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German Pages 332 [333] Year 2004
Deutschland auf dem Weg zur inneren Einheit
Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung Band 87
Deutschland auf dem Weg zur inneren Einheit
Herausgegeben von
Karl Eckart und Konrad Scherf
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-11359-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Mit dem Beginn der tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozesse in Osteuropa, seit der „Wende" in der DDR, dem Mauerfall im jahrzehntelang geteilten Deutschland und in dessen Hauptstadt Berlin hat sich die Gesellschaft für Deutschlandforschung (GfD) in ihrer nun 25-jährigen Geschichte wiederholt mit der vielschichtigen Problematik der Herstellung der „inneren Einheit" im staatlich wiedervereinten Deutschland befasst. Der vorliegende Band greift dieses nach wie vor aktuelle Thema vor allem aus der Sicht von Geographen, Raumforschern und -planern im interdisziplinären Zusammenwirken mit Fachvertretern verschiedener Nachbardisziplinen aus dem Osten und Westen Deutschlands auf. Er setzt sich aus zehn Beiträgen zusammen, hauptsächlich aus den Jahren 1999 und 2000, die vorwiegend in den von der GfD inhaltlich gestalteten Tagungen des „Ost-West-Kollegs" der Bundeszentrale für politische Bildung in Brühl von den Autoren dort vorgetragen sowie von einem sehr heterogen zusammengesetzten Publikum aus allen Teilen Deutschlands, durch viele interessierte Gäste aus dem Ausland bereichert, sehr lebhaft und teilweise auch kontrovers diskutiert worden sind. Nicht zufallig wird die nach wie vor wissenschaftlich diskussionswürdige Problematik zunächst in mehreren Beiträgen am Beispiel der alten und neuen deutschen Hauptstadt Berlin - einer Stadt und Region, die als Unikat in Deutschland und Europa wie keine andere den Bedingungen und Wirkungen der Ost-WestTeilung jahrzehntelang ausgesetzt war - in mehreren Beiträgen untersucht und dargestellt. In dieser Stadt und Region, die oftmals als „Werkstatt oder Labor der deutschen Einheit" bezeichnet wird, spiegelt sich das häufig widersprüchliche konvergierende oder divergierende - Zusammenwirken sehr unterschiedlicher Faktoren und Einflüsse, die Zustände und Vorgänge der „inneren Einheit" bzw. deren Herstellung fordern oder hemmen, auf relativ engem Raum einer Stadt und ihres Umlandes in brennglasartiger Schärfe und häufig auch früher als in anderen Regionen im Osten und Westen Deutschlands wider. Nach einem kurzen Einstieg in das Rahmenthema des Bandes, die Herstellung der „inneren Einheit" Deutschlands, sowie der Skizzierung historischer und geographischer, wirtschaftlicher und sozialer, politischer und mentaler Spezifika Berlins, die dabei zu beachten sind, werden ausgewählte Ergebnisse der OstWest-Annäherungsprozesse, aber auch ζ. T. historisch und geographisch vorgeprägter gesamtstädtischer Differenzierungsvorgänge in der deutschen Hauptstadt
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Vorwort
und künftigen Metropole Berlin - statistisch und kartographisch untersetzt - von Konrad Scherf dargestellt. Die nachfolgenden beiden Beiträge von Klaus Krakat zur Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung (1999) sowie zur kürzlich stattgefundenen Bezirksreform des Landes und der Stadt - des größten der drei Stadtstaaten in der Bundesrepublik Deutschland - unter dem Aspekt der Neu- und Weiterentwicklung seiner Hauptstadtfunktionen und Umlandsverflechtungen (2000) vertiefen und erweitern die eingangs behandelte Problematik zu Berlin. In dem Aufsatz von Ingrid Apolinarski wird am Beispiel eines Gewerbegebietes in der Berliner Randgemeinde Dahlwitz-Hoppegarten die Problematik stadtund bezirksübergreifender Regionalplanung und -entwicklung in der DDR exemplarisch verdeutlicht. Damit wird zur Aufarbeitung der von wachsenden Widersprüchen zwischen Theorie und Praxis geprägten Territorialplanung der DDR, zwischen objektiven Bedingungen und subjektivem Verhalten der in diesen Prozess involvierten Akteure ein weiterführender Beitrag erbracht. Er verdeutlicht auf diesem Gebiet entstandene und gegebene Voraussetzungen für die spätere Einbeziehung von Fachleuten der ehemaligen DDR in die Regional- und Kommunalplanung der neuen Länder im vereinten Deutschland. Nicht von ungefähr befassen sich die folgenden vier Aufsätze in diesem Band mit verschiedenen Aspekten wirtschaftlicher, sozialer und mentaler Transformationen in den neuen Ländern. Der „mainstream" bei der Herstellung der inneren Einheit in Deutschland verläuft nämlich in den entscheidenden materiellen und ideellen Lebensbereichen der Menschen durch tiefgreifende Strukturwandlungen in Ostdeutschland, d.h. in den neuen Ländern (einschließlich Ost-Berlins) in Richtung auf die Anpassung an die Struktur und das Niveau in Westdeutschland, d.h. in den alten Ländern der bisherigen Bundesrepublik (bis zum 3. Oktober 1990). Gerade dort (oder hier) kommen deshalb die vielschichtigen Probleme, die bei der Herstellung der inneren Einheit Deutschlands auftreten und nach Lösung verlangen, wesentlich deutlicher zum Ausdruck als in den alten Ländern. Anton Sterbling behandelt am Beispiel der sächsischen Städte Görlitz und Hoyerswerda in der Oberlausitz soziale und ökonomische Veränderungen sowie subjektive Lebensqualitätswahrnehmungen in den neuen Bundesländern unter Anwendung der klassischen Methode des geographischen Vergleichs, aber auch mit Hilfe soziologischer Befragungsmethoden. Dadurch können Wechselwirkungen zwischen objektiven und subjektiven Faktoren bei der Herstellung der „inneren Einheit" angesprochen werden. Elke Goltz untersucht Auswirkungen des gesellschaftlichen Umbruchs auf Bevölkerungsprozesse und -potenziale in peripheren ländlichen Räumen am Beispiel des brandenburgischen Landkreises Prignitz im äußersten Nordwesten der Mark Brandenburg, in einem „Vierländereck", in dem sich peripher gelegene
Vorwort
ländliche Räume aus vier Bundesländern, nämlich Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt begegnen und sich dort in ihren wirtschaftlichen und sozialen, aber auch demographischen und ökologischen Wirkungen potenzieren. Rosemarie Siebert zieht den räumlichen Rahmen weiter und charakterisiert den Wandel strukturschwacher ländlicher Räume in den neuen Ländern. Karin Wiest analysiert und bewertet die soziale Infrastruktur in den neuen Bundesländern, wobei sie den Veränderungen seit der Wiedervereinigung besondere Beachtung zollt und daraus resultierende ambivalente soziale Wirkungen sichtbar macht. In den beiden Beiträgen am Ende des Bandes schließen Elmar Kulke mit einer vergleichenden Darstellung wirtschaftlicher Transformationsprozesse in Ostund Westdeutschland sowie Franz-Josef Kemper den Kreis der Betrachtung aus gesamtdeutscher Sicht. Kemper untersucht regionale Disparitäten im vereinten Deutschland und stellt dazu Entwicklungsmuster sozialgeographischer Indikatoren in den 90er-Jahren des nun vergangenen Jahrhunderts vor. Der vorgelegte Band liefert damit durch verschiedene thematische sowie räumliche und zeitliche Akzentuierungen wertvolle Beiträge zur Vertiefung und Ergänzung bereits vorhandener wissenschaftlicher Publikationen über die nach wie vor hochaktuellen Probleme, aber nur schrittweise und langfristig lösbaren Aufgaben bei der Schaffung der „inneren Einheit" in Deutschland. In den meisten Beiträgen werden Strukturen und Prozesse in zahlreichen graphischen Darstellungen verdeutlicht. Einen großen Teil hat - wie auch schon fur zahlreiche frühere Publikationen - Dipl.-Ing. Harald Krähe erstellt und ebenso die Text- und Bilderfassung. Ihm sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt. Berlin, November 2003
Karl Eckart /Konrad Scherf
Inhalt Konrad Scherf Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit Deutschlands - das Beispiel der deutschen Hauptstadt und künftigen Metropole Berlin
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Klaus Krakat Die Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung
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Klaus Krakat Regionale Aktivitäten zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung: Die Bezirksreform in Berlin - eine notwendige Maßnahme zur Entwicklung der Hauptstadtfunktion und Umlandverzahnung
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Ingrid Apolinarski Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten Spiegelbild der Territorialplanung in der DDR
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Anton Sterbling Soziale und ökonomische Entwicklungen und subjektive Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern Das Beispiel der sächsischen Städte Hoyerswerda und Görlitz
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Elke Goltz Auswirkungen des gesellschaftlichen Umbruchs auf Bevölkerungsprozesse und -potenziale im ländlich peripheren Raum - Ergebnisse einer empirischen Analyse im Landkreis Prignitz 235 Rosemarie Siebert Aktuelle Tendenzen und Probleme des Wandels strukturarmer peripherer ländlicher Räume in den neuen Bundesländern
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Karin Wiest Die Versorgung mit sozialen Infrastrukturen unter Schrumpfungsbedingungen - Entwicklungen in den neuen Ländern seit der Wiedervereinigung
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Elmar Kulke Räumliche Aspekte der wirtschaftlichen Transformation in Ostdeutschland.. 293 Franz-Josef Kemper Regionale Disparitäten in Deutschland. Entwicklungsmuster sozialgeographischer Indikatoren in den 90er-Jahren
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Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren 44 Einheit Deutschlands - das Beispiel der deutschen Hauptstadt und künftigen Metropole Berlin Von Konrad Scherf
1. Vorbemerkungen Die Unterschiede zwischen Ost und West, aber auch anderer Art und Richtung, die in Deutschland bei der Herstellung der so genannten inneren Einheit bestehen und die in den verschiedenen Sphären des Lebens differenziert zur Wirkung gelangen, sind in Berlin - lokal und regional - auf engem Raum konzentriert. Sie treten dort - vor allem infolge seiner jüngsten Geschichte, aber auch seiner heutigen Stellung und Funktion als Hauptstadt und Regierungssitz des staatlich vereinten Deutschlands - in brennglasartiger Schärfe in Erscheinung und Aktion. Sie werden jedoch gerade hier - in Berlin als künftiger Metropole - auch von anderen Einflüssen und Wirkungen überlagert und relativiert. Vorab müssen dazu zwei Fragen in gebotener Kürze beantwortet werden: 1. „Innere" Einheit Deutschlands - was ist das? 2. Welche Besonderheiten wirken bei der Herstellung der „inneren" Einheit in Berlin als deutscher Hauptstadt und künftiger Metropole? 1.1 „Innere " Einheit Deutschlands - was ist das? Der in der Öffentlichkeit häufig gebrauchte Begriff „innere" Einheit wird theoretisch nicht eindeutig definiert. In der Politik wird er umso unklarer und vieldeutiger verwendet, desto weiter sich sein damit umschriebener Inhalt von relativ leicht fassbaren, z.T. auch quantifizierbaren wirtschaftlichen und sozialen Erscheinungen, Vorgängen und Parametern entfernt. Dies betrifft vor allem die Bereiche von Kultur, Politik und Ideologie, d.h. mental und emotional stark beeinflusste Sphären des so genannten Überbaues mit dessen „Imponderabilien" (s.a. Appel, 2000). Die Wiedererlangung bzw. Herstellung der „äußeren" im Sinne von staatlicher und der „inneren" im Sinne von nationaler Einheit wurde längere Zeit im Westen und Osten des geteilten Deutschlands als strategisches Ziel und als erstrangige politische Aufgabe formuliert. Die dabei postulierte Identität bzw. Kongruenz von „innerer" und nationaler Einheit wird nun post festum als stark diskussionswürdig angesehen. Auf die aktuellen politischen und die historischen Gründe und Motive dafür kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden.
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Konrad Scherf
Quelle: Haubrich, 2000, S. 17.
Abb. 1 : Phasen der Verständigung Auf den Begriff nationale Einheit als Synonym für „innere" Einheit wird m. W. nur noch in seltenen Fällen - dann meist mit nationalstaatlicher Einheit vermengt - zurückgegriffen. Als Ersatz dafür wird nach „gemeinsamen Identitäten" gesucht, wobei Begriffsinhalt und Bezugsbasis oft verschwommen bleiben. Die „innere" Einheit in Deutschland ist nach Ansicht des Verfassers dann vollzogen, wenn die aus der Nachkriegsgeschichte im geteilten Deutschland herrührenden Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschen, zwischen den alten (westdeutschen) und neuen (ostdeutschen) Ländern - den West- und den Ostteil Berlins eingeschlossen - überwunden sein werden. Von Haubrich, 2000, werden in diesem Kontext in Anlehnung an Wagner, 1999, im Ost-West-Verhältnis des staatlich vereinten Deutschlands und der dort lebenden Menschen verschiedene Phasen der Verständigung, die einen wesentlichen Einfluss auf die Herstellung der „inneren" Einheit ausüben, unterschieden: Sie reichen von anfanglicher Euphorie über Entfremdung, Eskalation und Missverständnisse bis zur Verständigung (Abb. 1). Dabei spielen subjektive Einflussfaktoren eine gewichtige Rolle. Für die Phase der Verständigung, in der Unterschiede verstanden und gegenseitig akzeptiert werden, müssen nach Wagner, 1999, folgende objektive und subjektive Voraussetzungen gegeben sein:
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- gleicher Status nach Einkommen, Vermögen und Ansehen, - Einsatz der Autoritäten fur Angleichung und allseitige, auch mentale Vereinigung, - beiderseitige beständige und intensive Ost-West-Kontakte, - vorteilhafte Beziehungen fur beide Seiten, - andere Unterschiede sind wichtiger als Ost-West-Unterschiede! Diese Voraussetzungen sind im Ost-West-Verhältnis im staatlich vereinten Deutschland gegenwärtig teilweise noch nicht gegeben. Als „Messlatte" für die sich in diesem Kontext langfristig, allmählich und ungleichmäßig vollziehenden Angleichungsprozesse, die in ihrem „mainstream" in Ost-West-Richtung verlaufen, kann die Gewährung bzw. Sicherung der im Grundgesetz verankerten Menschen- und Bürgerrechte angesehen werden. Dabei wird insbesondere vom deutschlandpolitischen Ziel der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse - nicht im Sinne gleichartiger, sondern vielmehr im Sinne gleichwertiger Lebensbedingurigen - in allen Teilen des staatlich vereinten Deutschlands ausgegangen. Das gegenwärtig noch vorhandene steile West-OstGefälle in wesentlichen Lebensbereichen sowie im zusammengefügten Wirtschafts- und Sozialraum Deutschlands bestimmt in diesem Rahmen die gravierenden Disparitäten, die u.a. auch die Herstellung der „inneren" Einheit nachhaltig behindern und demzufolge schrittweise verringert sowie langfristig schließlich überwunden werden müssen (s.a. Scherf, 1999, und Stiens, 2001). Es gibt aber auch Faktoren und Einflüsse, welche die Herstellung bzw. die Sicherung der „inneren" Einheit in Deutschland von innen und außen tendenziell stärker relativieren und z.T. auch konterkarieren werden. Dazu gehören nach Auffassung des Verfassers die Folgenden: -
Die Globalisierung, die gegenwärtig eine neue Qualität und Quantität (Tiefe, Ausmaße, Widersprüchlichkeit) erreicht und verschiedene Seiten (wissenschaftlich-technische, wirtschaftliche, soziale und ökologische, demographisch-migrationelle, ethnische und multikulturelle, politische und militärische, geostrategische und nicht zuletzt kriminelle Aspekte) mit verschiedenen Ausbreitungsgeschwindigkeiten besitzt; - die weiter anwachsende soziale Differenzierung und Segregation der Menschen auf verschiedenen Ebenen, insbesondere die sich weiter öffnende Schere zwischen armen und reichen Menschen, Behausungen, Wohnquartieren, Siedlungen, Regionen, Ländern und Kontinenten; - in Europa die fortschreitende Integration und Erweiterung der Europäischen Union, die nationale Grenzen, Kompetenzen und Konsistenzen relativieren und z.T. auflösen, dagegen regionale Strukturen revitalisieren oder auch neu kreieren können.
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In Deutschland ist in diesem Kontext der historisch-geographisch begründete, in der bisherigen Bundesrepublik (alte Länder) gepflegte und weiter ausgebaute Föderalismus, verbunden mit Regionalismus und z.T. auch Partikularismus sowie landsmannschaftlichen Eigenheiten und Egoismen ein starker Faktor. Jener ist mit der Wiedereinführung der Länderstruktur in Ostdeutschland und dessen Beitritt zum Wirkungsbereich des Grundgesetzes auch dort zu neuer Blüte gelangt. Er wirkt als Differenzierungsfaktor und stellt in den neuen Ländern ein Gegengewicht oder auch einen Ersatz für eine nicht (mehr) vorhandene DDR-Identität oder für eine (noch) nicht erworbene gesamtdeutsche Identifikation mit dem vereinten Deutschland bzw. der erweiterten Bundesrepublik Deutschland dar. Dieser traditionsreiche Föderalismus bewirkt insgesamt gesehen eine Modifikation der „inneren" im Sinne von nationaler Einheit mit ihren ambivalenten Einflüssen und Wirkungen bei deren Wiederherstellung (s.a. Eckart/Jenkis (Hrsg.), 2001).
Auf die Nachwirkungen der Teilung Deutschlands in West und Ost mit jahrzehntelanger divergierender gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und ideologischer, kultureller und mentaler Entwicklung, aber auch gemeinsamer historischer Vergangenheit und Verantwortung kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Das betrifft auch die seit der staatlichen Vereinigung erreichten Resultate, Fortschritte und Hemmnisse bei der Herstellung der „inneren" Einheit Deutschlands. Zweifellos lassen sich dabei generell erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen verschiedenen sozialen, demographischen und politischen sowie Qualifizierungs- und Berufsgruppen, zwischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, aber auch signifikante regionale Unterschiede erkennen. Eine einmalige Stellung nimmt dabei die hauptstädtische Region BerlinBrandenburg ein. 1.2 Welche Besonderheiten wirken bei der Herstellung der „ inneren " Einheit in Berlin als deutsche Hauptstadt und künftige Metropole? 1.2.1 Historische Aspekte Die Einigungsprozesse des in der Nachkriegszeit unter den Bedingungen des Kalten Krieges über eine lange Zeit - 45 Jahre - geteilten Deutschlands treten im Zusammenhang mit den tiefgreifenden Transformationen im Osten Deutschlands und Europas in der 1989/1991 politisch-administrativ wiedervereinigten deutschen Hauptstadt Berlin auf dem engen Raum einer, wenn auch sehr großen Stadt in geballter Form unter lokaler und regionaler Zuspitzung der fordernden und hemmenden Faktoren in Erscheinung und Aktion. Die nach dem II. Weltkrieg vollzogene wirtschaftliche, politische, ideologische und administrative Spaltung zwischen den Westsektoren einerseits und dem Ostsektor der „ViersektorenStadt" andererseits war mit dem Mauerbau der DDR (13.8.1961) kulminiert.
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Berlin (West) war fast gänzlich von seinem historisch-geographisch gewachsenen, natürlichem Umland abgeschnürt. In der hauptstädtischen Region des nachkriegsgeteilten Deutschlands war also eine besonders zugespitzte Situation entstanden. Tiefe Einschnitte und Zäsuren traten hier vor allem in der Gestalt von Teilungen zutage, von denen diese Stadt und Region wie keine andere in Deutschland und Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über eine derart lange Zeit hinweg betroffen war. In den beiden getrennten, sehr ungleichen Stadthälften Berlins, das zur „Frontstadt" mutiert war,polarisierten sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Gegensätze der beiden damals weltbeherrschenden Wirtschafts- und Militärblöcke in unmittelbarer räumlicher Nähe. Die Menschen waren hier einerseits von den negativen Folgen und Begleiterscheinungen dieser Teilungssituation innerhalb Berlins und in dessem Umland unmittelbar und massenhaft persönlich berührt und betroffen. Andererseits erhielten sie durch die im Westen und im Osten unter den Konkurrenzbedingungen der rivalisierenden Gesellschaftssysteme hier praktizierten „Schaufensterpolitik" besondere materielle Vergünstigungen. Es sei in diesem Zusammenhang an die „Berlin-Hilfe" für Berlin (West) und an die hauptstädtischen Privilegien für Berlin (Ost) und dessen Bewohner unter dem Motto „Mit der ganzen Kraft der Republik für unsere Hauptstadt Berlin" erinnert. Dies wurde jeweils politisch, ideologisch und medial breit untersetzt, fand jedoch weder im Westen noch insbesondere im Osten Deutschlands ungeteilte Zustimmung und vorbehaltslose Unterstützung der Bundes- bzw. der DDR-Bürger. 1.2.2 Zur Genese der Ausgangssituation für die Herstellung der „inneren" Einheit in Berlin Zur Zeit der politischen Wende in der DDR (Ende 1989/Anfang 1990) und der staatlichen Vereinigung Deutschlands (Mitte/Ende 1990) wiesen die beiden ungleichen Berliner „Halbstädte" folgende in der Nachkriegs- und Teilungszeit entstandene Struktur- und Entwicklungsmerkmale - Stärken und Schwächen, Potenziale und Defizite - auf, die zum Verständnis der besonderen Problematik des Einigungsprozesses in Berlin hier genannt, jedoch im vorgegebenen Rahmen nur kurz skizziert werden können (vgl. dazu auch: Fege/Gringmuth/Schulze, 1987; Hofmeister, 1990; Eckart/Marcinek/Viehrig (Hrsg.), 1993; Scherf/Viehrig (Hrsg.), 1995; Scherf, 1997; 1998; Süß (Hrsg.), 1994-1996; Werner, 1990; Zimm u.a. (Hrsg.), 1990; Zimm, 1991; 1993). Der Westteil Berlins verfügte über eine den demokratischen Verhältnissen und marktwirtschaftlichen Bedingungen des Westens seit langem angepasste funktionstüchtige, großstädtisch geprägte Wirtschafts-, Sozial-, Infra- und Verwaltungsstruktur. Er besaß bedeutende Dienstleistungspotenziale in kommerziellen und konsumtiven, wissenschaftlichen und kulturellen, sozialen und administrativen (Verwaltungs-)Bereichen. Im Jahre 1988 war Berlin (West) zur europäischen
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Kulturstadt gekürt, die Kapazitäten der universitären Bildung und außeruniversitären Forschung waren bedeutend erweitert worden. Dennoch fungierten der Senat und dessen Verwaltungen sowie die Administration der 12 Westberliner Stadtbezirke und mehrere Bundeseinrichtungen als die größten Arbeitgeber der westlichen Teilstadt, wobei Aufblähungen des Verwaltungs- und Beamtenapparates nicht zu übersehen waren. Aufgrund der isolierten und zeitweilig stark gefährdeten Insellage innerhalb des sowjetisch besetzten Territoriums der SBZ/DDR im geteilten Nachkriegsdeutschland hatte Berlin (West) vor allem in den wirtschaftlichen und politischen Krisenzeiten des Kalten Krieges auch im Zusammenhang mit dem Verlust der Hauptstadt- und Regierungssitzfiinktion („Hauptstadt im Ruhestand") erhebliche Verluste an Spitzenkräften („Eliten") aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur hinnehmen müssen. Es gab funktionelle, institutionelle und personelle Defizite in den „höheren Etagen" der wirtschaftsnahen Dienstleistungs- und Infrastruktur sowie im Topmanagement der Wirtschaft. Neben den Großbanken und Versicherungen verlagerten auch traditionsreiche Industriekonzerne wie Siemens und AEG, die Berlin um die - nun vorletzte - Jahrhundertwende zur „Elektropolis" gemacht hatten, bedeutende Teilkapazitäten, Stammbetriebe und Leitzentren in das süd- und westdeutsche Bundesgebiet sowie ins Ausland. Trotz langfristiger Tertiärisierungstendenzen und bedeutender Abwanderung im Sekundärbereich hatte sich im Westteil Berlins dennoch eine traditionelle, großindustriell geprägte Gewerbestruktur erhalten können. Diese wurde durch zahlreiche mittlere und kleinere Gewerbeunternehmen sowie Handwerksbetriebe ergänzt und gestützt. Insgesamt wies das verarbeitende Gewerbe unter den genannten Rahmen- und Standortbedingungen, deren Ungunst durch die umfangreiche Berlinforderung von Bund und Ländern, aber auch im Rahmen der EG für die Unternehmen, Arbeitgeber und -nehmer z.T. kompensiert werden konnte, dennoch Deformierungen im Branchenprofil, „verlängerte Werkbänke" sowie Leistungs- und Effizienzreserven auf. Während die Energieversorgung weitgehend durch „Inselkraftwerke" gesichert werden konnte, war die Abwasser- und Müllentsorgung trotz stadteigener Klärwerke und Müllverbrennungsanlagen stärker an das getrennte Umland in Brandenburg gebunden. Der seit der Blockade West-Berlins und der „Luftbrücke" (1948/49) stark angestiegene Flugverkehr wurde über die Flugplätze Tempelhof und Gatow und den neugebauten Flughafen Tegel hauptsächlich durch die westlichen Alliierten abgewickelt. Der Auto-, Eisenbahn- und Binnenschifffahrtsverkehr unterlag dagegen entsprechenden West-Ost-Transitabkommen mit der DDR. Er war daher bestimmten Einschränkungen und Erschwernissen unterworfen. Die städtische und regionale Verkehrsinfrastruktur wies teilungsbedingte Lücken und Deformationen auf. Der S-Bahn-Verkehr war in West-Berlin stark eingeschränkt, die Straßenbahn durch das erheblich erweiterte U-Bahnnetz und
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den bedeutend ausgedehnten Busverkehr - bei stark gewachsenem motorisierten Individualverkehr, durch den Ausbau des innerstädtischen Autobahn- und Straßennetzes gestützt - völlig ersetzt worden. Nach der Grenzschließung (1961) wurde der bis dahin bedeutende Bevölkerungsgewinn aus Ost-Berlin und der SBZ/DDR - von 1950 bis 1961 wurden über vier Fünftel (86,1 %) des Wanderungsgewinns von West-Berlin aus Ostdeutschland realisiert (Hofmeister, 1990, S. 75) - hauptsächlich durch die Ansiedlung ausländischer Migranten vorwiegend aus der Türkei, Süd- und Südosteuropa ersetzt. Dadurch konnten die permanenten Abwanderungen in das westliche Bundesgebiet und das Ausland sowie die negativen natürlichen Bevölkerungssalden (Gestorbenenüberschüsse durch Überalterung und gesunkene Fertilität der deutschen Wohnbevölkerung) in der Tendenz weitgehend kompensiert werden. Zur Stabilisierung der Lebensverhältnisse der Menschen und der Wirtschaftslage im Westteil der Stadt war eine moderne großstädtische Infrastruktur entstanden, mit der gleichzeitig die großen Kriegsschäden weitgehend überwunden werden konnten. Die historische Stadtstruktur wurde durch eine relativ ausgewogene, intensive und extensive Züge tragende städtebauliche Entwicklung nicht nachhaltig verändert. Sie hat jedoch zur demographischen, ethnischen und sozialen Segregation der West-Berliner Bevölkerung beigetragen. Die West-Berliner City - historisch-geographisch mit dem Zentrum um die Gedächtniskirche, den Breitscheidplatz, den Bahnhof „Zoo", den Kurfürstendamm und weitere Boulevards vorgezeichnet - hat sich seit den 60er-Jahren mit dem neuerrichteten „Kulturforum" zum „Cityband" in Richtung Osten ausgedehnt. Zusammen mit den Subzentren der Stadtbezirke und -teile besaß sie attraktive Einkaufs-, Flanier- und Vergnügungsmeilen mit großstädtischem Flair von hohem touristischen und Freizeitwert. Auf den Ostteil Berlins wurden als Hauptstadt der DDR - dem zentralistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem entsprechend - in hohem Maße die Staatsund Wirtschaftsleitung, die diplomatischen Dienste sowie die Führungs- und Leitungsgremien der Parteien und Massenorganisationen konzentriert. Auch die überregionalen Medien der DDR waren vorrangig in Ost-Berlin lokalisiert. Die Aufblähung des Partei- und Staatsapparates sowie der Verwaltungsbereiche auf gesamtstaatlicher, bezirklicher und lokaler (stadtbezirklicher) Ebene, aber auch die Entwicklung von Wissenschaft und Bildung, Kunst und Kultur hatten zur Tertiärisierung der Beschäftigtenstruktur Ost-Berlins beigetragen. Dennoch wurde aus wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Gründen die Hauptstadt sollte „Zentrum der Arbeiterklasse" bleiben - auch die industrielle Entwicklung Ost-Berlins weiter forciert. Dies wurde durch das vor allem migrationsbedingte Bevölkerungswachstum gestützt und begünstigt, was wiederum eine disproportionale Überkonzentration von Investitionen und Erwerbstätigen
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im Gesamtrahmen der Volkswirtschaft der DDR in der Industrie und Infrastruktur, vor allem im Wohnungsbau, für eine vorwiegend extensive Stadtentwicklung erforderte. Daraus resultierte dann u.a. ein besonders hoher Überbesatz an Arbeitskräften in der Industrie, verbunden mit qualitativen und quantitativen Rückständen im Kapitalstock, in der Produktivität und Effizienz sowie beim Gebrauchswert der Erzeugnisse in den vorwiegend traditionsgebundenen Branchen des verarbeitenden Gewerbes hauptsächlich großindustrieller Struktur. Jenes war infolge gemeinsamer historischer Wurzeln dem Branchenprofil der Industrie im Westteil der Stadt ähnlich. Komparative Standortvorteile gegenüber vergleichbaren Betrieben in den anderen Regionen der DDR konnten durch „Fühlungsvorteile" zu den Leitungsgremien der Industriekombinate, die häufig ihren Sitz in Ost-Berlin hatten, sowie zu den dortigen Industrieministerien und Forschungszentren genutzt werden. In der größten Industriestadt der DDR (mit rd. fünf Prozent der gesamtstaatlichen Industrieproduktion) konzentrierten sich rd. 20 % des Wissenschaftspotenzials des Landes. Die Akademie der Wissenschaften der DDR - nach sowjetischem Vorbild strukturiert und ausgebaut - hatte in Ost-Berlin die Hälfte ihrer Forschungskapazitäten (rd. 20 000 Beschäftigte) zentralisiert. Infolge der Migrationsgewinne und seit Ende der 70er-Jahre auch positiver natürlicher Bevölkerungssalden hatte Ost-Berlin nach 1970 Bevölkerungswachstum bei Verjüngung der Altersstruktur seiner Bewohner. Die selektiven Migrationsprozesse mit Wanderungsgewinnen gegenüber allen anderen 14 Bezirken der DDR führte nicht nur zu höheren Anteilen der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (Erwerbspersonen), sondern auch zu höheren Anteilen an Personen mit Hoch- und Fachschulabschluss. Der in diesem Kontext in Ost-Berlin übermäßig stark entwickelte Wohnungsneubau (gemäß zentralen Festlegungen im Wohnungsbauprogramm der DDR und Hauptstadtprogramm für den Ostteil Berlins) - seit den 70er-Jahren fast ausschließlich in industrieller Plattenbauweise durchgeführt - erfolgte vorwiegend „auf der grünen Wiese" in den Außenbezirken. Im Nordosten Berlins (Bezirke Lichtenberg, Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf) entstand in den 70er- und 80er-Jahren ein in Mitteleuropa einmalig großer, räumlich nahezu geschlossener Neubaukomplex für rd. 350000 Menschen, bestehend aus peripheren Großwohnsiedlungen monotoner Architektur aus mehrund vielgeschossigen Plattenbauten, aber mit vergleichsweise günstiger infrastruktureller Erschließung und Ausstattung sowie mit vorbereiteten Arbeitsstätten (Gewerbegebieten). Der Bevölkerungsschwerpunkt der östlichen „Halbstadt" hatte sich demzufolge von der historischen Mitte und derem innerstädtischen Wohngürtel in die nordöstliche Peripherie verschoben, wogegen die Standortstruktur der Arbeitsplätze (Zentrum, Südosten und Norden) weitgehend unverändert geblieben war. Der dadurch wesentlich verstärkte Berufsverkehr wurde hauptsächlich durch den ausgebauten ÖPNV (S-Bahn-, U-Bahn-, Straßenbahn-, Buszubringerverkehr) zu
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Niedrigtarifen, allerdings bei z.T. stark verschlissenem rollenden Material und Gleisanlagen sowie mangelhaftem Straßenbelag, bewältigt. Dennoch war der motorisierte Individualverkehr bei steigendem Pkw-Besatz und entsprechender Umweltbelastung in Ost-Berlin und dessem Umland erheblich gewachsen. Dies ist durch die Anlage auf die östliche „Halbstadt" aus dem Umland radial zulaufender breiter Ein- und Ausfallstraßen („Magistralen") begünstigt worden. Im historischen Stadtzentrum, das durch große Plätze und z.T. überbreite Straßenzüge kriegs-, abriss- und gesellschaftssystem-bedingt, stark zergliedert worden war und dadurch an urbaner Dichte und Attraktivität verloren hatte, standen zahlreiche Gebäude hauptsächlich aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg für die Hauptstadt-, insbesondere Regierungsfunktion zur Verfügung. Während Kunst, Kultur und Wissenschaft in Anlehnung an traditionsreiche Institutionen - hier räumlich konzentriert - Attraktivität besaßen, ließ dort die kommerzielle Infrastruktur erhebliche quantitative und qualitative Lücken und Defizite erkennen. Die unnatürliche Teilung der Stadt wurde insbesondere im Zentrumsbereich beiderseits der Mauer in unmittelbarer Nähe des Reichstages, des Brandenburger Tores und des ehemals verkehrsreichsten Kreuzungspunktes in Berlin - Potsdamer/Leipziger Platz - als „Hauptstadtbrache" sichtbar. Seit den 70er-Jahren war die Wohnfunktion in der Stadtmitte durch Wohnungsneubau (Nähe Alexanderplatz und im „Nicolaiviertel") verstärkt worden, wozu die Plattenbauweise an die Bedingungen innerstädtischen Bauens angepasst worden war. Repräsentative Gebäude wurden wieder aufgebaut, restauriert oder neu geschaffen (z.B. Deutsche Staatsoper Unter den Linden, Schauspielhaus jetzt „Konzerthaus" - und Französischer Dom am Gendarmenmarkt, damaliges Staatsratsgebäude und „Palast der Republik" am heutigen Schlossplatz, Fernsehturm am Alexanderplatz). Während im Ostteil der Stadt Zentrum und Peripherie von der zentral geplanten und gelenkten Stadtentwicklung zu DDR-Zeiten profitiert hatten, waren der innerstädtische „Wohngürtel" aus der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts und der folgenden Jahrhundertwende, d.h. große Teile der bisherigen Bezirke Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Lichtenberg, aber auch die Altbaugebiete in Treptow und Köpenick, Weißensee und Pankow, permanent vernachlässigt worden. Diese unausgewogene städtebauliche Entwicklung hinterließ im Ostteil der Stadt die größten Sanierungs-, Modernisierungs- und Rekonstruktionsgebiete im wiedervereinten Berlin (s.a. Flierl, 1998; Peters, 1992; 1995; Scherf, 1998; Werner, 1990). Die beiden Teilstädte West- und Ost-Berlin hatten sich - ausgehend von der gesamtstädtischen Vorkriegssubstanz und den tiefgreifenden Einwirkungen der
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Kriegs-, Nachkriegs- und Teilungszeit - jeweils westlich und östlich des devastierten „Mauerstreifens" ihre separaten Zentrumsbereiche geschaffen. Dabei blieb jedoch Platz für den Bau eines Ost-West-Verbindungsstückes für die Wiederherstellung eines gemeinsamen Stadtzentrums in einem vereinten Berlin frei, der nun seit über einem Jahrzehnt für diesen löblichen Zweck vielfältig genutzt wird. In der Nachkriegszeit hatten die beiden Teilstädte West- und Ost-Berlin in den getrennten Städtesystemen der BRD und DDR jeweils ihre fuhrende Position gemessen an der Einwohnerzahl - in der Städterangfolge beider deutscher Teilstaaten behaupten können: Tabelle 1 Rangfolgevergleich von Berlin (West) mit nachfolgenden Großstädten der BRD und Berlin (Ost) mit nachfolgenden Großstädten der DDR (in 1000 Pers. und in %) in den Jahren 1950* u. 1988** Stadt
1950 1000 Ew.
%
Stadt
1988 1000 Ew.
%
Berlin (West) Hamburg München Essen Köln Frankfurt (Main) Dortmund Düsseldorf Stuttgart Bremen
2150 1606 832 605 595 532 505 501 498 450
100 75 39 28 28 25 24 23 23 21
Berlin (West) Hamburg München Köln Frankfurt (Main) Essen Dortmund Düsseldorf Stuttgart Hannover
2048 1589 1206 934 624 620 585 564 560 497
100 78 59 46 31 30 29 28 27 24
Berlin (Ost) Leipzig Dresden Chemnitz Halle Magdeburg Erfurt Rostock Potsdam Dessau
1189 618 494 293 289 260 189 133 118 92
100 52 42 25 24 22 16 11 10 8
Berlin (Ost) Leipzig Dresden Chemnitz Magdeburg Rostock Halle Erfurt Potsdam Gera
1285 545 518 312 291 254 236 220 143 135
100 42 40 24 23 20 18 17 11 10
* Eigene Berechnungen nach Seefeld, 1986, S. 7 und 45. **Statistisches Jahrbuch der BRD 1990 und der DDR 1989, eigene Berechnungen. Quelle: Scherf, 1998, S. 22, Tab. 3, Prozentwerte gerundet.
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
21
Berlin (West) musste dabei im wesentlich bevölkerungs- und großstadtreicheren Westdeutschland (damalige BRD) unter föderalistischen Rahmenbedingungen - zugespitzt durch seine periphere und isolierte Insellage - aufgrund von merkbaren Funktions- und Einwohnerverlusten im insgesamt gestärkten westdeutschen Städtesystem Einbußen hinnehmen. Berlin (Ost) konnte dagegen im ungleich bevölkerungs- und großstadtärmeren Ostdeutschland (damalige DDR) unter zentralistischen Rahmenbedingungen begünstigt durch seine zentrale Lage - infolge von Funktions- und Bevölkerungsgewinnen - innerhalb des vor allem in den südlichen Ballungsgebieten in Sachsen und Sachsen-Anhalt geschwächten ostdeutschen Städtesystems seine dominante Stellung ausbauen (s.a. Henckel/Mäding, 1995). Selbstverständlich müssen bei einer vergleichenden Bewertung dieser Relationen zunächst die absoluten Stadtgrößen (Berlin (West) rd. 2,1 Mio. Einw., Berlin (Ost) rd. 1,3 Mio. Einw., d.h. das Größenverhältnis von 1:0,6 bzw. die Prozentanteile von rd. 62 :38, bezogen auf die Bevölkerungszahl Berlins von rd. 3,4 Mio. Einw. im Jahr 1989) mit ihren unterschiedlichen Bevölkerungs-, Erwerbspersonen-, Beschäftigten- und Wirtschaftspotenzialen beachtet werden. Vor allem müssen dabei die unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssyteme als die entscheidenden Umfelder für die qualitativen Unterschiede in den Vergleich einbezogen werden. In der umbruchartigen Transformation von der zentralistischen Plan- und Verwaltungswirtschaft zur mehr oder minder regulierten sozialen Marktwirtschaft seit der politischen Wende in Osteuropa, Ostdeutschland und Ost-Berlin und mit der in diesem Kontext möglich gewordenen deutschen Vereinigung (1989/90) kommt dies klar zum Ausdruck. Der an das wirtschaftliche, soziale und politische System des Westens mit entsprechender historischer Vorprägung in der Nachkriegszeit jahrzehntelang angepasste Westteil erwies sich gegenüber dem Ostteil der wiedervereinten deutschen Hauptstadt trotz nachkriegs- und teilungsbedingter Verluste, Defizite sowie Strukturmängel und -schwächen eindeutig überlegen. Er wirkte zunächst als Stabilisator und zeitweilig auch als „Lokomotive" sowie Innovations- und Diffusionszentrum für die Wirtschaftsentwicklung in der rasch revitalisierten Region Berlin-Brandenburg. Der Ostteil Berlins musste extrem starke Funktionsverluste durch den politischen und wirtschaftlichen Strukturumbruch im Osten hinnehmen. Die vorher nachweisbare relative Stärke Ost-Berlins als DDR-Hauptstadt war weitgehend an die Existenz des zweiten deutschen Teilstaates und an die relative Abgeschlossenheit des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems des „Ostblocks" gebunden. Mit dessem Ab- und Auflösung Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre waren diese internen und externen Existenzbedingungen hinfallig geworden. Jene allgemeinen Bedingungen und die besonderen Modalitäten der deutschen und in-
22
Konrad Scherf
nerstädtischen Umbruch- und Vereinigungsprozesse haben die 1989 vorhandenen wirtschaftlichen Potenziale im Ostteil Berlins in der kurzen Zeit bis 1991 um rd. die Hälfte reduziert. Nicht nur der großflächige Verlust an Arbeitsplätzen und ausgedehnte „Industriebrachen" im NO und SO Berlins sind augenscheinlicher Beweis dafür. Auch eine ganze „politische Klasse" wurde im Ostteil der Stadt gewissermaßen arbeitslos (Hassemer, 2000, S. 11). Im Westteil der vereinten Stadt gab es ebenfalls einen - wenngleich auch wesentlich geringeren - Verlust an Wirtschaftskraft. Die finanzielle - wirtschaftliche und soziale - Absicherung von Berlin (West) unter den politischen Verhältnissen der Teilungs- und Frontstadtzeit durch Bund, Länder und EU (EG) fiel nach der Maueröffnung und Vereinigung sehr zügig fort. Die Potenziale, über die das vereinte Berlin in seinem größeren und wirtschaftlich stärkeren Westteil verfügen konnte, waren nach dem vorübergehenden Aufschwung im kurzem „Vereinigungsboom" (1989-1992) im weiteren Verlauf der 90er-Jahre bis zum Ende des ersten Vereinigungsjahrzehnts (2000) um ca. 20 bis 30% gesunken (Hassemer, ebenda). Diese west-ost-gebrochene Ausgangsbasis der zusammengefügten ungleichen Stadthälften Berlins ist im Vergleich zu Ostdeutschland (neue Länder) als relativ günstig zu bezeichnen. Gegenüber dem bisherigen westdeutschen Bundesgebiet (alte Länder) weist sie erhebliche Nachteile und Strukturschwächen auf. Berlin nimmt also bezüglich seiner wirtschaftlichen Ausgangsbasis und des erreichten Entwicklungsniveaus eine Mittelstellung zwischen West- und Ostdeutschland ein. Berlins unmittelbarer Einfluss auf den Einigungsprozess in Deutschland insbesondere in Ostdeutschland - ist aufgrund seines geringen Wirtschaftswachstums seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre gesunken (Abb. 2 und 3). Die mit einem größeren „time-lag" übernommene Funktion als Regierungssitz (1999/ 2000) mit ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen lässt künftig eine positive Trendwende erwarten, die allerdings u.a. durch die hohe Verschuldung Berlins verzögert wird. Trotz dieser hier eingangs nur kurz angedeuteten Spezifika erscheint es dennoch gerechtfertigt, Berlin als „Werkstatt" bzw. „Labor" der deutschen Vereinigung mit - in der geographischen Mitte Europas gelegen - „Scharnier- bzw. Brückenfunktion" zwischen West- und Osteuropa zu bezeichnen. Als Unikat in Deutschland, Europa und im Weltmaßstab sind im wiedervereinigten Berlin in einer Großstadt - der Hauptstadt eines jahrzehntelang ost-west-geteilten Landes - die damit entstandenen und verbundenen gegensätzlichen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, ideologischen und geistig-kulturellen Strukturen sowie die davon geprägten Denk- und Gefühls-, Verhaltens- und Handlungsweisen der dort lebenden Menschen mit ihren ambivalenten und nachhaltigen Wirkungen miteinander konfrontiert, zusammengeführt und vermischt worden. Die sich daraus ergebenden Problemlagen, Synergiepotenziale und -effekte sowie
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
23
Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen (%)
1,0 -
Deutschland
0,5
-1,0
- 0,5
-0
•
-0,5 -
1,0
- -0,5 - -1,0
-1,5
-1,5
-2,0 -
-2,0
Berlin
-2,5
-2,5 1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Quelle: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000, S. 67.
Abb. 2: Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen gegenüber dem Vorjahr in Deutschland und in Berlin von 1992 bis 1999
Veränderung des BIP (%) 3,5
3,5
3,0
|- 3,0
2,5 -
Deutschland
2,0
2,5
- 2,0
1,5
- 1,5
1,0
1,0 H 0,5
f 0,5
0 -0,5 -
-0,5
Berlin
-1,0
-1,0
-1,5
-1,5
-2,0
-2,0
-2,5
-2,5
-3,0 -
-3,0 1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Quelle: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000, S. 67.
Abb. 3: Entwicklung des BIP (in Preisen von 1995) in Deutschland und in Berlin von 1992 bis 1999 (Veränderungen gegenüber dem Vorjahr)
24
Konrad Scherf
vielschichtigen Erfahrungen könnten durch eine baldige Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg, die im Jahre 1996 in einem ersten Anlauf hauptsächlich an den Ost-West-Gegensätzen zwischen den beiden Ländern, aber auch innerhalb Berlins gescheitert war (s.a. Eckart und Jenkis (Hrsg.), 2001), auf die höhere räumliche Ebene einer künftigen „Euroregion" gehoben werden. Sie könnten damit nicht nur für die Herstellung der „inneren" Einheit in Deutschland, sondern auch für den Ost-West-Annäherungs- und Integrationsprozess in Europa vor allem im Zuge der bevorstehenden Osterweiterung der Europäischen Union umfassender und wirkungsvoller genutzt werden. Darüber hinaus gibt es erkennbare Ansätze für eine erneute Entwicklung Berlins in Richtung Metropole. In diesem Kontext entstehen gerade hier Interferenzen zwischen lokalen, regionalen und nationalen Ursachenkomplexen und Wirkungsfeldern einerseits mit denen transnationaler, d.h. kontinentaler und globaler Reichweite andererseits. Mit diesen teils konvergierenden, teils divergierenden Entwicklungstendenzen sowohl in Richtung nationale Hauptstadt als auch in Richtung multi- und internationale Metropole beschreitet Berlin einen zweigleisigen Weg. Dieser relativiert und konterkariert in Berlin die sehr widersprüchlich verlaufende, räumlich verdichtete und zugespitzte Herstellung der „inneren" Einheit Deutschlands. Jene vollzieht sich - wie anderswo auch - in ihren einzelnen Facetten sehr differenziert, wobei die auftretenden Unterschiede in Berlin besonders stark ausgeprägt sind. Dies soll in Folgendem exemplarisch dargestellt werden. 2. Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit, dargestellt am Beispiel von Ost-West-Annäherungs- sowie gesamtstädtischen Integrations- und Differenzierungsprozessen im wiedervereinten Berlin In der hauptstädtischen Region, d.h. in Berlin und seinem Umland, treten die Konturen der komplizierten Einigungs-, Integrations- und Differenzierungsprozesse mit ihren verschiedenen - parallelen, aber auch entgegengesetzten - Komponenten und unterschiedlichen Zeithorizonten besonders deutlich und oft auch eher als in anderen Regionen Deutschlands in Erscheinung. Sie überlagern sich hier wie in keiner anderen Stadt und Region mit Einflüssen historisch-geographisch vorgeprägter Muster funktions-, sozial- und bauräumlicher Differenzierungen. Diese sind in der Vor- und Nachkriegszeit entstanden und werden gegenwärtig in teilweise modifizierter Form restauriert. Ost-West-Annäherungs- sowie gesamtstädtische Integrations- und Differenzierungsprozesse nehmen also auf die Herstellung der „inneren" Einheit in Berlin einen sehr widerspruchsvollen Einfluss, der auch hier - im wiedervereinten Berlin - als ein langfristiger Vorgang eingeschätzt wird.
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
25
Tabelle 2 Umfrage zur Zeitdauer des Zusammenwachsens von Berlin (1995) Umfrage bestätigt: Zusammenwachsen Berlins dauert noch sehr lange! Wann ist Berlin wieder zusammengewachsen? in 1-2 in 3-5 in 6-8 in 10 dauert Jahren Jahren Jahren Jahren länger Berlin (gesamt) Berlin-Ost Berlin-West
1% 0% 1%
17% 14% 19%
16% 17% 15%
30% 27% 32%
36% 42% 33%
Ergebnisse einer Umfrage des Forsa-Meinungsforschungsinstituts in der Zeit vom 13.1. bis 27.1. 1995 unter 1018 Berlinern im Auftrag der „Berliner Morgenpost". Quelle: Berliner Morgenpost vom 5.2.1995, S. 1. In: Scherf/Viehrig, 1995, S. 257 (Übersicht 19).
2.1 Die stagnative Entwicklung und die West-Ost-Schieflage in den wirtschaftlichen Grundlagen der Stadt Seit 1989/90 vollzog sich die Wirtschafts- und Arbeitsplatzentwicklung im Ost- und Westteil Berlins zunächst (bis 1992/93) in entgegengesetzter Richtung: Im Ostteil der Stadt gingen in der kurzen Zeit von 1989 bis 1993 nahezu 325 000 Arbeitsplätze, d.h. weit über ein Drittel (37,8%) durch den Verlust der Hauptstadt-(insbesondere Regierungs-)funktion für die untergegangene DDR und mit dem katastrophalen Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland verloren. Von den im Jahr 1989 in Ost-Berlin bestehenden 187 000 Industriearbeitsplätzen waren 1994 nur noch rd. 34000 und damit weniger als ein Fünftel, d.h. 18,2%, Übriggeblieben. So sank der Beschäftigtenanteil Ost-Berlins am Verarbeitenden Gewerbe Berlins von reichlich einem Drittel (35,1 %) im Jahre 1991 auf nur noch ein Sechstel (16,4 %) im Jahre 2000. Dabei lag sein Umsatzanteil - vor allem produktivitäts-, effizienz-, branchen- und produktbedingt - nur noch bei knapp einem Zehntel, nämlich 9,7 % (1999). Die räumlichen Schwerpunkte der Berliner Industrie haben sich bei stark gesunkenem industriellen Gesamtpotenzial der Stadt zu über 80 % an traditionellen Standorten im Westteil Berlins - vor allem in den Bezirken Spandau und Reinickendorf, Tempelhof und Neukölln - erhalten und konzentriert. Der Westteil Berlins konnte zunächst - analog den alten Ländern im Westen Deutschlands - von den wirtschaftlichen Umbruch- und Niedergangsprozessen in der damaligen bzw. ehemaligen DDR profitieren. Dadurch erlangte dort die Beschäftigtenzahl durch den Zuwachs von rd. 100000 Arbeitsplätzen im Jahr 1992 den vereinigungsboombedingten Spitzenwert. Dies betraf vor allem die Bauwirtschaft, Dienstleistungsunternehmen und den Handel. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre wurde dann auch der Westteil Berlins von permanent negativer Arbeitsplatzentwicklung betroffen. Hauptfaktor bei diesem
Konrad Scherf
26
Schrumpfungsprozess war auch hier der Rückgang des Verarbeitenden Gewerbes. Die Zahl der Erwerbstätigen hat sich in dem ehemals führenden Wirtschaftsbereich der Stadt in der Zeit von 1991 bis 1999 um ca. 75 000 Personen, d.h. um reichlich zwei Fünftel (rd. 43 %) verringert. Neben dem Wegfall der Standortpräferenzen und Subventionen aus Teilungszeiten sowie erforderlichen Strukturveränderungen und Effizienzsteigerungen spielten auch im Zuge der rasch revitalisierten Suburbanisierung erfolgte Standortverlagerungen von Gewerbebetrieben in das wieder zugänglich gewordene brandenburgische Umland eine Rolle. Im Ergebnis dieser Entwicklung, die den Charakter von Deindustrialisierung angenommen hat, besitzt Berlin im Vergleich zu bedeutenden süd- und westdeutschen Großstädten mit stark entwickelten und hochrangigen Dienstleistungssektoren eine wesentlich schwächere gewerblich-industrielle Basis, insbesondere dann, wenn man deren meist hochindustrielle Umlandregionen mit berücksichtigt. Die in erster Linie für Großstädte typische fortschreitende „Tertiärisierung" der Wirtschaftsstruktur verlief bisher im vereinten Berlin unter folgenden spezifischen Bedingungen: Tabelle 3 Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen Berlins nach Wirtschaftsbereichen in der Zeit von 1991 bis 1999 (1991 = 100)* Bereiche Land- und Forstwirtschaft Produzierendes Gewerbe Baugewerbe Handel, Gastgewerbe, Verkehr Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleistungen Öffentliche und private Dienstleister Erwerbstätige insgesamt
1999 77,0 54,0 87,9 76,7 131,3 107,5 89,7
(!)
(!)
* Die verwendeten Daten beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf folgende Quellen: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000 und Kleine Berlin-Statistik, 2000 und 2001.
- rückläufige Erwerbstätigkeit und bedeutende Arbeitsplatzverluste per Saldo der Gesamtentwicklung, - übermäßige Schrumpfung des Verarbeitenden Gewerbes, wodurch die Entwicklung bisher defizitärer wirtschaftsnaher Dienstleistungen gehemmt wird, - erhebliche Arbeitsplatzverluste im Baugewerbe in der Region Berlin-Brandenburg trotz vorübergehender „größter Baustelle Europas" in Berlin, - teilweise rigide Einsparungen in vielen Bereichen des in Teilungs- und Doppelstadtzeiten aufgeblähten öffentlichen Dienstes. Dabei hat der Vereinigungsprozess auch Möglichkeiten für die Beseitigung in Teilungszeiten entstandener, nun z.T. überflüssig gewordener Paralleleinrichtungen eröffnet.
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
27
Dies ist allerdings auch unter permanentem Sparzwang nicht ohne die Überwindung politischer und mentaler Schwierigkeiten zu realisieren. Unter diesen spezifischen Bedingungen konnte der tertiäre Sektor Berlins, dergegenüber anderen vergleichbaren Großstädten im alten Bundesgebiet, wie Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Düsseldorf und Stuttgart, und in Westeuropa, wie London, Paris, Rom und Madrid, nachholende Struktur- und Arbeitsplatzentwicklungen in den Teilbereichen Finanzierung (Banken und Versicherungen), Vermietung und Immobilienhandel (Makler) sowie Unternehmens- und Informationsdienstleistungen, Medien usw. trotz bedeutender Fortschritte erkennen lässt, die in anderen Bereichen freigesetzten bzw. nicht mehr einsetzbaren Erwerbspersonen nur teilweise absorbieren. So sind z.T. auch hochqualifizierte und -motivierte Spitzenkräfte in andere Regionen abgewandert oder pendeln dorthin aus. Die erhofften und erwarteten sogenannten Mitnahme-Effekte infolge der Verlagerung der Regierungsfunktionen von Bonn nach Berlin sowie die stimulierende Rolle von Wissenschaft und Kultur als „weiche" Standortfaktoren, die im harten Konkurrenzkampf der Städte und Regionen an Bedeutung gewinnen, sollen künftig eine günstigere wirtschaftliche und Beschäftigtenentwicklung in Berlin und seinem Umland hervorrufen. Bisher (von 1991 bis 2000) war im vereinten Berlin jedoch ein permanenter Rückgang der Erwerbstätigen zu verzeichnen, per Saldo um rd. 220 000 Personen, d.h. um rd. 13 %. Im vereinten Deutschland ging die Erwerbstätigenzahl in der gleichen Zeit unter dem prägenden Einfluss der negativen Veränderung in Ostdeutschland dagegen nur um 4,4 % zurück. Die Auswirkungen der Transformations- und Vereinigungsprozesse waren in Berlin wesentlich einschneidender als im Gesamtrahmen des erweiterten Bundesgebietes. Der Ostteil Berlins hatte - relativ betrachtet - ein größeres Gewicht (nahezu zwei Fünftel der Bevölkerung) im vereinten Berlin als die neuen Länder bzw. das ostdeutsche Beitrittsgebiet (mit nur rd. einem Fünftel der Bevölkerung) in Gesamtdeutschland. Geringes wirtschaftliches Wachstum, bedeutende, überdurchschnittlich hohe Arbeitsplatzverluste, übermäßig starke Strukturverschiebungen von der Industrie zu den Dienstleistungen, ein erheblicher Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst und krasse, tendenziell gewachsene West-Ost-Disproportionen in der Wirtschaftskraft und beim Arbeits- und Ausbildungsplatzangebot kennzeichnen die Wirtschafts- und Beschäftigtenentwicklung im ersten Jahrzehnt des wiedervereinten Berlins. Diese insgesamt schwache sowie zwischen dem West- und Ostteil sehr ungleiche Entwicklung hat sich bisher in Bezug auf die Herstellung der „inneren" Einheit in Berlin ambivalent und eher verzögernd - als „retardierendes Moment" - erwiesen. Ihr wirkten andere Prozesse mit positiven Ost-WestAnnäherungs- und Integrations-, aber auch mit gesamtstädtischen Differenzierungstendenzen entgegen. Dazu gehören zweifelsohne die Folgenden:
Konrad Scherf
28
2.2 Der integrierte berlin-brandenburgische Beschäftigungsund Arbeitsmarkt sowie die konvergierende Bevölkerungsentwicklung wesentliche Faktoren und Sphären der Ost-West-Annäherungs- sowie gesamtstädtischer und regionaler Differenzierungsprozesse Das in Zeiten der Teilung - verdeckt - entstandene sowie nach dem Mauerfall und der staatlichen Vereinigung im Zuge der ungleichen wirtschaftlichen Entwicklung im West- und Ostteil der wiedervereinten Stadt verstärkte West-OstGefälle bezüglich Wirtschaftskraft und Arbeitsplatzangebot wurde durch die rasche Revitalisierung und Innovation eines zusammenhängenden Beschäftigtenund Arbeitsmarktes innerhalb Berlins und in seinem Umland vor allem in seinen sozialen Wirkungen bedeutend abgefedert. Davon gingen wesentliche Impulse für die Herstellung der „inneren" Einheit in der sozialen Sphäre dieser besonderen Region aus. Das Niveau der Arbeitslosigkeit, das eine Mittelstellung zwischen dem wesentlich niedrigeren im Süden und Westen und dem z.T. erheblich höherem Level im Osten Deutschlands einnimmt, hatte sich zwischen dem Ost- und Westteil Berlins und dessen Umland in kurzer Zeit weitgehend angenähert: Tabelle 4 Veränderung der Arbeitslosenquoten in Berlin, differenziert nach Berlin-Ost und Berlin-West im Vergleich zum Bundesgebiet (alte und neue Länder) von 1991 bis 2001 - Arbeitslosenquoten in % Gebiet
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2001
Berlin 10,6 Berlin-Ost 12,2 Berlin-West 9,4 Deutschland 7,3 Neue Bun10,3 desländer* Alte Bundes- 6,3 länder**
12,4 14,3
13,2 13,0 13,0 10,6 16,0
13,6 12,4 14,3 10,4 14,9
15,3 14,5 15,8 11,5 16,7
17,3
17,9
17,7
17,9
11,1 8,5 14,8
12,8 13,7 12,3 9,8 15,8
12,7 19,5
12,3 19,3
11,7 19,0
10,0 18,3
6,6
8,2
9,2
9,3
10,1
11,0
10,5
9,9
8,0
* Einschließlich Berlin-Ost (bis 1996). ^Einschließlich Berlin-West (bis 1996).
Die rasch wiederbelebte, aber auch neu induzierte Arbeitspendelwanderung mit vorherrschender Ost-West-Richtung in der Region Berlin-Brandenburg stellt dafür eine wesentliche arbeits- und sozialräumliche Grundlage dar. Sie wird durch ebenfalls wachsende Gegenströme von Berlin in das brandenburgische Umland ergänzt. Die nach dem Mauerfall (9. November 1989), der Herstellung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (1. Juli 1990) und der staatlichen
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
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Vereinigung (3. Oktober 1990) sprunghaft gestiegene räumliche und soziale Mobilität der Erwerbspersonen hat die Herausbildung des in seinen Teilen kommunizierenden Beschäftigten- und Arbeitsmarktes in der Region Berlin-Brandenburg wesentlich gefordert. Bereits 1997 standen innerhalb Berlins rd. 130000 Ost-West-Arbeitspendler rd. 25 000 West-Ost-Pendlern gegenüber, die sich in ihrer Sozial- und Berufsstruktur unterscheiden, wodurch u. a. auch ambivalente Wirkungen bei der Herstellung der „ inneren" Einheit in der Stadt und Region ausgelöst werden können (s.a. Büchel, 1998). Die im Zuge der Suburbanisierung, insbesondere mit der Herausbildung des zusammenhängenden Wohnungs- und Immobilienmarktes in Berlin und Brandenburg im Verlauf der 90er-Jahre stark zugenommene Migration Berliner Erwerbstätiger mit ihren Familien in das Umland nach Brandenburg hat die Arbeitspendelwanderung vom Berliner Umland in Richtung Berlin (ca. 125 000 Pendler) verstärkt. Dadurch sank die Arbeitslosenquote im Berliner Umland und glich sich den Berliner Arbeitsmarktverhältnissen an. Gleichzeitig wurde jedoch auch das ohnehin im Zuge der „Speckgürtelbildung" von außen nach innen gerichtete Gefalle der Arbeitslosigkeit zwischen Berlin-fernen und Berlin-nahen Teilregionen des Landes Brandenburg, d.h. zwischen dem „äußeren Entwicklungsraum" und dem „inneren Verflechtungsraum" weiter verstärkt. Dies läuft der gemeinsamen räumlichen Planungs- und Entwicklungsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg zuwider und konterkariert die Ziele und Wege der „dezentralen Konzentration", wodurch der Integrationsprozess innerhalb der Gesamtregion Berlin-Brandenburg gehemmt wird (Scherf, 1999). Dagegen haben die zunächst vorhandenen Vorteile bezüglich der Alters-, Qualifikations- und Berufsstruktur, aber auch Lohnkostenvorteile die Einbeziehung der Ost-Berliner und brandenburgischen Erwerbspersonen in den bisher strukturund entwicklungsbestimmenden West-Berliner Beschäftigungsmarkt begünstigt. In diesem Kontext wurden keine grundsätzlichen Ost-West-Arbeitsmarktkonflikte ausgelöst, die der Herstellung der „inneren" Einheit in dieser sehr wesentlichen Lebenssphäre hätten zuwiderlaufen können. Diesbezügliche Konflikte verlaufen vielmehr in der gesamtstädtischen und regionalen Dimension und werden, nach Branchen, Betrieben, Unternehmen und Standorten differenziert, eher durch die Auflösung von Flächentarifen, unnötige Ausdehnung von Überstunden, Lohndumping und stark anwachsende Schwarzarbeit in- und ausländischer Arbeitgeber und -nehmer hervorgerufen. Bei der innerstädtischen Differenzierung der Erwerbstätigen- und Erwerbslosenquoten lassen sich - in komplementärer Ausprägung - auf der Basis der bisherigen 23 Bezirke signifikante Beziehungen zur Alters-, Qualifikations- und Sozialstruktur der Bevölkerung bzw. Erwerbspersonen (Abb. 4-8) sowie zur
30
Konrad Scherf
Anteil der Erwerbstätigen (%) 46,1 Reinickendorf
Pankow
-50,0
43,0 - 4 5 , 5
Hohen... > 0 schönWeißen-hausen see Wedding 1 Marzahn garten Mitte Hellersdorf Lichten-
Berlin: Berlin-West: Berlin-Ost:
44,4 % 42,9% 46,7%
Wilmersdorf
Zehlendorf
Treptow
Steglitz
Neukölln
Köpenick
10 km
Q u e l l e : S T A L A B e r l i n : W a h l s t r u k t u r d a t e n , H . 1, 1998, S. 2 2 - 2 3 ; E n t w . v o m V e r f . , 2 0 0 0 . A b b . 4: A n t e i l der Erwerbstätigen an der W o h n b e v ö l k e r u n g nach B e z i r k e n
1998
Anteil der Erwerbsp e r s o n e n mit H o c h schulabschluss (%)
Reinickendorf
28,3 -
Pankow Hohenschönhausen
18,1 - 2 5 , 1
Wedding
12,1 - 1 5 , 9
Spandau
ΤίβΡ^Λ/Λ garten Mitte Charlottenburg
Hellersdorf
Berlin: Berlin-West: Berlin-Ost:
Lichter Wilmersdorf
Zehlendorf
Steglitz
30,0
^Tempel/ V Treptow hof /Neukölln
21,2% 20,0% 23,1 %
Köpenick
10 km
Q u e l l e : S T A L A B e r l i n : W a h l s t r u k t u r d a t e n , Η . 1, 1998, S. 2 2 - 2 3 ; E n t w . v o m V e r f . , 2 0 0 0 . A b b . 5: A n t e i l der E r w e r b s p e r s o n e n m i t H o c h - u n d nach Bezirken
1998
Fachhochschulabschluss
31
Ergebnisse u n d Probleme bei der Herstellung der „ i n n e r e n " Einheit
Anteil der Erwerbslosen an der Wohnbevölkerung (%) 10,4 - 11,4 Pankow
Reinickendorf
8.4-9,3
Hohenschön-
6.5-6,7
Wedding Spandau
Tier-
4,2
Charlottenburc
Berlin: 8,7 % Beri in-West: 8,4% Berlin-Ost: 9,2%
Wilmersdorf Tempel/ V Treptow Steglitz \ h o f Neukölln
Zehlendorf
Köpenick
10 km
Quelle: S T A L A Berlin: Wahlstrukturdaten, H. 1, 1998, S. 22-23 (Kartogr. 4); Arbeitsämter Berlins, s. a.: Z. B. Berlin, 2000 (Kartogr. 4a); Entw. vom Verf., 2000. A b b . 6: A n t e i l d e r E r w e r b s l o s e n a n d e r W o h n b e v ö l k e r u n g n a c h B e z i r k e n 1 9 9 8
Arbeitslosenquote (%)
Pankow
Reinickendorf
Hohenschönhausen
Wedding Tier-TV HellersI dorf /
Charlottenburc
I 22,3-25,4
I
I 15,5-18,4
I
I 13,7-14,9
I
I
Berlin:
7,8-12,9 17,7%
Lichter berg
Wilmersdorf
Zehlendorf
I
^Tempel/ Steglitz \
h o f
V Treptow Neukölln
Köpenick
Quelle: S T A L A Berlin: Wahlstrukturdaten, H. 1, 1998, S. 22-23 (Kartogr. 4); Arbeitsämter Berlins, s. a.: Z. B. Berlin, 2000 (Kartogr. 4a); Entw. vom Verf., 2000. A b b . 7: A r b e i t s l o s e n q u o t e n a c h B e z i r k e n 1 9 9 9 (Erwerbslose i n % der Erwerbspersonen)
32
Konrad Scherf
Anteil der Erwerbspersonen ohne Berufsabschluss (%)
Reinickendorf
Pankow L.
Wedding p ^ Spandau
HohenI schön-
(Weißen^aygep.
I 25,3-28,9
I
1 14,4-18,0
I
I
ΤίθΓ^νΛ
garten Mitte Charlottenburc
Tempel· Steglitz
Hellersdorf / Lichter 4>erg
Wilmersdorf
Zehlendorf
I
hof
Treptow Neukölln
8,6-12,4
Berlin: 16,9 % Berlin-West: 20,3 % Berlin-Ost: 11,8%
Köpenick
Quelle: S T A L A Berlin: Wahlstrukturdaten, Η. 1, 1998, S. 22-23; Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 8: Anteil der Erwerbspersonen ohne Berufsabschluss nach Bezirken 1998 räumlich differenzierten Sektoral- und Branchenstruktur der Wirtschaft erkennen: Die südwestlichen Bezirke weisen die besten Parameter auf. Die nordöstlichen Bezirke besitzen bisher vor allem alters- und qualifikationsbedingte Vorteile, die jedoch tendenziell abnehmen. Die Problemgebiete liegen hauptsächlich in den innerstädtischen Altbaugebieten mit höheren Anteilen sozial schwächerer Bevölkerungsgruppen, die häufig auch höhere ausländische Bevölkerungsanteile einschließen (Abb. 9). Die Bevölkerung ist eo ipso Dreh- und Angelpunkt sowie Indikator wirtschaftlicher und sozialer, politischer und ideologischer, kultureller, mentaler und emotionsgeladener Angleichungs- und Differenzierungsprozesse auch in Berlin. Nach einer vorübergehenden leichten Bevölkerungszunahme nach der „Wende" und administrativen Wiedervereinigung der Stadt hat sich die Einwohnerzahl natürlich und migrationsbedingt - von rd. 3,48 Mio. (1994) um rd. 90 000 Personen (= 2,7 %) auf rd. 3,39 Mio. (2000) verringert. Ursache für das zeitweilige Bevölkerungswachstum Berlins in der ersten Hälfte der 90er-Jahre war die Zunahme der Ausländer. Deren Anzahl erhöhte sich von 315 000 im Jahr 1990 auf 435 100 (1996), d.h. um rd. 120000 Personen bzw. 37,9%.
