Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Common Law 9783787340477, 9783787340460

Im Gegensatz zum »Civil Law« geht das »Common Law« nicht auf eine römische Rechtstradition zurück, sondern bezeichnet ei

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German Pages 184 [307] Year 2021

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Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Common Law
 9783787340477, 9783787340460

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Thomas Hobbes Dialog zwischen einem P ­ hilosophen und einem Juristen über das englische ­Common Law

T HOMAS HOBBES

Dialog

zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Common Law Auf Grundlage der Übersetzung von Bernard Willms herausgegeben von

Peter Schröder

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHI LOS OPH I SC HE BI BLIOTH EK BAND 752

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN  978-3-7873-4046-0 ISBN eBook  978-3-7873-4047-7

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2021. Alle Rechte v­ orbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: mittelstadt 21, Vogtsburg-Burkheim. Druck und Bindung: Beltz, Bad Langensalza. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­ papier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

I N H A LT

Einleitung »It is not Wisdom, but Authority that makes a Law« – Strategien und Kontexte von Hobbes’ Dialog über das Common Law  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Datierung und zur Editionsgeschichte  . . . . . . . . . . . . . .

IX IX

II. Das Common Law im politischen Denken des frühneuzeitlichen Englands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV III. Der Dialog als alternatives Genre für Hobbes’ politische Lehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LIII I V. Der Dialog im Kontext von Hobbes’ politischer Philosophie LXV V. Die Restauration der Stuarts 1660 und Hobbes’ politische Lehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXXXII V I. Zu dieser Ausgabe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographische Hinweise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CIII Hobbes’ Leben und Werke  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CxIx

T HOM A S HOBBE S Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Common Law



I. Vom Gesetz der Vernunft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II. Von der Souveränität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 III. Von den Gerichtshöfen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 IV. Von den Kapitalverbrechen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

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Inhalt

V. Über Ketzerei  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 VI. Über das »Praemunire«  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 VII. Über die Strafen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 VIII. Von der Begnadigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 IX. Über das Eigentumsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Anmerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Personenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Für David Saunders, Freund und Gesprächspartner über viele Jahre

EI NLEITU NG »It is not Wisdom, but Authority that makes a Law« – Strategien und Kontexte von Hobbes’ Dialog über das Common Law

I.  Zur Datierung und zur Editionsgeschichte Hobbes’ Dialog über das Common Law steht immer noch im Schatten seiner bekannteren rechtsphilosophischen Schriften.1 Es gibt überraschenderweise bis heute keine monographische Darstellung, die sich diesem Text widmet.2 Während eine genaue Datierung von Hobbes’ Dialog nach wie vor nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, ist die Editionsgeschichte dieser Schrift recht übersichtlich. John Aubrey (1626–1697) berichtet, dass er Hobbes im Jahre 1664 nahegelegt habe, einen Traktat über das Recht abzufassen.3 Aubrey gab Hobbes ein Exem­plar 1  So auch das Urteil von 1972 in D. E. C. Yale, Hobbes and Hale on Law, S.  121: Der Dialog »has received but slight study«. Dass sich daran bis heute nicht viel geändert hat, bestätigt auch ein jüngst erschienener Aufsatz zu Hobbes’ Dialog, wo dieser als »a relatively neglected late work« bezeichnet wird. Y. Abosch, An Exceptional Power, S.  19. 2  Von Jauffrey Berthier liegt allerdings eine über 1000 Seiten umfassende Dissertation vor, die unter dem Titel Gouverner par les lois. Hobbes et le droit anglais 2010 an der Université Michel de Montaigne – Bordeaux III verteidigt wurde. Leider sind die Ergebnisse dieser Arbeit noch nicht publiziert. Zum Stand der Forschung vgl. weiter unten die bibliographischen Hinweise. An deutschsprachigen Studien zu Hobbes’ Dialog über das Common Law sind hauptsächlich die Arbeiten von Martin Kriele und Bernard Willms zu nennen. Literatur, die in der Auswahlbibliographie verzeichnet ist, wird in den jeweiligen Fußnoten in verkürzter Form angegeben. Alle anderen Literaturverweise, die sich nicht in der Auswahl­ biblio­g raphie finden, werden bei Erstnennung in den Fußnoten vollständig nachgewiesen. 3  J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  613: »In 1664, I sayd to

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Einleitung

von B ­ acons kurzem Traktat über das Common Law, um sein Interesse zu wecken. Zunächst hatte Aubrey nicht die Hoffnung gehegt, dass Hobbes sich tatsächlich dem Common Law widmen würde. Hobbes aber habe ab diesem Zeitpunkt eine intensivere Beschäftigung mit dem Common Law begonnen.4 Damit liegt ein erster, approximativer Hinweis vor, wann in etwa Hobbes mit der Abfassung des Dialogs begonnen haben mag. Es ist kein Manuskript des Dialogs bekannt und die erste gedruckte Ausgabe erschien erst 1681, also gut zwei Jahre nach Hobbes’ Tod im Dezem­ ber 1679.5 Hobbes’ Verleger William Crooke (1639–1694), der gleich mehrere Manuskripte von Hobbes nach dessen Tod veröffentlichte, publizierte auch Hobbes’ Text zum englischen Common Law. Aller­dings wurde der Text nicht selbständig publiziert, sondern unter verschiedenen Titeln als vierter Teil (»His [Hobbes] Discourse by way of Dialogue, concerning the Common Laws of England«) in den Tracts of Thomas Hobb’s [sic] und als zweiter Teil oder Anhang in The Art of Rhetoric with A Discourse of the Laws of England. Beide Ausgaben erschienen 1681.6 Aubrey zihim [Hobbes], ›Me thinkes ’tis pity, that you that have such a cleare reason and inventive head did never take into consideration, the learning of the lawes,‹ and I endeavoured to persuade him to it; but he answered that he was not like to have life enough left, to goe through with such a long and difficult task«. 4  Ebd.: »I then presented him, in order thereunto, and to draw him on, the Lord Ch[ancelor] Bacon’s Elements of the Lawe (…) which he was pleased to accept. (…) I desponded that he should make any attempt (tentamen) towards this designe. But afterwards, it seemes, in the country, he writt his treatise ›De Legibus‹ (unprinted) of which Sir J. Vaughan, L[ord] Chief Justice of the Common Pleas, had a transcript, and I doe affirm that he much admired it«. 5  J. Cropsey, Introduction, S.  1–6. Siehe auch A.  D. Cromartie, Introduction, S.  LXVI. 6 Vgl. Tracts of Thomas Hobb’s. Containing: I. His Life in Latine, part written by himself, since his death finished by Dr. R. B. II. His Considera­

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tiert allerdings einen an ihn gerichteten Brief von Hobbes vom 18.  August 1679 (also wenige Monate vor Hobbes’ Tod), in welchem Hobbes mitteilte, er wolle nicht, dass Crooke seinen Text über das Common Law veröffentliche.7 Erst 1971 wurde zum ersten Mal eine selbständige Edition des Dialogs durch Joseph Cropsey herausgegeben.8 In seinem Vorwort zu The Art of Rhetoric teilte Crooke mit, der zweite Text zum Englischen Recht sei »seit vielen Jahren abgeschlossen gewesen«.9 In anderem Zusammenhang wurde durch Crooke 1675 erklärt, der Dialog befinde sich als Manu­skript in seinem Besitz.10 Damit ergibt sich ein weiteres, wenn auch erneut nicht besonders spezifisches Indiz für die Datie­rung der Abfassung. Mit dem Datum 1675 korrespondiert, dass Matthew Hale (1609–1676), der mit seinen Reflections (…) on Mr. Hobbes his Dia­ logue of the Lawe die wichtigste zeitgenössische Kritik von Hobtions on his Reputation, Loyalty, Manners and Religion. III. His Whole Art of Rhetorick, in English. IV. His Discourse by way of Dialogue, concerning the Common Laws of England. V. Ten Dialogues of Natural Philosophy, &c., London 1681 und in The Art of Rhetoric with A Discourse of the Laws of England, London 1681. Siehe zu den anderen Schriften von Hobbes aus dieser Zeit unten II. 7  J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  614: »The treatise De Legibus, at the end of it is imperfect. I desire Mr. Horne to pardon me that I can not consent to his motion; nor shall Mr. Crooke himselfe get my consent to print it«. 8  Zu den verschiedenen Ausgaben des Dialogs siehe unten die bibliographischen Hinweise. Alle Seitenangaben zum Dialog beziehen sich auf die vorliegende Ausgabe. 9  W. Crooke, The Preface, in: T. Hobbes, The Art of Rhetoric with A Discourse of the Laws of England, hg. v. W. Crooke, London 1681 [ohne Paginierung, S.  3]: »The other piece is a Discourse concerning the Laws of England, and has been finish’d many years«. 10 Crooke hatte in einem von ihm angelegten Katalog, der Manuskripte von Hobbes in seinem Besitz aufführte, 1675 auch die Existenz eines Manuskripts des Dialogs mitgeteilt. Vgl. H. MacDonald / M. Hargreaves (Hg.), Thomas Hobbes. A Bibliography, S.  X V.

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bes’ Dialog verfasste, vor seinem Tod ein Manuskript des Dia­logs über das Common Law gelesen haben muss.11 Aubrey hatte John Locke (1632–1704) im Februar 1673 brieflich von dem Manuskript des Dialogs über das Common Law berichtet und ihm mitgeteilt, dass er es bei Crooke einsehen könne.12 Hobbes’ Manuskript, das legt vor allem Aubreys Brief nahe, muss spätestens im Januar 1673 vorgelegen haben. Cropseys Annahme, dass die Abfassung des Dialogs zwischen 1662 und 1675 zu veranschlagen ist, kann mit Rücksicht auf Aubreys Zeugnis unbedenklich auf die Jahre zwischen 1664 bis Ende 1672 weiter eingeschränkt werden.13 Aber was haben wir eigentlich unter dem Common Law zu verstehen, mit dem Hobbes sich in seinem Dialog befasst hat? Das insulare Rechtsverständnis des Common Law14 ist uns in Kontinentaleuropa fremd, denn hier haben sich sehr früh die durch das römische Recht geprägten Rechtsvorstellungen durchgesetzt.15 Der Attorney General für Irland Sir John Davis (1569– 11  Hales Text wurde nicht mehr zu seinen Lebzeiten publiziert. Vgl. zu Hale unten IV. 12  J. Locke, The Correspondence, S.  375: »I never expect to see it [i. e. den Dialog über das Common Law] printed, and intended to have a copy, which the bookseller will let me have for 50s (…) When you go by the Palsgrave-head Tavern be pleased to call on Mr W. Crooke at the Green Dragon and remember me to him (…) and he will show it to you.« 13  J. Cropsey, Introduction, S.  3. Siehe auch A. D. Cromartie, Introduction, S.  XIV–XX. 14  Vgl. zum insularen Charakter des englischen Common Law J.  G.  A. Pocock, The Ancient Constitution, S.  55–58, sowie S.  262  f. 15  Das römische Recht war im Corpus Iuris Civilis enthalten und gliederte sich in drei Teile, die aus den Institutionen, den Digesten oder Pandekten und dem Codex Iustinianus bestanden. Zur Bedeutung des römischen Rechts in Europa vgl. P. Koschaker, Europa und das römische Recht, P. Stein, Roman Law in European History, Cambridge 1999, A. Schiavone, The Invention of Law in the West, Harvard 2012 sowie M. Villey, »Contrat – Obligation – Société«. Du langage juridique romain au langage juridique moderne, in: R. Schnur (Hg.), Zur Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S.  51–64.

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1626) war ausgesprochen stolz darauf, dass die Engländer mit dem Common Law ihr ureigenes Rechtssystem besaßen. Es zeige die Unabhängigkeit der Engländer, die ihr Recht und ihre Staatsverfassung nicht wie die anderen europäischen Nationen bei den Römern oder Griechen erbettelt oder geborgt, sondern aus eigener Erfahrung und Einsicht entwickelt hätten – gleich einer Seidenraupe, die nur aus sich selbst heraus ihr Netz webt.16 Hobbes ist allerdings mit seinem Rechts- und Souveränitätsverständnis manchen Bestandteilen des römischen Rechts viel näher als dem Common Law. Insbesondere Ulpians (ca. 170–223/228? n. Chr.) einflussreiche Formulierung aus den Digesten, »Princeps legibus solutus est« (»Der Herrscher, d. h. der Souverän, ist nicht an Gesetze gebunden«), korrespondierte mit Hobbes’ Souveränitätslehre.17 Das ist ein Grund, warum seine Rechtsphilosophie 16  J. Davis, Les Reports, Preface [ohne Paginierung, S.  5]: »the People of this Land (…) have made their own Laws out of their wisdome and experience, (like a Silk-worm hat formeth all her web out of her self onely) not begging or borrowing a form of Commonweal, either from Rome or from Greece, as all other nations of Europe have done«. 17  P. Krueger / T. Mommsen (Hg.), Institutiones [und] Digesta, Berlin 1882 (1.3.31), S.  6. Auch Stellen in den Institutionen, wie etwa »quod principi placuit, legis habet vigorem« (was der Kaiser bestimmt, hat Gesetzeskraft), beeinflussten Hobbes’ Souveränitätsverständnis. O. Behrends et al. (Hg.), Corpus Iuris Civilis. Die Institutionen, Heidelberg 1993 (1.2.6), S.  4. Vgl. dazu auch allgemein D. Wyduckel, Princeps Legibus Solutus: Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, Berlin 1979, sowie spezifisch zu Hobbes D. Lee, Hobbes and the civil law, S.  227–231. Insbes. ebd. S.  229: »the most compelling indication of Hobbes’s intellectual debt to the tradition of Roman law and the political thought of the Civilian jurisconsults is to be found in his framing of the doctrine of sovereignty«. Ein wichtiges Bindeglied in dieser Entwicklung ist Bodins Souveränitätslehre, die Hobbes aufnahm und weiterentwickelte. Vgl. J. Bodin, Les six livres de la Republiqué, Paris 1583, S.  131–137. Für wenig überzeugend halte ich die Behauptung, »Hobbes remains committed to the traditional common law notion of a sovereign«. L. v. Apeldoorn, On the person and office of the sovereign in Hobbes’ Leviathan, S.  65.

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in England auf so erhebliche Widerstände stieß, umgekehrt auf dem europäischen Kontinent aber ungleich früher aufgenommen und weiterentwickelt wurde.18 Hobbes’ Lehre war von Beginn an mit dem vorherrschenden, durch das Common Law bestimmten englischen Rechts- und Politikverständnis nicht kompatibel. So wie ein Prophet im eigenen Land nicht geschätzt werde, schreibt Aubrey, so sei Hobbes von Ausländern mehr verehrt worden als von seinen eigenen Landsleuten.19 Bevor auf ­Hobbes’ Dialog über das Common Law genauer eingegangen werden soll, 18  Insofern ist es auch bezeichnend, dass in dem bis heute maßgeblichen Sammelband R. Schnur (Hg.), Zur Rolle der Juristen bei der Ent­ stehung des modernen Staates nicht auf Coke und das Common Law, wohl aber in einzelnen Beiträgen auf Bacon und Hobbes eingegangen wird. Vgl. G. Chanavant, Bacon, Juriste et l’Art du Gouvernement und J. Chanteur, Le Fondement de l’Etat et les Régimes Politiques selon Thomas Hobbes. Für den englischen Kontext siehe insbesondere die wichtige Studie von D. Saunders, Anti-lawyers. Jon Parkin zeigt in seiner nuancierten Studie zur Rezeptionsgeschichte von Hobbes in England, dass er durchaus nicht tout court abgelehnt wurde. Auf das Common Law und Hobbes geht er allerdings nicht ein. J. Parkin, Taming the Leviathan, S.  5–17. Vgl. auch den prägnanten Überblick bei M. Goldie, The reception of Hobbes. Die Aufnahme von Hobbes’ Lehre stieß in England wie in Kontinentaleuropa im 17. Jahrhundert freilich vor allem wegen Hobbes’ Lehre über den Naturzustand des Menschen und wegen theologischer Positionen auf heftigen Widerstand. Hobbes sah sich bis zu seinem Lebensende mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich gegen den Vorwurf des Atheismus zu verteidigen, aber es gelang ihm nicht, seine Widersacher zu beschwichtigen, geschweige denn zu überzeugen. Vgl. beispielhaft T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1237: »non intelligo, quomodo contra fidem Christia nam peccare dicatur, is qui Vitam aeternam confitetur«. In den theologischen Vorbehalten gegen Hobbes ist in England sicherlich die entscheidende Motivation für die Angriffe gegen ihn zu sehen. Sie gipfelten 1683 in der Verbrennung von Hobbes’ Werken in Oxford (vgl. dazu unten IV.). 19  J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  630: »as a prophet is not esteemed in his owne country, so he was more esteemed by foreigners, than by his countryman«.

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erscheint eine kurze Orientierung über diese spezifische Rechtstradition sinnvoll.20

II. Das Common Law im politischen Denken des frühneuzeitlichen Englands Auch das englische Recht kannte natürlich die römische Rechts­ tradition, die in England zumeist als civil law bezeichnet wurde.21 Der insulare Charakter des Common Law ist nicht auf Ignoranz, sondern auf eine bewusste Haltung der Verweigerung zurückzuführen, das römische Recht als für die englische Rechtstradition prägend anzuerkennen.22 »Die Juristen hatten aus der Gewohn20  An deutschsprachigen einführenden Studien ist L. A. Knafla, Die Theorie des »Common Law«, zu nennen. Immer noch maßgebend für ­u nser Thema ist M. Kriele, Die Herausforderung des Verfassungsstaates. 21  F. W. Maitland, English Law and the Renaissance, S.  29 ist in seinem Urteil kritischer, wenn er schreibt, englische Juristen hätten im 16. Jahrhundert kaum »more than a bowing acquaintance with Roman law« gehabt. 22  Ich folge hier J.  G.  A . Pocock, The Ancient Constitution, S.  280  f.: »the causes of this insularity lay in an English refusal to admit that the civil law had anything to do with the history of law in England«. So im Übrigen auch bereits P. Koschaker, Europa und das römische Recht, S.  216: »Das common law wird immer englischer, insularer« und O. Gierke, German Constitutional Law in Its Relation to the American Constitution, in: Harvard Law Review 23 (1910), S.  275: »Perhaps the strongest bond which holds together old and new England is the common law, and with it the conception of law at all, whereon is based the whole community. For one like the writer, a teacher of law, the fundamental difference between Continental and English legal systems forms the widest gap between my own country and America. The fact that, while the peoples of the European continent, with few exceptions, (…) altered their native law by the reception of the written Roman law, the English world continued to conserve and build up its ancient home-law, distinguishes sharply the theoretical and practical character of public life on both sides«. Auch der sogenannte Brexit, das wurde in den endlosen Analysen und Kommentaren so gut wie gar nicht beachtet, erklärt sich u. a. aus diesen Differenzen.

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heit heraus die Grundlagen des common law gelegt und verteidigten es weiterhin gegen den Einfluß des römischen Rechts mit Erfolg, weil dieses (…) nur durch die Praxis hätte eindringen können, diese Praxis aber von den Juristen des common law beherrscht wurde. (…) Nicht die Abwehr des römischen Rechts ist das Eigenartige der englischen Rechtsentwicklung, sondern die frühzeitige Entwicklung eines organisierten und daher mächtigen und einflußreichen Juristenstandes, der das Organ dieser Abwehr war und sich in dieser Funktion auch weiterhin bewähren sollte«.23 Ferner bildete das kanonische Recht in England – wie überall im frühneuzeitlichen Europa – ebenfalls eine spezifisch klerikale Rechtstradition aus. Insofern gab es bereits früh eine Konkurrenz zwischen Juristen, die sich in die drei Gruppen der civil lawyers, canon lawyers und common lawyers gliederten, wobei insbesondere Letztere einen »wissenschaftlichen Berufsstand mit einem entsprechenden Sozialbewusstsein« bildeten.24 Seit der Reformation waren auch die geistlichen Gerichtshöfe der Kanoniker könig­liche Gerichte, da das Oberhaupt der anglikanischen Kirche nicht mehr der Papst, sondern der Monarch war. Das englische Gerichtswesen war insgesamt durch die konkurrierenden Gerichte äußerst komplex.25 23  P. Koschaker, Europa und das römische Recht, S.  214  f. 24  L. A. Knafla, Die Theorie des »Common Law«, S.  522. Deutlich wird dieses Standesbewusstsein zum Beispiel bei J. Davis, Les Reports, Preface [ohne Paginierung, S.  10], der die Überlegenheit der common lawyer gegenüber den civil und canon lawyer ausdrücklich betont und ebd. S.  17 grundsätzlich behauptet »that the Profession of the Law is to be preferred before all other humane professions and sciences«. 25  Einen ersten Überblick über die verschiedenen Gerichte in England gibt P. Koschaker, Europa und das römische Recht, S.  217  f. W. J. Jones, The Crown and the Courts in England, S.  287: »the real issue was that of finding lines of demarcation between all courts. There was debate between Common Pleas and King’s Bench, between common law and ecclesiastical courts, between diocesan courts and Arches. The hardest task of all was

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Diese Konkurrenz manifestierte sich auch in den Prioritätsansprüchen, die die Vertreter der jeweiligen Rechtstraditionen formulierten. Obwohl sich in England konkurrierende Rechtsprechungen feststellen lassen, behaupteten die Vertreter des Common Law die Überlegenheit ihres Rechtssystems dadurch, dass die anderen Rechtsprechungen dem Common Law zu- und untergeordnet seien.26 Sir Edward Coke (1552–1634) verwies d ­ arauf, dass das Common Law verlässlicher als das durch das römische Recht geprägte Civil Law sei.27 Hobbes’ Positionierung gegenüber Coke und dem Common Law ist eindeutig, auch wenn sie im Dia­ log diskursiv entwickelt wird. Aufgrund der konkurrierenden Machtansprüche der verschiedenen Gerichte müsse der König als oberster Souverän eine Entscheidung fällen. Der Philosoph sagt im Dialog: »Jedenfalls wird deutlich, dass die Zuständigkeit der verschiedenen Gerichte nicht so einfach zu bestimmen ist, dies muss schon vom König im Parlament selbst geschehen. Die Juristen selbst können dies nicht, denn man weiß doch, wie viel Kontroversen zwischen den Gerichten existieren«.28 Dem hält der that of distinguishing between the proper jurisdictions of courts which exercised a similar procedure or which avowed a similar competence. (…) England was a network, a jig-saw puzzle, of courts constructed on different levels. At every stage there was a struggle to assert authority«. Auch Hobbes kommt in Kapitel 3 (Von den Gerichtshöfen) in seinem Dialog auf »die außergewöhnlich große Zahl von Gerichtshöfen in England« detaillierter zu sprechen. Vgl. T. Hobbes, Dialog, S.  39 sowie ebd., S.  115 die Diskussion von »Praemunire«. 26  So zum Beispiel Coke oder Selden, ausführlichere Belege ihrer Positionen weiter unten im Folgenden. Vgl. auch J. G. A. Pocock, The Ancient Constitution, S.  290: »it was not usual for the law’s great officers to think of the common law as threatened by, or even in competition with, other modes of jurisdiction«. 27  Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes, Bd.  II, S.  754: »Upon the Text of Civill Law, there be so many (…) diversities of opinions, as they do rather increase then [sic] resolve doubts, and incertainties (…) our Expositions (…) produce certainty«. 28  T. Hobbes, Dialog, S.  51.

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Jurist zunächst noch entgegen, dass der König zwar ursprünglich auch die höchste richterliche Gewalt besessen habe, er diese dann aber »auf das eine oder andere Gericht übertragen« habe.29 Bei Coke könne man lesen, dass »die Rechtsprechung (…) ausschließlich den Richtern dieses Gerichtshofes, die alle Anträge in Anwesenheit des Königs verhandelten« gebührte.30 Auch Hobbes sah natürlich, dass es um konkrete politische Machtansprüche und letztlich die Souveränitätsfrage ging, die im Streit über die richterliche Kompetenz hier ausgetragen wurden. Im Wesentlichen wird in diesem Diskussionszusammenhang eine der entscheidenden Positionen Cokes im Sinne von Hobbes’ Souveränitätslehre widerlegt, wenn es im Weiteren heißt: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sir Coke, wie sehr es ihm auch darum ging, seine eigene Autorität und die anderer Richter des Gemeinen Rechts zu befördern, annehmen konnte, der König säße im Oberhofgericht nur als Zuschauer und könnte nicht alle Anträge, die seine Richter behandelten, selbst behandeln, wenn er einen Anlass dazu gesehen hätte. Denn er wusste doch, dass der König damals der oberste Richter in allen weltlichen Angelegenheiten war und es heute auch in weltlichen und kirchlichen ist und dass das Gesetz für alle, die dies leugnen, außerordentlich harte Strafen vorsieht. Aber Sir Coke ist hier, wie an vielen anderen Stellen vorher, ein Fehler unterlaufen. Er sieht nicht, dass es ein Unterschied ist, jemanden mit etwas zu betrauen oder eben dies an ihn abzutreten. Der, der seine Macht abtritt, hat sich ihrer selbst beraubt, aber der, der sie einem anderen anvertraut, der sie in seinem Namen und unter ihm ausüben soll, ist noch immer im Besitz dieser Macht«.31 Insbesondere zur Zeit der Stuarts, und 29  Ebd. 52. 30  Ebd. 52. 31  Ebd. 52. Vgl. auch die Ausführungen zur Ermächtigung in T. Hob­ bes, Leviathan (XVI), S.  135  f. Entscheidend zur Frage der richterlichen Kompetenz dann vor allem die Diskussion zu den Souveränitätsrechten in T. Hobbes, Leviathan (XVIII), und hier insbesondere S.  151  f.: »mit der

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hier wiederum hauptsächlich unter der Regentschaft von Jakob I. (1603–1625) und Karl I. (1625–1649), verschärfte sich dieser Disput, bis er zu Verfassungsfragen führte, die von so grundsätzlicher Natur waren, dass diese nicht mehr durch politischen Kompromiss gelöst werden konnten. Der schottische König Jakob (James) VI., ab 1603 als Jakob I. auch englischer König in der Nachfolge von Elizabeth, gilt als einer der wichtigsten englischsprachigen Theoretiker des monarchischen Absolutismus.32 In mehreren Schriften erörterte J­ akob sein politisches Selbstverständnis. Vor allem in Basilicon Do­ ron (1599) und The Trew Law of Free Monarchies (1603), die in England zu Bestsellern wurden, allerdings auch stark umstritten waren und angefeindet wurden, legte er seine Positionen dar. Er war dabei nachhaltig von Jean Bodin (1530–1596) beeinflusst.33 Jakob formulierte hier seinen Anspruch auf die königlichen Herrschaftsrechte und Prärogative, was durchaus so aufgefasst wurde, als beabsichtigte er die Rechte des Parlaments und die Gültigkeit des Common Law durch ein derartig vorgetragenes absolutistisches Souveränitätsverständnis einzuschränken.34 Souveränität [ist] das Recht auf richterliche Gewalt verknüpft, das heißt das Anhören und Entscheiden aller Streitigkeiten«. 32  Vgl. zum monarchischen Absolutismus der Stuarts G. Burgess, Absolute Monarchy, S.  17–62 und J. Daly, The Idea of Absolute Monarchy in Seventeenth-Century England, sowie die knappe deutschsprachige Darstellung von A. H. Williamson, Absolutistisches Staatsdenken, S.  512: »Der am meisten gelesene Verfechter des ›Divine Right‹ der Könige im frühen 17. Jahrhundert war König Jakob«. 33  Vgl. dazu U. Krautheim, Die Souveränitätskonzeption in den englischen Verfassungskonflikten des 17. Jahrhunderts. Salmon zeigt, dass die Souveränitätsdiskussion, die aus Frankreich in England übernommen wurde, auch schon früh als Anzeichen der »hidden rivalry between the king, the parliament, and the Common Law« zu sehen ist. J. H. M. Salmon, The French Religious Wars in English Political Thought, S.  38. 34  Vgl. dazu die kontroverse Diskussion in G. Burgess, Absolute Monarchy, S.  91–123 und J. P. Sommerville, Politics & Ideology, S.  9–50, sowie

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Jakobs Sohn Karl (Charles) I. machte sich dieses Selbstverständnis nach seiner Thronbesteigung 1625 ebenfalls zu eigen. Ihm war aber weder das gleiche intellektuelle Vermögen noch das politische Geschick seines Vaters gegeben.35 Die Konflikte unter der Regierung Karls I. führten zu einer Auflösung des noch im Rahmen des Common Laws bestehenden Konsenses. Zunehmend verschärften sich die politischen Gegensätze. Zwei weiter unten knapp zu skizzierende verfassungsrechtliche Krisen, zunächst unter Jakob I. im Jahre 1616 und dann unter Karl I. im Jahre 1628, verdeutlichen, inwiefern der Streit über das Verhältnis von König und Parlament oder die Frage über die Reichweite richterlicher Kompetenzen – die letztlich die Frage der Souveränitätsrechte betraf – ein Streit über unterschiedliche Auffassungen über das Common Law war. Das Common Law lieferte sozusagen die Arena und die Sprache, in der diese Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Die entscheidenden Gesichtspunkte der politischen und verfassungsrechtlichen Dispute werden hier sichtbar, die dann ab 1642 im englischen Bürgerkrieg gewaltsam ausgefochten wurden und 1649 in der Hinrichtung Karls I. kulminierten. Zunächst aber – und dann im Übrigen auch wieder nach der Restauration der Stuarts 166036 – wurde der politische Konflikt, der nur verkürzt als Wettstreit zwischen Parlament und Krone bezeichnet werden kann, in dem durch das Common Law insbes. S.  93. Zudem hatte Jakob mit Anerkennungsproblemen in England zu kämpfen, da seine Legitimität aufgrund von kulturellen und protonationalen Differenzen der Stuarts als »Schottenkönige« in Frage gestellt wurde. 35  Vgl. G. E. Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  66: »Unlike his father Charles I was not a scholar, still less an intellectual. (…) Certainly he was less of a theorist than his father, but in some ways he was more rigid in his ideas. Basically he was not a man of strong character, and he needed to lean on other people; nor was he a good negotiator, nor being flexible enough in outlook or reliable when he had agreed to a compromise«. 36  Vgl. C. C. Weston, Legal Sovereignty in the Brady Controversy und L. G. Schwoerer, The Role of the Lawyers.

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vorgegebenen Rahmen ausgetragen.37 Daraus erwuchs letztlich die politische Bedeutung des Common Law. Der Einfluss des »berühmten Rechtsgelehrten Edward Coke« als einem der profiliertesten Vertreter des Common Law wurde von Hobbes ebenfalls klar gesehen und durch seinen Dialog insofern auch bestätigt. Parteigänger wie Gegner von Cokes Positionen beriefen sich auf ihn. Wo es ihm opportun erschien, machte sich auch Hobbes die Positionen Cokes zu eigen.38 Die wesentlichen politischen Konfliktpunkte, die über Bedeutung und Reichweite des Common Law ausgetragen wurden, werden hier kurz skizziert, da nur so Hobbes’ Intervention, die er mit seinem Dia­ log beabsichtigte, eingeordnet werden kann.39 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erhielt das englische Common Law »seine klassische Formulierung durch Sir Edward Coke«.40 Dieses Urteil über Coke wurde bereits von Hobbes’ Zeitgenossen geteilt. Der Puritaner, Politiker und Jurist William Prynne (1600–1669) bezeichnete Coke zum Beispiel als »bedeutenden Schutzherrn und Stütze des Common Law«.41 Insofern ist es nur konsequent, dass Hobbes vor allem Cokes Überlegungen zum 37  Vgl. dazu J.  G.  A . Pocock, The Ancient Constitution, S.  31  f. und G. Burgess, Common Law and Political Theory, S. 13: »the common law provided a master-language for public debate in that it defined the limits of other jurisdictions«. 38  So zum Beispiel, wenn er gegen die Auffassung zur Häresie des Elisabethanischen Klerus schrieb, die auch Coke gerügt hatte. T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1219: »Negligentiam hanc Rectorum Ecclesia­ sticorum sub Elizabetha (…) reprehendit clarissimus ille Iurisconsultus Eduardus Cocus in tertio Libro Institutorum«. 39  Die deutschsprachige Hobbesforschung ist abgesehen von den maßgeblichen Arbeiten Martin Krieles (insbesondere M. Kriele, Die Herausforderung des Verfassungsstaates) auf diesen Zusammenhang bislang kaum eingegangen. 40  J. G. A. Pocock, The Ancient Constitution, S.  31. 41  Vgl. W. Prynne, Brief Animadversions, [ohne Paginierung, S.  9]: »that eminent Pillar and Patron of the common law, Sir Edward Cooke«.

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Ziel seiner Kritik machte. Wie lässt sich nun Cokes Verständnis des Common Law charakterisieren? Die das Common Law kennzeichnende Komplexität kann dahingehend zusammengefasst werden, dass es sich hierbei einerseits um Gewohnheitsrecht handelt, das seinen Ursprung dem Anspruch nach in der nicht mehr genau zu ermittelnden frühen englischen Geschichte hat, andererseits zugleich aber auch Ausdruck einer höheren oder künstlichen Vernunft ist (artificial reason). Es bedarf daher eines eingehenden Studiums, um diese beiden Rechtsquellen zu kennen und auf die jeweiligen Gegebenheiten einer spezifischen Rechtsfrage bzw. eines Rechtsstreits anzuwenden.42 Der Rechtshistoriker John Selden (1584–1654) sah im Common Law wie Coke die Grundlagen des englischen Rechtssystems und der politischen Verfassung des Königreichs. Im Unterschied zu Coke vertrat Selden allerdings eine historische Begründung des Common Law.43 Trotz dieser Unterschiede verfolgten Selden und Coke gleiche politische Interessen im Parlament von 1628 (s. u., II. b). Durch seinen beträchtlichen Einfluss, den er auf Hobbes und Matthew 42 Die entscheidende Textstelle, gegen die sich Hobbes dann auch gleich zu Beginn seines Dialogs wendet, findet sich in Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes, Bd.  II, S.  701: »For reason is the life of the law, nay the common law itselfe is nothing else but reason; which is to be understood of, an artificiall perfection of reason, gotten by long study, observation, and experience, and not of every man’s naturall reason; for, Nemo nascitur artifex. This legall reason est summa ratio. And therefore if all the reason that is dispersed into so many severall heads, were united into one, yet could he not make such a law as the law in England is; because by many successions of ages it hath been fined and refined by an infinite number of grave and learned men, and by long experience growne to such a perfection«. Vgl. auch Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes, Bd.  II, S.  561: »The learned Sages of the law doe found their judgement upon legall reason and judiciall President [lies precedent, also Präzedenzfall]«. 43  Vgl. A. Cromartie, Sir Matthew Hale, S.  30  f. Zu Selden insgesamt siehe nun auch die wichtigen Studien von G. J. Toomer, John Selden und O. Haivry, John Selden.

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Hale ausübte,44 ist Selden darüber hinaus wichtig für die Einordnung des Dialogs innerhalb der politischen und ideengeschicht­ lichen Zusammenhänge der Restaurationszeit (s. u., IV). Coke hatte in seinen Rechtssammlungen, den Reports, die zwischen 1600 und 1615 publiziert wurden, und den Institutes of the Law of England (publiziert zwischen 1628 und 1644), das Gewohnheitsrecht aus der grauen Vorzeit zusammengetragen und systematisiert. Er berief sich dabei auf frühere Juristen. Coke behauptete, dass selbst zur Zeit der Römer in England das Common Law gegolten habe, obwohl diese sonst überall römisches Recht zur Anwendung brachten.45 Coke bezog sich dabei auf den chief justice Sir John Fortescue (1394–1479) und dessen 1543 posthum publiziertes einflussreiches De Laudibus Legum Angliae. Das erste Buch von Cokes Institutes enthält ferner den Text Little­ ton of Tenures, versehen mit Cokes Kommentaren. Sir Thomas Littleton (1422–1481) war ein englischer Jurist und Richter. Sein zunächst auf Französisch erschienenes Werk Littleton of Tenures (ca. 1470) war ebenfalls von nachhaltigem Einfluss auf die englische Rechtsgeschichte.46 So wurde die herausragende Bedeutung Littletons auch von dem Juristen William Fulbecke (1560–1603?) betont, denn Littleton sei »nun nicht mehr der Name eines Juristen, sondern das Recht selbst«.47 Auch Francis Bacon (1561–1626), 44  Vgl. R. Tuck, Natural Rights Theories, S.  132. 45  Vgl. Sir E. Coke, Selected Writings, Bd.  I, S.  68. 46  In England wurde das sogenannte Law-French lange Zeit als die juristische Sprache genutzt. Siehe dazu die zeitgenössische Diskussion in J. Davis, Les Reports, Preface [ohne Paginierung, S.  6]: »our books of the law (…) have ever until this day been penned & published in that mixt kind of speech which we call the Law-French«. 47  W. Fullbecke, A Direction, S.  27: »not now the name of a lawyer, but of the law it selfe«. Vgl. auch J. Davis, Les Reports, Preface [ohne Paginierung, S.  10]: »who ever yet hath made any Gloss or Interpretation upon our Master Littleton? though into that little Book of his he hath reduced the principal Grounds of the Common Law, with exceeding great judgement and authority, and with singular method and order«.

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einer der entschiedensten Gegner und »lebenslanger Rivale« Cokes, war voller Lob für Littleton, obgleich er dem Common Law skeptisch gegenüberstand.48 Coke systematisierte wie kein anderer das in unzähligen Rechtsurteilen und Präzedenzfällen gleichsam schlummernde Common Law und machte es damit zugänglicher und anwendbarer. Dieses Recht zu erkennen und auf aktuelle Streitfragen anzuwenden, ist die vornehmste Aufgabe des common lawyer. Er wird dadurch zum Verkünder dieser im Gewohnheitsrecht aufgehobenen künstlichen Vernunft und interpretiert damit zugleich das geltende Gewohnheitsrecht. Damit nahmen die common law­yers und insbesondere Coke für sich eine privilegierte Stellung innerhalb des englischen Rechtssystems in Anspruch, die auch von erheblicher politischer Bedeutung war. Denn es oblag nach dieser Theorie den Richtern des Common Law, dieses Recht zu interpretieren und damit auch Recht zu schöpfen. Sowohl der König, Jakob I., als auch das Parlament sahen sich zwar auf dem verfassungsrechtlichen Boden des Common Law, nahmen aber für sich jeweils in Anspruch, Recht schaffen zu können. Naheliegender Weise empfanden nicht zuletzt auch die civil lawyers Cokes Idealisierung des Common Law und die damit einhergehende Vorrangstellung von Common Law und common lawyers als inakzeptable Anmaßung.49 Es kam unvermeidlich zu einem Kompetenzstreit, der unvermittelt grundsätzliche Fragen über das 48  F. Bacon, The Elements of the Common Lawes, Preface, [ohne Pagi­ nierung, S.  5]: »I had the example of Mr Littleton and Mr Fitzherbert, whose writings are the institution of the laws of England«. T. F. T. Plucknett, Bonham’s Case and Judicial Review, S.  164: »lifelong rival«. Zu Bacon und Coke siehe auch H. Wheeler, The Constitutional Ideas of Francis Bacon, S.  629–633, wo die Gemeinsamkeiten ihrer Auffassungen über die englische Verfassung betont werden. Sowie G. Chanavant, Bacon, Juriste et l’Art du Gouvernement. 49  Vgl. dazu aus der Perspektive der civil lawyers B. P. Levack, The ­Civil Lawyers in England, S.  122–157.

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politische und verfassungsrechtliche Selbstverständnis des englischen Königreichs aufwarf. Es waren diese Fragen, die Hob­bes schließlich in seinem Dialog wiederaufnahm.50 Dabei ist zu beachten, dass bis 1640 – trotz aller Konflikte – weitgehend ein politischer Konsens zwischen den antagonistischen Parteien herrschte, der auf der grundsätzlichen Akzeptanz der Monarchie fußte. Vordergründig wurde über Geld oder, vornehmer formuliert, über konkrete Kompetenzen gestritten, wer wann das Recht besaß, Steuern zu erheben. Für heutige Leser mag das banal klingen, aber das Selbstverständnis des englischen Parlaments lässt sich seit Magna Carta dahingehend zusammenfassen, dass Freiheitsrechte als gesicherte Eigentumsrechte begriffen wurden.51 Das politische System wurde auch deswegen nicht grundsätzlich in Frage gestellt, weil die interessierten politischen Klassen ein sicheres Gespür für die Verteidigung ihrer politischen, sozialen und ökonomischen Privilegien gegenüber dem großen Rest der Bevölkerung besaßen, der weder Zugang zu Eigen­tum noch zu politischer Partizipation hatte. Selbst die Krise (vgl. unten II. b), die 1628 zwischen König Karl I. und dem Parlament offen ausbrach, hatte mit der vom Parlament betriebenen Petition of Right nicht zum Ziel, das bestehende politische System auszuhebeln, sondern das geltende Recht zu bestimmen und so 50  Hobbes unterstellte Coke, er habe die »Absicht die Autorität des Königs herabzusetzen (was er in allen seinen Institutes versucht)«. T. Hob­bes, Dialog, S.  62. Brian Levack sah in Cokes Vorgehen eher eine Ausnahme und behauptete, »conflict was the exception, not the rule«. B. P. Levack, The Civil Lawyers in England, S.  127. Hobbes hatte inzwischen freilich die Eskalation des Bürgerkriegs 1642 und die Hinrichtung Karls I. 1649 erlebt. Die politische Situation der Restaurationszeit, in der er seinen Dia­ log schrieb, war gegenüber der Zeit vor 1640 eine völlig andere. Siehe dazu ausführlicher unten IV. 51  F. H. Relf, The Petition of Right, S.  23: »No idea was more firmly ­fi xed in the minds of men at that time than the right of the individual to property; it was much stronger than it is to-day«. Vgl. auch J. G. A. Pocock, The Commons Debates of 1628, S.  332.

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den König zu verpflichten, es zu befolgen.52 Ein solches Vorgehen war nur unter der Annahme eines bestehenden Konsenses über die politische Organisation Englands möglich. Dieser ruhte nicht zuletzt auf der Idee einer alten, gleichsam zeitlosen Verfassung (ancient constitution) und war insofern nachhaltig vom Common Law getragen. Coke hatte in seinen Reports und Insti­ tutes die Quellen zugänglich gemacht, durch die der Zusammenhang zwischen der Verfassung und dem Common Law begründet ­w urde.53 Diese Konflikte führten aber eben auch in einen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Disput. Auch Jakob I. hatte durchaus noch gesehen, dass ihm das Common Law für seine Herrschaftsansprüche nützte, da es die königliche Gewalt legitimierte. »Das Common Law hat die königliche Prärogative nicht nur begrenzt, sondern auch fundiert. Die Macht des Königs beruhte nicht auf Gewalt, sondern auch auf der Autorität, die das Common Law ihm verlieh. Wenn er und seine Theoretiker das Common Law als unverbindlich behandelten, so zerstörten sie eine der beiden Säulen seiner Macht: Sich bloß auf die Gewalt zu stellen, führte in den Sturz«.54 Dies unterschlägt allerdings die verschiedenen legitimitätsstiftenden Alternativen, wie sie zum Beispiel in den Lehren vom »Divine Right«55 oder – 52  Vgl. dazu ausführlicher G. E. Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  75 und L. S. Popofsky, Habeas Corpus and »Liberty of the Subject«, S.  257–275. Die umfangreichste Studie zur Petition of Right ist immer noch F.  H. Relf, The Petition of Right. 53  Vgl. C. C. Weston, England: ancient constitution and common law, S.  375. 54  M. Kriele, Die Herausforderung des Verfassungsstaates, S.  30. Im Urteil nuancierter ist J.  G.  A. Pocock, The Ancient Constitution, S.  301: »any ›prerogative‹ or ›sovereignty‹ outside the common law was not jurisdiction at all, but an absolute power claimed from the gift of heaven, the law of nature, or a theory of ›conquest‹«. 55  Beispielhaft sind hier für die frühe Regierungszeit Karls I. R. Mayn­ waring, Religion and alegiance und R. Sibthorpe, Apostolike obedience. Vgl. dazu J. P. Sommerville, Politics & Ideology, S.  127–131 sowie insbeson-

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ganz anders akzentuiert – von der auf das Naturrecht gegründeten Hobbes’schen Vertragstheorie offeriert wurden.56 Jakob I. hatte sein absolutistisches Herrschaftsverständnis zwar immer wieder formuliert, bemühte sich zugleich aber auch darum, zu vermeiden, dass es zu einer prinzipiellen Diskussion über das Verhältnis von König und Parlament kam. Während Jakob I. in diesen Konflikten weitgehend behutsam und umsichtig vorging, vermochte Karl I. – wie im Übrigen auch Hobbes – den legitimitätsstiftenden Charakter des Common Law nicht zu erkennen und für sich nutzbar zu machen. Der common lawyer Sir Matthew Hale brachte das in seiner Kritik an Hobbes auf den Punkt, denn es sei »unverantwortlich zu behaupten, daß der ­König, wenn er es für notwendig hält, Gesetze suspendieren oder aufheben kann. Wer eine solche Auffassung vertritt, schwächt die souveräne Gewalt so schlimm wie möglich und verrät sie mit ­einem Kuß«.57 Es ging also bei der Auseinandersetzung um das Recht zur Steuererhebung immer auch um prinzipielle Fragen, da sich Eigentumsrechte und Freiheitsrechte aus Sicht der common lawyers und Parlamentarier gegenseitig bedingten.58 Diese Konfliktpositionen wurden insofern auch als Interpretationen der dere R. Filmer, Patriarcha, S.  45: »da die königliche Gewalt durch das Gesetz Gottes besteht, gibt es kein untergeordnetes Gesetz, das sie beschränken könnte«. Zu Filmer vgl. P. Schröder, The Naturall Power of Kinges Defended against the Unnatural Liberty of the People – Sir Robert Filmers politische Lehre. 56  Zu Hobbes’ Vertrags- und Souveränitätstheorie siehe P. Schröder, Hobbes, S.  37–73. 57  M. Hale, Reflexionen über Hobbes’ Dialogue of the laws, S.  83. Siehe auch D. Saunders, The judicial Persona, S.  156–158. 58  Für Hobbes war jedes Eigentum vom Souverän abhängig, denn erst der Staat schaffte die rechtlichen Bedingungen für den tatsächlichen und rechtlichen Schutz persönlichen Eigentums. Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXIV), S.  210  f. Diese Position wird von ihm im Dialog wiederholt. Vgl. T. Hobbes, Dialog, S.  151. Im Dialog mokiert Hobbes sich auch über Coke und dessen schwerfällige Argumente über Eigentum und Eigentums­

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englischen Verfassung formuliert und dadurch auf einer grundsätzlichen Ebene ausgetragen, die das politische Gleichgewicht des englischen Staates betraf.

II. a)  Dr. Bonham’s Case Selbst an zunächst eher beiläufig anmutenden Rechtsfällen, wie etwa Dr. Bonham’s Case von 1610, der die Verweigerung der Lizenzvergabe an den Arzt Bonham durch das College of Physicians verhandelte,59 wurde die verfassungsrechtliche Bedeutung des Common Law von Coke exemplifiziert. Er führt explizit aus: Da das Urteil über Bonham gegen Recht und Vernunft verstoße, solle es durch das Common Law rechtlich entschieden werden und die entsprechende Parlamentsakte als in diesem Punkt ungültig erklärt werden.60 Coke behauptete nichts Geringeres, als dass das Common Law seine künstliche Vernunft (artifical reason) in sich selbst enthielte und durch Männer wie ihn zur konkreten Anwendung gebracht werden könne, was schließlich auch dazu führen könne, vom Parlament verabschiedete Gesetze (statute law) für ungültig zu erklären.61 Damit wird den common law­yers die Kompetenz einer richterlichen Überprüfung (judicial delikte. Vgl. T. Hobbes, Dialog, S.  29 und S.  91  f. Vgl. M. Lobban, Thomas Hobbes and the Common Law, S.  40 und S.  61  f. 59  Eine detaillierte Darstellung des ursprünglichen Rechtsstreits findet sich in T. F. T. Plucknett, Bonham’s Case and Judicial Review, S.  152  f. 60  Sir E. Coke, Dr Bonham’s Case, in: ders., Selected Writings Bd.  I, S.  276: »because it shall be against right and reason, the Common Law shall adjudge the said Act of Parliament as to that point void«. 61  Eine umfassende Analyse von Cokes Vorgehen und seiner (historischen) Begründung für die »schiedsrichterliche Funktion« des Common Law findet sich in T. F. T. Plucknett, Bonham’s Case and Judicial Review, S.  154–168. Siehe auch J. U. Lewis, Sir Edward Coke (1552–1634): His Theory of »Artificial Reason«, S.  120: »it is the law not men that ought to be sovereign«.

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review) zugestanden, in deren Konsequenz es zu liegen schien, Recht – potentiell selbst gegen vom Parlament verabschiedete Gesetze – zu schaffen. Die häufig zitierte Stelle (»the Common Law shall adjudge the said Act of Parliament as to that point void«) aus diesem berühmt gewordenen Fall62 (der zunächst im Band 8 der Reports von Coke publiziert wurde) macht den besonderen Charakter des Common Law anschaulich, von dem behauptet wurde, es stehe als Fundamentalgesetz über den Regierungsgewalten und der legislativen Gewalt des Parlaments. Insbesondere anhand von Dr Bonham’s Case entwickelte Coke seine politische Theorie, die darauf hinauslief, mit dem Common Law und seinen Richtern gleichsam eine dritte Entscheidungsinstitution zu etablieren, die namentlich bei verfassungsrechtlichen Streitfragen zwischen Krone und Parlament als Schlichtungs- und Entscheidungsinstanz eingreifen konnte.63 An derlei Positionen Cokes über das Common Law entzündete sich der Konflikt zwischen Coke und dem Lordkanzler Thomas Egerton, First Baron Ellesmere (1540–1617, im Amt von 1596–1617), dem das Justizwesen unterstand. Seit 1606 kam es wiederholt zu Streitigkeiten zwischen Coke, der die Suprematie des Common Law vertrat, und Ellesmere, der auf der Suprematie des von ihm als Lordkanzler selbst angeführten königlichen Kanzleigerichts (Chancery) gegenüber dem Common Law bestand.64 Das Kanz­ 62  Vgl. die Ausführungen des Herausgebers S. Sheppard zu Dr Bon­ ham’s Case in Sir E. Coke, Selected Writings Bd.  I, S.  264: »This is, perhaps, Coke’s most famous case and most famous report, although he likely did not see it as startling as it would be thought of in later generations«. 63  T. F. T. Plucknett, Bonham’s Case and Judicial Review, S.  151: »His [Cokes] theory reaches its final expression (…) in Bonham’s Case. (…) The solution which Coke found was the idea of a fundamental law which limited Crown and Parliament indifferently«. Vgl. auch G. E. Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  49. 64  Vgl. dazu Sir J. Baker, The Common Lawyers and the Chancery: 1616, S.  259 und L. A. Knafla, Les Enfants Terribles: Coke, Ellesmere, and the Supremacy of the Chancellor’s Decree.

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lei­gericht war gleichzeitig das höchste jener Gerichte, die Rechtsstreitigkeiten nach Billigkeit (equity) verhandelten. Die equity courts entschieden in Streitfällen nicht nach zuvor festgelegtem Gesetz, sondern folgten einem durch die Billigkeit gegebenen – allerdings nicht klar bestimmten – Ermessensspielraum.65 Selden vermerkte in seinen Table Talks ironisch, Billigkeit sei im Gesetz, was der Geist in der Religion sei, denn ein jeder könne sie nach eigenem Belieben auslegen. Billigkeit sei eine schalkhafte Sache (»equity is a roguish thing«), denn während es im Gesetz klar bestimmte Maßstäbe gebe, hinge die Billigkeit zu sehr vom individuellen Gewissen des Richters ab und werde somit zu einem unsicheren und willkürlichen Beurteilungskriterium.66 Wie Selden stand auch Coke dem individuellen Ermessensspielraum des Kanzleigerichts kritisch gegenüber. Die nach dem Common Law entscheidenden Gerichte (das höchste der Common-Law-Gerichte war der Court of Common Pleas, dem Coke als Chief Justice of Common Pleas von 1606–1613 vorstand) sah Coke gegenüber dem Kanzleigericht als überlegen an, da er die Billigkeit als angemessenes Kriterium der Entscheidungsfindung in Frage stellte.67 65  Vgl. W. J. Jones, The Crown and the Courts in England, S.  285  f. 66  J. Selden, Table Talks, S.  148  f. Hobbes vermengte in offenbarer polemischer Absicht die Entscheidungsfindungen der Common-Law-Gerichte mit den Entscheidungen der equity courts. T. Hobbes, Dialog, S.  45: »Auch die Vielfalt und Widersprüchlichkeit in den Urteilen des Gemeinen Rechts lassen die Leute oft auf einen Sieg in Fällen hoffen, in denen sie vernünftigerweise überhaupt keinen Grund dafür hätten. Das gilt auch für die Unwissenheit bezüglich der Billigkeit in ihren eigenen Fällen. Nicht einer unter tausend hat sich jemals bemüht herauszufinden, was Billigkeit bedeutet«. 67 Hobbes unterstreicht die, wenn auch offenbar nur marginal unterschiedliche Auffassung über Bedeutung und Stellenwert der Billigkeit (equity) im englischen Rechtssystem zwischen dem Philosophen und Coke in seinem Dialog. Der entscheidende Unterschied berührt einmal mehr die Souveränitätsfrage und der Philosoph kommt »zu dem Schluss,

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Zur offenen Konfrontation zwischen den höchsten Richtern der Stuart-Monarchie, dem Lord Chancellor Ellesmere und dem Chief Justice of the King’s Bench (1613–1616) Coke, kam es 1616.68 Anhand dieses Konflikts lassen sich die grundsätzlichen Fragen, die Hobbes Jahrzehnte später in seinem Dialog wieder behandelt, klar erkennen und zusammenfassen. Bacon, der Elles­ meres Amt als Lordkanzler nach dessen Tod übernahm, sekundierte ihm in diesem Konflikt und hielt sich auch mit persönlichen Beleidigungen gegenüber Coke nicht zurück.69 Schon in seinen zuerst 1597 publizierten Essays war er auf den grundsätzlichen Konflikt, den das Common Law für die englische Verfassung bedeutete, zu sprechen gekommen, denn »Richter [Coke, der zu dieser Zeit (1594–1606) Attorney General war, ist hier sicherlich auch gemeint] sollten sich daran erinnern, daß es ihr dass Gesetzmäßigkeit dem Gesetz Genüge tut, Billigkeit hingegen das Gesetz interpretiert und die aufgrund desselben Gesetzes gefällten Urteile ergänzt. Hierin weiche ich nicht viel von der Definition der Billigkeit, die Sir Coke in Inst., I, Sect. 21, anführt, ab, sie lautet nämlich: ›Billigkeit ist eine gewisse höhere Vernunft‹, die das geschriebene Gesetz interpretiert und ergänzt. Allerdings lege ich dies ein wenig anders aus als er. Denn niemand außer dem, der das Gesetz geschaffen hat, kann es ergänzen, und daher sage ich nicht, dass gemäß der Billigkeit das Gesetz verbessert wird, sondern nur, dass die fehlerhaften Gerichtsurteile korrigiert werden«. T.  Hobbes, Dialog, S.  67. Vgl. zur Bedeutung der Billigkeit für H ­ obbes’ Souveränitätstheorie auch unten Abschnitt IV. 68  Die nominelle Beförderung von Coke vom Chief Justice of Common Pleas zum Chief Justice of the King’s Bench reduzierte seinen Handlungsspielraum in der Auseinandersetzung mit Ellesmere und den Ansprüchen des Kanzleigerichts (Chancery), da er von der King’s Bench aus weniger Einfluss auf diese Vorgänge nehmen konnte. Vgl. auch G. E. Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  49: »Coke was promoted; he was really ›­k icked upstairs‹ from Common Pleas to the Court of King’s Bench«. Die Vermutung, dass Bacon hinter dieser Beförderung Cokes durch Jakob I. stand, ist durchaus plausibel, auch wenn sie nicht belegt ist. 69  Vgl. dazu Sir J. Baker, The Common Lawyers and the Chancery: 1616, S.  268–272.

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Amt ist, jus dicere, und nicht jus dare, das Gesetz auszulegen, nicht das Gesetz zu schaffen oder Gesetze zu geben«.70 Von Ellesmere und Bacon wurde eine alternative Rechtsauffassung gegenüber derjenigen von Coke entwickelt, die die Kompetenzen der Common-Law-Richter deutlich begrenzte und selbst die verfassungsrechtliche Stellung des Common Law als nicht veränderbares Fundamentalgesetz zur Disposition stellte.71 Ellesmere hatte Cokes diesbezügliche Ansichten im Einzelnen widerlegt.72 Wie später Hobbes73 betrachtete auch Bacon die Richter als Die70  F. Bacon, Essays, S.  120. 71  G. E. Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  50. Siehe dagegen H. Wheeler, The Constitutional Ideas of Francis Bacon, S.  936: »Bacon[’s] (…) representation of (…) the constitution (…) differs in no important respect from the constitutional views of Sir Edward Coke«. 72  Ellesmere, T. Egerton First Baron, The Lord Chancellor Egerton’s observations upon ye Lord Coke’s reports. Dieser Text wurde erst 1710 publiziert. Inwieweit er Einfluss auf die Entwicklungen um 1616 hatte, ist nicht genau zu sagen. Die Position Ellesmeres gegen Coke wird hier aber deutlich. Ellesmere schrieb dort gleich zu Beginn seiner Ausführungen: »It is to be observed throughout all his bookes, That he hath as it were purposely Laboured to derogate much from the Rights of the Church and dignitye of churchmen, and to disesteeme and weaken the power of ye King in the ancient use of his Prerogative. To traduce or els cutt short the Iurisdiction of all other Courts but of that Court wherein himselfe doth sitt«. Ellesmere, The Lord Chancellor Egerton’s observations upon ye Lord Coke’s reports, S.  297. 73  Hobbes war mit Bacon bekannt (nach seinem Studium in Oxford (Magdalen Hall) arbeitete er für ihn sogar als Sekretär) und wurde von dessen Wissenschafts- und Rechtsverständnis beeinflusst. J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  602  f.: »The Lord Chancellor Bacon loved to converse with him [Hobbes]. He assisted his Lordship in translating severall of his essays into Latin (…). His Lordship would often say that he better liked Mr Hobbes’s taking his thoughts, than any of the others, because he understood what he wrote«. Vgl. auch T. Hobbes, Correspondence, S.  194  ff. und S.  628  f. Nur wenige Studien untersuchen den Einfluss von Bacon auf Hobbes. Siehe insbesondere R. Bunce, Thomas Hobbes’ Relationship with Francis Bacon und A. Huxley, The Aphorismi and A discourse

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ner des Königs, die weder einen Anspruch darauf erheben konnten, über die Entscheidungen des Königs zu richten, noch, durch Richterspruch in die Legislative einzugreifen.74 Bacon verteidigte die Prärogative des Königs, die ihn über das Parlament und das Common Law stellte.75 Wir finden damit bei Bacon eine ganz ähnliche Auffassung über das Common Law und königliche Souveränitätsrechte, wie sie später auch von Hobbes in seinem Dialog vertreten wird. Für Bacon war die Prärogative allerdings Teil des englischen Rechts. In dieser Hinsicht sind am ehesten die Unterschiede zwischen Bacon und Hobbes erkennbar. Dieser bereits lange schwelende Streit zwischen dem common lawyer Coke und dem Lordkanzler Ellesmere (und Bacon) wurde zunächst gegen Coke entschieden. König Jakob I. griff mit dem of laws: Bacon, Cavendish, and Hobbes, 1615–1620. L. v. Apeldoorn, On the person and office of the sovereign in Hobbes’ Leviathan, diskutiert am Rande den Einfluss von Coke und Bacon auf Hobbes’ Souveränitätsverständnis. Gerade angesichts von Hobbes’ Dialog über das Common Law und Aubreys Zeugnis ist Malcolms Einschätzung, es sei »hard to find any evidence of a strong or direct Baconian influence on the substance of Hob­ bes’s later philosophy«, ein wenig unverständlich. N. ­Malcolm, ­Aspects of Hobbes, S.  6. 74  Eine klare Gewaltenteilung, wie sie uns heute geläufig ist, gab es im frühen 17. Jahrhundert noch nicht. Viel eher wird man sagen können, dass die hier beschriebenen Konflikte nicht unerheblich zur Ausbildung der klassischen Gewaltenteilungslehre, wie sie dann bald in der Rechtsphilosophie von Harrington, Locke und Montesquieu entwickelt wurde, beigetragen haben. Montesquieu hatte in seinem Esprit de Lois ausdrücklich die englische Verfassung als besonders vorbildlich gewürdigt, da hier Gewaltenteilung und politische Freiheit verwirklicht seien. C.-L. de Secondat Baron de La Brède et de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, übersetzt und hg. v. E. Forsthoff, Tübingen 1992 (XI-6), S.  214–229. 75  F. Bacon, View of the Differences, S.  373: »in the King’s prerogative there is a double power. One which is delegate to his ordinary judges in Chancery or Common Law; another which is inherent in his own person, whereby he is the supreme judge both in Parliament and all other Courts; and hath power to stay suits at the common law«.

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Verweis auf die königliche Suprematie 1616 in den Kompetenzstreit des englischen Justizwesens ein und erklärte: »Könige sind eigentlich Richter, wie ihnen auch die Urteilsfindung von Gott übertragen worden ist«.76 Damit gab der König seinen Richtern und Beamten zu verstehen, dass ihm die höchste Entscheidungskompetenz auch innerhalb des komplizierten Justizwesens zustand, das mit seinen konkurrierenden Gerichtshöfen ein Labyrinth der Rechtsprechung geschaffen hatte. Coke wurde zunächst von seinen richterlichen Ämtern suspendiert und dann noch im gleichen Jahr entlassen. »Die Bedeutung von Cokes Entlassung 1616 liegt darin, dass sie das Ende einer Art dreipoligen Verfassungsdebatte zwischen Krone, Parlament und Common Law bedeutet. Von nun an war Cokes Versuch gescheitert, das Common Law als eine Art unabhängiger ›dritter Kraft‹ zu etablieren«.77 Die Prärogative des Königs war damit aber keineswegs grundsätzlich akzeptiert. Es blieb eine offene und umstrittene Frage, wie weit die königliche Prärogative reiche. Vom Parlament wurden nach wie vor Rechtsansprüche erhoben, die eine absolute Monarchie im Sinne absoluter Souveränitätsrechte des Königs prinzipiell ausschlossen. Dabei sollte Coke noch einmal eine zentrale Rolle spielen,78 die ihm die Möglichkeit eröffnete, im Namen des Parlaments das Common Law erneut gegen die Ansprüche der Krone ins Feld zu führen. 76  James VI. / I., A Speech in the Starre-Chamber, S.  205: »Kings are properly Iudges, and Iudgement properly belongs to them from God«. 77 G.  E . Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  51: »The significance of Coke’s dismissal in 1616 is that it marks the end of any kind of three-cornered constitutional debate: that is between Crown, Parliament, and Common Law. From then on, Coke’s attempt to erect the common law into a kind of independent ›third force‹ collapsed«. 78  Cokes Comeback ist erstaunlich, denn angesichts eines derartigen Status- und Prestigeverlusts, den die Entlassung 1616 bedeutet hatte, liegt die Vermutung nahe, dass ein derartiger Vorfall das Ende der Karriere Cokes nahegelegt hätte.

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Corinne Weston behauptet dagegen, Jakob I. sei ein souveräner Monarch im Sinne von Bodins Souveränitätstheorie gewesen.79 Das ist eine Übertreibung. Dass über die Souveränitätsfrage in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts heftig gestritten wurde, bedeutet, dass es zur Zeit der Stuarts eine Parteinahme zugunsten der Auffassung vom König als absolutem Souverän gab, wie wir sie zum Beispiel, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungsstrategien bei Bacon, Robert Filmer (1588–1653) oder Hobbes finden.80 Aber die Parteigänger des Königs vermochten es nicht, diese Ansprüche einer absolutistischen Herrschaftsauffassung auch nur theoretisch gegenüber dem Parlament und dem Common Law durchzusetzen. Noch viel weniger war es möglich, ihr durch die Herrschaftspraxis der Stuart-Könige Geltung zu verschaffen.

II. b)  Die Forced Loan und die Petition of Rights Genau dies versuchte Karl I. aber, nachdem er 1625 die Thronfolge angetreten hatte. Es ging zunächst wieder einmal um den nur zu vertrauten Versuch, Gelder für die königliche Politik vor79 C. C. Weston, England: ancient constitution and common law, S.  389  f. »the English King (…) was an absolute sovereign with no companions in lawmaking. Though the two houses [das Ober- und Unterhaus des englischen Parlaments] seemed to have great liberty, their role was limited even in lawmaking; they proceeded by way of supplication and request to the king, and he had a complete power of veto«. Wesentlich zurückhaltender (und nuancierter) in seinem Urteil ist dagegen G. Burgess, Absolute Monarchy, S.  52: »›absolutism‹ is a concept that runs against the grain of early Stuart understanding of monarchy. In essence, monarchs were limited (and subject to common law)«. Vgl. auch P. Koschaker, ­Europa und das römische Recht, S.  177. 80  Vgl. zu den Unterschieden zwischen Filmer und Hobbes P. Schröder, The Naturall Power of Kinges Defended against the Unnatural Liberty of the People – Sir Robert Filmers politische Lehre, S.  X X–XXIV.

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bei am Parlament zu akquirieren.81 Denn Karl I. wurde die Zoll­ einnahme (Tonnage and Pundage), die üblicherweise vom Parlament dem König auf Lebenszeit gewährt wurde (Jakob I. wurde sie zum Beispiel 1604 in dem ersten von ihm einberufenen Parlament gewährt), nur für die Dauer eines Jahres gebilligt. Nicht zuletzt wegen eines halbherzig geführten Seekriegs mit Spanien benötigte der König erhebliche finanzielle Mittel. Frustriert und wohl auch taktisch unklug löste Karl I. das Parlament bald wieder auf. Allerdings berief er bereits 1626 erneut ein Parlament ein, denn seine Finanzsorgen wuchsen angesichts steigender Ausgaben, da der Krieg mit Spanien intensiviert wurde.82 Im Oberhaus, dem House of Lords, formierte sich eine Partei gegen den Duke of Buckingham. Karl I. gelang es erneut nicht, ein positives Votum für die dauerhaften Zolleinnahmen zu erlangen – diesmal wurden sie ihm nicht einmal für die Dauer eines Jahres zugestanden. Stattdessen wurde unter der Federführung von Sir Eliot vom Unterhaus, dem House of Commons, und unter der juristischen Expertise von John Selden ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen Buckingham angestrebt. Um Buckingham zu schützen, löste Karl I. das Parlament erneut auf, bevor es etwas in dem Amtsenthebungsverfahren hatte erreichen können.83 Das einzig spürbare Ergebnis war eine zunehmend vergiftete Atmosphäre zwischen dem König und seinem Parlament. 81  England wird in der englischen Literatur hier irrtümlich oft als Sonderfall dargestellt. Es handelt sich aber eher um ein typisches Phänomen in Europa und hängt mit der Entstehung vormoderner Staatlichkeit zusammen, dass monarchische Obrigkeiten in dieser Zeit erfinderisch wurden, um Gelder an den Ständeversammlungen vorbei zu akquirieren. Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S.  217  f. 82  Der Duke of Buckingham, der schon unter Jakob I. die Politik maßgeblich bestimmte, hatte in seiner Funktion als Lord High Admiral gemeinsam mit den Holländern einen Überfall auf Cádiz geplant, der dann im November 1625 unter der militärischen Führung von Sir Edward Cecil und Robert Devreux kläglich scheiterte. 83  Vgl. J. S. Flemion, The dissolution of parliament in 1626.

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Angesichts dieser Situation und steigender Kriegskosten84 schritt Karl I. zu dem Mittel einer sogenannten erzwungenen Anleihe (forced loan). Dieses Instrument hatten auch frühere Monarchen genutzt, um kurzfristig und ohne vorhergehenden Parlamentsbeschluss Gelder zu akquirieren. Aber Karl I. betrieb dies in bislang ungekanntem Ausmaß und stieß damit zunehmend auf den Widerstand derjenigen seiner Untertanen, die zur Zahlung aufgefordert wurden. Selden bemerkte in seinen Table Talks lakonisch, Könige hätten zu allen Zeiten illegale Maßnahmen genutzt, um Gelder zu akquirieren. Erst als das Parlament eingeführt wurde, sei es zu einem gütlichen Ausgleich zwischen König und Volk gekommen.85 Es schien, dass Karl I. nun wieder auf derlei illegale Auswege zurückgriff. Dieser Eindruck musste unbedingt vermieden werden. Durch Betreiben von Bischof William Laud (1573–1645), der 1633 von Karl I. zum Erzbischof von Canterbury ernannt wurde und einer der entschiedensten Gefolgsleute des Königs war, predigten verschiedene Kleriker öffentlichkeitswirksam am Hof des Königs, um seine Finanzpolitik zu unterstützen.86 Der Hofprediger Roger Maynwaring (1589/1590– 1653) vertrat dabei eine besonders radikale Position und begründete die königliche Souveränität ausdrücklich mit der Lehre des 84  1626 ließ sich der König ohne Not auf ein waghalsiges außenpolitisches und militärisches Abenteuer in Frankreich ein, um die bedrängten Hugenotten in La Rochelle gegen Kardinal Richelieu zu unterstützen. England war dadurch zugleich mit Spanien und Frankreich im Krieg, wobei Frankreich traditionell in dem Gleichgewicht der europäischen Kräfte das wichtigste Gegengewicht zu Spanien war und England somit in eine ungünstige Situation geriet. 85  J. Selden, Table Talks, S.  198: »In all times Princes in England have done something illegal to get Money: but then came Parliament and all was well; The People and the Prince kissed and were friends, and so things were quiet for a while«. 86  Umfassend dazu R. Cust, The forced loan and English politics. Predigten wurden von Matthew Wren, Isaac Bargrave, Robert Sibthorpe und Roger Maynwaring am Hof gehalten.

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göttlichen Rechts (divine right), nach der der Monarch absoluter Herrscher und Stellvertreter Gottes auf Erden sei. Jakob I. war einer der prominentesten Vertreter dieser Lehre gewesen. Jedoch hatte er noch davon Abstand genommen, konkrete königliche Rechte (wie insbesondere das Recht, Steuern zu erheben) im politi­schen Tagesgeschäft mit dieser Theorie zu begründen. Maynwaring ging nun aber so weit, dem König aufgrund dieser Lehre ein unumschränktes Recht, Steuern zu erheben, zu­ zusprechen. Dabei wandte er sich ausdrücklich gegen das Recht des Parlaments, Steuern zu bewilligen.87 Es sei die Obliegenheit einer solchen Versammlung, die Steuererhebungen des Königs effizient umzusetzen.88 Das Herrschaftsrecht sei den Königen durch Gottesgnadentum gegeben und nicht durch Zustimmung der Untertanen gewährt worden.89 Jeder Widerstand gegen königliche Befehle sei sündhaft.90 In seiner zweiten Predigt konzen87  Die königliche Herrschaft als von Gott gegeben aufzufassen, war zu dieser Zeit durchaus nicht unüblich, wohl aber die radikalen Konsequenzen (also etwa dem Parlament das Steuerbewilligungsrecht rundheraus abzusprechen), die Maynwaring aus dieser Lehre zog. Selbst Filmer, der Patriarcha in etwa zu dieser Zeit schrieb, war in seinen Formulierungen zurückhaltender. Vgl. R. Filmer, Patriarcha, S.  50  f. G. Burgess, Absolute Monarchy, S.  114: »There are very few divine-rights theorists whose ideas were at all close to those of Manwaring [sic] and Sibthorpe«. 88  R. Maynwaring, Religion and Alegiance, First Sermon, S.  26: »know we must, that, ordained they [assemblies] were not to this end, to contribute any Right to Kings, whereby to challenge Tributary aydes and Subsi­ diary helps; but for the more equall Imposing, and more easie Exacting of that, which, unto Kings doth appertaine«. 89  R. Maynwaring, Religion and Alegiance, First Sermon, S.  13: »The power of Princes (…) is both Naturall, and Divine, not from any consent or allowance of men«. 90  R. Maynwaring, Religion and Alegiance, First Sermon, S.  17  f.: »his Souveraigne will (which gives binding force, to all his Royall Edicts, concluded out of the Reason of State, and depth of Counsell) who may resist it, without incurable waste and breach of Conscience? (…) he who resists commits a sinne«. Zur Bedeutung der Religion für Hobbes’ politische

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trierte sich Maynwaring auf religiöse Fragen, redete den Unter­ tanen damit aber gezielt und im wahrsten Sinne des Wortes ins Gewissen. Das mag uns heute als weniger politisch erscheinen, war aber im siebzehnten Jahrhundert – wie auch Hobbes wusste – noch die ungleich erfolgreichere Strategie, das Verhalten der Menschen zu lenken.91 Die Predigt von Robert Sibthorpe (?–1662), wie auch die von Maynwaring, wird nicht erst in der modernen Forschung als Ausdruck absolutistischer Staatsauffassung gewertet. Bereits Locke polemisierte gegen die beiden als frühe Vertreter des Absolutismus von Gottes Gnaden.92 Sibthorpes Predigt wurde unter dem Titel Apostolike obedience: Shewing the duty of subiects to pay tribute and taxes to their princes publiziert. Auch Sibthorpe vertrat das Recht des Königs, Steuern zu erheben, selbst wenn sie übertrieben oder ungerecht wären – die Untertanen seien verpflichtet sie zu zahlen.93 Grundsätzlich hätten die Untertanen in allen staatlichen und weltlichen Angelegenheiten dem König »absoluten Gehorsam« zu erweisen.94 Sibthorpe geht nicht nur Lehre siehe T. Hobbes, Leviathan (XLIII), S.  492  f. und T. Hobbes, Behemoth, S.  19 sowie P. Schröder, Behemoth or the Long Parliament, S.  X XI  f. und D. Schotte, Die Entmachtung Gottes durch den Leviathan, S.  75. 91  Vgl. R. Maynwaring, Religion and Alegiance, Second Sermon, S.  12. Siehe auch L. Perille, Harnessing Conscience for the King. 92  J. Locke, Abhandlung über die Regierung (I-5), S.  68. Auch Algernon Sidney argumentierte zur gleichen Zeit wie Locke während der sogenannten Exclusion Crisis ganz ähnlich. A. Sidney, Discourses concerning Government, S.  11: »The production of Laud, Manwaring, Sybthorpe, ­Hobbes, Filmer, and Heylyn seems to have been reserved as an additional curse to compleat the shame and misery of our age and country«. 93  R. Sibthorpe, Apostolike obedience: Shewing the duty of subiects to pay tribute and taxes to their princes, S.  16: »if a Prince impose an immoderate, yea an unjust Taxe, yet the subject may not thereupon withdraw his obedience and dutie; Nay he [der Untertan] is bound in conscience to submit«. 94  Ebd., S.  15: »absolute obedience to Princes in all civill or temporal things«.

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grundsätzlich auf das Recht ein, Steuern oder Tribute zu erheben, sondern erwähnt auch ausdrücklich das Instrument der Anleihe (loan).95 Auch in dieser Predigt wird vor allem die Gehorsamspflicht der Untertanen gegenüber dem König betont und mit der Gewissensfrage einer christlichen Lebensführung verknüpft. Nicht zuletzt die Reaktion von Bischof Laud verweist auf bestehende Unterschiede – die sich insbesondere aus Maynwarings frontalem Angriff auf die Rechte des Parlaments ergaben – zwischen den Predigten von Manywaring und Sibthorpe. Denn Laud riet von der Publikation der Predigten Maynwarings ab, da sie seiner Ansicht nach in ihrer Diktion zu provokativ waren.96 Obwohl Maynwaring sie aufgrund der Instruktionen von Laud gehalten hatte, schienen sie Laud aus politisch-taktischen Gründen der Sache des Königs nicht förderlich. Karl I. war von Maynwarings Predigten aber angetan und es gelang Laud nicht, ihn davon zu überzeugen, die Druckerlaubnis zu verweigern.97 Die Publikation von Sibthorpes Predigt befürwortete Laud hingegen. Denn die Überzeugung, dass die Untertanen verpflichtet waren, dem König außergewöhnliche Steuern zu zahlen, wenn das von ihnen gefordert wurde, teilten Manywaring, Sibthorpe und Laud gleichermaßen.98 95  Ebd., S.  19. 96  M. Parry, William Laud and the Parliamentary Politics of 1628–9, S.  143: »It fell, therefore, to the bishop of London, George Montaigne, to license the sermon for publication on the king’s orders, though it should be noted that when parliament investigated this in 1628, Montaigne claimed to have done so on Laud’s written instruction, something Laud admitted though with the defence, corroborated by the earl of Montgomery, that he had written the letter from Woodstock at the king’s command«. 97  J. P. Sommerville, Politics & Ideology, S.  129: »there can be no doubt whatever that Charles agreed with Maynwaring’s ideas«. 98  M. Parry, William Laud and the Parliamentary Politics of 1628–9, S.  143: »Robert Sibthorpe’s sermon, which was more measured in tone, but which, nevertheless, endorsed Laud’s own views as to subjects’ obligations to supply their king with ›tribute‹, he was happy to see published«.

