffert, 2014, S. 12). Unternehmen sind also durchaus in der Lage, ethik- und damit auch dialogorientiert zu kommunizieren, denn „akzeptierte und von moralisch-ethischen Grundsätzen abgeleitete Richtlinien und Normen geben PR-Berufsangehörigen Möglichkeiten zur Orientierung und zur Reflexion beim alltäglichen beruflichen Handeln“ (Bentele & Seidenglanz, 2018, S. 262). Umgekehrt sollte folglich eine auf Dialog ausgerichtete Kommunikation der Einhaltung solcher Ethikstandards zuträglich sein. Dialog kann also im Sinne einer kommunikativen Orientierung verstanden werden: „[D]ialogue manifests itself more as a stance, orientation, or bearing in communication rather than as a specific method, technique, or format“ (Botan, 1997, S. 192). Auf diesem grundlegenden Verständnis bauten in der Folge Kent und Taylor (1998) ihre einflussreichen Gedanken zu dialogischen Beziehungen zwischen Organisationen und ihren
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4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Teilöffentlichkeiten im Internet auf. In diesem Sinne ist der Dialog „product rather than process“ (Kent & Taylor, 1998, S. 323). Vier Jahre später legten sie in Anlehnung an diese Vorarbeiten ihre „dialogic theory of public relations“ (Kent & Taylor, 2002, S. 21) vor, in der sie für eine deskriptiv-prozessorientierte Betrachtung plädieren, denn „just because an organization and its publics create ‚dialogic‘ communication structures, does not mean that they are behaving dialogically“ (Kent & Taylor, 2002, S. 24; vgl. auch Gunson & Collins, 1997; Zerfaß & Droller, 2015). Damit erfolgt also eine dezidierte Verschiebung des Dialogverständnisses weg von einer normativen Zielgröße hin zu einer kommunikativen Orientierung (Kent & Taylor, 2002, S. 25), die durch bestimmte dialogische Prinzipien und Grundsätze greifbar gemacht werden kann. Auf diese wird an späterer Stelle noch einzugehen sein (vgl. Abschnitt 4.2). Problematisch an vielen Studien, die gerade im Kontext von sozialen Medien entstanden sind und sich auf Kent und Taylor (1998, 2002) berufen, ist die oftmalige Gleichsetzung von Dialog als Produkt mit Interaktion als Prozess (Taylor & Kent, 2014, S. 388–390): „Many researchers confuse using the potentially dialogic tools of the web and social media interaction with actual dialogue“ (Taylor & Kent, 2014, S. 390). Auch wenn der Interaktionsprozess ein konstituierendes Element für den Dialog ist, gilt es, eine strikte konzeptuelle Trennung vorzunehmen. Im Englischen erfolgt diese Trennung durch die Begriffe ‚dialogue‘ und ‚dialogic‘. Während ‚dialogue‘ den normativen Zugang beschreibt (vgl. Abschnitt 4.1.1), bezieht sich ‚dialogic‘ auf die einzelnen prozeduralen Schritte, also auf die deskriptive Sichtweise (Taylor & Kent, 2014, S. 390). In diesem Verständnis beschreibt „dialogic communication […] interactions between organizations and publics that seek to create mutual respect, mutual understanding, and mutual benefits“ (Wirtz & Zimbres, 2018, S. 26). Analog zu dieser Differenzierung hat sich in der deutschsprachigen Forschung die Unterscheidung zwischen den Begrifflichkeiten ‚Dialog‘ und ‚Dialogorientierung‘ etabliert, wobei anzumerken ist, dass im deutschsprachigen Raum ein grundsätzlich deskriptiveres Verständnis vorherrscht als in der US-amerikanischen Forschung. Dialoge werden vor allem im Sinne zweiseitiger Kommunikation von Monologen abgegrenzt (vgl. Buber, 1970, 1999). Sie kennzeichnen sich dadurch, dass „ein Rollenwechsel zwischen Kommunikator und Rezipient stattfindet bzw. im Grundsatz vorgesehen ist“ (Zerfaß, 1996b, S. 28). Szyszka (1996, S. 88) sieht im Dialog-Begriff drei verschiedene Ebenen. Demnach drückt er einerseits eine einfache wechselseitige Reaktion aus. Darüber hinaus dient der Dialog als „formal wechselseitiger Sprechakt“ (Szyszka, 1996, S. 88) der Informationsübermittlung, wobei die Sprechsituation im Vordergrund steht. Schließlich ist der Dialog – ganz im normativen Sinne – auch ein reflexiver Prozess, der an bereits beschriebene Geltungsansprüche wie Ergebnisoffenheit und geringe Planbarkeit gekoppelt ist (Szyszka, 1996, S. 88). Im Gegensatz dazu stellt die Dialogorientierung insbesondere ein Leitbild der Unternehmenskommunikation dar. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Szyszka (1996, S. 102–103; vgl. auch Abschnitt 4.1.1) zwischen dem Idealtyp, dem Realtyp und dem Fassadentyp soll durch den Begriff der ‚Dialogorientierung‘ sichergestellt werden, dass die „Dialogidee nicht vorschnell im Spannungsfeld von Theorie und Praxis zer-
4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung
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rieben wird“ (Bentele et al., 1996, S. 449). So wird gewährleistet, dass der Versuch, realwirtschaftliche Prozesse als Gegenstand der PR-Forschung zu erklären, nicht aufgrund eines normativen Verständnisses zum Scheitern verurteilt ist. Die begriffliche Abgrenzung zwischen ‚Dialog‘ und ‚Dialogorientierung‘ trägt damit dem Umstand Rechnung, dass in der PR-Praxis der Dialog zwar ein wünschenswertes Produkt der Unternehmenskommunikation ist, idealtypisch betrachtet jedoch nicht zu erreichen ist. Bentele et al. (1996) sehen folglich in der Dialogorientierung einen pragmatischen Zugang zu der Beschreibung praktischer und prozessualer Phänomene, ohne dass „Dialogansätze als unzureichend diskreditiert werden, weil sie nicht der reinen Theorie entsprechen“ (Bentele et al., 1996, S. 449). Seidenglanz und Westermann (2013, S. 142–149) gehen davon aus, dass neben der Gleichberechtigung und der Integration besonders die Interaktion der Kommunikationspartner*innen essenziell für die Dialogorientierung ist. Da Dialogorientierung häufig auch mit symmetrischer Kommunikation gleichgesetzt wird (Kent & Lane, 2017, S. 571; Wirtz & Zimbres, 2018, S. 11), ist abschließend eine Abgrenzung diesbezüglich erforderlich, um ein holistisches deskriptives Verständnis des Dialoges zu gewinnen. Das Modell der Symmetrischen Kommunikation stellt eines der vier PR-Modelle nach Grunig und Hunt (1984) dar, die verschiedene Entwicklungen und Formen der Public Relations unter anderem anhand ihrer Anwendungsfelder und Absichten beschreiben (vgl. Grunig & Hunt, 1984; vgl. auch Abschnitt 2.3.1). Zur Erinnerung: Symmetrische Kommunikation ist zu verstehen als eine Reihe von „bargaining, negotiating, and conflict resolution strategies to bring symbiotic changes in the ideas, attitudes, and behaviors of both the organization and its publics“ (Grunig, 1989, S. 29; vgl. auch Abschnitt 2.3.1). Ähnlich wie auch beim Idealtyp des Dialoges ist der Kommunikationsprozess nicht per se zugunsten der Organisation determiniert, sondern offen und verhandelbar angelegt. In einem symmetrischen Kommunikationsprozess können die Beteiligten dabei Einstellungs- und Verhaltensänderungen beim jeweiligen Gegenüber erwirken und somit einen Austausch auf Augenhöhe erreichen. Setzt man die Symmetrische Kommunikation in Bezug zum Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit nach Burkart (1993a, 2013; vgl. auch Abschnitt 2.3.2), kommen hier Elemente der Diskussion und des Diskurses zum Einsatz. Darin besteht nun auch der wesentliche Unterschied zum Konzept des Dialoges. Während es im Dialog im Wesentlichen um die Akzeptanz divergierender Meinungen und den verständigungsorientierten Austausch darüber geht, ist es das Ziel der symmetrischen Kommunikation, in einen kommunikativen Prozess einen Konsens herzustellen: „Unlike the symmetrical approach, the dialogic communication approach does not focus on conflict-solving; rather, it encourages participants to speak their voices, air different opinions, and exchange ideas“ (Magen & Avidar, 2019, S. 98). Aus Sicht von Kent und Taylor (1998) besteht nun die Leistung der symmetrischen Kommunikation insbesondere in der Bereitstellung von Prozeduren, auf Basis derer Organisationen und ihre Teilöffentlichkeiten in einen Prozess der Interaktion treten können (Kent & Taylor, 1998, S. 323). Dabei spielen die Interaktivität und die Reziprozität des Kommunikationsprozesses eine ausschlaggebende Rolle (Huang, 2004, S. 334;
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vgl. auch Gower, 2006). Diese Betrachtungsweise stellen Kent und Taylor (1998) ihrem Verständnis von Dialog als „particular type of relational interaction – one in which a relationship exists“ (Kent & Taylor, 1998, S. 323) diametral entgegen. Auch Grunig und Grunig (1992) weisen darauf hin, dass die symmetrische Kommunikation ein „forum for dialogue“ (Grunig & Grunig, 1992, S. 308) darstellt. Ungeachtet dessen sind beide Konzepte eng miteinander verschränkt, da ähnliche Motive, Umsetzungsweisen und Outcomes erkennbar sind (Lane, 2014b, S. 126; vgl. auch Leichty & Springston, 1993). Theunissen und Wan Noordin (2012, S. 5–8) stellen die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Dialog als ethisches und der symmetrischen Kommunikation als systemtheoretisches Konzept heraus. Demnach ist die symmetrische Kommunikation ein Symptom der gesteigerten Prozessorientierung in den Public Relations, wie sie sich zum Beispiel im Kommunikationsmanagement manifestiert: „Public relations in this respect has become about controlling messages, information and the process of communication, evaluating its results“ (Theunissen & Wan Noordin, 2012, S. 7). Auch sie betonen die idealistische Natur des Dialoges im Sinne eines „perfect state of harmony where the organization’s interest is reconciled with that of the public“ (Theunissen & Wan Noordin, 2012, S. 7). Das Verhältnis zwischen symmetrischer Kommunikation und Dialog entspricht also, ähnlich wie bei der Unterscheidung zur dialogorientierten Kommunikation, dem zwischen Prozess und Produkt. Dialog stellt demzufolge den Zustand von Beziehungen dar, wohingegen die symmetrische Kommunikation als eine Reihe von bestimmten Regeln oder Verfahren dient, welche die Kommunikation einer Organisation lenken (Brown, 2010, S. 282; Grunig, 2001, S. 28). Die Dialogorientierung als ein deskriptiv-prozessorientierter Zugang unterscheidet sich also substanziell von dem normativ-produktorientierten Verständnis des Dialog-Begriffes. Auf Basis dieser Überlegungen und der zentralen Abgrenzungen soll für den Fortgang dieser Arbeit folgende Arbeitsdefinition für den Begriff der ‚Dialogorientierung‘ gelten: Dialogorientierung
Dialogorientierung beschreibt im deskriptiven Verständnis den kommunikativen Prozess, in dem durch die reziproke Interaktion zwischen den Kommunikationsbeteiligten die Voraussetzungen für einen Dialog geschaffen werden. In diesem Prozess können die Möglichkeiten zur Interaktion durch die Kommunikationsbeteiligten unterschiedlich stark genutzt werden, was Einfluss auf den Grad der Dialogorientierung übt. Während der Dialog das Produkt der Dialogorientierung ist und nie ohne diesen Prozess entstehen kann, führt die Dialogorientierung nicht zwangsläufig zu einem Dialog.
Die vorangegangenen Ausführungen zum Dialog-Begriff machen deutlich, dass Dialog ein komplexes Konstrukt ist, welches unterschiedlichen Verständnissen zugrunde liegen kann. Dabei stellt die grundlegende Differenzierung zwischen einem
4.1 Vom Dialog zur Dialogorientierung
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deskriptiv-prozessorientierten und einem normativ-produktorientierter Zugang eine pragmatische Möglichkeit dar, um die Kommunikationsprozesse zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten theoretisch und empirisch zu fokussieren (vgl. Hoffjann, 2014). Es hat sich gezeigt, dass sich systemtheoretische (vgl. Szyszka, 1996) und strukturationstheoretische (vgl. Zühlsdorf, 2002) Zugänge zum Dialog-Begriff miteinander in Beziehung setzen lassen. Dies erlaubt die Erschließung der Beziehungen zwischen der Mikro-, Meso- und Makroebene, was für den Analyserahmen dieser Arbeit relevant sein wird (vgl. Kapitel 6). Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass sich in der PR-Forschung im Laufe der Zeit zahlreiche Modellierungsversuche hervorgetan haben, die unterschiedliche Zugänge zum Dialog-Konzept bieten. Dies reicht von den klassischen Modellen von Szyszka (1996), Zühlsdorf (2002) und Zerfaß (1996) bis hin zur Ausfaserung in stark metaphorische Modellierungen wie etwa der „dialogic ladder“ (Lane, 2020), dem „strata approach“ (Magen & Avidar, 2019), der „rhizomatous metaphor“ (Kent & Lane, 2017) oder dem „homo dialogicus“ (Kent & Taylor, 2016). Ihnen gemeinsam ist die Tatsache, dass sie im Wesentlichen für eine Unterscheidung zwischen einem normativen und einem deskriptiven Verständnis von Dialog sensibilisieren. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle auf Basis der vorangegangenen Überlegungen eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem normativ-produktorientierten und einem deskriptiv-prozessorientierten Zugang zum Dialog-Konzept genügen (vgl. Abbildung 4.1). Im weiteren Verlauf wird jedoch bei Bedarf oder bei Überlappung auch auf die Erkenntnisse anderer Modellierungsversuche verwiesen.
Abbildung 4.1 Konzeptuelle Abgrenzung zwischen Dialogorientierung und Dialog. (Quelle: eigene Darstellung)
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4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Da im Kontext dieser Arbeit vor allem eine praxisorientierte Annäherung an die dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien erfolgen soll, wird der normativ-produktorientierte Idealtyp per definitionem ausgeschlossen (vgl. u. a. Kent & Theunissen, 2016; Lane, 2014a, 2014b, 2018; Szyszka, 1996; Theunissen & Wan Nordin, 2012; Zühlsdorf, 2002). Empirisch untersuchenswert ist vielmehr die Frage, wie sehr die Dialogorientierung in der Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten ausgeprägt ist und welchen Einfluss die Dialogorientierung auf deren Beziehungen übt. Um diese Fragen beantworten zu können, muss die Dialogorientierung aufbauend auf der grundsätzlichen theoretischen Verortung und Abgrenzung auch dimensional erschlossen werden. Dazu stehen mit den dialogischen Prinzipien (vgl. Kent & Taylor, 1998) und dialogischen Grundsätzen (vgl. Kent & Taylor, 2002) prägende Konzepte der PR-Forschung zur Verfügung, die im Folgenden näher betrachtet und in Bezug auf das organisationale Beziehungsmanagement reflektiert werden sollen. Darauf aufbauend wird im Anschluss ein operationalisierbarer Zugang zum Konstrukt der Dialogorientierung vorgestellt.
4.2 Prinzipien und Grundsätze der dialogorientierten Public Relations Kent und Taylor (1998) nehmen eine Vordenkerrolle ein, was das Bewusstsein für die wachsende Bedeutung des Internets für die strategische Organisationskommunikation anbelangt. Sie erkennen bereits Ende der 1990er Jahr die Relevanz der Kommunikationsverantwortlichen bei der Implementierung dialogorientierter Strategien und das Potenzial der Online-Kommunikation zum Beziehungsmanagement mit verschiedenen Teilöffentlichkeiten. Gleichzeitig kritisieren sie, dass Organisationen das Internet vernachlässigten und die Forschung dessen Relevanz für den Aufbau und die Pflege von OTBs nicht ausreichend ergründet (Kent & Taylor, 1998, S. 321–323). Diese Diskrepanz zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand der PR-Praxis stellt schließlich ihre Motivation dar, um ein Rahmenkonzept für das Beziehungsmanagement im Internet zu entwickeln, welches in der Folge zu einem der einflussreichsten Konzepte in der PR-Forschung avancierte (Duhé, 2015, S. 155). Ihr Rahmenkonzept bauen Kent und Taylor (1998, S. 323–326) zunächst auf Basis eines normativ-produktorientierten Zugangs zum Dialog auf (vgl. Abschnitt 4.1.1), wobei sie vor allem auf die Arbeiten von Buber (1970, 1999) und Habermas (1981, 1984) zurückgreifen. In diesem Sinne ist „[d]ialogic communication […] any negotiated exchange of ideas and opinions“ (Kent & Taylor, 1998, S. 325). In Bezug auf das Internet erkennen sie ein hohes Maß an dialogischem Potenzial, das langfristig dem Management der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten
4.2 Prinzipien und Grundsätze der dialogorientierten Public Relations
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zuträglich sein kann. Sie sprechen sich allerdings im Einklang mit einer sozialkonstruktivistischen Sichtweise (vgl. Kapitel 3) gegen einen reinen Technikdeterminis mus und damit auch implizit gegen eine Dialog-Euphorie aus, indem sie den Prozess der dialogorientierten Kommunikation in das Blickfeld nehmen: „Technology itself can neither create nor destroy relationships; rather, it is how the technology is used that influences organization-public relationships“ (Kent & Taylor, 1998, S. 324). Um Beziehungen zu relevanten Teilöffentlichkeiten aufzubauen, leiten Kent und Taylor (1998, S. 326–331) schließlich fünf Prinzipien ab, die als Leitlinien für eine erfolgreiche Integration einer dialogischen Online-PR betrachtet werden können (vgl. Abbildung 4.2).
Abbildung 4.2 Fünf Prinzipien der dialogorientierten Online-PR. (Quelle: eigene Darstellung nach Kent und Taylor (1998, S. 326–331))
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4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Diese Prinzipien haben die PR-Forschung nachhaltig geprägt, da sie einen ersten operationalen Zugang zum Dialog-Konzept in der Organisationskommunikation boten. In der Folge wurden sie herangezogen, um Dialog-Prozesse auf Websites (vgl. u. a. Ingenhoff & Koelling, 2010; Reber & Kim, 2006), Blogs (vgl. u. a. Seltzer & Mitrook, 2007; Waters et al., 2014) oder Plattformen der sozialen Medien wie Facebook (vgl. u. a. Bortree & Seltzer, 2009; Gálvez-Rodríguez et al., 2018) oder Twitter (vgl. u. a. Rybalko & Seltzer, 2010; Watkins, 2017) zu untersuchen. Genau diesen Prinzipien ist es allerdings auch geschuldet, dass es dabei zu einer Entwertung des (normativ-produktorientierten) Dialog-Begriffes in der PR-Forschung gekommen ist, da sie aufgrund ihrer reinen Prozessorientierung die „deeper layers of the concept of dialogue“ (Magen & Avidar, 2019, S. 98; vgl. u. a. auch Kent, 2013; Kent & Lane, 2017; Kent & Taylor, 2016; Taylor & Kent, 2014) vernachlässigen. Inwieweit dies für die PR-Forschung symptomatisch geworden ist und welche Konsequenzen sich daraus für die vorliegende Studie ergeben, wird an späterer Stelle noch genauer vertieft (vgl. Kapitel 5). Es sei bereits an diesem Punkt betont, dass die Prinzipien nach Kent und Taylor (1998) nicht geeignet sind, um Dialog im normativen Sinne zu messen: „The biggest flaw in how dialogue has been examined in web-based public relations has involved treating features of dialogue as a series of categories that had to be present for the potential for dialogue“ (Taylor & Kent, 2014, S. 388). Hier gilt es für die PR-Forschung, vor allem praxiszentrierte Zugänge zu finden, die Aussagen darüber zulassen, inwieweit die dialogische Normativität das PR-Handeln beeinflusst, auch wenn ein Idealtyp weiterhin als Utopie betrachtet werden muss (vgl. Lane, 2014a, 2014b). Die Prinzipien ermöglichen vielmehr eine Annäherung an die im onlinebasierten Kommunikationsprozess mehr oder weniger vorhandenen Funktionalitäten, die die reziproke Interaktion im Sinne der Dialogorientierung greifbar machen. In diesem Verständnis eignen sie sich ausschließlich für die Untersuchung auf Inhaltsebene und lassen keine Aussage über die Haltung der Kommunikationspartner*innen zu. Vor diesem Hintergrund werden die fünf Prinzipien kurz vorgestellt. Dialogschleife Das Prinzip der Dialogschleife (dialogic loop) geht aus der genuinen Interaktivität des Web 2.0 hervor (Capriotti & Pardo Kuklinski, 2012, S. 620). Die Dialogschleife bietet dabei einen Ausgangspunkt für die dialogorientierte Kommunikation zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten (Kent & Taylor, 1998, S. 326). Für Organisationen besteht dabei die Möglichkeit im Sinne einer F eedback-Option, auf Fragen, Anliegen und Probleme der einzelnen Nutzer*innen zu reagieren. Kent und Taylor (1998, S. 326–327) weisen in diesem Kontext darauf hin, dass auf der einen Seite entsprechende Ressourcen der Organisationen und spezielle Fähigkeiten der Organisationsmitglieder erforderlich sind, um diese Form der interaktiven Kommunikation erfolgreich gestalten zu können. Es gilt folglich, einzelne
4.2 Prinzipien und Grundsätze der dialogorientierten Public Relations
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nsprechpersonen aus der PR-Abteilung abzustellen (Kent & Taylor, 1998, S. 327). A Hieraus hat sich letztendlich der Berufszweig des Social Media Managements beziehungsweise des Community Managements entwickelt (vgl. u. a. Montalvo, 2011; Moretti & Tuan, 2015; Pein, 2015; van Looy, 2016). Auf der anderen Seite muss die Dialogschleife komplett sein. Das heißt, dass die Kommunikationspartner*innen auch die Antworten des Gegenübers wahrnehmen müssen, was ein kontinuierliches Monitoring erfordert (Kent & Taylor, 1998, S. 327). Der Antwortprozess zwischen den Organisationen und den Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten gilt als ausschlaggebend für das Beziehungsmanagement (Kent & Taylor, 1998, S. 327). Die Dialogschleife entspricht dabei einer auf Interaktion beruhenden Zweiweg-Kommunikation (Madichie & Hinson, 2014, S. 343; Taylor et al., 2001, S. 271). Sie nimmt gegenüber den anderen Prinzipien eine Sonderstellung ein, da sie als eine Form der stetigen Interaktion zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten eine genuine Voraussetzung für die dialogorientierte Kommunikation darstellt (Capriotti & Pardo Kuklinski, 2012, S. 620). In der Forschung wird sie häufig durch das Vorhandensein von Antwortmöglichkeiten, Kontaktinformationen oder die Interaktionshäufigkeit auf den untersuchten Plattformen operationalisiert (vgl. u. a. Sundstrom & Levenshus, 2017; Taylor et al., 2001; Tonndorf & Wolf, 2014, 2015). Nützlichkeit der Informationen Das Prinzip der Nützlichkeit der Informationen (usefulness of information) bezieht sich darauf, dass die von einer Organisation verbreiteten Informationen aus Sicht der verschiedenen Teilöffentlichkeiten möglichst wertvoll sein sollen (Kent & Taylor, 1998, S. 327–328). Dabei steht zunächst die reine Verfügbarkeit von Inhalten, wie etwa historischen Daten oder Unternehmensinformationen, im Vordergrund. Es geht bei diesem Prinzip neben dem Aufbau der Informationsangebote auch um den wahrgenommenen Nutzen und das Vertrauen, das durch diese bedingt wird. Die Verfügbarkeit von Informationen seitens der Organisationen ist mit Blick auf die relevanten Teilöffentlichkeiten der erste wichtige Schritt zum Beziehungsaufbau (Kent & Taylor, 1998, S. 328). Darüber hinaus ist die Relevanz der Inhalte ein ausschlaggebendes Kriterium für dieses Prinzip, wodurch sich eine grundlegende Wertschätzung für die Nutzer*innen ausdrücken soll (Kent & Taylor, 1998, S. 328). In empirischen Studien wird zur Operationalisierung dieses Prinzips häufig das Vorhandensein von Informationen zur Geschichte, zum Aufbau oder zur Vision einer Organisation herangezogen. Auch Links zu externen Quellen oder FAQ-Bereiche fallen in diesen Bereich (vgl. u. a. Agyemang et al., 2015; Ingenhoff & Koelling, 2009; Lee, 2014). Generierung von erneuten Besuchen Beim Prinzip der Generierung von erneuten Besuchen (generation of return visits) gehen Kent und Taylor (1998, S. 329) davon aus, dass sich die Inhalte und Informationen eines
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Angebots stetig ändern müssen, damit sie für die Nutzer*innen relevant bleiben. Denn die Informationen sind in der Regel nicht weiter nützlich und sorgen nicht für erneute Besuche der Nutzer*innen, wenn sie einmal wahrgenommen wurden (Kent & Taylor, 1998, S. 329). Die Nützlichkeit der Informationen, wie sie im zweiten Prinzip verankert ist, definiert sich folglich auch durch ihre permanente Aktualität. Während das Bereitstellen von Informationen primär eine Form der Einweg-Kommunikation ist, gilt es, die Interaktivität der Online-Plattformen gezielt zu nutzen, um die Voraussetzungen für eine wiederholte Interaktion zwischen Organisationen und den Nutzer*innen zu schaffen (Kent & Taylor, 1998, S. 329). Demnach ist dieses Prinzip eine Grundvoraussetzung für das Beziehungsmanagement im Internet, da es langfristige Auswirkungen auf die Organisationskommunikation hat (Ao & Huang, 2020, S. 4). Zur Operationalisierung dieses Prinzips werden unter anderem Aufrufe zum erneuten Besuch, Links oder Registrierungs- und Bookmarking-Funktionen herangezogen (vgl. u. a. Kim et al., 2010; Madichie & Hinson, 2014; McAllister, 2012). Intuitivität des Interface Mit dem Prinzip der Intuitivität des Interface (intuitiveness/ease of the interface) spielen Kent und Taylor (1998, S. 329–330) auf die Nutzer*innenfreundlichkeit der Informationsangebote an. Mit dem Ziel, Informationen so schnell und effektiv wie möglich auffindbar zu machen, trägt dieses Prinzip vor allem zur Nützlichkeit der Informationsangebote und zur Gewährleistung von erneuten Besuchen bei (Kent & Taylor, 1998, S. 329). Hier geht es jedoch besonders um die Freiheit der Nutzer*innen, einen eigenen Zugang zu den Informationen zu finden, ohne dabei unnötig von relevanten Inhalten abgelenkt zu werden, wodurch das Image4 einer Organisation geprägt wird (Kent & Taylor, 1998, S. 330). Einmal mehr ist die Relevanz der Inhalte hervorzuheben, in dem Sinne, dass den konkreten Inhalten eine größere Bedeutung beigemessen werden sollte als Fragen der Ästhetik (Kent & Taylor, 1998, S. 330). Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass die Usability-Forschung zeigt, dass DesignAspekte durchaus förderlich für das Vertrauen und die Nutzungsbereitschaft sein können (vgl. u. a. Green & Pearson, 2011; Sánchez-Franco & Martín-Velicia, 2011). Das Prinzip lässt sich beispielsweise durch interne Verlinkungen, Sitemaps und das Vorhandensein einer Suchfunktion operationalisieren (vgl. u. a. Ingenhoff & Koelling, 2009; Kent et al., 2003; Kim et al., 2010), wobei Studien im Kontext von sozialen Netzwerken wie
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dem Image wird das „stark vereinfachte, typisierte und mit Erwartungen und Wertvorstellungen verbundene Vorstellungsbild über einen Sachverhalt, ein Objekt, eine Person, Organisation oder Institution“ (Eisenegger, 2005, S. 23) bezeichnet.
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Facebook dieses Prinzip häufig bewusst aus ihrer Untersuchungsanlage ausschließen, da die Plattformen ein überwiegend einheitliches Interface vorgeben (vgl. u. a. Men et al., 2018; Rybalko & Seltzer, 2010). Bewahrung der Besucher*innen Schließlich geht es beim Prinzip der Bewahrung der Besucher*innen (conservation of visitors) darum, dass die Nutzer*innen möglichst lange auf dem Online-Angebot einer Organisation verweilen oder im Sinne des dritten Prinzips den Weg dorthin wieder einfach finden sollen (Kent & Taylor, 1998, S. 330–331). Dies kann auch metaphorisch als „stickiness“ (Taylor et al., 2001, S. 270) der Angebote bezeichnet werden. Marketingund Werbeaktivitäten gelten in diesem Kontext als kontraproduktiv, da sie die Nutzer*innen in die Irre führen könnten (Kent & Taylor, 1998, S. 331). In Anlehnung an Buber (1970, 1999) muss es das Ziel sein, dass letztendlich Kommunikation in der Interaktion zwischen einer Organisation und den Nutzer*innen entsteht. Studien, die dieses Prinzip aufgreifen, verwenden zur Operationalisierung Indikatoren wie Verlinkungen zu anderen Online-Präsenzen der Organisation, Navigationsmöglichkeiten oder Ladezeiten der Seiten (vgl. u. a. McCorkindale & Morgoch, 2013; Rybalko & Seltzer, 2010; Taylor et al., 2001). Diese fünf Prinzipien im Sinne von grundlegenden Richtlinien (Kent & Taylor, 1998, S. 326) haben ganz wesentlich die Grundlage für die weitere theoretische und empirische Erschließung des Dialog-Konzeptes in der PR-Forschung gebildet. Vier Jahre später waren es abermals Kent und Taylor (2002), die eine ausgearbeitete dialogische Theorie der Public Relations vorlegten, wodurch die Forschung zum Dialog in den Public Relations wahrhaft floriert ist (Magen & Avidar, 2019, S. 98; vgl. auch Lane & Kent, 2018; McAllister-Spooner, 2009; Pieczka, 2016; Theunissen & Wan Noordin, 2012). Ihre taxonomischen Überlegungen fundieren erneut auf fünf Prinzipien (vgl. Abbildung 4.3). Um eine Verwechslung zwischen den Prinzipien der dialogischen PR-Theorie (vgl. Kent & Taylor, 2002) und den zuvor beschriebenen grundlegenden handlungsleitenden Prinzipien (vgl. Kent & Taylor, 1998) auszuschließen, sollen im weiteren Verlauf unterschiedliche Begriffe verwendet werden. Auch wenn Kent und Taylor (1998, 2002) in beiden Arbeiten den Begriff ‚principles‘ verwenden, wird in Anlehnung an Magen und Avidar (2019) zwischen grundlegenden Prinzipien (principles) und theorieleitenden Grundsätzen (tenets) differenziert. Erstere beschreiben das Verständnis der Vorarbeit von Kent und Taylor (1998), während zweitere die Grundannahmen der dialogischen PR-Theorie (vgl. Kent & Taylor, 2002) repräsentieren.
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4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Abbildung 4.3 Fünf Grundsätze der dialogorientierten Online-PR. (Quelle: eigene Darstellung nach Kent und Taylor (2002, S. 24–30))
Die Grundsätze setzen an den zuvor bereits angesprochenen „deeper layers“ (Magen & Avidar, 2019, S. 98) des Dialog-Konzeptes an, die in den Prinzipien aufgrund ihrer vornehmlichen Praxisorientierung nur unzureichend mitgedacht worden sind. Im Verständnis von Kent und Taylor (2002) hat der Dialog zwar unbestritten normative Wurzeln, bedarf allerdings im Kontext des organisationalen Beziehungsmanagements einer Neubewertung: „What dialogue does is change the nature of the organization-public relationship by placing emphasis on the relationship. What dialogue cannot do is make an organization behave morally or force organizations to respond to publics“ (Kent & Taylor, 2002, S. 24). Auch wenn der Dialog weiterhin ein Produkt einer reziproken Interaktion und damit eine Beschreibung eines Beziehungszustandes
4.2 Prinzipien und Grundsätze der dialogorientierten Public Relations
117
ist, können dialogorientierte Kommunikationsstrukturen auch in der strategisch ausgerichteten Organisationskommunikation zur Anwendung kommen (Kent & Taylor, 2002, S. 24). Sie legen damit das Fundament für eine Perspektive, die sich im Realtyp der Dialogorientierung verorten lässt (vgl. Abschnitt 4.1.2), wobei sie davon ausgehen, dass „a dialogic communication orientation does increase the likelihood that publics and organizations will better understand each other and have ground rules for communication“ (Kent & Taylor, 2002, S. 33). Im Gegensatz zu den Prinzipien erlauben die Grundsätze von Kent und Taylor (2002) folglich einen tieferen Blick in den Prozess der Dialogorientierung, der über das bloße Vorhandensein oder Fehlen von Funktionalitäten in onlinebasierten Umgebungen hinausgeht. Der Zugang lässt sich beispielsweise für die Erschließung auf der Mikroebene nutzen, um Erkenntnisse über die kommunikative Orientierung von Dialogbeteiligten zu gewinnen – unabhängig davon, ob ein Dialog im normativ-produktorientierten Sinne zustande kommt oder nicht. Zu diesem Zweck sollen auch die Grundsätze der Dialogorientierung nach Kent und Taylor (2002) im Überblick vorgestellt werden. Dabei wird, anders als bei der Vorstellung der dialogischen Prinzipien, auf einen jeweiligen Überblick über die Operationalisierbarkeit verzichtet, da in der Forschung bislang kaum ernstzunehmende operationale Zugänge vorhanden sind. Ausnahmen stellen lediglich die qualitativen Studien von Magen und Avidar (2019) sowie von Russmann und Lane (2020) dar. Die einzigen gewinnbringenden quantitativen Arbeiten stammen von Yang et al. (2015) und darauf aufbauend Kang et al. (2018) und Yang (2018). Im folgenden Kapitel soll daher der Zugang von Yang et al. (2015) nochmals gesondert betrachtet werden (vgl. Abschnitt 4.3). Zunächst stehen jedoch die Grundsätze der Dialogorientierung im Fokus. Gegenseitigkeit Der Grundsatz der Gegenseitigkeit (mutuality) bezieht sich auf die Anerkennung der Tatsache, dass Organisationen und ihre Teilöffentlichkeiten eng miteinander verbunden sind (Kent & Taylor, 2002, S. 25). Diese Verbindung ist gekennzeichnet durch eine Kollaborationsorientierung (Kent & Taylor, 2002, S. 25), die auf eine Gleichberechtigung der Dialogbeteiligten abzielt. Hier wird der unmittelbare Anknüpfungspunkt zum Konzept der OTBs deutlich, für die die Gleichberechtigung der Beziehungspartner*innen einen integralen Bestandteil darstellt (Hon & Grunig, 1999, S. 19; vgl. auch Abschnitt 2.4.2). In Bezug auf die PR ist festzustellen, dass die Gegenseitigkeit zu einer durchaus akzeptierten Praxis geworden ist (Kent & Taylor, 2002, S. 26). Auch die Kollaboration leistet einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung der PR-Praxis und zum Erreichen einer gemeinschaftlichen Kommunikationskultur, da sie Organisationen dabei unterstützt, im Spannungsfeld zwischen eigenem und dem Interesse der Teilöffentlichkeiten zu vermitteln (Grunig, 2000, S. 45; Kent & Taylor, 2002, S. 25).