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
33
Ausländeranteil (%)
• •π
Pankow Reinickendorf
/eißeni Hohensee ( schönhausen
Lichter
/
\ Treptow • r i "Tempel/ • Steglitz V htf /Neukölln
8,0-9,6 2,4-5,1
Berlin: 12,8 % Berlin-West: 16,9% Berlin-Ost: 6,0%
Hellers-
Veränderung 1992-1999 in %-Punkten ^Zunahme
Wilmersdorf Zehlendorf Ο
10,1 - 17,5
•
Spandau Charlottenbur
20,8 - 32,3
Köpenick
- 1 mm = 1 %-Punkt
Abnahme Berlin: 1,7 Berlin-West: 1,2 Berlin-Ost: 2,6 Quelle: Statistisches Jahrbuch Berlin 1993, S. 53, und 1994, S. 49; Kleine Berlin-Statistik 2000, S. 29, S. 1-2; Ber. u. Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 9: A n t e i l der Ausländer an der Bevölkerung nach Bezirken 1999 und Veränderung gegenüber 1992
Ausländeranteil (% 18
-
Γ
16 •
18
μ 16
14 -
- 14
12 •
-
10 -
-
8
-
6
-
r
0 -
10
-
8
BerlinWest
6
Berlin4 Ost
4 -
2 -
12
•Q
1990
1991
1992
-
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2
- 0
Quelle: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000, S. 6.
Abb. 10: Ausländeranteil i n Berlin (West) und Berlin (Ost) 1990 bis 1999
34
Konrad Scherf
Danach war bis 1998 nach verschärften Bestimmungen der Asylbewerbergesetzgebung sowie ungünstiger wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung mit Anzeichen verstärkter Ausländerfeindlichkeit in Berlin ein vorübergehender Rückgang der Anzahl der Ausländer in der Stadt zu verzeichnen. Er hat sich bis zum Jahr 2000 wieder ausgeglichen und beträgt 13 % der Berliner Wohnbevölkerung. Es besteht diesbezüglich nach wie vor ein starkes West-Ost-Gefälle. Jedoch ist der Ausländeranteil im Ostteil der Stadt bei dort sehr niedrigem Ausgangsniveau von lediglich 1,8 % (1990) auf 6,0 % (1999), d.h. um 4,2 Prozentpunkte oder auf das Dreifache gestiegen (Abb. 10). Dazu kommt in den Berliner Ostbezirken mit leerstehendem Wohnraum in den großen peripheren Plattenbausiedlungen in Marzahn, Hohenschönhausen, Hellersdorf und Lichtenberg die räumlich konzentrierte Ansiedlung von deutschstämmigen Spätaussiedlern vor allem aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (GUS-Staaten). Insbesondere in diesen OstBerliner Bezirken treten Schwierigkeiten bei der sozialen Integration jener Einwanderer auf, die vor allem anfänglich - wie in anderen Stadtteilen auch - häufig über nur geringe deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Sie sind u. a. bedingt durch defizitäre Arbeits- und Ausbildungsplätze, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und zugänglichen Freizeiteinrichtungen insbesondere für Jugendliche in diesen seit der Wende und Vereinigung noch funktionsärmer gewordenen und abseits gelegenen, städtebaulich-architektonisch monotonen großen Wohngebieten. Hinzu kommen dort geringe Erfahrungen mit Ausländern infolge nur sehr sporadischer persönlicher Kontakte mit Ausländern zu DDR-Zeiten, die als zeitweilige Arbeitskräfte und Auszubildende überdies vorwiegend ghettoartig in gesonderten Ausländerwohnheimen lebten. Seit Ende der 80er-Jahre sowie nach der Wende und mit der deutschen Vereinigung sind auch dort Einflüsse rechtsextremistischer Ideologien und Parteien vor allem bei männlichen Jugendlichen mit niedrigem Bildungsniveau und z.T. desolaten Familienverhältnissen wirksam geworden. Dies hat gerade in diesem ungünstigen sozial- und bauräumlichen Milieu der peripheren Plattenbausiedlungen zu verschiedenen Formen gewalttätiger Fremden·, insbesondere Ausländerfeindlichkeit gefuhrt. Im Westteil der Stadt ist bei einem seit den 60er-Jahren kontinuierlich gewachsenen Ausländeranteil auch nach der Wiedervereinigung der Stadt ein weiteres Ansteigen von 13,5% (1990) auf 16,9% (1999) erkennbar. Die ausländischen Stadtbürger, die hier hauptsächlich aus der Türkei, Südost-, Süd- und Osteuropa stammen, leben z.T. bereits in der zweiten oder dritten Generation in Berlin. Die wirtschaftliche und soziale Integration verlief hier allmählicher und kontinuierlicher über längere Zeiträume sowie ohne plötzliche und gravierende gesellschaftliche Umbrüche, oft auch unter günstigeren wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Deutsche und ausländische Bürger dieser Stadt hatten dabei die Chance, sich aneinander zu gewöhnen und erkennbare Unterschiede in der Lebensweise und Kultur gegenseitig zu verstehen und zu tolerieren. In einigen innerstädtischen „Kiezen" bilden die ausländischen Stadtbürger inzwischen die Mehrheit der
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
35
Wohnbevölkerung. In der räumlichen Verteilung der ausländischen Einwohner Berlins lassen sich inzwischen gesamtstädtische west-ost-übergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen. Die höchsten Ausländeranteile mit weiteren Zunahmetendenzen liegen in den Innenbezirken. Bezirkliche Spitzenwerte erreichen mit über 20 % die westlichen Innenstadtbezirke Kreuzberg, Wedding, Schöneberg, Tiergarten und Neukölln. Die höchsten Zunahmeraten in der Zeit von 1992 bis 1999 weisen dagegen die östlichen Innenstadtbezirke Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain (mit über 5 Prozentpunkten) auf (Abb. 9). Die Bezirke mit den niedrigsten Ausländeranteilen sind Außenbezirke im Westen und Osten der Stadt. Sie verfügen oft über eine sozial besser gestellte Bevölkerung mit z.T. bevorzugten Wohn- und Umweltbedingungen. Auch hier lässt sich noch ein deutliches West-Ost-Gefälle erkennen. In den randlichen Plattenbausiedlungen im Ostteil der Stadt wird die Wiederbesiedlung der hier stellenweise sehr zahlreich leerstehenden Wohnungen mit ausländischen Immigranten und Spätaussiedlern zu einer Erhöhung des dort noch sehr niedrigen Fremdenanteils der bisher insgesamt abnehmenden Einwohnerzahl führen. Die Zahl der deutschen Einwohner in Berlin ist seit 1990 von rd. 3,12 Mio. auf 2,95 Mio., d.h. um 5,3 % bis 1999 zurückgegangen. Daran waren sowohl die negative räumliche Bevölkerungsbewegung, nämlich wachsende Migrationsverluste hauptsächlich gegenüber dem Umland in Brandenburg im Zuge nachholender Suburbanisierungsprozesse, als auch die natürliche Bevölkerungsbewegung, in erster Linie der mit der Wende und Vereinigung plötzlich ausgelöste Geburtenrückgang im Ostteil der Stadt beteiligt. Dort haben sich als Folgeerscheinung crashkursartiger sozioökonomischer, wirtschaftlicher und sozialer sowie politisch-ideologischer und mentaler Umbruch- und Transformationsprozesse seit 1989/90 nahezu dramatische demographische Wandlungen vollzogen. Der „Wendeknick" von 1990/91 mit weiterem Absinken der Geburtenrate bis 1994, danach wieder leichter Aufwärtsbewegung, ohne bis 1999 (mit 63 % des Wertes von 1990) auch nur annähernd das Ausgangsniveau im Vereinigungsjahr wieder erreicht zu haben, sind ein Beispiel dafür. Demzufolge hat sich die Altersstruktur, insbesondere der Anteil der Bevölkerung unter sechs Jahren, im vergangenen Jahrzehnt im Ostteil der Stadt ganz erheblich verändert, ist rapide gesunken (Abb. 11 und 12). In diesem Kontext haben die Plätze in Kindertagesstätten (Kitas) aus demographischen, aber auch sozialen Gründen im Ostteil Berlins in der kurzen Zeit von 1992 bis 1999 stark abgenommen. Im Westteil der Stadt sind sie dagegen - bei deutlich niedrigerem Ausgangsniveau - bedeutend gestiegen (Tab. 5). Eine analoge Entwicklung ist mit entsprechendem Zeitverzug bei der Schülerzahl der Grundstufe im Ostteil erkennbar. In diesem Zusammenhang werden dort Grundschulen geschlossen bzw. zusammengelegt oder zu Gesamt- bzw. Realschulen und Gymnasien umfunktioniert. Der dagegen noch höhere Anteil der äl-
Konrad Scherf
36
Anteil der Altersgruppe unter 6 Jahre 1991 (%) llff l Reinickendorf
Pankow Weißen-
Charlottenbui
Hohenschön-
Wedding Λ yL Pre Tier-Y'V- A[ garten Mitte
Hellersdorf
I
I 5,1 - 6 , 8
I
I 4,0-5,1
I
I 3,5-3,9
Berlin: 6,5% Berlin-West: 5,9% Berlin-Ost: 7,4%
Wilmersdorf
Zehlendorf
7,1 - 1 4 , 6
/ yempel/ V Treptow h o f Steglitz Neukölln
Köpenick
Quelle: Statistisches Jahrbuch Berlin 1993, S. 52; Kleine Berlin-Statistik 2000, S. 29, S. 1-2; Ber. u. Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 11 : Anteil der Altersgruppe unter 6 Jahre an der Bevölkerung nach Bezirken 1991
Anteil der Altersgruppe unter 6 Jahre 1999 (%)
Reinickendorf
Pankow Ι Hohen... I schönWeißen-y, a u s e n
Wedding Spandau Hellersdorf /
/Charlottenburç Lichtei berg
Wilmersdorf
Zehlendorf
Steglitz
I
I 7,1 - 14,6
I
I 5,1 - 6 , 8
I
I 4,0-5,1
I
I 3,5-3,9
Berlin:
5,0%
Treptow Neukölln
Quelle: Statistisches Jahrbuch Berlin 1993, S. 52; Kleine Berlin-Statistik 2000, S. 29, S. 1-2; Ber. u. Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 12: Anteil der Altersgruppe unter 6 Jahre an der Bevölkerung nach Bezirken 1999
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
37
Tabelle 5 Kinderbetreuung - Kita-Plätze in Berlin nach Berlin-Ost und Berlin-West, Vergleich 1992 und 1999 1992 (in 1000) Berlin Berlin-Ost Berlin-West
Index 1999 (1992 = 100)
1999 (in 1000)
168 91 77
146 55 91
87 60 119
teren Schüler (Mittel- und Oberstufe) widerspiegelt die überkommene günstigere Altersstruktur (Abb. 13 und 14), die zu DDR-Zeiten durch bevölkerungspolitische Maßnahmen im Allgemeinen und die privilegierte Entwicklung Ost-Berlins als DDR-Hauptstadt im Besonderen entstanden war. Sie kann mit der Wiedervereinigung Berlins durch den Ausbau der Gesamt- und Realschulen sowie Gymnasien in den östlichen Stadtbezirken, aber auch durch entsprechende Schul- und Berufsausbildungsplätze im Westteil der Stadt zukunftsorientiert genutzt werden. Tabelle 6 Schüler der allgemeinbildenden Schulen in Berlin nach Berlin-Ost und Berlin-West, Vergleich 1991 und 1999 1991 (in 1000)
1999 (in 1000)
Index 1999 (1991 = 100)
Schüler insgesamt Berlin Berlin-Ost Berlin-West
375 170 205
387 164 223
104 97 109
Schüler der Grundstufe (Klasse 1-6) Berlin Berlin-Ost Berl'in-West
223 106 117
200 79 121
90 (!) 74 104
Schüler der Mittelstufe (Klasse 7-10) Berlin Berlin-Ost Berlin-West
127 57 70
145 67 78
115 118 112
Schüler der Oberstufe (Klasse 11-13) Berlin Berlin-Ost Berlin-West
25 7 18
42 18 24
166 (!) 274 127
38
Konrad Scherf
Anteil der Altersgruppe unter 18 Jahre (%) I
I 20,5 - 25,3
I
I 17,6-18,3
I
I 15,3-16,5
I I 13'3
Berlin: 17,7% Berlin-West: 17,0% Berlin-Ost: 18,9 %
Abb. 13: Anteil der Altersgruppe unter 18 Jahre an der Bevölkerung nach Bezirken 1998
Anteil der Altersgruppe 65 und mehr Jahre (%) I
I 17,0-17,8
I
I 13,5-16,3
I
I 11,7-12,8
I
I
7,5-10,1
Berlin: 13,7% Berlin-West: 14,9% Berlin-Ost: 11,8%
Abb. 14: Anteil der Altersgruppe 65 und mehr Jahre an der Bevölkerung nach Bezirken 1998
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
39
Die insgesamt gesunkene altersspezifische Fruchtbarkeit verlagerte sich nun auch im Osten weiter nach hinten. Sie glich sich damit dem generativen Verhalten im Westteil der Stadt an. In diesem Zusammenhang ist ein Absinken der Zahl der Eheschließungen bei gleichzeitigem Anstieg der Ehescheidungen in Gesamtberlin erkennbar. Auch der Anteil der nichtehelichen Lebendgeborenen im Westund Ostteil der Stadt hat sich - bei wesentlich höherem Ausgangsniveau im Osten - erhöht, der Abstand jedoch weiter vergrößert: Tabelle 7 Anteil der nichtehelich lebendgeborenen Kinder im Ost- und Westteil Berlins in den Jahren 1991 und 1999 (in % ) 1991
1999
Berlin-Ost Berlin-West
41,1 21,3
55,0 31,8
Differenz (Prozentpunkte)
19,8
23,2
Die Familienform des „Alleinerziehens" (bei 85 % Mütteranteil) ist einer der wenigen Bereiche des sozio-demographischen Annäherungsprozesses in Berlin, bei dem sich die Anpassung des Westteils - allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau - an den Ostteil beobachten lässt: Tabelle 8 Anteil der „alleinerziehenden" Elternteile im Ost- und Westteil Berlins in den Jahren 1991 und 1999 (in % ) 1991
1999
30,9 26,8
40,9 34,3
Differenz (Prozentpunkte)
4,1
6,6
Index West (Ost = 100)
87
84
Berlin-Ost Berlin-West
Als aussagefähiger Indikator fur das Zusammenwachsen beider Stadthälften können die verschiedenen Reichweiten (Distanzen) der innerstädtischen Mobilität der Berliner Bevölkerung herangezogen werden. Neben der gesamtstädtischen und innerregionalen Arbeits-, Bildungs-, Versorgungs- und Freizeitpendelwanderung können dafür insbesondere die Umzüge zwischen dem Ost- und Westteil Berlins diesbezüglich betrachtet und bewertet werden. Die bedeutenden Fortschritte bei der Rekonstruktion und Innovation des Gesamtberliner Verkehrsnetzes sowie der starke Wohnungsneubau, aber auch die bemerkenswerten Sanierungs- und Modernisierungsergebnisse bei der Altbausubstanz vor allem im Ost-
40
Konrad Scherf
teil der Stadt haben inzwischen zu einem einheitlichen Mietspiegel für Gesamtberlin (2000) geführt. Diese positiven Veränderungen in der technisch-baulichen Infrastruktur schlugen sich auch im Zusammenhang mit der gewachsenen räumlichen und sozialen Mobilität der Berliner in einem stark vergrößerten Volumen der innerstädtischen Umzüge nieder. Die im Kontext mit der Herstellung der „inneren" Einheit besonders relevante Umzugsmobilität (Migration) zwischen beiden Stadthälften hat sich dabei von 12 100 Umzügen (1991) auf 48 700 (1998) erhöht, d.h. vervierfacht. Bei stark angestiegenem Gesamtumzugsvolumen Berlins stieg ihr Anteil von 4,5 % (1991) über 9,7 % (1993) auf reichlich ein Zehntel im Jahre 1999 (knapp 11 %). Dieser relativ niedrig gebliebene Anteil der Ost-West- bzw. West-Ost-Umzüge an der gesamtstädtischen Umzugsmobilität ist einerseits auf die noch bestehenden inneren Schranken zurückzuführen. Jene sind das Resultat politischer und ideologischer, sozialer und wirtschaftlicher, kultureller und mentaler Wirkungen, Befindlichkeiten und gegenseitiger Vorbehalte der jahrzehntelangen, z.T. konfrontativen Trennung zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt und ihrer Bewohner zu Frontstadt- und Mauerzeiten. Sie besitzen andererseits z.T. aber auch ältere historisch-geographische Wurzeln aus der Vorkriegs- und Kriegszeit, nämlich eine sozialräumliche Differenzierung zwischen dem „feineren", bürgerlich geformten Westen der Stadt und dem „gröberen", proletarisch geprägten Osten (und Norden). Dieses sozialräumliche Grundmuster wird gegenwärtig auf gesamtstädtischer Ebene des vereinten Berlins mit einigen Modifizierungen restauriert. Dazu kam und kommt auch in der Gegenwart ein erhebliches soziales Gefälle zwischen den südwestlichen Randgebieten (Außenbezirken) und der inneren ehemaligen „Mietskasernenstadt" Berlin, bei der seit den 1920er-Jahren allerdings im Zuge gesellschaftlicher und städtebaulicher Fortschritte erhebliche Veränderungen nachweisbar sind, die nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung der Stadt einen erneuten Aufschwung erkennen lassen. Generell wird die Umzugsmobilität der Berliner auch durch den ausgeprägten „Kiezcharakter" dieser flächenmäßig riesigen Dreieinhalbmillionenstadt - sie entspricht der räumlichen Ausdehnung des Ruhrgebietes zwischen Duisburg und Dortmund - und ein nicht zuletzt daraus resultierendes lokales Beharrungsvermögen im Wohnverhalten nicht nur der „Urberliner" beeinflusst. Es ist eine historisch-geographische Tatsache, dass Groß-Berlin erst 1920 - damals als flächengrößte Stadt der Welt - durch den Zusammenschluss bis dahin acht selbstständiger Städte, 59 z.T. sehr großer und verstädterter Landgemeinden sowie 27 Gutsbezirke politisch-administrativ gebildet worden war. Im weiteren Zusammenhang erscheint auch das Verhältnis von Ehen zwischen deutschen Männern und Frauen aus dem Ost- und Westteil Berlins einerseits sowie von binationalen Ehen zwischen deutschen und ausländischen Partnern in der Stadt andererseits aufschlussreich zu sein. Der Anteil der Ehen von deutschen
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
41
Paaren aus dem Osten und Westen der Stadt bewegte sich in den 90er-Jahren bei sinkender Gesamttendenz der Eheschließungen gleichbleibend auf dem sehr niedrigen Niveau von rd. 3 %. Dagegen war in Berlin Mitte/Ende der 90er-Jahre jede vierte Ehe (d.h. 25 %) international. Die Spitzenwerte zwischen 40 und 50 % wurden dabei in den innerstädtischen Bezirken Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Wedding - mit hohen Anteilen junger Menschen und Ausländer - erreicht. Wahrscheinlich überlagern sich hier beide Prozessrichtungen. Jedenfalls scheinen diese Vermischungs-, aber auch Segregations- und Verdrängungsvorgänge bei der jüngeren autochthonen und allochthonen Bevölkerung der innerstädtischen Bezirke zur Dynamisierung sehr widersprüchlicher innerer Vereinigungsprozesse beizutragen, die jedoch gerade hier von starken multikulturellen, internationalen Einflüssen überlagert und relativiert werden. In den polarisierenden Außenbezirken mit zunehmend älterer Bevölkerung und bevorzugter sozial- und stadträumlicher Situation vor allem im Südwesten der Stadt einerseits und benachteiligten Plattenbausiedlungen im Osten andererseits sind die Ost-West-Berührungs- und Vermischungsprozesse aufgrund besonders großer sozial- und politikräumlicher Distanzen bisher besonders gering geblieben. Die gerade hier bestehenden gegenseitigen Vorurteile haben sich eher verhärtet. Dies ist insbesondere für die künftige Weiterentwicklung in den peripheren großen Plattenbausiedlungen problematisch. Sie haben seit der Wiedervereinigung bedeutende Bevölkerungsteile vorwiegend sozial und mental bewegliche, lern- und anpassungsfähige, meist höherqualifizierte jüngere Menschen und Familien - an andere, besser situierte Stadtteile Berlins sowie Umlandregionen, aber auch entferntere Regionen des Inund Auslandes verloren. Sozial Schwächere, Spätaussiedler und Ausländer sind dort inzwischen nachgezogen, bei deren Integration, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, Schwierigkeiten auftreten. 2.3 Soziale Ost-West-Angleichung und gesamtstädtische Segregation Nicht zuletzt durch die unmittelbare Nähe und Vergleichbarkeit sowie auf der Grundlage des wieder entstandenen gesamtstädtischen Beschäftigten-, Arbeitsund Wohnungsmarktes haben sich die Lebensverhältnisse, vor allem die durchschnittlichen Höhen der Einkommen und der Lebenshaltungskosten zwischen Ost und West im wiedervereinten Berlin stärker und schneller angeglichen als im Gesamtrahmen der neuen und alten Länder des geeinten Deutschlands. Der innerstädtische Vergleich ergibt, dass Ost-Berliner Haushalten im Jahr 1998 im Durchschnitt rd. 93 % des Nettoeinkommens West-Berliner Haushalte zur Verfugung standen. Die Haushalte in den neuen Ländern erreichten dagegen nur 75 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens der Haushalte im alten Bundesgebiet. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass das Einkommensniveau der WestBerliner Haushalte einerseits über ein Fünftel (22 %) unter dem Durchschnittsniveau der alten Länder liegt. Andererseits haben die Ost-Berliner Haushalte zu
Konrad Scherf
42
Berlin Berlin Berlin (West) (Ost)
3000
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen (DM) 3000
2800 -|
2800
2600
2600
2400 -
2400
2200 -
2200
2000
2000
1800
1800
1600
h 1600
1400
1400
1200
h 1200
1000 -
1000
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Quelle: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000, S. 19.
Abb. 15: Mittleres monatliches Nettoeinkommen der Privathaushalte in Berlin (gesamt, West und Ost) 1991 bis 1999
Tabelle 9 Veränderung des Lebenshaltungsniveaus der Privathaushalte in Berlin von 1991 bis 1999 (Preisindex: 1995 = 100) nach Berlin-West und Berlin-Ost 1991
1995
1999
Berlin a) Gesamtlebenshaltung b) darunter: Kosten für Wohnung, Wasser, Strom u.a. Energiearten
87,4 77,7
100,0 100,0
103,0 105,9
Berlin-West a) Gesamtlebenshaltung b) darunter: Kosten für Wohnung, Wasser, Strom u.a. Energiearten
89,0 82,6
100,0 100,0
102,4 103,8
Berlin-Ost a) Gesamtlebenshaltung b) darunter: Kosten für Wohnung, Wasser, Strom u.a. Energiearten
76,3 (!) 38,7
100,0 100,0
106,6 0)119,4
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
43
DDR-Zeiten ein um rd. 30 % höheres Einkommen im Vergleich zu denen der anderen Bezirke der DDR realisiert (Ring, 1992, S. 243). Darüber hinaus muss aber auch die vergleichsweise geringere Berliner Haushaltsgröße in Rechnung gestellt werden. Das mittlere Nettoeinkommen der Ost-Berliner Haushalte hat sich in den 90er-Jahren kontinuierlich dem höheren Niveau der West-Berliner Haushaltseinkommen angenähert (Abb. 15), und zwar bei sinkenden, ost-west-konvergierenden Haushaltsgrößen. Parallel dazu glichen sich auch die Lebenshaltungskosten zwischen dem Ostund Westteil der Stadt auf gestiegenem Niveau an, wobei die überdurchschnittlich gewachsenen Ausgaben fur Wohnung, Wasser, Strom und andere Energiearten im Ostteil - bei wesentlich niedrigerem Ausgangsniveau - einen starken Einfluss ausübten (Tab. 9). Bei der Verteilung der Haushalte auf die unterschiedlichen Einkommensklassen zeigen sich die mittleren Einkommensgruppen im Ostteil der Stadt stärker besetzt (Abb. 16), d.h. die soziale Ungleichheit, gemessen am Haushaltseinkommen ist dort schwächer ausgeprägt als im Westteil Berlins (Tab. 10). Tabelle 10 Bevölkerung in Berlin nach monatlichem Nettoeinkommen in den Jahren 1991, 1995 und 1999 nach Berlin-West und Berlin-OstAnteile der Bevölkerung (in % ) mit Einkommen a) unter 1800 D M , b) über 3 000 D M 1991
1995
1999
a) unter 1800 D M Berlin Berlin-West Berlin-Ost Index Ost (Westniveau = 100)
46,2 33,7 67,1 199
36,3 33,0 41,6 126
36,1 0)35,1 37,9 108
b) über 3 000 D M Berlin Berlin-West Berlin-Ost Index Ost (Westniveau = 100)
9,7 14,6 1,3 9
14,2 17,7 8,2 46
17,1 19,6 13,0 66
Beim Extremwertvergleich mit Anteilen höchster und niedrigster Haushaltseinkommen lässt sich innerhalb der Stadt zunächst ein Außen-Innen- bzw. entgegengesetztes Gefalle erkennen (Abb. 17 und 18). Schaltet man den Einfluss der unterschiedlichen Haushaltsgrößen (Abb. 19 und 20) aus und vergleicht die Anteile der Erwerbstätigen mit den höchsten und niedrigsten Einkommen (Abb. 21
44
Konrad Scherf
Mittleres monatliches Haushaltsnettoeinkommen (DM) IIUI Pankow
Reinickendorf
Wedding Γ ^ Spandau
jWeißeni see __
Hohenschön-
"ΤΪθτννΛ
garten Mitte" 'Charlottenburc
Hellersdorf
[reuzberc Wilmersdorf
Zehlendorf
Tempel/ Steglitz
Rangfolge der Berliner Bezirke 1. Zehlendorf 3950 2. Steglitz 3250 3. Wilmersdorf 3200 4. Hellersdorf 3200 5. Reinickendorf 3100 6. Treptow 3100 7. Marzahn 3100 8. Spandau 3050
h o f
Lichter berg
V Treptow Neukölln
3950
I
I 2900 - 3 2 5 0
I
I 2600 - 2 8 5 0
I
I 2250 - 2 4 0 0
(Stichprobenfehler ±100 DM)
Köpenick
(Bezirke im Ostteil Berlins kursiv) 9. Tempelhof 2950 17. Neukölln 10. Pankow 2950 18. Mitte 11. Hohenschönhausen 2950 19. Prenzlauer Berg 12. Köpenick 2900 20. Friedrichshain 13. Charlottenburg 2850 21. Tiergarten 14. Weißensee 2800 22. Wedding 15. Schöneberg 2750 23. Kreuzberg 16. Lichtenberg 2700
2600 2600 2400 2400 2400 2350 2250
Quelle: Kleine Berlin-Statistik 2000, S. 29, S. 1-2; Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 16: Mittleres monatliches Nettoeinkommen der Privathaushalte nach Bezirken 1999 und 22), dann tritt die noch bestehende West-Ost-Teilung der Stadt mit dem wiederum begünstigten Südwesten stärker hervor. Die Sozialhilfeempfänger konzentrieren sich bisher in überdurchschnittlichem Maße auf die West-Berliner Innenstadtbezirke (Abb. 23). Dort korrelieren sie mit höheren Anteilen von Erwerbspersonen geringerer beruflicher Qualifikation, kinderreichen Familien und höheren Anteilen ausländischer Bevölkerung (s.o.!). Das wesentlich niedrigere Ausgangsniveau (1991) im Ostteil der Stadt hatte sich bis 1999 an das höhere Niveau von Sozialhilfeempfängern im Westteil der Stadt in überdurchschnittlichem Tempo angenähert, ohne es bisher erreicht zu haben (Tab. 11).
Ergebnisse u n d Probleme bei der Herstellung der „ i n n e r e n " Einheit
45
Anteil der Privathaushalte mit N e t t o e i n k o m m e n über 4 0 0 0 D M (%)
Reinickendorf
41,7
Pankow Weißer
Hohenschön-
Spandau
Marzahn
Wilmersdorf \Tempel· Steglitz
hof
19,9-22,9 Hellersdorf
Berlin: Berlin-West: Berlin-Ost:
Lichter berg
[reuzberc
Zehlendorf
26,3 - 35,8
Treptow Neukölln
28,1 % 28,9 % 26,5 %
Köpenick
Q u e l l e : S T A L A B e r l i n : W a h l s t r u k t u r d a t e n , H . 1, 1998, S. 2 2 - 2 3 ; E n t w . v o m V e r f . , 2 0 0 0 . A b b . 17: A n t e i l d e r P r i v a t h a u s h a l t e m i t m o n a t l i c h e m über 4 000 D M nach Bezirken
Nettoeinkommen
1998
Anteil der Privathaushalte mit N e t t o e i n k o m m e n unter 1 8 0 0 D M (%)
Reinickendorf
26,2-31,8
Pankow HohenWeißen
Wedding
Spandau
see
20,1 - 2 2 , 7
-ha C u h s°e n n
Pr£ Berg Tiergarten Mitte FriedrichsCharlottenburc hain ,. Kreuzberc Lichter
18,2-18,9 Hellersdorf
Berlin: Beri in-West: Berlin-Ost:
Wilmersdorf
Zehlendorf
Tempel/ V Treptow Steglitz \ h o f Neukölln
24,1 % 23,5 % 25,3 %
Köpenick
Q u e l l e : S T A L A B e r l i n : W a h l s t r u k t u r d a t e n , H . 1, 1998, S. 2 2 - 2 3 ; E n t w . v o m V e r f . , 2 0 0 0 . A b b . 18: A n t e i l der P r i v a t h a u s h a l t e m i t m o n a t l i c h e m unter 1800 D M nach Bezirken
1998
Nettoeinkommen
46
Konrad Scherf
Abb. 19: Anteil der Privathaushalte mit 4 Personen und mehr nach Bezirken 1998
Abb. 20: Anteil der Privathaushalte mit 1 Person nach Bezirken 1998
Ergebnisse u n d Probleme bei der Herstellung der „ i n n e r e n " Einheit
47
Anteil der Erwerbstätigen mit N e t t o e i n k o m m e n über 3 0 0 0 D M (%)
Reinickendorf
Hohenschön|Weißen- hausen Wedding Γ ' Prenzlc Τ ί β τ ^ τ ν Λ Bere garten l M i t t e l *
Spandau
Hellersdorf /
Lichter ^erg
Wilmersdorf _ .. . , Zehlendorf
I I 43'2
Pankowy
Steglitz
lempelh o f
\ Treptow Neukölln ν
I
I
31,8-37,9
I
I
22,8-28,7
I
I
17,4-21,1
Berlin: Berlin-West: Berlin-Ost:
27,5 % 32,2 % 20,3 %
Köpenick
Q u e l l e : S T A L A B e r l i n : W a h l s t r u k t u r d a t e n , Η . 1, 1998, S. 2 2 - 2 3 ; E n t w . v o m V e r f . , 2 0 0 0 . A b b . 21: Anteil der Erwerbstätigen m i t monatlichem über 3 000 D M nach Bezirken
Nettoeinkommen
1998
Anteil der Erwerbstätigen mit N e t t o e i n k o m m e n unter 1 4 0 0 D M (%)
Reinickendorf
19,0-20,3
Pankow
Hohen... schönWeißen-hausen see Wedding Prenzlauer MarTierzahn
Charlottenburc Kreuzber
18,2 - 18,8 15,2-16,6 Hellersdorf
Berlin: Berlin-West: Berlin-Ost:
Lichteri-
Wilmersdorf
Zehlendorf
Steglitz
Neukölln
18,6 % 18,2% 19,2 %
Treptow Köpenick
Q u e l l e : S T A L A B e r l i n : W a h l s t r u k t u r d a t e n , H . 1, 1998, S. 2 2 - 2 3 ; E n t w . v o m V e r f . , 2 0 0 0 . A b b . 22: Anteil der Erwerbstätigen m i t monatlichem unter 1400 D M nach Bezirken
1998
Nettoeinkommen
48
Konrad Scherf
Abb. 23: Anteil der Sozialhilfeempfänger nach Bezirken 1998
Tabelle 11 Sozialhilfe: Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in Berlin nach Berlin-West und Berlin-Ost in den Jahren 1991 und 1999 (in 1000 Personen und je 1000 Ew.) 1991
1999
Index 1999 (1991 = 100)
Sozialhilfeempfänger (1000 Pers.) Berlin Berlin-West Berlin-Ost
159 126 33
276 206 70
(!) 174
Sozialhilfeempfanger je 1000 Ew. Berlin Berlin-West Berlin-Ost
46 58 25
81 97 55
176 167 220 (!)
163
(!) 212
Insgesamt gesehen konnte auch bei den Wohnverhältnissen eine tendenzielle Ost-West-Annäherung erreicht werden. Dabei blieb jedoch das sozial-, familienund baustrukturbedingte SW-Mitte-NO-Gefalle erhalten. Den größten Wohnflä-
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
) Zehlendorf
5 1
10 1
15 1
20 1
25 1
30 1
49
Wohnfläche pro Einwohner (m2) 35 40 45 50 ι . ι ι l
Wilmersdorf Charlottenburg Mitte
-1999 1991
Friedrichshain Prenzlauer Berg Schöneberg Steglitz Tiergarten Reinickendorf Pankow Tempelhof Weißensee Köpenick Neukölln Spandau Kreuzberg Treptow Lichtenberg Wedding Marzahn Hellersdorf Hohenschönhausen
Quelle: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000, Deckblatt (vorn).
Abb. 24: Wohnfläche je Einwohnernach Bezirken 1991 und 1999 chen je Einwohner in den südwestlichen Außenbezirken (Zehlendorf, Wilmersdorf, Charlottenburg) mit hohen Anteilen sozial stärkerer, kleiner Haushalte in Villen, Einfamilien- und Reihenhäusern stehen kleine Wohnflächen pro Kopf der Einwohner vorwiegend in Mietwohnungen mehr- und vielgeschossiger Altbauten in den innerstädtischen Bezirken mit Mehrpersonenhaushalten bei höheren Ausländeranteilen in Wedding, Kreuzberg und Neukölln sowie in den nordöstlichen Außenbezirken (Hohenschönhausen, Hellersdorf, Marzahn und Lichtenberg) mit stärkeren Anteilen größerer Haushalte mit Kindern und Jugendlichen in den dortigen Plattenbausiedlungen gegenüber (Abb. 24). Dieses SW-NO-Gefälle spie-
50
Konrad Scherf
Nettokaltmiete bei saniertem Altbau (DM pro m 2 ) Reinickendorf
Pankow
Wedding V Prrc
Spandau
ΤίβτγνΛ
garten Mitte
Tempel/ Steglitz
hof
10,50-20,00
Ί
(und mehr) (und
I
I
50 8,50-10,
I
I
50 6,50-8,:
Hellers, dorf /
[reuzbert Wilmersdorf
Zehlendorf
1
Hohenschönhausen
Lichter berg
V Treptow Neukölln
Köpenick
Quelle: Berliner Zeitung vom 15.11.2000, S. 41; Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 25: Nettokaltmieten bei saniertem Altbau nach Bezirken 2000 gelt sich auch im gleichgerichteten Gradienten der Mietpreise für sanierte Altbauten wider. Der regierungsnah und zentral gelegene Bezirk Mitte hat dabei durch Luxussanierungen einen starken Mietauftrieb erfahren (Abb. 25). Die Villenviertel im Grunewald sind traditionell die bevorzugte Wohngegend für „gutbetuchte" Spitzenverdiener geblieben, die bis 9100 D M pro Quadratmeter für eine dortige Eigentumswohnung oder bis zu 13700 D M pro Quadratmeter Wohnfläche in einer dementsprechenden Villa bezahlen können und wollen. Der seit der Wiedervereinigung der Stadt vor allem im Ostteil Berlins durchgeführte, staatlich geförderte Wohnungsneubau konzentrierte sich vor allem auf den äußersten Nordosten (Karow-Nord, Pankow-Buchholz und Niederschönhausen). Damit ist die diskussionswürdige extensive Baurichtung „auf der grünen Wiese" an der Peripherie der Stadt in Ost-Berlin, die zu DDR-Zeiten nicht ohne Kritik praktiziert worden ist, unter veränderten Rahmenbedingungen und mit anderen Mitteln fortgeführt worden. In Berlin-Hellersdorf wurde das kompakte Plattenbaugebiet durch die Schaffung eines Stadtbezirkszentrums „Helle Mitte" abgerundet und funktionell aufgewertet. In den historischen Siedlungsgebieten mit lockerer Bebauung im Nordosten der Stadt wurden Einfamilien- und Reihenhäuser zur sozialen Stabilisierung dieser durch einen hohen Anteil von Plattenbauten belasteten Bezirke gebaut. Dies löste dort wiederum erhebliche lokale Umzugsbewegun-
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
51
gen aus der „Platte" in diese aufgelockerten neuen bzw. verstärkt erschlossenen und durch Einzelbebauung geprägten und aufgeweiteten Siedlungsgebiete aus. Die bis Ende der 90er-Jahre gewachsene Abwanderung zahlreicher Berliner überwiegend jüngerer Familien - in das brandenburgische Umland ist eine wesentliche Seite der durch die Teilung Berlins und die Abschnürung seines Westteils gegenüber dessem Umland künstlich unterbrochenen sowie durch die Sozial·, Eigentums- und Baupolitik der DDR weitgehend ausgeschalteten Suburbanisierung. Sie wurde in den 90er-Jahren durch den staatlich geforderten Wohnungsneubau in der Gestalt von Stadtvillen, Reihen-, Ein- und Zweifamilienhäusern - in „Wohnparks" räumlich vergesellschaftet oder in Streulage - „auf der grünen Wiese" sowie in bereits vorhandenen Siedlungsgebieten im Umland für Eigennutzer und Kapitalanleger mit einmalig günstigen Sondersteuerabschreibungen unterstützt und forciert. Nachkriegs- und teilungsbedingte Konflikte zwischen „Alteigentümern" und späteren Nutzern mit Wohnhäusern bzw. Erholungsgebäuden (Lauben und „Datschen") bebauter Grundstücke und sonstiger Immobilien, die gerade im Umland von (West)-Berlin massenhaft sowie lokal und regional konzentriert aufgetreten sind, haben sich bisher eher ungünstig auf die Herstellung der „inneren" Einheit im Umland Berlins ausgewirkt. Auch die Vermischung der Einwohnerschaft in den Berliner Randgemeinden zwischen „Alteingesessenen" aus dem Osten und „Zugezogenen" aus dem Westen erzeugt in dieser Beziehung ambivalente Wirkungen, zumal sie oft mit Eigentumskonflikten, aber auch mit sozialer, mentaler, parteipolitischer und räumlicher Segregation der Bewohner in den Wachstumsgemeinden vor allem im westlichen und südlichen Berliner Umland verbunden sind. Die durch die Ansiedlung großer Verbrauchermärkte, Logistikzentren und Gewerbegebiete auf verkehrsgünstig gelegenen Freiflächen im Umland, aber auch durch den stark angestiegenen motorisierten Individualverkehr und den rekonstruierten und erneuerten öffentlichen Stadt-Umland-Verkehr (S-Bahn- und Regionalbahn- sowie Busverkehr) geförderte Suburbanisierung hat u.a. erhebliche Wohnungsleerstände in den Plattensiedlungen Berlins und Brandenburgs, aber auch in den sanierungsbedürftigen Altbaubeständen sowohl in Berlin als auch in zahlreichen Städten und Dörfern Brandenburgs zur Folge. Auch neugebaute Wohnungen stehen hier z.T. leer, weil die Wachstumsprognosen bezüglich Bevölkerung, Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft für diese „Speckgürtelgemeinden", die oft noch „mager" geblieben sind, zu optimistisch und voluntaristisch waren sowie teil- und stellenweise am Bedarf potenzieller Käufer bzw. Mieter „vorbeigebaut" worden ist. In Berlin wird bei einem Wohnungsleerstand von rd. 100000 Wohnungen (Stand: 2000) vor allem in den peripheren Plattenbausiedlungen, aber auch in unsanierten Altbaugebieten — vorwiegend im Ostteil gelegen - von einer Übergangserscheinung ausgegangen. Dennoch wird bei extrem großen Leerständen
52
Konrad Scherf
Lebenserwartung (Jahre) 80
Frauen
(Erhöhung: 72 3,7 Jahre) - 71
1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996
Quelle: Nach Pressemeldungen vom Verf. zusammengestellt u. entworfen, 2000. Abb. 26: Veränderung der Lebenserwartung der Frauen und Männer v o n 1986 bis 1996 i n Berlin (West) und Berlin (Ost)
Durchschnittliche Lebenserwartung (in Jahren)
Reinickendorf
Pankow HohenschönWeißen- hausen
Wedding i Rre
τίβη^νΛ
garten ,Mitte
Wilmersdorf
Hellersdorf ,
I
I 75,9 - 7 6 , 6
I
I 74,5 - 7 5 , 8
I
I 73,4-74,4
1
1 71,4-73,3
Schorn
——-Jj3®1'9)
Zehlendorf
Steglitz
Neukölln
Treptow Köpenick
Quelle: Nach Pressemeldungen vom Verf. zusammengestellt u. entworfen, 2000. Abb. 27: Durchschnittliche Lebenserwartung (Frauen und Männer gesamt) nach Bezirken 1996
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
53
vorrangig in unsanierten Wohnhochhäusern der kompakten Plattenbausiedlungen z.B. in Marzahn, d.h. in dem Berliner Bezirk mit den stärksten Einwohnerverlusten im vergangenen Jahrzehnt, wo in Einzelfällen bis zu über zwei Drittel der Wohnungen je Hochhaus z.Z. nicht mehr genutzt werden, neuerdings auch Wohnungsabriss geplant. Es handelt sich dabei um vergleichsweise preiswerten, sanierfähigen Wohnraum, der künftig bei entsprechendem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in und um Berlin vielleicht fehlen könnte. Durch Wohnungssanierung und -modernisierung, Bedarfsanpassung, architektonische Gebäudeaufwertung und Wohnumfeldverbesserung sowie soziale Maßnahmen für eine bessere Integration der dort wohnenden und nachziehenden in- und ausländischen Wohnbevölkerung, mit der künftig in Berlin verstärkt gerechnet wird, soll Erscheinungen fortschreitender sozialer Segregation der Bewohner und Abwertung der Wohngebiete und ganzer Stadtviertel durch - wenigstens zeitweilig festgelegte - Mietobergrenzen und Verzicht auf finanzielle Mehrbelastung einkommensstärkerer Mieter von Sozialwohnungen (mit „Fehlbelegungsabgaben") sowie durch „Kiezmanagement" entgegengewirkt sowie eine Stabilisierung der ansässigen Wohnbevölkerung und der dortigen Lebensverhältnisse in diesen Problemgebieten der innerstädtischen Altbau- und peripheren Plattenbauquartiere erreicht werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Berliner, differenziert nach Bezirken, ist sozio-demographischer Ausdruck des Zusammenwirkens unterschiedlicher, z.T. auch konterkarierender sozialer, demographischer, ethnischer, ökologischer und mentaler Einflussfaktoren. Dabei überlagern sich Ost-West-Annäherung mit gesamtstädtischer Differenzierung insbesondere zwischen Außen- und Innenbezirken (Abb. 26 und 27). Mit Einschränkungen kann Diepgen (2000, S. 55) zunächst zugestimmt werden, „dass der Lebensstandard in den östlichen und westlichen Bezirken insgesamt viel ähnlicher ist als zwischen den Bezirken der Innenstadt und der Peripherie. In dieser Relation entwickeln sich die wirklichen (sozial-strukturell bedingten, K. S.) Unterschiede, unabhängig von der westlichen oder östlichen Lage." Allerdings müssen dabei jedoch die fortschreitenden Differenzierungsprozesse sowohl innerhalb der Innenstadtbezirke und -kieze als auch zwischen den Außenbezirken mit im Einzelnen sehr unterschiedlichen sozialstrukturellen, Wohn-, Arbeits- und Umweltbedingungen, vor allem in den Eigenheimsiedlungen „im Grünen" einerseits und in den Plattenbausiedlungen „im Beton" andererseits beobachtet sowie unter den Aspekten der gesamtstädtischen Entwicklung und der Herstellung der „inneren" Einheit in Berlin bewertet werden. Während sich für diese Entwicklung relevante Unterschiede zwischen den Außenbezirken im Südwesten und Nordosten Berlins eher noch vergrößern werden, zeichnen sich in der Innenstadt, in der „neuen Mitte" Berlins, zwischen den östlichen und westlichen Bezirken Annäherungs- und Verschmelzungsprozesse ab.
54
Konrad Scherf 2.4 Die besondere Rolle der neuen historischen Mitte Berlins
In den Innenstadtbezirken des vereinten Berlins lässt sich gegenwärtig ein dynamischer sozialer, demographischer und städtebaulicher Umschichtungs- und Umbauprozess erkennen. Er hängt in hohem Maße mit der funktionellen und baulichen Neugestaltung des historischen Zentrums zur „neuen Mitte" der Hauptstadt und künftigen Metropole Berlin zusammen. Davon werden die Citybereiche und die jene flankierenden Wohngebiete in erster Linie betroffen. Gesamtstädtische und regionale, nationale und internationale Funktionen in lokaler Interferenz, tiefgreifende städtebauliche Um- und Neugestaltung sowie intensive Vermischungs- und Austauschprozesse der dort lebenden und arbeitenden Menschen bei vorherrschender Veijüngungstendenz der Bevölkerung (Abb. 28) an der jahrzehntelang durch die Mauer mitten durch die geteilte Stadt besonders markanten und sensiblen Trennlinie zwischen zwei Welten können hier - im auffallenden Kontrast dazu - die gegenwärtig noch damit verbundenen Unterschiede zwischen Ost und West wohl am ehesten und schnellsten überwinden helfen. Hier spielt das in funktioneller und städtebaulicher Aufwertung befindliche historische Zentrum zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz gegenwärtig eine besondere Rolle. Dessen Attraktivität und gesamtstädtische Auszahlung haben mit dem bereits weitgehend neugestalteten Pariser Platz, mit dem in Rekonstruktion befindlichen Boulevard „Unter den Linden", der umgebauten Friedrichstraße, dem Gendarmenmarkt und den sanierten und rekonstruierten Hackeschen Höfen sowie deren Umfeld deutlich zugenommen. Es wird durch einen kreativen Mix von staatlich geforderter traditionsreicher, allerdings im Umbruch befindlicher „Hochkultur" und junger, durch ständigen Wandel und räumliche Veränderungen gekennzeichneter „Szene-Kultur" sowie durch innovative Kunst-, Unterhaltungs- und Gaststätten wesentlich belebt und ergänzt. Diese vitalisierende Entwicklung greift auch auf die in funktioneller, städtebaulicher und sozialer Transformation befindlichen benachbarten Cityrandgebiete der Ost-Berliner Bezirke Prenzlauer Berg und Friedrichshain und randliche Teile des bisherigen Bezirkes Mitte, aber auch auf die angrenzenden citynahen Gebiete der West-Berliner Bezirke Kreuzberg, Wedding, Schöneberg sowie Teile von Tiergarten und Charlottenburg über. Dort kann z.T. an ältere soziale und kulturelle - auch multikulturelle - demographische und städtebauliche Umgestaltungsprozesse in der Teilungszeit Berlins angeknüpft werden. Dieses Milieu wird in erster Linie durch und für jüngere Menschen, für Alt- und Neuberliner aus allen Teilen der Stadt sowie aus dem Inund Ausland gestaltet. Es ist auch zu einem der Hauptanziehungspunkte des in den letzten Jahren stark gewachsenen Berlin-Tourismus geworden. Das ost-west-verbindende neue Regierungsviertel an vorwiegend traditionellen Standorten im neuen Großbezirk Mitte (früher Mitte und Tiergarten) soll hauptsächlich in seinem Inneren durch eine entsprechende Politik zur „inneren"
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
55
Anteil der Altersgruppe der 18- bis 35-jährigen an den Zuzügen (%) 73,5-81,9 55,2 - 66,5 47,3 - 52,4 Berlin: 60,0 % Berlin-West: 57,1 % Berlin-Ost: 63,8 %
10 km
Quelle: S T A L A Berlin: Wahlstrukturdaten, H. 1, S. 21; Ber. u. Entw. vom Verf., 2000.
Abb. 28: Anteil der Altersgruppe der 18- bis 35-jährigen an den von 1994 bis 1998 nach Berlin zugezogenen Deutschen über 18 Jahren nach Bezirken Einheit beitragen. Dies trifft auch auf die ebenfalls dort gelegenen Einrichtungen der Berliner Landesregierung (Abgeordnetenhaus im ehemaligen preußischen Landtag, Sitz des Regierenden Bürgermeisters im „Roten Rathaus" usw.) zu. Mit dem neuen Potsdamer Platz, der gegenwärtig durch den im Wiederaufbau befindlichen Leipziger Platz funktionell und städtebaulich ergänzt wird, ist eine wichtige Klammer zwischen der jahrzehntelang durch Mauer und Stacheldraht getrennten, historisch begründeten City (Ost) und der durch das „Kulturforum" zu Mauerzeiten in östlicher Richtung erweiterten City (West) entstanden. Sie wurde beiderseits des ehemaligen Mauerstreifens, in der einst unübersehbaren Funktionsund Baulücke, der „Hauptstadtbrache", nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung beider Stadthälften an historischer Stelle des bis in die 3 Oer-Jahre hinein verkehrsreichsten Platzes in Berlin mit der Wirtschafts- und Finanzkraft weltweit bekannter transnationaler Konzerne als lebendiges Geschäfts-, Einkaufs-, Kultur·, Medien- und Vergnügungszentrum, durch einige Luxuswohnungen hauptsächlich für finanzkräftige Berliner Neubürger ergänzt, in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zügig errichtet. Dieser neue gesamtstädtische zentrale Ort inmitten Berlins wird von den Berlinern aus allen Bezirken der Stadt, aber auch von den Bewohnern des Umlandes sowie von zahlreichen Besuchern aus dem In- und Ausland inzwischen angenommen.
56
Konrad Scherf
Im Vorfeld der künftigen Gestaltung des bisher vernachlässigten Schlossplatzes im historischen Zentrum Berlins geraten bisher sehr unterschiedliche, z.T. gegensätzliche Vorstellungen und Konzepte in Widerstreit, die hauptsächlich aus der Ost-West-Teilung der Stadt herrühren: Wiederaufbau des Stadtschlosses versus Erhaltung (Sanierung und Weiternutzung) des „Palastes der Republik". Es gibt aber auch Vorschläge funktioneller und städtebaulich-architektonischer Veiknüpfungen beider baulicher Elemente sehr unterschiedlicher Geschichte. Einige Vorstellungen gehen von einer geschichtslosen, in die Zukunft weisenden Neugestaltung des Schlossplatzes aus. In jedem Falle sollten vor den baulichen Maßnahmen die Funktionen dieses geschichtsträchtigen Platzes und seiner künftigen städtebaulich-architektonischen Gestaltungselemente sowie deren Finanzierung geklärt werden. Die City (West) mit Breitscheidplatz, Gedächtniskirche und Europazentrum am Bahnhof Zoo und Kurfürstendamm sowie angrenzenden Geschäfts-, Flanier- und Vergnügungsmeilen im Westen einerseits sowie der Alexanderplatz mit Fernsehturm, Rathausplatz und -passagen und Nicolaiviertel im Osten andererseits sind - überwiegend noch getrennt, jedoch miteinander und mit anderen Zentrumsteilen in Wettbewerb stehend - in Umstrukturierung begriffen. Dies soll zu ihrer Aufwertung fuhren und dadurch auch zur funktionellen Vielfalt und städtebaulichen Attraktivität und Ausstrahlung des gesamten Citybereichs der deutschen Hauptstadt und künftigen europäischen Metropole und Weltstadt beitragen. Aus diesen Beispielen geht hervor, dass die einzelnen Elemente und Keimzellen der sich allmählich herausbildenden neuen Gesamtberliner Mitte auch bei der Herstellung der „inneren" Einheit in der Stadt und der Region eine unterschiedliche Rolle spielen. Nach soziologischen Untersuchungen von Häußermann würden sich insbesondere die jüngeren Leute, die jetzt nach Berlin kommen, nicht mehr an die bisherige Ost-West-Gliederung halten. Allerdings: 70 % der mit dem Regierungsumzug in die Hauptstadt gekommenen „Bonner", d. h. meist „gestandene Leute" aus allen Teilen der Bundesrepublik, sind in den Westteil der Stadt gezogen. Fast der gesamte Rest zog in den zentrumsbildenden bzw. -nahen Ostteil der neuen Berliner Mitte (s. Berliner Zeitung vom 2.1.2000, S. 25). 2.5 Die neue Bezirksgliederung unter dem Aspekt der Gesamtberliner Einigung und Stadtentwicklung Die ab 1.1.2001 gültige Verwaltungsneugliederung Berlins in 12 Großbezirke (Abb. 29) durch Zusammenlegung der bisherigen 23 Bezirke, die ihrerseits bis auf kleinere Veränderungen mit Ausnahme der Ende der 1970er- und Mitte der 1980er-Jahre im Ostteil der Stadt neugebildeten Stadtbezirke Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf auf das Jahr 1920 zurückgehen, bleibt unter dem Aspekt der Gesamtberliner Einigung und Stadtentwicklung als Beitrag zur Her-
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
57
Neue Bezirksgrenze Alte Bezirksgrenze 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Mitte (Mitte, Tierg., Wedding) Charlottenbg./Wilmersdf. Friedrichshain/Kreuzberg Tempelhof/Schöneberg Steglitz/Zehlendorf Spandau Reinickendorf Pankow (Pa., Prl. B., Weiß.) Lichtenb./Hohenschönhsn. Marzahn/Hellersdorf Treptow/Köpenick Neukölln
10 km
Abb. 29: Neugliederung der Berliner Bezirke in 12 (Groß-)Bezirke ab 1.1.2001 Stellung der „inneren" Einheit in der Stadt und der Region hinter vergleichbaren Möglichkeiten deutlich zurück. In der vom Verfasser entwickelten Variante (vom 2.2.2000) (Abb. 30) werden unter diesem Gesichtspunkt folgende Vorzüge gesehen: 1.) Stärkere Beachtung der funktionellen Spezialisierung und arbeitsteiligen Zusammenhänge zwischen den vorgeschlagenen 10 Großbezirken durch die Bildung von a) einem Citybezirk aus den bisherigen Bezirken Mitte, Tiergarten und Charlottenburg, in denen die zentralen Funktionen der Stadt angesiedelt sind, b) zwei Cityrand-Bezirken (-Süd und -Nord) aus den bisherigen Bezirken Friedrichshain, Kreuzberg und Schöneberg sowie Prenzlauer Berg und Wedding, in denen sich unter den prägenden Einflüssen der Cityentwicklung dynamische funktionelle, soziale und wirtschaftliche, demographische und städtebauliche Transformationen vollziehen, die ihrerseits die neue Citybildung unterstützen, c) sieben gleichwertigen Außenbezirken, die jeweils sowohl an die unter la und l b genannten Innenbezirke als auch an die brandenburgischen Kreise des Berliner Umlandes grenzen und so die gemeinsame Landes- und Regionalplanung von Berlin und Brandenburg insbesondere im „engeren Verflechtungsraum" von der politisch-administrativen Gliederung Berlins her besser unterstützen könnten.
Konrad Scherf
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Neue Bezirksgrenze (Alternativvorschlag) Alte Bezirksgrenze Reinickendorf
îharlottenburg
Pankow.
Hohen5 SchönWeißen- hauser*
• • ding Prenzl TierBer iarten|Mitte- _
ÌMarzahi [Hellersj dorf I
h. /Lichten·
^\berg Wilmersdorf _________
.Sfchör Fperc Treptow
Zehlendorf
I Steglitz
Neukölln
Köpenick
10 km
10 neue Berliner Bezirke (Großbezirke), Nummerierung und Namen I Berliner City (Mitte, Tiergarten, Charlottenburg) II Berliner Cityrand-Süd (Friedrichshain, Kreuzberg, Schöneberg) III Berliner Cityrand-Nord (Prenzlauer Berg, Wedding) IV Berliner Nordosten (Hohenschönhausen, Pankow, Weißensee) V Berliner Osten (Hellersdorf, Lichtenberg, Marzahn) VI Berliner Südosten (Köpenick, Treptow) VII Berliner Süden (Neukölln, Tempelhof) VIII Berliner Südwesten (Steglitz, Wilmersdorf, Zehlendorf) IX Berliner Westen (Spandau) X Berliner Nordwesten (Reinickendorf)
Berliner Innenbezirke
Berliner Außenbezirke
Abb. 30: Neugliederung Berlins in 10 Bezirke (Alternativvorschlag von K. Scherf, 10.2.2000) 2.) Die Bildung von drei ost-west-übergreifenden Stadtbezirken in der Innenstadt (s. la und lb) soll gerade dort das Zusammenwirken und -wachsen der jahrzehntelangen, z.T. historisch antizipierten Ost-West-Teilung Berlins auch durch die Verwaltungsneugliederung unterstützen. 3.) Das durchgängig verwendete Attribut „Berliner" bei den vorgeschlagenen neuen Bezeichnungen der 10 Bezirke soll mit Nachdruck auf den weiterbestehenden Gesamtberliner Zusammenhang auch dieser an Eigenständigkeit gewinnenden Großbezirke hinweisen. In Anlehnung an die Verwaltungspraxis anderer Großstädte haben die Bezirke Berlins - mit dem Berliner Citybezirk bewusst beginnend - eine Nummerierung von I bis X erhalten (s. a. Beitrag von K. Krakat in diesem Band).
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
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2.6 Die polarisierte parteipolitische „ Landschaft " in Berlin, ihre aktuellen Veränderungen und Einflüsse auf die Herstellung der „ inneren " Einheit in der Stadt Die historisch-geographisch vorgeprägte Ost-West-Teilung Berlins ist, wie bereits dargestellt, in den Zeiten des Kalten Krieges, der Spaltung und Konfrontation, die im Mauerbau und in dessen Folgewirkungen gipfelten, vertieft und zugespitzt worden. Der seit der Wende und Vereinigung besonders dramatische Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft im Ostteil der Stadt, der in der damaligen bzw. ehemaligen DDR-Hauptstadt zur „Abwicklung" großer Teile der hier konzentrierten DDR-Eliten führte, hat dort bisher ein großes Wählerpotenzial von Menschen erhalten, die mit ihrer Lebenslage unzufrieden sind. Sie sind nur z.T. in den Gesamtberliner Beschäftigten- und Arbeitsmarkt - oft auch unter verschlechterten Konditionen - integriert und wieder gesellschaftsfähig geworden und sind trotz nachweisbarer bedeutender sozialer Ost-West-Angleichungsprozesse, an denen sie z.T. vergleichsweise weniger beteiligt waren als die „Normalbürger" des ostdeutschen Beitrittsgebietes - nicht zuletzt infolge zu DDR-Zeiten genossener Privilegien - , mit dem untergegangenen zweiten deutschen Teilstaat und dessen Gesellschaft noch stärker sowie mit dem vereinten Deutschland in Gestalt der erweiterten Bundesrepublik und deren gesellschaftlichen Verhältnissen schwächer verbunden. Gleichzeitig ist diese im Ostteil der Stadt zahlenmäßig noch starke Wählergruppe gegenüber der seit 1990 von der Großen Koalition von CDU und SPD im vereinten Berlin praktizierten Politik kritisch eingestellt. Sie fühlte sich zusammen mit anderen Ost-Berliner Wählern bisher ungenügend vertreten. Der Ostteil der Stadt mit rd. 38 % der Bevölkerung Berlins war in den Regierungen der wiedervereinigten deutschen Hauptstadt chronisch unterrepräsentiert: Von den acht Senator(inn)en der CDU/SPD-Koalition (bis Mai 2001) stammte nur eine(r) aus dem Ostteil der Stadt. Auch in der anschließenden SPDBündnis 90/Die Grünen-Übergangsregierung waren die Wähler in Ost-Berlin mit nur einer Senatorin (derselben wie vorher) vertreten. Aus dieser Situation heraus hat sich bisher - parteipolitisch gesehen - ein von der SED-Nachfolgepartei PDS und ihrer relativ stabilen Wählerschaft geprägter östlicher Pol in der Berliner Parteienlandschaft herausgebildet. Der andere, westliche Pol der geteilten Berliner Parteienlandschaft, der gegenwärtig vor allem in der CDU und FDP ihren Niederschlag findet, ist neben sozialen Wurzeln hauptsächlich ein Ergebnis des Antikommunismus. Auf historischen Traditionen begründet, ist er in der Nachkriegszeit, d.h. unter den Bedingungen des Kalten Krieges in Spaltungs-, Frontstadt- und Mauerzeiten durch solche politischen Ereignisse wie die „Blockade" und „Luftbrücke" (1948/49), die dramatischen Vorgänge des 17. Juni 1953, die weitgehende Abschnürung der West-
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Berliner von ihrem natürlichen Umland und damit von ihren zahlreichen Wochenendgrundstücken (1952/53), die (West-)Berlin-Ultimaten von Chruschtschow (1958 ff.) und den Bau der Mauer (1961), von deren Wirkungen die West-Berliner Bevölkerung direkt betroffen war, zugespitzt und vertieft worden. Dazu kam, dass zahlreiche Regimegegner der DDR aus Ost-Berlin und allen Teilen Ostdeutschlands vorrangig - wenigstens vorübergehend - in West-Berlin Zuflucht und z.T. auch politische Betätigung gefunden hatten. Diese polarisierte Ost-West-Zweiteilung in der parteipolitischen „Landschaft" Berlins ist seit 1990 besonders in den Berliner Abgeordnetenhauswahlen der Jahre 1995, 1999 und auch 2001 deutlich zum Ausdruck gekommen (Abb. 31). In allen Ost-Berliner Wahlkreisen ging die PDS sowohl 1995 (bis auf den Bezirk Weißensee - hier gewann die SPD knapp vor der PDS) als auch 1999 und 2001, und zwar mit steigender Tendenz, durchweg als stärkste Partei aus den Wahlen hervor. In den West-Berliner Wahlkreisen war dagegen bis auf Kreuzberg - als einsame „Hochburg" der „Grünen" - die CDU in den Wahljahren 1995 und 1999 durchgängig die stärkste Partei. Zur Überwindung der Wirkungen dieser polarisierenden parteipolitischen Ost-West-Zweiteilung Berlins wäre bisher theoretisch eine Koalition aus CDU und PDS, und dann 58,5 % (1999) der Berliner Wähler - im Ost- und Westteil mit 66,4 bzw. 53,5 %, allerdings im diametral entgegengesetzten Verhältnis der koalierenden Parteien - sinnvoll erschienen. Sie war jedoch aufgrund tiefer politisch-ideologischer Gegensätze, historischer Einflüsse aus Teilungs-, Frontstadt- und Mauerzeiten gerade in Berlin, aber auch wegen grundsätzlicher parteiprogrammatischer Unterschiede praktisch nicht vorstellbar, geschweige denn politisch machbar. Dies ist erneut im Berliner Wahlkampf zu den vorgezogenen Abgeordnetenhauswahlen am 21. Oktober 2001 sehr deutlich zum Ausdruck gekommen. Dazu gehört auch das extrem ungleichmäßige Wählerverhalten der Ost- und West-Berliner vor allem gegenüber der SEDNachfolgepartei PDS (Ostteil Berlins: 39,5%, Westteil Berlins: 4,2%, bezogen auf die Abgeordnetenhauswahlen vom 10.10.1999) sowie - wenn auch nicht ganz so stark polarisiert - gegenüber der CDU (Westteil: 49,3 %, Ostteil: 26,9 %). Mit den Wahlergebnissen vom 21. Oktober 2001 hat sich eine analoge Ost-WestTeilung abgezeichnet. Allerdings wurde der bisher CDU-gestützte größere „Westpol" geschwächt bzw. aufgelockert. Die SPD, die ihre Regierungskoalition mit der CDU aufgekündigt und bei Tolerierung durch die PDS eine Übergangsregierung mit Bündnis 90/Die Grünen gebildet hatte, erzielte bei den Wahlen vom 21.10.2001 nach ihrem „Tief" von 1999 als einzige der Berliner Parteien im Westen und Osten der Stadt annähernd gleichhohe und gestiegene Anteils werte. Die erstarrte Berliner „Parteienlandschaft" ist dadurch in Bewegung geraten. Daraus könnten sich unter bestimmten Voraussetzungen neue Chancen fur einen West-Ost-Brückenschlag in Berlin ergeben. Sie könnten bei entsprechender inhaltlicher, politischer und personeller Neuakzentuierung auch die Herstellung
Ergebnisse und Probleme bei der Herstellung der „inneren" Einheit
Quelle: Statistische Monatsschrift Nr. 1-6/2000, S. 22, ergänzt vom Verf. (23.10.2001).
Abb. 31: Parteien mit dem jeweils höchsten Zweitstimmenanteil in den bisherigen Bezirken bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 22.10.1995, am 10.10.1999 und am 21.10.2001
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der „inneren" Einheit in der deutschen Hauptstadt und künftigen Metropole fördern und weiter voranbringen. Die 2002 gebildete SPD-PDS-Regierung wird allerdings von den Wählern im politisch und wirtschaftlich, sozial und demographisch stärkeren Westteil der Stadt nur schwach gestützt. 3. Resümee Berlin war wie keine andere Stadt in Deutschland und Europa in der Zeit nach dem II. Weltkrieg jahrzehntelang geteilt sowie durch Mauer und Stacheldraht mitten durch die Stadt getrennt. Hier standen sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges die damals weltbeherrschenden beiden Wirtschafts- und Militärblöcke feindlich in unmittelbarer Nähe gegenüber. Berlin war oft Brennpunkt weltpolitischer und nationaler Auseinandersetzungen. Davon wurde das Wirtschafts- und Geistesleben in den beiden sehr ungleichen Stadthälften konträr und nachhaltig geprägt. In keiner anderen Stadt und Region des vereinten Deutschlands sind daher die Widersprüche zwischen der bisher erreichten Wiederherstellung eines funktionierenden einheitlichen Stadtorganismus mit revitalisierten und innovativen Umlandbeziehungen sowie der Ost-West-Annäherung in den materiellen Lebensverhältnissen der Menschen einerseits und der weiterbestehenden Kluft zwischen Ost und West in den Bereichen des so genannten Überbaus - in Politik, Ideologie und Mentalität andererseits derart stark ausgeprägt wie in Berlin. Die Herstellung der „inneren" Einheit wird zudem durch die Funktion Berlins als nationale Hauptstadt begünstigt, durch die Entwicklung zur internationalen Metropole dagegen relativiert. Die schwache wirtschaftliche Entwicklung und das steile West-Ost-Gefälle in der wirtschaftlichen Basis der Stadt sowie beim Arbeitsplatz- und Berufsausbildungsangebot hat den Einigungsprozess in der Stadt und der Region einerseits verzögert. Andererseits wurde dadurch - als soziales und politisches Gegengewicht - die schnelle Herstellung eines zusammenhängenden Beschäftigten- und Arbeitsmarktes in Berlin und seinem Umland herausgefordert und forciert. Die Revitalisierung und Innovation eines zusammenhängenden Beschäftigtenund Arbeitsmarktes wurde durch die rasch gestiegene soziale und räumliche Mobilität (Arbeits- und Ausbildungspendelwanderung sowie Migration) und durch die Wiederherstellung bzw. den Ausbau einer entsprechenden Infrastruktur begünstigt. Von ihr gingen wesentliche Impulse für die Herstellung der „inneren" Einheit in der Stadt und Region aus. Auch bei der Bevölkerungsentwicklung lassen sich gleichgerichtete Ost-WestAnnäherungstendenzen erkennen. Sie werden allerdings von divergierenden Entwicklungen zwischen Innen- und Außenbezirken in Berlin sowie zwischen Umland und Peripherie in Brandenburg überlagert.