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Obwohl der Landadel (landed gentry) zu dieser Zeit gemeinhin noch grundsätzlich königstreu war und die meisten Untertanen die geforderten Gelder zur Verfügung stellten, überzeugten diese Argumente doch längst nicht alle. Eher ist sogar zu vermuten, dass sie aufgrund ihrer Radikalität kontraproduktiv waren.99 Über siebzig Landadlige, die sich aus prinzipiellen politischen und verfassungsrechtlichen Gründen weigerten, der Zahlung der forced loan nachzukommen, wurden daraufhin inhaftiert. Damit wurde der Versuch des Königs, ohne die Einberufung eines Parlaments umstrittene Steuern einzutreiben, zu einem skandal­ umwit­terten Politikum. Der König hatte nicht damit gerechnet, dass die forced loan zu einem bemerkenswerten Rechtsstreit führen würde, bei dem es schnell um prinzipielle, verfassungsrechtliche und damit hoch politische Fragen ging. Insbesondere die königliche Prärogative wurde alsbald Gegenstand der Kontroverse. Wie kam es zu dieser für die Monarchie misslichen Wendung? Sir Thomas Darnel und vier weitere Adlige (knights), die wegen ihrer Zahlungsverweigerung verhaftet worden waren, klagten mit Verweis auf das Common Law gegen die Krone, die sie willkürlich gefangengesetzt habe.100 Ihre Verteidigung, die von John Selden geführt wurde, stützte sich auf die Magna Carta.101 Das Argument der Verteidigung lautete, dass das Privy Coun­ cel im Namen des Königs niemanden ohne einen zuvor festgestellten Rechtsbruch verhaften könne. Die Magna Carta garantierte die persönliche Freiheit und den Schutz vor unrechtmäßi99  Vgl. dazu G. Burgess, Absolute Monarchy, S.  110  f. 100  Sir John Corbet, Sir Walter Earle, Sir John Heveningham und Sir Hampden waren die anderen Kläger. Der Prozess begann am 22. November 1627. 101  Selden standen die bekannten Juristen Noy, Bramston und Calthrop zur Seite. Relf bezeichnete diese als »some of the best lawyers of the time«. F. H. Relf, The Petition of Right, S.  3. Vgl. auch P. Christianson, John Selden, the five knights’ case and discretionary imprisonment.

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ger Verhaftung (habeas corpus).102 Hierbei ist zu beachten, dass im frühen 17. Jahrhundert habeas corpus kein Rechtstitel, sondern eine vom König erwiesene Gnade war (King’s grace). Sie forderten daher die Freilassung gegen Kaution (bail). Das Parlament habe kein Gesetz (statute) verabschiedet, das von den Angeklagten gebrochen worden sei. Die forced loan sei umstritten und daher bestünde, so Selden, keine Grundlage dafür, Darnel und die anderen Angeklagten festzuhalten. Auch könne nicht auf die Staatsräson verwiesen werden, denn es liege hier kein Fall von Hochverrat vor, der eine Geheimhaltung des Verhaftungsgrundes rechtfertigte. Das Gericht (King’s Bench) verweigerte die Freilassung der Angeklagten auf Kaution. Der chief justice Sir Nicholas Hyde (1572–1631) war der vorsitzende Richter der King’s Bench.103 Ihm standen drei weitere Richter zur Seite. Die King’s Bench entschied zunächst zu Gunsten der Krone, ohne allerdings so weit zu gehen, der Krone ein unbedingtes Recht auf Verweigerung der Haftungsbegründung zu erteilen. Damit entstand kein endgültiges Urteil, vielmehr verwies das Gericht den Fall zurück an den 102  W. Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Bd.  3, S.  129 und S.  131: »The writ of habeas corpus, the most celebrated writ in the English law. (…) But the great and efficacious writ in all manner of illegal confinement, is that of habeas corpus ad subjiciendum; directed to the person detaining another, and commanding him to produce the body of the prisoner with the day and cause [Selden hatte genau hierauf abgehoben, dass das Gericht den Grund für die Verhaftung anzugeben habe] of his caption and detention, ad faciendum, subjiciendum, et recipiendum, to do, submit to, and receive, whatsoever the judge or court awarding such writ shall consider in that behalf. This is a high prerogative writ, and therefore by the common law issuing out of the court of king’s bench not only in termtime, but also during the vacation, by a fiat from the chief justice or any other of the judges, and running into all parts of the king’s dominions«. 103  Nicholas Hyde war der Onkel von Edward Hyde (1609–1674), später 1st Earl of Clarendon, der mit Hobbes bekannt war und dann zu einem seiner Kritiker aus dem royalistischen Lager wurde.

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­ önig, der die Gründe für die Verhaftung anzugeben habe, anK gesichts derer schließlich ein Urteil gefällt werden könne. Dieser Rechtsstreit ist als Five Knights’s Case beziehungsweise als Dar­ nel’s Case in die englische Rechtsgeschichte eingegangen, wurde aber von den Zeitgenossen gemeinhin als »the late habeas corpus case« bezeichnet. Seldens Verteidigung stützte sich auf grundsätzliche verfassungsrechtliche Überlegungen, die in ihrer Reichweite von der Krone als Einschränkung ihrer Prärogative gesehen werden mussten. Aus Sicht der Krone sollte unter allen Umständen vermieden werden, dass über die Rechtmäßigkeit der forced loan ein Gerichtsurteil durch die King’s Bench gefällt würde. Deswegen konnte der Grund der Verhaftung, nämlich die forced loan nicht entrichtet zu haben, nicht angegeben werden, denn dies hätte unweigerlich zu einer gerichtlichen Bewertung der forced loan geführt. Durch die taktische Wendung, die durch Seldens Verteidigung eingeschlagen worden war, war das nun nicht mehr auszuschließen und zu einer ernsten Bedrohung geworden. Karl I. wurde daher von Buckingham, Laud und anderen seiner Berater aus strategischen und pragmatischen Gründen nahegelegt, angesichts dieser Entwicklung seinen konfrontativen Kurs aufzugeben und durch die Einberufung eines Parlaments einen Kompromiss zu suchen. Dies geschah im Frühjahr 1628, das Parlament tagte mit Unterbrechungen von März bis Juni. Alle 76 der wegen ihrer Zahlungsverweigerung Verhafteten wurden kurz vor der Einberufung des Parlaments am 2. Januar 1628 aus dem Gefängnis entlassen. Das Unterhaus (House of Commons) wurde im Wesentlichen von dem moderaten und eher königstreuen Sir Thomas Wentworth (1593–1641) angeführt. Ihm stand mit ähnlichem Einfluss Sir Edward Coke zur Seite, der nach seiner Entlassung 1616 (siehe oben) schließlich im Jahr 1620 ins Unterhaus gewählt worden war. Cokes Rolle ist auch in diesem Konflikt, der sich zu einer der schwersten politischen und verfassungsrechtlichen

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Krisen für die Krone vor dem eigentlichen Ausbruch des Bürgerkrieges steigerte, von zentraler Bedeutung.104 Auch das erklärt, warum Coke in Hobbes’ Dialog zum vornehmlichen Ziel der Kritik wurde.105 Mit John Selden und Sir Edward Coke waren die beiden eminentesten common lawyers Englands in diese Aus­ einandersetzung auf Seiten des Unterhauses gegen die Interessen der Krone involviert.106 104  Dies nicht zuletzt, weil Coke zu einem der wichtigsten Gegenspieler des Königs und seiner Gefolgsleute wurde und die Petition of Right verfasste. Sir E. Coke, Petition of Right, in: ders., The selected writings of Sir Edward Coke, Bd.  3, S.  1288–1291. J. S. Flemion, The Struggle for the Petition of Right, S.  203: »Charles [König Karl I.] had not reckoned with the innovative ability of the famous common-law theoretician, Sir Edward Coke. Coke persuaded the Lower House to drop the bill and to adopt a new procedure called ›a petition of right‹«. J. A. Guy, The Origins of the Petition of Right, S.  303 sieht in Coke einen Hardliner, der das Unterhaus gegen die Interessen des Königs mobilisierte. Vgl. v. a. auch S.  D. White, Sir Edward Coke and the grievances of the commonwealth, S.  213–274. 105  Coke, nicht Selden, galt als der common lawyer par excellence. Auch war Hobbes mit Selden befreundet, was weiter erklären mag, warum er ihn nicht wie Coke zum Ziel seiner Kritik im Dialog machte. J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  628: »When his ›Leviathan‹ came out, he [Hobbes] sent (…) a copie of it, well-bound, to Mr. Selden (…) Mr. Selden told the servant, he did not know Mr. Hobbes, but had heard much of his worth, and that he should be very glad to be acquainted with him; whereupon Mr. Hobbes wayted on him; from which time there was a strickt friendship between them to his dyeing day«. 106  Etwas zu undifferenziert in seinem Urteil ist P. Koschaker, Europa und das römische Recht, S.  219: »das Parlament [machte] die Sache des common law zur seinen (…), indem es unter der Führung Cokes den Verfassungskampf gegen die Krone im Namen der supremacy des common law erfolgreich durchführte«. Denn weder ist es zutreffend, von einem Verfassungskampf zu sprechen, noch ist mit der Petition of Right 1628 wirklich ein Erfolg gegen die Krone erzielt worden. Frances H. Relf, Petition of Right, S.  III bemerkte bereits 1901 treffend, dass das Ergebnis in diesem Konflikt »not victory, as has been commonly supposed, but compromise« gewesen sei. Vor allem aber sahen die Mitglieder des Unterhauses selbst die Petition of Right als einen Kompromiss an. So betrachteten

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Die Eröffnungsadresse des Königs an das neueinberufene Parlament enthielt unter anderem auch den Hinweis, dass sich das Parlament nicht in die Angelegenheiten der Krone einmischen solle. Das war kaum geeignet, eine dem König zugetane Stimmung zu erzeugen. Das Parlament beabsichtigte nicht, über Subsidien und Steuern für den König zu beraten, sondern schien in jeder Entscheidungsfindung zunächst durch die grundsätzlichen Debatten über die Eigentums- und Freiheitsrechte blockiert.107 Die Beschwerden, die im Parlament zur Sprache kamen, reichten von der forced loan über religionspolitische Fragen und die erzwungene Einquartierung von Matrosen und Soldaten aufgrund des angewandten Kriegsrechts (martial law) bis zu der grundsätzlichen Frage der durch die Magna Carta garantierten persönlichen Freiheit und den Schutz vor unrechtmäßiger Verhaftung (habeas corpus). Diese Beanstandungen zielten aber alle darauf ab, die Autorität und Kompetenz des Parlaments gegen Übergriffe der Krone zu verteidigen.108 Durch die geschickte Verhandlungsführung Seldens im Five Knights’s Case war dem Parlament eindringlich vor Augen geführt worden, dass es hier um grundsätzliche Eigentums- und Freiheitsrechte ging und dass es die vornehmste Aufgabe des Parlaments sei, diese zu verteidigen. Der letztendliche Auslöser der Petition of Right lag in diesen Zusammenhängen.109 Gegen den Hofprediger Roger Maynwaring zum Beispiel der Abgeordnete Alford oder eben auch Coke die Petition als »middle way« in der Auseinandersetzung mit dem König. Commons Debates 1628, Bd.  3, S.  626 und S.  628. 107  Die Reden während der Parlamentssitzungen sind in der Sammlung der Commons Debates 1628 dokumentiert. 108  Dies wird beispielhaft an Seldens Intervention über die nach dem Kriegsrecht vorgenommenen Einquartierungen deutlich. Commons Debates 1628, Bd.  2, S.  575: »There are no laws in England but are made laws either by custom or act of parliament. Can any man show me that martial law is confirmed by either of these ways?«. 109  Sir Edward Coke betonte dies unermüdlich. Vgl. beispielhaft Sir E.  Coke, Selected Writings, Bd.  III, S.  1 277  f: »by the statute called the

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wurde bereits eine Woche, nachdem das Parlament einberufen worden war und seine Sitzungen aufgenommen hatte, ein Amtsenthebungsverfahren (impeachment) angestrengt, da er mit seinen Predigten das geltende Recht in Frage gestellt und die Privilegien des Parlaments geleugnet hatte.110 Karl I. und seine Berater hofften zunächst, dass das Oberhaus die Initiativen des Unterhauses zu Fall bringen würde. Dass dieses Kalkül nicht aufging, lag maßgeblich daran, dass Selden der King’s Bench eine an Illegalität grenzende Duplizität ihrer Rechtsprechung nachweisen konnte. Selden hatte im Jahr zuvor als Verteidiger im Five Knights’s Case in die Prozessunterlagen und Aufzeichnungen des Crown office Einblick erhalten. Durch Seldens Nachforschungen wurde in einem Parlamentsausschuss festgestellt, dass die bestehende Prozessordnung modifiziert Great Charta of the Liberties of England [Magna Carta], it is declared and enacted that no free man may be taken or imprisoned, or be disseized of his freehold or liberties, or his free customs, or be outlawed or exiled, or in any manner destroyed, but by the lawful judgment of his peers, or by the law of the land; (…) it was declared and enacted by authority of parliament that no man, of what state or condition that he be, shall be put out of his lands or tenements, nor taken, nor imprisoned, nor disinherited, nor put to death without being brought to answer by due process of law«. Vgl. auch F. H. Relf, The Petition of Right, S.  24  f. 110  Das Verfahren war erfolgreich. Es ist in The Proceedings of the Commons in the year 1628 against Roger Maynwaring dokumentiert. Vgl. auch H. F. Snapp, The Impeachment of Roger Maynwaring. Karl I. ließ 1628 in einer Proklamation verkünden, dass die bereits ausgelieferten Exem­plare von Maynwarings Religion and Allegiance vernichtet werden sollen und diese Schrift zukünftig nicht mehr gedruckt oder verbreitet werden dürfe. Dies geschehe mit dem Ziel »to take away all occasions of scandall or offence«. Karl I. konnte sich im Übrigen dann aber doch nicht zurückhalten, sein grundsätzliches Wohlwollen gegenüber dieser Schrift zum Ausdruck zu bringen. Denn Maynwaring habe es in seinen Predigten unternommen, »although the grounds thereof were rightly laid, to persuade obedience from the Subjects to their Sovereigne, and that for con­ science sake«. By the King. A Proclamation, S.  1.

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worden und es durch einen (wohl vorsätzlich) falschen Eintrag in den Akten des Crown office zu einem Präzedenzfall gekommen war, der zukünftige Verhaftungen ohne einen angegebenen Grund ermöglichen würde und damit eklatant gegen die Stipulationen des Rechts auf habeas corpus verstieß.111 Damit wurde der Five Knights’s Case zu einem explosiven Politikum im Parlament und zu einem ausgewachsenen verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen König und Parlament, wobei es den Vertretern des Unter­hauses gelang, auch im Oberhaus erfolgreich eine Opposition gegen den König zu mobilisieren.112 Im Gegensatz zu ihren Intentionen gegenüber dem Parlament geriet die Krone in erhebliche Erklärungsnot und damit in die Defensive. Es schien, als ob die Krone ein ordentliches Verfahren (due process) und damit die auf das Common Law und auf ordentliche Rechtsverfahren gegründete Rechtsstaatlichkeit – verstanden avant la lettre – habe unterlaufen wollen.113 Insbesondere 111  Commons Debates 1628, Bd.  2 , S.  211: »Mr. Selden reported from the subcommittee that himself and other lawyers had met about the precedents and had searched the records and brought copies of the precedents into the House (…). And he added that in search of the judgements of the late habeas corpus to be brought before them, and there in the record they found only a remititur«. Vgl. auch ebd. S.  217. 112  Vgl. dazu die wichtige Studie von J. A. Guy, The Origins of the Petition of Right, insbes. S.  296  f. Ich folge hier im Wesentlichen Guys Interpretation. Siehe dazu auch ferner F. H. Relf, The Petition of Right, S.  4–10. 113  Nicht nur bei Coke, sondern allgemein im englischen Rechtsdenken dieser Zeit wurde »due process« als Ausdruck von »law of the land« bzw. »per legem terrae« aufgefasst. Damit charakterisierte die Garantie eines ordentlichen Rechtsverfahrens die englische Verfassung, wie sie durch die Magna Carta und andere Gesetze des Königreiches (law of the land) formuliert worden war. Vgl. F. H. Relf, The Petition of Right, S.  11  f. Allerdings war umstritten, ob Magna Carta ein spezifisches Gesetz meinte. Coke und Selden vertraten die Auffassung, es könne sich nur um das Common Law handeln. Im Five Knights’s Case vertrat der Atorney General hingegen die Überzeugung, »per legem terrae« würde auch positive Gesetze miteinschließen. Im Parlament wurde diese Debatte im April

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Coke verwies auf die Bedeutung dieser Entdeckungen und erklärte im Unterhaus, nur das Parlament könne die Freiheitsrechte verteidigen, die durch das Vorgehen der Krone offenbar bestritten wurden.114 Selden trat Coke zur Seite und bedeutete dem Parlament, dass, wenn dieses Vorgehen der Krone nicht aufgedeckt worden wäre, Karl I. sich zukünftig auf diesen Präzedenzfall hätte berufen können und so eine Rechtsgrundlage für die willkürliche Inhaftierung im Namen der Staatsräson besessen hätte.115 Durch diese Entwicklungen verhärtete sich die Haltung des Parlaments gegenüber dem König. Allerdings waren weder Selden oder Coke noch die meisten anderen Parlamentarier der Monarchie gegenüber grundsätzlich feindlich eingestellt. Das Zusammenwirken von König und Parlament wurde von fast allen Beteiligten als die politische und verfassungsrechtliche Grundlage jedweder Entscheidungsfindung angesehen. Dieses Selbstverständnis aber, und das Vertrauen in die Redlichkeit des Königs, waren durch den Five Knights’s Case erheblich erschüttert worden. Trotz der persönlichen Intervention Karls I. wurde weitgehend noch die Fiktion aufrechterhalten, dass es sich nicht um einen Machtmissbrauch des Königs, sondern lediglich um Übertretungen seiner Ratgeber und Bischöfe (wie etwa Buckingham 1628 erneut geführt und es wurde erneut behauptet »there were divers laws of this realm as the common law, the law of Chancery (…) and the law of state and that these words, per legem terrae, do extend to all these laws«. Coke und Selden bestritten diese Position vehement, denn »none of these laws can be meant (…) save the common law. (…) per legem terrae must be meant the common law«. Commons Debates 1628, Bd.  2, S.  530. Siehe dazu auch H. J. Berman, The Origins of Historical Jurisprudence, S.  1700  f. 114  Commons Debates 1628, Bd.  2, S.  218: »I [Coke] spake [sic] against the loan and this imprisonment (…). This copy, I fear, would have been entered had not the parliament sat«. 115  Commons Debates 1628, Bd.  2, S.  219: »I [Selden] do so very believe that this order had been recorded but for the parliament, as I do believe that it will be recorded yet so soon as the parliament arises, if it be not prevented«.

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oder Laud) handelte. Noch wurde der König nicht persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass die althergebrachte und durch das Common Law geprägte Verfassung (ancient constitution), die durch das Zusammenspiel von Parlament und Krone über Jahrhunderte Frieden und Prosperität garantiert hatte, durch die Monarchie selbst in Frage gestellt worden war. Die Idee einer gemischten Verfassung, die das Zusammenspiel zwischen König und Parlament auf eine verfassungsrechtliche Grundlage stellte, war freilich selbst eine in die Vergangenheit projizierte Fiktion.116 Dies war sowohl ein altes Deutungsschema, das aber gerade deswegen auch zur Waffe der Königsfeinde werden konnte.117 Das aus der Antike stammende Konzept einer Mischverfassung, wie es zum Beispiel Aristoteles oder Polybius vertreten hatten, lehnte Hobbes kategorisch ab, da solche Konstellationen die Notwendigkeit einer absoluten und einheitlichen Souveränität unterminierten.118 Auch den Anhängern des Königs und hier insbesondere denjenigen, die »(von Beruf) Juristen [seien] oder solche (…), die den Ehrgeiz haben, dafür gehalten zu werden«, habe es, so Hobbes im Behemoth, an politischer Einsicht und Bildung gemangelt. Sie seien »der absoluten Monarchie gegenüber abgeneigt 116  Vgl. dazu auch G. E. Aylmer, The Struggle for Constitution, S.  75: »at this time the great majority, if not all of the King’s opponents in the Commons [Unterhaus], almost certainly still thought of themselves as upholding what they believed to be the ancient, balanced constitution of England, against the King’s encroachments in the direction of arbitrary government. In this they believed that he was being misled by his advisers, rather than being personally at fault«. Siehe ferner S.  Saracino, Republikanische Träume, S.  229–231. 117  Siehe dazu S. Saracino, Republikanische Träume, S.  229–231. 118  Hobbes’ Souveränitätsbegriff ist komplex, denn bei aller Notwendigkeit einer einheitlichen Souveränität räumt er bei der Ausübung dieser Souveränität durchaus ein, dass hier die Einheitlichkeit nicht konsequent zu wahren ist. Ähnlich fand sich diese Argumentation zuvor schon bei Bodin. Vgl. dazu L. Foisneau, Sovereignty and Reason of State, 327  f. und S.  338–342, sowie R. Tuck, The Sleeping Sovereign, S.  1–120.

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wie auch gegen absolute Demokratie oder Aristokratie, denn alle diese Staatsformen hielten sie für Tyrannei und begeisterten sich für die Mixarchie, welche sie unter dem Namen einer gemischten Monarchie zu rühmen pflegten, obgleich sie in der Tat nichts anderes als reine Anarchie war«.119 Anhand dieser Konflikte wird deutlich, wie vor Ausbruch des englischen Bürgerkriegs die politischen Auseinandersetzungen durch den Rekurs auf das Common Law ausgetragen wurden. Hobbes hatte die Konfliktlinien genau zur Kenntnis genommen. Er hatte gesehen, wie durch das Common Law und namentlich Sir Edward Coke die königliche Souveränität attackiert wurde. Diese Zusammenhänge wurden in der Hobbesforschung bislang nicht eingehender untersucht.120 In seinem Dialog über das Com­ mon Law können wir aber deutlich eine Resonanz und Reaktion auf die hier skizzierte Bedeutung des Common Law für das politische Denken in England während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erkennen. Nur wenn diese Zusammenhänge zumindest in groben Zügen präsent sind, wird man die Position und Argumente von Hobbes angemessen verstehen und würdigen können. Die Vorgänge um die forced loan führten Hobbes (zumindest in seiner subjektiven Wahrnehmung) außerdem vor ­Augen, dass die Konflikte zwischen Krone und Parlament, die ab 1640 er119  T. Hobbes, Behemoth, S.  134. Bereits in den Elements of Law hatte Hobbes die Mischverfassungstheorie abgelehnt, weil sie mit seinem Souveränitätsverständnis nicht vereinbar war. T. Hobbes, Menschliche Natur und politischer Körper (XX), S.  128  f. Insofern ist es nicht überraschend, dass Wolfgang Nippel die Bedeutung der »Rezeption der Mischverfassungslehre in England (…) gerade auch im Hinblick auf die Souveränitätsproblematik« hervorhebt. W. Nippel, Mischverfassungstheorie, S.  166. Siehe ferner A. Riklin, Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung. 120  Gemeinhin (und aus guten Gründen, da Hobbes zuvor als politischer Autor nicht in Erscheinung getreten war) setzen Studien über den politischen und intellektuellen Kontext von Hobbes erst um 1640 an. So z. B. Metzger, Thomas Hobbes und die Englische Revolution 1640–1660 oder J. Parkin, Taming the Leviathan.

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neut über die Erhebung des Ship-money entbrannten, ihn auch persönlich betrafen. Hobbes geht auch in seinem Dialog über das Common Law kurz auf das Ship-money ein.121 Bereits im Levia­than erklärte er jedes Privateigentum als vom Souverän abhängig. In der Konsequenz dieser Überlegung liegt es dann auch, dass die königliche Prärogative der Steuererhebung nicht eingeschränkt werden kann. »Das Eigentumsrecht eines Untertans schliesst nicht die Verfügungsgewalt des Souveräns aus«.122 Henry Parker (1604–1652) publizierte 1640 anonym The case of Shipmony briefly discoursed, in dem er wie Hobbes die Diskussion über das Ship-money zu einer grundsätzlichen Frage der königlichen Prärogative erklärte. Obwohl Parker die royalistischen Argumente – und hier insbesondere den Verweis auf einen Notstand (necessity) – aufnahm, kam er zu dem genau entgegengesetzten Ergebnis.123 Die Freiheit und das Eigentum des Volkes war der entscheidende Maßstab, und der König war verpflichtet, diese zu schützen. Die Behauptung, Ship-money könne vom König als Teil seiner Prärogative erhoben werden, sei »incompatible with popu­lar liberty«.124 Derartige Formulierungen zeigen, dass 121  T. Hobbes, Dialog, S.  11. Siehe ferner die ausführliche Diskussion im Behemoth zum Ship-money. T. Hobbes, Behemoth, S.  42. Das Ship-mo­ ney war als eine Sondersteuer zur Ausstattung der königlichen Flotte und zur Küstenverteidigung gedacht. Ob der König tatsächlich das Recht hatte, diese außerordentliche Steuer auch dort zu erheben, wo die Grafschaften nicht an der See lagen, war einer der Streitpunkte. 122  T. Hobbes, Leviathan (XXIV), S.  210. Der Royalist Edward Hyde kritisierte Hobbes ausdrücklich wegen seiner Behauptung, der König könne willkürlich Steuern erheben, da »the Soveraign hath receiv’d much more dammage then profit by it, and the Kingdom bin in a worse state of security then it was before«. E. Hyde, A Brief View and Survey, S.  112. 123  H. Parker, The case of Shipmony, S.  4: »the supreame of all humane lawes is salus populi. To this law all laws almost stoope. God dispences with many of his lawes, rather than salus populi shall be endangered, and that iron law we call necessity, is but subservient to this law«. Vgl. auch M. Mendle, The Ship Money Case, S.  522. 124  H. Parker, The case of Shipmony, S.  2. Vgl. auch ebd., S.  17: »All

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Parkers Position mit Hobbes’ Souveränitätsverständnis nicht in Einklang zu bringen war. Hobbes sah in dem Streit über das Ship-money einen der Gründe, die zum Ausbruch des englischen Bürgerkriegs führten, denn »das Parlament [hatte] das Volk von der Unrechtmäßigkeit der Erhebung des Ship-money überzeugt (…) und es damit dazu gebracht (…), dies für tyrannisch zu halten«.125 Hobbes musste der Streit über das Ship-money von 1640 wie eine Neuauflage der Streitigkeiten über die forced loan von 1627–28 erscheinen. Angesichts dieser politischen Krise verfasste Hobbes, durch William Cavendish (1592–1676), den späteren 1st Duke of Newcastle, angespornt, seine erste rechtsphilosophische Schrift, die Elements of Law. Diese Schrift wurde in mehreren Manuskripten verbreitet und zirkulierte auch unter den royalistisch gesonnenen Abgeordneten während des wegen seiner kurzen Sitzungsdauer so genannten Short Parliament. Hobbes erklärte in der Rückschau, er sei mit diesem »kleinen Traktat in Englisch (…) der erste [gewesen], der es unternommen hatte, zur Verteidigung des Königs zu schreiben«.126 Aber 1640 gelang es nicht, den Konflikt durch ­einen Kompromiss beizulegen. Nachdem Karl I. seit der Auf­ extraordinarie aides are horrid to the people, but most especially such as the Ship-scot [Ship-money] is, wherby [sic] all liberty is over-throwne, and all Law subjected unto the Kings meer discretion«. Parker verfasste seine Schrift im Kontext des Short Parliament, wo diese Fragen auch im Unterhaus diskutiert wurden. Vgl. Proceedings of the Short Parliament (15. April), S.  127: »by the subtilty of misinformers by their spetious false pretences of publique good by cunning and close contriving of these ways to reduce the sacred royall person«. 125  T. Hobbes, Behemoth, S.  69. Vgl. dagegen H. Parker, The case of Shipmony, S.  1 4: »There is no Tirranny more abhorred than that which hath a controlling power over all Law, and knows no bounds but its own will: if this be not the utmost of Tirranny, the Turks are not more servile then we are: and if this be Tirranny, this invention of Shipmony makes us as servile as the Turks«. 126  T. Hobbes, Considerations, S.  414

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lösung des Parlaments von 1629127 ohne Parlament regiert hatte, berief er zwar zum 13. April 1640 ein Parlament ein. Doch ein poli­tischer Kompromiss wurde hier nicht gefunden, und er löste es bereits am 5. Mai wieder auf.128 Hobbes fühlte sich wegen seiner Schrift exponiert. John A ­ ubrey berichtet, dass das Schicksal von Maynwaring, der für sein Eintreten für die königliche Souveränität 1628 in den Tower gesperrt wurde, Hobbes veranlasst hätte, nach Frankreich zu fliehen, um ein gleiches Schicksal zu umgehen.129 Wie ist nun aber der Dialog über das Common Law im Kontext von Hobbes’ politischer Philosophie einzuordnen? Auffällig ist hier zunächst, dass Hobbes nach seinen systematischen Schriften zur Rechtsphilosophie, die er mit den Elements, De Cive und Leviathan zwischen 1640 und 1651 vorgelegt hatte, nun die Dialogform wählte.

III.  Der Dialog als alternatives Genre für Hobbes’ politische Lehre Durch Platon, der »zuerst (…) die dialogische Lehrform aufgebracht« hat130, ist der Dialog als besonderes Genre der politischen Philosophie berühmt geworden. Ernst Bloch feiert in seinen Vor­ 127  [Charles I.], His Majesty’s Declaration to all his Loving Subjects of the causes which moved him to dissolve the last Parliament 10 March 1628. 128  Charles I. / J. Finch, His majesties declaration: to all his loving subjects, of the causes which moved him to dissolve the last Parliament. 129  J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  606: »he told me that Bp. [Bishop] Manwaring [sic] preached his doctrine; for which, among others, he was sent prisoner to the Tower. Then thought Mr. Hobbes, it is time now for me to shift myself, and so went into France and resided at ­Paris«. Ob Hobbes 1640 tatsächlich um seine persönliche Sicherheit fürchten musste, ist fraglich. Siehe dazu auch P. Zagorin, Thomas ­Hobbes’s ­Departure from England in 1640. 130  Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, hg. v. H. G. Zekl, Hamburg 1998, S.  160.

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lesungen zur Philosophie der Renaissance den Dialog als »freie schriftstellerische Tat«.131 Insbesondere Giordano Bruno habe in seinem Hauptwerk (De la causa, principio et uno) »die Form des Platonischen Dialogs wieder« aufgenommen.132 Bloch charakterisiert den »Platonische[n] Dialog« begeistert als »einzigartige[n] Glücksfall, [der] ein einmalig gelungenes Wandeln auf einem Grad« sei.133 Das Besondere des platonischen Dialogs, das sich so nicht mehr in Brunos und im Übrigen auch nicht in Hobbes’ Dialogen findet, beschreibt Bloch trotz aller Euphorie durchaus treffend: »Er [der platonische Dialog] ist nicht die Einkleidung eines Inhalts, der auch ohne den Dialog da wäre, sondern die genuine Form der Platonischen dialogisch-dialektisch vor sich gehenden Gedankenentwicklung. Dergleichen ist weder vorher, noch nachher erreicht worden (…). Gewiß nicht von Bruno, bei ihm [wie dann auch bei Hobbes] ist der Dialog eine Einkleidung von Gedanken, die der Gesprächsführer ohnehin auf anderem Wege schon gefunden hat«.134 Blochs Vergleich der platonischen mit Brunos und allgemein mit den frühneuzeitlichen Dialogen ist hilfreich, um Hobbes’ Dialoge in diesem literarischen und intellektuellen Feld einzuordnen. Aber sein Fokus auf Bruno greift etwas zu kurz, denn die Dialogform feierte auch im politischen Denken der italienischen Renaissance eine Blüte.135 Dem platonischen Genrevorbild folgend war auch in England bereits vor Giordano Bruno – dieser hatte von 1583 bis 1585 am Hof der Königin Elisabeth gewirkt – ein Dialog zum Common Law erschienen, der auch Hobbes inspiriert haben dürfte. 131  E. Bloch, Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance, Frankfurt / Main 1972, S.  26. 132 Ebd. 133 Ebd. 134 Ebd. 135  Vgl. beispielhaft etwa Machiavellis Dialog Arte della Guerra sowie Guicciardinis Dialogo del reggimento di Firenze oder Giannottis Della Republica de’ Viniziani.

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Der common lawyer Christopher St Germain (gelegentlich auch German geschrieben, 1460–1540) hatte 1528 zunächst auf Latein und dann 1530 auf Englisch einen Dialog zum Common Law publiziert. Hobbes verweist wiederholt in seinem Dialog über das Common Law auf St Germains The Doctor and Student, or, dialo­ gues between a doctor of divinity and a student in the laws of Eng­ land. Diese Abhandlung dürfte auch den Titel für Hobbes’ Dialog angeregt haben, A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England. Dass nun der Philosoph die Stelle des Theologen einnimmt, entspricht Hobbes’ Vorbehalten gegenüber dem Klerus und betont zugleich einmal mehr seinen Anspruch, dass mit seiner Staatsphilosophie nun die klerikalen und weltlichen Rechtsansprüche geordnet werden.136 Thomas Starkey (c. 1495–1538) verfasste in etwa zur gleichen Zeit wie St Germain einen Dialogue between Reginald Pole and Thomas Lupset, in dem er sich unter anderem für die Übernahme des römischen Rechts in England aussprach und das englische Common Law kritisierte.137 Ob Hobbes diesen Dialog kannte, der sich besonders für eine konstitutionelle Begrenzung der königlichen Souveränitätsrechte in Form einer gemischten Monarchie aussprach, ist unklar. Vermutlich kannte er aber den 1628 posthum publizierten Dialog von Sir Walter Raleigh (1552–1618), The Prerogative of Parliaments in England: Proved in a Dialo­ gue. Dieser Dialog war im Zusammenhang der oben dargestellten Dispute zwischen Parlament und Krone und der Petition of Right erschienen. Gekannt haben dürfte Hobbes auch die 1615 136  Unmissverständlich erklärt Hobbes in De Corpore, die »Staatsphilosophie [ist] nicht älter (…) als das Buch, das ich über den Staatsbürger [d. h. De Cive] geschrieben habe«. T. Hobbes, Elemente der Philosophie. Der Körper, S.  5. 137  T. Starkey, A Dialogue, S.  120 und S.  129  f. Mayer bezeichnete Starkeys Dialogue als »one of the most significant works of political thought« des 16. Jahrhunderts. T. F. Mayer, Faction and Ideology Thomas Starkey’s Dialogue, S.  1.

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publi­zierte royalistische Schrift God and the King: or, A dialogue, shewing that our soveraigne Lord King James, being immediate under God within his dominions, doth rightfully claime what­so­ ever is required by the Oath of Allegeance von Richard Mocket (1577–1618). Diese zugleich auf Englisch und Latein publizierte Schrift wurde als Lehrbuch für alle Schulen und Universitäten verordnet.138 Diese Liste ließe sich fortsetzen.139

138 Hobbes hegte ähnliche Ambitionen für seine eigene politische Lehre. Im Leviathan hatte er an prominenter Stelle sein Hauptwerk zur Lehre an den Universitäten empfohlen. T. Hobbes, Leviathan (Rückblick und Schlußbetrachtung), S.  599. Nachdrücklich setzte sich Hobbes mit der Bedeutung der Universitäten im Behemoth auseinander. T. Hobbes, Behemoth, S.  64: »Darum bezweifle ich, dass jemals anhaltender Frieden unter uns herrschen wird, bis die Universitäten sich beugen und ihre Studien auf Verständigung richten, d. h. auf die Lehre des absoluten Gehorsams gegen die Gesetze des Königs (…). Ich hege keinen Zweifel, dass dieser feste Grund, gestützt auf die Autorität so vieler gelehrter Männer, für die Erhaltung des Friedens unter uns selbst mehr leisten wird, als irgendein Sieg über die Rebellen es tun kann. Aber ich fürchte, es ist unmöglich, die Universitäten zu solcher Nachgiebigkeit gegen die Staatshandlungen zu bringen, wie es für die Sache notwendig ist.« Ähnlich bereits früher in T. Hobbes, Vom Bürger (XIII-9), S.  209: »Deshalb muß man (…), wenn man heilsame Lehren zur Geltung bringen will, bei den Universitäten beginnen. Dort müssen die wahren und wahrhaft bewiesenen Grundlagen für eine Staatslehre gelegt werden; die darin unterrichteten jungen Leute werden dann später die Masse im einzelnen und öffentlich darüber belehren können«. Vgl. dazu auch weiterführend P. Schröder, Behemoth or the Long Parliament, S.  X LIV–LI. 139  Insbesondere der Dialog im 1. Buch von Thomas Mores Utopia (The first Book of the Communication of Raphael Hythloday, Concerning the Best State of a Commonwealth) wäre hier am ehesten noch zu nennen. Aber auch ausgefallenere Schriften kommen hier in Frage. So erschien zum Beispiel ein skurriler Dialog zwischen einem »horse of war« und ­einem Arbeitspferd im Bürgerkrieg und diente auch der Polemik: Dia­ logue betwixt a horse of warre, and a mill-horse, London 1643. Ich danke Stefano Saracino für diesen Hinweis.

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Inspiriert haben dürften Hobbes vor allem die vier Autoren, die er besonders schätzte und die ihrerseits Dialoge verfasst hatten. Hobbes hatte Thukydides’ Peleponnesischen Krieg übersetzt und bereits 1628 publiziert. Der dort enthaltene Dialog zwischen Meliern und Athenern, der in Thukydides’ Werk nicht nur dramaturgisch und rhetorisch eine besondere Stellung einnimmt, war Hobbes vermutlich gegenwärtig, als er sich zur Wahl der Dialogform entschied. Galileo Galilei (1564–1641), den Hobbes in Italien besucht hatte, und Bodin wurden von Hobbes ebenfalls besonders geschätzt. Auch sie hatten einflussreiche Dialoge verfasst. Galileis Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano, in dem er über das ptolemäische und das kopernikanische Weltsystem schrieb, brachte ihm 1633 die berühmt-berüchtigte Verfolgung und Bestrafung durch die päpstliche Inquisition ein. Hobbes konnte an dem Schicksal Galileis also zumindest sehen, dass die Dialogform allein kaum geeignet war, die Zensur zu beschwichtigen. Oder legte ihm Galileis Schicksal gerade nahe, vorsichtig in seinen Äußerungen zu sein? Bodin wiederum hatte unter dem Titel Colloquium hepta­ plomeres de abditis rerum sublimium arcanis ein dialektisches Gespräch zwischen sieben Weisen über die drei Religionen von Judentum, Christentum und Islam verfasst. Dieser wurde wegen seiner Brisanz zunächst nur in Manuskripten verbreitet und erst 1841 gedruckt. Ob Hobbes diese Schrift kannte, ist fraglich. Auch Alberico Gentili (1552–1608), von dem Hobbes vielleicht sogar in Oxford unterrichtet worden war und dessen Schriften Hobbes’ politische Philosophie nachweislich beeinflussten,140 hatte 1599 De armis Romanis publiziert. Nachdem Gentili De Legationibus (1585) und De Iure Belli (1598) veröffentlicht hatte, präsentierte er seine politische Lehre der zwischenstaatlichen Beziehungen er140  Vgl. C. Galli, Alberico Gentili e Thomas Hobbes. Zur Rezeption Gentilis während des englischen Bürgerkriegs siehe A. Sharp, Alberico Gentili’s Obscure Resurrection as a Royalist in 1644.

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neut, nun aber zumindest in Anlehnung an die Dialogform, wobei er den von Cicero in Buch III in De Republica geschilderten Disput von Carneades wiederaufnahm.141 Gentilis De armis gliedert sich in zwei Bücher. In dem ersten wird die Ungerechtigkeit der römischen Expansion und imperialistischen Herrschaft kritisiert. Im zweiten Buch wird diese Kritik dann von Gentili – allerdings nicht immer sehr überzeugend – widerlegt und gezeigt, inwiefern die römischen Eroberungen gerechtfertigt werden können. Das zentrale Thema ist damit die Frage nach der Gerechtigkeit innerhalb der zwischenstaatlichen Beziehungen. Gentilis Rekurs auf die römische Geschichte und den römischen Imperialismus ist für die frühe Neuzeit und den Humanismus durchaus typisch.142 Interessant ist neben diesen Dialogen, die Hobbes zur Wahl des Genres veranlasst haben könnten, auch, dass einige von Hob­ bes’ Kritikern sich für die Form des Dialogs entschieden, um ihre Argumente gegen Hobbes zu publizieren. Hier sind besonders Tenisons The Creed of Mr. Hobbes examined in a feigned Conference between him and a Student in Divinity und Eachards Mr Hobbs’s [sic] State of Nature Considered in a Dialouge Between Philantus 141  Der vollständige Text von De Republica wurde zwar erst 1819 wiederentdeckt, Gentili wusste aber von Carneades aus Buch V (De Justitia) durch Lactantius’ Divinae institutiones (»Göttliche Unterweisungen«), durch die ihm die Teile von Ciceros De Republica und den in Buch III enthaltenen zwei Reden von Carneades bekannt waren. Ab 1538 wurde von Humanisten wie Robert Estienne oder Andreas Patricius die Kenntnis von Ciceros Werk erheblich befördert. Vgl. zur Bedeutung des Carneades auch B. Straumann, Imperium sine fine: Carneades, the splendid vice of glory and the justice of empire, in: M. Koskenniemi / W. Rech / M. Jiménez Fonseca (Hg.), International Law and Empire: Historical Explorations (Oxford 2017, S.  335–358. 142  Dieser wichtige Text ist nun in einer exzellenten zweisprachigen Edition (Lateinisch  /  Englisch) wieder zugänglich. A. Gentili, The Wars of the Romans. A Critical Edition and Translation of De armis Romanis, hg. v. B. Kingsbury / B. Straumann, übersetzt v. D. Lupher, Oxford 2011.

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and Timothy zu nennen. Der Kleriker und spätere Erzbischof von Canterbury Thomas Tenison (1636–1715) lässt in seinem Dialog gleich zu Beginn den Studenten die zentralen Vorwürfe gegenüber Hobbes polemisch in zwölf Artikeln einer Art Hobbes’schen Glaubensbekenntnisses »under the Title of the Hobbist’s Creed« zusammenfassen.143 Hobbes’ Materialismus und Epikureismus, die von häretischen Ansichten zeugten, werden darin vornehmlich kritisiert. Die Dialogform kam Tenison offenbar entgegen, denn sie erlaubte es ihm, die empfundene Unzulänglichkeit von Hobbes auch rhetorisch darzustellen.144 Je nach rhetorischem Genus (deliberativum, demonstrativum, iudiciale) lassen sich im Dialog Kommunikationssituationen authentisch nachstellen, wie etwa politische Beratschlagungen oder Verteidigungsreden vor einem Ankläger. In Hobbes’ Dialog begegnet die gelehrte Kommunikation.145 Neben Hobbes’ Kritik am Klerus und den Machtansprüchen der Kirche war sein Naturzustand das andere Skandalon für viele seiner Leser, da hier eine Natur des Menschen vertreten wurde, die von vielen als unchristlich und politisch gefährlich eingestuft wurde. John Eachard (1636–1697) nahm daher diesen Aspekt von Hobbes’ De Cive zum Ziel seiner Kritik. Hobbes alias Philantus behauptet in diesem Dialog, die Menschen würden sich wie wilde Tiere nur gegenseitig verbeißen.146 Sie seien von ihren aggressi143  T. Tenison, The Creed of Mr. Hobbes examined, S.  8. 144  T. Tenison, The Creed of Mr. Hobbes examined, [The Epistle Dedicatory, ohne Paginierung, S.  6]. »for the Elocution it self, I cannot but acknowledge (…) that, in many places it is beneath mediocrity: yet even that imperfection serveth the Character of such a person as speaketh in an extemporanious Dialogue; he [Hobbes] being, now and then, at a loss for aptness or fulness of expression«. 145  Die Bedeutung der Rhetorik für Hobbes und seine rhetorische Schulung hat Quentin Skinner überzeugend dargelegt. Q. Skinner, Reason and Rhetoric in the Philosophy of Hobbes. 146  J. Eachard, Mr Hobbs’s State of Nature Considered, S.  7.

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ven Begierden bestimmt und ein soziales Zusammenleben wäre bei so einer Menschennatur unmöglich.147 Eachard überzeichnet hier Hobbes’ Position, der bereits im Vorwort zu De Cive darauf hingewiesen hatte, die Menschen könnten zwar »von Natur Begierde, Furcht und Zorn und andere tierische Leidenschaften haben (…), ohne deshalb von Natur böse erschaffen zu sein«.148 Eachard, der am St. Catharine’s College in Cambridge lehrte, sah durch Hobbes’ Lehre das menschliche Zusammenleben gefährdet, da von Hobbes jede Moral und die daraus resultierenden Verpflichtungen in Frage gestellt würden. Durchaus nicht unbegründet war Eachards Vorwurf, Hobbes sei auch mitverantwortlich dafür, dass den Klerikern zunehmend Verachtung entgegenschlüge. Auch hier sind es vor allem moraltheologische Ansichten, die letztlich die Kritik an Hobbes ausmachten. Die Tatsache, dass während der Restauration gleich mehrere Schriften Hobbes in Dialogform kritisierten, mag Hobbes nahe­ gelegt haben, ebenfalls in Form von Dialogen zu antworten. Es zeigt sich jedenfalls, dass Kritik und Verteidigung von Hobbes’ Positionen zunehmend in Dialogform ausgetragen wurden. MacGillivray sieht einen weiteren Grund für die Wahl der Dialogform darin, dass diese Hobbes erlaubt habe, »Überlegungen auszusprechen, die er selbst öffentlich kaum bekennen würde«.149 Inwieweit die Zensur und Hobbes’ Gegner sich von einem derartigen Argument hätten überzeugen lassen, ist allerdings fraglich. Durch die Dialogform wurde es aber zumindest schwieriger, dem Autor eine bestimmte These zuzuschreiben. Das mag ­Hobbes durchaus als politisch wie wohl auch als pädagogisch nützlich angesehen haben. Er vermutete wohl aber nicht, sich durch die Dialogform 147  Ebd. Hobbes’ Naturzustand ist Ausdruck der Notwendigkeit, in einem Staat zusammenzuleben. Eine böse Natur unterstellt er nicht allen Menschen. Vgl. zu Hobbes’ Naturzustand P. Schröder, Hobbes, S.  11–36, insbes. S.  15. 148  T. Hobbes, Vom Bürger, S.  69. 149  R. MacGillivray, Thomas Hobbes’s History, S.  180.

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feindlich gesonnener Kritik entziehen zu können. Zumal er die meisten seiner Ansichten, die Kritik herausforderten, bereits in anderen Texten vertreten und publiziert hatte, scheint MacGillivrays These nicht zufriedenstellend zu erklären, warum Hobbes nun so häufig die Dialogform wählte. Zu beachten ist allerdings »Hobbes’s seductive ambiguity« mit der er nicht nur in den Dialogen seine Positionen vertrat.150 Angesichts der Anfeindungen, denen sich Hobbes auch in der Restaurationszeit ausgesetzt sah, kann man allerdings auch in diesem zeitgeschichtlichen Zusammenhang weitere Gründe für die Wahl der Dialogform finden, ohne dem Autor damit zugleich die naive Annahme eines garantierten Schutzes durch die Dialogform zu unter­stellen. Somit liegen ganz verschiedene mögliche Gründe für die Dialogform vor, die sich durchaus ergänzen.151 Hobbes’ Dialog über das Common Law stehen noch weitere Dialoge aus seiner Feder zur Seite, die er in etwa zur gleichen Zeit verfasst haben dürfte. Aubrey zufolge war seine im Dialog gehaltene und erst 1688 posthum publizierte Historia Ecclesia­ stica bereits 1659 geschrieben worden.152 Um 1667 hatte Hobbes gut zwei Drittel der lateinischen Übersetzung des Leviathan be­ endet. Bemerkenswert ist der Appendix des lateinischen Levia­ than, der die Review and Conclusion des englischen Leviathan ersetzt und ebenfalls in Dialogform gehalten ist.153 Die drei Dia150  J. Parkin, Taming the Leviathan, S.  16. Vgl. auch E. Odzuck, Narration und Argument in der Politik, S.  111–117 und E. Odzuck, Diversified Communication in Thomas Hobbes’s Political Philosophy, S.  141–146. 151  Eine befriedigende Antwort auf die Frage, warum Hobbes denn ausgerechnet in der Restaurationszeit diese und andere Schriften als Dialog verfasst hat, bedarf weiterer Forschungen. 152  J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  612: »In 1659 (…) he wrote, among other things, a poeme in Latin hexameter and penta meter, on the Encroachment of the Clergie (both Roman and Reformed) on the Civil Power«. 153  Vgl. dazu auch G. Wright, The 1668 Appendix.

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loge des Appendix wurden etwa zur gleichen Zeit geschrieben wie der Dialog über das Common Law, nur dass die Dialogpartner im Appendix lediglich als A und B auftreten.154 Der erste Dialog, De Symbolo Niceno, erörtert das Nicänische Glaubensbekenntnis.155 Der zweite Dialog, De Haeresi, geht der Frage nach, was Häresie sei. Die Diskussion dieser beiden ersten Dialoge findet sich inhaltlich auch in dem Kapitel 5 Über Ketzerei des Dialogs über das Common Law wieder. Dieses Kapitel scheint innerhalb der Struktur des Dialogs etwas unvermittelt. Es zeigt vor allem, wie ernst Hobbes den Vorwurf der Ketzerei nahm. Coke sei es nicht gelungen, überhaupt zu bestimmen, worin Ketzerei bestehe, und schon allein deswegen könne Ketzerei nicht justitiabel sein. »Das Wichtigste, nämlich die Ketzerei selbst, lässt er [Coke] aus. Er erörtert nämlich weder, was sie ausmacht, aus welchem Tatbestand oder Äußerungen sie besteht und welches Recht, ob Gesetzesrecht oder das Gesetz der Vernunft, durch sie verletzt wird. Der Grund, warum er sich darüber ausschweigt, liegt vielleicht darin, dass die Frage nicht nur außerhalb seines Faches, sondern überhaupt außerhalb seines Wissens lag. Jedermann weiß, dass Mord, Raub, Diebstahl usw. böse sind und vom Gesetzesrecht zu Verbrechen erklärt werden, so dass jeder sie vermeiden kann, wenn er will. Aber wer kann sicher sein, Ketzerei zu vermeiden, wenn er es etwa wagt, Rechenschaft über seinen Glauben abzulegen, es sei denn, er weiß im Voraus, was Ketzerei ausmacht?«156 Der dritte Dialog, De quibusdam objectionibus contra Levia­ than ist eine Verteidigung von Hobbes’ Leviathan und der erneute Versuch, zu belegen, dass die dort vertretenen Thesen nicht gegen die Glaubensinhalte der anglikanischen Kirche verstie154  T. Hobbes, Appendix ad Leviathan. 155  Im konfessionellen Zeitalter bediente sich auch der Religionsunterricht  /  der Katechismus der Dialogform, denn katechetische Texte waren oft als Wechsel aus Fragen und Antworten strukturiert. 156  T. Hobbes, Dialog, S.  97.

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ßen.157 Vor allem die ersten zwei dieser drei Dialoge aus dem Appendix stehen dem Dialog über das Common Law inhaltlich besonders nahe. Darüber hinaus hat Hobbes zu dieser Zeit noch einen weiteren Dialog verfasst. Im Behemoth, in dem erneut die Dialogpartner nur als A und B unterschieden werden, wird der englische Bürgerkrieg kritisch erörtert und den Gründen des Staatsverfalls detailliert nachgegangen.158 Die Tatsache, dass A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England die Dialogpartner ausdrücklich charakterisiert, hat verschiedentlich dazu geführt, den Philosophen mit Hobbes gleichzusetzen, während der Student (im Sinne eines Gelehrten) des Common Law mit Coke oder auch Hale identifiziert wurde.159 Ein solches Urteil greift aber zu kurz und läuft vor allem Gefahr, die Bedeutung von Hobbes’ Dialog über das Common Law im Kontext seiner politischen Philosophie nicht wirklich in den Blick zu bekommen (vgl. dazu unten, III). Wenn der platonische Dialog nach Diogenes Laertius »eine sich in Frage und Antwort abspielende Ausführung eines philosophischen oder politischen Themas unter angemessener Charakteristik der auftretenden Personen und gehöriger Rücksicht auf die sprachlichen Anforderungen«160 ist, dann wollte Hobbes aber offenbar nicht allen Ansprüchen des platonischen Dialogs genügen. Hobbes gab sich auch im Dialog über das Common Law nicht die Mühe, seine Dialogpartner genauer zu charakterisieren.161 John Wallis (1616–1703) spottete über einen früheren 157  T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1243: »in his quae protulisti nihil invenio contra Fidem Ecclesiae nostrae«. 158  Vgl. dazu P. Schröder, Behemoth or the Long Parliament. 159  J. Cropsey, Introduction, S.  12: »Hobbes seems to have appointed himself the heir of his old master’s law [i. e. Bacons Elements of Law], and Hobbes’s controversy with the dead Coke is the continuation of Bacon’s«. 160  D. Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, S.  171. 161 Unter den wenigen Studien zu Hobbes’ Dialog behauptet v. a. Abosch, es gebe signifikante Unterschiede zwischen den Dialogpartnern;

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Dialog von ­Hobbes162, dieser habe »durch das Medium des Dia­ logs zwischen A und B (Thomas und Hobs [sic]) einen Mittelweg gefunden, wobei Thomas Hobs lobt, und Hobs Thomas lobt, und beide loben Thomas Hobs als dritte Person, ohne des Selbstlobs schuldig zu sein«.163 Diese polemische und unfaire Kritik verweist dennoch zutreffend darauf, dass Hobbes’ Dialoge sich nicht durch kontroverse Disputationen auszeichneten, sondern die Dialog­partner in ihren Gesprächen zumeist eine auffallende Übereinstimmung zu den erörterten Themen zeigen.164 Der folgende dritte Abschnitt untersucht diese inhaltlichen Übereinstimmungen. Zudem wurde in den Anmerkungen der vorliegenden Ausgabe auf die bestehenden inhaltlichen Übereinstimmungen mit Hobbes’ anderen Schriften verwiesen. Diese vgl. Y. Abosch, An Exceptional Power, S.  24. Es bleibt allerdings auch hier offen, inwieweit dies die Interpretation des Textes tatsächlich beeinflusst. 162  Es handelt sich um Hobbes’ Dialogus Physicus. Wallis war Presbyterianer und Mathematiker. Er stritt mit Hobbes über mathematische Probleme, griff Hobbes aber auch wegen seiner religionspolitischen Positionen an. Vgl. zu dieser Kontroverse auch D. Jesseph, Squaring the Circle und H.-D. Metzger, Thomas Hobbes und die Englische Revolution 1640– 1660, S.  190  f. S. Sorbière, Relation d’un Voyage en Angleterre, Paris 1664, S.  96  f. verteidigte Hobbes gegen Wallis. 163  J. Wallis, Hobbius Heuton-tomorumenos, S.  15. 164  Vgl. insbesondere die vielsagende Stelle im Dialog über das Com­ mon Law, wo beide Dialogpartner die gleiche Position zu Bürgerkrieg und Restauration einnehmen, die so auch von Hobbes in seinen anderen Schriften vertreten wurde. T. Hobbes, Dialog, S.  18  f.: »J.: es gibt immer noch viele, die an ihren ehemaligen Grundsätzen festhalten und die weder durch das Elend der Bürgerkriege noch durch ihre damalige Begnadigung völlig von ihrem Wahnsinn geheilt worden sind. P.: Das einfache Volk schenkt dem, was es von dieser Art hört, niemals Beachtung, außer wenn es von solchen aufgehetzt wird, die es für klug hält, d. h. von einigen sogenannten Predigern und solchen, die rechtsgelehrt scheinen und überdies die Herrschenden verleumden«. Vgl. auch T. Hobbes, Behemoth, S.  18, wo A den B etwas ungehalten darauf hinweist, er sei »jetzt bei einer Erzählung, nicht bei einer Disputation«.

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Nachweise wichtiger Parallelstellen zeigen, dass es trotz des dialogischen Charakters zumeist nicht schwierig ist, zu entscheiden, wann Hobbes eine Position Cokes referiert und wann er seine eigenen Vorstellungen vorbringt. Aber warum ist Hobbes erst so spät explizit auf das Common Law eingegangen, das – wie wir in Abschnitt I gesehen haben – so prominent gewissermaßen die Grammatik des politischen Diskurses bestimmte?165 Werden im Dialog Themenschwerpunkte neu akzentuiert? Werden frühere Fragen und Probleme hier weiterführend erörtert? Oder werden sogar neue Wege eingeschlagen?

IV. Der Dialog im Kontext von Hobbes’ politischer Philosophie Wie verhält sich also Hobbes’ Dialog über das Common Law zu seiner politischen Philosophie? Setzt Hobbes die Kenntnis seiner politischen Hauptschriften (De Cive und Leviathan) voraus? Der Beginn des Dialogs ist jedenfalls überraschend und genauso unvermittelt wie das Ende, denn er hebt mit einem der zentralen Themen von Hobbes’ politischer Philosophie an. Das erste Kapitel »Vom Gesetz der Vernunft« wirft gleich eine ganze Reihe von Fragen auf: Wodurch wird Recht und Gesetz geschaffen? Worin liegt die Rechtsquelle? Warum ist das Gesetz verpflichtend? Wer kann wann und auf welcher Grundlage über Recht und Unrecht entscheiden? Hobbes zeigt in den ersten Absätzen, dass man zwar davon ausgehen könne, »dass Vernunft die Seele des Rechts« ist, die damit aufgeworfenen Fragen aber nicht beantwortet werden können, da jeder seine eigene Vernunft zum Maßstabe mache.166

165  A. Cromartie, Sir Matthew Hale, S.  12: »The English treated common law (…) as a kind of political science«. 166  T. Hobbes, Dialog, S.  4.

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Die Vernunft für sich in Anspruch zu nehmen, kann das Problem der richtigen Interpretation daher nicht lösen. Denn, so der Philosoph gleich eingangs im Dialog, »ich behaupte, dass die großen Mathematiker nicht so häufig irren wie die großen Rechtsgelehrten«.167 Bereits in den Elements hatte Hobbes programmatisch behauptet, die Lehre von der Politik müsse auf der Grundlage sicherer (geometrisch-mathematischer) Prinzipien aufgebaut sein.168 Auch die Rechtsauslegung, wie sie insbesondere das Common Law vorsah, konnte für sich keine 167  T. Hobbes, Dialog, S.  3. Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  45.: »Warum bringt man den Leuten nicht ihre Pflichten bei, d. h. das Wissen um Recht und Unrecht, wie so viele andere Wissenschaften gelehrt worden sind nach wahren Grundsätzen und klarliegender Beweisführung?« 168 T. Hobbes, Menschliche Natur und politischer Körper (Widmungsschreiben), S.  3: »aus den zwei Teilen unserer Natur, der Vernunft und der Leidenschaft, rühren zwei Arten des Wissens, das mathematische und das dogmatische. Erstere ist frei von Zank und Hader, weil nur Figuren und Bewegung miteinander verglichen werden; in diesen widerstreiten die Wahrheit der Dinge und das Interesse der Menschen einander nicht. In Letzterer indes gibt es nichts Unstrittiges, weil sie die Menschen vergleicht und sie verwoben ist mit ihrem Recht und ihrem Nutzen; und hier gilt: Sooft die Vernunft sich gegen den Menschen wendet, so oft wird der Mensch sich gegen die Vernunft wenden. Und von daher kommt es, dass diejenigen, die von Gerechtigkeit und Politik im Allgemeinen geschrieben haben, sich wechselseitig und sich selbst widersprechen. Um diese Lehre auf die Regeln und die Unfehlbarkeit der Vernunft zurückzuführen, gibt es keinen anderen Weg, als solche Prinzipien zunächst auf eine sichere Grundlage zu stellen, denn wenn wir der Leidenschaft nicht misstrauen, können wir sie nicht ersetzen; und sodann die Wahrheit der Fälle nach und nach in das Gesetz der Natur (welches bisher nur auf Luft gebaut wurde) einzubauen, bis das Ganze unbezwinglich ist.« Diese Posi­ tion hält Hobbes konsequent durch. Vgl. zum Beispiel T. Hobbes, Vom Bürger (Widmung), S.  61; T. Hobbes, Elemente der Philosophie Der Körper (XV-5), S.  19 und T. Hobbes, Leviathan (XX), S.  177. Siehe dazu auch W. Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht. Methodengeschichtliche Untersuchungen zur Staatsphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert, München 1970, S.  24.

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mathematisch verlässlichen Beurteilungskriterien in Anspruch nehmen. Schon allein deswegen könne man nicht erwarten, dass die Menschen ihre »eigene Vernunft« zugunsten der Vernunft der Juristen suspendieren würden.169 Aber genau das hatte Coke eindringlich behauptet.170 Auch Matthew Hale betonte deswegen gegen Hobbes, dass ein derartiger Anspruch ein Trugschluss sei und jede realistische Rechtsprechung unmöglich mache. »Von allen Gegenständen, auf die sich das Vernunftvermögen richtet, macht es keiner der Vernunft so schwierig, den rechten Weg zu finden und zu einer gewissen Sicherheit zu gelangen, wie das Recht, das den zivilisierten Gesellschaften Gesetz und Ordnung gibt und Recht und Unrecht abzuwägen erlaubt. Deshalb ist es auch für die Menschen nicht möglich, auf dem Gebiet des Rechts zu derselben demonstrativen Gewissheit zu kommen wie in der Mathematik; und wer sich der Illusion hingibt, er könne ein unfehlbares System des Rechts und der Politik schaffen, das in gleicher Weise für alle Staaten und für alle Vorfälle gilt und das dieselbe Evidenz und Folgerichtigkeit besitzt wie die Schlußfolgerungen Euklids – wer das glaubt, der täuscht sich selbst mit Vorstellungen, die sich sofort als wirkungslos erweisen, wenn sie in irgendeinem speziellen Fall angewendet werden sollen«.171 Hobbes wirft also zu Beginn des Dia­ logs dem Common Law vor, was er zuvor bereits den Lehren von der Politik vorgehalten hatte: Sie seien unwissenschaftlich und auf nicht tragfähigen Voraussetzungen gegründet.172 Es handelt 169  T. Hobbes, Dialog, S.  4. 170  Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes, Bd.  II, S.  701: »no man, out of his own private reason, ought to be wiser than the law, which is the perfection of reason«. 171  M. Hale, Reflexionen über Hobbes’ Dialogue of the laws, S.  66. Siehe auch J. H. Hexter, Thomas Hobbes and the Law, S.  482 und D. Saunders, Anti-lawyers, S.  41–47. 172 Diesen, allerdings noch schärfer formulierten Vorwurf machte Hobbes auch den Theologen. P. Schröder, Behemoth or the Long Parlia-

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sich hier um einen fundamentalen und nicht vermittelbaren Gegensatz zwischen der Auffassung der Rechtstradition des Common Law und Hobbes’ eigenem Selbstverständnis. Er beginnt den Dialog also mit einer frontalen Attacke auf die grundsätzlichen Lehrinhalte des Common Law.173 Die im Common Law vorgesehene und notwendige Interpretation der Gesetze oblag nach Coke den Richtern. Das Common Law war »die absolute Perfektion der Vernunft«.174 Die notwendige Auslegung der Gesetze könne nur von den common lawyers aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation vorgenommen werden. Gesetzesinterpretation und Rechtsprechung waren ihre Domäne, in die auch der König nach Cokes Verständnis nicht eingreifen durfte.175 Dass genau diese Überlegungen zu erheblichen Konflikten führten, haben wir oben gesehen. Für Hobbes bedeutete das System des Common Law auch einen Anspruch darauf, Gesetze fortschreiben zu können.176 Im Common Law, so Hobbes’ ment, S.  X XI–XLIV. Für die Parallele zwischen Common Law und Theologie siehe auch J. H. Hexter, Thomas Hobbes and the Law, S.  486 und Y. Abosch, An Exceptional Power, S.  21–23. 173  Siehe dazu aus der Perspektive des Common Law auch J. H. Hexter, Thomas Hobbes and the Law, S.  477. Es ging Hobbes bei diesem fundamentalen Angriff auch darum, seine eigenen Interessen gegenüber den Interessen der common lawyers zu behaupten. Das wird auch in Behemoth bestätigt. T. Hobbes, Behemoth, S.  45.: »B Aber wer kann lehren, was keiner gelernt hat? Oder wenn jemand ausnahmsweise die Wissenschaft von Gerechtigkeit und Billigkeit studiert hat, wie kann er solches unangefochten lehren, wenn es gegen das Interesse derer ist, welche die Macht haben, ihm zu schaden? A Die Regeln von Recht und Unrecht, genügend bewiesen und an Prinzipien klargemacht, dass auch die geringste geistige Fähigkeit sie erkennen muss, haben nicht gefehlt, und trotz der Unbekanntheit ihres Autors haben sie nicht bloß in diesem, sondern auch in fremden Ländern allen Männern von guter Bildung geleuchtet«. 174  Sir E. Coke, The second part of the Institutes of the lawes of England, S.  179: »the common law (…) is the absolute perfection of reason«. 175  Vgl. dazu ferner S. Sheppard, Introduction, S.  X XVf. 176  D. E. C. Yale, Hobbes and Hale on Law, S.  125: »Coke’s idea of law

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Überzeugung, war letztlich der Anspruch auf das Souveränitätsrecht der Legislative einbegriffen.177 Daneben gab es aber noch einen weiteren, gewichtigeren Gesichtspunkt, durch den das Common Law Hobbes’ Konzeption der Souveränität in Frage stellte. Hobbes’ Argumentation, dass nur durch staatliche Gesetze und den Gehorsam der Bürger Frieden und Sicherheit im Staat gewährleistet werden können, wurde von den Vertretern des Common Law nicht bezweifelt. Sie nahmen aber, wie das durch Coke besonders anschaulich wird, für sich exklusiv in Anspruch, die Anwendung und Auslegung der Gesetze bestimmen zu können. Damit scheinen die Voraussetzungen für ein sicheres und friedliches Zusammenleben in der Interpretationshoheit der Richter zu liegen (durch ihr Urteil und ihre Entscheidungsfindung). Gleich zu Beginn des Dialogs nehmen allerdings sowohl der »Philosoph« als auch der »Jurist« weitgehend die gleiche Position in dieser zentralen Souveränitätsfrage ein, denn auch der Jurist stimmt grundsätzlich zu, dass Coke »für den Gesetzgebungsprozess doch die Autorität des Königs [hätte] veranschlagen müssen, welcher über die Souveränität verfügt«.178 Von beiden Dialogpartnern wird gegen Coke polemisiert. Hier werden aber nicht, wie von Hobbes insinuiert, grundsätzliche Posi­tionen Cokes verworfen, denn Coke und die Vertreter der Common-Law-Tradition stellten nach ihrem eigenen Selbstverständnis die Autorität des Königs keineswegs in Frage. Ihr Souveränitätsverständnis sah den König aber an die fundamentalen Gesetze des Landes gebunden. Zudem konnte der König innerhalb der englischen Verfassungsorganisation auf Dauer die Souveränität nur im Zusammenwirken mit dem Parlament was not essentially that of a judge-made law, as Hobbes seems to have thought, but of law as the product of intellectual reason«. 177  Vgl. dazu aus der Perspektive von Coke und kritisch zu Hobbes auch J. U. Lewis, Sir Edward Coke (1552–1634): His Theory of »Artificial Reason«, S.  109  f. 178  T. Hobbes, Dialog, S.  6.

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ausüben.179 Auch Hale hat das in seiner Kritik an Hobbes’ Dia­log klar zum Ausdruck gebracht: »Obgleich die gesetzgebende Gewalt beim König liegt, so daß niemand als er Gesetze machen kann, die die Untertanen dieses Reiches binden, so gibt es doch eine gewisse Einschränkung dieser Gewalt; sie ist an den Rat und die feierliche Zustimmung beider Häuser des Parlaments gebunden, ohne die kein Gesetz zustande kommen kann«.180 Für die Rechtslehrer des Common Law stand der Monarch nicht wie bei Hobbes über dem Gesetz; er war nicht legibus solutus.181 Diese grundsätzlich unterschiedliche Auffassung zwischen Hobbes und den Vertretern des Common Law war offenbar der Grund, warum Hobbes sich überhaupt dem Common Law widmete, da es den Kern seiner Souveränitätslehre in Frage stellte. Nach seinem Verständnis war die Unterscheidung zwischen Statute Law und Common Law irreführend, denn ein Gesetz war für ihn der Befehl eines Souveräns: »Ein Gesetz ist ein Befehl desjenigen oder derjenigen, die die Souveränität innehaben, gerichtet an jene, die seine oder ihre Untertanen sind, in dem öffentlich und unmissverständlich erklärt ist, was jedem von ihnen erlaubt ist und was sie unterlassen müssen«.182 Damit wird 179  Vgl. zu Cokes Position ausführlich den II. Teil meiner Einleitung. 180  M. Hale, Reflexionen über Hobbes’ Dialogue of the laws, S.  7 7. 181  Siehe dazu auch M. Hale, Reflexionen über Hobbes’ Dialogue of the laws, S.  75  f.: »Die Gesetze dieses wie aller anderen Reiche haben eine dreifache Wirkung. 1) Potestas Coerciva. Diese erstreckt sich auf alle Untertanen des Königs, aber nicht auf ihn selbst. (…) 2) Potestas Directiva. Sie bindet den König und zeigt sich in dem feierlichen Eid, den er bei seiner Krönung ablegt, und in der wiederholten Bekräftigung der Magna Charta und der anderen Gesetze und Statuten, die die Freiheiten seiner Untertanen betreffen. 3) Potestas Irritans. In vielen Fällen sind die Gesetze auch bindend für die Handlungen des Königs; diese sind ungültig, wenn sie gegen das Gesetz sind«. 182  T. Hobbes, Dialog, S.  26. Vgl. auch ebd. 24: »Die Gesetze sind durch die Autorität geschaffen worden und von keinem anderen Grundsatz abgeleitet als von dem der Sorge um die Sicherheit des Volkes. Geschriebene

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dem Common Law abgesprochen, einen besonderen Status innerhalb der englischen Rechts- und Verfassungswirklichkeit zu haben. In diesem Zusammenhang fiel Hobbes’ Überlegungen zur Billigkeit (equity) eine zunehmend wichtigere Rolle zu. In den Elements of Law war dieses Konzept noch kaum entwickelt, in De Cive und dann vor allem im Leviathan wurde die Souveränitätstheorie durch den Begriff der Billigkeit ergänzt und weiterentwickelt.183 Bereits im Leviathan wurde von Hobbes – übrigens gegen den (von Coke verfochtenen) Interpretationsanspruch der Common-Law-Richter184 – betont, dass es nicht genüge, Gesetze lediglich zu verkünden. »Denn es ist nicht der Buchstabe, sondern die Bedeutung oder der Sinn, das heißt die authentische Auslegung des Gesetzes (nämlich der Auffassung des Gesetzgebers), worin die Natur des Gesetzes besteht. Und deshalb hängt die Auslegung aller Gesetze von der souveränen Autorität ab, und auslegen können sie nur jene, die der Souverän (…) ernennt«.185 Der Dialog über das Common Law nimmt diese Überlegungen wieder auf und führt sie fort.186 Während St Germain Gesetze sind nicht Philosophie, wie das Gemeine Recht und andere anfechtbare Künste, sondern es sind Befehle oder Verbote, die befolgt werden müssen«. Vgl. auch T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  232. 183  Vgl. T. Hobbes, Menschliche Natur und politischer Körper (XVII), S.  99. Der Begriff der Billigkeit wird hier nur einmal genannt, und zwar wenn Hobbes ausführt, die austeilende Gerechtigkeit werde »angemessen als BILLIGKEIT (EQUITY) bezeichne[t]«. Auch in De Homine von 1658 hat Hobbes der Billigkeit insofern einen wichtigen Stellenwert eingeräumt, als dort »Politik und Ethik« lapidar als »die Wissenschaft von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, von Billigkeit und Unbilligkeit« bestimmt werden. T. Hobbes, Vom Menschen (X-5), S.  20. 184  T. Hobbes, Leviathan (XXVI) S.  233: »Denn sonst kann dem Gesetz durch die Arglist eines Interpreten ein Sinn beigelegt werden, der dem vom Souverän beabsichtigten widerspricht, wodurch der Interpret zum Gesetzgeber wird«. 185  Ebd. Vgl. auch die Diskussion in Y. Abosch, An Exceptional Power und D. Klimchuk, Hobbes on Equity. 186  S. K. Dobbins, Equity, S.  114: »St. German and Hobbes are repre-

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equity noch innerhalb der Tradition des Common Law verortet hatte, stellte Hobbes das Konzept der equity im Dialog ganz in den Dienst seiner Souveränitätslehre.187 Carl Schmitt sah in Hobbes aufgrund seines Souveränitätsverständnisses einen reinen Dezisionisten und kommt daher zu dem  – in der Forschung durchaus umstrittenen – Urteil: »Der klassische Fall dezisionistischen Denkens erscheint erst im 17. Jahrhundert mit Hobbes. Alles Recht, alle Normen und Gesetze, alle Interpretationen von Gesetzen, alle Ordnungen sind für ihn wesentlich Entscheidungen des Souveräns, und Souverän ist nicht ein legitimer Monarch oder eine zuständige Instanz, sondern eben der, der souverän entscheidet. Recht ist Gesetz und Gesetz ist der den Streit um das Recht entscheidende Befehl«.188 ­Hobbes’ Diskussion der Billigkeit zeigt nun aber zumindest, dass sein Gesetzesbegriff nicht auf den Aspekt des Befehls zu reduzieren ist, sondern ihm die Interpretation und Auslegung nach der Billigkeit als wesentliches Moment zur Seite steht. Dies begründet Hob­bes im 26. Kapitel von Leviathan explizit gegen die Auffassung von Coke189 mit dem Hinweis auf die möglichen Unterschiede zwischen dem Buchstaben und dem Geist oder Inhalt des Gesetzes. Da die natürliche Vernunft des Souveräns – und die natürliche Vernunft seiner delegierten Richter – bei Hobbes die recta ratio sentative of the two quite distinct and almost opposite strains in what may be called the double tradition of equity in English jurisprudence. St. German, in his dialogue, focuses mainly on the dimension of equity which functions primarily as a canon of legal interpretation, tempering the letter of the law to perfect its just intention. Hobbes, on the other hand, focuses primarily on the dimension of equity which is manifest in the discretionary dispensing power of an absolute sovereign«. 187  Vgl. St Germains The Doctor and Student, S.  45–51. Siehe zu dem Verhältnis zwischen St Germain und Hobbes und insbesondere ihrer Interpretation von equity auch S. K. Dobbins, Equity, S.  118. 188  C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S.  23. 189  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI) S.  236.

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vertritt, obliegt es ihr, nach dem Maßstab der Billigkeit zu urteilen. Hobbes postuliert im Gegensatz zu Coke keine artificial rea­ son, aber er schreibt im Falle von Lücken im geschriebenen Gesetz den Richtern die Pflicht zu, diese Lücken unter Bezugnahme auf die Billigkeit und im Sinne des souveränen Gesetzgebers zu füllen. Da die Billigkeit die Absicht des Souveräns ist und sein muss, handeln die Richter hier stellvertretend für den Souverän im Namen der equity. Für Hobbes war »der wörtliche Sinn (…) das, was nach der Absicht des Souveräns durch den Buchstaben des Gesetzes bezeichnet werden sollte. Nun wird als Ansicht des Gesetzgebers stets die Billigkeit angenommen«.190 Dieses Argument dient zur Stärkung des Souveräns, da letztlich nur dieser das Gesetz nach der Billigkeit interpretieren kann und dem Souverän damit auch das Recht zukommt, Fehlurteile der Richter zu revidieren.191 Zugleich bedeutet dies aber auch, wie Hobbes im Dialog über das Common Law ausdrücklich betont, dass »der König keinem anderen Recht verpflichtet ist als dem der Billigkeit«.192 Schmitt und ihm folgend Willms gehen auf diesen Gesichtspunkt nicht ein und konzen­trieren sich lediglich auf den Befehlscharakter des Gesetzes. Sie verneinen, dass der Souverän in Hobbes’ Konzeption an grundlegende Rechtsprinzipien gebunden sei, was offenbar nur insoweit zutrifft, als der Souverän selbst interpre190  T. Hobbes, Leviathan (XXVI) S.  237. 191  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI) S.  236 und T. Hobbes, Dialog, S.  25  f. 192  T. Hobbes, Dialog, S.  26. Die Billigkeit ist das zehnte Naturgesetz, das Hobbes in De Cive nennt. T. Hobbes, Vom Bürger (III-15), S.  106. Der Souverän ist den Naturgesetzen (und daher auch der Billigkeit) verpflichtet, ihm kommt es aber zu, deren Gehalt selbst zu interpretieren. Es steht keinem anderen Menschen zu, darüber zu urteilen. Ein Recht, welches die Untertanen gegenüber dem Souverän aufgrund der naturgesetzlichen Verpflichtungen des Souveräns von diesem einklagen könnten, gibt es nach Hobbes nicht. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (VI-15), S.  141  f.