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Nähe Der Grundsatz der Nähe (propinquity) gewährleistet auf einer basalen Ebene den rhetorischen Austausch zwischen den Dialogbeteiligten. In diesem Sinne ist der Grundsatz als eine „orientation to a relationship“ (Kent & Taylor, 2002, S. 26) zu betrachten. Für die Organisationen bedeutet das, dass es die Anliegen der relevanten Teilöffentlichkeiten zu berücksichtigen gilt, sollten diese von den Organisationen beeinflusst werden. Die Teilöffentlichkeiten wiederum sollen in der Lage und willens sein, ihre Forderungen gegenüber den Organisationen zu artikulieren (Kent & Taylor, 2002, S. 26). Damit die Nähe zwischen den Dialogbeteiligten gegeben ist, müssen diese in einem „shared space“ (Kent & Taylor, 2002, S. 26) miteinander kommunizieren und eine grundsätzliche Bereitschaft zur Beteiligung mitbringen. Darüber hinaus spielt die zeitliche Dimension im Sinne vorangegangener und künftig angestrebter Beziehungen eine wichtige Rolle. Auch hier lässt sich die Brücke zum organisationalen Beziehungsmanagement schlagen, denn durch den Grundsatz der Nähe können Organisationen durch die strategische Nutzung von zweiseitigen Beziehungen zu den Teilöffentlichkeiten ihre Effektivität steigern (Kent & Taylor, 2002, S. 27). Empathie Den Grundsatz der Empathie (empathy) setzen Kent und Taylor (2002, S. 27–28) auch mit der Sympathie zwischen den Kommunikationspartner*innen gleich. Genauer definieren sie diesen Grundsatz als „the atmosphere of support and trust that must exist if dialogue is to succeed“ (Kent & Taylor, 2002, S. 27). Sie betonen dabei die Relevanz der gegenseitigen Unterstützung. Anders als beispielsweise in der Phase der Diskussion im Sinne der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Burkart, 1993a, 2013; vgl. auch Abschnitt 2.3.2) geht es hier nicht um den bloßen „clash of ideas“ (Kent & Taylor, 2002, S. 27), sondern vielmehr um die Wertschätzung und Anerkennung dieser Positionen im Sinne einer gemeinschaftlichen Orientierung. Generell sehen sie für die Public Relations aufgrund des Medienwandels einen Bedeutungszuwachs der gemeinschaftsbildenden Funktion (Kent & Taylor, 2002, S. 27). Durch die fortschreitende Ausdifferenzierung der Teilöffentlichkeiten sind Organisationen also zunehmend dazu aufgefordert, auf die verschiedenen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Dabei verspricht die Empathie großes Potenzial für OTBs, denn eine empathische Orientierung kann den Organisationen helfen, die Beziehungen zu ihren Teilöffentlichkeiten zu verbessern (Kent & Taylor, 2002, S. 28). Risiko Die bisherigen Grundsätze haben gezeigt, dass in der Reziprozität der Dialogorientierung große Potenziale für das Beziehungsmanagement bestehen. Dies ist jedoch auch immer mit einem Risiko (risk) für die Dialogbeteiligten verbunden. Dialog im normativen Sinne ist also problematisch für die PR, da die prinzipielle Ergebnisoffenheit zu risikobehafteten Ergebnissen führen kann (Leitch & Neilson, 2001, S. 135). Risiken umfassen vor allem die Verwundbarkeit der Kommunikationspartner*innen. Diese ist
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sowohl den Selbstoffenbarungen als auch der Unvorhersehbarkeit der Konsequenzen im Sinne der Ergebnisoffenheit des Kommunikationsprozesses inhärent (Kent & Taylor, 2002, S. 28). Aus diesem Grund bedeutet Dialogorientierung auch Akzeptanz in der Hinsicht, dass die Beteiligten „are accepted as unique and valuable in their own right and because of the differences that they bring to dialogic exchanges“ (Kent & Taylor, 2002, S. 29). Kent und Taylor (2002, S. 29) sehen im genuinen Risiko der Dialogorientierung letztendlich auch eine Chance für organisationale Beziehungen, da die Verständigungsorientierung dazu führen kann, dass Risiken systematisch minimiert werden. Verbundenheit Kent und Taylor (2002, S. 29) sehen in der Gegenseitigkeit, der Nähe, der Empathie und dem Risiko die Voraussetzungen für den Grundsatz der Verbundenheit (commitment). Die Verbundenheit bezieht sich auf die Authentizität und Echtheit der Kommunikationspartner*innen. So ist davon auszugehen, dass Organisationen und Teilöffentlichkeiten, die wahrhaftig miteinander umgehen, viel eher in der Lage sind, zu für beide Seiten vorteilhaften Lösungen zu kommen (Kent & Taylor, 2002, S. 29). Darüber hinaus ist insbesondere die Verständigungsorientierung ausschlaggebend dafür, dass die bereits angesprochenen Risiken akzeptiert werden können. Da Dialogorientierung folglich auch ein Prozess des intersubjektiven Verstehens ist, bedarf es eines kontinuierlichen Interpretierens und Verstehens seitens der Dialogbeteiligten, um die angestrebte gegenseitige Akzeptanz gewährleisten zu können (Kent & Taylor, 2002, S. 29). Aus Sicht der Public Relations stellt die Verbundenheit eine zentrale Bezugsgröße dar, denn sie ist permanent gefordert, die Beziehungen zu Kommunikationsbeteiligten mit unterschiedlichen Positionen zu verhandeln (Kent & Taylor, 2002, S. 30). Verbundenheit ist auch im Rahmen von OTBs eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Beziehungspartner*innen in einen relationalen Prozess der Interaktion treten (Hon & Grunig, 1999, S. 20; vgl. auch Abschnitt 2.4.2). Mit dem Überblick über die Prinzipien und Grundsätze wurden unterschiedliche Ebenen der Dialogorientierung erschlossen. Es hat sich gezeigt, dass sich die Prinzipien insbesondere zur Beschreibung formaler Ausprägungen der Interaktion zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten auf der Mesoebene eignen. Dagegen lässt sich mit den Grundsätzen die Dialogorientierung der einzelnen Kommunikationspartner*innen auf der Mikroebene in den Fokus nehmen (vgl. Kapitel 6). Der Einblick in die verschiedenen Facetten der Dialogorientierung hat darüber hinaus zahlreiche Anknüpfungspunkte zum organisationalen Beziehungsmanagement hervorgebracht. Aus diesem Grund soll im nächsten Schritt die Relevanz der Dialogorientierung für die OTBs genauer beleuchtet werden. Wie bereits angedeutet wurde, gibt es bislang nur wenige Zugänge, die sich erstens der Frage widmen, wie die Grundsätze der Dialogorientierung empirisch umsetzbar sind, und zweitens das Konzept der Dialogorientierung in einen breiteren Kontext des Beziehungsmanagements einbinden. Diese Lücke schließt das Konzept der Dialogorientierten Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation (vgl. Yang et al., 2015).
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4.3 Dialogorientierte Organisations-TeilöffentlichkeitsKommunikation Mit dem Konzept der Dialogorientierten Organisations-TeilöffentlichkeitsKommunikation (DOTK) werden die theoretischen Grundlagen der Dialogorientierung in einen empirischen Rahmen überführt. Yang et al. (2015) bauen ihr Konzept dabei auf einer prozessorientierten Sichtweise auf. Sie verstehen die dialogorientierte Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation als „the orientation of mutuality and the climate of openness that an organization and its publics hold in communication to bring about mutually beneficial relationships“ (Yang et al., 2015, S. 176). Ähnlich wie bei Kent und Taylor (1998, 2002) bilden das Dialog-Konzept (vgl. u. a. Botan, 1997; Buber, 1970, 1999; Johannesen, 2002), der Ansatz der Symmetrischen Kommunikation (vgl. u. a. Grunig, 1989; Grunig & Hunt, 1984) und die Theorie des kommunikativen Handelns (vgl. u. a. Habermas, 1981, 1984) das Grundgerüst der DOTK. Die Verbindung der dialogorientierten Kommunikation zu den organisationalen Beziehungen stellen Yang et al. (2015, S. 177–180) dabei über zwei zentrale Teildimensionen her: Gegenseitigkeit (mutuality) und Offenheit (openness). Gegenseitigkeit Charakteristisch für eine Beziehung zwischen einer Organisation und ihren Teilöffentlichkeiten ist die „mutual dependence, or interrelatedness“ (Yang et al., 2015, S. 177; vgl. auch Broom & Sha, 2012; Hon & Grunig, 1999; Kent & Taylor, 1998, 2002). Gegenseitigkeit (mutuality) lässt sich hier definieren als „the mutual confirmation of unique values in different views, brought by each communicator“ (Yang et al., 2015, S. 177). Wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden ist, ist es für die Dialogorientierung essenziell, dass sowohl die Organisationen als auch die Teilöffentlichkeiten die Meinungen des jeweiligen Gegenübers akzeptieren und wertschätzen (vgl. Abschnitt 2.4.2, 4.2). Die Gegenseitigkeit kann dabei durch sechs Teildimensionen näher beschrieben werden, die zum Teil schon bei Kent und Taylor (1998, 2002) zu finden waren: Grounding, Kollaboration, Gleichberechtigung, Empfänglichkeit, Respekt und Empathie. Die Teildimension des Groundings (grounding) bezieht sich auf die „mutual orientation of communicators to share common ground“ (Yang et al., 2015, S. 177; vgl. auch Clark & Brennan, 1991). Damit die dialogorientierte Kommunikation erfolgreich sein kann, müssen Organisationen ihre Teilöffentlichkeiten zu einem gegenseitigen Austausch einladen und mit ihnen eine gemeinsame Basis finden, die gewährleistet, dass das Gesagte von beiden Parteien verstanden wird. Das Ziel ist es folglich, eine korrekte Kodierung und Dekodierung der Botschaften sicherzustellen, was eine kommunikative Kompetenz unerlässlich macht (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Monge et al., 1981). An dieser Stelle drängen sich Ähnlichkeiten zu der Phase der Information in der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit auf, bei der es ebenfalls um die Schaffung eines gemeinsamen Bezugsrahmens und die Klärung zentraler Verständnisse
4.3 Dialogorientierte Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation
121
geht (vgl. Burkart, 1993a, 2013; vgl. auch Abschnitt 2.3.2). Das Grounding ist für die Dialogorientierung konstitutiv, denn ohne eine gemeinsame Basis entspräche die Kommunikation einem Monolog (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Clark & Brennan, 1991). Unter der Teildimension der Kollaboration (collaboration) kann die „orientation aimed at attaining shared communicative goals“ (Yang et al., 2015, S. 178) verstanden werden. Yang et al. (2015, S. 178; vgl. auch Pearce & Pearce, 2004) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dialogorientierte Kommunikation nicht nur das Handeln eines einzigen Beteiligten erfordert, sondern es auch einer Folgehandlung des Gegenübers bedarf. Hier sind Anknüpfungspunkte zum Prinzip der Dialogschleife (vgl. Kent & Taylor, 1998; vgl. auch Abschnitt 4.2) und zum Grundsatz der Nähe (vgl. Kent & Taylor, 2002; vgl. auch Abschnitt 4.2) erkennbar. Im Zusammenhang mit der DOTK können entsprechende Kompetenzen seitens der Kommunikator*innen nicht ohne die Bemühungen und die Bereitschaft aller Beziehungspartner*innen erreicht werden, was eine grundsätzliche Ausrichtung auf das Gegenüber verlangt (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch McCroskey, 1984). Die Gleichberechtigung (confirmed equality) beschreibt die „orientation of communicators in establishing equal value for all parties in dialogue“ (Yang et al., 2015, S. 178). Die Dialogbeteiligten müssen dabei die Gleichberechtigung akzeptieren, damit Kommunikationsprozesse überhaupt erst in Gang gesetzt werden können (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Johannesen, 1971). Damit spielen Yang et al. (2015) auf die Machtkonstellationen in Beziehungen an, wobei ein unausgewogenes Verhältnis zum Scheitern der dialogorientierten Kommunikation führt (vgl. auch Grunig & Huang, 2000; Hon & Grunig, 1999; vgl. auch Abschnitt 2.4.2). Yang et al. (2015, S. 178; vgl. auch Foss & Griffin, 1995; Johannesen, 1971) weisen darauf hin, dass Gleichberechtigung durch die individuelle Akzeptanz der Einzigartigkeit anderer Personen hergestellt wird. Im Kontext der Organisationskommunikation rücken dadurch die Teilöffentlichkeiten auf eine Augenhöhe mit den Organisationen (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Botan, 1997). Eine weitere Teildimension stellt die Empfänglichkeit (responsiveness) dar. Sie umschreibt die „mutual orientation of otherness, which requires each communicator to be sensitive in recognizing the needs of other parties“ (Yang et al., 2015, S. 178). Im Sinne der DOTK ist es folglich notwendig, dass Organisationen die Bedürfnisse ihrer Öffentlichkeiten erkennen, darauf eingehen und auf mögliches Feedback reagieren können (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Monge et al., 1981). So verlangt es die dialogorientierte Kommunikation den Organisationen ab, durch die permanente kommunikative Interaktion mit den Teilöffentlichkeiten Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Was sich bei Kent und Taylor (2002; vgl. auch Abschnitt 4.2) im Grundsatz der Nähe bereits angedeutet hat, wird für die Empfänglichkeit von Organisationen gerade vor dem Hintergrund der Online-Kommunikation zur Herausforderung, denn die Unmittelbarkeit der Kommunikation macht eine zeitnahe Reaktion erforderlich, ohne die Nutzer*innen vor vollendete Tatsachen zu stellen (Kent & Taylor, 2002, S. 26).
122
4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Respekt (respect) unterscheidet die dialogorientierte Kommunikation von asymmetrischen Kommunikationsformen (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Grunig, 2001). Respekt kann dabei definiert werden als „mutual orientation of unconditional supportiveness of other communication parties“ (Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Johannesen, 2002). Eine auf dialogorientierter Kommunikation fußende Beziehung ist dementsprechend geprägt von Altruismus sowie der positiven Wertschätzung und gegenseitigen Unterstützung der Beziehungspartner*innen (Yang et al., 2015, S. 179; vgl. auch Burleson & Macgeorge, 2002; Kaptein & Van Tulder, 2003; Kent & Taylor, 2002). Im Sinne der Verständigungsorientierung spiegelt sich dieser Umstand auch in der Akzeptanz und Legitimität anderer Meinungen wider (Yang et al., 2015, S. 179; Burkart, 1993a, 2013; vgl. auch Abschnitt 2.3.2). Schließlich spielt die Empathie (empathy) im Sinne einer „ability to predict other communicators’ needs and feelings“ (Yang et al., 2015, S. 179; vgl. auch Kent & Taylor, 2002; Trenholm & Jensen, 2008) eine bedeutende Rolle im gegenseitigen Umgang mit den Gefühlen der Beziehungspartner*innen. Für eine effektive DOTK erfordert es seitens der Organisationen einen gewissen Grad an Einfühlungsvermögen bei der Wahrnehmung und Einschätzung der Gefühle, die in den Teilöffentlichkeiten offenbart werden (Yang et al., 2015, S. 179). Ziel einer empathischen Haltung ist es letztendlich, die gegenseitige Unterstützung zwischen den Kommunikationsbeteiligten zu ermöglichen (vgl. Kent & Taylor, 2002; vgl. auch Abschnitt 4.2). Offenheit Neben der Gegenseitigkeit (mutuality) ist die Offenheit (openness) eine konstituierende Dimension der DOTK. Die Offenheit stellte bereits einen Eckpfeiler im Rahmen der Organisations-Teilöffentlichkeits-Beziehungen dar (vgl. Hon & Grunig, 1999; Ledingham & Bruning, 1998; vgl. auch Abschnitt 2.4.2) und wird im Kontext der DOTK verstanden als „willingness and opportunities for open and honest communication“ (Yang et al., 2015, S. 179). Die Offenheit der Kommunikation ist gerade mit Blick auf die sozialen Medien eine charakteristische und für Beziehungen förderliche Eigenschaft (Macnamara & Zerfass, 2012, S. 293). Nach Yang et al. (2015) lässt sich Offenheit durch die Teildimensionen Zugänglichkeit, Echtheit und Transparenz erschließen. Die Zugänglichkeit (accessibility) im Rahmen der dialogorientierten Kommunikation bezieht sich auf den „equal access for all communication participants“ (Yang et al., 2015, S. 179). Yang et al. (2015, S. 179) berufen sich hier hauptsächlich auf die Theorie des kommunikativen Handelns nach Habermas (1981), nach der Verständigung nur auf der Basis von Freiwilligkeit und Gleichberechtigung stattfinden kann. Der gleichberechtigte Zugang für alle Kommunikationsbeteiligten ist also eine notwendige Voraussetzung für eine symmetrische Beteiligung an der dialogorientierten Interaktion (Yang et al., 2015, S. 179; vgl. auch Habermas, 1984). Im Kontext der DOTK bedeutet das, dass die Organisationen ihren Teilöffentlichkeiten einen offenen Zugang zu relevanten Informationen und Kommunikationskanälen ermöglichen müssen. Organisationen müssen zudem sicherstellen, dass Meinungen frei geäußert werden
4.3 Dialogorientierte Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation
123
können. Außerdem müssen sie in der Lage sein, unterschiedliche Standpunkte zu vertreten und neue Informationen an die Teilöffentlichkeiten weiterzugeben (Yang et al., 2015, S. 179). Darüber hinaus bezieht sich die Echtheit (genuineness) auf „the establishment of a climate of communication that generates authentic interest in communication between the participants“ (Yang et al., 2015, S. 179). Damit schlagen Yang et al. (2015, S. 179) die Brücke zum Grundsatz der Verbundenheit von Kent und Taylor (2002; vgl. auch Abschnitt 4.2), wenn es um die Selbstoffenbarung der Meinungen der Kommunikationsbeteiligten geht. Daraus folgt, dass sich die Echtheit aller Beziehungspartner*innen positiv auf ihre Beziehung auswirkt. Eine auf Echtheit basierende dialogorientierte Kommunikation „would be characterized by a relationship in which both parties have genuine concern for each other, rather than merely seeking to fulfill their own needs“ (Botan, 1997, S. 192). Schließlich beschreibt Transparenz (transparency) „a climate of communication to make organizational communication clear to publics in terms of information disclosure“ (Yang et al., 2015, S. 179). In diesem Kontext geht es vor allem um den Wahrheitsgehalt der Informationen, das Erkennen von Informationsbedürfnissen und die ausgewogene Kommunikation seitens einer Organisation mit dem Ziel, eine Verantwortlichkeit gegenüber den Teilöffentlichkeiten zu signalisieren (Yang et al., 2015, S. 180; vgl. auch Balkin, 1999; Rawlins, 2008). Ein Überblick über die (Teil-)Dimensionen der Dialogorientierten OrganisationsTeilöffentlichkeits-Kommunikation wird abschließend in Abbildung 4.4 illustriert.
Abbildung 4.4 Teildimensionen der DOTK. (Quelle: eigene Darstellung nach Yang et al. (2015, S. 177–180))
124
4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
Mit dem Konzept der Dialogorientierten Organisations-TeilöffentlichkeitsKommunikation konnte die Brücke zwischen der Dialogorientierung und dem organisationalen Beziehungsmanagement geschlagen werden. Zudem bieten Yang et al. (2015) eine für empirische Zwecke operationalisierbare Grundlage an. Aus diesem Grund überrascht es umso mehr, dass die Konzeptualisierung bislang kaum in der Forschung aufgegriffen wurde. Auch Chen et al. (2020a) bemängeln diesen Umstand in ihrer Einleitung zum Special Issue in Public Relations Review zum Thema ‚Dialogue and public relations in Greater China‘ und plädieren im Hinblick auf die zukünftige Forschung für eine prozessorientierte Sicht auf die dialogorientierte Kommunikation in den sozialen Medien: „Unfortunately, neither scale has been adopted by other scholars. We argue that […] it is crucial to develop a measurement that assesses the organizationpublic dialogue as a communication act rather than a communication orientation or a communication channel’s affordances“ (Chen et al., 2020, S. 3). Allerdings kommt – zumindest in Bezug auf die Integration des DOTK-Konzeptes – keiner der Beiträge in dem Special Issue dieser Forderung nach (vgl. Ao & Huang, 2020; Chen et al., 2020b; Cheng, 2020; Jia & Li, 2020; Ngai et al., 2020; Qu, 2020). Das Konzept der DOTK wurde bislang lediglich von Park und Kang (2020) in einer Studie zur CSR-Kommunikation von Unternehmen und in abgewandelter und verkürzter Form von Kang et al. (2018) und Yang (2018) im Zusammenhang mit RegierungsKommunikation aufgegriffen. In allen Studien wurde DOTK aus der Perspektive der Teilöffentlichkeiten erforscht. Dabei hat sich das Instrument von Yang et al. (2015) als geeignet erwiesen, um die Dialogorientierung zwischen einer Organisation und relevanten Teilöffentlichkeiten zu messen (vgl. Tabelle 4.1), auch wenn die Perspektive der Organisationen bislang außen vor geblieben ist. Auf Basis der bisherigen Ausführungen kann nun der Forschungsstand der dialogorientierten Organisationskommunikation im Internet systematisch analysiert werden, um zentrale Lücken in der PR-Forschung aufzuzeigen. Zuvor werden jedoch die zentralen theoretischen Befunde zur dialogorientierten Unternehmenskommunikation noch einmal zusammengefasst.
.91
For-Profit
Non-Profit
Non-Profit
For-Profit
Yang et al., 2015
Kang et al., 2018
Yang, 2018
Park & Kang, 2020
.94
.97
.97
Grounding
Autor*innen Sektor
.94
.90
.83
.78
.93
.90
Kollaboration GleichEmpfängberechtigung lichkeit
Gegenseitigkeit
.92
.90
Respekt
Reliabilitätswerte (Cronbachs α) der DOTK-Teildimensionen
.92
.92
Empathie
.95
.97
.97
.88
Zugänglichkeit
Offenheit
Tabelle 4.1 Ausgewählte DOTK-Studien und Reliabilität der DOTK-Teildimensionen. (Quelle: eigene Darstellung)
.96
.95
Echtheit
.93
.92
Transparenz
4.3 Dialogorientierte Organisations-Teilöffentlichkeits-Kommunikation 125
126
4 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation
4.4 Zentrale theoretische Befunde zur Dialogorientierung In diesem Kapitel stand vor allem die Frage im Fokus, inwiefern das normative DialogKonzept auf die strategisch geleitete Unternehmenskommunikation angewendet werden kann. So war es das Ziel, den Begriff des ‚Dialoges‘ und seine Relevanz für die Public Relations zu erschließen. Die verschiedenen Zugänge zum Dialog-Begriff haben gezeigt, dass Dialog ein komplexes Konstrukt ist, das sich nicht nur aus verschiedenen (Teil-) Dimensionen zusammensetzt, sondern ganz unterschiedlichen Perspektivierungen unterliegt. Abschließend erfolgt ein Überblick über die zentralen Befunde in Bezug auf den Dialog-Begriff und dessen Relevanz für eine pragmatische empirische Auseinandersetzung mit der dialogorientierten Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien: • ‚Dialog‘ ist ein Begriff, der sich in den Public Relations etabliert hat, um einerseits den Zustand von Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten und andererseits Prozesse der Interaktion zwischen diesen zu beschreiben. • Der normativ-produktorientierte Zugang basiert auf dem philosophischen Verständnis von Dialog als Idealzustand und ethischster Form der Kommunikation, wonach es vor allem um die Verständigung der Kommunikationsbeteiligten geht. Sowohl die strategische Ausrichtung der Unternehmenskommunikation als auch die technikbasierte Kommunikation in den sozialen Medien widersprechen diesem Verständnis. • Der deskriptiv-prozessorientierte Zugang fokussiert im Gegensatz dazu vor allem den Rollenwechsel der Kommunikationsbeteiligten und damit den Prozess der reziproken Interaktion, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Mit dem Begriff der ‚Dialogorientierung‘ wurde in diesem Zusammenhang eine konzeptuelle Abgrenzung zum normativen Dialog-Verständnis eingeführt. • Die PR-Forschung ist in der Vergangenheit häufig am normativen Dialog-Verständnis gescheitert, da sie den Dialog als Idealform und Erwartungshorizont der Organisationskommunikation betrachtet hat. Dementsprechend sind praxiszentrierte Zugänge rar und bieten entsprechend Möglichkeiten zur Anschlussforschung. • In Bezug auf die theoretisch-dimensionale Erschließung der Dialogorientierung haben sich fünf praxisorientierte Prinzipien etabliert: Dialogschleife, Nützlichkeit der Informationen, Generierung von erneuten Besuchen, Intuitivität des Interface und Bewahrung der Besucher*innen. Diese Prinzipien eignen sich vor allem zur Überprüfung von formal-inhaltlichen Aspekten der Dialogorientierung auf der Mesoebene. Sie wurden von der Forschung vielfach aufgegriffen und zur Operationalisierung verwendet. • Als Zugang auf der Mikroebene stehen dagegen die fünf Grundsätze der Dialogorientierung zur Verfügung: Gegenseitigkeit, Nähe, Empathie, Risiko und Verbundenheit. Sie lassen sich auf individuelle kommunikative Orientierungen der Dialogbeteiligten beziehen. Im Gegensatz zu den Prinzipien werden sie von der Forschung kaum beachtet, obwohl sie einen deutlich tieferen Zugang zur Dialogorientierung bieten.
4.4 Zentrale theoretische Befunde zur Dialogorientierung
127
• Mit dem Konzept der Dialogorientierten Organisations-TeilöffentlichkeitsKommunikation (DOTK) wird die Dialogorientierung in ein operationalisierbares Konstrukt überführt. Es basiert auf den Grundsätzen der Dialogorientierung sowie auf einem prozessorientierten Zugang zum Dialog-Begriff und setzt sich aus den Dimensionen Gegenseitigkeit (Grounding, Kollaboration, Gleichberechtigung, Empfänglichkeit, Respekt, Empathie) und Offenheit (Zugänglichkeit, Echtheit, Transparenz) zusammen. • Das Konzept der DOTK stellt einen der wenigen Versuche dar, einen operationalisierbaren Zugang zur Dialogorientierung auf der Mikroebene zu schaffen. Jedoch wurde es in der Forschung bislang kaum berücksichtigt. Um diese Lücke zu schließen, dient es daher im Rahmen der vorliegenden Arbeit als Grundlage für die empirische Untersuchung der Dialogorientierung in den sozialen Medien. Forschungsziel 3
Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf Basis der Überlegungen in diesem Kapitel auf der Dialogorientierung als Prozess der Unternehmenskommunikation. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht das Anliegen ist, Dialog zu messen. Erstens, weil ein normativer Dialog im Kontext von sozialen Netzwerken wie Facebook und in der Unternehmenskommunikation nicht praktikabel ist, da die Unternehmenskommunikation strategisch ausgerichtet ist und in den sozialen Medien keine Tiefenkommunikation möglich ist. Zweitens, weil mit der Vernachlässigung der Prozesse der Dialogorientierung auf der Mikroebene eine grundsätzliche Lücke in der Forschung besteht und sich bislang kein pragmatischer Zugang zur dialogorientierten Kommunikation in den sozialen Medien durchsetzen konnte (vgl. Kapitel 5, 6).
Gerade an der Aufgabe, Dialog zu messen, sind in der Vergangenheit viele Arbeiten gescheitert. Um welches Ausmaß es sich dabei handelt, was die Gründe dafür sind und welche Implikationen sich ableiten lassen, wird im folgenden Kapitel durch eine systematische Analyse des Forschungsstandes zur dialogorientierten Organisationskommunikation im Internet geklärt.
5
Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: Forschungsstand
Die theoretischen Grundlagen haben verdeutlicht, dass die Forschung in der Dialogorientierung ein Merkmal moderner Unternehmenskommunikation im Internet sieht. Als „dialogorientiertes Kommunikationsmanagement“ (Mast, 2019, S. 17) ist die Unternehmenskommunikation dabei vor allem auf den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu den verschiedenen Teilöffentlichkeiten ausgerichtet. Ob und inwieweit dies auch für die PR-Praxis zutrifft, muss kritisch hinterfragt werden (Lane, 2014a, S. 219), denn die „meisten Unternehmen konzipierten ihre Internetpräsenzen lange Zeit als digitale Schaufenster“ (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 738). In der PR-Forschung herrscht generell ein paradoxes Verhältnis zur Dialogorientierung. Auf der einen Seite wird sie als zentrales Paradigma der Online-PR gerade im Kontext von sozialen Medien regelrecht ‚hochgejubelt‘, auf der anderen Seite stellt sich immer wieder Ernüchterung ein, wenn wissenschaftliche Studien nach Dialog in der Kommunikation zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten suchen (Pleil & Zerfaß, 2014, S. 739; Winkler & Pleil, 2019, S. 458). Damit soll eine wesentliche Erkenntnis an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden: Es besteht eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem theoretischen Potenzial und der tatsächlichen Realisierung dialogorientierter Kommunikation im Internet. Dies manifestiert sich in zahlreichen Befunden der Forschung zur Dialogorientierung über verschiedene Organisationsarten und Online-Plattformen hinweg. Folgende Erkenntnisse aus den vergangenen 20 Jahren nationaler und internationaler PRForschung illustrieren beispielhaft die Tragweite dieses Umstandes: • „The data suggest that activist organization Web sites are not fully employing the dialogic capacity of the Internet as expected.“ (Taylor et al., 2001, S. 277) • „In the context of a highly regulated activity such as corporate reporting the potential for dialogue is, naturally, restricted. Many corporate Web sites offer an e-mail link for © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_5
129
130
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
queries, but this may simply substitute communication by telephone. At the present stage of development of corporate Web sites, the possibilities for enhanced and more symmetrical communication are not being exploited.“ (Gowthorpe, 2004, S. 291) • „Furthermore, NPOs also completely miss out on the opportunity of building relationships with their most important stakeholders by using new dialogic Internet technologies such as chatrooms or forums, user surveys or call back options but also applications of Web 2.0, such as podcasts or blogs.“ (Ingenhoff & Koelling, 2009, S. 72) • „However, these organizations are missing a significant opportunity to build mutually beneficial relationships with stakeholders by failing to effectively utilize the full gambit of dialogic strategies that social networking sites offer.“ (Bortree & Seltzer, 2009, S. 318) • „Overall, the findings support the general trend within the online communication and dialogue literature in that, just as with traditional websites, weblogs, and social networking sites like Facebook, Twitter is also being under utilized by organizations to facilitate dialogic communication with stakeholders.“ (Rybalko & Seltzer, 2010, S. 340) • „The interactive potential of the Internet is being vastly underutilized. The world’s top universities do not provide forums for open dialogue.“ (McAllister, 2012, S. 326) • „[T]his study found that although agricultural organizations incorporate some of the dialogic principles into their web sites, these sites neither provide a solid dialogic loop between the organization and the visitor nor do they encourage return visits.“ (Wang & Waters, 2012, S. 32) • „Museums […] prioritize the use of highly one-way/monologic resources and do not take full advantage of the interactive opportunities and resources of Internet and social web tools to create platforms that foster an open conversation and the establishment of dialogic relations with their publics.“ (Capriotti & Pardo Kuklinski, 2012, S. 625) • „The study found that the Police Forces did not perform well in incorporating most of the dialogic principles […].“ (Madichie & Hinson, 2014, S. 345) • „Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse bestätigen, dass Unternehmen die Potentiale des sozialen Netzwerks Facebook nur eingeschränkt nutzen, um die technischen und inhaltlichen Voraussetzungen für einen verständigungsorientierten Dialog zu schaffen.“ (Thummes & Malik, 2015, S. 126) • „Für die meisten Organisationen scheinen beim Einsatz von Social Software nicht Stakeholder-Dialoge, sondern eine bessere multimediale Präsentation und Verbreitung ihrer Botschaften im Vordergrund zu stehen.“ (Zerfaß & Droller, 2015, S. 98) • „Eine konsequente Dialogorientierung ist jedoch sehr aufwendig und mit zusätzlichen Personalkosten verbunden. Diese scheinen die Unternehmen momentan noch zu scheuen.“ (Tonndorf & Wolf, 2015, S. 254) • „From foundations’ posting of information to audience’s comments, then to foundations’ responses to the comments, it is reasonable to say that dialogic loops and
5.1 Erkenntnisinteresse in Bezug auf den Stand der Forschung
131
reciprocal relationship were established to enhance two-way open communication. Nevertheless, it appears that nonprofits in China have not been using the dialogic and interactive elements of social media to their full potential.“ (Gao, 2016, S. 267) • „Although the examined companies have been expanding their presences and their average activity on Facebook within the last years, there is unused potential for relationship building on Facebook.“ (Johann et al., 2017, S. 23) • „Mercosur local governments do not appear to be taking full advantage of the possibilities offered by dialogic strategies offer to promote citizens’ online interaction via their Facebook pages.“ (Gálvez-Rodríguez et al., 2018, S. 274) • „However, at the same time the empirical analysis shows almost no development in the category ‘response and dialogue’, which signifies that current CSR communication primarily provides information for stakeholders and contains few elements of consultation with stakeholders. In this regard, there were also no elements to indicate stakeholder involvement in decision processes in the results for response and dialogue.“ (Hetze et al., 2019, S. 259) • „Neither Fortune 200 CEOs nor top startup CEOs fully utilized dialogic principles for Twitter communication.“ (Yue et al., 2019, S. 541) Es drängt sich die Frage auf, warum das Potenzial der Online-Kommunikation und die darin keimende „Hoffnung, dem normativen Anspruch der Dialogorientierung beziehungsweise der Zweiweg-Kommunikation der PR im Sinne […] des Konzepts der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit […] näher zu kommen“ (Röttger et al., 2018, S. 48), derart vernachlässigt werden. Auf Basis dieser Ausgangslage soll das Erkenntnisinteresse in Bezug auf die Bewertung des Forschungsstandes zur dialogorientierten Online-Kommunikation weiter ausdifferenziert werden.
5.1 Erkenntnisinteresse in Bezug auf den Stand der Forschung Die durchgehend auffallende „Ernüchterung einer anfänglichen Dialog-Euphorie“ (Winkler & Pleil, 2019, S. 458) zieht die Frage nach sich, worin die Gründe liegen, dass Organisationen das augenscheinliche Potenzial von verschiedenen Online-Plattformen zur Dialogorientierung nicht oder nicht vollständig nutzen. Daher ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, nochmals zu bestätigen, dass Organisationen das Dialogpotenzial des Internets nicht zu nutzen wissen. Vielmehr soll aus übergeordneter Perspektive und vor dem Hintergrund der verschiedenen Zugänge zur Unternehmenskommunikation (vgl. Kapitel 2), zur Online-Kommunikation (vgl. Kapitel 3) und zur Dialogorientierung (vgl. Kapitel 4) ergründet werden, wie sich die PR-Forschung seit Grundlegung einer DialogTheorie für die Public Relations (vgl. Kent & Taylor 1998, 2002) entwickelt hat. Das Erkenntnisinteresse an dieser Stelle lässt sich mit folgender übergeordneter Forschungsfrage zusammenfassen, durch deren Beantwortung Implikationen für den Fortgang dieser Arbeit abgeleitet werden sollen (vgl. Kapitel 6):
132
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
FF1: Wie hat sich die PR-Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen seit 1998 entwickelt?