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Soziale Ost-West-Annäherung und Integration einerseits und Segregation zwischen Innen- und Außenbezirken, aber auch innerhalb der zentrumsnahen und -fernen Stadtteile Berlins andererseits wirken sehr unterschiedlich auf die Herstellung der „inneren" Einheit in der deutschen Hauptstadt und künftigen Metropole. In der neuen historischen Mitte Berlins und den zentrumsnahen Kontaktzonen mit dynamischer funktioneller und sozialer, demographischer und städtebaulicher Transformation erreichen die gesamtstädtischen Integrations- und Differenzierungsprozesse höchste Intensität und Dichte. Hier überlagern sich dabei in großer Vielfalt lokale und regionale mit überregionalen - nationalen und internationalen - Einflussfaktoren. Diese treiben einerseits die Herstellung der „inneren" Einheit voran, um sie andererseits gleichzeitig zu relativieren und zu konterkarieren. Dies entspricht der zweigleisigen Entwicklung Berlins in Richtung nationale Hauptstadt und internationale Metropole. Die neue Bezirksgliederung Berlins in 12 Großbezirke durch Zusammenlegung der bisherigen 23 Stadtbezirke bleibt unter dem Aspekt der gesamtstädtischen Entwicklung und Herstellung der „inneren" Einheit in der deutschen Hauptstadt deutlich hinter den Möglichkeiten, die eine Verwaltungsneugliederung bieten könnte, zurück. Eine vom Verfasser entwickelte Alternativ-Variante weist diesbezüglich signifikante Vorzüge auf. Die gewachsene Ost-West-Polarisierung der parteipolitischen „Landschaft" in Berlin seit 1990, die mit einer großen Koalition aus CDU und SPD sowie mit einer Unterrepräsentanz der Bewohner im Ostteil der Stadt in der Landesregierung - dem Berliner Senat - verbunden war und auch in der rot-grünen Übergangsregierung fortgesetzt wurde, hätte im Ergebnis der Abgeordnetenhauswahlen vom 21.10.2001 durch die Bildung einer entsprechenden Regierungskoalition, in der sich die Wähler aus dem Osten und Westen der Stadt hinreichend vertreten sehen und fühlen, vermindert werden können. Damit hätte ein wesentlicher Beitrag zur Herstellung der „inneren" Einheit in der deutschen Hauptstadt, der in dieser Hinsicht oft „Werkstatt- bzw. Laborfunktion" nachgesagt wird, insbesondere in den Bereichen von Politik und Ideologie, aber auch im Denken und Fühlen der Menschen geleistet werden können, die bisher oft als „retardierendes Moment" in den Vereinigungsprozessen gewirkt haben. Quellenverzeichnis und weiterführende Literaturhinweise Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1993): Material zur Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland. ARL-Arbeitsmaterial. Hannover. Appel, R. (Hrsg.) (2000): Einheit, die ich meine. 1990-2000. Eco-Verlag, Eltville (Rhein).
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Die Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung Von Klaus Krakat
1. Berlin im Zeichen des Strukturwandels Im Mittelpunkt zahlreicher aktueller wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischer Diskussionen standen und stehen einerseits die Gesprächsrunden des „Bündnisses für Arbeit" zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung, die Neuordnung des Gesundheitswesens mit der Gesundheitsreform 2000, die Rentenreform und die Steuerreform mit Unternehmenssteuerreform, Familienlastenausgleich und Ökosteuer. Als nicht minder wichtig wird der anhaltende Strukturwandel 1 und dessen gravierende Folgen mit Blick auf den Standort Deutschland und seine einzelnen Regionen, so insbesondere auch auf den Wirtschaftsstandort Berlin, eingestuft einschließlich Standortbestimmung und Darstellung seiner wirtschaftsräumlichen Entwicklung. 2 Vor allem mit dem vollzogenen Umzug von Bundesregierung und Parlament nimmt Berlin wieder Hauptstadtfunktionen wahr, welche für Interessenorganisationen oder Auslandsvertretungen Anlass sind, sich hier anzusiedeln. Berlin wird sich auf diese Weise wieder zu einem politischen Zentrum entwickeln. Es will jedoch ebenso, anknüpfend an bewährte Traditionen, sich zu einem starken Wirtschaftsstandort verändern. Dabei waren und sind jedoch umfangreiche Probleme zu lösen: Besonders in Berlin äußerten und äußern sich die Probleme der Zweiteilung Deutschlands und der Überwindung ihrer Folgen auf engstem Raum. Dementsprechend zeigten sich besonders nach dem Fall der Mauer die Spuren zweier unterschiedlicher politischer Systeme und Wirtschaftsordnungen und die daraus erwachsenen Strukturen sowie teilungsbedingten Duplizitäten in Produktion, Wissenschaft oder Kultur in ihrer Vielfalt und Eindringlichkeit. Die wirtschaftliche und soziale Bewältigung der deutschen Einheit stellte und stellt mithin besonders den in Berlin politisch Verantwortlichen historisch fast einmalige Auf-
1 Zum Strukturbegriff und zu den Erklärungen des sektoralen Strukturwandels vgl. die Ausfuhrungen in Abschnitt 1.4 dieser Arbeit. 2 Vgl. dazu ζ. B. den Bericht der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 1998/99: Mehr Wirtschaft, weniger Staat. In: Berliner Wirtschaft Nr. 4/1999, S. 12 sowie: Übergabe des IHK-Berichts 1998/99 an die Vollversammlung. Innovationskraft der Unternehmen bleibt Schlüssel für Wachstum und Arbeitskräfte. In: Berliner Wirtschaft Nr. 4/1999, S. 26 und 27.
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gaben. Dafür waren Entscheidungen verantwortlich, die die Ausgangsbedingungen für den Integrationsprozess setzten: 1. Mit der Einführung der D-Mark hatten die neuen Bundesländer einschließlich des Ostteils von Berlin die Möglichkeit verloren, ihre Wirtschaft in der Aufbauphase durch Abwertung ihrer Währung zu schützen. 2. Aufgrund der raschen Anpassung an das westdeutsche Lohnniveau und Sozialsystem musste akzeptiert werden, dass die Löhne der Produktivität vorauseilten, wodurch ein volkswirtschaftlich wesentlicher Zusammenhang für gleichgewichtiges Wachstum zerbrechen musste.3 3. Erschwerend kam schließlich der Zusammenbruch der Ostmärkte hinzu, mit welchen die ehemalige DDR rund zwei Drittel ihres Außenhandels abgewickelt hatte. Dies musste besondere Folgen für die sich nunmehr marktwirtschaftlich auszurichtenden Betriebe im Ostteil Berlins haben. Auch für den industriellen Neubeginn in Berlin waren ab 1990 veränderte Rahmenbedingungen zu beachten, welche öffentliche und private Akteure bei ihren Neuorientierungen und Entscheidungsfindungen in Rechnung stellen mussten: - Die Wirksamkeit sogenannter Megatrends, - die sich aus dem Transformationsprozess (von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft) ergebenden Zwänge, - den Umgang mit den in beiden Teilen Berlins gewachsenen alt-industriellen Strukturen als Folge von planwirtschaftlichen Zwängen einerseits und Subventionierung des abgenabelten Wirtschaftsstandortes Berlin-West andererseits sowie schließlich - die Lösung von Standortproblemen unter Beachtung unterschiedlicher Aspekte. 1.1 Megatrends als zentrale Bestimmungsgrößen des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortlich für den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft waren und sind sogenannte „Megatrends", die sich bereits im Verlauf der Achtzigeijahre andeuteten und seit deren Ende in ihrer Wirkung zunahmen4 (vgl. dazu Übersicht 1). In 3 Gesamtwirtschaftlich waren diese Weichenstellungen als falsch zu bezeichnen, da sie den neuen Ländern die Chance zu einer organischen Systemtransformation nahmen. Politisch waren sie zweifellos unvermeidlich, um den sozialen Frieden in dem nunmehr vereinigten Deutschland nicht zu gefährden. 4 Vgl. dazu John Naisbitt: Megatrends - Ten New Directions Transforming our Lives. 2. Aufl., New York 1984, S. 24 ff. sowie Knut Bleicher: Das Konzept Integriertes Management. Das St. Galler Management-Konzept, Bd. 1., 2., rev. u. erw. Auflage. Campus Verlag, Frankfurt am Main u. New York 1992, S. 15 ff.
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enger Verbindung dazu haben die Unternehmensleitungen in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, dass der Wettbewerb jetzt nicht mehr allein über den Preis (Lohnkosten) entschieden wird, sondern über Zeit, Qualität, Kundenorientierung und damit letztlich über den Umgang mit dem Faktor Information. Mithin war und ist der Aktionsrahmen privater und öffentlicher Akteure global festgelegt, und das Gemenge zu beachtender unterschiedlicher neuer Fakten führte zwangsläufig zu unterschiedlichen Strategien sowohl hinsichtlich des wirtschaftlichen Neubeginns und Neuaufbaus in der Stadt insgesamt und ihrer Teilräume als auch hinsichtlich der Reaktionen auf den sich vollziehenden Strukturwandel. Dies drückt sich in zwei unterschiedlichen Handlungsebenen bei den Unternehmen einerseits und bei den Senatsverwaltungen sowie Bezirksämtern andererseits aus (vgl. Übersicht 2). Übersicht 1 Wesentliche Megatrends - Auslöser des industriellen Strukturwandels in Berlin • Zusammenbruch zwangsstaatlicher Herrschaftssysteme in Osteuropa und deren Allianzen • Veränderungen in einem sich restrukturierenden geopolitischen Umfeld • Zunehmende Einbindung von Entwicklungs- und Schwellenländern in die internationale Arbeitsteilung im Falle der Produktion hochwertiger Industriegüter sowie der Erstellung bestimmter Dienstleistungen • Fortschreitende Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Produktion • Wechsel von Wachstumsimpulsen und rezessiven Einflüssen • Demographische Veränderungen • Sich verändernde Wertehaltungen im sozialen Bereich • Zunehmende Dynamik des technischen Fortschritts in Verbindung mit sich verkürzenden Produktlebenszyklen • Sich verstärkende Umweltorientierung • Zunehmende Präferierung wissensbasierter Leistungen • Paradigmenwechsel in der Betriebswirtschafts-, Organisations- und Managementlehre
1.2 Bemerkungen zur Standortproblematik Allgemein wird anerkannt, dass aufgrund der globalen Beweglichkeit des Faktors Kapital die Bindung von Unternehmen an einen Standort, auch an den Standort Berlin, zunehmend nachlässt und Standorte mit kostengünstigen Aktionsbedingungen präferiert werden. Dementsprechend treten Städte und Regionen miteinander in Konkurrenz, besonders dann, wenn es um die Ansiedlung neuer Un-
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Übersicht 2 Handlungsebenen und Handlungsziele privater und öffentlicher Akteure in Berlin Megatrends - Auslöser unterschiedlicher Handlungen im Rahmen der Strukturanpassung
Handlungsebene Privatwirtschaft - Entwicklung individueller Unternehmenspolitiken mit entsprechenden Ziel systemen und Strategien - Realisierung von Leanstrukturen in Verbindung mit der Durchsetzung flacher Hierarchien und Outsourcing unwirtschaftlicher Funktionsbereiche - Präferierung neuer Beschäftigungskonzepte (z.B. Teilzeitbeschäftigung, Telearbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit usw.)
Handlungsebene Senatsverwaltungen/Bezirksämter - Leitbilder, Strategien und Konzepte zur Stadterneuerung - Neuordnung der Aktionsräume für Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung mit vorgegebenen Stadtraumprofilen (auf der Grundlage kleinräumiger gewerblicher Funktionsmischungen) - Industrieflächenreserve zur Sicherung der Ansiedlung von Industrie und produktionsnahen Dienstleistern
- Ausrichtung auf sog. Diensttechniken i. S. wissensbasierter Dienstleistungen
- Förderung innovativer und technologieorientierter Existenzgründungen
- Präferierung strategischer Allianzen und Kooperationsnetze zur Realisierung unternehmenspolitischer Ziele
- Förderung des Aufbaus exponierter Standorte und Aktionsräume für Technologie- und Gründerzentren sowie Gewerbezentren (Branchenmix) - Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen - Förderung der Bildung von Informations- und Kooperationsnetzen
Aktionsrahmen (Beispiele) - Markterfordernisse und Kundenpräferenzen
- Parteipolitische Festlegungen und Koalitionsvereinbarungen
- Staatliche Gesetze und Verordnungen
- Geschäftsverteilungspläne - Haushaltspolitische Leitlinien, Sparzwänge
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ternehmen geht. Regionales Standortmarketing ist auf diese Weise in das Zentrum kommunalen Handelns gerückt. Anders als für Unternehmen, die ihren Standort in der Regel frei wählen können, ist für Kommunalverwaltungen, so auch für den Berliner Senat, der Standort vorgegeben. Damit werden zwangsläufig die gewachsenen lokalen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, technologischen, stadträumlichen und landschaftlichen Gegebenheiten zu wesentlichen Bestimmungsgrößen und für den Standort Berlin entscheidenden Faktoren 5, die einen vorgegebenen Aktionsrahmen bilden. Sie führen jedoch auch zu bereits existierenden und künftigen Wachstums- und Kompetenzfeldern hin, die das neu entstehende Berlin kennzeichnen. In diesem Sinne erarbeitet seit Oktober 1998 eine Expertengruppe im Auftrag des Berliner Senats eine Studie mit dem Titel „Stadt im Umbruch - Strategien für die Zukunft". Diese zielt darauf ab, Entwicklungsperspektiven für Berlin zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu formulieren und Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Aktionsfelder zum Ausgleich erkannter Defizite sowie zur Förderung bestehender Stärken aufzuzeigen. 6 Im Zusammenhang mit der Orientierung auf neue Wachstums- und Kompetenzfelder und der dabei zu berücksichtigenden regionalen Stärken sind gravierende Aktionsbedingungen zu beachten, die sich aus dem inzwischen sieht- und spürbaren Wandel der Arbeitswelt ergeben. Dieser dokumentiert sich vor allem -
in der Tendenz zur Dienstleistungsbeschäftigung, in einem kontinuierlich wachsenden Anteil informationsorientierter Tätigkeiten als Folge der die Arbeitswelt zunehmend prägenden Informations- und Kommunikationstechnologien (Informationsgesellschaft) sowie - in einem sich rasant beschleunigenden Tätigkeitswandel. Speziell für den Wirtschafts-, Wissenschafts- und Technologiestandort Berlin ist zur Durchsetzung gezielter Marketingaktionen mit der Partner für Berlin - Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH ein inzwischen weit über die Grenzen Berlin hinaus bekanntes und ebenso erfolgreiches Unternehmen tätig. Unter Berücksichtigung regionaler und historisch bedingter Gegebenheiten, neuer Aufgaben, Positionen und bewährter Stärken waren und sind z.B. die Aktivitäten des Berliner Senats auf den Abbau teilungsbedingter Disproportionen,
5 Klaus Krakat: 4. AGORA-Workshop in Berlin-Köpenick: Regionale Aspekte der Wirtschaftsentwicklung im Zeichen von europäischer Integration und Strukturanpassung. In: 4. AGORA-Workshop in Berlin-Köpenick vom 5. bis 7. Mai 1997. Workshop i m Rahmen eines ECOSOUVERTURE-Projektes des Bezirksamtes Köpenick mit Partnern aus Malmö, Stettin und BerlinKreuzberg mit Tagung anlässlich der Europa-Woche 1997 zum Thema „Standortmarketing im europäischen Vergleich". FS-Analysen, Sonderheft 1997, S. 6. 6 Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe (Hrsg.): Wirtschaftsbericht Berlin 1999, Stand Juli 1999, S. 8.
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die Stadterneuerung, die Neuorientierung in Wissenschaft und Kultur usw. und damit auf die Ausarbeitung von zukunftsweisenden Integrationskonzepten, das heißt auch auf die Bestimmung eines oder mehrerer Leitbilder (im Sinne von Visionen), für den Wirtschaftsstandort Berlin 7 ausgerichtet. Diese galt und gilt es mit Hilfe einer Berlin-bezogenen Marketingstrategie überzeugend und dauerhaft im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Die Strategien der privaten Unternehmen wurden wiederum in der Regel von den sich wandelnden Rahmenbedingungen des Marktes bestimmt. 1.3 Altindustrielle
Strukturen
als Folge unterlassener Anpassungen
Zu den regionalen und historisch bedingten Gegebenheiten zählen die als Folge der Industrialisierung gewachsenen Strukturen, die in ihrer Blütezeit Beispiele und Quellen für Wirtschaftswachstum waren. Fest steht ebenso, dass sich im Zeitablauf, spätestens nach dem Fall der Mauer, unter dem Druck unterschiedlicher „Megatrends" eine mangelhafte Wirtschaftsdynamik dieser in Berlin existierenden altindustriellen Standorte bemerkbar machte. Verantwortlich waren dafür zunehmende Entwicklungs- und Anpassungsschwächen (aus denen wiederum wirtschaftliche Stagnation resultierte), für die es mehrere Gründe gibt. Zu nennen wären: 1. Strukturkonservierendes Verhalten regionaler Akteure in Verbindung mit staatlichem Dirigismus (unterlassene Modernisierungsinvestitionen in Verbindung mit der Unterdrückung von Markt und Wettbewerb) als typisches Kennzeichen planwirtschaftlich geprägter Industriestrukturen im Ostteil Berlins (Beispiel: Berlin-Oberschöneweide). 2. Staatliche Subventionspolitik mit der Folge von Präferierung und Akzeptanz verlängerter Werkbänke, Erwartungshaltungen oder unbefriedigender Innovationsbereitschafit bei den privaten Unternehmen im Westteil Berlins. Insgesamt hatte es sich gezeigt, dass der Aufbau einer spezifischen regionalen Infrastruktur, die unter anderen Rahmenbedingungen den Zwecken eines Sektors diente, heute nicht mehr oder nicht mehr in dem bisherigen Umfang benötigt wird. Statt dessen bestimmen höherwertige, das heißt Know-how-geprägte Dienstleistungen in zunehmendem Maße das Gesicht Berlins; sie sind mithin die bestimmenden Komponenten des Wandels.
7 Walter Kahlenborn, Meinolf Dierkes, Camilla Krebsbach-Gnath, Sophie Mützel, Klaus W. Zimmermann: Berlin - Zukunft aus eigener Kraft. Ein Leitbild für den Wirtschaftsstandort Berlin. F A B Verlag im Auftrag der Grundkreditbank, Berlin 1995.
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1.4 Bemerkungen zum Strukturbegriff und zu den Erklärungen des sektoralen Strukturwandels Der Strukturbegriff ist mehrdeutig. Er ist nicht allein als Synonym für „Gefüge" aufzufassen, sondern umfasst ebenso die Beziehungen zwischen den Teilen einer Gesamtheit. Im ökonomischen Bereich ist der Begriff im Sinne „der Zusammensetzung definierter Merkmale im Merkmalsraum (z.B. die Branchenverteilung innerhalb einer Volkswirtschaft)" zu verstehen. 8 Von der Wirtschaftswissenschaft wird zudem allgemein anerkannt, dass neben wirtschaftlichen ebenso gesellschaftliche und natürliche Faktoren die Strukturentwicklung einer Volkswirtschaft beeinflussen. 9 Einführend wurde bereits auf die Folgen sogenannter „Megatrends" auf Wirtschaftsstrukturen hingewiesen. Verschiedene Untersuchungen zum sektoralen Strukturwandel befassen sich vor allem mit der Veränderung von Anteilen einzelner Wirtschaftsbereiche und -zweige an den Beschäftigten oder der Produktion einer Volkswirtschaft. Im Zentrum diesbezüglicher aktueller Analysen steht zweifellos der Bedeutungsanstieg des tertiären Sektors. Dieser resultiert aus der zunehmenden Arbeitsteilung und Spezialisierung zwischen den Unternehmen und innerhalb derselben. Er stellt das Ergebnis des Wirtschaftswachstums dar, welches inzwischen immer stärker durch Qualitäts- als durch Quantitätssteigerungen geprägt wird. Als Folge der im Zuge des Wachstumsprozesses stattfindenden Produktionsdifferenzierungen verlagert sich der Ressourceneinsatz in Richtung der Dienstleistungen. Dieser Prozess wird nicht zuletzt durch die immer stärker steigenden Kundenansprüche (Veränderungen in der Nachfragestruktur) an Produktqualitäten initiiert; er führt mithin zu einem erhöhten Einsatz an Dienstleistungen, in deren Mittelpunkt die sogenannten „höherwertigen" Dienstleistungen bzw. wissensbasierten Dienstleistungen (auch als produktionsnahe Dienstleistungen bezeichnet) spezialisierter Anbieter stehen. Dieser Prozess begründet sich vor allem auf der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien und weiteren technologiegeprägten Veränderungen (technologischer Wandel). Mit diesen verbesserten und verbessern sich die allokativen Voraussetzungen unternehmerischer Dienstleistungen und sie verschaffen ihnen damit eine zusätzliche Akzeptanz. Äußerlich zeigt sich dies besonders deutlich im Falle der sogenannten „klassischen" Industrieunternehmen, bei denen eine Entflechtung und Externalisierung produktionsnaher Dienste (Entflechtung der traditionellen Produktion mit vor- und nachgela-
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Stichwort „Struktur", in: Michael Olson u. Dirk Pieckenbrock: Kompaktlexikon Umweltund Wirtschaftspolitik, 3., aktualisierte Auflage. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1998, Lizensausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998, S. 331. 9 Vgl. dazu u. a. Karl Ch. Thalheim: Aufriss einer volkswirtschaftlichen Strukturlehre. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 99. Tübingen 1939, S. 488 ff.
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gerten produktionsunterstützenden Diensten) festzustellen ist. Verbunden sind die damit einhergehenden Prozesse mit einem intrasektoralen Strukturwandel. 10 Der zu beobachtende Strukturwandel, auch in Berlin, ist mithin als eine mit wirtschaftlichen Wachstumsprozessen verbundene Änderung in der Zusammensetzung (Struktur) des gesamtwirtschaftlichen Produktionsergebnisses aufzufassen. Hinsichtlich der Erklärungen des sektoralen Strukturwandels 11 ist zweifellos das Drei-Sektoren-Modell das am weitesten verbreitete. Nach diesem wird die Produktion im primären (landwirtschaftlichen), sekundären (industriellen) und tertiären (dienstleistenden) Sektor erbracht und im Zeitverlauf findet - so die diesbezüglichen weiteren Festlegungen - eine kontinuierliche Beschäftigungsund Produktionsverschiebung vom primären über den sekundären zum tertiären Sektor im Sinne von Fourastié statt. 2. Auswirkungen industrieller Anpassungsprozesse in Berlin Für den Strukturwandel in der Industrie waren und sind seit dem Fall der Mauer verschiedene Gründe verantwortlich, die sich auf die unterschiedlichen Wirkungen von Megatrends zurückführen lassen. Zu nennen wären: 1. Der durch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion hervorgerufene Schock bei den sich auf die Marktwirtschaft vorbereitenden Unternehmen im Ostteil Berlins. 2. Die im Rahmen der Transformation von der Plan- in eine Marktwirtschaft von der Treuhandanstalt durchgefühlten Entflechtungs-, Sanierungs- und Privatisierungsmaßnahmen usw. 3. Der Auslauf der Berlinforderung im Westteil der Stadt sowie ebenso 4. Konjunkturbrüche und Globalisierungsdruck. Davon ausgehend lassen sich wiederum bestimmte, jedoch sich überlagernde Entwicklungsphasen festlegen: 10 Industrie- und Handelskammer zu Berlin (Hrsg.): Entwicklungsstrategien für Industriestandorte in der Region Berlin-Brandenburg. Von der Flächensicherung zur Standortqualifizierung. Regioverlag Dr. Peter Ring, Berlin 1995, S. 95 ff. Tendenziell findet sich diese von Fourastié bereits Ende der 1960er-Jahre vorausgesagte Entwicklung, die bekanntlich auf seinem Erklärungsmodell des sektoralen Strukturwandels basiert (Stichwort: „Drei-Sektoren-Modell"), inzwischen bestätigt. Vgl. hierzu Jean Fourastié: Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts. Köln 1969, S. 122, 269,276. 11 Vgl. dazu u.a. Christoph Juen: Die Theorie des sektoralen Strukturwandels. Konzeptionelle Grundlegungen, Probleme und neuere theoretische Ansätze zur Erklärung des sektoralen Strukturwandels. Bern, Frankfurt am Main u. New York o. J. (1983) sowie Wolfram Gruhler: Dienstleistungsbestimmter Strukturwandel in deutschen Industrieunternehmen. Einzel- und gesamtwirtschaftlicher Kontext, Determinanten, Interaktionen, empirischer Befund. Materialien des Instituts der deutschen Wirtschaft Nr. 6. Deutscher Instituts-Verlag, Köln 1990.
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1. Die Startphase nach dem Fall der Mauer: besonders gekennzeichnet durch die sich als Konsequenz der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion erfolgten ersten Strukturbrüche im Ostteil der Stadt. 2. Die Phase der Transformation von Betrieben auf der Grundlage von Entflechtung und Aufspaltung, Liquidation, Sanierung und Privatisierung durch die Treuhandanstalt in Ost-Berlin (1990/1994). 3. Die Phase der Neuorientierung der Westberliner Industrie nach dem Wegfall der Berlin-Förderung (1994/1995) - Neuorientierungen, bedingt durch den Verlust eines bedeutenden Standortvorteils. 4. Die Phase des Globalisierungsdrucks mit Strukturanpassungszwängen (bereits ab Anfang der Neunzigeijahre zunehmend spürbar und noch andauernd). 2.1 Ausgangssituation und Startphase: Charakteristische Kennzeichen der wirtschaftlichen Situation Berlins 1989/1990 Der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 und der Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (Einigungsvertrag) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zählen nicht nur zu den Rechtsinstrumenten einer Aufhebung und Überwindung der Teilung Deutschlands, sondern bilden darüber hinaus ebenso die Grundlage einer wirtschaftlichen Wiedervereinigung. Besonders in dem über Jahre hindurch geteilten Berlin konzentrierten sich nach dem Fall der Mauer die miteinander verzahnten einigungsbedingten Probleme auf engstem Raum. Diese haben ihren Ursprung in der über Jahre hindurch geteilten Stadt. Berlin war seit 1945 Brennpunkt der Welt- und Deutschlandpolitik, es stellt sich mithin „als Konzentrat der übergeordneten deutschen Nachkriegsgeschichte und des Ost-West-Konflikts dar". 1 2 Aus wirtschaftlicher Sicht prägten folgende Entwicklungstatbestände das Gesicht in den beiden Stadthälften auf unterschiedliche Weise: 1. Der Westteil war einerseits ein nicht konstitutiver Teil der Bundesrepublik, andererseits jedoch ein Bundesland nach Artikel 23 Grundgesetz. Seine relativ unsichere politische Situation resultierte aus seiner Insellage. Diese stellte mithin eine Hürde besonders hinsichtlich der Ansiedlung von Unternehmen dar. Als Wirtschaftsstandort war West-Berlin somit nur durch gezielte wirtschaftspolitische Unterstützungsaktionen zu erhalten: 13 Bereits ab 1962 wurde zur Sicherung
12
Manuel Fröhlich: Berlin. In: Werner Weidenfeld u. Karl-Rudolf Körte (Hrsg): Handbuch zur deutschen Einheit. Aktualisierte Neuausgabe. Bonn 1996, S. 42. 13 Vgl. dazu auch Klaus Krakat: Die Folgen des wirtschaftlichen Umbaus in den neuen Bundesländern für den Wirtschaftsstandort Berlin. In: Der Wirtschaftsstandort Deutschland. Hrsg. von
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der politischen und wirtschaftlichen Stabilität der von Westdeutschland abgeschnürten Teilstadt ein umfangreiches Förderinstrumentarium entwickelt. Die Grundlage bildete dafür das Berlinförderungsgesetz (BerlinFG). Dabei handelte es sich in der Regel um monetäre Transfers, vor allem steuerliche Anreize für Unternehmen und Selbstständige, die den Standort aufwerten sollten. Um Unternehmen für Investitionen zu interessieren bzw. an die Stadt zu binden, wurden bekanntlich außergewöhnlich hohe Subventionen gezahlt. Dabei musste zwangsläufig hingenommen werden, dass die Wirtschaftsförderung besonders für solche industriellen Aktivitäten attraktiv war, die ohne Subventionen kaum angesiedelt worden wären. Die Region entwickelte sich im Zeitverlauf somit zu einem Standort verlängerter Werkbänke mit einem hohen Anteil wenig qualifizierter Tätigkeiten und ausgedünnten Forschungs- und Verwaltungsfunktionen. Mit der Insellage West-Berlins war darüber hinaus keine Verflechtung mit regionalen Zulieferern vorhanden. Kennzeichnend waren weiterhin ein hoher Flächen- und Energiebedarf der niedergelassenen Unternehmen sowie eine Unternehmenskultur, die den Blick für ökonomische Notwendigkeiten verloren hatte. Vor diesem Hintergrund begriff sich der Westteil Berlins bis zum Fall der Mauer einerseits nicht nur als „Leuchtfeuer" und Symbol der Freiheit für die Länder der parlamentarisch verfassten Demokratien und als ein „Schaufenster des Westens", es empfahl sich andererseits auch als eine „Ost-West-Drehscheibe" vor allem mit Blick auf die Wahrnehmung wirtschaftlicher Funktionen. 2. Der Ostteil Berlins wurde mit Billigung der Sowjetunion zu einem Machtzentrum der SED-Führung und zur Hauptstadt der DDR ungeachtet bestehender internationaler Vereinbarungen ausgebaut.14 Hier hatten nicht nur zentrale Leitungs-, Planungs- und Kontrollorgane ihren Sitz, auch Kombinatsleitungen und Außenhandelsbetriebe waren hier vertreten. Ost-Berlin war zudem zu einer der wichtigsten Produktionsstandorte der ehemaligen DDR mit den Schwerpunkten Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau, Leichtindustrie, Maschinen- und Fahrzeugbau und Chemische Industrie ausgebaut worden. Zusammen mit den produ-
Karl Eckart u. Spiridon Paraskewopoulos. Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 53. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1997, S. 90ff.; ders.: Systemtransformation und Strukturanpassung - Faktoren des wirtschaftlichen Wandels am Beispiel der Industrieregion Berlin-Oberschöneweide. In: Revolution und Transformation in der DDR 1989/90. Hrsg. von Günther Heydemann, Gunther Mai und Werner Müller. Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 73. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1999, S. 545-569. Erweiterte Textfassung eines Vortrags, gehalten auf einem Workshop des Historischen Seminars der Universität Leipzig am 30. Januar 1998. 14
Vgl. dazu u.a. Cord Schwartau: Ost-Berlin als Wirtschaftsfaktor. In: Gerd Langguth (Hrsg.), Berlin. V o m Brennpunkt der Teilung zur Brücke der Einheit. Bundeszentrale für politische Bildung. Schriftenreihe, Bd. 288, Studien zur Geschichte und Politik. Bonn 1990, S. 193 ff; oder Klaus Krakat: Die Folgen des wirtschaftlichen Umbaus in den neuen Bundesländern für den Wirtschaftsstandort Berlin, a.a.O., S. 92ff.
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zierenden Handwerksgenossenschaften und den Betrieben der Bauindustrie beschäftigten die Kombinate mit den ihnen unterstellten Volkseigenen Betrieben (VEB) mehr als 300 000 Mitarbeiter. Hinzu kamen umfangreiche Forschungspotenziale: Zahlreiche Institute der staatseigenen Akademie der Wissenschaften (AdW), SED-eigene Zentralinstitute sowie Zentren der Industrieforschung. Insgesamt waren die in Ost-Berlin ansässigen Produktions- und Forschungspotenziale, die wirtschaftsnahen Dienstleistungen sowie der öffentliche Verwaltungsbereich SED-konform ausgerichtet und durch die Zwänge der Zentralplanwirtschaft geprägt. Für sie alle galt die Planerfüllung als verbindliches Ziel und gesamtwirtschaftliches Erfolgskriterium. Ein leistungsfeindliches Entlohnungssystem, kraftlose Prämienanreize, administrativ festgelegte Preise und ausgeprägter Betriebsegoismus bremsten jegliches wirtschaftliches und innovatives Handeln. Kennzeichnend für die zentralplanwirtschaftlichen Strukturen war zudem ein von der SED präferiertes Konzentrationskonzept, welches sich bekanntlich in einer ausgeprägten Betriebsgrößenkonzentration mit Produktions- und Angebotsmonopolen in der Industrie äußerte. 15 Kennzeichnend war schließlich ebenso, dass wesentliche Leistungspotenziale zentralgeleiteter Kombinate und Volkseigener Betriebe nicht nur als Folge der innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) verbindlich festgelegten Arbeitsteilung langfristig gebunden waren. Besonders der Zwang, die aus der Sowjetunion dringend benötigten Rohstoffe, insbesondere Erdöl, stets mit Investitionsgütern zu bezahlen, hatte das Leistungsniveau nicht weniger auch in Ost-Berlin ansässiger Industriebetriebe aufgrund einer jahrelang staatlich verordneten Ausrichtung auf spezielle Bedarfe des russischen Partners auf ein Niveau sinken lassen, das - von einigen Ausnahmen im Bereich des Maschinenbaus abgesehen - den Ansprüchen des internationalen Marktes kaum genügen konnte. Die Folgen der Planwirtschaft und die zunehmenden Mängel im Leistungsvermögen und im Kapitalstock hatten zwangsläufig auch das Gesicht des Wirtschaftsstandortes Berlin-Ost entscheidend geprägt. 16
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Gernot Gutmann u. Hannsjörg F. Buck: Die Zentralplanwirtschaft der DDR - Funktionsweise, Funktionsschwächen und Konkursbilanz. In: A m Ende des realen Sozialismus, Bd. 2: Die wirtschaftliche und ökologische Situation der DDR in den Achtzigerjahren. Hrsg. von Eberhard Kuhrt in Verbindung mit Hannsjörg F. Buck und Gunter Holzweißig im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. Verlag Leske + Budrich, Opladen 1996, S. 39 und 40. 16 Zu den Kennzeichen und Defiziten der DDR-Planwirtschaften und den Gründen ihres Zusammenbruchs vgl. z.B. Gernot Gutmann u. Hannsjörg F. Buck: Die Zentralplanwirtschaft der DDR - Funktionsweise, Funktionsschwächen und Konkursbilanz. In: A m Ende des realen Sozialismus, Bd. 2: Die wirtschaftliche und ökologische Situation der D D R in den Achtzigerjahren. Hrsg. von Eberhard Kuhrt in Verbindung mit Hannsjörg F. Buck und Gunter Holzweißig. Leske + Budrich, Opladen 1996, S. 7-54; oder Klaus Krakat: Probleme der DDR-Industrie im letzten Fünfjahrplanzeitraum (1986-1989/1990). In: A m Ende des realen Sozialismus, Bd. 2, a.a.O., S. 137-176.
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2.1.1 Notwendige Entwicklungszwänge zur Überwindung teilungsbedingter Defizite Zum Zeitpunkt der wirtschaftlichen Vereinigung Mitte des Jahres 1990 präsentierte sich Berlin, geprägt durch die Wirksamkeit unterschiedlicher Wirtschaftsordnungen, mit zwei Gesichtern. Dementsprechend stießen zwei verschiedene Normen- und Wertesysteme aufeinander und in den Bereichen Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft waren nunmehr Doppelstrukturen wie ebenso strukturelle Defizite kennzeichnend für die Stadt. Unter Berücksichtigung derartiger und weiterer Fakten bestimmten daher auch für die in West- und Ost-Berlin ansässige Industrie ab 1990 mit den sich nunmehr verändernden Aktionsbedingungen und den sich anbahnenden Strukturveränderungen die Neuorientierungen. Die durch den Wandel induzierten Zwänge lassen sich rückblickend in folgender Weise zusammenfassen: 17 1. Notwendige Zwänge für die Betriebe im Ostteil Berlins durch Transformation der Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft mit folgenden Schwerpunkten: - Markt statt Plan sowie offener Wettbewerb statt Abschottung und staatlichem Dirigismus, - Kundenorientierung statt Plankennziffern und „weicher" Pläne, - Orientierung auf eine deutliche Erhöhung der Arbeitsproduktivität, - Abbau hierarchisch geprägter und überdimensionierter unflexibler Leitungsund Produktionsstrukturen, - Ausrichtung auf Kernkompetenzen und rentable Geschäftsfelder usw. 2. Notwendige Zwänge für die im Westteil Berlins ansässigen Unternehmen durch - Wettbewerb statt staatlicher Subventionen, - Aufbau innovativer Strukturen statt Erhalt verlängerter Werkbänke, - Verflechtung mit Zulieferern im brandenburgischen Umland usw. 3. Neben den vereinigungsbedingten Zwängen mussten sich die in beiden Stadthälften existierenden Unternehmen bereits ab Anfang der Neunzigerjahre Rahmenbedingungen anpassen, die sich als Folge von Konjunkturbrüchen und Globalisierung der Märkte sowie Internationalisierung der Produktion („Megatrends") ergeben hatten. Strukturveränderungen zugunsten der Dienstleistungen und zulasten der Industrie erforderten zusätzliche Prioritäten. Die notwendigen
17
Vgl. dazu Klaus Krakat: Systemtransformation und Strukturanpassung - Faktoren des wirtschaftlichen Wandels am Beispiel der Industrieregion Berlin-Oberschöneweide. In: Revolution und Transformation in der DDR 1989/90. Hrsg. von Günther Heydemann, Gunther Mai u. Werner Müller. Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 73. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1990, S. 552ff.
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unternehmerischen Anpassungen äußerten sich im Prozess im Einzelnen beispielsweise durch: - Outsourcing wenig rentabler, kostenintensiver betrieblicher Funktionsbereiche bei gleichzeitiger Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten auf erfolgversprechende Kerngeschäfte, - Abbau hierarchischer Strukturen, - Wahl der Produktionsstandorte unter dem Gesichtspunkt der vergleichsweise niedrigsten Kosten, insbesondere der Arbeitskosten 18 mit der Folge einer Abwanderung von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen in Richtung kostengünstiger Standorte, - die Orientierung auf die Erbringung wissensbasierter Leistungen, - eine zunehmende Verflechtung zwischen Industrie und Dienstleistungen, - eine drastische Ausdünnung altindustrieller Produktionsstandorte, - den Aufbau kleingewerblicher und innovativer Strukturen (Gewerbezentren und -höfe, Technologie- und Gründerzentren) mit zunehmendem Dienstleistungsanteil, - Berücksichtigung der sich aus europäischer Integration und Osterweiterung der EG ergebenden Zwänge und Chancen. 2.1.2 Erste kommunalpolitische Weichenstellungen: Zu wirtschaftspolitischen Aufgaben, Maßnahmen und Planungen 1990 Angesichts der erkannten Disproportionen und Notwendigkeiten hatte sich die Berliner Wirtschaftspolitik 1990 zunächst folgende Aufgaben gestellt: 19 1. Sicherung und Ausbau der Attraktivität Berlins als Investitionsstandort. 2. Verwirklichung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West. 3. Förderung des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften und der Stadt mit ihrem Umland. 4. Nutzung des wissenschaftlich-technischen Potenzials, der Dienstleistungsangebote und der Infrastruktur des Westteils der Stadt als Entwicklungskern für den Großraum Berlin. 5. Gewährleistung der Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung bei der Entwicklung der Region.
18 In ihren Entscheidungen wurden und werden insbesondere weltweit operierende Unternehmen durch die hohe Flexibilität des Faktors Kapital begünstigt. Der Faktor Arbeit ist bekanntlich demgegenüber nicht flexibel, sondern in der Regel ortsgebunden. Die Folge einer Verlagerung von Produktionen an andere Standorte (z.B. in den sog. „Speckgürtel" um Berlin, in den Westen Deutschlands oder in das Ausland) ist ein Abbau von Arbeitsplätzen. 19 Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat: 19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft. Hrsg. von der Senatsverwaltung fur Wirtschaft, Stand: November 1990, S. 6 u. 7.
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Hierfür wurde wiederum eine Reihe von Maßnahmen als notwendig erkannt, die nicht zuletzt der Aufwertung vorhandener Standortfaktoren und der Schaffung von Anreizen für die örtliche Industrie sowie neuen Investoren dienen sollten: 1. Erweiterung der Verkehrswege und deren zu verbessernde Verknüpfung mit dem internationalen Verkehrsnetz. 2. Ausbau der Flughafenkapazität für den Großraum Berlin. 3. Entwicklung eines integrierten leistungsfähigen regionalen Verkehrssystems. 4. Übergreifende Sicherstellung von Ver- und Entsorgung. 5. Festlegung regionaler Entwicklungsschwerpunkte im Großraum Berlin für Industrie und Gewerbe sowie für Wohnen und Freizeit. 6. Bereitstellung leistungsfähiger Aus- und Weiterbildungseinrichtungen. Ergänzt wurde dieses Aufgaben- und Maßnahmenbündel durch die Festlegung von Entwicklungszielen in Verbindung mit ersten Leitbildern, die Orientierungsund Argumentationshilfen für einen zukunftsorientierten Ausbau des Wirtschaftsstandortes Berlin geben sollten. 20 2.1.3 Initiativen zur Neuformierung der Forschungs- und Technologielandschaft im Ostteil Berlins - Grundlagen für einen tiefgreifenden Standortwandel In dem von der Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat im November 1990 herausgegebenen Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft hieß es zum Thema „Technologieforderung" einleitend: „Forschung, Entwicklung und der frühzeitige Einsatz neuer Technologien entscheiden langfristig immer mehr über die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften und Regionen. Defizite können sich folgenschwer für die Leistungsfähigkeit ganzer Branchen auswirken." Und weiter an anderer Stelle: „Die spezifischen Standortgegebenheiten in Berlin bieten eine Fülle von Ansatzpunkten für technologische und innovative Kooperation im deutschen und gesamteuropäischen Raum. .. . " 2 1 Ausgangspunkt für derartige Überlegungen und darauf aufbauenden Entwicklungsstrategien, in denen eine veränderte Technologiepolitik den Startschuss für die Förderung technologieorientierter Existenzgründungen bildete, waren zweifellos vor allem die im Ostteil Berlins existierenden Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepotenziale. Die Aktivitäten des Berliner Senats waren auf diese Weise bereits 1990 darauf ausgerichtet, Mittel und Wege zur Unterstützung von Transformation und Strukturerneuerung von Forschung und Wissenschaft der im Ostteil
20
Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat: 19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft, a.a.O., S. 7 u. 8. 21 Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat: 19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft, a.a.O., S. 55.
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Berlins angesiedelten Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen zu finden und deren Integration mit den im Westteil Berlins befindlichen Institutionen zu fördern. Bereits zu dieser Zeit wurde die Idee geboren, insbesondere die in BerlinAdlershof und in Berlin-Buch existierenden Institute der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) zu prägenden Standortfaktoren und zu Partnern der Industrie herauszubilden. Allgemein bestand zunächst Einigkeit darüber, mit dem Ende der DDR auch deren Forschungsstrukturen neu zu ordnen und auf veränderte Zielstellungen auszurichten. 22 Ausschlaggebend waren hierfür zweifellos die vom Wissenschaftsrat im Juli 1990 vorgestellten zwölf Empfehlungen zu „Perspektiven für Wissenschaft und Forschung auf dem Weg zur deutschen Einheit". Sie markierten vor allem für den Ostteil Berlins den Start für eine Neustrukturierung der Forschungsund Wissenschaftslandschaft, die unter anderem mit der Einrichtung von Wissenschaftsparks als künftige Standorte für Forschungs- und Lehreinrichtungen der Hochschulen und Universitäten, für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, für Technologie- und Gründerzentren und nicht zuletzt für die Ansiedlung innovationsorientierter Unternehmen verbunden war. Zwar überlebten elf Institute der ehemaligen AdW die Prüfungen des Wissenschaftsrates; dennoch verloren über 3 000 Wissenschaftler und Techniker ihren Arbeitsplatz als Folge der Abwicklung von AdW-Instituten. Vielen von ihnen blieb keine andere Wahl, als sich selbstständig zu machen und so ihr Know-how marktorientiert zu nutzen. Ausgehend von den gesetzten neuen technologiepolitischen Leitlinien des Berliner Senats entstand der Plan, den einstigen AdWStandort in Adlershof zu einem staatlich geförderten Wissenschaftspark mit angeschlossenem Gründerzentrum zu entwickeln, um innovative Potenziale an den Standort zu binden. In den Sog der sich abzeichnenden Veränderungen geriet auch das einstige Technologie- und Ausbildungszentrum und Rechenzentrum des DDR-Ministeriums für Forschung und Technologie. Bald nach dem Mauerfall wurde diese am Nordrand der Köpenicker Wuhlheide gelegene Institution mit ihren Liegenschaften vom Berliner Senat aufgrund bestehender Restitutionsansprüche des Landes Berlin übernommen. Als Innovationspark Wuhlheide trat es zunächst als Treuhandunternehmen mit 194 Mitarbeitern seinen Weg in die Marktwirtschaft an. Ab 1992 wurde ihm als nunmehr privatisiertem Dienstleistungsunternehmen, be22 Vgl. dazu: Neuordnung der deutschen Forschungslandschaft, Empfehlungen des Wissenschaftsrates. In: Deutschland-Archiv, 24. Jahrgang, Nr. 9/1991, S. 910ff.; Außeruniversitäre Forschung in Ostdeutschland, Stellungnahmen des Wissenschaftsrates. In: Deutschland-Archiv Nr. 9/ 1991, S. 994ff.; R.H. Brocke u. E. Förtsch: Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern 1989-1991. Ausgangsbedingungen und Integrationswege in das gesamtdeutsche Wirtschaftsund Forschungssystem. Institut für Gesellschaft und Wissenschaft (IGW) an der Universität Erlangen-Nürnberg. Dr. J. Raabe Verlags-GmbH, Stuttgart 1991, S. 44ff., darüberhinaus ebenso S. 61 ff.
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dingt durch die Neuorientierungen des Berliner Senats im wissenschaftlich-technischen Bereich, eine standortprägende Leitfiinktion zugewiesen. 2.1.4 Gewerbestandorte, Ausgangsbedingungen und Aktionsparameter der Betriebe im Ostteil Berlins Bedeutende durch Industrie geprägte Gewerbestandorte Ausgehend von der Anzahl der im Produktionsbereich Beschäftigten lassen sich für den Ostteil Berlins mit Stand 1990 insgesamt zehn durch Industrie geprägte zusammenhängende Standorte nennen. In diesen von Elektrotechnik/Elektronik und Maschinenbau dominierten Standorten existierten 1989/1990 rund 200000 Arbeitsplätze. Gemessen an den Arbeitsplätzen ergibt sich folgende Standort-Reihenfolge (vgl. Abb. I ) : 2 4 1. Schöneweide: mit Oberschöneweide im Bezirk Köpenick (Tabbertstraße/Nalepastraße/Wilhelminenhofstraße/Ostendstraße) sowie Niederschöneweide im Bezirk Treptow (Schnellerstraße); beide voneinander durch die Spree getrennt. 2. Lichtenberg: Herzbergstraße/Josef-Orlopp-Straße/Rüdigerstraße. 3. Treptow: Elsenstraße/Hoffmannstraße/Kiefholzstraße. 4. Weißensee: Liebermannstraße/Gehringstraße/Feldtmannstraße/Nüßlerstraße. 5. Ostkreuz: Neue Bahnhofstraße/Boxhagener Straße, Bezirk Friedrichshain. 6. Rummelsburg: Hauptstraße/Köpenicker Chaussee, Bezirk Lichtenberg. 7. Adlershof/Grünau: Mit dem Standort Glienicker Weg/Büchner Weg/Adlergestell im Bezirk Treptow sowie dem angrenzenden Standort Grünauer Straße und Regattastraße im Bezirk Köpenick. 8. Johannisthal: Segelfliegerdamm/Groß-Berliner Damm/Winkelmannstraße im Bezirk Treptow. 9. Storkower Straße: Bezirk Prenzlauer Berg. 10.Marzahn-West/Lichtenberg-Nordost: Allee der Kosmonauten/Rhinstraße/ Landsberger Allee/Wolfener Straße/Wiesenburger Weg.
23
Vgl. weiterhin Klaus Krakat: Zur Innovationsförderung des Berliner Senats - Ein Überblick anlässlich des Besuchs des Innovationsparks Wuhlheide im Rahmen des AGORA-Workshops. In: 4. AGORA-Workshop in Berlin-Köpenick vom 5. bis 7. Mai 1997. Workshop im Rahmen eines ECOS-OUVERTURE-Projektes des Bezirksamtes Köpenick mit Partnern aus Malmö, Stettin und Berlin-Kreuzberg mit Tagung anlässlich der Europa-Woche 1997 zum Thema „Standortmarketing im europäischen Vergleich". FS-Analysen, Sonderheft 1997, S. 48 ff. 24 Vgl. dazu Klaus Krakat: Industriestandorte im Ostteil Berlins 1988/1989 - Grundlage für Industrieflächensicherung und stadträumliche Neukonzeptionen des Berliner Senats. FS-Analysen, Sonderheft Nr. 2/1996; sowie Horst Neriich: Industriell geprägte Arbeitsstättengebiete in Ostberlin, ihre Entwicklung, Struktur und gegenwärtige Veränderung. In: Räumliche Bedingungen und Wirkungen des sozialökonomischen Umbruchs in Berlin-Brandenburg. Hrsg. von Karl Eckart, Joachim Marcinek u. Hans Viehrig. Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 36. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1993, S. 124.
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Schöneweide Lichtenberg Treptow Weißensee Ostkreuz Rummelsburg Adlershof/Grünau Johannisthal Storkower Straße Marzahn-West/ Lichtenberg-Nordost
10 km
Abb. 1 : Die zehn bedeutendsten Industriestandorte im Ostteil Berlins, Stand: 1990
Weitere Industriestandorte befinden sich in den Bezirken Pankow (Areale Buchholzer Str., S-Bahnhof Pankow, Romain-Rolland-Str.) und Friedrichshain (Halbinsel Stralau, Ehrenbergstr./S-Bahnhof Warschauer Str.) usw. Hinsichtlich der ersten acht Standorte handelt es sich um traditionelle Industrieregionen, die zwischen 1890 und 1920 entstanden sind. Die beiden übrigen Standorte wurden nach 1960 aufgrund von Initiativen der DDR-Regierung geschaffen. Mit diesen Industriestandorten und den hier etwa 200 000 Beschäftigten bildete Ost-Berlin noch vor den Großräumen Leipzig und Dresden die größte Industrieregion in der früheren DDR. Komplettiert wurde dies zudem durch eine ebenso hohe Konzentration von Forschung und Wissenschaft (Institute der Akademie der Wissenschaften, Universitäten und Hochschulen, Institutionen der Industrieforschung usw.) in der einstigen DDR-Hauptstadt. Ausgewählte Produktionsbetriebe: Das Beispiel Schöne weide (Köpenick/Treptow) und seine wichtigsten Produktionsstätten 1990 Die Industrieregion Schöneweide gilt allgemein als der wohl auch weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannteste Industriestandort. Dabei handelt es sich um zwei durch die Spree getrennte Areale, nämlich das zu Köpenick gehörende Oberschöneweide und das von Treptow verwaltete Niederschöne weide.
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Insbesondere Oberschöneweide, wo traditionsreiche Unternehmen von Emil Rathenau um die Jahrhundertwende gegründet wurden, gilt im Unterschied zu Siemensstadt weniger als reiner Produktions- und Verwaltungsstandort, sondern ist eher als eine Insel bzw. als eine Stadt mit Industrie, entstanden in den Neunzigeijahren des 19. Jahrhunderts, zu bezeichnen. Es wird durch ein Gemisch aus Bauten der Gründerzeit, Zweck- und verschachtelten Flachbauten, Schuppen, Transportanlagen sowie Provisorien der Folgezeit gebildet, das von der dazugehörigen Wohnstadt nicht zu trennen ist. 2 5 Darüber hinaus bildet Oberschöneweide bis heute ein oft zitiertes Beispiel für den ab 1990 vollzogenen und noch andauernden Strukturwandel mit Blick auf eine Neuprofilierung dieser Region. 26 Noch 1990 existierte hier eine umfangreiche Palette von Produktionsbetrieben. Zu diesen zählten zunächst im Bereich von Wilhelminenhofstraße/Ostendstraße/ Tabbert- und Nalepastraße: - BAE Batterie GmbH (Hauptwerk), Wilhelminenhofstr. 68/69 (vormals: VEB Berliner Akkumulatoren- und Elementefabrik), 1990: 850 Beschäftigte (ohne Betriebsteile in Taubenheim/Sachsen und Berlin-Treptow), - KWO Kabel AG (vormals VEB Kombinat Kabelwerk Oberspree „Wilhelm Pieck", Kombinatsleitung mit Leitungsbereichen), Wilhelminenhofstr. 83-85, - Kabelwerk Oberspree GmbH, Wilhelminenhofstr. 76/77 (vormals: Stammbetrieb des Kombinats/Hauptbetrieb), 1990: 4 500 Beschäftigte (einschl. Werksteil Tabbertst. 14), - Kabelwerk Oberspree GmbH, Betriebsteil, Tabbertstr. 14, - TRO-Transformatoren und Schaltgeräte GmbH, Wilhelminenhofstr. 83-85 (vormals: VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht" Berlin-Oberschöneweide, Hauptwerk); 1990: 2 946 Beschäftigte (einschl. weiterer Betriebsteile in Oberschöneweide), - Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke GmbH (Werk III), Wilhelminenhofstr. 89a (vormals: VEB Berliner Metallhütten- und Halbwerkzeugwerke), - Werk für Fernsehelektronik GmbH, Ostendstr. 1-4 (vormals: VEB Werk fur Fernsehelektronik; 1990: 7 868 Beschäftigte). 25 Vgl. in diesem Sinne Dieter Hoffmann- Axthelm: Eine Perspektive für Oberschöneweide? In: Bauwelt Nr. 37 vom 2.10.1992, 83. Jg., S. 2158f. 26 Zum Strukturwandel in Oberschöneweide vgl. Klaus Krakat: Deutsche Industrieregionen: Strukturwandel am Beispiel des Industriestandortes Oberschöneweide in Berlin. In: Berlin-Brandenburg. Raum und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum. Hrsg. von Karl Eckart u. Klaus Birkholz, Schriftenreihe der Gesellschaft fur Deutschlandforschung, Bd. 67. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1999, S. 219 ff. sowie ders.: Der Bezirk Köpenick. Partner von lokalen Akteuren aus verschiedenen Regionen im Rahmen eines ECOS-OUVERTURE-Projektes. Eine Standortanalyse im Auftrag des Bezirksamtes Köpenick, Bereich Wirtschaftsforderung, anlässlich des Projektabschlusses am 30. November 1998. FS-Analysen, Sonderheft 1998 sowie Sonderinformation des Bezirksamtes Köpenick von Berlin (gleichen Inhalts), Januar 1999.
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Zwischen Schnellerstaße und Spree (Niederschöneweide im Bezirk Trept o w 2 7 ) hatten unter anderem folgende Betriebe ihren Sitz: - Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke GmbH, Werke I und II, Schnellerstr. 131—134/Fließstr. (vormals: VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke), 1990: 1 840 Beschäftigte (in allen drei Werken), - Bärenquell-Brauerei Berlin GmbH, Schnellerstr. 137 (vormals: VEB Brauerei Bärenquell Berlin), 1990: 274 Beschäftigte, - Lacufa AG, Schnellerstr. 141 (vormals: VEB Kali-Chemie Berlin, Stammbetrieb des VEB Kombinat Lacke und Farben), 1990: 4250 Beschäftigte (einschl. Tochtergesellschaften), Das Beispiel Industriestandort Herzbergstraße in Berlin-Lichtenberg Dieser Standort an der Vulkanstraße, durchschnitten von Herzbergstraße, Josef-Orlopp-Straße und Siegfriedstraße, kann als das vielleicht zweitgrößte industrielle Ballungszentrum im Ostteil Berlins bezeichnet werden. Bereits zu DDRZeiten hatte hier eine breite Palette von Produzenten und Dienstleistern ihren Sitz. 1990 (und 1991) existierten hier noch folgende Betriebe: 28 - Berliner Universal-Verpackungs-GmbH, Herzbergstr. 26 (1990: 250 Beschäftigte), - MEGU Metallguß GmbH Berlin, Herzbergstr. 30-32 (1990: 85 Beschäftigte), - MAB Metallrohstoffe Holding GmbH, Herzbergstr. 35-36, - Berlin-Brandenburgische Häute GmbH, Herzbergstr. 51-54 (1990: 46 Beschäftigte), - Industrierohrleitungsmontagen Berlin GmbH, Herzbergstr. 55-57 (1990: 686 Beschäftigte), - Progas-MinolFlüssiggas-Vertriebs-GmbH, Herzbergstr. 74-76 (1990: 70 Beschäftigte) - Berliner Lufttechnische Anlagen und Geräte GmbH, Herzbergstr. 87-89 (1990: 1 481 Beschäftigte), - Berliner Transport GmbH, Herzbergstr. 105 (1990: 615 Beschäftigte), - SHB Stahlbau Berlin GmbH, Herzbergstr. 117 (1990: 86 Beschäftigte), - VEM Gießerei- u. Maschinenbau GmbH, Herzbergstr. 119-124 (1990: 501 Beschäftigte), - M.E.U. Maschinen und Engineering Umwelttechnik GmbH Lichtenberg, Herzbergstr. 128-139 (ehem. VEB Elektrokohle Lichtenberg),
27 Zu weiteren Produktionsbetrieben am Standort Schnellerstraße vgl. Klaus Krakat: Industriestandorte im Ostteil Berlins 1988/1989 - Grundlage für Industrieflächensicherung und stadträumliche Neukonzeptionen des Berliner Senats, a.a.O., S. 53. 28 Zusammengestellt nach: Offizielles Firmenverzeichnis der Treuhandanstalt, 1. Ausgabe 1991. Hrsg.: Treuhandanstalt. Verlag Hoppenstedt & Co, Darmstadt, März 1991.
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- Elektrokohle Lichtenberg AG, Herzbergstr. 128-139 (ehem. VEB-Leitung, ab 1990 Betrieb mit Holdingcharakter), - BESTAHL Stahlbau GmbH Berlin, Herzbergstr. 140 (1990: 760 Beschäftigte), - Ko-BekBekleidung GmbH, Josef-Orlopp-Str. 32-35 (1990: 54 Beschäftigte), - Stadtkonditorei Berlin GmbH, Josef-Orlopp-Str. 38-42 (1990: 267 Beschäftigte), - Auto-Service Berlin GmbH, Josef-Orlopp-Str. 59-65, - Berliner Möbelwerkstätten GmbH, Josef-Orlopp-Str. 91 (1990: 110 Beschäftigte), - Berliner SERO Recycling GmbH, Josef-Orlopp-Str. 97-99 (1990: 733 Beschäftigte). Veränderte Aktionsparameter für die Betriebe im Ostteil Berlins Im Verlauf des Jahres 1990 mussten sich im Ostteil Berlins Geschäftsleitungen und Personal von Betrieben auf die bevorstehende Vereinigung der beiden deutschen Staaten sowie die Forderungen und Wirksamkeit marktwirtschaftlicher Gesetze einstellen. Die Situation wurde vor allem durch Regelungen und Maßnah90
men zur Realisierung des Vereinigungsprozesses, aber ebenso durch falsche Vorstellungen über die Marktwirtschaft oder fehlendes kaufmännisches Knowhow in den Betrieben sowie nicht zuletzt von den planwirtschaftlich geprägten Produktionsstrukturen der Betriebe geprägt. 30 Im gegebenen Zusammenhang sind folgende Fakten von Bedeutung: a) Wesentliche Vereinbarungen und Maßnahmen zur Realisierung der Vereinigung beider deutscher Staaten, und zwar: - Der „Beschluss zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) vom 1. März 1990". 31
29 Klaus Krakat: Die Folgen des wirtschaftlichen Umbaus in den neuen Bundesländern für den Standort Berlin. In: Der Wirtschaftsstandort Deutschland. Herausgegeben von Karl Eckart und Spiridon Paraskewopoulos. Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 54. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1997, S. 102f. 30 U.a. festgestellt von einem Forscherteam der Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen (FS), Berlin, des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF) der T U Berlin und der Gesellschaft für interdisziplinäre Technikforschung, Technologieberatung, Arbeitsgestaltung mbH (GITTA), Berlin. In: Vorgezogener Bericht der Pilotphase des gemeinsamen Forschungsprojektes (30. Mai 1990) und Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Probleme der Umstellung von Industriebetrieben der neuen Bundesländer auf die Marktwirtschaft", Berichtszeitraum: 1. November 1990-31. Dezember 1991. Berlin, im März 1992. 31
Gesetzblatt der DDR vom 8. März 1990, Teil I, Nr. 14, S. 107 sowie die Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften, a.a.O., S. 108.
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- Unterzeichnung des Einigungsvertrages im Mai 1990. - Der „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozial• m 33 union . - Das „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990" 3 4 und - der Bundestagsbeschluss vom 20. Juni 1991, die bereits gekührte Hauptstadt Berlin auch zum künftigen Parlaments- und Regierungssitz des vereinigten Deutschlands zu erklären (Berlin-Beschluss). 35 b) Die Folgen der Umstellung auf die D-Mark: - Erstellung einer DM-Eröffnungsbilanz mit Neubewertung des betrieblichen Kapitalstocks, der in nicht wenigen Fällen den Marktwert alter oder heruntergewirtschafteter Produktionsanlagen in Richtung Null tendieren ließ. - Umstellung auf die D-Mark mit der Folge der Offenlegung eklatanter Wettbewerbsschwächen der Betriebe, die im betriebswirtschaftlichen Bereich zudem durch die Beibehaltung planwirtschaftlicher Betriebsstrukturen, die Akzeptanz unrentabler Geschäftsfelder, ungenügende Arbeitsproduktivität oder falsch gesetzte Prioritäten ergänzt wurden. c) Nutzung wirtschaftlicher Freiheiten: Gründung neuer Unternehmen - Beginn des Strukturwandels in den industriellen Ballungszentren Ost-Berlins bereits im Verlauf des Jahres 1990: - Ausgründungen kleiner Betriebseinheiten aus gewachsenen Stukturen planwirtschaftlicher Prägung in der Form eines Management-Buy-Outs. - Erste Existenzgründungen durch bereits arbeitslos gewordene bzw. durch Arbeitslosigkeit bedrohte Beschäftigte. 2.1.5 Die Aufstellung einer D-Mark-Eröffnungsbilanz und deren Folgen Mit der Einfuhrung der Währungsunion am 1. Juli 1990 waren bekanntlich sämtliche DDR-Betriebe aufgefordert, ihr Vermögen, ihre Schulden und ihr Eigenkapital völlig neu zu bewerten. Daraus resultierte der Auftrag, im Verlauf des Jahres 1990 sowie auch noch 1991 rückwirkend zum Stichtag 1. Juli 1990 eine Eröffnungsbilanz zu erarbeiten und vorzulegen. Dazu war eine Umstellung
32 Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung, Bulletin Nr. 104. Bonn, den 6. September 1990, S. 877 ff. 33
Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung, Bulletin Nr. 63. Bonn, den 18. Mai 1990, S. 517ff. 34 35
Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 33 vom 12. Juni 1990, S. 300ff.
Vgl. u.a. Hans Georg Lehmann: Deutschland-Chronik 1945 bis 1995. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 332. Bouvier Verlag, Bonn 1995, S. 466.
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des Rechnungswesens der DDR-Betriebe (System von Rechnungsführung und Statistik) auf die Regelungen des Handelsgesetzbuches erforderlich. 36 Die damit verbundenen Arbeiten waren für viele Betriebe mit Schwierigkeiten verbunden, weil dazu das notwendige Wissen fehlte und eine korrekte Neubewertung von Vermögensteilen mit Problemen verbunden war. Im gegebenen Zusammenhang stellte sich besonders im Falle von Industriebetrieben die Frage nach dem Alter und dem Verschleißgrad von Fertigungsanlagen. Nicht wenige Betriebe waren nach vollzogener Neubewertung mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Fertigungsanlagen bzw. Teile von ihnen von einem Tag zum anderen nichts mehr wert waren oder nur noch mit einem geringen Wert in der Eröffnungsbilanz ausgewiesen werden konnten. Dies musste nicht nur zu roten Zahlen fuhren, sondern signalisierte ebenso zwangsläufig mangelhafte Chancen für einen erfolgreichen Aufbruch in die Marktwirtschaft. Um reelle Startchancen zu gewährleisten, mussten jedoch in allen Betrieben zunächst Arbeitsplätze abgebaut werden. Damit begannen die industriellen Strukturbrüche, von denen auch die im Ostteil Berlins ansässigen Betriebe nicht verschont blieben. Gute Chancen hatten oftmals solche Betriebe, welche zu DDR-Zeiten im Bereich der zentralgeleiteten Industrie angesiedelt, in Staatsaufträge eingebunden, exportorientiert tätig waren und so die zuletzt immer dringender benötigten Devisen erwirtschafteten. Für sie, insbesondere für die sogenannten „Vorzeigebetriebe" aus dem Verarbeitungsmaschinenbau oder aus dem Mikroelektronikbereich, war ein vergleichsweise höherer Stand der Produktionsautomatisierung charakteristisch. Aber auch bei ihnen war die produktionstechnische Ausstattung in ihrer Altersstruktur zum Teil sehr heterogen. Vor dem Hintergrund derartiger Tatbestände waren 1990 auch im Ostteil Berlins folgende Entwicklungen charakteristisch: - Viele hochqualifizierte Ingenieure und Facharbeiter erlagen den lukrativen Angeboten der westdeutschen Industrie: Sichere Arbeitplätze und verlockende Gehälter. - Zudem setzte - wie schon an anderer Stelle vermerkt - bereits während des ersten Halbjahrs 1990 eine Aufweichung einstiger Kombinats- und VEBStrukturen ein: Betriebe spalteten sich von den Zwangsverbunden ab und es erfolgten Herausgründungen aus einzelnen Betrieben (Beispiele aus BerlinOberschöneweide, Bezirk Köpenick: Ausgründungen aus dem Werk für Fern-
36 Diese Umstellung hatte der Gesetzgeber mit dem D-Mark-Bilanzgesetz ( D M B i l G ) geregelt, das am 29. Septemer 1990 inkraftgetreten ist. Vgl. dazu Klaus von Wysocki: Die D-Markeröffnungsbilanz von Unternehmen in der DDR (unter Mitarbeit von Roland Dietl u.a.). Schriftenreihe Der Betrieb, Schäffer Verlag für Wirtschaft und Steuern GmbH, Stuttgart 1990; sowie Jörg Baetge (Hrsg.): Probleme der Umstellung der Rechnungslegung in der DDR. IDW-Verlag GmbH, Düsseldorf 1991.
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sehelektronik oder aus der TRO Transformatoren- und Schaltgerätegesellschaft 37 ). 2.1.6 Zur Startsituation der Westberliner Industrie: Ausgangsbedingungen und Produktionsstandorte Die Startsituation der im Westteil der Stadt angesiedelten Unternehmen, einschließlich Industrie, war nach dem Fall der Mauer durch eine Vereinigungseuphorie gekennzeichnet: Die nunmehr existierende Aussicht auf positive Effekte eines zu erwartenden Umzugs von Regierung und Parlament nach Berlin, der enorme Nachholbedarf in Ost-Berlin und Ostdeutschland mit Blick auf Konsumund Investitionsgüter aus dem Westen sowie nicht zuletzt ebenso die relativ günstige Lage der Stadt mit Anbindungen nach Mittel- und Osteuropa ließen in der Privatwirtschaft Optimismus aufkeimen. Die damit verbundenen Erwartungen wurden Zumindestens kurzfristig in Form von Umsatzsteigerungen 1990/ 1991 erfüllt. Auch im Westteil der Stadt existierten 1990 in Jahrzehnten gewachsene Industriestandorte mit Tradition. Dabei handelte es sich in nicht wenigen Fällen um betriebliche Industriekonzentrationen, die nicht nur die Struktur mancher Stadtoder Ortsteile prägten, sondern diesen sogar den Namen der Unternehmensgründer verlieh (Siemensstadt, Borsigwalde). In der Regel befanden sich in jedem West-Bezirk Standorte mit unterschiedlich hoher Industriedichte und Unternehmen, die zum Teil auch noch heute strukturprägend tätig sind. Zu nennen sind insbesondere (ausgewählte Beispiele für Standorte und Unternehmen, Stand: 1990; vgl. dazu auch Abb. 2): 1. Der Bezirk Berlin-Spandau mit großflächigen Industrieansiedlungen in Haselhorst, Hakenfelde, Gartenfeld, Siemensstadt. 2. Der Bezirk Berlin-Tempelhof mit Standorten in Mariendorf (Industriegebiet S-Bahn-Trasse/Ringstraße/Großbeerenstraße), Marienfelde (Industriegebiet S-Bahn-Trasse/Motzener Straße) und das Industriegebiet Oberlandstraße (südlich des Flughafens Berlin-Tempelhof gelegen): Zu den in Mariendorf in jener Zeit tätigen Unternehmen zählten die Schindler Aufzügefabrik GmbH, Siemens Fernschreib- und Signaltechnik usw. Den Ortsteil Marienfelde prägten wiederum Unternehmen wie I B M Deutschland GmbH (Produktionsschwerpunkte: Geldausgabegeräte und Plattenspeicher), Fritz Werner AG (Produktionsschwerpunkt: Werkzeugmaschinen und damit verbundene Automatisierungslösungen) usw. Im Industriegebiet Oberlandstraße, Ortsteil Tempelhof, hatten wiederum fol-
37 Darauf wird an späterer Stelle im Rahmen der Anpassung von Beispiel-Betrieben aus Oberschöneweide an die sich wandelnden Aktionsbedingungen näher eingegangen.