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tiert, was die Billigkeit fordert.193 Den Verpflichtungscharakter der Selbstbindung sollte man aber nicht zu voreilig abtun, denn Hobbes’ ganze Rechtsphilosophie, die die künstliche Erschaffung von Staat und Souverän zum Gegenstand hat, gründet ja auf der Selbstverpflichtung jedes Einzelnen durch Vertrag.194 Neben der grundsätzlichen Friedenssicherung gehört es zu den Aufgaben des Souveräns, den Naturgesetzen »wie Gerechtigkeit und Billigkeit« Geltung zu verschaffen.195 Der leicht zu 193  Vgl. B. Willms, Einleitung, S.  15–18. Auch diese Interpretation ist umstritten. David Dyzenhaus sieht den Souverän durch fundamentales Recht gebunden. D. Dyzenhaus, Hobbes on the authority of law, insbes. S.  188 und S.  208  f. Diese Interpretation scheint eher mit Hales als mit Hob­bes’ Argumenten zu korrespondieren. Kritisch zu dem ›konstitu­t io­ nellen‹ Argument von Dyzenhaus auch N. Malcolm, Thomas Hobbes: Liberal illiberal, S.  130 und L. v. Apeldoorn, On the person and office of the sovereign in Hobbes’ Leviathan, S.  61. Dyzenhaus’ Argumentation unterscheidet sich von den älteren Thesen von Taylor und Warrender, die der Frage der naturrechtlichen und von Gott gebotenen Verpflichtung des Souveräns in Hobbes’ Lehre nachgehen. Vgl. zu der von Taylor und Warrender angestoßenen Debatte und Hobbes’ Verständnis von Recht und Gesetz D. Eggers, Die Naturzustandstheorie des Thomas Hobbes, S.  198– 235 und D. Undersrud, On Natural Law and Civil Law, insbes. S.  688  f. 194  Für Hobbes blieb der Vertrag ohne staatliche Zwangsgewalt prekär. Denn »Verträge ohne das Schwert sind nur Worte und haben überhaupt keine Kraft, einen Menschen zu sichern. Wenn keine Macht errichtet wird oder eine, die nicht groß genug für unsere Sicherheit ist, wird und darf deshalb jedermann ungeachtet der Naturgesetze sich rechtmäßig auf seine eigene Kraft und Gewandtheit als Garantie gegen alle anderen Menschen verlassen«. T. Hobbes, Leviathan (XVII), S.  141  f. 195  T. Hobbes, Leviathan (XVII), S.  1 41. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (III-27), S.  110: »Angesichts dessen, daß die meisten Menschen allzu sehr auf den unmittelbaren Vorteil bedacht sind, sind sie allerdings wenig geneigt, die oben genannten [i. e. die Natur-] Gesetze zu befolgen, selbst wenn sie sich ihrer sehr wohl bewußt sind. Wenn daher einzelne, die besonnener als die übrigen sind, die von der Vernunft gebotene Billigkeit und Rücksichtnahme praktizieren wollten, so würden sie damit keineswegs der Vernunft folgen, da die anderen ja nicht dasselbe täten. Sie würden sich damit nämlich nicht den Frieden, sondern nur einen sicheren

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übersehende Stellenwert der Billigkeit innerhalb von Hobbes’ Begründung staatlicher Herrschaft wird hier deutlich. In dem Dia­ log über das Common Law wird nun, wie im Leviathan bereits ausgeführt, durch den Bezug auf die Billigkeit und ihren Nexus zum Souverän der Gestaltungsanspruch von Coke und den Common-Law-Richtern energisch zurückgewiesen. Das erinnert an die Auseinandersetzung, die Ellesmere und Bacon mit Coke führten, in der sie mit Verweis auf die equity courts Cokes Ansprüche zurückwiesen, die er im Namen des Common Law zur Einschränkung der königlichen Prärogative formuliert hatte (vgl. dazu oben, II. a). Diese Frage führte auch für Hobbes unmittelbar zu den Disputen über die grundlegenden Souveränitätsrechte und deren mögliche Einschränkung. Hobbes lässt im Dialog über das Common Law nun keinen Zweifel daran, dass »nicht alle Könige und Staaten für ihre Gesetze die Zustimmung eines Oberoder Unterhauses [brauchen]. Auch unser König hier ist nur insoweit an diese Zustimmung gebunden, als dies nach seinem Urteil zum Wohl und zur Sicherheit seines Volkes beiträgt«.196 Genau um diese fundamentale Frage ging es bei den durch das Common Law geprägten Konflikten zwischen König und Parlament, und Hobbes negierte schlicht die Rechtsquellen des Common Law. Das beinhaltete auch die Rechtsquellen der ancient consti­ tution, womit Hobbes in der Konsequenz jede (konstitutionelle) Einschränkung der Souveränität als illegitim betrachtete. Aber diese Argumentation konnte bei den common lawyers natürlich nur auf Ablehnung stoßen.197

und frühzeitigen Untergang bereiten. Diejenigen, die die Gesetze einhielten, würden gleichsam zur Beute derer werden, die sie nicht beachten«. Nur im Staat ist es also möglich und damit vernünftig und geboten, den Geboten der Billigkeit zu folgen. 196  T. Hobbes, Dialog, S.  22. 197  Vgl. dazu auch M. Lobban, Thomas Hobbes and the Common Law, S.  40 und S. K. Dobbins, Equity, S.  132.

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Worin die fundamentalen Rechtsprinzipien konkret bestehen, wurde von Coke mit Verweis auf die künstliche Vernunft des Common Law in der Tat eher erratisch begründet. Das Dilemma des Common Law bestand darin, dass dadurch eine Rechtsquelle behauptet wurde, die gar nicht eindeutig vom Souverän auszugehen schien. Darin lag für Hobbes das grundsätzliche Problem dieser Rechtsauffassung. Denn niemand könne »ein Gesetz machen (…), außer er verfügt über die legislative Gewalt. Es ist offensichtlich unwahr, dass das Recht von bedeutenden und gelehrten Männern, d. h. von den Professoren des Rechts, vervollkommnet wurde, denn die Gesetze Englands wurden stets von den Königen von England zu Gesetzen gemacht, nachdem sie Ober- und Unterhaus des Parlaments zu Rate gezogen hatten«.198 Hobbes’ Dialog über das Common Law hat daher zum Ziel, die Interpretationshoheit des Souveräns über Recht und Gesetz gegenüber den konkurrierenden Ansprüchen von Parlament und Common Law zu verteidigen.199 Der Jurist und der Philosoph sind sich einig darin, dass der Souverän Gesetzgeber und Richter sein sollte.200 198  T. Hobbes, Dialog, S.  5. Die moderne Antwort liegt im Rechtsstaat, in dem jede legislative Entscheidung den Anforderungen und Normen einer grundgesetzlichen Verfassungsordnung zu genügen hat. Dem hielt Schmitt – gegen die von Kelsen vertretene Position – entgegen, »keine Norm, weder eine höhere noch eine niedere, interpretiert und handhabt, schützt oder hütet sich selbst; keine normative Geltung macht sich selbst geltend, und es gibt auch – wenn man sich nicht in Metaphern und Allegorien ergehen will – keine Hierarchie der Normen, sondern nur eine Hier­a rchie konkreter Menschen und Instanzen«. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S.  57. 199  So auch schon bereits N. Bobbio, Introduzione, S.  41  f., der in seinen Überlegungen (ebd. S.  42) zu dem Schluss kam, Hobbes’ Dialog über das Common Law zeige warum »il solo interprete autorizzato non è il giu­ dice ma il sovrano«. 200  T. Hobbes, Dialog, S.  23: »P.: Da also der König alleiniger Gesetzgeber ist, ist es meiner Ansicht nach auch vernünftig, dass er der einzige oberste Richter sein sollte. J.: Daran besteht kein Zweifel, denn andernfalls gäbe es keine Übereinstimmung der Gerichtsurteile mit den Gesetzen«.

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Hob­bes’ Souveränitätsverständnis lässt sich treffend dahingehend zusammenfassen, dass der Souverän durch von ihm verkündete Gesetze handelt und so seine Regierungsgewalt ausübt. Allerdings impliziert dies für Hobbes, dass gewisse formale Aspekte des Rechts auch den Souverän binden und von ihm beachtet werden müssen, denn sonst konstituieren seine Befehle kein Recht. Hobbes nennt hier als Conditione sine qua non unter anderem die Publizität, Bestimmtheit und Allgemeinheit der Gesetze. Zentral ist für Hobbes’ Überlegungen nicht die philosophische Begründung grundlegender Rechte, sondern aufzuzeigen, warum deren Einschränkung durch staatliche Gesetze im Dienste der Friedenssicherung notwendig ist.201 Dem Parlament wird von Hobbes nur eine beratende Funktion und keine Legislativgewalt zugeschrieben, die common lawyers hätten – ganz so wie Bacon das bereits formuliert hatte – nur nach den vom Souverän erlassenen Gesetzen Recht zu sprechen. In De Cive hatte Hobbes sich nicht für das Common Law interessiert und bereits im Vorwort zu verstehen gegeben, dass es ihm nicht darum gehe, sich »über die Gesetze irgendeines Staates im Besonderen auszulassen, d. h. nicht die wirklich vorhandenen Gesetze irgendeines Staates, sondern deren Natur überhaupt zu besprechen«.202 Insofern ist es nur konsequent, dass Coke in De Cive nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Im Leviathan ist das anders. Insbesondere das für unseren Argumentationszusammenhang bedeutsame 26. Kapitel »Von staatlichen Gesetzen« setzt sich mit dem Common Law explizit auseinander. Hier fin201  T. Hobbes, Leviathan (XV), S.  108: »Recht besteht in der Freiheit, etwas zu tun oder zu lassen, während Gesetz eines davon festlegt, so daß sich Gesetz und Recht so weit unterscheiden wie Verpflichtung und Freiheit, die bei ein und derselben Sache unvereinbar sind«. Vgl. N. Malcolm, Thomas Hobbes: Liberal illiberal, S.  129 sowie ebd. S.  131: »there is a public and general dimension to everything the sovereign does, without arguing that there are any permanent constraints on what the sovereign can do«. 202  T. Hobbes, Vom Bürger, S.  73.

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den sich dann auch zwei der insgesamt drei Erwähnungen von Coke im Leviathan. Aber auch in dieser Schrift verfolgt Hobbes erklärtermaßen die gleiche Strategie wie in De Cive. Seine »Absicht [sei] nicht zu zeigen, was das Gesetz hier und da bedeutet, sondern was Gesetz bedeutet«.203 Liegt hier also ein Sinneswandel von Hobbes vor? Die Behauptung von Crooke in seinem Vorwort zu dem von ihm herausgegeben Dialog, Hobbes habe versucht, im Dialog »seine allgemeinen Vorstellungen der Politik auf die besondere Situation der englischen Monarchie anzupassen«, scheint auf den ersten Blick durchaus zutreffend.204 Crookes Überlegungen legen damit erstens nahe, dass Hobbes’ Dialog die politische Lehre von De Cive und Leviathan aufnimmt und voraussetzt; er zweitens aber offenbar die Absicht verfolgte, die vor der Restauration von 1660 in diesen Schriften (De Cive erschien 1642/1647 und Leviathan 1651) formulierte politische Lehre nun im Dialog weiterzuführen und angesichts der neuen oder vielmehr wiederhergestellten Machtverhältnisse zu verteidigen. Wie ist also das Verhältnis zwischen diesen Schriften zu charakterisieren?205 Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich im Wesentlichen bereits aus den vorherigen Ausführungen. Die Bedeutung von Hobbes’ Dialog als wichtiger Beitrag innerhalb seiner rechtsphilosophischen und politischen Schriften wird aber immer noch unterschätzt.206 203  T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  223. 204  W. Crooke, The Preface, in: T. Hobbes, The Art of Rhetoric with A Discourse of the Laws of England, hg. v. W. Crooke, London 1681 [ohne Paginierung, S.  3]: »he has endeavour’d to accommodate the general notions of his Politic to the particular constitution of the English Monarchy«. 205  Larry May legt nahe, Hobbes habe im Dialog über das Common Law seine Souveränitätstheorie aufgeweicht (»softened«). L. May, Hobbes Against the Jurists, S.  223. 206  Bernard Willms kommt das Verdienst zu, mit seiner Edition von Hobbes’ Dialog im deutschen Sprachraum die Bedeutung dieser Schrift nachdrücklich herausgestellt zu haben. Vgl. insbesondere B. Willms, Einleitung, S.  32  f. Die Hobbesforschung ist darauf aber leider bislang

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Obwohl Hobbes sich intensiv mit der Rechtsgeschichte Englands und insbesondere Cokes Institutionen auseinandergesetzt hatte, ging es ihm trotz gegenteiliger Behauptung nicht wirklich um das spezifische Englische Recht. Denn wie Hale treffend erkannt hatte, legte Hobbes in seinem Dialog über das Common Law sein abstraktes systematisches Rechts- und Souveränitätsverständnis zugrunde, dem die Rechtstradition des Common Law nur im Wege stand.207 Insofern vertritt der Dialog die gleichen Positionen wie De Cive und Leviathan, in denen es um die Begründung von Souveränität und Recht an sich und nicht irgendeiner spezifischen Rechtsordnung ging. Auch anhand von Hobbes’ Übernahme der salus populi innerhalb seiner Argumentationsführung über die Souveränität lässt sich beispielhaft erkennen, wie eng der Dialog über das Common Law in den argumentativen Zusammenhang seiner politischen Schriften eingebettet ist. Schon in den Elements of Law war das Wohl des Volkes als höchstes Gesetz ausdrücklich im Kontext von Hobbes’ Souveränitätslehre wiederholt genannt worden. Hobbes führte dort aus, »der Zweck der Kunst ist Nutzen; und das Regieren zum Nutzen der Untertanen ist das Regieren zum Nutzen des Souveräns, wie in Kap.  X XIV,1 gezeigt wurde. Und diese drei, nämlich 1. das Gesetz über denen, die souveräne Macht haben; 2. ihre Pflicht; 3. ihr Nutzen, sind ein und dieselbe Sache, enthalten in dem Satz Salus populi suprema lex [Das Wohl des Volkes sei das höchste Gesetz], worunter nicht nur die bloße Erhaltung ihrer Leben, sondern ganz allgemein ihr Vorteil und ihr Wohl [commodity of living] zu verstehen ist. Dies also ist das allgemeine Gesetz für Herrscher: Dass sie bis zum Äußersten ihres Bemükaum eingegangen. Siehe unter den positiven Reaktionen, die dann allerdings nicht zu weiteren Studien geführt haben, z. B. die Rezension von D. Hüning, Thomas Hobbes: Dialog zwischen einem Juristen und einem Philosophen über das englische Recht, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 40 (1992), S.  1347  f. 207  Siehe dazu oben S.  X XVII .

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hens das Wohl des Volkes herbeiführen«.208 Diese Formulierung, die auf Cicero zurückgeht, war im politischen Diskurs der frühen Neuzeit ein Allgemeinplatz.209 Auch in allen politischen Schriften von Hobbes findet sich im Diskussionszusammenhang über die Souveränität ein entsprechender Verweis. Allerdings wird die Formulierung bei Hobbes in einem durchaus originellen Sinn verwendet. In der frühen Neuzeit war die Phrase vor allem bei den Denkern der Staatsräson prominent in Gebrauch, bei Hobbes meint der Satz, wie er ausdrücklich betont,210 nicht mehr Staatsräson und die Geheimnisse der Regierungskunst (arcana imperii), sondern Frieden und die »commodity of living« der einzelnen Untertanen. In dieser Hinsicht ist Hobbes durchaus Cicero näher und wird ihm gerechter als die Autoren der ra­ tio status und der arcana imperii.211 So wird diese Formulierung auch in De Cive in dem Kapitel über die Herrschaft ausdrücklich wiederaufgenommen.212 Allerdings ist es auffällig, dass der Verweis auf die salus populi in Leviathan dann längst nicht mehr so prominent ist wie noch in den Elements und De Cive.213 In den korrespondierenden Kapiteln über das Gemeinwesen und die Souveränitätsrechte (insbesondere Kapitel 17–19), die den 2. Teil des Leviathan ausmachen, findet sich kein ausdrücklicher Verweis darauf, dass das Wohl des Volkes das höchste Gesetz sei. Der Sache nach behielt Hobbes seinen Begriff der salus populi, die eben im vom Souve208  T. Hobbes, Menschliche Natur und politischer Körper (XXVIII), S.  198. 209 Cicero, Über die Rechtlichkeit (De legibus), hg. v. K. Büchner, Stuttgart 1989 (III-8), S.  87. Hobbes war gegenüber Ciceros Republikanismus sehr skeptisch. 210  T. Hobbes, Menschliche Natur und politischer Körper (XXVIII), S.  197. 211  Vgl. B. Straumann, Crisis and Constitutionalism, S.  184 und S.  301. 212  T. Hobbes, Vom Bürger (XIII-2), S.  205. 213  T. Hobbes, Leviathan (Einleitung), S.  5.

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rän geschützten Frieden und der »commodity of living« bestand, durchaus bei.214 Vielmehr ist es bezeichnend, dass Hobbes die im Staat bestehende (und nur dort wirklich gesicherte) Freiheit der Untertanen als die Abwesenheit von einschränkenden Gesetzen bezeichnet.215 Dass Hobbes im Leviathan den Bezug auf die sa­ lus populi in diesem Diskussionszusammenhang zurücknimmt, mag damit zu tun haben, dass die Interpretation, worin denn die inhaltliche Bestimmung von salus populi lag, umstritten war. Der Verweis auf salus populi diente zur Begründung ganz unterschiedlicher politischer Lehren. So urteilte Hobbes dann auch in Behemoth, »der Vorwand zur Rebellion des Langen Parlaments war die salus populi«.216 Dieses Urteil ist durchaus zutreffend. Beispielsweise beanspruchte Henry Parker im Konflikt zwischen Karl I. und dem Parlament auch mit Verweis auf die salus po­ puli die Souveränität für das Parlament.217 Bereits Selden hatte in seinen Table Talks – wohl mit intendierter Kritik an Parker – betont, kein Satz werde so missbraucht wie der Verweis auf die salus populi.218

214  T. Hobbes, Leviathan (XXX), S.  283. 215  T. Hobbes, Leviathan (XXI), S.  179. 216  T. Hobbes, Behemoth, S.  206. 217  H. Parker, Observations, S.  3. Auch John Locke machte sich später eine ähnliche Argumentation zu eigen. Vgl. J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (II-13-§ 158), S.  300. 218  J. Selden, Table Talks, S.  211: »There is not anything in the World more abused than this Sentence, Salus populi suprema lex esto, for we apply it, as if we ought to forsake the known Law«.

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V.  Die Restauration der Stuarts 1660 und Hobbes’ politische Lehre Durch die Restauration war es für Hobbes offenbar unproblematischer, sich wieder ausdrücklich auf die salus populi zu berufen. Im Behemoth wurde – nun freilich erst in der Rückschau – einerseits bestritten, dass Cromwell als Verteidiger der salus populi gelten könne.219 Andererseits wird im Dialog über das Common Law und im Behemoth die salus populi wieder im Dienste der Monarchie instrumentalisiert: »Du weißt, dass Salus Populi Su­ prema Lex ist, das bedeutet, dass die Sicherheit des Volkes [­salus wird hier treffend von Willms als Sicherheit übersetzt] oberstes Gesetz ist. Die Sicherheit der Menschen in einem Königreich besteht aber in der Sicherheit des Königs und darin, dass er die Macht hat, die notwendig ist, um sein Volk sowohl gegen ausländische Feinde als auch gegen aufrührerische Untertanen zu verteidigen«.220 Ähnlich wird dies auch in etwa zur gleichen Zeit in Behemoth formuliert.221 Hobbes’ politische Lehre wurde von Royalisten wie Republikanern im besten Falle argwöhnisch zur Kenntnis genommen.222 219  T. Hobbes, Behemoth, S.  207: »A Jenes Gesetz der salus populi gilt nur für die, die Macht genug haben, das Volk zu verteidigen, d. h. für die, welche die höchste Gewalt haben. (…) B Kam Cromwell nur hoch mit dem einzigen Titel der salus populi? A Nein. Denn das ist ein Titel, den sehr wenige Menschen verstehen«. 220  T. Hobbes, Dialog, S.  70. 221  T. Hobbes, Behemoth, S.  7 7: »Ich verstehe nicht, dass ein Gesetz grundlegender sein kann als ein anderes, außer dem Naturrecht, das uns alle verpflichtet, dem zu gehorchen, wer es auch sein mag, welchem wir gesetzlich und unserer eigenen Sicherheit wegen Gehorsam gelobt haben; für den König aber gibt es kein anderes als die salus populi, die Sicherheit und das Wohlergehen seines Volkes«. 222  Als Republikaner bezeichnet man bis heute im Vereinigten Königreich diejenigen, die sich gegen die Monarchie wenden – es wäre irreführend, sie mit den durch die Medien wesentlich bekannteren US-ameri-

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Insbesondere royalistische Kleriker und republikanische Parlamentarier fühlten sich durch Hobbes’ Schriften provoziert.223 Der anglikanische Bischof John Bramhall (1594–1663) bezeichnete Leviathan gar als »Rebells catechism«.224 Ein solches Urteil wurde vermutlich noch dadurch verstärkt, dass der Republikaner225 Marchamont Nedham (1620–1678) Hobbes als einen der führenden Royalisten identifizierte und seine Argumente geschickt gegen die Royalisten wendete.226 Hobbes hatte England kanischen Republikanern, im Sinne einer Zugehörigkeit zur »Republican Party«, zu verwechseln. 223  M. Goldie, The reception of Hobbes, S.  603: »For English royalists, Hobbes not only (…) legitimised the usurper Cromwell, but encouraged rebellion«. 224  J. Bramhall, The Catching of Leviathan, S.  145. 225  Diese Bezeichnung trifft freilich nur sehr bedingt Nedhams politische Überzeugungen. »He is a serial turncoat [Wendehals] of the civil war. In the first war he wrote for Parliament. In the second he wrote for the king. (…) in the 1650s he supported every regime in turn«. B. Worden, Introduction, S.  X XI. Mit der Restauration wurde Nedham, obwohl er sich inzwischen zur wiedereingesetzten Stuartmonarchie bekannte, dennoch der Vorwurf gemacht, sich gegen die Monarchie gewandt und sich erst auf die Seite des (republikanischen) Parlaments und dann Cromwells geschlagen zu haben. Siehe dazu v. a. die 1660 anonym publizierte, aggressivpole­mische Schrift A Rope for Pol, Or, A Hue and Cry after Marchemont Nedham, the Late Scurrulous [sic] News-writer. 226  M. Nedham, The Case of the Common-wealth of England Stated, S.  103: »Notwith standing that I have already in the former part of this Treatise, sufficiently proved these two particulars, viz. [That the Power of the Sword gives Title to Government: And that Governers thus invested (though perhaps unlawfully) may, and must be lawfully obeyed;] yet being to appear in the world with a second Impression, and in regard of the present Controversie touching Government, hangs upon these two hinges, I thought meet to fasten them more surely upon the Reader, and drive the nailes home to the head, by inserting some Additions, which I have collected out of Salmasius his Defensio Regia, and out of M. Hobbs his late book de Corpore Politico. Not that I esteem their Authorities any whit more Authentick than those which I have already alledged; but onely in regard of the great reputation allowed unto those Books by the two Par-

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vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs verlassen und sich 1640 den nach Paris ins Exil gegangenen Mitgliedern des englischen Hofes angeschlossen. Er hatte am Exilhof der Stuarts Zugang zur königlichen Familie und schien eine privilegierte Stellung einzunehmen. Aber auch hier fühlte er sich zunehmend durch Anglikaner und Royalisten verfolgt, die seinen Lehren kritisch gegenüberstanden. Sir Edward Nicholas (1593–1669) spricht die Sicht von Hobbes’ royalistischen Gegenspielern am Exilhof in einem Brief an Sir Edward Hyde (1609–1674) unmissverständlich aus: »Alle ehrlichen Männer hier, die Anhänger der Monarchie sind, sind sehr zufrieden, dass der König endlich den Vater der Atheisten von seinem Hof verbannt hat. Mr Hobbes, der, wie gesagt wird, den Hof der Königin und viele der Familie des Grafen von York zu Atheisten gemacht hat, hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, auch den Hof des Königs vergiftet«.227 Nicht zuletzt durch die Publikation des Leviathan war Hobbes ins politische Rampenlicht geraten, was ihn bemerkenswerterweise sowohl für Royalisten als auch für Republikaner noch verdächtiger und angreifbarer machte. 1652 kehrte Hobbes wieder nach England zurück und versuchte sich mit dem neuen System zu arrangieren. So ging es vielen, egal ob sie wie Matthew Hale (der unter allen Regimen  – einschließlich des Protektorats – von Karl I. bis zur Restauraties, Presbyterian and Royall; And I suppose no man may triumph, or cry a victory, more honourably then my selfe, if I can foile our Adversaries with weapons of their own approbation«. Daneben war James Harrington einer der profiliertesten republikanischen Kritiker von Hobbes. Vgl. beispielhaft J. Harrington, The Commonwealth of Oceana, S.  170. 227  G. F. Warner (Hg.), The Nicholas Papers, S.  284. In der Rückschau machte Hobbes nicht die Anglikaner am Exilhof dafür verantwortlich, dass er Paris verlassen musste, sondern die französischen katholischen Geistlichen. Vgl. T. Hobbes, Considerations, S.  415. Zur Kritik der Anglikaner an Hobbes während der Zeit seines Pariser Exils vgl. T. Raylor, The Anglican Attack on Hobbes und J. Parkin, Taming the Leviathan, S.  18–84.

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tion Karls II. als Richter diente)228 im Land geblieben oder wie ­Hobbes zunächst ins Exil gegangen waren. Mit den neuen Machthabern musste ein modus vivendi gefunden werden, wollte man in England leben. Durch die turbulenten Ereignisse und politischen Umwälzungen war es auch für erklärte Royalisten schwer, eine klare Orientierung und eindeutige Loyalität zu bewahren. Auch für Hobbes war diese Loyalitätsfrage nicht immer eindeutig. Im Leviathan, der 1651 veröffentlicht wurde, wies er einerseits darauf hin, dass der Kampf um die Herrschaft und Souveränität in England noch nicht entschieden sei. Anderseits betonte Hobbes im Leviathan wiederholt, dass ein Souverän so lange Gehorsam von jedem Einzelnen einfordern könne, wie dessen Leben und Sicherheit durch ihn geschützt werde. Daraus sollte man aber nicht ableiten, Hobbes habe das politische Lager gewechselt und sich gegen die Stuartmonarchie gestellt.229 Denn erstens hatte Hobbes aufgrund seiner Souveränitäts­ theo­rie bereits vor der De-facto-Herrschaft der republikanischen Partei in England den Nexus von Schutz und Gehorsam betont. Zweitens war Hobbes aber auch klar, dass sein Vorzug der Mon­ archie eben gerade nicht wie seine anderen Argumente zur Begründung der Souveränität durch Vernunftgründe demonstriert werden konnte. »Denn wenn ich auch im zehnten Kapitel [von De Cive] versucht habe, durch einige Gründe zu zeigen, daß die Monarchie die angemessenere Art des Staates gegenüber den anderen 228  Burnet berichtet von den Skrupeln, die Hale offenbar umtrieben, als er zu entscheiden hatte, ob er Cromwells Angebot, eine der führenden Richterstellen zu besetzen, annehmen wolle. G. Burnet, The Life and Death of Sir Matthew Hale, S.  36. H. J. Berman, The Origins of Historical Jurisprudence, S.  1704 betont »Hale’s integrity« und »his ability to maintain an essentially neutral political stance throughout a long period of revolutionary upheavals and to serve in high places under successive opposing regimes«. 229  Das wird rückblickend auch von Hobbes betont. Vgl. T. Hobbes, Considerations, S.  420  f.

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Arten sei (was der einzige Punkt in dieser Schrift ist, der, wie ich anerkenne, nicht bewiesen, sondern nur wahrscheinlich gemacht worden ist), so habe ich doch verschiedentlich und ausdrücklich gesagt, daß man jedwedem Staate die höchste und gleiche Staatsgewalt beilegen müsse«.230 Wer die Souveränität nach Hobbes’ politischer Lehre innehatte, war indifferent, solange ein absoluter Souverän Schutz und Frieden sicherte. Hobbes hatte aber stets betont, dass er die Monarchie vorziehe. Das findet sich so auch im Leviathan: »Der gegenwärtige [meine Hervorhebung] Monarch [Karl II.] hat das Verfügungsrecht über die N ­ achfolge«.231 Der Nexus von Schutz und Gehorsam war ein zentrales Lehrstück seiner Souveränitätstheorie, was zur Zeit des Interregnums bedeutete, dass er seine Präferenz der Monarchie diesen Über­ legun­gen unterordnete. Immerhin beendete er den Leviathan mit den eindringlichen Worten, diese Schrift sei »veranlaßt durch die gegenwärtigen [meine Hervorhebung] Wirrnisse, ohne Parteilichkeit (…) und ohne eine andere Absicht, als den Menschen die Wechselbeziehung zwischen Schutz und Gehorsam vor Augen zu führen«.232 Hobbes thematisierte weder im Leviathan noch später im Dialog über das Common Law, dass genau diese Position auch von Coke als ein leitendes Prinzip des Common Law vertreten wurde.233 1651, nach der katastrophalen Niederlage Karls II. am 3. September in der Schlacht von Worcester, wurde in England diese Schutzfunktion der Untertanen eben nicht mehr durch die Stuartmonarchie wahrgenommen.234 Hobbes hatte die Rückkehr Karls II. am 13. Oktober noch erlebt, bevor er dann zum Ende des Jahres Paris verließ und nach England zurückkehrte. 230  T. Hobbes, Vom Bürger (Vorwort), S.  73. 231  T. Hobbes, Leviathan (XIX), S.  165. 232  T. Hobbes, Leviathan (Rückblick), S.  599. 233  E. Coke, Selected Writings, Bd.  I [Seventh Report 5 a] S.  176: »it is truly said that protectio trahit subjectionem, et subjectio protectionem«. 234  Vgl. die Beschreibung von Karls II. militärischer Expedition und ihrem Scheitern in T. Hobbes, Behemoth, S.  196.

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Edward Hyde wurde nun von Karl zum bestimmenden Ratgeber und Vertrauten der königlichen Sache ernannt. Hyde fürchtete, dass durch Hobbes’ Einfluss führende Royalisten nun legitime Gründe finden würden, in dieser aussichtslosen Lage, in der der exilierte Thronnachfolger wie nie zuvor auf ihre Loyalität und Unterstützung angewiesen war, sich mit dem Feind zu arrangieren und die Sache des Königs de facto aufzugeben.235 Allerdings ist hier zu beachten, dass Hyde zu den wenigen gehörte, denen die Option zur Rückkehr nach England auch gar nicht blieb, denn er zählte zu den durch Parlamentsbeschluss ausdrücklich namentlich genannten »persons who shall expect no pardon«.236 Auch wenn Hobbes den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam ausdrücklich betont, hält er sich in seinem Urteil bedeckt, wem in England 1651 als Souverän, der diese Schutzfunktion wahrnimmt, Gehorsam zu schulden ist.237 Es war bis 1654 auch 235  Hyde warnte 1651 Nicholas, Hatton, Percy, Cavendish und andere exilierte Royalisten vor einem solchen Schritt. Auch in der Rückschau machte er Hobbes noch genau diesen Vorwurf, denn »Mr. Hobbes his book [Leviathan]« habe dazu geführt, »that Cromwel found the submission to those principles [der Nexus von Schutz und Gehorsam] produc’d a submission to him [Cromwell], and the imaginary relation between Protection and Allegiance so positively proclam’d by him, prevail’d for many years to extinguish all visible fidelity to the King, whilst he perswaded many to take the Engagement as a thing lawful, and to become Subjects to the Usurper«. E. Hyde, A Brief View and Survey, S.  92. Das Engagement, das Hyde hier erwähnt, war am 2. Januar 1650 verabschiedet worden und von allen Männern ab 18 Jahren zu leisten. Es lautete »I do declare and promise, that I will be true and faithful to the Commonwealth of England, as it is now established, without a King or House of Lords«. S. Gardiner (Hg.), The Constitutional Documents, S.  298. 236  S. Gardiner (Hg.), The Constitutional Documents, S.  197. 237  Zur Offenheit oder Mehrdeutigkeit von Hobbes’ Position in dieser Frage siehe T. Hobbes, Leviathan (XXI), S.  188 und ebd. (Rückblick), S.  591. Vgl. zu der im Zusammenhang mit der Engagement Controversy geführten Diskussion den prägnanten Überblick in H.-D. Metzger, Thomas Hob­ bes und die Englische Revolution 1640–1660, S.  131–157. Der in England

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unklar, wer genau dies leisten konnte. Offiziell hatte seit der Hinrichtung Karls I. 1649 bis zu seiner Auflösung durch Oliver Cromwell (1599–1658) am 20. April 1653 das »Rumpfparlament« die souveräne Gewalt in England inne.238 Erst durch den am 16. Dezember 1653 zum Lord Protector erklärten Cromwell waren wieder klare Machtverhältnisse geschaffen, wobei Cromwell bewusst war, dass seine Macht weiterer Legitimierung bedurfte. Gezielt wurden das Common Law und das Parlament in diesem Sinne von ihm instrumentalisiert.239 Hobbes mag vielleicht die Stuartdynastie in foro interno noch als legitim angesehen und verbliebene Royalist Filmer war im Vergleich in seiner Haltung wesentlich eindeutiger und konsequenter als Hobbes. R. Filmer, Observations upon Aristotle, S.  285: »all they are partakers in the usurpation who have either failed to give assistance to their lawful sovereign, or have given aid (…) for the destroying of that governor under whose protection they have been born and preserved. For although it should be granted that protection and subjection are reciprocal, so that where the first fails the latter ceaseth, yet it must be remembered that where a man hath been born under the protection of a long and peaceable government, he owes an assistance for the preservation of that government that hath protected him«. Der Untertitel (with Directions for Obedience to Governours in dangerous and doubtful Times) dieser 1652 erschienenen Schrift war bereits Programm. Richtig ist aber auch, dass Hobbes’ Souveränitätslehre ungleich einfacher die neuen Verhältnisse akkommodieren konnte, als das dem Common Law möglich war. Dazu unverzichtbar D. E. C. Yale, Hobbes and Hale on Law, S.  148. 238  Am 3. November 1640 trat das Long Parliament zusammen, das seinen Namen der Tatsache seiner ungewöhnlich langen Sitzungsperiode verdankte. Entgegen dem bis dahin üblichen Usus war hier zum ersten Mal durch einen Act of Parliament verfügt worden, dass das Parlament nur durch Zustimmung seiner Mitglieder und nicht wie bis dahin üblich durch den König aufgelöst werden könne. Obwohl dann das Parlament ab 1653 doch durch Cromwell de facto aufgelöst war, trat es noch einmal 1659 zusammen. Die Mitglieder des Parlaments stimmten nun der Auflösung zu und das Parlament wurde offiziell am 16. März 1660 aufgelöst. 239  Vgl. auch die bemerkenswerten Ausführungen in A. Warren, Eight Reasons Categorical, S.  5: »our common law (…) is adequate rather for a Democratic government (…) or Praetorian (if need be) then for a Mon-

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auf eine Thronfolge Karls II. gehofft haben, aber einmal mehr kehrte Nedham Hobbes’ Argumente gegen die Monarchie und zeigte, dass Hobbes’ Lehre in ihrer Konsequenz den Gehorsam gegenüber dem neuen Regime und nicht gegenüber den Stuarts forderte.240 Dieses Urteil wird durchaus durch die bewusst offene Argumentation des Leviathan gedeckt, denn das »Charakteristische (…) ist nicht das Plädoyer für eine Unterwerfung unter die Republik, sondern die Unterwerfung unter eine de facto Herrschaft«.241 Der politische Konsens, den es vor 1640 noch gegeben hatte, war durch Bürgerkrieg, Hinrichtung des Königs und die

archicall: because it left little Arbitrarinesse to the King of this Nation (…) Kings must be, and were alwaies, at variance with the Common-Law«. 240  Siehe T. Hobbes, Leviathan (XXXVIII), S.  382. M. Nedham, The Case of the Common-wealth of England Stated, S.  108: »Arguments for Submission, brought out of Mr. Hobbs his Book: de Corpore Politico. If it be true, which Mr. Hobbs saith; That the Cause in generall which moveth one man to become subject to another, is the fear of not otherwise preser­ ving himselfe. And if a man may subject himself to him that invadeth, or may invade, for fear of him. Or, if men may joyn among Themselves, to subject Themselves, to such as they shall agree upon for fear of others: And, if when many men subject themselves the former way, there ariseth thence a Body politick, as it were naturally; Then it appears, that since there is no other possible way to preserve the wel-being of this Nation; but by a Submission to the present Powers (as I have proved in the second Part of this Treatise,) we may pay subjection to them, in order to our security: nor can any hold a Plea for Non-Submission, upon pretence of having been invaded, or over-mastered by those whom he reckons here as Invaders, or Usurpers. Nor can the Prevailing Party of this Nation be blamed in any wise, for joyning among Themselves, to subject Themselves to such as are now in Authority, for fear of forreign Invaders; but having thus subjected themselves, they are naturally, lawfully, and completely united in the form of a Body politike, or Common-wealth, truly called, The Common-wealth of England«. 241 H.-D. Metzger, Thomas Hobbes und die Englische Revolution 1640–1660, S.  156.

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sonstigen revolutionären Ereignisse von 1640 bis 1660242 in jedem Falle nach der Restauration 1660 allenthalben fragiler. In dieser Situation fand sich Hobbes von allen Seiten beargwöhnt, auch wenn für ihn unverrückbar feststand, dass König Karl II. der legitime Souverän war, dem die Untertanen Gehorsam schuldeten. Hobbes’ Souveränitätstheorie und der Zusammenhang von Schutz und Gehorsam ist in stabilen politischen Verhältnissen schlüssig und eindeutig. In der Krisensituation läuft Hobbes’ Rechtsphilosophie durch das die Souveränität begründende De-facto-Argument über den Nexus von Schutz und Gehorsam Gefahr, zwangsläufig offen gegenüber allen politischen Faktionen zu sein und sich nur nach der zur Entscheidung dringenden erfolgreichen Macht auszurichten. Der berühmte Satz des Dialogs, »es ist ja nicht die Weisheit, sondern die Autorität, die ein Gesetz zum Gesetz macht«, sollte in seiner politiktheoretischen Bedeutung – wie das etwa bei Schmitt und Willms der Fall ist – nicht überschätzt werden.243 Man könnte provozierend sogar behaupten, Hobbes’ Lehre sei gar nicht politikfähig, da sie sich immer der politisch erfolgreichen Partei dienstbar macht, aber keine selbstständige politische Entscheidung treffen könne.244 Sie ge242  Hobbes hatte im Behemoth diese Zeit analysiert und war den Ursachen des englischen Bürgerkriegs nachgegangen. Der erste Satz des ­Behemoth lautet: »Wenn es ebenso wie im Raum auch in der Zeit Höhen und Tiefen gäbe, so möchte ich wahrhaft glauben, dass der Höhepunkt der Zeit zwischen 1640 und 1660 liegt«. T. Hobbes, Behemoth, S.  1. 243  T. Hobbes, Dialog, S.  5. 244  Hier liegt übrigens ein fundamentaler und bislang (auch von mir) nicht beachteter Unterschied zwischen den Politikverständnissen von Hob­bes und Carl Schmitt, für den die Entscheidung zwischen Freund und Feind ja das Kriterium des Politischen schlechthin war. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, Berlin 1963, S.  26. Auch insofern hat Schmitt sich zu voreilig als in der Nachfolge von Hobbes stehend stilisiert. Vgl. dazu P. Schröder, Carl Schmitt’s Appropriation of the Early Modern European Tradition of Political Thought on the State and Interstate Relations, in: History of Political Thought 33 (2012), S.  348–372. Die Entscheidung für

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währleistet nur Stabilität, solange die Verhältnisse nicht in Frage gestellt werden. Nur rein abstrakt wird von Hobbes die Anerkennung jeder letztlich beliebigen Instanz gerechtfertigt, sofern sie über ein Gewaltmonopol verfügt und die Menschen nicht bedroht, sondern schützt. Das wird zum Problem, wenn unklar ist, wer diese Instanz ist oder sein könnte. Hobbes muss das selbst gesehen haben, als er im Dialog über das Common Law schrieb: »Der Friede im Inneren kann jedoch dann als dauerhaft angenommen werden, wenn das gewöhnliche Volk dazu gebracht werden kann, den Nutzen zu sehen, den es aus seinem Gehorsam und seiner Treue zu seinem eigenen Souverän zieht, und den Schaden, den es zwangsläufig dadurch erleidet, dass es sich an die Seite derer stellt, die es durch Versprechen von Umgestaltung oder Wechsel der Regierung täuschen«.245 Erst mit der Restauration waren die Verhältnisse wieder so stabil, dass Hobbes’ Lehre eine klare Orientierung geben konnte. Viele von Hobbes’ alten Widersachern aus dem royalistischen Lager waren aus dem Exil zurückgekehrt und durch die Restauration in einflussreiche Positionen gerückt. Sie hatten die Offenheit von Hobbes’ Souveränitätslehre als Verrat an der royalistischen Sache gebrandmarkt. Als 1660 die Stuart-Monarchie wieder in ihre Rechte eingesetzt wurde, war auch Hobbes daran gelegen, sich wieder bei seinem Monarchen zu empfehlen. Aubrey berichtet, dass bereits sehr bald das frühere Wohlwollen des Königs gegenüber Hobbes durch Karl II. zum Ausdruck gebracht wurde. Karl II. verordnete, dass Hobbes freien Zugang zum ­König haben solle.246 Hobbes verteidigte den Leviathan mit der Behauptung, die De-facto-Macht ist nur insofern auch eine politische Entscheidung, als sie der Macht hinterherläuft. 245  T. Hobbes, Dialog, S.  7  f. 246  J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  611: »It happened about two or three dayes after his Majesty’s happy returne, that as he was passing in his coach through the Strand, Mr. Hobbes was standing at Little Salisbury-house gate, (where his Lord then lived) the King espied him, putt off

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er habe sich dort für die Sache des Königs stark gemacht und werde nun zu Unrecht von den Bischöfen und Presbyterianern der Häresie angeklagt, obwohl sich im Leviathan kein Wort gegen die Bischöfe und die anglikanische Kirchenlehre finde.247 In den fünfziger Jahren war Hobbes von führenden klerikalen Gelehrten der Universität Oxford mit einer massiven Kritik konfrontiert worden, die ihn bis über seinen Tod hinaus verfolgen sollte.248 Auch wenn einige der scharfen Angriffe aus ganz unterschiedlichen politisch-ideologischen Lagern verebbt schienen und die Gunst des Monarchen Hobbes eine gewisse Genugtuung und Sicherheit gab, so wusste er auch, dass er in Oxford, am

his hatt very kindly to him, and asked him how he did. About a week after he had oral conference with his Majesty and Mr. S. Cowper, where, as he sat for his picture, he was diverted by Mr. Hobbes’s pleasant discourse. Here his Majesty’s favours were redintegrated to him, and order was given that he should have free accesse to his Majesty, who was always much delighted in his witt and smart repartees. The witts at Court were wont to bayte him; but he would make his part good, and feared none of them«. 247  Hobbes reflektiert dies in apologetischer Absicht in T. Hobbes, An Historical Narration concerning Heresy, S.  407: »a book called Leviathan was written in defence of the King’s power, temporal and spiritual, without any word against episcopacy, or against any bishop, or against the public doctrine of the church. It pleases God, about twelve years after the usurpation of this Rump, to restore his most gracious Majesty that now is, to his father’s throne, and presently his Majesty restored the bishops, and pardoned the presbyterians. But then both the one and the other accused in Parliament this book [Leviathan] of heresy, when neither the bishops before the war had declared what was Heresie«. Auch diese Ausführungen korrespondieren mit dem Kapitel über Ketzerei im Dialog. Es war allerdings kaum überzeugend, dafür aber umso dreister, wenn er behauptete, Kirche und Klerus nicht angegriffen zu haben. Denn der Leviathan wie auch der Behemoth enthalten frontale Angriffe auf die Ekklesiologie und selbst die theologisch-dogmatischen Grundlagen der anglikanischen Kirche. 248  Vgl. H.-D. Metzger, Thomas Hobbes und die Englische Revolution 1640–1660, S.  183–193 und J. Parkin, Taming Leviathan, S.  136–199.

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Königs­hof sowie im Parlament noch immer viele Neider und Feinde hatte. So dürfte Hobbes wohl auch die Diffamierung durch Richard Allestree (1619–1681) bekannt geworden sein. Dieser war seit 1663 auch einer der Prediger am Hof des Königs und hielt am 17. November 1667, also wohl in etwa zu der Zeit, als Hobbes an seinen verschiedenen Dialogen gearbeitet haben dürfte, vor dem König eine Predigt, die nur wenige Wochen später veröffentlicht wurde. In dieser Predigt wurde Hobbes’ politische Lehre unmissverständlich angegriffen und sein Leviathan ausdrücklich genannt. Es konnte für Hobbes kein Zweifel bestehen, dass einer seiner entschiedensten Gegner aus dem anglikanischen Lager direkten Einfluss auf den König ausübte und versuchte, Hobbes zu diskreditieren.249 Allestree bezichtigte Hobbes des Atheismus.250 Seine Lehre zerstöre alle gesellschaftlichen Bande und »lege den Grund für Rebellion und Königsmord«.251 Einer der wenigen Gelehrten, die Hobbes in der Restaurationszeit offenbar öffentlich verteidigten, war der in Cambridge lehrende Kleriker Daniel Scargill (1647–1721).252 Von ihm wurde ein Widerruf seiner Lehren ver249  Die Predigt wurde über eine Stelle aus dem Jakobusbrief gehalten (IV-7): »Widerstehet dem Teufel, so fleuhet er von euch«. Die Versuchungen des Teufels führten, so Allestree, dazu, dass, wenn Gottesfurcht, Redlichkeit und Tugend nichts mehr gälten, die Gesellschaft in »Leviathan’s state of Nature« verfiele. R. Allestree, A Sermon, S.  7. 250 Hobbes’ Lehre kulminiere in der Konsequenz, dass keine Verpflichtung bestehe, Verträge oder Eide zu halten. Und warum auch sollte derjenige, der sie gefahrlos brechen könne, sie halten? Dies sei der Schluss auch seiner Lehre, zu der seine Ungläubigkeit führe. Ebd. 251  Ebd., S.  8: »these Doctrines lay Principles that justifie Rebellion and King-killing«. 252  Scargill war von Thomas Tenison unterrichtet und protegiert wurden. Tenison verteidigte sich im Widmungsschreiben seines oben kurz erwähnten Dialogs The Creed of Mr. Hobbes examined gegen den Vorwurf, er sei für Scargills ›Hobbismus‹ verantwortlich und offenbar selbst ein Anhänger der Hobbes’schen Lehren. T. Tenison, The Creed of Mr. Hobbes

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langt, den er dann auch öffentlich 1669 mit seiner The Recan­ tation of Daniel Scargill publickly made before the University of Cambridge leistete.253 Mit dieser Schrift besitzen wir ein Dokument, das einen Eindruck davon vermittelt, wozu die Gegner von Hobbes auch ihn drängen wollten.254 Aber genau diese Art eines öffentlichen Widerrufs hat Hobbes nie geleistet und sich stattdessen bis zuletzt in seinen Schriften gegen diese Angriffe gewehrt. Erst nach seinem Tode kam es zu einem vermeintlichen Sieg und einer bizarren Genugtuung seiner Gegner, als von der Universität Oxford auch seine »verderblichen Bücher und verdammungswürdigen Lehren« durch das Judgement and Decree of the Uni­ versity of Oxford erneut in die öffentliche Kritik gerieten.255 examined, [The Epistle Dedicatory, ohne Paginierung, S.  1  f.]. »It is not long, since, by, accident, I convers’d with many who were forward enough in venting licentious Principles, in the way, but, without the accomplishments, of Mr. Hobbes: neither have I escaped the trouble of meeting with some, who, having heard of the Error, and Recantations of an unhappy young man [meine Hervorhebung], committed, sometime, to my care; began to reproach my self as a favourer of such opinions.« 253  Für den weiteren Zusammenhang dieser Affäre vgl. J. Parkin, Hobbism in the Later 1660s: Daniel Scargill and Samuel Parker, S.  86–96. 254  D. Scargill, The Recantation of Daniel Scargill, S.  6: »I do now abhor my self in dust and ashes, and that from the bottom of my heart, I do disclaim, renounce, detest, and abhor those execrable Positions asserted by me or any other: particularly, 1. That al right of Dominion is founded only in Power. 2. That all moral Righteousnes is founded only in the Law of the Civil Magistrate. 3. That the Holy scriptures are made Law only by Civil Authority. 4. That whatsoever the Civil Magistrate commands, is to be obeyed, notwithstanding contrary to Divine Moral Laws. 5. That there is a desirable glory in being and being reputed an Atheist: which I implied when I expresly affirmed that I gloried to be an Hobbist and an Atheist«. 255 Der umständliche Titel des Judgement and Decree sprach u. a. von »pernicious books and damnable doctrines«. Siehe zu Hobbes, dem Decree von 1683 und der diesem folgenden Bücherverbrennung auch Hobbes’scher Schriften in Oxford J. Parkin, Taming Leviathan, S.  369–372 und P. Schröder, The Naturall Power of Kinges Defended against the Unnatural Liberty of the People – Sir Robert Filmers politische Lehre, S.  L XII–LXVII.

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Dies sind nur zwei Beispiele für die aggressive Stimmung nach der Restauration. Sie betraf nicht nur Hobbes, denn so mancher wollte nun Vergeltung für früher erlittenes Unrecht an denen nehmen, die noch bis vor kurzem an der Macht gewesen waren.256 Hobbes und Hale teilten die Überzeugung, dass es im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens lag, die alten Konflikte nicht neu anzufachen, sondern einen moderaten Ausgleich zu suchen. Im Behemoth, in dem er den Gründen für den Verfall des Staates nachging, die schließlich zum Bürgerkrieg führten, schrieb Hobbes in der Rückschau auf diese Ereignisse, es sei »nicht nötig, irgendjemanden zu nennen, da ich ja nur in Kürze die Torheiten und andere menschliche Fehler während dieser Unruhen zu schildern unternommen habe, aber nicht (mit Namensnennung der Betreffenden) dir oder irgendjemand anderem Gelegenheit zu geben, sie weniger zu achten, jetzt, wo die Schuld auf allen Seiten

256  Hale beschrieb dies eindringlich. M. Hale, Considerations concerning the Present and Late Occurrences, S.  7 7: »I fear that if men did impartially examine their own hearts, they would find that much of this severity ariseth from passion, animosity, and private revenge, which marcheth behind that painted cloth of the public interest«. Sowie ebd., S.  67: »every man, though subject to something that another will easily make a guilt, falls sharply upon another, which, it may be, hath exceeded: not considering that his turn may be next. Thus, he that hath sworn fealty to the late protector, falls sharply upon him that abjured; he that took the Engagement [vgl. dazu oben Anm.  235 und 237], falls as sharply upon both the former; he that took the Covenant only, is ready to fall upon the three former; and he that never took any, is ready to inveigh as bitterly against the covenanter: he that acted regularly under the protector or commonwealth, falls generally upon the high court of justice men; he that acted under the long parliament with the same severity, inveighs against both the former; and, perchance, invites thereby the spirits of those men that acted purely on the royal account, to fall as sharply upon all three; men, looking still, generally, upon that whereof they are innocent, and not considering themselves in that whereof they are guilty, or so thought by others. This transition from one to another must needs be the issue of immoderate severity«.

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vergeben worden ist«.257 Hobbes’ Insistieren auf wechselseitiges Vergeben und Vergessen war durchaus ernst gemeint. Angesichts der gegen ihn von den Anglikanern vehement vorgebrachten Anschuldigungen und erbittert betriebenen Verfolgungen lag dies auch unmittelbar in seinem persönlichen Interesse.258 Ganz ähnlich klingen Hales Überlegungen.259 Hobbes hatte im Behemoth die Rückkehr des Königs beschrieben. Das »neue Parlament begann seine Tagungen am 25. April 1660. Wie bald dies den König zurückrief, mit welcher Freude und mit welchem Triumph er empfangen wurde, wie sehr Seine Majestät bei diesem Parlament auf eine Amnestie [den Act of Indemnity and Oblivion] drängte und wie wenige davon ausgenommen wurden: das weißt du so gut wie ich«.260 Noch im gleichen Jahr 1660 wurde Hale vom zurückkehrenden Thronfolger Karl II. gebeten, an e­ inem Gesetzentwurf mitzuarbeiten, der die Grundlage der Versöhnung bilden sollte.261 Hale reflektierte die Möglichkeiten 257  T. Hobbes, Behemoth, S.  134. Auch im Dialog kommt Hobbes wiederholt auf den Act of Indemnity and Oblivion zu sprechen. Vgl. T. Hobbes, Dialog, S.  18  f. sowie S.  145. 258  Vgl. dazu J. Aubrey, The Life of Mr Thomas Hobbes, S.  612: »There was a report ( and surely true) that in Parliament, not long after the King was settled, some of the Bishops made a motion, to have the good old gentleman [Hobbes] burned for a heretique; which he hearing, feared that his papers might be searched by their order«. Es ist auffällig und ungewöhnlich, dass Hobbes im Dialog sehr positiv von den Bischöfen spricht. Dies mag daran liegen, dass er hier die Kompetenz der Bischöfe gegen den Einfluss der common lawyer ausspielen wollte. Vgl. T. Hobbes, Dialog, S.  65 und S.  90. 259  M. Hale, Considerations concerning the Present and Late Occurrences, S.  75: »In regard to the present state of things: overmuch severity in point of justice, as the case stands with England at this day, would, in common prudence, be the extremest injustice that could be«. Und ebd., S.  76: »the safest error is to exceed in mercy rather than in severity«. 260  T. Hobbes, Behemoth, S.  233. 261  J. B. Williams, Memoirs of the Life, Character, and Writings of Sir Matthew Hale, S.  78: »The king at a very early period proposed, in person,

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und war maßgeblich an dem Act of Free and Generall Pardon, In­ demnity, and Oblivion beteiligt.262 Der König und seine Berater folgten hier der üblichen Völkerrechtspraxis zwischenstaatlicher Friedensverträge in der frühen Neuzeit: In keinem Friedensvertrag zwischen europäischen souveränen Staaten wurde von einer möglichen Kriegsschuld einer der Kriegsparteien gesprochen. Im Gegenteil, die Friedensverträge, wie zum Beispiel auch der Westfälische Frieden von 1648, beschwörten zumeist eine generelle Amnestie und ewiges Vergessen.263 Gegenüber seinen Kritikern verwies Hobbes auf diesen Act of Indemnity and Oblivion, der ihn wie jeden anderen vor Verfolgung schütze. Die anglikanischen Royalisten kritisierten nicht nur Aspekte seiner Philosophie, sie beriefen sich auch auf den Leviathan und behaupteten, an act of indemnity, and Hale had the honour of being nominated one of the committee for forwarding the generous purpose. Wisely judging that the sooner it was carried the better, he exerted in its favour all the powers of his mind, and all the benevolence of his heart. He framed, carried on, and supported the bill; and on the 11th of July, 1660, it passed the Commons«. 262  M. Hale, Considerations concerning the Present and Late Occurrences, S.  68: »The afflicted and upbraided party recriminates, and excites, and encourageth the more refined party to fall, with the same eagerness, upon the former; which either gives them a hope of security, or, at least, pleaseth them, to see their adversaries dealt with all in the same kind«. Der Text des Act of Free and Generall Pardon, Indemnity, and Oblivion findet sich in J. W. Willis-Bund (Hg.), A Selection of Cases from the State Trials, S.  20–38. Christian Maier behauptet, dass in der Vormoderne seit der Antike das Vergessen von Schuld ein Modus zur Befriedung von Bürgerkriegen war. Vgl. C. Maier, Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit, München 2010. 263  Das ändert sich erst mit den Friedensverträgen, die den I. Weltkrieg beendeten. Das Vertragswerk von Versailles markiert damit einen abrupten Bruch mit der in Europa gepflegten Praxis, Friedensverträge zu schließen. Vgl. R. Lesaffer, Peace Treaties and the Formation of Inter­natio­ nal Law, in: B. Fassbender / A. Peters (Hg.), The Oxford Handbook of the History of International Law. Oxford 2012, S.  88–91.

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Hobbes habe dort bereits seine Rückkehr nach England unter dem neuen Regime vorbereitet. Hobbes und Hale waren sich darin einig, dass derartige Vorwürfe nur schädlich seien und im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens vermieden werden sollten. Und doch forderte Hobbes nun mit seinem Dialog über das Common Law auch noch die einflussreichen common lawyers heraus, von denen führende Köpfe wie Hale durchaus entscheidende Positionen mit ihm zu teilen schienen. Die Vorstellung eines naturrechtlich abgeleiteten Vertragsrechts zur Begründung staatlicher Herrschaft rückte Hobbes in den Augen der royalistischen Anglikaner in die Nähe republikanischer Autoren wie Parker oder Milton.264 Hobbes blieb vor allen wegen seiner Vorbehalte gegenüber dem anglikanischen Klerus ganz offenbar bis über seinen Tod hinaus eine Provokation für die führenden Autoritäten der Restaurationszeit. Er wird heute freilich kaum noch als Autor gesehen, der zu Aufruhr und Rebellion Anlass gibt. Die moderne Sichtweise von Hobbes als kompromisslosem royalistischen Absolutisten, die heutigentags häufig zu einem diffusen Unbehagen führt, deckt sich kaum mit der zeitgenössischen Wahrnehmung von Hobbes. Worum es Hobbes in seiner politischen Philosophie ging, wurde schon zu seinen Lebzeiten von seinen Kritikern nur selten gewürdigt. Hobbes fühlte sich offenbar häufig unverstan264  Zu Henry Parker siehe oben. Milton hatte 1649 die Streitschrift The Tenure of Kings and Magistrates publiziert, in der er sich dezidiert für die Legitimität von Tyrannenmord und Widerstand gegen die Monarchie aussprach. Im Januar 1649 war Karl I. wegen Hochverrats hingerichtet worden – die Monarchie war damit erst einmal in England beseitigt und das Amt des Monarchen sowie das Oberhaus [House of Lords] wurden offiziell durch Parlamentsakte vom 17. Und 19. März 1649 abgeschafft. Siehe dazu S. Gardiner (Hg.), The Constitutional Documents, S.  293  f. Durch den Act declaring England to be a Commonwealth vom 19. Mai 1649 wurde England noch im gleichen Jahr für eine kurze Dauer seiner Geschichte zu einer parlamentarischen Republik. Siehe dazu S. Gardiner (Hg.), The Constitutional Documents, S.  297. Milton rechtfertigte diese Vorgänge.

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den. Nach der Restauration 1660 versuchte er in seinen Dialogen, diesem Unverständnis zu begegnen. Sein Dialog über das Com­ mon Law war ein letztes Bemühen, die Bedeutung von staatlicher Souveränität gegenüber den Partikularinteressen zu behaupten. Der Bürgerkrieg hatte für Hobbes »die Ohnmacht des Gesetzes« offenbart265: Die souveräne Staatsgewalt war nicht mehr in der Lage, die Aufgaben von Schutz und Friedenswahrung für die Untertanen effektiv wahrzunehmen. Deshalb setzte Hobbes in seiner Philosophie alles daran, der Schwäche des Souveräns zu begegnen. Während im Dialog des Behemoth eine eindringliche Krisenanalyse vorgenommen wird, die dem religiös motivierten Bürgerkrieg und dem dogmatischen Meinungsstreit nachgeht, wird im Dialog über das Common Law die Bedeutung und Ausübung von Recht und Gesetz für die englische Monarchie untersucht. Diese Analyse gipfelt – kaum überraschend – in Hobbes’ Souveränitätstheorie, die jedwede Art von Gewaltenteilung als Bedrohung und Auflösung der ohnehin als bedroht empfundenen staatlichen Ordnung charakterisiert. Damit flankieren und ergänzen diese beiden Dialoge der Restaurationszeit seine rechtsphilosophischen Hauptwerke De Cive und Leviathan aus der Zeit vor 1660. Der hier wieder zugänglich gemachte Dialog über das Common Law enthält einen signifikanten Aspekt von Hobbes’ politischer Philosophie, der von ihm zuvor in dieser detaillierten Analyse nicht vorgelegt worden war. Er ist entscheidend für sein Rechts- und Souveränitätsverständnis, das mit der englischen Tradition des Common Law nur sehr bedingt kompatibel war. Der Dialog steht damit in engem argumentativen Zusammenhang mit seinen bekannteren Schriften zur politischen Philosophie.266 265  T. Hobbes, Dialog, S.  146. 266  Anhand der Konzepte von equity und salus populi, die weniger im Mittelpunkt der Forschung stehen, konnte der enge inhaltliche Bezug zwischen Hobbes’ politischen Schriften beispielhaft verdeutlicht werden.

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VI.  Zu dieser Ausgabe Dieser Ausgabe liegt die deutsche Übersetzung des Dialogs von Bernard Willms zugrunde, die 1992 im Verlag VCH – in der Reihe »acta humaniora« – erschienen ist. Die im Kolumnentitel innen angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die kritische Ausgabe des englischen Originaltextes: Thomas Hobbes, A Dialogue between a Philosopher and a Student, of the Common Laws of England, hg. v. Alan Cromartie (The Clarendon Edition of the Works of Thomas Hobbes, Vol. XI), Oxford 2005.

DA N K S AGU N G

Meinen befreundeten Kollegen, die mir bei dieser Edition halfen, gilt mein herzlichster Dank. Insbesondere Franz Julius Morche, Eva Odzuck, Stefano Saracino, Dietrich Schotte und Benjamin Straumann möchte ich herzlich dafür danken, dass sie meine Einleitung kritisch kommentiert haben. Luc Foisneau, Kinch Hoekstra, Takuya Okada, Gabriella Silvestrini und Luciano Venezia danke ich dafür, mir bei Detailfragen mit ihrer Expertise geholfen zu haben. Über viele Jahre ist mir der Austausch mit allen hier genannten Freunden ein großer intellektueller Gewinn und eine persönliche Bereicherung gewesen. Ganz besonderer Dank gilt zudem erneut Marcel Simon-Gadhof vom Meiner Verlag, der mir auch bei der Vorbereitung dieser Ausgabe konstruktiv zur Seite stand. Peter Schröder, London

BI BL IO G R A PH I S C H E H I N W E I S E

Editionen und Übersetzungen des Dialogs Tracts of Thomas Hobb’s. Containing: I. His Life in Latine, part written by himself, since his death finished by Dr. R. B. II. His Considerations on his Reputation, Loyalty, Manners and Religion. III. His Whole Art of Rhetorick, in English. IV. His Discourse by way of Dialogue, concerning the Common Laws of England. V. Ten Dialogues of Natural Philosophy, &c., London 1681. The Art of Rhetoric with A Discourse of the Laws of England, London 1681. A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England, in: English Works of Thomas Hobbes, hg. v. W. Molesworth, London 1840, Bd.  IV, S.  1–160. Dialogo fra un filosofo e uno studioso del diritto comune d’Inghilterra, in: T. Hobbes, Opere politiche, hg. v. N. Bobbio, Turin [1948] 1988, Bd.  I, S.  395–562. A dialogue between a philosopher and a student of the Common Law of England / Leibniz, G. W., Specimen quaestionum philosophicarum ex iure collectarum – De casibus perplexis – Doctrina conditionum – De legum interpretatione, hg. v. T. Ascarelli, Milan 1960. A dialogue between a philosopher and a student of the Common Law of England / Leibniz, G. W., Specimen quaestionum philosophicarum ex iure collectarum. – De casibus perplexis. – Doctrina conditionum. – De legum interpretatione, avec une étude introductive de T. Ascarelli, traduite par C. Ducouloux-Favard, hg. v. A. Tunc, Paris 1966. A Dialogue between a Philosopher and a Student, of the Common Laws of England, hg. v. J. Cropsey, Chicago 1971. Dialogue entre un Philosophe et un Légiste des Commons Laws d’Angleterre, hg. v. L. und P. Carrive, Paris 1990.

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Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht, hg. v. B. Willms, Weinheim 1992. 哲学者と法学徒との対話 : イングランドのコモン・ローをめぐる, hg. v. Hiroshi Tanaka, Tokyo 2002. A Dialogue between a Philosopher and a Student, of the Common Laws of England, hg. v. A. Cromartie (The Clarendon Edition of the Works of Thomas Hobbes, Vol. XI), Oxford 2005. Diálogo entre un filósofo y un jurista y escritos autobiográficos, estudio preliminar, hg. v. Miguel Ángel Rodilla, Madrid 2013.

Zitierte Werke von Hobbes a) deutsche Übersetzungen Menschliche Natur und politischer Körper [Elements of Law], hg. v. A. J. Noll, Hamburg 2020. Vom Menschen / Vom Bürger, hg. v. G. Gawlick, Hamburg 1994. Leviathan, hg. v. H. Klenner, Hamburg 1996. Elemente der Philosophie Erste Abteilung Der Körper, hg. v. K. Schuhmann, Hamburg 1997. Behemoth oder Das lange Parlament, hg. v. P. Schröder, Hamburg 2015.

b) nur in Englisch oder Latein: Historia Ecclesiastica, Carmine Elegiaco conscripta, Augusta Trinobantum [sc. London] 1688. An Historical Narration concerning Heresy and the Punishment ­thereof, in: English Works of Thomas Hobbes, hg. v. W. Molesworth, London 1840, Bd.  IV, S.  385–408. Considerations upon the Reputation of Thomas Hobbes, in: English Works of Thomas Hobbes, hg. v. W. Molesworth, London 1840, Bd.  IV, S.  413–440.

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HOBBE S ’ L E BE N U N D W E R K E

1588 1596

Hobbes wird am 5. April geboren. Schulausbildung in den klassischen Sprachen in Malmesbury. 1603–07 Studium in Oxford, Magdalen Hall. Abschluss mit Baccalaureus Artium. 1608 Erzieher, dann Sekretär im Dienst der politisch einfluss­ reichen Familie Cavendish. William Cavendish (1551– 1626), der später (1618) zum First Earl of Devon­shire ernannt wird, engagiert Hobbes 1608 als Tutor für seinen Sohn. 1610 In seiner Funktion als Erzieher Reise mit dem Sohn des Earls, William Cavendish (1590–1628), durch Frankreich und Italien. Hobbes begleitet ihn zwanzig Jahre lang, erst als Tutor und dann als sein Sekretär. 1628 Hobbes gibt seine englische Übersetzung von Thuky­di­ des’ Peloponnesischem Krieg heraus. 1634 Erneute Reise – mit einem anderen Zögling der Familie Cavendish (William, 1617–1684) – durch Frankreich und Italien. In Paris lernt er den französischen Mönch und Gelehrten Marin Mersenne kennen, der Hobbes mit führenden Wissenschaftlern wie Descartes und Gassendi bekannt macht. 1636 Hobbes besucht Galilei in Florenz. 1639 Erster Schottischer Krieg gegen England. 1640 Das Short Parliament tagt vom 13. April bis zum 5. Mai. Politische Unruhen in England und zweiter Schottischer Krieg. Hobbes verfasst, durch William Cavendish (1592–1676), Earl of Newcastle, angehalten, seine erste rechtsphilosophische Schrift, die Elements of Law. ­Hobbes meint, diese zunächst nur in Manuskriptform

CX X

Hobbes’ Leben und Werke

zirkulierende Schrift habe ihn unter den Gegnern der Monarchie in Verruf gebracht. Er fühlt sich bedroht und flieht noch vor Ausbruch des englischen Bürgerkriegs nach Paris. Am 3. November 1640 tritt das Long Parlia­ ment zusammen. Das Parlament wird offiziell erst am 16. März 1660 aufgelöst. 1642 De Cive erscheint in Paris als Privatdruck und zirkuliert unter den Gelehrten um den Kreis von Mersenne. 1647 In Amsterdam erscheint eine überarbeitete Auflage von De Cive. Hobbes reagiert in längeren Anmerkungen auf die Kritik an der ersten Auflage. 1649 Verurteilung und Hinrichtung Charles I. England wird zunächst republikanisch und dann, unter Cromwells Protektorat, autokratisch, quasi-monarchisch, regiert. 1651 Der Leviathan erscheint in London, die englischen Monarchisten im französischen Exil sehen in diesem Werk einen Verrat an der Monarchie. 1652 Hobbes kehrt aus dem französischen Exil nach London zurück. 1660 Restauration der Stuarts – England wird erneut Monarchie unter Charles II. 1666 Vom 2.–7. September wütet der »große Brand« von London, bei dem ein Großteil der City zerstört wird. Anglikanische Widersacher von Hobbes versuchen – letztlich vergeblich – im englischen Parlament eine Gesetzesvorlage zur Strafbarkeit des Atheismus durchzubringen. In der Parlamentssitzung am 20. Oktober wird von seinen Gegnern auch unmittelbar auf Hobbes Bezug genommen. Hobbes fühlt sich zu Recht erneut bedroht. 1666–67 Hobbes arbeitet an einer lateinischen Fassung seines Le­ viathan. (Einige Forscher, so v. a. Tricaud und Łubieński, gehen davon aus, dass Hobbes die lateinische Version des Leviathan vor der englischen verfasst hat, etwa um 1646–49.)

Hobbes’ Leben und Werke

1667–68

CX XI

Hobbes setzt sich mit religionspolitischen Fragen aus­ einander und arbeitet an An Answer to a Book publi­shed by Dr Bramhall und An Historical Narration concerning Heresy. 1667–ca. 70 Hobbes arbeitet an einer Geschichte des englischen Bürgerkriegs. Trotz einiger Raubkopien in den späten 1670er Jahren erscheint diese Schrift in autorisierter Fassung erst posthum 1682 unter dem Titel Behemoth or the Long Parliament. König Charles II. hatte Hobbes die Druck­ erlaubnis verweigert. In diese Zeit fällt in etwa auch Hobbes’ Auseinandersetzung mit dem englischen Common Law, die er in der 1681 publizierten Schrift Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England führt. 1668 In Amsterdam erscheint in zwei Bänden eine Gesamtausgabe seiner Werke in Latein (Opera philosophica quae Latine scripsit omnia), in der auch die lateinische Version des Leviathan enthalten ist. 1669 Hobbes’ Schrift Quadratura Circuli, breviter demons­ trata erscheint in London. 1675–76 Hobbes übersetzt Homers Ilias und Odyssee. 1679 Hobbes stirbt am 4. Dezember. 1683 Seine politischen Schriften werden in Oxford im Innenhof der Bodleian Library öffentlich verbrannt.

T HOM A S HOBBE S Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Common Law

8–9

I.  VOM G E SET Z DER V ERNUNFT

J  Warum behauptest du, dass das Studium des Rechts weniger vernunftgemäß sei als das Studium der Mathematik?1 P  Das behaupte ich gar nicht, denn jedes Studium ist entweder vernunftgemäß oder es ist nichts wert. Aber ich behaupte, dass die großen Mathematiker nicht so häufig irren wie die großen Rechtsgelehrten. J  Vielleicht wärest du anderer Meinung, wenn du das Recht wirklich gründlich studiert hättest. P  Ganz gleich, was ich studiere; ich versuche immer, vernunftgemäß vorzugehen. Die Gesetzestexte, beginnend bei der Magna Carta2 bis in die heutige Zeit, habe ich durchgesehen. Ich ließ nicht einen ungelesen, von dem ich annahm, dass er für mein Urteil wichtig sein könnte, und dies hielt ich auch für ausreichend, denn es ging mir ja um nichts als mein eigenes Urteil. Aber ich untersuchte sie nicht in der Hinsicht, welcher von ihnen mehr oder weniger vernünftig sei, denn ich las sie ja nicht, um sie in Frage zu stellen, sondern um herauszufinden, ob es vernünftig sei, ihnen zu gehorchen. Und ich erkannte in allen den vernünftigen Grund für meinen Gehorsam, und diese Vernünftigkeit blieb bestehen, auch wenn die Gesetze selbst geändert worden waren. Ich habe auch Littletons Buch3 der Besitztitel mit den diesbezüglichen Kommentaren des berühmten Juristen Sir Edward Coke4 sorgfältig durchgelesen, in welchem, ich gestehe, ich ein großes Maß an Scharfsinn erkannte, wobei es wiederum nicht auf die einzelnen Gesetze, sondern auf die allgemeinen Folgerungen ankommt. Dies gilt besonders für die Folgerungen aus dem Gesetz der menschlichen Natur, welches das Gesetz der Vernunft ist: und zweifellos hat Littleton recht, wenn er in seinem Nachwort sagt: durch Argumentation und Vernunft kommt man eher zu Gewissheit über das Recht und zur Kenntnis von ihm. Ich stimme mit Sir

4

I.  Vom Gesetz der Vernunft

9–10

Coke, der jenen Text kommentiert, außerdem darin überein, dass Vernunft die Seele des Rechts ist. Den Abschnitt 138 kommentiert Coke: Nihil quod est Rationi contrarium est licitum; was bedeutet: »Nichts ist Recht, was der Vernunft widerspricht«; die Vernunft ist das Wesen des Rechts, ja, das Gemeine Recht ist selbst nichts als Vernunft. Den Abschnitt 21 kommentiert Coke jedoch folgendermaßen: Aequitas est perfecta quaedam Ratio, quae Jus scriptum interpretatur et emendat, nulla scriptura comprehensa, sed solus in vera Ratione consistens, das heißt: »Zur Gerechtigkeit gehört eine gewisse vervollkommnete Vernunft, die das geschriebene Gesetz interpretiert und ergänzt. Sie selbst bleibt ungeschrieben und besteht in nichts anderem als eben in wahrer Vernunft.« Wenn ich dies bedenke und es als so wahr und einleuchtend ansehen soll, als könne es von keinem klardenkenden Menschen geleugnet werden, so sehe ich allerdings meine eigene Vernunft herausgefordert: Denn damit macht man ja alle Gesetze der Welt zunichte. Mit dieser Begründung kann jedermann von jeglichem Gesetz sagen, dass es »gegen die Vernunft« sei, und damit seinen Ungehorsam rechtfertigen. Ich bitte dich, diese Wendung zu klären, so dass wir fortfahren können. J  Nach Sir Coke, Institutes, I, 138, erklärt sich dies folgendermaßen: Es handelt sich um eine künstliche Vervollkommnung der Vernunft, die durch langes Studium, Beobachtung und Erfahrung erreicht wird, und nicht um jedermanns natürliche Vernunft; denn Nemo nascitur Artifex (»Niemand wird als Fachmann geboren«). Diese juristische Vernunft ist summa ratio; denn wenn alle Vernunft, die auf so viele verschiedene Köpfe verteilt ist, in einem einzigen vereint wäre, könnte dieser dennoch nicht ein Gesetz machen, wie es das Gesetz Englands ist, da dieses durch so viele Abfolgen von Zeitaltern durch eine unendliche Zahl von bedeutenden und gelehrten Männern verfeinert und vollendet worden ist.5 P  Da dies teils verworren ist und teils einfach nicht stimmt, klärt es die Stelle nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die

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I.  Vom Gesetz der Vernunft

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Vernunft, die das Wesen des Rechts ist, nicht natürlich, sondern künstlich sein soll. Mir ist hinreichend klar, dass Rechtskenntnis durch intensives Studium erlangt wird, so wie es bei allen anderen Wissenschaften der Fall ist: Will man sie studieren und beherrschen, so braucht man jedoch die natürliche und nicht eine künstliche Vernunft. Ich gebe dir recht, dass die Kenntnis der Gesetze als solche eine Kunst ist, aber nicht, dass irgendeine Kunst eines Mannes oder vieler, gleich wie weise sie seien, oder die Arbeit eines oder mehrerer Fachleute, gleich wie vollendet sie sein mag, Gesetz sein kann. Denn es ist ja nicht die Weisheit, sondern die Autorität, die ein Gesetz zum Gesetz macht.6 Auch ist der Ausdruck »juristische Vernunft« dunkel; außer menschlicher Vernunft gibt es in irdischen Geschöpfen keine Vernunft. Ich vermute, er meint, dass die Vernunft eines Richters oder aller Richter (außer dem König) zusammengenommen jene summa ratio und das Gesetz an sich bildet. Dies aber bestreite ich, da niemand ein Gesetz machen kann, außer er verfügt über die legislative Gewalt. Es ist offensichtlich unwahr, dass das Recht von bedeutenden und gelehrten Männern, d. h. von den Professoren des Rechts, vervollkommnet wurde, denn die Gesetze Englands wurden stets von den Königen von England zu Gesetzen gemacht, nachdem sie Ober- und Unterhaus des Parlaments zu Rate gezogen hatten. Aber dort sitzt nicht einer unter zwanzig, der gelernter Jurist ist. J  Du sprichst vom Gesetzesrecht [Statute Law], und ich spreche vom Gemeinen Recht [Common Law].7 P  Ich spreche vom Recht im Allgemeinen. J  Ich stimme dir insoweit zu, dass, wenn das Gesetzesrecht wegfiele, weder hier noch irgendwo sonst irgendein Gesetz überhaupt übrigbliebe, das zum Frieden einer Nation führen würde. Aber Gerechtigkeit und Vernunft, welche göttliches und ewiges Recht sind, das alle Menschen überall und zu allen Zeiten verpflichtet, würden immer noch da sein: freilich würden sie nur von Wenigen befolgt werden: und obwohl ihre Verletzung nicht in dieser Welt geahndet werden könnte, würde sie doch in an-

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I.  Vom Gesetz der Vernunft

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gemessener Weise in der kommenden Welt bestraft werden. Sir Coke ist nicht dafür zu tadeln, dass er für die Männer seines eige­ nen Berufsstandes so viel Autorität in Anspruch nimmt, wie ihm rechtmäßig möglich ist; aber über die Ernsthaftigkeit und Bildung der Richter hinaus hätte er für den Gesetzgebungsprozess doch die Autorität des Königs veranschlagen müssen, welcher über die Souveränität verfügt. Zur Beachtung jener Gesetze der Vernunft ist jeder klardenkende Untertan gehalten, da die Vernunft Teil seiner Natur ist, welche er ständig mit sich trägt und in der er lesen kann, wenn er will.8 P  Dies ist sehr wahr, und aus diesem Grund wirst du es nicht für Arroganz halten, wenn ich den Anspruch erhebe, innerhalb eines oder zweier Monate mich in den Stand zu setzen, das Amt eines Richters auszuüben. Du gestehst mir ja wie anderen Menschen auch meinen Anspruch auf Vernunft zu, und die soll mit dem Gemeinen Recht übereinstimmen. (Dies sollten wir festhalten, so dass nicht immer wieder klargemacht werden muss, dass die Vernunft das Gemeine Recht ist.) Was das Gesetzesrecht angeht, so ist es gedruckt und es gibt Register, die mich zu jedem ­darin enthaltenen Sachverhalt führen. Also könnte man auch hier in zwei Monaten eine Menge lernen. J  Aber du würdest nur ein schlechter Anwalt sein. P  Ein Anwalt glaubt in der Regel, alles in seiner Macht Stehende zum Wohle seines Klienten sagen zu müssen, und benötigt daher ein Talent, den Sinn von Wörtern gegenüber ihrer wahren Bedeutung zu verdrehen; und die Begabung der Rhetorik, um die Geschworenen und manchmal auch den Richter zu verführen, sowie viele andere Künste, die ich allerdings weder studiert habe noch vorhabe zu studieren.9 J  Aber lass den Richter, gleich für wie gut er sein Denken hält, aufpassen, dass er nicht zu weit vom Buchstaben des Gesetzes abweicht, denn dies ist nicht ungefährlich. P  Er mag sich ohne Gefahr vom Buchstaben entfernen, wenn er sich nicht von der Bedeutung und dem Sinn des Gesetzes ent-

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I.  Vom Gesetz der Vernunft

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fernt. Ein gelehrter Mann (und Richter sind dies ja im Allgemeinen) kann diesen Sinn durch die Präambel des Gesetzes, durch den Zeitpunkt, zu dem es gemacht wurde, und die Fälle, für die es gemacht wurde, herausfinden. Aber bitte sage mir, zu welchem Zweck musste denn überhaupt Gesetzesrecht erlassen werden, wenn klar war, dass es doch das Gesetz der Vernunft ist, das bei jedem Konflikt, der entstehen kann, angewandt werden soll. J  Du kennst sehr wohl die Macht einer ungebührlichen Begierde nach Reichtümern, Macht und sinnlichen Freuden und dass die stärkste Vernunft von ihnen beherrscht sein kann. Diese Macht ist die Wurzel von Ungehorsam, Totschlag, Betrug, Heuchelei und allen möglichen schlimmen Gewohnheiten. Die menschlichen Gesetze können zwar die Früchte, also die bösen Taten, bestrafen, aber sie können die Wurzeln im Innersten nicht ausreißen. Wie aber kann ein Mensch der Habsucht, des Neides, der Heuchelei oder einer anderen lasterhaften Gewohnheit angeklagt werden, wenn sie nicht durch eine Handlung, von der ein Zeuge Kenntnis erlangt, zutage tritt. Solange die Wurzel bleibt, wird neue Frucht hervorkommen, bis man des Strafens müde wird, und so wird schließlich alle Macht, die sich dem entgegenstellt, zerstört. P  Welche Hoffnung gibt es dann auf einen dauerhaften Frieden in irgendeiner Nation oder zwischen einer Nation und einer anderen? J  Zwischen zwei Nationen darfst du einen solchen Frieden nicht erwarten, da es keine gemeinsame Macht in dieser Welt gibt, um ihre Ungerechtigkeit zu bestrafen: gegenseitige Furcht mag sie für eine bestimmte Zeit ruhig halten, aber bei jedem sichtbaren Vorteil werden sie einander überfallen, und der sichtbarste Vorteil besteht dann, wenn die eine Nation ihrem König gehorcht und die andere nicht. Der Friede im Inneren kann jedoch dann als dauerhaft angenommen werden, wenn das gewöhnliche Volk dazu gebracht werden kann, den Nutzen zu s­ ehen, den es aus seinem Gehorsam und seiner Treue zu seinem eigenen Souve-

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I.  Vom Gesetz der Vernunft

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rän zieht, und den Schaden, den es zwangsläufig dadurch erleidet, dass es sich an die Seite derer stellt, die es durch Versprechen von Umgestaltung oder Wechsel der Regierung täuschen. Und dies muss richtigerweise durch Theologen geschehen und mit Argumenten nicht nur aus der Vernunft, sondern auch aus der Heiligen Schrift.10 P  Was du da sagst, ist zweifellos wahr, aber es trägt nicht viel zu dem bei, worauf ich in dem Gespräch mit dir hinauswill, mich nämlich bezüglich der Gesetze Englands zu informieren: daher frage ich dich wiederum, was ist der Zweck des Gesetzesrechts [Statute-Laws]?