Hinsichtlich der Entwicklung des Forschungsfeldes ist es zunächst aufschlussreich, einen allgemeinen Überblick über die verschiedenen Untersuchungsanlagen der Arbeiten zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen zu gewinnen. Allgemeine Untersuchungsanlagen spielen auch bei anderen Forschungsfeldstudien innerhalb und außerhalb der PR den Ausgangspunkt für Aussagen über den Status Quo des jeweiligen Forschungsfeldes (vgl. u. a. Ausserhofer et al., 2017; Eriksson, 2018; Jungnickel, 2017; Volk, 2016; Walker, 2010). So hat sich angedeutet, dass die vielbeachteten Prinzipien der Dialogorientierung von Kent und Taylor (1998) vor allem Aussagen auf Inhaltsebene zulassen (vgl. Abschnitt 4.2). Folglich sind hinsichtlich der Untersuchungsmethoden überwiegend inhaltsanalytische Designs zu erwarten. In einer vergleichbaren Studie von McAllister-Spooner (2009), die sich noch vor dem Siegeszug der sozialen Medien mit dem Stand der PR-Forschung zur Dialogorientierung beschäftigt hat, stehen neben den Untersuchungsmethoden beispielsweise auch die verschiedenen Organisationsarten (z. B. Unternehmen, NGOs) und die Themenbereiche (z. B. Nutzung von Funktionen, Beziehungsmanagement) der Studien im Fokus. Damit ergibt sich für die vorliegende Arbeit folgende erste Teilforschungsfrage:
FF1.1: Auf welchen Untersuchungsanlagen basiert die Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen?
Es wurde im Verlauf dieser Arbeit zudem deutlich, dass die Unternehmenskommunikation vor allem auf die soziale Integration innerhalb des Unternehmens (Meso-MikroPerspektive) und die Integration des Unternehmens in der Gesellschaft (Meso-MakroPerspektive) zielt (Röttger et al., 2018, S. 85–86; Zerfaß, 2014, S. 24; vgl. auch Abschnitt 2.1.2, 2.1.4). Dabei wird jedoch die Meso-Makro-Perspektive häufig vernachlässigt (Holtzhausen, 2000, S. 95). Es stellt sich daher die Frage, ob sich in Bezug auf die dialogorientierte Online-Kommunikation ein ähnliches Bild ergibt. Zudem soll im Sinne der Meso-Meso-Perspektive überprüft werden, ob sich in der Forschung eine Tendenz zu vergleichenden Betrachtungen durchsetzen konnte, was Aussagen über die Professionalisierung des Kommunikationsmanagements zulassen würde (vgl. Abschnitt 2.5). Gerade um die Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten beurteilen zu können, ist eine solche Perspektive erforderlich (Ihlen & Levenshus, 2017, S. 228; Ledingham & Bruning, 1998, S. 63–64; McCorkindale & DiStaso, 2014, S. 10–11; vgl. auch Abschnitt 2.4.1). Dies umfasst sowohl Vergleiche zwischen verschiedenen Organisationen als auch Vergleiche im zeitlichen Verlauf. Damit lautet die zweite Teilforschungsfrage:
5.1 Erkenntnisinteresse in Bezug auf den Stand der Forschung
133
FF1.2: Aus welcher Perspektive (Meso-Makro, Meso-Meso, Meso-Mikro) wird die dialogorientierte Online-Kommunikation von Organisationen erforscht?
Zudem hat sich gezeigt, dass der Dialog als Forschungsgegenstand ein komplexes Konstrukt ist, das unterschiedlich perspektiviert werden kann (vgl. Abschnitt 4.1) und das auf verschiedenen Prinzipien und Grundsätzen beruht (vgl. Abschnitt 4.2). Gleichzeitig hat sich die Dialogorientierung als ein zentrales Paradigma der PR-Forschung und der PR-Praxis herausgebildet (Sommerfeldt & Yang, 2018, S. 59; Winkler & Pleil, 2019, S. 456–460; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 55). Umso erstaunlicher ist es, dass nach wie vor Uneinigkeit über die Verwendung des Begriffes herrscht. Zahlreiche Definitionsversuche sind ein klarer Beleg dafür, dass im Spannungsfeld zwischen normativ-produktorientierten und deskriptiv-prozessorientierten Zugängen noch immer um Deutungshoheit gerungen wird (Kent & Taylor, 2002, S. 21; Zerfaß, 1996b, S. 26; Szyszka, 1996, S. 81; vgl. u. a. Gutiérrez-García et al., 2015; Kent & Taylor, 1998; Pieczka, 2011; Taylor & Kent, 2014; Theunissen & Wan Noordin, 2012; Yang et al., 2015). In der Folge ist es wohl diesem Umstand geschuldet, dass die Forschung immer wieder an der Normativität des Dialog-Begriffes scheitert und zu dem Schluss kommt, dass Organisationen nicht in der Lage sind, das Potenzial des Internets auszuschöpfen. Betrachtet man im Gegensatz dazu die hohe organisationsseitige Relevanz und Nutzung von sozialen Medien wie Facebook (vgl. Abschnitt 3.1.3), gilt es kritisch zu hinterfragen, ob dieser desolate Befund tatsächlich auf eine mangelnde Professionalisierung oder eher auf einen falschen konzeptuellen Zugriff der Forschung zurückzuführen ist. Um einen strukturierten Überblick über den Zustand des Forschungsfeldes und die theoretische Fundierung des Dialog-Konzeptes zu gewinnen, wird daher folgende Teilforschungsfrage gestellt:
FF1.3: Welcher Zugang zum Dialog-Begriff liegt der PR-Forschung zugrunde?
Da diese Arbeit einen praxiszentrierten und prozessorientierten Zugang zum Dialog-Konzept verfolgt (vgl. Abschnitt 4.1.2), ist anzunehmen, dass die Dialog orientierung in den sozialen Medien in einem größeren Wirkungszusammenhang steht. Die Frage ist also nicht, ob, sondern wie die Online-Kommunikation am besten dafür genutzt werden kann, um Beziehungen zu relevanten Teilöffentlichkeiten aufzubauen (Sommerfeldt & Yang, 2018, S. 59–60). Dies erfordert eine holistischere Sichtweise auf die Dialogorientierung, als sie bislang in der Forschung vorhanden ist. So ist davon auszugehen, dass die Dialogorientierung auf der Mesoebene einerseits von unterschiedlichen Faktoren auf der Mikroebene beeinflusst wird. Hier wurden im Verlauf der Arbeit bereits Faktoren wie die Unternehmenskultur (vgl. u. a. Bruning, 2001; Semling, 2009; Sriramesh et al., 1992; Szyszka & Malczok, 2016; Zerfaß, 2014; vgl. auch
134
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
Abschnitt 2.2.3, 2.4.1) oder das Rollenverständnis der Kommunikator*innen thematisiert (vgl. u. a. Broom & Dozier, 1986; Broom & Smith, 1979; Neill & Lee, 2016; Neill & Moody, 2015; Stehle & Huck-Sandhu, 2016; vgl. auch Abschnitt 2.1.2, 3.2.1). Zudem stellt die Interaktivität der Online-Kommunikation eine wichtige Voraussetzung für die Dialogorientierung dar (vgl. Kent & Taylor, 1998, 2002; Wirtz & Zimbres, 2018; vgl. auch Abschnitt 3.2.4, 4.1.2). Andererseits hat sich bereits angedeutet, dass die Dialogorientierung durch ihren interaktiven Charakter einen positiven Effekt auf die Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten hat (vgl. Burkart, 1993a, 2013; Grunig & Hunt, 1984; Sommerfeldt & Yang, 2018; Yang et al., 2015; vgl. auch Abschnitt 2.4.1, 2.4.2, 4.3). Durch das Einbetten von dialogorientierter Kommunikation in den Kontext von organisationalen Beziehungen soll somit auch der oftmals vernachlässigte übergeordnete Rahmen für den empirischen Zugang zur Dialogorientierung geschaffen werden (vgl. Hoffjann, 2014, S. 6; vgl. auch Kapitel 6). Schließlich lautet die vierte Teilforschungsfrage in Bezug auf die Entwicklung des PR-Forschungsfeldes:
FF1.4: Welche Einflussfaktoren lassen sich im Hinblick auf das Management der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten identifizieren?
Eine solche Annäherung verspricht einen tieferen Einblick in die Entwicklung der PR-Forschung seit Grundlegung des Dialog-Konzeptes im Jahr 1998. Da damit die Forschung selbst zum Gegenstand des Erkenntnisinteresses wird, bietet sich die Methode der systematischen Literaturanalyse an, um die verschiedenen Teilforschungsfragen zu beantworten.
5.2 Systematische Literaturanalyse Systematische Literaturanalysen eignen sich vor allem dazu, komplexe Forschungsstände zu organisieren und die relevantesten Erkenntnisse zu destillieren. Sie werden insbesondere dann angewendet, wenn zu einem Thema viel Forschung existiert, die Kernfragen des Themas jedoch unbeantwortet bleiben. Darüber hinaus erlauben es systematische Literaturanalysen, künftige Forschungsrichtungen aufzuzeigen (Massaro et al., 2016, S. 768; Petticrew & Roberts, 2006, S. 21). Beide Kriterien sind in Bezug auf die dialogorientierte Online-Kommunikation von Organisationen gegeben. So konnte nachgezeichnet werden, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen dem normativen und deskriptiven Begriffsverständnis dem Prozess der Dialogorientierung im Kontext des Beziehungsmanagements ein übergeordneter theoretischer und empirischer Rahmen fehlt (Hoffjann, 2014, S. 6; vgl. auch Abschnitt 4.4, 5.1). Diese Lücke wird durch das
5.2 Systematische Literaturanalyse
135
Konzept der DOTK (vgl. Yang et al., 2015) geschlossen, was gleichzeitig eine Neuausrichtung der Forschung impliziert (Chen et al., 2020, S. 3; Sommerfeldt & Yang, 2018, S. 61–62). Systematische Literaturanalysen folgen dabei einem „replicable, scientific and transparent process […] that aims to minimize bias […]“ (Tranfield et al., 2003, S. 209). Dabei haben sich innerhalb von verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die auf systematische Literaturanalysen zurückgreifen, ähnliche Prozessschritte herausgebildet, welche die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Analyse gewährleisten sollen (vgl. u. a. Cooper & Hedges, 1994; Massaro et al., 2016; Petticrew & Roberts, 2006; Tranfield et al., 2003). Diese Arbeit orientiert sich insbesondere an dem Vorschlag von Petticrew und Roberts (2006, S. 27), die für systematische Literaturanalysen in den Sozialwissenschaften insgesamt sieben Schritte hervorheben: • • • • • • •
Schritt 1: Definition der Forschungsfragen (vgl. Abschnitt 5.1) Schritt 2: Materialauswahl (vgl. Abschnitt 5.2.1) Schritt 3: Materialsuche (vgl. Abschnitt 5.2.1) Schritt 4: Materialprüfung (vgl. Abschnitt 5.2.1) Schritt 5: Materialbewertung (vgl. Abschnitt 5.2.2) Schritt 6: Materialanalyse (vgl. Abschnitt 5.3) Schritt 7: Ergebnisverwertung (vgl. Abschnitt 5.2.3, 6)
Nachdem die Forschungsfragen bereits auf Basis der theoretischen Grundlagen dieser Arbeit entwickelt worden sind (Schritt 1), steht im Folgenden die mehrstufige Festlegung des Untersuchungsmaterials (Schritte 2 bis 4) im Vordergrund, ehe die zentralen Analysekategorien zur Bewertung des Materials vorgestellt (Schritt 5) und die Analyseergebnisse dargelegt werden (Schritt 6). Schritt 7 wird vor allem im Hinblick auf den Fortgang dieser Arbeit relevant, denn aus den Implikationen der systematischen Analyse der Dialog-Literatur wird das weitere Forschungsinteresse ausdifferenziert.
5.2.1 Festlegung des Untersuchungsmaterials Die Festlegung des Untersuchungsmaterials erfolgte im Januar 2018 mit dem Ziel, relevante Beiträge von 1998 bis einschließlich 2017 in die Analyse einzubeziehen. Dabei wurde ein mehrstufiges Verfahren angewandt, wobei zunächst eine grundlegende Auswahl des Materials zu treffen war (Schritt 2). Der Zugang zum Forschungsfeld erfolgte vor allem über akademisch einschlägige, internationale Fachzeitschriften, die einem Peer-Review-Verfahren unterliegen und einen Schwerpunkt in der PR-Forschung aufweisen. In Anlehnung an die Zugänge zur Unternehmenskommunikation (vgl. Abschnitt 2.1) und an andere systematische Literaturanalysen aus der PR-Forschung (vgl. u. a. Eriksson, 2018; Volk, 2016) konzentriert sich die vorliegende Analyse auf folgende internationale Fachzeitschriften: Public Relations Review (PRR), Corporate
136
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
Communications: An International Journal (CCIJ), Journal of Public Relations Research (JPRR), International Journal of Strategic Communication (IJSC), Journal of Communication Management (JCM) sowie Public Relations Inquiry (PRI).1 Zudem sollte neben der internationalen Perspektive auch die nationale deutschsprachige PRForschung berücksichtigt werden. Da es hier jedoch aktuell keine akademische PRFachzeitschrift gibt, die einem Peer-Review-Verfahren unterliegt, wurden die drei kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften Studies in Communication and Media (SCM), Medien & Kommunikationswissenschaft (M&K) und Publizistik (PUB) einbezogen. Im nächsten Schritt (Schritt 3) stand die konkrete Materialsuche in diesen Fachzeitschriften im Fokus. Da alle zu prüfenden Fachzeitschriften auch online publiziert werden, wurden die Online-Auftritte der jeweiligen Zeitschriften zur weiteren Recherche genutzt. Da sich die technischen Recherchemöglichkeiten der jeweiligen Zeitschriften zum Teil stark unterschieden und möglichst alle relevanten Artikel in die Analyse aufgenommen werden sollten, war zunächst eine breit angelegte Suche erforderlich. Als grundlegendes Aufgreifkriterium sollten die Artikel zwischen 1998 und 2017 erschienen sein und ein Dialog-Bezug vorliegen. Damit alle begrifflichen Variationen und Wortfolgen sowohl im Englischen (z. B. ‚dialogue‘, ‚dialog‘, ‚dialogic‘) als auch im Deutschen (z. B. ‚Dialog‘, ‚Dialogorientierung‘, ‚dialogisch‘) berücksichtigt werden konnten, wurde der Wortstamm ‚dialog‘ in Kombination mit einem Platzhalter- Suchoperator (dialog*) in die jeweiligen allgemeinen Suchfelder der Fachzeitschriften eingegeben. Die auf diese Weise gewonnenen Treffer (n = 428) wurden dann einer manuellen Prüfung unterzogen (Schritt 4). Es sollten zum einen nur solche Artikel berücksichtigt werden, bei denen der Dialog-Bezug auch im Titel und/oder im Abstract und/oder in den Schlüsselwörtern gegeben ist. So wurde gewährleistet, dass nur solche Artikel in die Analyse einfließen, in denen das Dialog-Konzept eine zentrale Rolle spielt und die damit einen relevanten Beitrag zu dessen Erforschung leisten. Zum anderen sollten die Artikel einen Bezug zur Online-Kommunikation von Organisationen aufweisen. Ein Online-Bezug war gegeben, wenn wiederum im Titel und/oder im Abstract und/ oder in den Schlüsselwörtern Plattformen oder Instrumente der Online-PR genannt wurden (z. B. ‚Blog‘, ‚Website‘, ‚Facebook‘, ‚Twitter‘; vgl. auch Abschnitt 3.2.2). Die
1Die
Liste relevanter Fachzeitschriften ließe sich noch zahlreich erweitern. Die Auswahl in dieser Arbeit beschränkt sich jedoch dezidiert auf einschlägige, international ausgerichtete Fachzeitschriften mit einem kommunikationsorientierten (im Gegensatz zu einem marktorientierten) Verständnis von PR. Zudem ist davon auszugehen, dass die Analyse von Artikeln in Fachzeitschriften Aussagen über grundsätzliche Trends der PR-Forschung zulässt, auch wenn durch die fehlende Berücksichtigung von zum Beispiel Sammelbänden oder Monografien kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden kann. Dies stellt sicherlich einen limitierenden Faktor dieser Literaturstudie dar, den es an späterer Stelle noch zu diskutieren gilt (vgl. Abschnitt 9.3).
5.2 Systematische Literaturanalyse
137
verbliebenen Artikel (n = 84) wurden in einem Literaturverzeichnis dokumentiert und ihre elektronischen Versionen heruntergeladen und archiviert. Anschließend wurden die heruntergeladenen Artikel von zwei geschulten Hilfskräften durchgesehen. Die Artikel sollten so auf Einschluss oder Ausschluss hin überprüft werden. Ausgeschlossen werden sollten insbesondere solche Beiträge, bei denen zwar ein Dialog-Bezug in Titel/Abstract/Schlüsselwörtern vorhanden war, jedoch keine tiefergehende Thematisierung im Verlauf des Textes erfolgte. Da alle Artikel übereinstimmend auf Einschluss beziehungsweise Ausschluss bewertet wurden, war keine dritte Überprüfung durch den Untersuchungsleiter notwendig. Die auf diese Weise verbliebenen Artikel (n = 74) wurden final dokumentiert (vgl. Anhang A2) und zur Kategorienbildung (Schritt 5) und der detaillierten Analyse (Schritt 6) in das Programm MAXQDA eingespeist. Tabelle 5.1 veranschaulicht abschließend den mehrstufigen Prozess der Festlegung des Untersuchungsmaterials. Tabelle 5.1 Anzahl relevanter Artikel für die systematische Literaturanalyse. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung) Anzahl relevanter Artikel relevant nach relevant nach Suchtreffer Titel/Abstract/ Schlüsselwörter PRR
73
35
relevant nach Artikel-Text 31
CCIJ
34
12
11
JPRR
178
11
10
IJSC
105
11
9
JCM
25
9
7
PRI
11
4
4
SCM
0
0
0
M&K
0
0
0
PUB
2
2
2
428
84
74
gesamt
Zeitraum: 1998–2017; absolute Häufigkeiten Basis: alle Artikel im jeweiligen Untersuchungsmaterial n = 428; n = 84; n = 74
Dieser allgemeine Überblick über die Verteilung der in die Analyse aufgenommenen Artikel verdeutlicht, dass sich die Forschung zur dialogorientierten Organisationskommunikation insbesondere in internationalen Fachzeitschriften abspielt. Bei den nationalen Fachzeitschriften ist es nur die Publizistik, in der zwei relevante Beiträge – je im Kontext der politischen Kommunikation – erschienen sind (vgl. Elter, 2013; Thimm et al., 2012). Um einen tieferen Einblick in das Forschungsfeld zu gewinnen, wird im
138
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
Folgenden das Kategoriensystem zur Bewertung des relevanten Forschungsstandes vorgestellt (Schritt 5).
5.2.2 Analysekategorien Die vorliegende systematische Literaturanalyse stellt keine Meta-Analyse in dem Sinne dar, als dass es um die reine Quantifizierung und Gewichtung zentraler Kennwerte geht. Derartige Analysen sind stark quantitativ ausgerichteten Disziplinen wie etwa der Medizin vorbehalten (Massaro et al., 2016, S. 768; Tranfield et al., 2003, S. 212). Ein solches Vorgehen bietet sich außerdem nur bei solchen Studien an, die sich durch ähnliche Ausgangsfragestellungen und Hypothesen vergleichen lassen (Petticrew & Roberts, 2006, S. 205; vgl. auch Cooper, 1989). Vielmehr soll durch die Kombination von relevanten Häufigkeitsverteilungen (quantitative Analyse) und narrativ-interpretierenden Elementen (qualitative Analyse) eine tiefergehende Erschließung des heterogenen Forschungsstandes zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen ermöglicht werden (vgl. Britten et al., 2002, S. 209; Petticrew & Roberts, 2006, S. 164– 170; Tsakalerou & Katsavounis, 2015, S. 24). Die Erschließung des Untersuchungsmaterials erfolgte daher über deduktiv-induktiv entwickelte Analysekategorien, die im Folgenden kurz vorgestellt werden (Schritt 6) (vgl. Tabelle 5.2). Tabelle 5.2 Kategorien der systematischen Literaturanalyse mit Beispiel-Ausprägungen. (Quelle: eigene Darstellung) Hauptkategorien
Ausprägungen (exemplarisch)
Basisinformationen
Jahr, Autor*innen, Journal, …
Art
theoretisch, empirisch, …
Themenfeld
Online-Relations, Krisenkommunikation, …
Plattform
Websites, Facebook, Instagram, …
Organisationsart
Unternehmen, Parteien, NGOs, …
Methode
quantitative Befragung, quantitative Inhaltsanalyse, …
FF1.2: Perspektiven
Zielsetzung
Einstellungen, Messung von Dialog, Outcomes, …
Perspektive
Meso-Makro, Meso-Meso, Meso-Mikro
FF1.3: Zugang
Definition
normativ-produktorientiert, deskriptiv-prozessorientiert, …
Operationalisierung
Dialogschleife, Nützlichkeit der Informationen, Gegenseitigkeit, …
Mikroebene
Organisationskultur, PR-Rollen, …
Makroebene
Interaktivität, Beziehungen, …
FF1.1: Anlagen
FF1.4: Einflussfaktoren
5.2 Systematische Literaturanalyse
139
In Bezug auf die Untersuchungsanlagen (FF1.1) wurden zunächst die Basisinformationen der Artikel erhoben. Dies umfasste neben dem Publikationsjahr und der jeweiligen Fachzeitschrift die Namen der Autor*innen und die Scientific Community, die sich aus der institutionellen Zugehörigkeit der Autor*innen ergab. Darüber hinaus wurde die Art der Artikel bestimmt, wobei zwischen theoretischen und empirischen Beiträgen sowie Literatur-Reviews unterschieden wurde (vgl. Döring & Bortz, 2016, S. 183). Die untersuchten Plattformen (z. B. Websites, Facebook, Twitter) wurden dabei ebenso erfasst wie die jeweilige Organisationsart (z. B. Unternehmen, NPOs, NGOs). Die Artikel wurden ferner übergeordneten Themenfeldern in Anlehnung an die Arbeitsfelder der PR zugeordnet (z. B. Online-Relations2, Krisenkommunikation, CSR) (vgl. Röttger, 2008, S. 501–510; Röttger et al., 2014, S. 188–225). Schließlich wurden auch die verwendeten Methoden betrachtet (z. B. qualitative Befragung, quantitative Inhaltsanalyse, Experiment; vgl. Atteslander, 2010; Brosius et al., 2016). Eine Annäherung an die Forschungsperspektiven (FF1.2) in den Artikeln erfolgte zunächst über die übergeordneten Ziele der Beiträge (z. B. Messung von Dialog, Aussagen über Meinungen und Einstellungen, Untersuchung von Outcomes; induktive Kategorienbildung). Ferner wurde der Organisationsbezug erfasst (vgl. Holtzhausen, 2000, S. 95; Röttger et al., 2018, S. 85–86). Wurde in einem Beitrag eine Organisation mit ihren externen Teilöffentlichkeiten (z. B. Nutzer*innen der sozialen Medien) in Bezug gesetzt, war dies ein Indikator für den Meso-Makro-Bezug, da hier die Rolle der Organisation im gesellschaftlichen Umfeld im Fokus steht. Ging es dagegen um das Verhältnis zwischen einer Organisation und ihren zugehörigen Individuen im Sinne ihrer sozialen Integration, war ein Meso-Mikro-Bezug vorhanden. Unter der Meso-Meso-Perspektive wurde schließlich der Bezug von Organisationen zueinander berücksichtigt. Beim Zugang zum Dialog-Begriff (FF1.3) galt es zu überprüfen, auf welcher definitorischen Grundlage die untersuchten Artikel beruhten. Hier wurde zwischen einer normativ-produktorientierten und einer deskriptiv-prozessorientierten Sichtweise unterschieden (vgl. Hoffjann, 2014, S. 6; Szyszka, 1996, S. 102–103; Zühlsdorf, 2002, S. 95–106). Im Zuge dessen war die konkrete Operationalisierung der Dialogorientierung relevant. Es wurde überprüft, ob und inwieweit die Prinzipien (vgl. Kent & Taylor, 1998) oder die Grundsätze der Dialogorientierung (vgl. Kent & Taylor, 2002) zum Tragen kamen.
2Es
sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass unter dem Aufgabenfeld der Online-Relations hier die routinierte Kommunikation mit beispielsweise Kund*innen oder Journalist*innen über die verschiedenen Plattformen des Internets gemeint ist (Röttger et al., 2014, S. 214–215). Auch wenn letztendlich alle Felder der Online-Kommunikation dazu beitragen, Beziehungen zu den relevanten Teilöffentlichkeiten aufzubauen, gilt im Rahmen dieser Kategorie ein eher enges Verständnis der Online-Relations. So soll vor allem eine Abgrenzung zu eher themen- und anlassbezogenen Aufgabenfeldern wie zum Beispiel die CSR, die Finanzkommunikation oder die politische Kommunikation gewährleistet werden.
140
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
Schließlich wurden die Einflussfaktoren der Dialogorientierung (FF1.4) in den verschiedenen Studien näher betrachtet. Wie bereits vorweggenommen wurde, attestieren die meisten Studien der Online-Kommunikation von Organisationen ungenutzte Potenziale (vgl. Ao & Huang, 2020, S. 4; Pleil & Zerfaß, 2014, S. 739; Winkler & Pleil, 2019, S. 458). Daher geht es an dieser Stelle nicht darum, die Befunde der verschiedenen Studien systematisch zu rekonstruieren und zu bewerten. Vielmehr soll herausgearbeitet werden, wie bislang meist unberücksichtigte Konzepte der Meso-MikroPerspektive (z. B. Organisationskultur, PR-Rollen) und der Meso-Makro-Perspektive (z. B. Beziehungsmanagement) in einen übergeordneten analytischen Rahmen integriert werden können. Hierzu erfolgte auf Basis einer Betrachtung der jeweils vorgeschlagenen Möglichkeiten zur Anschlussforschung ein weniger quantifizierender, dafür eher narrativ-interpretierender Zugang zu den einzelnen Artikeln. Der beschriebene deduktiv-induktive Zugang dieser Literaturanalyse ermöglichte schließlich die Erfassung der Hauptkategorien entlang der Teilforschungsfragen. Die Entwicklung des Kategoriensystems erfolgte in Form eines iterativen Codierprozesses durch den Untersuchungsleiter mit der Software MAXQDA von Februar bis April 2018. Zunächst wurden dabei in einem ersten Durchgang die Basisinformationen auf Artikelebene vorcodiert. In weiteren Materialdurchgängen wurden dann schrittweise Teile des Untersuchungsmaterials zur Ausdifferenzierung der einzelnen Kategorien und ihrer Ausprägungen codiert. In jedem Durchgang wurde dabei zusätzliches Untersuchungsmaterial einbezogen und das provisorische Kategoriensystem Schritt für Schritt revidiert und erweitert, bis schließlich das gesamte Untersuchungsmaterial in einem finalen Materialdurchgang codiert wurde (vgl. Brosius et al., 2016, S. 169; Mayring, 2010, S. 84). Auf diese Weise konnte nicht nur die Vollständigkeit und Trennschärfe der Kategorien sichergestellt werden. Durch die Festlegung von Codierregeln (Reproduzierbarkeit), den mehrfachen Intracoder-Vergleich der provisorischen Codierungen (Stabilität) und die entsprechenden Anpassungen am Kategoriensystem (Exaktheit) wurde in den verschiedenen Materialdurchgängen die Reliabilität der Analyse gewährleistet (vgl. Krippendorff, 1980, S. 158; Mayring, 2010, S. 119–122; Rössler, 2010, S. 197–204). Auch die Validität der Untersuchung ist mit der Vervollständigung der Kategorien und entsprechenden Regeln im iterativen Codierprozess (Inhaltsvalidität), der Gewährleistung der Intracoder-Reliabilität (Analysevalidität) und der Einordenbarkeit in vergleichbare Analysen3 (Kriteriums- und Inferenzvalidität) als gegeben anzusehen (vgl.
3Nach
Abschluss der vorliegenden systematischen Literaturanalyse im April 2018 erschienen im Kontext des zwanzigjährigen Jubiläums der Grundlegung einer dialogischen PR-Theorie weitere Literatur-Reviews, die sich mit ähnlichen Fragestellungen zum Dialog-Konzept beschäftigen. So widmen sich Wirtz und Zimbres (2018) der Frage, wie besonders die Prinzipien der Dialogorientierung in der digitalen Kommunikation angewendet wurden, wohingegen Morehouse und
5.2 Systematische Literaturanalyse
141
Krippendorff, 1980, S. 158; Mayring, 2010, S. 119–122; Rössler, 2010, S. 205–208). Das vollständige Kategoriensystem mit Ankerbeispielen ist tabellarisch im Anhang A3 einzusehen. In der Folge werden die Ergebnisse des finalen Materialdurchgangs der systematischen Literaturanalyse vorgestellt.
5.2.3 Ergebnisse der Literaturanalyse Die Darlegung der Ergebnisse der systematischen Literaturanalyse (Schritt 7) erfolgt entlang der Teilforschungsfragen (vgl. Abschnitt 5.1). Dabei werden die zentralen Befunde an geeigneten Stellen quantitativ dargestellt und narrativ-interpretierend ergänzt. Exemplarische Quellenverweise auf die entsprechenden Artikel, Datenvisualisierungen und Zitationsbeispiele aus dem untersuchten Material illustrieren die Ergebnisse. Die Datenbelege wurden durch die in MAXQDA verfügbaren Optionen zur quantitativen und qualitativen Auswertung generiert. Weiterführende statistische Verfahren wurden mit SPSS durchgeführt, nachdem die jeweiligen Kategorien in MAXQDA in kategoriale Dokumentvariablen transformiert und als Tabelle exportiert worden waren. Jede Teilforschungsfrage schließt mit einer Zusammenfassung und einer Einordnung der Ergebnisse in den bisherigen Erkenntnisstand. FF1.1: Untersuchungsanlagen Hinsichtlich der Basisinformationen gilt es zunächst, einen Überblick über die Rahmendaten der Veröffentlichungen zu gewinnen. Grundsätzlich ist im Untersuchungszeitraum zwischen 1998 und 2017 ein starker Anstieg der Anzahl der Publikationen zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen zu beobachten. Von den 74 Beiträgen ist in den ersten zehn Jahren des Untersuchungszeitraums (1998–2007) weniger als ein Fünftel (18 %, n = 13) der insgesamt untersuchten Publikationen erschienen. Seit 2009 ist schließlich eine deutliche Zunahme von relevanten Artikeln zu verzeichnen (vgl. Abbildung 5.1).
Saffer (2018) auf Basis einer bibliometrischen Analyse die Wissenskonstruktion im Forschungsfeld untersuchen. Ao und Huang (2020) vergleichen ferner die Anwendung der Prinzipien im englisch- und chinesischsprachigen Kontext. Die Essenz dieser Studien wird in Abschnitt 5.2.4 kurz vorgestellt und in die Befunde der vorliegenden Studie eingeordnet. Damit ist auch die Kriteriums- und Inferenzvalidität dieser Analyse gegeben (vgl. Rössler, 2010, S. 207–208).
142
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
Abbildung 5.1 Anzahl der untersuchten Artikel von 1998 bis 2017. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Insgesamt sind im Untersuchungszeitraum 143 Autor*innen an den Publikationen beteiligt. Auf einen Artikel entfallen dabei im Durchschnitt zwei Autor*innen (M = 1.93, SD = 0.72). Michael Kent ist der präsenteste Autor (n = 10). Daneben positionieren sich Maureen Taylor (n = 8), Chiara Valentini (n = 4) und Sheila McAllister-Spooner (n = 3) ebenfalls sichtbar im Forschungsfeld. In Bezug auf die jeweiligen Scientific Communitys ist eine deutliche Dominanz von US-amerikanischen Institutionen festzustellen (n = 84). Dahinter folgen Dänemark (n = 11), Australien/Ozeanien (n = 10) und Deutschland (n = 7). Die untersuchten Artikel stellen zum Großteil (78 %, n = 58) empirische Arbeiten dar (vgl. u. a. Gowthorpe, 2004; Henderson & Bowley, 2010; Watkins, 2017). Ein Fünftel (20 %, n = 15) der publizierten Aufsätze sind theoretische Beiträge (vgl. u. a. Capozzi & Zipfel, 2012; Kent & Taylor, 1998; Valentini, 2015). Nach zehn Jahren ist schließlich der erste und im untersuchten Zeitraum einzige systematische Literaturüberblick erschienen (1 %, n = 1; vgl. McAllister-Spooner, 2009).4 Im zeitlichen Verlauf lassen sich drei Phasen signifikant voneinander unterscheiden (χ2(4, n = 74) = 16.39, p = .003, Cramers V = .33). In einer ersten Theoriephase (1998–2002) erschließen vor allem theoretische Vorarbeiten das Forschungsfeld (vgl. u. a. Kent, 2001; Kuperman, 2000). In der Empiriephase (2003–2010) ist das Feld in der Folge von Studien geprägt,
4Prozentuale
Angaben werden in dieser Analyse auf ganze Zahlen gerundet. Dadurch kann es zu Abweichungen von bis zu +/− 1 Prozentpunkt bei der Aufsummierung zu 100 Prozent kommen.
5.2 Systematische Literaturanalyse
143
die diese Vorarbeiten empirisch auf verschiedene Plattformen und Organisationsarten anwenden (vgl. u. a. Curtin & Gaither, 2004; McAllister & Taylor, 2007; Stephens & Malone, 2009). Schließlich dominieren in der publikationsreichen dritten Mischphase (2011–2017) zwar immer noch empirische Arbeiten (vgl. u. a. Briones et al., 2011; Lee & Lin, 2017; Romenti et al., 2016), jedoch werden diese konstant von theoretischen Beiträgen begleitet (vgl. u. a. Johansen & Nielsen, 2011; Kent, 2013; Kent & Taylor, 2016) (vgl. Tabelle 5.3).