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gende Unternehmen ihren Sitz: Bahlsen KG, Elektrolux GmbH, Dassbach-Küchen F.W. Dassbach GmbH & Co, Krupp Stahlbau Berlin GmbH, Ravene Stahl, Preussag, Druckfarbenfabrik GmbH usw. Der Bezirk Berlin-Reinickendorf wies insbesondere folgende Standorte auf: Das Industriegelände von Borsig und eine Reihe weiterer strukturprägender Werke anderer Unternehmen in Tegel oder das Industriegebiet entlang von Nord-Süd-S-Bahn-Trasse und Mauer (Ortsteil Reinickendorf, Bezirksgrenze zu Berlin-Pankow). Folgende Standorte waren für den Bezirk Berlin-Tiergarten besonders strukturprägend: Zunächst ein Industriegebiet an der Spree (Helmholtzstraße/Dovestraße/Franklinstraße). Hier hatten 1990 Unternehmen wie Guhl Kosmetik, KPM - Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin oder die ZN Berlin der Siemens AG ihren Sitz. In unmittelbarer Nähe findet sich ein weiteres Industriegebiet (Neues Ufer/Sickingenstraße/Reuchlinstraße/Kaiserin-Augusta-Straße/ Huttenstraße), Standort der Unternehmen Herlitz, K W U (Siemens) usw. Der Bezirk Berlin-Steglitz wies zwei große Areale auf: Die Produktionsstandorte Teltowkanal/Stichkanal/Beeskowdamm/Goerzallee mit Unternehmen wie Krone GmbH, Spinnstoffabrik Zehlendorf und Zeiss Ikon AG sowie Teltowkanal/Siemensstraße, geprägt durch das hier ansässige BEWAG-Kraftwerk und weitere Unternehmen in dessen unmittelbarer Nähe. Für den Bezirk Berlin-Wedding lassen sich insbesondere folgende zwei eng nebeneinanderliegende Areale nennen: Der Schering-Standort, begrenzt durch Müllerstraße/Fennstraße/Sellerstraße (nahe U-Bahnhof Reinickendorfer Str.) sowie der Standort der einstigen Firmen Nixdorf und Deutsche Vergaser Gesellschaft, begrenzt durch Gustav-Meyer-Allee/Voltastraße/Hussitenstraße (nahe S-Bahnhof Humboldthain). Im Bezirk Berlin-Neukölln ist das Industrieareal Lahnstraße/Grenzallee/Neuköllnische Allee/Britzer Zweigkanal/Teltowkanal zu nennen. Hier hatten u.a. folgende Unternehmen ihren Sitz: AEG-Telefunken, Melitta Papierfabrik GmbH & Co KG, Biotronik Meß- und Therapiegeräte GmbH & Co KG, Thoben Kuchen GmbH & Co Betriebs KG, Philip Morris, Altmann & Böhring GmbH usw. Für den Bezirk Berlin-Schöneberg ist vor allem das im Bereich von S-BahnTrasse/Alboinstraße gelegene Industrie- und Gewerbeareal hervorzuheben.
Natürlich bestanden sowohl in den genannten wie auch in nicht genannten Bezirken weitere Industriestandorte und Produktionsstätten. Insgesamt existierte 1990 im Westteil Berlins eine relativ breite Palette von Standorten mit teilweise hohen Produktionskonzentrationen (vgl. Abb. 2), obwohl sich bereits bis zum Ende der Achtziger-/Anfang der Neunzigerjahre bei einigen von ihnen ein Abbau der Industrieproduktion bemerkbar gemacht hatte, der jedoch mit einem Anwachsen von Dienstleistungsangeboten einherging. Betroffen waren von derartigen Strukturwandlungen, die sich bis weit in die Neunzigeijahre hineinzogen, z.B.:
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1 Spandau 11 12 13 14
Haselhorst Hakenfelde Gartenfeld Siemensstadt
2 Tempelhof 21 Mariendorf 22 Marienfelde 23 Ind.-Geb. Oberlandstraße
3 Reinickendorf 31 Borsiq-Gelände 32 Ind.-Geb. Holzhauser Str. 33 Ind.-Geb. Bf. Wilhelmsruh
4 Tiergarten 41 Ind.-Geb. Helmholtzstr./Franklinstr. 42 Ind.-Geb. Sickingenstr./Huttenstr.
5 Steglitz 51 Ind.-Geb. Beeskowdamm/Goerzallee 52 Ind.-Geb. Teltowkanal/Siemensstr.
6 Wedding
61 Schering-Gelände 62 Ind.-Geb. Voltastraße
7 Neukölln Ind.-Geb. Lahnstr./Grenzallee/ Neuköllner Allee
8 Schöneberg Ind.-Geb. Alboinstr./S-Bahn-Trasse
Abb. 2: Wesentliche Produktionsstandorte im Westteil Berlins (Stand 1990, Beispielsammlung)
1. Der einstige AEG-Standort in Berlin-Wedding: Statt Industrieproduktion Aufbau des Technologie- und Innovationsparks Berlin (TIP) mit dem Berliner Innovations· und Gründerzentrum (BIG) 3 8 . 2. Das Areal zwischen Spree, Kirchstraße, Alt-Moabit und Stromstraße im Bezirk Tiergarten als weiteres Beispiel für eine Umnutzung einstiger Industrieflächen und Produktionsstätten 39, bestehend aus drei Baukomplexen: - Umbau der ehemaligen Meierei C. Bolle zum Standort von Dienstleistungen (Hotel Sorat, Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte, Verwaltungen usw.), - Büroneubau auf brachliegenden Industriearealen: Der Neubau des heutigen Bundesministeriums des Innern, - Aufbau des Dienstleistungs- und Gründerzentrums Focus Teleport für Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche auf dem Gelände der Kampffmeyer-Mühlen und der Porzellan-Manufaktur Schomburg ab 1985.
3 8
G e g r ü n d e t 1983. T I P u n d B I G w a r e n n a c h d e m M a u e r f a l l b e i s p i e l g e b e n d für d e n A u f b a u
weiterer Innovationsparks sowie Technologie- und Gründerzentren vor allem in Berlin u n d i n den neuen Bundesländern. 3 9
V g l . dazu u.a. B e r l i n : O f f e n e Stadt, D i e Stadt als A u s s t e l l u n g , D e r W e g w e i s e r . N i c o l a i s c h e
V e r l a g s b u c h h a n d l u n g B e u e r m a n n G m b H , B e r l i n 1999, S. 11 f.
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3. Der Standort Borsigwalde: Bedeutungsrückgang von Borsig als einst strukturbestimmendes Produktionsunternehmen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgrund umfangreicher Kriegsschäden, Demontagen nach dem Kriegsende sowie Produktionsverlagerungen. 40 2.2 Der Transformationsprozess: Strukturelle Auswirkungen von Entflechtung, Liquidation, Sanierung und Privatisierung durch die Treuhandanstalt in Ost-Berlin Nach dem Fall der Mauer stand fest, dass es für eine Transformation der Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft keine Lösungsmodelle gab. 4 1 Auf der Ebene der Betriebe ist der Treuhandanstalt bekanntlich die Aufgabe zugewiesen worden, hier die Transformation zu gewährleisten. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten erfolgte unerwartet und konnte nicht geplant werden. Der Rahmen der der Treuhandanstalt zugewiesenen Aufgabe einer Transformation aller bis 1990 planwirtschaftlich ausgerichteten Betriebe in marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen war mit dem Treuhandgesetz abgesteckt, das die Volkskammer der DDR am 17. Juni 1990 beschlossen hatte. 42 Wesentlich war zudem, dass die zum 1. Juli 1990 in Kapitalgesellschaften umgewandelten Betriebe weder über eine DM-Eröffnungsbilanz noch über hinreichende Liquiditätsreserven verfugten. Von derartigen und weiteren Fakten ausgehend, umfasste die Aufgabe der Treuhandanstalt insbesondere
40 Der Strukturwandel des Borsigstandortes setzte bereits bald nach Kriegsende als Folge massiver Demontagen der Alliierten und einer daraus resultierenden Verlagerung wesentlicher Produktionen nach Pankow/Wilhelmsruh ein. In Tegel verblieben dennoch Teile des Unternehmens, die jedoch an die einstige große Bedeutung des mit dem Namen Borsig verbundenen Standortes nicht mehr anknüpfen konnten. Anfang der 1990er-Jahre wurde die Metallverarbeitung aus Tegel zurückgezogen. 41 Vorliegende Arbeitsergebnisse des früheren Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands konnten aufgrund mangelnder Aktualität nicht oder kaum genutzt werden. Vgl. dazu weiterhin Klaus Krakat: Systemtransformation und Strukturanpassung - Faktoren des wirtschaftlichen Wandels am Beispiel der Industrieregion Berlin-Oberschöneweide, a.a.O., S. 546 ff. 42
Hinsichtlich der Gründung der Treuhandanstalt und der ihr zugewiesenen Aufgaben wird im gegebenen Zusammenhang verwiesen auf: Beschluss zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) vom 1. März 1990. In: Gesetzblatt der D D R vom 5. März 1990, Teil I, Nr. 14, S. 107ff. (sog. „Modrow-Treuhand"); Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990. In: Gesetzblatt der DDR vom 22. Juni 1990, Teil I, Nr. 33, S. 300ff.; Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991. In: Bundesgesetzblatt Nr. I 1991, S. 7 6 6 f f ; Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen - Spaltungsgesetz (SpTrUG) vom 5. April 1991. In: Bundesgesetzblatt Nr. I 1991, S. 854 ff.
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1. Die Entflechtung bestehender uneffektiver Monostrukturen, verbunden mit Hierarchieabbau und neuen Aufbau- und Ablauforganisationen sowie Präferierung von Herausgründungen und Standortkonzentrationen. 2. Sozialverträgliche Abwicklung, Liquidation und Stilllegung solcher Betriebe und Betriebsteile, fur die keine Überlebensaussichten unter den neuen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen erwartet werden konnten. 3. Sanierungsmaßnahmen für betriebliche Kernbereiche (Analyse der Erfolgsaussichten, Sofortmaßnahmen vor allem durch Liquiditätssicherung, Vorgaben zur Erstellung eines Unternehmenskonzepts (mit Markt- und Kundenorientierung) und dessen Umsetzung). 4. Privatisierung
(Suche nach geeigneten Investoren).
Im Rahmen der daraus resultierenden Aufgabenlösungen hatte es sich herausgestellt, dass ζ. B. mit Blick auf den Privatisierungsfortschritt besondere Problemlösungen seitens der Treuhandanstalt als notwendig erachtet wurden. Hierzu zählten u.a. - Privatisierungen auf Management Buy-Out-/Management-Buy-In-Basis, 43 - das Konzept der sog. Management-KGs, das einerseits der Unterstützung der in eine KG übernommenen Betriebe und andererseits als Vorbereitung für deren Privatisierung diente, oder
43 Management-Buy-Out (MBO) gehört zu den sog. Buy-Out-Komponenten, die ab 1990 im Rahmen von Privatisierungsbemühungen der Treuhandanstalt in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses rückten. Bereits im Verlauf des Jahres 1990 waren erste Herauslösungen von Betriebseinheiten (Spin-offs) und deren Übernahme durch Management und Mitarbeiter wie Beispiele aus Berlin-Oberschöneweide zeigen, zu verzeichnen. Da bis Mai 1991 für die mehr als 4000 ostdeutschen Betriebe noch immer keine Übernahmeangebote vorlagen, begann die Treuhandanstalt M B O als Privatisierungsstrategie zu nutzen. I m Einzelnen handelte es sich hierbei um den Erwerb der Gesellschaftsanteile durch das bestehende Management. I m Falle der weiteren Buy-Outs bestand zunächst die Möglichkeit des Erwerbs der Geschäftsanteile durch einen bzw. mehrere externe Manager (Management-Buy-In, MBI). Darüber hinaus waren MBO-/MBI-Mischungen und der Erwerb von Geschäftsanteilen durch Mitarbeiter des Betriebes (Mitarbeiterbeteiligungen bzw. Belegschafts-Buy-Outs) möglich. Besonders zur Privatisierung auf MBO-Basis sind zahlreiche Veröffentlichungen erschienen sowie Veranstaltungen, Beratungen und Analysen durchgeführt worden. Vgl. dazu u.a.: Management-Buy-Out in den neuen Bundesländern als Weg zur Privatisierung. Hrsg. vom Bundesministerium für Wirtschaft, Stand: August 1991; Klaus Krakat: MBO-Unternehmen im Ostteil Berlins vor dem Hintergrund von Strukturveränderungen. Eine Wirtschaftsanalyse. FS-Analysen, Sonderheft 1993 oder Jörg Lennardt u. Milos Stefanovic (Hrsg.): Management-BuyOut, Vorbereitung und Umsetzung in den neuen Bundesländern. Ein Leitfaden. IDW-Verlag GmbH, Düsseldorf 1994. Hinsichtlich der Beratungen hatte sich vor allem die AGP, Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft e.V. hervorgetan.
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die Bildung sog. „industrieller Kerne", mit welcher über gezielte Fördermaßnahmen des Landes Berlin die Sicherung des Bestandes noch zu privatisierender Treuhandbetriebe erreicht werden sollte (vgl. auch Übersicht 3 ) . 4 4 Übersicht 3
Das B-9-Modell des Berliner Senats:„Industrielle Kerne" i m Ostteil Berlins BAE Batterie GmbH, Berlin-Oberschöneweide
Privatisierung über MBO/MBI, 20 %Anteil der Belegschaft
Becon Classic GmbH, Berlin-Lichtenberg
Kooperationsvertrag mit Hugo Boss, Privatisierung in Vorbereitung, Sicherung von 300 Arbeitsplätzen
BWF Berliner Werkzeugmaschinenfabrik GmbH, Berlin-Marzahn
Rd. 6,3 Mio. D M aus GA-Mitteln erhalten, Privatisierung angestrebt
Bezifa Berliner Zigarrettenfabrik GmbH, Berlin-Pankow
1993 THA-Verhandlungen mit drei Kaufinteressenten, 150 Arbeitnehmer, Kurzarbeit
Elektrokohle Lichtenberg AG
1992: 919 Beschäftigte, Privatisierungschancen durch Arbeitsplatzabbau
Fahrzeugausrüstungen Berlin GmbH, Berlin-Treptow
Standortverlagerung nach DahlwitzHoppegarten 1993 mit 800 Beschäftigten geplant
Kühlautomat Berlin GmbH, BerlinTreptow
Bestandssicherung durch rd. 4,3 Mio. D M aus GA-Mitteln, drohender Abbau der rd. 800 Arbeitsplätze 1993
Niles Werkzeugmaschinenfabrik GmbH, Berlin-Weißensee
Verkauf an Fritz-Werner Werkzeugmaschinen AG mit rd. 400 Arbeitnehmern 1993
Proluxmaschinenbau GmbH, BerlinFriedrichshain
Privatisierung 1993 aus der Liquidation heraus, Investitionszusage 13 Mio. DM, 168 zugesagte Arbeitsplätze
Neben Mitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA-Mittel) dienten der Förderung Landesbürgschaften, Infrastrukturmaßnahmen, Altlastenübernahmen Zusammengestellt nach Informationen aus der Treuhandanstalt und der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe.
44
Vgl. Klaus Krakat: Zum Dilemma von Strukturanpassung und Strukturerhaltung in den neuen Bundesländern vor dem Hintergrund konjunktureller Einbrüche. FS-Analysen Nr. 4/1993, S. 36; und die zum Begriff der „industriellen Kerne" genannte Primärliteratur.
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Mit der Lösung der der Treuhandanstalt zugewiesenen Aufgaben konnte eine Polarisierung von Meinungen und Konzepten über die zu vollziehende Transformation nicht ausgeschlossen werden, zumal damit ein politischer Prozess verbunden war, dessen Zwängen sich die Wirtschaft unterordnen musste. 45 Da der Treuhandanstalt kein offizieller strukturpolitischer Auftrag erteilt und sie dem Bundesministerium der Finanzen zugeordnet worden war, sah man „erhebliche Koordinierungsprobleme vorprogrammiert" 46 . Rückblickend kann jedoch festgestellt werden, dass die erteilte Aufgabe gemessen an ihrem Umfang und Schwierigkeitsgrad einmalig gelöst werden konnte. Die Entflechtungs- und Liquidationsmaßnahmen hatten im Ostteil Berlins bereits bis 1993/1994 einen dramatischer Abbau von Arbeitsplätzen erfordert. Als hierfür mitverantwortliche Gründe nannte der frühere Senator für Wirtschaft und Technologie, Norbert Meisner, im Rahmen der Wirtschaftsberichterstattung des Berliner Senats für 1994 den Zusammenbruch von Märkten in Mittel- und Osteuropa, eine veraltete technische Ausstattung der Betriebe sowie eine „teilweise zu spät einsetzende Sanierungspolitik der Treuhandanstalt". 47 Für die Treuhandanstalt waren vor allem eine noch nicht gegebene Marktfähigkeit von Betrieben oder aber die von Treuhandauflagen abweichenden Interessenlagen von Investoren für das lange Warten auf eine Privatisierung verantwortlich. Betroffen war hiervon der Großteil der Treuhandbetriebe (Beispiel: der in Berlin-Niederschönhausen ansässige Kessel- und Behälterbau, abgespaltener Betriebsteil der Transformatoren- und Schaltgeräte GmbH, Berlin-Oberschöneweide). Problematisch wirkten sich zweifellos solche Privatisierungen aus, bei denen der Investor letztendlich die eingegangenen vertraglichen Übernahmeverpflichtungen gegenüber der Treuhandanstalt nicht zu erfüllen vermochte und daher in den Verantwortungsbereich der Anstalt rückgeführt werden musste: In der Regel war dies mit einer Verschlechterung der Wirtschaftssituation des betroffe-
45 Vgl. dazu weiterhin Klaus Krakat: Systemtransformation und Strukturanpassung - Gründe und Faktoren des wirtschaftlichen Wandels am Beispiel der Industrieregion Berlin-Oberschöneweide; hier: Abschnitt 3, Kurzbemerkungen zur Arbeit der Treuhandanstalt. 46 Jan Priewe: Die Folgen der schnellen Privatisierung der Treuhandanstalt. Eine vorläufige Schlußbilanz. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. Β 43-44/94 vom 28. Oktober 1994, S. 24. - Zu den widerstreitenden Meinungen über die Arbeit der Treuhandanstalt vgl. u.a. Hans Luft: Die Treuhandanstalt. Deutsche Erfahrungen und Probleme der Transformation von Wirtschaftsordnungen. In: Deutschland-Archiv, 24. Jahrgang, Nr. 12/ 1991, S. 1270ff.; Fritz Homann: Treuhandanstalt: Zwischenbilanz, Perspektiven. In: DeutschlandArchiv, 24. Jahrgang, Nr. 12/1991, S. 1277ff; Martin Flug: Treuhand-Poker. Die Mechanismen des Ausverkaufs. Ch. Links Verlag, Berlin 1992; oder Wolfram Fischer, Herbert Hax und Hans Karl Schneider: Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen. Forschungsberichte. Akademieverlag GmbH, Berlin 1993. 47 Norbert Meisner: Vorwort: Standortvorteile konsequent nutzen. In: Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.): Wirtschaftsbericht 1994, S. 5.
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nen Betriebes verbunden, weil die Suche nach einem geeigneten neuen Investor begann, dies mit erneuten Ungewissheiten und einer drohenden Abwanderung weiterer Facharbeitskräfte verbunden war (Beispiel: Schnellflechter GmbH, Berlin· Weißensee, Produktionsbetrieb im einstigen Kombinat Kabelwerke Oberspree in Berlin-Oberschöneweide). Für manche „Investoren" bot sich mit einer Betriebsübernahme die Chance einer schnellen persönlichen Bereicherung: Der Betrieb wurde „ausgeschlachtet" und driftete danach seinem Zusammenbruch entgegen (Beispiel: Der ehemals in der Wallstraße ansässige VEB Wärmeanlagenbau DSF Berlin, der systematisch ausgeplündert wurde). Der Beginn der Transformation der ehemaligen DDR-Staatsbetriebe und die damit verbundenen Strukturanpassungen an marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen setzten praktisch bereits 1990 ein. Somit befanden sich die einzelnen Betriebe bereits im Frühjahr 1990 in einem Umbruchprozess auf ihrem bevorstehenden Weg in die Marktwirtschaft. Nicht wenige von ihnen hatten diesen nicht überstanden. 2.3 Neuorientierung der Westberliner Industrie als Folge des Wegfalls der Berlin-Förderung Im Anschluss an den Vereinigungsboom war auch die in West-Berlin ansässige Industrie ab Mitte 1992 zunehmend in den Sog einer weltweiten Konjunkturschwäche und einer rezessiven Entwicklung in den alten Bundesländern geraten. Die daraus resultierenden akuten Probleme wurden vor allen durch die ab 1994 weggefallene Berlin-Förderung erhöht. Als Reaktion auf diese Veränderungen erfolgten auf unternehmerischer Seite ein Abbau oder auch eine Auflösung betrieblicher Funktionen sowie Produktionsstraffungen in Verbindung mit gezielten Rationalisierungsmaßnahmen. Diese waren einerseits mit einem Abbau von Arbeitsplätzen verbunden, andererseits konnten Produktivitätsrückstände gegenüber der Industrie anderer deutscher Großstädte abgebaut werden. 48 2.4 Industrieller Strukturwandel als Folge von Globalisierungsdruck und rezessiven Entwicklungen: Anpassungszwänge in beiden Stadthälften Sowohl die konjunkturelle als auch die strukturelle Situation zwangen bereits ab Anfang der Neunzigerjahre zu umfangreichen Anpassungen an die sich verändernde Wettbewerbslage. Sie überlagerten den sich insbesondere im Ostteil Berlins ohnehin vollziehenden transformationsbedingten Wandel und im Westteil die aus dem Wegfall der Berlin-Förderung resultierenden Anpassungen. Damit war
48 Zu Einzelheiten vgl. Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, 10 Jahre danach: Der Wirtschaftsstandort Berlin - Anspruch und Wirklichkeit, Mai 1999, S. 24f.
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in Westberlin zwangsläufig das Ende der „verlängerten Werkbänke" 49 erreicht, das mit tiefgreifenden Anpassungen verbunden war. Von durchschlagender Wirkung auf die in Berlin existierenden Industrieunternehmen waren (und sind) jedoch die sich aus der Globalisierung von Märkten und Internationalisierung von Produktionen ergebenden Anpassungszwänge, welche sich bereits zum Anfang der Neunzigerjahre mit zunehmender Intensität äußerten. Ausdruck der Anpassungen sind die Dezentralisierung industrieller Produktionen, die mit einer Flexibilisierung von Fertigungsabläufen, schlankeren Organisationen und neuen Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten verbunden sind. 50 Sie führten aber ebenso zu Produktionsverlagerungen an kostengünstigere Standorte oder zu einer Ausgliederung betrieblicher Funktions- bzw. Spezialbereiche. Mithin veränderte sich im Zeitablauf das Bild einst produktionsorientierter Standorte: Neben noch existenten Produktionsbetrieben prägen nunmehr vor allem produktionsnahe Dienstleister die einzelnen Stadträume. Der Wandel ist das Resultat umwälzender Entwicklungsprozesse, die durch den Bedeutungsanstieg neuer Wachstums- und Kompetenzfelder innerhalb des tertiären Sektors und des damit verbundenen Tätigkeitswandels (Zunahme der Dienstleistungsbeschäftigung auf Kosten produktionsorientierter Tätigkeiten sowie der Neubewertung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital mit Blick auf deren Standortgebundenheit und Flexibilität unter Kostengesichtspunkten) bereits erfolgt sind und noch erfolgen werden. 51 3. Industrieller Strukturwandel in Berlin seit 1990 und dessen Folgen für Industrie und Dienstleistungen 3.1 Strukturwandel und Beschäftigtenentwicklung: Zu einigen aktuellen Entwicklungstrends und Problemen Einerseits wird der in Berlin angesiedelten Industrie noch immer eine bedeutende Stellung eingeräumt, da vor allem etablierte Unternehmen wie Gillette, Philip Morris, Coca-Cola, Siemens, Schering oder General Electric „ein ausgeprägtes räumliches Beharrungsvermögen" zeigen 52 und diese zudem von der in Berlin ansässigen Forschung und Wissenschaft profitieren können. Besonders
49
Vgl. dazu auch: Bankgesellschaft Berlin, a.a.O., S. 23.
50
Der damit verbundene Wandel war z.B. Gegenstand des Produktionstechnischen Kolloquiums Berlin 1992 vom 21 -23. Oktober in Berlin zum Thema „Markt, Arbeit und Fabrik, Mut zum industriellen Aufbruch in Ost und West". Vgl. hierzu die Tagungsmappe mit den Vorträgen u.a. von H.-J. Wamicke, H.-J. Bullinger, H. Wildemann und E. von Koerber. 51
Vgl. Abschnitte 1.3 und 1.4.
52
Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.), RegionalReport..., a.a.O., S. 26.
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aus der sich verbreiternden Forschungs- und Wissenschaftslandschaft wird „die Gewähr für eine zukunftsorientierte Ausrichtung der Unternehmen" hergeleitet. 5 3 Andererseits wird darauf verwiesen, dass „die Kernstadt für die Industrie gegenüber den Umlandgemeinden an Bedeutung verlieren" wird, das heißt, ein Suburbanisierungsprozess mit Standortverlagerungen in das Brandenburger Umland zu verzeichnen sein wird. 5 4 Wie darüber hinaus die jährlichen Wirtschaftsberichte des Berliner Senats zeigten, sinkt der Indusrieanteil an der Bruttowertschöpfung im Zeitablauf stetig, wogegen der Anteil der privaten Dienstleistungen demgegenüber kontinuierlich steigt (vgl. dazu Tab. I ) . 5 5 Tabelle 1 Arbeitsplatzabbau in ausgewählten Industriebereichen (Berlin insgesamt) Industriebereiche Elektronik, Feinmechanik, Optik Chemische Industrie Textil- u. Bekleidungsindustrie Metallerzeugung u. -Verarbeitung
1991
1998
89000 17800 10100 24500
33 000 10700 2300 11300
Quelle: Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe 1999.
Tatsache ist, dass der zu verzeichnende Strukturwandel seinen gravierendsten Ausdruck in dem anhaltenden Anstieg der Arbeitslosigkeit hat. So ist in Berlin seit dem Mauerfall nach Mitteilung der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe beispielsweise die Anzahl der industriellen Arbeitsplätze von insgesamt 400000 auf 130000 gesunken. 56 Hinsichtlich des starken Anwachsens der Dienstleistungen im Ostteil Berlins ist festzustellen, dass dort die sich 1990 offenbarenden Defizite im Bereich von Banken und Versicherungen, der Freien Berufe und der Sozialdienste zu beseitigen waren. Andererseits gingen bei den Dienstleistungen jedoch zahlreiche Arbeitsplätze als Folge des Abbaus des Verwaltungsapparates der ehemaligen DDR verloren. Die relativ dominierende Position der elektrotechnischen Industrie in beiden Stadthälften blieb von diesen und weiteren Veränderungen hingegen unberührt (vgl. Tab. 2).
53 Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe (Hrsg.): Wirtschaftsbericht Berlin 1999, Stand: Juli 1999, S. 42. 54
Bankgesellschaft Berlin, a.a.O., S. 26 und 27.
55
Vgl. dazu weiterhin u. a. die Feststellungen der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe in ihrem Wirtschaftsbericht Berlin 1999, a.a.O., S. 26ff. 56 Alfons Frese: Schwierige Gegenwart, vielversprechende Zukunft. In: Der Tagesspiegel vom 2.6.1999.
Die Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung
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Tabelle 2 Struktur der Industriebeschäftigten in Berlin 1998 Büromaschinen, DV-Geräte u. -Einrichtungen, Elektrotechnik, Feinmechanik u. Optik Ernährungsgewerbe u. Tabakverarbeitung Papier-, Verlags- u. Druckgewerbe Maschinenbau Metallerzeugung u. -bearbeitung, Herstellung v. Metallerzeugnissen Chemische Industrie Fahrzeugbau Übrige
27,7% 13,1% 13,0% 11,3% 9,5% 9,0% 6,7% 9,7%
Berücksichtigt wurden Betriebe von Unternehmen mit im allgemeinen 20 und mehr Beschäftigten; fachliche Betriebsteile. Quelle: Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe (Hrsg.), Wirtschaftsbericht Berlin 1999, a.a.O., S. 40.
Bezüglich der Beantwortung der Frage nach der Zukunftsfähigkeit der deutschen und damit ebenso der Berliner Industrie werden vor allem folgende Problemfaktoren als nachteilig flir Wirtschaftsentwicklung 57 und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Berlin 5 8 aufgeführt: -
Die in den letzten Jahren zu überwindenden Strukturprobleme als Folge unterschiedlicher exogener Einflüsse (Globalisierung usw.). Die ständig steigenden Personalkosten. Die zu Lasten von Investitionen gehenden Verteilungskämpfe. Die Sicherung des Wohlstands zu Lasten von Zukunftsinvestitionen. Die in Berlin existierenden vergleichsweise hohen Steuern und Abgaben. Der kaum unternehmensfreundliche „Kompetenzwirrwarr" der Verwaltung. Die extrem langen Genehmigungsverfahren beim Grundstückskauf. Der notwendige Ausgleich noch bestehender Defizite bei der Technologieförderung.
57
So z.B. das Wissenschaftszentrum Berlin (Hrsg.): Soziale Marktwirtschaft. Entwicklung im Lichte von Industriebilanzen. In: WZB-Mitteilungen Nr. 85, September 1999, S. 14 (Kurzfassung: Horst Albach, Thomas Brandt, Manfred Fleischer, Jianping Yang: Soziale Marktwirtschaft: eine Erfolgsgeschichte - 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland im Lichte von Industriebilanzen. In: Max Kaase, Günther Schmid (Hrsg.): Eine lernende Demokratie - 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland. WZB-Jahrbuch 1999. edition sigma Verlag, Berlin 1999, S. 499-528). 58
M i t Blick auf die Belange Berlins als Wirtschaftsstandort vgl. darüber hinaus auch: Generalabrechnung mit dem Senat. IHK-Präsident Gegenbauer schlägt Konzept fur höheres Wirtschaftswachstum vor. In: Berliner Morgenpost vom 20.10.1999, S. 13.
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Klaus Krakat
Seitens der Privatwirtschaft besteht Einigkeit darüber, dass derartige den Wirtschaftsstandort Berlin beeinträchtigende Faktoren nur über - eine Stärkung (auch im Sinne einer Entlastung) der hier ansässigen Unternehmen, - eine Fortsetzung der Unterstützung von Existenzgründungen und - eine Verstärkung von Infrastruktur-Investitionen besonders im Bereich der innovativen Zukunftsmärkte (z.B. bei den sog. wissensbasierten Dienstleistungen, das heißt im Bereich von Informations-/Kommunikationstechnik/Medien, Verkehrstechnik, Umwelttechnik usw.) erreicht und auch nur auf diesem Wege dem voranschreitenden Abbau von Arbeitsplätzen begegnet werden kann. 5 9 3.2 Ergebnisse des stadträumlichen Wandels, dargestellt am Beispiel industriegeprägter Standorte Kennzeichnend für den sich in Berlin vollziehenden industriellen Strukturwandel ist ein Wandel des Erscheinungsbildes der einst durch hohe Industriekonzentrationen geprägten Produktionszentren in den einzelnen Stadträumen. In nicht wenigen Fällen wird dabei von einer Neuorientierung der Produktion gesprochen, von einer Ausrichtung auf eine Produktion von Wissen. Dabei handelt es sich um eine Ausrichtung auf künftige Wachstumsfelder, für die eine Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft kennzeichnend ist. Als Wachstumsfelder gelten die bereits angesprochenen „höherwertigen" bzw. „wissensbasierten" Dienstleistungen (Kommunikations- u. Informationstechnik, Verkehrstechnik, Umwelttechnik, Bio- u. Medizintechnologie usw.). Dennoch basieren die sich neu formierenden Wirtschaftszweige oft auf den traditionellen industriellen Schwerpunkten Berlins. 60 Insgesamt vollzieht sich der Wandel hin zu kleinräumig strukturierten Gewerbemischungen, bei denen es sich in der Regel um einen Mix aus Handwerk, moderner Industrie, industrienahen Dienstleistungen, Wissenschafts- und Technologieparks (einschließlich Technologie- und Gründerzentren 6 1 ) usw. handelt. Besonders betroffen waren davon vor allem die sog. altindustriellen Standorte, so z.B. die Industriestandorte Berlin-Oberschöneweide (Bezirk Köpenick) oder Berlin-Borsigwalde (Bezirk Reinickendorf). Zweifellos hatte sich der Standortwandel im Ostteil Berlins mit besonderer Intensität vollzogen, vor allem deshalb, weil Unternehmen inzwischen nicht mehr existieren (Beispiele: Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow, AEG/TRO Transformatoren-
59
In diesem Sinne hatte sich die Industrie- und Handelskammer zu Berlin bereits mehrfach ge-
äußert. 60 61
Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, a.a.O., S. 31.
Zu den Technologie- und Gründerzenten sowie Innovations- und Innovationsparks vgl. Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe (Hrsg.): Wirtschaftsbericht Berlin 1999, a.a.O., S. 99ff.
Die Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung
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werk in Oberschöneweide usw.) oder ihren Berliner Standort verlassen haben. Die nachfolgenden Standortpräsentationen (Berlin-Oberschöneweide,
Bezirk
Köpenick und Borsigwalde, Bezirk Reinickendorf) sollen spezifische Standorteigenheiten verdeutlichen und dabei auf bereits vollzogene Veränderungen des Erscheinungsbildes hinweisen (Übersicht 4 und 5). Entsprechendes ließe sich auch für andere Standorte (z.B. für den Standort Berlin-Lichtenberg usw.) ausführen. Übersicht 4 Standortpräsentation Berlin-Oberschöneweide 1. Stadträumliche Lage Im Südosten Berlins an der Spree gelegenes Industrieareal. Fast das gesamte 2,6 km lange Flussufer ist großflächig mit Industriebauten besetzt. Diese ziehen sich, beginnend von der Tabbert- und Nalepastraße, über die Wilhelminenhofstraße (industrielles Kerngebiet) bis hin zur Ostend- und Slabystraße. Den Industriebauten gegenüberliegend erstrecken sich auf der anderen Seite der Wilhelminenhofstraße die einzelnen Wohnbauten. Wohnstadt und Industriestadt sind hier miteinander eng verzahnt. Das Wohngebiet reicht bis zum Volkspark Wuhlheide. 2. Gebietscharakteristik - Altindustrieller Standort mit Industriebauten namhafter Architekten der Jahrhundertwende, geprägt vor allem durch das Engagement Emil Rathenaus (AEG). - Erhebliche Bodenkontaminierungen seit der Gründerzeit. - Desolates Erscheinungsbild bereits vor dem Mauerfall (Volksmund: „Oberschweineöde"), insbesondere als Folge unterlassener Erneuerungsinvestitionen im Industriebereich und des staatlicherseits hingenommenen Verfalls der angrenzenden Wohnbausubstanz usw. während der DDR-Zeit. - Bis 1990 Standort einst strukturbestimmender Kombinatsbetriebe (Werk für Fernsehelektronik, Kabelwerk Oberspree, Transformatoren- u. Schaltgerätegesellschafit, Akkumulatoren- u. Elementefabrik usw. mit insgesamt rd. 25 000 Arbeitsplätzen in Oberschöne weide). - Gravierender Strukturwandel im Zeitverlauf ab 1990: Ausdünnung der Industrieproduktion, Bedeutungsanstieg von Dienstleistungen („klassische", produktionsnahe u. wissensbasierter Dienstleistungen); Mix aus Produktion, Dienstleistungen, Kleingewerbe, Kunst usw. - Folge des industriellen Strukturwandels: Rückgang der Arbeitsplätze auf rd. 3 500 gegen Ende 1998. - Sanierung, Aus- und Umbau denkmalgeschützter Industriegebäude. Realisierung kleinräumiger Aktionsstrukturen auf der Ebene der Privatwirtschaft. - Aktionszentren 1999: Samsung Elektronische Bauelemente GmbH, Technologieund Gründerzentrum Spreeknie, Handwerker- und Gewerbezentrum Wilhelminenhof, BAE Berliner Batteriefabrik GmbH, Kultur- und Technologiezentrum Rathenau, Spreehöfe, zahlreiche Ausgründer aus ehemaligen Volkseigenen Betrieben.
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Klaus Krakat Übersicht 4 (Fortsetzung): Standortpräsentation Berlin-Oberschöneweide
3. Zu aktuellen Entwicklungskonzeptionen für Sanierung und Neugestaltung - Öffnung des Industrieflächensicherungskonzepts fur produktionsnahe Dienstleister. - Ziele: Schaffung einer neuen Identität und Lebensqualität für Oberschöneweide auf der Grundlage einer Neuordnung der Industriestadt und einer Sanierung der Wohnstadt. Kennzeichen: Von der Fabriksiedlung zur Wohnstadt in Verbindung mit einer Neuausrichtung der Funktionen Arbeiten, Wohnen und Freizeit. - Hauptverantwortlichkeiten: Arge Sanierungsbeauftragte Oberschöneweide GbR, bestehend aus: Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG) GmbH und STATTB A U GmbH. - BLEG-Projekte: - Handwerker- und Gewerbezentrum Wilhelminenhof, - Industrie- und Gewerbegebiet Spreeknie, - TGS - Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie (Ende 1998: Einweihung des 1. Bauabschnitts; Ende 1999: Fertigstellung des 2. Bauabschnitts. Das TGS soll den Planungen entsprechend zu einem der größten Technologie- u. Gründerzentren Europas augebaut werden). - Gewerbegebiet Tabbertstraße. - Einbeziehung das Ausbaus des Innovationsparks Wuhlheide in die Entwicklungskonzeptionen.
Übersicht 5 Standortpräsentation Borsiggelände in Berlin-Tegel 1. Stadträumliche Lage - Außerhalb des Innenstadtringes am Ortszentrum Tegel liegendes, von der Siedlungsfläche Tegel isoliertes Industrieareal. - Im Westen: Tegeler See. - Flughafen Tegel in unmittelbarer Nähe.
2. Gebietscharakteristik - Einstiger Industriestandort mit schwerindustrieller Produktion. - Großunternehmen Herlitz als „Motor" für die Entwicklung des Gesamtgebietes. - Unkomplizierte Eigentumsverhältnisse (rd. 50 % der Flächen Eigentum des Landes Berlin u. BEWAG) - Neuprofilierung der Region unter Berücksichtigung eines erweiterten Industriebegriffs mit entsprechender Einbeziehung von Dienstleistungen und gleichzeitiger Betonung von Innovationsorientierung.
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Übersicht 5 (Fortsetzung): Standortpräsentation Borsiggelände in Berlin-Tegel - Neue Aktionszentren (Stand 1999): -
Industrie- und Gewerbepark, PHÖNIX Gründerzentrum „ A m Borsigturm", Büropark (erster Bauabschnitt), Shopping-Center „Hallen am Borsigturm", Produktions- und Lagergebäude der Herlitz AG, Babcock-Borsig.
- Ergebnis des bisherigen stadträumlichen Wandels: Schaffung eines Wohn- und Gewerbegebiets nach dem städtebaulichen Konzept von Claude Vasni, Paris (realisiert zwischen 1995 und 1999) mit Gewerbepark, Gründerzentrum, Multiplex-Kino, Einzelhandel, Hotel, Büros, Wohnen und Gastronomie.
3. Zu aktuellen Entwicklungskonzeptionen und bestehenden Restriktionen - Entwicklungsprojekte der Herlitz Falkenhöh AG: Weiterer Ausbau des Industrieund Gewerbeparks sowie Erweiterung des Büroparks. - Bau eines Fertigungszentrums und Verwaltungsgebäudes durch Motorola auf dem Borsiggelände (Investitionssumme rd. 40 Mio. DM); Aufgabe des bisherigen Motorola-Standortes in Spandau. - Nutzungsrestriktionen durch Denkmal- und Wasserschutz. - Restriktionen aufgrund des Industrieflächensicherungskonzepts des Berliner Senats. Quellen: Industrie- und Handelskammer zu Berlin (Hrsg.): Entwicklungsstrategien für Industriestandorte in der Region Berlin-Brandenburg, Berlin 1995, S. 67ff.; Shoppen statt Schmieden Heute öffnen die Hallen am Borsigtum. In: Der Tagesspiegel vom 25. März 1999; Motorola baut den Standort Berlin aus. In: Der Tagesspiegel vom 29. Juni 1999 sowie Hightech-Zentrum am Borsigturm. In: Der Tagesspiegel vom 15. Juli 1999.
3.3 Unternehmen im Wandel: Die Folgen der Strukturanpassung, dargestellt an Beispielen Eng verbunden mit dem Wandel einstiger Industriestandorte ist der Strukturwandel von Industrieunternehmen, die das Bild eines Stadtteils geprägt hatten: Unternehmen haben sich „verschlankt" und richten sich auf Kernkompetenzen aus, konzentrieren sich nur noch auf die Erbringung von Dienstleistungen oder sind völlig verschwunden. Neue Firmen aus dem Dienstleistungsbereich sind an die Stelle „großer" Namen und Produzenten getreten. Während Unternehmen wie Siemens ihre Produktionen verschlanken bzw. ausdünnen und andere bekannte Hersteller wie AEG/TRO in Berlin-Oberschöneweide oder die Schindler Aufzügefabrik in Berlin-Marienfelde ihren Standort aufgeben und die Produktion einstellen, verzeichnen Dienstleister und Unternehmen der neuen Schlüsseltechnologien (New Economy) zunehmend Erfolge. Zu den trendbestimmenden Spitzenunternehmen zählen in Berlin 1999:
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-
Das Multi-Media-Unternehmen Pixelpark mit Sitz in Berlin-Tiergarten (Standort: Moabit, Huttenstraße), das sich in nur acht Jahren von 1991 bis 1999 vom Zwei-Mann-Unternehmen zu einem „global player" mit elf Niederlassungen in sechs Ländern entwickelt hat. - Die in Berlin-Oberschöneweide ansässige Silicon Sensor International AG, eine Herausgründung aus dem ehemaligen Werk für Fernsehelektronik, welche sich seit 1991 die Position eines europäischen Marktführers für kundenspezifische Sensorsysteme erarbeitet hat. - Die First Sensor Technologie GmbH, die 1999 in nur acht Monaten (von der Idee zur Handelsregister-Eintragung) allgemein anerkannte Kernkompetenz auf dem Gebiet der Druck- und Hochtemperaturdrucksensorik sowie Tintenstrahldrucktechnik erlangt hat und in Adlershof tätig werden wird oder - die noch in diesem Jahr in die Mitte Berlins ziehende I-D Media AG (Entwicklung von Software, Modellierung von Web-Pages) usw. Die nachfolgenden weiteren Beispiele (Übersicht 6 bis 12) spiegeln die im Zeitablauf vorgenommen Anpassungen ausgewählter Unternehmen an den Strukturwandel und ggf. auch deren Scheitern wider. Insgesamt soll auch auf diese Weise der Rückgang der Produktion und der Bedeutungsanstieg der Dienstleistungen in Verbindung mit der Auflösung einstiger Produktionskonzentrationen im Falle altindustrieller Standorte und fortschreitendem Arbeitsplatzabbau verdeutlicht werden. Übersicht 6 Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel ADTRANZ • Firma und Firmenstandort ADTRANZ ABB Daimler Benz Tranzportation Deutschland GmbH, Montagewerk fur Schienenfahrzeuge, Berlin, Kurze Str. 5, Teilareal der ehem. Liegenschaften (nicht betriebsnotwendige Flächen) von Bergmann-Borsig in Berlin-Pankow. • Entwicklungsszenarien: April 1997: Die ADTRANZ-Unternehmensleitung weiht nach zweijähriger Bauzeit Europas modernstes Montagewerk für den Schienenfahrzeugbau ein (Gesamtinvestitionen rd. 60 Mio. DM, davon ca. 18 Mio. D M öffentliche Fördermittel; Arbeitsplätze im Mai 1997: 165). Juli 1998: Trotz guter Auftragslage und „schwarzer" Zahlen kündigt die Geschäftsführung die Werksschließung 1999 und die Geschäftsverlagerung nach Hennigsdorf an. Gründe: Realisierung eines „Zukunftskonzepts", Konzentration zersplitterter Kapazitäten, Kostenreduzierung durch Kapazitätsabbau. Protestdemonstrationen der Belegschaft, Intervention des Berliner Senats (Rückforderung gewährter öffentlicher Fördermittel). ADTRANZ macht den Fortbestand des Werkes von weiteren öffentlichen Aufträgen und der Realisierung eines Joint-Ventures mit der schweizerischen Stadler AG abhängig.
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Übersicht 6 (Forts.): Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel ADTRANZ September 1999: Die Stadler AG und die DaimlerChrysler-Tochter ADTRANZ gründen ein Gemeinschaftsunternehmen (Basis: Joint-Venture-Vertrag). Das neue Unternehmen Stadler Pankow GmbH wird Gelenktriebwagen und Schienenfahrzeuge für spezielle Kundenbedürfnisse herstellen. Zudem soll das neue Unternehmen die Produktion des Regio-Shuttle aufnehmen. Voraussetzung hierfür war die Zusage des Berliner Senats, den bereits 1992 erteilten Auftrag über den Bau von insgesamt 47 U-Bahnzügen tatsächlich einzulösen. Die Werksschließung wurde abgewendet mit der Folge von Arbeitsplatzreduzierung auf nunmehr insgesamt 200 Stellen, Flexibilisierung der Arbeitszeit, 40-Stunden-Woche sowie Lohnverzicht von fünf Prozent. Weitere Strukturanpassungen sind vorhersehbar.
Übersicht 7 Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel Alcatel Kabel AG & Co • Firma und Firmenstandort: Alcatel Kabel AG & Co., Produktionsschwerpunkt: Kupferkabel Standort Berlin-Neukölln, Sonnenallee (Lahnstr./Grenzallee) • Entwicklungsszenarien: Februar 1999: Die Konzernleitung weist aufkommende Absichten einer Werksschließung zurück. Juni 1999: Der Vorstand von Alcatel Kabel verkündet die Schließung des Werkes zum 31.12.1999. Gründe: Rote Zahlen im Gesamtunternehmen, hohe Kosten der Produktion, Expansionsbegrenzung durch zu knappe Industriefläche in Berlin. Geplante Maßnahme: Verlagerung der kompletten Kabelfertigung aus Berlin in das französische Werk nach Fumay. 800 Arbeitsplätze fallen dem Plan zum Opfer, davon 140 Stellen in Berlin. Tatsachen: Seit 1991 sind Millionen-Beträge in die Modernisierung des Werkes geflossen. Seit Jahren werden schwarze Zahlen geschrieben. Der Umsatz hat sich gegenüber 1998 verdoppelt. Protestdemonstrationen der Belegschaft und Werksbesetzung. Oktober 1999: Alcatel bestätigt die Schließung zum Ende des Jahres. Die Werksbesetzer geben ihren Widerstand nach fünf Wochen auf. Nur der Vertrieb im deutschsprachigen Raum und Osteuropa soll mit 35 Beschäftigten von Berlin aus gesteuert werden. 100 bis 120 Arbeitnehmer sollen in eine Beschäftigungsgesellschaft übernommen werden.
Übersicht 8 Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel ABB Bergmann-Borsig • Firma und Firmenstandort ABB Bergmann Borsig GmbH Berlin-Pankow (Wilhelmsruh), Kurze Str., Industrieareal S-Bahn-Trasse/ Nordgraben/Lessingstr.
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Klaus Krakat Übersicht 8 (Fortsetzung): Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel ABB Bergmann-Borsig
• Entwicklungsszenarien 1990 Start in die Marktwirtschaft: Bergmann-Borsig GmbH (vormals: VEB Bergmann-Borsig), rd. 4 500 Arbeitsplätze. Transformation durch Treuhandanstalt (Entflechtung, Sanierung, Privatisierung) Schaffung neuer Betriebsstrukturen, Ausgliederung nicht betriebsnotwendiger Gewerbeflächen, Ausgründung Betriebsteil Konsumgüterproduktion: bebo sher Elektro-Geräte (1991 : 12 Beschäftigte). Privatisierung Bergmann-Borsig im Oktober 1990: Verkauf an ABB, Firmierung als ABB Bergmann-Borsig GmbH, Anfang 1991: 1 800 Beschäftigte. Privatisierung bebo sher auf MBO-Basis 1992: Firmierung in der Rechtsform einer GmbH. Ab 1993: Zunehmender Globalisierungsdruck 1994 Betriebsumbenennung in ABB Kraftwerke Berlin GmbH, Eröffnung eines Schulungszentrums mit Lehrlingsausbildung. Straffung der Unternehmensorganisation, Konzentration auf wesentliche Geschäftsfelder. Arbeitsplatzabbau: 1994: 1200 Stellen, Ende 1996: 450 Stellen und 200 Lehrlingsplätze. Anfang 1998: Verkündung der Werksschließung durch die Betriebsleitung. Ziele: Ausgliederung der Produktion, Konzentration auf Service-Leistungen, Kostenabbau. Ergebnisse: Bildung der ABB Service-Gesellschaft mit 250 Beschäftigten 1999 und ABB Betriebsberufsschule einschließlich eines überbetrieblichen Ausbildungszentrums. September 1999: Standortaufwertung durch Ansiedlung der Deutschlandzentrale von ABB und Alsthom (Gemeinschaftsunternehmen/Holding) auf einer Reservefläche: ABB Alsthom Power.
Übersicht 9
Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel BICC K W O Kabel • Firma und Firmensitz BICC KWO Kabel GmbH, Standort: Berlin-Oberschöneweide (Bezirk Köpenick), Wilhelminenhofstraße 76/77. • Entwicklungsszenarien Mitte 1990: Start in die Marktwirtschaft: KWO Kabel AG (ehem. Kombinatsleitung) und Kabelwerk Oberspree GmbH (ehemaliger Stammbetrieb des Kombinats). Gesamtzahl der Arbeitsplätze 1990: 4500 (Stammbetrieb und zu diesem zählende Betriebe).
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Übersicht 9 (Fortsetzung): Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel BICC KWO Kabel Transformation durch Treuhandanstalt (Entflechtung, Sanierung, Privatisierung) 1990: Ausgliederung nicht betriebsnotwendiger Flächen, Aufgliederung von Betriebsbereichen, Funktionsausrichtung auf marktwirtschaftliche Bedingungen. 1993 Privatisierung. Auflösung der KWO Kabel AG durch Privatisierung ihrer Mehrheitsbeteiligungen. Verkauf des Kabelwerkes an die BICC Cables Ltd. (gleichzeitige Fusion des Werkes mit den Kabelwerken Aslid und Schönow) im Frühjahr 1993. Arbeitsplätze 1993 (einschl. Beschäftigte der durch Fusion eingegliederten Werke):
2200. Arbeitsplatzgarantie gem. Übernahmevertrag mit der Treuhandanstalt für 2 000 Beschäftigte. Beräumung und Neustrukturierung der nicht betriebsnotwendigen Flächen durch die Berliner Landesentwicklungsgesellschaft mbH (BLEG). Ab 1993 einsetzender Globalisierungsdruck in Verbindung mit unstabilen Märkten: Folge: Umsatzrückgänge ab 1994 und Stellenabbau bis 1995 auf 1 600 Beschäftigte. Anhaltend ungünstige Geschäftsentwicklung veranlasst Geschäftsführung zu weiterem Arbeitsplatzabbau auf nunmehr 1 065 Stellen 1996. Oktober 1997: Fusion von Kaiser Kabel GmbH und BICC KWO Kabel GmbH zur Kaiser KWO Kabel GmbH mit der Folge von Produktionskonzentration und Arbeitsplatzabbau. Juli 1998: Restproduktionen bei Kaiser KWO Kabel und BICC KWO Kabel (BICC Communications) mit jeweils rd. 50 Beschäftigten. - Knefel Kabelmaschinenbau GmbH wird am Standort tätig. September 1999: Kaiser KWO Kabel und BICC KWO Kabel haben den Standort Wilhelminenhofstraße verlassen. Auf dem Gelände sind nunmehr jedoch folgende Akteure tätig geworden: BDK Drahtzieh und Kunststoffaufbereitungs-GmbH, CÖGA Gesellschaft für Arbeitsförderung in Köpenick GmbH, GA-com Telekommunikation und Telematik GmbH, GeBe Gebäude- und Betriebstechnik Berlin GmbH & Co Management KG (Geschäftsstelle Oberschöneweide), Knefel Kabelmaschinenbau GmbH (ehemaliges Kabelwerk Adlershof, Bezirk Treptow), Dimet Diamant- und Hartmetallwerkzeuge, K W B Kabelwerk GmbH (Firmengruppe Wilms; mittelfristige Planung: Schaffung von 150 Arbeitsplätzen), IAS Institut für Arbeits- und Sozialhygiene, Stiftung, Schmidt & Partner Ingenieurbüro, B K K Futur Pflegeversicherung, Körperschaft des öffentl. Rechts, Auskunfts- und Beratungsstelle.
ab
110
Klaus Krakat Übersicht 9 (Fortsetzung): Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Beispiel BICC KWO Kabel Parallelentwicklungen'. Die Investitionsprojekte der BLEG auf den einstigen KWOLiegenschafiten haben Gestalt angenommen: Rathenau-Villa, Handwerker- und Gewerbezentrum Wilhelminenhof, Industrie- u. Gewerbegebiet Wilhelminenhofstraße, Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie (TGS).
Weitergehende Informationen: Klaus Krakat: Der Bezirk Köpenick, Partner von lokalen Akteuren aus verschiedenen Regionen im Rahmen eines ECOS-OUVERTURE-Projektes. Eine Standortanalyse im Auftrag des Bezirksamtes Köpenick, Bereich Wirtschaftsforderung, anlässlich des Projektabschlusses am 30. November 1998. Informationsschrift des Bezirksamtes Köpenick von Berlin: Wirtschaftsentwicklung. Januar 1999 (unter dem gleichen Titel auch als FS-Analyse, Sonderheft 1998, erschienen).
Übersicht 10 Industrieller Strukturwandel in Berlin: Vom Transformatorenwerk zum Kultur- und Technologiezentrum Rathenau • Ausgangssituation 1989/1990: Standort: Berlin-Oberschöneweide (Bezirk Köpenick), Wilhelminenhofstr. 83-85. 1989: VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht" Berlin (TRO). 1990: TRO Transformatoren- und Schaltgerätegesellschaft mbH (TRO-Hauptwerk Wilhelminenhofstr. 83-85). Werksbereich Materialversorgung, Wilhelminenhofstr. 91-92. Weitere Betriebsteile und Bereiche in anderen Berliner Bezirken. Beschäftigte insgesamt 1990: 2 946. • Entwicklungsszenarien ab 1990: Übernahme durch die Treuhandanstalt (DM-Eröffnungsbilanz, Erstellung eines Unternehmenskonzepts, Ausrichtung auf marktkonforme Geschäftsfelder usw.) Spontane Herausgründungen insbes. im Bereich des Standortes Wilhelminenhofstr. 91-92. Rückgang der Arbeitsplätze 1991 auf 1150 (sämtl. Werksteile). Januar 1992: TRO-Aufspaltung in vier Teilbereiche; davon TRO Transformatorenund Schaltgeräte-Gesellschaft mbH (TRO 1, TRO-Hauptwerk Oberschöneweide) und TRO-Betreibergesellschafit Oberschöneweide GmbH (TRO 4). Beschäftigte im Hauptwerk 1992: 1100. April 1992: Privatisierung des Hauptwerks: Verkauf an AEG. Neufirmierung als AEG/TRO Transformatorenwerk GmbH. Umfangreiche Investitionen für die Standorterneuerung. Drastischer Abbau der Arbeitsplätze: 1993: 750, 1995: 650. Februar 1996: Die AEG-Leitung teilt überraschend die Schließung der Produktionsstätte für Ende 1996 mit. Auflösungsgründe: Übersättigung des Marktes mit entsprechend abnehmender Nachfrage; Überkapazitäten in der Branche; schwache Konjunktur einerseits und unternehmenspolitische Gründe der Daimler-Benz AG andererseits (durch Aufgabe des Standortes Oberschöneweide die Verkaufschancen des Bereichs Energietechnik an den französischen Konzern CEG Alsthom zu verbessern). Beschäftigte 1996: 490.
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Übersicht 10 (Fortsetzung): Industrieller Strukturwandel in Berlin: Vom Transformatorenwerk zum Kultur- und Technologiezentrum Rathenau Mitte 1997: Peter Barg, zuvor Generalbevollmächtigter der Ruhnke-Optik in Berlin, erwirbt die TRO-Liegenschaften. Beginn der Errichtung des Kultur- und Technologiezentrums Rathenau. Dessen Kennzeichen ist ein Mix aus Gewerbebetrieben, Dienstleistern sowie Kunst- und Kultureinrichtungen. Im Rahmen der Umwandlung des ehemaligen Produktionsstandortes genießt auch die Neugestaltung des Uferbereichs der Spree (Grünzug mit Schiffsanlegestelle usw.) hohe Priorität. September 1999: A u f dem Gelände sind inzwischen über 30 Akteure tätig. Zu diesen zählen: TRO Verwaltungsgesellschaft, LASIB Lasergesellschaft in Berlin mbH Pro AB Projektmanagement für Arbeit und Beschäftigung Schlumberger AEG Zähler GmbH, Betrieb Berlin SCAN AUDIO, Licht, Beschallung und Veranstaltungstechnik EMS Elektromotoren Service GmbH EGE Deutschland GmbH GSG Gesellschaft für Demontage, Gebäudeabriss, Erdbau & Sanierung mbH Lidl-Markt, Filiale Galerie K, Malerei der klassischen Moderne Hofer-Gesellschaft usw.
Übersicht 11 Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Schicksal von Fritz Werner AG und NILES Werkzeugmaschinen GmbH • Akteure
Fritz Werner Werkzeugmaschinen AG
NILES Werkzeugmaschinen GmbH
• Standorte
Tempelhof/Marienfelde Industrieareal im Bereich von S-Bahn-Trasse und Motzener Str.
Weißensee Industrieareal im Bereich von Liebermannstr. und Gehringstr.
• Situation 1990
Durchsetzung von LeanKonzepten
Probleme als Folge der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (DM-Einführung) Übernahme durch die Treuhandanstalt
• Beschäftigte
1990: 544
1990: 1611
• Transformationsbedingte Strukturbrüche ab 1990/1991
Entflechtung und Sanierung durch die Treuhandanstalt Arbeitsplatzabbau 1991:900 Stellen 1992: 550 Stellen
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Klaus Krakat Übersicht 11 (Fortsetzung): Industrieller Strukturwandel in Berlin: Das Schicksal von Fritz Werner AG und NILES Werkzeugmaschinen GmbH
• Privatisierung 1993
Übernahme von NILES im Auftrag der Autania-Gruppe
1993: 480 Beschäftigte NILES bleibt noch rechtlich selbstständig
• Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen: Fortfall der Berlin-Förderung, Konjunkturbrüche und Globalisierungsdruck und deren Folgen
Verschlankung durch Arbeitsplatzabbau
1994: 410 Beschäftigte
• Neubeginn ab 1997 am Standort Weißensee
- Bildung der Fritz Werner & Niles Werkzeugmaschinen AG durch Verschmelzungsvertrag vom 29.8.1995, um den Marktanforderungen besser begegnen zu können - Umsatzeinbußen und Finanzierungsprobleme - Eröffnung des Konkursverfahrens durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg am 1.4.1996, Auflösung der Gesellschaft - Bildung einer Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH - Konkursmasse als Grundlage für die Gründung einer neuen Gesellschaft - Gründung der NILES Werkzeugmaschinen GmbH am 1.1.1997 - NILES-Übernahme (Bereich Zahnradschleifmaschinenproduktion) durch Coburger Werkzeugmaschinenherst. Kapp - Übernahme von 94 ehemaligen NILES-Mitarbeitern - Ausrichtung auf das einstige Kerngeschäft (Werkzeugmaschinenbau) in der Piesporter Str. 50 - Aufstockung der Arbeitsplätze 1999 auf insges. 106 - NILES-Aus- u. Weiterbildungs-GmbH in der Gehringstr. 39
Übersicht 12 Siemens in Berlin: Kurzbilanz anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Siemensstadt im Juli 1999 Entwicklungsszenarien in Kurzfassung • Die Zeit nach dem Fall der Mauer: Befreiung von dem Ruf einer vom Bund abhängigen „verlängerten Werkbank" insbesondere nach dem Fortfall der Berlin-Förderung u. a. über die Durchsetzung flacher Hierarchien, Outsourcing von Funktionsbereichen als Folge eines gezielten Kosten-Nutzen-Denkens. Anhebung der Produktivität einzelner Werke (z.B. Anstieg im Glasfaserwerk um 80 % in fünf Jahren, Anstieg im Schaltwerk um 60 % in drei Jahren jeweils ab 1990). Vertriebskonzentration (von den Standorten Charlottenburg, Wedding und Mariendorf nach Siemensstadt). Zunehmende Ausrichtung auf produktionsnahe Dienstleistungen, vor allem Forschung und Entwicklung. Deutlicher Arbeitsplatzabbau Anfang der Neunzigerjahre.
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Übersicht 12 (Fortsetzung): Siemens in Berlin: Kurzbilanz anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Siemensstadt im Juli 1999 • Charakteristisches Kennzeichen 1999: Fortsetzung der Umstrukturierung in Berlin. Siemens beschäftigt in Berlin (einschl. aller Tochtergesellschaften) in 14 Werken insgesamt 20 000 Mitarbeiter. Über 2 400 Beschäftigte sind in der Forschung tätig, fünf Prozent mehr als 1990. Mit der Ausrichtung auf Dienstleistungen ist der Anteil der Produktion ab 1990 von 80 % auf 50 % gesunken. Damit hat sich Siemensstadt vom reinen Produktionsstandort zu einem Forschungs-, Fertigungs- und Dienstleistungszentrum entwickelt. Der Betriebszweig Kommunikation und Information, in welchem 1990 noch 55 Mitarbeiter tätig waren, ist bis Mitte 1999 auf rd. 1000 Arbeitsplätze angewachsen. Verkauf des Geschäftsgebietes „Elektromechanische Komponenten" im September 1999 an Tyco International Ltd. Zu den verkauften Produktionsstätten gehört auch die Berliner Relaisfertigung mit rd. 600 Mitarbeitern. Von den Umstrukturierungsmaßnahmen ist auch das Berliner Röhrenwerk betroffen. Im Rahmen des geplanten Verkaufs eines Teils des Werkes (Geschäftsfeld „Gittergesteuerte Röhren") sollen die hiervon betroffenen Arbeitsplätze bis zwei Jahre bei Siemens verbleiben und danach über eine Beschäftigungsgesellschaft gesichert werden. Planung einer Kooperation zwischen Siemens und der kanadischen BombardierGruppe im Bereich der Verkehrstechnik mit dem Ziel des Aufbaus eines Kompetenzzentrums in der Region Berlin-Brandenburg. Der Siemens-Fertigung von Signalund Sicherungstechnik in Berlin wäre im Falle der Realisierung eines entsprechenden Abkommens in den Kooperationsverbund eingeschlossen. Das in Berlin-Moabit angesiedelte Gasturbinenwerk profitiert von dem Kauf der Westinghouse-Kraftwerksparte: Die Auftragslage ist gesichert. Mit der TU Berlin betreibt Siemens ein „Center für Wandel und Wissenschaftsmanagement". Eröffnung von „Future Lab", einem „Zukunftslabor zum Anfassen" Mitte 1999 (Präsentation neuer Anwendungen fur die mobile Kommunikation). • Standortwandel in Siemensstadt: Abbau der arbeitsintensiven Fertigung 80 neue Klein- und mittelständische Unternehmen (mit rd. 2 000 Beschäftigten) mieten 1999 freigewordene Flächen an und nehmen ihre Tätigkeit auf. Modernisierung des ehemaligen Messgerätewerks rund um den Uhrenturm mit dem Ziel der Ansiedlung weiterer Unternehmen im Rahmen des Projektes „Partner fur Siemens". Trotz des tiefgreifenden Strukturwandels bleibt Siemensstadt auch nach 100 Jahren der größte einzelne Produktionsstandort des Unternehmens.
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4. Zum Industrieflächensicherungskonzept des Berliner Senats: Ziele seiner Fassung von 1992 und Gründe seiner Revision Bereits Anfang der Neunzigerjahre war deutlich geworden, dass der industrielle Sektor in beiden Teilen Berlins einem gravierenden Strukturwandel gegenüberstand. Gleichwohl wurde ihm im Rahmen der künftigen Wirtschafitsentwicklung der Stadt eine hohe Bedeutung zuerkannt. Mithin hatte der Berliner Senat 1992 auf der Grundlage eines Beschlusses ein Industrieflächensicherungskonzept (ISK) 6 2 festgelegt, um künftige Industrieansiedlungen zu begünstigen: Mehr als 3 000 Hektar auf 21 innerstädtischen Flächen wurden für industrielle Nutzungen reserviert. Damit sollte einmal dem Verdrängungsdruck, der insbesondere von Büros und Einzelhandel ausging, begegnet werden. Das ISK sollte ebenso als ein Instrument gegen die enorm anziehenden Preise für Gewerbeflächen (Büros, Dienstleistungen, großflächigen Einzelhandel) genutzt werden und schließlich sollte es auch als ein Signal für die Erhaltung des Industriestandortes Berlin verstanden werden. Nach einiger Zeit musste man senatsseitig jedoch eingestehen, dass einerseits mit dem ISK keine positive Wirkung mit Blick auf Neuansiedlungen erreicht und andererseits auch ein Abbau industrieller Potenziale nicht verhindert werden konnte. 63 Hinzu kam, dass die Flächensicherung zugunsten der Industrie im Zeitablauf von Behörden ignoriert worden war, wenn auf Industrieflächen die Ansiedlung von Dienstleistern genehmigt wurde, um die Entwicklung regionaler Standorte voranzubringen und Arbeitsplätze zu schaffen. So hatte sich die Wirkungslosigkeit des ISK beispielsweise frühzeitig in Oberschöneweide angesichts von Zusammenbruch und Abwanderung großer Produktionsbetriebe, der Entstehung und Ansiedlung vieler kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) unterschiedlicher Branchen, insbesondere vieler Dienstleister, erwiesen. Auf diese Weise hat sich besonders dieser altindustrielle Standort dank des Engagements einer Reihe von Akteuren, angefangen von der Berliner Landesentwicklungsgesellschafit, dem wohl größten Investor in Oberschöneweide, bis hin zur Privatwirtschaft (Beispiel: Peter Barg, Initiator des Kultur- und Technologiezentrums Rathenau), zu seinem Vorteil verändert. Die daraus zweifellos resultierenden positiven Effekte konnte auch der Berliner Senat nicht ignorieren. Insgesamt mussten derartige und weitere „Aufweichungen" des Flächensicherungskonzepts zwangsläufig zu einer Überarbeitung des Beschlusses von 1992 zugunsten von Dienstleistungen fuhren.
62 Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.): Konzept zur Sicherung von Gewerbe- und Industrieflächen in wichtigen Bereichen Berlins (Konzept zur Industrieflächensicherung). Berlin, Januar 1993. 63 Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe (Hrsg.): Wirtschaftsbericht Berlin 1999, a.a.O., S. 81.