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I I.  VON DE R SOUV ER Ä NITÄT

J  Dazu sage ich, dass das Ziel allen menschlichen Rechts Friede und Gerechtigkeit in jeder Nation nach innen und Verteidigung gegen Feinde von außen ist.11 P  Aber was ist Gerechtigkeit? J  Gerechtigkeit ist, jedem Menschen das Seine zu geben.12 P  Diese Definition ist gut, aber es ist ja die von Aristoteles; was ist die als Grundsatz anerkannte Definition in der Wissenschaft des Gemeinen Rechts? J  Dieselbe wie die des Aristoteles. P  Also ist es doch ein Philosoph, der bei euch Juristen im höchsten Ansehen steht. Es geht ja wirklich um Vernunft, denn die allgemeinste und vornehmste Wissenschaft und das Gesetz der ganzen Welt ist wahre Philosophie, von welcher das Gemeine Recht von England ein sehr kleiner Teil ist. J  Es ist so, wenn du, wie ich annehme, mit Philosophie tatsächlich nichts anderes meinst als die Lehre von der Vernunft.13 P  Wenn du sagst, dass Gerechtigkeit jedem Menschen das Seine gibt, was meinst du mit dem »Seinen«? Wie kann mir das erst gegeben werden, was schon meines ist, oder wenn es nicht meines ist, wie kann Gerechtigkeit es dazu machen? J  Ohne Gesetz gehört jedes Ding insofern jedem Menschen, als er, ohne einem anderen Menschen Unrecht zu tun, jedes Ding, Land, Tiere, Früchte und sogar die Körper anderer Menschen nehmen, besitzen und sich daran erfreuen mag, wenn ihm seine Vernunft sagt, dass er anders nicht sicher leben kann: denn die Gebote der Vernunft hätten wenig Wert, wenn sie nicht dem Schutz und der Vervollkommnung menschlichen Lebens dienten.14 Indem wir also sehen, dass ohne menschliches Gesetz alle Dinge Gemeingut wären und dass diese Gemeinsamkeit ein Anlass für Übergriffe, Neid, Totschlag und dauernden Krieg unter-

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II.  Von der Souveränität

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einander sein würde15, befiehlt dasselbe Recht der Vernunft der Menschheit, (zu ihrer eigenen Erhaltung) Land und Güter so zu verteilen, dass jeder Mensch wissen kann, was sein eigen ist, und dass kein anderer darauf ein Recht beanspruchen oder ihn an der Benutzung derselben hindern kann. Diese Festlegung bedeutet erst Gerechtigkeit, und dies ist genaugenommen gemeint, wenn wir sagen, dass jeder »das Seine« haben soll. Daraus wird deutlich, dass es zur Erhaltung der Menschheit von großer Notwendigkeit ist, Gesetzesrecht zu haben.16 Desgleichen sagt auch das Vernunftgesetz, dass das Gesetzesrecht ein notwendiges Mittel für die Sicherheit und das Wohlergehen des Menschen in dieser Welt ist und dass es von allen Bürgern zu befolgen ist, so wie auch das Gesetz der Vernunft sowohl vom König wie von seinen Untertanen befolgt werden muss: denn es ist das Gesetz Gottes. P  All dies ist sehr vernünftig; aber wie können irgendwelche Gesetze einen Menschen vor dem anderen schützen, da doch die meisten Menschen so unvernünftig und so von sich selbst eingenommen sind, wie sie eben sind; ihre eigenen Gesetze sind für sie nichts weiter als tote Buchstaben, nicht imstande, einen Menschen zu zwingen, anders zu handeln, als es ihm beliebt, noch ihn zu strafen oder ihn zu verletzen, wenn er eine Bosheit begangen hat? J  Mit den Gesetzen meine ich lebende und wirksame, denn du musst dir vorstellen, dass eine Nation, die durch Krieg einem Eroberer völlig unterworfen wurde, durch die gleiche Waffe, die sie zur Unterwerfung zwang, auch gezwungen werden kann, seine Gesetze zu befolgen. Wenn also eine Nation einen Mann oder eine Gemeinschaft von Männern erwählt, die sie durch Gesetze regieren sollen, so muss sie ihn mit bewaffneten Männern, Geld und allen Dingen, die für sein Amt notwendig sind, ausstatten, oder aber seine Gesetze werden von keiner Wirkung sein und die Nation verbleibt in Verwirrung, so wie es vorher der Fall war. Daher ist es nicht der Buchstabe des Gesetzes, was die Gesetze wirksam macht, sondern die Macht eines Menschen, der die Stärke

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der ganzen Nation in sich vereinigt. Es war nicht Solon, der die Athenischen Gesetze schuf (obwohl er sie erdachte), sondern das höchste Gericht dieses Volkes; auch waren es nicht die Rechtsgelehrten in Rom, die das römische Recht zu Justinians Zeiten schufen, sondern Justinian selbst.17 P  Wir stimmen darin überein, dass es in England der König ist, der die Gesetze zu Gesetzen macht, wer auch immer sie verfasst, und darin, dass der König seine Gesetze nicht wirksam werden lassen und sein Volk nicht gegen dessen Feinde verteidigen kann ohne die Macht, Soldaten zu rekrutieren. Woraus folgt, dass er rechtmäßig eine Armee (die in manchen Fällen sehr groß sein mag) aufstellen und Geld, um sie zu unterhalten, aufbringen können muss, sooft er es für wirklich notwendig hält. Ich zweifle nicht, dass du zugestehst, dass dies (wenigstens) dem Gesetz der Vernunft entspricht. J  Für meinen Teil gestehe ich es zu. Aber du hast gehört, dass es vor und in den jüngsten Auseinandersetzungen Leute gab, die anderer Ansicht waren.18 Soll der König von uns nehmen, was ihm beliebt, unter dem Vorwand einer Notwendigkeit, über die er sich selbst zum Richter macht, sagten sie?19 In welch schlechtere Lage können wir durch Feinde geraten? Sie können auch nicht mehr von uns nehmen als das, was sie selber nehmen wollen! P  Die Menschen ziehen falsche Schlüsse; sie wissen nicht, in welcher Lage wir uns zu Zeiten des Eroberers befanden, als es eine Schande war, ein Engländer zu sein, der, wenn er sich über die niederen Dienste, zu denen er von seinen normannischen Herren gezwungen worden war, beschwerte, keine andere Antwort erhielt als: »Du bist nur ein Engländer«. Auch können diese Leute, oder irgendeiner, der sie in ihrem Ungehorsam bestärkt, kein Beispiel dafür bringen, dass ein König jemals eine wirklich übermäßige Geldsumme erhoben hätte, entweder selbst oder mit Zustimmung seines Parlamentes, außer wenn es in hohem Maße notwendig war. Es gibt keinen Grund, warum sich einer zu solchem Verhalten veranlasst sehen sollte. Der größte Vorwurf ge-

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gen die Verschwendungssucht der Könige bezog sich auf die hin und wieder vorkommende Bereicherung eines Günstlings20, was aber für den Wohlstand des Königreiches bedeutungslos war; die Beschwerde erfolgte aus nichts als Missgunst. Aber was sagt bitte das Gesetzesrecht in Bezug auf diesen Punkt der Aushebung von Soldaten? J  Das letzte Gesetz, dies betreffend, ist Karl II, 13, 6 (1661).21 Hierdurch ist verfügt worden, dass das Oberkommando und die Verfügung über die Streitkräfte Englands das althergebrachte Recht der Könige von England ist und immer war: Aber in demselben Gesetz existiert eine Klausel, dass dies nicht als Befugnis des Königs ausgelegt werden soll, seine Untertanen außer Landes zu bringen oder marschieren zu lassen, freilich ist dies andererseits auch nicht für ungesetzlich erklärt. P  Warum ist dies nicht festgelegt? J  Ich kann mir genug Gründe vorstellen, obwohl ich mich vielleicht täusche. Wir haben unseren König lieber unter uns und werden nicht gern von Stellvertretern regiert, seien sie von unserem eigenen oder einem anderen Volk. Aber das glaube ich sicher: Wenn ein auswärtiger Feind uns entweder überfallen sollte oder sich anschickte, entweder in England, in Irland oder in Schottland einzudringen, und der König würde, wenn zu dem Zeitpunkt kein Parlament tagt, von sich aus englische Soldaten dorthin schicken, dann würde das Parlament ihm dies danken. Die Untertanen jener Könige, die an Ruhm Gefallen finden und die Taten Alexanders des Großen imitieren, haben nicht immer das sorgenfreieste Leben geführt, auch erfreuen sich normalerweise solche Könige nicht lange an ihren Eroberungen. Sie marschieren unentwegt hin und her wie auf einer Planke, die nur in der Mitte befestigt ist: Wenn ein Ende oben ist, dann geht das andere nach unten. P  Das ist gut. Aber wenn Soldaten (nach Urteil des Gewissens des Königs) wirklich notwendig sind, wie bei einem inneren Aufruhr oder einer Rebellion, wie soll das Königreich ohne eine

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in Bereitschaft und im Sold stehende Armee von beträchtlicher Größe beschützt werden? Wie soll für diese Armee Geld aufgebracht werden, besonders wenn der Mangel an öffentlichen Mitteln Könige von Nachbarstaaten zu Übergriffen und aufsässige Untertanen zur Rebellion einlädt? J  Das kann ich nicht sagen. Es ist Sache der Politik, nicht des Gesetzes; aber ich weiß, dass es unmissverständliche Gesetze gibt, durch die der König sich verpflichtet hat, seinen Untertanen niemals ohne Zustimmung des Parlaments Abgaben aufzuerlegen. Eins dieser Gesetze ist Eduard I, 25, 6 (1296); es lautet wörtlich: Wir haben uns und unsere Erben gegenüber den Erz­ bischöfen, Bischöfen, Äbten und anderen Dienern der Heiligen Kirche wie auch gegenüber Grafen, Freiherren und dem ganzen Volk des Landes verpflichtet, von nun an für keine Obliegenheit mehr Abgaben, Steuern oder Sporteln zu erheben, die nicht die allgemeine Zustimmung des Reiches haben. Ein anderes Gesetz, Eduard I, 34, 4 (1305), lautet: Keine Steuern oder Abgaben sollen von uns oder unseren Erben in unserem Reich eingetrieben oder erhoben werden ohne den guten Willen und die Billigung der Erz­ bischöfe, Bischöfe, Grafen, Freiherren, Ritter, Abgeordneten und anderer freier Bürger des Landes. Diese Gesetze sind seit dieser Zeit von etlichen anderen Königen bekräftigt worden, zuletzt von dem König, der gegenwärtig regiert. P  All dies weiß ich, aber ich bin nicht zufrieden. Ich bin einer von dem gewöhnlichen Volk und einer von der fast unermesslichen Anzahl von Menschen, für deren Wohlergehen Könige und andere Herrscher von Gott bestimmt wurden: Gott schuf ja die Könige für das Volk, und nicht das Volk für die Könige. Wie soll ich vor der Herrschaft stolzer und anmaßender Fremder, die eine andere Sprache sprechen, die uns verachten, die danach trachten, uns zu Sklaven zu machen, beschützt werden? Oder wie kann ich der Vernichtung, die aus der Grausamkeit der Parteien in einem Bürgerkrieg erwachsen kann, entgehen, wenn nicht der König, dem, wie du sagst, einzig das Recht zur Rekrutierung und Ver-

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fügung über die Streitkräfte zukommt und der allein jene Vernichtung verhindern kann, jederzeit verfügbares Geld hat, um zu allen Gelegenheiten so viele Soldaten zu bewaffnen und zu besolden, wie es zur gegenwärtigen Verteidigung oder zum Frieden des Volkes notwendig ist? Werden sonst nicht ich, du und alle Menschen umkommen? Sprich mir nicht vom Parlament, wenn kein Parlament tagt oder vielleicht keines existiert, was des Öfteren vorkommen kann. Und wenn ein Parlament tagt und seine Sprecher und führenden Männer einen Plan haben, die Monarchie zu stürzen, wie sie es in dem Parlament, das vom 3. Nov. 1640 an tagte, hatten?22 Soll dann der König, der Gott dem Allmächtigen für die Sicherheit seines Volkes verantwortlich und der zu diesem Zweck mit der Vollmacht, Soldaten zu rekrutieren und über sie zu verfügen, ausgestattet ist, aufgrund dieser Parlamentsbeschlüsse, die du zitiert hast, an der Ausübung seines Amtes gehindert werden? Wenn dies Vernunft sein soll, dann ist es auch vernünftig, das Volk preiszugeben oder sich gegenseitig umbringen zu lassen, sei es bis zum letzten Mann. Wenn dies aber nicht vernünftig ist, dann ist es auch nicht Recht – wie du ja schon zugegeben hast. J  Das ist wahr, wenn du die recta ratio meinst, aber die recta ratio, die ich als Recht ansehe, ist, wie Sir Coke in seinen Institu­ tes, Section 138 sagt, eine künstliche Vervollkommnung der Vernunft, die durch langes Studium, Beobachtung und Erfahrung erreicht wurde, aber nicht jedermanns natürliche Vernunft; denn Nemo nascitur Artifex. Diese gesetzliche Vernunft ist summa ra­ tio, und wenn auch alle Vernunft, die in so viele verschiedene Köpfe verstreut ist, in einem einzigen vereint wäre, könnte dieser nicht ein solches Gesetz schaffen, wie es das Recht Englands ist, da es durch so viele Abfolgen von Zeitaltern durch eine unendliche Zahl von bedeutenden und gelehrten Männern verfeinert und vollendet worden ist. Und das ist das, was er das »Gemeine Recht« nennt.23

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P  Hältst du dies für eine gute Lehre? Obwohl es wahr ist, dass kein Mensch mit dem Gebrauch der Vernunft geboren wird, können doch alle Menschen ebenso dazu gelangen wie die Rechtsgelehrten auch; und wenn sie ihre Vernunft auf das Gesetz angewendet haben (das schon als Gesetz existierte, bevor sie es studierten, oder aber es war eben nicht das Gesetz, das sie studierten), können sie für das Richteramt genauso geeignet und fähig sein wie Sir Coke selbst, der ja nicht deshalb Richter war, weil er seine Vernunft mehr oder weniger zur Anwendung gebracht, sondern weil der König ihn dazu ernannt hatte. Und was seine Aussage angeht, dass ein Mann, der alle Vernunft besitze, die in so viele verschiedene Köpfe verstreut ist, dennoch nicht fähig sei, ein Recht zu schaffen, wie es das Recht von England ist – was wäre, wenn ihn jemand fragen würde, wer denn das Recht von England geschaffen habe? Würde er sagen, eine Abfolge von englischen Rechtsgelehrten oder Richtern oder vielmehr eine Abfolge von Königen? Und zwar aus eigener Vernunft, entweder allein oder mit dem Rat der Lords und Commons im Parlament 24, aber ohne die Richter und anderen Professoren des Rechts? Du siehst, dass die Vernunft des Königs, sei sie in größerem oder geringerem Maße vorhanden, jene anima legis ist, jene summa lex, von der Sir Coke spricht, und nicht die Vernunft, Bildung oder Weisheit der Richter. Aber du kannst feststellen, dass er überall in seinen Institutes die Gelegenheit wahrnimmt, die Bildung der Rechtsgelehrten zu preisen; er nennt sie unentwegt die Weisen des Parlaments oder des Kronrats. Daher sage ich, wenn du nichts anderes vorbringst, dass des Königs Vernunft, wenn sie nach Beratung und Verhandlung öffentlich erklärt worden ist, anima legis und summa ratio ist und dass die Gerechtigkeit, die alle übereinstimmend als das Gesetz der Vernunft ansehen, aus all dem besteht, was – neben der Bibel – in England, seit es christlich wurde, Gesetz ist oder jemals war.25 J  Sind die Canones der Kirche nicht Teil des englischen Rechts, wie auch das römische Recht, das in der Admiralität Anwendung

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findet, das Gewohnheitsrecht in den verschiedenen Orten, die Verordnungen von lokalen Behörden und Gerichtshöfen? P  Warum nicht, denn sie alle wurden von den englischen Königen erlassen, und obwohl das in der Admiralität angewandte Recht zunächst aus Gesetzen des Römischen Reiches bestand, ist es jetzt, da es durch keine andere Autorität als die des Königs in Kraft ist, als Gesetz und Verordnung des Königs anzusehen. Das Gleiche können wir von den Kanonischen Gesetzen sagen, soweit wir sie beibehalten haben. Sie wurden zwar von der Römischen Kirche geschaffen; aber seit dem Beginn der Regierungszeit Köni­ gin Elisabeths waren sie weder Gesetze, noch haben sie irgendeine Gültigkeit in England gehabt, es sei denn kraft des Groß­ siegels von England.26 J  Gibt es in den besagten Gesetzen, die die Erhebung von Abgaben ohne Zustimmung des Parlaments einschränken, irgendetwas, wonach man Ausnahmen machen kann? P  Nein, es ist in Ordnung, dass die Könige, die dem Parlament solche Zugeständnisse machen, verpflichtet sind, sich daran zu halten, soweit es ihnen, ohne Unrecht zu tun, möglich ist. Aber sollte der König feststellen, dass er durch ein solches Zugeständnis daran gehindert wird, seine Untertanen zu beschützen, tut er Unrecht, wenn er sich daran hält; er kann und sollte daher e­ inem solchen Zugeständnis keine Beachtung schenken; denn Zugeständnisse, die man durch Irrtum oder falsche Vorschläge von ihm erhalten hat, sind, wie die Juristen zugeben, rechtsungültig und ohne Wirkung und müssen rückgängig gemacht werden. Der König trägt (wie allgemein anerkannt wird) die Verantwortung, sein Volk gegen ausländische Feinde zu schützen und den Frieden innerhalb des Reiches zu wahren. Wenn er nicht sein Äußerstes tut, um diese Verpflichtung zu erfüllen, tut er Unrecht, was weder ein König noch ein Parlament darf. J  Ich glaube, dass dies niemand bestreiten kann, denn wenn die Erhebung von Abgaben notwendig ist, tut das Parlament Unrecht, wenn es sie ablehnt, wenn sie unnötig ist, dann haben

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s­ owohl das Parlament als auch der König Unrecht, wenn sie sie erheben. Aber dessen ungeachtet halte ich es auch für ein Unrecht, wenn jemand, der, sei er ein Einzelner oder eine Versammlung, die Souveränität innehat und mit der Sicherheit einer ganzen Nation betraut ist, unbesonnen und auf seine eigene naturgegebene Fähigkeit vertrauend, Krieg führt oder Frieden schließt, ohne diejenigen hinzuzuziehen, die durch ihre Erfahrung und Dienste im Ausland, durch Bildung oder auf andere Weise bis zu einem gewissen Grad Kenntnis von der Stärke, Überlegenheit und den Absichten des Feindes erlangt haben und die Art und das Ausmaß der Gefahr kennen, die von dort ausgehen kann. In gleicher Weise tut er Unrecht, wenn er im Falle einer Rebellion im Lande nicht das Militär zu Rate zieht; wenn er dies jedoch tut, glaube ich, dass er dann rechtmäßig darangehen kann, all solche Feinde und Rebellen zu unterwerfen, und dass die Soldaten kämpfen sollten, ohne zu fragen, ob es innerhalb oder außerhalb des Landes geschieht. Denn wer anders sollte eine Rebellion niederschlagen als der, der das Recht innehat, die Streitkräfte auszuheben, ihnen zu befehlen und über sie zu verfügen? Das letzte »Lange Parlament« lehnte dies ab, aber warum?27 Weil es hier ­einer Mehrheit um die Rebellion mit der Absicht ging, die Monarchie zu stürzen.28 P  Ich möchte keineswegs gegen die gesetzlichen Zugeständnisse des Königs und seiner Vorgänger im Amt vorgehen. Diese Gesetze sind an sich für den König und das Volk sehr nützlich, da sie solchen Königen Schwierigkeiten bereiten, die, um des Ruhmes der Eroberung willen, einen Teil von Leben und Besitz ihrer Untertanen darauf verwenden, andere Nationen zu bekriegen, und es dem Rest anheimstellen, sich selbst im eigenen Land durch Parteibildung zu vernichten. Einen Fehler sehe ich allerdings in diesen und anderen Gesetzen, insofern sie dahin verdreht werden, unsere Könige vom Gebrauch ihrer Armeen zur notwendigen Verteidigung ihrer selbst und ihrer Untertanen abzuhalten. Das letzte »Lange Parlament«, welches 164829 seinen

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König ermordete (einen König, der keinen größeren Ruhm auf Erden suchte, als mildtätig gegenüber seinem Volk und ein frommer Beschützer der Kirche von England zu sein), hatte kaum die souveräne Gewalt an sich gebracht, als es nach eigenem Belieben Abgaben vom Volk erhob.30 Stellte irgendeiner ihrer Untertanen ihre Macht in Frage? Schickten sie nicht Soldaten über das Meer, um Irland zu unterwerfen, und andere, um auf See gegen die Holländer zu kämpfen, oder ließen sie irgendeinen Zweifel daran, dass man ihnen in allem, was sie befahlen, Gehorsam schuldete, als ein Recht, das unumschränkt der Souveränität zukommt, wer auch immer sie innehat? Ich sage dies nicht, um ihr Handeln zu billigen, sondern als Zeugnis aus dem Munde gerade jener Männer, die dieselbe Gewalt demjenigen verweigerten, den sie eben zuvor noch als ihren Souverän anerkannt hatten. Dies ist ein ausreichender Beweis dafür, dass das Volk von England niemals das Recht der Könige, Abgaben für die Erhaltung seiner Armeen zu erheben, angezweifelt hat, bis es darin von aufrührerischen Lehrern und anderen schwatzhaften Männern zu dem Zweck missbraucht wurde, den Staat und die Kirche in eine Volksherrschaft zu verwandeln, wo die einfältigsten und anmaßendsten Schwätzer im Allgemeinen die höchsten Ämter erhalten. Und als ihre neue Republik durch Oliver wieder in eine Monarchie zurückgeführt worden war, wer wagte es, ihm Gelder unter Berufung auf die Magna Carta oder andere vom Parlament verabschiedete Gesetze zu verweigern, die du zitiert hast?31 Du kannst es daher trotz all deiner Bücher für gutes Recht halten, dass der englische König zu jeder Zeit, wenn er es, seinem Gewissen folgend, zur Verteidigung seines Volkes für notwendig erachtet, so viele Soldaten ausheben und Abgaben auferlegen kann, wie es ihm beliebt, und dass er selbst über die Notwendigkeit entscheidet. J  Horcht dort niemand an der Tür? P  Wovor hast du Angst?32 J  Ich habe dasselbe im Sinn, was du sagst, aber es gibt immer noch viele, die an ihren ehemaligen Grundsätzen festhalten und

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die weder durch das Elend der Bürgerkriege noch durch ihre damalige Begnadigung 33 völlig von ihrem Wahnsinn geheilt worden sind. P  Das einfache Volk schenkt dem, was es von dieser Art hört, niemals Beachtung, außer wenn es von solchen aufgehetzt wird, die es für klug hält, d. h. von einigen sogenannten Predigern und solchen, die rechtsgelehrt scheinen und überdies die Herrschenden verleumden. Aber wie ist es, wenn der König eine große Gefahr für sein Volk sieht oder voraussieht? Wenn etwa seine Nachbarn durch den Ansturm eines siegreichen Feindes niedergeworfen worden sind und er annimmt, seine eigenen Untertanen würden in das gleiche Unglück verstrickt werden? Kann er dann nicht Soldaten ausheben, besolden und dorthin schicken, um jenen schwachen Nachbarstaaten zu helfen, um so auf dem Wege der Prävention sein eigenes Volk und sich selbst vor der Sklaverei zu bewahren? Ist dies ein Unrecht? J  Erstens, sollte jener Krieg gegen das Nachbarvolk ein gerechter sein, ist es fraglich, ob es richtig ist, dieses Volk zu unterstützen. P  Ich für meinen Teil würde solche Fragen nicht stellen, solange der Eindringling mir nicht die Sicherheit geben würde, dass weder er noch seine Nachfolger aufgrund der Eroberung meines Nachbarstaates versuchen werden, mit mir in der Zukunft in gleicher Weise zu verfahren. Denn es gibt ja keine übergeordnete Souveränität, die sie zum Frieden zwingen könnte. J  Zweitens, sollte dieser Fall eintreten, wird das Parlament sich nicht weigern, uneingeschränkt zu der eigenen und zu der Sicherheit der ganzen Nation beizutragen. P  Vielleicht, vielleicht auch nicht; denn falls das Parlament zu dieser Zeit nicht tagt, muss es einberufen werden, dies erfordert sechs Wochen. Für die Erörterung und Zusammenfassung dessen, was vorliegt, braucht es genauso lange – und inzwischen ist die Gelegenheit vielleicht vertan. Wie viele verlorene Seelen haben wir außerdem in den letzten großen Unruhen sagen ­hören: Was macht es schon aus, wer den Sieg erringt? Wir müssen im-

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mer das bezahlen, was gefordert wird, und genau das tun wir heute schon. Und so werden sie murren, so wie sie es immer getan haben, wer auch immer über sie regieren wird, solange ihre Gier und Ignoranz andauern, was bis zum Jüngsten Tag der Fall sein wird, falls nicht besser Sorge für ihre Unterweisung in ihren Pflichten sowohl durch die Vernunft als auch durch die Religion getragen wird.34 J  Trotz alledem halte ich es für ziemlich hart, dass ein König das Recht besitzen sollte, unter dem Vorwand einer Notwendigkeit von seinen Untertanen nach seinem Belieben zu nehmen. P  Ich weiß, was dein Gewissen in diesem Punkt beunruhigt. Jeder Mensch fürchtet, dass seine Pläne durchkreuzt würden, aber das ist meist unsere eigene Schuld. Erstens wünschen wir uns Unmögliches: für das Recht auf Eigentum wollen wir Sicherheit gegen alle Welt haben, ohne dafür zu bezahlen, was unmöglich ist. Genauso könnten wir erwarten, dass Fisch und Geflügel sich selbst kochen, braten und fertig angerichtet auf den Tisch kommen, dass die Trauben uns ihren Saft von selbst in den Mund gießen und wir alle anderen Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten haben sollten, die irgendwelche lustigen Leute dem Schlaraffenland zuschreiben. Zweitens gibt es kein Land auf der Welt, in dem nicht diejenigen, die die Souveränität behaupten, nach Belieben Abgaben für die Verteidigung der jeweiligen Nation erheben, wenn sie es für deren Sicherheit als notwendig erachten. Das letzte »Lange Parlament« hatte dies abgelehnt, aber warum? Weil man den Plan hatte, den König abzusetzen.35 Drittens gibt es, soviel ich weiß, kein Beispiel eines englischen Königs, der jemals solch eine Notwendigkeit der Erhebung von Abgaben gegen sein Gewissen vorgetäuscht hätte. Die größten Beträge überhaupt (vergleicht man den Geldwert der damaligen Zeit mit dem heutigen) waren die, die von König Eduard III. (1327–1377) und König Heinrich V. (1413–1422) erhoben wurden, Königen, deren wir uns heute rühmen und deren Taten wir als eine große Zierde der englischen Geschichte ansehen. Letztlich, was die hin und wieder

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vorkommende Bereicherung eines Günstlings anbetrifft, so ist es weder spürbar für das Land, noch werden dadurch irgendwelche Schätze dem Reich entzogen: sie werden vielmehr so ausgegeben, dass sie wieder auf das einfache Volk zurückfallen. Zu glauben, dass unsere Natur als menschliche keinen Unbequemlichkeiten unterworfen sein sollte, hieße, ungerechterweise mit Gott dem Allmächtigen über unsere Fehler zu streiten; er hat seinen Teil getan, indem er unseren eigenen Fleiß mit Gehorsam in Verbindung brachte. J  Ich weiß nicht, was ich da entgegnen soll. P  Wenn du billigst, was ich gesagt habe, dann bedeutet es, dass das Volk niemals von Abgaben nach dem Willen des einen oder des anderen befreit war, sein wird oder sein sollte. Es bedeutet, dass bei einem Bürgerkrieg die Menschen ihren gesamten Besitz von einer oder beiden Seiten einlösen müssen, und dies zu einem hohen Preis. Es bedeutet, dass ihr Sieg ein Ende ihrer Probleme bedeutet, solange sie sich zum König, dass diese aber kein Ende nehmen, wenn sie sich zu seinen Feinden halten. Denn der Krieg wird durch ständige Teilung weitergehen, und am Ende werden sie im gleichen Zustand sein, wie sie es vorher waren. Es bedeutet, dass sie immer wieder von Menschen missbraucht werden, die ihnen weise vorkommen, obwohl ihre Weisheit nichts anderes ist als der Neid gegenüber denen, die in Gunst und einträglichen Ämtern stehen. Es bedeutet, dass diejenigen, die das Eigentumsrecht eines einzelnen Menschen zu Ungunsten der öffentlichen Sicherheit betonen, nichts anderes tun, als das einfache Volk zum eigenen Nutzen zu missbrauchen. Es bedeutet aber auch, dass der König ausschließlich den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen Gottes unterworfen ist und keinen anderen; und so war es bei Wilhelm dem Eroberer (1066–1087), dessen Recht in allem auf unseren jetzigen König überging.36 J  Was das Gesetz der Vernunft anbetrifft, welches die Gerechtigkeit ist, so sollte deutlich sein, dass es nur einen Gesetzgeber gibt, nämlich Gott.

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P  Daraus folgt dann aber, dass das, was du im Unterschied zum Gesetzesrecht das Gemeine Recht nennst, nichts anderes als das Gesetz Gottes ist. J  In gewissem Sinne schon, aber es ist keine Offenbarung, sondern natürliche Vernunft und natürliche Gerechtigkeit. P  Soll etwa jeder Mensch jedem anderen Menschen gegenüber seine besondere Vernunft zum Gesetz erklären? Es gibt unter den Menschen keine allgemeingültige Vernunft, auf die man sich in jedem Staat einigen könnte, außer der desjenigen, der die Souveränität innehat. Auch seine Vernunft ist zwar die eines einzelnen Menschen, aber sie ist doch geschaffen worden, um den Rang jener allgemeingültigen Vernunft einzunehmen, welche uns von unserem Erlöser im Evangelium dargelegt worden ist. Und folglich ist unser König für uns der Gesetzgeber, sowohl für das Gesetzes­recht wie auch für das Gemeine Recht. J  Ja, ich weiß, dass die geistlichen Gesetze, die in diesem König­ reich seit der Abschaffung des Papismus Gesetz sind, die Gesetze des Königs sind und auch diejenigen, die vorher geschaffen wurden; denn die Canones der Römischen Kirche w ­ aren, außer­halb der weltlichen Herrschaft des Papstes, weder hier noch anderswo Gesetze, dies wurden sie erst, insofern Könige und Staaten sie in ihren verschiedenen Herrschaftsgebieten dazu machten. P  Dies gestehe ich zu, aber auch Folgendes muss eingeräumt werden: Jene kirchlichen Gesetze wurden in England mit Zustimmung des Ober- und Unterhauses wirksam, die Könige blieben jedoch alleinige Gesetzgeber auch für das Kirchenrecht. Nun brauchen nicht alle Könige und Staaten für ihre Gesetze die Zustimmung eines Ober- oder Unterhauses.37 Auch unser König hier ist nur insoweit an diese Zustimmung gebunden, als dies nach seinem Urteil zum Wohl und zur Sicherheit seines Volkes beiträgt. Sollten ihm das Ober- und Unterhaus zum Beispiel raten, jene geistlichen Gesetze wieder einzusetzen, die zu Königin Marias Zeiten (Maria Tudor 1553 bis 1558) in Kraft waren, wäre der König meiner Ansicht nach durch das Gesetz der Vernunft

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verpflichtet, solchen Rat zu missachten, und zwar ohne weitere Unterstützung eines anderen Gesetzes Gottes. J  Ich gebe zu, dass der König der alleinige Gesetzgeber ist, aber mit der Einschränkung, dass er sich, wenn er das Oberhaus nicht zu Rate zieht und Einwände und Hinweise des Unterhauses, das am besten mit seinen eigenen Bedürfnissen vertraut ist, nicht anhört, gegen Gott versündigt, obwohl seine Untertanen ihn nicht zu irgendetwas mittels Waffen und Gewalt zwingen können. P  Darüber haben wir schon vorher Einigkeit erzielt. Da also der König alleiniger Gesetzgeber ist, ist es meiner Ansicht nach auch vernünftig, dass er der einzige oberste Richter sein sollte. J  Daran besteht kein Zweifel, denn andernfalls gäbe es keine Übereinstimmung der Gerichtsurteile mit den Gesetzen. Ich gestehe ihm auch zu, oberster Richter über alle Menschen in allen zivil- und kirchenrechtlichen Angelegenheiten innerhalb seiner eigenen Herrschaftsgebiete zu sein. Und zwar nicht nur durch Parlamentsbeschluss in der heutigen Zeit; er war es immer schon aufgrund des Gemeinen Rechts gewesen. Denn die Richter an beiden Gerichtshöfen haben ihre Ämter genauso wie die Bischöfe hinsichtlich der richterlichen Gewalt durch die Patenturkunde des Königs erhalten. Auch der Lordkanzler hat sein Amt, weil der König ihm das Großsiegel von England verliehen hat. Zusammenfassend kann man sagen, dass es keinen Richter oder höheren Beamten für öffentliche Angelegenheiten weder im Rechtswesen noch in der vollziehenden Gewalt, im Staate oder in der Kirche, im Krieg oder im Frieden gibt, der nicht durch die Autorität des Königs dazu gemacht worden ist. P  Das ist wahr, aber sieht es nicht vielleicht anders aus, wenn man solche Parlamentsbeschlüsse lesen würde, wie zum Beispiel, dass der König die Macht und Autorität besitzen sollte, kraft dieses Beschlusses dies oder jenes zu tun? So heißt es ja z. B. in Elisabeth (I), 1 (1559): Dass eure Hoheit, eure Erben und Nachfolger, Könige oder Königinnen dieses Reiches kraft dieses Beschlusses und durch Patenturkunde unter dem Großsiegel von England

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die uneingeschränkte Macht und Amtsgewalt haben sollen, zu übertragen usw. War es da nicht doch das Parlament, welches der Köni­gin diese Amtsgewalt verlieh? J  Nein, denn was in dieser Klausel ausgedrückt ist, bedeutet nichts weiter als eine Bekräftigung des Gemeinen Rechts, wie Sir Coke zu sagen pflegt. Denn die Königin als Oberhaupt der Kirche von England kann höhere Beamte für die Entscheidung in kirchlichen Fragen so beliebig ernennen, als wenn sie selbst Papst wäre, der, wie du weißt, sein Recht von dem Gesetz Gottes herleitete. P  Wir haben bis jetzt von den Gesetzen gesprochen, ohne zu bedenken, was das Wesen und den Geist eines Gesetzes ausmacht, und wir können, solange wir nicht das Wort Gesetz definieren, nicht ohne Zweideutigkeit und Trugschlüsse fortfahren, was nichts als Zeitverschwendung ist, während im Gegensatz dazu eine Übereinstimmung in unserem Wortgebrauch alles ­erhellen wird, was wir in Zukunft zu sagen haben. J  Ich erinnere mich an keine Definition von »Gesetz« in irgend­einem geschriebenen Gesetzestext. P  Ich denke so: Die Gesetze sind durch die Autorität geschaffen worden und von keinem anderen Grundsatz abgeleitet als von dem der Sorge um die Sicherheit des Volkes. Geschriebene Gesetze sind nicht Philosophie, wie das Gemeine Recht und andere anfechtbare Künste, sondern es sind Befehle oder Verbote, die befolgt werden müssen. Durch die Unterwerfung unter den Eroberer wurden sie hier in England und unter dem, der die Souveränität in anderen Staaten innehatte, wurden sie dort gebilligt, so dass das geltende Recht jetzt überall Gesetzesrecht ist. Die Definition von »Gesetz« war deshalb für die Schöpfer der Statuten unnötig, obwohl sie sehr notwendig für jene ist, deren Aufgabe darin besteht, den Sinn des Rechts zu lehren. J  Es gibt eine genaue Definition von »Gesetz« in Bracton38, zitiert von Coke (Inst., 2, S.  588, n.  14): Lex est sanctio justa, jubens honesta, et prohibens contraria.

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P  Dies bedeutet, Gesetz ist eine gerechte Verfügung, die das sittlich Gute befiehlt und das Gegenteil verbietet. Daraus folgt, dass es in allen Fällen die Voraussetzung des sittlich Guten oder seines Gegenteiles wäre, die aus dem Befehl ein Gesetz macht, wohingegen du weißt, dass wir (wie der Hl. Paulus sagt) ohne das Gesetz gar nicht wissen konnten, was Sünde ist.39 Daher bietet diese Definition keinesfalls eine Grundlage für einen weiteren Diskurs über das Gesetz. Außerdem weißt du, dass die Regel für das sittlich Gute im Sinne von »honestum« und seines Gegenteils auf die Ehre verweist, dass das Recht sich jedoch ausschließlich auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit bezieht. Aber das, wogegen ich in dieser Definition die meisten Einwände erhebe, ist die Tatsache, dass sie annimmt, dass ein von der obersten Herrschaftsgewalt geschaffenes Gesetz ungerecht sein kann. In einem Gesetz des Gesetzesrechts, welches von Menschen geschaffen wurde, kann man in der Tat Unbilligkeit finden, aber niemals Ungerechtigkeit. J  Diese Sache ist ziemlich subtil. Ich bitte dich, mir eine klare Antwort auf die Frage zu geben, worin der Unterschied zwischen Unrecht und Unbilligkeit besteht. P  Ich bitte dich, mir zunächst den Unterschied zwischen ­einem Gerichtshof und einem Billigkeitsgericht zu erklären. J  Ein Gerichtshof ist zuständig für solche Fälle, die durch posi­ tives Recht des Landes zu entscheiden sind; unter die Zuständigkeit des Billigkeitsgerichts fallen solche Angelegenheiten, die nach Billigkeit, d. h. nach dem Gesetz der Vernunft, entschieden werden müssen.40 P  Du siehst also, dass der Unterschied zwischen Unrecht und Unbilligkeit der folgende ist: Unrecht ist die Übertretung eines Gesetzes des Gesetzesrechts und Unbilligkeit ist die Übertretung des Gesetzes der Vernunft. Aber das Gebot des Gehorsams gegenüber dem Gesetzesrecht ist nichts anderes als das Gesetz der Vernunft und die Richter über dieses Recht sind die Gerichtshöfe und der Bruch des Gesetzesrechts ist eine Unbilligkeit

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ebenso wohl wie auch ein Unrecht. Aber vielleicht verstehst du unter dem Gemeinen Recht nicht das Gesetz selbst, sondern die Art und Weise der Rechtsfindung, insofern es sich um Tatsachen handelt. Die zwölf Geschworenen bilden ja weder ein Billigkeitsgericht noch einen Gerichtshof, weil sie nicht über Recht und Unrecht entscheiden, sondern nur, ob etwas geschehen ist oder nicht. Und ihr Urteil ist nichts anderes als eine Bekräftigung dessen, was eigentlich das Urteil der Zeugen ist; denn, um genau zu sein, es kann außer den Zeugen unmöglich einen anderen Richter über den Tatbestand geben.41 J  Da alle Richter in allen Gerichtshöfen gemäß dem Prinzip der Billigkeit, welches das Gesetz der Vernunft ist, urteilen müssen, scheint mir ein besonderes Billigkeitsgericht nicht notwendig und nur eine Last für das Volk zu sein, da doch Gemeines Recht und Billigkeit dasselbe beinhalten. P  Dies wäre in der Tat so, wenn die Richter nicht irren könnten, aber da sie es können und der König keinem anderen Recht verpflichtet ist als dem der Billigkeit, gebührt es ihm allein, denjenigen Wiedergutmachung zu verschaffen, die durch Unkenntnis und Bestechlichkeit der Richter Schaden erleiden. J  Wie würdest du also nunmehr »Gesetz« definieren? P  Folgendermaßen: Ein Gesetz ist ein Befehl desjenigen oder derjenigen, die die Souveränität innehaben, gerichtet an jene, die seine oder ihre Untertanen sind, in dem öffentlich und unmissverständlich erklärt ist, was jedem von ihnen erlaubt ist und was sie unterlassen müssen.42 J  Gemäß deiner Definition eines Gesetzes wäre die Proklamation der Königswürde unter dem Großsiegel von England ein Gesetz, denn sie ist ein Befehl und öffentlich und sie richtet sich vom Herrscher an die Untertanen. P  Warum nicht, wenn er es zum Wohl seiner Untertanen für notwendig hält, denn ein Grundsatz des Gemeinen Rechts, der von Sir Coke selbst vorgebracht wurde (Inst., II, S.  306), lautet: Quando Lex aliquid concedit, concedere videtur et id per quod

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devenitur ad illud (»Wenn das Gesetz etwas erlaubt, dann muss auch das erlaubt sein, wodurch man das Erlaubte erreicht«). Und du weißt vom selben Autor, dass verschiedene englische Könige den Anträgen des Parlaments, die sie gebilligt haben, oft Vorbehalte anfügten wie etwa den, dass im Notfall Unsere Königlichen Hoheitsrechte nicht beeinträchtigt werden. Meiner Ansicht nach müssen Gesetze immer so verstanden werden, auch wenn sie dies nicht eigens zum Ausdruck bringen. So werden sie auch von den Anwälten des Gemeinen Rechts verstanden, die darin übereinstimmen, dass der König jedes zuerkannte Recht widerrufen kann, wenn er sich etwa getäuscht sah. J  Noch einmal: Du machst die Tatsache, dass ein Gesetz dem Volk öffentlich und verständlich erklärt wird, zu einem Kernpunkt. Ich sehe dafür keine Notwendigkeit. Sind nicht alle Untertanen verpflichtet, alle Parlamentsbeschlüsse zu beachten, da kein Gesetz ohne ihre Zustimmung rechtskräftig werden kann? P  Wenn du gesagt hättest, kein Gesetz könnte ohne ihre Kenntnis rechtskräftig werden, dann wären sie tatsächlich verpflichtet, die Beschlüsse zu beachten. Aber außer den Parlamentsmitgliedern kann davon zunächst niemand Kenntnis haben, daher ist der Rest des Volkes ausgenommen. Es sei denn, die Vertreter der Grafschaften im Parlament müssten verpflichtet werden, bei ihrer Rückkehr ins Land das Volk auf dessen Kosten mit einer ausreichenden Anzahl von Abschriften der Parlamentsbeschlüsse zu versorgen, so dass ein jeder sich auf sie beziehen und selbst oder durch Freunde Kenntnis über seine Pflichten erlangen kann. Andernfalls wäre es nicht möglich, dass ihnen ­gehorcht wird. Und es ist einer von Sir Cokes Grundsätzen des Gemeinen Rechts, dass kein Mensch verpflichtet ist, Unmögliches zu tun. Ich weiß, dass die meisten Gesetze gedruckt worden sind, aber es leuchtet nicht ein, dass jeder Mensch verpflichtet sein soll, das Gesetzbuch zu kaufen oder in Westminster oder im Tower danach zu suchen oder die Sprache zu verstehen, in welcher es zum größten Teil abgefasst ist.

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J  Ich gebe zu, dass es sich aus ihren eigenen Unzulänglichkeiten ergibt. Aber kein Mensch außer Kindern, Geisteskranken und Dummköpfen kann durch die Unkenntnis des Gesetzes der Vernunft entschuldigt werden, d. h. durch die Unkenntnis des Gemeinen Rechts. Aber du verlangst eine solche Kenntnis des Gesetzesrechts, dass sie nahezu unmöglich ist. Genügt es nicht, dass an allen Orten eine ausreichende Anzahl der Strafgesetze vorhanden ist? P  Ja, wenn jene Strafgesetze in erreichbarer Nähe sind. Aber aus welchem Grund könnte es eigentlich nicht von den Gesetzen überall so viele Exemplare geben wie von der Bibel? J  Ich glaube, es wäre gut, wenn jeder Mensch, der lesen kann, ein Gesetzbuch besäße, denn die Kenntnis der Gesetze, durch die Leben und Besitz der Menschen in Gefahr geraten können, kann nicht groß genug sein. Aber ich sehe einen großen Fehler in deiner Definition des Rechts, und zwar in der Hinsicht, dass jedes Gesetz entweder etwas verbietet oder etwas befiehlt. Es ist wahr, dass das Sittengesetz immer eine Anordnung oder ein Verbot ist oder ein solches wenigstens impliziert, aber welche Anordnung oder welches Verbot liegt in den Worten des levitischen Gesetzes begründet, wo es heißt, dass der, welcher ein Schaf stiehlt, es vierfach zurückgeben muss?43 P  Strafen wie diese sind aus sich heraus nicht allgemeingültig, sondern Entscheidungen; nichtsdestoweniger beinhalten diese Worte eine Aufforderung an den Richter, zu veranlassen, dass eine vierfache Entschädigung zu leisten ist. J  Das ist richtig. P  Nun definiere, was Gerechtigkeit bedeutet und welche Menschen und Handlungen gerecht genannt werden müssen. J  Gerechtigkeit ist das stete Bestreben, jedem Menschen das Seine zu geben44, d. h. jedem Menschen das zu geben, worauf er ein Recht hat, indem Rechte aller anderen an der gleichen Sache ausgeschlossen werden. Eine gerechte Handlung ist jene, die nicht gegen das Gesetz verstößt. Derjenige ist ein gerechter

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Mensch, der immer bestrebt ist, gerecht zu leben. Wenn du mehr verlangst, wird, fürchte ich, kein lebender Mensch mehr unter diese Definition fallen. P  Da also eine gerechte Tat (nach deiner Definition) eine ist, die nicht gegen das Gesetz verstößt, ist es offenkundig, dass es, bevor es ein Gesetz gab, keine Ungerechtigkeit geben konnte; Gesetze sind also ihrem Wesen nach die Voraussetzung für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Und du kannst nicht leugnen, dass Gesetzgeber da sein mussten, bevor es irgendwelche Gesetze und folglich irgendeine Gerechtigkeit gab – wobei ich von menschlicher Gerechtigkeit spreche –, und dass also Gesetzgeber vor dem da sein mussten, was man Eigenes, Eigentum an Gütern oder Ländereien, unterschieden durch Meum, Tuum, Alienum, nennt. J  Das muss zugegeben werden, denn ohne Gesetzesrecht haben alle Menschen ein Recht auf alles.45 Als unsere Gesetze durch den Bürgerkrieg zum Schweigen gebracht wurden, machten wir die Erfahrung, dass es nicht einen Menschen gab, der von irgendwelchen Gütern mit Sicherheit sagen konnte, dass sie ihm gehörten. P  Du siehst, dass kein Privatmann ein Eigentumsrecht an Ländereien oder Gütern geltend machen kann, es sei denn aus Besitztiteln, die von niemand anderem als dem König oder denen, die die Souveränität innehaben, herstammen. Denn es liegt in der Herrschaft begründet, dass nicht jedermann das, was ihm beliebt, betreten und besitzen kann. Wenn man folglich dem Herrscher irgendetwas verweigert, das der Aufrechterhaltung seiner Herrschaft dient, so bedeutet dies die Vernichtung des Eigentumsrechts, um das es doch geht. Meine nächste Frage an dich lautet, wie du zwischen Gesetz und Recht oder Lex und Jus unterscheidest. J  Sir Coke meint an verschiedenen Stellen, dass Lex und Jus und auch Lex Communis und Jus Communis dasselbe sind. Ich habe auch keine Stellen gefunden, wo er sie unterscheidet. P  Dann werde ich sie unterscheiden und lasse dich urteilen, ob es notwendig ist, dass meine Unterscheidung jedem Autor des

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Gemeinen Rechts bekannt ist: denn das Gesetz verpflichtet mich, zu handeln oder eine Handlung zu unterlassen, es legt mir also eine Verpflichtung auf; aber mein Recht ist eine mir durch das Gesetz belassene Freiheit, alles das zu tun, was das Gesetz mir nicht verbietet, und alle Dinge nicht zu tun, die das Gesetz auch nicht von mir verlangt.46 Hat Sir Coke denn nicht gesehen, dass es einen Unterschied macht, ob man gebunden oder ob man frei ist? J  Ich weiß nicht, was er gesehen hat, aber er hat es nicht erwähnt, obwohl doch ein Mann auf seine eigene Freiheit verzichten kann, während er sich von der Einhaltung des Gesetzes nicht dispensieren kann. P  Aber was hilft dir dein Recht, wenn eine aufrührerische Gruppe im Lande oder ein ausländischer Feind dir deine Güter wegnimmt und dich deiner Ländereien beraubt, auf die du doch ein Recht hast? Kannst du außer durch die Stärke und Autorität des Königs beschützt oder entschädigt werden? Welchen Grund kann ein Mann, der bestrebt ist, sein Eigentumsrecht zu erhalten, deshalb dafür haben, die Macht, die ihn beschützen oder entschädigen soll, abzulehnen oder sie in ihrer Stärke zu beeinträchtigen? Lass’ uns sehen, was deine Bücher zu diesem und anderen Punkten bezüglich des Rechts der Souveränität sagen. Bracton, der zuverlässigste Autor des Gemeinen Rechts, sagt in Fol. 55 Folgendes: Ipse Dominus Rex habet omnia Jura in manu sua, est Dei Vicarius; habet ea quae sunt Pacis, habet etiam coercionem ut Delinquentes puniat; habet in potestate sua Leges; nihil enim prodest Jura condere, nisi sit qui Jura tueatur. Das bedeutet: »Alles Recht liegt in den Händen unseres Herrn des Königs, er ist Gottes Stellvertreter; ihm obliegt alles, was den Frieden betrifft; er besitzt die Macht, Verbrecher zu bestrafen; alle Gesetze unterliegen seiner Gewalt. Es ist zwecklos, Gesetze zu schaffen, wenn es nicht jemanden gibt, der dafür sorgt, dass sie befolgt werden.« Wenn Bractons Recht Vernunft ist, wie wir beide meinen, welche weltliche Macht gibt es, die der König nicht innehat? Und

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da heute alle kirchliche Macht, die Bracton noch dem Papst zugesteht, an die Krone zurückgegeben worden ist: Gibt es irgendetwas, ausgenommen, gegen das Gesetz Gottes zu sündigen, das der König nicht tun kann? Eben dieser Bracton sagt Lib. Buch I 1, Kap.  8 Folgendes: Si autem a Rege petitur (cum Breve non curret contra ipsum) locus erit supplicationi, quod factum suum corri­ gat, et emendet; quod quidem si non fecerit, satis sufficit ad poe­ nam, quod Dominum expectet Ultorem; nemo quidem de factis ejus praesumat disputare, multo fortius contra factum ejus venire. Dies bedeutet: »Dass, wenn einer einen Anspruch gegen den König erhebt, angesichts der Tatsache, dass keine Verfügung gegen diesen vorliegen kann, nur eine Petition an ihn gerichtet werden kann mit der Bitte, seine eigene Tat zu korrigieren und zu ergänzen. Wenn er dies nicht tut, ist es eine ausreichende Strafe für ihn, dass er erwarten muss, von Gott bestraft zu werden: Kein Mensch kann sich anmaßen, mit ihm über sein Handeln zu streiten, geschweige denn, sich ihm zu widersetzen.« Du erkennst, dass diese die Rechte der Souveränität betreffende Lehre, die vom »Langen Parlament« so sehr herabgesetzt wurde, das althergebrachte Gemeine Recht ist und der einzige Zügel der englischen Könige die Furcht vor Gott sein sollte. Und wiederum sagt Bracton, in Kap.  24 des zweiten Buches, dass die Rechte der Krone nicht veräußert werden können: Ea vero quae Jurisdictionis sunt et Pa­ cis, et ea quae sunt Justitiae et Paci annexa, ad nullum pertinent, nisi ad Coronam et Dignitatem Regiam, nec a Corona separari possunt, nec a privata persona possideri. Dies bedeutet: »Dass die Angelegenheiten, die unter Rechtsprechung und Frieden oder unter Gerechtigkeit und Frieden fallen, niemand anderem als der Krone und der Würde des Königs zukommen, sie können auch nicht von der Krone getrennt werden, und kein Privatmann kann sie innehaben.« Auch findest du in Fleta, einem zu der Zeit Eduards II. (1307–1327) geschriebenen Gesetzbuch47, dass Freiheiten, wenn sie zu einer Behinderung der Gerechtigkeit oder Untergrabung der königlichen Macht führen, nicht in Anspruch

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genommen oder zugelassen werden durften, selbst wenn sie der König selbst verliehen hatte. Denn in diesem Buch Kap.  20, das sich auf Verfügungen der Krone und deren Untersuchung durch Wanderrichter bezieht48, heißt der 54. Artikel: De Libertatibus concessis quae impediunt Communem Justitiam, et Regiam Po­ testatem subvertunt (»Über zugestandene Freiheiten, die die allgemeine Gerechtigkeit und die Macht des Königs behindern«). Welche größere Behinderung des Gemeinen Rechts und größere Untergrabung der Macht des Königs gibt es als die Freiheit der Untertanen, den König daran zu hindern, Abgaben zu erheben, mit denen Rebellionen, die die Gerechtigkeit zerstören und die Macht der Souveränität untergraben, unterdrückt oder verhindert werden sollen? Wenn überdies der König mit folgenden Worten ein Recht verleiht: Dedita et coram pro me et haeredibus meis (»Gegeben in meinem und in meiner Nachfolger Namen«), muss der Verleiher nach dem Gemeinen Recht, wie Sir Coke in seinen Kommentaren über Littleton sagt, diese Gabe auch garantieren49, und ich halte dies für vernünftig, besonders wenn dafür ein Preis gezahlt worden ist. Nehmen wir an, ein fremder Staat würde auf dieses Königreich einen Anspruch erheben, wobei es für meine Frage keine Rolle spielt, ob der Anspruch gerecht sei, was soll der König deiner Ansicht nach tun, um jedem Grundeigentümer in England die Ländereien zu garantieren, die er aufgrund einer Verleihung innehat? Wenn der König keine Abgaben erheben kann, sind sowohl ihre als auch seine Güter verloren, und wie kann er Wiedergutmachungen, die aufgrund dieser Verleihung fällig sind, leisten, wenn sein Besitz verloren ist? Ich weiß, dass die Privilegien [charters] des Königs nicht nur bloße Verleihungen [grants], sondern auch Gesetze sind,50 aber es sind solche Gesetze, die sich nicht allgemein auf alle Untertanen des Königs, sondern nur auf seine Beamten beziehen, denen ausdrücklich verboten wird, gegen besagte Verleihungen in irgendeiner Weise zu urteilen oder zu vollstrecken. Es gibt viele Menschen, die fähig sind zu beurteilen, was rechte Vernunft ist und

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was nicht; wenn einer von ihnen jedoch annehmen sollte, dass es im ganzen Land keinen Höhergestellten oder Ebenbürtigen gibt, kann er kaum überzeugt werden, dass er durch irgendein Gesetz des Reiches gebunden werden kann oder dass er, der keinem anderen als Gott untertan ist, aus eigener Machtvollkommenheit kein Gesetz schaffen kann, welches er nicht ebenso wieder außer Kraft setzen kann, wie er es erlassen hat. Der Haupteinwand, der die große Masse der Leute so sehr anspricht, entsteht aus einer unnötigen Furcht, die von einigen geschürt wurde, die beabsichtigten, ihre Macht zum eigenen Vorteil auszunutzen. Sie sagten, wenn der König trotz der Gesetze tun könne, was ihm beliebe, und ihn nichts als die Furcht einer Bestrafung in der kommenden Welt davon abhalte, dann könne, gesetzt den Fall, es komme ein König, der solche Strafe nicht fürchte, dieser uns nicht nur unsere Ländereien, Güter und Freiheiten nehmen, sondern auch unser Leben, wenn er will. Und damit haben sie allerdings recht, aber es gibt eben keinen Grund zu dieser Annahme, es sei denn, jener König rechne dabei auf seinen eigenen Vorteil, was jedoch nicht sein kann; denn der König hängt ja an seiner eigenen Macht, und was wird aus dieser, wenn seine Untertanen, durch deren Anzahl und Kraft er sich seiner Macht und jeder seiner Untertanen sich seines Vermögens erfreuen kann, vernichtet oder geschwächt werden? Und schließlich wird gelegentlich gesagt, dass der König nicht nur verpflichtet sei, dafür zu sorgen, dass seinen Gesetzen gehorcht werde, sondern sie auch selbst zu beachten. Ich denke jedoch, dass, wenn der König dafür sorgt, dass die Gesetze beachtet werden, es dasselbe ist, als wenn er sie selbst beachtet. Denn ich habe niemals gehört, dass man es für ein gutes Gesetz hält, wenn der König beschuldigt oder angeklagt oder eine Verfügung gegen ihn erlassen werden kann, bis das »Lange Parlament« das Gegenteil an dem guten König Karl praktizierte, wofür einige der Parlamentarier hingerichtet und der Rest von unserem jetzigen König begnadigt wurden.51 J  Begnadigt von König und Parlament.52

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P  Durch den ›König im Parlament‹53, wenn du so willst, aber nicht von König und Parlament. Du kannst nicht leugnen, dass die Vergebung eines Unrechts der geschädigten Person zusteht. Verrat und andere Vergehen gegen den Frieden und gegen das Recht des Herrschers sind Unrecht dem König gegenüber, und wer auch immer daher für ein solches Vergehen begnadigt worden ist, sollte erkennen, dass er sein Leben allein dem König verdankt. Aber in Bezug auf Mord, Kapitalverbrechen und andere Straftaten, die an irgendeinem Untertanen auch des geringsten Standes verübt werden, halte ich es für sehr vernünftig, dass die geschädigten Parteien Genugtuung erhalten sollten, bevor solche Begnadigung gewährt wird. Und was kann ein Freund, Erbe oder eine andere klagende Partei beim Tod eines Menschen, wo also die Wiederherstellung des Lebens nicht möglich ist, anderes tun, als angemessene Genugtuung in irgendeiner anderen Weise zu verlangen? Vielleicht wird er auf »Leben um Leben« bestehen; aber dies bedeutet Rache und kommt nur Gott zu und nächst Gott dem König und niemand anderem. Wenn daher angemessene Genugtuung erbracht worden ist, kann der König den Täter, wie ich meine, begnadigen, ohne Unrecht zu tun. Ich bin sicher, dass, wenn die Begnadigung Sünde wäre, weder der König noch das Parlament oder irgendeine irdische Macht sie aussprechen könnte. J  Du erkennst an deinen eigenen Argumenten, dass die allgemeine Amnestie nicht ohne ein Parlament hätte verabschiedet werden können, weil nicht nur der König, sondern auch die meisten Lords und die Masse des Volkes Schaden erlitten hatten; man konnte also nur mit ihrer Zustimmung begnadigen: also war es unbedingt notwendig, dass der Erlass im Parlament und mit Zustimmung des Ober- und Unterhauses verabschiedet wurde. P  Das gebe ich zu, aber ich bitte dich, sage mir, was den Unter­ schied zwischen einem generellen Straferlass und einer »Allgemeinen Amnestie« ausmacht. J  Das Wort »Allgemeine Amnestie« existierte vorher noch nie in unseren Büchern54, aber ich glaube, es findet sich in deinen.

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P  Im Staate Athen wurde vor langer Zeit zur Abschaffung des Bürgerkriegs ein Gesetz beschlossen mit dem Inhalt, dass vom Zeitpunkt von dessen Erlass an kein Mensch aus irgendeinem Grund für irgendetwas ohne Ausnahme zur Rechenschaft gezogen werden sollte, das er begangen haben sollte, bevor dieses Gesetz verabschiedet war. Die Schöpfer dieses Gesetzes nannten dies »Amnestie«. Dies bedeutet nicht, dass alle Vergehen buchstäblich in Vergessenheit geraten sollten, denn dann wäre ja auch diese Geschichte selbst unbekannt geblieben, sondern dass sie bei Urteilen gegen jemanden nicht gegen ihn vorgebracht werden durften. Und in der Nachahmung dieses Gesetzes wurde Ähnliches, obwohl es keine Wirkung hatte, beim Tode Julius Cäsars im römischen Senat vorgeschlagen. Du kannst dir unschwer vorstellen, dass durch ein solches Gesetz alle Anschuldigungen für vergangene Straftaten tot und begraben waren. Aber wir haben wenig Grund zu der Annahme, dass eine bloße Erörterung dieser verziehenen Vergehen eine Verletzung dieses Gesetzes ausmachte, außer falls es in dem Gesetz selbst so erklärt worden war. J  Danach sieht es so aus, dass die »Allgemeine Amnestie« in diesem Fall nicht mehr oder nichts anderes als ein allgemeiner Straferlass war.

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I II .  VON DE N G ER IC HT SHÖFEN 55

P  Da du dem König in erster Linie in allen Rechtsstreitigkeiten die richterliche Gewalt zuerkennst und angesichts der Tatsache, dass niemand in eigener Person fähig ist, ein Amt mit so vielen Pflichten auszuüben: Welche Anordnungen sind zur Entscheidung so vieler verschiedener Verfahren getroffen worden? J  Es gibt verschiedene Arten von Rechtsstreitigkeiten, einige davon betreffen den Rechtsanspruch auf Ländereien und Güter; einige Güter sind materiell, wie Landbesitz, Geld, Vieh, Getreide und dergleichen, die sichtbar und greifbar sind, und einige sind immateriell, wie Privilegien, Freiheiten, Ehrungen, Ämter und viele andere wertvolle Dinge, durch und durch Schöpfungen des Rechts, die nicht sichtbar und greifbar sind, und beide Arten betreffen »Meum« und »Tuum«.56 Es gibt andere, die Verbrechen betreffen, die in verschiedener Weise strafbar sind, und unter diesen einige, bei denen ein Teil der Bestrafung eine Geldstrafe ist oder der Verlust des Vermögens an den König, und dies wird eine Kronklage genannt, wenn der König eine Partei gerichtlich verfolgt, andernfalls ist es nur eine Zivilklage – das, was man »appeal« nennt.57 Und obwohl dem König bei einem entsprechenden Urteil in einer Zivilklage das Vermögen zugesprochen werden kann, kann dies nur dann eine Kronklage genannt werden, wenn die Krone selbst als klagende Partei auftritt. Es gibt noch andere Rechtsstreitigkeiten, die die Führung der Kirche in Fragen der Religion und des sittlichen Lebenswandels betreffen. Vergehen sowohl gegen die Krone als auch gegen die Gesetze der Kirche sind Verbrechen, aber bei Straftaten eines Untertans gegen einen anderen wird der König, wenn sie nicht gegen die Krone gerichtet sind, in diesen Klagen auf nichts als auf einer Wiedergutmachung an den geschädigten Untertanen bestehen.

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III.  Von den Gerichtshöfen

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P  Ein Verbrechen ist ein Vergehen, ganz gleich welcher Art, für das vom Recht des Landes eine Strafe angeordnet worden ist58, aber man muss erkennen, dass ein Schadensersatz, der der geschädigten Partei zugesprochen wird, nichts mit der Natur der Strafe zu tun hat. Es ist nach dem Gesetz der Vernunft eine reine Wiedergutmachung oder eine angemessene Genugtuung für die geschädigte Partei und infolgedessen ebenso wenig eine Bestrafung wie die Bezahlung einer Schuld. J  Es scheint, du machst bei dieser Definition eines Verbrechens keinen Unterschied zwischen einem Verbrechen und einer Sünde. P  Alle Verbrechen sind in der Tat Sünden, aber nicht alle Sünden sind Verbrechen.59 Eine Sünde kann in den Gedanken oder heimlichen Absichten eines Menschen liegen, von denen weder ein Richter noch ein Zeuge noch irgendein Mensch Kenntnis erlangt. Ein Verbrechen jedoch ist eine Sünde, die in einer Handlung gegen das Gesetz besteht, deren man angeklagt, durch einen Richter verurteilt und von Zeugen überführt oder entlastet werden kann. Weiter kann man sagen, dass dasjenige, was in sich selbst keine Sünde, sondern gleichgültig ist, durch ein positives Gesetz zur Sünde erklärt werden kann. Nachdem das Gesetz verordnet hatte, dass niemand seidene Hüte tragen dürfe, war ein solches Tragen von Seide eine Sünde, was es vorher nicht war. Ja, sogar eine Handlung, die an sich gut ist, kann durch dieses Gesetz zu einer Sünde erklärt werden. Wenn etwa ein Gesetz gemacht werden sollte, das die Gewährung von Almosen an einen gesunden, kräftigen Bettler untersagte, dann wären solche Almosen diesem Gesetz zufolge eine Sünde, aber nicht vorher, denn da war es Nächstenliebe, deren Gegenstand nicht die Stärke oder eine andere Eigenschaft dieses armen Mannes war, sondern seine Armut. Wenn jemand zu Königin Marias (Maria Tudor, 1553–1558) Zeiten behauptet hätte, der Papst habe keine Machtbefugnis in England, hätte er auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden müssen, aber für die gleiche Behauptung wäre er zur Zeit Königin

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III.  Von den Gerichtshöfen

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Elisabeths belobigt worden. Daraus kannst du ersehen, dass es bei vielen Dingen heißt: Verbrechen oder nicht, die von sich aus damit nichts zu tun haben. Aber durch die Vielgestaltigkeit des Rechts – aufgrund verschiedener Meinungen oder Interessen derer, die die Machtbefugnis besitzen – werden sie dazu gemacht. Dennoch werden solche Dinge, gleich ob gut oder schlecht, beim gemeinen Volk als abscheuliche Verbrechen gelten, wenn sie ihnen in abstoßenden Worten geschildert werden, so wie viele an sich gottesfürchtig und rechtmäßige Ansichten zuvor, aufgrund des päpstlichen Anspruches darauf, zu einer verabscheuungswürdigen Ketzerei erklärt wurden. Wiederum entstehen einige Rechtsstreitigkeiten aufgrund von Taten, die auf See, andere aufgrund von Taten, die an Land begangen werden. Es muss eine große Zahl von Gerichtshöfen geben, um in so vielen Streitfällen zu entscheiden! Welche Verfügung gibt es zu ihrer Verteilung? J  Es gibt eine außergewöhnlich große Zahl von Gerichtshöfen in England; zuerst gibt es die königlichen Gerichtshöfe, zuständig für Recht und Billigkeit in weltlichen Angelegenheiten, als da sind das Kanzleigericht (Gerichtshof des Lordkanzlers), das Oberhofgericht (Erste Kammer des High Court), der Haupt­ zivilgerichtshof und für die Einkünfte des Königs der Finanzgerichtshof, und es gibt bürgerliche Gerichtshöfe aufgrund von Privilegien, wie die Gerichtshöfe in London und anderen privilegierten Orten. Und es gibt andere bürgerliche Gerichtshöfe, wie das Gericht der Gutsherren, welches Patrimonialgericht genannt wird, sowie die Grafschaftsgerichte. Auch die geistlichen Gerichte sind heute königliche Gerichte, während sie vorher päpstliche Gerichtshöfe waren. Von den königlichen Gerichten haben einige ihre richterliche Gewalt aufgrund ihres Amtes inne, einige nur kommissarisch. Einige besitzen die Befugnis, Fälle zu verhandeln und zu entscheiden, andere nur zu untersuchen und die Fälle an andere Gerichte zu verweisen. Bezüglich der Frage, welche Verfahren welches Gericht zur Verhandlung bringen kann, ist allgemein entschieden worden, dass alle Kronklagen und alle

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III.  Von den Gerichtshöfen

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Vergehen gegen den Frieden im Oberhofgericht oder von leitenden Beamten verhandelt werden müssen, denn Bracton sagt: Sci­ endum est, quod si Actiones sunt Criminales, in Curia Domini Regis debent determinari; cum sit ibi poena Corporalis infligenda, et hoc coram ipso Rege, si tangat personam suam, sicut Crimen Laesae Majestatis, vel coram Justitiariis ad hoc specialiter assig­ natis. Dies bedeutet, dass eine Strafklage im Gerichtshof unseres Herrn des Königs entschieden werden muss, weil dort den Richtern die Macht zusteht, körperliche Strafen zu verhängen. Wenn das Verbrechen, wie im Fall des Hochverrats, gegen seine Person gerichtet ist, muss es vor dem König selbst entschieden werden oder, wenn es gegen eine Privatperson gerichtet ist, durch vom König ernannte Richter, d. h. durch Regierungsvertreter. Hierdurch scheinen die Könige ehemals Prozesse wegen Hochverrats gegen sich selbst durch die eigene Person verhandelt und entschieden zu haben, aber dies ist seit langer Zeit nicht mehr der Fall: Heute ist es das Amt des königlichen Oberhofmeisters von England, in einem Prozess gegen einen Gleichrangigen die Verhandlung mit einer besonderen Bevollmächtigung zu führen. In den Fällen, die »Meum« und »Tuum« betreffen, kann der König entweder im Oberhofgericht oder im Hauptzivilgerichtshof ­einen Prozess anstrengen, wie es bei Fitzherbert in seiner Natura Brevium beim Heimfallsrecht [Writ of Escheat] des Staates vorkommt.60 P  Ein König wird wahrscheinlich nicht zu Gericht sitzen, um Hochverratsprozesse gegen seine eigene Person zu entscheiden, damit er nicht den Eindruck erweckt, sich zum Richter in eigener Sache zu machen. Aber dass ein solcher Fall von den von ihm selbst ernannten Richtern entschieden wird, kann niemals vermieden werden, und dies bedeutet freilich das Gleiche, als wenn er selbst Richter wäre. J  Ich bin der Meinung, dass dem Oberhofgericht auch das Recht zukommt, alle Arten von Friedensbruch zu verhandeln und zu entscheiden, außer dass der König, wenn er will, dasselbe durch

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III.  Von den Gerichtshöfen

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Bevollmächtigte tun kann. Zu den Zeiten Heinrichs  III. (1216– 1272) und Eduards I. (1272–1307), als Bracton schrieb, schickte der König gewöhnlich alle sieben Jahre hohe Beamte aufs Land, sogenannte Wanderrichter, um generell alle weltlichen Strafrechtswie auch Zivilrechtsfälle zu verhandeln und zu entscheiden. Deren Ämter werden nun schon seit langem von den Assisenrichtern eingenommen, die die Ermächtigung haben, Gericht zu halten und zu entscheiden, die das Friedensrichteramt wahrnehmen und den Auftrag zur Auslieferung von Verbrechern erhalten. P  Aber warum kann nur der König vor dem Oberhofgericht oder dem Hauptzivilgerichtshof anklagen, wen er will? J  Es existiert kein gegenteiliges geschriebenes Gesetz, aber es scheint Gemeines Recht zu sein, denn Sir Coke, Inst. IV, legt die Zuständigkeit des Oberhofgerichts fest, dem, wie er sagt, als Erstes die Gerichtsbarkeit in allen Kronklagen zusteht. Zweitens steht die Richtigstellung aller Arten von Irrtümern anderer Gerichte und Richter, ausgenommen im Finanzgerichtshof, im Urteil wie auch im Verfahrensverlauf diesem Gerichtshof zu, wie er sagt, Proprium quarto modo.61 Drittens hat das Oberhofgericht die Macht, Verhalten, das zu Landfriedensbruch, Unterdrückung der Untertanen, Verursachung von Aufruhr, zu Zank und Streit und anderen Arten von schlechter Verwaltung führt, außergerichtlich abzustellen. Viertens kann es bei allen Rechtsvergehen, die mit Waffengewalt (Vi et Armis) verübt werden, durch Erlass des Kanzleigerichts einen Prozess anstrengen. Fünftens hat es die Macht, durch Anklageschrift Schuldklagen, Vindikationsklagen, Schadensersatzklagen, Versprechensklagen und alle anderen schuldrechtlichen Klagen einzuleiten. Aber über die Zuständigkeit des Oberhofgerichts in dinglichen Klagen sagt er nichts, ­außer dass, wenn ein Erlass in einer dinglichen Klage durch das Urteil des Hauptzivilgerichtshofes aufgehoben wird und in dem Fall, dass dieses Urteil wiederum durch einen Revisionsbefehl vom Oberhofgericht annulliert wird, dieses dann seinerseits aufgrund der Revision gerichtlich vorgehen kann.

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P  Aber wie sieht es in der Praxis aus? J  Dingliche Klagen werden in der Regel sowohl vor dem Oberhofgericht als auch vor dem Hauptzivilgerichtshof entschieden. P  Legt der König, wenn er mit schriftlicher Vollmacht den Lordoberrichter des Oberhofgerichts ernennt, nicht fest, für welche Sachen er ihn einsetzt? J  Sir Coke hat die Patenturkunden, nach denen in althergebrachter Weise der Lordoberrichter ernannt wurde und worin zum Ausdruck kommt, zu welchem Zweck er sein Amt innehat, angeführt, also z. B.: Pro Conservatione nostra, et tranqui­ litatis Regni nostri, et ad Justitiam universis et singulis de Regno nostro exhibendam, Constituimus Dilectum et Fidelem nostrum P.  B. Justitiarium Angliae, quamdiu nobis placuerit Capitalem, etc. Das heißt: »Zu unserer und des Friedens unseres Königreiches Erhaltung und um allen und jedem einzelnen unserer Untertanen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, haben wir unseren geliebten und treuen P.  B. zum Oberrichter von England bis auf Widerruf ernannt etc.« P  Es scheint mir gemäß diesen Patenturkunden sehr klar zu sein, dass alle weltlichen Fälle innerhalb des Königreiches (außer den Klagen, die dem Finanzgerichtshof unterstehen) von diesem Lordoberrichter entschieden werden sollten. Denn in Bezug auf die Strafprozesse und solche, die den Frieden betreffen, ist ihm das Recht durch die Worte »zu unserer und des Friedens des Königreiches Erhaltung«, worin alle Straftaten enthalten sind, übertragen worden und alle Zivilklagen sind darin enthalten, dass er »allen und jedem einzelnen der Untertanen des Königs Gerechtigkeit widerfahren« lassen soll. Und was den Hauptzivilgerichtshof betrifft, ist es klar, dass er, außer den Verfahren des Finanzgerichtshofes, alle Zivilverfahren aufgrund der Magna Carta, Kap.  11, anstrengen kann, so dass für alle schriftlichen Verfügungen bezüglich Zivilklagen eines der besagten Gerichte zuständig ist. Aber wie wird der Lordoberrichter heute ernannt?