Tabelle 5.3 Anzahl der untersuchten Artikel nach Art der Beiträge von 1998 bis 2017. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung) Anzahl der theoretischen Artikel Phase 1
Phase 2
Phase 3
Anzahl der empirischen Artikel
Anzahl der Reviews
gesamt
1998
1
0
0
1
1999
0
0
0
0
2000
1
0
0
1
2001
1
1
0
2
2002
1
0
0
1
2003
0
2
0
2
2004
0
2
0
2
2005
0
0
0
0
2006
0
2
0
2
2007
0
2
0
2
2008
1
1
0
2
2009
0
5
1
6
2010
0
5
0
5
2011
1
2
0
3
2012
2
8
0
10
2013
1
3
0
4
2014
2
6
0
8
2015
1
4
0
5
2016
1
7
0
8
2017 gesamt
2
8
0
10
15
58
1
74
χ2(4, n = 74) = 16.39, p = .003, Cramers V = .33 Zeitraum: 1998–2017; absolute Häufigkeiten Basis: alle Artikel im Untersuchungsmaterial
144
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
In Bezug auf das Themenfeld (vgl. Abbildung 5.2) bezieht sich über die Hälfte der Artikel auf allgemeine Online-Relations im Sinne der Beziehungspflege zu relevanten Teilöffentlichkeiten (58 %, n = 43) (vgl. u. a. Men & Tsai, 2012; Saxton & Waters, 2014; Yang & Lim, 2009). Darüber hinaus werden thematische Felder der Online-PR wie politische Kommunikation (14 %, n = 10) (vgl. u. a. Graham, 2014; Heaselgrave & Simmons, 2016; Sweetser & Weaver Larcy, 2008), Corporate Social Responsibility (9 %, n = 7) (vgl. u. a. Abitbol & Lee, 2017; Colleoni, 2013; Uzunoğlu et al., 2017), Krisenkommunikation (7 %, n = 5) (vgl. u. a. Chewning, 2015; Fjeld & Molesworth, 2006; Romenti et al., 2014) und Finanzkommunikation (5 %, n = 4) (vgl. u. a. Hoffmann & Aeschlimann, 2017; Koehler, 2014) rege erforscht.
Abbildung 5.2 Anteile der in den Artikeln untersuchten Themenfelder. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Betrachtet man die analysierten Plattformen (vgl. Abbildung 5.3), ist festzustellen, dass es in vielen Artikeln um das Internet (22 %, n = 16) und die sozialen Medien (19 %, n = 14) in genereller Art und Weise geht (vgl. u. a. Macnamara, 2016; Malcolm et al., 2008; Ryan, 2003; van den Berg & Verhoeven, 2017). Darunter befindet sich mit insgesamt 13 Artikeln der Großteil der theoretischen Beiträge. Bei den untersuchten Online-Plattformen stehen Websites (23 %, n = 17) (vgl. u. a. Capriotti & Moreno, 2007; Levenshus, 2010), Facebook (11 %, n = 8) (vgl. u. a. Kim et al., 2014; Ravazzani & Maier, 2017), Twitter (8 %, n = 6) (vgl. u. a. Thimm et al., 2012; Watkins, 2017) und Blogs (7 %, n = 5) (vgl. u. a. Agerdal-Hjermind, 2014; Wang
5.2 Systematische Literaturanalyse
145
et al., 2015) im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Einige Studien (9 %, n = 7) binden auch mehrere Plattformen in ihr Untersuchungsdesign ein (vgl. u. a. McAllister, 2012; Meriläinen & Vos, 2011).
Abbildung 5.3 Anteile der in den Artikeln untersuchten Plattformen. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Im Hinblick auf die verschiedenen Organisationsarten (vgl. Abbildung 5.4) liegt das Hauptaugenmerk der Forschung klar auf Unternehmen (30 %, n = 22) (vgl. u. a. McCorkindale & Morgoch, 2013; Sundstrom & Levenshus, 2017). Auch NPOs (15 %, n = 11) (vgl. u. a. Sommerfeldt et al., 2012; Toledano, 2016) sowie öffentliche und staatliche Institutionen (13 %, n = 10) (vgl. u. a. Agerdal-Hjermind & Valentini, 2015; Lee & Lin, 2017) spielen für das Forschungsfeld eine nicht zu verachtende Rolle. Einige Studien fokussieren sich darüber hinaus speziell auf NGOs (7 %, n = 5) (vgl. u. a. Wang & Waters, 2012; Zhang & Swartz, 2009) und Parteien beziehungsweise Politiker*innen (7 %, n = 5) (vgl. u. a. Elter, 2013; Levenshus, 2010). Gut ein Viertel der untersuchten Beiträge trifft Aussagen über Organisationen im Allgemeinen. Erneut sind darunter vor allem theoretische Abhandlungen zu finden, welche sich meist mit den allgemeinen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Organisationskommunikation beschäftigen (vgl. u. a. Capozzi & Zipfel, 2012; Taylor & Kent, 2014).
146
5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
Abbildung 5.4 Anteile der in den Artikeln untersuchten Organisationsarten. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Hinsichtlich des methodischen Designs der empirisch angelegten Studien (n = 58) handelt es im Wesentlichen um quantitative Inhaltsanalysen (47 %, n = 27) (vgl. u. a. Pettigrew & Reber, 2010; Reber & Kim, 2006). Auch qualitative Befragungen insbesondere von Kommunikator*innen stellen einen oft genutzten Zugang zum Forschungsfeld dar (21 %, n = 12) (vgl. u. a. Kelleher & Sweetser, 2012; Jiang et al., 2016). Gerade diese beiden Methoden werden zum Zweck der Triangulation teilweise auch kombiniert (vgl. u. a. Meriläinen & Vos, 2011). Ansonsten spielen vor allem im Bereich der quantitativen Methoden experimentelle Designs (5 %, n = 3) (vgl. u. a. Yang & Lim, 2009; Watkins, 2017) oder Befragungen (5 %, n = 3) (vgl. u. a. Ryan, 2003; Yang et al., 2015) kaum eine Rolle. Auch modernere Methoden wie etwa die Netzwerkanalyse werden bislang nur selten eingesetzt (2 %, n = 1) (vgl. Colleoni, 2013). Einordnung und Diskussion Die Ergebnisse der systematischen Literaturanalyse in Bezug auf die Untersuchungsanlagen (FF1.1) geben einen ersten Überblick über die Gemengelage im Forschungsfeld zur dialogorientierten Online-Kommunikation. Es hat sich gezeigt, dass der Umfang der Publikationen nach einer von theoretischen Arbeiten geprägten ersten Phase sprunghaft angestiegen ist. Dieser Anstieg lässt sich in etwa auf das Jahr 2009 datieren und ist dadurch zu erklären, dass zu dieser Zeit Plattformen des Web 2.0 wie Blogs, Facebook oder Twitter für Praxis und Forschung immer populärer wurden (Röttger et al., 2018, S. 177; Zerfaß & Pleil, 2015, S. 40; vgl. auch Abschnitt 3.2.2, 3.2.3). Innerhalb des Forschungsfeldes herrscht zwar grundsätzlich Heterogenität, was die nationale Zusammensetzung der Autor*innenschaft angeht. Betrachtet man jedoch die genauere Verteilung, ergibt sich ein eher einseitiges Bild, das auf ein starkes Agenda Setting
5.2 Systematische Literaturanalyse
147
durch US-amerikanische Institutionen schließen lässt. Dies deckt sich mit generellen Beobachtungen in der PR-Forschung, nach denen das US-amerikanische Feld starken Einfluss auf die übrige Forschungslandschaft ausübt (vgl. Jelen, 2008; Macnamara, 2012; Volk, 2016). Auch wenn die empirische Forschung im zeitlichen Verlauf stark zugenommen hat, beschränkt sie sich meist auf quantitative Inhaltsanalysen. Daraus folgt, dass vor allem die Mesoebene bislang im Mittelpunkt stand. Auch dieser Befund ist symptomatisch für die gesamte PR-Forschung, vor allem in Bezug auf die digitale Organisationskommunikation (vgl. Huang et al., 2017; Pasadeos et al., 2011; Ye & Ki, 2012). Da die aktive Nutzung von sozialen Medien sowohl durch die Nutzer*innen als auch durch die Organisationen zu einem Anstieg der analysierbaren Inhalte führt, mag dieser Befund nicht überraschen. Nichtsdestotrotz darf angesichts des gestiegenen Kommunikationsvolumens die Mikroebene nicht vernachlässigt werden, wenn man davon ausgeht, dass das Kommunikationsmanagement einer zunehmenden Professionalisierung unterliegt (Hetze et al., 2019, S. 259; Zerfass et al., 2019, S. 56; vgl. auch Abschnitt 3.1.3). Die Mikroebene wurde bislang vor allem durch qualitative Befragungen erschlossen. Hier ergibt sich eine Diskrepanz zu den Trends in der Forschung zur Online-PR. So kommen Huang et al. (2017, S. 1371–1372) in einer systematischen Vermessung des Forschungsfeldes zu der Erkenntnis, dass 19 Prozent der Studien zur Online-PR auf quantitativen Befragungen basieren, wobei eine Meso-Perspektive dominiert. Es stellt sich folglich die Frage, was quantitative Befragungen in Bezug auf die Dialogorientierung derart hemmt. Dies kann mitunter am schwierigen Feldzugang zu den Kommunikator*innen liegen, was eine effektive quantitative Sampling-Strategie seitens der Forschung erfordert. Schwerer wiegt allerdings die Herausforderung, Dialogorientierung auf der Ebene der Kommunikator*innen zu messen. So lassen die Prinzipien der Dialogorientierung (vgl. Kent & Taylor, 1998; vgl. auch Abschnitt 4.2) meist nur eine Messung von interaktiven Funktionalitäten auf der Inhaltsebene zu. Zwar haben Yang et al. (2015) mit der erfolgreichen Überführung der Grundsätze der Dialogorientierung (vgl. Kent & Taylor, 2002; vgl. auch Abschnitt 4.2) in eine Skala einen wichtigen Beitrag zur Messbarkeit von Dialogorientierung auf Mikroebene geleistet, jedoch blieb dieser Zugang im Forschungsfeld bislang weitgehend unbeachtet (Chen et al., 2020, S. 3; vgl. auch Abschnitt 4.3). In jedem Fall hält das Forschungsfeld zur dialogorientierten Organisationskommunikation zahlreiche Vorarbeiten bereit, auf Grundlage derer sich ein quantitativer Zugang geradezu aufdrängt. Mit dem speziellen Fokus auf den Branchenprimus Facebook und der Betrachtung von Unternehmen ist die vorliegende Studie damit auch anschlussfähig an das bisherige Forschungsfeld (vgl. Kapitel 6, 8). Auf Basis der allgemeinen Untersuchungsanlagen gilt es nun im nächsten Schritt, einen tieferen Einblick in die Zielsetzungen und Perspektiven der existierenden Vorarbeiten zur dialogorientierten OnlineKommunikation von Organisationen zu gewinnen.
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5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
FF1.2: Perspektiven der PR-Forschung Die zweite Teilforschungsfrage fokussiert sich auf die Perspektiven, welche die PR-Forschung einnimmt, um Organisationen in ihrem gesellschaftlichen und sozialen Umfeld zu untersuchen. Bevor jedoch die Anwendung der drei erarbeiteten Perspektivierungen (Meso-Makro, Meso-Meso, Meso-Mikro; vgl. auch Kapitel 2) überprüft wird, ist ein Blick auf die verschiedenen Zielsetzungen der Artikel lohnend. So lassen sich erste Aussagen darüber treffen, ob die Forschung ihren eigenen Erwartungen gerecht werden kann. In Bezug auf die formulierten Untersuchungsziele der Beiträge lassen sich insgesamt fünf grundlegende Ausrichtungen kategorisieren, die sich bereits implizit in den methodischen Zugängen der Artikel andeuten (vgl. Abbildung 5.5). So steht in den meisten Artikeln die Messung von dialogorientierter Kommunikation im Vordergrund (39 %, n = 29) (vgl. u. a. Ingenhoff & Koelling, 2009; Madichie & Hinson, 2014). In dieser Art der Beiträge werden meist die Prinzipien der Dialogorientierung angewendet (vgl. Kent & Taylor, 1998). Die konkrete Zielsetzung ist häufig ähnlich wie folgt formuliert: „This study will explore the mobile readiness of the Fortune 500 websites and apply the five principles of dialogic theory to the mobile websites“ (McCorkindale & Morgoch, 2013, S. 194).
Abbildung 5.5 Anteile der den Artikeln zugrunde liegenden Untersuchungsziele. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Ein weiteres präsentes Ziel neben der Messung der Dialogorientierung ist die Messung von Einstellungen oder Meinungen zur dialogorientierten Organisationskommunikation (30 %, n = 22) (vgl. u. a. Macnamara & Zerfass, 2012; Yeomans, 2016). Hier überwiegt jedoch deutlich eine organisationszentrierte Sicht, da vor allem Kommunikator*innen zum Einsatz dialogorientierter Strategien befragt werden. Aus
5.2 Systematische Literaturanalyse
149
entsprechenden Forschungsfragen erhoffen sich die Autor*innen meist Aussagen über die strategische Verankerung der dialogorientierten Online-Kommunikation, wie beispielsweise: „This question extends the recent research on the Internet’s role in relationship building by exploring how presidential campaign managers use the Internet to strategically manage the campaign’s grassroots relationships, including whether […] dialogic principles apply to the strategy“ (Levenshus, 2010, S. 318). Die dritte Art von Zielsetzung ist unmittelbar an die theoretischen Arbeiten im Forschungsfeld gekoppelt. Bei diesen Arbeiten steht die Weiterentwicklung der PRTheorie im Fokus (20 %, n = 15) (vgl. u. a. Malcolm et al., 2008; Taylor & Kent, 2014). Dies geschieht vor allem durch den Versuch, Konzepte aus anderen Disziplinen für die Public Relations gangbar zu machen. Die Beschäftigung mit Dialog-Begriff selbst ist hier das beste Beispiel für diese Art von Arbeiten: „The concept of dialogue is deeply rooted in philosophy and relational communication theory. Its inclusion in the public relations vocabulary is an important step toward understanding how organizations can build relationships that serve both organizational and public interests“ (Kent & Taylor, 2002, S. 21). Darüber hinaus sind im Lauf der Zeit – vor allem aber in der dritten Phase (vgl. FF1.1) – immer mehr Arbeiten entstanden, die versuchen, das Dialog-Konzept zu verfeinern und das Forschungsfeld für die Diskrepanz zwischen normativen und deskriptiven Herangehensweisen zu sensibilisieren (vgl. u. a. Ihlen & Levenshus, 2017; Romenti et al., 2014). Beispielsweise steht hierbei auch die Frage im Vordergrund, inwieweit das Potenzial der sozialen Medien zu einem Umdenken und einer strategischen Neubewertung dialogorientierter Organisationskommunikation führen muss: „Using social media in public relations requires more than just the tool that dialogue provides; we also need an ideological shift“ (Kent, 2013, S. 341). Ein kleinerer Teil der PR-Forschung zur Dialogorientierung beschäftigt sich mit den Outcomes der Dialogorientierung (10 %, n = 7). Dieser Strang der Forschung bezieht ausgehend von den Kommunikationsinhalten der Organisationen vor allem die Rezeption und Wirkung seitens der Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten ein (vgl. u. a. Bortree & Seltzer, 2009; Watkins, 2017). So stellt vor allem die vergleichsweise einfache Messbarkeit von basalen Formen der Interaktion durch die Resonanz der Nutzer*innen in den sozialen Medien (Hall, 2018, S. 165–167; vgl. auch Abschnitt 3.2.4) einen probaten, wenn auch selten umgesetzten, Zugang zur Forschung dar: „Facebook offers stakeholders the opportunity to interact with a company’s messages through three unique tools: likes, shares, and comments“ (Abitbol & Lee, 2017, S. 798). Schließlich widmet sich die einzige systematische Literaturanalyse im Untersuchungsmaterial der Entwicklung des Feldes aus einer Meta-Perspektive (1 %, n = 1) (vgl. McAllister-Spooner, 2009). Anlässlich der ersten Dekade der Forschung zur Dialogorientierung in den Public Relations ist es dabei das erklärte Ziel, einen reflexiven Überblick über „past, current, and future directions of Kent and Taylor’s Internet principles“ (McAllister-Spooner, 2009, S. 320) zu geben. Im Ergebnis kommt McAllister-Spooner (2009, S. 322) unter anderem zu dem Schluss, dass die Meso-Mikro-Perspektive in Bezug auf die Dialogorientierung ein wesentliches
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5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
orschungsdesiderat darstellt, zumal die Dialogorientierung innerhalb einer Organisation F bereits auf Ebene der Kommunikator*innen beginnt. Im nächsten Schritt sollen die jeweiligen perspektivischen Ausrichtungen der Beiträge (Meso-Makro, Meso-Meso, Meso-Mikro) in den Blick genommen werden (vgl. Abbildung 5.6). Die systematische Analyse verdeutlicht die Dominanz der MesoMakro-Perspektive in der PR-Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation. Nahezu jeder zweite veröffentlichte Artikel bezieht sich darauf, wie sich die jeweils untersuchten Organisationen durch Formen der Dialogorientierung zu ihrem externen gesellschaftlichen Umfeld positionieren (49 %, n = 36) (vgl. u. a. Kim et al., 2014; McAllister & Taylor, 2007). Die Fragen, die hierbei forschungsleitend sind, beziehen sich meist auf die Inkorporierung der Prinzipien der Dialogorientierung, wie das folgende Beispiel verdeutlicht: „What are the dialogic characteristics of community college Web sites?“ (McAllister, 2007, S. 230). Teilweise geht es in diesem Zusammenhang auch um die Auswirkungen der organisationsseitigen Nutzung verschiedener Funktionen der Dialogorientierung auf die Nutzer*innen, wie die folgende Forschungsfrage exemplarisch zeigt: „Which measure of proactive engagement—the number of comments, the number of commenters, evaluative valence, or affective valence—is associated with purchase intention in relation to branded social media sites?“ (Wang et al., 2015, S. 203).
Abbildung 5.6 Anteile der in den Artikeln vorherrschenden Perspektiven. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Im Gegensatz dazu ist die Meso-Mikro-Perspektive weniger häufig vertreten (31 %, n = 23) (vgl. u. a. Graham, 2014; Hoffmann & Aeschlimann, 2017). Allerdings wird sie durch die Forschung nicht völlig ausgeblendet, was beispielsweise McAllister-Spooner
5.2 Systematische Literaturanalyse
151
(2009, S. 322) angedeutet hat. Beiträge zur Meso-Mikro-Perspektive basieren überwiegend auf qualitativen Zugängen empirischer Arbeiten. In diesem Kontext interessiert sich das Forschungsfeld meist für Einflussfaktoren auf Ebene der Kommunikator*innen: „What barriers, obstacles, and challenges inhibit two-way communication including listening between organizations and their publics?“ (Macnamara, 2016, S. 154). Die Integration verschiedener Perspektiven – vor allem die Kombination aus Meso-Makro- und Meso-Mikro-Perspektive – findet sich nur in einem geringen Teil der analysierten Beiträge (16 %, n = 12) (vgl. Ihlen & Levenshus, 2017; Taylor & Kent, 2014). Hierbei handelt es sich meist um theoretische oder qualitativ ausgerichtete Beiträge, die ein holistischeres Verständnis anbieten als der Großteil der empirischen Studien, die sich meist für eine einzige Perspektive entscheiden: „This article discusses perspectives on corporate dialogue with a focus on the constraints identified in the literature, before presenting the main argument that not enough attention has been paid to the macro limits at the systemic level“ (Ihlen & Levenshus, 2017, S. 219). Allerdings gibt es auch empirische Arbeiten, die durch Methodenkombinationen versuchen, beide Perspektiven abzudecken (vgl. u. a. Meriläinen & Vos, 2011). Derartige Ansätze sind jedoch in der Minderheit. Deutlich untererforscht ist die Meso-Meso-Perspektive (4 %, n = 3) (vgl. u. a. Kent et al., 2003; Men & Tsai, 2012). Zwar schwingt in einigen Arbeiten ein Vergleich in Form von einzelnen Hypothesen oder Forschungsfragen mit (vgl. u. a. Taylor et al., 2001), jedoch gibt es nur wenige Beiträge, die auf einer dezidiert vergleichenden Sichtweise basieren. Hier findet der Vergleich meist zwischen verschiedenen Organisationsarten oder Organisationen mit unterschiedlich ausgeprägten Merkmalen statt (Inter-Organisations-Vergleich). Exemplarisch lässt sich dies an der folgenden Hypothese illustrieren: „Membership activist organizations will be more responsive than watchdog organizations“ (Kent et al., 2003, S. 67). Ein zeitlicher Vergleich im Sinne einer Längsschnittbetrachtung (Intra-Organisations-Vergleich) fehlt allerdings vollständig, was als deutliches Manko der Forschung gewertet werden muss. Einordnung und Diskussion Zusammenfassend lässt sich für die in der Forschung vorherrschenden Perspektiven (FF1.2) festhalten, dass die Messung von (inhaltlichen) Ausprägungen der Dialogorientierung und die Erfassung von Einstellungen und Meinungen seitens der Kommunikator*innen die dominanten Zielsetzungen der untersuchten Beiträge darstellen. Hierdurch erklärt sich auch, warum die quantitative Inhaltsanalyse und die qualitative Befragung die meistgenutzten methodischen Zugänge sind (vgl. FF1.1). Bei den untersuchten Perspektiven ist der PR-Forschung im Kontext der Dialogorientierung ein Überhang der Meso-Makro-Perspektive zu attestieren. Das oftmals bemängelte Fehlen einer Orientierung an der Makroebene (vgl. Holtzhausen, 2000, S. 95) kann also für den vorliegenden Kontext nicht bestätigt werden. Vielmehr verfestigt sich die Erkenntnis, dass die Beziehungen zwischen Organisationen und ihren externen Teilöffentlichkeiten zunehmend in den Fokus von Forschung und Praxis gerückt sind (vgl.
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Sandhu, 2012a, S. 31; Theis-Berglmair, 2008, S. 111). Allerdings birgt diese Entwicklung die Gefahr, dass Prozesse auf der Mikroebene vernachlässigt werden. Auch McAllister-Spooner (2009) erkannte diesen Umstand und plädierte für eine stärkere Fokussierung auf interne Prozesse: „Future researchers should examine organizational factors and practical limitations that inhibit public relations professionals from taking full advantage of the new capabilities Internet technologies offer“ (McAllister-Spooner, 2009, S. 322). Ein Blick auf den zeitlichen Verlauf der Anwendung der verschiedenen Perspektiven lässt den Schluss zu, dass dieser Appell durchaus wirkungsvoll war (vgl. Abbildung 5.7). Die Meso-Mikro-Perspektive, also die Frage, wie dialogorientierte Prozesse innerhalb einer Organisation integriert werden, wird in der aktuelleren Forschung stetig mitbedacht. Allerdings ist diese Perspektive nicht vollkommen neu in der PR-Forschung. Sie ist seit der Jahrtausendwende fast kontinuierlich präsent. Hier ergibt sich allerdings ein Unterschied zwischen theoretischen und empirischen Arbeiten, wobei die MesoMakro-Perspektive vor allem in empirischen Arbeiten dominiert (χ2(6, n = 74) = 17.03, p = .009, Cramers V = .34). Es gilt folglich die Mikroebene stärker in empirische Untersuchungen einzubinden, um neue Erkenntnisse in Bezug auf die Dialogorientierung generieren zu können.
Abbildung 5.7 Präsenz der verschiedenen Perspektiven von 1998 bis 2017. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Im Gegensatz zur Meso-Makro- und Meso-Mikro-Perspektive spielt die Meso-MesoPerspektive bislang kaum eine ernstzunehmende Rolle in der Forschungslandschaft. Dieser Umstand ist überraschend, da gerade mit Blick auf das Beziehungsmanagement vergleichende Perspektiven immer wieder eingefordert worden sind (vgl. Ihlen &
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Levenshus, 2017, S. 228; Ledingham & Bruning, 1998, S. 63–64; McCorkindale & DiStaso, 2014, S. 10–11; vgl. auch Abschnitt 2.4.1). Obwohl es in der Forschung Impulse zum Inter-Organisations-Vergleich gibt, besteht hier großer Forschungsbedarf, um beispielsweise eine Einordnung der Nutzung interaktiver Funktionen zur dialogorientierten Kommunikation gewährleisten zu können. Darüber hinaus ist die Erforschung der zeitlichen Entwicklung der dialogorientierten Online-Kommunikation im Sinne eines Intra-Organisations-Vergleiches empirisches Brachland. Gerade weil das Beziehungsmanagement auf Langfristigkeit ausgelegt ist (Botan & Taylor, 2004, S. 652; Rusbult et al., 2001, S. 96; Zerfaß, 2014, S. 31), besteht hier dringender Forschungsbedarf. Eine derartige Längsschnittperspektive könnte gerade im Kontext der vorliegenden Arbeit dazu beitragen, Aussagen über die Professionalisierung der dialogorientierten Unternehmenskommunikation zu treffen. Gerade hier liegt auch das Potenzial, die oftmals pessimistischen Befunde der Forschung (vgl. u. a. Bortree & Seltzer, 2009, S. 318; McAllister, 2012, S. 326; Thummes & Malik, 2015, S. 126) in einen langfristigen Kontext zu stellen und Entwicklungen nachzuzeichnen. Die aufgeworfene Frage, warum die PR-Forschung in Bezug auf die Dialogorientierung ihren eigenen Erwartungen nicht gerecht werden kann, kann bis zu diesem Punkt nur bedingt beantwortet werden. Zwar sind Ungleichgewichte und Forschungsdesiderata erkennbar, jedoch erklärt dies noch nicht, warum die Forschung immer wieder zu ernüchternden Befunden kommt, was die Dialogorientierung von Organisationen im Internet betrifft (vgl. Pleil & Zerfaß, 2014, S. 739; Winkler & Pleil, 2019, S. 458). Aus diesem Grund soll genauer auf die konkreten Zugänge zum Dialog-Begriff eingegangen werden. FF1.3: Zugang zum Dialog-Begriff Beim Zugang zum Dialog-Begriff wurden im Verlauf dieser Arbeit zwei grundsätzliche Arten unterschieden: normativ-produktorientiert und deskriptiv-prozessorientiert. Es hat sich dabei angedeutet, dass es in der Forschung Diskrepanzen zwischen der theoretischen Verortung und der empirischen Herangehensweise in Bezug auf das Dialog-Konzept gibt (vgl. Abschnitt 4.1, 4.4). Daher soll die vorliegende systematische Analyse Aufschluss darüber geben, in welchem Ausmaß der Forschung ein strukturelles Definitionsproblem anhaftet und wie das Dialog-Konzept üblicherweise operationalisiert wird. Als definitorische Grundlage dient in der Mehrheit der untersuchten Artikel (61 %, n = 45) ein normativ-produktorientiertes Verständnis, wohingegen in nur 39 Prozent der Fälle (n = 29) ein deskriptiv-prozessorientiertes Verständnis vorherrscht (vgl. Abbildung 5.8). Dieser Befund geht mit verschiedenen Beobachtungen einher. So fällt auf der einen Seite auf, dass der normativ-produktorientierte Zugang meist auf einer unreflektierten Begriffsverwendung beruht (vgl. u. a. Kuperman, 2001; Saxton & Waters, 2014). Die Forschung sieht in diesem Kontext das Internet meist als abstrakten Ort, an dem durch die zahlreichen interaktiven Funktionen Dialoge zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten geführt werden: „[T]he Internet is used to make
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bidirectional communication easier and to establish and build relationships by allowing dialogue and interaction between the organisation and its different kinds of publics“ (Capriotti & Moreno, 2007, S. 84). Zudem verschärfen manche Beiträge die normative Überhöhung des Begriffes, indem sie zwar den Dialog inhaltslogisch richtig als Konzept der interpersonalen Kommunikation greifbar machen, jedoch dessen Anwendbarkeit im Spannungsfeld der interessengeleiteten PR nicht ausreichend reflektieren (vgl. u. a. Kent & Taylor, 2016; Toledano, 2016). In der Folge entsteht oft ein widersprüchliches Verhältnis durch die Vermischung der genuin produktorientierten Ausrichtung des Konzeptes und des eigentlichen Ziels vieler Studien – nämlich Prozesse zu messen. Dies schlägt sich häufig in Aussagen wie folgender nieder: „Public relations facilitation of dialogue is accomplished by establishing channels and procedures for managing and cultivating healthy relationships between corporations and stakeholders“ (McCorkindale & Morgoch, 2013, S. 194).
Abbildung 5.8 Anteile der in den Artikeln zugrunde gelegten Dialog-Definitionen. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Auf der anderen Seite kommt es zu einer zunehmenden Inflation des Begriffes. Die Gründe hierfür liegen in einer wiederkehrenden Vermischung oder gar Gleichsetzung des Begriffes mit symmetrischen oder interaktiven Formen der Kommunikation, ohne die grundsätzlich unterschiedliche Verankerung und prozessuale Bedeutung der Konzepte zu reflektieren (vgl. u. a. Heaselgrave & Simmons, 2016; Ryan, 2003; Watkins, 2017). Hier verpasst es die Forschung, einen distinkten operationalen Zugang zur Dialogorientierung als Prozess zu entwickeln. Ist demgegenüber eine deskriptiv-prozessorientierte Sichtweise auf die Dialogorientierung in den untersuchten Artikeln gegeben, wird diese meist auf das Vorhandensein der Prinzipien der Dialogorientierung reduziert (vgl. u. a. Capriotti &
5.2 Systematische Literaturanalyse
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Pardo Kulinski, 2012; Gao, 2016; Reber & Kim, 2006) – auch in Bezug auf moderne Online-Plattformen wie die sozialen Medien: „Though the media to foster online dialogic communication have expanded since Taylor and Kent’s original study, the basic principles of relationship building through dialogic communication on the Internet still hold true“ (Briones et al., 2011, S. 38). Auch wenn dieser Zugang prinzipiell nicht falsch und – gerade auf Inhaltsebene – verhältnismäßig einfach anzuwenden ist, verliert die Dialogorientierung dadurch an konzeptioneller und empirischer Tiefe. Dieser Befund wird durch den Blick auf die empirische Anwendung der einzelnen Prinzipien und Grundsätze der Dialogorientierung gestützt. Während die Prinzipien zum Standardrepertoire von Inhaltsanalysen in diesem Bereich zählen (vgl. u. a. Men & Tsai, 2012; Rybalko & Seltzer, 2010), werden die Grundsätze der Dialogorientierung fast vollständig ausgeblendet. Eine bereits angesprochene Ausnahme stellt die Arbeit von Yang et al. (2015) dar. Einige Arbeiten im Feld zeugen zwar vom Bewusstsein, dass mit den Grundsätzen die kommunikative Orientierung von Organisationen erschlossen werden kann, kommen aber dann, sobald es um die Operationalisierung geht, auf die Prinzipien der Dialogorientierung zurück (vgl. u. a. Gao, 2016; McAllister, 2012). Betrachtet man die Anwendung der einzelnen Prinzipien in empirischen Beiträgen, fällt auf, dass nicht alle gleichermaßen berücksichtigt werden. Während die Prinzipien der Dialogschleife (n = 22) und der Generierung von erneuten Besuchen (n = 22) konstante Elemente der Operationalisierungen darstellen, werden die Prinzipien der Bewahrung der Besucher*innen (n = 20) und der Nützlichkeit der Informationen (n = 19) weniger oft in die Untersuchungsdesigns integriert. Noch weiter fällt das Prinzip der Intuitivität des Interface (n = 15) ab. Gerade diesbezüglich ergibt sich ein Unterschied zwischen den Studien zur Dialogorientierung auf Websites und in den verschiedenen Plattformen der sozialen Medien. Hier wird meistens so argumentiert, dass durch die Einheitlichkeit des Interface von Plattformen wie Facebook eine Betrachtung der Intuitivität obsolet wird (vgl. u. a. Rybalko & Seltzer, 2010; Watkins, 2017): „The fifth principle, ease of interface, was omitted from the study since the Twitter interface is the same for all users“ (Watkins, 2017, S. 167). Einordnung und Diskussion Aus der Analyse der im Forschungsstand gewählten Zugänge zum Dialog-Begriff (FF1.3) lässt sich eine Erklärung für die Frage ableiten, warum Organisationen im Internet das Potenzial zur Dialogorientierung häufig nicht ausschöpfen (vgl. Ao & Huang, 2020, S. 4; Pleil & Zerfaß, 2014, S. 739; Winkler & Pleil, 2019, S. 458). Demnach herrscht im Feld eine Diskrepanz zwischen normativen und deskriptiven Konzeptionen, wobei durch den normativen Zugang unrealistische Maßstäbe angesetzt werden und die Ergebnisse daher nur ernüchternd sein können. Oder anders ausgedrückt: In den Artikeln wird häufig nicht das gemessen, was als definitorische Grundlage verankert wird. Doch nicht nur die Verständnisse konkurrieren untereinander, auch innerhalb der jeweiligen Zugänge sind inkonsistente und vereinfachende Sichtweisen nachzuweisen. Dies führt in der Konsequenz zur Koexistenz und Vermischung genuin unterschiedlicher theoretischer
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Fundamente (wie beispielsweise bei der Gleichsetzung von Dialogorientierung und symmetrischer Kommunikation). Andererseits haben stetig vorangetriebene normative Konzeptionen zu einer Überhöhung des Dialog-Konzeptes geführt (Winkler & Pleil, 2019, S. 459; vgl. auch Nothaft et al., 2018). Diese Erkenntnis spiegelt sich auch im zeitlichen Verlauf wider (vgl. Abbildung 5.9).