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Im Rahmen der Überarbeitung des ISK wurden insgesamt 450 Hektar Fläche aus dem Konzept herausgelöst und wiederum neue Flächen in dieser Größenordnung berücksichtigt. Zu den nunmehr für die Ansiedlung produktionsgeprägter Dienstleister (Gebäudereiniger, Autowerkstätten, Recyclingunternehmen, Speditionen, Großhandel oder Baugewerbe) freigegebenen Flächen zählen in Lichtenberg der Bereich Landsberger Allee/Rhinstraße, in Köpenick die Wendenschloßstraße (Mischnutzungen), Schöneweide (Treptow/Köpenick) und mehrere Gebiete in Spandau. Wesentlich ist, dass die auch aus der Veränderung des ISK resultierenden Zielstellungen von weiteren Konzepten und stadträumlichen Leitplanungen untersetzt werden. Zu nennen sind im gegebenen Zusammenhang beispielsweise: -
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Das stadträumliche Konzept der gewerblichen Entwicklung Berlins, das vor allem mit der Festlegung von Forschungs- und Fertigungsschweipunkten die Standortprofile der einzelnen Berliner Stadträume ausweist. 64 Flächennutzungsplanung.65 Regelwerke im Sinne städtebaulicher Leitbilder, so z.B. das Regelwerk Südostachse.66 Planwerke, Beispiel: Planwerk Innenstadt Berlin. 6 7 Lokale Neuordnungskonzepte für ausgewiesene Sanierungsgebiete, Beispiel: Oberschöneweide, für das unter anderem Sanierungsziele, Investitionsschwerpunkte und Ergebnisse des strukturellen Wandels herausgestellt werden. 68
64 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe (Hrsg.): Berlin. Stadträumliches Konzept der gewerblichen Entwicklung (in Zusammenarbeit mit REGIOCONSULT). Berlin, Juni 1996. 65 Senatsverwaltung fur Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hrsg.): Aktualisierung des Flächennutzungsplans Berlin durch Änderungsverfahren. Aufgabe und Verfahrensabläufe. Berlin, September 1998. 66
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hrsg.): Regelwerk Südostachse, Städtebauliches Leitbild für die Magistrale vom Schlesischen Busch zum Adlergestell. Berlin 1997. 67 Senatsverwaltung fur Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hrsg.): Planwerk Innenstadt Berlin, Zusammenfassung aus den Machbarkeitsstudien für den instrumentellen Bereich. Berlin 1998. 68 Senatsverwaltung fur Bauen, Wohnen und Verkehr (Hrsg.): Oberschöneweide im Wandel. Neuordnungskonzept und Zwischenbilanz, August 1999. - Vgl. dazu ergänzend: Senatsverwaltung fur Bauen, Wohnen und Verkehr (Hrsg.): StadtSeiten, Köpenicker Stadterneuerung, April 1999 sowie Bezirksamt Köpenick (Hrsg.): Boden- und Grundwassersanierungen in Oberschöneweide seit 1991. Ein Projekt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Berlin, September 1999.
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5. Planungen, Probleme, Forderungen Allgemein besteht Einvernehmen darüber, dass der Strukturwandel in Berlin nur über eine Verbesserung der privatwirtschaftlichen Aktionsbedingungen und strikte Innovationsorientierung erfolgreich vollzogen werden kann. Die hiermit verbundenen Planungen ergeben sich zwangsläufig aus Zielstellungen, denen sich auch ein neuer Senat nicht verschließen kann. 6 9 Zu nennen wären insbesondere: - Die Schaffung bzw. Verbesserung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, welche Investitionen in der Stadt initiieren. Zweifellos wird dabei die Unterstützung einer weiteren Expansion von Dienstleistungen ohne Vernachlässigung der Industrie zu berücksichtigen sein. - Optimale Nutzung vorhandener Potenziale. Zu diesen Potenzialen werden zielgerichtete Kooperationen zwischen in Berlin ansässigen Wirtschafitsakteuren mit Einbeziehung kommunaler Verwaltungen gerechnet und daraus resultierende dichtere Netzwerke sowie die intensivere Nutzung von Möglichkeiten, die sich aus der Nähe zu den mittel- und osteuropäischen Staaten ergeben. - Orientierung auf solche zukunftsgerichteten Wachstums- und Kompetenzfelder, die im Bereich der höherwertigen Dienstleistungen angesiedelt sind und sich als „neue Impulsgeber" durch Verknüpfung mit Produktion, Technik und Wissenschaft ergeben. 70 Bislang erfolgreiche Unternehmensneugründungen zeigen, dass Wachstumsimpulse beispielsweise von der Bio- und Medizintechnologie, der Mikrosystemtechnik oder der Informations- und Kommunikationsbranche zu erwarten sind. 71 - Davon ausgehend, wird die gezielte Förderung solcher Bereiche angesehen, 79
mit denen sich Berlin als Kompetenzzentrum bereits etablieren konnte. - Ergänzt wurden derartige Ziele durch einen Forderungskatalog, den die Industrie- und Handelskammer zu Berlin (IHK) dem Berliner Senat präsentierte. Dazu zählen die Senkung von Abgaben und Steuern, die Technologieförde69 Dabei stellen sich zwangsläufig verschiedene Fragen, die zu beantworten sind. Vgl. dazu auch Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, 10 Jahre danach, a.a.O., S. 8. 70
Vgl. Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, a.a.O., S. 35.
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Nach Angaben der Senats Verwaltung für Wirtschaft und Betriebe waren im Frühjahr 1999 fast 75 000 Beschäftigte und rd. 25 000 freie Mitarbeiter in etwa 7 900 kleinen und mittleren Unternehmen der Medien-, Informations- und Kommunikationswirtschaft in Berlin tätig. - Als ein besonderer Standortvorteil erweist sich das in Berlin existierende Glasfaserkabelnetz, das mit 141 000 Kilometern als das längste Europas gilt. Vgl. dazu weiterhin Informations- uhd KommunikationsStandort Berlin. In: Der Tagesspiegel vom 25.4.1999, S. 25. 72 Die Ermittlung von Standortstärken und -schwächen war Gegenstand einer Befragung der wichtigsten Unternehmen der Stadt durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Tagesspiegel. Zu den Ergebnissen vgl. Hauptstadt Berlin - Metropole der Zukunft. In: Der Tagesspiegel vom 21.3.1999.
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rung, die Konzentration der Berliner Verwaltung und der Abbau zu lang andauernder Grundstücks- und Genehmigungsverfahren. 73 Hinsichtlich des Industrieflächensicherungskonzepts hatte die IHK bereits in ihrem Bericht 1998/99 angeregt, dieses „zu einem Konzept der Gewerbestandortentwicklung auszubauen. Damit wäre es nicht mehr auf Flächensicherung fixiert, sondern könnte geeignete Standorte z.B. für logistikorientierte oder forschungsorientierte Unternehmen nachweisen und auf diese Weise Synergieeffekte stärken." 7 4 Klärungsbedürftig bleiben darüber hinaus ebenso die in der Vergangenheit thematisierten und heiß diskutierten Investitionsvorhaben „Großflughafen Schönefeld" und „Transrapid" 75 . Nicht nur im Falle der von der IHK genannten Entwicklungsbremsen und Standortnachteile wurden abzubauende Defizite bei der Berliner Verwaltung genannt. Im Rahmen von Gesprächen und Diskussionen auf den 3. Wirtschaftstagen Köpenick/Treptow am 24. Und 25. September 1999 wurde ebenso deutlich gemacht, dass die Strategiebildung öffentlicher Akteure durch unterschiedliche Hürden eingeschränkt wird. Genannt wurden dabei u.a.: - Knappe Haushaltsmittel und daraus resultierender permanenter Sparzwang. - Geschäfitsverteilungspläne mit einer Vielzahl von Entscheidungsträgern und der Folge langandauernder Entscheidungsprozeduren, Bearbeitungszeiten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Verantwortungsbereichen, die insgesamt den Weg zu einer „integrierten" Problembetrachtung sowie Problemlösung blockieren und schließlich - parteipolitisch bedingte Zwänge und Proporzdenken. Unabhängig von derartigen Problemen und den mit diesen verbundenen Forderungen an den Berliner Senat spiegeln sich die gesetzten Entwicklungsziele für die Stadt in definierten Leitbildern wider. Zu nennen wären beispielsweise: - Berlin, Hauptstadt der Medien-Talente, - Berlin, Ort internationaler Kooperationen oder - Berlin, West-Ost-Kompetenzzentrum usw. Es bedarf insbesondere dann „eines Leitbildes, wenn das Umfeld einem starken Wandel unterliegt, so dass die Akteure gezwungen sind, die bisherigen Strukturen und die inneren Mechanismen von Anreizen und Koordination umzugestal-
73 Generalabrechnung mit dem Senat. In: Berliner Morgenpost vom 20.10.1999 und I H K plädiert für Neuauflage der großen Koalition. In: Berliner Zeitung vom 20.10.1999. 74
Industrie- und Handelskammer zu Berlin (Hrsg.): Bericht 1998/99, Ausblick auf das Jahr 1999 und Rückblick auf das Jahr 1998. Berlin 1999, S. 17. 75 Vgl. dazu u.a. Wirtschaftsweiser Hax: Staat sollte aus Transrapid-Projekt aussteigen. In: Berliner Zeitung vom 19.11.1999, S. 31.
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ten, die Kernaufgaben klar zu benennen und die Aufgabenerfüllung den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen."76 Dazu stellte die Bankgesellschaft Berlin in ihrem RegionalReport kritisch fest: „Deutliche Mängel bestehen vor allem in der Konkretisierung und Umsetzung. Ein für Berlin angemessenes Leitbild müsste dagegen über eine längere Zeit verfolgt werden. Für die auf allen Ebenen notwendigen Maßnahmen fehlt in Berlin aber ein politisches Konzept." 7 7 Hinzuzufügen ist dieser Feststellung, dass es einerseits sinnvoll ist, für Berlin Leitbilder zu definieren, nur müssen diese andererseits auch durch solche erkennbaren und spürbaren Aktionen ausgefüllt werden, die sich mittel- bis langfristig in Form von Wirtschaftswachstum und Behördenkompetenz äußern. 6. Schlussbemerkungen Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist festzustellen, dass der Wirtschaftsstandort Berlin die sich aus Globalisierung und verschärfenden Wettbewerb ergebenden Herausforderungen erfolgreich gemeistert hat. Zweifellos hatten hierbei die wiedererlangten Funktionen von Hauptstadt und Regierungssitz und die damit verbundenen Präferenzen einen nicht unbedeutenden Anteil. Besonders in Berlin, der einstigen Nahtstelle zwischen Ost und West, hatte der industrielle Strukturwandel einen radikalen Abbau von Arbeitsplätzen gekostet. Seit 1990, so die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe, sind insgesamt 270000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Demgegenüber nimmt der private Dienstleistungssektor für die Stadt an Bedeutung zu. Doch es steht fest, dass ein Wachstum bei den Dienstleistungen nicht automatisch Industriearbeitskräfte ersetzen kann. Als vorteilhaft für den Standort Berlin hat sich das Wirken zahlreicher Universitäten und Hochschulen ergeben, ergänzt durch die Aktivitäten von Technologie- und Gründerzentren und Wissenschaftsparks, von denen insgesamt spürbare innovative Impulse ausgegangen sind. Nicht weniger erfolgreich war die Gründungsoffensive des Berliner Senats. Vor diesem Hintergrund erwies sich das Engagement zahlreicher Unternehmen, angefangen von Siemens und Schering, über Coca-Cola, Gillette und Motorola bis hin zu Samsung als äußerst positiv. Erfolgsmesser für den Senat von Berlin, aber ebenso für die Wirtschaftsentwicklung der Stadt werden letztendlich jedoch der Abbau der Arbeitslosigkeit sowie die Ergebnisse der Durchsetzung eines kompetenten Verwaltungsmanagements sowie der wirksamen Sanierung des Berliner Haushalts sein.
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Walter Kahlenborn, Meinolf Dierkes, Camilla Krebsbach-Gnath, Sophie Mützel: Berlin Zukunft aus eigener Kraft. Ein Leitbild fur den Wirtschaftsstandort Berlin. FAB Verlag im Auftrag der GrundkreditBank, Berlin 1995, S. 23. 77
Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, a.a.O., S. 54.
Regionale Aktivitäten zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung: Die Bezirksreform in Berlin eine notwendige Maßnahme zur Entwicklung der Hauptstadtfunktion und Umlandverzahnung? Von Klaus Krakat
1. Einführende Bemerkungen Am 3. Oktober 2000 war der zehnte Jahrestag der deutschen Einheit. Er bot einen willkommenen Anlass zur Rückschau auf bislang vollzogene Entwicklungen in unterschiedlichen Bereichen. Und besonders Berlin, die alte und neue Hauptstadt, Regierungssitz des vereinten Deutschlands, vor der politischen Wende Nabelpunkt von West-Ost-Spannungen, bot und bietet vielfaltige Möglichkeiten der Bilanzierung relevanter Ereignisse. Zu diesen Ereignissen zählen vielfältige Neuerungs- und Strukturanpassungsprozesse, die auch zu veränderten Verwaltungsstrukturen in Berlin geführt haben. Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen zum Thema „Die Bezirksreform in Berlin - eine notwendige Maßnahme zur Entwicklung der Hauptstadtfunktion und Umlandverzahnung?" ist daher zwangsläufig die Fusion Berliner Bezirke und der damit verbundene Verwaltungsumbau. Einleitend beginnen diese jedoch zunächst mit der auf Bundesebene inzwischen eingeleiteten oder bereits vollzogenen Verwaltungsmodernisierung sowie einer anschließenden Rückschau auf wesentliche Tatbestände zum Zeitpunkt des Neuanfangs eines nunmehr wiedervereinigten Berlins 1990. Angesichts der zu registrierenden vielfältigen Veränderungen in Berlin zweifeln nicht nur kundige Kenner der Stadt kaum mehr daran, dass sich aus der einst zweigeteilten „Frontstadt" mit ihren typischen strukturellen Duplizitäten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur usw. inzwischen eine Stadt auf dem Weg in die Normalität und in Richtung zukunftsweisender Positionierungen entwickelt hat. 2. Die Berliner Bezirksreform vor dem Hintergrund der Verwaltungsmodernisierung auf Bundesebene Mit der Durchsetzung der Bezirksreform sind strukturelle Veränderungen in Anpassung an neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verbunden. Diese Veränderungen vollziehen sich in stadträumlicher, verwaltungsmäßiger und politischer Hinsicht:
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1. Im Fall der Fusion Berliner Bezirke handelt es sich um eine Veränderung der Bezirksgrenzen und mithin um stadträumliche Veränderungen. 2. Die mit der Bezirksreform eng verbundene Verwaltungsreformierung beinhaltet organisatorische Veränderungen, das heißt neue aufbau- und ablauforganisatorische Prioritäten in den neu zu strukturierenden Bezirksämtern sowie erhöhte Anforderungen an das Verwaltungsmanagement. 3. Die Strukturveränderungen politischer Art sind schließlich auf neue Interessenorganisationen bzw. -gruppierungen der auf Bezirksebene agierenden Parteien gerichtet, die teilweise das bisherige Bild der Parteienlandschaft durch die Bildung neuer Mehrheits- und damit auch Machtverhältnisse verändern. Ausgehend von derartigen organisationsspezifischen Besonderheiten ist hinsichtlich der Fusion Berliner Bezirke zunächst allgemein festzustellen: -
Die Berliner Bezirksreform stützt sich auf das Gesetz über die Verringerung der Zahl der Bezirke (Gebietsreformgesetz) vom 10. Juni 1998. - Die Bezirksreform wurde am 1. Januar 2001 umgesetzt und trat damit in Kraft. Aus 23 Berliner Bezirken wurden als Folge ihrer Zusammenlegung 12 Bezirke mit jeweils einer Verwaltung. - Die Bezirksreform ist eng verbunden mit der Berliner Verwaltungsreform. Beide Reformen sind daher als ein sich ergänzendes Regelungswerk aufzufassen. Dieses existiert zwar losgelöst von den Verwaltungsmodernisierungskonzepten der Bundesregierung. Sie sind jedoch von ihrem Sachansatz her gesehen in das von der Bundesregierung beschlossene Programm einer Staats- und Verwaltungsmodernisierung einzuordnen. Mithin ist festzustellen: 1. Die Grundlage für die Einbeziehung der Modernisierungsbestrebungen des Berliner Senats auf Verwaltungsebene in den Gesamtkomplex einer bundesdeutschen Verwaltungsmodernisierung bildet zweifellos ein Kabinettsbeschluss vom 1. Dezember 1999, mit dem nicht nur ein umfangreiches Programm der Bundesregierung zum Thema „Moderner Staat - Moderne Verwaltung" festgelegt wurde, sondern ebenso eine „Kooperation zwischen den Verwaltungsebenen", das heißt auch auf kommunaler Ebene, angestrebt wird. 1 2. Im Rahmen der angebotenen Kooperation verpflichtet sich unter anderem die Bundesregierung zum Partner für die Länder zu werden, da nur Bund und Länder gemeinsam die sie verbindenden Strukturen modernisieren können. Aufgaben- und Verantwortungsteilung wird deshalb wieder stärker Bestandteil des
1 Vgl. hierzu im Einzelnen: Moderner Staat - Moderne Verwaltung: Das Programm der Bundesregierung. Hrsg.: Bundesministerium des Innern, Stand: 1. Dezember 1999, S. 13. - Federführend für das Programm „Moderner Staat - Moderne Verwaltung" ist das Bundesministerium des Innern (BMI).
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bundesstaatlichen Prinzips werden. Der föderale Staats- und Verwaltungsaufbau gilt hierfür als Verpflichtung und Chance zugleich. 3. Mit diesem Kooperationsbeschluss lassen sich durchaus alle solche Modernisierungsaktivitäten in die vorgenannten Regierungsaktivitäten einbeziehen, die entweder bereits vor Dezember 1999 auf Länderebene entwickelt und/oder teilweise bereits umgesetzt oder parallel zu den Aktivitäten auf Bundesebene schon beschlossen worden sind. 4. Die zentrale Bedeutung des Themas wird nicht zuletzt durch folgende Fakten unterstrichen: - Veröffentlichungen des Bundesministeriums des Innern, die sich mit wesentlichen Einzelbereichen und -themen einer Verwaltungsmodernisierung befas2
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sen . Kongresse, z.B. der 2. Deutsche Verwaltungskongress „Effizienter Staat" in Berlin vom 10. bis 12. April 2000 im Roten Rathaus, auf welchem u.a. neue Organisationslösungen für Städte, Gemeinden und andere öffentliche Verwaltungen vorgestellt wurden, oder ein Kongress einschließlich Fachmesse unter dem Titel „Moderner Staat 2000" am 28. und 29.11.2000 auf dem Messegelände in Berlin. Ein Grundsatzreferat des Bundesministers des Innern, Otto Schily, zum Thema „Staatsmodernisierung und Verwaltungsreform: Praxis, Pläne und Perspektiven" im „Gesprächskreis Strukturreform der öffentlichen Verwaltung" der Friedrich-Ebert-Stiftung am 20. März 2000 in Berlin. Die eGovernment-Initiative „BundOnline 2005" der Bundesregierung, mit der ein Innovationsschub für Verwaltung und Wirtschaft initiiert werden soll, 3 und Veröffentlichungen in Fachzeitschriften. 4
2 Zu nennen wären u.a.: Moderner Staat - Moderne Verwaltung: Praxisbeispiel Qualitätsoffensive Statistik, Stand: April 2000; Moderner Staat - Moderne Verwaltung: Initiative Telearbeit der Bundesregierung, Stand: Mai 2000; Moderner Staat - Moderne Verwaltung: Deutschland präsentiert erfolgreiche Verwaltung. Erste europäische Qualitätskonferenz, Stand: Mai 2000; Moderner Staat - Moderne Verwaltung: Aktivitäten zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung in Bund und Ländern 2000, Stand: Mai 2000; sowie Moderner Staat - Moderne Verwaltung: Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Beschluss des Bundeskabinetts vom 26. Juli 2000. 3 Vgl. BundOnline 2005: Bundesregierung startet eGovernment-Initiative. Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern, Berlin, 19. September 2000. - Vgl. dazu auch: Die Bundesverwaltung geht ans Netz. In: Beilage Berliner Behördenspiegel, Oktober 2000, S. 1. 4
So u.a.: Hans-Henning von Hoerner: A u f dem Weg zu modernen Dienstleistungsunternehmen. In: Die Neue Verwaltung Nr. 2/1999, S. 24-26; Hanns-Eduard Meixner: Mehr Dienstleistung durch die öffentliche Verwaltung. Ein beschwerlicher Weg mit vielen Stolpersteinen. In: Die Neue Verwaltung Nr. 2/1999, S. 22-24; sowie ders.: Mehr Dienstleistung durch die öffentliche Verwaltung (Teil II). In: Die Neue Verwaltung Nr. 4/1999, S. 22-25; usw.
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Als Beispiele fur beschlossene unterschiedliche Programme und Aktivitäten, die als Folge einer Dienstleistungsorientierung und Verwaltungsmodernisierung anzusehen sind, können genannt werden: 5 -
Die Beschlüsse des Berliner Senats zur Bezirks- und Verwaltungsreform in Berlin. - Der Aufbau eines Netzes von Bürgerämtern in Berliner Bezirken seit 1992, bei dem die Bezirke Hellersdorf, Marzahn, Weißensee, Schöneberg und Köpenick im Sinne der Verwaltungsreform inzwischen anerkannte Erfolge verbuchen konnten. - Die Einrichtung des Investorenbüros im Bezirksamt Köpenick von Berlin als Folge der Berliner Verwaltungsreform. 6 - Die Verabschiedung von „Leitlinien für die Entwicklung der Gemeindestruktur im Land Brandenburg" am 11. Juli 2000 durch die Brandenburger Landesregierung, mit welchen der Aufbau einer „qualitativ hochwertigen und schnellen Verwaltung" zum Vorteil für Investoren und Bürger angestrebt wird. 7 Nicht unwesentlich ist zudem ebenso die Tatsache, dass vor allem Städte und Regionen untereinander in einem sich verstärkenden Standortwettbewerb stehen und mit besonderen Standortvorteilen um die Gunst von Investoren buhlen. Eine Dienstleistungsorientierung der öffentlichen Verwaltungen in Ländern, Kommunen und Städten steht daher im Mittelpunkt neuer Aktionsprogramme. 8 Damit geraten diese unter mehrfachen Druck: Um den wachsenden Erwartungen vor Ort ansässiger Unternehmen, Neuinvestoren und Bürgern zu genügen, müssen nicht nur effizientere Arbeitsformen eingeführt, neueste Informations- und Kommuni-
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Es handelt sich hierbei um einige aktuelle Beispiele einer Verwaltungsmodernisierung. Eine Übersicht von Verwaltungsreformen in den Ländern mit Stand Mai 2000 findet sich auch in: Moderner Staat - Moderne Verwaltung. Aktivitäten zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung in Bund und Ländern 2000, S. 7 ff. 6 Das Investorenbüro, welches auch in dem neuen Bezirksamt des Fusionsbezirks Treptow/ Köpenick tätig sein wird, begreift sich insbesondere als eine zentrale „Anlaufstelle fur Investoren, Existenzgründer und Gewerbetreibende", die auf der Grundlage einer ämterübergreifenden Kooperation schnell und unbürokratisch relevante Informationen über die strukturelle und soziodemographische Entwicklung im Bezirk usw. anbietet. - Vgl. dazu weiter: Manfred Sander u. Peter Stachelscheid: Die Bereiche Wirtschaftsforderung und Investorenbüro im Bezirksamt Köpenick - wesentliche Funktionen zur Durchsetzung kommunalpolitischer Zielstellungen. In: 4. AGORA-Workshop in Berlin-Köpenick vom 5. bis 7. Mai 1997. Workshop im Rahmen eines ECOS-OUVERTURE-Projektes des Bezirksamtes Köpenick mit Partnern aus Malmö, Stettin und Berlin-Kreuzberg einschließlich Tagung anlässlich der Europa-Woche 1997 zum Thema „Standortmarketing im europäischen Vergleich". FS-Analysen, Sonderheft 1997, S. 71-77. 7 Vgl.: Landesregierung verabschiedete Leitlinien zur Gemeindereform, in: Brandenburg Kommunal Nr. 32, Juli/August 2000, S. 3, sowie diesbezügliche weitere Beiträge im gleichen Heft. 8 Hinweise finden sich hierzu u.a. in der Reihe: Die Neue Verwaltung, Zeitschrift für modernes Management und Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung. Walhalla Fachverlag, Regensburg (9. Jahrgang im Jahr 2000).
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kationstechnik eingesetzt und mit weniger Einnahmen gerechnet werden. Darüber hinaus gilt es auf der politischen Seite Positionen zu behaupten und Einschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung abzuwehren. 9 3. Schaustelle Berlin: Eine Stadt im Zeichen des permanenten Wandels seit dem Fall der Mauer In Berlin sind die Veränderungen hinsichtlich einer Modernisierung der Stadtverwaltung vor einem besonderen Hintergrund zu sehen. Wesentlich ist vor allem, dass sich besonders in Berlin die einigungsbedingten Probleme auf engstem Raum konzentrierten. Diese haben bekanntlich ihren Ursprung in der über Jahre hindurch geteilten Stadt. Nach dem Fall der Mauer offenbarten sich in den bis dahin getrennten Berliner Stadthälften umfangreiche Defizite, die zu Lasten der Vereinigung wurden und mithin ebenso für die zunehmende Schieflage des Berliner Landeshaushalts verantwortlich waren: 1. Der einstige Westteil der Stadt war wirtschaftlich als strukturschwach zu bezeichnen. Der Grund hierfür resultierte aus dem fehlenden Umland, den weiten Transportwegen und der schlechten Infrastruktur, bedingt durch die mit der Insellage verbundene räumliche Begrenzung und Abnabelung. Viele Unternehmen hatte dies von einer Ansiedlung abgehalten. 2. Standortattraktivität und damit Investitionen konnten daher nur über das wirtschaftspolitische Instrument der Berlin-Subvention ermöglicht werden. Damit hatte man wiederum nicht nur eine gewisse Lethargie der Unternehmen mit einem Hang zur Forderung nach weiteren Subventionen gefordert, sondern ebenso den Aufbau und die Pflege „verlängerter Werkbänke" unterstützt, da Markt und Wettbewerb für die im Westteil der Stadt ansässigen Unternehmen keine Orientierungsgrößen bildeten. 3. Duplizitäten im Kulturbereich, in Wissenschaft und Forschung wurden zwar zu einem allgemein gern hingenommenen Kennzeichnen und Standortfaktor des vereinigten Berlins, sie erforderten aber seit dem Mauerfall zunehmende finanzielle Unterstützungen, um deren Existenz zu sichern und den Aktionsgrad und die Effizienz zu steigern. Letzteres betraf vor allem den Wissenschafts- und Forschungsbereich. 4. Die Übernahme von Beschäftigten aus der einstigen Ost-Berliner Magistratsverwaltung und dem DDR-Ministerrat hatte zu einer unvertretbaren personellen Überausstattung der neuen Berliner Verwaltung geführt. Diese Aktion war
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Vgl. dazu weiterhin: Unverzichtbare Dienstleistungen. Die Städte formulieren ihre Aufgaben neu. In: Beilage Berliner Behördenspiegel, Oktober 2000, S. Β X V I .
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jedoch aus Gründen eines sozial verträglichen Zusammenwachsens der beiden Stadthälften als unumgänglich angesehen worden. 5. Überdimensionierte und unflexible Kombinatsstrukturen mit Leistungsträgern, die fast ausschließlich auf die Belange des COMECON, insbesondere die der ehemaligen Sowjetunion ausgerichtet waren, konnten mit der Einführung der D-Mark und der Marktöffnung wohl kaum als Garanten für Wirtschaftswachstum in dem vereinigten Berlin angesehen werden. Hier waren vielmehr z.B. einschneidende Entflechtungsmaßnahmen und gravierende Neuorientierungen in Richtung veränderte Geschäfitsfelder, getragen von Marktorientierung und Risikobereitschaft, notwendige Fixpunkte eines Neubeginns. 6. Unterlassene Modernisierungs- und Ersatzinvestitionen hatten zudem in Betrieben im Ostteil Berlins zu nicht mehr voll funktionsfähigen Produktions- und Lagerstätten geführt. Besonders die produktions- und informationstechnische Infrastruktur der Betriebe offenbarte kaum beschreibbare Defizite; auch hier existierte bekanntlich keine tragfahige Plattform für einen Neuanfang. 7. Auf eklatante Defizite traf man auch im Bereich der Wohnbauten: Nicht wenige hatten vor allem das Stadtbild regionaler Produktionszentren geprägt und ein „Schmuddel-Image" entstehen lassen (Beispiel: „Oberschweineöde" statt Oberschöneweide im Bezirk Köpenick). Hier waren im Zeitablauf zum Abbau erkannter Probleme umfangreiche kostenintensive Strukturveränderungen und -anpassungen nötig. Mithin war vor allem die Wirtschaftssituation der Stadt am Anfang der Neunzigerjahre durch eine Fülle von Altlasten gekennzeichnet.10 Dementsprechend standen die politischen Akteure vor einer breiten Palette zu lösender Probleme. Hierzu hatte sich die Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat im „19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft" zu wesentlichen Problemen geäußert. Für die Wirtschaftspolitik wurden insbesondere folgende Aufgaben erkannt: 11 -
Sicherung und Ausbau der Attraktivität Berlins als Investitionsstandort. Förderung des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften und der Stadt mit ihrem Umland. - Verwirklichung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West. 10 Vgl. dazu u.a. auch Klaus Krakat: Die Entwicklung der Industrie Berlins seit der Wiedervereinigung. Erweiterte Textfassung eines Referates, gehalten am 10. September 1999 auf einer Veranstaltung des Ost-West-Kollegs der Bundeszentrale für politische Bildung, Brühl 1999, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft fur Deutschlandforschung, Berlin. Veröffentlicht in diesem Band, S. 69-118. 11 Vgl. dazu im Einzelnen: Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat, 19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft. Hrsg.: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Stand: November 1990, S. 6.
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- Nutzung des wissenschaftlich-technischen Potenzials, der „hochqualifizierten Dienstleistungsangebote" und der „Infrastruktur des Westteils der Stadt... als 19
Entwicklungskern für den Großraum Berlin". Bereits zu dieser Zeit hatten die politisch Verantwortlichen mit Blick auf die Bedeutung der Dienstleistungen im Rahmen des auszubauenden Wirtschaftsstandortes Berlin folgende Zielstellung festgelegt: „Berlin muss weiterhin ein zukunftsträchtiger Industriestandort bleiben. Aber: Die Wirtschaft setzt zunehmend auf Dienstleistungen. Gefragt ist nicht mehr das bloße Produkt allein. Mehr und mehr werden komplette Problemlösungen verkauft. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft schreitet voran." 1 3 Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der transformationsbedingten Strukturanpassungen und deren Folgen im Ostteil Berlins ergaben sich bekanntlich besondere Probleme, bedingt durch den sprunghaft angestiegenen Arbeitsplatzabbau. Dieser wurde zudem aufgrund von Marktanpassungen der in Berlin agierenden Industrieunternehmen drastisch beschleunigt. Nicht unwesentlich waren darüber hinaus Aufgaben, die sich mit - dem Aufbau einer nunmehr rechtsstaatlichen Verwaltung im Ostteil der Stadt sowie - der Durchsetzung einer zukunftsgerichteten Stadtplanung und Stadtentwicklung ergaben. Schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer wurde es als selbstverständlich angesehen, dass das wiedervereinigte Berlin Sitz des deutschen Parlaments und der Regierung werden musste. 14 Im weiteren Zeitverlauf wurden die vorgenannten Aufgaben und Zielstellungen modifiziert, ergänzt oder verändert. Somit durchlief die Stadt besonders bis zur Mitte der Neunzigeijahre eine Phase des permanenten Wandels. Dieser Wandel erreichte vor allem mit der Umsetzung des Beschlusses der Bundesregierung, den Regierungssitz in Berlin einzunehmen, eine besondere Dynamik. Die Stadt wurde nunmehr vor allem für Investoren oder Interessenvertretungen aus der Wirtschaft interessant. Dies führte zwangsläufig zu umfangreichen Neuorientierungen besonders im Bereich der Stadtgestaltung.
12 Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat, 19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft, a.a.O., S. 6. 13 Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat, 19. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft, a.a.O., S. 7. 14
Vgl. dazu: Berlin Hauptstadt, Beiträge zu einer aktuellen Diskussion, Fakten und Argumente. Hrsg. vom Presse- und Informationsamt des Landes Berlin und der Presseabteilung des Magistrats von Berlin (ohne Jahresangabe).
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Neben der Durchsetzung von Bezirks- und Verwaltungsreform hat sich die Berliner Landespolitik trotz leerer Kassen und daher unter Berufung auf das Sparsamkeitsprinzip eine breite Palette weiterer Ziele gesteckt. Ausgehend von dem Wirtschaftsbericht der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie für das Jahr 2000 1 5 sind hierzu zu rechnen: - Profilierung Berlins als moderner Dienstleistungsstandort und Stabilisierung der Stadt als industrieller Fertigungsstandort. - Weitere Nutzung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung auf dem Weg Berlins in die Informationsgesellschaft. 16 - Kontinuierlicher Ausbau der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern Berlin und Brandenburg in Vorbereitung auf die angestrebte Fusion der beiden Länder. - Unterstützung der zwölf neuen Bezirke Berlins bei der Herausbildung ihrer neuen Identität vor allem mit Blick auf die Entwicklung und Nutzung der vorhandenen Standortpotenziale. - Fortsetzung der bisherigen Existenzgründungspolitik durch Mobilisierung der vorhandenen Existenzgründerpotenziale und den weiteren Ausbau des Gründungsnetzwerkes. 1 7 - Anpassung des Hauptstadtmarketings an sich wandelnde Rahmenbedingungen, um die Stadt nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch als Stadt des Gastgewerbes und beliebtes Städtereiseziel weiter zu positionieren. 18 Hauptanliegen ist es, im Wettkampf der Metropolen „nicht mehr länger hinter London, Paris und Rom die ewig Vierte" zu sein. 19 Als weitere Ziele gelten vor allem: -
Fortsetzung der Neugestaltung der einzelnen Stadtregionen auf der Grundlage von Planwerken und Stadtentwicklungsplänen.
15 Berlin 2000, Wirtschaftsbericht. Hrsg. von der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie, Stand: Juni 2000. 16 Im gegebenen Zusammenhang wurden etwa 20 Leitprojekte in fünf strategischen Aktionsfeldern entwickelt: Berlin - Stadt des Wandels, Stadt des Wissens, Stadt der Logistik, die offene Stadt, Verwaltung interaktiv. - Vgl. dazu weiterhin: Berlin 2000, Wirtschaftsbericht 2000, S. 22 ff. 17 Damit ist die gezielte Förderung bereits bestehender Allgemeiner Gründerzentren, technologieorientierter Gründerzentren sowie Innovationszentren und -parks zur Initiierung des regionalen Wirtschaftswachstums eng verbunden. 18
Standortmarketing und damit auch Werbung für Berlin obliegen seit 1994 der mit Senatshilfe gegründeten „Partner für Berlin - Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH". Deren Arbeit erfolgt in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Wirtschaftsförderungs- und Marketinggesellschaften B A O B E R L I N Marketing Service GmbH oder Berlin-Tourismus Marketing GmbH ( B T M ) usw. 19
Lieber nach Berlin. In: Der Tagesspiegel vom 20.11.2000, S. 11.
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- Wahrnehmung städtebaulicher Aufgaben im Rahmen von Neubauvorhaben in enger Verbindung mit der Stadtentwicklungsplanung. Um dem fortschreitenden Rückgang industrieller Potenziale entgegenzuwirken, hatte der Berliner Senat bereits zu Beginn des Jahres 1993 ein Konzept zur Industrieflächensicherung 20 und in weiteren Schritten Konzepte zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Berlin erarbeitet und 1995 sowie 1996 21 vorgelegt. Hinsichtlich der Neu- und Umgestaltung von Stadträumen spielen inzwischen Planwerke und Stadtentwicklungspläne eine besondere Rolle. Mit Planwerken wollen die hierfür zuständigen Senatsverwaltungen erarbeitete Ziele und Konzeptionen für einen Gesamtraum und einzelne Teilräume vermitteln. Leitbilder sollen dabei dazu dienen, besondere regionale Qualitäten und Möglichkeiten stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und ein charakteristisches Image zu formulieren. Als Beispiele können hierfür die Planwerke „Innenstadt Berlin" 2 2 und „Südostraum" 23 genannt werden. Im Fall von Stadtentwicklungsplänen handelt es sich wiederum um Instrumente der informellen städtebaulichen Planung. Ein Beispiel ist der unlängst veröffentlichte Stadtentwicklungsplan „Gewerbe". Er löst das alte Industrieflächensicherungskonzept des Jahres 1993 und dessen Nachfolgekonzeptionen ab. Mithin stellt der Stadtentwicklungsplan Gewerbe (StEP) ein den neuen Rahmenbedingungen angepasstes Sicherungs- und Entwicklungskonzept für den produktionsgeprägten Bereich dar. Die Bundesrepublik, der Senat von Berlin und Investoren sowie Interessenvertreter verschiedener Couleur hatten die Stadt im bisherigen Zeitverlauf zur größten Baustelle der Welt gemacht, und ein Ende der Veränderungen ganzer Stadträume ist noch nicht abzusehen. Ein oft zitiertes Beispiel für den bislang vollzogenen städtebaulichen Umwälzungsprozess stellt das neue Zentrum am Potsda20 Senats Verwaltung für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.) und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz: Konzept zur Sicherung von Gewerbe- und Industrieflächen in wichtigen Bereichen Berlins (Konzept zur Industrieflächensicherung), Berlin, Januar 1993. 21
Senatsverwaltung fur Wirtschaft und Technologie (Hrsg.): Berlin, Räume für die Wirtschaft, Berlin, September 1995 (Ausgangskonzeption); Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie sowie Senatsverwaltung fur Wirtschaft und Betriebe in Zusammenarbeit mit Regioconsult Berlin: Berlin, Stadträumliches Konzept der gewerblichen Entwicklung. Berlin, Juni 1996 (Endkonzeption). - Vgl. dazu ergänzend Klaus Krakat: Industriestandorte im Ostteil Berlins 1989/1990 - Grundlage für Industrieflächensicherung und stadträumliche Neukonzeptionen des Berliner Senats. FS-Analysen, Sonderheft Nr. 2/1996, S. 6ff. 22 Planwerk Innenstadt Berlin: Ergebnis, Prozess, Sektorale Planungen und Werkstätten. Hrsg.: Senats Verwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Kulturbuchverlag, Berlin, August 1999. 23 Planwerk Südostraum Berlin: Leitbilder, Konzepte, Strategien. Hrsg.: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Kulturbuchverlag, Berlin, September 2000.
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mer Platz dar. Markantes Kennzeichen des Wandels war vor allem die rote InfoB o x 2 4 : Wegweiser zu den Orten der Stadterneuerung und touristischer Anziehungspunkt. „Schaustelle Berlin - Das neue Berlin entdecken" ist nicht nur ein Werbespruch von Partner für Berlin - Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH, sondern ist zu einem Synonym des Umbruchs und der permanenten Erneuerung geworden. Insgesamt hat sich die Stadt von einem Ort der Konfrontation zu einem Kompetenzzentrum in unterschiedlichen Bereichen gewandelt: Die deutsche Hauptstadt ist inzwischen nicht nur aufgrund touristischer Attraktionen einen Aufenthalt wert, sondern hat sich zu einem forschungsintensiven Hightech-Standort und ebenso zu einem expandierenden Dienstleistungszentrum mit vielen innovativen Unternehmen gewandelt. Berlin als Stadtstaat ist jedoch hoch verschuldet. Der Senat muss daher im Rahmen der Lösung seiner vielfältigen Aufgaben eine konsequente Sparpolitik verfolgen. Die Bezirksreform einschließlich Verwaltungsreform ist eine der Aufgaben, die unter Beachtung von Sparzwängen zu lösen ist. 4. Rahmenbedingungen des Handelns in Politik und Wirtschaft Die allgemeinen Rahmenbedingungen für den Neuaufbau der Stadt standen und stehen bekanntlich im Zeichen sogenannter „Megatrends", das heißt veränderten Rahmenbedingungen, die das allgemeine Handeln von Wirtschaft und Verwaltung bestimmen. Gemeint sind hiermit hinlänglich bekannte Entwicklungszwänge, denen sich auch die öffentlichen Verwaltungen nicht entziehen können. Zu nennen wären insbesondere: -
Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels (Bedeutungsanstieg der Dienstleistungen in Verbindung mit einem Gewichtsverlust der Industrie),
24 Da der Potsdamer Platz im Wesentlichen sein neues Gesicht erhalten hat und der Leipziger Platz nunmehr ebenfalls neu gestaltet wird, hat die Info-Box ausgedient. Nach einer „ A b schiedsparty", die die Betreiber am 30. Dezember 2000 gaben, wurden die Box abgebaut und ihre Einzelteile an Interessenten verkauft. 25 Der stetig ansteigende Anteil der Dienstleistungen an der wirtschaftlichen Wertschöpfung fuhrt zwangsläufig zu sektoralen Verschiebungen, das heißt zu Verschiebungen zwischen dem primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft usw.), dem sekundären Sektor (Produzierendes und Baugewerbe) und dem tertiären Sektor (Dienstleistungen). Dies zeigte sich besonders in den letzten Jahren hinsichtlich des Gewichtsverlustes der Industrie. Erklärungen für die sektoralen Verschiebungen begründen sich sowohl auf Nachfrage-Verlagerungen als auch auf angebotsseitige Veränderungen. Insbesondere der französische Wirtschafts- und Sozialforscher Jean Fourastié, Vertreter des angebotsseitig verursachten sektoralen Strukturwandels, hatte dem Dienstleistungssektor eine zentrale Bedeutung für Wirtschafts-, Struktur- und Beschäftigungsentwicklung beigemessen. Vgl. dazu Jean Fourastié: Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln 1969, hier S. 74ff., 122 ff., 269 u. 276. - Unabhängig hiervon ist der industrielle Strukturwandel als Folge der Einführung der
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- Auseinandersetzung mit der New Economy 26 als Folge der durch die Informations- und Kommunikationstechnologien induzierten weltweiten Veränderungen, die eng verflochten sind mit dem Bedeutungsanstieg des Dienstleistungsbereichs, - Anpassung an die Herausforderungen der Globalisierung 27 , - Liberalisierungen im Wirtschaftsbereich, - Flexibilisierung der Arbeitszeiten usw. Zweifellos steht Berlin als alte/neue Hauptstadt hinsichtlich der Meisterung all derjeniger Probleme, die sich aus vorgenannten Megatrends ergeben können, im Blickpunkt des allgemeinen Interesses. 5. Berlin im Blickpunkt des öffentlichen Interesses 5.1 Vergleiche mit anderen Städten Mit der Übernahme von Hauptstadtfunktion und Regierungssitz rückte Berlin in vielfältiger Hinsicht zunehmend in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Dies drückte sich z.B. in Befragungen von Unternehmen hinsichtlich der Dienstleistungsbereitschafit der öffentlichen Verwaltungen usw. aus.
Planwirtschaft in der DDR nach dem 2. Weltkrieg zu begreifen. M i t diesem Themenkreis hatte sich u.a. das Osteuropa-Institut an der FU Berlin beschäftigt. Vgl. hierzu wiederum z.B. Bodo Böttcher: Industrielle Strukturwandlungen im sowjetisch besetzten Gebiet Deutschlands. Osteuropa-Institut an der Freien Universität Berlin, Wirtschaftswissenschaftliche Veröffentlichungen, Bd. 4. In Kommission bei Duncker & Humblot, Berlin 1956; oder Gert Leptin: Veränderungen in der Branchenund Regionalstruktur der deutschen Industrie zwischen 1936 und 1962. Berichte des OsteuropaInstituts an der Freien Universität Berlin, Reihe Wirtschaft und Recht, Berlin 1965. - Die Rückführung (Systemtransformation) der DDR-Staatsbetriebe (Kombinate und Volkseigene Betriebe, VEB) nach dem Mauerfall stellt mithin eine Wiederherstellung marktwirtschaftlich orientierter Strukturen dar. 26 M i t „New Economy" wird allgemein ein Wirtschaftsphänomen bezeichnet, das sich in den USA ab etwa 1992 insbesondere durch Computereinsatz und Telekommunikation entwickelt und dort seither eine kräftige Wachstumsperiode eingeleitet hat. In Deutschland befindet sich dieser Wachstumsprozess noch in seinen Anfängen. Die Grundlage für die mit der New Economy umschriebenen Aktivitäten und Entwicklungen bilden technologische Innovationen sogenannter Pionier-Unternehmen der Netz-Ökonomie. Die Netz-Ökonomie ist wiederum eine technologisch-betriebswirtschaftliche Neuerung, die durch die Konvergenz von Mikroelektronik, Informatik, Telekommunikation sowie durch das multimediale, interaktive Internet zustande kommt. Dadurch werden informationsbasierte Transaktionen einfacher, schneller, besser und billiger, wenn sie nicht gar völlig entfallen. 27 Die Globalisierung kann als ein Prozess bezeichnet werden, „durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden - dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegungen von Kapital und Technologie". So Bernhard von Plate: Grundelemente der Globalisierung. In: Globalisierung. Informationen zur politischen Bildung Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 5, sowie die zum Stichwort „Globalisierung" im gleichen Heft enthaltenen Beiträge weiterer Autoren.
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So ermittelte die Zeitschrift „Impulse" gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung und der RWE AG die unternehmerfreundlichsten Städte Deutschlands.28 Die Grundlage bildete hierfür eine Befragungsaktion des Meinungsforschungsinstituts Forsa: Jeweils 100 vorwiegend Firmenchefs mittelständischer Unternehmen sollten ihre Erfahrungen mit solchen Institutionen mitteilen, die das Wirtschaftsklima in 25 deutschen Großstädten prägen. Im Fadenkreuz der Analysen standen zentrale Institutionen wie Industrie- und Handelskammern, die städtische Wirtschaftsforderung oder die Arbeitsämter. Als Kriterien eines Rankings dienten insbesondere die Erreichbarkeit der jeweiligen Institution, deren Fachkompetenz und Freundlichkeit, die Schnelligkeit der Reaktion auf Anfragen usw. Dabei erwies sich Bielefeld insgesamt als unternehmerfreundlichste Stadt. Berlin rangierte im Mittelfeld auf Platz 11 noch vor Städten wie Frankfurt am Main, München oder Bremen. Die Berliner Verwaltung erhielt hingegen im Vergleich der Großstädte die beste Benotung und errang den ersten Platz. Aber auch die Berliner Arbeitsämter wurden von den befragten Firmenchefs auf einen Spitzenplatz gesetzt. Dies galt jedoch nicht für die beiden Kammern. Sowohl die Industrieund Handelskammer zu Berlin (IHK) als auch die Handwerkskammer wurden im Schnitt eine Note schlechter bewertet als die Verwaltung. In einem ähnlich ausgerichteten und in der Wochenzeitschrift „Focus" veröffentlichten Vergleich, in dessen Mittelpunkt zum Beispiel die Wirtschaftskraft, die Karrieremöglichkeiten oder die Lebensqualität von insgesamt 83 getesteten deutschen Städten stand, war die Bewertung von Politik und Verwaltung nicht Gegenstand der Untersuchungen. 29 Im Rahmen einer weiteren, mehr auf Berlin ausgerichteten Aktion befragt im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel" das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seit Anfang 1999 regelmäßig „eine ausgewählte Gruppe von Repräsentanten der Berliner Wirtschaft zu aktuellen wirtschaftlichen und politischen Problemen der Stadt". Ziel der Befragungen soll es sein, „die Kenntnisse, Erfahrungen und Visionen von Akteuren der Wirtschaft zu nutzen, um eine Einschätzung der aktuellen Lage Berlins, seiner Probleme und Potenziale zu gewinnen, die das blasse Bild der Statistiken ergänzt". 30 Im Folgenden werden Ergebnisse der dritten Befragung vorgestellt. Die gegebenen Antworten führten zu folgenden Ergebnissen: Insgesamt wurde von den angesprochenen Unternehmen die in Berlin praktizierte Politik als „befriedi28 Vgl. 25 Städte i m Test. Deutschlands unternehmerfreundlichste Stadt heißt Bielefeld. In: Impulse. Das Unternehmermagazin, September 2000; S. 38ff. 29 Die Besten-Liste, 83 deutsche Städte im Test. In: Focus Nr. 50 vom 11. Dezember 2000, S. 270-282. 30 Berlin Future. Das Managerpanel von Der Tagesspiegel und D I W , Teil 1 : Ergebnisse der Befragung vom Juni 2000, Dokumentation (Der Tagesspiegel, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), S. 2.
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gend" bewertet. Zu den Stärken der Berliner Landespolitik wurden beispielsweise gerechnet: - Der Entschluss, die Bezirke zu reformieren einschließlich Verwaltungsreform, - die Technologie- und Innovationsorientierung, - die Definition und Fokussierung auf Kompetenzzentren, - die Existenzgründerforderung, - die Bevölkerungsnähe, - die zaghaften „Versuche" der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, - die Unterstützung von Events, die Berlins Ruf als tolerante Stadt fordern, und - die West-Ost-Integration. Auffällig ist die Liste der erkannten Schwächen, die der Berliner Landespolitik vorgehalten werden; sie ist länger als die der Stärken. Genannt wurden u.a.: -
Fehlende Führungspersönlichkeiten, keine klaren Prioritäten, mangelnde Konzentration der Senatsverwaltungen auf Schwerpunkte, Kompetenzüberschneidungen zwischen Zentral- (Senats-) und Bezirksverwaltungen, Verhaftung in alten Subventionsdenkmustern, Unbeweglichkeit großer Koalitionen, Provinzialität, Ressortegoismus, Abbau der Wissenschaftslandschaft und Konzeptionslosigkeit in der Kulturpolitik. 5.2 Zu den Feststellungen der unabhängigen Expertenkommission „ Staatsaufgabenkritik "
Unter der Leitung des CDU-Bundestagsabgeordneten und Verfassungsrechtlers Rupert Scholz hatte sich eine achtköpfige Expertenkommission im Auftrag des Berliner Senats seit dem 14. März 2000 mit den wahrzunehmenden staatlichen Aufgaben der Hauptstadt befasst und nach Möglichkeiten von Einsparpotenzialen gesucht. In dem nunmehr vorliegenden Zwischenbericht 34 heißt es, dass
31
Berlin Future, Teil 1, a.a.O., S. 5.
32
Berlin Future. Ein Managerpanel von Der Tagesspiegel und Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Teil 2: Grundauszählung und Anmerkungen der Teilnehmer, S. 6 u. 7. - Vgl. dazu auch: Das einzig Provinzielle an Berlin ist die Politik. In: Der Tagesspiegel vom 29.6.2000, S. 24. 33 34
Ebenda.
Vgl. Zwischenbericht der Expertenkommission Staatsaufgabenkritik, Stand: 17.11.2000 (48 Seiten). - Aufgrund einer Panne der Senatsinnenverwaltung sind über das Internet die kritischen
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der Senat rund 200 000 Mio. D M mittelfristig einsparen könne, wenn er sich zu einer umfassenden Strukturreform durchringt. Wie die Expertenkommission weiterhin feststellt, könnten der Abbau der gegenwärtigen Schuldenlast von etwa 65 Mrd. D M und notwendige durchgreifende künftige Einsparungen nicht mit den bislang praktizierten Maßnahmen erreicht werden. Insgesamt handelt es sich bei dem vorgelegten Bericht um einen Maßnahmenkatalog, der das gegenwärtige und künftige Handeln von Politik und Verwaltung den neuen Trends und daraus resultierenden Herausforderungen anpassen will. Hinsichtlich der Definition staatlicher Aufgaben geht die Expertenkommission von den Zwängen der aktuellen Rahmenbedingungen staatlichen Handelns aus. Das heißt, es wurde die Ausgangslage mit ihren unterschiedlichen Parametern analysiert. Damit stand der Ausgangspunkt des Problemlösungsprozesses fest. Zu Λc
berücksichtigen waren zunächst vor allem: - Die Globalisierung von Wirtschaft und Märkten, - die Osterweiterung der EU und - der Wandel im Aufgabenverständnis von Staat und Verwaltung. Hinzu kamen stadtspezifische Besonderheiten, so beispielsweise: - die finanzielle Situation Berlins und - die bereits umgesetzten Konzepte einer Staats- und Verwaltungsmodernisierung (Bezirksgebietsreform). Davon ausgehend wurden problembezogene Grundsätze fur die Definition staatlicher Aufgaben abgeleitet und Vorschläge für die Problemlösungen einschließlich Zeitplanung für deren Umsetzung erarbeitet. Der Expertenbericht nennt Vorschlagskomplexe: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
für bereichsübergreifende strukturelle Veränderungen in Berlin, zu Strukturfragen des Stadtstaates und der Einheitsgemeinde Berlin, zum Themenbereich Personal, für die bauenden Bereiche und die Bauaufsicht, für den Bereich Facility Management sowie für den Wirtschaftsbereich.
Im Einzelnen geht es hierbei wiederum um erwartete Maßnahmen bzw. Leistungen, die aus den vorgenannten Vorschlagskomplexen resultieren. Genannt wurden unter anderem:
Feststellungen der Expertenkommission vorab und ungewollt publik geworden. Vgl. dazu weiterhin: Sparkommission: Dem neuen Berlin fehlt ein Leitbild. Grünen-Abgeordnete Werner fand vertraulichen Bericht im Internet. In: Der Tagesspiegel vom 5.12.2000, S. 9. 35
Vgl. dazu auch Abschnitt 4, Rahmenbedingungen des Handelns in Politik und Wirtschaft.
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- Auslagerung (Outsourcing) solcher Leistungen, die durch private Dienstleister besser und preiswerter erbracht werden können (als Beispiel wurde der Baubereich mit Aufgaben des Planens und Bauens hervorgehoben), - Auflösung der Investitionsbank Berlin (IBB) und Aufgabenübertragung an private Kreditinstitute, - Wirtschaftlichkeits-Controlling hinsichtlich von Liegenschaften und Unternehmensbeteiligungen des Landes, - Prüfung der Berechtigung von Zuschüssen für Unternehmen wie Berliner Verkehrsbetriebe, Berliner Stadtreinigung oder der Flughäfen, - Anhebung der Wochenarbeitszeit der West-Beamten von 39,5 auf die im Ostteil Berlins bereits üblichen 40 Stunden, - Abbau von insgesamt 1500 Stellen in den Bezirken, - Einführung einer leistungsorientierten Vergütung der Führungskräfte in Verbindung mit einem verstärkten Wettbewerb auf Hauptverwaltungs- und Bezirksebene und - die bundesweite Ausschreibung von Stadtratsposten. Schließlich empfahl die Expertenkommission dem Berliner Senat, regelmäßig und in überschaubaren Abständen eine „Berlin-Bilanz" (im Sinne einer controllingbezogenen permanenten Situationsanalyse) aufzustellen. Hinsichtlich der Durchsetzung der Vorschläge wurden ein völlig neues Leitbild, eine Vision für das künftige Berlin, die im Sinne von Ziel- und Orientierungsgrößen am Anfang einer Aktionskette stehen sollen, als unerlässlich genannt. Die Vorschläge der „Scholz-Kommission" sind jedoch auf nicht unerhebliche Kritik gestoßen: „Die Tendenz stimmt", doch hapere es an Erklärungen, ob und wie man die erhobenen Forderungen umsetzen könne. Mit Recht wurde beispielsweise ebenso vorgeschlagen, Leitbilder für Einzelbereiche zu definieren, damit Berlin in Einzelbereichen „national und international noch erfolgreicher werden kann." 3 6
36 Michael Posch: Wenig Courage beim Personal. Kritische Stimmen zu Vorschlägen der Scholz-Kommission. In: Berliner Morgenpost vom 28.12.2000, S. 29. - Kritik hatte bereits die Bankgesellschaft Berlin in ihrem im Mai 1999 veröffentlichten RegionalReport geübt. Diese war vor allem auf die unbefriedigende „Umsetzung von Leitbildern" gerichtet. Vgl. Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, 10 Jahre danach: Der Wirtschaftsstandort Berlin - Anspruch und Wirklichkeit, Mai 1999, S. 54.
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6. Die Berliner Bezirksreform: Rechtliche Grundlagen, Aufgaben, Kosten und Begründung 6.1 Zu den rechtlichen Grundlagen der Durchführung Der Senat von Berlin hatte bereits wenige Jahre nach dem Fall der Mauer damit begonnen, die öffentliche Verwaltung den sich verändernden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Bezirksreform, genauer: die Gebietsreform, zählt dabei zu den aktuellen Anpassungsvorgängen. Sie stellt jedoch hinsichtlich des hier relevanten Aktionskomplexes eine Maßnahme dar, die nicht losgelöst von weiteren, sie ergänzenden und unterstützenden Reformund Anpassungsmaßnahmen gesehen werden darf. Sämtliche Maßnahmen basieren weitgehend auf gesetzlichen Regelungen und Programmen des Berliner Senats. Zu nennen sind insgesamt folgende Regelungen: 37 1. Das Reformprojekt „Neues Berliner Verwaltungsmanagement" vom 10. Mai 1994. 2. Das Verwaltungsreformgesetz vom 19. Juli 1994. 3. Die Ausdehnung der Verwaltungsreform ab 11. Juni 1996 auf die gesamte landesunmittelbare Verwaltung. 4. Der Beschluss der Richtlinie zur Neustrukturierung der Senatsverwaltungen am 3. Juni 1997. 5. Die Verfassung von Berlin (VvB) vom 23. November 1995, zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin (VvB) vom 3. April 1998, hier insbesondere Artikel 4 und 99a VvB. 6. Das Gesetz über die Verringerung der Berliner Bezirke (Gebietsreformgesetz) vom 10. Juni 1998 38 mit Einzelheiten zur Aufbau- und Ablauforganisation der Zusammenführung von Bezirken sowie den zu beachtenden Neu- bzw. Ergänzungsregelungen; ergänzend dazu: Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872 vom 16. August 1997 betr. Vorlage zur Beschlussfassung. 7. Das Dritte Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung (VerwaltungsreformGrundsätze-Gesetz, VGG) vom 17. Mai 1999, zuletzt geändert durch Artikel X I des Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher und haushaltsrechtlicher Vor-
37 Die Regelungen sind zum überwiegenden Teil in folgender Broschüre enthalten: Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftigungssicherung. Hrsg.: Senatsverwaltung für Inneres, Ressortübergreifende Reformprojekte - Personalagentur - , 1. Auflage, April 2000. - Vgl. ergänzend dazu auch: Fragen & Antworten zur Besetzung der LuV-Leitungen in den fusionierenden Bezirken. Hrsg.: Senatsverwaltung für Inneres, Bereich R. Stand: März 2000, hier S. 5. 38 Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin (GVB1.), 54. Jahrgang, Nr. 19 vom 20. Juni 1998, S. 131 ff.
Die Bezirksreform in Berlin - Eine notwendige Maßnahme
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Schriften vom 22. Juli 1999 mit besonderen Vorschriften und Verweisungen auf andere Regelwerke. 8. Die Verwaltungsreform- und Beschäftigungssicherungsvereinbarung 2000 VBSV 2000 - vom 30. August 1999. 9. Das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) in der Fassung vom 17. Juli 1989, zuletzt geändert durch Artikel IX des Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher und haushaltsrechtlicher Vorschriften vom 22. Juli 1999. 10. Das Personalvertretungsgesetz des Landes Berlin (PersVG) vom 26. Juli 1974 in der Fassung vom 14. Juli 1994, zuletzt geändert durch Artikel V I I des Gesetzes zur Sanierung des Haushalts 2000 vom 20. April 2000. 6.2 Aufgabenstellung, Lösung und Kosten der Zusammenlegung von Bezirken Im Vorblatt der Vorlage zur Beschlussfassung des Gebietsreformgesetzes heißt es zu dessen Aufgabenstellung: 39 „Der Senat hat beschlossen, die Zahl der Bezirke von 23 auf 12 zu vermindern und den Innensenator beauftragt, hierzu einen Vorschlag vorzulegen. Der Senat will an der zweistufigen Verwaltung fur Berlin festhalten. Sie hat sich bewährt. Die Veränderung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technischer Strukturen bedingt jedoch eine veränderte Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung. Neben einer Verwaltungsreform, die innere Abläufe effizienter gestaltet, gehört hierzu auch ein System dezentral angebotener Dienstleistungen, das bürgernah und flexibel, stadtteilbezogen und miteinander vernetzt Anträge und Anliegen entgegen nimmt und bearbeitet. Die angespannte Haushaltslage Berlins erzwingt eine Überprüfung aller Verwaltungsstrukturen auf ihre Effizienz. Unter Berücksichtigung der unstreitig guten Erfahrungen bei der Verwaltung von Bezirken in der Größenordnung von ca. 300 000 Einwohnern ist der Senat der Auffassung, dass eine bürgernahe, demokratische und leistungsfähige Verwaltung auf Bezirksebene gewährleistet werden kann, wenn die Verwaltungsuntergliederungen Berlins so zusammengeführt werden, dass sie ihre Leistungen für eine vergleichbare Einwohnerzahl erbringen. Die vorgenannten Ziele können am besten durch das Zusammenführen der gegenwärtig 23 Bezirke Berlins zu 12 Bezirken erreicht werden." Zur Sicherstellung vorgenannter Aufgabenstellung wurden insbesondere folgende Lösungen angeboten:40
39 Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872 vom 26. August 1997, hier: Vorblatt S. 1. 40
Abgeordnetenhaus von Berlin, Vorblatt, a.a.O., S. 1 u. 2.
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1. Die „für die ausgewogene Zusammenlegung auf zwölf Bezirke erforderlichen Gesetzesänderungen werden dem Abgeordnetenhaus mit dem beigefügten Entwurf" und unter Berücksichtigung neuer Bezirksgrenzen und der Festlegung künftiger Bezirksnamen vorgelegt. 2. Um die geforderte Bürgernähe zu gewährleisten, „sollen in den bisherigen Rathäusern der Bezirke und je nach Bedarf an weiteren Orten dezentralisierte, leicht erreichbare Bürgerämter eingerichtet werden". Diese sollen in der Weise ausgestattet sein, dass Anliegen und Anträge in allen bezirklichen Angelegenheiten „effizient und kompetent entgegengenommen und bearbeitet werden können". Zu den mit der Bezirksreform verbundenen kostenmäßigen Effekten wurde wiederum festgestellt: 41 „Bei der vorgeschlagenen Zusammenlegung auf zwölf Bezirke ist eine Senkung der Kosten um insgesamt rund 203 Mio. D M jährlich zu erwarten." 6.3 Begründung Für die Beschlussfassung des Gesetzes über die Verringerung der Berliner Bezirke (Gebietsreformgesetz) und die damit zusammenhängende Ausrichtung der Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung auf Effektivität und Markt hatte der Berliner Senat folgende Begründungen in den Mittelpunkt seiner Darlegungen gestellt: 42 1. Den Wandel gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technischer Strukturen. 2. Die nach der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften entstandenen Zwänge, die sich durch Einbeziehung Berlins in den bundesweiten Finanzausgleich bei gleichzeitigem Wegfall der Bundeshilfe ergaben. 3. Die Stärkung der Hauptstadtfunktion durch Bildung eines einheitlichen, großen Bezirks „in der Mitte der Stadt als bezirklicher Partner von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat" mit dem Ziel, Doppelarbeit und Reibungsverluste zu vermeiden, „die bei einer Zusammenarbeit von Bundesorganen auf der einen Seite, Senat und mehreren zuständigen Bezirken auf der anderen Seite unausweichlich" sind, sowie 4. die angespannte Haushaltslage Berlins. Resümierend unterstreicht der Berliner Senat die von ihm getragene Begründung der Bezirksreform, vor allem auch angesichts vorgebrachter Gegenäußerungen am Ende der Vorlage zur Beschlussfassung des Gebietsreformgesetzes: 43 41
Drucksache 13/1872, Vorblatt, a.a.O., S. 2.
42
Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872, hier: Vorlage zur Beschlussfassung, S. 3. 43
Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872, a.a.O., S. 41.
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1. „Die Haushaltslage und die fur die nächsten Jahre absehbare wirtschaftliche Entwicklung Berlins zwingen zu Reformmaßnahmen. ..." 2. „Um mehr Effektivität zu erreichen, ist die Vergrößerung der örtlichen Zuständigkeitsbereiche der unteren Verwaltungseinheiten Berlins unausweichlich. So können die Ressourcen fur die Erfüllung der überall im Wesentlichen gleichgelagerten Aufgaben gebündelt werden." 3. „Anerkannte Kriterien für eine ,optimale Betriebsgröße' der Bezirke gibt es nicht. Daher legt der Senat eine vergleichbare Bevölkerungszahl den weiteren Strukturüberlegungen zugrunde. ..." 4. „Ausgehend von der langjährigen Erfahrung, dass die Verwaltung von Bezirken mit ca. 300 000 Einwohnern ohne weiteres zu leisten ist, bleibt der Senat bei seinem Vorschlag, das Gebiet von Berlin künftig in zwölf Bezirke einzuteilen." 5. „Die vom Senat vorzulegenden Entwürfe zur Aufgaben Verlagerung auf die Bezirke und die vom Rat der Bürgermeister in seiner Stellungnahme vorgetragenen Vorschläge zur Regelung der Bezirksamtsbildung und zur Stärkung der Rechtsstellung der Bezirke sind rechtlich nicht so eng mit der Bezirksgebietsreform verknüpft, dass sie nur zusammen mit der Neugliederung der Bezirke beraten und entschieden werden könnten. ..." 6.4 Bilanzierende Feststellungen Ausgehend von den sich aus dem Gebietsreformgesetz ergebenden Aufgabenstellungen und deren Begründung kann an dieser Stelle festgestellt werden: Das neue Verwaltungshandeln in Berlin soll -
sich an den ökonomischen Kategorien von Wirtschaftlichkeit, Wirksamkeit, Marktorientierung und Wettbewerb ausrichten, - den Bedürfnissen der Adressaten staatlichen (kommunalen) Handelns, nämlich der Bürger und der Wirtschaft, anpassen und - parallel dazu zu einer Steigerung der Motivation, Arbeitszufriedenheit und damit Leistungsfähigkeit der Beschäftigten in den Verwaltungen führen. Mit dieser Neuorientierung äußert sich eine Grundphilosophie des gegenwärtigen Wandlungs- und Reformprozesses im Verwaltungsbereich in Deutschland insgesamt. Wesentlich ist dabei, dass auch in Berlin der Weg von der reinen Ämterverwaltung zu komplexen Dienstleistungsunternehmen führen soll. Ob derartige Ziele in den verbürokratisierten und durch Proporzdenken belasteten Verwaltungen in naher Zukunft durchsetzbar sind, scheint fraglich. Angesichts der Fülle relevanter Einzelregelungen und der damit verbundenen Empfehlungen und Neuerungen beschränken sich die nachfolgenden Ausführun-
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gen weitgehend auf wesentliche organisatorische und personelle Aspekte der Fusion sowie auch auf markante Kennzeichen der Fusionsbezirke. 7. Aufbau- und ablauforganisatorische Aspekte der Bezirksreform Im Frühjahr 1998 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus über die Reduzierung der bisherigen 23 auf nunmehr 12 Stadtbezirke entschieden. Dieser Entscheid gehört zum Kern der Berliner Verwaltungsreform, mit der die Stadt nach eigenem Bekunden einen Sparkurs eingeschlagen hat. Ausgehend von den gesetzlich fixierten Vorgaben war besonders das Jahr 2000 von den Vorbereitungen der Zusammenführung von Bezirken geprägt. Die damit verbundenen Planungen und deren zum überwiegenden Teil bereits vollzogene Umsetzung in die Praxis lassen eine breite Palette insbesondere unterschiedlicher struktureller wie personeller Veränderungen und Anpassungen erkennen (vgl. dazu ergänzend Abb. 1), - die mit einer Neufassung stadträumlicher Strukturen aufgrund der Zusammenlegung (Fusion) von Bezirken verbunden sind, - die sich in besonderen organisatorischen Veränderungen auf der Ebene von Verwaltungen (Abschichtung von Aufgaben von den Zentralverwaltungen bzw. Senatsverwaltungen in Richtung der Bezirksverwaltungen) einerseits und in der Zuweisung neuer und/oder veränderter Leistungen in teilweise neuen Organisationsformen andererseits äußern und - die mit der Bildung besonderer politischer Strukturen, das heißt Zweckbündnissen bzw. sog. Zählgemeinschaften, auf Bezirksebene bei der Wahl der neuen Führungsspitzen der Fusionsbezirke Bedeutung erlangten. 7.1 Aufbauorganisatorische
Maßnahmen
7.1.1 Die neuen Bezirke und Bezirksgrenzen Die Zusammenlegung von bisher 23 auf nunmehr 12 Bezirke ist Hauptanliegen und Hauptkennzeichen der Bezirksreform. Die gesetzliche Grundlage hierfür bildet das bereits zitierte „Gesetz über die Verringerung der Zahl der Bezirke (Gebietsreformgesetz)". 44 Nähere Einzelheiten der Zusammenlegung wurden dazu in der Vorlage zur Beschlussfassung des Gesetzes geregelt. So wird mit den §§ 1 und 2 festgelegt, welche Bezirke miteinander fusionieren und welche als sog. „Single"-Bezirke unverändert bleiben (zu den neuen Bezirken vgl. auch Abb. 2).