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J  Durch diese Worte in der Patenturkunde: Constituimus vos Justitiarium nostrum Capitalem ad Placita coram nobis tenenda, durante beneplacito nostro. Dies bedeutet: »Wir haben dich bis auf Widerruf zu unserem Lordoberrichter ernannt, um vor uns Gericht zu halten.« Aber dieser wenngleich auch kürzere Erlass schränkt nicht die Macht ein, die sie durch den früheren hatten. Und die Patenturkunden für den obersten Zivilrichter lauten folgendermaßen: Constituimus dilectum et Fidelem, etc. Capitalem Justitiarium de Communi Banca Habendum, etc. quamdiu nobis placuerit, cum vadiis et foedis ab antiquo debitis et consuetis. Das heißt: »Wir haben unseren geliebten und treuen etc. zum obersten Zivilrichter auf Widerruf ernannt, um zu etc. mit den hierzu üblichen Gebühren und Mitteln.« P  Aus der Geschichte erkenne ich, dass es in England immer einen Lordkanzler und einen Lordoberrichter von England gegeben hat, aber es gibt keinen Hinweis auf einen Hauptzivil­gerichts­ hof, bevor die Magna Carta erlassen wurde. Zivilprozesse gab es schon immer, sowohl hier als auch, wie ich meine, in allen anderen Ländern, denn bürgerliche Prozesse und Zivilprozesse halte ich für ein und dasselbe. J  Bevor die Magna Carta erlassen worden war, konnten bürgerliche Prozesse, wie Sir Coke, Inst. II, S.  21, einräumt, vor dem Oberhofgericht verhandelt werden, und da dieses Gericht tagte, wo immer der König es wollte, waren die Rückvorlagen der Vollstreckungsbefehle Coram Nobis ubicunque fuerimus in Anglia (»vor uns, wo immer wir uns in England aufhalten«) zu bringen. Dadurch ergaben sich große Probleme für die Geschworenen, erhebliche Kosten für die Parteien sowie eine Verzögerung in der Rechtsprechung. Aus diesem Grund wurde angeordnet, dass die bürgerlichen Prozesse nicht länger dem König folgen, sondern an einem dazu bestimmten Ort verhandelt werden sollten. P  Hier verkündet Sir Coke seine Ansicht, dass kein bürgerlicher Prozess im Oberhofgericht verhandelt werden kann, wiewohl er doch sagt, dass sie damals dort hätten verhandelt wer-

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den können. Auch ist dies noch kein hinreichender Beweis, dass es vor der Magna Carta in England einen Hauptzivilgerichtshof gab: Denn diese Anordnung, die dazu da war, den Geschworenen ihre Tätigkeit zu erleichtern, die Kosten der Parteien zu verringern und die Rechtsprechung zu fördern, wäre sinnlos gewesen, wenn es damals einen stehenden Zivilgerichtshof gegeben hätte, ein solches Gericht musste ja nicht notwendigerweise dem König folgen, so wie das Kanzleigericht oder das Oberhofgericht. Wenn übrigens das Oberhofgericht nicht, wo immer es sich befand, Zivilangelegenheiten verhandelt hätte, wären durch diese Anordnung die Untertanen keineswegs entlastet worden. Denn angenommen, der König hielte sich in York auf: Hätten dann die Londoner Untertanen des Königs, Geschworene und Parteien, nicht genauso viele Unannehmlichkeiten und Kosten, um nach York zu gelangen, wie sie die Leute von York vorher hatten, um nach London zu kommen? Daher kann ich auf keinen Fall etwas anderes glauben, als dass die Berufung des Hauptzivilgerichtshofes die Folge dieser Anordnung aus der Magna Carta, Kap.  11, war und dass er vor dieser Zeit gar nicht existierte, obwohl meiner Ansicht nach für die Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten in einem großen Königreich die Notwendigkeit für einen solchen bestand.62 J  Vielleicht war das Bedürfnis danach doch nicht so groß, wie du denkst, denn zu jenen Zeiten waren die Gesetze zum größten Teil erst noch im Entstehen und nicht schon festgelegt. Denn die alten sächsischen Erbfolgegesetze wurden damals praktiziert, durch die gemäß königlicher Verfügung eine zügige Rechtsprechung in den Patrimonialgerichten vollzogen wurde, wo die Barone als Gutsherren den übrigen Haus- und Grundeigentümern vorstanden. Rechtsklagen der Barone wurden in den Landgerichten verhandelt und nur wenige Fälle in den königlichen Gerichten, wenn eine Rechtsprechung in jenen niederen Gerichtshöfen nicht zu erlangen war. Aber heute scheint es mehr Rechtsstreitigkeiten in den königlichen Gerichten zu geben, als irgendein Gericht bewältigen kann.

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P  Warum sollte es heute mehr Prozesse als früher geben? Ich glaube, dieses Königreich war damals so bevölkert wie heute. J  Sir Edward Coke führt dafür in Inst., IV, S.  76, sechs Gründe an: 1. Frieden, 2. Reichtum, 3. die Auflösung von religiösen Orden und Aufteilung ihrer Ländereien an viele verschiedene Personen, 4. die Vielzahl von Informanten, 5. die Vielzahl der »Concealer«, 6. die große Zahl der Rechtsanwälte.63 P  Ich sehe, dass Sir Edward Coke nicht die Absicht hat, Männern seines Berufsstandes irgendeine Schuld zuzuschreiben, und dass er als Ursache des Unheils zum Teil Dinge anführt, die zu beseitigen selbst ein Unheil und ein Übel wäre. Denn wenn Frieden und Wohlstand Grund dieses Übels sind, kann es nur durch Krieg und Bettelarmut aus der Welt geschafft werden, und die Streitigkeiten, die um die Ländereien von Prälaten entstehen, sind natürlich nicht auf diese Ländereien, sondern auf die Fragwürdigkeit der Gesetze zurückzuführen. Und was die Informanten angeht, so sind sie durch die Gesetze zu ihrer Tätigkeit auto­ risiert, zu deren Vollzug sie so notwendig sind, dass ihre Zahl nicht groß genug sein kann, und wenn es zu viele gibt, ist es ein Fehler im Gesetz selbst. Die vielen »Concealer« sind tatsächlich ebenso viele Trickbetrüger, deren Anzahl durch Gesetz aber leicht eingeschränkt werden kann. Und was zuletzt die Vielzahl von Rechtsanwälten angeht, so sind diejenigen daran schuld, denen es obliegt, sie zuzulassen oder sie abzulehnen. Ich für meinen Teil glaube, dass die Menschen heute die Kunst der Spitzfindigkeit gegenüber dem Wortlaut der Gesetze besser beherrschen als früher, und deshalb ermutigen sie sich und andere, aus nichtigem Grund Prozesse anzuzetteln. Auch die Vielfalt und Widersprüchlichkeit in den Urteilen des Gemeinen Rechts lassen die Leute oft auf einen Sieg in Fällen hoffen, in denen sie vernünftigerweise überhaupt keinen Grund dafür hätten. Das gilt auch für die Unwissenheit bezüglich der Billigkeit in ihren eigenen Fällen. Nicht einer unter tausend hat sich jemals bemüht herauszufinden, was Billigkeit bedeutet.64 Die Anwälte selbst kommen zu ihrer

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Urteilsfindung nicht aus ihrem eigenen Inneren heraus, sondern aufgrund der Präzedenzfälle ehemaliger Richter. Sie befragten nicht ihre eigene Vernunft wie die Richter im Altertum, sondern nur die Gesetze des Reiches. Eine weitere und wahrscheinlich die Hauptursache für die Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten liegt darin, dass in Ermangelung einer amtlichen Erfassung von Landabtretungen, die leicht in den Stadtgemeinden, wo die Ländereien liegen, durchgeführt werden könnte, kaum ein Kauf möglich ist, der nicht strittig wäre. Letztlich glaube ich, dass die Habgier der Anwälte in früheren Zeiten, die voller Unruhen waren, nicht so groß war, wie sie jetzt in Friedenszeiten ist, wo Menschen die Muße haben, sich in Betrügereien einzuüben, und wo sie Beschäftigung bei Leuten finden, die sie zum Streiten geradezu anhalten. Und welch ein weites Feld sie haben, um sich in dieser Geheimkunst zu üben, geht daraus hervor, dass sie die Fähigkeit besitzen, jedes Wort in einem Gesetz, einer Satzung, einer Lehensurkunde, einem Pachtvertrag oder in einem anderen Dokument oder einer Zeugenaussage kritisch auszulegen und mehrdeutig zu analysieren. Um aber auf die Gerichtsbarkeit des Oberhofgerichts zurückzukommen, das, wie du sagst, die Macht hat, Irrtümer ­a ller anderen Richter sowohl im Verfahren als auch im Urteil zu berichtigen und zu ergänzen: Können die Zivilrichter Verfahrensfehler in ihren eigenen Gerichten nicht korrigieren ohne ­einen Revisionsbefehl eines anderen Gerichtshofes? J  Doch, und es gibt viele Gesetze, die ihnen das vorschreiben. P  Wenn ein Revisionsbefehl vom Oberhofgericht ergeht, sei es wegen eines Formfehlers im Verfahren oder im Gesetz, zu wessen Lasten erfolgt dies? J  Zu Lasten des Klienten. P  Aber dafür sehe ich keinen Grund. Denn der Fehler liegt doch nicht beim Klienten, der niemals einen Prozess anstrengt, außer auf Anraten seines rechtskundigen Beraters, den er für seine Beratung bezahlt. Ist es nicht der Fehler seines Rechtsbeistandes? Und wenn ein Zivilrichter fälschlicherweise eine Strafe

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verhängt hat, ist es dann wahrscheinlich, dass der Richter des Oberhofgerichts das Urteil annulliert? (Obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, dass er, wie man es bei Bracton und anderen Gelehrten liest, dazu die Macht hat.) Denn als Vertreter desselben Gemeinen Rechts neigen sie dazu, meist auch dieselben Urteile zu fällen. Wenn zum Beispiel Sir Coke in seiner letzten Amtsperiode als Lordoberrichter des Hauptzivilgerichtshofes ein Fehlurteil abgegeben hätte, hätte er dann, als er von diesem Amt weg zum Lordoberrichter des Oberhofgerichts ernannt worden war, deshalb das genannte Urteil aufgehoben? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Daher glaube ich, dass es eine andere durch den König konstituierte Macht gibt, die Fehlurteile sowohl beim Oberhofgericht als auch beim Hauptzivilgerichtshof revidieren kann. J  Ich glaube nicht, denn es existiert ein gegenteiliges Gesetz, Heinrich IV, 4, 23 (1402)65, das folgendermaßen lautet: Da die Parteien, obwohl ein Urteil sowohl in dinglichen als auch in schuldrechtlichen Klagen in den Gerichten unseres Herrn des Königs gefällt worden ist, unter Androhung schlimmer Übel dazu veranlasst werden, entweder vor den König selbst oder vor den Kronrat oder das Parlament zu kommen, damit von neuem verhandelt werden soll, was zur Verarmung vorbesagter Parteien und zur Untergrabung des Gemeinen Rechts des Landes führte, wird angeordnet und festgelegt, dass nach einem in den Gerichten unseres Herrn des Königs gefällten Urteil die Parteien und ihre Erben sich ruhig verhalten sollen, bis das Urteil durch Fehler oder Irrtum, wenn es einen solchen gibt, aufgehoben wird, wie es zu Zeiten der Vorfahren unseres Königs üblich war. P  Ich glaube, dass dieses Gesetz so weit davon entfernt ist, das Gegenteil zu bedeuten, dass es mir erscheint, es wäre eigens dazu erlassen worden, Besagtes zu bestätigen. Denn der Inhalt des Gesetzes ist, dass in Bezug auf irgendeine Sache, die gerichtlich entschieden ist, weder von den Parteien noch vom Oberhofgericht oder vom Hauptzivilgerichtshof ein (neuer) Prozess angestrengt

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werden soll, bevor das Urteil – durch Formfehler oder erwiesene Korruption – aufgehoben worden ist, und dass dies das Gemeine Recht war, bevor dieses Gesetz erlassen wurde, was man nicht hätte tun können, wenn es nicht vor Erlass des Gesetzes schon Gerichtshöfe gegeben hätte, die solche Fehler zu untersuchen und zu korrigieren hatten, die der Kläger anführte. Der Missstand, dem dieses Gesetz abhelfen sollte, war der folgende: Eine Partei, gegen die ein Urteil ergangen war, das durch die königlichen Gerichte gefällt wurde, womit hier das Oberhofgericht und der Hauptzivilgerichtshof gemeint sind, strengte oft einen neuen Prozess an und veranlasste ihre Gegner, vor dem König selbst zu erscheinen. »Vor dem König selbst« bedeutet hier »vor dem König in eigener Person«, denn in einem Erlass versteht man zwar unter den Worten Coram nobis das Oberhofgericht, aber dies ist niemals in einem Gesetz der Fall. Es ist auch nicht ungewöhnlich, da damals der König normalerweise mit seinem Rat zu Gericht saß und, wie manchmal König Jakob, Gericht hielt. Manchmal begannen die gleichen Parteien ihren Prozess vor dem Kronrat, obwohl der König nicht anwesend war, und manchmal vor dem Parlament, obwohl das vorherige Urteil noch rechtskräftig war. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde durch dieses Gesetz verfügt, dass kein Mensch einen Prozess wieder beginnen sollte, bis das vorherige Urteil durch Fehler oder Irrtum aufgehoben sei. Aber diese Aufhebung eines Urteils wäre unmöglich gewesen, wenn es außer den erwähnten zwei Gerichten keinen Gerichtshof gegeben hätte, wo die Fehler hätten festgestellt, untersucht und entschieden werden können, denn weder im Gesetz noch in der Vernunft kann man einen Gerichtshof als kompetent ansehen, über seine eigenen Fehler zu urteilen. Vor diesem Gesetz existierte deshalb ein anderer Gerichtshof, um Formfehler zu verhandeln und Fehlurteile aufzuheben. Ich untersuche hier noch nicht, welches Gericht dies war, aber ich bin sicher, es konnte weder das Parlament noch der Kronrat noch der Gerichtshof sein, in dem das Fehl­ urteil ergangen war.

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J  In Der Doktor und der Student 66 wird dieses Gesetz, Kap. 18, ganz anders behandelt, denn der Autor dieses Buches sagt, dass durch dieses Gesetz alle Rechtsmittel gegen ein Fehlurteil beseitigt worden seien. Aber weder Vernunft noch das Amt des Königs noch irgendein positives Gesetz können die Wiedergutmachung eines Schadens und viel weniger eines ungerechten Urteils verbieten: Er zeigt auch selbst noch viele Verordnungen auf, bei denen sich das menschliche Gewissen nicht in Einklang mit dem Gesetz findet.67 P  Aus welchem Grund kann er vorgeben, dass alle Rechtsmittel in diesem Fall durch dieses Gesetz aufgehoben sind? J  Er sagt, es ist dadurch verfügt, dass ein durch die könig­ lichen Gerichte gefälltes Urteil nicht im Kanzleigericht, im Parlament noch anderswo untersucht werden soll. P  Gibt es irgendeine Erwähnung des Kanzleigerichts in diesem Gesetz? Ein Urteil kann weder vor dem König und seinem Rat noch vor dem Parlament untersucht werden, aber da es vor der Einführung jenes Gesetzes irgendwo untersucht werden konnte, bedeutet dieses Gesetz, dass es wieder dort untersucht werden sollte. Das Kanzleigericht war alles in allem die oberste Behörde für Rechtsprechung des Königreiches bezüglich der Billigkeit, und es ist ihm nicht untersagt, die Urteile aller anderen Gerichtshöfe zu prüfen, jedenfalls ist ihm dieses Recht nicht durch das Gesetz entzogen worden. Aber welche Fälle gibt es in diesem Kapitel von Der Doktor und der Student, bei denen man vermuten kann, dass das geschriebene Recht vorgezogen werden muss, wenn Recht und Gewissen oder Gesetz und Billigkeit sich scheinbar gegenseitig bekämpfen? J  »Wenn jemand, der ein Darlehen auf Treu und Glauben erhalten hat und auf Rückzahlung verklagt wird, das Gesetz in Anspruch nimmt, hat der Kläger kein Mittel, das ihm Geschuldete durch Zwang wiederzuerlangen: weder durch eine Vorladung (unter Strafandrohung) noch auf andere Weise, und dennoch ist

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der Beklagte durch sein Gewissen verpflichtet, die Schuld zu begleichen«. P  Ich sehe hier keine Bevorzugung des Rechts gegenüber dem Gewissen oder der Billigkeit, denn der Kläger verliert in diesem Fall das ihm Geschuldete weder aus Mangel an Recht noch an Billigkeit, sondern aus Mangel an Beweisen; denn weder Recht noch Billigkeit können einem Menschen sein Recht zuteilwerden lassen, bis er es bewiesen hat. J  »Desgleichen, wenn das Schwurgericht ein von Geschworenen gefälltes Fehlurteil bestätigt, gibt es außer dem Gewissen der Partei keine weiteren Rechtsmittel«. P  Hier ist der Mangel an Rechtsmitteln auch wieder ein Mangel an Beweisen, denn wenn er beweisen kann, dass das gefällte Urteil falsch war, kann der König ihm Wiedergutmachung in der Art, wie er es für richtig hält, gewähren. Und dies muss gleichfalls geschehen, wenn dasselbe Urteil wieder bestätigt wird. Man muss der Partei dann für den zugefügten Schaden und die entstandenen Nachteile Genugtuung leisten. J  Aber es gibt seitdem ein Gesetz, nämlich Elisabeth (I), 27, 8 (1584), durch welches das Gesetz Heinrich IV, 4, 23 (1402) zum Teil aufgehoben wird, denn durch dieses Gesetz müssen Fehlurteile des Oberhofgerichts durch einen Revisionsbefehl in der Kammer des Finanzgerichts (Appellationsinstanz für Zivilsachen) vor den Richtern des Gerichtshofes und den Baronen des Schatzkanzlers untersucht werden, und gemäß der Präambel dieser Gesetzesakte scheint es, dass Fehlurteile nur durch die Parlamentsversammlung berichtigt werden können. P  Aber es wird nicht erwähnt, dass die Urteile des Hauptzivilgerichtshofes vor dieses Appellationsgericht gebracht und dort untersucht werden sollen. Warum sollte deshalb nicht das Kanzleigericht ein Urteil des Hauptzivilgerichtshofes überprüfen können? J  Du wirst doch nicht bezweifeln, dass nach dem althergebrachten Recht von England das Oberhofgericht ein Urteil des Hauptzivilgerichtshofes überprüfen kann?

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P  Das ist wahr, aber warum kann das Kanzleigericht nicht das Gleiche tun, vor allem wenn der Fehler im Urteil sich gegen die Billigkeit und nicht gegen den Buchstaben des Gesetzes richtet? J  Dazu besteht keine Notwendigkeit, denn das gleiche Gericht kann sowohl den Buchstaben wie auch die Billigkeit des Gesetzes prüfen. P  Jedenfalls wird deutlich, dass die Zuständigkeit der verschiedenen Gerichte nicht so einfach zu bestimmen ist, dies muss schon vom König im Parlament selbst geschehen. Die Juristen selbst können dies nicht, denn man weiß doch, wie viel Kontroversen zwischen den Gerichten existieren – genauso wie zwischen einzelnen Menschen. Und wenn du sagst, dass das Gesetz Heinrich IV, 4, 23 (1402) durch Elisabeth (I), 27, 8 (1584) aufgehoben worden sei, so bin ich allerdings nicht dieser Meinung. Ich erkenne in der Tat verschiedene Ansichten bei denen, die die beiden Gesetze gemacht haben, und zwar in der Präambel des letzteren und dem Schlussparagraphen des anderen. Die Präambel des letzteren lautet: Fehlurteile des als Oberhofgericht bezeichneten Gerichtshofes dürfen nur von der Parlamentsversammlung korrigiert werden, und am Schluss des vorhergehenden wird die Ansicht vertreten, dass genau das Gegenteil zu Zeiten der Vorfahren des Königs Gesetz war. Dies sind aber keine Teile dieser Gesetze, sondern Ansichten darüber, wie die Gewohnheit in solchen Fällen früher war; sie sind entstanden durch verschiedene Ansichten der Juristen zu verschiedenen Zeiten. Sie befehlen weder noch verbieten sie etwas. Von den Gesetzen selbst untersagt allerdings das eine, solche Klagen vor das Parlament zu bringen, das andere hingegen nicht. Wenn jedoch nach dem Gesetz Heinrichs IV. solch eine Klage vor das Parlament gebracht worden wäre, hätte es diese auch verhandeln und entscheiden können, denn das Gesetz untersagt es nicht. Überhaupt kann kein Gesetz die Macht haben, diejenigen, die die Gesetze machen, an irgendeiner Rechtsprechung zu hindern, die sie für sich in Anspruch nehmen, denn

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hier handelt es sich um das Gericht des Königs und des ganzen Volkes, sowohl der Lords als auch der Bürger. J  Dies mag so sein, doch da der König all seine richterliche Gewalt auf das eine oder andere Gericht übertragen hat, wäre, wenn ein Untertan sich dem Urteil des Königs unmittelbar anvertrauen würde, dies, da der König ja all seine richterliche Gewalt an andere übertragen hat, ohne Wirkung, wie Sir Coke, Inst., IV, S.  71 bestätigt. Und S.  73 sagt er weiter, dass in diesem Gerichtshof die Könige dieses Reiches auf dem Hochsitz, die Richter jedoch auf den niederen Sitzen zu seinen Füßen saßen, aber die Rechtsprechung gebührte ausschließlich den Richtern dieses Gerichtshofes, die alle Anträge in Anwesenheit des Königs verhandelten. P  Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sir Coke, wie sehr es ihm auch darum ging, seine eigene Autorität und die anderer Richter des Gemeinen Rechts zu befördern, annehmen konnte, der König säße im Oberhofgericht nur als Zuschauer und könnte nicht alle Anträge, die seine Richter behandelten, selbst behandeln, wenn er einen Anlass dazu gesehen hätte. Denn er wusste doch, dass der König damals der oberste Richter in allen weltlichen Angelegenheiten war und es heute auch in weltlichen und kirchlichen ist und dass das Gesetz für alle, die dies leugnen, außerordentlich harte Strafen vorsieht. Aber Sir Coke ist hier, wie an vielen anderen Stellen vorher, ein Fehler unterlaufen. Er sieht nicht, dass es ein Unterschied ist, jemanden mit etwas zu betrauen oder eben dies an ihn abzutreten. Der, der seine Macht abtritt, hat sich ihrer selbst beraubt, aber der, der sie einem anderen anvertraut, der sie in seinem Namen und unter ihm ausüben soll, ist noch immer im Besitz dieser Macht.68 Wenn sich daher ein Untertan dem König anvertraut, d. h. an den König appelliert, von welchem Richter er auch immer vorher verurteilt wurde, so kann der König seinen Antrag entgegennehmen, und es wird rechtsgültig sein. J  Außer diesen beiden Gerichtshöfen, dem Oberhofgericht für Kronklagen und dem Hauptzivilgerichtshof für Zivilangelegenheiten bezüglich des Gemeinen Rechts von England, existiert ein

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anderer Gerichtshof, der die Gerichtsbarkeit sowohl für Zivil- als auch für Strafrechtsprozesse innehat und wenigstens so alt wie der Hauptzivilgerichtshof ist, und zwar ist dies der Gerichtshof der Admiralität. Aber hier beziehen sich die Gerichtsverfahren auf das Recht des Römischen Reiches, und die Prozesse, die dort entschieden werden, sind solche, die auf See entstehen, denn dies ist durch verschiedene Gesetze verfügt und durch viele Präzedenzfälle bestätigt worden. P  Was das Gesetzesrecht betrifft, ist es immer Gesetz und auch Vernunft, denn es ist mit Zustimmung des ganzen Königreiches erlassen worden, während Präzedenzfälle einander widersprechen, denn verschiedene Menschen fällen zu verschiedenen Zeiten in denselben Angelegenheiten verschiedene Urteile. Daher möchte ich eigentlich noch einmal deine Ansicht über Gerichtsentscheide, außer denen des Königs, in Bezug auf ihre Rechtsgültigkeit hören. Aber was ist der Unterschied zwischen den Verfahren des Admiralitätsgerichts und denen des Gerichtshofes des Gemeinen Rechts? J  Ein Unterschied ist, dass das Admiralitätsgericht einen Prozess nur mit zwei Zeugen führt, also ohne ein Schwurgericht, das anklagt, und ohne eine Geschworenenbank, die urteilt. Der Richter verhängt Strafen gemäß dem Römischen Recht, das in früheren Zeiten in allen Teilen Europas in Kraft war69 und heute Gesetz ist, nicht auf Anordnung irgendeines anderen Herrschers oder einer ausländischen Macht, sondern nach dem Willen der englischen Könige, die ihm in diesem Fall die Gültigkeit in ihren eigenen Herrschaftsgebieten verliehen haben. Der Grund scheint darin zu liegen, dass Rechtsstreitigkeiten, die auf See entstehen, häufig solche sind, die zwischen uns und den Angehörigen anderer Nationen, die größtenteils nach diesem Recht regiert werden, entstehen. P  Wie kann man den Terminus »auf See« präzise genug bestimmen, z. B. im Fall, dass etwas in der Nähe einer sehr großen Flussmündung geschieht: Ist dies dann »auf See« oder »an Land«?

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Denn die Flüsse wie auch ihre Ufer liegen innerhalb oder sind ein Teil des einen oder anderen Landes. J  Sicherlich ist dieses Problem schwierig, und es hat schon viele Prozesse gegeben, wo es um die Frage ging, welches Gericht hier zuständig war. P  Ich meine, dass dies, außer durch den König selbst, auch nicht entschieden werden kann, immer vorausgesetzt, es ist nicht in der Patenturkunde des Großadmirals bestimmt. J  Aber obwohl in der Patenturkunde die Amtsgewalt verfügt ist, in einigen bestimmten Fällen Prozesse durchzuführen, können in einigen Dingen, die die Admiralität betreffen, die Richter des Gemeinen Rechts diesem Gericht untersagen, die Klage zu verhandeln, auch wenn es in der Urkunde heißt, das Admiralitätsgericht könne ungeachtet entgegenstehender Gesetze verhandeln. P  Mir scheint, dass dies gegen das Recht der Krone wäre, das ihr durch keinen Untertan genommen werden kann. Denn Sir Cokes Argument, der König hätte all seine richterliche Gewalt abgetreten, bedeutet nichts, weil der König, wie ich schon sagte, die essenziellen Rechte der Krone nicht abgeben kann, und durch die Klausel »ungeachtet entgegenstehender Gesetze« wird sein Recht zur Übertragung nicht beeinträchtigt. J  Aber an den von Sir Coke vorgebrachten Präzedenzfällen kannst du sehen, dass das Gegenteil ausnahmslos praktiziert wurde. P  Ich glaube nicht so ausnahmslos, aber wer kann das sagen? Denn in solchen Fällen können auch andere Urteile ergangen sein, die weder in den Aufzeichnungen erhalten sind noch von Sir Coke vorgebracht wurden, weil sie seiner Auffassung nicht entsprachen. Dies ist durchaus möglich, obwohl du nicht zugeben wirst, dass es wahrscheinlich ist; daher bestehe ich auch nur darauf, dass die bloße Aufzeichnung eines Urteils noch kein Gesetz ist, es sei denn, der klagenden Partei gelingt es, durch Gesetz das vorherige Urteil zu revidieren.70 Und bezüglich der

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Verfahren ohne Jury, bei denen zwei Zeugen genügen, sehe ich nicht, welcher Schaden für das Allgemeinwohl daraus entstehen könnte. Folglich sehe ich auch keinen berechtigten Einwand, den die Richter des Gemeinen Rechts gegen die Verfahren in der Admiralität erheben könnten, denn die Erhärtung des Tatbestandes erfolgt in beiden Gerichten aufgrund von Zeugen; und der Unter­schied liegt nur darin, dass nach dem Römischen Recht der Richter aufgrund der Zeugenaussagen sein Urteil fällt und im Gerichtshof des Gemeinen Rechts die Geschworenen entscheiden. Außerdem, wenn ein Gerichtshof des Gemeinen Rechts sich herausnehmen sollte, unbefugt in die Zuständigkeit der Admiralität einzugreifen, könnte diese dann nicht auch dem Gerichtshof des Gemeinen Rechts untersagen, seine Verfahren fortzuführen? Ich bitte dich, mir zu sagen, welche Gründe mehr für das eine als für das andere sprechen. J  Ich weiß keinen, außer dass es alte Gewohnheit ist, denn ich glaube, dass so etwas noch nie geschehen ist. P  Das höchste ordentliche Gericht in England ist der Kanzleigerichtshof, an dem der Lordkanzler oder, mit anderen Worten, der Bewahrer des Großsiegels als einziger Richter fungiert. Dieser Gerichtshof ist sehr alt, was aus Sir Coke in Inst., IV, S.  78, hervorgeht, wo er die Namen der Kanzler von König Edgar, König Ethelred, König Edmund und König Eduard dem Bekenner anführt. Das Amt wurde ohne Patenturkunde vom König durch die Übergabe des Großsiegels von England übertragen, und wer auch immer Bewahrer des Großsiegels von England ist, hat die gleiche und gesamte richterliche Gewalt, die der Lordkanzler jemals hatte, und zwar nach dem Gesetz Elisabeth (I), 18 (1575), worin erklärt wird, dass dies Gemeines Recht ist und immer gewesen ist. J  Und Sir Edward Coke sagt, dass er die Bezeichnung »Kanzler« von der höchsten Befugnis seines Amtes erhalten hat, nämlich die »a cancellando«, was bedeutet, dass er die Patenturkunden des Königs annullieren konnte, indem er das Dokument mit Strichen in Form eines Gitters durchkreuzte.71

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P  Eine hübsche Geschichte. Es dürfte doch wohl bekannt sein, dass der Cancellarius ein hoher Beamter des Römischen Reiches war, zu dem diese Insel einst gehörte, und dass das Amt in diesem Königreich entweder mit oder nach dem Muster der römischen Regierungsform eingeführt wurde. Und es war auch lange Zeit nach den zwölf Cäsaren, dass dieses Amt in Rom geschaffen wurde. Denn über die Regierungszeit von Septimius Severus hinaus nahmen die Kaiser Prozesse und Einsprüche gegen Urteile, die in den Gerichtshöfen der Prätoren – die in Rom dasselbe waren, was die Richter des Gemeinen Rechts hierzulande sind – gefällt worden waren, mit ausreichender Sorgfalt zur Kenntnis; durch die ständigen Bürgerkriege bei der Wahl der Kaiser in der Folgezeit hörte diese Sorgfalt allmählich auf. Danach nahm nun, wie ich bei einem sehr guten Autor des römischen Zivilrechts gelesen habe, die Anzahl der Klagen in einem solchen Maße zu, dass der Kaiser sie nicht mehr bearbeiten konnte. Deshalb ernannte er einen Beamten zu seinem Sekretär, um alle Petitionen entgegenzunehmen. Dieser Sekretär ließ einen geeigneten Raum durch eine Trennwand teilen, in der in Mannshöhe in angemessenen Abständen gewisse Stangen angebracht waren, so dass ein Kläger, wenn er seine Petition dem Sekretär, der manchmal abwesend war, übergeben wollte, nichts weiter tun musste, als die Petition zwischen diesen Stangen durchzuwerfen; und diese heißen eben im Lateinischen Cancelli. Das heißt nicht, dass eine bestimmte Form von Stangen oder irgendwelche Stangen überhaupt notwendig waren: man hätte sie auch weglassen können, wenn schon die ganze Stelle offen war, aber da es nun Cancelli waren, wurde der anwesende und dort sein Amt ausführende Sekretär Cancellarius genannt. Und man kann durchaus jede Gerichtsschranke als Cancelli bezeichnen, was nicht Gitter bedeutet. Letzteres ist nur eine reine Vermutung, die weder auf Geschichte noch auf Sprachkenntnis beruht. Wahrscheinlich geht sie auf irgendeinen Schuljungen zurück, der in seinem Wörterbuch für »Gitter« kein anderes Wort als Cancelli finden konnte.

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Die Aufgabe dieses Kanzlers bestand zunächst nur darin, den Inhalt der Petitionen zusammenzufassen, um dem Kaiser die Arbeit zu erleichtern. Aber da die Klagen täglich zunahmen, wurden es schließlich zu viele, schließlich gab es Angelegenheiten, deren Entscheidung für den Kaiser Vorrang hatte, und dies veranlasste ihn, jene wieder dem Kanzler zu übertragen. Welchen Grund führt Sir Coke als Beweis an, dass die höchste Befugnis der Gerichtsbarkeit des Kanzlers in der Annullierung der Patenturkunden seines Herrn bestehe, nachdem diese mit dem Siegel seines Herrn beglaubigt worden sind – es sei denn, es geht in einem Prozess um Gültigkeit oder um die darin enthaltene Absicht seines Herrn, um eine betrügerische Aneignung oder einen Missbrauch, alles Fälle der Billigkeit? Da auch der Kanzler sein Amt nur durch die Verleihung des Großsiegels innehat, ohne dass Anweisungen oder Einschränkungen des Verfahrens in seinem Gerichtshof Anwendung finden, ist es offensichtlich, dass er in allen seinen zu verhandelnden Prozessen die Anhörung und Vernehmung der Zeugen mit oder ohne Geschworene in solcher Weise führen kann, wie er es bezüglich der Genauigkeit, Schnelligkeit und Gerechtigkeit der Verfügungen für richtig hält. Und wenn er daher meint, dass der Brauch, einen Prozess mit Geschworenen zu führen, wie es in England in Gerichtshöfen des Gemeinen Rechts üblich ist, eher der Gerechtigkeit (die das Ziel aller Richter in der Welt ist oder sein sollte) entspricht, dann sollte er diese Methode anwenden. Wenn er aber eine andere Verfahrensweise für besser hält, sollte er sich ihrer bedienen, falls sie nicht durch ein Gesetz untersagt ist. J  Was deine Argumentation anbetrifft, so ist sie, wie ich meine, recht gut, aber man sollte auch vor Bräuchen, sofern sie nicht unvernünftig sind, den gebührenden Respekt haben. Daher, denke ich, hat Sir Coke recht, wenn er sagt, dass in den Fällen, in denen der Kanzler eine Verhandlung nach den Regeln des Gemeinen Rechts führt, er die Protokolle dem Oberhofgericht übergeben muss und dass es für den Lordkanzler auch notwendig ist, dar-

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auf zu achten, die Grenzen seiner Gerichtsbarkeit, wie sie durch Gesetze gezogen sind, nicht zu überschreiten. P  Durch welche Gesetze ist seine Zuständigkeit beschränkt? Ich weiß, dass er nach Elisabeth (I) 27, 8 (1584) ein Urteil des Oberhofgerichts in Schuldklagen, Vindikationsklagen usw. nicht aufheben kann. Auch konnte er vor dem Gesetz jemals kraft seines Amtes kein Urteil in einer Kronklage, gefällt vom Oberhofgericht, das das Entscheidungsrecht in diesen Klagen innehat, aufheben. Er brauchte dies auch nicht, denn die Richter selbst können, wenn sie es für notwendig halten, einem, der durch schlechte Zeugen, durch Mächtige, die die Geschworenen beeinflussen können, oder durch das Fehlurteil der Geschworenen bedrängt wird, selbst im Fall einer Felonie zu seinem Recht verhelfen72, die Zwangsvollstreckung sistieren und den König in Kenntnis setzen, der ihm nach Billigkeit zu seinem Recht verhilft. Was nun die Achtung vor dem Gewohnheitsrecht angeht, so werden wir uns darüber später unterhalten. J  In der 13. Sitzung des von Richard II. (1389) einberufenen Parlaments richtete das Unterhaus zum ersten Mal eine Petition an den König, dass weder der gegenwärtige noch ein anderer Kanzler irgendeine Anordnung gegen das Gemeine Recht erlassen und dass kein Urteil ohne ordentliches Verfahren ergehen solle. P  Dies ist keine unbillige Petition, denn das Gemeine Recht ist nichts anderes als Gerechtigkeit und Billigkeit. Und hieraus wird deutlich, dass sich die Kanzler, bevor es dieses Gesetz gab, mehr Freiheiten gegen die Gerichtshöfe des Gemeinen Rechts herausnahmen als hinterher, aber es geht nicht daraus hervor, dass »Gemeines Recht« in diesem Fall etwas anderes bedeutet als das weltliche Recht des Landes im Allgemeinen. Auch existierte dieses Gesetz niemals in gedruckter Form, so dass ich ihm hätte Beachtung schenken können, aber ob es überhaupt ein Gesetz ist oder nicht, weiß ich erst, wenn du mir sagst, was der König auf diese Petition antwortete. J  Die Antwort des Königs lautete, dass die übliche Verfahrens-

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weise beibehalten werden solle, so dass die Würde des Königs gewahrt bleibe. P  Dies ist, soweit es das Kanzleigericht betrifft, ein klarer Widerspruch zu Sir Coke. J  In einer weiteren Parlamentssitzung, der 17. während der Regierungszeit Richards II. (1393), wurde auf Antrag des Unter­ hauses gesetzlich Folgendes verfügt: Wenn jemand durch Vorladungen, die auf unwahren Aussagen basieren, gezwungen wurde, vor dem Kronrat oder im Kanzleigericht zu erscheinen, dann solle der amtierende Kanzler sofort, nachdem die Aussagen rechtmäßig als unwahr erkannt und erwiesen worden sind, alle Macht haben, nach seinem Ermessen für denjenigen, dem ungerechterweise solche Schwierigkeiten bereitet wurden, Schadensersatz festzusetzen und ihm diesen zuzusprechen, wie es vorher beschrieben wurde. P  Aus diesem Gesetz wird deutlich, dass, wenn eine Klage im Kanzleigericht aufgrund ungerechtfertigter Aussagen eingereicht wird, der Kanzler diese Aussagen untersuchen soll, und da er, wenn die Aussagen falsch sind, Schaden verhindern kann, muss er auch durch eine ordentliche Verhandlung einen Fall entscheiden können, gleich ob es sich um eine dingliche oder schuldrechtliche und nicht um eine strafrechtliche Klage handelt. J  In der 2. Parlamentssitzung unter Heinrich IV. (1400) beantragte das Unterhaus auch eine Petition, die nicht gedruckt wurde. Danach sollten weder Gerichtsbeschlüsse noch Geheimsiegel des Kanzleigerichts, Appellationsgerichts und anderer Behörden beantragt werden dürfen, mit denen man jemanden, im Gegensatz zum ordentlichen Rechtsweg des Gemeinen Rechts, zwingen könnte, zu einem bestimmten Termin unter Androhung von Strafe entweder vor dem König und seinem Rat oder vor e­ inem anderen Gericht zu erscheinen. P  Wie wurde dieser Antrag durch den König beantwortet? J  Dass solche Gerichtsbeschlüsse nicht ohne Notwendigkeit erlassen werden sollten.

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P  Hieran kannst du wiederum erkennen, dass der König Anträge im Parlament ablehnen oder ihnen stattgeben kann, wenn er sie entweder für notwendig hält, wie in diesem Fall, oder wenn er sie für seine Königswürde für nachteilig hält oder nicht, wie in der Antwort auf die vorige Petition. Das ist ein ausreichender Beweis dafür, dass ihm kein Teil seiner legislativen Gewalt oder ein anderer wesentlicher Teil seiner Königswürde durch Gesetz genommen werden kann. Da es nun erwiesen ist, dass Billigkeit mit dem Gesetz der Vernunft gleichzusetzen ist, und da auch Sir Edward Coke in Inst., I, Sect. 21, die Billigkeit als ein gewisses Schließen definiert, das nicht schriftlich erfasst ist, sondern nur in rechter Vernunft besteht, die das geschriebene Gesetz interpretiert und ergänzt, würde ich gerne wissen, zu welchem Zweck es außer den Richtern für zivil- und gemeinrechtliche Klagen überhaupt ein anderes Billigkeitsgericht vor dem Kanzler oder jemand anderem geben sollte. Ich bin sicher, du kannst nichts weiter anführen, als dass eine Notwendigkeit für ein höheres Billigkeitsgericht als für Gerichtshöfe des Gemeinen Rechts bestand, um die von den Richtern niederer Gerichtshöfe gefällten Fehlurteile zu berichtigen, dass die Fehlurteile des Kanzleigerichts hingegen nicht revidierbar waren, außer durch das Parlament oder eine vom König ernannte Kommission. J  Aber Sir Edward Coke sagt, da die Tatumstände nach dem Gemeinen Recht von einer Jury aus zwölf Geschworenen verhandelt werden können, sollte dieses Gericht die Streitsache nicht ad aliud Examen, d. h. einer anderen Art von Untersuchung, unterwerfen, etwa indem die Zeugenaussagen, die nur als Beweismittel für die Geschworenen dienen sollten, schriftlich niedergelegt werden. P  Aber die schriftliche Niederlegung der eidlichen Zeugenaussagen dient doch zu nichts anderem als zum Beweismittel für den Lordkanzler. Es ist deshalb keine »andere Art von Untersuchung«, und die Geschworenen sind auch nicht kompetenter in

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der Prüfung von Zeugenaussagen als der Lordkanzler. Im Übrigen sind doch alle Gerichtshöfe verpflichtet, gemäß der Billigkeit zu urteilen, aber jeder Richter kann in einem solchen Fall einmal getäuscht werden. Wieso sollte es einem Einzelnen oder dem Staat also schaden, wenn es für die Billigkeitsgerichte ebenso wie für die des Gemeinen Rechts eine höhere Instanz gibt? Denn zur Vermeidung von Belastungen ist durch Parlamentsbeschluss gesetzlich vorgesehen, dass Vorladungen unter Strafandrohung nur ergehen sollen, wenn garantiert ist, dass die geschädigte und belastete Partei Schaden und Auslagen ersetzt bekommt, wenn sich herausstellen sollte, dass die Sache, um die es in der Vorladung geht, nicht stichhaltig ist. J  Es gibt noch ein anderes Gesetz, nämlich Heinrich VI, 31, 2 (1452); darin ist eine Klausel enthalten, die von Sir Coke mit den folgenden Worten zitiert wird: »Es ist festgesetzt, dass keine Streitsache, die durch die Gesetze dieses Reiches entscheidbar ist, gemäß besagtem Parlamentsbeschluss in anderer Form entschieden werden soll als gemäß dem Rechtsweg in den königlichen Gerichtshöfen, die das Entscheidungsrecht über dieses Gesetz haben.« P  Dieses Gesetz wurde nur für sieben Jahre erlassen und niemals durch ein anderes Parlament verlängert. Anlass für dieses Gesetz waren die großen Aufstände, Erpressungen, Unterdrückungen usw., die zur Zeit der Revolte von John Cade üblich waren, und die Anklageschriften und Verurteilungen, die diese usurpierte Autorität ungesetzlicherweise ergehen ließ.73 Daraufhin ordnete das Parlament an, dass für die folgenden sieben Jahre kein Mensch Verfügungen des Königs unter dem Großsiegel missachten oder sich weigern dürfe, vor dem Kronrat oder im Kanzleigericht zu erscheinen, um sich für Aufstände, Erpressungen usw. zu verantworten. Sobald er Zeit verlieren sollte … usw. Es geht hier also überhaupt nicht um die Gerichtsbarkeit des Kanzleigerichts oder eines anderen Gerichtshofes, sondern um eine dem Kanzleigericht und dem Kronrat des Königs verliehene

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besondere Amtsgewalt, über jene Verbrechen zu entscheiden, die vor dieser Zeit nur vom Oberhofgericht oder durch besondere Vollmacht verfolgt werden konnten. Denn dieser Parlamentsbeschluss war ausdrücklich erlassen worden, um die große Zahl von Verbrechen zu bestrafen, die von solchen begangen worden waren, die auf die Autorität des genannten John Cade hin handelten. Der Parlamentsbeschluss wurde durch die hier erwähnte Klausel ergänzt, nach der die Verfahren in diesen Kanzleigerichten und die des Kronrats die gleichen sein sollten, die in den Gerichtshöfen üblich waren, zu welchen die besagten Fälle vor diesem Parlamentsbeschluss gehört hatten. Dies bedeutet, dass Strafsachen gemäß dem Verfahren des Oberhofgerichts und solche Fälle, die nur gegen die Billigkeit verstoßen, nach Art des Kanzleigerichts oder in einigen Fällen entsprechend dem Verfahren des Appellationsgerichts (Berufungsinstanz des Finanzgerichts) verhandelt werden sollten. Ich frage mich, warum Sir Coke ein Gesetz wie dieses, das schon seit fast zweihundert Jahren erloschen ist, sowie zwei andere Petitionen zitiert, als ob das noch Gesetze wären, wo sie doch der König nicht hatte bestehen lassen. Es sei denn, er tat es in der Absicht, die Autorität des Königs herabzusetzen (was er in allen seinen Institutes versucht), oder in der, seine eigene Meinung über das Gesetz des Landes unter den Leuten zu verbreiten. Er versucht das ja auch, indem er sowohl in den Text als auch in die Marginalien lateinische Sätze einfügt, als ob es sich um Prinzipien des Vernunftrechts handle, obwohl sie weder durch die Autorität der alten Rechtsgelehrten untermauert noch in sich selbst vernunftgemäß sind. Damit will er den Menschen suggerieren, dies seien die eigentlichen Grundlagen des englischen Rechts. Was nun die Autorität betrifft, die du dem Gewohnheitsrecht zuschreibst, bestreite ich, dass ein Gewohnheitsrecht aus sich selbst heraus schließlich so viel Autorität wie das Gesetz erlangen kann. Denn wenn das Gewohnheitsrecht vernunftwidrig ist, musst du mit allen Rechtsgelehrten zugeben, dass es kein Gesetz ist und daher abgeschafft werden sollte. Sollte das Gewohnheitsrecht je-

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doch vernunftgemäß sein, ist es nicht die Gewohnheit, sondern die Billigkeit, die es zum Gesetz macht. Denn warum sollte es notwendig sein, die Vernunft durch eine noch so alte Gewohnheit zum Recht werden zu lassen, wo doch das Gesetz der Vernunft ewig ist? Und obwohl Lex et Consuetudo oft als diejenigen Kriterien angeführt sind, denen die Richter in ihren Urteilen Folge leisten müssen, wirst du in keinem Gesetz finden, dass Consuetu­ dines, also Sitten und Gebräuche, nicht bedeuten, dass es sich um lange Traditionen aus vergangenen Zeiten handelt, sondern nur um solche Sitten und Verfahrensweisen, wie sie unmittelbar vor der Verabschiedung dieses Gesetzes existierten. Du wirst auch in keinem Gesetz finden, dass der Begriff »Gemeines Recht« etwas anderes bedeutet als irgendein weltliches Gesetz Englands. Die Besonderheit des in einem Gerichtshof angewandten Verfahrens macht ein Gesetz noch nicht zu einem solchen, das sich vom Recht der ganzen Nation unterscheidet. J  Wäre es für den Staat nicht von Nachteil, wenn alle Gerichtshöfe, wie du meinst, Billigkeitsgerichte wären? P  Ich glaube nicht, es sei denn, du sagst vielleicht, dass die Richter angesichts der Tatsache, dass sie denselben Lohn vom ­König erhalten, gleich, wie viele Fälle sie verhandeln müssen, viel zu sehr geneigt sein könnten, Fälle zu ihrer eigenen Bequemlichkeit, zur Verzögerung der Rechtsprechung und zum Schaden der klagenden Parteien an einen anderen Gerichtshof zu überweisen. J  Hierin täuschst du dich sehr, denn die Gerichtshöfe wett­ eifern im Gegenteil darin, wer die meisten Fälle bekommt. P  Um Himmelswillen: Das konnte ich nicht ahnen.74 J  Da außerdem alle Richter ihr Urteil gemäß der Billigkeit fällen sollen, kann ich mir in folgendem Fall nicht vorstellen, wie ein Urteil gerecht sein kann: wenn nämlich ein geschriebenes Gesetz gegen das Gesetz der Vernunft, also gegen Billigkeit sein sollte. P  Es kann nicht sein, dass ein geschriebenes Gesetz gegen die Vernunft ist, denn nichts ist vernünftiger, als dass jedermann das Gesetz befolgen soll, dem er selbst zugestimmt hat. Aber das, was

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durch den Wortlaut der Buchstaben bezeichnet ist, ist nicht immer das Gesetz, es kommt vielmehr auf das an, was gemäß der Absicht des Gesetzgebers Gültigkeit haben sollte.75 Es ist oft, wie ich zugebe, schwierig, diese Absicht aus den Worten des Gesetzes zu erschließen; es erfordert eine hochentwickelte Fähigkeit des Verstehens, tieferes Nachdenken und Berücksichtigung jener Krisen und Missstände, zu deren Behebung ein neues Gesetz gedacht war. Denn es gibt kaum etwas, und sei es noch so deutlich formuliert, dass, wenn der Anlass in Vergessenheit geraten ist, nicht von irgendeinem unwissenden Grammatiker oder von einem nörgelnden Logiker zum Nachteil, zur Unterdrückung oder vielleicht sogar zur Vernichtung eines ehrlichen Mannes verdreht werden könnte. Und aus diesem Grund verdienen die Richter auch die Hochachtung und den Lohn, deren sie sich erfreuen. Wie ist es für einen ungelehrten Menschen oder weniger scharfsinnigen Rechtsgelehrten möglich zu wissen, in welchem Gerichtshof er rechtmäßig seinen Prozess anstrengen oder seinem Klienten Rechtsbeistand geben kann, da die Entscheidung, welche Fälle im Einzelnen unter die Zuständigkeit eines jeden Gerichtshofes fallen, bis heute noch nicht hinreichend geklärt und so schwierig ist, dass nicht einmal die weisesten Rechts­ gelehr­ten selber sich darüber einig sind? (Sir Coke überlässt die Begründung übrigens »dem Gesetz selbst«.) J  Ich gebe zu, dass niemand verpflichtet werden kann, über die Zuständigkeit der Gerichte Bescheid zu wissen, bevor sich alle Gerichtshöfe selbst darüber einig geworden sind. Aber ich verstehe nicht, nach welcher Regel ein Richter urteilen soll, um weder dem geschriebenen Gesetz zu widersprechen noch seinem Gesetzgeber zu missfallen. P  Ich denke, er kann beides vermeiden, wenn er in seinem Urteil bemüht ist, weder einen Unschuldigen zu bestrafen noch die ihm zustehende Wiedergutmachung durch den, der ihn böswillig und ohne vernünftigen Grund gerichtlich verfolgt, vorzuenthalten. Dies ist meiner Ansicht nach für die meisten vernunftbegab-

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ten und unvoreingenommenen Menschen unschwer einzusehen. Und obwohl ein Richter wie alle Menschen in seinem Urteil irren kann, haben die englischen Gesetze immer die Kraft, die Parteien entweder im Kanzleigericht oder auch durch vom König dazu bevollmächtigte Beamte ihrer Wahl zufriedenzustellen, denn jeder Mensch ist verpflichtet, sich dem Urteil der Richter zu unterwerfen, die er sich selbst ausgesucht hat. J  In welchen Fällen kann der wahre Buchstabe des Gesetzes der Absicht des Gesetzgebers widersprechen? P  In sehr vielen; Sir Edw. Coke zählt allein drei auf, nämlich Betrug, Unglücksfälle und Vertrauensbruch, aber es gibt noch viele andere, denn zu fast allen allgemeinen Regeln gibt es viele plausible Ausnahmen, die diejenigen, die die Regel aufgestellt haben, nicht voraussehen konnten. Und außerdem gibt es sehr viele besonders lange Wörter in jedem Gesetz, die bezüglich der Grammatik mehrdeutig sind, die jedoch denen, die die Absicht des Gesetzgebers erkennen, deutlich genug sind. Und viele Verbindungen haben einen zweifelhaften Bezug, auf dem ein Grammatiker herumreiten könnte, obwohl die Intention des Autors des Gesetzes klar genug ist. Dies sind die Schwierigkeiten, die die Richter bewältigen müssen, und soweit man hoffen kann, können sie dies auch aufgrund der Fähigkeiten, nach denen sie ausgewählt worden sind. Allerdings können andere das auch, sonst könnten die Richterstellen ja nicht immer wieder neu besetzt werden. Die Bischöfe sind im Allgemeinen die fähigsten und verständigsten; ihr Amt verpflichtet sie, sich um Gerechtigkeit, die ja das Gesetz Gottes ist, zu bemühen, und daher sind sie geeignete Richter in einem Billigkeitsgericht. Sie sind diejenigen, die das Volk lehren, was Sünde ist, d. h., sie sind die Zuständigen in Gewissensfragen. Welchen Grund kannst du mir nennen, warum es für den Staat unangebracht und nachteilig sein sollte, dass ein Bischof Kanzler ist, wie dies am häufigsten zu Zeiten Heinrichs VIII. (1509–1547) und seitdem einmal während der Regierungszeit von König Jakob (I.) (1603–1625) der Fall war?

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J  Aber Sir Coke sagt, dass, nachdem ein Kanzler, der kein Rechtsgelehrter war, ernannt worden war, in den Parlamentsprotokollen schon bald eine ernste Beschwerde des ganzen Parlaments auftauchte und dass es eine Petition gab, nach der doch nur die weisesten und fähigsten Männer des Reiches zum Kanzler ernannt werden sollten. P  Diese Petition war schon vernünftig, aber sie sagt nichts darüber aus, wer nun die fähigeren sind: die Richter des Gemeinen Rechts oder die Bischöfe. J  Das ist nicht die entscheidende Frage in Bezug auf die Befähigung eines Richters, sowohl der eine als auch der andere sind auf ihre Art fähige Männer. Aber da ein Billigkeitsrichter in fast allen Fällen sowohl das geschriebene Recht als auch das Gesetz der Vernunft beachten muss, kann er sein Amt eben nicht makellos ausüben, wenn er nicht auch in den geschriebenen Gesetzen bewandert ist. P  Ich halte es nicht für so notwendig, dass er in den Gesetzen bewandert sein muss. Wer informiert im Verfahren über den Wortlaut des Gesetzes: der Richter das »Council« (Juristische Beisitzer) oder das »Council« den Richter? J  Das »Council« informiert den Richter. P  Aber warum können die dann nicht auch den Kanzler informieren, es sei denn, du sagst, dass ein Bischof das Gesetz, wenn er es auf Englisch vorgelesen bekommt, nicht genauso gut verstehen kann wie ein Anwalt? J  Nein, nein, sowohl der eine als auch der andere sind fähig genug, aber fähig genug ist nicht hinreichend, wenn nicht nur die Schwierigkeiten des Falles, sondern auch die Gefühle des Richters beherrscht werden sollen. Ich vergaß, das Gesetz Eduard III, 36, 9 (1362) zu erwähnen. Wenn jemand glaubt, dadurch geschädigt zu sein, dass einer der oben genannten Artikel oder andere, in verschiedenen Gesetzen enthaltene Artikel nicht beachtet worden sind und er oder ein anderer an seiner Stelle im Kanzlei­gericht erscheint und dort seine Klage einreicht, soll er

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sofort jenen Artikeln und Gesetzen gemäß Wiedergutmachung erhalten, ohne anderswo darum nachsuchen zu müssen. P  Folgt man dem Wortlaut dieses Gesetzes, so ist es meiner Ansicht nach sehr deutlich, dass das Kanzleigericht aufgrund der Klage der geschädigten Partei in jedem gemäß dem Gemeinen Recht zu verhandelnden Fall einen Prozess anstrengen kann, insofern der Partei in diesem Gerichtshof Kraft dieses Parlamentsbeschlusses sofort Wiedergutmachung gewährt wird, ohne dass sie anderswo darum nachsuchen müsste. J  Ja, aber Sir Coke begegnet diesem Einspruch in Inst., IV, S.  82 wie folgt. Er sagt, die Worte »Er soll Wiedergutmachung erhalten« bedeuten nichts weiter, als dass er dort sofort eine auf diesen Gesetzen beruhende schriftliche Verfügung erhält, mit der er dann vor dem Zivilgericht Wiedergutmachung erlangen kann. P  Es sieht so aus, als habe Sir Coke gedacht, wenn die Partei ihre Verfügung habe, sei das auch schon die Wiedergutmachung. Dann hätte man nur die Verfügung in der Tasche gehabt; denn »anderswo« dürfte man danach ja die Klage nicht weiterverfolgen. Oder hat er etwa gedacht, dass »im Zivilgericht« nicht »anderswo« sei als im Kanzleigericht? J  Außerdem gibt es noch den Gerichtshof für … P  Lass’ uns an dieser Stelle aufhören, denn das, was du gesagt hast, genügt mir; ich wollte ja nichts anderes, als zwischen Gesetzmäßigkeit und Billigkeit zu unterscheiden. Und deswegen komme ich zu dem Schluss, dass Gesetzmäßigkeit dem Gesetz Genüge tut, Billigkeit hingegen das Gesetz interpretiert und die aufgrund desselben Gesetzes gefällten Urteile ergänzt. Hierin weiche ich nicht viel von der Definition der Billigkeit, die Sir Coke in Inst., I, Sect. 21, anführt, ab, sie lautet nämlich: »Billigkeit ist eine gewisse höhere Vernunft« die das geschriebene Gesetz interpretiert und ergänzt. Allerdings lege ich dies ein wenig anders aus als er. Denn niemand außer dem, der das Gesetz geschaffen hat, kann es ergänzen, und daher sage ich nicht, dass gemäß der Billigkeit das Gesetz verbessert wird, sondern nur, dass die feh-

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lerhaften Gerichtsurteile korrigiert werden.76 Nun lass’ uns auf die Verbrechen im Einzelnen eingehen, deren Verhandlung allgemein Kronklagen genannt werden, und auf die Strafen, die ihnen folgen, und zuerst auf das schwerste aller Verbrechen, nämlich Hochverrat. Erkläre mir, was Hochverrat ist.

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J  Das erste Gesetz, das erklärt, was Hochverrat bedeutet, ist das Gesetz Eduard III, 25 (1351); es lautet folgendermaßen: Da es vor dieser Zeit verschiedene Ansichten darüber gab, welcher Fall als Hochverrat bezeichnet werden soll und welcher nicht, hat der König auf Ersuchen der Lords und Commons eine Erklärung in der hier folgenden Art abgegeben. Es bedeutet Hochverrat, wenn jemand den Tod unseres Herrn des Königs, unserer Herrin der Königin oder ihres ältesten Sohnes und Erben plant oder beab­ sichtigt oder wenn jemand die Gemahlin des Königs, ihre älteste unverheiratete Tochter oder die Frau des ältesten Sohnes und Er­ ben des Königs schändet oder wenn jemand gegen unseren Herrn den König in seinem Reich einen Krieg beginnt oder sich mit den Feinden des Königs in seinem Reich verbindet, ihnen Hilfe und Unterstützung im Reich oder anderswo gewährt und wenn ihm dies als offenbare Tatsache von Leuten seines Standes nachge­ wiesen wird. Und wenn jemand das Großsiegel oder das Kleine Siegel des Königs oder sein Geld fälscht. Und wenn ein Mensch gefälschtes englisches Geld, wie das, was man Lushburgh nennt, oder anderes, ähnlich dem englischen, wissentlich einführt, d ­ amit Handel treibt und Zahlungen entrichtet und so unseren besag­ ten Herrn den König und sein Volk betrügt. Und wenn jemand den Kanzler, den Schatzmeister, einen königlichen Richter der verschiedenen Gerichtshöfe, einen Wanderrichter, einen Assi­ senrichter oder einen anderen Richter, der ernannt wurde, zu verhandeln und zu entscheiden, in Ausführung seines Amtes er­ schlägt. Die oben aufgeführten Fälle sind so zu verstehen, dass alles als Verrat behandelt wird, was sich auf unseren königlichen Herrn und seine königliche Majestät bezieht. Und bei einem sol­ chen Verrat fallen die dadurch verwirkten Güter an den König, auch wenn die Ländereien und Besitztümer in den Händen an­

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derer waren. Außerdem gibt es eine andere Art von Verrat, und zwar wenn ein Diener seinen Herrn oder eine Frau ihren Ehe­ mann tötet oder wenn ein weltlicher Mann oder ein Ordensgeistli­ cher seinen Prälaten, dem er Treue und Gehorsam schuldet, tötet, und bei solch einem Verrat sollen die heimgefallenen Güter dem jeweiligen Herrn des Lehnsgutes zugesprochen werden. Und weil es in Zukunft viele andere ähnliche Fälle von Verrat geben kann, die man sich heute weder vorstellen noch benennen kann, ist ver­ einbart worden, dass, wenn irgendein angenommener Fall von Verrat, der oben noch nicht besonders aufgeführt ist, vor einen Richter gebracht wird, die Richter, ohne auf Verrat zu erkennen, abwarten sollen, bis der Fall vor den König und sein Parlament gebracht und bis geklärt worden ist, ob er als Verrat oder als ein anderes Kapitalverbrechen behandelt werden soll. P  Eigentlich wollte ich nur wissen, was Verrat an sich ist: eine Auflistung von Tatumständen kann mich nicht zufriedenstellen. Verrat ist ein Verbrechen an sich, Malum in se, und deshalb ein Verbrechen nach dem Gemeinen Recht, und Hochverrat ist das schwerste Verbrechen, das nach dem Gemeinen Recht begangen werden kann. Also macht nicht nur das geschriebene Gesetz, sondern auch die Vernunft – ohne ein geschriebenes Gesetz – diese Taten zu Verbrechen. Dies geht aus der Präambel hervor, in der darauf hingewiesen wird, dass alle Menschen, obwohl sie eine Tat aus den verschiedensten Gründen als Verrat verurteilten, doch nicht wussten, ob sie auch Verrat sei, und folglich gezwungen waren, den König zu ersuchen, dies zu entscheiden. Das, was ich gerne wissen möchte, ist, wie Verrat ohne das geschriebene Gesetz durch einen Menschen, der dazu nichts als die Fähigkeit der natürlichen Vernunft hat, definiert worden wäre. J  Da dies keiner von den Rechtsgelehrten getan hat, kannst du doch von mir nicht erwarten, dass ich es ad hoc versuche. P  Du weißt, dass Salus Populi Suprema Lex ist, das bedeutet, dass die Sicherheit des Volkes oberstes Gesetz ist. Die Sicherheit der Menschen in einem Königreich besteht aber in der Sicherheit

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des Königs und darin, dass er die Macht hat, die notwendig ist, um sein Volk sowohl gegen ausländische Feinde als auch gegen aufrührerische Untertanen zu verteidigen.77 Daraus schließe ich, [1.] dass der Plan, d. h. die Absicht, den jeweiligen König zu töten, Hochverrat war, bevor dieses geschriebene Gesetz geschaffen wurde: denn dies bedeutet, den Bürgerkrieg und die Vernichtung des Volkes zu planen. 2. Auch die Absicht, die Ehegattin des Königs zu töten oder ihre Keuschheit wie auch die der Frau des rechtmäßigen Erben des Königs oder die Keuschheit seiner ältesten unverheirateten Tochter zu schänden, muss schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes Hochverrat gewesen sein. Denn dies führt zur Vernichtung der Eindeutigkeit in Bezug auf die Nachkommenschaft des Königs und infolgedessen beim Thronwechsel zu Kontroversen über die Krone und zum Untergang des Volkes im Bürgerkrieg. 3. Innerhalb des Reiches einen Krieg gegen den König zu beginnen und seine inneren oder äußeren Feinde zu unterstützen, führt zum Untergang oder zur Enterbung des Königs und war daher Hochverrat schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes des Gemeinen Rechts. 4. Das Fälschen der bedeutendsten Siegel des Königreiches, durch die der König sein Volk regiert, führt zur Zerrüttung der Regierung und folglich zum Untergang des Volkes und war daher schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes Hochverrat. 5. Wenn ein Soldat in Kriegszeiten den Tod seines Generals oder eines anderen Offiziers plant oder wenn sich ein Hauptmann mit seinen Truppen verdächtig zurückhält in der Absicht, die Gunst dessen zu gewinnen, der die größte Chance hat, den Sieg zu erringen, so führt dies sowohl zum Untergang des Königs als auch seines Volkes, gleich, ob jener anwesend war oder nicht; es war daher schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes Hochverrat. 6. Wenn ein Mensch den König gefangen hält, macht er ihn unfähig, sein Volk zu schützen; auch dies war schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes Hochverrat. 7. Wenn jemand in der Absicht, Aufruhr gegen den König anzustiften, in Wort oder Schrift leugnete, dass der regierende König der recht-

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mäßige Herrscher sei, wobei doch derjenige, der solche Worte schrieb, predigte oder aussprach, unter dem Schutz der Gesetze des Königs lebte, dann war dies schon aus besagten Gründen und vor der Verabschiedung dieses Gesetzes Hochverrat. Vielleicht gibt es auch noch andere Fälle aufgrund dieses Gesetzes, die ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann; die Tötung eines Richters oder eines anderen Beamten, wie das Gesetz spricht, ist jedoch nur nach ebendiesem geschriebenen Gesetz Hochverrat. Und um zu entscheiden, was nach dem Gemeinen Recht Hochverrat ist im Vergleich zu anderen geringeren Verbrechen, muss man in Betracht ziehen, dass ein solcher Hochverrat alle Gesetze mit einem Schlage außer Kraft setzen würde. Wenn also ein Untertan so etwas tut, ist der Verrat ein Rückfall in Feindschaft, der Verräter kann folglich so behandelt werden, wie man nach dem Vernunftrecht mit gemeinen und hinterhältigen Feinden verfährt. Hingegen besteht das schwerste der anderen Verbrechen meistens nur darin, dass ein Gesetz oder e­ inige wenige gebrochen werden. J  Gleich, ob das, was du sagst, wahr oder falsch ist; die Lage ist heute eindeutig, und zwar durch ein Gesetz, das in den ersten beiden Regierungsjahren der Königin Maria (Tudor, 1553–1558) erlassen wurde. Danach kann man, außer den wenigen Vergehen, die in dem Parlamentsbeschluss Eduard III, 25 (1351) besonders erwähnt worden sind, nichts als Verrat bezeichnen. P  Unter diesen schweren Verbrechen ist das schwerste dasjenige, das von dem verübt wird, der das Vertrauen und die Liebe desjenigen genoss, dessen Tod er plante. Denn man kann sich nicht hinreichend vor denjenigen hüten, von denen man glaubt, dass man sie sich verpflichtet hat, während man von einem offenen Feind schon vor der Tat gewarnt ist. Und aus diesem Grund erklärt das Gesetz, dass es eine andere Art von Verrat bedeutet, wenn ein Diener seinen Herrn oder seine Herrin oder eine Frau ihren Ehemann oder ein Geistlicher seinen Prälaten tötet. Und obwohl es nicht im Wortlaut des Gesetzes enthalten ist, halte ich es auch für schweren Verrat, wenn ein lehenspflichtiger Pächter,

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der durch Lehenspflicht und Lehenseid Land zu eigen hält, seinen Lehensherrn tötet, denn Lehenstreue ist ein Treueeid dem Lehensherrn gegenüber, und dieser Eid kann nur gebrochen werden, wenn in ihm etwas beschworen ist, was gegen den König gerichtet ist. Denn Lehenstreue bedeutet, wie es in einem Gesetz von Eduard II, 17 (1323) ausgedrückt ist, das höchste Maß an Unterordnung, der größte Gehorsam, dem ein Mann sich gegenüber einem anderen unterwerfen kann. Denn der Lehensmann legt seine Hände zusammen in die Hände seines Lehensherrn und spricht dabei folgendes: »Ich werde von diesem Tag an auf Lebenszeit mit meinem Leib und zu meiner weltlichen Ehre dein Lehensmann und schulde dir Treue für die Ländereien, die ich von dir zu Lehen nehme, ausgenommen die Treue, die ich unserem Herrn dem König und meinen anderen Herren schulde.« Diese Huldigung ist, wenn sie dem König gegenüber geleistet wird, gleichbedeutend mit einem Versprechen uneingeschränkten Gehorsams, und wenn sie einem anderen Herrn gegenüber geleistet wird, ist nur die Treue dem König gegenüber von ihr ausgenommen, und das, was Lehenstreue genannt wird, ist das Gleiche, nur durch einen Schwur bekräftigt. J  Aber Sir Coke bestreitet in Inst., III, S.  11, dass ein Verräter im rechtlichen Sinne auch ein Feind des Königs ist. Feinde, so sagt er, sind diejenigen, die nicht unter die Treuepflicht gegenüber dem König fallen, und seine Begründung lautet folgendermaßen: Wenn ein Untertan sich mit einem ausländischen Feind zusammenschließt, mit ihm nach England kommt und hier gefangengenommen und verurteilt wird, soll er nicht gegen ein Lösegeld freigegeben werden und es soll mit ihm nicht wie mit einem Feind verfahren werden, vielmehr soll er als Verräter vor den König geführt werden. Hingegen soll ein in offener Feindschaft gekommener und gefangengenommener Feind entweder durch Kriegsrecht hingerichtet oder gegen ein Lösegeld freigegeben werden. Dieser kann nämlich nicht des Verrats angeklagt werden, da er niemals unter dem Schutz und der Gerichtsbarkeit

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des Königs stand und es in der Anklage auf Verrat Contra Ligean­ tiam suam debitam (»Gegen die geschuldete Lehnstreue«) heißt. P  Dies ist als Argument nicht einmal des niedersten Winkeladvokaten wert. Glaubte Sir Coke tatsächlich, ein König könne jemanden nicht mit vollem Recht und ohne formelle Anklage töten, wenn es klar erwiesen ist, dass derjenige ein erklärter Feind war?78 Diese formelle Anklage ist eine für England eigentümliche Art des Vorgehens, die auf Befehl eines Königs von England zurückgeht, heute noch beibehalten wird und daher für England Gesetz ist. Aber wenn es nicht rechtens wäre, einen Menschen auch auf andere Weise als nach einer solchen formellen Anklage hinzurichten, könnte kein Mensch in irgendeiner anderen Nation exekutiert werden, da sie nicht wie wir aufgrund dieser formellen Anklage verfahren. Und wenn ein offener Feind gefangen und nach dem Kriegsrecht hingerichtet wird, ist es nicht das Gesetz des Generals oder des Kriegsrats, aufgrund dessen mit dem Feind so verfahren wird, sondern das Gesetz des Königs, von dem sie die Vollmacht dazu haben. Und die Könige, deren Willen hier allein ausschlaggebend war, konnten von Fall zu Fall entscheiden, ob ein erklärter Feind bei Gefangennahme hingerichtet werden sollte oder nicht und auf welche Weise oder ob und zu welchem Preis er gegen ein Lösegeld freigegeben werden sollte oder nicht. Und was nun den Verrat durch Rebellion betrifft, ist es nicht ein Rückfall in offene Feindschaft? Was sonst bedeutet eine Rebellion?79 Wilhelm der Eroberer unterwarf dieses Königreich, ­einige tötete er, einigen gewährte er Gnade aufgrund des Versprechens zukünftigen Gehorsams: Sie wurden seine Untertanen und schworen ihm Treue. Wenn sie daher den Krieg gegen ihn wieder aufnehmen, sind sie dann nicht wieder offene Feinde? Und wenn jemand, der sich unter dem Schutz der Gesetze verborgen hält, eine Gelegenheit sucht, den König heimlich zu töten, und dessen überführt wird; müsste er dann nicht wie ein Feind behandelt werden, weil er, auch wenn er seinen Plan nicht ausgeführt hat, doch in jedem Fall eine feindliche Absicht hegte? Erklärte nicht

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das »Lange Parlament« alle diejenigen zu Staatsfeinden, die seinem Vorgehen gegen den ermordeten König Widerstand leisteten? Aber Sir Coke unterscheidet selten genau, wenn es zwei verschiedene Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache gibt. Auch wenn die eine die andere umfasst, stellt er doch künstliche Unterschiede zwischen ihnen her, als ob ein und derselbe Mensch nicht sowohl ein Feind als auch ein Verräter sein könne. Aber lass’ uns nun zu seinem Kommentar über dieses Gesetz kommen. Das Gesetz sagt in seiner englischen Fassung, dass, wenn ein Mensch den Tod unseres Herrn des Königs plant oder beabsichtigt usw. Was ist nun die Bedeutung des Wortes planen oder beabsich­tigen? J  An dieser Stelle sagt Sir Coke, dass, bevor dieses Gesetz erlassen wurde Voluntas reputabatur pro facto, d. h., dass der Wunsch mit der Tat selbst gleichgesetzt wurde. Eben dies sagt auch Bracton: »Spectatur voluntas, et non exitus; et nihil interest utrum quis occidat, aut causam [mortis] praebeat.« (»Nicht [allein] das Ergebnis, sondern [schon] die Absicht muss in Betracht gezogen werden; es ist kein Unterschied, ob jemand tötet oder ob er die Absicht dazu offenkundig macht.«) Es geht also um die offenkundige Absicht des Tötens. Nun sagt Sir Coke, dass dies vor der Verabschiedung jenes Gesetzes geltendes Recht war. Offenkundige Tötungsabsicht liege aber erst dann vor, wenn man dieselbe durch irgendeine wirkliche Tat, die schon zur Ausführung der Absicht gehört oder die Todesursache sein könnte, deutlich macht. P  Gibt es irgendeinen Engländer, der verstehen kann, dass es dasselbe sein soll, den Tod eines Menschen tatsächlich zu verursachen oder nur diese Absicht zu erklären? Wenn dies aber so wäre und wenn es vor der Verabschiedung des geschriebenen Gesetzes Gemeines Recht war, durch welche Worte im Gesetz wurde es dann anders bestimmt? J  Es wurde nicht anders bestimmt, aber die Art der Beweisführung wird neu festgelegt; die Absicht muss durch eine wirk-

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liche Handlung, wie zum Beispiel durch die Bereitstellung von Waffen, Pulver, Gift oder durch die Erprobung von Waffen und das Absenden von Briefen, bewiesen werden. P  Aber aus was besteht das Verbrechen an sich, welches das Gesetz als Verrat bezeichnet? Denn wie ich die Worte den Tod des Königs ›planen‹ oder ›beabsichtigen‹ usw. verstehe, wird schon der Plan oder die Absicht, so wie es in der englischen Sprache heißt, als Hochverrat betrachtet. Also ist nicht nur die Tötung, sondern schon der Plan Hochverrat. Ebenso heißt es in dem in französischer Sprache abgefassten Protokoll Fait Compasser, das bedeutet, dass es Hochverrat ist, andere Menschen zu veranlassen, den Tod des Königs zu beabsichtigen oder zu planen, und bei den Worten par overt fair geht es nicht um eine genaue Erläuterung des Verrats oder anderer Verbrechen, sondern um eine Erläuterung der Art des Beweises, der vom Gesetz gefordert wird. Welchen anderen Beweis außer geschriebenen oder gesprochenen Worten kann es für das Verbrechen, die Tötung des Königs zu beabsichtigen oder zu planen oder sie zu veranlassen geben, wenn der Angeklagte diese Absicht in seinem Innersten für sich behält? Und wenn es daher hinreichende Beweise gibt, dass der Angeklagte solch einen Plan hatte, steht es außer Frage, dass er unter dieses Gesetz fällt. Sir Coke bestreitet nicht, dass, falls jemand einen solchen Plan in Wort oder Schrift zugibt, er unter das Gesetz fällt. Was die allgemein bekannte Redensart betrifft, dass bloße Worte zwar einen Ketzer, aber keinen Verräter ausmachen, deren sich Sir Coke bei dieser Gelegenheit bedient, so ist sie von geringer Bedeutung. Denn dieses Gesetz erklärt nicht die Worte an sich zum Hochverrat, sondern die Intention, wovon die Worte nur Zeugnis ablegen. Außerdem ist jene Redensart, so wie sie im Allgemeinen benutzt wird, ohnehin falsch, denn es gab verschiedene, heute freilich nicht mehr geltende Gesetze, nach denen bloße Äußerungen, ohne dass irgendeine andere Tat folgte, schon Verrat seien, wenn, wie es in Elisabeth (I) 1, 6 (1558) und Elisabeth (I) 13, 1 (1570) heißt, jemand öffentlich lehrt, der König

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sei ein Usurpator oder das Recht auf die Krone stehe e­ inem anderen als dem zur Zeit regierenden König zu, so wäre dies nicht nur nach dem Gesetz Eduards III., sondern auch nach dem Gesetz Eduard VI., 1, 12 (1457), die heute noch beide in Kraft sind, unbestreitbar Verrat. J  Nicht nur das, sondern auch wenn ein Untertan einem anderen raten sollte, den König, die Königin oder den rechtmäßigen Kronerben zu töten, würde es heutzutage als Hochverrat verurteilt werden, obwohl es sich auch dabei um bloße Worte handeln würde. Im dritten Regierungsjahr von König Jakob (1605) erteilte der Jesuitenpater Henry Garnet einigen der »Gunpowder-Verräter«80, die ihm ihr Vorhaben durch die Beichte offenbart hatten, Absolution, ohne sich zu bemühen, ihren Plan zu verhindern oder andere Vorsichtsmaßnahmen gegen diese sich ergebende Gefahr zu ergreifen, und wurde deshalb als Verräter verurteilt und hingerichtet, obwohl auch diese Absolution nichts anderes war als bloße Worte. Auch entnehme ich den Protokollen von Sir John Davis, dem ersten Kronanwalt Irlands81, dass zur Zeit König Heinrichs VI. ein Mann wegen Hochverrats verurteilt worden ist, weil er den König als einen von Geburt an Schwachsinnigen und als unfähig zu regieren bezeichnet hatte. Dennoch ist dieser Paragraph in dem Gesetz von Eduard III., nämlich, dass der entsprechende Plan durch einen offenbaren Akt bewiesen werden müsse, von den Schöpfern dieses Gesetzes mit weiser Voraussicht eingefügt worden. Denn Sir Coke hat sehr genau bemerkt, dass Zeugen, wenn sie nur in Bezug auf mündliche Äußerungen vernommen werden, niemals oder sehr selten in der genauen Bedeutung der Wörter, die gehört zu haben sie durch einen Eid ­beschwören, übereinstimmen. P  Ich bestreite nicht, dass dies in der Tat weise war. Aber die Frage hier bezieht sich nicht auf den Verrat, sei er vollendete Tatsache oder bloße Absicht, sondern auf die Beweise, die, falls darüber Zweifel bestehen, von einer Jury, bestehend aus zwölf gesetzlich bestellten Männern, beurteilt werden müssen. Was, glaubst

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du, ist nun ein besserer Beweis, dass jemand die Absicht hat zu töten, wenn er dies mit seinen eigenen Worten bekundet, so dass es bezeugt werden kann, oder wenn er sich nur Waffen, Pulver und Gift beschafft oder Waffen erprobt? Wenn er seinen Plan durch Worte äußert, haben die Geschworenen nichts weiter zu tun, als die Rechtmäßigkeit der Zeugen, die Übereinstimmung ihrer Aussagen oder die Tatsache, ob die Worte auch wirklich einen Vorsatz bedeuten, zu beurteilen. Denn die Worte könnten auch nur in einer rhetorischen Übung gefallen sein oder der, der sie aussprach, könnte seines Verstandes nicht mächtig gewesen sein oder vielleicht den Plan oder den Wunsch, das, wovon er sprach, in die Tat umzusetzen, gar nicht wirklich gehabt haben. Aber wie die Geschworenen aus der Bereitstellung oder dem Kauf von Waffen und Schießpulver oder aus einer anderen Handlung, die an sich kein Verrat ist, auf einen Plan zur Tötung des Königs schließen können, wenn nicht auch einige Äußerungen vorliegen, die darauf hindeuten, zu welchem Zweck diese Vorkehrungen getroffen wurden, kann ich mir nicht ohne weiteres vorstellen. Also sollten die Geschworenen vernünftigerweise nach Beurteilung des gesamten Falles, der Worte und der Taten, urteilen, ob es sich um Absicht oder nicht handelt. Aber um auf den Verrat bezüglich des Fälschens des Groß- oder Geheimsiegels zurückzukommen, warum sind nicht alle diese Täuschungen genauso wie die Herstellung eines falschen Siegels Hochverrat, angesichts der Tatsache, dass es für einen betrügerischen Zeitgenossen viele Möglichkeiten gibt, diese Siegel anzuwenden, um König und Volk zu betrügen? J  Sie sind in der Tat Hochverrat. Sir Coke führt ein Protokoll über jemanden an, der zum Richtplatz geführt und gehängt wurde, weil er ein Siegel von einer ungültig gewordenen Urkunde entfernt und an eine gefälschte Vollmacht angebracht hatte, mittels deren er sich bereichern wollte. Aber er billigte das Urteil nicht, da es sich nur auf gewöhnlichen Betrug bezog. Die Geschworenen hatten den Betreffenden nicht für das Vergehen, das

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in der Anklage gemeint war, nämlich die missbräuchliche Verwendung des Großsiegels, für schuldig befunden, sondern er wurde in Bezug auf die besonderen Umstände des Falles zum Richtplatz geführt und gehängt. P  Welchen Grund hatten denn die Geschworenen oder der Richter, auf Verrat zu befinden, wenn die Entfernung des Großsiegels von einem Dokument und dessen Anbringung an ein ande­res von den Geschworenen ebenso wenig als Hochverrat angesehen wurde, wie aufgrund der besonderen Umstände die in dem gleichen Gesetz genannte andere Art des Verrats in Betracht kam? J  Das kann ich nicht sagen. Sir Coke scheint es für ein falsches Protokoll zu halten, denn er sagt darauf zur Warnung des Lesers, dass hieraus ersichtlich wird, wie gefährlich es ist, über einen Fall nur aufgrund von Hörensagen zu berichten. P  Das ist wahr, aber er macht nicht deutlich, inwiefern es sich um ein falsches Protokoll handelte, behauptet hingegen, das besagte Protokoll genau studiert zu haben, und jenen Verdacht kann man, wenn nicht das Gegenteil bewiesen werden kann, gegen jedes Protokoll erheben. Da das Verbrechen in diesem Fall das gleiche Unheil verursacht wie eine Fälschung, halte ich es für meinen Teil für vernünftig, dass es unter dieses Gesetz fällt. Und was den Unterschied zwischen der Art der Strafe angeht, so ist es nicht wert, dass man ihm besondere Beachtung schenkt, da es sich ja in beiden Fällen um die Todesstrafe handelt. Der Tod, der Ultimum supplicium (»Äußerste Strafe«) ist, tut in jedem Fall dem Gesetz Genüge, wie Sir Coke selbst an anderer Stelle bestätigt hat. Aber lass’ uns nun zu anderen Verbrechen übergehen. J  Eines, das mit dem vorigen zusammenhängt, ist die Nicht­ anzeige von Hochverrat. Dieses Verbrechen besteht in der Verheimlichung des Verrats durch einen Menschen, der davon Kenntnis besitzt, und sein Name kommt von dem französischen »mespriser«, was verachten oder geringschätzen bedeutet. Denn es ist kein geringes Verbrechen irgendeines Untertans, wenn er

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sich eine ihm bekannte Gefahr für die Person des Königs und damit für das gesamte Königreich so wenig zu Herzen nimmt, dass er nicht nur nicht versucht herauszufinden, was er davon weiß, sondern auch was er darüber vermutet, so dass die Wahrheit heraus­gefunden werden kann. Auch soll der Informant, wenn die Sache sich als falsch erweist, nicht, so meine ich, für einen falschen Ankläger gehalten werden, wenn er für das, was er behauptet, einen vernünftigen Grund und sein Verdacht eine gewisse Plausibilität hat. Denn sonst erschiene die Verheimlichung durch das jedem Menschen zustehende Recht, Schmerz und Schaden für seine Person zu vermeiden, gerechtfertigt. P  Dem stimme ich zu. J  Alle anderen bloß weltlichen Vergehen werden als Felonie oder Schwerverbrechen bezeichnet. P  Was bedeutet das Wort Felonie? Bedeutet es etwas, das seinem Wesen nach ein Verbrechen ist, oder das, was durch ein Gesetz zum Verbrechen erklärt wird? Denn ich erinnere mich, dass es gemäß gewissen Gesetzen Felonie ist, Pferde und einige andere Dinge auszuführen. Vor der Verabschiedung solcher Gesetze und nach ihrer Aufhebung war so etwas ebenso wenig ein Verbrechen wie jeder andere gewöhnliche Handelsverkehr von Kaufleuten. J  Sir Coke leitet das Wort Felonie von dem lateinischen »Fel« ab, was die Galle eines lebenden Wesens bedeutet. Dementsprechend definiert er Felonie als einen Akt Animo Felleo, d. h. einen schmerzlichen oder grausamen Akt. P  Die Etymologie ist keine Definition, obgleich sie, wenn sie richtig ist, viel zur Ermittlung einer Definition beitragen kann. Aber diese von Sir Coke ist ziemlich unwahrscheinlich, denn durch das geschriebene Gesetz werden viele Dinge zu Felonien erklärt, die überhaupt nicht von der Bitterkeit der Seele herrühren, und viele, die dem Gegenteil entspringen. J  Dies müsste Gegenstand einer kritischen Untersuchung sein, die Kenntnis der Geschichte und fremder Sprachen voraussetzt; und du weißt wahrscheinlich mehr darüber als ich.