Abbildung 5.9 Präsenz der verschiedenen definitorischen Zugänge von 1998 bis 2017. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)
Daraus geht hervor, dass sich gerade in der publikationsreichen Mischphase (vgl. FF1.1), in der die sozialen Medien zu einem wichtigen Instrument für die Organisationen avanciert sind (vgl. Zerfass et al., 2017, S. 59–60; vgl. auch Abschnitt 3.1.3, 3.2.2), keine einheitliche prozessorientierte Sicht durchsetzen konnte, die sowohl mit der strategischen Ausrichtung der Organisationskommunikation als auch mit der Kommunikation über Plattformen wie Facebook in Einklang zu bringen ist (χ2(2, n = 74) = 4.81, p = .090, Cramers V = .26). Daher verwundert es nicht, dass die eingangs dieses Kapitels illustrierten desillusionierenden Befunde das Forschungsfeld der dialogorientierten Online-Kommunikation prägen (vgl. u. a. Gálvez-Rodríguez et al., 2018, S. 274; Ingenhoff & Koelling, 2009, S. 72; McAllister, 2012, S. 326). Problematisch ist auch, dass sich die Forschung nach wie vor zum Großteil auf die Prinzipien der Dialogorientierung (vgl. Kent & Taylor, 1998) stützt. Zwar wohnt den Prinzipien durch ihre Genese ein prozessorientierter Charakter inne, jedoch reduzieren sie die Dialogorientierung meist auf einfache Funktionalitäten, die mehr oder weniger gegeben sein können (Magen & Avidar, 2019, S. 98; Sommerfeldt & Yang, 2018, S. 61). Wenngleich diese durchaus geeignet sind, um quantitative Inhaltsanalysen
5.2 Systematische Literaturanalyse
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d urchzuführen, wären zumindest vergleichende Analysen wünschenswert, um innovative Einblicke in die kommunikativen Praktiken von Organisation zu erhalten (vgl. FF1.2). Davon abgesehen gilt es generell, ein tiefergreifendes Verständnis an die Untersuchungsgegenstände anzulegen, um den prozessualen Charakter der Dialogorientierung valide untersuchen zu können. Über quantitative Befragungen von Kommunikator*innen beispielsweise ließe sich in diesem Kontext nicht nur die Prozessorientierung in der Forschung vorantreiben, sondern auch eine methodische Lücke schließen (vgl. FF1.1). Alles in allem ist es angesichts des Forschungsstandes notwendig, den Prozess der Dialogorientierung in einen übergeordneten Rahmen einzubetten, der relevante Einflussfaktoren integriert. FF1.4: Einflussfaktoren Ein übergeordneter Rahmen zu einer holistischeren Untersuchung der dialogorientierten Organisationskommunikation muss Faktoren auf der Mikroebene und auf der Makroebene miteinbeziehen. Wie die systematische Literaturanalyse gezeigt hat, sind beide Perspektiven in der Forschung grundsätzlich vertreten, jedoch werden diese meist in verschiedenen Studien abgekoppelt voneinander untersucht. Arbeiten, in denen beide Perspektiven erfasst werden, sind bislang in der Unterzahl (vgl. FF1.2). Da die vorliegende Arbeit an dieser Lücke ansetzt, sollen auf Basis relevanter Vorarbeiten im Feld wichtige und bislang nicht ausreichend berücksichtige Einflussfaktoren identifiziert werden. Dabei steht weniger ein quantitativer Überblick über die bisherige Anwendung der einzelnen Faktoren im Vordergrund als vielmehr zentrale Wirkungszusammenhänge, die sich in der Zusammenschau erkennen lassen. Die Einflussfaktoren werden narrativ-interpretierend herausgearbeitet mit dem Ziel, relevante Forschungslücken zu identifizieren (vgl. Kapitel 6). Makroebene Auf der Makroebene wird die Dialogorientierung seit jeher mit dem Management der Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten in Verbindung gebracht (vgl. u. a. Jiang et al., 2016; Kent & Taylor, 1998; Levenshus, 2010; Theunissen & Wan Noordin, 2012). Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass in der P R-Forschung Einschätzungen von OTBs häufig über die Implementierung der Prinzipien der Dialogorientierung erfolgen (vgl. u. a. Briones et al., 2011; Ingenhoff & Koelling, 2009). Exemplarisch lässt sich diese Vermischung an folgender Forschungsfrage festmachen: „What relationship-building dialogic components do Fortune 500 companies have as part of their online media relations sites or pages?“ (Pettigrew & Reber, 2010, S. 411). Empirische Belege dafür, dass die Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten oder zumindest relevante Teildimensionen wie Vertrauen, Gleichberechtigung, Verbundenheit oder Zufriedenheit (vgl. Hon & Grunig, 1999; vgl. auch Abschnitt 2.4.2) von dialogorientierten Formen der Kommunikation beeinflusst werden, fehlen in der Regel.
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Dort, wo es Versuche gibt, eine derartige empirische Verbindung herzustellen, fokussiert sich die Forschung überwiegend auf Indikatoren der Interaktion wie die Anzahl der Likes, Shares oder Kommentare zur Messung von Beziehungs-Outcomes (vgl. u. a. Bortree & Seltzer, 2009; Watkins, 2017): „[M]any argue that interactivity components on the internet tend to influence the organization-public relationships“ (Kim et al., 2014, S. 347). Mangels empirischer Studien, die vor allem die Mikroebene beleuchten, ist also festzustellen, dass OTBs in der Forschung bislang meist inhaltsanalytisch betrachtet werden. Dies führt mitunter zu der Sichtweise, dass sich Beziehungszustände aus kommunikativen Inhalten rekonstruieren lassen: „This study also highlights the importance of understanding organization–public relationships in social media through the messages the organizations and publics are sending“ (Saxton & Waters, 2014, S. 296). Hier erfolgt also oftmals eine Gleichsetzung zwischen dem Konzept der Interaktion (vgl. Abschnitt 3.2.4) und dem der OTBs (vgl. Abschnitt 2.4.2), was die Validität betreffender Studien in Frage stellt. Mikroebene Die starke Fokussierung der PR-Forschung auf Meso-Makro-Zustände der Dialogorientierung legt es nahe, die Meso-Mikro-Beziehung weiter zu erschließen. Hier haben sich in der systematischen Literaturanalyse zwei Einflussfaktoren hervorgetan, die einerseits immer wieder im Zusammenhang mit dialogorientierter Organisationskommunikation und dem Beziehungsmanagement genannt, andererseits jedoch nur wenig in den jeweiligen Forschungsdesigns berücksichtigt werden: Organisationskultur und PR-Rollen. Viele Autor*innen weisen auf die Relevanz der Organisationskultur hin, wenn es um die individuelle Dialogorientierung von Kommunikator*innen geht (vgl. u. a. Agerdal-Hjermind & Valentini, 2015; Heaselgrave & Simmons, 2016; Macnamara, 2016; vgl. auch Abschnitt 2.2.3): „Thus, it could be maintained that ethical, dialogic principles, and practices must be part of everyday organizational activities and reinforced in a bottom-up and top-down capacity in order to cultivate a dialogic culture“ (Ihlen & Levenshus, 2017, S. 227). Vor allem theoretische Beiträge sehen Veränderungen in der Organisationskultur als notwendig, da durch das partizipative Potenzial des Internets ein Umdenken in der strategischen Ansprache relevanter Teilöffentlichkeiten erforderlich ist (Sundstrom & Levenshus, 2017, S. 19; Valentini, 2015, S. 172). Umso erstaunlicher ist es, dass die Organisationskultur in empirischen Studien zur Dialogorientierung auf der Mikroebene im untersuchten Material bislang nicht als unabhängige Variable berücksichtigt worden ist. Andererseits finden sich in der untersuchten PR-Literatur auch Bezugnahmen zur Management-Forschung, nach der Faktoren wie „the corporate aims and settings, and the professional roles of those participating in dialogues“ (Romenti et al., 2014, S. 13) eine wichtige Rolle bei der Dialogorientierung zugeschrieben wird. Während die Organisationsziele, die hinter dem Einsatz dialogorientierter Strategien stehen, relativ gut von der Forschung bearbeitet sind (vgl. u. a. Briones et al., 2001; Kelleher &
5.2 Systematische Literaturanalyse
159
Sweetser, 2012; Sommerfeldt et al., 2012), haben die PR-Rollen bislang allerdings nur wenig Beachtung erfahren (vgl. Abschnitt 2.2.3). Hier besteht demnach Potenzial für Anschlussforschung. Einordnung und Diskussion Die Frage nach den Einflussfaktoren auf der Makro- und Mikroebene (FF1.4) hat einige Desiderata in der Forschung hervorgebracht. Auch wenn die Dialogorientierung auf der Makroebene in engem Zusammenhang mit dem Beziehungsmanagement steht (Kent & Taylor, 1998, S. 321; Magen & Avidar, 2019, S. 98), kommt es in der Forschung zur Vermischung verschiedener Konzepte. Einerseits konnte gezeigt werden, dass die Nutzung der Prinzipien der Dialogorientierung (vgl. Kent & Taylor, 1998) häufig als Indikator für Beziehungszustände verwendet wird. Andererseits werden zum Teil basale Formen der Interaktion (z. B. Anzahl von Likes) genutzt, um Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten zu charakterisieren (vgl. Hall, 2018). Beide Ansätze greifen zu kurz, da in inhaltsanalytischen Designs nur bedingt Aussagen über OTBs im Sinne von Ledingham und Bruning (1998, S. 62; vgl. auch Abschnitt 2.4) getroffen werden können, zumal sie die Wahrnehmung der Beziehungspartner*innen zwangsläufig außer Acht lassen. Folglich muss es das Ziel der Forschung sein, eine striktere analytische Trennung vorzunehmen. Dabei können inhaltsanalytische Untersuchungen ausschließlich Aussagen über die Nutzung interaktiver Funktionen und die dadurch entstehenden Prozesse der reziproken Interaktionen im Sinne der Dialogorientierung treffen (vgl. Abschnitt 4.1). Zur genaueren Analyse der Beziehungen zu den Teilöffentlichkeiten müssen – etwa durch Befragungen – die Meinungen und Einstellungen der Beziehungspartner*innen herangezogen werden. Dabei haben die Befunde zu den Untersuchungsanlagen im Forschungsfeld gezeigt (vgl. FF1.1), dass gerade quantitative Befragungen derzeit noch unterrepräsentiert sind. Die Einflüsse auf die Dialogorientierung aus der Mikroperspektive sind vielfältig. Hier konnten mit der Organisationskultur und dem Rollenverständnis bislang nur unzureichend beachtete Bereiche der PR-Forschung identifiziert werden. Von der Organisationskultur wird angenommen, dass sie ausschlaggebend für die Wahl von Kommunikationsstrategien ist und Auswirkungen auf die Kommunikationsaktivitäten der Organisationsmitglieder hat (vgl. u. a. Hein, 1990; Semling, 2009; Sriramesh et al., 1992; Szyszka & Malczok, 2016; Zerfaß, 2014; vgl. auch Abschnitt 2.2.3). Vor dem Hintergrund dieser Funktionen gilt es herausfinden, inwieweit die Organisationskultur mit der Dialogorientierung in Verbindung steht. Dasselbe gilt auch für das Rollenverständnis der Kommunikator*innen. Es leuchtet ein, dass sich die Dialogorientierung auf Basis von konkreten Erfahrungen im Alltag verändert. Die Rollen, die Kommunikator*innen dabei in ihrem Beruf ausfüllen, unterliegen durch wechselnde Anforderungen einem stetigen Wandel. Angesichts von Professionalisierungs- und Spezialisierungsprozessen innerhalb des Berufsfeldes (vgl. u. a. Neill & Lee, 2016; Neill & Moody, 2015; vgl. auch Abschnitt 2.2.3, 3.2.1) muss
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also der Fokus auf die verschiedenen Rollen beim organisationalen Management der Kommunikation im Internet und in den sozialen Medien gerichtet werden, um Einflüsse auf die Dialogorientierung auf der Mikroebene untersuchen zu können. Die Ergebnisse der systematischen Literaturanalyse haben einen Einblick in die Forschungslandschaft zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen ermöglicht. Es konnten zahlreiche Forschungslücken identifiziert und ein Erklärungsansatz dafür gefunden werden, warum in der Vergangenheit das Konzept des Dialoges für viele Studien problematisch war. Bevor die zentralen Erkenntnisse abschließend zusammengefasst werden, soll noch ein Blick in die Befunde von weiteren systematischen Literaturanalysen erfolgen. Diese sind fast zeitgleich zu der vorliegenden Analyse entstanden und können sowohl zur Validitätsprüfung (vgl. Abschnitt 5.2.2) als auch zur Anreicherung der bisherigen Befunde genutzt werden.
5.2.4 Ergänzende Erkenntnisse Der Stand der Forschung zur Dialogorientierung von Organisationen wurde anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Dialog-Theorie der Public Relations auch von Wirtz und Zimbres (2018), Morehouse und Saffer (2018) und Ao und Huang (2020) untersucht. In allen drei Veröffentlichungen steht vor allem die Anwendung der fünf Prinzipien der Dialogorientierung im Fokus (vgl. Kent & Taylor, 1998). Jedoch kennzeichnen sich die Literaturstudien durch abweichende methodische Herangehensweisen und teils unterschiedliche Zielsetzungen, wodurch sich die Befunde aus der vorliegenden Analyse nicht nur bestätigen, sondern auch gewinnbringend ergänzen lassen. Wirtz und Zimbres (2018) sowie Morehouse und Saffer (2018) beziehen ihre Studien auf internationale Fachzeitschriften. Wirtz und Zimbres (2018) schließen dabei solche Artikel in ihre Untersuchung ein, die zwischen 2015 und 2018 in nicht näher eingeschränkten Fachzeitschriften mit Peer-Review-Verfahren veröffentlicht wurden und explizit mindestens eines der fünf Prinzipien der Dialogorientierung behandeln (Wirtz & Zimbres, 2018, S. 14). Ihr Untersuchungsmaterial umfasst 79 Artikel. Morehouse und Saffer (2018) haben in insgesamt 13 PR-Fachzeitschriften nach Artikeln recherchiert, die den Dialog-Begriff im Zusammenhang mit der PR verwenden. Im Zeitraum zwischen 1976 und 2017 stufen sie insgesamt 157 Artikel als relevant ein und nehmen diese in ihre Untersuchung auf (Morehouse & Saffer, 2018, S. 69–70). Ao und Huang (2020) fokussieren sich bei ihrer Artikelauswahl nicht nur auf den englischen, sondern auch auf den chinesischen Forschungsstand. Insgesamt arbeiten sie mit 68 englisch- und mit 13 chinesischsprachigen Artikeln, die Dialog auf Online-Plattformen untersuchen (Ao & Huang, 2020, S. 6). Alle drei Studien verfolgen das übergeordnete Ziel, einen Überblick über die Forschung zu gewinnen. Wirtz und Zimbres (2018) sind dabei neben den formalen Charakteristika vor allem daran interessiert, ob die Artikel theoretische und/oder
5.2 Systematische Literaturanalyse
161
praktische Implikationen sowie Limitationen und Ansätze zur weiteren Forschung beinhalten (vgl. Wirtz & Zimbres, 2018, S. 13). Morehouse und Saffer (2018) differenzieren in ihrer Analyse zwischen der klassischen Dialogforschung und der Forschung zur Dialogorientierung im digitalen Umfeld. Sie wollen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Ansätze aufzeigen. Zudem fokussieren sie sich anhand einer bibliometrischen Analyse auf die Netzwerke, die sich in beiden Bereichen sowohl bezüglich der Co-Autor*innenschaft als auch bezüglich angewandter Theorien und Konzepte über die Zeit gebildet haben (Morehouse & Saffer, 2018, S. 68–69). Die Studie von Ao und Huang (2020) bezieht sich speziell auf die Online-Kommunikation und zielt auf einen Überblick über die Einflussfaktoren und Outcomes der dialogorientierten Online-Kommunikation (Ao & Huang, 2020, S. 3–4). Darüber hinaus wird in ihrem Aufsatz ein Vergleich zwischen der englischsprachigen und der chinesischen Forschungslandschaft gezogen (Ao & Huang, 2020, S. 6). Sowohl in der Studie von Wirtz und Zimbres (2018) als auch in der von Ao und Huang (2020) zeigt sich, dass die meisten relevanten Artikel in Public Relations Review erschienen sind (Ao & Huang, 2020, S. 7; Wirtz & Zimbres, 2018, S. 16). Darüber hinaus hat das Journal of Public Relations Research viele einschlägige Beiträge veröffentlicht. Es ist also davon auszugehen, dass ein Großteil der von ihnen analysierten Artikel auch in der vorliegenden Studie Berücksichtigung gefunden haben. Morehouse und Saffer (2018) treffen hingegen keine Aussagen über die Verteilung der relevanten Artikel in den Fachzeitschriften. Sie gehen dafür umso genauer auf die Verbindungen zwischen den jeweiligen Autor*innen ein. Im Zuge dessen stellt sich heraus, dass insbesondere im Anfangsstadium der PR-Forschung die Co-Autor*innenschaft recht selten ist, mit der Zeit jedoch zunimmt (Morehouse & Saffer, 2018, S. 71). Über den gesamten untersuchten Zeitraum (1976–2017) sind durchschnittlich 1.34 Autor*innen an einer Publikation beteiligt. In der Forschung zum Dialog in der OnlineKommunikation gibt es dagegen mit durchschnittlich 1.38 Autor*innen pro Publikation etwas mehr Zusammenarbeit (Morehouse & Saffer, 2018, S. 71). Morehouse und Saffer (2018, S. 75) schließen aus diesen Ergebnissen, dass das Forschungsfeld zur Weiterentwicklung auf die anhaltende Vermischung der individuellen Expertise angewiesen ist. Sie plädieren für mehr Zusammenarbeit, die sich im Feld der Online-Kommunikation schon teilweise andeutet. Auch Wirtz und Zimbres (2018) haben untersucht, wie viele Autor*innen durchschnittlich an einem Artikel beteiligt sind. In ihrer Untersuchung ergibt sich eine höhere Zahl von durchschnittlich 2.18 Autor*innen pro Publikation. An über der Hälfte der untersuchten Artikel waren dabei zwei Autor*innen, an rund 24 Prozent drei Personen beteiligt (Wirtz & Zimbres, 2018, S. 17). Damit positioniert sich die vorliegende Literaturanalyse mit durchschnittlich 1.93 Autor*innen pro Artikel zwischen den beiden Vergleichsstudien, was angesichts des untersuchten Zeitraumes und der gewählten Fachzeitschriften durchaus nachvollziehbar scheint. Hinsichtlich der im Forschungsfeld verwendeten Methoden stellen Wirtz und Zimbres (2018, S. 21) fest, dass über 80 Prozent der untersuchten Studien auf Inhaltsanalysen beruhen. Der Großteil dieser Inhaltsanalysen beschäftigt sich mit NPOs. Die
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5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
mit großem Abstand zweithäufigste Methode ist die quantitative Befragung, gefolgt von qualitativen Interviews und Experimenten (Wirtz & Zimbres, 2018, S. 17). Ein ähnliches und im Einklang mit der vorliegenden Studie stehendes Bild ergibt sich bei Ao und Huang (2020, S. 10), wonach die Inhaltsanalyse die häufigste Methode vor qualitativen und quantitativen Befragungen darstellt. Auch bei ihrer Untersuchung der chinesischen Artikel stellt sich die Inhaltsanalyse als die mit Abstand am häufigsten genutzte Methode heraus (Ao & Huang, 2020, S. 13). Darüber hinaus scheinen sich die Inhaltsanalysen zur dialogorientierten Kommunikation vor allem auf westliche Länder und dabei besonders auf die USA zu konzentrieren. Überdies werden insbesondere Websites und Auftritte in den sozialen Medien untersucht, was die Erkenntnisse dieser Arbeit unterstreicht (Ao & Huang, 2020, S. 10; Wirtz & Zimbres, 2018, S. 18). Die Rezeption und Anwendung der fünf Prinzipien von Kent und Taylor (1998) stellen in allen Analysen zentrale Themen dar. Während es in der Literaturstudie von Wirtz und Zimbres (2018) nur um Artikel geht, die diese Prinzipien verwendet haben, zeichnen die beiden anderen systematischen Analysen nach, dass Kents und Taylors (1998) Ansatz in der Forschung bis heute sehr relevant ist. Morehouse und Saffer (2018, S. 72) stellen wie im vorliegenden Kontext Michael Kent und Maureen Taylor als die wichtigsten Autor*innen sowohl im klassischen Feld des Dialoges als auch im Bereich der Dialogorientierung im Internet heraus. Ferner erkennen sie, dass die Dialog-Theorie von Kent und Taylor (1998, 2002) neben der Exzellenztheorie (vgl. u. a. Dozier et al., 1995; Grunig, 1992; Grunig et al., 1996) und der Relationship Management Theory (vgl. u. a. Hon & Grunig, 1999; Ledingham, 2003; Ledingham & Bruning, 1998) eine der am häufigsten verwendeten Theorien im Kontext der Online-Kommunikation ist (Morehouse & Saffer, 2018, S. 73). Fast die Hälfte der von Ao und Huang (2020, S. 10) untersuchten Studien beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit verschiedene Organisationen Kents und Taylors (1998) Prinzipien in ihrer Online-Kommunikation einbinden. In den von ihnen betrachteten Studien werden vor allem die Prinzipien der Dialogschleife und der Generierung von erneuten Besuchen untersucht (Ao & Huang, 2020, S. 10). Dies deckt sich mit den Erkenntnissen aus der vorliegenden Analyse. Ao und Huang (2020, S. 10) kritisieren allerdings, dass diese beiden Prinzipien im Vergleich zu den Prinzipien der Nützlichkeit der Informationen und der Einfachheit des Interface nur mangelhaft operationalisiert wurden. Auch für sie gelten Michael Kent und Maureen Taylor als „the most important contributors of the theoretical foundation of dialogue in public relations“ (Ao & Huang, 2020, S. 15). Wirtz und Zimbres (2018, S. 27) können den stark vorherrschenden Fokus der PR-Forschung auf Kents und Taylors (1998) Theorie einerseits nachvollziehen, stellen aber fest, dass es auch andere gewinnbringende Dialogverständnisse gibt (u. a. Freire, 1990), die bei der Untersuchung der Online-Kommunikation von Organisationen in Betracht gezogen werden sollten. Ungeachtet dessen folgern alle systematischen Studien, dass die theoretischen Ansätze von Kent und Taylor (1998) weiterentwickelt werden müssen. Wirtz und
5.2 Systematische Literaturanalyse
163
Zimbres (2018, S. 19, 22) stellen fest, dass nur rund ein Viertel der von ihnen untersuchten Arbeiten theoretische Implikationen anführt, welche beispielsweise die Prinzipien infrage stellen und so zu einer Weiterentwicklung beitragen könnten. Praktische Implikationen gibt es hingegen in rund drei Vierteln der Studien, wobei es hier an konkreten Beispielen der Umsetzung mangelt (Wirtz & Zimbres, 2018, S. 22). Im Vergleich dazu enthalten in der vorliegenden Analyse 31 Prozent (n = 23) theoretische und/oder methodische Implikationen, wohingegen 70 Prozent (n = 52) praktische Implikationen thematisieren. Sowohl Wirtz und Zimbres (2018, S. 25) als auch Ao und Huang (2020, S. 17) machen deutlich, dass der technologische Fortschritt eine Weiterentwicklung der Theorie unabdingbar macht. Ao und Huang (2020, S. 17) fordern im Zuge dessen die Entwicklung eines vollständig neuen theoretischen Modells, ohne jedoch konkrete Vorschläge diesbezüglich zu machen. Ein weiterer Aspekt, der nicht nur in der vorliegenden Analyse des Forschungsstandes behandelt wurde, ist das Problem des definitorischen Zugangs zum Dialog-Begriff. Für Morehouse und Saffer (2018, S. 79–80) besteht die Problematik darin, dass viele Forscher*innen den Dialog mit der symmetrischen Kommunikation gleichsetzen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Ao und Huang (2020, S. 17) in Bezug auf die fünf Prinzipien von Kent und Taylor (1998). Demnach ersetzen die fünf Prinzipien oftmals die produktorientierte Definition, wodurch die Forschung ihren eigenen Erwartungen nicht gerecht werden kann. Demnach folgern sie „[D] ialogic principles are just strategies to achieve genuine dialogue rather than dialogue itself“ (Ao & Huang, 2020, S. 17). Eine ähnliche Diskrepanz hat sich auch in dieser Arbeit herauskristallisiert, wonach meist ein normativ überhöhter Dialogbegriff als Definitionsgrundlage dient. Ao und Huang (2020, S. 7) kamen darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass eine Mehrheit der von ihnen untersuchten Studien auf Basis der Dialogdefinition von Kent und Taylor (1998) arbeitet. Wirtz und Zimbres (2018, S. 26) stehen dieser Definition kritisch gegenüber. Sie schlagen stattdessen in ihrem Text eine neue Definition vor, die Beziehungen betont, ohne dabei ethische Aspekte auszuklammern. Sie definieren Dialogorientierung – ähnlich wie in dieser Arbeit (vgl. Abschnitt 4.1.2) – auf Basis des Interaktionsprozesses als „interactions between organizations and publics that seek to create mutual respect, mutual understanding, and mutual benefits“ (Wirtz & Zimbres, 2018, S. 26). Die Einordnung der Erkenntnisse dieser drei systematischen Literaturanalysen in die Befunde der hier durchgeführten Studie lässt trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen methodischen Zugänge eine valide Aussage über zentrale Entwicklungen im Forschungsfeld zu. So ergeben sich zahlreiche übereinstimmende Befunde, die auf den Status Quo der Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen schließen lassen. Die Erkenntnisse der systematischen Analyse des Forschungsstandes werden abschließend zusammengefasst, bevor im folgenden Kapitel das Forschungsinteresse konkret ausdifferenziert wird.
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5 Dialogorientierte Unternehmenskommunikation im Internet: …
5.3 Zentrale Befunde aus dem Forschungsstand Der Ausgangspunkt für die Betrachtung des Forschungsstandes in diesem Kapitel war die oftmalige Erkenntnis der PR-Forschung, dass das Dialog-Potenzial der OnlineKommunikation nicht ausgenutzt wird. Ziel war es, zu ergründen, warum das Feld immer wieder zu solch ernüchternden Befunden kommt. Der theoretische Rahmen zur Erforschung von dialogorientierter Organisationskommunikation im Internet geht dabei auf Kent und Taylor (1998) zurück. Seitdem hat sich ihre Auffassung von Dialog zu einem der prominentesten theoretischen Fundamente in der Forschung zur OnlinePR entwickelt. Um zu verstehen, wie sich das Forschungsfeld konkret entwickelt hat und welche Implikationen sich daraus für die zukünftige Forschung ergeben, wurde eine systematische Literaturanalyse durchgeführt. Konkret sollte dabei die folgende Forschungsfrage beantwortet werden:
FF1: Wie hat sich die PR-Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation von Organisationen seit 1998 entwickelt?
Zur systematischen Analyse wurden Artikel in einschlägigen internationalen und nationalen Fachzeitschriften herangezogen. Die Artikel sollten einen Bezug zur Dialogorientierung und zur Online-Kommunikation von Organisationen aufweisen und zwischen 1998 und 2017 erschienen sein (n = 74). Die Analyse erfolgte durch eine Kombination von quantitativen und narrativ-interpretierenden Verfahren. Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden die Kernergebnisse der systematischen Literaturanalyse im Überblick dargestellt: • Das Forschungsfeld zur dialogorientierten Online-Kommunikation ist vor allem durch das Agenda Setting der amerikanischen Scientific Community geprägt. Obwohl die Forschung rasant an Fahrt aufgenommen hat, herrscht in Bezug auf die methodischen Zugänge eine gewisse Monotonie. Hier wurden vor allem quantitative Inhaltsanalysen durchgeführt, um Dialogorientierung zu messen. Diese Trends sind symptomatisch für das gesamte Forschungsfeld der PR. • In einem Großteil der Artikel wird der generische Einsatz dialogorientierter Formen der Kommunikation im Kontext des Beziehungsmanagements mit relevanten Teilöffentlichkeiten untersucht. Hier stehen vor allem die Aktivitäten von Unternehmen und NPOs auf Websites und Plattformen der sozialen Medien im Fokus. • Die Forschung fokussiert sich vor allem auf die Meso-Makro-Perspektive. Auch wenn die Meso-Mikro-Perspektive nicht vollständig vernachlässigt wird, fehlt es vor allem an quantitativen Studien, welche die Dialogorientierung der Kommunikator*innen miteinbeziehen. Vergleichende Studien, die inter- oder intraorganisationale Unterschiede untersuchen, werden nur selten durchgeführt.
5.3 Zentrale Befunde aus dem Forschungsstand
165
• Hinsichtlich der Zugänge zum Dialog-Begriff herrscht ein ambivalentes Verhältnis zwischen der meist normativen theoretischen Fundierung und der überwiegend auf Interaktivitätsmessung basierenden empirischen Umsetzung. Durch die voranschreitende normative Überhöhung des Begriffes vor allem in theoretischen Beiträgen konnte sich bislang kein geeignetes Verständnis durchsetzen, das einen valideren Zugang zur Dialogorientierung als Prozess der reziproken Interaktion bietet. • Zur Einbettung der Untersuchung von Dialogorientierung in einen übergeordneten Rahmen bietet sich auf der Makroebene das Beziehungsmanagement an. Hier offenbart die systematische Analyse, dass es vielen Studien an der notwendigen theoretischen und analytischen Trennung zwischen Konzepten wie der Beziehung, der Interaktion, der Symmetrie und der Dialogorientierung mangelt. Auf der Mikroebene ergeben sich mit der Organisationskultur und dem PR-Rollenkonzept Einflussfaktoren, die bislang noch nicht ausreichend in empirischen Studien zur Dialogorientierung berücksichtigt wurden. • Befunde aus ähnlichen systematischen Literaturstudien bestätigen die Erkenntnisse der vorliegenden Analyse. Dies ist ein Hinweis darauf, dass das Forschungsfeld auf ein prozess- und praxisorientiertes Verständnis von Dialog umschwenken muss, um die Dialogorientierung von Organisationen neu bewerten zu können. Die Entwicklung der PR-Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation ist von einem definitorischen Spannungsverhältnis geprägt. Dieser Umstand erklärt auch, warum das Feld immer wieder an seine Grenzen stößt, wenn es um die Messung von Dialog geht. Auch wenn dies bereits an vielen Stellen adressiert wird (vgl. u. a. Sommerfeldt & Yang, 2018; Winkler & Pleil, 2019; Wirtz & Zimbres, 2018), fehlen bislang empirische Studien, die eine prozessorientierte Sichtweise entwickeln und Dialogorientierung in einen übergeordneten Rahmen stellen. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Im nächsten Kapitel soll daher das konkrete Forschungsinteresse auf Basis der theoretischen Ausführungen und der Entwicklungen im Forschungsfeld ausdifferenziert werden.
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Analytischer Bezugsrahmen und Ausdifferenzierung des Forschungsinteresses
Charakteristisch für die bisherige Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation ist eine über weite Strecken fehlende praxiszentrierte Sichtweise. Deshalb stellt die pragmatische Erschließung dialogorientierter Kommunikationsprozesse zwischen Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten in den sozialen Medien eine relevante Forschungslücke dar, welche die vorliegende Arbeit schließen möchte. Zudem soll ergründet werden, welchen Einfluss die dialogorientierte Kommunikation auf das Beziehungsmanagement der Unternehmen hat. In diesem Kontext gilt es, ausgehend von der Mesoebene empirisch zu untersuchen, wie sich Unternehmen durch die dialogorientierte Kommunikation zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld positionieren (Meso-Makro-Perspektive) und welche Rolle die Dialogorientierung innerhalb der Unternehmen auf der Ebene der Kommunikator*innen spielt (Meso-Miko-Perspektive). Darüber hinaus wird eine vergleichende Sichtweise zwischen den Unternehmen angestrebt (Meso-Meso-Perspektive). Dies soll ein holistisches Verständnis dialogorientierter Kommunikationsprozesse zwischen Unternehmen und ihren relevanten Teilöffentlichkeiten ermöglichen: Übergeordnetes Forschungsziel
Das Forschungsziel der vorliegenden Arbeit ist es, die dialogorientierte Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien prozessorientiert als Form der reziproken Interaktion aus der Meso-Makro-, der Meso-Mikro- sowie der Meso-Meso-Perspektive zu untersuchen sowie in den übergeordneten Kontext des organisationalen Beziehungsmanagements zu stellen (vgl. Abschnitt 2.5, 3.3, 4.4, 5.3).
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_6
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6 Analytischer Bezugsrahmen und Ausdifferenzierung des …
Hierzu wurden im bisherigen Verlauf die relevanten begrifflichen, konzeptuellen und operationalen Grundlagen erörtert, durch die das übergeordnete Forschungsziel nun in einen übergeordneten analytischen Bezugsrahmen überführt werden kann. Das Ziel dieses Kapitels ist es, den analytischen Bezugsrahmen in einem ersten Schritt genauer vorzustellen und aufzuzeigen, welche Forschungslücken durch diese Arbeit geschlossen werden (Abschnitt 6.1). Hierzu werden die zentralen Begriffe und Konstrukte aus den theoretischen Grundlagen aufgegriffen und miteinander in Beziehung gesetzt. In einem zweiten Schritt wird dann das Forschungsinteresse in Form von empirisch überprüfbaren Forschungsfragen und Hypothesen ausdifferenziert (Abschnitt 6.2, 6.3). Relevante Befunde aus der nationalen und internationalen Forschung dienen hierbei der konkreten Modellierung.
6.1 Forschungsleitende Fragen Das übergeordnete Ziel dieser Arbeit macht die Betrachtung verschiedener Analyseebenen und damit einhergehend verschiedene methodische Zugänge erforderlich. Da PR hier sowohl als gesellschaftliches Teilsystem als auch als System individuell handelnder Akteur*innen verstanden wird, sollen system- und strukturationstheoretische Zugänge in Bezug gesetzt werden (vgl. Kapitel 2). So lassen sich Unternehmen als Ganzes, die reziproke Interaktion mit den Teilöffentlichkeiten sowie akteursbezogene Prozesse empirisch erfassen (Dernbach, 1998, S. 65; Röttger, 2015, S. 240; Witmer, 2006, S. 362). Es ergeben sich forschungsleitende Fragestellungen entlang der verbindenden Perspektiven zwischen der Makro-, Meso- und Mikroebene, wobei ein organisationsund praxisbezogener Fokus gelten soll. Diese integrativen Verbindungen sollen in Anlehnung an Ronneberger und Rühl (1992; vgl. auch Röttger et al., 2018, S. 85–86; Abschnitt 2.2.1) als PR-Funktionen (Meso-Makro-Perspektive), PR-Leistungen (Meso-Meso-Perspektive) und PR-Aufgaben (Meso-Mikro-Perspektive) bezeichnet werden. Durch die Integration dieser drei Perspektiven in einen analytischen Bezugsrahmen lässt sich ein organisationszentrierter Zugang zur dialogorientierten OnlineKommunikation von Unternehmen entwickeln. Die systemtheoretische Perspektivierung in Form der drei Analyseebenen lässt es darüber hinaus zu, den praktischen Facettenreichtum der Dialogorientierung auch analytisch zu berücksichtigen: „[T]here are at least three ways in which dialogue can be incorporated into day-to-day public relations: the interpersonal, the mediated, and the organizational“ (Kent & Taylor, 2002, S. 30). Die systematische Analyse des Forschungsstandes hat in diesem Zusammenhang einige Forschungslücken zutage gefördert, die für die vorliegende Arbeit forschungsleitend sind (vgl. Kapitel 5). Im Folgenden werden daher die übergeordneten Forschungsfragen dieser Arbeit mit Verweis auf die wesentlichen theoretischen Hintergründe und
6.1 Forschungsleitende Fragen
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die Befunde aus dem Forschungsstand vorgestellt. Sie sind auf der Makro-, Meso- und Mikroebene verankert. Die Online-PR nimmt auf der Makroebene eine Funktion als Form der öffentlichen Kommunikation in der und für die Gesellschaft ein (vgl. Dernbach, 2015; Ronneberger & Rühl, 1992). Gerade soziale Netzwerke wie Facebook bieten dabei das Potenzial, klassische Formen und Mechanismen der interpersonalen Kommunikation in ein digitales Umfeld zu verlagern: „Indeed, of all of the mediated communication channels available to the public relations practitioner, the World Wide Web comes closest to the interpersonal ideal“ (Kent & Taylor, 2002, S. 31). Daher stellt sich die Frage, inwiefern Unternehmen vor dem Hintergrund des Medienwandels und der veränderten Anforderungen an die Public Relations (vgl. Abschnitt 3.1) das interaktive Potenzial der sozialen Medien (vgl. Abschnitt 3.2) zur dialogorientierten Kommunikation (vgl. Kapitel 4) mit ihren Teilöffentlichkeiten nutzen. In dieser Meso-Makro-Perspektive wird zum einen die organisationsseitige Nutzung von Facebook als wichtigstes soziales Netzwerk der Unternehmenskommunikation betrachtet (vgl. Abschnitt 3.1, 3.2). Zum anderen stehen die Effekte der Interaktionsmöglichkeiten auf die Beziehungen zu den Nutzer*innen im Fokus (vgl. Abschnitt 3.2.4). Hierbei gilt es, einen prozessorientierten Zugang zur dialogorientierten Kommunikation zu entwickeln, der Aussagen über die kommunikative Orientierung von Unternehmen auf Facebook ermöglicht (vgl. Kapitel 5). Damit ergeben sich die zweite und dritte übergeordnete Forschungsfrage dieser Arbeit, welche die Meso-Makro-Perspektive beleuchten:
FF2: Inwieweit nutzen Unternehmen das interaktive Potenzial von Facebook zur dialogorientierten Kommunikation mit den Nutzer*innen? FF3: Welche Auswirkungen hat die Dialogorientierung von Unternehmen auf Facebook auf die Beziehungen zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen?