44
Weitere Hinweise sind dem „Gesetz über die Verringerung der Zahl der Bezirke (Gebietsreformgesetz)" vom 10. Juni 1998 zu entnehmen. Vgl. dazu Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 54. Jahrgang, Nr. 19 vom 20. Juni 1998, S. 131.
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Langfristig ausgerichtet
Kurzfristig ausgerichtet (ggf. auf eine Legislaturperiode)
Die verwaltungsmäßige und stadträumliche Komponente beinhaltet die mit den Reformmaßnahmen verbundenen Organisationsveränderungen in Richtung miteinander vergleichbarer Verwaltungsstrukturen in den neuen Bezirken Quelle: Marianne Rittner: Bezirke vor dem Countdown. In: Berliner Morgenpost 2.10.2000, S. 40.
Abb. 1 : Dimensionen von Bezirks- und Verwaltungsreform aus organisatorischer Sicht mit Blick auf die Fusionsbezirke
Reinickendorf •fl Ο • Ä
Prenzlauer Berg/ Pankow/ ..Weißensee
Spandau
Mitte/ Tiergarter Wedding Charlottenburg/ Wilmersdorf :höneberc "empelhof
Zehlendorf/Steglitz
Hellersdorf/ , Marzahn
Neukölln . Treptow/Köpenick
Abb. 2: Die zwölf neuen Bezirke
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Der § 2 nennt zudem die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vergebenen vorläufigen Namen der Fusionsbezirke. 45 Hiervon ausgehend, handelt es sich um folgende zwölf Bezirke, deren Nummerierung zudem in der Berliner Verfassung festgelegt ist: 1. Wedding-Tiergarten-Mitte (Hauptstadtbezirk) 2. Friedrichshain-Kreuzberg 3. Prenzlauer Berg-Pankow-Weißensee 4. Charlottenburg-Wilmersdorf 5. Spandau 6. Zehlendorf-Steglitz 7. Schöneberg-Tempelhof 8. Neukölln 9. Treptow-Köpenick 10. Hellersdorf-Marzahn 11. Lichtenberg-Hohenschönhausen 12. Reinickendorf. Hinsichtlich einer weiteren Untergliederung der Fusionsbezirke nach Ortsteilen existieren hingegen keine Regelungen. Diese wären jedoch zur besseren Orientierung im Falle gleicher Straßennamen in einem Bezirk sowie für die nicht unwesentliche Kiezidentifikation der Bürger sinnvoll gewesen. Die Grundlage für die Beschlussfassung, welche Bezirke miteinander fusionieren, bildete eine Analyse der Einwohnerentwicklung auf der Grundlage einer Bevölkerungsprognose für Berlin von 1996 bis 2010 vom 2. Januar 1997, für welche die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz verantwortlich zeichnete. 46 7.1.2 Zur Forderung nach einheitlichen bezirklichen Organisationsstrukturen Die Senatsverwaltung für Inneres hatte hinsichtlich der Bezirksreform im Rahmen ihrer Maßnahmenplanungen und deren schrittweisen Umsetzung die Forderung nach einheitlichen, das heißt miteinander vergleichbaren bezirklichen Organisationsstrukturen seit Beginn des Organisationsentwicklungsprozesses und 45 Vgl. hierzu auch die Vorlage zur Beschlussfassung über das Gebietsreformgesetz. Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872, Anlage 1. 46 Vgl. dazu die Vorlage zur Beschlussfassung über das Gebietsreformgesetz, Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872, Anlagen 1 und 2. - Im Vorfeld der hiermit verbundenen Entscheidung standen auch andere Fusionsvarianten zur Diskussion. I m Anschluss an den Vortrag „Regionale Aktivitäten zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung: Die Bezirksreform in Berlin ..." des Verfassers wurde ein „Alternativ-Vorschlag" zur „Bezirksneugliederung in zehn Bezirke", gestützt durch ein Thesenpapier (K. Scherf: Acht Thesen: 12 neue Bezirke oder besser nur 10?), vorgestellt (s.a. Beitrag von K. Scherf in diesem Band).
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auch während seines Verlaufs stets vertreten. Vom Gesetzgeber sind entsprechende Forderungen im Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz (VGG) mit der Festschreibung einer organisatorischen Mindestrahmenregelung berücksichtigt worden (§§2 und 8 VGG). Danach haben sich die Berliner Behörden regelmäßig zu gliedern in: - Die Leitung der Behörde (Beispiel: Bezirksamt), - die grundlegenden Organisationseinheiten, bezeichnet als sogenannte „Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV)", - die Serviceeinheiten und - den Steuerungsdienst. Daneben lässt das Gesetz nur in begründeten Ausnahmefallen die Bildung anderer Organisationseinheiten zu. Im Falle der Bezirksverwaltungen sind das die Rechtsämter, die Bürgerämter und die besonderen Organisationseinheiten für Wirtschaftsberatung und -förderung. Dies wird zudem durch § 37 Abs. 1 des Bezirksverwaltungsgesetzes bestätigt. Hier heißt es dazu: 47 „Das Bezirksamt gliedert sich entsprechend § 2 des VerwaltungsreformGrundsätze-Gesetzes in nicht mehr als fünfzehn Leistungs- und Verantwortungszentren (Ämter), nicht mehr als sechs Serviceeinheiten, den Steuerungsdienst und das Rechtsamt." Im Folgenden soll auf wesentliche Änderungen hinsichtlich der von der Fusion betroffenen Funktionseinheiten, aber auch auf fusionsbedingte organisatorische Neuerungen näher eingegangen werden. Der Rat der Bürgermeister (RdB) Der Rat der Bürgermeister bleibt auch nach der vollzogenen Bezirksfusion bestehen. Er setzt sich zusammen aus - den Bürgermeistern der ab 2001 existierenden 12 Bezirke sowie - dem Regierenden Bürgermeister von Berlin und dessen Stellvertreter. Der Senat von Berlin ist verpflichtet, in grundsätzlichen Fragen der die Hauptstadt betreffenden Gesetzgebung und der Verwaltung die Stellungnahme des Rates der Bürgermeister einzuholen. Gleiches gilt für Gesetzesvorlagen des Berliner Abgeordnetenhauses. Demzufolge bildete die Stellungnahme des Rates der Bürgermeister zum Fusionsbeschluss eine wesentliche Voraussetzung fur die Verabschiedung der Bezirksreform. 48 47 Senatsverwaltung für Inneres (Hrsg.): Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftigungssicherung. Berlin, 1. Auflage, April 2000, S. 38. 48
Vgl. im Einzelnen die Stellungnahme des Rats der Bürgermeister zu den Senatsvorlagen zur Bezirksgebietsreform. In: Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872, Anlage 6, S. 16 ff. Ergänzend hierzu vgl. ebenso: Bericht der Arbeitsgruppe Gebietsreform des
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Von Bedeutung ist im gegebenen Zusammenhang zudem, dass die Bürgermeister der Bezirke und ebenso die Stadträte auf der Ebene der Bezirksämter eine „kollegiale Verwaltungsbehörde" bilden. Die Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV) Mit der Verwirklichung der Bezirksreform wird der Begriff „Amt" durch den neuen Begriff „Leistungs- und Verantwortungszentrum (LuV)" ersetzt. Mithin haben die Leistungs- und Verantwortungszentren die Funktionen der bisherigen Ämter übernommen. Wesentlich ist, dass sich die Ämter in den fusionierten Bezirken im Vergleich zu deren Ausgangssituation (vor der Verwaltungsreform) grundlegend unterscheiden. Nicht nur deren Zahl ist reduziert, sondern auch qualitative Veränderungen sind vorgenommen worden: In den Ämtern als Leistungsund Verantwortungszentren soll nunmehr neben der wahrzunehmenden Fachverantwortung auch eine Ressourcenverantwortung übernommen werden, die als strukturprägend angesehen werden kann. Danach sind Leitungskräfte nicht mehr nur Vorgesetzte, die vor allem für die fachliche einwandfreie Aufgabenerledigung verantwortlich sind. Bei den Führungsaufgaben innerhalb der neuen Struktur handelt es sich auch um Managementaufgaben, denn die Wahrnehmung der dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung verlangt veränderte Führungsfähigkeiten. Daraus folgt vor allem 4 9 : Die Führungskräfte, von denen Ergebnisverantwortung erwartet wird, müssen mit Blick auf die Belange der eigenen Organisationseinheit allgemein vorgegebene Ziele konkretisieren, umsetzen und durchgeführte Maßnahmen evaluieren können. Zur Besetzung der LuV-Leitungen heißt es wiederum: LuV-Leitungsstellen sind grundsätzlich Beamtenstellen. Wenn jedoch hiervon vorher eine Stelle bereits als Angestelltenstelle ausgewiesen worden war, kann diese wieder als Angestelltenstelle Berücksichtigung finden. 50 Von Bedeutung ist, dass nach § 3 Abs. 2 Verwaltungsreform-GrundsätzeGesetz in „den Leistungs- und Verarbeitungszentren ... mindestens alle zwei Jahre Befragungen der Adressaten ihres Verwaltungshandelns (unter anderem Kundenbefragungen) durchgeführt" werden. 51 Deren Ergebnisse und daraus abzuleitende Maßnahmen sollen zudem „in geeigneter Weise" bekannt gegeben werden.
ständigen Ausschusses für Inneres des RdB. In: Drucksache 13/1872, a.a.O., Anlage 6 A , S. 18ff., sowie Bericht der Arbeitsgruppe Gebietsreform des ständigen Ausschusses für Inneres des RdB Teil I I - , Drucksache 13/1872, a.a.O., Anlage 6 B, S. 30ff. 49 Weitere Hinweise gibt § 5 Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz. In: Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftiungssicherung, a.a.O., S. 4. 50
Vgl. dazu Senatsverwaltung für Inneres, Bereich R: Fragen & Antworten zur Besetzung der LuV-Leitungen in den fusionierenden Bezirken, Stand: März 2000, S. 18. 51 Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz. In: Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftigungssicherung. Hrsg.: Senatsverwaltung für Inneres, a.a.O., S. 3.
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Unabhängig von derartigen Leistungsanforderungen äußert sich das Bezirksverwaltungsgesetz, hier in § 37 Abs. 2, zu den Aufgabenbereichen der Leistungsund Verantwortungszentren wie folgt: „Leistungs- und Verantwortungszentren werden für folgende Aufgabenbereiche eingerichtet (Kern-Ämter), in denen die dort fachlich zugeordneten Leistungen des bezirklichen Produktkatalogs (Aufgabenspektrum) erbracht werden: - Bürgerdienste (einschließlich Bürgerämter) - Jugend - Gesundheit - Soziales - Bildung, Schule, Kultur - Wirtschaft - Wohnen - Planen, Vermessen - Bauen - Umwelt, Natur". Damit sind zehn von fünfzehn Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV, Kern-Ämter) festgeschrieben. Teilungen und Ergänzungen von LuV dürfen nur im Fall besonderer bezirklicher Gegebenheiten unter Beibehaltung der Grundstrukturen gemäß § 37 Abs. 2 erfolgen. Darüber hinaus ist - wie oben bereits erwähnt - gemäß § 37 Abs. 4 Bezirksverwaltungsgesetz zum Beispiel die Bildung einer Organisationseinheit, das heißt einer LuV, für Wirtschaftsberatung und -förderung möglich. 53 Die Bürgerämter Die Bürgerämter zählen im Sinne der vorangegangenen Ausführungen zu den sogenannten zehn Kern-Ämtern; sie sind mithin gemäß § 37 Abs. 2 Bezirksverwaltungsgesetz Leistungs- und Verarbeitungszentren. 54 Darüber hinaus waren und sind Einrichtung und Ausbau dezentraler Bürgerämter im Rahmen der Dienstleistungs- und Bürgerorientierung der Berliner Verwaltungseinrichtungen auch Gegenstand der Vorlage zur Beschlussfassung des Gebietsreformgesetzes. 55 Nicht zuletzt war sie ebenso ein Anliegen der Verwaltungsreform. Insge-
52 Bezirksverwaltungsgesetz. In: Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftigungssicherung, a.a.O., S. 38. Hinsichtlich der LuV-Struktur enthält das Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz in seinem Abschnitt II, § 8 den gleichen Wortlaut. Vgl. Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz, in: Regelungen zur Modernisierung ..., a.a.O., S. 5. 53 Als Beispiel kann hierfür das als Folge der Umsetzung der Verwaltungsreform im früheren Bezirksamt Köpenick geschaffene Investorenbüro genannt werden, dessen Hauptaufgabe die Wirtschaftsentwicklung und -förderung war. 54 Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz. In: Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftigungssicherung, a.a.O., S. 38.
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samt sollen die Bürgerämter als „Anlaufstellen" die publikumsintensiven „Leistungen verschiedener Ämter bündeln und zu bürgerfreundlichen Öffnungszeiten anbieten können". Mithin ist deren Kennzeichen ein Angebot „integrierter" Leistungen in möglichst einem Amt. Das heißt: Es werden erstmals Dienstleistungen von verschiedenen Behörden, insbesondere der Bezirke und der Meldestellen des Landeseinwohneramtes, gemeinsam angeboten. Für diese Sofortmaßnahme ist in dem Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz die rechtliche Grundlage durch eine Experimentierklausel geschaffen worden. Unabhängig davon gilt auch fur die Bürgerämter als Leistungs- und Verantwortungszentren die Durchsetzung miteinander vergleichbarer Leistungen. Der Aufbau von insgesamt 60 solcher Ämter ist im Rahmen der Schaffung eines Netzes von Bürgerämtern für Berlin mit erweiterten Dienstleistungen vorgesehen. Bereits im Jahr 1999 sind hinsichtlich der Einrichtung und Neuorientierung von Bürgerämtern zum Beispiel im Bezirk Köpenick an zwei Standorten alle erforderlichen rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen worden, um erheblich erweiterte Dienstleistungen erbringen zu können. In dem zweiten Köpenicker Bürgeramt befinden sich z.B. eine Meldestelle sowie Serviceleistungen des Finanzamtes.56 Aber auch in dem Fusionsbezirk Hellersdorf/Marzahn sowie in den „alten" Bezirken Weißensee und Schöneberg wurden erhebliche Erweiterungen des Dienstleistungsangebots registriert. Wie vorangegangene Beispiele zeigen, werden zu den erweiterten Dienstleistungen der Bürgerämter insbesondere Aufgaben der Meldestellen des Einwohnermeldeamtes als Folge einer Abschichtung von Melde-, Pass- und Ausweisangelegenheiten auf die Bezirke und ebenso Servicedienste der Finanzämter gerechnet. Zur Umsetzung eines Beschlusses des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 28. Mai 1998 ist im übrigen eine „ A G Abschichtung Meldestellenaufgaben" gebildet worden. 57 Darüber hinaus wurde ein Arbeitskreis Bürgerservice mit Vertretern aus verschiedenen Bezirksämtern mit dem Ziel gegründet, ausgehend von einer Analyse des Ist-Zustands, Konzepte einer qualitativen Weiterentwicklung des Dienstleistungsangebots der Bürgerämter zu erarbeiten. Die Organisationseinheit „Wirtschaftsberatung und -förderung" Nach dem Bezirksverwaltungsgesetz koordiniert diese Institution als Leistungs· und Verantwortungszentrum und „als bezirkliche Anlauf- und Beratungsstelle für Unternehmen und Existenzgründer insbesondere Genehmigungsverfahren, fordert die zügige Bearbeitung und wacht über die Einhaltung von Bearbei-
55
Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/1872 (A. Begründung), S. 3.
56
Vgl. Die Bezirkshochzeit Köpenick-Treptow, Bürgernähe bleibt das A und O/Neue Bürgerämter. In: Bezirksmagazin Köpenick/Treptow, Ausgabe Köpenick, 7. Jahrgang 2000, S. 3-5. 57
Vgl. dazu Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksachen Nr. 13/2738, 13/2744 und 13/2744-1.
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tungsfristen" 58 . Auch hierbei geht es wiederum um das Angebot „integrierter" Dienstleistungen, die darauf ausgerichtet sind, bereits vor Ort ansässigen Unternehmen oder Investoren und Existenzgründern zeitraubende Wege und Gespräche in unterschiedlichen Ressorts abzunehmen, das gewünschte Know-how im Bereich der bezirklichen Wirtschaftsforderung zu bündeln und auf diese Weise kundenorientierte Dienstleistungen anzubieten. Das bereits an anderer Stelle genannte Investorenbüro des Bezirksamts Köpenick, eine „Anlaufstelle für Investoren, Existenzgründer und Gewerbetreibende", hatte mit seiner in dem vorgenannten Sinne ausgerichteten Arbeitsweise eine für Berlin fast einmalige Vorzeigefunktion bereits seit längerer Zeit ausgeübt. Gegenstand seiner Aktivitäten wa59
ren. - Verbesserung der Grundlagen der Wirtschaftsentwicklung (Infrastruktur und Wirtschaftsklima), - Gewerbeflächenausweisung und -Vermarktung in enger Verbindung mit kompetenten Partnern (z.B. der Berliner Landesentwicklungsgesellschaft, BLEG), - Sicherung der Entwicklungsförderung der im Bezirk ansässigen Unternehmen, - Förderung der Gründung von Standortgemeinschaften durch Begünstigung des Aufbaus von Gewerbe- und Industrieparks sowie Technologie- und Gründerzentren, - Förderung von Beschäftigung und Qualifizierung, - Standortmarketing durch ein der Öffentlichkeit zu vermittelndes positives Bild des Bezirks usw. Auch unter den Bedingungen der Bezirksreform sollen vorgenannte und weitere Dienstleistungen im neuen Bezirksamt Treptow/Köpenick angeboten werden. Die Bezirksverordnetenversammlungen: Struktur und Zählgemeinschaften Die Berliner Bezirksverwaltung besteht aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und den Bezirksämtern. Die einzelnen Bezirksverordneten werden von den wahlberechtigten deutschen Bürgern und von den Staatsangehörigen aus den Ländern der Europäischen Union, die in den Bezirken leben, gewählt. Nach dem Willen der Verwaltungsreform wurden im Oktober 2000 die Berliner Bezirksverordneten der Fusionsbezirke zu konstituierenden Sitzungen einberufen, um ihre Bürgermeister und Stadträte zu wählen. Die Größe der einzelnen Bezirksverordnetenversammlungen variiert:
58 Senatsverwaltung fur Inneres (Hrsg.): Regelungen zur Modernisierung der Berliner Verwaltung und Beschäftigungssicherung, a.a.O., S. 38. 59 Vgl. Klaus Krakat: Der Bezirk Köpenick, Partner von lokalen Akteuren aus verschiedenen Regionen im Rahmen eines ECOS-OUVERTURE-Projektes. FS-Analysen, Sonderheft 1998, S. 54 ff. Ergänzend hierzu wird auf Anmerkung 6 (Abschnitt 2) verwiesen.
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- Bei der Fusion von drei Bezirken handelt es sich um jeweils 89 Sitze, und - im Fall der Fusion von zwei Bezirken sind es jeweils 69 Sitze. Die auch in Zukunft eigenständigen Bezirke, die sogenannten „Single"-Bezirke, weisen je 55 Sitze auf. Mit den Wahlen hatten am 4. Oktober 2000 die Fusionsbezirke Zehlendorf/ Steglitz und Mitte/Tiergarten/Wedding begonnen. Die Bezirksverordnetenversammlungen in den Fusionsbezirken mussten bei ihren Wahlentscheidungen von der Tatsache ausgehen, dass die ab dem Jahr 2001 zur Verfugung stehenden Spitzenposten der Bürgermeister und Stadträte als Folge der durch die Bezirksreform festgeschriebenen Reduzierung der Gesamtzahl der Bezirke auf nunmehr zwölf begrenzt und damit auch hoch begehrt waren. Das Vorschlagsrecht für die Postenbesetzungen haben im Prinzip die stärksten Fraktionen in den Bezirksparlamenten. Hinsichtlich der anstehenden Wahlen war es den einzelnen Parteien jedoch zuerkannt worden, sogenannte Zählgemeinschaften zu bilden, um mit der sich daraus ergebenen Stimmenzahl die stärkste Fraktion zu übertreffen. In einem solchen Fall musste das Vorschlagsrecht auf die gebildete Zählgemeinschaft übergehen. 60 Bei einer Zählgemeinschaft handelt es sich nicht um eine allgemein übliche Koalition von Parteien, sondern um eine vorherige Wahlabsprache zwischen Parteien, das heißt um eine strategische Allianz bzw. um ein Zweckbündnis, welche mit Blick auf die Wahl der neuen Bezirksamtsspitze durch die Bezirksverordnetenversammlung beschlossen wurde. Wie es sich im weiteren Zeitablauf gezeigt hatte, wurde die Mehrzahl der zu vergebenen Spitzenpositionen auf der Grundlage derartiger Zählgemeinschaften gebildet. Die auf diese Weise entstandenen neuen Führungsstrukturen sollen anhand von Beispielen verdeutlicht werden (zur Struktur der Sitzverteilung in fünf Beispielbezirken vgl. Abb. 3). Beispiel 1 : Der Regierungsbezirk Mitte-Tiergarten-Wedding - Neuer Name des Fusionsbezirks: Berlin-Mitte (Hauptstadtbezirk, lfd. Nr. 1 der offiziellen Reihenfolge) - Struktur der Leitungsebene Bürgermeister und Stadtrat für Personal und Verwaltung: Joachim Zeller,
60 Eine solche Verfahrensregelung, bezeichnet als d'Hondtsches Höchstzahlverfahren, galt fur den Westteil Berlins bis 1990. Danach war es den Fraktionen überlassen, mehrheitsfähige Kandidaten zu benennen. Das Verfahren gilt jedoch deshalb als problematisch, weil es „unter Umständen eine Bezirksamtsbildung vorgibt, die die Mehrheitsverhältnisse der B V V nicht widerspiegelt, z.B. einer Fraktion die absolute Mehrheit der BA-Spitze beschert, über die sie in der B V V nicht verfugt". Vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode. Hier: Bericht der Arbeitsgruppe Gebietsreform des ständigen Ausschusses für Inneres des Rats der Bürgermeister - Teil I I - . Drucksache 13/1872, a.a.O., S. 32.
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CDU Stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat für Soziales und Gesundheit: Hans Nisblé, SPD Stadträtin für Stadtentwicklung, Umwelt, Naturschutz: Dorothee Dubrau, parteilos, für Bündnis 90/Grüne Stadtrat für Wirtschaft, Bauen und Immobilien: Dirk Lamprecht, CDU Stadtrat für Schule, Sport, Kultur: Horst Porath, SPD Stadtrat für Finanzen und Jugend: Jens-Peter Heuer, PDS. - Wahlbasis: Zählgemeinschaft CDU und Bündnis 90/Grüne. - Mehrheitsverhältnisse im Bezirk: CDU und Bündnis 90/Grüne bilden die Mehrheit. Beispiel 2: Der Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg - Neuer Name des Bezirks: Friedrichshain-Kreuzberg (lfd. Nr. 2) - Struktur der Leitungsebene Bürgermeisterin und Stadträtin für Gesundheit und Personal: Bärbel Grygier, parteilos, für PDS Stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat für Finanzen und Verwaltung: Michael Schäfer, CDU Stadtrat für Bauen und Stadtentwicklung: Franz Schulz, Bündnis 90/Grüne Stadtrat für Wirtschaft und Soziales: Lorenz Postler, SPD Stadträtin für Jugend und Familie: Cornelia Reinauer, PDS Stadtrat für Bildung, Kultur und Sport: Joachim Kohl, CDU. - Wahlbasis: Zählgemeinschaft PDS, Bündnis 90/Grüne und SPD. - Mehrheitsverhältnisse im Bezirk: Die PDS bildet die stärkste Fraktion in der neuen BVV. Beispiel 3: Der Fusionsbezirk Prenzlauer Berg-Pankow-Weißensee - Neuer Name des Bezirks: Noch offen, Streitfall (lfd. Nr. 3). - Struktur der Leitungsebene Bürgermeister und Stadtrat für Wirtschaft, Personal, Verwaltung: Alex Lubawinski, SPD Stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat für Wohnen und Verkehr: Horst Hartramph, PDS Stadtrat für Kultur, Finanzen und Immobilien: Burkhard Kleinert, PDS Stadträtin für Jugend, Schule und Sport: Christine Keil, PDS Stadtrat für Stadtentwicklung und Soziales: Andreas Bossmann, CDU Stadträtin für Gesundheit, Umwelt und Natur: Ines Saager, CDU. - Wahlbasis: Zählgemeinschaft PDS und SPD - Mehrheitsverhältnisse im Bezirk: Die PDS stellt die stärkste Fraktion in der neuen BVV.
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Beispiel 4: Der Fusionsbezirk Treptow-Köpenick - Neuer Name des Bezirks: Treptow-Köpenick (lfd. Nr. 9) - Struktur der Leitungsebene Bürgermeister und Stadtrat für Personal u. Verwaltung, Finanzen/Wirtschaft: Dr. Klaus Ulbricht, SPD Stellvertretende Bürgermeisterin und Stadträtin für Bildung: Eva Mendl, PDS Stadtrat fur Bauen, Umwelt und Natur: Dieter Schmitz, SPD Stadtrat für Jugend und Sport: Joachim Stahr, CDU Stadtrat für Stadtgestaltung: Oliver Scholz, CDU Stadträtin für Gesundheit und Soziales: Anita Engelmann, PDS. - Wahlbasis: Zählgemeinschaft SPD und CDU - Mehrheitsverhältnisse im Bezirk: Relativ ausgeglichen, jede Fraktion hat Anspruch auf zwei Stadträte. Beispiel 5: Der Fusionsbezirk Hellersdorf-Marzahn - Neuer Name des Bezirks: Hellersdorf-Marzahn (lfd. Nr. 10) - Struktur der Leitungsebene Bürgermeister und Stadtrat für Personal und Verwaltung: Uwe Klett, PDS Stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat für Bauen, Wohnen, Bürgerdienste: Svend Simdorn, CDU Stadträtin für Jugend, Familie und Soziales: Petra Leuschner, PDS Stadtrat für Wirtschaft, Liegenschaften und Kultur: Harald Paul, SPD Stadtrat für Bildung und Sport: Michael Szulczewski, CDU Stadtrat für Gesundheit, Stadtplanung und Umwelt: Heinrich Niemann, PDS. - Wahlbasis: Mehrheitsverhältnisse in der BVV - Mehrheitsverhältnisse im Bezirk: Die PDS hat die absolute Mehrheit. Zweifellos sind mit der Zulassung von Zählgemeinschaften die bisherigen Mehrheits- und damit auch Machtverhältnisse in den Bezirksparlamenten verändert worden. Was auf Landesebene 2000 noch mit Misstrauen beobachtet und noch nicht angestrebt wurde, gehört in einigen Fusionsbezirken nunmehr zur Praxis: Eine - wie es hieß - sachorientierte Zusammenarbeit vor allem zwischen SPD und PDS. Der Wandel in den Mehrheitsverhältnissen, der auch zu neuen Führungsspitzen führte, musste zwangsläufig zur Kritik bei den unterlegenen Parteien führen. So sprach die CDU offen von einem „Tabubruch" angesichts des SPD-PDS-Bündnisses im Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die damit verbundene Wahl eines PDS-Bürgermeisters. 61
61 Vgl. dazu Markus Falkner: Schmusekurs oder Verrat? SPD und PDS einig über Ämterverteilung. Heftige Reaktionen auf linkes Bündnis im Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. In: Berliner Morgenpost vom 20.9.2000, S. 30, sowie Jetzt regiert die PDS im Westen mit. In: Der Tagesspiegel vom 20.10.2000, S. 15.
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Die Sitzverteilung der BVV im neuen Bezirk Berlin-Mitte Gesamtzahl der Sitze:
Rep Die Sitzverteilung der BVV im Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg Gesamtzahl der Sitze: 69
Die Sitzverteilung der BVV im Fusionsbezirk Treptow-Köpenick Gesamtzahl der Sitze: 69 B'90/G SPD
Die Sitzverteilung der BVV im Fusionsbezirk Prenzlauer Berg-Pankow-Weißensee Gesamtzahl der Sitze: 69 Endgültiger Bezirksname ungeklärt
Abb. 3: Die neue Struktur der Sitzverteilung der B V V i n Fusionsbezirken (Beispiele)
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Andererseits hatten sich ebenso CDU und Bündnis 90/Grüne hinsichtlich der Wahl der neuen Spitze des Bezirksamtes Tiergarten/Mitte/Wedding vereinigt. Wie verlautete, wurde der „ungewöhnliche Zusammenschluss ... von beiden Parfi) teien auf Landesebene ausdrücklich begrüßt". Problematisch gestaltete sich mitunter die Wahl von Kandidaten für Stadtratposten in den neuen Bezirksämtern. In Treptow-Köpenick musste z.B. der PDSKandidat in allen sechs Wahlgängen eine Niederlage hinnehmen. SPD und CDU hatten seine Wiederwahl (der Kandidat war Köpenicker Stadtrat für Jugend und Umwelt bis Ende 2000) verhindert, weil sie seine „zu linken" Positionen ablehnten. Zudem wurde ihm seine frühere SEW-Mitgliedschafit vorgeworfen. An seine Stelle trat nunmehr eine PDS-Kandidatin, die bislang Stadträtin für Jugend, Kultur und Bildung im Bezirk Mitte war und von der Bezirksverordnetenversammlung am 20.12.2000 als sechstes Bezirksamtsmitglied gewählt wurde. Daneben bildeten aber auch Einigungen auf BVV-Ebene in den Fusionsbezirken Grund für „heiße" Diskussionen. Dies zeigte sich besonders im Fall des Fusionsbezirks Prenzlauer Berg-Pankow-Weißensee. Hier hatte die Entscheidung der Bezirksverordneten am Ende einer langen Diskussion, den neuen Bezirk ab Januar 2001 „Pankow" zu nennen, zu massiven Protesten seitens des Bezirksamtes Prenzlauer Berg und der Bewohner dieses Bezirks geführt. 63 7.2 Ablauforganisatorische
Aspekte: Etappen des Fusionsablaufs 1999-2000
Einzelheiten der Fusion sind im Gebietsreformgesetz vom 10. Juni 1998 geregelt. Die §§ 42b und 42 c, welche als Folge des Gebietsreformgesetzes in das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) eingefügt wurden, verpflichteten die Bezirke bereits vor der eigentlichen Fusion (1. Januar 2001) zu einvernehmlichen Regelungen, insbesondere im Fall von Personalentscheidungen. Wesentliche Vorschriften zur Strukturierung ergeben sich aus § 2 Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz (VGG), zur Definition der sogenannten „Kern-LuV" aus § 37 BezVG und zu den Führungskräften mit Ergebnisverantwortung aus § 5 BezVG sowie zu den Übergangsvorschriften aus § 18 VGG. Hinsichtlich der Vorbereitung fusionsnotwendiger Maßnahmen hatten die Fusionsbezirke aktionsübergreifende Koordinierungsgruppen gegründet. Mit Rück-
62 Katja Füchsel: Schwarz-Grün sticht Rot-Rot. Während sich SPD und PDS auch auf Landesebene näherkommen, wollen die Christdemokraten jetzt mit den Bündnisgrünen in Verhandlungen treten. In: Der Tagesspiegel vom 18.9.2000, S. 13. 63 Vgl. weiterhin Ole Töns: Pankow schluckt Prenzlauer Berg, Name des Szenebezirks verschwindet: Was sagen die Bewohner? In: Der Tagesspiegel vom 8.12.2000, S. 14, oder Namenszug noch zu stoppen, Ärger mit dem Fusionsbezirk ,Pankow'/Brief an Diepgen. In: Der Tagesspiegel vom 9.12.2000, S. 15.
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griff auf den Fusionsbeschluss ergab sich zwangsläufig die Ausarbeitung eines für die umzustrukturierenden Bezirke verbindlichen Zeit- und Maßnahmenplans, um einen möglichst effizienten Ablauf notwendiger Organisationsmaßnahmen zu gewährleisten. Von der Senatsverwaltung fur Inneres ist hierfür nachfolgender Zeitplan (mit Stand vom März 2000) ausgearbeitet und veröffentlicht worden: 6 4 - 29. Mai 1999: Inkrafttreten des Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetzes (VGG). - 29. Mai 1999 (bis April 2000): Ab Inkrafttreten des VGG Vorbereitung der Bildung sog. Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV), den neuen kommunalen Aktionszentren auf Bezirksebene. - 10. Oktober 1999: Inkrafttreten der Zusammenfuhrungspflicht (Gebietsreformgesetz, Gesetz zur Änderung dienst- und haushaltsrechtlicher Vorschriften). - Ab April 2000: Entscheidungen über Organisationsstrukturen der neuen Bezirke einschließlich der Kapitalstrukturen ihrer Haushalte für das Jahr 2001. - Mai/Juni 2000: Erarbeitung der Anforderungsprofile für die Leitungen der Leistungs- und Verantwortungszentren, der Servicezentren, des Steuerungsdienstes der Zusammenfuhrung, des Rechtsamtes. - Ab Juni 2000: Ausschreibung der zu besetzenden Stellen mit anschließendem gruppenbezogenen Auswahlverfahren für Leitungskräfte (§ 6 Abs. 5 Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz). - Ab 1.10.2000: Wahl des neuen Bezirksamtes durch die B V V der neuen Bezirke (Leitung, Funktionen usw. gem. § 42b Abs. 2 Bezirksverwaltungsgesetz), Beschlussfassung der einzelnen BVV in gemeinsamen Sitzungen über die Haushalte 2001 der neuen Bezirke (§ 42 Abs. 3 Bezirksverwaltungsgesetz). - Bis Ende 2000: Auswahlverfahren hinsichtlich der Stellenbesetzungen von Leitungskräften (§ 42b Abs. 2 in Verbindung mit § 42c Bezirksverwaltungsgesetz) und anschließende Entscheidung über die endgültige Auswahl in gemeinsamer Sitzung der Bezirksämter der fusionierenden Bezirke. - 1.1.2001: Die neuen Bezirke sind gebildet, die Bezirksneugliederung wird in Teilen wirksam (Artikel 91a Abs. 1 der Verfassung von Berlin). Die Amtszeit der bisherigen Bezirksämter ist beendet. Hinsichtlich des Gesamtkomplexes der auch mit der Bezirksfusion beabsichtigten Verwaltungsmodernisierung und damit auch in Verbindung mit den vorgenannten ablauforganisatorischen Maßnahmen lässt sich ein damit verbundener Problemlösungsprozess einschließlich der Steuerungsfunktionen des für die Verwaltungsmodernisierung zuständigen Managements der Senatsinnenverwaltung skizzieren (vgl. Abb. 4). Dessen Ausgangspunkt wird durch die aktuellen Umge-
64 Senatsverwaltung für Inneres, Bereich R (Hrsg.): Fragen & Antworten zur Besetzung der LuV-Leitungen in den fusionierenden Bezirken, Stand: März 2000 (20 Seiten), S. 6.
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Analyse der Ausgangslage
Steuerungsfunktionen des zentralen Verwaltungsmanagements
Umgebungsbedingungen (Globalisierung, Strukturwandel, Dienstleistungsorientierung usw.)
A-N
Planung
Ν—V
Entscheidung
Stadtverwaltung: Struktur, Aufgaben, Personalbestand
Gesetzliche Rahmenbedingungen, Statistische Daten
Ableitung eines Zielsystems
Für relevante Aktionsfelder/Strukturbereiche im Rahmen der angestrebten Verwaltungsmodernisierung unter Berücksichtigung - der Entwicklung von Leitbildern (für bestimmte Themen- bzw. Politikbereiche - der Wahrung des Rationalitätsprinzips (Aufwand/Nutzen) - der Aufgabenabschichtung und -neuzuordnung - von Bürgernähe und Dienstleistungsorientierung der Verwaltung - der Schaffung miteinander vergleichbarer Organisationseinheiten usw. Erarbeitung von Strategien der Vorgehensweise Wege und Alternativen der Zielerreichung
Anordnung
Bildung sog. „strategischer Allianzen" (ressortübergreifend und interdisziplinär) Ausrichtung auf „integriertes" Denken Organisation
Ο
Α—Ν
Benennung von Einzelmaßnahmen und deren Zuordnung auf Aktionsfelder/Strukturbereiche
Ο
Zuordnung von Einsatz-Ressourcen auf Aktionsfelder/Strukturbereiche - Sachmittel, finanzielle Mittel, personelle Ressourcen Berücksichtigung eines Zeitrahmens zur Durchsetzung von Einzelmaßnahmen
Kontrolle
ζ 1 —\ VV
Umsetzung festgelegter Maßnahmen bezogen auf Aktionsfelder/Strukturbereiche
Resultate
Ή
Abb. 4: Problemlösungsprozess der Bezirksfusion bungsbedingungen gebildet. Dazu können gerechnet werden: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie aktuelle Trends, so z.B. die Globalisierung von Wirtschaft und Märkten in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel und dem Wandel im Aufgabenverständnis von Staat und Verwaltung usw. Die Elemente Planung und Entscheidung dienen der Willensbildung. Die Leitungsfunktion übt im vorliegenden Fall die Senatsinnenverwaltung aus; sie ist damit auch Entscheidungsträger. Bei der Gestaltung des Planungsprozesses ging es zweifellos auch um die Frage, wie dieser organisatorisch in den Gesamtzusammenhang einzugliedern ist und welche Institutionen am Planungsprozess zu beteiligen waren. Darüber umfasst die Planung einen gezielten Mitteleinsatz, das heißt die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Durchführung der Fusion (z.B. Umzüge, Anmietung zusätzlicher Büroräume usw.), Einsatz einer miteinander vernetzten Informationstechnik, Einsatz kompetenter Mitarbeiter in den diesen zugewiesenen LuV-Strukturen usw.
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Die Anordnung ist wiederum als Willensdurchsetzung zu verstehen. Sie kann zum Beispiel mit Hilfe gesetzlicher Regelungen verfugt werden. Die Kontrolle bildet das abschließende konstitutive Element der Leitung. Hier geht es darum, die Resultate mit den gesetzten Zielen bzw. mit den effektiv erreichten Ergebnissen zu vergleichen. Die Kontrolle des Ablaufs der Fusion sollte am Schluss zu einer Wirkungsanalyse einschließlich Evaluation fuhren. Im Rahmen der Festlegung von Strategien der Zielerreichung sind u.a. sog. „strategische Allianzen" mit kompetenten Partnern von Bedeutung. Im vorliegenden Fall wären z.B. wissenschaftliche Institutionen und Wirtschafitsberatungsgesellschaften vor allem in den Prozess der Fusionsvorbereitung und hinsichtlich der Kontrolle des Fusionsablaufs einzubinden gewesen. 8. Personelle Aspekte der Bezirksreform Neben den organisatorischen spielten ebenso personelle Aspekte bei der Durchsetzung der Vorbereitung der Bezirksfusion eine besondere Rolle. Entsprechend dem gesetzlich fixierten Auftrag an die Bezirksämter, die Bezirksverwaltungen zusammenzufuhren, sollte die Auswahl von Führungskräften bereits während des Jahres 2000 stattfinden. Dazu dienten die bereits an anderer Stelle beschriebenen Wahlprozeduren der Bezirksverordnetenversammlungen ab Oktober 2000. Diese bildeten den Vorlauf der angestrebten Stellenreduzierungen als Folge der festgelegten Sparmaßnahmen. Insgesamt ging es darum, etwa 1700 Stellen zu streichen. Für 800 Führungskräfte standen mithin nach der Fusion nur noch 216 Stellen zur Verfugung. Dies bedeutete wiederum: Am 1. Januar 2001 blieben nach Reduzierung der 23 auf zwölf Bezirke mit der durch die Bezirksreform angestrebten Kostenreduzierung auch im personellen Bereich von den 115 Stadträten und Bürgermeistern nur noch 72 übrig. Die nicht mehr tätigen Führungskräfte gehören dann zum sog. Personalüberhang im öffentlichen Dienst 65 und werden weiter ihre Bezüge erhalten. Die einstigen Stadträte sind zwar nur „Beamte auf Zeit", aber auch ihnen droht zumindest finanziell keine Existenzkrise. Von dem Stellenabbau am stärksten betroffen war die SPD. Sie verlor auf Bezirksebene von ehemals 34 insgesamt 14 Bezirksamtsmitglieder. Die PDS wird wiederum nur noch 14 ihrer 27 Führungsposten besitzen. Bündnis 90/Grüne behält nur noch fünf von einst zwölf Stadträten, während die CDU nur sechs ihrer 41 Führungsposten einbüßen musste.
65 Vgl. hierzu die Senatsverwaltung für Inneres, Bereich R: Fragen & Antworten zur Besetzung der LuV-Leitungen in den fusionierenden Bezirken. Hier die Punkte 13 ff., S. 13.
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Fest steht jedoch ebenso, dass hinsichtlich der Besetzung von Führungspositionen in einigen Verwaltungen von Fusionsbezirken lange Zeit hindurch nicht immer das hierfür notwendige Einvernehmen bestanden hatte. Besondere Probleme schienen dabei im Fusionsbezirk Hellersdorf-Marzahn zu existieren. Hier waren zum Jahresende 2000 sechs von 20 Führungspositionen in der Verwaltung aufgrund einer mangelhaften Zusammenarbeit der beiden Bezirksämter nicht besetzt. Bis Ende Januar 2001 wollte man die noch offenen Positionen jedoch besetzt haben. 66 9. Charakteristische Kennzeichen der Fusionsbezirke Zweifellos bringen die einzelnen Bezirke verschiedene Besonderheiten, das heißt charakteristische Kennzeichen, in die jeweilige Fusion ein. Dabei handelt es sich in der Regel um Standortfaktoren, die nicht nur das Startkapital der neuen Bezirke bilden, sondern ebenso eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung Berlins zu einer wettbewerbsfähigen Metropole spielen können. Hinzu kommen weitere regionale Besonderheiten, gebildet durch die nunmehr erweiterten Flächen der Fusionsbezirke und deren gestiegenen Einwohnerzahlen sowie nicht zuletzt soziale Problemlagen als belastende Hypotheken. Zu den besonders hervorzuhebenden Standortfaktoren mit Vorzeigefunktion werden gerechnet: - Wahrzeichen und Stätten mit großer Anziehungskraft (ζ. B. Schlösser, Museen und Gärten usw.), - kulturelle Einrichtungen (Opernhäuser usw.), - Universitäten und Hochschulen, - Innovationszentren und -parks mit ihren Technologie- und Gründerzentren sowie Allgemeine Gründerzentren 67 sowie - Wald- und Seenflächen für Freizeit und Erholung. Mit den nachfolgenden Ausführungen soll anhand von Beispielen (Übersicht 1 bis 12) auf derartige Kennzeichen hingewiesen werden. 66 67
Sechs Posten noch nicht besetzt. In: Berliner Morgenpost vom 22.12.2000, S. 32.
Technologie- und Gründerzentren gelten allgemein als „Kristallisationskerne des wirtschaftlichen Aufbruchs". Sie alle wurden nach dem Vorbild des Berliner Innovations- und Gründerzentrums (BIG) gebildet, das bereits 1983 in den alten AEG-Fabrikgebäuden in Berlin-Wedding als bundesweit erste Einrichtung seiner Art errichtet wurde. Bis Anfang 2000 sind allein in Berlin insgesamt 14 Zentren entstanden. In diesen öffentlich geförderten Institutionen waren bis dahin 469 Unternehmen mit über 2 800 Beschäftigten tätig. Hinzu kommen neun Technologieparks, so z.B. der Biomedizinische Forschungscampus Berlin-Buch, in denen sich wiederum 519 Unternehmen mit etwa 7 500 Beschäftigten befinden. - Vgl. dazu im Einzelnen: Manfred Ronzheimer: Technologie- und Gründerzentren in Berlin - Startbasis für junge innovative Unternehmen. Der Aufbruch braucht Kristallisationskerne. In: Berliner Wirtschaft, Nr. 1, Januar 2000, S. 10-14; Förderfibel 2000. Der Ratgeber für Existenzgründungen, Unternehmer und Selbstständige. 10. Auflage, hrsg.
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Übersicht 1 Der Bezirk Mitte (Hauptstadtbezirk, Regierungsbezirk) - Fusionsbezirke: Mitte, Tiergarten, Wedding - Fläche: 3 947 Hektar - Einwohner: 321000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V CDU und Bündnis 90/Grüne bilden die Mehrheit in der neuen BVV, abgestützt durch Zählgemeinschaft 2. Schaltzentralen der Politik in der neuen Mitte Bundeskanzleramt, Deutscher Bundestag (Reichstag), Bundesrat (im ehem. Preußischen Herrenhaus in der Leipziger Straße), Bundespräsident (Schloss Bellevue), Ministerien 3. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Siegessäule („Goldelse"), Zoologischer Garten (Tiergarten-Süd), das neue Potsdamer-Platz-Viertel, Kongresshalle, Brandenburger Tor mit Pariser Platz, Unter den Linden, Alexanderplatz mit Fernsehturm („Telespargel"), Nikolaiviertel, Scheunenviertel, Hackesche Höfe, Neue Synagoge in der Oranienburger Straße usw. 4. Wald-, Park- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Großer Tiergarten, Fritz-Schloß-Park (Moabit), Volkspark Humboldthain (Wedding), Monbijoupark (Mitte) 5. Kulturelle Einrichtungen (Opernhäuser, Theater und Museen) Deutsche Staatsoper, Komische Oper, Berliner Ensemble, Deutsches Theater/Kammerspiele, Konzerthaus Berlin, Philharmonie usw., Kulturforum, Bauhaus-Archiv, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart Berlin, Naturkundemuseum, Museen auf der Museumsinsel, Deutsches Historisches Museum (ehem. Zeughaus), Schinkelmuseum in der ehem. Friedrichwerderschen Kirche, Museum für Post und Kommunikation usw. 6. Universitäten und Hochschulen usw. Humboldt-Universität, Hochschule für Musik „Hanns Eisler" 7. Innovationszentren und -parks einschließlich Technologie- und Gründerzentren usw. Technologie- und Innovationspark Berlin (TIB), Start: 1985, mit Berliner Innovations- und Gründerzentrum (BIG), Start: 1985, Technologie- und Innovationszentrum Wedding, Start: 1986, FOCUS Teleport, Dienstleistungs- und Gründerzentrum (Moabit), Start: 1987, Gründerinnenzentrum „Weiber-Wirtschaft", Allgemeines Gründerzentrum auf Genossenschaftsbasis, Start: 1992
von der Investitionsbank Berlin in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie, Berlin 2000, S. 100ff; Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.): Berlin 2000, Wirtschaftsbericht, a.a.O., S. 102 u. 103, sowie Klaus Krakat: Zur Innovationsförderung des Berliner Senats - Ein Überblick anläßlich des Besuchs des Innovationsparks Wuhlheide im Rahmen des AGORA-Workshops. In: 4. AGORA-Workshop in Berlin-Köpenick vom 5. bis 7. Mai 1997, a.a.O., S. 4 1 ^ 4 (und die hier genannte Primärliteratur).
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Übersicht 2 Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg - Fläche: 2 016 Hektar - Einwohner: 250000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die PDS bildet mit 19 Sitzen die stärkste Fraktion in der neuen BVV, gefolgt von der CDU mit 17 Sitzen. 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Kreuzberg: der 66 Meter hohe Kreuzberg im Victoriapark mit Nationaldenkmal für die Befreiungskriege von 1813 bis 1815, Oberbaumbrücke (Verbindung zwischen beiden Bezirken) 3. Wald-, Park- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Kreuzberg: Victoriapark, Friedrichshain: Volkspark Friedrichshain mit Märchenbrunnen und Freilichtbühne, Sport- und Erholungszentrum (SEZ) usw. 4. Kulturelle Einrichtungen (Opernhäuser, Theater und Museen) Museum Haus am Checkpoint Charlie, Gropiusbau mit Berlinischer Galerie, Jüdisches Museum, Hebbel-Theater usw.
Übersicht 3 Der Bezirk Prenzlauer Berg-Pankow-Weißensee (vorl. Name) - Fläche: 10308 Hektar - Einwohner: 332 000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die PDS bildet mit 35 Sitzen die stärkste Fraktion in der neuen BVV, gefolgt von der CDU mit 24 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Szene-Viertel in Prenzlauer Berg, „Dicker Herrmann" (Wasserturm, um dessen Hochbehälter kreisförmig Wohnungen gebaut wurden (Prenzlauer Berg), Schloss Niederschönhausen (Pankow) usw. 3. Wald-, Park- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Volkspark Prenzlauer Berg, Schlosspark Niederschönhausen (Pankow), Wald- und Wiesenflächen rund um die Panke (Pankow), Weißer See, Orankesee (Weißensee) 4. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. Biomedizinischer Forschungscampus Berlin-Buch mit Innovations- und Gründerzentrum (Pankow), Allgemeines Gründerzentrum, Themenschwerpunkte: Biomedizin, Biotechnologie, Genetik, Genomforschung, Bioinformatik
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Übersicht 4 Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf - Fläche: 6472 Hektar - Einwohner: 320000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die CDU bildet mit 33 Sitzen die stärkste Fraktion in der neuen BVV, gefolgt von der SPD mit 20 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Kurfürstendamm („Flanier-Meile" der West-City), Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Funkturm („Langer Lulatsch") mit Messegelände usw. 3. Wald-, Park- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Schlossgarten (Charlottenburger Schloss), Berliner Forst/Grunewald mit Karlsberg und Grunewaldturm, Teufelsberg mit Rodelbahn und Sprungschanzen, Havel, Hundekehlesee, Königsee usw. 4. Kulturelle Einrichtungen (Opernhäuser, Theater und Museen) Deutsche Oper, Schiller-Theater, Renaissance-Theater Berlin, Schaubühne usw. Schloss Charlottenhof mit Museum für Vor- und Frühgeschichte (Langhansbau, Galerie der Romantik (Knobelsdorf-Flügel) und Schlosspark, Ägyptisches Museum/Papyrus-Sammlung, Sammlung Berggrün (Schloss-Nähe) 5. Universitäten und Hochschulen usw. Technische Universität Berlin, Hochschule der Künste
Übersicht 5 Der Bezirk Spandau - Fläche: 9191 Hektar - Einwohner: 225 000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die CDU bildet mit 32 Sitzen die stärkste Fraktion in der BVV, gefolgt von der SPD mit 19 Sitzen 2. Wahrzeichen mit Anziehungskraft Altstadt mit St. Nikolai-Kirche, Zitadelle Spandau (ältestes Bauwerk Berlins) mit Juliusturm usw. 3. Wald-, Park- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Spandauer Stadtforst, Havel 4. Kulturelle Einrichtungen Heimatmuseum in der Zitadelle, hier: Burgtage, Freilichtbühne, Ausstellungen usw.
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Übersicht 6 Der Bezirk Zehlendorf-Steglitz - Fläche: 10249 Hektar - Einwohner: 290000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die CDU bildet mit 40 Sitzen die stärkste Fraktion in der neuen BVV, gefolgt von der SPD mit 17 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Wrangel-Schlösschen (Steglitz), Schloss Klein-Glienicke, Jagdschloss Glienicke, Glienicker Brücke (sog. „Brücke der Einheit" bis zum Mauerfall, ehem. Austauschort für prominente Agenten), Pfaueninsel mit Schloss, Mexikoplatz mit Jugendstilbahnhof usw. 3. Wald-, Park- und Seenflächen fur Freizeit und Erholung Volkspark Klein-Glienicke, Düppeler Forst, Berliner Forst (Wannsee), Berliner Forst Grunewald, Großer und Kleiner Wannsee, Pohlesee usw., Strandbad Wannsee, Botanischer Garten, Heinrich-Laer-Park (Zehlendorf) usw. 4. Kulturelle Einrichtungen (Museen) Dahlemer Museum (Museum für Ostasiatische Kunst, Museum für Indische Kunst, Ethnologisches Museum, Museum Europäischer Kulturen), Alliierten-Museum, Museumsdorf Düppel, Botanisches Museum (im Botanischen Garten), SchlossparkTheater (Steglitz) usw. 5. Universitäten und Hochschulen usw. Freie Universität Berlin-Dahlem, Hahn-Meitner-Institut für Kernphysik (Wannsee) 6. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. FOCUS-Mediaport Berlin, Themenschwerpunkt: Medizintechnik und angrenzende Technologiefelder (Standort: Wiesenweg/Teltowkanal)
Übersicht 7 Der Bezirk Schöneberg-Tempelhof - Fläche: 5 308 Hektar - Einwohner: 341000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die CDU bildet mit 38 Sitzen die stärkste Fraktion in der neuen BVV, gefolgt von der SPD mit 18 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Rathaus Schöneberg mit Freiheitsglocke, W.-Forster-Stern warte und Planetarium, Platz der Luftbrücke mit Luftbrücken-Denkmal („Hungerharke") vor dem Flughafen Tempelhof, Ullsteinhaus am Teltowkanal (Tempelhof) usw. 3. Wald-, Park- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Volkspark Schöneberg, Luft- und Schwimmbad am Insulaner, Volkspark Mariendorf mit Sommerbad usw.
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Übersicht 7 (Fortsetzung): Der Bezirk Schöneberg-Tempelhof 4. Universitäten und Hochschulen usw. Fachhochschule für Wirtschaft Berlin (Schöneberg) 5. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. MINERVA-Gründerzentrum am Ullsteinhaus, Themenschwerpunkt: Mode und Design, Allgemeines Gründerzentrum
Übersicht 8 Der Bezirk Neukölln - Fläche: 4493 Hektar - Einwohner: 310000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die CDU bildet mit 31 Sitzen die stärkste Fraktion in der BVV, gefolgt von der SPD mit 15 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Böhmisches Dorf Rixdorf mit Richardplatz (historischer Kern), Hotel Estrel, größtes Hotel Deutschlands usw. 3. Wald- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Volkspark Hasenheide mit Rixdorfer Höhe, Körnerpark (Rixdorf), Gelände der ehem. BuGa, Gutspark Britz, Freizeitpark Marienfelde usw.
Übersicht 9 Der Bezirk Treptow-Köpenick - Fläche: 16 841 Hektar, flächenmäßig größter Bezirk Berlins - Einwohner: 229000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V PDS-Mehrheit mit 27 Sitzen in der BVV, gefolgt von der SPD und der CDU mit jeweils 20 Sitzen; Zählgemeinschaft SPD/CDU 2. Wahrzeichen, Stätten mit Anziehungskraft, Besonderheiten Köpenicker Altstadt mit Rathaus Köpenick („Hauptmann von Köpenick"), Müggelturm, Sowjetisches Ehrenmal (Treptow), die 125 Meter hohen Treptowers an der Spree (Berlins höchstes Bürohochhaus), Archenhold-Sternwarte (am Rand des Treptower Parks) usw. 3. Wald- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Rund 75 Prozent der Gesamtfläche werden durch Wasser-, Wald- und Parkflächen gebildet Köpenick: Dammheide, Mittelheide, Wuhlheide mit Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ), Mittelheide, Kämmereiheide, Berliner Stadtforst mit Müggelbergen (einschl. Großem Müggelberg, höchster Berg Berlins), Bürgerheide und Fischerheide,
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Klaus Krakat Übersicht 9 (Fortsetzung): Der Bezirk Treptow-Köpenick Gosener Wiesen, Schmöckwitzer Werder usw., Großer Müggelsee (größter See Berlins), Dahme, Spree, Langer See usw. Treptow: Köllnische Heide, Treptower Park, Plänterwald, Spreepark, Königsheide
4. Kulturelle Einrichtungen (Museen) Schloss Köpenick (mit Kunstgewerbemuseum), Museum im Wasserwerk Friedrichshagen, Heimatmuseum Köpenick (am Alten Markt), Dichterkreismuseum Friedrichshagen usw. 5. Universitäten und Hochschulen usw. Institute der Humboldtuniversität auf dem WISTA-Gelände Berlin-Adlershof, Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch" (Treptow) 6. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof (WISTA) mit Innovationsund Gründerzentrum Adlershof (IGZ) und Ost-West-Kooperationszentrum (OWZ); Medien-Technologie-Centrum/Media-City Adlershof; Innovationspark Wuhlheide (IPW) mit Technologie- und Gründerzentrum (TGZ); Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie (TGS), Berlin-Oberschöneweide
Übersicht 10 Der Bezirk Hellersdorf-Marzahn - Fläche: 6135 Hektar - Einwohner: 268 000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die PDS bildet mit 36 Sitzen die stärkste Fraktion in der neuen BVV, gefolgt von der CDU mit 21 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Schloss Biesdorf mit Schlosspark (Spielstätte des Parktheaters), historischer Dorfkern von Marzahn 3. Wald- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Erholungspark Marzahn mit Kienberg, Landschaftspark und Wuhletal (Biesdorf) 4. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. Gründerzentrum der DIB AG (Marzahn), Themenschwerpunkte: Handwerk, Produzierendes Gewerbe, Dienstleistungen (Allgemeines Gründerzentrum)
Übersicht 11 Der Bezirk Lichtenberg-Hohenschönhausen - Fläche: 5 235 Hektar - Einwohner: 267 000
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Übersicht 11 (Fortsetzung): Der Bezirk Lichtenberg-Hohenschönhausen 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die PDS bildet mit 37 Sitzen die stärkste Fraktion in der BVV, gefolgt von der CDU mit 19 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Tierpark Friedrichsfelde (Lichtenberg) 3. Kulturelle Einrichtungen (Museen) Schloss Friedrichsfelde (auf dem Gelände des Tierparks), Deutsch-Russisches Museum usw. 4. Universitäten und Hochschulen usw. Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin-Karlshorst (FHTW), Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (Lichtenberg) 5. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. Hohenschönhausen: Gründerzentrum der DIBAG, Themenschwerpunkte: Handwerk, Produzierendes Gewerbe, Dienstleistungen, Allgemeines Gründerzentrum Lichtenberg: Existenzgründerzentrum (EGZ) an der FHTW, technologieorientiertes Gründerzentrum, Themenschwerpunkte: Technische Dienstleistungen, Ingenieurdienstleistungen, Informatik
Übersicht 12 Der Bezirk Reinickendorf - Fläche: 8 946 Hektar - Einwohner: 250000 1. Politisches Kräfteverhältnis in der neuen B V V Die CDU bildet mit 34 Sitzen die stärkste Fraktion in der BVV, gefolgt von der SPD mit 16 Sitzen 2. Wahrzeichen und Stätten mit Anziehungskraft Humboldtschloss/Schloss Tegel im Schlosspark, Dorf Lübars, Borsigturm (ehem. Borsig-Werke,Tegel) usw. 3. Wald- und Seenflächen für Freizeit und Erholung Berliner Stadtforst Tegel, Jungfernheide, Tegeler See 4. Innovationszentren und -parks sowie Technologie- und Gründerzentren usw. Innovations- und Gewerbepark Am Borsigturm mit PHÖNIX-Gründerzentrum
Zu den besonderen Standortfaktoren sind nicht zuletzt die über die einzelnen Bezirke verteilten Industriezentren und -potenziale zu rechnen. 68 68 Vgl. dazu u.a. Klaus Krakat: Die Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung. Erweiterte Textfassung eines Referates, gehalten auf einer Veranstaltung des Ost-West-Kollegs der Bundeszentrale für politische Bildung, Brühl 1999, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Berlin. Veröffentlicht in diesem Band, S. 69-118.
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10. Kritische Stimmen zur Bezirksfusion 10.1 Kritik an Vorbereitung
und Durchführung der Fusion
Rückblickend ist zunächst festzustellen, dass die Mechanismen bzw. Steuerungsfunktionen des Problemlösungsprozesses hinsichtlich der Umsetzung festgelegter Ziele der Bezirksreform nicht vollständig gegriffen haben. Die erfolgreiche Durchsetzung des Maßnahmen-Mix, bestehend insbesondere aus Mittelzuweisungen für Neuorganisation, Spareffekten durch Neuorganisation, Zuweisung reduzierter personeller Ressourcen auf vorgegebene Funktionsbereiche, Orientierung des Managements auf marktwirtschaftliche Positionen oder Zuordnung des Zeitfaktors auf Themenkomplexe bzw. Bereiche und Maßnahmen usw. wurde vor allem durch nicht konsequent durchgeführte Planungen, Entscheidungen, Anordnungen, Organisation und Kontrollen des gesamten Fusionsprozesses gebremst. Hinzu kam, dass die mit der Durchsetzung der Bezirksreform verbundenen Probleme von Umsetzungsdefiziten der Verwaltungsreform überlagert wurden. Daher verwundert es nicht, dass viele kritische Stimmen den gesamten Fusionsablauf seit 1998 begleitet haben. Folgende Kritikpunkte sind zu nennen: 1. Das Zeitproblem Bereits vor Inkrafttreten der Fusion hatte Berlins SPD-Fraktionschef Böger Druck auf den Koalitionspartner CDU ausgeübt: „Scheitert die Bezirksreform, hat die Große Koalition ihre Existenzberechtigung verloren". 69 Kritiker folgerten bereits 1997 allein aus dieser Feststellung und daraus zu erwartenden Praktiken eine zu knappe Vorbereitungszeit für die Fusion. Zeitknappheit war damit bestimmend auch dafür, dass die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Alternativen einzelner Bezirksfusionen nicht mit der dazu notwendigen Breite und Genauigkeit gegeneinander abgewogen, das heißt im Rahmen von Wirtschafitlichkeitsvergleichen überprüft werden konnten. Berücksichtigt man die Zeit zwischen Verabschiedung und Wirksamwerden der Berliner Bezirksreform, dann ergibt sich ein Zeitraum von insgesamt rund 15 Monaten, in denen die Verwaltungen zusammengeführt, gleichzeitig personell verkleinert und zudem mit der Wahrnehmung auch neuer Aufgaben befasst werden sollten. Für den neuen Bezirk Mitte z.B. betraf dies insgesamt 6000 Beschäftigte aus den Verwaltungen der einstigen Bezirke Mitte, Tiergarten und Wedding. Hier sollten von den insgesamt 135 Ämtern nur noch 17 bestehen bleiben. Den mit Neuorganisation und Ämterschrumpfung verbundenen Zeitdruck bezeichnete der Bürgermeister des künftigen Regierungsbezirks, Zeller, als „glat-
69
Böger warnt vor Scheitern der Bezirksreform. In: Berliner Morgenpost vom 21.9.1997.
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ten Wahnsinn". Aber - so wurde kritisiert - Berlins Große Koalition von CDU und SPD wollte mit der Bezirksgebietsreform mit Blick auf die 1999 bevorstehenden Wahlen ein „Exempel statuieren und Entscheidungsfähigkeit beweisen". 70 Kennzeichnend fiir das Jahr 2000 war besonders, dass ab etwa September in den einzelnen Bezirksverwaltungen angesichts der Fülle der zu lösenden Probleme Hektik ausbrach und zudem sichtbar wurde, dass nicht wenige der gestellten Aufgaben auch im Jahr 2001 abgearbeitet werden müssen: - Notwendige Umzugsaktionen von einem Verwaltungsstandort zu einem anderen, - Kompatibilitätsprobleme bei Rechnern und Rechnernetzen einschließlich Kommunikationstechnik (Telefon- und Fax-Geräte), - Unstimmigkeiten hinsichtlich der Zuordnung der Mitarbeiter auf ihre neuen Arbeitsaufgaben und - Einrichtung zusätzlicher Dienstleistungsangebote, um zu lange Wege der Bürger zu den Verwaltungen abzukürzen usw. 2. Maßnahmenkomplexität als Kritikpunkt Gegenstand der Kritik war nicht minder die Tatsache, dass die Bezirksneugliederung durch die parallel verlaufende Management-Reform, das heißt die Umsetzung der auf die Leitungskräfte in den neuen LuV-Strukturen zukommenden Anforderungen, gefährdet werde. Dazu hieß es z.B.: „Mit der neuen Kosten-Leistungs-Rechnung, dem Aufbrechen verkrusteter Strukturen und dem modernen Personalmanagement hätten die Mitarbeiter ohnehin schon zu tun". 7 1 3. Die Verlagerung von Kompetenzen auf die Bezirke In nicht wenigen Fällen hatte man ebenso eine „schleppende Umverteilung von Kompetenzen der Hauptverwaltung auf die Ebene der Bezirke" erkannt. Dabei wurde hervorgehoben, dass „die zusätzlichen Aufgaben bei den Bezirken landen, das erforderliche Personal jedoch in den Senatsverwaltungen bleibt". 7 2 Mithin hatte man in verschiedenen Bezirksverwaltungen eine Aufgabenschichtung zulasten der neuen Verwaltungen diagnostiziert.
70 Kritik an Vorbereitung der Bezirksfusion; Bürgermeister: ,Zeitdruck glatter Wahnsinn'. In: Berliner Morgenpost vom 29.12.2000, S. 33. 71 72
Berliner Morgenpost, a.a.O., S. 33.
Kritik des Verwaltungsökonomen Prof. Manfred Röber von der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW), veröffentlicht in: Berliner Morgenpost vom 29.12.2000, a.a.O., S. 33.
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4. Der „Personalüberhang" und dessen Finanzierung Personallösungen nach dem „Berliner Modell"? Als wesentliches Problem wurde und wird ebenfalls die Tatsache eingestuft, dass den Bezirken die Personalmittel für die für „überflüssig" erklärten Mitarbeiter gekürzt worden seien. Als Folge dessen stelle der „Personalüberhang" von nicht mehr benötigten Arbeitnehmern deshalb ein „Haushaltsrisiko" dar, weil die Bezirksverwaltungen diesen nicht kündbaren und in den Ämtern verbleibenden Mitarbeitern dennoch zunächst weiterhin deren Lohn bzw. Gehalt zahlen müssten. 7 3 Welche Situation hatte sich ergeben? Mit der Durchsetzung der Bezirksreform bestand allgemein Klarheit darüber, dass bisherige Inhaber von Führungspositionen in den neuen Strukturen keine Aufgaben mehr wahrnehmen werden. Dennoch hegten einige der bei den BVV-Wahlen unterlegenen Kandidaten die Hoffnung auf eine Unterbringung in neuen Positionen. Damit waren für die letzte Phase der Bezirksreform im Jahr 2000 ein Kampf um die abgeschmolzenen Führungspositionen und Angst der rund 145 000 Verwaltungsmitarbeiter vor dem Büro- und Jobwechsel kennzeichnend. Wesentlich ist jedoch, dass die Inhaber von Führungspositionen unkündbar sind und mit einer Fortsetzung ihrer Besoldung rechnen können. 74 Daraus wurde gefolgert, dass Kostenreduzierungen auch nach Ansicht verschiedener politischer Akteure vorerst kaum zu erwarten seien, da vor allem verschiedene Träger von Leitungsfunktionen zwar nicht mehr in den oberen Hierarchien der neuen Bezirksämter tätig sein werden, jedoch kurzfristig schon aus Altersgründen noch nicht „in Rente" geschickt, sondern an anderer Stelle in der Stadtverwaltung untergebracht werden müssen. In früheren Zeiten stellten derartige Entwicklungen bei Berliner Spitzenbeamten kein Problem dar. „Personallösungen" vollzogen sich bislang nach dem sog. „Berliner Modell". Danach erfolgte eine einvernehmliche Verteilung lukrativer oder einflussreicher Posten an verdiente „Parteikämpfer", Ausdruck einer karrierefordernden Verquickung von Politik, Verwaltung und Landesunternehmen. Inzwischen sind derartige „Lösungen" nicht mehr wie in früheren Jahren praktizierbar bzw. sie werden verdeckter gehandhabt. Fest steht jedoch auch: Landesunternehmen wurden und werden als Folge des notwendigen Schuldenabbaus des Landes Berlin privatisiert und die Parteien mit ihren Repräsentanten in den Bezirksverwaltungen müssen sich mehr denn je „hauptstadtgerecht" positionieren.
73 74
Ebenda.