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P  Alles, was ich oder sonst jemand meiner Ansicht nach zu dieser Sache sagen kann, wird auf nichts weiter als auf eine plausible Vermutung hinauslaufen, mit der eine kontroverse Rechtsauffassung keinesfalls gestützt werden könnte. Das Wort findet sich weder in einem der alten sächsischen Gesetze, die von Lambert82 veröffentlicht wurden, noch in einem gedruckten Gesetz vor der Magna Carta, erst dort findet es sich. Nun wurde die Magna Carta zur Zeit Heinrichs III. (1216–1272) verfasst, ­einem Enkel Heinrichs II. (1154–1189), Herzog von Anjou, einem gebürtigen Franzosen, der im Herzen Frankreichs aufgewachsen war und dessen Sprache höchstwahrscheinlich noch viele Wörter seiner fränkischen Vorfahren enthielt, so wie unsere viele von den Sachsen beibehalten hat. Er behielt auch viele Wörter aus der Sprache der Gallier bei, wie diese wiederum manches aus dem Griechischen beibehielten, weil Marseille eine griechische Siedlung war. Jedenfalls wenden die französischen Rechtsgelehrten heutzutage genauso wie auch unsere Juristen das Wort Felonie an, während die einfachen Bürger Frankreichs das Wort »Filou« in der gleichen Bedeutung verwenden. Aber »Filou« bezeichnet nicht den Mann, der einmal eine solche, Felonie genannte Tat begangen hat, sondern einen Mann, der gewohnheitsmäßig seinen Lebensunterhalt durch den Bruch und die generelle Missachtung aller Gesetze bestreitet. Der Begriff bezeichnet also alle jene Gesetzlosen, wie Betrüger, Beutelschneider, Einbrecher, Kleiderdiebe, Falschmünzer, Fälscher, Diebe, Räuber, Mörder und solche, die an Land oder auf See aus der Gesetzlosigkeit einen Beruf machen. Die Griechen an der Küste Asiens, wo Homer lebte, waren diejenigen, die die Kolonie Marseille gründeten. Sie hatten ein Wort, das dasselbe bedeutete wie »Felon«, und zwar »Filetes«, und dieser »Filetes« Homers bedeutete genau dasselbe, was bei uns »Felon« heißt, und deshalb ließ Homer den Merkur von Apollo φιλήτην und ἄρχος φιλήτων nennen. Ich bestehe nicht auf der Richtigkeit dieser Etymologie, aber sie ist sicherlich plausibler als Sir Cokes Animus Felleus. Und in Bezug auf die Sache selbst

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ist es deutlich, dass das, was wir heute als Mord, Raub, Diebstahl oder andere Praktiken von »Felons« bezeichnen, eben das ist, was wir als Felonie und als Verbrechen an sich, also noch vor jedem geschriebenen Gesetz, bezeichnen. Es ist ja auch nicht die Art der Bestrafung, nach der man das Wesen eines Verbrechens bestimmt, sondern die Gesinnung des Täters und das Unheil, das er beabsichtigt, die zusammen mit den Umständen von Person, Zeit und Ort in Betracht gezogen werden. J  Von den Felonien ist Mord das abscheulichste. P  Und was ist Mord? J  Mord ist die vorbedachte, böswillige Tötung eines Menschen mit einer Waffe, Gift oder auf irgendeine Weise, wenn sie vorsätzlich geschieht, oder anders gesagt, Mord ist die kaltblütige Tötung eines Menschen. P  Ich glaube, es gibt eine gute Definition von Mord in dem Gesetz Heinrich III, 52, 25 (1267); sie lautet folgendermaßen: Auf Mord soll von nun an nicht mehr in unseren Gerichtshöfen befunden werden, wenn es sich um einen Unfall handelt, sondern nur dort, wo der Totschlag aus Felonie erfolgte. Und Sir Coke, der dieses Gesetz in Inst., II, S.  148, interpretiert, sagt, dass, bevor dieses Gesetz erlassen wurde, der Übelstand darin lag, dass, wenn ein Mensch durch einen Unfall oder auch durch eine nicht gegen das Gesetz gerichtete Handlung unabsichtlich getötet wurde, dies als Mord abgeurteilt wurde. Aber ich finde dafür weder e­ inen Beweis, noch finde ich ein solches Gesetz unter den sächsischen Gesetzen, die von Lambert veröffentlicht wurden. Denn das Wort stammt, wie Sir Coke angibt, aus dem Altsächsischen und bedeutete darin nichts weiter, als dass ein Mann auf freiem Feld oder anderswo getötet wurde und dass der Täter nicht bekannt war. Und entsprechend definierte Bracton, der zur Zeit der Magna Carta lebte, in Fol. 134: »Mord ist die heimliche Tötung eines Menschen, d. h., dass niemand außer dem Täter und seinen Gefährten die Tat gesehen hat oder davon wusste, so dass weder der Täter bekannt war noch eine sofortige Verfolgung ein-

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geleitet werden konnte.« Deshalb wurde jede solche Tötung als Mord bezeichnet, bevor es bekannt sein konnte, ob es ein Kapitalverbrechen sein könnte oder nicht, denn ein Mann kann auch tot aufgefunden werden, wenn er sich selbst umgebracht hat oder von einem anderen rechtmäßig getötet worden ist. Der Ausdruck »Mord« wurde umso furchterregender, insofern die Tat heimlich begangen worden war. Denn die Heimlichkeit erinnerte jeden Menschen daran, dass er der gleichen Gefahr ausgesetzt sei, und der, der die Leiche sah, erschrak bei ihrem Anblick, wie es ein Pferd beim Anblick eines toten Pferdes tut. Um dem Mord zu begegnen, hatten sie strenge Gesetze, nach denen die Grafschaft, in der der Mord verübt worden war, mit einer Geldstrafe belegt wurde, deren Höhe durch das Gesetz als Preis für das Leben des Ermordeten festgesetzt worden war. Denn in jenen Tagen wurde das Leben der Menschen je nach einem Geldwert bemessen, und dieser Wert war im geschriebenen Gesetz festgelegt. Und deshalb irrte sich Sir Coke, als er annahm, dass die unbeabsichtigte Tötung eines Menschen vor der Verabschiedung des Gesetzes von Marlebridge als Mord behandelt worden wäre. Die heimlichen Morde wurden vom Volk verabscheut, da man zur Zahlung einer so großen Geldstrafe verurteilt wurde, nur weil der Täter entkommen war. Diese Beschwernis wurde zur Zeit der Regierung von Knut dem Großen (1016–1035) insofern erleichtert, als er ein Gesetz machte, nach dem die Grafschaft nur dann zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt werden sollte, wenn der Getötete ein Engländer war. Handelte es sich aber um einen »Franzosen« (unter dieser Bezeichnung waren alle Ausländer und besonders die Normannen zusammengefasst), so wurde die Gemeinde, auch wenn der Mörder entkam, nicht mit einer Geldstrafe belegt. Und dieses Gesetz wurde erst in der 14. Parlamentssitzung unter König Eduard III. aufgehoben, obwohl es in dem Fall, dass ein Engländer auf diese Weise umkam, für seine Freunde schwierig und fast unzumutbar war zu beweisen, dass der Ermordete ein Engländer war; außerdem war es gegen die Vernunft, einem

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Fremden die Gerechtigkeit zu verweigern. Daran wird deutlich, dass Mord nur durch das Gesetzesrecht vom Totschlag unterschieden wird und nicht durch irgendein ungeschriebenes Gemeines Recht. Und dies ist die allgemeine Bedeutung von Felonie. J  Ebenso fällt darunter der gemeine Verrat und meiner Meinung nach auch der Hochverrat, denn in dem obengenannten Gesetz Eduard III, 25, (1351), betreffend die verschiedenen Arten des Verrats, gibt es einen solchen Paragraphen. Und da es in Zukunft eine Menge anderer ähnlicher Fälle von Verrat geben mag, die man sich heute weder vorstellen noch bezeichnen kann, ist verfügt worden, dass, wenn irgendein Fall, bei dem der Verdacht auf Verrat naheliegt, ohne dass dies, wie oben deutlich gemacht, im Einzelnen schon aufgeführt wäre, vor einen Gerichtshof kommt, die Richter, ohne zu entscheiden, ob es sich um Verrat handelt, abwarten sollen, bis der Fall vor den König und sein Parlament gebracht und dort entschieden worden ist, ob es Verrat oder ein anderes Kapitalverbrechen ist. Darin zeigt sich, dass König und Parlament Verrat als Felonie betrachteten. P  Ich bin der gleichen Ansicht. J  Aber Sir Coke bestreitet, dass dies heute der Fall ist, denn in Inst., I, Sect. 745, sagt er zum Begriff der Felonie, dass in alten Zeiten die Bezeichnung ›Felonie‹ so weit reichte, dass sie den Hochverrat einschloss. – Danach sei jedoch beschlossen worden, dass die Bezeichnung ›Felonie‹ in einem Gnadenerlass oder in einer entsprechenden Carta des Königs nur auf »gewöhnliche Felonien« bezogen werden sollte. – Und heute schließt der Begriff Felonie nach dem Gesetz gemeinen Verrat, Mord, Totschlag, Brandstiftung, Einbruchdiebstahl, Raub, Notzucht usw. sowie Körperverletzung oder Totschlag in Notwehr oder Affekt und niederen Diebstahl ein. P  Er sagt, »es sei beschlossen worden«, aber durch wen? J  Durch die Assisenrichter zur Zeit Heinrichs IV., wie man aus den Marginalien schließen kann.

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P  Haben denn die Assisenrichter aufgrund ihrer Amtsvollmacht irgendeine Befugnis, die Landessprache und den gültigen Sinn von Worten zu verändern? Wird es den Richtern überlassen zu entscheiden, in welchem Fall eine Felonie vorliegt, so wie es durch ein Gesetz dem Parlament überlassen ist zu entscheiden, in welchem Fall ein Verrat vorliegt? Ich glaube nicht; allenfalls könnte man ihnen zugestehen, einen allgemeinen Gnadenerlass nicht auf Verrat auszudehnen, wenn dieser bei der Aufzählung der entsprechenden Felonien den Verrat nicht nennt und ihn auch nicht durch eine Darstellung des Tatbestandes umschreibt. J  Es gibt noch eine andere Art der Tötung, die einfach so – also Tötung – oder Totschlag genannt wird, die also nicht Mord ist. Sie liegt vor, wenn ein Mensch einen anderen in einem jäh entflammten Streit in der Hitze tötet. P  Wenn zwei Menschen sich auf der Straße treffen und darüber in Streit geraten, wer wem ausweichen soll, und daraufhin einen Kampf beginnen, in dessen Verlauf einer den anderen tötet, so glaube ich allerdings, dass derjenige, der zuerst sein Schwert zog, dies mit bösem, wenn auch nicht lange vorgefasstem Vorsatz tat, aber ob es Felonie ist oder nicht, mag dahingestellt sein. Es ist wahr, dass der zugefügte Schaden der gleiche ist wie bei Felonie, aber die Niedertracht der Intention war nicht annähernd so groß. Und gesetzt den Fall, es hätte eine niederträchtige Absicht bestanden, dann ist es durch das Gesetz von Marlebridge klar, dass es in der Tat Mord war. Und wenn ein Mensch aufgrund e­ iner Äußerung oder einer Lappalie sein Schwert ziehen sollte und einen anderen Menschen tötet, kann sich dann irgendjemand ­vorstellen, dass es keine vorausgegangene böswillige Absicht gab? J  Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein böser Vorsatz mehr oder weniger existierte, und deshalb sieht das Gesetz dafür die gleiche Strafe wie für den Mord vor, außer wenn der Täter dem Klerus angehört und deshalb Standesvorrechte geltend gemacht werden. P  Die Privilegierung des Klerus tritt auch in anderer Hinsicht in Erscheinung, aber eine abgemilderte Beurteilung des Verbre-

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chens kann dadurch nicht erfolgen, denn es handelt sich nur um ein Relikt des alten usurpierten päpstlichen Privilegs, das heute durch viele Gesetze so weit eingeschränkt ist, dass es sich nur noch auf einige wenige Vergehen bezieht. Es ist zu einer gesetzmäßigen Art geworden, mildernde Umstände zu veranschlagen, und zwar nicht nur bei Klerikern, sondern auch bei Laien. J  Wie du siehst, ist die Arbeit eines Richters sehr schwierig und erfordert einen Mann, der die Fähigkeit besitzt, die Verschiedenheit solcher Fälle zu erkennen, die der gesunde Menschenverstand für ein und dasselbe halten mag. Ein geringfügiger Umstand kann eine Sache in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen, so dass ein Mann, der nicht gut unterscheiden kann, das Amt eines Richters nicht auf sich nehmen sollte. P  Gut gesagt, denn wenn jeder Richter nur den Urteilen anderer Richter in Präzedenzfällen folgen würde, so würde alle Gerech­tigkeit in der Welt auf die Dauer von dem Urteil einiger weniger abhängen, die gelehrt, aber auch ungelehrt und unwissend sein mögen. Mit vernunftmäßiger Befassung hätte dies jedoch nichts mehr zu tun.83 J  Eine dritte Art von Tötung liegt vor, wenn ein Mensch e­ inen anderen entweder durch ein Versehen oder in Verteidigung seines Lebens oder in Verteidigung des Lebens des Königs oder seiner Gesetze tötet. Denn eine solche Tötung ist weder eine Felonie noch ein Verbrechen. Wenn jedoch, wie Sir Coke in Inst., III, S.  56, sagt, die ursprüngliche Handlung, in deren Verlauf einer e­ inen Menschen aus Versehen tötet, ungesetzlich ist, dann handelt es sich um Mord. Wenn also A. mit dem Vorsatz, einen Hirsch im Park von B. zu stehlen, auf das Wild schießt, und das Fehlgehen des Pfeiles einen in einem Busch versteckten Jungen tötet, so ist dies Mord, weil der ursprüngliche Vorsatz ungesetzlich war. Aber wenn der Besitzer des Parks, auf sein eigenes Wild schießend, das Gleiche getan hätte, wäre es ein Versehen und also keine Felonie. P  Diese Unterscheidung findet sich in keinem geschriebenen Gesetz: Sir Coke gibt hier nur seine eigene Ansicht als Allge-

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meinheit aus. Ich halte überhaupt nichts davon. Wenn ein Junge Äpfel stiehlt und vom Baum auf einen darunter stehenden Menschen fällt, diesem das Genick bricht, selbst aber mit dem Leben davonkommt, so scheint Sir Coke ihn dafür hängen lassen zu wollen, als ob er in böswilliger Absicht heruntergefallen wäre. Was in dieser Sache als Verbrechen bezeichnet werden kann, ist nichts als eine einfache Rechtsübertretung, die vielleicht einen Schaden von Sixpence oder einem Schilling ausmacht. Natürlich war die Übertretung ein Gesetzesverstoß, aber doch nicht das Herunterfallen. Und es war ja nicht jene Übertretung, sondern der Sturz, durch den der Mensch getötet wurde. Der Junge muss ebenso von der Schuld für die Tötung freigesprochen werden, wie er für die Rechtsübertretung Wiedergutmachung leisten muss. Aber ich glaube, der Grund für Sir Cokes Irrtum lag darin, dass er Bracton, den er in den Marginalien anführt, falsch verstanden hat, denn dieser sagt in Fol.  120 b Folgendes: Sed hic erit distinguendum, utrum quis dederit operam rei licitae, vel illicitae; si illicitae, ut si lapidem projiciebat quis versus locum per quem consueverunt homines transitum facere, vel dum inse­ quitur equum, vel bovem, et aliquis ab equo vel a bove percus­ sus fuerit, et hujusmodi, hoc imputator ei. Das bedeutet: »Aber hier müssen wir unterscheiden, ob ein Mensch aufgrund eines rechtmäßigen oder ungesetzlichen Vorhabens handelt; ungesetzlich wäre es, wenn er zum Beispiel einen Stein in eine Richtung schleudert, wo er mit vorübergehenden Menschen rechnen muss, oder wenn er dort ein Pferd oder einen Ochsen jagt und dadurch ein Mensch durch das Pferd oder den Ochsen verletzt wird, folglich soll ihm dies zur Last gelegt werden.« Und dies ist sehr vernünftig, denn die Ausübung ungesetzlicher Handlungen, wie sie hier gemeint sind, ist ein Hinweis für eine verwerfliche Absicht; zum mindesten aber dafür, dass der Betreffende es in Kauf nimmt, den einen oder anderen, gleichgültig wen, zu töten. Und dies ist schlimmer, als den Tod eines bestimmten Widersachers zu planen, was doch immerhin Mord ist. Und es ist

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im Gegenteil so, dass auch, wenn die Handlung eines Menschen an sich gesetzmäßig ist, es im Fall, dass jemand infolge dieser Handlung ungewollt getötet wird, diese Tötung als ein Verbrechen angesehen werden kann. Denn wenn ein Fuhrmann seinen Karren durch eine dichte Menschenmenge in Cheapside fährt und dadurch einen Menschen tötet, kann man vernunftgemäß schließen, dass er, obwohl er keinerlei böse Absicht gegen diesen bestimmten Menschen hegte, es angesichts der offensichtlichen Gefährlichkeit immerhin in Kauf nahm, den Tod des einen oder anderen Menschen, wenn auch nicht gerade dessen, der getötet wurde, zu verursachen. J  Auch derjenige begeht Felonie, der sich selbst absichtlich tötet. Nicht nur von den Gelehrten des Gemeinen Rechts, sondern auch in verschiedenen geschriebenen Gesetzen wird ein solcher als Felo de se bezeichnet. P  Und dies ist auch gut so, denn Bezeichnungen, die durch geschriebene Gesetze festgelegt wurden, kommen Definitionen gleich. Aber ich begreife nicht, wie ein Mensch Animum felleum oder so viel böse Absicht gegen sich selbst hegen kann, um sich selbst absichtlich zu verletzen, geschweige denn sich selbst zu töten, denn naturgemäß und notwendigerweise ist die Neigung jedes Menschen auf irgendein Gut gerichtet, das zu seiner Erhaltung beiträgt.84 Daher glaube ich, muss man, wenn jemand sich selbst tötet, annehmen, dass er nicht compos mentis (»bei klarem Verstand«) ist, sondern dass er durch irgendeine seelische Qual oder durch Vorstellungen von etwas, das für ihn schlimmer ist als der Tod, verwirrt ist. J  Nein, solange er nicht compos mentis ist, ist er kein Felo de se, wie Sir Coke in Inst., III, S.  54, sagt, und kann deshalb nicht als Felo de se verurteilt werden, wenn nicht zuerst bewiesen wird, dass er compos mentis war. P  Wie kann man dies bei einem Toten nachweisen, wenn es etwa keine Zeugen gibt, die beweisen, dass er kurz vor seinem Tod noch genauso redete wie andere Menschen normalerweise

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auch: Dies ist ein schwieriges Problem, und bevor man es als Gemeines Recht anerkennt, müsste es geklärt werden. J  Ich werde darüber nachdenken. Nun gibt es noch ein Gesetz, Heinrich VII, 3, 14 (1487), das den Plan irgendeines Angehörigen des Hofes, unterhalb des Ranges eines Lords, ein Mitglied des Kronrats zu töten, zur Felonie erklärt. Die Worte lauten folgendermaßen: dass von nun an der jeweilige Hofmeister, Schatzmeister und Oberaufseher des Hofes oder einer von diesen die volle Autorität und Amtsgewalt habe, durch zwölf seriöse Männer und verschwiegene Personen von der Namensliste des Schatzmeisters des ehrwürdigen königlichen Hofes untersuchen zu lassen, ob irgendein in seinem Amt eingeschworener und unterhalb eines Lords stehender Diener, dessen Name in die Liste des Schatzmeisters eingetragen ist, gleich auf welche Art, in welcher Amtsstellung oder in welchen Räumlichkeiten er seinen Dienst versieht, angeblich irgendwelche Komplotte, Pläne, Verschwörungen und geheime Ränke mit irgendeiner Person schmiedet, um den König, irgendeinen Lord dieses Reiches oder irgendeine andere dem Kronrat durch Eid verpflichtete Person, Hofmeister, Schatzmeister oder Oberaufseher des königlichen Hofes zu vernichten oder zu ermorden … Wenn solche Übeltäter aufgrund eines Geständnisses oder auf andere Weise für schuldig befunden werden sollten, soll das besagte Vergehen als Felonie verurteilt werden …« P  Nach diesem Gesetz scheint es, dass es nicht nur Felonie ist, den Tod eines Mitglieds des Kronrates, sondern auch den Tod irgendeines Lords dieses Reiches zu planen, wenn dies, wie du sagst, von irgendeinem der königlichen Diener des Hofes, der kein Lord ist, verübt wird. J  Nein, Sir Coke schließt aus diesen Worten in Inst., III, S.  38, dass die Bezeichnung »irgendein Lord dieses Reiches oder eine andere Person, die dem königlichen Rat durch Eid verpflichtet ist«, nur solche Lords umfasst, die auch Mitglieder des Kronrates sind.

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P  Indem er die Lords des Parlaments von diesem Privileg ausschließt, engt er das Gesetz meiner Ansicht nach ein wenig weiter ein, als sein Wortlaut es zulässt. Aber wie sollen solche Felonien verhandelt werden? J  Die formelle Anklage muss vor dem Hofmeister, dem Schatzmeister und dem Oberaufseher des königlichen Hofes oder vor einem von ihnen durch zwölf der königlichen Hofdiener erhoben werden. Die Geschworenen für das Verfahren müssen zwölf andere Diener des Königs sein, und die Richter sind wiederum der Hofmeister, der Schatzmeister und der Oberaufseher des königlichen Hofes oder zwei von ihnen. Allerdings muss ich feststellen, dass diese Männer gewöhnlich keine großen Rechts­gelehr­ ten sind. P  Du müsstest demnach einsehen, dass entweder König und Parlament sehr übel daran tun, wenn sie bis heute ständig solche Beamte als Richter in einem Prozess gemäß dem Gemeinen Recht auswählen, oder aber, dass Sir Coke zu weit geht, wenn er alle Gerichtsbarkeit sowohl nach Gesetz wie nach Billigkeit ausschließlich den Anwälten des Gemeinen Rechts zuspricht. Als ob weder Laien und Ehrenmänner noch irgendeiner der geistlichen Lords, die mit der Prüfung von Billigkeit und mit Gewissensfragen am besten vertraut sind, wenn ihnen die Gesetze vorgelesen und erläutert wurden, fähig wären, über deren Intention und Bedeutung zu entscheiden. Ich weiß, dass weder solche großen Persönlichkeiten noch Bischöfe normalerweise außerhalb ihrer gewöhnlichen Verpflichtungen so viel freie Zeit haben, um befähigt genug zu sein, Fälle vor Gericht zu verhandeln, aber sicherlich sind sie, und besonders die Bischöfe, die fähigsten Männer, in Vernunftsachen zu urteilen, und dies bedeutet, wie Sir Coke selbst zugibt, in Fällen gemäß dem Gemeinen Recht, Mord ausgenommen. J  Eine andere Art der Felonie, obwohl es sich dabei nicht um Totschlag handelt, ist Raub, den Sir Coke in Inst., III, S.  68, so definiert: »Raub ist gemäß dem Gemeinen Recht eine Felonie, die

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von einem Menschen durch einen tätlichen Angriff auf die Person eines anderen begangen wird, indem jener diesen in Angst versetzt und ihm sein Geld oder andere Wertgegenstände wegnimmt.« P  Raub wird durch kein geschriebenes Gesetz von Diebstahl unterschieden. »Latrocinium« schließt beide ein, und beide sind Felonie, die mit dem Tod bestraft wird. Und deshalb ist die rechte Art, sie zu unterscheiden, ausschließlich eine Sache der Vernunft. Und der erste, für jeden Menschen augenfällige Unterschied besteht darin, dass Raub durch Gewaltanwendung oder Einflößung von Schrecken begangen wird, aber Diebstahl nicht, denn Diebstahl ist eine heimliche Handlung und das, was durch Gewalt­ anwendung oder Einflößung von Schrecken entweder von der Person oder in ihrer Anwesenheit entwendet wird, ist immer Raub, aber wenn etwas heimlich, sei es bei Tag oder bei Nacht, von einer Person selbst, aus seiner Herde oder von seinem Weideland entwendet wird, wird dies als Diebstahl bezeichnet. Nur Gewaltanwendung und Betrug unterscheiden zwischen Diebstahl und Raub, die beide allein durch die Niedertracht ihres Vorsatzes ihrem Wesen nach Felonien sind. Aber es gibt für schlechte Menschen so viele Möglichkeiten, das Gesetz zu umgehen, dass ich nicht weiß, in welche Kategorie von Felonien ich sie einordnen soll, denn angenommen, ich betrete am Tag oder bei Nacht heimlich das reife Weizenfeld eines anderen, belade meinen Wagen mit Getreide und fahre ihn weg, ist dies dann Diebstahl oder Raub, also Felonie?85 J  Weder noch, es ist lediglich ein Verbrechen. Aber wenn du zuerst den geschnittenen Weizen auf die Erde legst und ihn dann auf deinen Wagen wirfst und ihn fortbringst, ist es Felonie. P  Warum ist dem so? J  Sir Coke nennt dir den Grund in Inst., III, S.  107, denn er definiert Diebstahl nach dem Gemeinen Recht als verbrecherische und betrügerische Art der Aneignung und Entwendung von persönlichem Eigentum eines anderen durch einen Mann oder Frau,

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wenn es nicht der Person des Eigentümers selbst abgenommen oder bei Nacht aus seinem Hause entwendet wird. Von dieser Definition ausgehend, argumentiert er auf S.  109 folgendermaßen: Jede Art von Korn oder Getreide auf dem Feld ist persönliches Eigentum und geht zunächst in die Hand der Testamentsvollstrecker über, auch wenn es als solches noch nicht geerntet ist. Jedoch kann an Korn und Getreide kein Diebstahl begangen werden, insofern das Getreide mit dem Grund und Boden verbunden ist: So ist es mit dem auf der Erde wachsenden Gras oder mit Äpfeln oder anderen Früchten usw., solange sie an den Bäumen hängen. Genauso verhält es sich mit einer Kiste oder Truhe mit Urkunden. Die Truhe als solche kommt bei Diebstahl nicht in Betracht, weil die Urkunden, insofern sie den Grund und Boden betreffen, den eigentlichen Wert darstellen, und die Truhe, mag sie auch in sich von großem Wert sein, gilt hier dem Wesen nach den Urkunden gleich. Omne magis dignum trahit ad se minus (»Der Wert des Geringeren bestimmt sich nach dem Größeren«). P  Ist diese Definition von irgendeinem geschriebenen G ­ esetz abgeleitet oder findet sie sich bei Bracton, Littleton oder bei ­einem anderen juristischen Autor? J  Nein, es ist seine eigene, aber an den in seinen Werken verstreuten logischen Unterscheidungen kann man erkennen, dass er als Logiker durchaus in der Lage war, Definitionen aufzustellen. P  Aber wenn seine eigenen Definitionen als Rechtsgrundsatz dienen sollen, gibt es dann irgendetwas, was er nicht nach seinem Belieben als Felonie definieren könnte? Wenn es nicht das Gesetzesrecht ist, das er beschreibt, dann müsste es entweder vollkommene Vernunft sein oder aber es ist überhaupt kein Recht. Mir scheint es jedenfalls so weit von der Vernunft entfernt zu sein, dass ich es für lächerlich halte. Wir wollen die Sache doch einmal näher betrachten. Er sagt, es gibt keinen Diebstahl von wachsendem Korn, Gras oder Früchten, das bedeutet, sie können nicht gestohlen werden, aber wieso? Weil sie mit dem Grund und Boden,

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d. h. mit dem Land, verbunden sind. Nun ist es wahr, dass man weder das Land noch den Besitzanspruch eines Menschen stehlen kann, aber Getreide, Bäume und Früchte können, obwohl sie wachsen, abgeschnitten, gefällt und heimlich auf verbrecherische Art in Missachtung und Entehrung des Gesetzes beiseitegeschafft werden. Und sind sie dann nicht gestohlen worden? Und kann man eine in verbrecherischer Absicht begangene Handlung nur als Übertretung bezeichnen? Kann irgendein Mensch, der der englischen Sprache mächtig ist, daran zweifeln? Wenn jemand einen Rechtsanspruch auf Ländereien erhebt und aufgrund dessen deren Früchte an sich nimmt, um auf diese Weise das ihm Zustehende in Besitz zu bekommen, ist es freilich nicht mehr als ein Vergehen, vorausgesetzt, er tut dies nicht heimlich. Denn in diesem Sonderfall ist es die Absicht, den vorherigen Besitzer lediglich dazu zu bringen, seinen Anspruch öffentlich darzulegen, und diese Absicht ist nicht verbrecherisch, sondern rechtmäßig. Denn allein der Vorsatz bestimmt, ob etwas Felonie ist oder nicht. Ich habe gehört, dass, wenn ein Mensch einen anderen bezichtigt, einen stehenden Baum gestohlen zu haben, kein Klagegrund vorliegt und dass aus diesem Grund das Stehlen eines stehenden Baumes unmöglich sei und dass die Ursache dieser Unmöglichkeit darin bestehe, dass der freie Grundbesitz eines Menschen nicht gestohlen werden kann. Dies ist jedoch ein sehr handgreiflicher Irrtum, denn freier Grundbesitz bedeutet nicht nur den Besitz, sondern auch den Besitzanspruch. Es ist wahr, dass der Besitz­a nspruch nicht gestohlen werden kann, aber jedermann sieht ein, dass stehende Bäume und Getreide am Halm sehr leicht gestohlen werden können. So weit, wie Bäume usw. Teil des freien Grundbesitzes sind, so weit sind sie auch privates Eigentum; denn jeder freie Grundbesitz geht als Erbmasse auf den Erben über, aber nur rein persönliches Eigentum kann den Testamentsvollstreckern überantwortet werden. Und obwohl ein Kasten oder eine Truhe mit Urkunden auf den Erben übergehen, kann dieser sie erst aus der Hand der Testamentsvollstrecker empfangen, es

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sei denn, du kannst mir ein positives Recht für das Gegenteil benennen. Außerdem ist es sehr unvernünftig, dass derjenige, der für einen Schilling Holz, das vom Wind herabgeweht wurde oder schon verrottet auf der Erde liegt, stiehlt, dafür gehängt werden soll, dass aber der, der einen Baum im Wert von 20 oder 40 Schillingen entwendet, nur für den Schaden haften soll. J  Dies ist ein wenig schwierig, aber es ist seit undenklichen Zeiten so praktiziert worden. Dann folgen Sodomie und Notzucht, die beide Felonie sind. P  Das weiß ich, und das Erstgenannte bezeichnet er zu Recht als verabscheuungswürdig, da es gewissermaßen einen Abfall von der menschlichen Natur bedeutet. Aber keine von diesen beiden Handlungen schließen so etwas wie Animus Felleus ein. Die geschriebenen Gesetze, nach denen sie Felonien sind, kann jeder nachlesen. Sir Cokes Kommentare sind jedoch so sorgfältig und detailliert, dass sie nicht frei von Anstößigkeiten sind, wir wollen sie deshalb übergehen und nur am Rande bemerken, dass er für einen impotenten Täter eine Lücke vorsieht, obwohl die Absicht eines solchen Täters die gleiche ist und er sie auch mit größtmöglicher Anstrengung verfolgt. J  Zwei andere schwere Felonien sind Einbruch und Brandstiftung, von denen keine durch irgendein geschriebenes Gesetz definiert ist. Die erstgenannte ist von Sir Coke in Inst., III, S.  63, folgendermaßen definiert: »Einbruchdiebstahl ist nach dem Gemeinen Recht das Eindringen in das Wohnhaus eines anderen nach Aufbrechen desselben bei Nacht und mit der Absicht, irgendein vernunftbegabtes Wesen zu töten oder ein anderes schweres Verbrechen in diesem Haus zu begehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Vorhaben ausgeführt wird oder nicht.« Und »Nacht« wäre dann, wenn man das Gesicht des anderen bei Tageslicht nicht wiedererkennen könnte. Und zu den Teilen eines Wohnhauses rechnet er alle Gebäude, die zur Haushaltung gehören, wie Scheunen, Ställe, Milchkammern, Speisekammer, Küche, Schlafzimmer usw. Aber der Einbruch in ein Haus am Tage, fällt, ob-

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wohl er Felonie ist und als Einbruchdiebstahl bestraft wird, nicht unter dieses Gesetz. P  Ich habe gegen seine Interpretation hier nichts einzuwenden, aber mir gefällt nicht, dass ein Privatmann sich anmaßen sollte zu entscheiden, ob das eine oder andere begangene Verbrechen unter den Geltungsbereich eines geschriebenen Gesetzes fallen sollte oder nicht, da es doch nur einer Jury von zwölf Männern zusteht zu beurteilen, ob der ihnen gegenüber offengelegte Tatbestand Einbruchdiebstahl, Raub, Diebstahl oder eine andere Felonie ist. Denn dies bedeutet, den Geschworenen eine Richtlinie für ihr Urteil vorzugeben; sie sollen aber nicht die Grundsätze irgendeines privaten Anwalts, sondern die Gesetze selbst, nachdem sie ihnen erläutert wurden, in Betracht ziehen. J  Auf S.  66 definiert Sir Coke Brandstiftung: Sie ist nach dem Gemeinen Recht eine Felonie, die jemand begeht, der mutwillig und vorsätzlich, am Tage oder bei Nacht, das Haus eines anderen niederbrennt. Hieraus schließt er, dass es sich, wenn ein Mensch Feuer an ein Haus legt, dies jedoch nicht brennt, nicht um ein Verbrechen im Sinne des Gesetzes handelt. P  Wenn jemand heimlich und vorsätzlich eine Menge Schießpulver unter das Haus eines anderen legt, die ausreicht, um dies in die Luft zu sprengen, eine Feuerleitung für die Sprengung legt und diese zündet und wenn dann durch Zufall die Sprengung verhindert wird, ist dies dann keine Brandstiftung? Oder was ist es dann, was ist es für ein Verbrechen? Es ist weder Verrat noch Mord, Einbruch, Raub oder Diebstahl noch überhaupt eine Rechtsübertretung, da ja kein Schaden verursacht wird, und es steht auch nicht im Gegensatz zu irgendeinem geschriebenen Gesetz. Da aber das Gemeine Recht das Gesetz der Vernunft ist, ist es doch jedenfalls eine Sünde, deren jemand angeklagt und für die er verurteilt werden kann, und folglich ist es auch ein Verbrechen, das in der böswilligen Absicht besteht. Soll der Täter dann nicht für den Versuch bestraft werden? Ich gebe zu, dass kein Richter eine Befugnis, die Bestrafung anzuordnen, aus dem

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IV.  Von den Kapitalverbrechen

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Gesetzesrecht, dem Gemeinen Recht oder aus seiner generellen Amtsgewalt ableiten kann. Aber zweifellos hat der König die Macht, ihn nach seinem Ermessen an Leib und Leben zu bestrafen und mit Zustimmung des Parlaments, oder auch ohne diese, dies Verbrechen in Zukunft zu einem Kapitalverbrechen zu machen. J  Ich weiß es nicht. Außer diesen Verbrechen gibt es Beschwörung, Hexerei, Magie und Zauberei, die nach dem geschriebenen Gesetz von Jakob (I), 1, 12 (1603) Kapitalverbrechen sind. P  Aber über dieses Thema möchte ich nicht sprechen, denn obwohl solche Verbrechen eine große Verderbtheit bezeichnen mögen, habe ich mich immer für zu dumm gehalten, zu verstehen, um was es hier eigentlich geht oder wieso der Teufel die Macht besitzt, solche Dinge zu tun, deren man die Hexen angeklagt hat.86 Lass’ uns nun zu Verbrechen kommen, die keine Kapitalverbrechen sind. J  Wir wollen doch nicht das Verbrechen der Ketzerei übergehen, das Sir Edw. Coke für noch schlimmer hält als Mord. Freilich werden die Erörterungen hierüber ein wenig weitläufig sein müssen. P  Lass’ es uns auf den Nachmittag verschieben.87

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V.  Ü BER KETZ ER EI

J  Was die Ketzerei angeht, so sagt Sir Coke in Inst., III, S.  39, dass fünf Dinge in Betracht gezogen werden müssen, nämlich 1. Wer die Richter über Ketzerei sind, 2. was als Ketzerei beurteilt werden soll, 3. wie das Urteil über einen Menschen lautet, der der Ketzerei schuldig erklärt worden ist, 4. was das Gesetz ihm erlaubt, um sein Leben zu retten, 5. was er durch das gegen ihn verhängte Urteil einbüßen soll. P  Das Wichtigste, nämlich die Ketzerei selbst, lässt er aus. Er erörtert nämlich weder, was sie ausmacht, aus welchem Tatbestand oder Äußerungen sie besteht und welches Recht, ob Gesetzesrecht oder das Gesetz der Vernunft, durch sie verletzt wird. Der Grund, warum er sich darüber ausschweigt, liegt vielleicht darin, dass die Frage nicht nur außerhalb seines Faches, sondern überhaupt außerhalb seines Wissens lag. Jedermann weiß, dass Mord, Raub, Diebstahl usw. böse sind und vom Gesetzesrecht zu Verbrechen erklärt werden, so dass jeder sie vermeiden kann, wenn er will. Aber wer kann sicher sein, Ketzerei zu vermeiden, wenn er es etwa wagt, Rechenschaft über seinen Glauben abzu­ legen, es sei denn, er weiß im Voraus, was Ketzerei ausmacht? J  In der Präambel des Gesetzes von Heinrich IV, 2, 15 (1400) ist Ketzerei als das Predigen oder Niederschreiben einer Lehre festgelegt, die im Widerspruch zu den Entschließungen der Heiligen Kirche steht. P  Dann ist es heutzutage Ketzerei, gegen Heiligenverehrung, gegen die Unfehlbarkeit der Römischen Kirche oder gegen eine andere Resolution derselben Kirche zu predigen oder zu schreiben. Denn zu jener Zeit war die »Heilige Kirche« die Kirche Roms, während heute unter der »Heiligen Kirche« bei uns die Kirche von England verstanden wird, und damals wie heute war das, was das Gesetz meinte, der wahre Christliche Glaube. Dasselbe Ge-

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setz Heinrichs IV. erklärt auch in seiner Präambel, dass die Kirche von England niemals von Ketzerei heimgesucht worden sei. J  Aber dieses Gesetz ist aufgehoben worden. P  Dann ist also auch die Proklamation oder Definition von Ketzerei aufgehoben worden. J  Was ist deiner Meinung nach Ketzerei?88  P  Ich meine, dass Ketzerei die Eigentümlichkeit einer Lehre oder Ansicht ist, die gegen die Lehre eines anderen oder der anderen gerichtet ist. Das Wort an sich bezeichnet die Lehre einer Sekte, die im Vertrauen auf einen Mann, der für weise erachtet wurde und der der Urheber dieser Lehre war, von dieser Sekte angenommen wurde.89 Wenn du darüber die Wahrheit wissen möchtest, musst du die Historien und andere Schriften der alten Griechen lesen, in denen das Wort selbst zuerst vorkommt. Diese Schriften sind bis auf den heutigen Tag vorhanden und leicht zu erhalten. Dort kannst du nachlesen, dass während und kurz vor der Zeit Alexanders des Großen in Griechenland viele ausgezeichnete Geister lebten, die ihre Zeit mit der Suche nach der Wahrheit in allen Arten von Wissenschaften verbrachten, die ihrer Anstrengung Wert waren und die zu ihrer großen Ehre und Anerkennung ihre Schriften veröffentlichten. Einige Schriften beziehen sich auf Rechtsprechung, Gesetze und Regierungsformen, einige auf gute und schlechte Sitten, einige handeln von den Ursachen der natürlichen Dinge und von der sinnlichen Wahrnehmung, einige wiederum behandeln alle diese Themen. Von diesen Autoren waren Pythagoras, Plato, Zeno, Epikur und Aristoteles die führenden, alles Männer, die des tieferen und mühsamen Nachdenkens fähig waren und ihren Lebensunterhalt nicht durch ihre Philosophie bestritten, sondern von ihrem Besitz leben konnten und die von Fürsten und anderen großen Persönlichkeiten hochgeachtet wurden. Aber obwohl diese Männer weiser als alle anderen waren, unterschieden sich ihre Lehren doch in vielen Punkten. So geschah es, dass von denen, die ihre Schriften studierten, einige Pythagoras, einige Plato, einige

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V.  Über Ketzerei

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Aristoteles, einige Zeno und einige Epikur zuneigten. Nun war aber Philosophie selbst damals so sehr in Mode, dass jeder Reiche danach strebte, seine Kinder nach der Lehre des einen oder anderen Philosophen, die für ihre Weisheit so sehr berühmt waren, erziehen zu lassen. Nun wurden die Anhänger des Pythagoras Pythagoräer, die Anhänger des Plato Akademiker, die Anhänger des Zeno Stoiker, die Anhänger des Epikur Epikureer und die Anhänger des Aristoteles Peripatetiker genannt. Und dies war die ursprüngliche Bedeutung von »Häresie« in der griechischen Sprache: nichts weiter als die Übernahme einer solchen Überzeugung; und die besagten Pythagoräer, Akademiker, Stoiker, Peripatetiker usw. wurden nach den verschiedenen Häresien benannt. Du weißt, dass alle Menschen Irrtümern unterliegen und die Wege des Irrtums sehr verschieden sind, daher wundert es auch nicht, wenn diese weisen, strebsamen Wahrheitssucher trotz ihrer ausgezeichneten geistigen Fähigkeiten in vielen Punkten unter­einander uneins waren. Aber infolge dieses lobenswerten Bestrebens bedeutender und wohlhabender Persönlichkeiten, ihre Kinder um jeden Preis Philosophie lernen zu lassen, verfielen viele bedürftige Faulenzer auf eine leichte und einfache Art des Lebensunterhalts, nämlich Philosophie zu lehren, einige die des Plato, einige die des Aristoteles usw. Zu diesem Zweck lasen sie deren Bücher, aber ohne geistiges Fassungsvermögen oder große Anstrengung, den Sinn der Lehren zu untersuchen. Sie machten sich nur die Schlussfolgerungen, wie sie dort zu lesen waren, zu eigen. Damit ausgestattet, erklärten sie sich bald selbst zu Philosophen und wurden die Lehrer der griechischen Jugend. Aber im Wettstreit um solche Beschäftigung hassten und beleidigten sie sich gegenseitig mit allen niederträchtigen Bezeichnungen, die sie sich ausdenken konnten, und wenn sie sich bei Gelegenheit in Gesellschaft befanden, verfielen sie zunächst in ein Streitgespräch, sodann in Schlägerei, zum großen Ärger der ganzen Gesellschaft und zu ihrer eigenen Schande. Trotzdem fiel unter all ihren beleidigenden Äußerungen niemals das Wort »Häretiker«,

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weil sie ja alle in gleichem Maße »Häretiker« waren, da ihre Lehre nicht die ihre war, sondern von den genannten Auto­ren auf Treu und Glauben übernommen worden war. Obwohl also Lukian und andere heidnische Autoren das Wort »Häresie« oft erwähnen, finden wir bei ihnen nicht die Bezeichnung »Haereticus« im Sinne von »Ketzer«. Dieses Durcheinander unter den Philosophen währte in Griechenland noch eine lange Zeit und übertrug sich auch auf die Römer und war in den Zeiten der Apostel, in der Urkirche, in den Zeiten des Konzils von Nicäa und kurz danach am größten. Aber schließlich wurde die Autorität der Stoiker und Epikureer nicht mehr sehr hoch geschätzt, nur Platos und Aristoteles’ Philosophie genossen hohes Ansehen, die Platos bei dem besseren Heerlager derjenigen, die ihre Lehre auf Begriffe und Ideen von Dingen begründeten, und die des Aristoteles bei denen, die nur von den Bezeichnungen von Dingen her argumentierten, entsprechend der Einteilung der Kategorien. Dennoch entstanden ständig neue Lehrmeinungen, jedoch keine neuen Sekten der Philosophie.90 J  Aber wie wurde die Bezeichnung Ketzer zu einem Schimpfwort? P  Warte ein wenig. Nach dem Tod unseres Erlösers gingen seine Apostel und Jünger, wie du weißt, in verschiedene Teile der Welt, um das Evangelium zu verkünden. Sie bekehrten viele Menschen, besonders in Kleinasien, in Griechenland und Italien, wo sie viele Kirchen gründeten, und während sie von Ort zu Ort reisten, ließen sie dort Bischöfe zurück, um die Bekehrten zu unterrichten und zu unterweisen und um Presbyter unter ihnen einzusetzen, die sie bei der Aufgabe, jene zu bestärken, unterstützen sollten, indem sie Leben und Wunder unseres Erlösers darlegten, wie sie ihnen aus den Schriften der Apostel und Evangelisten überliefert waren. Daher und nicht durch die Autorität Platos, Aristoteles’ oder eines anderen Philosophen erhielten sie ihre Unterweisungen. Aber nun steht außer Frage, dass es unter so vielen Heiden, die während der Zeit der Apostel bekehrt wur-

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den, Menschen aller Berufsstände mit allen Veranlagungen gab und einige, die sich niemals mit Philosophie beschäftigt hatten, sondern auf ihren Erfolg oder ihre Vergnügungen bedacht waren; einige besaßen die Vernunft in einem größeren Maße als andere. Es gab einige, die Philosophie studiert hatten, aber sie nicht zum Beruf machten; dies waren im Allgemeinen Leute höheren Standes, dagegen gab es andere, die die Philosophie zu ihrem beruflichen Fortkommen betrieben, aber nur so weit, dass sie geschickt reden und debattieren konnten. Einige waren aufrichtige Christen, einige nur Heuchler, die danach trachteten, aus der Nächstenliebe der wahren Christen, die in jener Zeit sehr groß war, Nutzen zu ziehen. Welche Art von Christen wäre nun aber deiner Meinung nach am besten geeignet gewesen, die fähigsten Männer zur Verbreitung des Glaubens durch Predigen, Schriften, öffentliche oder nichtöffentliche Streitgespräche hervorzubringen, d. h. jene, die am besten geeignet waren, Presbyter und Bischöfe zu werden? J  Sicherlich diejenigen, die (ceteris paribus) die Rhetorik und Logik des Aristoteles am besten anwenden konnten. P  Und wer waren die Männer, die am meisten für Neuerungen empfänglich waren? J  Diejenigen, die am meisten von der Naturphilosophie ihrer früheren Lehrer Aristoteles und Plato überzeugt waren, denn sie waren am meisten geneigt, die Schriften der Apostel und alle heiligen Schriften im Sinne jener Doktrinen, denen sie ihre Reputation verdankten, zu verdrehen. P  Und durch solche Bischöfe, Priester und andere Sektierer wurde die Ketzerei zuerst unter den Christen zu einem Schimpfwort. Denn kaum hatte einer von ihnen irgendeine Lehre, die der Mehrheit der anderen oder jedenfalls deren führenden Männern missfiel, verkündet oder veröffentlicht, führte dies zu einem solchen Streit, dass er außer durch ein Konzil aller Bischöfe der Provinz, in der sie lebten, nicht entschieden werden konnte. Dabei wurde dann derjenige, der sich nicht dem Mehrheitsbeschluss

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unterwerfen wollte, als ein Häretiker bezeichnet, also als einer, der die Philosophie seiner Sekte nicht aufgeben wollte. Der Rest des Konzils ernannte sich selbst zu Katholiken und gab seiner Kirche den Namen Katholische Kirche. Und so entstanden die gegensätzlichen Bezeichnungen des »Katholiken« und die des »Ketzers«.91 J  Ich verstehe, wie es ein Schimpfwort wurde, aber nicht, wie man daraus schließen kann, dass jede Überzeugung, die von ­einer Kirche, die katholisch ist oder sich so nennt, verdammt wird, notwendigerweise eine Irrlehre oder eine Sünde sein muss. Die Kirche von England lehnt diese Schlussfolgerung ab, und diese Lehre, so wie sie angenommen wurde, kann durch nichts als die Heilige Schrift, die nicht irren kann, als Irrlehre bezeichnet werden, aber die Kirche kann, da sie nur aus Menschen besteht, sowohl irren als auch sündigen. P  In diesem Fall müssen wir auch die Tatsache berücksichtigen, dass ein Irrtum seinem Wesen nach keine Sünde ist, denn für einen Menschen ist es unmöglich, vorsätzlich zu irren; er kann keine Absicht haben zu irren, und nichts ist Sünde, wenn nicht eine sündhafte Absicht besteht. Noch viel weniger sind solche Irrtümer Sünden, die weder den Staat noch eine Privatperson schädigen, noch gegen ein positives oder gegen das Naturrecht verstoßen. Es waren aber solche Irrtümer, für die man Menschen zu der Zeit, als der Papst diese Kirche regierte, verbrannte. J  Du hast mir jetzt erklärt, wie das Wort »Ketzerei« entstanden ist, erkläre mir nun auch, wie diese zu einem Verbrechen wurde. Und was waren es für Ketzereien, die zuerst zu Verbrechen erklärt wurden? P  Es war die christliche Kirche und niemand sonst, die erklären konnte, welche Lehren Ketzereien seien, aber sie hatte nicht die Macht, Gesetze zur Bestrafung von Ketzern zu erlassen, bevor es einen christlichen Souverän gab. Es ist also offensichtlich, dass Ketzerei vor der Zeit des ersten christlichen Kaisers, nämlich Konstantins des Großen, nicht zu einem Verbrechen gemacht

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werden konnte. Zu seiner Zeit leugnete ein gewisser Arius, ein Priester in Alexandria, der im Streit mit seinem Bischof lag, öffentlich die göttliche Natur Christi und verfocht seine Meinung hinterher auf der Kanzel, was einen Aufstand und viel Blutvergießen sowohl unter den Bürgern als auch unter den Soldaten dieser Stadt verursachte. Um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, berief der Kaiser in der Stadt Nicäa ein allgemeines Konzil der Bischöfe ein, welches er nach seiner Zusammenkunft aufforderte, sich auf ein christliches Glaubensbekenntnis zu einigen, indem er ihnen versprach, er werde, was immer sie übereinstimmend beschließen würden, durchzusetzen wissen. J  Nun, ich denke, dass der Kaiser hier etwas zu indifferent war.92 P  In diesem Konzil wurde das Glaubensbekenntnis in der Form festgelegt, die wir heute noch anwenden und die wir das Nicänische Glaubensbekenntnis (Nicänum) nennen. Und zwar bis zu den Worten »Ich glaube an den Heiligen Geist«. Der Rest wurde durch die darauffolgenden drei Konzile festgelegt. Durch die Worte dieses Glaubensbekenntnisses wurden fast alle damals existierenden abweichenden Lehren und besonders die Lehre des Arius verdammt. Dadurch wurden alle Lehren, die, durch Wort oder Schrift veröffentlicht, im Widerspruch zu diesem Bekenntnis der ersten vier Generalkonzilien, das im Nicänischen Glaubensbekenntnis zusammengefasst ist, stehen, da sie nunmehr durch kaiserliche Gesetze verboten wurden, zu Verbrechen erklärt. Es handelte sich um solche wie die des Arius, der die göttliche Natur Christi leugnete, die des Eutiches, der die zwei Wesen Christi leugnete, die der Nestorianer, die die Göttlichkeit des Heiligen Geistes leugneten, die der Anthropomorphiten, der Mani­chäer, der Anabaptisten und vieler anderer.93 J  Welche Bestrafung erhielt Arius? P  Zuerst wurde er für seine Ablehnung der Anerkennung seines Amtes enthoben und verbannt, aber nachdem er den Kaiser seines zukünftigen Gehorsams versichert hatte, wurde er wieder

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in Gnaden aufgenommen, starb aber, bevor er seine Pfründe wieder in Besitz nehmen konnte. Der Kaiser bestand nämlich auf diesem Glaubensbekenntnis nicht, weil es ihm um die Wahrheit der Lehre ging, sondern um die Wahrung des Friedens, insbesondere unter seinen christlichen Soldaten, denn durch deren geschlossene Tapferkeit hatte er sein Reich gewonnen und allein durch sie konnte er es bewahren. Aber in der Zeit nach diesen Konzilien wurde durch kaiserliches Gesetz Ketzerei mit dem Tode bestraft, die Todesart blieb jedoch den Präfekten in ihren verschiedenen Gerichtsbezirken überlassen. So blieb es bis kurz nach der Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas; dann aber führte das Papsttum, welches über das Kaisertum die Oberhand gewonnen hatte, die Strafe des Scheiterhaufens sowohl für Ketzer als auch für Apostaten (Abtrünnige) ein. Und die Päpste dehnten die Ketzerei auf viele andere Punkte der Lehre aus, die über die hinaus­ gingen, die im Nicänischen Glaubensbekenntnis festgelegt waren, und zwar in Verfolgung ihrer Politik, den Heiligen Stuhl über den Kaiserthron zu erheben: so wurde der Scheiterhaufen üblich. Und gemäß diesem päpstlichen Gesetz wurde ein Apostat in Oxford zu Zeiten Wilhelms des Eroberers verbrannt, weil er zum Jüdischen Glauben übergetreten war. Bis zur Verabschiedung des Gesetzes von Heinrich IV, 2 (1400) wurde in England keine Ketzerverbrennung mehr erwähnt, danach jedoch wurden gemäß diesem Gesetz einige Anhänger Wyclifs, die sogenannten Lollarden94, verbrannt, und zwar für solche Lehren, wie sie später, nämlich seit dem ersten Regierungsjahr Königin Elisabeths, durch die Kirche von England als göttliche Lehren anerkannt worden sind und also zweifellos göttlich waren. Daran siehst du, wie viele Menschen für ihre Gottesfurcht verbrannt worden sind. J  Das war nicht gut getan! Aber dass wir von keinem Ketzer vor der Zeit Heinrichs IV. erfahren, wundert nicht, denn die Präambel jenes Gesetzes gibt ja zu verstehen, dass vor jenen Lollarden niemals Ketzerei in England existierte.

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V.  Über Ketzerei

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P  Das denke ich auch, denn wir waren die dem Papst gegenüber friedlichste Nation auf der ganzen Welt. Aber welche Gesetze, die die Ketzerei betreffen, sind seitdem erlassen worden? J  Das Gesetz Heinrich V, 2, 7 (1414), welches zur Verbrennung den Verlust von Ländereien und Gütern hinzufügt, aber danach wurde keines mehr erlassen, bis zu dem Heinrich VIII, 25, 14 (1533), das die beiden vorangegangenen Gesetze bestätigt und einige neue Regeln, die deren Handhabung betreffen, aufstellt. Aber durch das Gesetz von Eduard VI, 1, 12 (1457) sind alle Parlamentsbeschlüsse, die vorher zur Bestrafung irgendeiner die Religion betreffenden Lehre erlassen waren, für ungültig erklärt worden. Denn hierin wurde, nach Darlegung einzelner Fälle, angeordnet, dass alle anderen Verordnungen oder Parlamentsbeschlüsse, die die Lehre oder Religionsfragen betreffen, und alles, d. h. jeder Bereich, Glaubensartikel, Bestrafung und Streitsache, Strafen und Einbußen, die auf irgendeine Weise in diesen Parlamentsbeschlüssen oder Gesetzen enthalten, erwähnt oder erklärt wurden, von nun an aufgehoben und ausdrücklich ungültig sein sollten. Somit wurden zur Zeit König Eduards VI. nicht nur alle Bestrafungen für Ketzerei aufgehoben, sondern es wurde auch die Art und Weise der Ketzerei ihrem Wesen nach wieder zu dem gemacht, was sie eigentlich war, nämlich eine persönliche Überzeugung. In Maria (Tudor) 1 und 2 (1553) sind diese vorherigen Gesetze von Heinrich IV, 2, 15 (1400), Heinrich V, 2, 7 (1414) und Heinrich VIII, 24, 14 (1533) wieder bestätigt worden, und der Abschnitt von Eduard VI, 1,12 (1457), der die Lehre berührt, wurde, obwohl er nicht besonders erwähnt wurde, aufgehoben. Aber eine andere Folgeerscheinung ist, dass das gleiche Gesetz dasjenige von Eduard III, 25 (1351) bezüglich des Verrats bestätigte. Schließlich wurden die oben genannten Gesetze von Königin Maria (Tudor) im ersten Regierungsjahr von Königin Elisabeth aufgehoben, und dadurch wurde das Gesetz von Eduard VI, 1, 12 (1457) wieder in Kraft gesetzt, so dass es kein Gesetz zur Bestrafung von Ketzern mehr gab. Königin Elisabeth über-

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trug jedoch, mit Zustimmung des Parlaments, bestimmten Personen, unter denen sich auch sehr viele Bischöfe befanden, die Vollmacht (»High-Commission« genannt) zu erklären, was zukünftig unter Ketzerei zu verstehen sei, aber mit der Einschränkung, dass sie nichts als Ketzerei verurteilen sollten, was nicht in den ersten vier Generalkonzilien als solche erklärt worden war. P  Von dem, was du mir erklärt hast, können wir nun, denke ich, zu der Untersuchung des gelehrten Sir Coke bezüglich der Ketzerei übergehen. In seinem Kapitel über Ketzerei, Inst., III, S.  40, gibt er selbst zu, dass, als im neunten Regierungsjahr von König Jakob (I) Bartholomäus Legat verbrannt wurde, weil er sich zum Arianismus bekannte95, kein Gesetz gegen Ketzerei in Kraft war, dass man jedoch aus dem Parlamentsbeschluss Heinrich IV, 2, 15 (1400) und anderen in den Marginalien angeführten Parlamentsbeschlüssen entnehmen könne, dass dem Bischof (Diözesan) die Rechtsprechung über Ketzerei oblag. Ich behaupte jedoch, dass dies nicht wahr ist, denn was die Parlamentsbeschlüsse anbetrifft, so ist es offensichtlich, dass man aus aufgehobenen, d. h. aus nicht existenten Parlamentsbeschlüssen nichts mehr entnehmen kann. Und was die anderen Autoritäten wie Fitzherbert oder »Der Doktor und der Student« in den Marginalien betrifft, so sagen sie nichts weiter aus als das, was zu der Zeit, in der sie schrieben, Gesetz war, d. h., als hierzulande noch die usurpierte Autorität des Papstes galt. Aber wenn sie dies zur Zeit König Eduards VI. oder Königin Elisabeths geschrieben hätten, hätte Sir Coke auch einfach seine eigene Autorität statt ihrer anführen können, denn ihre Ansichten hatten genauso wenig Gesetzeskraft wie seine eigene. Dann führt er jenen Präzedenzfall Legat und einen anderen (Hammond) aus der Zeit Königin Elisabeths an, doch Präzedenzfälle beweisen nur, wie verfahren wurde, aber nicht, ob in angemessener Weise verfahren wurde. Welche Gerichtsbarkeit konnte der Bischof dann über Ketzerei haben, wenn es nach dem damals gültigen, geschriebenen Gesetz von Edward VI., 12. (1457) überhaupt keine Ketzerei gab und

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V.  Über Ketzerei

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jede Art der Bestrafung von Überzeugungen verboten war? Denn Ketzerei ist eine Lehre, die im Widerspruch zu der Resolution der Kirche steht, aber damals hatte die Kirche überhaupt noch nicht in irgendeiner, die Ketzerei betreffenden Sache entschieden. J  Aber da die »High Commissioners« die Befugnis besaßen, Ketzereien zu strafen und auszumerzen, mussten sie auch die Macht haben, solche Menschen, denen man Ketzerei vorwarf, vorzuladen, denn sonst hätten sie ihr Amt nicht ausüben können. P  Wenn sie zuerst eine Erklärung, welche Glaubensartikel sie zur Ketzerei machten, verfasst und veröffentlicht hätten, so dass für den Fall, dass jemand, der einen anderen gegen ihre Erklärung sprechen hörte, die Beamten darüber in Kenntnis setzen konnte, dann hätten sie tatsächlich die Macht, den Betreffenden vor Gericht zu laden und gefangen zu setzen. Aber wie war es möglich, dass jemand einen anderen verklagen sollte, bevor man wusste, was Ketzerei sein sollte? Und wie kann man, bevor man verklagt ist, vor Gericht geladen werden? J  Vielleicht sah man es als selbstverständlich an, dass alles, was im Widerspruch zu den ersten vier Generalkonzilien stand, als Ketzerei verurteilt werden müsse. P  Angenommen, es war so, so verstehe ich trotzdem nicht, wieso man jemanden wegen jener Konzilsbeschlüsse verklagen konnte. Denn keiner unter Zehntausend hatte sie jemals gelesen, auch wurden sie niemals auf Englisch veröffentlicht, so dass man einen Verstoß gegen sie vermeiden konnte, vielleicht existieren sie heute gar nicht mehr. Ich halte es auch nicht für angebracht, dass diese Beschlüsse in die Umgangssprache übersetzt werden, denn es ist bei den Theologen sehr umstritten, ob das, was wir in lateinischer Sprache gedruckt besitzen, genau die Beschlüsse der Konzile sind. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Schöpfer jener Gesetze irgendwie die Absicht hegten, aus allem, was den vier Generalkonzilien widersprach, eine Ketzerei zu machen. Denn wenn sie eine solche Absicht gehabt hätten, wären, wie ich glaube, die Anabaptisten, von denen es damals eine große

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V.  Über Ketzerei

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Zahl gab, irgendwann aufgrund des Artikels im Nicänischen Glaubensbekenntnis: »Ich glaube an eine Taufe zur Vergebung der Sünden« zur Rechenschaft gezogen worden.96 Die Kommission selbst bestand nach ihrer amtlichen Zulassung auch nicht so lange, dass die Menschen sich daran hätten gewöhnen können, angesichts der Unentschiedenheit auf der Hut zu sein, und zu ihrer eigenen Sicherheit darauf verzichtet hätten, überhaupt noch irgendetwas über Religion zu sagen. Aber nach welchem Gesetz wurde der Ketzer Legat verbrannt? Ich gebe zu, er war ein Arianer und seine Irrlehre stand in zentralen Grundsätzen des Christentums im Widerspruch zu der Kirche von England. Aber nach welchem Gesetz, aufgrund welcher Befugnis wurde er verbrannt, da ein entsprechendes Gesetz nicht existierte und die Bestrafung überhaupt verboten war? J  Dass dieser Legat der Ketzerei angeklagt wurde, war nicht der Fehler der »High-Commissioners«, aber als er nun einmal angeklagt war, wäre es ein Fehler gewesen, wenn sie ihn nicht vernommen hätten. Und als sie ihn vernommen und für einen Arianer erklärt hatten, wäre es ein Fehler gewesen, ihn nicht als solchen zu verurteilen oder aber dies nicht schriftlich festzuhalten. Dies alles taten sie, und dies war alles, was ihnen zustand. Sie gaben sich nicht mit seiner Verbrennung ab, sondern überließen ihn der weltlichen Macht, um nach ihrem Ermessen mit ihm zu verfahren. P  Deine Rechtfertigung der »High-Commissioners« trägt nichts zur Klärung der Frage bei. Die Frage lautet, nach welchem Gesetz er verbrannt wurde. Das Kirchenrecht verhängt keine weltlichen Strafurteile, und Sir Coke gesteht, dass er nicht verbrannt werden konnte und eine Verbrennung durch das Gesetzesrecht untersagt war. Nach welchem Gesetz wurde er dann aber verbrannt? J  Gemäß dem Gemeinen Recht. P  Was bedeutet das? Es ist kein Gewohnheitsrecht, denn vor der Zeit Heinrichs IV. gab es keine solche Gewohnheit in England.

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Denn selbst wenn es eine gegeben hätte, wären doch jene nachfolgenden Gesetze nur deren Bestätigung gewesen, und deshalb war die Aufhebung dieser Gesetze auch jedenfalls Aufhebung der Gewohnheit. Denn als König Eduard VI. und Königin Elisabeth diese Gesetze aufhoben, schafften sie alle Strafen ab und folglich auch das Verbrennen, denn ohne dies hätten sie überhaupt nichts abgeschafft. Und falls du behauptest, er wurde nach dem Vernunftgesetz verbrannt, musst du mir erklären, welches Vernunftverhältnis zwischen Lehre und Feuertod bestehen kann. Geht es um Gleichheit oder um das Verhältnis eines weiteren zum engeren Begriff? Das Verhältnis, das hier in Frage kommt, ist das Verhältnis des durch eine Lehre bewirkten Unheils zu dem, was dem, der diese Lehre vertritt, geschehen soll. Das Maß dieses Verhältnisses kann aber nur von dem festgelegt werden, der die Verantwortung für die Regierung des Volkes trägt, und folglich kann die Bestrafung solcher Vergehen durch niemand anderen als den König festgelegt werden und, wenn sie sich auf Leib und Leben bezieht, mit Zustimmung des Parlaments.97 J  Sir Coke zieht auch gar kein Vernunftargument heran, er führt stattdessen dieses an Legat vollzogene Urteil an sowie eine Geschichte aus Hollingshed und Stow.98 Aber ich weiß ja, dass du weder eine Geschichte noch einen Präzedenzfall als Gesetz an­erkennst. Und obwohl, wie du bei Fitzherbert lesen kannst, ein Erlass De haeretico comburendo (»Über die Verbrennung von Ketzern«) im Verzeichnis existiert, der auf den Gesetzen von Heinrich IV, 2,15 (1400) und Heinrich V, 2,7 (1414) basiert, wirst du, natürlich, da doch diese Gesetze aufgehoben sind, auch behaupten, dass der Erlass gleichfalls ungültig ist.99 P  Ja, das werde ich in der Tat. Im Übrigen verstehe ich nicht, wieso er als wahr behauptet, dass der örtliche Bischof über Ketzerei Recht spricht und dass dies während der ganzen Regierungszeit Königin Elisabeths gültig gewesen sei. Denn nach dem geschriebenen Gesetz ist es offensichtlich, dass alle geistliche Gerichtsbarkeit unter der Königin den »High-Commis-

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V.  Über Ketzerei

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sioners« übertragen wurde. Wie kann dann irgendein Bischof ­einen Teil dieser Zuständigkeit haben, ohne dass sie ihm von den »High-Commissioners« übertragen worden wäre, was sie gemäß ihren Patenten gar nicht konnten und was auch nach Vernunftschluss nicht in ihrer Macht gelegen hätte. Denn jene Zuständigkeit wurde nicht nur Bischöfen, sondern auch verschiedenen Laien übertragen, die darauf achten konnten, dass die Bischöfe nicht auf den Geltungsbereich der weltlichen Gewalt übergriffen. Aber heutzutage existiert weder ein geschriebenes noch irgendein anderes Gesetz, nach dem man abweichende Lehren bestrafen könnte, außer der normalen geistlichen Gewalt, und diese besteht, gemäß den Canones der Kirche von England, nur durch Vollmacht des Königs – die »High-Commission« ist ja schon lange abgeschafft. Darum lass’ uns nun zu solchen Straffällen übergehen, die nicht zu den Kapitalverbrechen gehören.

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V I.  Ü BER DAS »PR AEM UNIR E« 100

J  Das schwerste Vergehen, das seinem Charakter nach freilich kein Kapitalverbrechen ist, ist der Verstoß gegen das »Statute of Provisors«.101 P  Dies musst du näher erläutern. J  Dieses Verbrechen ist mit jenem zu vergleichen, für das jemand geächtet wird, wenn er nicht vor Gericht erscheinen und sich dem Gesetz nicht unterwerfen will. Bei der Acht gibt es allerdings ein vorangegangenes langes Verfahren; derjenige, der geächtet wird, wird außerhalb des Schutzes des Gesetzes gestellt. Was das Vergehen gegen das »Statute of Provisors« angeht, das nach den Worten des ursprünglichen Reskripts »Praemunire facias« genannt wird, so ist der Täter sofort vogelfrei, wenn er sich nicht innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntmachung dem Gesetz unterworfen hat. Und diese Bestrafung kommt der Todesstrafe gleich, auch wenn es im eigentlichen Sinne keine ist: der Vogel­f reie ist ja auf Gedeih und Verderb denen ausgeliefert, die wissen, wo er sich aufhält, und sie müssen ihn anzeigen, wenn sie sich nicht derselben Gefahr, geächtet zu werden, aussetzen wollen. Vor der Regierungszeit Königin Elisabeths wurde viel darüber diskutiert, ob der Vogelfreie nicht von jedem, dem der Sinn danach stand, getötet werden konnte, so wie man einen Wolf töten kann. Dies kommt der Strafe des Verbots des Gebrauchs von Feuer und Wasser bei den alten Römern gleich oder der großen Exkommunikation im Papismus; kein Mensch durfte mit dem Geäch­ teten essen oder trinken, ohne sich die gleiche Strafe zuzuziehen. P  Sicherlich war das Vergehen, das eine solche Strafe nach sich zog, ein besonders abscheuliches Verbrechen und richtete außergewöhnlich großes Unheil an. J  In der Tat, denn wie du weißt, mischte sich der Papst schon lange vor der normannischen Eroberung fortwährend in den

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VI.  Über das »Praemunire«

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Geltungsbereich der weltlichen Macht ein. Wann immer man den Anschein erwecken konnte, es handle sich um eine Sache in ordine ad Spiritualia (geistliche Angelegenheit), wurde diese Sache in allen Staaten von der Kirche an sich gezogen und an die Gerichtsbarkeit des Papstes übergeben. Zu diesem Zweck hatte er in jedem Land ein Geistliches Gericht, und es gab kaum einen weltlichen Fall, den er sich nicht durch die eine oder andere List für seine eigene Gerichtsbarkeit hätte angeln können, so dass er ihn vor seinen eigenen Gerichtshöfen in Rom, Frankreich oder in England selbst verhandeln konnte. Auf diese Weise wurden die Gesetze des Königs nicht beachtet, die in den königlichen Gerichten gefällten Urteile wurden umgangen und Ernennungen zum Bischof, zum Abt oder andere Pfründe, die von den Königen und dem Adel von England gegründet und gestiftet worden waren, ergingen durch den Papst an Fremde oder an solche, die mit genug Geld in der Tasche nach Rom reisen konnten, um sich solche Pfründen zu verschaffen. Und wenn es dementsprechend einen Streitfall wegen des Zehnten oder eines Testaments gab, konnte der päpstliche Gerichtshof, obwohl der Fall rein weltlicher Natur war, ihn trotzdem an sich ziehen oder aber eine der Parteien konnte an Rom appellieren. Gegen diese Rechtsverletzung der Römischen Kirche und um das Recht und die Würde der Krone von England zu wahren, erließ Eduard III. ein Gesetz, die »Provisoren« betreffend, d. h. jene, die sich ihre hiesigen Pfründen von Rom verschafft hatten. Im 25. Jahr seiner Regierung, 1351, ordnete er in einem vollständig versammelten Parlament an, dass das Recht zur Wahl von Bischöfen, das Pfründenbesetzungsrecht und die Ernennung in ein geistliches Amt ihm und dem Teil des Adels zustand, die die Gründer solcher Bistümer, Klöster und anderer Pfründen waren. Und ferner verfügte er, dass, wenn ein Kirchenbeamter, den er oder einige seiner Untertanen für ein geistliches Amt vorschlagen sollten, durch irgendeinen Provisor behindert werden sollte, dieser Provisor als Unruhestifter festgenommen werden und, wenn er für schuldig befunden worden

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VI.  Über das »Praemunire«

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sei, so lange im Gefängnis bleiben solle, bis er auf Gutdünken des Königs gegen ein Lösegeld freigegeben würde, der geschädigten Partei Wiedergutmachung geleistet habe, auf seinen Titel verzichtet und Versicherungen abgegeben habe, nicht mehr in dieser Sache zu prozessieren. Wenn man seiner jedoch nicht habhaft werden könne, dann solle die Acht über ihn verhängt werden und die Gewinne seiner Pfründe sollten in der Zwischenzeit in die Hand des Königs übergehen. Und das gleiche Gesetz ist im 27. Regierungsjahr König Eduards III. (1353) bekräftigt worden. Das letztere räumt diesen Provisoren sechs Wochen bis zum Tage ihrer Vorladung ein. Wenn sie erscheinen, bevor die Acht ausgesprochen ist, sollen sie angehört werden, um sich zu rechtfertigen. Aber wenn sie sich nicht selbst ausliefern, sollen sie für vogelfrei erklärt werden und daneben alle Ländereien und ihr ganzes Hab und Gut einbüßen. Das gleiche Gesetz wurde wiederum durch Richard II, 16, 5 (1392) bestätigt, und zwar mit folgendem Zusatz: Da diese Provisoren manchmal beim Papst erreichten, dass englische Bischöfe, die gemäß dem Gesetz und durch die Beauftragten des Königs eingesetzt waren, exkommuniziert wurden, sollten sowohl die Provisoren als auch diejenigen, die solche päpstlichen Erlasse entgegennähmen, verbreiteten und verkündeten, die gleiche Strafe erhalten. P  Lass’ mich das Gesetz von 1353 selbst lesen. J  Es liegt vor dir, von Sir Coke selbst sowohl auf Englisch als auch auf Französisch wörtlich niedergeschrieben. P  Das ist gut. Wir müssen nun darüber nachdenken, was es bedeutet und ob es von Sir Coke gut oder schlecht interpretiert worden ist. Und zuerst geht aus der Präambel, die Sir Coke als den besten Leitfaden zur Erklärung des geschriebenen Gesetzes anerkennt, hervor, dass dieses Gesetz nur gegen Rechtsverletzung der Römischen Kirche geschaffen wurde, insofern sie sich gegen das Recht des Königs und anderer Patrone richteten, Bistümer und andere Pfründen innerhalb des Reiches einzusetzen. Zudem geht es um die Macht der geistlichen Gerichte, einen Pro-

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zess in Streitfällen, die von einem königlichen Gericht zu verhandeln sind, an sich zu ziehen oder ein dort gefälltes Urteil aufzuheben. Denn dies sind Dinge, die zur Entmachtung des Königs und zur Vernichtung des Gemeinen Rechts des Reiches führen. Gesetzt den Fall, jemand veranlasse den Papst, einen Entscheid des Kanzleigerichts aufzuheben, wäre dies dann ein Fall von »Prae­munire«? J  Ja, sicherlich, aber auch wenn das Urteil im Gerichtshof des Lordadmirals oder in irgendeinem anderen königlichen Gerichtshof entweder des Gemeinen Rechts oder der Billigkeit gefällt wurde, denn Billigkeitsgerichte sind mit Sicherheit Gerichtshöfe des Gemeinen Rechts von England, weil Billigkeit und das Gemeine Recht, wie Sir Coke sagt, das Gleiche sind. P  Dann ist das Wort »Gemeines Recht« in dieser Präambel nicht nur auf solche Gerichtshöfe beschränkt, die Prozesse mit Geschworenen führen, sondern umfasst alle weltlichen Gerichte des Königs, wenn nicht sogar die Gerichtshöfe jener Untertanen, die die Herren großer Güter sind. J  Dies ist sehr wahrscheinlich; aber ich glaube nicht, dass dies jedermann zugeben wird. P  Das Gesetz besagt auch, dass diejenigen, die jemanden während einer Verhandlung, in der den königlichen Gerichten das Entscheidungsrecht zusteht, oder wenn ein Urteil in den könig­ lichen Gerichtshöfen gefällt worden ist, außer Landes bringen, ­einem Fall von »Praemunire« unterliegen. Aber was passiert, wenn jemand einen anderen zur Verhandlung nach Lambeth bringt, während in Westminster schon das Urteil gefällt wurde? Liegt danach ein Fall von »Praemunire« vor? 102 J  Ja, denn obwohl der Betreffende nicht außer Landes gebracht wurde, entspricht der Fall doch dem Tenor des Gesetzes, weil der päpstliche Gerichtshof damals wahrscheinlich in Lambeth war, nicht aber der königliche. P  Aber zur Zeit von Sir Coke war der königliche und nicht der päpstliche Gerichtshof in Lambeth.