Eine prozessorientierte Sichtweise auf die Dialogorientierung erlaubt darüber hinaus nicht nur die Analyse von Auswirkungen auf der Makroebene, sondern lässt auch Aussagen über die Professionalisierung und den organisationalen Stellenwert dialogorientierter Kommunikationsformen auf der Mesoebene zu: „The procedural approach to dialogic public relations involves creating organizational mechanisms for facilitating dialogue“ (Kent & Taylor, 2002, S. 32). Es steht folglich die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinsichtlich dieser organisationalen Mechanismen (z. B. Strukturen, Strategien, Methoden) im Vordergrund (vgl. Dernbach, 2015; Ronneberger & Rühl, 1992). Der Forschung zur Dialogorientierung in der Online-Kommunikation fehlt es dabei bislang an belastbaren vergleichenden Befunden (vgl. Kapitel 5). Um im systemtheoretischen Sinne Aussagen über die Leistungen des
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6 Analytischer Bezugsrahmen und Ausdifferenzierung des …
nline-PR-Systems anstellen zu können, soll daher aus einer komparativen Sichtweise O untersucht werden, welche wettbewerblichen (Inter-Organisations-Vergleich) und zeitlichen Unterschiede (Intra-Organisations-Vergleich) in Bezug auf die dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf Facebook festzustellen sind. Konkret sollen die folgenden beiden Forschungsfragen aus der Meso-Meso-Perspektive beantwortet werden:
FF4: Wie unterscheiden sich Unternehmen bei der Nutzung der interaktiven Funktionen zur dialogorientierten Kommunikation auf Facebook? FF5: Wie hat sich die Nutzung der interaktiven Funktionen zur dialogorientierten Kommunikation auf Facebook im Lauf der Zeit verändert?
Auf der Mikroebene wird das konkrete Handeln einzelner oder kollektiver PRAkteur*innen im Verständnis von PR-Aufgaben betrachtet (vgl. Dernbach, 2015; Ronneberger & Rühl, 1992): „Public relations professionals engage in relationships with media, community leaders, and other individuals on a daily basis“ (Kent & Taylor, 2002, S. 31). Es sollte also nicht ignoriert werden, dass hinter einem jeden Unternehmen individuelle Kommunikator*innen stehen, die in den sozialen Medien als Sprachrohr fungieren. Gerade die quantitative Forschung zur Dialogorientierung hat die Mikroebene bisher meist außer Acht gelassen (vgl. Kapitel 5). Es gilt folglich, aus der Meso- Mikro-Perspektive der Frage nachzugehen, wie die Unternehmenskommunikator*innen die Ausprägung der dialogorientierten und symmetrischen Kommunikation der jeweiligen Unternehmen einschätzen (vgl. Abschnitt 2.3, 4.3). Um dieses Erkenntnisinteresse in einen übergeordneten Bezugsrahmen zu stellen (vgl. Hoffjann, 2014, S. 6), soll konkret untersucht werden, welche Faktoren auf der Mikroebene auf die Dialogorientierung der Unternehmen in den sozialen Medien Einfluss nehmen (vgl. Kapitel 5) und welchen Einfluss die Dialogorientierung auf die Wahrnehmung der Qualität der Beziehungen zu den Nutzer*innen hat (vgl. Abschnitt 2.4, Kapitel 5). Die folgenden beiden Forschungsfragen grenzen also das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit aus der Meso-Mikro-Perspektive ein:
FF6: Inwieweit wird die dialogorientierte Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien durch Faktoren auf der Mikroebene beeinflusst? FF7: Welchen Einfluss haben Faktoren auf der Mikroebene auf die Beziehungen zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien?
6.1 Forschungsleitende Fragen
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Abbildung 6.1 Zusammenfassung des analytischen Bezugsrahmens. (Quelle: eigene Darstellung)
Damit ist der analytische Bezugsrahmen dieser Arbeit grundlegend abgesteckt. Das Erkenntnisinteresse in Form der forschungsleitenden Fragen lässt sich dabei wie in Abbildung 6.1 dargestellt zusammenfassen. Zudem lässt sich darin die makrotheoretische Anbindung der nachfolgenden analytischen Betrachtungen ablesen, welche auf einer Kombination und Inbezugsetzung von systemtheoretischen und strukturationstheoretischen Zugängen basiert (vgl. Abschnitt 2.1.1). Mit Blick auf die Untersuchungsmethodik werden die entwickelten Forschungsfragen sowohl durch ein quantitativ inhaltsanalytisches Vorgehen als auch durch die Implementierung eines quantitativen Befragungsdesigns beantwortet. Besonders im Kontext des organisationalen Beziehungsmanagements bietet sich eine solche Methodenkombination an: „Measuring relationships […] would require a content analytic scheme that reflects the relationship concept. In addition to measuring relationships from online content directly, additional survey research can be done to evaluate the outcomes of communication programmes implemented through social media“ (Grunig, 2009, S. 15). Im nächsten Schritt werden die beiden methodischen Zugänge näher begründet und den forschungsleitenden Fragen einzelne Teilforschungsfragen und Untersuchungshypothesen zugeordnet. Diese ergeben sich aus dem Stand der Forschung und dienen der Ausdifferenzierung des Erkenntnisinteresses.
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6 Analytischer Bezugsrahmen und Ausdifferenzierung des …
6.2 Inhaltsanalytische Betrachtung der FacebookKommunikation Das übergeordnete Forschungsinteresse in Bezug auf die Meso-Makro- (FF2, FF3) und die Meso-Meso-Perspektive (FF4, FF5) macht es erforderlich, die Dialogorientierung der zu untersuchenden Unternehmen und den Grad der Interaktion der Nutzer*innen zu messen. Es bietet sich daher der Rückgriff auf ein quantitatives inhaltsanalytisches Verfahren an. Die Inhaltsanalyse ist eine „Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen, meist mit dem Ziel einer darauf gestützten interpretativen Inferenz auf mitteilungsexterne Sachverhalte“ (Früh, 2011, S. 27). Im Folgenden wird zunächst die Wahl des inhaltsanalytischen Zugangs kurz begründet. Im Anschluss daran werden auf Basis des Forschungsstandes die konkreten Teilforschungsfragen und Untersuchungshypothesen ausdifferenziert.
6.2.1 Methodenbegründung Die systematische Analyse des Forschungsstandes hat ergeben, dass die dialogorientierte Online-Kommunikation von Organisationen zum Großteil inhaltsanalytisch untersucht worden ist (vgl. Kapitel 5). Dennoch besteht gerade durch die Grundlegung und Umsetzung einer stringent prozessorientierten Sichtweise das Potenzial, bisherige Forschungsergebnisse zu relativieren, die meist auf produktorientierten Zugängen basieren. Die Wahl der quantitativen Inhaltsanalyse begründet sich also erstens durch das Ziel, an die bisherige Forschung anschlussfähig zu sein und diese durch ein revidiertes Verständnis des Untersuchungsgegenstandes fortzuschreiben. Zweitens bietet sich die Methode vor allem für den Zweck der komparativen Forschung an (Rössler, 2010, S. 29; Rössler & Geise, 2013, S. 271; Stark & Magin, 2013, S. 149). Als nicht-reaktives Verfahren, bei dem der Untersuchungsgegenstand in der Regel konstant bleibt, erlaubt es die Inhaltsanalyse, objektivierbare Unterschiede im zeitlichen wie auch organisationalen Vergleich herauszuarbeiten (Brosius et al., 2016, S. 151). Drittens ermöglicht die quantitative Ausrichtung der Analyse das Erfassen und Verarbeiten von großen Datenmengen, wie sie gerade bei der Untersuchung von Kommunikation in den sozialen Medien anfallen (Brosius et al., 2016, S. 141; Rössler & Geise, 2013, S. 271). Damit ist die quantitative Inhaltsanalyse angesichts der forschungsleitenden Fragen die optimale Methode, um die Unternehmenskommunikation auf Facebook und ihre Effekte auf die organisationalen Beziehungen analytisch greifbar zu machen (vgl. für weitere methodische Details Abschnitt 7.1). Worauf sich die Analyse besonders fokussiert, wird auf Basis des Forschungsstandes ausdifferenziert.
6.2 Inhaltsanalytische Betrachtung der Facebook-Kommunikation
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6.2.2 Teilforschungsfragen und Hypothesen In der Meso-Makro-Perspektive steht zunächst die Frage im Vordergrund, inwieweit Unternehmen das interaktive Potenzial von Facebook zur dialogorientierten Kommunikation mit den Nutzer*innen in ihre Kommunikationsaktivitäten integrieren (FF2). Da Dialogorientierung als Prozess der reziproken Interaktion verstanden wird (vgl. Abschnitt 4.1.2), bietet es sich an, die Bereitstellung interaktiver Funktionen durch Unternehmen und die konkrete Interaktion mit den Nutzer*innen näher zu betrachten (vgl. Abschnitt 3.2.3, 3.2.4). Das interaktive Potenzial von Facebook umfasst verschiedene Basisfunktionalitäten der Plattform, die teilweise technisch vorgegeben sind. In dieser „functional view“ (Sundar et al., 2003, S. 33) steht die grundlegende Fähigkeit zum Informationsaustausch zwischen einem Unternehmen und den Nutzer*innen im Fokus. Die Messung der Verfügbarkeit solcher Funktionen hat die PR-Forschung lange dominiert (Avidar, 2013, S. 442). Dies betrifft vor allem Studien zur Interaktivität auf organisationalen Websites (vgl. u. a. Ingenhoff & Koelling, 2010; Ki & Hon, 2006; Park & Reber, 2008; Reber & Kim, 2006), Blogs (vgl. u. a. Cho & Huh, 2010; Waters et al., 2014) und in den sozialen Medien (vgl. u. a. Gao, 2016; Koehler, 2014; McCorkindale, 2010; Waters et al., 2009). Hier wurde meist geprüft, ob und welche Kontaktmöglichkeiten seitens der Organisationen zur Verfügung gestellt wurden (z. B. E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Kontaktformulare). Auf Facebook können Unternehmen in dafür vorgesehenen Feldern und Seitenbereichen individuelle Kontaktmöglichkeiten hinterlegen oder auch Nutzer*innen-Posts in einem eigenen Seitenbereich zulassen. Als erste Teilforschungsfrage ergibt sich somit:
FF2.1: In welchem Ausmaß stellen die Unternehmen auf Facebook interaktive Funktionen zum Informationsaustausch mit den Nutzer*innen bereit?
Im Gegensatz zum bloßen Angebot beschreibt die konkrete Nutzung dieser Funktionen den Prozess der Interaktion (vgl. Abschnitt 3.2.3, 3.2.4). Dieser Zugang lässt sich als „contingency view“ (Sundar et al., 2003, S. 35) bezeichnen und bezieht sich auf die Einflüsse zwischen den Posts und Kommentaren der Unternehmen und denen der Nutzer*innen, wobei der Schwerpunkt auf dem reziproken Charakter des kommunikativen Austauschs liegt (Sundar et al., 2003, S. 35–36). Dieser Aspekt hat sich erst in der Forschung zu den sozialen Medien richtig etabliert (vgl. u. a. DiStaso & McCorkindale, 2013; Kim et al., 2014; O’Neil, 2014; Shin et al., 2015; Sundstrom & Levenshus, 2017). So können Unternehmen auf Facebook in ihren Posts und Kommentaren beispielsweise die Nutzer*innen gezielt zur Interaktion aufrufen oder auf
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6 Analytischer Bezugsrahmen und Ausdifferenzierung des …
Posts und Kommentare der Nutzer*innen antworten. Es stellt sich die Teilforschungsfrage:
FF2.2: In welchem Ausmaß findet auf Facebook eine Interaktion zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen statt?
Die Bereitstellung und Nutzung von interaktiven Funktionen zur reziproken Interaktion wird prozessorientiert als Ausdruck der Dialogorientierung verstanden (vgl. Abschnitt 4.1.2). Da der Dialogorientierung besonders im Kontext des organisationalen Beziehungsmanagements eine hohe Bedeutung beigemessen wird (vgl. u. a. GutiérrezGarcía et al., 2015; Kelleher, 2009; Kent & Taylor, 1998, 2002; Theunissen & Wan Noordin, 2012), stellt sich die übergeordnete Frage, welche Auswirkungen die Dialogorientierung auf die Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen hat (FF3). Die Forschung zeigt, dass die Nutzer*innen durchaus den direkten Kontakt zu den Unternehmen über die bereitgestellten Interaktivitätsfunktionen suchen (vgl. u. a. Avidar, 2013; Kim et al., 2014; Zhang & Lin, 2015). Zudem wird betont, dass der Prozess der Interaktion förderlich für die Qualität der Beziehungen zwischen den Organisationen und ihren Teilöffentlichkeiten ist (Kelleher, 2009; Sundar et al., 2003). Aus den theoretischen Grundlagen geht hervor, dass verschieden stark ausgeprägte Formen der nutzer*innenseitigen sozialen Interaktion als Indikatoren für die Beziehungsqualität in den sozialen Medien herangezogen werden können (vgl. Abschnitt 3.2.4). Hall (2018, S. 165–167) unterscheidet hier zwischen der unfokussierten Interaktion (z. B. Likes), der routinierten unpersönlichen Interaktion (z. B. Shares) und der fokussierten sozialen Interaktion (z. B. Kommentare). Besonders Posts und Kommentare sind als Indikatoren für enge Beziehungen zu betrachten, da sie aktive Verhaltensformen darstellen und nicht nur Meinungen und Einstellungen repräsentieren (vgl. Burke & Kraut, 2014; Bryant & Marmo, 2012; Hall, 2018; McAndrew & Jeong, 2012; Smock et al., 2011). Befunde aus der Forschung deuten darauf hin, dass dialogorientierte Formen der Kommunikation zu positiven Beziehungs-Outcomes führen. Dialogorientierung hat sowohl einen positiven Einfluss auf die Anzahl der Beitrags-Likes, Shares und Kommentare als auch auf die Zahl der Seiten-Likes (vgl. u. a. Abitol & Lee, 2017; Gálvez-Rodríguez et al., 2018; Men et al., 2018; Saxton & Waters, 2014; Wang et al., 2015). Daher lassen sich folgende Untersuchungshypothesen1 für die Inhaltsanalyse ableiten:
1An
dieser Stelle sei betont, dass es sich hierbei um als Alternativhypothesen formulierte inhaltliche Untersuchungshypothesen handelt.
6.2 Inhaltsanalytische Betrachtung der Facebook-Kommunikation
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H3.1: Die Bereitstellung interaktiver Funktionen durch die Unternehmen hat einen positiven Einfluss auf die Anzahl der (a) Likes, (b) Shares und (c) Kommentare der Unternehmensposts auf Facebook. H3.2: Die Bereitstellung interaktiver Funktionen durch die Unternehmen hat einen positiven Einfluss auf die Anzahl der Seiten-Likes der Unternehmen auf Facebook. H3.3: Die Bereitstellung interaktiver Funktionen durch die Unternehmen hat einen positiven Einfluss auf die Anzahl der Posts der Nutzer*innen auf Facebook. H3.4: Die Interaktion der Unternehmen mit den Nutzer*innen hat einen positiven Einfluss auf die Anzahl der (a) Likes, (b) Shares und (c) Kommentare der Unternehmensposts auf Facebook. H3.5: Die Interaktion der Unternehmen mit den Nutzer*innen hat einen positiven Einfluss auf die Anzahl der Seiten-Likes der Unternehmen auf Facebook. H3.6: Die Interaktion der Unternehmen mit den Nutzer*innen hat einen positiven Einfluss auf die Anzahl der Posts der Nutzer*innen auf Facebook. H3.7: Die Dialogorientierung der Unternehmen hat einen positiven Einfluss auf die Qualität der Beziehungen zu den Nutzer*innen auf Facebook.
Auch wenn sie von einem Großteil der Studien verwendet werden, sind klassische Kennzahlen wie Likes, Shares und Kommentare nicht die einzigen Indikatoren für die Qualität von Beziehungen zwischen Organisationen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien. So steht vor allem die Valenz von Posts und Kommentaren der Nutzer*innen im Zusammenhang mit der Vertrautheit der Beziehungspartner*innen (vgl. u. a. Orben & Dunbar, 2017; Park et al., 2011). Valenz kann hier verstanden werden als eine Form der Selbstoffenbarung: „Valence indicates to what extent the information shared is positive, neutral or negative“ (Orben & Dunbar, 2017, S. 490). Vergleichsweise wenige Studien haben sich bisher mit der Valenz im Kontext der Unternehmenskommunikation auseinandergesetzt: „However, what is missing from the existing research is a theory-based method to make connections between the community, interactivity, dialogue strategies, and the size and valence of proactive engagement“ (Wang et al., 2015, S. 198). Auch Abitol und Lee (2017, S. 804) sowie Colleoni (2013, S. 241) weisen auf den Bedarf an weiterer Forschung in Bezug auf die Valenz hin. Men et al. (2018) greifen in ihrer Studie zur CEO-Kommunikation zwar die Valenz der Nutzer*innenkommentare auf, belassen es jedoch bei einer deskriptiven Beschreibung. Sie kommen zu der nur wenig tiefgreifenden Erkenntnis: „Most public comments analyzed were positive […] and neutral“ (Men et al., 2018, S. 91). An dieser Lücke möchte die vorliegende Arbeit ansetzen, indem sie die Valenz der Posts und Kommentare als Indikator für die Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen berücksichtigt. Dekay (2012) kommt in einer frühen Studie zur
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Unternehmenskommunikation auf Facebook zu dem Schluss, dass die meisten negativen Kommentare von den untersuchten Unternehmen ignoriert werden. Die Studien, welche die Valenz berücksichtigen, stammen meist aus dem Bereich der MarketingKommunikation. Sie zeigen überwiegend, dass eine positive Valenz in den Kommentaren der Nutzer*innen zu positiven Verhaltensabsichten (z. B. Kaufabsicht, Like-Verhalten) führt, was die Relevanz eines positiven Konversationsklimas unterstreicht (vgl. Clemons et al., 2006; Park et al., 2007; Rains & Brunner, 2015; Wang et al., 2015). Aufgrund der bislang fehlenden Berücksichtigung der Valenz in der Forschung zur Dialogorientierung und zum Beziehungsmanagement werden die folgenden ungerichteten Teilforschungsfragen formuliert:
FF3.8: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Bereitstellung interaktiver Funktionen und der Valenz der (a) Kommentare und (b) Posts der Nutzer*innen auf Facebook? FF3.9: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Interaktion der Unternehmen mit den Nutzer*innen und der Valenz der (a) Kommentare und (b) Posts der Nutzer*innen auf Facebook? FF3.10: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Dialogorientierung der Unternehmen und der Valenz der (a) Kommentare und (b) Posts der Nutzer*innen auf Facebook?
In Bezug auf Inter- und Intra-Organisations-Vergleiche (FF4) gibt es bislang nur wenige Studien, die Quer- oder Längsschnitt-Designs angewendet haben. Kim et al. (2014) sowie Abitol und Lee (2017) betrachten in ihren Studien zur CSR-Kommunikation der größten Unternehmen in den USA Unterschiede zwischen verschiedenen Industriezweigen (z. B. Finanzindustrie, Groß- und Einzelhandel, Elektronik- und IT-Industrie). Dekay (2012) orientiert sich bei der Untersuchung der Kommunikation der 200 TopUnternehmen der Forbes Global 2000 ebenfalls an diesen Branchen. Auch im Bereich der Non-Profit-Kommunikation findet meist eine Zuordnung zu einzelnen Sektoren (z. B. Kunst, Gesundheit) statt (vgl. u. a. Saxton & Waters, 2014). Daher bietet sich für die vorliegende Studie ein Vergleich anhand der verschiedenen Industriezweige an. Damit wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Unternehmen je nach Branchenzugehörigkeit verschiedene Teilöffentlichkeiten auf Facebook erreichen wollen. Ein Vergleich zwischen den einzelnen Branchen sollte daher valide Aussagen über den Status Quo der Unternehmenskommunikation in Bezug auf die Dialogorientierung und die Beziehungsqualität zulassen. Folgende Teilforschungsfragen sollen also beantwortet werden:
6.2 Inhaltsanalytische Betrachtung der Facebook-Kommunikation
FF4.1: Wie unterscheiden sich die verschiedenen Industriezweige Bereitstellung interaktiver Funktionen auf Facebook? FF4.2: Wie unterscheiden sich die verschiedenen Industriezweige Interaktion mit den Nutzer*innen auf Facebook? FF4.3: Wie unterscheiden sich die verschiedenen Industriezweige dialogorientierten Kommunikation auf Facebook? FF4.4: Wie unterscheiden sich die verschiedenen Industriezweige Qualität der Beziehungen zu den Nutzer*innen auf Facebook?
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hinsichtlich der hinsichtlich der hinsichtlich der hinsichtlich der
Auch wenn sich die Forschung bewusst ist, dass die Dialogorientierung vor allem langfristige Auswirkungen auf das organisationale Beziehungsmanagement hat, sind quantitative Längsschnittstudien im Sinne eines Intra-Organisations-Vergleichs bis zum jetzigen Zeitpunkt die Ausnahme (vgl. Kapitel 5). Dies überrascht, da strategische Kommunikation genuin langfristig ausgerichtet ist (vgl. Abschnitt 2.1.3). Darüber hinaus wird auch von der Kommunikationspraxis eingefordert, sich im „long-term“ (u. a. Brunner & Smallwood, 2019, S. 250; Kent, 2013, S. 343; Taylor et al., 2001, S. 279; Uzunoğlu et al., 2017, S. 995) um funktionierende Beziehungen zu den Teilöffentlichkeiten zu bemühen. Daher sollte auch in der Forschung zur strategischen Online-Kommunikation ein Umdenken hin zu langfristigen Entwicklungen stattfinden (FF5). Hetze et al. (2019) zeigen im Kontext einer langfristigen Betrachtung der CSRKommunikation von Unternehmen im deutschsprachigen Raum, dass sich die Unternehmenskommunikation durchaus professionalisiert hat. Hierbei handelt es sich jedoch bis dato um die einzig belastbare Studie mit Längsschnittcharakter, die mit dem Feld der CSR allerdings einen gewissen thematischen Zuschnitt aufweist. Davon abgesehen wurde die Längsschnittperspektive in der Forschung meist nur in den Möglichkeiten zur Anschlussforschung aufgegriffen (vgl. u. a. Aggerholm & Andersen, 2018; GálvezRodríguez et al., 2018; Navarro et al., 2018). Auch Tonndorf und Wolf (2015, S. 255) weisen auf die Notwendigkeit einer langfristigen Betrachtung hin. In ihrer Studie untersuchen sie unter anderem die dialogorientierte Facebook-Kommunikation der Top-Unternehmen in Deutschland im Jahr 2012. Diese Studie soll als methodischer Ausgangspunkt für die Untersuchung der zeitlichen Entwicklung in der vorliegenden Arbeit dienen. Die konkrete Methodik wird im Zuge der Operationalisierung relevanter inhaltsanalytischer Kategorien in Abschnitt 7.1.3 näher erläutert. Auf dieser Grundlage sollen die folgenden Forschungsfragen beantwortet werden:
FF5.1: Wie hat sich die Bereitstellung interaktiver Funktionen durch die Unternehmen auf Facebook seit 2012 entwickelt?
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FF5.2: Wie hat sich die Interaktion zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen auf Facebook seit 2012 entwickelt? FF5.3: Wie hat sich die dialogorientierte Kommunikation von Unternehmen auf Facebook seit 2012 entwickelt? FF5.4: Wie hat sich die Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und Nutzer*innen auf Facebook seit 2012 entwickelt?
Da mit der Berücksichtigung der langfristigen Entwicklung eine substanzielle Lücke in der Forschung geschlossen werden kann (vgl. Kapitel 5), beziehen sich die Teilforschungsfragen FF5.1, FF5.2, FF5.3 und FF5.4 übergreifend auf das gesamte Erkenntnisinteresse der Inhaltsanalyse. Auf diese Weise soll ein umfassender Einblick in langfristige Prozesse der Dialogorientierung möglich werden. Mit den bisher entwickelten Teilforschungsfragen und Hypothesen lässt sich die dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf Facebook prozessorientiert und im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Beziehungen zu den Nutzer*innen untersuchen. Hier wird sowohl die Meso-Makro- als auch die Meso-Meso-Perspektive berücksichtigt. Das konkrete methodische Vorgehen der quantitativen Inhaltsanalyse wird in Abschnitt 7.1 genauer beschrieben. Ehe jedoch die Methodik und die Ergebnisse der Analyse im Vordergrund stehen, gilt es noch, das Forschungsinteresse der quantitativen Befragung auszudifferenzieren. Hierdurch sind wesentliche Erkenntnisse in Bezug auf die Meso-Mikro-Perspektive der dialogorientierten Unternehmenskommunikation zu erwarten.
6.3 Quantitative Befragung von Unternehmenskommunikator*innen Da der übergeordnete Analyserahmen auch auf die Mikroebene gerichtet ist (FF6, FF7), rücken die Unternehmenskommunikator*innen in das Zentrum des Erkenntnisinteresses, die an der Kommunikation mit den Nutzer*innen in den sozialen Medien beteiligt sind. Hierbei soll auf eine standardisierte quantitative Online-Befragung der Kommunikator*innen zurückgegriffen werden. Die systematische Analyse des Forschungsstandes hat gezeigt, dass dieser methodische Zugang bislang nur selten angewandt wurde, um die dialogorientierte Online-Kommunikation von Unternehmen auf der Mikroebene zu erfassen. Generell ist die standardisierte Befragung eine auf einem Fragebogen basierende Methode, deren Ziel es ist, „zahlreiche individuelle Antworten zu generieren, die in ihrer Gesamtheit zur Klärung einer (wissenschaftlichen) Fragestellung beitragen“ (Möhring & Schlütz, 2010, S. 14). Bevor das konkrete Forschungsinteresse ausdifferenziert wird, wird zunächst die Wahl der Untersuchungsmethode begründet.
6.3 Quantitative Befragung von Unternehmenskommunikator*innen
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6.3.1 Methodenbegründung Die theoretischen Grundlagen haben deutlich gemacht, dass die Kommunikation in sozialen Netzwerken wie Facebook oftmals den Regeln der interpersonalen Kommunikation folgt, auch wenn diese nicht vollständig darin abgebildet werden kann (vgl. Abschnitt 3.2.3). Da die Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien operativ bei individuellen Kommunikator*innen (z. B. Social Media Manager*innen, Community Manager*innen) angesiedelt ist, spielen diese Personen gerade für das Beziehungsmanagement und die Dialogorientierung eine wesentliche Rolle. Ihre subjektiven Einstellungen, Wahrnehmungen und Wertvorstellungen lassen Rückschlüsse auf die Bewertung der Dialogorientierung und der Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und ihren Teilöffentlichkeiten zu. Dieses Erkenntnisinteresse entzieht sich allerdings den methodischen Zugängen der Inhaltsanalyse und der Beobachtung. Die am besten geeignete Untersuchungsmethode, um solche Bewertungen auf der Mikroebene zu erfassen, ist die standardisierte Befragung (Atteslander, 2010, S. 144; Möhring & Schlütz, 2010, S. 14; Möhring & Schlütz, 2013, S. 185). Gerade vor dem Hintergrund des Themas der Online-Kommunikation bietet sich eine Online-Befragung zur Erhebung der Daten an. Die Vorteile von Online-Befragungen liegen in der überwiegend einfachen, schnellen und meist ökonomischen Rekrutierung der zu befragenden Personen (Taddicken, 2013, S. 207–215; Möhring & Schlütz, 2010, S. 16) (vgl. für weitere methodische Details Abschnitt 8.1). Was das konkrete Forschungsinteresse diesbezüglich ist, wird im Folgenden auf Basis des Forschungsstandes näher ausgearbeitet.
6.3.2 Teilforschungsfragen und Hypothesen Bei der Untersuchung der dialogorientierten Online-Kommunikation von Unternehmen aus der Meso-Mikro-Perspektive liegt der Fokus zunächst auf den Faktoren, welche die Dialogorientierung zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien beeinflussen (FF6). Kent und Taylor (2002) weisen in diesem Kontext darauf hin, dass die Dialogorientierung auf individueller Ebene der Kommunikator*innen an verschiedene Kompetenzen gekoppelt ist, welche sich auf die externe Kommunikation mit den relevanten Teilöffentlichkeiten auswirken können: „These interpersonal skills […] can ground communication internal to the organization with superiors, subordinates, and peers. Moreover, these skills will also help in building external relationships“ (Kent & Taylor, 2002, S. 31). In der systematischen Analyse des Forschungsstandes haben sich dabei zwei Faktoren auf der Mikroebene herauskristallisiert, die in Bezug auf die Dialogorientierung bislang nicht ausreichend empirisch überprüft worden sind: Organisationskultur und PR-Rollen (vgl. Kapitel 5). Die Organisationskultur beschreibt „the sum total of shared values, symbols, meanings, beliefs, assumptions, and expectations that organize and integrate a group of people who work together“ (Sriramesh et al., 1992, S. 591; vgl. auch Abschnitt 2.2.3).
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Da sie ausschlaggebend für die Wahl von Kommunikationsstrategien ist (vgl. u. a. Hein, 1990; Pleil & Zerfaß, 2014; Sriramesh et al., 1992) und damit das Kommunikationsverhalten der Kommunikator*innen beeinflusst (Semling, 2009, S. 7; Szyszka & Malczok, 2016, S. 36; Zerfaß, 2014, S. 47), ist anzunehmen, dass sie auch für die Dialogorientierung eines Unternehmens relevant ist. Wirtz und Zimbres (2018, S. 19) sehen in der Organisationskultur auch einen möglichen Anknüpfungspunkt für Anschlussforschung, um der Frage nachzugehen, warum Organisationen oftmals das Potenzial der Dialogorientierung nicht ausschöpfen können. Die Organisationskultur ist ein mehrdimensionales Konstrukt, das auf dem organisationalen Stellenwert von Kompetitivität, sozialer Verantwortung, Unterstützung, Innovation, Belohnung, Leistungsorientierung und Stabilität beruht (Sarros et al., 2005, S. 165–174). Dabei ist gerade die Unterstützung ein Faktor, der sich im Zusammenhang sowohl mit organisationalen Beziehungen (vgl. u. a. Grunig, 2009, S. 12; vgl. auch Abschnitt 2.4) als auch mit der Dialogorientierung (Kent & Taylor, 2002, S. 27; Yang et al., 2015, S. 178; vgl. auch Abschnitt 4.2, 4.3) als eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Kommunikation herausgestellt hat: „A supportive organizational culture emphasizes people orientation, collaboration, sharing, and team orientation“ (Men & Jiang, 2016, S. 468). Studien aus der internen Kommunikation liefern Hinweise darauf, dass eine unterstützende Organisationskultur der symmetrischen Kommunikation und der Beziehungsqualität zuträglich ist (vgl. u. a. Men & Jiang, 2016; Men & Yue, 2019; Rhee & Moon, 2009; Walden et al., 2017). Inwieweit diese Effekte auch für die externe Kommunikation in den sozialen Medien zutreffen, soll in Form der folgenden Untersuchungshypothesen2 geprüft werden:
H6.1: Eine unterstützende Organisationskultur hat einen positiven Einfluss auf die symmetrische Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien. H6.2: Eine unterstützende Organisationskultur hat einen positiven Einfluss auf die dialogorientierte Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien. H6.3: Eine unterstützende Organisationskultur hat einen positiven Einfluss auf die Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien.
Ein weiterer Faktor auf der Mikroebene, der im Zuge dieser Studie untersucht werden soll, sind die spezifischen Rollen, welche die Kommunikator*innen im beruflichen Alltag ausfüllen. Rollen beziehen sich hier auf wiederkehrende Handlungsmuster der
2An
dieser Stelle sei betont, dass es sich hierbei um als Alternativhypothesen formulierte inhaltliche Untersuchungshypothesen handelt.