Vgl. Hans Toppen: Angst in der Behörde: Jetzt bangen auch Beamte um ihren Job. In: Der Tagesspiegel vom 1.11.2000, S. 9.
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Mithin bangen einige Beamte um ihren Arbeitsplatz und befürchten eine Zwangspensionierung. Grund hierfür leitet sich aus dem geänderten § 72 Abs. 2 HC
des Landesbeamtengesetzes ab. Im Rahmen der hier geregelten Vergabe von Leitungsaufgaben kann ein Beamter auch in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn eine Verwaltungsbehörde aufgelöst oder ihr Aufbau wesentlich geändert wird. Der Tatbestand einer wesentlichen Veränderung ist durch die Fusion und dem mit ihr verbundenen Stellenabbau gegeben. Sollten sich für Betroffene innerhalb eines halben Jahres keine neuen Stellen finden, müssten sie sich mit 75 Prozent ihrer Bezüge zufrieden geben und bald darauf mit Pensionierung und Pension rechnen. Der Unternehmensberater Dr. Detlef Horn-Wagner, vom Berliner Senat beauftragter Betreuer der Bezirksfusion, rechnet damit, dass „erst nach 2004 im großen Stil gekündigt w i r d " . 7 6 Trotz neuer Rahmenbedingungen gilt jedoch weiterhin: In Berlin hat sich, begünstigt durch die lange Abschnürung der Stadt vom übrigen Bundesgebiet, bei den beiden großen Parteien der Hang zu einer mehrfachen finanziellen Absicherung, gekoppelt mit Machtzuwachs, verfestigt. Abgeordnetenbezüge und Diäten werden ergänzt durch hohe Einkünfte aus der Wahrnehmung von Zusatzfunktionen im Wirtschaftsbereich. Unter Berücksichtigung vorgenannter Fakten kann daher in den nächsten Jahren kaum mit einer Kostenreduzierung gerechnet werden. Diese Tatsache wird durch folgenden Fusions-Witz verdeutlicht: Zwei Jäger stehen vor einem kahlen Baum, auf dem Krähen hocken. Einer legt an, schießt knapp über die Vögel weg. Vom Knall erschreckt flattern die Tiere hoch. Zehn Sekunden später sitzen alle wieder auf dem Baum. Sagt der eine Jäger zum anderen: Siehst du, so ist das mit der Berliner Reform. Am Ende sitzt jeder nur auf einem anderen Ast. 5. Blockaden bei der Schaffung vergleichbarer Organisationseinheiten Bereits frühzeitig hatten sich hinsichtlich der empfohlenen Schaffung vergleichbarer Organisationseinheiten in den Bezirken zu deren Für und Wider unterschiedliche Meinungen gebildet. Dabei wurde zunehmend erkennbar, dass die Bezirke bereit waren, eigene Organisationskonzepte durchzusetzen. Das Ergebnis des Reformprozesses offenbarte zum Ablauf des Jahres 2000 auch hier eine Verfehlung des Ziels, nämlich miteinander vergleichbare Organisationseinheiten zu schaffen. Somit waren auch die hier erkannten Defizite Gegenstand kritischer Meinungsäußerungen.
75 Vgl. dazu weiterhin das Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher und haushaltsrechtlicher Vorschriften vom 22. Juli 1999. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 55. Jahrgang, Nr. 31, 31. Juli 1999. Hier Artikel 19, S. 426. 76 Bettina Dittmann: Bezirks-Fusion: Rollt jetzt die große Kündigungs-Welle an? In: Berliner Kurier vom 26.10.2000.
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6. Durch neue oder veränderte Bezirksnamen und fehlende Ortsteilnamen Verlust der lokalen Identität? Mit der fusionsbedingten Änderung von Bezirksnamen und der nicht in den einschlägigen Regelungswerken verankerten Festlegung von Ortsnamen der Fusionsbezirke ergab sich fur viele Bürger, insbesondere derjenigen aus dem SzeneBezirk Prenzlauer Berg, eine nicht hinnehmbare Situation. Im gegebenen Zusammenhang wurde ein drohender Verlust lokaler Identität beklagt. Aktivitäten der einzelnen Bezirksverordnetenversammlungen ließen jedoch erkennen, dass man die „vergessenen" Ortsteilnamen weiterleben lassen will und auch im Laufe der Zeit neu entstandene Ortsteile (Beispiele: Märkisches Viertel in Reinickendorf oder Plänterwald in Treptow) sowie früher gebräuchlich gewesene Namen (Beispiel: Rixdorf statt Neukölln) bei der Festlegung von Ortsteilbezeichnungen berücksichtigen möchte. 7. Die Durchsetzung parteipolitischer Interessen Im Rahmen der Fusionsvorbereitungen wirkte sich nicht zuletzt die Durchsetzung parteipolitischer Interessen aus. Dies zeigte sich vor allem in den Auseinandersetzungen um Führungspositionen sowie in der Bildung von Zählgemeinschaften. Zweifellos waren derartige und weitere Aktivitäten darauf ausgerichtet, geschaffene „Bastionen" zu erhalten. Verfechter der Bezirks- und Verwaltungsreform wiesen daher kritisch darauf hin, dass parteipolitische Lösungen erkennbar vor Sachlösungen rangierten. 8. Kritik im Rahmen öffentlicher Diskussionsveranstaltungen (Beispiele) Kritische Stimmen wurden vor allem im Rahmen öffentlicher Diskussionsveranstaltungen laut. So hatte sich eine vom Berliner Fernsehsender „B 1" am 24.10.2000 in der Reihe „Berlin live" ausgestrahlte Diskussionsrunde mit der Fusion der Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain befasst. Im Folgenden seien einige (hier kurzgefasste) Kommentare auf unterschiedliche Fragen genannt. Bürgermeinungen aus Friedrichshain: - Zwei arme Bezirke kommen zusammen, das kann nicht gut gehen. - Die Sozialausgaben werden sich verdoppeln. - Die Fusion wird problematisch, weil zwei unterschiedliche Mentalitäten aufeinander prallen. - Es wird schon gehen, man muss sich arrangieren. - Angst vor zusammenbrechenden Kiezkulturen. Meinungen aus Kreuzberg: -
Es tut weh, dass 10 Jahre nach der Einheit eine PDS-Bürgermeisterin das Sagen haben wird.
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- Die Menschen passen nicht zusammen, weil man in zwei zu unterschiedlichen Systemen gelebt hat. - Es existieren Ängste bei den Türken wegen der Fremdenfeindlichkeit im Ostteil der Stadt. - Man muss sich eben anpassen. - Hoffnungslosigkeit, weil die bestehende Armut bleiben wird. Ein am 25.10.2000 veranstaltetes „Tempelhofer Streitgespräch", an welchem vor allem „Experten und Politiker" ihre Meinung zur Bezirksreform äußern konnten, führte beispielsweise zu folgenden (hier kurz gefassten) Feststellungen: -
Der Noch-Bürgermeister von Tempelhof zu den Bürgerämtern: 166000 D M bewilligte der Berliner Senat für jedes neue Bürgeramt. Der Aufbau der meisten dieser Ämter kostet aber - gemessen an den gestellten Ansprüchen - mehr. Die Ämter sind jedoch gezwungen, die vom Bürger gestellten Ansprüche zu reduzieren, da man z.B. mit weniger Personal mehr leisten muss. - Zum Aufbau identischer Verwaltungen als Zielstellung ein Vertreter der Industrie- und Handelskammer zu Berlin: Jede Reorganisation kostet Geld. Doch bereits während der Vorbereitungsmaßnahmen zur Fusion wurde damit begonnen, Geld zu sparen. Dabei wurde insgesamt das Ziel des Aufbaus identischer Verwaltungen nicht erfüllt! - Hinsichtlich der Einsparungen durch die Zusammenlegung von Verwaltungen wies ein Vertreter der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik daraufhin, dass wissenschaftliche Untersuchungen „unter dem Strich" keine Einsparungen beim Zusammenlegen von Rathäusern erbracht hätten. 11. Zur Umlandverzahnung Berlins: Kooperationen zwischen Berlin und Brandenburg Bereits unmittelbar nach dem Fall der Mauer begann die Wirtschaft des über lange Jahre hindurch separierten Westteils Berlins 7 7 nicht nur mit den sich in Richtung Marktwirtschaft formierenden Unternehmen im einstigen Ostteil der Stadt, sondern vor allem mit den sich bildenden Unternehmen des Landes Brandenburg ein neues Kapitel der Zusammenarbeit. Hinzu kam im weiteren Zeitverlauf die Verlagerung unternehmerischer Aktivitäten in den sogenannten Speckgürtel sowie die Umlandwanderung von Unternehmen auch aufgrund des Abbaus
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Vgl. hierzu ergänzend auch Klaus Krakat: Die Entwicklung der Industrie in Berlin seit der Wiedervereinigung, Abschnitt 2.1, Ausgangssituation und Startphase ... Erweiterte Textfassung eines Referates, gehalten am 10. September 1999 auf einer Veranstaltung des Ost-West-Kollegs der Bundeszentrale für politische Bildung, Brühl, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Berlin. Veröffentlicht in diesem Band, S. 69-118.
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Klaus Krakat
der Berlin-Förderung. Insgesamt setzte ein zunehmender Prozess der Verflechtung von Unternehmen beider Regionen, vor allem aus den Bereichen Handel, Dienstleistungen, Verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe ein. Inzwischen kooperiert fast jedes dritte Unternehmen mit einem anderen Partner aus dem jeweils anderen Bundesland. Deutlich wurde dieser Prozess ebenso an der stetig angewachsenen Zahl der Pendler zwischen beiden Ländern. 78 Nach Mitteilung der Senatsverwaltung für Inneres gestalten sich auch die künftigen Kooperationsbeziehungen zwischen Berlin und Brandenburg völlig losgelöst von der Bezirksfusion. Bereits bestehende Aktivitäten werden sowohl auf Landesebene als auch auf der Ebene der neuen Bezirke fortgesetzt. Aufschluss über bislang wesentliche und fortzusetzende Kooperationen gibt beispielsweise der Wirtschaftsbericht Berlin 2000 der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie. Hervorgehoben werden hier z . B . : 7 9 - Die „bewährte Zusammenarbeit im Bereich der Unterstützung von Existenzgründungen in der Region", - die „strategische Zusammenarbeit in der Technologiepolitik speziell in den Feldern Biotechnologie, Verkehrstechnik und IuK-Technologie", - die weitere Ausgestaltung der bestehenden „Zusammenarbeit im Medienbereich" durch „Erarbeitung und Abschluss eines Medienkooperationsvertrages", - die Zusammenarbeit der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH und der Berlin Tourismus Marketing GmbH im Rahmen eines Kooperationsvertrages zwecks Stärkung des Tourismus in der Region, - die Zusammenarbeit „bei der Umfeldentwicklung des Flughafens Schönefeld" unter Einbeziehung der südlichen Berliner Bezirke, - der weitere Ausbau im „Bereich der Ämterkooperation und Zusammenarbeit im Verwaltungsvollzug". Hinsichtlich der Zusammenarbeit im Bereich der Existenzgründungsförderung sind wiederum folgende Aktivitäten hervorzuheben: - Die von Berlin und Brandenburg gemeinsam organisierten „Deutschen ExistenzGründertage", - der BusinessPlan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg oder - das Medienbüro Berlin-Brandenburg, dessen Ziel es ist, das Beratungsangebot speziell für junge Internet-Unternehmen zu verbessern.
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Vgl. dazu Bankgesellschaft Berlin (Hrsg.): RegionalReport, 10 Jahre danach: Der Wirtschaftsstandort Berlin - Anspruch und Wirklichkeit, Mai 1999, S. 50. 79 Berlin 2000 Wirtschaftsbericht. Hrsg. von der Senats Verwaltung für Wirtschaft und Technologie, Stand: Juni 2000, a.a.Ο., S. 26.
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Innerhalb des Aktions- und Förderungsbereichs „Technologie- und Gründerzentren" 80 existiert zudem mit dem InnoColleg, dem speziellen Kooperationsverband der Technologie- und Gründerzentren Berlins und der Zentren seiner engeren Umgebung in Brandenburg, eine besondere Plattform der Zusammenarbeit. Getragen wird dieser Verband von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Technologie- und Gründerzentren ADT e.V. mit Sitz in Berlin-Adlershof. Die Verzahnung Berlins mit Brandenburg wird darüber hinaus auch an vielen weiteren Beispielen deutlich. Zu nennen sind: - Die intensive Kooperation im Bereich Schlösser und Gärten (Stiftung Preußischer Kulturbesitz), - die Kooperation im Bereich der Regionalparks des Ministeriums für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg und der SeO 1
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natsverwaltung für Stadtentwicklung des Landes Berlin, der gemeinsame Planungsausschuss Berlin-Brandenburg für Verkehr, die Einigung der beiden Länder einschließlich der Kreise und Städte Brandenburgs auf einen gemeinsamen Verkehrsverbund und dessen Inkraftsetzung im April 1999, 82 die Zusammenarbeit im Bereich der Kriminalprävention, die Unterzeichnung des neuen Gastschulabkommens zwischen beiden Ländern und das gemeinsame Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg usw.
Derartige, teilweise vielleicht einerseits noch zögerliche und andererseits im Fall mancher Aktionsfelder noch unzureichenden Verzahnungen machen dennoch deutlich, dass die wirtschaftliche und politische Entwicklung Berlins kaum mehr von der in Brandenburg zu trennen ist. Mithin entwickelt sich Brandenburg zusammen mit Berlin zur Hauptstadt-Region. Schon deshalb waren seit dem gescheiterten Zusammenschluss der beiden Länder im Mai 1996 die Diskussionen um eine „Länderehe" nicht verstummt. Neben den regelmäßigen Treffen des länderübergreifenden Koordinierungsstabs tagen beide Landesregierungen einmal im Jahr, um einen erneuten Anlauf für eine Länderfusion vorzubereiten. So wurde auf der 5. Gemeinsamen Sitzung am 12. Dezember 2000 wiederum ein Festhalten an der Fusion bis zum Jahr 2009 betont, ohne jedoch konkrete Schritte
80 Technologie- und Gründerzentren gelten besonders für die durch Strukturbrüche gekennzeichneten Regionen Berlin und Brandenburg als Hoffnungsträger wirtschaftlichen Wachstums und damit als „Kristallisationskerne des wirtschaftlichen Aufbruchs". 81
Regionalparks in Berlin und Brandenburg, Strategien für eine nachhaltige Entwicklung des Metropolenraums, 1. Auflage, Potsdam, Juni 2000. 82 Einbezogen in den Verkehrsverbund ist ein durchgehendes Tarifsystem und ein mit etwa 50 Verkehrsteilnehmern abgestimmter Fahrplan sowie ein einheitliches Fahrkartensystem.
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festzulegen. 83 Wie eine repräsentative Umfrage von Wissenschaftlern der FU Berlin ergeben hatte, ist der Anteil der Befürworter einer Fusion seit 1996 um rund 30 Prozent gestiegen. Die Mehrheiten - so wurde konstatiert - sind jedoch instabil. 84 12. Zur Frage „Stärkung der Hauptstadtfunktion durch die Bezirksreform?" Mit der Behandlung der Bezirksreform war die Frage verbunden, ob diese als eine „notwendige Maßnahme zur Entwicklung der Hauptstadtfunktion" angesehen werden könne. Diese Frage kann insofern mit „ja" beantwortet werden, als zunächst mit der Orientierung der neugestalteten Verwaltung auf Effektivität, Marktanforderungen und Kundenwünsche das Ansehen der Stadt zwangsläufig wachsen und auf diese Weise zu einer Stärkung der Hauptstadtfunktion fuhren kann. 85 Darüber hinaus weist die Begründung des Gebietsreformgesetzes ausdrücklich daraufhin, dass mit der Umsetzung der Fusion eine besondere Stärkung und Qualifizierung des neuen Regierungsbezirks (Bezirk Mitte) als Partner von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrebt wird. Eine Stärkung der Hauptstadtfunktion sollte vor allem über die Fixierung von Leitbildern für die Stadtentwicklung und die hier ansässigen Regierungsparteien 86 im Sinne der Staatsaufgabenkritik der Scholz-Kommission, diesbezüglicher Kommentare der Industrie- und Handelskammer zu Berlin und weiterer im gegebenen Zusammenhang geäußerter Vorschläge erfolgen. Derartige Leitbilder sollten für verschiedene die Hauptstadt betreffende Politikbereiche und Themenfelder mit Rückgriff auf die Stärken der Stadt formuliert und zudem nicht nur vom Berliner Senat, sondern ebenso von den in Berlin ansässigen Großunternehmen und für die Stadt zuständigen Institutionen (Industrie- und Handelskammer zu Berlin, Handwerkskammer usw.) getragen werden. 83 Vgl. weiterhin Michael Mara: Ein Land soll's werden - bis 2009. In: Der Tagesspiegel vom 13.12.2000, S. 19 (sowie die hier ausgewiesene „Bilanz der Sitzungen der Kabinette Stolpe und Diepgen"). 84
Vgl. dazu Reinhart Bünger: Immer mehr Berliner und Brandenburger sind für die Fusion. In: Der Tagesspiegel vom 9.12.2000, S. 9. 85 Effektives Verwaltungshandeln wird besonders von der Wirtschaft mit Blick auf deren Investitionspolitik positiv bewertet und gilt daher bei den Kommunen als erstrebenswerter Standortfaktor (Stichwort: „Weiche" Standortfaktoren), der mit Blick auf den Wettbewerb zwischen Städten und Regionen eine besondere Rolle spielt. 86 Für die in Berlin regierenden Parteien waren in der Regel „Kiezorientierungen" und Eigennutzdenken, losgelöst von Aktionen und Grundsatzdebatten der Bundesparteien, bis zum Fall der Mauer kennzeichnend. Trotz danach als notwendig empfundener Neuorientierungen war ein Festhalten an den teilweise nicht mehr zeitkonformen Verhaltensmustern unverkennbar. Die daraus resultierenden Verklemmungen wurden und werden zudem durch Kompromiss-Entscheidungen des Berliner Senats, Folge der z. T. unbeweglichen CDU/SPD-Koalition, verschärft.
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13. Abschließende Bemerkungen Gegenstand und Mittelpunkt der vorangegangenen Ausführungen war die Bezirksreform als Teil der Verwaltungsreformaktivitäten des Berliner Senats. Auf die ebenfalls mit der Fusion in Verbindung gebrachten Fragen zur Umlandverzahnung Berlins sowie zur Stärkung der Hauptstadtfunktion wurde am Schluss der Arbeit eingegangen. Davon ausgehend kann zusammenfassend festgestellt werden: Die Berliner Bezirksreform bzw. Gebietsreform ist Teil eines gravierenden Modernisierungs- und Veränderungsprozesses, der mit der Verwaltungsreform bereits 1994 begonnen hat und seitdem in weiteren Schritten mit der Ausdehnung der Verwaltungsreform auf die gesamte landesunmittelbare Verwaltung 1996 und der Neustrukturierung der Senatsverwaltungen 1997 fortgesetzt worden ist. Die Grundlage für die Bezirksfusion bildet das Gesetz über die Verringerung der Berliner Bezirke (Gebietsreformgesetz) vom 10. Juni 1998. Danach gibt es mit dem 1. Januar 2001 statt der bisherigen 23 nur noch 12 Berliner Stadtbezirke. Die Beschlussfassung des Gesetzes wurde mit dem Wandel gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Strukturen, den Zwängen, welche sich aus der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften ab 1990, der Stärkung der Hauptstadtfunktion sowie der angespannten Haushaltslage der Stadt begründet. Als Kennzeichen des auch mit der Fusion verbundenen neuen Handelns der zusammengeschmolzenen Bezirksverwaltungen gilt nicht nur deren Dienstleistungsorientierung, sondern vor allem deren Ausrichtung auf die ökonomischen Kategorien Wirtschaftlichkeit, Wirksamkeit, Marktorientierung und Wettbewerb. Die mit der Bezirksfusion verbundene Umgestaltung der Verwaltung beinhaltet zudem umfangreiche organisatorische Veränderungen, welche sich bereits im Rahmen fusionsvorbereitender Maßnahmen äußerten: - Veränderungen regionaler Art durch die Entstehung von Großbezirken mit erweiterten Flächen und neuen Bezirksgrenzen als Folge der Fusion von Bezirken, - Veränderungen in der Aufbauorganisation der Verwaltungen in den Bezirken einschließlich neuer Aufgaben und Zuständigkeiten, mit denen zudem neue Anforderungen an das Verwaltungsmanagement verbunden sind, sowie - veränderte politische Strukturen in den einzelnen Bezirksverordneten-Versammlungen (BVV) der Fusionsbezirke, Resultat neuer politischer Zweckbündnisse. Insgesamt deutet eine erfolgreiche Umsetzung der Fusionsziele auf eine Stärkung der Hauptstadtfunktion hin. Im gegebenen Zusammenhang wurde im Rahmen der Begründung des Gebietsreformgesetzes betont, dass besonders der neue
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Regierungsbezirk (gebildet aus den Bezirken Mitte, Tiergarten und Wedding) als Partner von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat mit der Fusion eine besondere Stärkung und Qualifizierung erfahren werde. Hingegen kann sich aus der Gebietsreform kaum eine Verstärkung der Verzahnung Berlins mit seinem unmittelbaren Umland herleiten lassen. Spätestens ab Herbst 2000 wurde für nicht wenige Beobachter des Fusionsprozesses zunehmend deutlich, dass Ziele der Fusion in dem vorgegebenen Zeitrahmen nicht realisiert werden können. Dies äußerte sich in absehbareren Handlungs- und Umsetzungsdefiziten bei den bezirklichen Verwaltungen und nicht zuletzt in der teilweise massiven Kritik an bestimmten Maßnahmen, Unterlassungen und zu erwartenden Ergebnissen fusionsvorbereitender Maßnahmen. Kritikpunkte waren und sind beispielsweise - die Tatsache, dass weder vom Senat noch von den Bezirksamtsleitungen eine kompetente Wirtschaftsberatung konsultiert wurde, um eine Fusionsstrategie (auf der Basis von Kosten-Nutzen-Analysen) zu erarbeiten und deren etappenweise Umsetzung einschließlich der dabei festgelegten Entscheidungen (z.B. auch Kurskorrekturen) und Maßnahmen zu kontrollieren, - die zu kurze Vorbereitungszeit der einzelnen Bezirksverwaltungen auf die Fusion, -
die Vermischung parteipolitischer Interessen mit organisatorischen Zwängen der Fusion und
- das aus dem sich ergebenden Personalüberhang folgende Haushaltsrisiko. Zweifellos wiesen und weisen viele Fakten daraufhin, dass nicht alle Zielstellungen der Fusion mit Ablauf des Jahres 2000 zu erreichen sind. Mithin werden Aufgaben- und Problemlösungen in nicht wenigen Fällen erst mittel- bis langfristig zu erwarten sein. Dennoch kann die Berliner Bezirksreform einschließlich der Verwaltungsreform trotz der erkannten und kritisierten Defizite als ein Meilenstein auf dem Weg zu einer effektiven und einer Hauptstadt gemäßen Verwaltung angesehen werden. Um dieses von vielen Seiten geforderte Ziel einer zukunftsgerichteten Verwaltung mit klarer Prioritätensetzung zu erreichen, ist vor allem die Ausrichtung auf Kernaufgaben, die Durchsetzung geplanter Effizienzsteigerungen hinsichtlich der vorgegebenen neuen Aufgaben auf der Grundlage eines kompetenten Verwaltungsmanagements sowie eine wirksame Sanierung des Berliner Haushalts notwendig. Die Ausrichtung auf Kernaufgaben beinhaltet zweifellos auch einen konsequenten Privatisierungskurs, um auf diese Weise zu mehr Handlungsfreiheit der Zentralverwaltungen zu gelangen und die Haushaltssanierung voranzutreiben. Dies würde eine Loslösung von mehr als siebzig unmittelbaren Unternehmensbe-
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teiligungen und etwa 250 mittelbaren Beteiligungen sowie den Beteiligungen der Anstalten öffentlichen Rechts bedeuten. Parallel zu derartigen Bemühungen müssten die bereits vorhandenen Standortvorteile in den Bereichen Wissenschaft und Forschung sowie Kunst und Kultur noch deutlicher als bisher gestärkt werden, um bei weiteren Unternehmen und Forschungseinrichtungen das Interesse für Berlin zu wecken und auch auf diese Weise die Stadt zu einer attraktiven Metropole zu entwickeln.
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten Spiegelbild der Territorialplanung in der DDR Von Ingrid Apolinarski
1. Forschungsansatz 1.1 Veranlassung/Forschungsbedarf Mit dem Systemwechsel nach 1989 sowie einem flankierenden Institutionentransfer wurde in Ostdeutschland zugleich ein neues Planungssystem etabliert. An die Stelle der zentralstaatlich organisierten Territorialplanung trat die dem föderalen System der Bundesrepublik entsprechende Rechtssetzung der Landes- und Regionalplanung. Damit stand die Regionalplanung vor der Aufgabe, Raumentwicklungen, die noch durch die Territorialplanung vorstrukturiert waren, zu berücksichtigen und als Grundlage für neuere Planungen zur Kenntnis zu nehmen. Gerade für weiterführende Anschlussplanungen ergaben sich daraus besondere Ausgangskonditionen. Zudem stellte der Wechsel im Planungssystem für die in der Tradition der Territorialplanung ausgebildeten und weiterhin in der Planung tätigen Akteure eine professionelle Herausforderung dar. Für sie galt es, vor dem Erfahrungshintergrund der Territorialplanung die räumlichen Planungen nach den aktuellen Erfordernissen und Auffassungen durchzuführen und zugleich durch ihre interne Kenntnis zweier Planungssysteme Lösungsoptionen zu entwickeln. Neben diesem Strukturwandel in der Planungspraxis und Verwaltung beschäftigte sich nach dem Systemwechsel zunehmend auch die raumwissenschaftliche Forschung mit der DDR-Epoche der Raumplanung und den daraus resultierenden Voraussetzungen und Grundlagen für eine künftige Raumentwicklung. Für die Wissenschaftler der alten Bundesländer bestand jetzt die Chance, Zugang zu wichtigen Quellen und Zeitzeugen zu bekommen \ waren sie doch bis dahin im Wesentlichen nur auf offizielle', wenig aussagekräftige Quellen und deren Deutung angewiesen2. Die Wissenschaftler der neuen Bundesländer konnten nun ihr theoretisches und praktisches Erfahrungswissen erstmalig ungefiltert
1 So z.B. Behrens, H.: Von der Landesplanung zur Territorialplanung. Zur Entwicklung der räumlichen Planung in der SBZ/DDR von 1945 bis Anfang der 60er-Jahre, Marburg 1997. 2 Vgl. hierzu: Werner, F.: Zur Raumordnung in der DDR, Berlin 1975; Werner, F.: Die Raumordnungspolitik der DDR. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Beiträge, Band 82, Hannover 1985, S. I f f .
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einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Trotzdem kommt Kind zu der Auffassung: „Eine reale Einschätzung auf dem Gebiet der Raumplanung (der DDR, I.A.) ist erschwert, da die Quellenlage als kompliziert zu bewerten ist." 3 Er fuhrt dafür verschiedene Gründe an und weist daraufhin, dass seine Darstellung „wegen des Standes der historischen Aufbereitung der DDR-Vergangenheit generell vorläufigen Charakter trägt." 4 Die im Zuge dieser, Aufbereitung der DDR-Vergangenheit' entstandenen Beiträge analysieren historisch-deskriptiv die räumliche Planung in der DDR entweder in ihren theoretischen und praxisbezogenen Gesamtzusammenhängen5 oder thematisieren fachspezifisch einzelne Disziplinen 6 . Weitgehend unberücksichtigt blieb in den bisherigen Darstellungen die Akteursebene. Allenfalls war sie im Institutionenhandeln impliziert. Akteursbezogene Einzelfallanalysen sind aber notwendig, um die tatsächlichen Verlaufsformen der räumlichen Planungspraxis zu analysieren und daraus Rückschlüsse auf deren spezifischen Systemcharakter ziehen zu können. Unter diesem Aspekt gewinnen insbesondere historische Planungsanalysen an Relevanz. Mit ihnen wird es möglich, die Entstehungsgeschichte räumlich-funktioneller Kontexte zu untersuchen. Diese wiederum scheinen notwendig zur Analyse von aktuellen Entwicklungen sowie für die weitere Planungstheorieentwicklung. Nicht zuletzt liefern sie den Hintergrund für die Ursachen aktueller Planungskonflikte. In diesem spannenden Überschneidungsfeld von historischen und aktuellen Planungsproblemen setzt die vorliegende Untersuchung an. Am Fallbeispiel der Entwicklung des Arbeitsstättengebietes 7 in der Gemeinde Dahlwitz-Hoppegarten an der östlichen Stadtgrenze zu Berlin wird untersucht, wie die prinzipiell verbindlichen Gesetze in der Planungspraxis umgesetzt wurden und welche Handlungsspielräume die Akteure hatten, um eigene Vorstellungen in den Planungsprozess einzubringen. Den Kontext dazu bilden die Fragen, welchen Stellenwert die Territorialplanung im Planungssystem der DDR überhaupt hatte, wie sie or3 Kind, G.: Territorialentwicklung und Territorialplanung in der DDR. Ergebnisse und Auswirkungen auf die Raumstruktur Deutschlands. In: Becker, A. (Hrsg.): Regionale Strukturen im Wandel, Opladen 1997, S. 22. 4
Kind, G.: Ebenda.
5
Ostwald, W. (Hrsg.): Raumordnungsreport '90. Daten und Fakten zur Lage in den ostdeutschen Ländern, Berlin 1990; Kind, G.: a.a.O.; Scherf, K.: Theoretische Grundlagen und Methoden, Organisationsformen, Ergebnisse und Probleme der interdisziplinären Raumforschung in der DDR - Versuch einer generellen Wertung. In: Eckart, K., Kehrer, G., Scherf, K. (Hrsg.): Raumplanung und Raumforschung in der DDR, Berlin 1998, S. 95-136. 6 Casper, D.: Infrastruktur. In: Eckart, K., Kehrer, G., Scherf, K. (Hrsg.): Raumplanung und Raumforschung in der DDR, Berlin 1998, S. 137-158. 7
, Arbeitsstättengebiet' repräsentiert den damals in der DDR üblicherweise benutzten Begriff. Nach der ΒaunutzungsVerordnung entspricht dieses Gebiet im Wesentlichen der Einstufung als Gewerbegebiet. I m Weiteren wird i m Text dieser Begriff benutzt. Vgl. auch Glossar.
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ganisiert und gegliedert war und welche Auswirkungen die sich verändernden Schwerpunktsetzungen in der Volkswirtschaftsplanung auf die räumliche Planung hatten. Für die Auswahl des Fallbeispiels Dahlwitz-Hoppegarten sprechen mehrere Gründe. Ein wesentliches Tätigkeitsfeld der Territorialplanung war die langfristige und großräumige Planung von Industrie- und Gewerbestandorten und in deren Folge die Planung von Wohnungsbaustandorten. Zum anderen war zu erwarten, dass die Lage des Beispielgebietes an der Stadtgrenze zu Berlin, damals Hauptstadt der DDR, es gestattete, neben den DDR-relevanten Problemen zusätzlich die Hauptstadt-Zentriertheit zu fokussieren. Lage und beabsichtigte Zweckbestimmung des Gewerbegebietes legten die Vermutung nahe, dass hier eine besondere Zuspitzung der Problemlagen vorliegen würde. 1.2 Ausgangshypothese Zur Erklärung der Handlungsspielräume im Rahmen dieses komplex angelegten Planungsprozesses wurden zwei gegenläufige Hypothesen geprüft, die modellhaft maximal kontrastierende Handlungsketten unterstellen: 1. Ein top-down-orientierter Ansatz, der besagt, dass die territoriale Planung eindeutig nach einem zentralistischen System organisiert war, zentralistisch und hierarchisch wie die DDR insgesamt. Entscheidungen wurden nach dem Topdown-Prinzip getroffen. Die Interventionschancen für individuelle Akteure waren demnach systembedingt minimal; 2. eine Gegenhypothese, die - in Anlehnung an die These von der „Aushandlungsgesellschaft" 8 - davon ausgeht, dass gerade auch institutionelle Akteure gezwungen waren, ohne instrumenteile Rahmenvorgaben Verfahrensprozesse informell miteinander auszuhandeln, um Planungen voranzutreiben. Die Spanne zwischen beiden Hypothesen legt die Frage nach einem realistischen akteursbezogenen Erklärungsmodell als dritter Alternative nahe. Gibt es einen realistischen Mix, eine systematische Regelungsmischung zwischen beiden Extremvermutungen? Im Projekt war daher fallkonkret zu prüfen, wie viel an , Aushandlung'/Verhandlung innerhalb des Top-down-Prinzips faktisch abgelau8 Wolfgang Engler formuliert diese These wie folgt: „ I m Alltag, der auch ein Alltag der Behörden und Fabriken war, herrschte alles, nur eines nicht: Eindeutigkeit und Verlässlichkeit. Permanenter Mangel, Rechtslücken und ideologische Kampagnen unterhöhlten die „große Ordnung" in materieller, sozialer und geistiger Hinsicht und wiesen die Akteure auf sich selber hin. Der staatssozialistische Disziplinarraum bestand aus lauter wilden Räumen, in denen Arbeiter und Direktoren, Bittsteller und Amtspersonen, Mitglieder und Funktionäre Ordnungen von beschränkter Dauer und Gültigkeit mit- und gegeneinander aushandelten und auskämpften." Engler, W.: „Aushandlungsgesellschaft" DDR. In: Beck, U., Sopp, P.: Individualisierung und Integration. Neue Konfliktlinien und neuer Integrationsmodus? Opladen 1997, S. 37-46.
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fen ist, und wo ,Aushandlung4 im Englerschen Sinne neben den hierarchischen Ansätzen zum Tragen kam und wo Hierarchie voll wirksam wurde. Zu fragen war, welche Rolle die im Gesetz eingeforderten Abstimmungsprozeduren (vgl. Abschnitt 3) konkret im Falle der Entwicklung des Gewerbegebietes in DahlwitzHoppegarten spielten und wie die Akteure vor Ort damit umgingen. Wie ,Aushandlung' in der Praxis der Volkswirtschaftsplanung vonstatten ging, hat Lothar Fritze beschrieben: „Die besondere Brisanz bestand dabei darin, dass natürlich jeder das Spiel kannte und durchschaute und wusste, dass der andere ,mauert' - ohne freilich immer zu wissen mit welcher ,Kühnheit'" 9 . Nicht ganz zu Unrecht zitiert er dazu Luhmanns Analyse der , reflexiven Planung der Planung' 10 und führt weiter dazu aus: „Erfahrungen aus früheren Planaushandlungsverfahren zwischen wirtschaftender Einheit (Betrieb/Kombinat, I.A.) und Planungsorgan (Plankommission, Ministerium, I.A.) werden auf beiden Seiten in die eigenen Planungen einbezogen. Man versucht, das zu erwartende Verhalten des ,Kontrahenten' in den Planvorstellungen zu berücksichtigen, mit denen man in das Planaushandlungsverfahren einzutreten gedenkt. Die Berücksichtigung der zu erwartenden Aushandlungstaktik kann selbst wieder in der Planung berücksichtigt werden." 11 Anhand des Fallbeispiels war letztlich die Frage zu beantworten, ob und inwieweit das Klischee von der realsozialistischen ,Einheitsgesellschaft' mit einer stringenten Top-down-Politik und dem ,Diktat des Plans' in der Alltagspraxis tatsächlich umgesetzt wurde. Um die Ausgangshypothesen testen zu können und somit Antworten auf die Forschungsfragen zu finden, wurden die Analysen daher verstärkt auf die Akteursebene fokussiert. 2. Methoden Im Forschungsprojekt wurde vorrangig mit Methoden der Quellen- und Dokumentenanalyse sowie mit Interviews von Experten und Zeitzeugen gearbeitet. Die zu analysierenden Quellen und Dokumente lassen sich in ihrer Art gliedern in:
9 Fritze, L.: Panoptikum DDR-Wirtschaft, Machtverhältnisse - Organisationsstrukturen Funktionsmechanismen, München 1993, S. 33.
-
10 Zur Selbstreferenz sozialer Systeme und ihrer Konsequenzen für eine Theorie der Planung vergleiche Luhmann, N.: Soziale Systeme, Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1991, S. 635 ff. 11
Fritze, L.: a.a.O., S. 33.
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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1. Archivalien unterschiedlichen Charakters (Planungs-/Entwicklungsdarstellungen, offizieller Schriftverkehr, persönliche Notizen, Zuarbeiten Dritter usw.), 2. Gesetzestexte, 3. Parteiprogramme/-beschlüsse, Materialien von Partei- und ZK-Tagungen, 4. Beschlüsse der Staatsorgane (z.B. Räte der Bezirke/Kreise), 5. weitere zeitgenössische und aktuelle Sekundärliteratur (Lehrbücher, Forschungsberichte, Publikationen usw.). Auf der Basis einer Grobinventarisierung der IRS-Sammlungsbestände zur Territorialplanung wurde eine Auswahl von primär relevanten Archivalien für die Untersuchung getroffen. Zur Erschließung der Inhalte und Verfahrenszusammenhänge wurde hierzu eine Feininventarisierung und eine kurze Inhaltsanalyse vorgenommen. Eine Hauptquelle stellte der umfangreiche Schriftverkehr zwischen der Bezirksplankommission (BPK) des Bezirks Frankfurt (Oder), den Verhandlungspartnern BPK Berlin, Ministerium für Bauwesen (MfB) und den Antragstellern für das Gewerbegebiet dar. In dieser sehr umfangreichen Quelle waren Schriftstücke sehr unterschiedlichen Charakters enthalten. Einen wesentlichen Anteil bildeten die offiziellen Schreiben der Leiter der Bezirksplankommissionen, die - zumindest in Frankfurt (Oder) nachvollziehbar - durch das Büro für Territorialplanung vorbereitet worden waren. Diese waren häufig mit handschriftlichen Anmerkungen und Notizen versehen. Daneben enthielten die Quellen Ausarbeitungen der Mitarbeiter des Büros für Territorialplanung Frankfurt (Oder) zu Sachargumentationen, Verhandlungsergebnissen und Analysen. Aus diesen Quellen konnte der Entwicklungsprozess des Gewerbegebietes in einer ersten Phase rekonstruiert werden. Es konnten die beteiligten Akteure und ihre Institutionen sowie ihre Handlungsoptionen herausgearbeitet werden. Zudem waren Rückschlüsse auf handlungsleitende staatliche Richtlinien, Beschlussfassungen, Parteiprogramme u.ä. möglich. Im Zusammenspiel mit Analysen sekundärer Quellen und Dokumente konnte der Kontext für den Planungsprozess erschlossen werden. Hier zeichneten sich schon in der ersten Bearbeitungsphase Widersprüche zwischen dem nach den Gesetzen und staatlichen Regelungen idealtypischen Prozessverlauf und dem nach der Aktenlage in der Praxis vor Ort offenbar tatsächlich abgelaufenen Prozess ab. Um Unsicherheiten, die auch bei einer genauen Interpretation historischer Quellen 12 bleiben, möglichst zu minimieren, wurden in einer zweiten Untersu12
Bei der Interpretation der schriftlichen Quellen war ihr Entstehungszusammenhang zu berücksichtigen. Schon Werner weist daraufhin, dass „die Texte (...) ein Sozialverhalten, das den westlichen Interpreten fremd ist (spiegeln)" (Werner, F.: Die Raumordnungspolitik der DDR, Hannover 1985, S. 19). Auch war zu bedenken, dass bei dem offiziellen Schriftverkehr in den Akten ein bestimmter Sprachstil mit ganz bestimmten symbolischen Gehalten üblich war. Auch Reh weiß um die Sensibilität der Dokumentenanalyse, wenn er schreibt: „Bei einer Dokumentenanalyse muss man sich allerdings immer vergegenwärtigen, dass die Quellen den historischen Prozess nur
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chungsphase anhand eines Interviewleitfadens die am Planungsprozess beteiligten Akteure interviewt. Bei den telefonisch geführten Voranfragen gaben die potenziellen Interviewpartner zu verstehen, dass ihr Gedächtnis diesbezüglich wohl schon Lücken aufweise. Deshalb wurden zur Vorbereitung des Interviews jedem Partner eine Darstellung des Forschungsinteresses und eine Inhaltsskizze zum Planungsprozess zugeschickt. Eine Schlüsselrolle kam dem Interview mit dem damaligen Vorsitzenden der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) zu. Mit seiner Hilfe konnten anhand der Primärquellen die Verfasser der handschriftlichen Dokumente und von Randnotizen entschlüsselt werden und der Status und die Funktion von in den Dokumenten relevanten Personen geklärt werden. In den Interviews spielten inhaltlich zwei Themenkomplexe eine Rolle. Der eine galt den materiellen Quellen selbst, wie z.B. ihre Herkunft, ihre Verfasser, Fragen der Vollständigkeit. Der zweite Komplex beinhaltete Fragen zum Planungssystem und -prozess, wie z.B. der eigenen Stellung innerhalb der Institution/des Bearbeiterstabes, einer Einschätzung zum Verlauf des Bearbeitungsprozesses, der Spielräume zur Durchsetzung eigener Vorstellungen und des Einflusses ,νοη oben4 auf die Gestaltung und die Inhalte des Planungsprozesses. Die Interviews wurden zunächst themenzentriert ausgewertet. Um der Gefahr einer zu subjektiven, durch den Interviewpartner beeinflussten Sichtweise zu begegnen, wurde in einer dritten Untersuchungsphase eine Verschränkung beider Methoden vollzogen. Diese diente dann der gegenseitigen Prüfung der Ergebnisse von Dokumentenanalyse und Interviewaussagen. 3. Organisation, Instrumente und Ablauf der Prozesse der Territorialplanung 3.1 Organisationsprinzip Die Entwicklung der Territorialplanung war eng verknüpft mit den Entwicklungsprozessen in Politik und Wirtschaft der DDR. Einen ausführlichen Überblick über die Geschichte, die theoretischen Grundlagen und die Forschungsfelder zur räumlichen Planung in der DDR geben Eckart, Kehrer und Scherf. 13 fragmentarisch, ausschnitthaft und selektiv widerspiegeln" (Reh, W.: Quellen- und Dokumentenanalyse in der Politikfeldforschung: Wer steuert die Verkehrspolitik? In: Alemann, U. v. (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden. Grundriss für Studium und Forschung, Opladen 1995, S. 204). 13 Eckart, K., Kehrer, G., Scherf, K. (Hrsg.): Raumplanung und Raumforschung in der DDR, Berlin 1998, weiterführend auch: Lehmann, H.: Städtebau und Gebietsplanung. Über die räumlichen Aufgaben der Planung in Siedlung und Wirtschaft, Berlin 1955; Kanow, E.: Der Beitrag der Gebietsplanung zur sozialistischen Umgestaltung in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Deutsche Bauakademie (Hrsg.): Jahrbuch 1961, Berlin 1961, S. 32-50; Bönisch, R., Mohs, G., Ostwald, W. (Hrsg.): Territorialplanung. Berlin 1980; Kind, G.: Raumplanung in der DDR. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Raumordnung, Hannover 1995, S. 776-782.
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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Abb. 1: Stellung der Territorialplanung im Planungssystem der DDR (nach Eckart, Kehrer, Scherf)
Die räumliche Planung war in der DDR zweigeteilt organisiert (vgl. Abb. 1 ) 1 4 , auf der einen Seite die ökonomisch determinierte Territorialplanung und auf der anderen Seite die technisch-gestalterische Planung. Sie unterstanden jeweils verschiedenen Verantwortungsbereichen staatlicher Administration. Die Einrichtungen der Territorialplanung waren in zwei Ebenen der Plankommission unterstellt. Innerhalb der Staatlichen Plankommission war ein Stellvertreterbereich ,Territorialplanung und Bauwesen' installiert. Zu diesem gehörten die Abteilung territoriale Planung' und die ,Forschungsleitstelle fur Territorialplanung'. Der Staatlichen Plankommission unterstand auf der bezirklichen Ebene die Bezirksplankommission. Dieser nachgeordnet war das Büro fur Territorialplanung.
14
Eckart, K., Kehrer, G., Scherf, K.: ebenda, S. 26.
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Die Staatliche Plankommission „war für die gesamtstaatliche Planung der Entwicklung der Volkswirtschaft verantwortlich und hatte auch die Durchführung der Pläne zu kontrollieren. Dabei hatte sie zu gewährleisten, dass sich die Wirtschaftsentwicklung in sinnvollen Proportionen vollzog, und musste zugleich die Verflechtungen von Produktionszweigen oder ganzen -bereichen im Auge behalten und ggf. lenken." 15 Die Bezirks- und Kreisplankommissionen waren entsprechend ihrer administrativen Zuständigkeitsbereiche auf ihren Verwaltungsebenen im Bezirk und Kreis tätig. Die ,technisch-gestalterische Planung' 16 lag dagegen in der Verantwortung des Ministeriums für Bauwesen. Eine dem Büro für Territorialplanung vergleichbare Institution war das Büro für Städtebau, welches dem Bezirksbauamt unterstand. Gleichrangig daneben gab es das Büro für Verkehrsplanung, das dem Ministerium für Verkehrswesen nachgeordnet war. Entsprechend des zentralistischen Staatsaufbaus und der Integration der Territorialplanung in die Volkswirtschaftsplanung geschah ihre Steuerung vorrangig durch die gesamtstaatliche und die bezirkliche Ebene der Plankommission. Die nachgeordneten Gebietskörperschaften besaßen relativ geringe Planungskompetenzen. Das Büro für Territorialplanung war der Bezirksplankommission direkt unterstellt. Sein Leiter war in der Regel fest in der Bezirksplankommission verankert. Im Bezirk Frankfurt (Oder) war der Leiter des Büros für Territorialplanung gleichzeitig der Stellvertreter des Vorsitzenden der Bezirksplankommission. Einen Sonderfall stellte Ost-Berlin dar (vgl. Abb. 2). Hier gab es kein selbstständiges Büro für Territorialplanung. Es war direkt in Form von Fachabteilungen in die Bezirksplankommission integriert. Diese nannten sich „Standortverteilung der Produktivkräfte" und „Technische Infrastruktur". Unmittelbare Arbeitsbeziehungen bestanden zu den entsprechenden Ratsbereichen wie dem des Bezirksbaudirektors für den Städtebau und die Stadträte für Verkehr und Stadttechnik. Die Territorialplanung war somit in Berlin, anders als in den anderen Bezirken, nicht gleichrangig mit den Planungsbüros der anderen Ratsbereiche organisiert, sondern durch Integration in die Bezirksplankommission eine Ebene höher angesiedelt. Die Organisation und die Aufgaben und Kompetenzen der Territorialplanung gibt folgendes Zitat aus einem offiziellen Lehrbuch wieder:
15
Herbst, Α., Ranke, W. u. Winkler, J.: So funktionierte die DDR, Band 2 Lexikon der Organisationen und Institutionen, Reinbek 1994. 16 Vgl. hierzu die Ausführungen von G. Kehrer in: Eckart, K., Kehrer, G., Scherf, K. (Hrsg.): a.a.O. S. 25ff.
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Abb. 2: Organisation der räumlichen Planung in Berlin (Hauptstadt der DDR) ab 1975 (Quelle: eigene Darstellung)
„Die Territorialplanung ist integrierter Bestandteil der Leitung und Planung des sozialistischen Staates und arbeitet nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus. Sie verbindet die Ausarbeitung und Durchsetzung der zentral festgelegten Grundrichtung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses organisch mit der Gestaltung der einzelnen Gebiete des Landes und mit der Nutzung der differenzierten Möglichkeiten und Bedingungen des Territoriums durch die Kombinate, Betriebe und Einrichtungen." 17 Wie sich das in der Praxis umsetzen sollte, ist im „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen" formuliert: „In Übereinstimmung mit den Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften fassen die örtlichen Volksvertretungen Beschlüsse, die für die nachgeordneten Volksvertretungen, die in ihrem Territorium gelegenen Betriebe, Genossenschaften und Einrich1 ο
tungen sowie für die Bürger verbindlich sind." Zu bemerken ist hierzu, dass die Hierarchie der örtlichen Volksvertretungen beim Bezirkstag (Rat des Bezirkes) begann und in der Gemeindevertretung (Rat der Stadt/Gemeinde) endete, wobei
17 Bönisch, Mohs, Ostwald a.a.O., S. 82; auch Bräuninger, J.: Territorialplanung in der DDR. In: Raumforschung und Raumordnung Nr. 4/1989, S. 191 ff. 18 Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 4. Juli 1985. In: GBl. der DDR Teil I, Nr. 18 vom 11.7.1984, S. 214, aber auch schon in der Fassung: GBl. der DDR Teil I, Nr. 32 vom 18.7.1973, S. 317.
184
Ingrid Apolinarski
die nächsthöhere Instanz Beschlüsse nachgeordneter Instanzen aufheben konnte, aber nicht umgekehrt. Hieraus ergibt sich für die Bezirksplankommission als Träger der Territorialplanung, aber auch für die Kreisplankommission, eine doppelte Unterstellung (Staatliche Plankommission/Räte der Bezirke und Staatliche/Bezirksplankommission/Räte der Kreise). Diese spielte dann auch eine besondere Rolle bei Interessenkonflikten zwischen zentraler Ebene (Politbüro des Z K der SED/Ministerrat) und den ,örtlichen' Ebenen (Bezirksleitung der SED/Räte der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden) sowie bei der Zweig- (Branchen-) und Territorialplanung innerhalb der Volkswirtschafitsplanung. Diese Organisations- und Unterstellungsprinzipien spiegeln sich auch im Prozess der Entstehung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten wider. Die Gemeinde selbst und die Kreisverwaltung wurden im Wesentlichen nur informell beteiligt. Ein Planungsprozess nach dem Gegenstromprinzip 4 war weitgehend ausgeschlossen. 3.2 Ablauf des Planungsprozesses der Territorialplanung Wenn man von der Territorial,planung 4 spricht, muss man beachten, dass der Planungsbegriff in der DDR zum Teil mit wesentlich anderen Inhalten belegt war als der der räumlichen Planung in der Bundesrepublik. In Meyers Neuem Lexikon wird das Arbeitsfeld der Territorialplanung folgendermaßen umrissen: „die Koordinierung der Entwicklung der Zweige und Bereiche der Volkswirtschaft mit den territorialen Erfordernissen und Möglichkeiten" als „Einheit von Zweigund Territorialplanung" 19 . Das bedeutete eine unmittelbare Verkoppelung mit der Wirtschaftsplanung der DDR, quasi eine ,verräumlichte Wirtschaftsplanung'. Aufgabe der Territorialplanung war die Planung der ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwicklung in den territorialen Einheiten der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden. Das beinhaltete die Erarbeitung langfristiger Entwicklungskonzeptionen und Prognosen in allen Bereichen als langfristige Planung, aber auch die Untersetzung der Fünfjahres- und Jahrespläne als mittel- und kurzfristige Planung. Zentrale Themen waren die Planung von Standorten der Wirtschaft und der dabei benötigten Arbeitskräfte und der Standorte fur den komplexen Wohnungsbau als Voraussetzung für die Arbeitskräfteansiedlung. Grundlage dafür waren Analysen zur Bevölkerungs- und Arbeitskräfteentwicklung sowie der Wirtschaftsentwicklung, um entsprechende Schlussfolgerungen für die Planung des Wohnungsbaus und der sozialen und technischen Infrastruktur ziehen zu können. Diese Daten dienten als Basis für die staatliche Wirtschaftsplanung.
19
Meyers Neues Lexikon, Leipzig 1974, Bd. 10, S. 681.
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
185
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Staatliche Aufgaben/Planauflagen Planentwurf Abstimmung und Bilanzentscheidungen
Quelle: (Grobschema nach GBL der DDR SDr. 1020a und eigene Darstellung).
Abb. 3: Ausarbeitung der 5-Jahres-/Jahresvolkswirtschaftspläne unter Beteiligung der Territorialplanung
Wirtschaftsplanung bedeutete Bilanzierung in den Zeiträumen der langfristigen, 5-Jahres- und Jahresplanung. Die Staatliche Plankommission, als Organ des Ministerrats, gab zunächst zentrale Vorgaben als sog. staatliche Aufgaben' für alle am Prozess der Planausarbeitung Beteiligten (z.B. Ministerien, Bezirksorgane, Kombinate) heraus (vgl. Abb. 3). In einer zweiten Etappe arbeiteten die verantwortlichen Planungsakteure Planentwürfe aus. Hierbei waren sie per Gesetz zur „Abstimmung und Verteidigung der Planentwürfe einschließlich ihrer zwischenbetrieblichen und territorialen Koordinierung und Bilanzierung" 20 verpflichtet. Schließlich wurden nach der „gesamtvolkswirtschaftlichen Koordinie20 Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft der D D R 1986 bis 1990 vom 7. Dezember 1984, Teil A: Allgemeine Bestimmungen, Konzeptionelle Vorbereitung des Fünfjahr-
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rung und Bilanzierung (...) sowie nach ihrer Beschlussfassung" die staatlichen Planauflagen „zur Fertigstellung und Durchführung der Pläne"21 erteilt. Am Ende des Bilanzierungsprozesses wurden den Betrieben und Einrichtungen für die einzelnen Jahre materielle und finanzielle Fonds zugewiesen.22 Die am Planungsprozess beteiligten Akteure waren verpflichtet, sowohl vertikal als auch horizontal permanent Abstimmungsprozeduren zu vollziehen. Ein Ziel sollte dabei sein „die Übereinstimmung der Aufgaben zur Entwicklung der Kombinate, Betriebe und Einrichtungen mit den Aufgaben zur gesellschaftlichen Entwicklung in den Territorien zu gewährleisten"23. Um die räumliche Komponente entsprechend einbeziehen zu können, wurden die ,Komplexberatungen', als Teil der formellen Planung, vorgesehen. Diese wurden von der Staatlichen Plankommission geleitet. Neben den Ministerien und den Kombinaten nahm daran dann auch die Bezirksplankommission als Vertreter der Territorialplanung teil. Diesen , Komplexberatungen4 kommt insofern ein besonderer Stellenwert zu, als sie, und ähnliche Beratungen im Vorfeld (Investitionsberatungen), die einzige Stelle im Planungsprozess markieren, wo eine Einflussmöglichkeit der räumlichen Planung gegeben war. 24 Denn entscheidend für die Umsetzung raumplanerischer Zielstellungen war die Bereitstellung der materiellen und finanziellen Fonds der Betriebe und Einrichtungen (Investoren) an den ausgewiesenen Entwicklungsstandorten, war doch von ihr die Durchführung von Bauvorhaben unmittelbar abhängig.
planes, Planung der Effektivität der gesellschaftlichen Produktion, GBl. der DDR SDr. Nr. 1190a vom 1.2.1985, S. 5. 21
Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft ... vom 1.2.1985: Ebenda.
22
Neben den allgemeinen Verfahrensregeln und -inhalten, die im Teil A der Planungsordnung enthalten sind, gab es eine Vielzahl weiterer Teile (B-R). In diesen waren die Regelungen für die zweig- und fachspezifisch zu erarbeitenden 5-Jahr- und Jahresplanungen enthalten, einschließlich von Mustern für zu verwendende Vordrucke. 23
Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft ... vom 1.2.1985: a.a.O.,
S. 9. 24 Hier müssen die Ausführungen von W. Strubelt in ihrer Absolutheit etwas relativiert werden, wenn er schreibt: „Funktion der sogenannten Territorialplanung war es vielmehr, die zentralen Planvorgaben durch Standortplanung ,νοη oben nach unten' umzusetzen." (Strubelt, W.: Regionale Disparitäten zwischen Wandel und Persistenz, S. 16. In: Strubelt, W., Genosko, J., Bertram, H., Friedrichs, J., Gans, P., Häußermann, H., Herlyn, U., Sahner, H. (Hrsg.): Städte und Regionen Räumliche Folgen des Transformationsprozesses, Opladen 1996). Die beschriebenen Abstimmungsprozeduren waren Bestandteil des Prozesses der Volkswirtschaftsplanung. Sie wurden sowohl horizontal als auch vertikal wahrgenommen. Über den Erfolg lässt sich allerdings streiten.
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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4. Die Fallstudie Dahlwitz-Hoppegarten 4.1 Kurzcharakteristik
des Siedlungsgebietes
Die Gemeinde Dahlwitz-Hoppegarten liegt unmittelbar am östlichen Stadtrand von Berlin. Sie besteht aus den Ortsteilen Dahlwitz-Hoppegarten (Doppelname seit 1921), Waldesruh, Birkenstein, Ravenstein und Heidemühle. Zusammen mit den Gemeinden Hönow und Münchehofe bildet sie heute das Amt Hoppegarten. Der Hauptort Dahlwitz-Hoppegarten hat seinen Ursprung in einem Angerdorf. Er ist im Wesentlichen Wohnstandort mit einer Grundausstattung in der sozialen Infrastruktur. Die übrigen Siedlungsteile haben eher den Charakter einer Gartenstadt und dienen fast ausschließlich der Wohnfunktion. Vor 1989 erfüllte die Gemeinde vorwiegend die Funktion des Wohnstandortes für die Arbeitspendler nach Ost-Berlin. Die Einwohnerentwicklung verlief bis zur Wende negativ von 4286 Ew. im Jahr 1971 auf 3 940 Ew. im Jahr 1989. Den Tiefpunkt erreichte die Einwohnerentwicklung 1990 mit 3 846 Ew. (Quelle: Datenpool 1RS). Danach war ein stetiger Einwohnerzuwachs zu verzeichnen auf 4 768 Ew. im Jahr 1996. Die Gemeinde ist verkehrstechnisch gut erschlossen. Die Bundesstraße Β 1/5 durchquert das Territorium in West-Ost-Richtung heute als Umgehungsstraße (zu DDR-Zeiten durch die Ortslage) und gewährleistet die Verbindung zwischen Berlin und der Autobahn A 10, dem östlichen Berliner Ring. Die S-Bahn-Trasse S 5 (heute Spandau-Strausberg) erschließt über die Haltepunkte Birkenstein (nach der Wende fertiggestellt) und Hoppegarten die Gemeinde gleich zweifach. Der Ortsteil Waldesruh ist, wie vor der Wende auch, über eine Buslinie mit Berlin-Lichtenberg verbunden. Von besonderer Bedeutung ist die im Ortsteil Hoppegarten gelegene Galopprennbahn, die mit ihren Trainierbahnen größere Areale der Gemeinde einnimmt. Das Eröffnungsrennen fand im Jahre 1868 statt. Auch heute noch locken Rennund andere Freiluftveranstaltungen jährlich Tausende von Besuchern auf das Gelände. Neben den zumeist sehr locker bebauten Wohnbauflächen nahmen landwirtschaftlich genutzte und Waldflächen einen großen Teil des Gemeindeterritoriums ein. Erhebliche Teile der Landwirtschafitsflächen wurden im Zuge der Entwicklung des Gewerbegebietes ab 1977 umgewidmet. Im Bereich des Neuenhagener Mühlenfließes und des Erpetals erstreckt sich ein Landschaftsschutzgebiet mit überwiegendem Kiefernbestand. Im östlichen Zipfel des Gemeindeterritoriums befindet sich eine Kieslagerstätte „Der Machnow".
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4.2 Entwicklungsgeschichte
des Gewerbegebietes und ihre Hauptakteure
Die analysierte Entwicklungsgeschichte des Gewerbegebietes umfasst den Zeitraum von der zweiten Hälfte der 70er-Jahre bis zur Wende 1989. Wesentliche Entwicklungsabschnitte fielen mit dem allgemeinen Niedergang des Gesellschafts-, Wirtschafts- und Planungssystems der DDR zusammen. Das bedeutete, dass lang- und mittelfristige Planungen immer häufiger kurzfristigen Planentscheidungen und -korrekturen sowie subjektiv beeinflussten kommandowirtschaftlichen Anordnungen zum Opfer fielen bzw. dadurch konterkariert wurden. Damit wurden Chancen vergeben, territorialplanerische Ziele zu erreichen und dazu entsprechende Instrumentarien einzusetzen, um territoriale Rationalisierungs- und Effizienzeffekte in der Produktions- und Infrastruktur sowie bei den entsprechenden Investitionen durchsetzen zu können. Diese komplizierten Verhältnisse bildeten den konstitutiven Hintergrund für die Planung und Entwicklung des untersuchten Gewerbegebietes. Die Rekonstruktion der Entwicklung des Gewerbegebietes basiert zunächst im Wesentlichen auf Quellen aus den Sammlungsbeständen des 1RS. Diese präsentieren unter anderem den Schriftverkehr zwischen den staatlich verantwortlichen Vertretern der Territorialplanung, Ministerien und Antragstellern. Die Hauptakteure sind der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Frankfurt (Oder) und Vorsitzender der Bezirksplankommission (BPK) Frankfurt (Oder)', der Stellvertreter des Oberbürgermeisters im Magistrat von Berlin (Hauptstadt der DDR) und Vorsitzender der Bezirksplankommission Berlin 4, der Stellvertreter des Ministers im Ministerium für Bauwesen' und der Leiter des Büros für Territorialplanung (BfT). Wesentliche Verhandlungsebene ist die Bezirksebene mit Tendenz zur Einbeziehung der übergeordneten Fachministerien. Ein Dialog mit den untergeordneten staatlichen Akteuren, wie z.B. dem Rat des Kreises oder der Gemeinde, und den Investoren findet im Wesentlichen nur mit den Mitarbeitern der planenden Büros, Büro für Territorialplanung Frankfurt (Oder) und Büro für Städtebau Berlin, statt. In der Rekonstruktion des Entwicklungsprozesses des Gewerbegebietes in Dahlwitz-Hoppegarten werden sehr unterschiedliche Entwicklungsverläufe zu einer Vielzahl von Teilaspekten deutlich. Die meisten Teilprozesse stehen in unmittelbaren Zusammenhängen miteinander, einige können aber auch als marginal betrachtet werden. Zentrale Sachthemen sind: - Bildung einer Investitionsgemeinschaft der anzusiedelnden Betriebe für den Aufbau des Gewerbegebietes, - Probleme der Straßenverkehrserschließung und der Gleisanbindung, - Fragen zu gemeinsamen Infrastrukturlösungen wie z.B. einer zentralen Heizlösung.
D i e E n t w i c k l u n g des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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Neben diesen Sachthemen werden im Verlauf der Entwicklung zunehmend Kompetenz- und Abstimmungsfragen relevant und lassen sich gestörte Informationsflüsse feststellen. 4.2.1 Veranlassung zur Gründung des Gewerbegebietes Auslösendes Moment für die Gründung des Gewerbegebietes in DahlwitzHoppegarten waren die Beschlüsse auf dem IX. Parteitag der SED, die postulierten: „Die Entwicklung der Hauptstadt der DDR, Berlin, als politisches, wirtschaftliches und geistig-kulturelles Zentrum ist von besonderer Bedeutung." (...) „Besondere Bedeutung ist der Entwicklung des Bauwesens und der Stadttechnik beizumessen."25 Explizit wird hervorgehoben: „Die wichtigsten Aufgaben der Bauschaffenden bestehen darin, das beschlossene Wohnungsbauprogramm zu erfüllen." 26 Das Wohnungsbauprogramm als ,Kernstück' des sozialpolitischen Programms der SED spielte eine zunehmend größere Rolle, waren doch Wohnungsmangel und schlechter Zustand und Ausstattung der Altbauwohnungen nicht zu übersehende negative Einflussgrößen auf die Bevölkerung. Das wurde besonders eklatant sichtbar in Ost-Berlin, dem ,Schaufenster zum Westen'. Auf der 5. Tagung des ZK der SED im März 1977 zur Durchführung der Parteitagsbeschlüsse widmet der damalige Minister für Bauwesen Wolfgang Junker dann unter der Überschrift „Die weitere Ausgestaltung der Hauptstadt der DDR, Berlin - eine Aufgabe von erstrangiger politischer Bedeutung"27 dieser Problematik einen ganzen Abschnitt. Er stellt darin fest, dass der Wohnungsbau in der Hauptstadt überdurchschnittlich zu steigern sei. Um dieses zu erreichen, sollte das Baugeschehen schwerpunktmäßig auf die Errichtung des neunten Stadtbezirks (später Marzahn) - „des künftig größten Neubaugebietes der DDR" 2 8 - konzentriert werden. Die Mittel zur Umsetzung dieser hochgesteckten Ziele wurden in der ,Intensivierung' und Rationalisierung' im Bauwesen gesehen. Eine solch enorme Leistungssteigerung im Wohnungsbau Ost-Berlins konnte durch das Berliner Bauwesen allein nicht realisiert werden. Es wurden deshalb die Bezirke der DDR zu Leistungen in Ost-Berlin verpflichtet. Sie mussten ihre eigenen finanziellen und materiellen Fonds dafür einsetzen. Ebenso waren sie verpflichtet, ihre eigenen Arbeitskräfte mitzubringen. Das bedeutete, dass die Zulieferung der entsprechenden Bauelemente und Baustoffe und ihre Zwischenlage-
25 Direktive des IX. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1976-1980, Berlin 1976, S. 22. 26
Ebenda, S. 90.
27
Über die Durchführung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED im Bauwesen, Aus dem Referat des Genossen Wolfgang Junker, Aus den Diskussionsreden, Beschluss, Berlin 1977, S. 30. 28
Ebenda.
190
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rung in erheblichem Umfang erforderlich wurden und Wohnunterkünfte für die Arbeitskräfte geschaffen werden mussten. Da die Produktionsstandorte für die Elementeproduktion des Wohnungsneubaus in allen Bezirken der DDR verteilt waren, erwuchsen daraus erhebliche Transportaufwendungen. Das machte vor Ort entsprechende Abstell- und Lagerflächen erforderlich, um einen kontinuierlichen Bauablauf zu gewährleisten. Zum einen mussten die aus den Bezirken antransportierten Bauelemente zwischengelagert werden. Zum anderen waren Baustoffe und andere Baumaterialien vorrätig zu halten. Diese transport- und flächenintensiven Prozesse konnte (oder wollte) man nicht im Stadtgebiet von Ost-Berlin realisieren. Zu diesen mit dem Wohnungsbau in Verbindung stehenden Erfordernissen kam ein weiteres Ereignis: die Versorgung der Bevölkerung mit Pkws sollte verbessert werden. Das machte eine Ausweitung der Abstellflächen der Auslieferungslager erforderlich. Am vorhandenen Standort in Berlin-Rummelsburg waren dafür keine Reserveflächen vorhanden, sodass eine Alternative gefunden werden musste. Zur gleichen Zeit suchte Ost-Berlin außerdem für auf den innerstädtischen Standorten expandierende oder unzumutbare Betriebe Ersatzflächen außerhalb der Stadt. Berlin deklarierte eine Lösung der Flächenproblematik innerhalb der Stadtgrenzen als unmöglich. Deshalb musste daraufhin das angrenzende Umland sondiert werden. Der in Frage kommende Standort musste folgenden Anforderungen genügen: - zusammenhängende Flächen in entsprechender Größe, - günstige Anbindung an Straßen und Schienenwege, - günstige Lage zu den wichtigsten Neubaustandorten (Transportwegoptimierung). Eine Lösung auf dem Territorium des Bezirkes Potsdam kam aufgrund der geografischen Lage (größere Entfernung zu den Neubaustandorten, Durchquerung West-Berlins nicht möglich) nicht in Frage. Den Standortanforderungen konnten nur Flächen im Bezirk Frankfurt (Oder) genügen, was schließlich zur Beauftragung des Rates des Bezirkes führte, geeignete Flächen bereitzustellen. Nach Prüfung verschiedener potenzieller Standorte wurde ein Territorium in der Gemeinde Dahlwitz-Hoppegarten ausgewählt. Am 15.6.1978 beschloss der Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder) dann eine Konzeption zur Entwicklung des Gebietes. Im Vorfeld der Ausarbeitung dieser Konzeption stellte die Gemeinde Dahlwitz-Hoppegarten einen Katalog von Forderungen auf. 29 Sie bestand darin auf der Einhaltung von Landeskulturgesetz und den Phasen des Investitionsgesetzes (Investitionsvorentscheid und Grundsatzentscheidung) und der Einholung ent29
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 1.