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J  Du weißt sehr genau, dass der geistliche Gerichtshof nicht die Macht besitzt, Fälle des Gemeinen Rechts anzuhören. P  Das weiß ich, aber ich weiß nicht, aus welchem Grund ein einfacher Mensch, der den für ihn zuständigen Gerichtshof verwechselt, außerhalb des Schutzes des Königs stehen soll, dass er sein Erbe und jegliches Eigentum (bewegliches und unbewegliches) verlieren und, wenn er verhaftet worden ist, für den Rest seines Lebens im Gefängnis bleiben soll. Auch durch Sir Cokes Verdrehung kann man das diesem Gesetz nicht entnehmen. Solche Menschen wissen doch nichts davon, bei welchem Gerichtshof sie ihr Recht einklagen sollen. Und es ist ein durch fortwährende Anwendung erhärteter Brauch, dass solche unwissenden Menschen durch ihren Rechtsbeistand belehrt werden sollen. Es ist daher offensichtlich, dass die Schöpfer des Gesetzes nicht die Absicht hatten, den Menschen zu untersagen, ihr Recht entweder im Kanzleigericht, im Gerichtshof des Lordadmirals oder in irgendeinem anderen Gerichtshof zu suchen, nur durften sie dies nicht in den kirchlichen Gerichtshöfen, die ihre Gerichtsbarkeit nur von der Römischen Kirche erhalten hatten. Und wenn es im Gesetz heißt »diejenigen, die in einem anderen Gerichtshof klagen oder ein Urteil in den königlichen Gerichten anfechten«, was heißt dann »ein anderes Gericht«? Ein anderer Gerichtshof als welcher? Ist damit das Oberhofgericht oder der Zivilgerichtshof gemeint? Liegt etwa ein Fall von »Praemunire« vor, wenn jemand im Kanzleigericht klagt, für etwas, das eigentlich vor das Zivilgericht gehört? Oder kann der Lordkanzler wegen »Praemunire« angeklagt werden? Das Gesetz verfügt »Praemunire« nur gegen die klagende Partei und nicht gegen den Richter, der den Prozess führt. Weder durch dieses noch durch das Gesetz von Richard II, 16 (1392) konnte auf »Praemunire« gegen die Richter erkannt werden, die damals nur durch päpstliche Gewalt bestraft werden konnten. Angesichts der Tatsache, dass die klagende Partei den Rat ihres Verteidigers als berechtigte Entschuldigung vorbringen kann und sowohl der weltliche Richter als auch der Anwalt nicht

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unter das Gesetz fallen, kann also die Strafe von »Praemunire« gegen niemanden verhängt werden. J  Aber Sir Coke führt im gleichen Kapitel zwei Präzedenzfälle als Beweis an, dass, obwohl die geistlichen Gerichte in England jetzt königliche Gerichte sind, dennoch jeder, der in diesen Gerichten in einer Sache klagt, die nach dem Gemeinen Recht zu verhandeln ist, den Tatbestand des »Praemunire« erfüllt. Einer davon ist, dass, obwohl im 22. Parlamentsbeschluss von Heinrich VIII. der gesamte Klerus Englands in einer Synode den König durch ein öffentliches Dokument als Oberhaupt der Kirche von England anerkannte, danach doch dieses Gesetz, nämlich Heinrich VIII, 24 (1532), noch in Kraft war. P  Warum nicht? Eine Synode des Klerus konnte nicht das Suprematsrecht verändern, ihre Gerichte waren noch immer die päpstlichen Gerichtshöfe. Der andere Präzedenzfall im 25. Parlamentsbeschluss von Heinrich VIII., der über den Bischof von Norwich, kann ebenso erklärt werden, denn der König war bis zum 26. Jahr seiner Regierungszeit nicht durch Parlamentsbeschluss zum Oberhaupt der Kirche erklärt worden. Wenn Sir Coke seinem eigenen Gesetz recht getraut hätte, würde er nicht an einem so schwachen Beweis wie diesen Präzedenzfällen festgehalten haben. Und was die dem Bischof von Norwich auferlegte Strafe des »Praemunire« betrifft, so rechtfertigt sie weder dieses geschriebene Gesetz noch das von Richard II. Er wurde verurteilt, weil er jemandem, der einen anderen vor dem Bürgermeister angeklagt hatte, drohte, ihn zu exkommunizieren. Aber das Gesetz verbietet dies nicht, es untersagt das Aussprechen und das Veröffentlichen von Exkommunizierungen oder anderen Verfahren aus Rom oder aus einem anderen Ort. Es steht außer Frage, dass vor Erlass von Heinrich VIII, 26 (1534) der Tatbestand des »Praemunire« vorliegt, wenn die Klage in einem weltlichen Fall vor einen geistlichen Gerichtshof gebracht wird, und wenn vielleicht der eine oder andere Richter seit dieser Zeit anders geurteilt hat, war sein Urteil irrig.

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J  Nein, vielmehr ist nach Richard II, 16,5 (1392) genau das Gegenteil der Fall, wie Sir Coke dir zeigen wird. Die Auswirkung (sagt er) von Rich. II. ist folgende: Wenn jemand, vor dem Gerichtshof Roms oder sonst wo, eine Sache verfolgt oder verfolgen lässt, die den König betrifft, insofern sie gegen ihn persönlich, die Krone, sein Hoheitsrecht oder sein Reich gerichtet ist, dann ist er mitsamt seinen Rechtsberatern etc. von des Königs Schutz ausgenommen. P  Bitte lass’ mich den genauen Wortlaut wissen, so wie es geschrieben steht. J  Sofort. Es heißt: Wenn irgendjemand vor dem Gerichtshof Roms oder sonst wo eine Sache erwirbt oder verfolgt bzw. erwer­ ben oder verfolgen lässt oder selbst einer Klage oder gerichtlichen Verfolgung unterworfen wird, dann sind alle Übertragungen, Ver­ fahren, Exkommunikationen, Bullen, Dokumente oder alles an­ dere, was den König betrifft, gegen ihn, seine Krone, sein Hoheits­ recht oder sein Reich, wie oben erwähnt etc. P  Wenn jemand eine Sache im Sinne des Gemeinen Rechts vor den geistlichen Gerichtshof, der jetzt des Königs Gerichtshof ist, bringt und der Richter des geistlichen Gerichts darüber entscheidet, auf welcher Grundlage kann man das auf den Text beziehen, den du gerade vorgetragen hast? Meinem Recht im königlichen Gerichtshof nachzugehen ist etwas anderes, als wenn im Gerichtshof Roms oder sonst wo Übertragungen von Bistümern gemacht oder erlangt werden; hier geht es nur um den königlichen Gerichtshof. Und dieses Verfahren ist weder gegen den König noch gegen die Krone, noch sein Hoheitsrecht, noch sein Reich gerichtet, sondern im Gegenteil. Warum ist es dann »Praemunire«? Nein. Es ist vielmehr so, dass derjenige, der, wo auch immer, ein Schreiben einreicht oder in Umlauf setzt, aus dem hervorgeht, dass ein fälschlich verurteilter Untertan dem König keinen Gehorsam mehr schulde oder dass der König auch bei Vorliegen eines Notstands außerhalb der Sitzungszeit des Parlaments keine Steuern für die Verteidigung des Landes erheben

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dürfe, meiner Meinung nach viel eher unter jenes Gesetz fällt, das dem Papst das Recht zur Pfründenvergabe abspricht, als die, die eine weltliche Klage in einem geistlichen Gericht verfolgen. Aber welches Argument kann er, da ihn doch das Gesetzesrecht im Stich lässt, nach dem Vernunftgesetz vorbringen? J  Er sagt, dass man sie »andere Gerichtshöfe« nennt, entweder weil sie den Bestimmungen anderer Rechtssysteme, wie dem kanonischen oder dem römischen Recht, folgen oder andere Prozessordnungen als die durch das Gemeine Recht autorisierten anwenden: Denn in den Verfahren nach dem Recht Englands erfolgt das Urteil durch den Spruch von zwölf Männern vor den Richtern des Gemeinen Rechts und in den Angelegenheiten, die unter das Gemeine Recht fallen, und nicht aufgrund der Prüfung von Zeugen wie vor den Billigkeitsgerichten, Alia Curia (»andere Gerichtshöfe«) sind also entweder diejenigen, die per aliam ­legem (»nach fremden Gesetzen«) entschieden werden, oder die, die Parteien einem aliud examen (»fremden Verfahren«) unterwerfen. Denn wenn … P  Halt ein. Lass’ uns bedenken, was du vorgelesen hast: das durch das »Recht Englands« gerechtfertigte Gerichtsverfahren urteilt gemäß dem Spruch von zwölf Männern. Was versteht er hier unter dem »Recht Englands«? Lässt es nicht bei Vormundschaftsgerichtsverfahren und bei Verfahren vor dem Gerichtshof der Admiralität auch die Urteilsfindung nur nach Zeugenaussagen zu? J  Unter dem »Recht Englands« versteht er das Recht, wie es in der ersten Kammer des obersten Gerichts angewandt wird, also das Gemeine Recht. P  Das wäre, als ob er gesagt hätte, dass jene beiden Gerichtshöfe ihre eigene Art des Gerichtsverfahrens zuließen, dass andere Gerichtshöfe jedoch ausschließlich durch den König autorisiert würden, während die Gerichtshöfe des Gemeinen Rechts ihre Berechtigung aus sich selbst heraus hätten. Du siehst, dass alia Curia hier unzureichend erklärt ist. In den Gerichtshöfen

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des Gemeinen Rechts erfolgen alle Gerichtsverfahren durch zwölf Männer, die Richter über den Tatbestand sind, und nachdem der Tatbestand bekannt und bewiesen ist, haben die Richter das Recht zu sprechen. In den Geistlichen Gerichtshöfen jedoch, in dem der Admiralität und in allen Billigkeitsgerichten gibt es nur einen Richter sowohl für den Tatbestand wie für das Gesetz; darin besteht der gesamte Unterschied. Wenn dieser Unterschied durch das Gesetz von alia Curia intendiert wäre, wäre es schon ein »Praemunire«, wenn eine Klage vor ein Gericht, das kein königlicher Gerichtshof ist, gebracht würde. Die erste Kammer des obersten Gerichts und der Hauptzivilgerichtshof lassen sich auch als unterschiedliche Arten von Gerichten bezeichnen, weil ihre Verfahren verschieden sind; es ist jedoch offensichtlich, dass dieses Gesetz für die Gerichte keinen anderen Unterschied kennt als den der Gerichtshöfe des Königs von den Gerichten ausländischer Staaten und Monarchen. Und da es dir zur Unter­scheidung der Gerichtshöfe auf die Geschworenen anzukommen scheint: Welchen Unterschied siehst du denn zwischen Verfahren nach dem Gemeinen Recht und Verfahren vor anderen Gerichts­höfen? Du weißt, dass natürlich in Verfahren über den Tatbestand überall auf der Welt die Zeugen diejenigen sind, die urteilen, und dass dies auch nicht anders sein kann. Worüber können denn in England Geschworene urteilen, außer über die Hinlänglichkeit von Zeugenaussagen? Die Richter haben nichts zu beurteilen oder zu tun als, nachdem der Tatbestand bewiesen ist, zu erklären, was rechtens ist; dies ist kein Beurteilen, sondern Rechtsprechung. Um es noch einmal zu sagen: Ob das Verfahren nun vor einem Vormundschaftsgericht oder einem Zivilgerichtshof stattfindet, die Zeugen urteilen immer noch über den Tatbestand, und wenn ein Einzelner den Auftrag hat, den Fall zu verhandeln, muss er beiden Aufgaben entsprechen, der der Geschworenen, die Zeugen­aussagen zu beurteilen, und der des Richters, Recht zu sprechen. Darin, so sage ich, liegt der gesamte Unterschied begründet, was freilich in der Tat ausreicht (so geht es nun ein-

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mal in der Welt zu), einen Disput über Rechtsprechung vom Zaun zu brechen. Dies aber führt weder zur Entrechtung des Königs noch des Volkes; auch nicht zum Umsturz des Vernunftgesetzes, d. h. des gemeinen Rechts, zum Umsturz der Gerechtigkeit oder zu irgendeiner Schädigung des Reiches. Ohne etwas dergleichen werden aber die Gesetze nicht gebrochen: Also kann es sich dabei nicht um ein »Praemunire« handeln. J  Lass mich weiterlesen. Denn wenn über die Erbrechte an freiem Grundbesitz, über Güter, bewegliches Eigentum, Schulden und Abgaben, auf die der König oder ein Untertan nach dem Gemeinen Recht Besitzanspruch hat, per aliam Legem gerichtet würde oder sie ad aliud Examen gebracht würden, so würde dies eines der drei oben genannten Verbrechen bedeuten, nämlich die Entrechtung des Königs und der Krone, die Entrechtung des Volkes und die Auflösung und Zerstörung des schon immer geltenden Gemeinen Rechts. P  Das heißt also des Gesetzes der Vernunft. Daraus folgt, dass dort, wo es keine Geschworenen gibt und wo die Verfahren sich von unseren unterscheiden, d. h. in der gesamten übrigen Welt, weder ein König noch ein Volk Rechtsansprüche, Eigentum oder Vernunftrecht hätten. Ich werde diese Lehre in Bezug auf das Strafrecht nicht weiter verfolgen. An keiner Stelle definiert Coke, was »Verbrechen« sei, so dass man wissen könnte, was er meint. Ihm reicht ein verhasster Name, um aus allem ein Verbrechen zu machen. Er hat »Ketzerei« zu den schlimmsten Verbrechen gezählt, ohne zu wissen, was dies bedeutet; und zwar lediglich aus dem Grund, weil die Römische Kirche (um ihre usurpierte Macht noch furchtbarer zu machen) durch unablässiges Predigen gegen »Ketzerei« und durch die Grausamkeit, mit der sie viele gottesfürchtige und gelehrte Männer dieser und anderer reformierter Kirchen verfolgte, diese dem gemeinen Volk als verabscheuungswürdig erscheinen ließ. Er behauptet, »Ketzerei« sei schon zur Zeit der Königin Elisabeth eine Sache der Krone gewesen, obwohl es damals gar keine »Ketzerei« im Sinne der Bezeichnung irgend-

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einer Lehre gab. Richter Stamford [sic] führt sie – in seinem Buch Verfahren der Krone – gar nicht an103, denn wenn Ketzerei ein Verbrechen wäre, würde sie höchstens ein »Verfahren der Mitra« sein.104 Ich sehe ferner, dass Coke in dieser Aufstellung krimineller Vergehen auch übermäßigen Aufwand beim Essen, in der Kleidung und bei Bauten anführt, obwohl man damit gegen kein Gesetz verstieß. Es ist wahr, dass so etwas durch üble Begleitumstände zur Sünde werden kann, aber solche Sünden fallen unter den Richterspruch der geistlichen Hirten. Denn da nur der Vorsatz sie zur Sünde macht, kann ein weltlicher Richter nicht entscheiden, ob es sich um Sünde handelt oder nicht, es sei denn, er hat die Befugnis, die Beichte zu hören. Außerdem ist es nach ihm auch ein Verbrechen, dem »König zu schmeicheln«. Woher wusste er, wann jemand jemandem geschmeichelt hatte? Was er meinte war, dass es ein Verbrechen sei, dem König zu gefallen. Und demgemäß zitiert er die verschiedenen unglücklichen Umstände, in die jene gerieten, die in vergangenen Zeiten bei den Königen, denen sie dienten, in großer Gunst standen, wie die Günstlinge Heinrichs III., Eduards II., Richards II. und Heinrichs VI., die entweder inhaftiert, verbannt oder hingerichtet wurden, und zwar durch die gleichen Aufrührer, die schließlich sogar einen König inhaftierten, verbannten und hinrichteten – aus keinem anderen Grund als dem, den die Rebellen seinerzeit gegen den Earl von Strafford, den Erzbischof von Canterbury und eben gegen König Karl I. hatten.105 Empson und Dudley waren keine Günstlinge Heinrichs VII. gewesen, sondern parasitäre Schwämme, die Heinrich VIII. dann gründlich ausdrückte.106 Kardinal Wolsey war in der Tat einige Jahre lang ein Günstling Heinrichs VIII., fiel aber in Ungnade, nicht weil er dem König zu sehr geschmeichelt hätte, sondern weil er ihm in der Angelegenheit seiner Scheidung von Königin Katharina gerade nicht entgegen kam.107 Hier erkennt man Cokes Absicht und in dem, was dann folgt, seine ganze Gesinnung. Aus verschiedenen Gründen werden wir darauf nicht näher eingehen. Wenn er sagt: Qui

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eorum vestigiis insistunt, eorum exitus perhorrescant, (»Die in deren Spuren wandeln, sollten auch ihr Schicksal fürchten«), so ist dies eine Drohung gegen den damaligen Günstling König Jakobs.108 Aber lass uns hiermit aufhören und über die gesetzlichen Strafen sprechen, die zu diesen Verbrechen gehören.

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VI I.  Ü BER DI E ST R A FEN

P  Und vor allem möchte ich wissen, wer die Macht hat, die jeweilige Art der Strafe für ein begangenes Verbrechen zu definieren und festzulegen. Immer angenommen, dass wir nicht, wie die Stoiker des Altertums, der Meinung sind, Schuld sei Schuld, und für das Töten eines Menschen solle die gleiche Strafe gelten wie für das Töten eines Huhns.109 J  Die Art der Bestrafung für jedwedes Vergehen muss durch das Gemeine Recht bestimmt sein. D. h., dass im Fall der Bestimmung durch ein Gesetz das Urteil im Einklang mit dem Gesetz erfolgen muss; sollte die Strafe nicht durch ein Gesetz bestimmt sein, dann muss die Gewohnheit befolgt werden: aber sollte es sich um einen neuartigen Fall handeln, so wüsste ich nicht, warum der Richter nicht nach der Vernunft entscheiden sollte. P  Aber nach wessen Vernunft? Wenn du damit die natürliche Vernunft dieses oder jenes Richters meinst, der vom König autori­siert ist, den Fall zu behandeln, so wäre, da es so viele Arten Vernunft wie Menschen gibt, die Bestrafung aller Vergehen unbestimmt und keine würde je zu einer Gewohnheit werden. Deshalb kann ein bestimmtes Strafmaß nie exekutiert werden, wenn seine Begründung in der natürlichen Vernunft der beauftragten Richter oder sogar in der des obersten Richters liegen soll: denn würde Strafe durch das Gesetz der Vernunft bestimmt, so müssten für die gleichen Vergehen überall in der Welt und zu jeder Zeit die gleichen Strafen gelten; denn das Gesetz der Vernunft ist unabänderlich und ewig. J  Wenn aus der natürlichen Vernunft weder des Königs noch irgendjemandes eine Strafe abgeleitet werden kann, wie kann es dann überhaupt gesetzliche Strafen geben? P  Wieso nicht? Denn ich denke, dass sich aus ebendieser Verschiedenheit der vernünftigen Fähigkeiten der Einzelnen die

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VII.  Über die Strafen

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wahre und vollkommene Vernunft ergibt, nach der Strafen zu bestimmen sind. Denn man muss nur die Autorität, Strafen festzulegen, einem beliebigen Menschen übertragen und seine Festlegung wird der rechten Vernunft entsprechen: allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sowohl die Festlegung als auch ihre Bekanntmachung erfolgt, bevor die Tat begangen wird.110 Denn diese Autorität ist dem Trumpfen beim Kartenspielen zu vergleichen – bis dahin, dass in Regierungssachen, solange sonst nichts angesagt ist, Kreuz immer Trumpf ist. Denn da jeder durch seine eigene Vernunft weiß, welche Taten dem Gesetz der Vernunft entgegenstehen, und wenn er weiß, welche Strafe für jede üble Tat durch die Autorität festgelegt ist, ist es offensichtlich vernünftig, dass er, wenn er ein ihm bekanntes Gesetz bricht, dafür auch die ihm bekannte Strafe erleidet. Nun kann die Person, die diese Autorität, Strafen festzulegen, erhält, an keinem Ort der Welt jemand anders sein als die, die die souveräne Gewalt innehat, sei es ein Einzelner oder eine Versammlung. Denn es wäre sinnlos, sie jemandem zu verleihen, der nicht die Verfügung über bewaffnete Kräfte hätte, um ihre Ausführung zu veranlassen. Denn keine geringere Gewalt kann dies tun, wenn viele Gesetzesübertreter sich vereinigen und sich zusammentun, um sich gegenseitig zu verteidigen. Der Prophet Nathan trug König David folgenden Fall vor: Da war ein Reicher, der viele Schafe besaß, und ein Armer, der nur ein einziges, zahmes Lamm hatte. Der Reiche hatte einen Fremden im Haus, für dessen Beköstigung er des Armen Lamm wegnahm (um seine eigenen Schafe zu schonen). Zu diesem Fall gab der König das Urteil ab, dass der Mann, der dies getan hatte, jedenfalls sterben müsse.111 Wie denkst du darüber? War es ein königliches oder ein tyrannisches Urteil? J  Ich will den Canones der Englischen Kirche nicht widersprechen, die dem König von England innerhalb seines Herrschaftsgebietes dieselben Rechte zugestehen, die die guten Könige Israels in ihren hatten112, noch will ich leugnen, dass König David einer jener guten Könige gewesen ist, aber ohne ein vorhergehen-

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VII.  Über die Strafen

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des Gesetz mit dem Tode zu bestrafen erscheint uns als ein hartes Verfahren, die wir höchst ungern von willkürlichen Gesetzen hören, geschweige denn von willkürlichen Strafen, außer wenn wir sicher sein könnten, dass all unsere Könige so gut wären wie David. Ich möchte nur fragen, aufgrund welcher Autorität sich der Klerus anmaßt, über die Macht seines eigenen Königs zu bestimmen bzw. einen Kanon zu machen oder zwischen dem Recht eines guten und eines bösen Königs zu unterscheiden. P  Es ist nicht der Klerus, der seine Canones zum Gesetz macht, sondern es ist der König, der dies durch das Große Siegel Englands tut; und es ist der König, der dem Klerus die Macht gibt, seine Doktrin zu lehren, indem er ihn öffentlich ermächtigt, die Glaubenslehre von Christus und seinen Aposteln zu lehren und zu predigen, entsprechend der Heiligen Schrift, in der diese Lehre klar verständlich enthalten ist. Aber wenn der Klerus die königliche Gewalt in irgendeiner veröffentlichten Doktrin geschmälert hätte, hätte man ihn dafür anklagen müssen. Ich glaube sogar, dass dies mehr unter das Gesetz des »Prämunire« von Richard II, 16, 5 (1392) gefallen wäre als alles Urteilen eines Billigkeitsgerichtes in Zivilklagen. Ich zitiere den Präzedenzfall von König David nicht, um den Bruch der Magna Carta gutzuheißen oder um zu rechtfertigen, dass jeder Mann, der den König beleidigen sollte, mit dem Verlust seines Lebens oder eines Gliedes bestraft werden sollte. Es geht darum zu zeigen, dass, bevor die Carta erlassen wurde, in all jenen Fällen, in denen die Strafen nicht vorgeschrieben waren, es nur der König war, der sie vorschreiben konnte, und dass kein eingesetzter Richter einen Gesetzesbrecher bestrafen konnte, ­außer kraft eines erlassenen Gesetzes oder aufgrund der Anordnung einer entsprechenden Kommission, aber nicht nur kraft seines Amtes. Wegen Missachtung des Gerichtes, was Miss­achtung des Königs ist, konnte man jemanden zu Gefängnis verurteilen, »solange es dem König beliebt«113, oder ihn mit einer Geldstrafe an die Krone belegen, je nach Größe des Vergehens.

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VII.  Über die Strafen

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Aber all dies läuft auf nicht mehr hinaus, als ihn dem Urteil des Königs zu überlassen. Was das Abschneiden der Ohren angeht und den Pranger und dergleichen Körperstrafen, die gewöhnlich früher in der Sternkammer verhängt wurden, so war diese dazu durch das Gesetz von Heinrich VII, 3 (1487) ermächtigt, das ihr manchmal das Recht gab, nach Ermessen zu bestrafen. Und allgemein ist es eine Regel der Vernunft, dass, wenn das positive Recht keine Strafe festlegt und er keinen besonderen Erlass vom König hat, jeder Strafrichter den König konsultieren soll, bevor er ein Strafmaß verkündet, das für den Gesetzesbrecher einen Schaden bedeutet, der nicht wieder gutzumachen ist. Denn anderenfalls verkündet er nicht das Recht, was das Amt des Königs ist. Und daraus kann man schließen, dass die Gewohnheit, dieses oder jenes Verbrechen auf diese oder jene Weise zu bestrafen, nicht an sich Gesetzeskraft hat, sondern erst durch die gesicherte Annahme, dass der Ursprung der Gewohnheit im Urteil eines früheren Königs liegt. Und aus diesem Grund sollten die Richter die Gewohnheiten, auf die sie sich berufen, weder zurück zu den sächsischen Königen verfolgen noch bis zur Zeit der (normannischen) Eroberungen. Denn die unmittelbarsten und aktuellsten Präzedenzfälle sind die angemessensten Rechtfertigungen ihrer Urteile, da die neuesten Gesetze gemeinhin den größten Nachdruck haben, weil sie frisch in der Erinnerung aller Menschen sind und stillschweigend durch den souveränen Gesetzgeber bestätigt (weil nicht missbilligt) werden. Was kann dagegen gesagt werden? J  Sir Coke, Inst., III, S.  210, sagt im Kapitel über Urteile und Exekutionen, dass von den Urteilen manche aus dem Gemeinen Recht, manche aus dem Gesetzesrecht und manche aus der Gewohnheit abgeleitet werden. Daher unterscheidet er Gemeines Recht sowohl vom Gesetzesrecht als auch vom Gewohnheitsrecht. P  Aber du weißt, dass er an anderen Stellen das Gemeine Recht mit dem Gesetz der Vernunft gleichsetzt, was in der Tat auch der Fall ist, wenn man damit die Vernünftigkeit des Königs

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VII.  Über die Strafen

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meint. Dies kann also nach Coke nur bedeuten, dass es Urteile kraft Vernunft ohne Gesetzesrecht gibt und Urteile, die weder aus dem Gesetzesrecht noch aus Vernunft, sondern nur aus Gewohnheit ohne Vernunft erfolgen. Denn wenn eine Gewohnheit vernünftig ist, wie sowohl er als auch andere gelehrte Juristen sagen, ist sie Gemeines Recht, und wenn unvernünftig, überhaupt kein Recht. J  Ich glaube, dass Sir Cokes Meinung in diesem Punkt nicht anders war als deine und dass er das Wort Gewohnheit eingeführt hat, weil es nicht viele Menschen gibt, die zwischen vernünftiger und unvernünftiger Gewohnheit unterscheiden können. P  Aber die Gewohnheit, soweit sie Gesetzeskraft hat, hat mehr vom Wesen des Gesetzesrechts als vom Vernunftrecht, besonders wenn es nicht um Ländereien und bewegliche Güter geht, sondern um Strafen, die nur kraft Autorität festgelegt werden können. Um nun zum Einzelnen zu kommen: Welche Strafe folgt nach dem Gesetz auf Hochverrat? J  Dass man auf dem hölzernen Gitter vom Gefängnis zum Galgen geschleift, dort am Hals aufgehängt und dann lebend auf den Boden gelegt wird. Dass einem dann das Gedärm herausgenommen und dass dieses verbrannt wird, während man noch lebt. Dass dann der Kopf abgeschnitten und der Körper gevierteilt wird und der Kopf und die Körperviertel an Orte gebracht werden, die der König dafür vorsieht. P  Da ein Richter nach dem Gesetz urteilen soll und da dieses Urteil durch kein geschriebenes Gesetz vorgesehen ist, wie rechtfertigt Sir Coke es, aus Vernunft oder aus Gewohnheit? J  Nur auf die Weise, dass es vernünftig sei, dass desjenigen Körper, Ländereien, Eigentum, Nachlass usw. zerfetzt, auseinandergerissen und zerstört werden müssen, der die Majestät der Herrschaft zerstören wollte. P  Siehst du, wie er es vermeidet, von der Majestät des Königs zu sprechen? Aber spricht diese Vernunft nicht genauso für eine

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Bestrafung des Hochverräters wie bei Metius Suffetius, der in alter Zeit von Tullus Hostilius, König von Rom, hingerichtet wurde114, oder wie bei Ravaillac vor nicht vielen Jahren in Frankreich?115 Beide wurden von vier Pferden in Stücke gerissen, was danach ebenso vernünftig ist wie das Schleifen, Hängen und Vierteilen. J  Ich denke schon. Aber Coke beruft sich im gleichen Kapitel auf die Heilige Schrift: Joab wurde wegen Hochverrats von den Hörnern des Altars weggezogen (I. Könige 2,28): daher das Schleifen. In Esth 2,22 wurde Bithan wegen Hochverrats gehängt; daher das Hängen. Nach der Apostelgeschichte, 1,18 hat Judas sich erhängt und ist mitten entzwei geborsten und seine Eingeweide traten aus: daher das Hängen und Gedärmeherausreißen bei lebendigem Leibe. In 2. Sam 18,14 durchstach Joab Absaloms Herz: daher das Herausreißen eines Verräterherzens. In 2. Sam 20,22 wurde Sheba, dem Sohn Bichris, der Kopf abgeschnitten, also muss auch der Kopf des Hochverräters abgeschnitten werden. In 2. Sam 4,12 erschlug man Baanah und Rechah und hing ihre Köpfe über den Teich des Hebron: daher das Vierteilen. Und was schließlich den Verlust aller Ländereien und allen Eigentums angeht, so steht dafür Psalm 109, V., 10  ff., wo es heißt: »Seine Kinder müssen in die Irre gehen und betteln und suchen als die verdorben sind. Es müsse der Wucherer aussaugen alles, was er hat; und Fremde müssen seine Güter rauben, und sein Gedächtnis müsse ausgerottet werden auf Erden.« P  Sehr gelehrt. Aber danach dürfte auch keine Aufzeichnung des Urteils gemacht und aufbewahrt werden. Außerdem werden die Strafen, die dort auf verschiedene Verräter verteilt sind, hier bei ein und demselben Verräter in ein einziges Urteil zusammengedrängt. J  Vermutlich hat er es nicht so gemeint; er wollte wohl, da er nun einmal in Schwung war, seine Belesenheit zeigen oder seinen Kaplänen beibringen, was in der Bibel steht. P  Festzuhalten ist, dass er für die genaue Straffestsetzung im Falle von Hochverrat kein Argument aus der natürlichen Ver-

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VII.  Über die Strafen

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nunft, d. h. aus dem Gemeinen Recht, vorbringt. Und offensichtlich war diese Strafe nie allgemeine Gewohnheit des Landes; selten oder nie wurde sie an einem Mitglied des Hochadels vollzogen. Zudem kann der König die ganze Strafe erlassen, wenn er will. Aus alledem folgt, dass die genaue Straffestsetzung allein auf der Autorität des Königs beruht. Aber so viel ist sicher, dass kein Richter ein anderes Urteil fällen soll als eines, das gewohnheitsmäßig gefällt worden ist und das entweder durch geschriebenes Gesetz oder durch ausdrückliche oder implizierte Zustimmung des Souveräns gebilligt wurde; denn anderenfalls ist es nicht das Urteil des Gesetzes, sondern nur eines Mannes, der ja seinerseits dem Gesetz unterliegt. J  Bei gewöhnlichem Verrat lautet das Urteil, zur Hinrichtungsstätte gezogen und am Hals aufgehängt zu werden, oder wenn es sich um eine Frau handelt, gezogen und verbrannt zu werden. P  Kann man sich vorstellen, dass diese feine Unterscheidung einen anderen Ursprung haben kann als den Scharfsinn einer einzelnen Privatperson? J  Sir Coke sagt dazu, dass sie weder geköpft noch gehängt werden soll. P  Jedenfalls nicht durch den Richter, der kein anderes Urteil verhängen soll, als das geschriebene Gesetz oder wie vom ­König bestimmt. Auch nicht durch den Sheriff, der keine andere Hinrichtung durchführen darf, als vom Richter verkündet, a­ ußer er hat einen besonderen Befehl vom König. Und das, dächte ich, würde er meinen, hätte er nicht vorher gesagt, dass der König sein Recht auf Jurisdiktion vollständig an seine Gerichte abgegeben habe. J  Das Urteil auf Schwerverbrechen lautet – P  Häresie kommt noch vor Schwerverbrechen im Katalog der Strafverfahren. J  Er hat das Urteil gegen einen Häretiker ausgelassen, weil (denke ich) keine Jury auf Häresie erkennen kann und auch kein weltlicher Richter je ein Urteil über sie gefällt hat, denn das Ge-

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setz von Heinrich V, 2, 7 (1414) lautet, dass der Bischof, nachdem er jemanden der Ketzerei für schuldig befunden hat, diesen dem Sheriff ausliefert und dass der Sheriff sich auf den Bischof verlassen soll. Der Sheriff war daher durch das Gesetz Heinrich IV, 2 (1400) gehalten, den Ketzer zu verbrennen, nachdem er ihm ausgeliefert wurde. Aber da dieses Gesetz aufgehoben wurde, konnte der Sheriff ihn nicht verbrennen ohne eine schriftliche Verfügung De Haeretico comburendo, und daher verbrannte der Sheriff den Legat im 9. Jahr König Jakobs kraft dieser Verfügung, die zu jener Zeit von den Richtern des Gemeinen Rechts erlassen wurde, und in jener Verfügung kommt das Urteil zum Ausdruck. P  Dies ist eine merkwürdige Argumentation. Wenn Sir Coke wusste und zugab, dass die Gesetze, auf denen die Verfügung De Haeretico comburendo basierte, alle aufgehoben waren, wie konnte er dann glauben, dass die Verfügung selbst noch in Kraft war? Oder dass das Gesetz, das die Ketzereiverbrennungsgesetze aufhebt, nicht mit der Absicht gemacht wurde, solche Verbrennungen zu verbieten? Es ist offensichtlich, dass er seine Bücher über das Gemeine Recht nicht verstanden hat: denn zur Zeit von Heinrich IV. und Heinrich V. war das Wort des Bischofs der Vollstreckungsbefehl für den Sheriff und für eine derartige schriftliche Verfügung bestand keine Notwendigkeit. Auch konnte er das nicht für die Zeit bis zum 25. Jahr der Herrschaft Heinrichs VIII . annehmen, als jene Gesetze aufgehoben wurden und für diesen Zweck eine schriftliche Verfügung gemacht und in das Register aufgenommen wurde, welche Fitzherbert am Ende seiner Natura Brevium zitiert. Gegen Ende der Regierungszeit von Königin Elisabeth wurde wiederum ein korrektes Register der originalen und richterlichen Verfügungen veröffentlicht, wobei die Verfügung De Haeretico comburendo ausgelassen wurde, weil das Gesetz von Heinrich VIII, 25 (1533) und alle Statuten gegen Ketzer aufgehoben wurden und Verbrennung verboten wurde. Und während er den Obersten Gerichtspräsidenten, den Präsidenten des Finanzgerichtshofes und zwei Richter für bürgerliche Rechts-

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streitfälle für den Erlass dieser Verfügung, Jakob, 9 (1611) zitiert, so ist das außer bei dem Obersten Gerichtspräsidenten gegen das Gesetz; denn weder die Richter für bürgerliche Rechtsstreitfälle noch die des Finanzgerichtshofes können (ohne besonderen Auftrag) Kronverfahren durchführen, und wenn sie dafür nicht ­zuständig sind, können sie auch nicht zum Tode verurteilen. J  Die Strafe für Felonie lautet, dass der Täter am Hals aufgehängt wird, bis der Tod eintritt. Und um zu beweisen, dass dieses sein soll, zitiert er ein Urteil (woher weiß ich nicht) Quod non licet Felonem pro Felonia decollare (»Es ist ungesetzlich, einen Felon für seine Felonie zu enthaupten«). P  Es ist in der Tat ungesetzlich, wenn der Sheriff dies aus eige­ ner Entscheidung tut oder etwas anderes ausführt, als im Urteil angeordnet wird, oder wenn der Richter anders richtet als entsprechend dem Gesetz bzw. dem Brauch, wie ihm der König zugestimmt hat, aber dies hindert den König nicht daran, das Gesetz hinsichtlich der Urteilssprüche abzuändern, wenn er einen guten Grund dafür sieht. J  Der König kann das tun, wenn es ihm beliebt. Und Sir Coke beschreibt auch, wie bestimmte Urteile in Bezug auf Felonie abgeändert wurden, und zeigt, dass ein Urteil über einen Lord im Parlament lautete, dass er gehängt werde, und doch wurde er enthauptet, und dass einen anderen Lord dasselbe Urteil für ein anderes Verbrechen traf, und auch dieser wurde nicht gehängt, sondern enthauptet. Damit weist er auf den Nachteil eines solchen Vorgehens hin, denn (so sagt er) wenn Hängen in Enthaupten abgeändert werden könne, könne es aus gleichem Grund in Verbrennen, Steinigen usw. geändert werden. P  Vielleicht könnte es hier einen Nachteil geben; aber weder sehe ich ihn, noch zeigt er ihn, noch bedeutete die von ihm zitierte Hinrichtung einen Nachteil. Außerdem gibt er zu, dass der Tod als ultimum supplicium (»äußerste Strafe«) dem Gesetz ­Genüge tut. Aber was tut das alles zur Sache, wo doch die Betrachtung sol-

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cher Probleme der Regierung keinem anderen zusteht als König und Parlament? Oder wer kann aus der Amtsgewalt eines eingesetzten Richters die Macht ableiten, die Handlungsweise eines Königs zu kritisieren, der den Richter eingesetzt hat? J  Für den Tod eines Mannes durch Unglück (so sagt er) gibt es kein ausdrückliches Urteil, auch nicht für die Tötung eines Mannes in Notwehr, aber er sagt, dass das Gesetz in beiden Fällen das Urteil vorsieht, dass derjenige, der auf diese Weise einen Mann tötet, all sein bewegliches Hab und Gut, seine Ämter und Pfründe verwirkt. P  Wenn wir uns ansehen, was Sir Coke in Inst., I, Lect. 745, beim Begriff Felonie sagt, dann sind diese Urteile sehr günstig, denn dort sagt er, dass die Tötung eines Mannes durch einen unglücklich verlaufenden plötzlichen Streit oder se defendendo (in Notwehr) Felonie ist. Seine Worte sind: warum das Gesetz bis heute unter dem Begriff Felonie gemeinen Verrat, Mord, Totschlag, Brandstiftung, Einbruch, Raub, Vergewaltigung usw. auch Tötung in einem Streitfall und se defendo versteht. Aber wenn wir die Absicht desjenigen betrachten, der einen Mann unglücklich oder in Notwehr tötet, dann wird man diese Urteile als grausam und sündhaft betrachten. Und wie sie heute Felonie sein können, kann man nicht verstehen, außer wenn es ein Gesetz gäbe, das sie zu solchen machte. Denn das Gesetz von Heinrich III, 52, 25 (1267) sagt: Wenn bei einem Mord befunden wird, dass er nur durch unglückliche Umstände verursacht wurde, soll er nicht vor unseren Richtern verhandelt werden; wenn jemand aber durch Felonie umkommt, soll der Prozess stattfinden und nicht anders. Diese Worte machen offensichtlich, dass, wenn diese Fälle Felonie sein sollen, sie auch Morde sein müssten, es sei denn, sie wären durch ein späteres Gesetz ausdrücklich zu Felonie erklärt worden. J  Es gibt kein solches späteres Gesetz, noch ist es in Auftrag; auch kann kein Auftrag oder irgendetwas außer eben ein anderes Gesetz eine Sache zu Felonie machen, die zuvor keines war.

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P  Da sieht man, was es bedeutet, Felonie in verschiedene Arten zu unterteilen, bevor man die allgemeine Bezeichnung Felonie in ihrer Bedeutung verstanden hat. Dass jedoch ein Mann all sein bewegliches Hab und Gut, sein Einkommen und seine Ansprüche verliert allein für die unglückliche Tötung eines anderen, ohne eine böse Absicht, ist ein sehr hartes Urteil, außer vielleicht, wenn alles den Hinterbliebenen des Getöteten gegeben würde als Ausgleich für den Schaden. Aber so lautet das Gesetz nicht. Ist es das Gemeine Recht (das Gesetz der Vernunft), das ein solches Urteil rechtfertigt, oder das Gesetzesrecht? Das Gesetz der Vernunft kann es nicht sein, wenn es sich um ein bloßes Unglück handelt. Wenn ein Mann auf seinem Apfelbaum sitzt, um Äpfel zu pflücken, unglücklicherweise herunterfällt und einen anderen tötet, weil er auf dessen Kopf fällt, selbst aber glücklicherweise mit dem Leben davonkommt, soll er für dieses Unglück mit dem Verlust seiner Habe an den König bestraft werden? Rechtfertigt dies das Gesetz der Vernunft? Er hätte (wird man sagen) auf seine Füße achten sollen; das stimmt, aber genauso hätte derjenige, der unten war, zum Baum hochschauen müssen. Daher bestimmt das Gesetz der Vernunft (so wie ich glaube), dass jedem von ihnen nur sein eigenes Unglück zugerechnet werden sollte. J  In diesem Fall stimme ich mit dir überein. P  Aber dieser Fall ist ein echter Fall bloßen Unglücks und damit eine ausreichende Widerlegung der Auffassung von Sir Coke. J  Aber was wäre, wenn dies durch einen Mann geschehen würde, der dabei war, Äpfel vom Baum eines anderen zu stehlen? Dann wäre es doch Mord (wie Sir Coke in Inst., III, S.  56, sagt). P  Es ist in der Tat unbedingt notwendig, bei einem Fall von unglücklicher Tötung genaue Unterscheidungen zu treffen. Aber in diesem Fall kann die Ungesetzlichkeit des Apfeldiebstahls die Tötung nicht zum Mord machen, außer wenn das Fallen selbst ungesetzlich wäre. Es muss eine vorsätzliche und ungesetzliche Handlung vorliegen, durch die der Tod verursacht wird, sonst ist

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es nach dem Gesetz der Vernunft kein Mord: Schließlich rührte der Tod des Mannes, der unter dem Baum war, nicht daher, dass die Äpfel nicht dem gehörten, der herunterfiel, sondern vom Fallen. Aber wenn ein Mann mit einem Bogen oder einer Schusswaffe auf den Hirsch eines anderen schießen würde und durch Unglück einen Mann tötete, könnte dies, da der Schuss sowohl willkürlich als auch ungesetzlich als auch die unmittelbare Ursache für den Tod eines Menschen war, von einem Richter des Gemeinen Rechts manchmal durchaus als Mord ausgelegt werden. Und auch, wenn jemand einen Pfeil über ein Haus schießt und durch Zufall einen Menschen auf der Straße tötet, gibt es keinen Zweifel, dass es nach dem Gesetz der Vernunft Mord ist, denn, obwohl er dem Getöteten nicht übelwollte, ist es offensichtlich, dass es ihm gleichgültig war, ob er jemanden tötete. Wem fällt bei dieser Schwierigkeit herauszufinden, was das Gesetz der Vernunft vorschreibt, die Entscheidung zu? J  Im Unglücksfall, denke ich, ist eine Jury zuständig; denn es ist nur eine Frage des Tatbestandes. Aber wenn es zweifelhaft ist, ob die Handlung, aus der das Unglück hervorging, gesetzlich oder ungesetzlich war, muss der Richter urteilen. P  Aber wenn es nicht die Ungesetzlichkeit des Handelns war, die wie beim Apfeldiebstahl den Tod des Mannes verursachte, dann muss der Diebstahl, sei er nun ein Verbrechen oder Felonie, für sich bestraft werden, so wie es das Gesetz verlangt. J  Aber was die Tötung se defendendo (»in Notwehr«) angeht, so soll die Jury (wie Sir Coke es hier sagt) in ihrem Spruch nicht sagen, es war se defendendo, sondern sie soll die Art des Sachverhaltes im Besonderen darlegen und es dem Richter überlassen, wie der Tatbestand zu nennen ist, ob se defendendo, Totschlag oder Mord. P  Das sollte man meinen; denn es liegt nicht oft in der Fähigkeit einer Jury, die Tragweite der verschiedenen und harten Bezeichnungen zu ermessen, die von Juristen für die Tötung eines Mannes gegeben wurden; wie auch für Mord und Felonie, die

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weder von den Gesetzen noch von dem Gesetzgeber je definiert wurden. Die Zeugen sagen aus, dass die Person dies oder jenes tat, aber nicht, dass es Mord oder Felonie war. Auch die Jury kann nicht mehr sagen als das, was sie von den Zeugen oder von dem Gefangenen gehört hat. Auch soll der Richter sein Urteil nicht auf etwas anderes gründen als auf die besonderen Tatsachen, und das Urteil soll sich danach richten, ob dieser Tatbestand gegen das Gesetz verstößt oder nicht. J  Aber ich sagte doch schon, dass, wenn die Jury auf Unglück erkennt oder auf se defendendo, kein Urteil gefällt werden soll und der Angeklagte daher begnadigt werden soll, außer dass er natürlich sein Hab und Gut sowie sämtliche Rechtsansprüche an den König verliert. P  Aber ich verstehe nicht, wie es ein Verbrechen geben kann, wenn kein Urteil existiert, noch wie irgendeine Strafe ohne vorhergehendes Urteil verhängt werden kann, noch mit welcher Begründung der Sheriff die Habe eines Mannes beschlagnahmen kann, bevor ein entsprechendes Urteil ergangen ist. Ich weiß, dass Sir Coke sagt, dass, wenn das Urteil auf Hängen lautet, der Verlust des Eigentums impliziert ist, was ich nicht verstehe; obwohl ich sehr wohl verstehe, dass der Sheriff kraft seines Amtes das Hab und Gut eines verurteilten Felons einfach beschlagnahmt. Noch viel weniger begreife ich, wie der Eigentumsverlust in einem Nicht-Urteil impliziert sein kann, noch verstehe ich, warum der Angeklagte überhaupt eine Strafe erhalten soll, wenn die Jury den Sachverhalt so aufklärt, dass nichts anderes als se defendendo vorliegen kann, und folgerichtig kein Fehlverhalten. Kannst du mir irgendeinen vernünftigen Grund dafür aufzeigen? J  Der Grund liegt in der Gewohnheit. P  Du weißt, dass unvernünftige Gewohnheiten nicht Gesetz sein können, sondern abgeschafft werden sollten. Welche Gewohnheit ist unvernünftiger, als einen Mann zu bestrafen, der keine ungesetzliche Handlung begangen hat? J  Dann sieh dir das Gesetz Heinrich VIII , 24, 5 (1532) an!

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P  Hierzu stelle ich fest, dass es unter den Juristen eine Diskussion über folgende Fragen gab, als dieses Gesetz gemacht wurde: Gesetzt den Fall, dass ein Mann einen anderen tötet, der ihn auf oder in der Nähe einer öffentlichen Straße, einer Hofzufahrt, einem Reitweg oder Fußweg, in seinem Haus, seinem Gebäude oder seiner Wohnstätte in verbrecherischer Absicht zu berauben oder ermorden versucht: Verwirkt man für die Tötung eines solchen Mannes sein Hab und Gut, wie in dem Fall, dass jemand einen anderen im Streitfall oder zur Verteidigung tötet? So weit die Einleitung, die so gut verfasst ist, wie es Sir Coke sich nur wünschen konnte. Doch das Gesetz bestimmt nicht, dass ein Mann seine Habe für das Töten eines Mannes se defendendo verwirken soll oder für das unglückliche Töten, sondern überlässt dies der Meinung der zuständigen Juristen. Der Tenor des Gesetzes ist, dass, wenn ein Mann wegen des Todes einer solchen Person angeklagt wird, die den wie oben beschriebenen Versuch unternommen hatte, und wenn im Urteil entsprechend befunden wird, dieser Mann gar nichts verwirkt: Vielmehr soll er entlassen werden, wie wenn auf »Nicht schuldig« erkannt worden wäre. Das ist das Gesetz, jetzt betrachte in seinem Licht den Tötungsfall se defendendo. Erstens, wenn jemand einen anderen in Selbstverteidigung tötet, ist es offensichtlich, dass der Erschlagene ihn entweder zu berauben, zu töten oder zu verletzen suchte, sonst wäre es nicht in Selbstverteidigung geschehen. Wenn es dann auf der Straße oder nahe der Straße wie in einem Wirtshaus geschieht, verwirkt er nichts, weil die Straße als »High-way« ja unter besonderem gesetzlichen Schutz steht. Das Gleiche gilt für alle anderen öffentlichen Wege. Wo kann jemand daher einen anderen in Selbstverteidigung töten, ohne dass das Gesetz ihn vor dem Eigentumsverlust bewahrt? J  Aber das Gesetz sagt, der Versuch müsse in verbrecherischer Absicht erfolgen. P  Wenn ein Mann mich mit einem Messer, Schwert, einer Keule oder einer anderen tödlichen Waffe überfällt, verbietet mir

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dann irgendein Gesetz, mich zu verteidigen, oder befiehlt es mir, so lange zu verharren, bis ich weiß, ob er das in verbrecherischer Absicht tut oder nicht? Daher ist der Eigentumsverlust kraft dieses Gesetzes aufgehoben, wenn auf se defendendo erkannt wird; wenn anders erkannt wird, folgt die Todesstrafe. Wenn man das Statutgesetz von Eduard I, 6 (1277) liest, wird das Problem, glaube ich, gelöst. Denn kraft dieses Gesetzes soll im Fall, dass die Jury erkennt, dass der in Frage Kommende in Selbstverteidigung oder unter unglücklichen Umständen gehandelt hat und dies dem König von seinen Richtern berichtet wird, jener ihn begnadigen können, wenn es ihm gefällt. Woraus folgt: erstens, dass es damals als Gesetz erachtet wurde, dass die Jury das allgemeine Urteil se defendendo abgeben kann, was von Sir Coke bestritten wird. Zweitens, dass der Richter über besondere Angelegenheiten dem König berichten soll. Drittens, dass der König den Angeklagten begnadigen kann, wenn es ihm beliebt, und folglich, dass seine Habe nicht beschlagnahmt wird, bis der König (nach Anhörung des Richters) den Sheriff dazu anweist. Viertens, dass das allgemeine Urteil der Jury den König nicht daran hindert, in der besonderen Angelegenheit anders zu urteilen. Es geschieht ja oft, dass eine boshafte Person jemanden durch Worte oder anders provoziert mit dem Zweck, ihn zum Ziehen des Schwertes zu veranlassen, so dass sie ihn dann töten kann und vorgibt, es sei in Selbstverteidigung geschehen. Wenn das offenkundig ist, kann der König, ohne sich gegen Gott zu vergehen, ihn bestrafen, wie es notwendig ist. Letztens kann er (entgegen der Lehrmeinung von Sir Coke) persönlich in dem Fall Richter sein und das Urteil der Jury aufheben, was ein eingesetzter Richter nicht kann. J  Es gibt einige Fälle, in denen der Besitz eines Mannes an den König fällt, auch wenn er von der Jury für »Nicht schuldig« erklärt wurde. Zum Beispiel: Ein Mann wurde erschlagen, und A, der B hasst, verbreitet, dass es B war, der ihn erschlagen hat. B flieht, als er davon hört, weil er fürchten muss, dass er vor Gericht durch den großen Einfluss von A und anderer, die ihm schaden

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wollen, zum Tode verurteilt würde. Dann wird er gefasst, vor Gericht gestellt und nach hinreichender Beweisaufnahme von der Jury für »Nicht schuldig« erklärt. Doch weil er zunächst geflohen ist, verliert er sein Hab und Gut, obwohl vom Richter kein entsprechendes Urteil gefällt wurde und dies auch in keinem geschriebenen Gesetz steht. Es ist die reine Amtsgewalt, die den Sheriff ermächtigt, den Besitz zugunsten des Königs einzuziehen.116 P  Ich sehe keinen vernünftigen Grund (was Gemeines Recht wäre) dafür und bin sicher, dass dies auf keinem geschriebenen Gesetz basiert. J  Dann lies Sir Coke, Inst., I, Sekt. 709. P  »Wenn jemand unschuldig eines schweren Verbrechens beschuldigt wird und aus Furcht flieht, soll er, auch wenn er gerichtlich vom Vorwurf des Verbrechens freigesprochen wird – also trotz seiner Unschuld –, sein Hab und Gut verlieren, wenn befunden wird, dass er deswegen floh.« Oh, was für eine unchristliche und abscheuliche Lehre! 117 Und dabei widerspricht er ihr sogar schon im nächsten Satz mit seinen eigenen Worten: denn (sagt er) was den Besitzverlust angeht, so wird das Gesetz keinen Beweis gegen die Annahme zulassen, zu der es selbst aufgrund der Flucht gekommen ist – und so ist es in vielen anderen Fällen. Die generelle Regel lautet nämlich: Quod stabitur praesumptioni, donec probetur in contrarium (»Die gesetzliche Vermutung besteht bis zum Beweis des Gegenteils«), aber man sieht, dass es da viele Ausnahmen gibt. Diese allgemeine Regel widerspricht dem, was er vorhersagt, denn es kann keine Ausnahme zu einer allgemeinen Rechtsregel geben, die nicht ausdrücklich durch ein Gesetz zu einer Ausnahme gemacht wird; zu einem allgemeinen Billigkeitsgrundsatz jedoch kann es überhaupt keine Ausnahme geben. Von der Strafgewalt lass’ uns nun zur Frage der Begnadigung übergehen.

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V II I.  VON DER BEG NA DIG U NG 118

J  Was das Recht der Begnadigung angeht, so sagt Sir Coke in Inst., III, S.  236, dass niemandem eine Begnadigung gewährt werden solle, die nicht aus dem Parlament selbst komme. Er zitiert das Gesetz von Eduard III, 2, 2 (1328) und fährt fort, in einem Parlamentsdokument sei niedergelegt, dass es dem Frieden des Landes diene, wenn Begnadigungen nur durch das Parlament ausgesprochen werden könnten. P  Welche gesetzliche Gewalt würde er dem König übriglassen, wenn er ihn auf diese Weise der Fähigkeit beraubt, Gnade walten zu lassen? In dem Gesetz, das er zitiert, um zu beweisen, dass der König außerhalb des Parlaments keine Gnadenerlasse heraus­ geben soll, steht so etwas nicht, wie jeder nachlesen kann, das Gesetz ist ja gedruckt. Was in jenem Parlamentsdokument steht, ist nichts als ein Wunsch von wer weiß wem und kein Gesetz; und es ist merkwürdig, dass ein privater Wunsch unter Parlamentsgesetzen aufgeführt sein soll. – Wenn ein Mann dir ein Unrecht zufügt, wem (glaubst du) steht das Recht der Verzeihung (pardoning) zu? J  Zweifellos mir allein, wenn mir allein das Unrecht zugefügt wurde, und dem König allein, wenn ihm allein der Schaden zugefügt wurde, und uns beiden, wenn uns beiden Unrecht getan wurde.119 P  Welchen Anteil hat dann irgendjemand bei der Begnadigung als der König und die betroffene Partei? Wenn man kein Mitglied eines der beiden Häuser (des Parlaments) beleidigt, warum sollte man dort um Gnade bitten? Es ist möglich, dass jemand die Begnadigung verdient, es kann sich auch um jemanden handeln, der für die Verteidigung des Königreiches wichtig ist: Kann der König diesen nicht auch dann begnadigen, wenn das Parlament gerade nicht tagt? Sir Cokes Behandlung des Gesetzes ist in diesem Punkt zu allgemein, und ich glaube, dass er, wenn er

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darüber nachgedacht hätte, einige Personen ausgenommen hätte, so die Kinder des Königs und den Thronerben. Obwohl auch sie alle seine Untertanen sind und dem Gesetz wie alle anderen unterliegen. J  Aber wenn der König nach eigenem Gutdünken Gnade auf Mord und Schwerverbrechen gewähren soll, gäbe es sehr wenig Sicherheit für jeden, weder außer Haus noch drinnen, weder bei Tag noch bei Nacht. Genau aus diesem Grunde sind viele gute Gesetze gemacht worden, die den Richtern verbieten, Begnadigungen zu gewähren, wenn etwa das Verbrechen, um das es geht, nicht besonders benannt ist. P  In der Tat muss ich zugeben, dass Gesetze, die dem Richter untersagen, bei Mord zu begnadigen, vernünftig und sehr vorteilhaft sind. Aber welches Gesetz soll dem König verbieten, dies zu tun? Es gibt ein Gesetz, nämlich Richard II, 13, 1 (1389), worin sich der König verpflichtet, bei Mord nicht zu begnadigen, doch auch dies enthält eine Klausel, die die königliche Souveränität bewahrt. Woraus geschlossen werden kann, dass der König auf diese Macht nicht verzichten kann, insofern er ihren Gebrauch für das Gemeinwohl für förderlich hält. Solche Gesetze sind nicht für den König, sondern für seine Richter, und wenngleich die Richter vom König angewiesen sind, Begnadigungen in vielen Fällen nicht zuzulassen, müssen sie es doch tun, wenn der König es ihnen schriftlich befiehlt. Ich halte dafür, dass der König, wenn es nach seinem Gewissen gut für das Gemeinwohl ist, keine Sünde begeht. Freilich meine ich nicht, dass der König jemanden ohne Sünde begnadigen kann, wenn jemand anders für dasselbe Verbrechen mit dem Tod bestraft wird, außer wenn er für Wiedergutmachung sorgt, soweit es der Täter kann. Und ob Sünde oder nicht: Es gibt in England keine Macht, die ihm widerstehen kann oder mit gutem Recht schlecht über ihn reden kann. J  Sir Coke leugnet das nicht; und aus diesem Grund kann der König, sagt er, Hochverrat begnadigen. Denn Hochverrat richtet sich immer gegen den König.

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P  Das ist gut; er gesteht damit ein, dass, was auch immer begangen wurde, der König, wenn sein Gewissen ihm sagt, dass es nicht zum Schaden des Gemeinwohls geschieht, begnadigen kann, insoweit sich die Tat gegen ihn richtet; und das zu Recht, ohne den Bruch eines positiven Gesetzes oder des Naturrechts oder einer Verordnung zu begehen. Du weißt ja, dass es nur dem König zusteht zu entscheiden, was gut oder schlecht für das gemeine Wohl ist. Nun sage mir, was es ist, was begnadigt werden soll. J  Was kann es sein als nur das Vergehen? Wenn ein Mann ­einen Mord begangen hat und begnadigt wird, dann wird doch der Mord begnadigt? P  Aber nein, wenn du erlaubst. Wenn ein Mann einen Mord begangen hat und dafür begnadigt wird, dann wird der Mann begnadigt, der Mord bleibt Mord. Aber was ist eine Begnadigung (pardon)? J  Ein »Pardon« ist (wie Sir Coke in Inst., III, S.  233 sagt) eine Ableitung aus per und dono und bedeutet eine vollständige Vergebung. P  Wenn der König den Mord vergibt und nicht den Mann begnadigt, der ihn beging, was soll dann die Vergebung? J  Du weißt doch genau, dass, wenn man sagt, ein Mord oder etwas anderes wurde begnadigt, jeder Engländer darunter versteht, dass die dem Vergehen angemessene Strafe dasjenige ist, was erlassen wird. P  Zum gegenseitigen Verständnis hättest du das gleich sagen sollen. Einen Mord oder eine Felonie zu begnadigen heißt also, den Täter vollständig vor jeder Strafe zu bewahren, die ihm nach dem Gesetz für seine Tat zusteht. J  Durchaus nicht, denn Sir Coke sagt Folgendes im gleichen Kapitel, S.  238: Ein Mann begeht eine Felonie und wird dafür zu dauerndem Ehrverlust verurteilt oder er schwört ab. Begnadigt der König das Schwerverbrechen, ohne den Ehrverlust oder die Abschwörung zu erwähnen, ist die Begnadigung nichtig. P  Was heißt es, zu Ehrverlust verurteilt zu werden?

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J  Zu Ehrverlust verurteilt zu werden heißt, dass sein Blut vor Recht und Gesetz als befleckt und verdorben gilt; so dass kein Erbe von ihm auf seine Kinder oder andere, die an ihn Forderungen stellen, weitergegeben werden kann. P  Ist dieser Ehrverlust ein Teil des Verbrechens oder der Strafe? J  Er kann kein Teil des Verbrechens sein, weil er nichts mit der Handlung des Täters zu tun hat. Daher ist er ein Teil der Strafe, weil dem Täter untersagt wird, irgendjemandem irgendetwas zu vererben. P  Wenn er ein Teil der fälligen Strafe ist und doch nicht mit dem Übrigen erlassen wird, dann ist eine Begnadigung kein so vollständiger Erlass der Strafe, wie es Sir Coke sagt. Und was ist Abschwörung? J  Wenn ein Kleriker bisher eines Schwerverbrechens schuldig gesprochen wurde, konnte er sein Leben retten, wenn er dem Königreich abschwor, d. h., indem er innerhalb einer festgesetzten Zeit das Land verließ und schwor, niemals zurückzukehren. Aber jetzt sind sämtliche Abschwörungsstatuten aufgehoben. P  Das ist also auch eine Strafe und müsste bei Begnadigung des Schwerverbrechens ebenso aufgehoben sein – es sei denn, es ist ein Gesetz in Kraft, das das Gegenteil besagt. Außerdem steht im Gesetz von Richard II, 13, 1 (1389) etwas über die Zulassung von Gnadenerlassen, was ich nicht ganz verstehe. Die Worte sind folgende: Kein Gnadenerlass soll in Zukunft vor unseren Richtern für Mord, die Tötung eines Mannes aus dem Hinterhalt oder durch Vorsatz und aus niederen Beweggründen, für Verrat oder Vergewaltigung zugelassen werden, außer wenn dies im Erlass selbst spezifiziert wird. Daraus folgt, glaube ich, dass, wenn der König in seinem Erlass sagt, er begnadigt den Mord, dann bricht er das Gesetz nicht, weil er die Tat spezifiziert. Oder wenn er sagt, er begnadigt die Tötung aus dem Hinterhalt oder durch Vorsatz und aus niederen Beweggründen, dann bricht er das Gesetz nicht, denn er spezifiziert die Tat. Und wenn er es so formuliert, dass

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der Richter keinen Zweifel an der Absicht des Königs haben kann zu begnadigen, muss der Richter dies m. E. auch tun, weil es im Gesetz bei diesem Punkt um die Handlungsfreiheit und das Vorrecht des Königs, d. h. um seine Macht zu begnadigen, geht. Sein Wort reicht also aus, um den Gnadenerlass durchzusetzen, ungeachtet eines Gesetzes, das dem entgegensteht. Denn diese Worte machen es offenkundig, dass der Erlass nicht einfach aus Willkür erfolgt, sondern um des Königs Freiheit und Macht zu bewahren und geltend zu machen, Gnade zu erweisen, wenn er Ursache dafür sieht. Die gleiche Bedeutung haben diese Worte Perdo­ navimus omnimodam interfectionem, d. h., »wir haben die Tötung verziehen, auf welche Weise sie auch begangen wurde«. Aber wir müssen uns hier daran erinnern, dass der König nicht ohne Sünde begnadigen kann, wenn er nicht eine Wiedergutmachung des verursachten Schadens veranlasst, soweit dies der Täter leisten kann. Er ist aber nicht gehalten, den menschlichen Rache­ durst zu stillen, denn alle Rache ist Gottes und nächst Gott des Königs. Wie sind nun (außer in den Erlassen) diese Verbrechen spezifiziert? J  Sie sind namentlich als Hochverrat, gemeiner Verrat, Mord, Vergewaltigung, Felonie und dergleichen genannt. P  Gemeiner Verrat ist eine Felonie, Mord ist eine Felonie wie auch Vergewaltigung, Raub und Diebstahl. Auch ist (wie Sir Coke sagt) leichter Diebstahl eine Felonie. Wenn nun in einer Begnadigung anlässlich des Zusammentritts des Parlaments oder anlässlich der Krönung alle Felonien begnadigt werden, fällt dann auch der leichte Diebstahl darunter oder nicht? J  Ja sicherlich fällt auch er darunter. P  Obwohl er nicht gesondert erwähnt wird, wo es sich doch um ein Verbrechen handelt, das weniger als Felonie angesehen werden kann als z. B. Raub. Fallen daher Vergewaltigung, Raub, Diebstahl nicht unter die Begnadigung für alle Felonien? J  Ich glaube, sie werden durch das entsprechende Gesetz alle begnadigt, außer denen, die durch das gleiche Gesetz ausgenom-

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men werden. Daher ist die Spezifizierung nur in einzelnen Gnadenerlassen nötig, nicht aber in allgemeinen Begnadigungen. Denn das Gesetz von Richard II, 13, 1 (1389) verbietet nicht die Möglichkeit genereller Begnadigungen im o. a. Sinne, und daher müssen die begnadigten Taten nicht genau benannt werden, sondern können unter den allgemeinen Begriff »alle Felonien« fallen. Auch ist es wenig wahrscheinlich, dass die Mitglieder des Parlaments, die aus eigenem Recht eine Begnadigung verkündigten, diese nicht so umfassend hätten machen wollen, wie sie konnten. Im Übrigen scheint Sir Coke in Inst., I, Sect. 745, das Wort Felonie wiederum anders zu verstehen. Piraterie ist nämlich eine Form der Felonie, und doch wurden einige unserer Landsleute, die im letzten Jahr der Königin Elisabeth Piraterien begangen hatten und bei Beginn der Herrschaft des Königs Jakob nach England zurückgekommen waren, weil sie auf Krönungsbegnadigung vertrauten, nach dem Gesetz von Heinrich VIII, 28 (1536) vor einem Sondergericht der Piraterie angeklagt – Sir Coke war damals Oberstaatsanwalt – und, nachdem sie für schuldig befunden wurden, gehängt. Der Grund, den Sir Coke dafür angibt, ist, dass in dem Begnadigungserlass die Piraterie namentlich hätte aufgeführt werden müssen, und da dies nicht der Fall war, sei die Begnadigung nicht zulässig gewesen. P  Warum hätte hier ausgerechnet die Piraterie, im Gegensatz zu anderen Felonien, spezifiziert werden müssen? Er hätte sein Argument vom Gesetz der Vernunft ableiten sollen. J  Das tut er auch. Denn das Verfahren (sagt er) wurde nach dem Gemeinen Recht und vor einem Sondergericht, nicht vor dem Admiralitätsgericht nach dem Römischen Recht durchgeführt. Denn, sagt er, es handelt sich um eine Tat, die das Gemeine Recht nicht erwähnen konnte, weil sie ja nicht vor zwölf Männern – also einer Jury – verhandelt werden konnte. P  Wenn das Gemeine Recht solche Taten nicht erwähnen konnte oder sollte, wie konnten dann die Täter vor einer Jury vor Gericht stehen, von ihnen für schuldig befunden und gehängt

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VIII.  Von der Begnadigung

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werden, wie es geschehen ist? Wenn das Gemeine Recht Piraterie ignoriert, für welches andere Verbrechen wurden sie dann aufgehängt? Besteht Piraterie aus zwei Felonien; für das eine soll man kraft Gemeinen Rechts, für das andere kraft des Römischen Rechts gehängt werden? Ich habe wirklich noch nie eine schwächere Argumentation bei einem juristischen Autor in England gelesen als in Sir Cokes Inst., wie geschickt er auch immer plädieren konnte.120 J  Wenn er auch von anderen ebenso kritisiert wird wie von dir, so gibt es doch in seinen Inst. viele hervorragende Stellen, sowohl was Subtilität als auch was Wahrheitsgehalt angeht. P  Aber kaum Besseres als bei anderen Rechtsgelehrten auch. Seine Zitate aus Aristoteles und Homer und aus anderen Büchern, die gemeinhin den Robenträgern vorgelesen werden, schwächen meiner Meinung nach nur seine Autorität, weil jeder das durch einen Diener besorgen lassen kann. Aber da die ganze Szenerie jener Zeit vergangen und vorbei ist, wollen wir zu etwas anderem übergehen. Worin unterscheidet sich eine »Amnestie« (Act of Ob­ livion) von einer parlamentarischen Begnadigung?121 J  Diesen Begriff Amnestie gab es vor Karl II 12, 11 (1660) nicht in unseren Gesetzbüchern, und ich hoffe, dass es ihn nie wieder zu geben braucht. Aber woher er kommt, dürftest du vielleicht besser wissen als ich. P  Das erste und einzige »Gesetz des Vergessens«, das je vor diesem Gesetz in einem Land, von dem ich gelesen habe, zu geltendem Recht wurde, war jene Amnestia oder jenes Vergessen aller Streitigkeiten zwischen den Bürgern Athens, das alle Verbrechen und alle Personen einschloss. Der Anlass war folgender: Die Spartaner hatten, nachdem sie die Athener völlig unterworfen hatten, auch Athen besetzt. Sie ordneten an, dass das Volk dreißig Männer aus seiner Mitte wählen sollte, die die souveräne Gewalt über sie ausübten. Diese verhielten sich nach ihrer Wahl so entsetzlich, dass sie einen Bürgerkrieg verursachten, bei dem täglich auf beiden Seiten Bürger umkamen. Es gab dann einen be-

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sonnenen Mann, der beiden Parteien den Vorschlag unterbreitete, dass jedermann wieder an seinen Platz zurückkehren und alles Vergangene vergessen sein sollte. Dieser Vorschlag wurde durch beiderseitige Zustimmung zum Gesetz gemacht, das aus diesem Grund Gesetz des Vergessens – Amnestie – genannt wurde. Als nach dem Mord an Julius Caesar die gleichen Unruhen in Rom auftraten, wurde ein entsprechender Gesetzentwurf von Cicero eingebracht und auch verabschiedet, dieser wurde aber schon wenige Tage später von Marcus Antonius gebrochen. Nach dem Vorbild dieser Gesetze wurde das Gesetz von 1660 gemacht. J  Es sieht aber so aus, als sei die Amnestie, die von König Karl erlassen wurde, nichts anderes als eine parlamentarische Begnadigung, weil sie wie diese eine große Anzahl von Ausnahmen enthielt, was in jenem Gesetz von Athen nicht der Fall war. P  Und doch gibt es einen Unterschied zwischen dieser jüngsten Amnestie und einer gewöhnlichen parlamentarischen Be­ gna­digung. Denn über ein im Parlament begnadigtes Vergehen kann es zu einem Gerichtsverfahren kommen über die Frage, ob der Parlamentsbeschluss den Täter betrifft oder nicht, wie bei der Frage, ob die Begnadigung aller Felonien auch eine Begnadigung der Piraterie bedeutet oder nicht: Wir haben ja mit Hilfe der Berichte von Sir Coke gesehen, dass, ungeachtet der Begnadigung für Felonie, eine auf See begangene Felonie nicht begnadigt wurde – als er selbst Oberstaatsanwalt war. Doch bei der jüngsten Amnestie, die alle Arten von im vergangenen Bürgerkrieg begangenen Vergehen einschloss, konnte keine Frage über Ausnahmen auftauchen. Erstens, weil niemand jemand anders rechtlich wegen einer Tat anklagen kann, die laut Gesetz vergessen werden soll. Zweitens, weil man vermuten kann, dass alle Verbrechen aus der Zügellosigkeit der Zeit und aus der durch den Bürgerkrieg veranlassten Ohnmacht des Gesetzes herrühren und daher unter die Amnestie fallen sollten (solange nicht die Person des Täters ausgenommen wird und solange das Verbrechen nicht vor ­Beginn des Krieges begangen wurde).

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VIII.  Von der Begnadigung

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J  Ich glaube in der Tat, dass du recht hast. Denn es ist nichts als nur das begnadigt worden, was aus Anlass des Krieges geschah, das Auslösen des Krieges selbst wurde nicht begnadigt.