6.3 Quantitative Befragung von Unternehmenskommunikator*innen
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PR-Praktiker*innen, die mit den Handlungen anderer in Verbindung stehen (Katz & Kahn, 1978, S. 189; vgl. auch Abschnitt 2.2.3). Dozier (1984) unterscheidet in seinem einflussreichen Rollenkonzept grundsätzlich zwischen einer strategisch (die sogenannten PR-Manager*innen) und einer operativ ausgerichteten Rolle (die sogenannten PRTechniker*innen). Stehle und Huck-Sandhu (2016) argumentieren, dass sich diese beiden Rollen auch durch „the extent of a practitioner’s dialogic practices“ (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4122) voneinander abgrenzen lassen. In Anlehnung an die Sprachwissenschaft, die Organisationsforschung und die Organisationskommunikation (vgl. u. a. Alvesson & Kärreman, 2000; Bohm, 1985; Fairhurst & Putnam, 2004; Gee, 2011, 2015; Lane, 2014a) schlagen sie daher zwei verschiedene Verständnisse von Dialog vor: Dialog mit „capital ‚D‘ and small ‚d‘“ (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4121). Während sich ersteres (Dialogue) auf den normativen Zugang bezieht (vgl. Abschnitt 4.1.1), steht bei letzterem (dialogue) eine pragmatisch-funktionalistische Sichtweise im Sinne eines prozessorientierten Zugangs zum Dialog im Fokus (vgl. Abschnitt 4.1.2). Dabei ist davon auszugehen, dass sich angesichts des Medienwandels und der interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten im Internet (vgl. Abschnitt 3.1) die Relevanz dialogorientierter Kommunikation besonders im Rollenprofil der eigentlich ausführend tätigen Techniker*innen verändert hat: „We assume that developments such as digitization and public participation may have led to changes in the tasks performed by technicians, making dialogic practices more important in technician roles“ (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4124). In ihrer Studie arbeiten Stehle und Huck-Sandhu (2016, S. 4126–4131) schließlich vier PR-Rollen heraus, die sich unter anderem durch die Relevanzbeurteilung in Bezug auf die Dialogorientierung unterscheiden. Beziehungsentwickler*innen (relationship creator) verstehen PR als Management-Funktion, wobei die Dialogorientierung auf die Erreichung bestimmter Outcomes (z. B. Konsens) abzielt. Kommunikator*innen in dieser Rolle haben vor allem ein prozessorientiertes Verständnis von Dialog (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4130). Weder die prozess- noch die produktorientierte Perspektive sind dagegen für Planungstechniker*innen (planning technician) von Bedeutung. Dieser Typ zeichnet sich durch ein überwiegend planungsorientiertes und operatives PR-Handeln aus (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4130). Dienstleister*innen (service provider) agieren ebenfalls vor allem operativ und verfolgen einen lösungsorientierten und unterstützenden Ansatz, bei dem die Dialogorientierung nur implizit eine Rolle spielt (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4130–4131). Ein eher idealistisches Dialogverständnis findet sich schließlich bei den Dialogtechniker*innen (dialogic technician). Dieser Rollentyp ist technisch versiert, beherrscht die verschiedenen Kommunikationsmittel und kommuniziert die organisationalen Botschaften effizient und effektiv (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4131). Stehle und Huck-Sandhu (2016, S. 4134–4135) vermuten, dass die Rollenverständnisse systematisch an die Relevanzbeurteilung von einzelnen Aufgaben und Instrumenten gekoppelt sein könnten. Möglichkeiten zur Anschlussforschung sehen sie beispielsweise in der Einbeziehung von Organisationszielen. Mit Blick auf die vor-
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liegende Studie muss also hinterfragt werden, inwieweit sich die Kommunikator*innen in ihren jeweiligen Rollen hinsichtlich der Beurteilung der Dialogorientierung der Unternehmen und der OTBs als übergeordnetes Organisationsziel unterscheiden. Ferner könnte es Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Rollen und der unterstützenden Organisationskultur geben, da diese sowohl intern das Management als auch extern die Teilöffentlichkeiten unterstützen (Stehle & Huck-Sandhu, 2016, S. 4126–4131). Aus den Vorüberlegungen zu den PR-Rollen ergeben sich die folgenden Teilforschungsfragen:
FF6.4: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ausprägungen der PR-Rollen und der Wahrnehmung der dialogorientierten Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien? FF6.5: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ausprägungen der PR-Rollen und der Wahrnehmung der Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien? FF6.6: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der unterstützenden Organisationskultur und den Ausprägungen der PR-Rollen?
Neben den Faktoren, welche die Dialogorientierung von Unternehmen in den sozialen Medien beeinflussen, ist es ein Kernanliegen dieser Arbeit, den Einfluss von Faktoren auf der Mikroebene auf die organisationalen Beziehungen zu überprüfen (FF7). Dialogorientierung wird seit jeher mit dem Beziehungsmanagement von Organisationen in Verbindung gebracht (vgl. u. a. Briones et al., 2011; Jiang et al., 2016; Kent & Taylor, 1998; Levenshus, 2010; Theunissen & Wan Noordin, 2012; Wirtz & Zimbres, 2018). Dieser Wirkungszusammenhang wurde in der Forschung bislang überwiegend inhaltsanalytisch bearbeitet. So konnte die Effektivität interaktiver Kommunikationsformen mehrfach belegt werden (vgl. u. a. Kelleher, 2009; Men & Tsai, 2015b; Pang et al., 2018; Saffer et al., 2013; Sung & Kim, 2014; Taylor et al., 2001). Jedoch mangelt es an belastbaren Befunden auf der Mikroebene, welche die Sicht der Kommunikator*innen miteinbeziehen (vgl. Kapitel 5). Studien, in denen die Sichtweise verschiedener Teilöffentlichkeiten im Fokus steht, liefern allerdings einen Hinweis darauf, dass eine dialogorientierte Kommunikation das Vertrauen in die Beziehungspartner*innen stärkt (vgl. u. a. Kang et al., 2018; Seltzer & Zhang, 2011; Yang et al., 2015; Yang, 2018). Daraus kann die folgende Hypothese abgeleitet werden:
H7.1: Die dialogorientierte Kommunikation hat einen positiven Einfluss auf die Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien.
6.3 Quantitative Befragung von Unternehmenskommunikator*innen
183
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Relevanz der symmetrischen Kommunikation als organisationsbezogener Zugang zur PR hinzuweisen, da sie ähnliche Wirkungszusammenhänge wie die dialogorientierte Kommunikation aufweist (Lane, 2014b, S. 126; vgl. auch Leichty & Springston, 1993). Die symmetrische Kommunikation umfasst eine Reihe von bestimmten Regeln und Verfahren, welche die Kommunikation einer Organisation lenken und auf Basis derer Organisationen und ihre Teilöffentlichkeiten in einen Prozess der Interaktion treten können (Brown, 2010, S. 282; Grunig, 2001, S. 28; Kent & Taylor, 1998, S. 323; Theunissen & Wan Noordin, 2012, S. 5–8; vgl. auch Abschnitt 2.1.3, 4.1.2). Als ein „forum for dialogue“ (Grunig & Grunig, 1992, S. 308) kann die symmetrische Kommunikation als eine Voraussetzung für Dialogorientierung betrachtet werden. Studien weisen positive Effekte der symmetrischen Kommunikation auf Einstellungen und Verhalten (Grunig et al., 2002; Kang & Sung, 2017; Ki & Hon, 2007; Kim & Chan-Olmsted, 2005; Ni & Wang, 2011; Seltzer & Zhang, 2011) sowie auf die Qualität von Beziehungen (vgl. u. a. Kang & Sung, 2017; Kim & Rhee, 2011; Lee, 2018; Men, 2014) in verschiedenen Teilöffentlichkeiten nach. Aus diesem Grund werden in der vorliegenden Arbeit die folgenden Hypothesen geprüft:
H7.2: Die symmetrische Kommunikation hat einen positiven Einfluss auf die dialogorientierte Kommunikation von Unternehmen in den sozialen Medien. H7.3: Die symmetrische Kommunikation hat einen positiven Einfluss auf die Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen in den sozialen Medien.
Die in diesem Kapitel ausdifferenzierten Teilforschungsfragen und Hypothesen ermöglichen es, die individuelle kommunikative Orientierung von Unternehmenskommunikator*innen in den übergeordneten Kontext organisationaler Beziehungen einzubetten. Damit wird vor allem die Meso-Mikro-Perspektive der dialogorientierten Online-Kommunikation adressiert. Wie dieses Kapitel gezeigt hat, bedingt das übergeordnete Forschungsinteresse dieser Arbeit einerseits einen inhaltsanalytischen Zugang zur Dialogorientierung, um interaktive Prozesse auf der Meso- und Makroebene zu messen. Andererseits bietet eine Befragung die Möglichkeit zur Erfassung kommunikativer Orientierungen auf der Mikroebene. Im Folgenden werden jeweils die methodischen Details und die Ergebnisse beider Studien vorgestellt.
7
Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf Facebook
Um die Fragen zu beantworten, inwieweit Unternehmen das interaktive Potenzial der sozialen Medien zur dialogorientierten Kommunikation nutzen und welchen Einfluss dies auf die Beziehungen zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen hat, wird eine quantitative Inhaltsanalyse der Facebook-Kommunikation von führenden Unternehmen in Deutschland durchgeführt. Ferner ist es das Ziel des inhaltsanalytischen Zugangs, mit einem Längsschnitt- und Querschnittsvergleich eine Lücke der PRForschung zu schließen (vgl. u. a. Ihlen & Levenshus, 2017; Ledingham & Bruning, 1998; McCorkindale & DiStaso, 2014; vgl. auch Kapitel 5). Facebook wird dabei in der vorliegenden Arbeit als Untersuchungsgegenstand gewählt, da das soziale Netzwerk sowohl für das Kommunikationsmanagement als auch für die Nutzer*innen in den Teilöffentlichkeiten seit vielen Jahren eine der wichtigsten Plattformen zur OnlineKommunikation darstellt und sich daher vor allem für eine Längsschnittbetrachtung im Sinne eines Intra-Organisations-Vergleichs eignet (vgl. u. a. Beisch et al., 2019; Weitzel et al., 2019; vgl. auch Abschnitt 3.1.3, 3.2.3). Die Untersuchung von führenden Unternehmen in Deutschland begründet sich sowohl in der Relevanz für die PR-Forschung als auch für die PR-Praxis. So hat sich bei der systematischen Analyse des Forschungsstandes gezeigt, dass die PR-Forschung zur dialogorientierten Online-Kommunikation bislang meist auf Organisationen in den USA fokussiert ist (vgl. Kapitel 5). Eine dezidierte Analyse des deutschen Marktes ergänzt den Stand der Forschung also um eine weitere Perspektive. Die Untersuchung verspricht darüber hinaus praktische Implikationen. Deutschland ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt die weltweit viertstärkste Volkswirtschaft nach den USA, China und Japan (vgl. IMF, 2019). Da Kommunikation wertschöpfend ist und damit zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen beiträgt, überrascht es umso mehr, dass es in Bezug auf diesen Markt bisher keine langfristigen Untersuchungen der Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien gibt (vgl. u. a. Bruhn, 2016; Zerfaß & Piwinger, 2014; Zerfaß et al., © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Johann, Dialogorientierte Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien, Organisationskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31208-4_7
185
186
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
2018; Zerfaß & Volk, 2019; vgl. auch Kapitel 2). Diesbezüglich liefert diese Arbeit entscheidungsrelevante Befunde für das Kommunikationsmanagement und trägt damit zur stärkeren Verzahnung von Theorie und Praxis bei. In Bezug auf das methodische Vorgehen knüpft die vorliegende Arbeit an eine im Jahr 2012 durchgeführte Studie von Tonndorf und Wolf (2014, 2015) an. Diese Studie stellt bislang die einzige Annäherung an die dialogorientierte Online-Kommunikation von führenden Unternehmen in Deutschland dar. Die Autorinnen verfolgen auf Basis einer quantitativen Inhaltsanalyse das Ziel, „einen umfassenden Überblick über die Kommunikationsstrategien auf Facebook [zu] bieten“ (Tonndorf & Wolf, 2015, S. 237). Neben der Dialogorientierung untersuchen sie beispielsweise auch die Transparenz und die CSR-Kommunikation von Unternehmen. Ihre Momentaufnahme aus dem Jahr 2012 stellt den Startpunkt für die Längsschnittbetrachtung der dialogorientierten Unternehmenskommunikation auf Facebook dar. Die von Tonndorf und Wolf (2014, 2015) entwickelte methodische Vorgehensweise wurde dabei zum Teil adaptiert und für eine valide Längsschnittbetrachtung optimiert. Darüber hinaus wurde die Untersuchung theoretisch an das Konzept der Interaktivität und das Beziehungsmanagement von Organisationen in den sozialen Medien angeschlossen, wodurch sich eine unterschiedliche Ausrichtung des ursprünglichen Erkenntnisinteresses ergibt. Dabei wurde jedoch darauf geachtet, dass eine valide Vergleichbarkeit der Daten für die Längsschnittanalyse gegeben bleibt. Dies bietet den Vorteil, dass die vorliegende Analyse mit ihren Befunden unmittelbar an den Forschungsstand anschlussfähig ist und somit Aussagen über Professionalisierungsprozesse zulässt. In der Folge sind im Rahmen dieser Arbeit in den Jahren 2015 und 2018 zwei weitere quantitative Inhaltsanalysen entstanden. Der Intra-Organisations-Vergleich erfolgt demnach über drei Messzeitpunkte: 2012, 2015 und 2018. Im Folgenden werden zunächst die methodischen Details der Inhaltsanalyse vorgestellt, um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses sicherzustellen (Abschnitt 7.1). Im Anschluss daran werden die Befunde der Analyse entlang der Teilforschungsfragen und Hypothesen dargelegt (Abschnitt 7.2). Die Frage nach den langfristigen Entwicklungen (FF5) bezieht sich dabei in übergeordneter Weise auf das gesamte Forschungsinteresse des inhaltsanalytischen Forschungskomplexes, sodass der Längsschnittvergleich unmittelbar für jede Teilforschungsfrage und Hypothese der Inhaltsanalyse durchgeführt wird. Die Befunde werden anschließend diskutiert und in den Stand der Forschung eingeordnet (Abschnitt 7.3), bevor die zentralen empirischen Befunde der Inhaltsanalyse zusammengefasst werden (Abschnitt 7.4).
7.1 Methodisches Vorgehen Das methodische Vorgehen der quantitativen Inhaltsanalyse orientiert sich grundsätzlich an dem von Tonndorf und Wolf (2014, 2015) vorgeschlagenen Vorgehen. An den Stellen, an denen davon abgewichen wird (z. B. durch technische Fortschritte bei der Datensammlung im Lauf der Jahre), erfolgt ein entsprechender Hinweis. Potenzielle methodische
7.1 Methodisches Vorgehen
187
Limitationen, die damit einhergehen, werden im Rahmen der Schlussbetrachtung dieser Arbeit reflektiert (vgl. Abschnitt 9.3). In einem ersten Schritt werden die Grundgesamtheit und das Auswahlverfahren zur Bestimmung der relevanten Unternehmen beschrieben.
7.1.1 Grundgesamtheit und Analyseeinheiten Stehen Unternehmen als Untersuchungsgegenstand im Fokus, stellt sich grundsätzlich die Frage, welche Unternehmen sich für eine Analyse eignen. Zur Auswahl eignete sich in diesem Kontext das Imageprofile-Ranking des Manager Magazins (vgl. Machatschke & Palan, 2012; Palan, 2014). Das Ranking basiert auf einer der umfangreichsten Studien zur Ermittlung der angesehensten Unternehmen in Deutschland.1 Die Liste umfasst für das Jahr 2012 insgesamt 170 Unternehmen und für das Jahr 2014, in dem das Ranking zuletzt erschienen ist, insgesamt 181 Unternehmen. Insofern hat die vorliegende Analyse durchaus Best-Practice-Charakter, indem die in den beiden Rankings gelisteten Unternehmen zur Bestimmung der Grundgesamtheit verwendet wurden. Damit folgt diese Arbeit dem Vorgehen zahlreicher anderer Studien im Forschungsfeld, die ähnliche Rankings wie etwa Fortune 500, Fortune World’s Most Admired Companies oder Forbes 500 zur Bestimmung der Grundgesamtheit verwenden (vgl. u. a. DiStaso & McCorkindale, 2013; Jiang et al., 2016; Park & Reber, 2008; Pettigrew & Reber, 2010; Rybalko & Seltzer, 2010; Uzunoğlu et al., 2017; Yue et al., 2019). Um in die Grundgesamtheit für die Analyse aufgenommen zu werden, mussten die gelisteten Unternehmen in den jeweiligen Untersuchungszeiträumen in den Jahren 2012, 2015 und 2018 eine (1) aktive, (2) offizielle und (3) deutschsprachige FacebookSeite besitzen. Als aktiv werden in diesem Kontext solche Unternehmen verstanden, die mindestens einmal im Monat einen Post auf Facebook absetzten. Die Auswahl erfolgte somit in Anlehnung an die Definition monatlich aktiver Nutzer*innen von Facebook (2020, S. 6; vgl. auch Abschnitt 3.2.3). Offizielle Seiten stellten hier die jeweils repräsentativen Unternehmensauftritte dar. Ausgeschlossen wurden folglich spezielle Produkt- sowie RecruitingSeiten, die individuelle Ziele oder Themen verfolgten (vgl. Tonndorf & Wolf, 2015, S. 243). Mit dem Auswahlkriterium, dass die Seiten deutschsprachig sein sollten, wurde sichergestellt, dass sich die kommunikativen Aktivitäten an deutschsprachige Teilöffentlichen richteten und keine verzerrenden Effekte hinsichtlich unterschiedlicher Zielmärkte auftraten. Tabelle 7.1 listet die Unternehmen auf, welche diese drei Kriterien in den jeweiligen Analysezeiträumen erfüllten. Sie stellen jeweils die Grundgesamtheit der drei Inhaltsanalysen dar und wurden in einer Vollerhebung in die Analyse miteinbezogen (N2012 = 70; N2015 = 99; N2018 = 101). Dabei waren 59 Unternehmen in allen drei Untersuchungszeiträumen vertreten. 61 Unternehmen waren sowohl 2012 als auch 2015 mit einer offiziellen, deutschsprachigen Seite auf Facebook aktiv. In den Jahren 2015 und 2018 waren 96 Unternehmen auf Facebook konstant vertreten. 1Vgl.
ausführlich zur Methodik des Imageprofile-Rankings Palan, 2014, S. 61.
188
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
Tabelle 7.1 Übersicht der zu den verschiedenen Zeitpunkten untersuchten Unternehmen. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung) Unternehmen
2012
2015
2018
ABB
X
X
X
Air Berlin
X
X
-
Allianz
X
X
X
Amazon
X
X
X
ARD
X
X
X
Audi
X
X
X
Aurubis
-
X
X
AXA
-
X
X
B. Braun Melsungen
-
X
X
Bahlsen
-
X
X
BASF
-
X
X
Bayer
-
X
X
Bertelsmann
X
X
X
Bilfinger
-
X
X
BMW
X
X
X
BP
-
X
X
BurgerKing
X
X
X
C&A
X
X
X
Citibank/Targobank
X
-
X
Coca Cola
-
X
X
Commerzbank
-
X
X
Continental
X
X
X
Deutsche Bahn
X
X
X
Deutsche Bank
X
X
X
Deutsche Börse
X
X
X
Deutsche Post
-
X
X
Deutsche Telekom
X
X
X
Douglas
X
X
X
Dr. Oetker
X
X
X
Easyjet
-
X
X
Ebay
X
X
X
Edeka
X
X
X
EnBW
X
X
X
E.ON
-
X
X
Ergo
X
X
X (Fortsetzung)
7.1 Methodisches Vorgehen
189
Tabelle 7.1 (Fortsetzung) Unternehmen
2012
2015
2018
Esprit
X
X
X
Evonik
X
X
X
Facebook
X
X
X
Fiat
X
X
X
Ford
X
X
X
Fraport
X
X
X
Fresenius
-
X
X
Fuchs Petrolub
-
X
X
GALERIA Kaufhof
X
X
X
General Electric
X
X
X
Generali
-
X
X
Gerry Weber
-
X
X
Google
-
X
X
Gruner + Jahr
-
X
X
H&M
-
X
X
Haribo
X
X
X
Heidelberger Druck
X
X
X
Henkel
-
X
X
Hewlett-Packard
X
X
-
Holtzbrink (Handelsblatt)
-
X
X
Honda
X
X
X
Hubert Burda Media
X
X
X
Hyundai
X
X
X
IBM
X
X
X
IKEA
-
X
X
ING Group
X
-
-
Intel
X
X
X
Jaguar
-
X
X
Kabel Deutschland
X
-
-
Karstadt
X
-
X
Lanxess
-
X
X
Lenovo
-
X
X
Lidl
X
X
X
L’Oreal
-
X
X
McDonald’s
X
X
X (Fortsetzung)
190
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
Tabelle 7.1 (Fortsetzung) Unternehmen
2012
2015
2018
Merck
-
X
X
Metro
-
X
X
Microsoft
X
X
X
MTU Aero Engines
-
X
X
Nestlé
X
X
X
Nissan
X
X
X
Nokia
X
-
X
O2
X
X
X
Opel
X
X
X
Otto Group
X
-
X
Peek & Cloppenburg
X
X
X
Pepsi
X
-
X
Peugeot
X
X
X
Philips
-
X
X
Postbank
X
X
X
Procter & Gamble
-
X
-
Renault
X
X
X
Rewe
X
X
X
Ritter Sport
-
X
X
RWE
X
X
X
Samsung
-
X
X
SGL Carbon
-
X
X
Sixt
X
X
X
Sony
X
X
X
Sony Ericsson
X
-
-
Sparkassengruppe
X
X
X
Starbucks
X
X
X
Tchibo
X
X
X
Thomas Cook
X
X
X
Thyssen Krupp
-
X
X
Toyota
X
X
X
TUI
X
X
X
UniCredit
X
X
X
Vodafone
X
X
X
Volkswagen
X
X
X
ZDF
X
X
X
ZF Friedrichshafen
-
X
X
7.1 Methodisches Vorgehen
191
Facebook bietet zahlreiche Funktionen auf verschiedenen Seitenbereichen, durch welche die Unternehmen und die Nutzer*innen miteinander interagieren können (vgl. Abschnitt 3.2.3). Um die Dialogorientierung ganzheitlich erfassen zu können, war es folglich in der Inhaltsanalyse nötig, ein Mehrebenen-Design zu implementieren, das erstens die Erfassung verschiedener Ausprägungen von Interaktivität und Interaktion erlaubte (vgl. Abschnitt 3.2.4) und zweitens die Vergleichbarkeit auf der Mesoebene gewährleistete. Grundsätzlich ergeben sich aufgrund der Funktionalität von Facebook verschiedene Analyseebenen, die für Inhaltsanalyse relevant sind: die Facebook-Seite mit ihren jeweiligen – überwiegend vorgegebenen – Seitenbereichen (z. B. ‚Info‘, ‚Fotos‘, ‚Videos‘), die Unternehmensposts mit den jeweiligen Kommentaren und Antworten im Bereich der ‚Startseite‘ sowie die Nutzer*innenposts im Bereich ‚Community‘ (vgl. Abschnitt 3.2.3; vgl. Abbildung 7.1). Um die Intensität der Nutzung dieser Funktion zwischen den untersuchten Unternehmen vergleichen zu können, galt es, diese verschiedenen Ebenen zunächst getrennt zu erfassen und schließlich auf der Ebene der Unternehmen zu aggregieren. Welche Auswahlverfahren hierbei zum Einsatz kamen und wie der Prozess der Datenerhebung realisiert wurde, wird im Folgenden näher erläutert.
Abbildung 7.1 Schematische Darstellung der Analyseebenen in der Inhaltsanalyse. (Quelle: eigene Darstellung)
7.1.2 Datenerhebung und Feldphase Die Datenerhebung auf Ebene der Facebook-Seiten erfolgte, wie bereits angedeutet, als Vollerhebung (N2012 = 70; N2015 = 99; N2018 = 101). Dagegen war es auf den Ebenen der Unternehmens- und Nutzer*innenposts notwendig, eine Stichprobe zu ziehen, da eine vollumfängliche manuelle Codierung einer derart großen Datenmenge, wie sie in den sozialen Medien in der Regel anfällt, nicht möglich gewesen wäre. Tonndorf und Wolf (2015, S. 243) zogen für das Jahr 2012 daher eine systematische Zufallsstichprobe von je
192
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
bis zu 50 Posts für jedes untersuchte Unternehmen (n2012 = 3500). Für jeden dieser Posts wurden wiederum bis zu zehn zufällig ausgewählte Kommentare erfasst (n2012 = 18698). Die Autorinnen sichteten dazu den News Feed jedes Unternehmens auf Facebook und archivierten das Datenmaterial manuell zur weiteren Verarbeitung und Codierung. Für die Erhebung der Nutzer*innenposts ergab sich ein analoges Vorgehen (n2012 = 2882). Die Untersuchung von Tonndorf und Wolf (2014, 2015) bezog sich auf die Monate Januar bis Mai des Jahres 2012. Die Erhebung und Codierung der Daten erfolgten von Juni bis Juli 2012 im Rahmen eines Lehr-Forschungsprojektes, an dem insgesamt 25 Studierende beteiligt waren (Tonndorf & Wolf, 2015, S. 243). Für die Folgestudien in den Jahren 2015 und 2018 dienten im Gegensatz dazu sämtliche Posts von Januar bis Dezember als jeweilige Auswahlgrundlage zur Ziehung einer Zufallsstichprobe von je bis zu 50 Unternehmensposts (n2015 = 4752; n2018 = 4949), von je bis zu zehn Kommentaren auf diese Posts (n2015 = 23303; n2018 = 25172) und von je bis zu 50 Nutzer*innenposts (n2015 = 3736; n2018 = 3343). Der unterschiedliche methodische Zugang liegt einerseits darin begründet, dass sich angesichts der wachsenden Aktivitäten in den sozialen Medien und damit auch der zu verarbeitenden Datenmenge automatisierte Verfahren zum Abruf von öffentlichen Facebook-Daten immer mehr etablieren konnten. So wurde für die Folgestudien in den Jahren 2015 und 2018 das API-basierte Webscraping-Tool Facepager zur Erhebung und Archivierung der relevanten Daten genutzt (vgl. Jünger & Keyling, 2018). Die Vorteile der Automatisierung des Erhebungsprozesses liegen dabei in der Zugänglichkeit großer Datenmengen, in der einheitlichen Datenstruktur, im ökonomischen Vorteil und in der geringeren Fehleranfälligkeit im Vergleich zu manuellen Verfahren sowie in der daraus resultierenden Reliabilität der Erhebung (vgl. Jünger, 2018). Darüber hinaus begann Facebook in den Jahren 2015 und 2016, relevante Inhalte im News Feed zu priorisieren (vgl. Anhang A1), was zu einer veränderten Anordnung der Unternehmensposts im News Feed führte. Um weiterhin eine Zufallsauswahl der Unternehmensposts und damit die Kriteriumsvalidität (vgl. Rössler, 2010, S. 207–208) der Folgestudien zu gewährleisten, war es daher nötig, die Sampling-Strategie entsprechend anzupassen. Eine weitere Besonderheit der Untersuchungen der Jahre 2015 und 2018 ergibt sich daraus, dass Facebook im Juni 2013 eine Antwort-Funktion für Kommentare auf Unternehmensposts eingeführt hat (vgl. Anhang A1). Diese Funktion wurde dementsprechend in den Folgestudien berücksichtigt und als Unterebene der Unternehmensposts in die Analysen miteinbezogen. Analog zu den Kommentaren wurden auch hier jeweils bis zu zehn Antworten erfasst (n2012 = N/A; n2015 = 21838; n2018 = 36804).2
2Die
Erhebung, Auswertung und Archivierung der Daten folgt den forschungsethischen Prinzipien, die auf dem international anerkannten Nürnberger Kodex (1947), der Deklaration von Helsinki (1964) und dem Belmont Report (1979) basieren. Eine Zuordnung der Nutzer*innenposts und Nutzer*innenkommentare zu einzelnen Personen ist durch die Anonymisierung der Datensätze nicht möglich.
7.1 Methodisches Vorgehen
193
Die Daten aus dem Jahr 2015 wurden im Januar 2016 durch den Untersuchungsleiter erhoben, für die Daten des Jahres 2018 erfolgte dies im Januar 2019. Dabei wurden jeweils nach mehreren Testläufen und der finalen Formulierung der Datenabfragen in der Haupterhebung stichprobenartige Kontrollen durchgeführt, die prüfen sollten, ob das Scraping-Ergebnis zufriedenstellend ausfiel. Hierbei traten keine größeren Probleme auf, was die Zuverlässigkeit von Facepager für den vorliegenden Verwendungszweck unterstreicht. Die Daten wurden schließlich aus Facepager im Tabellenformat exportiert und für die Weiterverarbeitung und Auswertung in SPSS eingespeist. Hiermit wurden auch die Zufallsstichproben auf den Ebenen der einzelnen Analyseeinheiten gezogen. Tabelle 7.2 gibt einen Überblick über die finalen Fallzahlen in Bezug auf die jeweiligen Analyseeinheiten.
Tabelle 7.2 Anzahl der Analyseeinheiten auf den verschiedenen Analyseebenen. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung) Anzahl der Analyseeinheiten 2012 2015 Facebook-Seiten Unternehmensposts Kommentare auf Posts
2018
70
99
101
3500
4752
4949
18698
23303
25172
Antworten auf Kommentare
N/A
21838
36804
Nutzer*innenposts
2882
3736
3343
Zeitraum: 2012, 2015, 2018; absolute Häufigkeiten Basis: Anzahl der Analyseeinheiten nach Stichprobenziehung
Wie bei Tonndorf und Wolf (2014, 2015) wurden die erhobenen Daten in den Folgestudien im Rahmen eines Lehr-Forschungsprojektes codiert. Hierbei waren insgesamt 22 Studierende aus dem Fach Kommunikationswissenschaft beteiligt. Diese absolvierten intensive Codierschulungen und einen Pretest (vgl. Abschnitt 7.1.4), bevor sie die Datensätze final entlang eines einheitlichen Ablaufplans codierten. Den Codierer*innen wurden mehrere Unternehmen aus der Grundgesamtheit zugeordnet. Der Ablaufplan sah es vor, dass mithilfe speziell eingerichteter Codieraccounts zunächst die Merkmale auf Seitenebene codiert wurden, ehe die Unternehmensposts, mögliche Kommentare und Antworten darauf sowie die Nutzer*innenposts verarbeitet wurden (vgl. Abbildung 7.2). So konnten eine einheitliche und lückenlose Vorgehensweise sowie die Orientierung in den umfangreichen Datensätzen gewährleistet werden.
194
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
Abbildung 7.2 Workflow der Codierung der verschiedenen Analyseebenen. (Quelle: eigene Darstellung)
7.1 Methodisches Vorgehen
195
7.1.3 Operationalisierung und Codebuch Facebook bietet zahlreiche Möglichkeiten für die dialogorientierte Kommunikation zwischen Unternehmen und den Nutzer*innen, die sich durch technische Fortschritte des sozialen Netzwerkes stetig weiterentwickelt und ausdifferenziert haben und die unterschiedlich stark von den Unternehmen genutzt werden. Es wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht wie in den meisten Studien auf eine Operationalisierung basierend auf den fünf Prinzipien der Dialogorientierung zurückgegriffen (vgl. Kent & Taylor, 1998; vgl. auch Abschnitt 4.2, Kapitel 5). Da diese Prinzipien ursprünglich für die Untersuchung von Websites entwickelt wurden, eignen sie sich nur bedingt für die Analyse von interaktiven Prozessen in den sozialen Medien, wenngleich dies häufig in der PRForschung praktiziert wird (vgl. Abschnitt 5). Vielmehr erfolgt eine Annäherung über die Konzepte der Interaktivität und der sozialen Interaktion, womit sich die Dialogorientierung als Prozess der reziproken Interaktion erfassen lässt (vgl. Hall, 2018; vgl. auch Abschnitt 3.2.4, 4.1.2). Interaktivität Ein erstes Anliegen der vorliegenden Studie ist es, die Interaktivität der Unternehmensauftritte auf Facebook zu überprüfen (FF2.1, H3.1, H3.2, H3.3, FF3.8, FF4.1, FF5.1). Die Interaktivität eines Kommunikationsangebotes beschreibt das Potenzial zur Interaktion (vgl. Abschnitt 3.2.4, 6.2.2). Auf Facebook kann dieses Potenzial zunächst durch die unternehmensseitige Bereitstellung von E-Mail-Adressen und Telefonnummern operationalisiert werden (vgl. u. a. Capriotti & Pardo Kuklinski, 2012; Gálvez-Rodríguez et al., 2018; Gao, 2016; Johann & Oswald, 2018; McAllister, 2012; McCorkindale & Morgoch, 2013; Tonndorf & Wolf, 2014, 2015). Diese werden meist auf der Ebene der Facebook-Seiten in speziell dafür vorgesehen Feldern oder Seitenbereichen (z. B. ‚Info‘) zur Verfügung gestellt. Ferner gibt es auf Facebook seit Sommer 2015 die Möglichkeit, auch an Unternehmen Direktnachrichten zu schicken, vorausgesetzt diese aktivieren die Funktion (vgl. Anhang A1). Analog zur Chat-Funktion zwischen privaten Nutzer*innen kann auf diese Weise eine private Unterhaltung mit einem Unternehmen begonnen werden. In der Forschung wurde dies meist bei Studien zur Twitter-Kommunikation berücksichtigt (vgl. u. a. Colleoni, 2013; Koehler, 2014; Shin et al., 2015). Schließlich können Unternehmen ihre Seite für Nutzer*innenposts freigeben (vgl. u. a. Johann & Oswald, 2018; Men & Tsai, 2012; Saxton & Waters, 2014; Tonndorf & Wolf, 2014, 2015). Damit haben die Nutzer*innen die Möglichkeit, öffentlich sichtbare Posts auf der Seite eines Unternehmens zu hinterlassen. Diese werden im Seitenbereich ‚Community‘ angezeigt. Die Unternehmen können ebenso wie andere Nutzer*innen diese Posts kommentieren. Alle Indikatoren für die Interaktivität können auf der Ebene der Facebook-Seite dichotom gemessen werden (0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘). Durch die
196
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
Bildung eines summativen Indexes lässt sich darüber hinaus ein vergleichbarer Wert für das interaktive Potenzial einer Facebook-Unternehmensseite ermitteln (vgl. u. a. Gálvez-Rodríguez et al., 2018; Ingenhoff & Koelling, 2010; Kent et al., 2003; Koehler, 2014). Der Interaktivitäts-Index kann folglich einen Wert zwischen null und vier Punkten erreichen. Nachfolgend sind die einzelnen Indikatoren für die Interaktivität der Facebook-Unternehmensseiten nochmals zur Übersicht aufgeführt: • EA: E-Mail-Adresse 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ • TN: Telefonnummer 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ • DN: Direktnachricht 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ • FNP: Freigabe für Nutzer*innenposts 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ • Aggregation auf Ebene der Facebook-Unternehmensseite – EA/TN/DN/FNP ‚nicht vorhanden‘: 0 Punkte – EA/TN/DN/FNP ‚vorhanden‘: 1 Punkt • Index Interaktivität ITX = EA + TN + DN + FNP Interaktion Das weitere Erkenntnisinteresse dieser Studie bezieht sich auf die Interaktion zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen (FF2.2, H3.4, H3.5, H3.6, FF3.9, FF4.2, FF5.2). Im Gegensatz zur Interaktivität bezieht sich die Interaktion auf den tatsächlichen Prozess der Wechselseitigkeit und nicht mehr nur auf das Potenzial dazu (vgl. Abschnitt 3.2.4, 6.2.2). In diesem Zusammenhang müssen mehrere Ebenen auf Facebook analytisch betrachtet werden, denn Formen der Interaktion können in den Unternehmensposts, in den Kommentaren und Antworten darauf sowie in den Nutzer*innenposts auf den Facebook-Seiten der Unternehmen auftreten. Unternehmen können die Nutzer*innen in ihren Posts gezielt zur Interaktion auffordern (vgl. u. a. Abitol & Lee, 2017; Johann & Oswald, 2018; Saxton & Waters, 2014; Tonndorf & Wolf, 2014, 2015). Dies umfasst beispielsweise Aufforderungen, sich in den Kommentaren zu Wort zu melden, an Gewinnspielen oder Umfragen teilzunehmen, andere Nutzer*innen zu markieren oder Handlungen im realen Leben zu vollziehen. Gemeint sind hier also konkrete Handlungsaufforderungen, die auf eine Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Kommunikationspartner*innen abzielen. Darüber hinaus können Unternehmen im Sinne der Interaktion auf Nutzer*innenkommentare und Nutzer*innenposts reagieren (vgl. Gao, 2016; Johann & Oswald, 2018; Rybalko & Seltzer, 2010; Shin et al., 2015; Tonndorf & Wolf, 2014, 2015; Waters et al., 2014). Unternehmen können hier zum Beispiel auf Fragen und Anliegen
7.1 Methodisches Vorgehen
197
der Nutzer*innen antworten oder sich anderweitig an den Konversationen beteiligen. Wie die Fallzahlen zeigen (vgl. Abschnitt 7.1.2), entsteht vor allem auf der Ebene der Unternehmensposts rege Anschlusskommunikation, in die sich Unternehmen durch Kommentare und Antworten einbringen können. Dagegen werden die Nutzer*innenposts im ‚Community‘-Bereich weniger stark genutzt. Dies ist durch technische Weiterentwicklungen von Facebook zu erklären. Die Nutzer*innenposts wurden im Laufe der Zeit im Zuge von Layout-Überarbeitungen durch Facebook aus dem zentralen News Feed ausgegliedert und in einen gesonderten Seitenbereich verlagert (vgl. Anhang A1). Ferner ist anzunehmen, dass die Nutzer*innen der Post-Sektion aufgrund dieser Verlagerung und der optionalen Aktivierung durch die Unternehmen eine geringere Bedeutung beimessen als der Kommentar-Funktion im News Feed, die zu einer zentralen Funktion auf den Seiten der Unternehmen geworden ist. Daraus folgt, dass für die Interaktion auf Ebene der Nutzer*innenkommentare mindestens ein Kommentar oder eine Antwort seitens eines Unternehmens als Indikator für die Interaktion herangezogen wird, während auf Ebene der Nutzer*innen-Posts bereits eine Reaktion seitens eines Unternehmens (z. B. in Form eines Likes) als Interaktion betrachtet wird (vgl. Hall, 2018). Die Indikatoren für die Interaktion wurden auf den Post- und Kommentarebenen zunächst dichotom codiert (0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘). Dabei musste unterschieden werden, wer Urheber*in der Interaktion war, um Antworten von Unternehmen von solchen anderer Nutzer*innen unterscheiden zu können. Auch hier war es das Ziel, einen vergleichbaren Index-Wert für jedes Unternehmen festzulegen. Hierzu wurde in Anlehnung an Tonndorf und Wolf (2014, 2015) für die drei beschriebenen Interaktionsformen (Interaktionsaufruf, Reaktion auf Nutzer*innenkommentare, Reaktion auf Nutzer*innenposts) der prozentuale Anteil im Sinne einer Interaktionsrate der Unternehmen berechnet. So wurden null Punkte vergeben, wenn in 0 bis 25 Prozent aller Posts beziehungsweise Kommentare die jeweilige Interaktionsform erkennbar war. Ein Punkt wurde berechnet, wenn die Unternehmen mit den Nutzer*innen in 26 bis 50 Prozent aller Posts beziehungsweise Kommentare interagierten. War die jeweilige Interaktionsform in 51 bis 75 Prozent der Fälle präsent, wurden zwei Punkte erzielt. Drei Punkte wurden schließlich vergeben, wenn in 76 oder mehr Prozent der Fälle die entsprechende Interaktionsform nachzuweisen war. Der daraus resultierende summative Interaktions-Index kann demnach einen Minimalwert von null und einen Maximalwert von neun Punkten erreichen. Die Indikatoren und die Indexbildung für die Interaktion lassen sich also wie folgt zusammenfassen: • IA: Interaktionsaufruf 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ • RNK: Reaktion auf Nutzer*innenkommentare 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘
198
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
• RNP: Reaktion auf Nutzer*innenposts 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ • UH: Urheber*in 0 = ‚Unternehmen‘; 1 = ‚Nutzer*in‘ • Aggregation auf Ebene der Facebook-Unternehmensseite – IA/RNK/RNP 0–25 %: 0 Punkte – IA/RNK/RNP 26–50 %: 1 Punkt – IA/RNK/RNP 51–75 %: 2 Punkte – IA/RNK/RNP 76–100 %: 3 Punkte • Index Interaktion INX = IA + RNK + RNP Dialogorientierung Das Konstrukt der Dialogorientierung steht ebenfalls im Fokus dieser Studie (H3.7, FF3.10, FF4.3, FF5.3). Die Dialogorientierung wird hier als ein Prozess der reziproken Interaktion verstanden, in dem die Möglichkeiten zur Interaktion durch die Kommunikationsbeteiligten unterschiedlich stark genutzt werden können (vgl. Abschnitt 4.1.2). Aus diesem Grund wird die Dialogorientierung im Kontext der hier durchgeführten Inhaltsanalyse als die Gesamtheit des interaktiven Potenzials einer Facebook-Unternehmensseite und des Grades der Interaktion zwischen einem Unternehmen und den Nutzer*innen operationalisiert. Diese prozessorientierte Sicht erlaubt die Berücksichtigung entsprechender Indikatoren auf den verschiedenen Analyseebenen. Folglich lässt sich der Index für die Dialogorientierung als die Summe der Indices für die Interaktivität und die Interaktion darstellen: • Index Dialogorientierung DOX = ITX + INX Beziehungsqualität Die Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen lässt sich einerseits auf den verschiedenen Ebenen der sozialen Interaktion einordnen (vgl. Abschnitt 3.2.4, 6.2.2). So dient die Anzahl von Likes als Indikator für die unfokussierte Interaktion, wohingegen die Anzahl der Shares auf die routinierte unpersönliche Interaktion hindeutet. Die Anzahl der Posts und Kommentare stellt dagegen eine Form der fokussierten sozialen Interaktion dar (vgl. Hall, 2018) (H3.1, H3.2, H3.3, H3.4, H3.5, H3.6, H3.7, FF4.4, FF5.4). Um auch bezüglich der Qualität der Beziehungen Vergleichbarkeit zu schaffen, wurde ein Beziehungsindex berechnet, welcher die unterschiedliche Intensität der sozialen Interaktionsformen berücksichtigt. Hierbei galt es, eine unterschiedliche Gewichtung anzuwenden, da das Teilen, Kommentieren und Posten von Inhalten eine zunehmende Verbundenheit seitens der Nutzer*innen erfordert, wenn diese ihre Meinungen und Einstellungen bezüglich eines Unternehmens offenbaren (vgl. Hall, 2018; Kabadayi & Price, 2014). Aus diesem Grund wurde der Beziehungsindex in Anlehnung an die Gewichtung von Tonndorf und Wolf (2014, 2015) über die Summe der Anzahl der Likes (einfach), der Anzahl der Shares (doppelt), der
7.1 Methodisches Vorgehen
199
Anzahl der Kommentare (vierfach) und der Anzahl der Nutzer*innenposts (sechsfach) operationalisiert. • LI: Likes (unfokussierte Interaktion) – #LI: Anzahl Likes – #SLI: Anzahl Seiten-Likes • SH: Shares (routinierte unpersönliche Interaktion) – #SH: Anzahl Shares • NK: Nutzer*innenkommentare und NP: Nutzer*innenposts (fokussierte soziale Interaktion) – #NK: Anzahl Nutzer*innenkommentare – #NP: Anzahl Nutzer*innenposts • Index Beziehungsqualität BQX = (#LI × 1) + (#SH × 2) + (#NK × 4) + (#NP × 6) Ein weiterer Indikator für die Qualität von Beziehungen ist die Valenz der Nutzer*innenposts und Nutzer*innenkommentare (FF3.8, FF3.9, FF3.10, FF4.4, FF5.4). Die Valenz eines Beitrags weist als Form der Selbstoffenbarung auf die Vertrautheit der Beziehungspartner*innen hin und kann mitunter als das Ergebnis der Interaktion betrachtet werden (vgl. u. a. Orben & Dunbar, 2017; Park et al., 2011; vgl. auch Abschnitt 6.2.2). Welche Valenz ein Post oder Kommentar hat, lässt sich über die Summe der darin enthaltenen bewertenden Kernaussagen eines Subjektes (hier: die Nutzer*innen) über ein Objekt (hier: die Unternehmen) bestimmen, wobei zwischen den Ausprägungen negativ, neutral und positiv unterschieden wird (vgl. u. a. Kleinnijenhuis et al., 1997; Men et al., 2018; Orben & Dunbar, 2017; Wang et al., 2015; Willemsen et al., 2011). Eine positive Valenz lag in Anlehnung an Kleinnijenhuis et al. (1997) und Willemsen et al. (2011) vor, wenn die Nutzer*innen in der Mehrheit ihrer Kernaussagen ein Unternehmen, dessen Vertreter*innen, Produkte und/oder Dienstleistungen beispielsweise als gut, wichtig, rechtschaffend, lobenswert, kompetent etc. bewerteten (z. B. ‚Ich finde das Design des neuen Modells sehr gelungen.‘; ‚Vielen Dank für Ihre schnelle Antwort und den großartigen Service.‘). Dagegen lag eine negative Valenz vor, wenn eine überwiegend kritische, verständnislose, abwertende etc. Zuschreibung über die Kernaussagen erfolgte (z. B. ‚Es ist nicht akzeptabel, dass sich niemand auf meine Beschwerde meldet.‘; ‚Angesichts der Quartalszahlen zweifle ich am Geschäftsmodell und an der Kompetenz des Managements.‘). Neutral wurde codiert, wenn keine positive oder negative Kernaussage vorhanden war (z. B. ‚Können Sie mir sagen, wo ich Informationen zu den Öffnungszeiten finde?‘). Hierunter fielen auch Beiträge, in denen sich die Nutzer*innen gegenseitig kommentarlos markierten. Da die Ausprägungen summativ über die Anzahl der jeweiligen Kernaussagen gebildet wurden und die Abstände der Ausprägungen als äquivalent empfunden werden soll, lässt der Mittelwert auf Ebene
200
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
der Facebook-Unternehmensseite Rückschlüsse auf die durchschnittliche Valenz der Nutzer*innenposts und Nutzer*innenkommentare zu: • VA: Valenz −1 = ‚negativ‘, 0 = ‚neutral‘, 1 = ‚positiv‘ • Aggregation auf Ebene der Facebook-Unternehmensseite: x̅VA Industriezweige Für den Vergleich auf der Mesoebene (FF4.1, FF4.2, FF4.3, FF4.4) bietet es sich an, zwischen den verschiedenen Industriezweigen zu unterscheiden (vgl. Abschnitt 6.2.2). So kann sichergestellt werden, dass der Vergleich vor dem Hintergrund ähnlicher strategischer Zielsetzungen erfolgt. Für die Zuordnung zu den Industriezweigen gibt es zahlreiche unterschiedliche Konzeptualisierungsmöglichkeiten (vgl. u. a. Abitol & Lee, 2017; Dekay, 2012; Kim et al., 2014; Saxton & Waters, 2014). Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt die Branchenzuordnung über die International Standard Industrial Classification (ISIC), die eine Standardklassifikation der Wirtschaftszweige der Internationalen Handelsorganisation (ILO) darstellt, die auch von der UNO anerkannt und verwendet wird (vgl. ILO, 2019). Für die in der Inhaltsanalyse untersuchten Unternehmen waren damit folgende Wirtschaftszweige relevant, die auf der Ebene der Unternehmensseiten zugewiesen wurden: • WZ: Wirtschaftszweig – Groß- und Einzelhandel – Chemie- und Pharmaindustrie – Verkehrs- und Transportwesen – Gastgewerbe – Informations- und Kommunikationswesen – Kredit- und Finanzwesen – Automobilindustrie – Nahrungsmittelindustrie – Strom- und Gasversorgung – Elektronik- und IT-Industrie – Maschinenbau – Sonstige Damit ergeben sich für die Inhaltsanalyse im Rahmen dieser Studie relevante Kategorien, die auf den verschiedenen Analyseebenen ausgeprägt sein können. Tabelle 7.3 stellt die Operationalisierung der Inhaltsanalyse entlang dieser zentralen Analysekategorien mit den jeweiligen Ausprägungen und den entsprechenden Verweisen auf zentrale Definitionen und Begründungszusammenhänge im Überblick dar.
Definition/ Begründung
vgl. Abschnitt 3.2.4, 6.2.2
vgl. Abschnitt 3.2.4, 6.2.2
Kategorie (FF/H)
Interaktivität (FF2.1, H3.1, H3.2, H3.3, FF3.8, FF4.1, FF5.1)
Interaktion (FF2.2, H3.4, H3.5, H3.6, FF3.9, FF4.2, FF5.2)
-
Telefonnummer (TN) Direktnachrichten (DN) Freigabe für Nutzer*innenposts (FNP) Index Interaktivität (ITX)
0 = 0–25 %, 1 = 26–50 %, 2 = 51–75 %, 3 = 76–100 % 0 = 0–25 %, 1 = 26–50 %, 2 = 51–75 %, 3 = 76–100 %
Reaktion auf Nutzer*innen- 0 = ‚nicht vorhanden‘, kommentare (RNK) 1 = ‚vorhanden‘ 0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘ 0 = ‚Unternehmen‘, 1 = ‚Nutzer*in‘ -
Reaktion auf Nutzer*innenposts (RNP) Urheber*in (UH) Index Interaktion (INX)
(Fortsetzung)
INX = IA + RNK + RNP (0–9)
-
0 = 0–25 %, 1 = 26–50 %, 2 = 51–75 %, 3 = 76–100 %
ITX = EA + TN + DN + FNP (0–4)
0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘
0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘
0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘
0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘
Ausprägungen auf Seitenebene
0 = ‚nicht vorhanden‘, 1 = ‚vorhanden‘
Interaktionsaufruf (IA)
-
Ausprägungen auf Post-/ Kommentarebene
E-Mail-Adresse (EA)
Indikatoren
Tabelle 7.3 Operationalisierung der relevanten Kategorien der Inhaltsanalyse. (Quelle: eigene Darstellung)
7.1 Methodisches Vorgehen 201
vgl. Abschnitt 6.2.2 Vergleich (FF4.1, FF4.2, FF4.3, FF4.4, FF5.1, FF5.2, FF5.3, FF5.4)
−1 = ‚negativ‘, 0 = ‚neutral‘, 1 = ‚positiv‘
Valenz (VA)
-
-
Index Beziehungsqualität (BQX)
-
Anzahl #NP
Nutzer*innenposts (NP)
Jahr (JA)
Anzahl #NK
Nutzer*innenkommentare (NK)
Unternehmen (UN)
Anzahl #KO
Kommentare (KO)
-
Anzahl #SH
Industriezweig (IZ)
Anzahl #SLI
Shares (SH)
vgl. Abschnitt 2.4, 3.2.4, 4.1.2, 6.2.2
Beziehungsqualität (H3.1, H3.2, H3.3, H3.4, H3.5, H3.6, H3.7, FF3.8, FF3.9, FF3.10, FF4.4, FF5.4) Seiten-Likes (SLI)
-
Index Dialogorientierung (DOX) Anzahl #LI
-
Interaktion (IN)
Likes (LI)
-
Interaktivität (IT)
vgl. Abschnitt 4.1.2, 6.2.2
Dialogorientierung (H3.7, FF3.10, FF4.3, FF5.3)
Ausprägungen auf Post-/ Kommentarebene
Indikatoren
Definition/ Begründung
Kategorie (FF/H)
Tabelle 7.3 (Fortsetzung)
2012, 2015, 2018
z. B. Audi, Deutsche Bahn
z. B. Automobilindustrie, Groß- und Einzelhandel
Mittelwert der Valenz
BQX = (#LI × 1) + (#SH × 2) + (#NK × 4) + (#NP × 6)
metrische Angabe
metrische Angabe
metrische Angabe
metrische Angabe
metrische Angabe
metrische Angabe
DOX = ITX + INX (0–13)
INX
ITX
Ausprägungen auf Seitenebene
202 7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
7.1 Methodisches Vorgehen
203
Aufbau des Codebuchs Die beschriebenen Analysekategorien wurden zur Datenerhebung in ein Codebuch überführt, das entlang der verschiedenen Analyseebenen aufgebaut war. Da die Codierung im Rahmen eines Lehr-Forschungsprojektes mit insgesamt 22 Studierenden durchgeführt wurde, wurde insbesondere auf die Verständlichkeit und Vollständigkeit der Codieranweisungen und der Beispiele geachtet. Der Aufbau des Codebuchs wurde über die verschiedenen Untersuchungszeitpunkte hinweg konstant gehalten, um die Reliabilität der Untersuchung zu gewährleisten. Einzig die zur Illustration verwendeten Beispiele und einige Facebook-spezifische Begrifflichkeiten wurden aktualisiert, um die Weiterentwicklung der Plattform zu berücksichtigen. Das Codebuch ist in einer aktuellen, vereinfachten Version im Anhang A4 einzusehen. Das Codebuch enthielt im ersten Teil zunächst allgemeine Informationen zu den Hintergründen und zur Planung des Projektes (z. B. Auswahlverfahren, Datenerhebung). Durch dieses Hintergrundwissen sollte sichergestellt werden, dass die Codierer*innen eventuelle Fehler beim Datenexport erkennen und an den Untersuchungsleiter melden konnten. Danach erfolgte ein Überblick über die verschiedenen Analyseebenen (vgl. Abschnitt 7.1.1) und den Workflow der Codierung (vgl. Abschnitt 7.1.2). Durch das Schaffen einer einheitlichen Routine sollte eine effiziente und gleichzeitig möglichst fehlerunanfällige Verarbeitung der komplexen Datensätze gewährleistet werden. Diesbezüglich wurden auch übergeordnete Codieranweisungen eingebunden, die das allgemeine Vorgehen anleiteten. Dies war ferner nötig, da die Datensätze durch den automatisierten Datenexport mit Facepager bereits zahlreiche Vorcodierungen aufwiesen (z. B. Anzahl der Likes, Shares, Kommentare). Die Codierer*innen sollten also gezielt durch die Datensätze und Codiersheets geleitet werden, um einerseits bestehende Vorcodierungen nicht versehentlich zu überschreiben und um andererseits korrigierend tätig werden zu können, wenn Exportfehler oder Lücken vorliegen sollten. Durch die Zuverlässigkeit des Exports waren korrigierende Eingriffe jedoch die Ausnahme. Der Verweis auf zentrale Definitionen im Rahmen des Projektes, die konkrete Zuweisung des Untersuchungsmaterials sowie ein Zeitplan bildeten den Abschluss des ersten Teils des Codebuchs. Im zweiten Teil des Codebuchs stand das Kategoriensystem im Vordergrund. Dieses orientierte sich entlang der verschiedenen Analyseebenen. So waren zunächst die Kategorien auf der jeweiligen Facebook-Seite zu codieren. Danach folgten die Kategorien der Unternehmensposts mit ihren Kommentaren und Antworten. Schließlich wurden die Kategorien für die Nutzer*innenposts erläutert. Unabhängig von der Analyseebene folgte das Codebuch hinsichtlich der Kategorien einem konsistenten Aufbau. So erhielt jede Kategorie eine eigene Kennung und einen eindeutigen Namen. Danach folgte jeweils ein Erklärtext, der relevante Definitionen, Einschluss- und Ausschlusskriterien sowie gegebenenfalls Beispiele enthielt. Im Anschluss wurden die möglichen Ausprägungen und ihre Indikatoren aufgeführt. Hier wurden sowohl der zu vergebende Code als auch eine eindeutige Beschreibung festgehalten. Verschiedene Beispiele, die als Screenshots eingefügt wurden, illustrierten die jeweiligen Ausprägungen. Als Beispiele dienten Posts,
204
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
Kommentare und Antworten, die zwar von den Seiten der relevanten Unternehmen stammten, jedoch nicht durch die Stichprobenziehung im Material der Hauptcodierung enthalten waren. So konnte gewährleistet werden, dass vergleichbares Material für Schulungszwecke zur Verfügung stand, ohne dabei Untersuchungsmaterial der für die Haupterhebung relevanten Auswahleinheiten zu verwenden (vgl. Rössler, 2010, S. 178).
7.1.4 Pretest und Gütekriterien Da die Inhaltsanalysen jeweils in Lehr-Forschungsprojekten durchgeführt wurden, waren die Codierer*innen von Beginn an am Projekt beteiligt, was auch die frühzeitige Einbindung in die Entwicklung des Analyseinstrumentes ermöglichte (vgl. Rössler, 2010, S. 178). Das Vorgehen verlief dabei zu allen drei Untersuchungszeitpunkten einheitlich. So wurde das Codebuch zunächst in einer intensiven Codierschulung auf Plausibilität und Praktikabilität am Material getestet. Dabei wurden überwiegend Grenzfälle der Codierung besprochen und entsprechende Codieranweisungen angepasst oder hinzugefügt. Das Codebuch wurde schließlich in einem Pretest auf seine Feldtauglichkeit überprüft. Hierzu wurde wie bei der Erstellung des Codebuchs Material ausgewählt, das nicht in der Stichprobe der Haupterhebung enthalten war, jedoch von den Seiten der zu untersuchenden Unternehmen stammte (vgl. Rössler, 2010, S. 178). Eine Ausnahme stellte die Ebene der Facebook-Seiten dar. Da hier eine Vollerhebung erfolgte, musste auf Untersuchungsmaterial zurückgegriffen werden. Schließlich wurden im Pretest insgesamt 15 Facebook-Seiten, 50 Unternehmensposts mit je bis zu fünf Kommentaren und Antworten sowie 50 Nutzer*innenposts probecodiert. Diese Probecodierung nahmen die jeweils beteiligten Codierer*innen zunächst selbstständig vor. In einer gemeinsamen Sitzung mit allen an der Codierung Beteiligten wurden dann die Codierungen verglichen und mögliche Abweichungen diskutiert. Dies führte zu einer zweiten Codierschulung, in der alle Kategorien und ihre Ausprägungen nochmals ausführlich besprochen wurden. Aus dem Pretest resultierten zudem kleinere Spezifizierungen im Codebuch. Hierbei wurden unter anderem auch besonders geeignete Beispiele aus dem Pretest eingebunden. Die Haupterhebung der Folgestudien zu Tonndorfs und Wolfs (2014, 2015) Inhaltsanalyse aus dem Jahr 2012 erfolgte schließlich für das Jahr 2015 im Januar und Februar 2016 und für das Jahr 2018 analog dazu im Januar und Februar 2019. Dabei wurden den Codierer*innen nach Anweisung im Codebuch einzelne Unternehmen zugewiesen, für die sie die verschiedenen Analyseebenen codierten. Zur Überprüfung der Reliabilität der Haupterhebungen wurde ein Unternehmen an alle Codierer*innen vergeben. Für diese Datensätze wurde die Intercoder-Reliabilität mit dem Reliabilitätskoeffizienten nach Krippendorff (2004) gemessen. Die Berechnung erfolgte über das Online-Tool ReCal (vgl. Freelon, 2010, 2013). Die Werte für die inhaltlichen Kategorien liegen nahe an oder über dem empfohlenen Wert von .80 (vgl. Rössler, 2010, S. 204). Am zuverlässigsten wurden dabei die Variablen auf Seitenebene codiert (vgl. Tabelle 7.4). Da die formalen
7.1 Methodisches Vorgehen
205
Kategorien, wie zum Beispiel die Anzahl der Likes, Shares und Kommentare oder die Links zu den Posts und Kommentaren, zuverlässig über Facepager erhoben werden konnten, entfiel diesbezüglich die Prüfung der Intercoder-Reliabilität. Die Industriezweige wurden im Nachhinein über die einzelnen Unternehmen zugeordnet. Tabelle 7.4 Ergebnisse der Intercoder-Reliabilitätstests für die inhaltlichen Kategorien. (Quelle: eigene Darstellung) Kategorie
Kennung
Krippendorffs α 2015
Krippendorffs α 2018
Freigabe für Nutzer*innenposts
V000_FNP
1.00
1.00
E-Mail-Adresse
V001_EA
.95
.98
Telefonnummer
V002_TN
.97
.98
Direktnachrichten
V003_DN
1.00
1.00
Interaktionsaufruf
V004_IA
.98
1.00
Reaktion auf Nutzer*innenkommentare
V005_RNK
.96
.96
Urheber*in (Kommentare/ Antworten)
V006_UH
1.00
1.00
Valenz (Kommentare/Antworten)
V007_VA_KA
.79
.80
Valenz (Nutzer*innenposts)
V008_VA_NP
.77
.84
Reaktion auf Nutzer*innenposts
V009_RNP
.94
.97
Zeitraum: 2015, 2018*; prozentualer Grad der Übereinstimmungen Basis: Anzahl der Analyseeinheiten Notiz: * Auf eine detaillierte Angabe aus dem Jahr 2012 muss verzichtet werden, da hier nur ein Durchschnittswert (.80) vorlag.
Mit der nachgewiesenen Reliabilität der Haupterhebung ist auch die Analysevalidität der Studie gegeben (Rössler, 2010, S. 206). Ferner ist anzunehmen, dass das Kriterium der Inhaltsvalidität durch die theoretische Verankerung und Vollständigkeit der Kategorien erfüllt ist (vgl. Abschnitt 7.1.3). Zudem wurden keine Ausweichkategorien genutzt, welche die Inhaltsvalidität beeinträchtigen könnten. Auch die bilateralen Hinweise der Codierer*innen im Verlauf des Codierprozesses lassen darauf schließen, dass alle relevanten Kategorien durch das Codebuch erfasst wurden, da im Verlauf der jeweiligen Analysen keine neuen interaktiven Funktionen auf Facebook hinzugetreten sind oder übersehen wurden (vgl. Rössler, 2010, S. 207). Die Kriteriumsvalidität der Studien ergibt sich aus der Untersuchungsanlage selbst. Durch den Inter- und Intraorganisationsvergleich lassen sich die Befunde jeweils zueinander in Beziehung setzen und entsprechend einordnen (vgl. Abschnitt 8.2). Schließlich ist auch die Inferenzvalidität als gegeben anzusehen, da sich die Ergebnisse der vorliegenden Analyse mit denen anderer Studien vergleichen lassen, die teilweise auf abweichende methodische Zugänge zurückgreifen (vgl. Abschnitt 8.3).
206
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
7.2 Ergebnisse Die Ergebnisdarstellung der Inhaltsanalyse ist nach den übergeordneten Forschungsfragen gegliedert (vgl. Abschnitt 6.1). Es werden dabei die einzelnen Teilforschungsfragen beantwortet und die Hypothesen geprüft (vgl. Abschnitt 6.2.2). Zunächst erfolgt jeweils ein gesonderter Blick in die einzelnen Untersuchungszeiträume, um die Fragen zu beantworten, wie Unternehmen das interaktive Potenzial von Facebook nutzen (Abschnitt 7.2.1), welche Auswirkungen dies auf die Beziehungen zu den Nutzer*innen hat (Abschnitt 7.2.2) und welche Unterschiede sich zwischen den Unternehmen beziehungsweise den einzelnen Industriezweigen ergeben (Abschnitt 7.2.3). Da es ein zentrales Anliegen dieser Arbeit ist, ein langfristiges Bild der Dialogorientierung und der Beziehungspflege durch die Unternehmen auf Facebook zu zeichnen, erfolgt unmittelbar im Anschluss an die Teilforschungsfragen und Hypothesen der zugehörige Längsschnittvergleich über die Jahre 2012, 2015 und 2018 hinweg. Die Auswertung der Daten wurde mit SPSS durchgeführt. Die Auswertungsverfahren ergaben sich aus dem Skalenniveau der jeweiligen Daten. Die durchgeführten statistischen Testverfahren basieren auf einem Alpha-Niveau von p ≤ .05 (illustriert durch ‚*‘), p ≤ .01 (illustriert durch ‚**‘) beziehungsweise p ≤ .001 (illustriert durch ‚***‘). Zur Auswertung wurden neben deskriptiven Verfahren insbesondere Friedman-Tests zur Untersuchung abhängiger Stichproben, Chi-Quadrat-Tests unter Angabe von Cramers V, Spearmans Rangkorrelationsanalysen, lineare Regressionsanalysen sowie KruskalWallis-Tests verwendet, die je nach Bedarf von entsprechenden Post-Hoc-Test ergänzt wurden (vgl. Field, 2018). Vor Anwendung der statistischen Tests wurden die Voraussetzungen für deren Durchführbarkeit überprüft. Bei Mittelwertsvergleichen wurde auf nicht-parametrische Alternativtests zurückgegriffen, wenn die Voraussetzungen für die parametrischen Tests nicht erfüllt waren oder die Tests nicht robust genug gegenüber den Verletzungen der Voraussetzungen waren (wenn beispielsweise die abhängigen Variablen nicht normalverteilt waren). Zusammenhangsanalysen wurden mit Spearman-Korrelationen berechnet, wenn die notwendigen Voraussetzungen für die Signifikanzprüfung bei Pearson-Korrelationen verletzt wurden (wenn insbesondere die Normalverteilung der korrelierenden Variablen nicht gegeben war). Regressionsanalysen wurden mittels Bootstrapping auf Basis von 1.000 Bootstrap-Samples berechnet. Da die Homoskedastizität der Variablen und die Normalverteilung der Fehlerwerte zum Teil nicht gegeben waren, gewährleistet die Bootstrapping-Methode eine robustere Schätzung der Regressionsmodelle (Field, 2018, S. 391).
7.2.1 Nutzung des interaktiven Potenzials von Facebook Im Rahmen der zweiten übergeordneten Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit (FF2) steht die Nutzung des interaktiven Potenzials von Facebook durch die Unternehmen im
7.2 Ergebnisse
207
Fokus. Hier wird zwischen der Bereitstellung interaktiver Funktionen auf den FacebookSeiten (FF2.1) und der Interaktion zwischen den Unternehmen und den Nutzer*innen (FF2.2) unterschieden. Hinsichtlich der Bereitstellung von interaktiven Funktionen (FF2.1) stehen den Unternehmen auf Facebook verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, welche grundsätzlich das Potenzial zum Austausch mit den Nutzer*innen bieten. So können Unternehmen auf ihrer Seite beziehungsweise innerhalb der einzelnen Seitenbereiche Telefonnummern oder E-Mail-Adressen zur Kontaktaufnahme anbieten sowie die Funktion für Direktnachrichten aktivieren. Zudem steht mit der Freigabe für Nutzer*innenposts eine Funktion zur Verfügung, die es den Nutzer*innen erlaubt, eigne Beiträge auf einem gesonderten Seitenbereich zu hinterlassen. Wie aus Tabelle 7.5 hervorgeht, lässt im Jahr 2012 der Großteil der untersuchten Unternehmen auf ihren Facebook-Seiten die Möglichkeit für Nutzer*innenposts zu (86 %, n = 60). Der Wert bleibt im Jahr 2015 auf dem selben Niveau (86 %, n = 85) und geht 2018 schließlich leicht zurück (82 %, n = 83). Der leichte Rückgang könnte darin begründet sein, dass Facebook im Zuge von Layout-Änderungen im Jahr 2016 den Bereich der Nutzer*innenposts von der Hauptseite in einen separaten ‚Community‘-Seitenbereich ausgelagert hat. Sie treten demnach nicht mehr als eine Hauptfunktion der Seiten in Erscheinung. Bestätigt wird dies durch die gesunkene Anzahl der Nutzer*innenposts nach dieser Umstellung (n2012 = 3500; n2015 = 3736; n2018 = 3343). Mit der Angabe von E-Mail-Adressen bieten Unternehmen eine gängige Kontaktmöglichkeit für die Nutzer*innen. So können allgemeine Kontaktadressen oder die E-Mail-Adressen von einzelnen Abteilungen oder Ansprechpartner*innen angeboten werden. Im Jahr 2012 bietet nur knapp ein Viertel (24 %, n = 17) der untersuchten Unternehmen eine Kontaktmöglichkeit per E-Mail auf ihren Facebook-Seiten an. Der Wert nimmt jedoch im Jahr 2015 deutlich zu. Hier haben 88 Prozent (n = 87) der Unternehmen solche Kontaktdaten hinterlegt. Im Jahr 2018 ist der Anteil jedoch wieder rückläufig (74 %, n = 75). Dies kann durch die Einführung der Direktnachrichten-Funktion im Sommer 2015 erklärt werden. So zeigen die Ergebnisse, dass die Unternehmen bereits im Einführungsjahr die Möglichkeit für Direktnachrichten rege anbieten (82 %, n = 81). Der Wert steigt im Jahr 2018 nochmals an (86 %, n = 87). Die Angabe einer E-Mail-Adresse scheint also obsolet geworden sein, da sich die Unternehmen auf eine plattforminterne Kontaktaufnahme per Direktnachricht fokussieren. Telefonnummern finden sich im Jahr 2012 bei gut einem Drittel der Unternehmen (67 %, n = 47). Diesbezüglich ist eine ähnliche Entwicklung wie bei den E-Mail-Adressen zu beobachten. Im Jahr 2015 haben bereits 88 Prozent (n = 87) der Unternehmen eine Nummer für den telefonischen Kontakt hinterlegt. 2018 sinkt der Anteil allerdings leicht auf 86 Prozent (n = 87).
208
7 Inhaltsanalyse: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation auf …
Tabelle 7.5 Verteilung der Indikatoren für den Interaktivitätsindex. (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung) 2012 nicht vorhanden 0 Punkte
2015 vorhanden nicht vor1 Punkt handen 0 Punkte
2018 vorhanden nicht vor1 Punkt handen 0 Punkte
vorhanden 1 Punkt
Freigabe für n Nutzer*innenposts % (FNP)
10 14.3
60 85.7
14 14.1
85 85.9
18 17.8
83 82.2
E-Mail-Adresse (EA)
n %
53 75.7
17 24.3
17 17.2
82 82.8
26 25.7
75 74.3
Telefonnummer (TN)
n %
23 32.9
47 67.1
12 12.1
87 87.9
14 13.9
87 86.1
Direktnachricht (DN)
n %
N/A
N/A
18 18.2
81 81.8
14 13.9
87 86.1
Zeitraum: 2012, 2015, 2018; absolute Häufigkeiten und Anteile in Prozent Basis: untersuchte Facebook-Seiten n2012 = 70; n2015 = 99; n2018 = 101 Index Interaktivität ITX = FNP + EA + TN + DN
Die deskriptive Auswertung deutet an, dass die Unternehmen die von Facebook zur Verfügung gestellten interaktiven Funktion im Verlauf der Zeit stärker nutzen, wobei vor allem Unterschiede zwischen dem Jahr 2012 und den beiden anderen Untersuchungszeitpunkten auffallen (FF5.1). Der Interaktivitätsindex belegt diese Entwicklung. Dieser kann einen Wert zwischen 0 und 4 Punkten erreichen. So ergibt sich für die Unternehmen im Jahr 2012 im Durchschnitt ein mäßiger Wert von 1.74 (SD = 0.74). Der Wert verdoppelt sich im Jahr 2015 nahezu auf durchschnittlich 3.38 Punkte (SD = 0.85). Zwar sinkt er im Jahr 2018 wieder leicht auf 3.29 Punkte (SD = 0.91), bleibt jedoch deutlich über dem Niveau aus dem Jahr 2012. In der langfristigen Entwicklung des Interaktivitätsindexes lässt sich folglich auf Basis des Friedman-Tests für verbundene Stichproben eine signifikante Zunahme der Bereitstellung interaktiver Funktionen von Unternehmen auf Facebook nachweisen (Friedman-Test: χ2(2, n = 60) = 84.14, p