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IX .  Ü BE R DAS EIG ENTUM SR ECH T 122

P  Ich habe jetzt Verbrechen und Strafen abgehandelt; wir wollen jetzt zu den Gesetzen von Meum und Tuum kommen, d. h. zum Recht von »Mein und Dein«, also zum Eigentum. J  Dafür müssen wir das Gesetzesrecht untersuchen. P  Das müssen wir tun hinsichtlich dessen, was die Gesetze vorschreiben und untersagen; freilich nicht, um sie auf ihre Gerechtigkeit hin zu diskutieren. Denn das Gesetz der Vernunft gebietet, dass ein jeder das Recht beachte, dem er zugestimmt hat, und der Person gehorche, der er Gehorsam und Treue versprochen hat. J  Dann sollten wir zunächst die Kommentare von Sir Coke zur Magna Carta und anderen Gesetzen betrachten. P  Zum Verständnis der Magna Carta ist es notwendig, bis in älteste Zeiten zurückzugehen, so weit wie die Geschichtsschreibung es uns erlaubt. Aber wir müssen uns nicht nur die Gebräuche unserer Vorfahren, der Sachsen, anschauen, sondern auch das Gesetz der Natur (das älteste aller Gesetze), insofern es den Ursprung der Regierung, den Erwerb von Eigentum und die Gerichtshöfe betrifft. Zum Ersten ist es offensichtlich, dass Herrschaft, Regierung und Gesetze weit älter sind als Geschichtsschreibung oder schriftliche Überlieferung überhaupt. Der Beginn aller Herrschaft über Menschen lag zweifellos in der Familie. Hier war der Vater erstens nach dem Gesetz der Natur der absolute Herr über Frau und Kinder. Zweitens machte er ihre Gesetze nach seiner Entscheidung. Drittens war er Richter über alle ihre Auseinandersetzungen. Viertens konnte er durch kein menschliches Gesetz verpflichtet sein, irgendeinem Rat außer seinem eige­nen zu folgen. Fünftens, alles Land, auf dem sich das Familienhaupt niederließ und das er für sein eigenes und seiner Familie Wohl nutzte, war sein Eigentum. Und zwar nach dem Gesetz

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IX.  Über das Eigentumsrecht

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der Erstbesitznahme123, falls es vorher nicht bewohnt war, oder nach dem Gesetz des Krieges, falls es erobert wurde. Alle Feinde, die sie bei dieser Eroberung gefangen nahmen und verschonten, wurden ihre Diener. Ebenso stießen solche Männer, die zwar über keinen Landbesitz verfügten, aber mit Fertigkeiten ausgestattet waren, die für menschliches Leben nötig sind, zur Familie, um in ihrem Schutz zu wohnen, wurden ihre Untertanen und unterwarfen sich den Gesetzen der Familie. All dies stimmt nicht nur mit dem Gesetz der Natur überein, sondern auch mit dem in der geistlichen und weltlichen Geschichtsschreibung überlieferten tatsächlichen Vorgehen der Menschen. J  Hältst du es für rechtmäßig, dass ein Herr, der der souveräne Herrscher seiner Familie ist, Krieg gegen einen anderen ebensolchen souveränen Herrn führt und ihn seines Landes beraubt? P  Ob es rechtmäßig oder nicht rechtmäßig ist, kommt auf die Absichten an. Denn erstens ist der souveräne Herrscher keinem menschlichen Gesetz untertan, und was zum anderen Gottes Gesetz angeht, so ist die Handlung dann zu rechtfertigen, wenn es die Absicht auch ist. Die Absicht kann in verschiedenen Fällen nach dem Gesetz der Natur rechtmäßig sein. Einer dieser Fälle ist, wenn er durch die Notwendigkeit zu überleben dazu gezwungen ist. Danach hatten die Kinder Israels, abgesehen von der Tatsache, dass Moses und Josua einen unmittelbaren Befehl von Gott hatten, einen gerechten Anspruch darauf, den Kanaanitern das Land zu nehmen. Er leitete sich aus dem ihnen zustehenden Recht der Natur ab, da sie anders nicht überleben konnten. Und wie das Überleben, so ist auch ihre Sicherheit ein gerechter Grund, das Land jener zu besetzen, die sie zu Recht fürchten müssen, außer wenn genügend Vorkehrungen getroffen werden, ihre Furcht zu zerstreuen. Diese Sicherheitsvorkehrungen sind (nach allem, was ich sehen kann) allerdings unmöglich herzustellen. Notwendigkeit und Sicherheit sind vor Gott grundsätzliche Rechtfertigungen, um einen Krieg anzufangen. Erlittenes Unrecht rechtfertigt zwar einen Verteidigungskrieg. Doch für reparable Schäden ist

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ein damit begründeter Angriffskrieg unbillig, sofern Wiedergutmachung geleistet wird.124 Wer Beispiele zu diesem natürlichen Recht zum Kriegführen braucht, ob aus der Schrift oder einer anderen historischen Überlieferung, ist zweifellos in der Lage, sie nach Belieben durch eigenes Studium zu finden. J  Während du sagst, dass die auf diese Weise vom souveränen Herrn einer Familie gewonnenen Länder dessen Eigentum sind, sprichst du, scheint mir, den Untertanen jedes Recht auf Eigentum ab, wie viel jeder von ihnen auch zum Sieg beigetragen haben mag. P  Das stimmt; und ich sehe auch keinen vernünftigen Grund für das Gegenteil, denn die Untertanen, die zu der Familie gestoßen sind, haben überhaupt keinen Anspruch auf einen Teil des Landes oder auf irgendetwas anderes als auf Sicherheit, zu der beizutragen sie mit ihrer gesamten Kraft und wenn nötig ihrem gesamten Vermögen gehalten sind. Es kann nämlich nicht erwartet werden, dass ein Mann alle anderen mit seiner vereinzelten Kraft beschützen kann. Was die Geschichte angeht, so ist es bei allen Eroberungen offensichtlich, dass das Land der Besiegten der alleinigen Gewalt des Siegers unterliegt und ihm zur freien Verfügung steht. Verteilten nicht Josua und der Hohepriester das Land Kanaan so unter den Stämmen Israels, wie es ihnen gefiel? Sandten nicht die römischen und griechischen Fürsten und Staaten die Kolonisten nach eigenem Gutdünken aus, um die eroberten Provinzen zu bewohnen? Gibt es bis heute bei den Türken außer dem Sultan irgendeinen, der Land erben kann? Und war nicht alles Land in England einst in den Händen Wilhelm des Eroberers?125 Sir Coke selbst gibt es zu. Es ist daher eine universelle Wahrheit, dass alle eroberten Länder unmittelbar nach dem Sieg demjenigen gehören, der sie eroberte. J  Aber du weißt, dass man sagt, der Souverän habe einen Doppelcharakter: d. h. einen natürlichen Charakter als Mensch und einen politischen als König. In seinem Charakter als politisches Subjekt war König Wilhelm der Eroberer zugegebenermaßen

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IX.  Über das Eigentumsrecht

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einst der rechtmäßige und einzige Besitzer allen Landes in England, nicht aber als natürliches Subjekt. P  Wenn er es in seiner politischen Eigenschaft war, dann war das Land auf eine Weise sein Eigentum, dass er sich von einem Teil desselben nur trennen konnte, wenn es zum Wohl des Volkes geschah, und das hatte entweder nach seiner eigenen oder der Entscheidung des Volkes zu geschehen, d. h. kraft Parlamentsbeschluss. Aber wo findest du, dass der Eroberer kraft Parlamentsbeschlusses Ländereien abgab (wie er einige an Engländer, einige an Franzosen und einige an Normannen abgab), auf dass man sie als Lehen, Ritterlehen, Frongut usw. innehatte? Oder dass er jemals das Parlament einberief, um von den damaligen Ständen Englands die Zustimmung für die Verfügung über jene Ländereien zu erhalten, die er ihnen weggenommen hatte? Oder dafür, dass er diese oder jene Ländereien für sich behielt als sogenannte Herren- oder Kronwälder, die, dem allgemeinen Gebrauch entzogen, nur seiner Erholung oder als Zeichen seiner Größe dienten? Du weißt vielleicht auch, dass einige Juristen und andere Männer, die im Ruf kluger und guter Patrioten stehen, verbreitet haben, alles Land, das die Könige Englands je besessen hätten, sei ihnen vom Volk zu dem Zweck gegeben worden, die Last des Krieges zu übernehmen und ihre Minister zu bezahlen, und dass dieses Land mit dem Geld des Volkes erworben worden sei. Dies wurde ja im Bürgerkrieg behauptet, und zwar als man dem König seine Stadt Kingston am Hull fortnahm.126 Aber ich weiß, dass du diesen Vorwand nicht für gerechtfertigt hältst. Es kann daher nicht abgestritten werden, dass das Land, das König Wilhelm der Eroberer an Engländer und andere abgab und das sie jetzt aufgrund seiner Schutzbriefe und anderer Übertragungen besitzen, rechtmäßig und wirklich sein eigenes war. Ansonsten wären die Rechtstitel derjenigen, die es jetzt besitzen, ungültig. J  Da stimme ich zu. So wie du mir jetzt die Anfänge der Monarchien gezeigt hast, so lass mich jetzt auch deine Meinung über ihr Wachstum hören.

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IX.  Über das Eigentumsrecht

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P  Große Monarchien haben sich aus kleinen Familien entwickelt. Zunächst durch Krieg, bei dem der Sieger nicht nur sein Territorium vergrößerte, sondern auch die Anzahl und Reichtümer seiner Untertanen. Was andere Formen von Gesellschaften angeht, so sind sie auf andere Weise vergrößert worden. Einmal durch freiwilligen Zusammenschluss vieler Familienhäupter zu einer großen Aristokratie. Dann aber auch durch Rebellion, die zuerst zu Anarchie führte und diese dann zu den Formen, zu denen das in der Anarchie erfahrene Leid die Betroffenen veranlasste: ob sie nun ein Erbkönigtum einsetzten oder einen auf Lebenszeit wählten oder ob sie sich auf eine Versammlung bestimmter Personen einigten (was Aristokratie ist) oder auf die souveräne Vertretung des gesamten Volkes, also auf Demokratie. In der ersten Art und Weise, durch Krieg, wuchsen die größten Königreiche der Welt heran, d. h. die ägyptische, syrische, persische und mazedonische Monarchie und genauso die großen König­reiche England, Frankreich und Spanien. Die zweite Art und Weise bildete den Ursprung der venezianischen Aristokratie. Auf die dritte Art, die der Rebellion, wuchsen verschiedene große Monarchien heran, die sich ständig veränderten. So brachte z. B. die Rebellion gegen die Könige in Rom die Demokratie hervor, von der der Senat unter Sulla die Macht usurpierte, und das Volk unter Marius wiederum vom Senat, und der Kaiser vom Volk unter Caesar und seinen Nachfolgern. J  Glaubst du nicht, dass die Unterscheidung zwischen natür­ lichem und politischem Charakter unbedeutend ist? P  Nein. Wenn die souveräne Gewalt bei einer Versammlung liegt, kann diese Versammlung, sei sie aristokratisch oder demokratisch, Länder besitzen, aber nur infolge ihres politischen Charakters, weil keine natürliche Person über Rechte an diesem Land oder Teilen davon verfügt. Auf gleiche Weise können sie durch die Mehrheit der Stimmen Bestimmungen mit Gesetzeskraft verabschieden, doch hat die Bestimmung eines Einzelnen keinerlei Wirkung. Wenn aber die souveräne Gewalt bei einem

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Einzelnen liegt, sind natürliche und politische Eigenschaft in derselben Person vereint und hinsichtlich des Besitzes an Land nicht unterscheidbar.127 Hinsichtlich von Gesetzen und Erlassen können sie aber sehr wohl voneinander unterschieden werden. Was immer ein Monarch in Übereinstimmung mit dem Volk seines Königreichs befiehlt oder tut, geschieht in seiner politischen Eigen­schaft, wie man mit Fug und Recht sagen kann. Was er nur mündlich oder in eigenhändig unterschriebenen oder in mit seinem Privatsiegel versiegelten Briefen anordnet, geschieht in seiner natürlichen Eigenschaft. Nichtsdestoweniger haben seine öffent­lichen Erlasse ihren Ursprung in seiner natürlichen Eigenschaft, wenn sie auch in seiner politischen Eigenschaft ergehen. Denn bei der Gesetzgebung (die notwendigerweise seine Zustimmung erfordert) ist seine Zustimmung natürlich. Auch jene Gesetze, die vom König vor ihrer Verabschiedung unter dem Großsiegel von England gemacht werden, entweder mündlich oder durch Erlass unter seinem Siegel oder Privatsiegel, werden in seiner natürlichen Eigenschaft gemacht. Wenn sie aber das Siegel Englands tragen, müssen sie als in seiner politischen Eigenschaft gemacht betrachtet werden. J  Ich halte die Unterscheidung wirklich für gut, denn natürliche Eigenschaft und politische Eigenschaft bedeuten nichts anderes als die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht. Daher lass uns dieses Thema abschließen und als nächstes betrachten – soweit es die Geschichtsschreibung erlaubt –, was die Gesetze und Bräuche unserer Vorfahren waren. P  Die Sachsen waren, wie die anderen von den römischen Kaisern nicht eroberten und den kaiserlichen Gesetzen nicht unterliegenden Germanen, ein unzivilisiertes und heidnisches Volk, das nur von Krieg und Plünderung lebte. Der Name »Germanen« soll, wie einige Erforscher des römischen Altertums behaupten, nach ihrem damaligen Lebenswandel geprägt worden sein: Danach sollte »Germanen« und »Hommes de guerre« dasselbe bedeuten. Ihre Herrschaft über Familie, Diener und Unter­tanen war

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absolut, ihre Gesetze waren nichts als natürliches Billigkeitsrecht. Sie hatten wenig oder kein geschriebenes Gesetz, und es gab zur Zeit der Cäsaren sehr wenige, die schreiben oder lesen konnten. Das Recht zum Herrschen war entweder paternalistisch oder durch Eroberung oder Heirat erworben. Die Besitzfolge beim Landbesitz wurde nach Belieben des Herrn der Familie festgelegt, zu Lebzeiten durch Schenkung oder Übertragung. Das Land, das er nicht zu Lebzeiten abgab, ging nach seinem Tod auf seine Erben über. Der Erbe war der älteste Sohn. War der älteste Sohn tot, gingen die Ländereien über auf die jüngeren Söhne nach ihrer Reihenfolge. Waren keine Söhne vorhanden, gingen sie gemeinsam auf die Töchter über wie auf einen Alleinerben oder wurden unter ihnen aufgeteilt, um auf gleiche Weise weitervererbt zu werden. Waren keine Kinder vorhanden, trat der Onkel väterlicherseits oder mütterlicherseits (je nachdem, ob die Ländereien der Mutter oder dem Vater gehörten) die Erbfolge an, und so weiter bis zum nächsten Blutsverwandten. Und dies war eine natürliche Abfolge, denn je näher die Blutbindung, desto näher natürlich die Verwandtschaft. Dies wurde nicht nur von den Germanen, sondern von den meisten Nationen für das Gesetz der Natur gehalten, bevor sie ein geschriebenes Gesetz hatten. Das Recht der Herrschaft, welches Jus Regni genannt wird, hatte die gleiche Abfolge, außer dass es nach den Söhnen auf die älteste Tochter und ihre Erben überging. Der Grund dafür war, dass Herrschaft unteilbar ist. Und dieses Gesetz gilt in England noch immer. J  Da alles Land, das ein souveräner Herr innehatte, sein Eigen­ tum war, wie konnte ein Untertan zu Landbesitz kommen? P  Es gibt zwei Arten von Eigentum. Die eine ist, wenn jemand Land als Geschenk Gottes besitzt, welches die Römischrechtler allodialen Besitz nennen128, den in einem Königreich niemand als der König haben kann. Die andere ist, wenn jemand sein Land von jemand anderem als Lehen erhält, in Anerkennung seines Dienstes und Gehorsams. Die erste Art des Besitzes ist absolut, die andere auf bestimmte Weise bedingt, weil für einen Dienst

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verliehen, der dem Geber zu leisten ist. Die erste Art des Besitzes schließt das Recht aller anderen aus, die zweite schließt das Recht aller anderen Untertanen an diesem Land aus, nicht aber das Recht des Souveräns an diesem Land, wenn das gemeine Wohl des Volkes die Einforderung dieses Rechts erforderlich machen sollte.129 J  Wenn jene Könige sich so von ihrem Land getrennt hatten, was war ihnen für die Finanzierung ihrer Kriege, zur Verteidigung oder zum Angriff, geblieben oder was war ihnen für die Unter­haltung der königlichen Familie geblieben, wie es der Würde eines souveränen Königs gebührt, die ja zudem auch nötig ist, um seine Person und sein Volk vor Geringschätzung zu bewahren? P  Sie haben Mittel genug. Neben dem, was sie ihren Untertanen gaben, verblieb ihnen viel Land in eigenen Händen, also als Krongut. Auch weißt du, dass ein großer Teil der Landfläche Englands den großen Männern des Königreichs für Militär­d ienste gegeben wurde; Männern, die zum größten Teil zur Verwandtschaft des Königs gehörten oder zu seinen Günstlingen. Sie erhielten sehr viel mehr Land, als sie zum eigenen Unterhalt brauchten. Dafür mussten sie aber Soldaten stellen, und zwar je nach Größe des erhaltenen Landes, damit es zu keiner Zeit einen Mangel an Soldaten gäbe, wenn es darum ging, einem einfallenden Feind zu widerstehen. Die Herren mussten diese Soldaten für eine gewisse Zeit auf eigene Kosten mit allem Notwendigen ausstatten. Du weißt auch, dass das ganze Land in entsprechende Bezirke aufgeteilt wurde und diese wiederum in Unterbezirke. In Letzteren mussten alle Männer und Knaben ab zwölf Jahren den Treueid (Oath of Allegiance) schwören. Und man muss auch annehmen, dass jene Männer, die aufgrund von Fron- und Spanndienstleistungen Land besaßen, mit ihrem Leib und Besitz kraft Gesetz der Natur das Königreich vor Eindringlingen verteidigen mussten. Genauso waren sogenannte Leibeigene, die ihr Land aufgrund noch niedrigeren Frondienstes erhielten, verpflichtet, das König-

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reich bis zum Äußersten zu verteidigen. Ja, Frauen und Kinder müssen in einem solchen Notfall tun, was sie können, d. h. etwa den Kämpfenden Waffen und Verpflegung bringen und schanzen. Aber jene, die ihr Land aufgrund von Militärdiensten erhielten, haben eine größere Verpflichtung, denn lies die Huldigungsformel, wie sie im Gesetz von Eduard II, 17 (1323) niedergelegt und die zweifellos davor und vor der Eroberung benutzt wurde. J  »Ich diene als Euer Mann mit Leben, Leib und weltlicher Ehre und schulde Euch meine Treue für das Land, das ich von Euch erhalte.« P  Bitte erläutere das! J  Ich denke, es ist so viel, als würde man sagen: Ich verspreche Euch zu Diensten zu sein, mich einzusetzen unter Gefahr für mein Leben, meine Glieder und mein Vermögen. Ich habe es auf mich genommen gegen Erhalt des Landes, das Ihr mir gegeben habt, Euch immer treu zu sein. Dies ist die Huldigungsformel, die unmittelbar an den König gerichtet ist. Wenn aber ein Untertan von einem anderen ebenfalls für militärische Dienste Land erhält, wird eine Klausel hinzugefügt, die lautet: mit Ausnahme der Treue, die ich dem König schulde. P  Wurde nicht auch in diesem Falle ein Eid geleistet? J  Doch, der Eid der Lehenstreue. »Ich werde Euch treu sein und Euch nach dem Gesetz die Abgaben und Dienste leisten, die zu leisten nach den festgelegten Bedingungen meine Pflicht ist. So helfe mir Gott und alle Heiligen.« Aber diese Dienste sowie die Fron- und Spanndienste wurden schnell durch Renten abgelöst, zahlbar entweder in Geld wie in England oder in Getreide oder anderen Naturalien wie in Schottland und Frankreich. Wenn es sich um militärischen Dienst handelt, musste der Lehensmann dem König im Krieg mit einer oder mehreren Personen dienen, je nach dem jährlichen Wert des Landes. P  Mussten sie Reiter oder Fußsoldaten stellen? J  Ich finde kein Gesetz, das irgendjemanden zwingt, wegen der Art seines Lehens Reiterdienste zu leisten.

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P  War der Lehensmann im Falle der Heeresfolge persönlich zum Dienst aufgerufen? J  Ich glaube, so war es am Anfang: Wenn jemand für Militärdienste mit Land belehnt worden war und der Lehensmann bei seinem Tod einen Sohn und Erben hinterließ, hatte der Lehnsherr die Vormundschaft über Leib und Land, bis der Erbe einundzwanzig Jahre alt war. Der Grund dafür war, dass der Erbe bis zum Alter von einundzwanzig Jahren vermutlich nicht in der Lage war, dem König in dessen Krieg zu dienen. Diese Begründung ist aber nur sinnvoll, wenn auch der Erbe persönlich in den Krieg zu ziehen verpflichtet war. Dies (denke ich) sollte so lange als Recht gelten, wie es nicht durch anderes Recht geändert wird. Diese Dienste dürften sich zusammen mit anderen Rechten wie Vormundschaften, erstem Besitz am Erbe seiner Lehensleute, Genehmigungen für Besitzüberschreibungen, der Enteignung von Besitz und Land aufgrund von Felonie, wenn sie es vom König erhalten hatten, dem Ertrag des ersten Jahres von Ländereien, die von wem auch immer stammten, Beschlagnahmungen, Geldstrafen und vielen anderen Abgaben zu einer sehr großen jährlichen Einnahme addiert haben. Fügt man zu all dem noch das hinzu, was der König den Handwerkern und Geschäftsleuten vernünftigerweise auferlegen kann (denn jeder, den der König schützt, sollte zu seinem eigenen Schutz beitragen), so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Könige in jener Zeit Mittel genug hatten – ja sogar übergenug, wenn Gott nicht gegen sie war –, um ihr Volk gegen fremde Feinde zu verteidigen und es auch dazu zu bringen, inneren Frieden zu bewahren. P  Und das wäre auch für die nachfolgenden Könige so geblieben, wenn sie ihre Rechte nicht abgegeben hätten und ihre Unter­tanen immer ihren Eid und ihre Versprechungen eingehalten hätten. Auf welche Weise gingen die alten Sachsen und andere Natio­ nen Germaniens, besonders im Norden, bei der Gesetzgebung vor?

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J  Aus verschiedenen sächsischen Gesetzen, die in Latein und Sächsisch von Mr. Lambert130 gesammelt und veröffentlicht wurden, folgert Sir Coke, dass die sächsischen Könige für die Gesetzgebung die Stände (Lords and Commons) einberiefen, genauso wie es noch heute in England üblich ist. Doch aus den von Mr. Lambert veröffentlichten Gesetzen der Sachsen wird deutlich, dass der König die Bischöfe und eine große Anzahl der weisesten und besonnensten Männer des Reiches zusammenrief und nach Beratung mit ihnen Gesetze erließ.131 P  Ich glaube auch. Denn es gibt keinen König auf der Welt, der reifen Alters und klaren Verstandes ist, der ein Gesetz auf andere Weise erlassen würde. Es liegt nämlich in seinem ureigensten Interesse, solche Gesetze zu erlassen, die das Volk ertragen kann und die es nicht ungeduldig werden lassen, so dass es stark und mutig ist, um König und Vaterland gegen mächtige Nachbarn zu verteidigen. Aber wie wurde unterschieden und von wem wurde bestimmt, wer diese »weisesten und besonnensten« Männer waren? Es ist ja auch heute noch eine schwierige Sache zu wissen, wer am weisesten ist. Freilich wissen wir ziemlich genau, wer den Grafschaftsabgeordneten wählt und welche Städte Bürgerabgeordnete ins Parlament schicken. Wenn also auch in jenen Tagen (so wie seither) auf die gleiche Weise bestimmt wurde, wer jene Weisen sein sollen, so gebe ich zu, dass die Parlamente der alten Sachsen und die Parlamente im heutigen England ein und dieselbe Sache sind und Sir Coke recht hat. Sag mir also, wenn du kannst, wann die Städte, die jetzt Abgeordnete ins Parlament schicken, damit angefangen haben und aus welchem Grund die eine Stadt dieses Privileg genoss und eine andere nicht, obwohl sie vielleicht mehr Einwohner hatte. J  Wann dieser Brauch anfing, kann ich nicht sagen. Ich bin aber sicher, dass er älter ist als die Stadt Salisbury, denn es kommen zwei Abgeordnete ins Parlament für einen Ort in der Nähe, genannt Old Sarum, der so sehr wie ein Kaninchenbau aussieht, dass, würde ich einem Ausländer davon erzählen, der nicht

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wüsste, was Abgeordneter heißt, er sie für ein paar Kaninchen halten würde. Und doch lässt sich hieraus ein gutes Argument ableiten, dass nämlich die Bürger einer jeden Stadt die Wähler ihrer eigenen Vertreter und die Richter über deren Besonnenheit waren und dass das Gesetz sie als besonnen ansieht, ob sie es sind oder nicht, bis sich das Gegenteil herausstellt. Wenn also die Rede davon ist, dass der König die Besonneneren seines Reiches zusammenrief, so ist dies so zu verstehen, dass dies durch Wahlen geschah, die mit den heutigen vergleichbar sind. Wodurch offensichtlich wird, dass die großen und allgemeinen Versammlungen, die von den alten sächsischen Königen einberufen wurden, im Wesentlichen mit den seit der Eroberung einberufenen Parlamenten übereinstimmten. P  Ich denke, dass Deine Argumentation richtig ist. Denn ich kann mir nicht vorstellen, wie der König oder sonst jemand außer den Einwohnern der Städte selbst die Besonnenheit oder Eignung der ins Parlament zu Entsendenden erkennen kann. Und was das Alter der wahlberechtigten Städte angeht, so steht es jedem frei, seine Vermutung anzustellen, da dies in keiner Historie oder bis heute überlieferten Aufzeichnung erwähnt wird. Es ist bekannt, dass dieses Land zu verschiedenen Zeiten von Sachsen besetzt wurde und stückweise in verschiedenen Kriegen erobert wurde, so dass es in England viele Könige zugleich gab, und jeder von ihnen hatte sein Parlament, und weil es in jedem Herrschaftsbereich unterschiedlich viele ummauerte Städte gab, hatten die Parlamente unterschiedlich viele Städtevertreter. Aber als alle diese kleineren Königreiche zu einem verschmolzen, kamen zu diesem einen Parlament Bürgervertreter von allen entsendungsberechtigten Städten Englands. Und dies könnte der Grund dafür sein, warum es so viel mehr im Parlament vertretene Städte im Westen als in jedem anderen Teil des Königreiches gibt, da der Westen dichter bevölkert ist und Angreifern stärker ausgesetzt war, wofür er eine größere Zahl befestigter Städte hatte. Dies, glaube ich, könnte der Ursprung für das Privileg sein, Vertreter

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IX.  Über das Eigentumsrecht

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ins Parlament zu entsenden, das manche Städte haben und manche nicht.132 J  Diese Mutmaßung ist nicht unplausibel, und man kann sie mangels gesicherter Erkenntnisse akzeptieren. Aber da allgemein vorausgesetzt wird, dass bei der Gesetzgebung die Zustimmung der weltlichen und geistlichen Lords erforderlich ist, wen würdest du in den Parlamenten der alten Sachsen als weltliche, wen als geistliche Lords zählen? Das Buch The mode of holding Par­ liaments (»Wie man Parlament hält«) stimmt haargenau mit der heutigen Art und Weise überein, wie sie abgehalten wird, und es wurde (wie Sir Coke sagt) zur Zeit der Sachsen und vor der ­Eroberung [1066] geschrieben. P  Mr. Selden (ein bedeutenderer Altertumsforscher als Sir Coke) sagt in der letzten Ausgabe seines Buches Titles of Honour (»Ehrentitel«), dass jenes Buch nicht vor der Zeit Richards II. geschrieben wurde, und mir scheint, dass er dies auch beweist.133 Aber wie dem auch sei, es geht aus den von Mr. Lambert veröffentlichten sächsischen Gesetzen eindeutig hervor, dass auch immer gewisse hohe Persönlichkeiten, sogenannte Aldermen oder Earls, ins Parlament berufen wurden, und auf diese Weise ergibt sich ein Oberhaus (House of Lords) und ein Unterhaus (House of Commons). An gleicher Stelle kann man auch lesen, dass die nach der Christianisierung unter den Sachsen weilenden Bischöfe immer an den großen gesetzgebenden Versammlungen teilnahmen. Also haben wir hier schon ein perfektes englisches Parlament, abgesehen davon, dass die Bezeichnung »Baron« in ihm nicht vorkam, denn dies war ein französischer Titel, den es erst seit [­Wilhelm] dem Eroberer gibt.134

A NM ER K U NGEN

1  Das ist ein etwas unvermittelter Beginn, die Behauptung dürfte Hobbes’ Lesern aber nicht unvertraut gewesen sein. Vgl. etwa T. Hobbes, Vom Bürger (Widmung), S.  61. 2  Die Magna Carta war 1215 durch John Lackland (Johann Ohneland), der von 1199–1216 König von England war, unter dem Druck der Barone, die weitgehende Freiheitsrechte von der Krone einforderten, verabschiedet worden. Der Jurist und Verfechter des Common Law Sir John Dodderidge beschrieb die Bedeutung der Magna Carta eindringlich: »many of our old Statutes, and ancient positive Lawes were written and formed in the Latine tongue, and so doe still rest and remaine in our Records and Bookes; as that Act called Magna Charta, The great Charter of England, great indeed, not in respect of moulde, but matter, not great in quantity, but in weight and worth: Containing, many the fundamentall points of our Lawes, bought with the blood of our Nobility and English Ancestors, in those troublesome times of King John«. Sir John Dodderidge, The English Lawyer, London 1631, S.  40. Vgl. auch Cokes Kommentar zur Magna Carta in Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes, II, S.  755–914. 3  Sir Thomas Littleton (1422–1481) war ein englischer Jurist und Richter. Sein zunächst auf Französisch erschienenes Werk Littleton of Ten­ ures (ca. 1470) war von nachhaltigem Einfluss auf die englische Rechtsgeschichte. Die herausragende Bedeutung Littletons wird fassbar in W. Fulbecke, A Direction or preparative to the study of the lawe wherein is shewed, what things ought to be obserued and vsed of them that are addicted to the study of the law, and what on the contrary part ought to be eschued and auoyded, London 1600, S.  27. Dort heißt es, Littleton sei »not now the name of a lawyer, but of the law it selfe«. Auch Francis Bacon war voller Lob für Littleton. F. Bacon, The Elements of the Common Lawes (Preface, ohne Seitenangabe, 5): »I had the example of Mr Littleton and Mr Fitzherbert, whose writings are the institution of the laws of England«. 4  Das erste Buch Sir Edward Cokes (1552–1634), Institutes, enthält Little­tons Text mit Cokes Kommentaren. Coke nimmt die Wendung von Fulbeke in seinem Titel auf. Sir E. Coke, The first part of the Institutes of

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Anmerkungen

the lawes of England. Or, A commentarie upon Littleton, not the name of a lawyer onely, but of the law it selfe, London 1628. 5  Dieser Absatz wird weiter unten im Wesentlichen noch einmal wiederholt. Siehe unten Anmerkung 23. 6  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  232: »die Autorität des Gesetzes [besteht] (…) nur im Befehl des Souveräns«. Die lateinische Version des Leviathans formuliert diese Überlegung ebenso prägnant wie der Dialog (It is not Wisdom, but Authority that makes a Law): »Authoritas, non veritas, facit legem«. T. Hobbes, Leviathan, sive de Materia, Forma et Potestate Civitatis Ecclesiasticae et Civilis, Amsterdam 1670 (XXVI) S.  133. 7  Im Gegensatz zum Statutarischen Recht, das in Gesetzen (bill / statute), die von König und Parlament verabschiedet wurden, enthalten ist, war das Common Law aus Vernunft und Geschichte abgeleitet und damit nicht in gleicher Weise fixiert und kodifiziert. Der grundsätzliche Konflikt ging um die angemessene Interpretation dessen, was als Recht und Gesetz zu gelten hatte, und Hobbes hatte hier ausgehend von seiner Souveränitätstheorie seine spezifische Position entwickelt. Vgl. dazu im Einzelnen die Einleitung. 8  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIV-14), S.  226  f. und T. Hobbes, Levia­ than (XXVI), S.  229  f. 9 Hobbes’ Art of Rhetoric wurde zusammen mit seinem Dialog 1681 publiziert. Zur Bedeutung der Rhetorik in Hobbes’ politischer Philosophie vgl. Q. Skinner, Reason and Rhetoric in the Philosophy of Hobbes, Cambridge 1996. 10  Hobbes berührt hier das für ihn zunehmend wichtiger werdende Thema der politischen Erziehung oder Unterweisung des Volkes, ohne es hier angemessen und mit der bereits vorher erreichten Deutlichkeit auszuführen. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIII-9), S.  209 und T. Hobbes, Leviathan (XXX), S.  285. Im Behemoth gewinnt dieser Aspekt seine wohl klarste Formulierung, so dass Hobbes vermutlich hier nicht wiederholen wollte, was er dort in etwa zur gleichen Zeit ebenfalls in Dialogform entwickelt hatte. Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  4 4  f. 11 Das ist die zentrale Thematik und das grundlegende Anliegen von Hobbes’ Philosophie. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (V), S.  124  ff. und T. Hobbes, Leviathan (XVII), S.  141  ff. Siehe ferner die Definition staatlicher Gesetzte in T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  224.

Anmerkungen

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12  Hobbes stand diesem Gerechtigkeitsbegriff ablehnend gegenüber. Vgl. dazu D. Hüning, Von der Tugend der Gerechtigkeit zum Begriff der Rechtsordnung: zur rechtsphilosophischen Bedeutung des suum quique tribuere bei Hobbes und Kant, in: D. Hüning / B. Tuschling (Hg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, Berlin 1998, S.  53–84. 13  Siehe auch Hobbes’ Definition der Philosophie in T. Hobbes, Levia­ than (XLVI), S.  558. 14  Hobbes wiederholt hier in kondensierter Form sein Naturzustandsszenario. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (I-10  ff.), S.  82  ff. und T. Hobbes, Levia­t han (XIII), S.  102  f. 15  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (I-12), S.  83  f. und T. Hobbes, Leviathan (XIII), S.  104  f. Die umstrittenste und bekannteste Position von Hobbes, nämlich der Naturzustand und der daraus resultierende Krieg aller gegen alle, wird hier im Dialog nicht etwa von dem Philosophen, sondern von dem Juristen vertreten. Auch hier zeigt sich einmal mehr, dass der Dialog keine eindeutige Zuordnung der widerstreitenden Positionen von Coke / Jurist versus Hobbes / Philosoph zulässt. 16  Erst durch den Staat, nicht aber schon im Naturzustand kann es nach Hobbes Gerechtigkeit geben. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (VI-6  f.), S.  134 und T. Hobbes, Leviathan (XIII), S.  106, sowie ebd. (XXIV), S.  209  f. 17  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  227. 18  Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  42  f. 19  Ein Verweis auf den Konflikt über die königliche Prärogative des Steuerrechts, insbesondere der Instrumente der forced loan und des Shipmoney. Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S. 38. 1628 wurde von Karl I. zum ersten Mal die Steuer der forced loan und 1640 des Ship-money erhoben, um seine finanzielle Unabhängigkeit vom Parlament durchzusetzen (siehe dazu die Einleitung II. b). 20  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (X-6), S.  178 und T. Hobbes, Leviathan (XIX), S.  160. 21  Die in England übliche Abkürzung für die Verabschiedung von Statuten wäre »13 Karl II. c.  6«. Die erste Zahl bezeichnet das Jahr der Regierung des Königs (Karl II. zählte seine Regierungsjahre nicht erst seit der Restauration, sondern seit dem Tode seines Vaters), »c« steht für »caput« (Kapitel), was das Datum der Parlamentssitzung meint, und die letzte Zahl bestimmt die Ordnungsnummer, die das Statut während der ent-

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sprechenden Parlamentssitzung führte. »13 Karl II. c.  6« bedeutet demnach das 6. Statut, das während der Parlamentssitzung im 13. Regierungsjahr (1661) von Karl II. angenommen wurde. Diese Systematik gilt dann auch für die anderen hier folgenden Verweise, wie z. B. Edward, Richard oder Heinrich, der Einfachheit halber werden die entsprechenden Jahre in Klammern angegeben. Die Statuten wurden bereits zu Hobbes’ Lebzeiten veröffentlicht und nach diesem System strukturiert. 22  The Long Parliament oder das lange Parlament bestand im Gegensatz zum Short Parliament, das nur 22 Tage, beginnend am 13. April 1640, tagte, offiziell von 1640–1660, tagte aber nur bis April 1653. Dies ist die Periode, die von Hobbes in seinem Behemoth behandelt wird, in dem die Gründe für den durch Aufruhr und Bürgerkrieg herbeigeführten Verfall des englischen Staates erörtert werden. Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  224. Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Langen Parlaments vgl. G. E. Aylmer, The Struggle for the Constitution, London 1963, S.  106–111. 23  Dieser Absatz wiederholt, was weiter oben im Wesentlichen bereits gesagt wurde. Siehe oben Anmerkung 5. 24  Also dem House of Lords oder Oberhaus und dem House of Commons oder Unterhaus des Parlaments. 25  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  225  f. 26  Der Unterwerfungsakt des Klerus (25 Heinrich VIII 19) hatte zwar vorgesehen, das kanonische Recht zu reformieren, was dann durch das Großsiegel bestätigt worden wäre. Dieser Vorgang hat aber nie stattgefunden und die englische Monarchie hat nie formell das mittelalterliche Kirchenrecht übernommen. 27  Vgl. zum Langen Parlament oben Anmerkung 22. 28  Diese Stelle wird fast wörtlich weiter unten wiederholt, vgl. Anmerkung 35. 29  Nach dem gregorianischen Kalender wurde Karl I. am 30. Januar 1649 hingerichtet. 30  Der oben erwähnte Konflikt über das Besteuerungsrecht des Shipmoney. 31  Oliver Cromwell wurde am 16. Dezember 1653 Lordprotektor mit quasi-monarchischer Gewalt. Im Behemoth diskutiert Hobbes, warum Cromwell den Königstitel ablehnte. T. Hobbes, Behemoth, S.  217. Crom-

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wells Anspruch, ohne die Zustimmung des Parlaments Steuern erheben zu können, war im Übrigen umstritten. Ferner ist Willms’ Anmerkung zu dieser Stelle, dass Hobbes davon ausging, die Souveränität läge nach der Hinrichtung Karls I. bei Cromwell, so nicht richtig. Vielmehr handelt es sich hier um eine der offenen Fragen der Hobbesforschung. Siehe dazu genauer die Ausführungen in der Einleitung, S.  L XXXIII–LXXXVIII . 32  Ein in der Forschung nicht beachtetes Indiz dafür, dass Hobbes sich verfolgt fühlte. Warum er dem auf diese Art hier etwas unvermittelt Ausdruck gibt, bleibt unklar, spielt aber auf den Act of Oblivion im nächsten Absatz an. 33  Das ist der in der Einleitung erwähnte Act of Free and Generall Pardon, Indemnity and Oblivion von 1661, auf den Hobbes sich wiederholt berief, um sich vor politischer Verfolgung und Anklage zu schützen. Hobbes geht auf den Act of Oblivion auch am Ende dieses Kapitels sowie im Kapitel 8 (S. 145) noch einmal genauer ein. Vgl. auch T. Hobbes, ­Behemoth, S.  233. 34  Leviathan und Behemoth erheben unmissverständlich den Anspruch, Hobbes’ Lehre enthalte die beste politische Erziehung für England. Hobbes äußert sich hier nur sehr allgemein. Ob aus Vorsicht oder Bescheidenheit, bleibt unklar. 35  Diese Stelle wird bereits fast wörtlich weiter oben genannt, vgl. Anmerkung 28. 36  Hobbes hat nur im Dialog der historischen Eroberung Englands durch Wilhelm eine legitimitätsstiftende Bedeutung beigemessen. Da das Common Law historisch argumentierte, schien Hobbes sich veranlasst zu fühlen, das nun auch zu tun. Vgl. zu Wilhelm dem Eroberer ansonsten die eher nebensächlichen Erwähnungen in T. Hobbes, Leviathan (XIX), S.  158 und T. Hobbes, Behemoth, S.  3 und S.  88. Souveränität ist bei Hobbes immer nur durch Vertrag legitim, sie kann aber auch durch Eroberung  /Aneignung erworben werden. Legitim wird sie dann aber erst, wenn die Eroberten sich dem Eroberer durch Vertrag unterwerfen. T. Hobbes, Leviathan (XXI), S.  183. 37  Dieser Absatz wurde von Willms hier nicht aus Tracts of Thomas Hobb’s bzw. EW IV, sondern aus Cropseys Ausgabe übersetzt. Dies geschah vermutlich, weil Crospeys Lesart Hobbes’ Souveränitätsverständnis eher entspricht. Ich behalte dieses Vorgehen daher bei.

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Anmerkungen

38  Henry de Bracton (ca. 1210 – ca. 1268) war ein englischer Kleriker und Jurist. Sein De Legibus et consuetudinibus Angliae war eine der ältesten systematischen Behandlungen des Common Law. Dieses Werk beruht im Wesentlichen auf gesammelten Entscheidungen und aufgezeichneten Verfahrensweisen der »Wanderrichter« in England, womit Bracton einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Common Law ausübte. 39  Römer 4,15: »Wo das Gesetz nicht ist, ist auch keine Übertretung«. 40  Diese Unterscheidung war alles andere als eindeutig. Siehe dazu ausführlicher die Einleitung, S.  X XX  f. und S.  L XXI–LXXV. Der Kompetenzstreit der verschiedenen Gerichte, der ausführlich im nächsten Kapitel verhandelt wird, wird hier nur angedeutet. Vgl. auch J. Baker, The Common Lawyers and the Chancery: 1616, S.  256. 41  Eine Position, die von den common lawyers wie Coke nicht geteilt wurde. So wurde von Coke zum Beispiel zwischen einem Prozess durch Zeugen und einem Prozess durch Geschworene unterschieden. Vgl. dazu die Anmerkung von Cromartie, in: T. Hobbes, Dialogue, S.  31 (Anm. 87). 42  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  224. 43  Moses, II; 22,1. 44  Vgl. dazu bereits oben Anmerkung 12. 45  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (I-10), S.  82 und T. Hobbes, Leviathan (XIV), S.  108. Auch hier ist es wieder der Jurist, der auf die Konsequenzen des Naturzustands verweist. Vgl. oben Anmerkung 14 und 15. 46  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XIV), S.  108: »Recht besteht in der Freiheit, etwas zu tun oder zu lassen, während Gesetz eines davon festlegt, so daß sich Gesetz und Recht so weit unterscheiden wie Verpflichtung und Freiheit, die bei ein und derselben Sache unvereinbar sind«. 47  Hobbes’ Freund John Selden hatte 1647 zu diesem Text des Common Law einen Kommentar Ad Fletam dissertatio publiziert und dort auch die Meinung vertreten, dass die Datierung früher anzusetzen sei und bereits in die Zeit der Regierung Eduard I. falle (ca. 1290). Seldens Text war zur Zeit der Abfassung des Dialogs die einzige gedruckte Version der Fleta. Coke, der 1634 gestorben war, ging noch davon aus, dass die Fleta zur Zeit Eduard II. verfasst wurde, und Hobbes scheint dies zumindest nicht zu beanstanden. 48  Es handelte sich bei den »Wanderrichtern« (itinerant judges) um königliche Beamte, die ausgesandt wurden, um lokale Rechtsprechung

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zu überwachen. Wo immer provinzielle Rechtsprechung widersprüchlich oder unsicher war, setzten diese Richter, im Namen und Auftrag des Königs, eine Vereinheitlichung des Rechts durch. Die so allgemeiner (common) werdende Rechtsprechung, die nach der Eroberung durch die Normannen (1066) allmählich durchgesetzt wurde, ist einer der frühesten Vorgänge der Formierung des Common Law. Hier wird auch deutlich, dass das Common Law nicht eo ipso gegen die Souveränität des ­Königs gerichtet ist. 49 Das law of warranties war äußerst kompliziert und Hobbes dürfte sich mit den Details kaum vertraut gemacht haben. Es ging hier um vermögensrechtliche Fragen. Könige in ihrer Kapazität als staatliche Person waren allerdings nie warrantors (Bürge  /  Garantiegeber). Vgl. die Ausführungen von Coke in Sir E. Coke, The first part of the Institutes, (365–393), S.  225–242, auf die Hobbes sich hier bezogen haben mag. Wichtig dazu auch die Diskussion von Carrive in T. Hobbes, Dialogue, S.  57 insbes. Anmerkung 72. 50  Vgl. dagegen T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  245: »Gleichermaßen werden Gesetze und Charters wahllos für die gleiche Sache angesehen. Doch Charters sind Schenkungen [donations] des Souveräns und nicht Gesetze, sondern Befreiung von Gesetz«. 51 Hobbes ist hier ungenau, denn zumindest diejenigen, die das Todes­u rteil von Karls II. Vater unterzeichnet hatten und nicht wie erwähnt hingerichtet worden waren, wurden bis zu ihrem Tod in Haft gehalten. Vgl. dazu R. Hutton, Charles II: King of England, Scotland, and Ireland, Oxford 1989, S.  172. 52  Das ist der Act of Free and Generall Pardon, Indemnity and Obli­ vion von 1661. Vgl. oben Anmerkung 33. 53  Hobbes hatte immer bestritten, dass der König seine Souveränität mit dem Parlament teilen und diese von beiden Institutionen gemeinsam ausgeübt würde. Auch darum ging es in den politischen Auseinandersetzungen, die im englischen Bürgerkrieg eskalierten. Mit der Restauration der Stuarts und der Krönung Karls II. 1660 blieb diese Frage weiterhin offen. Hobbes legt hier nahe, dass es sich dabei lediglich um einen formaljuristischen Aspekt, nicht aber um konkrete partizipatorische Rechte des Parlaments handelt. Erst mit der Glorious Revolution wurde 1688 die Transformation der englischen Monarchie hin zu einer konstitutionel-

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len Monarchie und Mischverfassung erfolgreich eingeleitet. Wilhelm von Oranien (1650–1702), dessen Mutter Mary (1631–1660) die Schwester der Stuart-Könige Karl II. und Jakob II./VII. war und der mit der Tochter von Jakob II./VII., Mary (1662–1694), verheiratet war, wurde durch die Autorität des Parlaments zusammen mit Mary auf den englischen Thron gehoben. Allerdings mussten Wilhelm und seine Frau, bevor sie am 13. Februar 1689 gekrönt wurden, zuvor die Declaration of Rights unterzeichnen, in der vom Parlament die Grenzen der königlichen Prärogativen und umfangreiche Rechte des Parlaments festgelegt wurden. Diese Declaration wurde im Oktober des gleichen Jahres als Bill of Rights als Gesetz verabschiedet. Von nun an wurde der König im Parlament (King-in-parlia­ ment), also nur der König gemeinsam mit dem Parlament, zum Träger der staatlichen Souveränität. Damit hatte sich nach dem englischen Bürgerkrieg und der Restauration letztlich das parlamentarische Regierungssystem in England 1689 durchgesetzt, auch wenn einige Tories noch für einige Jahre in Frage stellten, ob die Bill of Rights tatsächlich bindend war. 54  Das meint die Bücher oder Gesetzessammlungen zum Common Law. 55  Zu den, zugegebenermaßen verwirrenden, konkurrierenden Gerichtshöfen zur Zeit Cokes und den politischen Implikationen, die in diesem Kapitel behandelt werden, vgl. oben Anm.  40 sowie die Einleitung, S.  XVI f. 56  Ein Grund, warum Hobbes und die Juristen des Common Law sich zumeist mit Unverständnis und Irritation begegneten, lag in den von Hobbes nur äußerst rudimentär ausgearbeiteten Eigentumsrechten der Untertanen. Sein Fokus lag auf der Souveränitäts- und Staatslehre, während das Common Law sich weitgehend mit privatrechtlichen Eigentumsfragen auseinandersetzte. 57  Hobbes’ Terminologie ist eher ungewöhnlich. Die Unterscheidung zwischen Kronklage (pleas of the crown) und Zivilklage (common plea) war häufig umstritten und nicht immer eindeutig. 58 Im Leviathan ist dieser Sachverhalt gleichsam im Umkehrschluss formuliert. Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVII), S.  247: »Wo kein staatliches Gesetz ist, gibt es kein Verbrechen«. 59  Diese Diskussion findet sich im Wesentlichen so bereits auch im Le­ viathan. Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVII), S.  245  f. Der Satz, dass »alle

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Verbrechen (…) in der Tat Sünden, aber nicht alle Sünden (…) Verbrechen« sind, findet sich wörtlich im Leviathan. Ebd., S.  246. 60 Vgl. La novel Natura Brevium, London 1534, von dem Richter Sir Anthony Fitzherbert (1470–1538). Es handelt sich hier um den Heimfall eines Lehens an den Souverän, wenn der Vasall keine Erben hat oder der Felonie für schuldig befunden wurde. 61  Diese Stelle ist unklar in Cokes Text und war wahrscheinlich auch für Hobbes nicht einsichtig. Sie meint die ausschließliche Zuständigkeit nach der Handlungsweise Nummer vier. Vgl. dazu Carrive in T. Hobbes, Dialogue, S.  67 insbes. Anmerkung 20, sowie Cromartie, in: T. Hobbes, Dialogue, S.  45 (Anm. 143). 62  Erst im Laufe des 13. Jahrhunderts, also erst nach der Magna Carta (1215), wurde der zentrale Gerichtshof aufgeteilt. Das bedeutete aber noch keine prinzipielle Änderung der Rechtsform. Eine qualitative Veränderung, die das Common Law in seiner Kompetenz einschränkte, wurde – wie oben erwähnt – erst mit der Einführung der courts of equity erreicht. 63 Die concealer waren diejenigen, die verstecktes (concealed) Land in betrügerischer Absicht ausfindig machten, von dem sie behaupteten, dem König stehe dieses Land aufgrund eines Rechtsanspruchs zu, würde ihm aber vorenthalten. 64  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIV-15), S.  227; T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  234  f. und T. Hobbes, Behemoth, S.  39–43. Vgl. zu Billigkeit / equity auch Anm.  40. 65  Hobbes referiert hier bereits C. St. Germain, The Doctor and Stu­ dent, S.  51: »There is a statute made by the fourth year of king Henry IV. cap. 22 [sic] whereby it is enacted, That judgment given by the king’s courts shall not be examined in the chancery, parliament, nor elsewhere; by which statute it appeareth, that if any judgement be given in the king’s courts against an equity, or against any matter of conscience, that there can be had no remedy by that equity, for the judgement cannot be reformed with­out examination, and the examination is by the said statute prohibited«. Zu St. Germain siehe ausführlicher die folgende Anmerkung und die Einleitung, S.  LV. 66  Christopher St. Germain oder German (1460–1540) war ein englischer Jurist, der zur Zeit der Reformation als Erster über das Common Law und Equity (Billigkeit) schrieb und die weitere Diskussion zu diesem

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Anmerkungen

Thema nachhaltig beeinflusste. Die Schrift war ein Dialog, der zunächst 1528 in Latein und kurz darauf (wohl von St. Germain selbst übersetzt) 1530/31 in Englisch als The Doctor and Student, or, dialogues between a doctor of divinity and a student in the laws of England erschien. Hobbes hatte offenbar die englische Version gelesen. 67  Die Gewissensfrage war zur Zeit der Reformation von zentraler Bedeutung. Das Ende von Kapitel 18 von The Doctor and Student, das Hobbes hier erwähnt, verweist auf die auch für Hobbes wichtige Frage »where conscience shall be ruled after the law, and where the law shall be ruled after conscience«. C. St. Germain, The Doctor and Student, S.  53. H ­ obbes referiert hier und im Folgenden weitgehend den Dialog St. Germains. 68  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XVI), S.  135  f. Vgl. dazu auch die Einleitung, S.  XVIII. 69  Diese Position war zumindest umstritten, denn Coke behauptete, dass selbst zur Zeit der Römer in England das Common Law galt, obwohl sie sonst überall römisches Recht zur Anwendung brachten. Vgl. Sir E. Coke, Selected Writings, Bd.  I, S.  68. Coke bezieht sich dabei auf den chief justice Sir John Fortescue (1394–1479), »a man of excellent learning and authority« (ebd. S.  68). Fortescues einflussreiches De Laudibus Le­ gum Angliae, auf das sich Coke hier bezieht, wurde 1543 posthum publiziert. Es erschienen mehrere Ausgaben, von denen auch Hobbes’ Freund John Selden eine besorgt hatte, was es noch wahrscheinlicher macht, dass Hobbes mit diesem wichtigen Text zum englischen Common Law vertraut war, auch wenn er ihn nicht im Dialog erwähnt. Sir J. Fortescue, De Laudibus Legum Angliae … Hereto are added the two Sums of Sir Ralph de Hengham … commonly calld Hengham Magna, and Hengham Parva. With notes both on Fortescue and Hengham, hg. v. J. Selden, London 1672, (I-17), S.  39: »Regnu Anglia primo per Britannos inhabitatú est, deinde per Romanos regulatum, iterumque per Britannos, ac deinde per Saxones possessum, qui nomen ejus ex Britannia, in Angliam mutaverút: extunc per Danos idé regnum parumper dominatum est, & iterum per Saxones, sed finaliter per Normannos, quorum propago regnum illud obtinet in praesenti. Et in omnibus nationum harum & regum earû temporibus, regnum illud cisdem, quibus jam regitur, consuetudenibus continué regulatum est«.

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70  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIV-15) und T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  233–235. 71  Cokes Herleitung dieses Begriffs war durchaus zutreffend und gebräuchlich. Vgl. Sir E. Coke, The Fourth Part of the Institutes of the Laws of England, London 1809 (Kap.  8), S.  87  f. Ferner Carrive, in T. Hobbes, Dialogue, S.  81 insbes. Anmerkung 71. Die von Hobbes vorgeschlagene alternative Interpretation ist auch schlüssig. 72  Es erscheint nicht sinnvoll, den Begriff der Felony zu übersetzen. Er bleibt daher als Eigentümlichkeit des Common Law so im Text erhalten. Die von Hobbes im Folgenden auf S.  80  f. vorgeschlagene Herkunft des Wortes ist durchaus plausibel. Vgl. dazu Kapitel 7 in W. Blackstone, Commentaries on the Law of England, Oxford 1770, (IV-7), S.  94–101, insbes. S.  94: »FELONY, in the general acceptation of our English law, comprises every species of crime, which occasioned at common law the forfeiture of lands or goods. This most frequently happens in those crimes, for which a capital punishment either is or was liable to be inflicted«. 73  John Cade, besser bekannt als Jack, hatte von April bis Juli 1450 eine Rebellion gegen die Herrschaft König Heinrichs VI. angeführt. Cade kam aus moderaten Verhältnissen und wurde vermutlich in Sussex geboren (er war kein Ire). Dies war der größte Aufstand in England im 15. Jahrhundert. Ausgehend von Beschwerden über die lokale Regierung weitete die Rebellion sich schnell aus und im Juni marschierte Cade mit 5000 Mann auf London zu. Am 3. Juli besetzte er London und erklärte sich zum Bürgermeister der Stadt. Es dauerte keine zehn Tage und das Blatt wendete sich gegen die Rebellen. Cade floh, wurde kurz darauf ergriffen und erlag am 12. Juli seinen Verletzungen. Im 2. Teil von Shakespeares King Henry the Sixth wurde er als »Jack Cade, a rebel« dramatisiert; das Stück fast die Sicht über Cade prägnant zusammen: »For our enemies shall fall before us, inspired with the spirit of putting down kings and princes«. W. Shakespeare, King Henry the Sixth Part II, in: The complete Works of William Shakespeare, Chatham 1996 (IV. Akt, II. Szene), S.  54. 74  Gewusst und kritisiert hatte Hobbes dies freilich bereits früher. Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVIII), S.  271: »Denn wo der Vorteil für die Richter und die Beamten eines Gerichtshofes sich aus der Vielzahl der Fälle ergibt, die ihnen zur Entscheidung vorgelegt werden, müssen notwendigerweise zwei Mißlichkeiten folgen: eine ist das Aufrechterhalten von

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Prozessen, denn je mehr Prozesse, desto größer der Vorteil; und eine andere, die davon abhängt, der Streit um die Zuständigkeit, wobei jeder Gerichtshof so viele Fälle wie möglich an sich reißt«. 75  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  237. 76  Zur Bedeutung der Billigkeit (equity) vgl. Anm.  40. Nach Coke konnten die Richter des Common Law nach dem Prinzip der Billigkeit die Gesetze interpretieren, womit sie diese fortschrieben und damit letztlich eine Funktion des Gesetzgebers wahrnahmen. Diese Auffassung stand Hobbes’ Souveränitätstheorie diametral entgegen. Hobbes bestand daher auf dem institutionellen Charakter der courts of equity als Berufungsinstanz, insbesondere des chancery court, was den Interpretationsspielraum der Richter des Common Law nachhaltig einschränkte. Vgl. dazu bereits C. St. Germain, The Doctor and Student, S.  51, sowie auch die spätere Diskussion in R. Acherley, The Jurisdiction of the Chancery as a Court of Equity researched, and the traditionall obscurity its commencement cleared. With a short essay on the Judicature of the Lords in Parliament upon Appeals from Courts of Equity, London 1736. 77  Vgl. Cicero, Über die Rechtlichkeit (De legibus), hg. v. K. Büchner, Stuttgart 1989, (III-8), S.  87. Büchner übersetzt dort »Ollis salus populi suprema lex esto« als »Ihnen soll die Unversehrtheit des Volkes oberstes Gebot sein«. Obwohl Hobbes den republikanischen Anschauungen Ciceros sehr skeptisch gegenüberstand, machte er sich die salus populi für seine Theorie zu eigen, was zeigt, dass die inhaltliche Bestimmung und Interpretation von salus populi umstritten war. Siehe dazu die Einleitung, S.  LXXIX–LXXXII. 78  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIV-21), S.  232  f. und T. Hobbes, Levia­ than (XXX), S.  285. 79  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXXVIII), S.  269: »die Natur dieses Vergehens besteht in der Ablehnung der Unterwerfung, was ein Rückfall in den Kriegszustand ist, gewöhnlich Rebellion genannt; und wer sich so vergeht, büßt nicht als Untertan, sondern als Feind. Denn Rebellion ist nur ein wiedererweckter Krieg«. 80  Unter dem Begriff Gunpowder-plot wird allgemein der frühzeitig vereitelte Versuch eines Aufstands englischer Katholiken mit dem Ziel der Rekatholisierung Englands bezeichnet. Am 5. November 1605 hatten sie beabsichtigt, den englischen König und das Parlament in die Luft

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zu sprengen. Sir Edward Coke führte vom 27. Januar 1606 die Anklage gegen die Verschwörer, die alle hingerichtet wurden. Am 28. März 1606 begann der Prozess gegen den Jesuiten Henry Garnett. Coke führte erneut die Anklage und Garnett wurde noch im gleichen Jahr wegen seiner Mitwisserschaft des Hochverrats für schuldig befunden und hingerichtet. Vgl. Sir E. Coke, Speech and Charge at the Norwich Assizes, in: Sir E. Coke, Selected Writings, Bd.  II, S.  541  f. Es ist auffallend, dass Hobbes, obwohl ihm das sicherlich bekannt war, hier nicht erwähnt, dass Coke die Anklage führte. Garnetts Hochverrat wird auch in Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes III-2, S.  1009 erwähnt. Hobbes erwähnt den Gunpowder-plot auch kurz in seinem Behemoth. Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  24. 81  Vgl. Sir J. Davis, Les Reports des Cases & Matters en Ley, resolves & adjudges en les courts del roy en Ireland, London [1612] 1674. Zum Kronanwalt (Attorney General) für Irland Sir John Davis (1569–1626) siehe auch die Einleitung, S.  XII  f. 82  William Lambarde (1536–1601) veröffentlichte eine Sammlung angelsächsischer Gesetze, die das englische Common Law geprägt hatten. W. Lambarde, Archaionomia, sive, de priscis Anglorum Legibus, London 1568. 83  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIV-15), S.  227 und T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  234  f. 84  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XIV), S.  110. »Objekt der Willenshandlungen jedes Menschen ist etwas Gutes für ihn selbst. Und deshalb gibt es einige Rechte, bei denen man nicht annehmen kann, daß ein Mensch sie durch irgendwelche Worte oder andere Zeichen aufgegeben oder übertragen hat«. In diesem Argumentationszusammenhang diskutiert Hobbes allerdings, anders als im Dialog, den Selbsterhaltungstrieb des Menschen als eine entscheidende Grenze gegenüber einer möglichen Übertragung seiner Rechte auch gegenüber dem Souverän. 85  Hobbes referiert hier Positionen von Coke und allgemein des Common Law, um die Absurdität dieser Rechtsauffassung aufzuzeigen. 86  Vgl. dazu auch T. Hobbes, Leviathan (II), S.  16: »Denn was Hexen betrifft, denke ich nicht, daß ihre Zauberei irgendwelche wirkliche Macht besitzt, daß sie aber dennoch zu Recht bestraft werden, wegen ihres falschen Glaubens«. T. Hobbes, Vom Menschen, (XIV-12), S.  51: »Der Glaube vieler, daß Hexen denen schaden, welchen sie übel wollen, ist unrichtig.

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Anmerkungen

(…) Trotzdem werden sie sowohl wegen der Absicht zu schaden als auch wegen ihres verbrecherischen Kultes nicht mit Unrecht bestraft«. John Selden vertritt eine ganz ähnliche Position. Vgl. J. Selden, Table Talks, S.  264. Hobbes und Selden bestritten die Existenz des Teufels und damit auch, dass es zwischen dem Teufel und den Hexen einen Pakt oder irgendeine Beziehung gäbe. Vgl. dagegen Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes III, S.  1041: »A Witch is a person that hath conference with the Devill, to consult with him or do some act.« 87  Vgl. zur Struktur und Kapitelfolge des Dialogs sowie zur hier behandelten Thematik der Ketzerei die Einleitung, S.  L XII. 88  Zu beachten ist, dass es an dieser Stelle im Dialog zu einem entscheidenden Wendepunkt kommt: Denn zunächst drängt J. darauf, Ketzerei zu behandeln, und erklärt dann auch, was darunter nach Coke und dem Common Law zu verstehen ist. Hier nun aber ist es P., der zunächst gar nicht über dieses Thema sprechen wollte, der im Folgenden Ketzerei erklärt. 89  Die Argumentation dieses Absatzes findet sich fast wortgleich in T.  Hobbes, An Historical Narration concerning Heresy, S.  387  f. Ganz ähnlich ebenfalls in T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1191. 90  Diese Argumentation findet sich auch in T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1193. 91  Vgl. T. Hobbes, An Historical Narration concerning Heresy, S.  390. 92  Vgl. T. Hobbes, An Historical Narration concerning Heresy, S.  392. 93  Vgl. T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1197. 94  Der Theologe und Professor in Oxford John Wyclif (auch in einer Vielzahl anderer Schreibweisen, ca. 1324–1384) kritisierte den Luxus des Klerus und setzte sich für Reformen ein, die im frühen 16. Jahrhundert in England von der Reformation aufgegriffen wurden. Die Anhänger von Wyclif wurden besonders seit der Thronbesteigung Heinrich IV. 1399 unnachgiebig verfolgt. 1401 wurde das Gesetz De haeretico combu­ rendo gegen die Lollarden erlassen. Unmittelbar vor Inkrafttreten dieses Erlasses wurde der erste Märtyrer der Lollarden, William Swatre, 1401 verbrannt. 95  Der fanatische Prediger und Sektenführer der »Suchenden« (Seekers) Bartholomäus Legat wurde 1612 als letztes Opfer religiöser Intoleranz verbrannt.

Anmerkungen

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96  Die Anabaptisten oder Wiedertäufer war eine radikal-reformatorische Glaubensgemeinschaft, die sich in der Nachfolge Christi sah und nur die Taufe der Gläubigen, nicht aber von Säuglingen vornahm. Sie wurden unduldsam verfolgt und 1575 wurden auch in England (in Smith­ field) zwei holländische Anabaptisten verbrannt. Vgl. auch T. Hobbes, An Historical Narration concerning Heresy, S.  401. 97  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIV-8), S.  222. 98 Die Historiker Raphael Holinshed (1525–1580) und John Stow (1524/25–1605), die mehrere Chroniken der englischen Geschichte verfassten und von Coke in seinen Institutes zitiert werden. Vgl. z. B. J. Stow, Summarie of Englyshe Chronicles, London 1565 und R. Holinshed, The Chronicles of England, Scotlande, and Irelande, London 1577. 99  Die Diskussion ist hier und im Folgenden (s. u. S.  129) präziser als in T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1213: »certum est, in Anglia nostra ab illo ferè tempore [d. h. seit in etwa der Zeit Papst Alexander III. (c.  1100/1105–1181)], usque ad tempora Reginae Elizabetae consuetudine quadam in Legem transeunte, Haereticos comburi solitos esse«. 100  Praemunire waren königliche Instruktionen (royal writ), mit denen im 14. Jahrhundert der päpstliche Einfluss auf die säkularen Gewalten in England begrenzt werden sollte. Das entscheidende Statut für Praemunire war 16 Richard II, c. 5 (1392). Hobbes erläutert im Folgenden Praemunire ausführlich. Auch hier wird der Kompetenzstreit der konkurrierenden Gerichte einmal mehr deutlich. Da es keine vom König unabhängigen geistlichen Gerichte mehr in der anglikanischen Staats- und Kirchenordnung gab, da der König ja auch Oberhaupt der Kirche war, hielt Hobbes das Praemunire für obsolet. Coke hatte hingegen noch vergeblich versucht, dieses Rechtsinstitut für die Jurisdiktion des Common Law fruchtbar zu machen. Vgl. dazu J. Baker, The Common Lawyers and the Chancery: 1616, S.  268  f. 101 Das Statute of Provisors (1306) unter der Regierung von Edward I. war nach Coke die Grundlage für alle weiteren Statuten von Praemunire. 102  Hier wird der Kompetenzanspruch zwischen der konkurrierenden säkularen (Westminster-) und klerikalen (Lambeth-)Gerichtsbarkeit dargestellt. Dabei muss man wissen, dass Lambeth – auf der südlichen Seite der Themse direkt gegenüber von Westminster gelegen – der Palast und Gerichtshof des Erzbischofs von Canterbury war.

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Anmerkungen

103  Sir William Stanford (1509–1558) publizierte Les Plee del Coron 1557, also während der Regierung der katholischen Königin Maria. 104  »Plea of the Mitre« verweist auf den Gegensatz zum Verfahren der Krone (Plea of the Crown). Also einmal mehr der Gegensatz zwischen bischöflicher (die Mitra war die traditionelle liturgische Kopfbedeckung der Bischöfe) und königlicher Rechtsprechung. 105  Thomas Wentworth, Earl von Strafford (1593–1641), war Lord Lieutenant und vor allem verantwortlich für die von ihm erfolgreich geführte Verwaltung von Irland. Wentworth war einer der führenden Royalisten und ein enger Berater und Gefolgsmann des Königs. Die Parlamentspartei wusste, dass ihr mit ihm ein wesentlicher Gegenspieler der royalistischen Sache gegenüberstand. Er wurde durch das Parlament angeklagt und König Karl I. unterschrieb das Todesurteil, was er später bereute. Hobbes führt dies ausführlich in seinem Behemoth aus: »Der König hörte alle Vorgänge dieser Verhandlung mit an und erklärte sich mit ihrem Richterspruch unzufrieden. Und ich glaube, er hätte ihn begnadigt, ungeachtet der Gefahr, die ihm selbst aus der Wut des Volkes drohte. Doch nicht nur solche, auf die er sich verlassen konnte, sondern auch der Earl of Strafford selbst rieten ihm, sich dem Strafvollzug nicht entgegenzustellen. Er hätte es getan, wenn die Begnadigung ihn vor dem im Parlament erfolgten und unterstützten Aufruhr hätte bewahren können, der dazu diente, diejenigen in Schrecken zu versetzen, von denen man annahm, dass sie Strafford wohlwollend gegenüberstanden. Und doch zögerte der König später nicht zu bekennen, dass er falsch damit gehandelt habe, ihn nicht zu begnadigen.«. T. Hobbes, Behemoth, S.  81  f. William Laud (1563– 1645) war offiziell von 1633–1645 Erzbischof von Canterbury. Auch er war ein eifriger Verfechter der royalistischen Sache und hatte deswegen unter der Parlamentspartei viele Widersacher. Laud wurde im Februar 1641 des Hochverrats angeklagt und in den Tower gesperrt, sein Prozess begann aber erst am 12. März 1644. Am 10. Januar 1645 wurde Laud enthauptet. Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  74–85. 106  Die Juristen Sir Richard Empson (gest. 1510) und Edmund Dudley (ca. 1462–1510) hatten die unpopulären Steuereintreibungen für Heinrich VII. umgesetzt. Sie waren einflussreiche Berater Heinrichs VII. und hatten selbst bemerkenswerte Reichtümer während ihrer Zeit am Hof er-

Anmerkungen

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worben. Heinrich VIII. veranlasste nach seiner Regierungsübernahme, dass sie – aufgrund erdichteter Vorwürfe – hingerichtet wurden. 107  Kardinal Thomas Wolsey (1475–1530) war einer der bedeutendsten Kleriker, Staatsmänner und, nicht zuletzt, Juristen Englands. 108  George Villiers, Duke of Buckingham (1592–1628) war ein Günstling Jakobs I. von etwa 1616 bis zu Jakobs Tod 1625. Er fiel 1628 einem Attentat zum Opfer, bis dahin war er weiterhin einflussreich am Königshof. Crospy legt in seiner Ausgabe S. 139 nahe, dass Hobbes diese Warnung hier auch mit auf Francis Bacon bezog. Bacon, dem Hobbes nahegestanden hatte, hatte sich König Jakob I. gegenüber wiederholt gegen Coke gewandt. Vgl. dazu auch die Einleitung, S.  X VIII  f. und S.  X XXI– XXXII. 109  So auch fast wörtlich in T. Hobbes, Leviathan (XXVII), S.  254. 110  Hobbes formuliert hier den rechtsphilosophisch auch heute, für den modernen Rechtsstaat, bedeutsamen Grundsatz nulla poena sine lege – keine Strafe ohne Gesetz. Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XIII-16), S.  215  f. und T. Hobbes, Leviathan (XXVII), S.  247 und (XXVIII), S.  262– 265. Ähnlich dann auch T. Hobbes, Appendix ad Leviathan, S.  1202. Vgl. zur Begründung der Strafe in Hobbes’ Rechtsphilosophie auch P. Schröder, Hobbes, S.  60–65. 111  2 Samuel, 12, 1–6. 112  Die grundsätzliche Prämisse der Anglikaner, dass die anglikanische Kirche unter der Hoheit des Königs stehe, war mit Hobbes’ Souveränitätslehre durchaus vereinbar. Innerhalb der anglikanischen Kirche gab es aber auch jene, die die episkopalen Rechte iure divino ableiten wollten und damit beanspruchten, ihre bischöfliche Autorität nicht vom König, sondern direkt von Gott erhalten zu haben. Dieser Position widersprach Hobbes bereits im Leviathan, denn nach seiner Überzeugung hatten sie ihr Amt durch die Gnade des Monarchen erhalten. Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XLII), S.  458. Gegen Bramhall und andere anglikanische Bischöfe bestand Hobbes daher darauf, dass der König das Oberhaupt der Kirche sei. T. Hobbes, An Answer to a Book published by Dr Bramhall, S.  346: »His Lordship [Bischof Bramhall] was in great error, if he thought such encroachments would add any thing to wealth, dignity, reverence or continuance of his order. They are pastors of pastors, but yet they are sheep of him that is on earth their sovereign pastor«. Vgl. J. F. Collins,

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Anmerkungen

The Restoration Bishops and the Royal Supremacy, in: Church History 68 (1999), S.  549–580. 113  »During the Kings pleasure« – eine euphemistische Wendung für »lebenslänglich«. 114  Metius Suffetius, eigentlich Fufetius (starb 673 a. C.). 115  Der katholische Fanatiker François Ravaillac (1578–1610) hatte den französischen König Heinrich IV. am 14. Mai 1610 ermordet. Die ausgeklügelte, brutale Bestrafung am 27. Mai des gleichen Jahres bestand in der hier beschriebenen Vierteilung Ravaillacs. Hobbes hatte 1668 in seiner An Answer to a Book published by Dr Bramhall, S.  294 bemerkt, dass ein Verräter seine Rechte verliere und daher nach der Willkür des Königs bestraft werden könne, »as Ravaillac was for murdering Henry IV of France«. 116  Diese Diskussion findet sich im Wesentlichen so bereits auch im Leviathan, wo Hobbes mit den gleichen Argumenten ebenfalls gegen ­Cokes Interpretation wendet. Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  235. 117  Hier ist die Argumentation im Leviathan sachlicher und eindeutiger: »Ein geschriebenes Gesetz mag Unschuldigen die Flucht verbieten, und sie mögen dafür bestraft werden. Daß aber Flucht aus Furcht von Unrecht als Vermutung der Schuld angesehen werden sollte, nachdem ein Mensch bereits vor Gericht von dem Verbrechen freigesprochen ist, widerspricht dem Wesen einer Vermutung, die nach dem gefällten Urteil am Platz ist. Doch dies legt ein großer Jurist für das Gemeine Recht [Coke] fest«. T. Hobbes, Leviathan (XXVI), S.  236. 118  Weder in der Erstausgabe des Dialogs von 1681, vgl. S.  178, noch in der Clarendon Ausgabe, vgl. S.  127, findet sich diese Kapitelüberschrift. Willms folgte hier, wie er mitteilte, der Edition von Molesworth, der diese Zwischenüberschriften eingefügt hatte. Vgl. B. Willms, Vorbemerkung, S.  3. 119  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXX), S.  292. 120  Hobbes verfälscht hier Cokes Position. In Kapitel 49 in den Third Institutes verhandelt Coke unter der Überschrift Of Piracy, Felonies, Rob­ beries, Murders, and Confederacies committed in or upon the Sea diese Fragen. Vgl. Sir E. Coke, The Third Part of the Institutes of the Laws of England, London 1797, (49), S.  111–113 b. 121  Vgl. dazu oben Anmerkung 33 sowie die Einleitung, S.  XCVI.

Anmerkungen

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122  Weder in der Erstausgabe des Dialogs von 1681, vgl. S.  190, noch in der Clarendon Ausgabe, vgl. S.  132 findet sich diese Kapitelüberschrift. Auch hier folgte Willms, wie er mitteilte, der Edition von Molesworth, der diese Zwischenüberschriften eingefügt hatte. B. Willms, Vorbemerkung, S.  3. 123  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (III-18), S.  107 und T. Hobbes, Leviathan (XV), S.  130. 124  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (III-10), S.  103 und T. Hobbes, Leviathan (XV), S.  127  f. 125  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXIV), S.  210 und T. Hobbes, Behemoth, S.  137. 126  Vgl. T. Hobbes, Behemoth, S.  138  f. 127  Hobbes’ Unterscheidung zwischen der künstlichen Person des Staates und der menschlichen Person des Königs war für seine Souveränitätstheorie fundamental und für die weitere Entwicklung der Staatstheorie wegweisend. Für die systematische Entwicklung dieser Argumentation vgl. T. Hobbes, Leviathan (XVII), S.  144  f. Insbesondere Samuel Pufendorf und Jean-Jacques Rousseau wurden nachhaltig von Hobbes beeinflusst. Siehe zum Verhältnis von Pufendorf und Hobbes F. Palladini, Samuel Pufendorf Discepolo di Hobbes. Per una reinterpretazione del Giusnaturalismo moderno, Bologna 1990, S.  45  ff. und P. Schröder, Naturrecht und absolutistisches Staatsrecht. Eine vergleichende Studie zu Thomas Hobbes und Christian Thomasius, Berlin 2001, S.  66–99. Zum Verhältnis von Rousseau und Hobbes siehe K. Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft. Voraussetzungen und Begründungen, Würzburg 1989, S.  19–40 und P. Schröder, »Hobbes m’a fourni ses rêves politiques« – Rousseaus Auseinandersetzung mit Hobbes, in: T. Lau  /  V. Reinhardt  /  R . Voigt (hg.), Der sterbliche Gott. Thomas Hobbes’ Lehre von der Allmacht des Leviathan im Spiegel der Zeit, Baden-Baden 2017, S.  103–125. 128  Das Wort Allodium dürfte von den Dänen (aus der Lex Salica) nach England eingeführt worden sein. Es bedeutet unmittelbaren Besitz und damit v. a. auch ein uneingeschränktes Erbrecht. Coke bestritt, dass es im englischen Recht einen wirklichen Allodialbesitz gibt. Sir E. Coke, Selected Writings, Institutes I, S.  591: »all the laws & tenements in England in the hands of subjects, are holden mediately or immediately of the King. For in the law of England we have not properly, Allodium«. Hobbes

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Anmerkungen

ist hier etwas ungenau, die Position von P. stimmt im Übrigen im Resultat hier mit Coke überein. 129  Vgl. T. Hobbes, Vom Bürger (XII-7), S.  198 und T. Hobbes, Leviathan (XXIV), S.  210  f. 130  Vgl. Anmerkung 82. 131  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (XXX), S.  294  f. 132  Das Problem unterschiedlicher bzw. schwindender Einwohnerzahlen bei weiterbestehendem Delegationsrecht ins Parlament, das Hobbes hier mit dem Bild des »Kaninchenbaus« anspricht, wurde erst in den Parlamentsreformen des frühen 19. Jahrhunderts, als Problem der »rotten boroughs«, durch Neueinteilungen gelöst. 133  Vgl. T. Hobbes, Leviathan (X), S.  79: »wer Näheres über den Ursprung von Ehrentiteln wissen möchte, kann es wie ich in Mr. Seldens höchst vortrefflichen Abhandlung über diesen Gegenstand finden«. John Selden (1584–1654) wird hier von Hobbes zum ersten Mal im Dialog genannt, war aber dennoch ein wichtiger Bezugspunkt für Hobbes in seiner Auseinandersetzung mit dem Common Law (vgl. die Einleitung sowie oben die vorherigen Anmerkungen zu Selden). Der Traktat De modo te­ mendi Parliamentum war sicherlich nicht so alt, wie Coke annahm, und Seldens Urteil kommt der Datierung näher, wenn er davon ausgeht, dass es auf die Zeit Eduards III. zurückgehe und nicht älter sei (»I cannot yet believe that it is ancienter [sic] than about the time of King Edward the Third [1327–1377])«. Vgl. die Diskussion im Vorwort von Thomas D. Hardy in: Modus tenendi parliamentum: an ancient treatise on the mode of holding the Parliament in England, hg. v. T. D. Hardy, London 1846, insbes. S.  I–III. Hardy teilt Hobbes’ Auffassung, dass Coke hier falsch liegt und Selden verlässlicher ist. Hardy geht davon aus (vgl. S.  X IV), dass De modo temendi Parliamentum nach 1244 geschrieben wurde. 134  Der Text bricht hier unvermittelt ab. Vgl. dazu die Einleitung, S.  X I und S.  L XV. Nach Hobbes’ Souveränitätsverständnis hatte das Parlament, wie er auch im Dialog betont, nur beratende Funktion, aber keine Teilhabe an der staatlichen Souveränität. Der Verweis auf ein »perfektes englisches Parlament« ist sicherlich in diesem Sinne zu lesen.

PE R S ON E N R E G I S T E R

Aristoteles  9,98–101, 145 Alexander der Große  12, 98 Arius 103 Bracton, Henry de  24, 30  f., 40  f., 47, 75, 82, 87, 92 Cade, John (Jack)  61  f. Caesar, Julius  146, 153 Cicero, Marcus Tullius  146 Coke, Sir Edward  3  f., 6, 14  f., 24  f., 29  f., 32, 41–43, 45, 47, 52, 54  f., 57, 59–62, 64–67, 73–91, 94–97, 106, 108  f., 113–117, 120  f., 126–146, 149, 151, 159, 161 Dudley, Edmund  121 Edgar 55 Edmund 55 Eduard I.  13, 41, 137 Eduard II.  31, 73, 121, 157 Eduard III.  20, 66, 69, 72, 77, 83  f., 105, 112  f., 139 Eduard VI.  77, 105  f., 109 Eduard der Bekenner  55 Elisabeth I.  16, 23, 39, 50  f., 55, 58, 76, 104  ff., 109, 111, 120, 130, 144

Empson, Sir Richard  121 Epikur  98  ff. Ethelred 55 Euthyches 103 Fitzherbert, Sir Anthony  40, 106, 109, 130 Garnet, Henri  77 Hammond, Matthew  106 Heinrich II.  81 Heinrich III.  41, 81  f., 121, 132 Heinrich IV.  47, 50  f., 59, 84, 97  f., 104  ff., 108  f., 130 Heinrich V.  20, 105, 108, 130 Heinrich VI.  61, 77, 121 Heinrich VII.  89, 121, 126 Heinrich VIII.  65, 105, 116, 121, 130, 135, 144 Hollingshed, Raphael  109 Homer  81, 145 Hostilius, Tullus  128 Jakob I.  48, 65, 77, 96, 106, 122, 130  f., 144 Justinian 11 Karl I.  12, 33, 121, 145  f. Katharina von Aragon  121 Konstantin der Große  102

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Personenregister

Lambarde, William  81  f., 159, 161 Laud, William, Erzbischof von Canterbury 121 Legat, Bartholomäus  106, 108  f., 130 Littleton, Sir Thomas  3, 32, 92 Lukian 100 Marcus Antonius  146 Maria Tudor  22, 38, 72, 105 Marius 153 Platon 98–101 Pythagoras  98  f. Ravaillac, François  128 Richard II.  58  f., 113, 115  ff., 121, 125, 140, 142, 144, 161

Selden, John  161 Severus, Septimius  56 Solon 11 Stamford, Sir William  121 Stow, John  109 Strafford, Thomas Wentworth, Earl of  121 Suffetius, Metius  128 Sulla, Lucius Cornelius  153 Wilhelm der Eroberer  21, 74, 104, 151  f., 161 Wolsey, Thomas  121 Wyclif, John  104 Zenon  98  f.