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sprechender Gutachten und Zustimmungen (vergleichbar der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange). Der detaillierte Forderungskatalog mit seinen Lösungsvorschlägen vermittelt allerdings den Eindruck, als hätte die Gemeinde damit versucht, eigene Probleme grundsätzlicher Art gleich mit reguliert zu bekommen und am höheren Ausstattungs- und Versorgungsniveau Ost-Berlins zu partizipieren (z.B. Verlängerung von ÖPNV-Linien in die Gemeinde, Belieferung der Verkaufsstellen durch den Berliner Großhandel). Ebenfalls vor der Beschlussfassung bat im Juli 1977 das Ministerium fur Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau in einem Schreiben an die Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) um Bereitstellung entsprechender Flächen für ein zweites Pkw-Auslieferungslager des VEB IFA-Vertrieb 3 0 Berlin. 4.2.2 Die erste Phase der Gebietsentwicklung 1978-1984 Institutioneller Hauptakteur bei der Gebietsentwicklung war der VEB Bautechnologische Vorbereitung, der zunächst unter VEB Aufbauleitung Umschlags- und Produktionsbasis Hoppegarten firmierte. Seine Hauptaufgaben waren: - Leitbetrieb für die Frischbetonversorgung, - Umschlag der Bauelemente der Bezirke Rostock und Neubrandenburg auf Paletten, - Stückgutlager für konstruktive Bauelemente u.a., - Versorgung mit Füllboden für Berlin, - Maschinenausleihe für Betriebe in Berlin, - Tauschstation für technische Gase, - Errichtung eines Werkstattkomplexes für Lkws und - Vorfertigung für Bauschlossererzeugnisse. Nachdem der Ratsbeschluss zum Aufbau des Gewerbegebietes gefasst worden war, wurde gleich zu Beginn der Investitionstätigkeit entsprechend den gesetzlichen Regelungen über gemeinsame Investitionen31 dieser Betrieb beauftragt, eine Investitionsgemeinschaft mit allen anzusiedelnden Betrieben (Investoren) zu gründen. Als ,Hauptauftraggeber' oblag es ihm, die entsprechenden Verträge und Vereinbarungen gemäß gesetzlicher Vorschrift abzuschließen. Sinn dieser Richtlinie war es, durch eine Bündelung der Ressourcen der einzelnen Investoren die für alle gleichermaßen wichtigen Investitionen effektiver tätigen zu können. Wesentliche Gemeinschaftsinvestitionen betrafen die Bereiche der technischen Infrastruktur und Verkehrserschließung, aber auch soziale Einrichtungen wie z.B. 30 31
V E B IFA = Volkseigene Betriebe für Fahrzeugbau.
Richtlinie über gemeinsame Investitionen vom 26. September 1972 In: GBl. der DDR Teil II, Nr. 59 vom 11.10.1972, S. 642-644.
192
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Kantine oder Arztpraxis. Für die einzelnen Betriebe bedeutete dies, von ihren materiellen und finanziellen Fonds entsprechende Anteile dafür zur Verfugung stellen zu müssen. Zu Beginn des Jahres 1981 gehörten, nach mehrfachen Verschiebungen und Veränderungen, der Investitionsgemeinschaft folgende Partner an: - VEB Aufbauleitung Umschlags- und Produktionsbasis Hoppegarten, später umbenannt in VEB Bautechnologische Vorbereitung (auch kurz als Aufbauleitung bezeichnet) - Zentrale Objektverwaltung Neuseddin (ein Betrieb der NVA) - VEB Kombinat Metallaufbereitung, Betrieb Eberswalde - VEB Spezialbaukombinat Wasserbau, Kombinatsbetrieb Berlin - Konsumbauarbeiterversorgungsbetrieb Berlin - Wirtschaftsvereinigung Obst, Gemüse und Speisekartoffeln Berlin - Staatszirkus der DDR, nur für die Wärmeversorgung. Damals rechnete man damit, dass im Zeitraum 1980 bis Ende 1981 Investitionen im Umfang von rd. 11 Mio. Mark realisiert sein würden. Der größte Teil sollte davon im Bereich der Primärerschließung zur Infrastrukturausstattung erfolgen. Auch für den Zeitraum 1982 bis 1986 wurde die Fortführung wesentlicher Erschließungsmaßnahmen geplant. Die Gesamtorganisation und -koordination gestaltete sich für den VEB Bautechnologische Vorbereitung problematisch. Aufgrund jeweils nur zweiseitiger Vereinbarungen war eine kontinuierliche Investitionsplanung sehr schwierig. Die zu beteiligenden Betriebe wechselten, anteilige Fonds gingen verloren. Ein vom VEB Bautechnologische Vorbereitung erarbeiteter Entwurf eines ,GesamtorganisationsVertrages4 fand „aufgrund differenzierter Auffassungen zu Rolle und Verantwortung der Aufbauleitung und Problemen bei der anteiligen Bereitstellung materieller und finanzieller Kennziffern gem. Invest(itions, I.A.)beteiligungsmodell"33 nicht die Zustimmung aller Beteiligten. Bis Jahresende 1981 sollte der überarbeitete Vertrag rechtsverbindlich werden. Funktion und Aufgaben der Aufbauleitung, im Gesetz34 verankert und in einem Ratsbeschluss des Rates des Bezirkes Frankfurt (Oder) vom 15.6.1978 fallkonkret festgelegt, wurden durch die aktuelle Entwicklung ständig torpediert. Die Festlegungen von Rechtsträgerschaften für die verschiedenen stadttechnischen Medien und baulichen Anlagen waren aufgrund zurückgezogener Beteiligungen unwirksam geworden. Es mussten neue Regelungen mit neuen Partnern 32
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 6.
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IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2: Ebenda.
34 Richtlinie über gemeinsame Investitionen vom 26. September 1972. In: GBl. der DDR Teil II, Nr. 59 vom 11.10.1972, S. 642-644.
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193
getroffen werden. Dies sollte mit Hilfe übergeordneter Organe4 (Staatliche Plankommission, Fachministerien) geschehen. Zur Sicherung der erforderlichen Investitionen im Infrastrukturbereich sollte das Ministerium für Bauwesen (MfB) beratend und kontrollierend tätig werden. Trotz gesetzlich vorgeschriebener Verfahrensweisen und immer wiederkehrender Beratungen und Diskussionen mit Vertretern der zuständigen Bezirksplankommissionen und dem VEB Bautechnologische Vorbereitung in seiner Eigenschaft als Hauptauftraggeber gestalteten sich die Erschließungsarbeiten weiterhin problematisch. Das Thema Gemeinschaftsinvestitionen blieb umstritten und unbefriedigend gelöst. Die offensichtlichen Schwierigkeiten der Akteure in ihren Kompetenzen und Unterstellungsverhältnissen untereinander verdeutlichen Bemerkungen in einer Sitzungsmitschrift: j
Fester Partner mit KPK 1 u. BPK2 sein!!
und an anderer Stelle im gleichen Dokument: „Gen. Au Es muss enges Zusammenwirken BPK Berlin/Ffo geben einschl. KPK Strbg. Gen. Peters Leitfunktion MfB 3 5 muss beibehalten werden." 36 Waren im Jahre 1981 noch sieben Betriebe als Standortnutzer im Gespräch, so reduzierte sich diese Zahl bis zur Mitte des Jahres 1982 auf drei ernst zu nehmende Kandidaten. Diese waren, neben dem VEB Bautechnologische Vorbereitung als mit dem Gesamtmanagement beauftragten Betrieb, die Zentrale Objektverwaltung Neuseddin (ein Baubetrieb der Volksarmee) und der VEB Kombinat Metallaufbereitung Eberswalde (VEB MAB). Da die Gemeinschaftsinvestitionen über die entsprechende Abgabe von Bilanzanteilen jedes einzelnen Betriebes realisiert werden mussten, bedeutete das Ausscheiden der Partner gleichzeitig den Verlust entsprechender Fonds. Dies konnte von den verbleibenden Betrieben nicht aufgefangen werden, da sie ebenfalls nur über begrenzte Bilanzanteile verfügten. Somit mussten die dringend notwendigen Investitionen zur Erschließung des Geländes mit Infrastruktur immer weiter hinausgeschoben werden. Auch die
35
M f B = Ministerium für Bauwesen
36
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 14.
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sich neu für diesen Standort bewerbenden Betriebe konnten dieses Manko nicht ausgleichen. Ihre Investbeteiligungs-Anteile waren wesentlich geringer. Das bedeutete von den rationell und umfassend geplanten Entwicklungsvorstellungen zur Erschließung des gesamten Areals Abstand nehmen zu müssen und vorerst mit Provisorien zu arbeiten. Angesichts dieser Situation machte der VEB Bautechnologische Vorbereitung in einem Arbeitspapier 37 folgende Vorschläge zur weiteren Verfahrensweise: - „Der Beschluss des Rates des Bezirkes Frankfurt (Oder) ist unter Beachtung der aktuellen Situation neu zu fassen. - Die verbleibenden bzw. neu hinzukommenden, fest eingeordneten Investpartner haben auf der Basis eines Organisationsvertrages für die Vorbereitung und Realisierung von Gemeinschaftsinvestitionen einschließlich Festlegung der anteiligen Rechtsträgerschaft sowie auf der Basis einer Nutzervereinbarung zur anteiligen Nutzung der Primäranlagen zusammenzuarbeiten. - Der VEB BTV (Bautechnologische Vorbereitung, I. A.) Berlin wird unter Voraussetzung der Erfüllung eindeutiger Einordnungsbedingungen mit der Übernahme der HAG-Funktion (Hauptauftraggeber-, I.A.) für die Vorbereitung und Realisierung der Gemeinschaftsinvestitionen im Auftrage der beteiligten, für die Primärerschließung eigenverantwortlichen IAGs (Investitionsauftraggeber, I.A.) bis zur Übergabe an die festgelegten Rechtsträger und Betreiber beauftragt. - Die in Realisierung befindlichen Gemeinschaftsvorhaben werden im Jahre 1982 abgeschlossen und neue Gemeinschaftsinvestitionen erst nach verbindlicher Sicherung der anteiligen Kennziffern sowie Festlegung der zukünftigen Rechtsträgerschaft und des zukünftigen Betreibers begonnen."38 Ein Drei Vierteljahr später sah sich der Direktor des VEB Bautechnologische Vorbereitung erneut veranlasst, Beschlüsse zur Durchsetzung von Gemeinschaftsinvestitionen und der Übernahme von Rechtsträgerschaften im Rahmen der Investitionsgemeinschaft einzufordern. 39 Unter anderem schlug er eine staatliche Beauflagung' vor, die mit der Erteilung von Standortbestätigung und -genehmigung verknüpft sein sollte, um eine abgestimmte Entwicklung des Gewerbegebietes zu sichern. Dieser Haltung schloss sich die Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) an. Ein Vorbereitungspapier für eine Beratung zur gesamten Entwicklungsproblematik mit dem Stellvertreter des Ministers für Bauwesen reflektiert die Problemlagen und bestätigt die Forderung nach klaren Vertragsverhältnissen.40 37
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 17.
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Im Ergebnis dieser Entwicklungen und Verhandlungen kam es zu einer Neufassung des Beschlusses zur weiteren Gestaltung des Gewerbegebietes in Dahlwitz-Hoppegarten. Der Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder) beschloss am 21.7. 1983 die „Ordnung zur weiteren Gestaltung des Arbeitsstättengebietes DahlwitzHoppegarten für Betriebe und Einrichtungen der Hauptstadt Berlin und des Bezirkes Frankfurt (Oder)". 41 Dieser Beschlussfassung lag folgende Begründung zugrunde: „Ausgehend von der Konzeption zur Entwicklung des Gebietes (Beschluss des Rates des Bezirkes Nr. 0077 vom 15.6.1978) ergeben sich aus heutiger Sicht für die Standortbereitstellung und Einordnung von Bedarfsträgern Veränderungen; d.h.: - In Durchsetzung einer noch konsequenteren Standortrationalisierung im territorialen Bereich der Hauptstadt wird sich die Anforderung zur Einordnung von Bedarfsträgern minimieren. - Ein Teil der bereits für eine Einordnung vorgesehenen Betriebe verfügt nicht mehr über die erforderlichen Kennziffern und scheidet somit als Antragsteller aus. - Aufgrund der zur Zeit geringeren Anzahl der Standortanträge sind die konzipierten Gemeinschaftsanlagen auf den z.Z. erforderlichen Versorgungsbedarf zu begrenzen bzw. ihre Errichtung wird nicht mehr vorgesehen. Das betrifft: -zentrales Heizwerk (wird nicht mehr vorgesehen) -zentrale Arbeiterversorgung (wird nicht mehr vorgesehen) -Die Anschlussbahn (Wüst42) wird entsprechend einer neuen Konzeption im Investaufwand um ca. 60 % reduziert." 4.2.3 Forcierung des Berlin-Ausbaus und seine Folgen ab 1984 Am 17. Januar 1984 fassten das Politbüro des ZK der SED und folgend am 26. Januar 1984 der Ministerrat der DDR den „Beschluss über die Festlegungen zur Gestaltung der Friedrichstraße und zur beschleunigten Durchführung des Wohnungsbaus in der Hauptstadt der DDR, Berlin (Nr. 74-4-84)". Weiterhin wurde am 12. Juli 1984 im Ministerrat die „Entscheidung für das Planjahr 1984 zur materiell-technischen Sicherstellung des beschleunigten Wohnungsbaus sowie der Ausgestaltung der Friedrichstraße in der Hauptstadt der DDR, Berlin (Nr. Β1248-84)" gefällt. 43 Die Umsetzung dieser Beschlüsse hatte auch für die Entwicklung des Gewerbegebietes weitreichende Folgen. Für den VEB Bautechnologische Vorbereitung bedeutete es, in extrem kurzen Zeiträumen seine Kapazitäten und Leistungen erheblich zu erweitern. Die erforderlichen Investitionsleistungen 41
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 123.
42
Wüst = Wagenübergabestelle; der Bereich bei der Bahn, an dem das Anschlussgleis in das Streckennetz übergeleitet wird. 43
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 23.
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Ingrid Apolinarski
zur Erhöhung der Umschlagkapazität und für weitere Aufgaben mussten in kürzester Frist vorbereitet und auch realisiert werden. Mit den Beschlüssen zum beschleunigten Ausbau Ost-Berlins wuchs auch der Druck auf die Baubetriebe extrem. Sie mussten ihre Leistungen annähernd verdoppeln, was den verstärkten Transport von Baumaterialien, vor allem vorgefertigter Platten für den Wohnungsbau nach sich zog. Vor Ort wurden hierfür dann große Flächen für die Zwischenlagerung benötigt, die erst geschaffen werden mussten. Das führte dazu, dass mehrere Betriebe sich schon vorher ,illegal' in Dahlwitz-Hoppegarten und benachbarten Standorten ansiedelten.44 Mit der Erhöhung des Bauvolumens stieg auch das Verkehrsaufkommen und wuchsen die Ansprüche an die Infrastruktur. Die bis dahin unbefriedigend realisierten Infrastrukturmaßnahmen begannen sich zu ernsthaften Hindernissen auszuweiten. Das betraf sowohl die Erschließung mit Medien der Stadttechnik als auch den immer wieder verschobenen Ausbau des Straßennetzes und des Bahnanschlusses. Verschärft wurde diese Situation dadurch, dass das Ministerium für Bauwesen kurzerhand die Mittel für den Straßenausbau strich. Für den Ausbau einer Anschlussbahn waren ebenfalls keine Mittel vorhanden, bestanden nicht einmal konzeptionelle Vorstellungen. Zudem war das Neubaugebiet Marzahn über die Stadtgrenze hinausgewachsen (Ahrensfelde), und im Neubaugebiet Hellersdorf wurde eine ähnliche Entwicklung zulasten des Bezirkes Frankfurt (Oder) geplant (Hönow). Absprachen mit künftigen Investoren wurden von Berliner Seite aus immer häufiger ohne Hinzuziehung der Verantwortlichen des Bezirkes Frankfurt (Oder) getroffen. Im Gefolge dieser massiven Neubautätigkeit wuchs der Bedarf nach Freizeitmöglichkeiten. Diese sollten z.T. in Form von Kleingärten ebenfalls im Bezirk Frankfurt (Oder) abgesichert werden. Parallel zu diesen chaotisch verlaufenden Prozessen gab es Bestrebungen des VEB Bautechnologische Vorbereitung, eine Entwicklungskonzeption für das gesamte Territorium zu erarbeiten, die jedoch aufgrund der schwierigen Bedingungen nicht realisiert werden konnte. Der Stand der Entwicklung des Gewerbegebietes und die damit verbundenen aktuellen und künftigen Probleme im Infrastrukturbereich (soziale und technische Infrastruktur) wurden auch in einer Diplomarbeit 45 vom Herbst 1984/Frühjahr 1985 an der Sektion Geographie der Humboldt-Universität Berlin thematisiert. In 44 Diesen Sachverhalt belegt folgendes Zitat: „Aussprachen im M f B haben gezeigt und bestätigt, dass diese Betriebe durch das Ministerium an diese Standorte orientiert wurden! Es muss eine klare Linie geben, dass ohne Absprache und Standortbestätigung keine Betriebe auf bezirkliches Territorium gelenkt werden können. (Auch Absprachen mit Bürgermeistern bzw. LPG-Vorsitzenden sind nicht ausreichend)" (IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 56. 45 Langfeld, B.: Ökonomisch-geografische Untersuchung der Entwicklung des Arbeitsstättengebietes in der Gemeinde Dahlwitz-Hoppegarten unter dem Gesichtspunkt von Anforderungen an die Infrastruktur des Territoriums - Ein Beispiel für die Siedlungsentwicklung im Umland der
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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ihr wurden die Ursachen für den komplizierten Entwicklungsweg als primär in Politik und Volkswirtschaft begründet dargestellt. Aber auch die aus den Akten ablesbaren Kompetenzstreitigkeiten wurden darin als Ursache herausgearbeitet. „8) In der ersten Periode 1978/84 hatten die Politik der verstärkten Intensivierung u. a. Gründe die Einordnung von Betrieben ins Gewerbegebiet massiv reduziert. (...) Die im Rahmen der Primärerschließung vorgesehenen Anlagen werden mit großer zeitlicher Verzögerung, wesentlich kleineren Parametern realisiert oder wurden wie in der sozialen Infrastruktur aus der Planung ganz herausgelöst. (...) 12) Die Erfüllung der Anforderungen an die Infrastruktur des Territoriums und damit die Gesamtentwicklung des ASG (Arbeitsstättengebiet, I.A.) werden in erheblichem Maße gehemmt durch die angespannte Investitionslage in der Volkswirtschaft (Streichung zugesagter ökonomischer Kennziffern), eine mangelnde Kontinuität und Abstimmung der Planungsprozesse zwischen den Territorialorganen der Hauptstadt und des Bezirkes Frankfurt/O. (Bezirksplankommissionen, I.A.) und die Zersplitterung der Leitungsprozesse innerhalb des Gewerbegebiets. Betriebs- und wirtschaftszweig-beschränkte Tendenzen machen sich zunehmend bemerkbar. Die durch die Konzentration von Arbeitsstätten im Investitionskomplex angestrebten ökonomischen Effekte i.S. einer territorialen Rationalisierung werden so nur unvollkommen erreicht." 46 Die Diplomarbeit erhielt nach ihrer Fertigstellung bezeichnenderweise den Geheimhaltungsgrad „Vertrauliche Dienstsache". Das besagt, dass dem Inhalt so viel Bedeutung/Wahrheitsgehalt zugemessen wurde, dass nur entsprechend verpflichtete Personen Zugang zu den dargestellten Konflikten erhalten sollten. Diese verwirrende Vielfalt drängender Probleme veranlasste die Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) 1985 dazu, mit der Erarbeitung einer Flächenkonzeption für den Bereich zwischen Stadtgrenze und Autobahnring zu beginnen.47 In Absprache mit dem Vorsitzenden der Bezirksplankommission Berlin sollte eine ,Konzeption Berlin-Ffo' entstehen. Aufgrund der gravierenden Verkehrsprobleme war die Erarbeitung eines eigenen Teils ,Verkehr' in Abstimmung mit dem Ministerium für Verkehrswesen (MfV) vorgesehen. Die Zusammenarbeit kam zunächst nur sehr zögerlich voran. Ursachen waren einerseits zeitliche Probleme und andererseits aus Berliner Sicht die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit eines gemeinsamen Arbeitens. Im Jahre 1987 wurde der Versuch der Frankfurter Planungsakteure, die Gewerbegebietsplanung in Dahlwitz-Hoppegarten in eine Gesamtkonzeption zur
Hauptstadt der DDR, Berlin, Diplomarbeit, Berlin 1985 (unveröffentlicht). - IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 88. 46 Ebenda: Thesen zur Diplomarbeit, Berlin 1985 (unveröffentlicht), These 8 und 12. - IRS/ Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 88. 47
vgl. hierzu: IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 53.
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langfristigen, abgestimmten Entwicklung des Ost-Berliner Umlandes einzubetten, dann Gegenstand eines Parteibeschlusses. In einem längeren Diskussionsprozess zwischen den ersten Sekretären der Bezirksleitungen der SED in Ost-Berlin und Frankfurt (Oder) war deutlich geworden, dass nur in enger Zusammenarbeit die Stadt-Umland-Problematik langfristig würde gelöst werden können. So beauftragte das Sekretariat der Bezirksleitung Frankfurt (Oder) der SED den Vorsitzenden der Bezirksplankommission, die Arbeit an der Gesamtkonzeption gemeinsam mit seinem Berliner Amtskollegen fortzusetzen. 48 Ungeachtet der sich immer mehr zuspitzenden Probleme bei der Entwicklung des Gewerbegebietes verwiesen Magistrat und Bezirksplankommission Berlin jedoch weiterhin alle Antragsteller nach Dahlwitz-Hoppegarten. Das veranlasste den Vorsitzenden der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) in einem Schreiben vom 5. August 1986 an den Vorsitzenden der Bezirksplankommission Berlin einen dringenden Appell zu richten, die langfristigen Folgen kurzsichtigen Handelns zu bedenken. „Ich möchte nochmals eindringlich davor warnen, ausschließlich aus der Sicht aktueller, schwierig zu lösender Probleme der Hauptstadt die mit dem Arbeitsstättengebiet gemeinsam beabsichtigten Langzeitwirkungen und -lösungen zu verbauen. Ich mache nachhaltig darauf aufmerksam, dass es nach Ausschöpfen des Flächenpotenzials dieses Gebietes außerordentlich schwer fallen wird, ähnliche Flächen für analoge Zwecke ausfindig zu machen und zur Verfügung zu stellen. Die Standortgunst dieses Gebietes in Beziehung zur Hauptstadt ist sozusagen einmalig. Über umfangreiche und einschneidende Restriktionen, denen wir gemeinsam unterworfen sind, sprach ich in unserer Zusammenkunft andeutungsweise; die in Angriff genommene gemeinsame konzeptionelle Arbeit wird nach Vorliegen der Ergebnisse den Beleg dafür erbringen." 49 Schlussfolgernd stellte er,anheim', „dass die Plankommission Berlin de facto über die Einordnung - damit über die für die Hauptstadt optimale Nutzung der verbleibenden Restfläche - entscheidet." Das würde konkret bedeuten: „die BPK (Bezirksplankommission, I.A.) Berlin veranlasst eine Konzeption der Flächennutzung für die noch verfügbare Fläche, legt die Nutzer fest, koordiniert im notwendigen Umfang das, was gemeinsam durch die Nutzer zu geschehen hat, arbeitet die über die Flächennutzung hinausgehenden Anforderungen an den Einsatz territorialer Ressourcen unseres Bezirkes heraus. Auf dieser Grundlage würde die BPK Frankfurt die ,de jure'-Akte vollziehen."50 Auslösendes Moment für diese beinahe Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Berlin - und schon fast Verzichtserklärung der eigenen Kompetenzen der Bezirksplankommission in Frankfurt - waren letztlich Konflikte mit dem Fachbe48
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.1, Dok. 6.
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IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 94.
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IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 94.
D i e E n t w i c k l u n g des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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reich Energie, Umweltschutz und Wasserwirtschaft beim Magistrat von Ost-Berlin. Der Leiter dieses Ressorts protestierte gegen Festlegungen der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) zur Schaffung koordinierter Teillösungen hinsichtlich einer Wärmeversorgung der Betriebe im Gewerbegebiet. Er beauftragte den seinem Ressort unterstehenden Betrieb, einseitig die Verträge zur Wärmeversorgung anderer Betriebe aufzukündigen. Der Leiter der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) reagierte in einem Schreiben an den Magistrat entsprechend: „Ihnen ist sicher aus der Arbeit im Magistrat der Hauptstadt bekannt, dass Standortentscheidungen den territorial zuständigen Organen obliegen. Die damit zu verbindenden Auflagen sind kein Akt demokratischer Abstimmung'. Entweder die Auflagen werden erfüllt, oder die Standortgenehmigung verliert ihre Gültigkeit bzw. wird zurückgezogen. Dies gilt auch für das Arbeitsstättengebiet in Dahlwitz-Hoppegarten. (...) Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass das gesamte Arbeitsstättengebiet auf Wunsch des Magistrats und ausschließlich für Aufgaben der Hauptstadt zur Verfügung gestellt ist." 51 Gleichzeitig setzte er den Vorsitzenden der Bezirksplankommission Berlin von diesen Vorgängen in Kenntnis.52 Trotz der Bekenntnisse zur vereinbarten Zusammenarbeit hielten die Querelen und das Kompetenzgerangel bis zur Wende an. Die gesamte Entwicklung des Gewerbegebietes verlief weiterhin sehr diskontinuierlich. Im Sommer 1989 waren dann auf dem Gelände zehn Betriebe und Einrichtungen etabliert, die längst nicht alle mit dem Bauwesen zu tun hatten, wie z.B. der IFA-Vertrieb oder auch VEB Chemiehandel und VEB Minol (vgl. Abb. 4). Nach der Wende wurde das Gewerbegebiet dann unter neuen Voraussetzungen weiterentwickelt. Es umfasst heute eine Fläche von ca. 120 ha und ist bereits zu über 80 % belegt. Von den damaligen Betrieben haben nur wenige, mit Modifizierungen, diesen Umbruch überlebt. Aus dem IFA-Vertrieb ist unter dem Namen „Carena" der größte Gebrauchtwagenhandel in den neuen Ländern geworden, der VEB Metallaufbereitung firmiert jetzt unter ALBA-Metallaufbereitung Berlin, und das Flüssiggaslager vom ehemals VEB Minol ist weiterhin am Standort verblieben. Die Ausstattung mit technischer Infrastruktur, eines der Hauptprobleme der gesamten Gebietsentwicklung über die Jahre hinweg, ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Auch die von Anfang an geplante, immer wieder eingeforderte, aber nie realisierte Freiraumgestaltung zur angrenzenden randstädtischen Siedlung Mahlsdorf wurde inzwischen fertiggestellt.
51
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 120.
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IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 122.
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Quelle: Materialien J. Gutsche ehem. BfT.
Abb. 4: Stand der Entwicklung des Gewerbegebietes im Sommer 1989
5. Schlussfolgerungen 5.1 Die Rolle der Akteure im Planungsprozess Die Rolle der einzelnen am gesamten Planungsprozess beteiligten Akteure ist sehr differenziert zu sehen. Dies resultierte zum einen aus der jeweiligen Kompetenzausstattung entsprechend der Stellung der Institutionen im Planungssystem. Zum anderen war es eine Frage der Persönlichkeiten der einzelnen Akteure. Die Handlungsebenen verliefen sowohl horizontal, auf gleichrangigen Positionen, als auch vertikal, in über- bzw. untergeordneten Positionen. Handlungsleitend waren in erster Linie die gesetzlichen Bestimmungen und institutionelle/interinstitutionelle Organisationsprinzipien. Diese formal bestimmten Verhandlungsprozesse wurden ergänzt durch eine Vielzahl von Aktivitäten informeller Art. Die Hauptakteure im Entwicklungsprozess des Gewerbegebietes waren entsprechend der staatlichen Hierarchie formal die Leiter der Bezirksplankommissionen Frankfurt (Oder) und Berlin. In der Regel nahmen jedoch die fachlichen Stellvertreter diese Aufgaben wahr. Im Falle des Gewerbegebietes Dahlwitz-
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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Hoppegarten spielte ein Vertreter des Bauministeriums die Rolle eines zusätzlichen Hauptakteurs. Begründet war diese Konstellation durch den Auslöser fiir die Gebietsentwicklung, die Forcierung des Wohnungsbauprogramms, ganz besonders in Ost-Berlin. Da für den Wohnungsbau das Bauministerium verantwortlich zeichnete, musste es in diesem Fall unmittelbar einbezogen werden. Aufgrund des im Verlauf der Zeit immer mehr zunehmenden Drucks von Partei und Regierung, das Wohnungsbauprogramm als ,Kernstück der Sozialpolitik4 zu erfüllen, wurden seine Aktivitäten immer aggressiver. Im Interview äußerte der ehemalige Vorsitzende der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) die Vermutung, dass diese Haltung zudem noch verstärkt wurde durch das Bewusstsein, Politbürobeschlüsse im Rücken zu haben. Er charakterisiert die Vertreter des Ministeriums als „die Schlimmsten, die Matadoren". Entsprechend kompliziert gestaltete sich auch die Zusammenarbeit, die letztlich zu erheblichen Kompetenzüberschreitungen gegenüber der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder), als territorial verantwortlichem Organ, führten. 53 Die Bestätigung von Standortanträgen war ureigene Aufgabe der Bezirksplankommission. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der beiden zuständigen Plankommissionen gestaltete sich schwierig. Der häufige Wechsel des Vorsitzenden der Berliner Plankommission beeinflusste die Entwicklung ungünstig, musste doch mit jedem neuen Partner erst wieder eine gemeinsame Sprache gefunden, erneut ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Obwohl im Planungsverfahren nicht vorgesehen, spielte diese personenbezogene Vertrauensbasis mit schwindendem Systemvertrauen eine zunehmend größere Rolle. Die Stellung der Mitarbeiter des Büros für Territorialplanung war entsprechend der Hierarchie untergeordnet. Sie waren in ihrer Arbeit auf die Fachebene beschränkt und wurden durch die Bezirksplankommission angeleitet und angewiesen. Partner in den Arbeitsbeziehungen waren überwiegend die investitionswilligen Betriebe selbst, die fachlichen Mitarbeiter der Gemeinde und die Kreisplankommission. Zum Büro für Städtebau, hierarchisch vergleichbar auf der Säule Bauwesen (vgl. Abb. 1) angesiedelt, bestanden nur informelle, über bestimmte Aufgaben definierte Beziehungen. Für die Zusammenarbeit dieser beiden Büros gab es kein formales Organisationsschema. Gleichwohl erarbeitete das Büro für Städtebau Berlin in Absprache mit der Bezirksplankommission Berlin in der Anfangsphase einen städtebaulichen Entwurf fur das Arbeitsstättengebiet, da es im Bezirk Frankfurt (Oder) keine vergleichbaren Kapazitäten gab. Derlei Aufgaben gehörten nicht in das Profil des Büros für Territorialplanung. 53
Als Beleg dafür mag folgendes Zitat stehen: „Die o.g. Bezirke (Rostock, Neubrandenburg, Suhl) wurden zwischenzeitlich von mir (Stellvertreter des Ministers für Bauwesen, I.A.) beauftragt, die Genehmigung der Nutzung von Eigentumsflächen der Landwirtschaft mit dem Standortantrag nachträglich bei Ihnen zu beantragen" (IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 61).
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Partner der Planungsorgane' waren in dem ganzen Entwicklungsprozess die Investoren. Zu diesen zunächst ausschließlich dem Bauwesen verpflichteten Betrieben/Kombinaten gesellten sich im Verlauf der Jahre auch immer mehr branchenfremde Firmen. Als Träger der materiellen und finanziellen Ressourcen kam ihnen eine Schlüsselrolle für den Aufbau des gesamten Gewerbegebietes zu, sicherten ihre Bilanzanteile doch erst die Realisierung der erforderlichen Baumaßnahmen. Der Bezirk, in Gestalt der Plankommission, verfügte über keine eigenen finanziellen oder materiellen Ressourcen für Bauleistungen. Diese lagen, über die zuständigen Ministerien bilanziert, ausschließlich bei den potenziellen Investoren (vgl. dazu Abschnitt 3 und Abb. 3). Die einzelnen Investoren bedienten sich höchst disparater Methoden, um Flächen in dem Gewerbegebiet zugewiesen zu bekommen. Die Palette reichte dabei von privater informeller Einflussnahme bis hin zum Zitieren von Partei- und Regierungsbeschlüssen, um dem Ansinnen Nachdruck zu verleihen und die Dringlichkeit zu demonstrieren. Stellvertretend sollen hier zwei Beispiele stehen: Erstes Beispiel: Das Volkseigene Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft Berlin - unterstellt dem Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft beabsichtigte, ein neues Kühlhaus zu bauen. Der Standort wurde in einem offiziellen Schreiben vom Kombinatsdirektor im Bezirk Frankfurt (Oder) gesehen.54 Dazu findet sich ein handschriftliches Dokument 55 , aus dem sich das Zustandekommen dieser Forderung erklären lässt. Der Standortvorschlag des Kombinats beruhte danach auf einer ,Orientierung', die die Ehefrau des für dieses Kombinat zuständigen stellvertretenden Ministers des entsprechenden Fachministeriums gegeben hatte. In der weiteren Entwicklung des Gewerbegebietes spielte dieser Vorgang keine herausragende Rolle. Er ist jedoch Beleg dafür, welcher Druck auf den zuständigen Planungsorganen lastete und durch welche Umstände mitunter Standortvorschläge initiiert wurden. Zweites Beispiel: Um seiner Standortforderung Nachdruck zu verleihen, zitierte der Betriebsdirektor des VEB Elektrokohle Berlin Politbüro- und Ministerratsbeschlüsse: „ I m VEB EKL (Elektrokohle Lichtenberg, I.A.) wird im Zeitraum 1985 bis 1988 das zentral geplante Vorhaben Produktion von hochbelastbaren Graphitelektroden' (HbE-Vorhaben) entsprechend den Beschlüssen des Politbüros vom 28.09.1982 sowie des Präsidiums des Ministerrates Nr. 02-139/ I.4./84 vom 22.06.1984 durchgeführt. Das Vorhaben hat die Dringlichkeit eines NSW-Ablösevorhabens = L V O 5 6 und steht unter Kontrolle der Bezirksleitung Berlin der SED sowie des Ministers für Chemische Industrie." 57
54
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 42.
55
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 43.
56
NSW-Ablösevorhaben = L V O ; Diese Kurzformel beinhaltet einen für die DDR-Wirtschaft charakteristischen Vorgang. Importe aus dem ,nichtsozialistischen Wirtschaftssystem' (NSW)
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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Eine besondere Herausforderung stellte für die Akteure der territorialen Planung des Bezirkes Frankfurt (Oder) das ,Experiment Investitionskoordinierung' (Interview Mitarbeiter Büro für Territorialplanung) dar. Bei der Entwicklung des Gewerbegebietes sollten von Anfang an die Investoren ihre Beiträge (Querschnittsinvestitionen) zu einer koordinierten Erschließung mit der notwendigen Infrastruktur leisten. Gesetzliche Grundlage dafür bildete die Richtlinie über GeCO
meinschafitsinvestitionen und der Planteil,Territoriale Rationalisierung' in der Planungsordnung 59. Dass dieses ,Experiment' scheitern musste, geht aus den Ausführungen weiter oben hervor (Abschnitt 3 und 4.2). Wirksame Instrumente auf die Investoren einzuwirken und die Forderung der Gesetze zum kooperativen Handeln durchzusetzen gab es nicht. Übereinstimmend äußerten sich die Interviewpartner, dass eine Einflussnahme ihrerseits nicht möglich war. Der Bezirksplankommission blieb lediglich die Drohung des Entzugs von Standortentscheidungen für die Investoren. Die damaligen Akteure der Territorialplanung kommentierten die Problematik im Interview dann so: „die Decke war in allen Bereichen zu kurz" und „das Gesetz über die Investitionsgemeinschaften war aufgrund der Probleme in der gesamten Fondswirtschaft sowieso nur Makulatur". 6 0 5.2 Systembedingte Strukturkonflikte
in der DDR-Raumplanung
Auf der Grundlage der Interviews mit den damaligen Akteuren und den Planungsquellenanalysen lässt sich zunächst nachweisen, dass die faktischen Gestaltungsspielräume der Mitarbeiter im Büro für Territorialplanung recht gering waren. Aufgabe des Büros war die Vorbereitung von Standorten und Entwicklungsprozessen aus der Fachperspektive heraus. Als Mitarbeiter einer der Bezirksplankommission unterstellten Einrichtung waren die Akteure jedoch immer einer höheren Befehlsgewalt ausgesetzt. Die Mitarbeiter führten vor Ort mit den jeweils Beteiligten die fachlichen Diskussionen und konnten dort ihre Ideen einbringen. Ein Wissenstransfer in die Entscheidungsgremien war jedoch nur über ihren Leiter in die Bezirksplankommission hinein möglich. Die Bezirksplankommission als entscheidungsbefugter Verhandlungspartner konnte dagegen auf die unteren Ebenen, z.B. den Kreis oder die Gemeinde, direkt Einfluss nehmen. Beschlüsse des Rates des Bezirkes als der nächsthöheren Instanz zu beeinflussen gelang jedoch nur, wenn im Vorfeld die entsprechenden Sachargumentationen eingebracht sollten durch Eigenproduktion ersetzt werden. In diesem Falle spielten offenbar auch noch militärische Gesichtspunkte eine Rolle. Die Abkürzung L V O bedeutet ,Landesverteidigungsordnung'. 57
IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand BfT 67.2, Dok. 73.
58
Richtlinie über gemeinsame Investitionen vom 26. September 1972. In: GBl. der DDR Teil II, Nr. 59 vom 11.10.1972, S. 642-644. 59 60
Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft ... vom 1.2.1985: a.a.O.
Interview am 30.6.1998 mit drei ehemaligen Mitarbeitern des BfT Frankfurt (Oder), Bestand: IRS/Wissenschaftliche Sammlungen, Tondokument.
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werden konnten und auch akzeptiert wurden. Eine Kritik bereits gefasster Beschlüsse war kaum möglich. Insofern waren auch strukturelle Lernprozesse zumindest schwierig. Am Fallbeispiel Dahlwitz-Hoppegarten konnte auf exemplarische Weise ein entscheidender Widerspruch zwischen staatlich klaren Vorschriften zu Gebietsentwicklungsplanungen und deren realen Umsetzungen in der Alltagspraxis aufgedeckt werden. Die Fallanalyse offenbart dabei systembedingte Schwächen der DDR-Planung. Die Frage der Fondsbereitstellung, als zentrales Problem, hatte entscheidenden Einfluss auf die Realisierung von Planungsvorstellungen, war doch von ihr die Durchführung von Bauvorhaben unmittelbar abhängig. Die in Verantwortung der staatlichen und bezirklichen Plankommissionen organisierte territoriale Planung (Standortplanung) und die in Verantwortung staatliche Plankommission plus Fachministerien organisierte Planung und Verteilung von Fonds (Ressourcenplanung) der Investoren konterkarierten einander, wie die Strukturskizze in Abb. 5 herausstellt. Während primärer Gegenstand der Territorialplanung langfristige Entwicklungsprozesse waren, wurde die Fondsplanung durch die Wirtschaftsplanung jährlich korrigiert. Zwei Subsysteme einer Hierarchie waren so zueinander positioniert, dass ihre Passfahigkeit in der Realität kaum gewährleistet war. Die Interviews und Quellenanalysen machen deutlich, wie deshalb in der Praxis vor Ort permanent nicht intendierte informelle Aushandlungsprozesse um Beteiligungen und Ressourcen systematisch erforderlich wurden. Diese fanden auf der Ebene der Bezirksplankommissionen Berlin und Frankfurt (Oder) statt, wobei sich Berlin in diesem Fall zusätzlich des Bauministeriums bediente, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das Ministerium fur Bauwesen machte, als verantwortliches Ministerium für den forcierten Wohnungsbau in Ost-Berlin, massiv seinen Einfluss bei der Gebietsentwicklung geltend und mischte sich damit in die Kompetenzen der Bezirksplankommission Frankfurt (Oder) ein. Im zentralistischen und hierarchischen Organisationsprinzip der territorialen Planung waren zwar formale Verhandlungsschritte, wie z.B. die ,Komplexberatungen', im Rahmen der Jahresplanung der Volkswirtschaftsplanung direkt vorgegeben. In ihnen sollte ein Abgleich der Interessen zwischen territorialer und Ressourcenplanung stattfinden. Allerdings hatten diese Planaushandlungsverfahren einen ganz eigenen Charakter. Das zentrale Problem der Ressourcenzuweisung und -absicherung dominierte alljährlich die Verhandlungen. Hier spielte dann auch der häufige Wechsel der Berliner Kollegen in der Plankommission eine Rolle, wie die Interviews belegen, mussten doch die Aushandlungstaktiken sich jedes mal aufs Neue an den Kontrahenten'-Konstellationen orientieren. Ebenso ,mauerten' natürlich die Investoren angesichts der erforderlichen Fondsbereitstellungen für die gesetzlich vorgeschriebenen Gemeinschaftsinvestitionen. Erschwerend für die Entwicklung am Standort Dahlwitz-Hoppegarten gestaltete
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f
Investitionsanforderungen
Bezirksplankommission
i
Ο T O
Bestätigte Fonds
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Modifizierung der Gebietsentwicklung
Abb. 5: Strukturkonflikt Standortplanung versus Ressourcenplanung sich dabei die Ungleichzeitigkeit der Fondsverfügbarkeiten bei den einzelnen Investoren. Mit dem Niedergang der DDR-Wirtschaft verschärfte sich diese Problematik zunehmend. Damit einher ging ein völliges Aushebeln jeglicher zur Verfügung stehender Instrumentarien, eine koordinierte, abgestimmte Gebietsentwicklung durchzusetzen. Resümierend kann man feststellen, es gab zwar,zwingende' Steuerungsinstrumente/Normen für die territoriale Planung, diese konnten aber nur sehr bedingt wirksam werden. Die Akteure waren letztlich in allen Ebenen darauf angewiesen, auf dem Verhandlungs-/Aushandlungswege Lösungen für den seiner formellen Struktur nach top-down orientierten Planungsprozess zu finden. Die Fallanalysen zeigen klar auf, dass nur ein Mix der beiden Anfangshypothesen zu einer adäquaten Beschreibung und Erklärung der DDR-spezifischen Territorialplanungsprozesse führt.
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6. Glossar Arbeitsstättengebiet: In der Flächennutzungs- und Standortplanung definiert als Bereich, der vorrangig fur die Einordnung von Produktionsanlagen, Lagern und Dienstleistungsbetrieben, aber auch Verwaltungen und Forschungseinrichtungen innerhalb der städtebaulichen Planung vorgesehen ist. Außerdem zulässig sind Sport- und Erholungsanlagen und Einrichtungen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke. Eingeschlossen sind ausdrücklich Betriebe des produzierenden Gewerbes (Industriebetriebe). Örtliche Volksvertretungen: Organe der sozialistischen Staatsmacht, die von den wahlberechtigten Bürgern turnusmäßig gewählt wurden. Dazu gehören der Bezirkstag in jedem Bezirk, der Kreistag in jedem Kreis, die Stadtverordnetenversammlung in den Städten, die Stadtbezirksverordnetenversammlung in den Stadtbezirken und die Gemeindeversammlung in den Gemeinden. Beschlüsse der Örtlichen Volksvertretungen waren verbindlich für die nachgeordneten Örtlichen Volksvertretungen, für Betriebe und Einrichtungen und die einzelnen Bürger. Wirtschaftsleitende Organe: Leitungsorgane der Volkswirtschaft, denen Gruppen von Betrieben und Einrichtungen eines Zweiges oder Territoriums unterstanden. Diese wurden auch als Wirtschaftsorgane bezeichnet. Sie bildeten die mittlere Leitungsebene der Volkswirtschaft. Wichtigste wirtschaftsleitende Organe waren die Kombinate. Vorbereitung von Investitionen: Im Gesetz festgeschriebene Abfolge von Verfahrensschritten zur Erlangung einer Genehmigung für eine Investition für staatliche und wirtschaftsleitende Organe und Betriebe: 1. Nachweis der Notwendigkeit der Investition 2. Ausarbeitung einer Aufgabenstellung einschließlich der Klärung von Verflechtungsbeziehungen und Folgeinvestitionen 3. Bestätigung der Aufgabenstellung in Abhängigkeit der Einordnung der Investitionen in den Fünlj ahrplan und die Jahresvolkswirtschaftspläne 4. Herbeiführen einer Grundsatzentscheidung, wenn deren Vorbereitung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen erfolgte und die Einordnung der Investitionen und ihrer Folgeinvestitionen in die Plankennziffern gewährleistet war. Die Grundsatzentscheidung schloss die Vorbereitung des Investitionsvorhabens ab und war Voraussetzung für die Aufnahme der Investition in den Jahresvolkswirtschaftsplan.
Die Entwicklung des Gewerbegebietes Dahlwitz-Hoppegarten
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Investitionsgemeinschaft: Betriebe, Kombinate oder Einrichtungen, die zu mehreren als Investitionsauftraggeber an der Realisierung von Investitionen beteiligt waren, waren aufgefordert, eine Investitionsgemeinschaft zu bilden. Durch diese Zusammenfassung von Investitionsvorhaben in Gemeinschaftsinvestitionen sollten volkswirtschaftlich effektive Lösungen realisiert werden können. Gemeinschaftsinvestitionen der Investitionsgemeinschaft konnten gemeinsame Produktionsanlagen, Hilfs- und Nebenanlagen und Maßnahmen im Bereich der sozialen oder technischen Infrastruktur sein. Die Investitionsgemeinschaft wurde in einem Organisationsvertrag festgeschrieben. Staatliche Plankommission: Dem Ministerrat der DDR direkt unterstellte, oberste Planungsbehörde. Die Staatliche Plankommission war für die gesamtstaatliche Planung der Entwicklung der Volkswirtschaft verantwortlich und hatte außerdem die Einhaltung/ Durchführung der Pläne zu kontrollieren. Sie hatte die Aufgabe, die langfristige Perspektivplanung und die zentrale Fünfjahres- und Jahresplanung mit der regionalen und/oder branchenspezifischen Entwicklungsplanung in materieller und finanzieller Hinsicht zusammenzufassen, aufeinander abzustimmen und im Vollzug zu überwachen. Bezirksplankommission: Für die bezirkliche regionale Planung zuständiges Fachorgan der Räte der Bezirke. Die Bezirksplankommission hatte hauptsächlich plankoordinierende Aufgaben wahrzunehmen. Sie hatte die bezirklichen Planentwürfe für die Fünfjahrpläne und die Jahresplanung auszuarbeiten, war aber auch für die Perspektivplanung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung im Bezirk verantwortlich. Kreisplankommission: Für die Planung im Kreis zuständiges, der Bezirksplankommission nachgeordnetes Fachorgan des Rates des Kreises. Die Kreisplankommission organisierte und koordinierte nach Vorgaben der Bezirksplankommission die örtliche Planung auf der Kreisebene und arbeitete den übergeordneten Planungsbehörden zu. Komplexberatung : Planberatung zentraler und örtlicher Organe in den Bezirken, die der Durchsetzung der staatlichen Aufgaben für die Ausarbeitung der Pläne (Jahresvolkswirtschaftspläne) dienten, insbesondere zur Mobilisierung von Reserven auf örtlicher und zentraler Ebene. In den Komplexberatungen und deren Vorfeld wurden die erforderlichen Festlegungen zur Bau- und Arbeitskräftebilanzierung sowie zum effektiven Einsatz der Investitionen getroffen.
Soziale und ökonomische Entwicklungen und subjektive Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern - Das Beispiel der sächsischen Städte Hoyerswerda und Görlitz Von Anton Sterbling
Ein Problem der „inneren Einheit" Deutschlands ist nicht zuletzt darin zu sehen, dass in der deutschen Öffentlichkeit Vorstellungen über die soziale und wirtschaftliche Lage wie auch über die sozialen Probleme und allgemeinen Entwicklungstendenzen in den neuen Bundesländern zirkulieren, die weiterhin durch grobe Vereinfachungen, Vorurteile und Widersprüche gekennzeichnet sind. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen gelangen vielfach zu Befunden, die nicht nur differenzierter erscheinen, sondern die nicht selten bemerkenswert deutlich mit weit verbreiteten Meinungen und Vorstellungen über die Gegebenheiten in Ostdeutschland kontrastieren. Vor diesem problematischen Hintergrund sind die weiteren Ausführungen zu verstehen. Deren Anliegen liegt vornehmlich darin, einige empirisch gestützte Befunde zur wirtschaftlichen und insbesondere zur sozialen Entwicklung in zwei ostsächsischen Städten, nämlich in Hoyerswerda und Görlitz, vorzustellen, um auf diesem Wege zu sachlich fundierteren, realitätsnäheren Einsichten zu gelangen. Denn vor allem „Hoyerswerda" gilt in der bundesdeutschen Öffentlichkeit gleichsam als Chiffre eines politisch-moralischen Diskurses, der nahezu völlig losgelöst von der sozialen Wirklichkeit dieser Stadt geführt wurde und geführt wird, der aber zugleich folgenreich auf das Bild und das Ansehen der Stadt und seiner Bewohner zurückwirkt. 1 Im Vordergrund der weiteren Ausführungen stehen deskriptive Aspekte, wiewohl auch - soweit dies möglich erscheint - kausale Zusammenhänge aufgezeigt und Erklärungsansätze entwickelt werden sollen. Von der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis ausgehend, dass nicht nur „objektive" Sachverhalte, sondern auch „subjektive" Wahrnehmungen sozialer und wirtschaftlicher Gegebenheiten eine weitreichende soziale Relevanz besitzen und nicht zuletzt maßgeblichen Einfluss auf die „Lebensqualität" der Menschen haben,2 soll zudem diesen beiden analytischen Aspekten gleichermaßen Rechnung getragen werden. 1 Siehe dazu auch: Man kann in Hoyerswerda küssen. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 204 vom 5./6. September 1998, S. 10.
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Zunächst werden die Grundzüge der empirischen Untersuchungen und die sonstigen Datenquellen, auf die sich die weiteren Darlegungen stützen, kurz erläutert. In einem zweiten Schritt sind einige aufschlussreiche Befunde zur sozialdemographischen und wirtschaftsstrukturellen Entwicklung in beiden Städten vorzustellen, wobei insbesondere Probleme der Abwanderung, der Arbeitslosigkeit und damit zusammenhängende soziale Probleme angesprochen werden sollen. Im dritten Schritt werden die wichtigsten Ergebnisse eigener Bevölkerungsbefragungen zur subjektiven Wahrnehmung lebensqualitätsrelevanter Gegebenheiten dargestellt. 3 Zum Schluss sollen die auf die beiden ostsächsischen Städte bezogenen Befunde zumindest punktuell mit den Ergebnissen ähnlicher Untersuchungen in Ostdeutschland und der Bundesrepublik Deutschland verglichen und damit in einen übergeordneten Zusammenhang gestellt werden. Anmerkungen zu den Bevölkerungsbefragungen in Hoyerswerda und in Görlitz und zu anderen verwendeten Datenquellen Die weiteren Ausführungen stützen sich vor allem auf zwei wissenschaftliche Begleituntersuchungen im Rahmen des „Aktionsbündnis - Sichere Sächsische Städte", die in enger Zusammenarbeit mit den Stadtverwaltungen von Hoyerswerda und Görlitz durchgeführt wurden. Mit den Untersuchungen sollte die subjektive Wahrnehmung von Sicherheit und Ordnung durch die Bürger beider Städte und darüber hinaus die Zufriedenheit mit anderen für die Lebensqualität der Menschen wichtigen Lebensbereichen erfasst werden. 4 2 Siehe dazu grundlegend: Glatzer, Wolfgang u. Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Lebensqualität in der Bundesrepublik. Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden, Frankfurt am Main u. New York 1984. 3 Siehe dazu ausführlicher: Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Hoyerswerda: Modell kommunaler Kriminalprävention in Sachsen. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, Konstanz 1999; Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Kriminalitätswahrnehmung und Lebenszufriedenheit. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in Hoyerswerda. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen (Band 1), Rothenburg/Oberlausitz 1999; Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Subjektive Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen (Band 4), Rothenburg/ Oberlausitz 2000. 4 Die Untersuchungen knüpften demnach an sozialpsychologische und kriminologische Konzepte zur Kriminalitätswahrnehmung und Kriminalitätsfurcht wie auch an das weitere Gebiet der sozialwissenschaftlichen Wohlfahrts- und Lebensqualitätsforschung an. Siehe in diesem Sinne z.B.: Feltes, Thomas (Hrsg.): Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von drei Pilotprojekten, Holzkirchen/Obb. 1995; Glatzer, Wolfgang u. Noll, Heinz-Herbert (Hrsg.): Getrennt - Vereint. Lebensverhältnisse in Deutschland seit der Wiedervereinigung, Frankfurt am Main u. New York 1995; Diewald, Martin u. Mayer, Karl Ulrich (Hrsg.): Zwischenbilanz der Wiedervereinigung. Strukturwandel und Mobilität im Transformationsprozess, Opladen 1996; Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Berlin 1999; Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000;
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Die eigenen Untersuchungen beruhen vornehmlich auf schriftlichen Bevölkerungsbefragungen, die im Juni 1998 in Hoyerswerda und im Januar/Februar 1999 in Görlitz durchgeführt wurden. Für die Befragungen wurden Zufallsstichproben von jeweils 2 000 Personen der Wohnbevölkerung beider Städte ab dem 14. Lebensjahr gezogen. Der Nettorücklauf betrug in Hoyerswerda 719 und in Görlitz 959 Fragebögen. Dies entspricht einer durchaus zufrieden stellenden, im Rahmen normaler Erfahrungswerte bei schriftlichen Befragungen liegenden Rücklaufquote von rund 36 Prozent (in Hoyerswerda) bzw. 48 Prozent (in Görlitz). Die Überprüfung der Repräsentativität der Stichproben, die auf der Basis entsprechender statistischer Daten für die Wohnbevölkerungen beider Städte vorgenommen wurde, ergab in beiden Fällen im Hinblick auf die meisten sozialdemographischen Variablen eine hinreichende Übereinstimmung der Stichprobenwerte mit den entsprechenden Verteilungsmustern der Grundgesamtheiten. 5 Bei den Befragungen wurden aus verschiedenen methodischen und pragmatischen Gründen weitgehend standardisierte Erhebungsinstrumente verwendet, die in beiden Fällen nahezu identisch waren. 6 Die eigens für diese Untersuchungen konstruierten Fragebögen umfassten jeweils 5 offene Fragen und 61 (in Hoyerswerda) bzw. 63 (in Görlitz) geschlossene Fragen. Ganz grob zusammengefasst, bezogen sich die Einzelfragen auf folgende Problemkomplexe: Soziale Probleme und die Problematik der inneren Sicherheit in der Sicht der Befragten; Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen und mit der inneren Sicherheit; Subjektive Angst vor Kriminalität; Eigene Und indirekte Kriminalitätserfahrungen; Kontakte zur Polizei und Bewertung des Polizeiverhaltens; Wahrnehmung und Bewertung der Kriminalität und anderer kommunaler Probleme; Zufriedenheit mit sicherheitsrelevanten staatlichen Institutionen; Sozialdemographische Gegebenheiten und ihre Einflüsse; Wohndauer, Wohngegend und soziale Integration und ihre Einflüsse; Anregungen und Vorschläge der befragten Bürger. Neben diesen eigenen Befragungsergebnissen stützen sich die weiteren Ausführungen insbesondere auf Daten der kommunalen und amtlichen Statistik. 7 Bulmahn, Thomas: Das vereinte Deutschland - Eine lebenswerte Gesellschaft? Zur Bewertung von Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit in Ost und West. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 52. Jg., Opladen 2000, S. 4 0 5 ^ 2 7 . 5
Lediglich bei der Staatsangehörigkeit blieb der Anteil (0,43 Prozent) und vor allem die Fallzahl (3 Fälle) der Nichtdeutschen in der Stichprobe von Hoyerswerda so gering, dass diese Variable in den weiteren Auswertungen nicht berücksichtigt werden konnte. In der Befragung von Görlitz wurde auf die Erhebung dieser Variablen sodann ganz verzichtet. 6 In den Fragebögen von Görlitz wurden Fragen zur Bewertung der Arbeit der Stadtverwaltung und zur Görlitzer Sicherheitswacht dazugenommen. Dafür wurde auf Fragen nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitszustand und der Staatsangehörigkeit verzichtet. 7
Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht bzw. Statistischer Bericht (monatlich), Hoyerswerda 1996ff.; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistische Berichte, Hoyerswerda 1999; Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz,
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Darüber hinaus werden vergleichbare Ergebnisse anderer Untersuchungen herangezogen.8 Sozialdemographische, beschäftigungsbezogene und soziale Entwicklungen Hoyerswerda und Görlitz sind heute zwei ostsächsische Städte ähnlicher Größenordnung, mit vielen ähnlichen sozialdemographischen und wirtschaftsstrukturellen Problemen, aber auch - in einer längerfristigen und mittelfristigen Perspektive betrachtet - mit beachtlichen Unterschieden und Besonderheiten. Hoyerswerda, seit Anfang der Neunzigerjahre in der deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus aufgrund bis heute nicht restlos aufgeklärter fremdenfeindlicher Vorkommnisse weithin bekannt, liegt in einer Braunkohleregion im nordöstlichen Teil Sachsens. Als junge, vornehmlich durch die sozialistische Planwirtschaft geprägte Stadt weist Hoyerswerda in den letzten Jahrzehnten eine - auch für ostdeutsche Verhältnisse - besondere, geradezu einmalige Entwicklungs- und Veränderungsdynamik auf, wie noch zu sehen sein wird. Görlitz, die über 900 Jahre alte, seit der Zeit des oberlausitzischen Städtebundes (1346) bedeutsame und wohlhabende Handels- und Gewerbestadt, ist heute durch die (Lausitzer) Neiße in einen deutschen und polnischen Teil (Zgorzelec) geteilt - die östlichste Stadt Deutschlands, deren Stadtbild und deren weitgehend unzerstörten historischen Bauwerke eindrucksvoll an die alte wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung erinnern. 9
Tabelle 1 Bevölkerungsentwicklung in Hoyerswerda und Görlitz 1955/56-1999 Zeitpunkt 1955/1956 1980 31.12.1990 31.12.1995 30.11.1999 bzw. 31.12.1999
Hoyerswerda
Görlitz
7 755 70705 64888 58667 51792
93 759 81399 72237 66118 62 067
Görlitz 2000; Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch Sachsen 1999, Kamenz 1999. 8 Siehe vor allem: Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Berlin 1999; Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000; sowie: Feltes, Thomas (Hrsg.): Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von drei Pilotprojekten, Holzkirchen/Obb. 1995. 9 Siehe auch: Sieckmeyer, Doris u. Sieckmeyer, Jürgen: Görlitz - Das Tor zum Osten, Köln 1995; Bednarek, Andreas: Görlitz - so wie es war, Düsseldorf 1993.
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Wenn die durch massive Abwanderungsprozesse und die Überalterung der Bevölkerung herbeigeführten sozialdemographischen Veränderungen in beiden Städten gegenwärtig auch sehr ähnlich erscheinen, geschieht dies doch vor einem recht unterschiedlichen entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund, wie nicht zuletzt ein Blick auf die längerfristige Bevölkerungsentwicklung zeigt. 1 0 Während Görlitz in der unmittelbaren Nachkriegszeit nahezu 100 000 und Mitte der Fünfzigeijahre rund 94 000 Einwohner hatte, wies Hoyerswerda Mitte der Fünfzigerjahre erst knapp 8 000 Einwohner auf. Die Bevölkerungszahl Hoyerswerdas wuchs seit Ende der fünfziger und vor allem in den Sechzigerjahren mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung stark an und verneunfachte sich im Zeitraum 1955 bis 1980 von knapp 8 000 auf über 70 000 Einwohner. Zwischen 1980 und 1990 ging die Bevölkerungszahl dann allerdings schon um rund 6 000 Personen zurück. In Görlitz hingegen nahm die Bevölkerung bereits zwischen 1955 und 1980 um rund 12 000 und zwischen 1980 und 1990 dann nochmals um rund 9 000 Personen ab. In den Neunzigeqahren hat sich der Bevölkerungsrückgang sodann nochmals in beiden Städten beschleunigt. Zwischen 1990 und 1999 sank die Bevölkerungszahl in Hoyerswerda von knapp 65 000 auf knapp 52 000, was - auf das Ausgangsjahr 1990 bezogen - einem Rückgang von 20 Prozent entspricht. In Görlitz ging die Wohnbevölkerung im gleichen Zeitraum von rund 72 000 auf rund 62 000 zurück, wobei dies einen Rückgang von etwa 14 Prozent bedeutet. Die Bevölkerungsverluste gehen sowohl auf die natürliche Bevölkerungsbewegung 11 wie auch und vor allem auf Wanderungsverluste zurück. Die Abwanderung führte insbesondere bei der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen zur deutlichen Schrumpfung einzelner Jahrgänge mit entsprechenden Auswirkungen auf die Altersstruktur, die eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung erkennen lässt. 12 Zur Bevölkerungsstruktur sei noch am Rande angemerkt, dass der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung in beiden Städten relativ gering ist. In
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Siehe dazu: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistische Berichte, Hoyerswerda 1999, vgl. S. 12; Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 16 f. 11
So lagen in Hoyerswerda noch 1986 bis 1988 die jährlichen Geburtenzahlen etwa doppelt so hoch wie die Zahl der Gestorbenen, während seit 1991 die Zahl der Gestorbenen deutlich höher als die der Geburten liegt. In Görlitz hingegen ist schon seit 1956 durchgängig ein Geburtendefizit zu verzeichnen. Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Dezember 1986, Hoyerswerda 1996, vgl. S. 5; Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 39. 12
Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistische Berichte, Hoyerswerda 1999, insb. S. 18ff.; Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, insb. S. 18 ff.
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Görlitz lag er 1999 bei 966 Personen oder knapp 1,6 Prozent der Wohnbevölkerung und in Hoyerswerda lediglich bei 371 Personen oder 0,7 Prozent. 13 Die Bevölkerungsverluste in beiden ostsächsischen Städten durch kontinuierliche Abwanderungen sind nicht zuletzt durch ungünstige wirtschaftsstrukturelle Entwicklungen und insbesondere durch eine hohe Arbeitslosigkeit bewirkt. Im September 2000 lag die Arbeitslosenquote in Hoyerswerda bei 23,8 Prozent und in Görlitz bei 21,3 Prozent, also mehr als jede fünfte Erwerbsperson war in diesen Städten arbeitslos. 14 Die Entwicklung der Arbeitslosenquote im Altkreis Hoyerswerda 15 in den letzten Jahren stellt sich folgendermaßen dar:
Tabelle 2 Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Altkreis Hoyerswerda 1995 bis 2000 Zeitpunkt
Januar 1995 Januar 1996 Januar 1997 Juni 1997 Juni 1998 September 2000
Arbeitslosenquote
Anteil Jugendliche bis 25 Jahre
14,3 % 21,2% 23,6 % 22,5 % 24,2 % 23,8 %
13,06% 9,47 % 10,03 % 8,98 % 8,12%
Anteil Frauen 73,20 58,50 54,50 58,20 56,70
% % % % %
Anteil Alleinerziehende 11,23% 9,05 % 8,38 % 9,10% 9,34 %
Wie zu erkennen ist, stieg die Arbeitslosenquote im Altkreis Hoyerswerda zwischen Januar 1995 und Juni 1998 von 14,3 auf 24,2 Prozent, wobei die Arbeitslosenquote insbesondere am Ende des Jahres 1995 einen starken Anstieg von 16,5 Prozent im Dezember 1995 auf 21,2 Prozent im Januar 1996 erfuhr. Der Anteil der Jugendlichen bis 25 Jahre an den Arbeitslosen ging - auch aufgrund individueller Mobilitätsbereitschaft und entsprechender staatlicher Förderungsmaß13
Siehe: Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 24f.; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistische Berichte, Hoyerswerda 1999, vgl. S. 24. 14 Siehe: Negativ-Rekord für September. In: Sächsische Zeitung vom 6. Oktober 2000, S. 9, nach aktuellen Daten des Arbeitsamtes Bautzen. 15 Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1995, Hoyerswerda 1995, vgl. S. 3; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1996, Hoyerswerda 1996, vgl. S. 3; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 2; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Juni 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 2; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat Juni 1998, Hoyerswerda 1998, vgl. S. 2; Negativ-Rekord für September. In: Sächsische Zeitung vom 6. Oktober 2000, S. 9, nach aktuellen Daten des Arbeitsamtes Bautzen.
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nahmen - von 13 Prozent auf 8 Prozent zurück. Ebenso verringerte sich der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen - nicht zuletzt durch Rückzugs- und Verdrängungsprozesse aus dem Erwerbsleben - von 73,3 Prozent im Januar 1995 auf 56,7 Prozent im Juni 1998. Der Anteil der Alleinerziehenden an den Arbeitslosen betrug - bei gewissen Schwankungen - zwischen 9 und 11 Prozent, der der Schwerbehinderten rund 2 Prozent. Auch längerfristig betrachtet zeigt sich, dass die Gesamtzahl der Arbeitslosen im Altkreis Hoyerswerda seit 1991 kontinuierlich anstieg: von 2 867 im Januar 1991 über 5 623 im Januar 1992, 7 031 im Januar 1993, 7425 im Januar 1994, 7 721 im Januar 1995, 9 858 im Januar 1996, 10 926 im Januar 1997 auf 11 002 im Juni 1998. 16 Die Arbeitslosenzahlen in der Stadt Hoyerswerda selbst entwikkelten sich übrigens in einer ähnlichen Weise wie die entsprechenden Zahlen des gesamten Altkreises. 17 Die Arbeitslosigkeit in Görlitz hatte - auf einem etwas niedrigeren Niveau einen ähnlichen Verlauf wie in Hoyerswerda. 18 Zwischen Juni 1995 und Juni 1998 stieg die Arbeitslosenquote von 15,3 auf 21,5 Prozent. Im Juni 1999 betrug die Arbeitslosenquote 22,1 Prozent und im September 2000 sodann 21,3 Prozent. Der Anteil der Jugendlichen bis 25 Jahren an den Arbeitslosen ging indes zwischen 1995 und 1999 von 11,3 Prozent auf 8 Prozent zurück. Der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen verringerte sich im gleichen Zeitraum ebenfalls von 65,7 Prozent auf 54,5 Prozent. Der Anteil der Alleinerziehenden an den Arbeitslosen betrug im Zeitraum 1995 bis 1999 - bei relativ geringen Schwankungen - rund 11,5 Prozent. Die Arbeitslosigkeit in Hoyerswerda und in Görlitz ist vor allem das Ergebnis schwieriger wirtschaftlicher Strukturanpassungen und sozioökonomischer Transformationsprozesse nach dem Niedergang der kommunistischen Herrschaft in 16 Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Februar 1995, Hoyerswerda 1995, vgl. S. 6; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1996, Hoyerswerda 1996, vgl. S. 3; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 2; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat Juni 1998, Hoyerswerda 1998, vgl. S. 2. 17
A m 30. Juni 1995 waren in der Stadt Hoyerswerda 4590 Personen, davon 71,5 Prozent Frauen, arbeitslos. Im Juni 1997 hingegen lag die Arbeitslosenzahl bei 6519 Personen. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 22,7 Prozent. Der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen betrug 57,7 Prozent, der Anteil der Jugendlichen unter 25 Jahren 9 Prozent, der Anteil der über 55-Jährigen 27,2 Prozent. Noch höher war der Anteil der Langzeitarbeitslosen: 40,4 Prozent aller Arbeitslosen in der Stadt Hoyerswerda zählten im Juni 1997 zu dieser problematischen Arbeitslosengruppe. Der Anteil der Arbeitslosen aus Angestelltenberufen lag zum gleichen Zeitpunkt bei 37,4 Prozent. Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat September 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 4. 18
Siehe: Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 70 f; Negativ-Rekord für September. In: Sächsische Zeitung vom 6. Oktober 2000, S. 9, nach aktuellen Daten des Arbeitsamtes Bautzen.
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Tabelle 3 Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Bereich der ArbeitsamtsGeschäftsstelle Görlitz 1995 bis 2000 Zeitpunkt
Juni 1995 Juni 1996 Juni 1997 Juni 1998 Juni 1999 September 2000
Arbeitslosenquote 15,3 17,5 9,2 21,5 22,1 21,3
% % % % % %
Anteil Jugendliche bis 25 Jahre 11,31 9,11 8,95 8,82 7,99
% % % % %
Anteil Frauen 65,72 62,06 59,86 54,90 54,50
% % % % %
Anteil Alleinerziehende 11,49% 11,69% 11,23% 11,25% 11,53%
Osteuropa und der deutschen Wiedervereinigung. 19 Auf lokale Einzelheiten und Besonderheiten dieser wirtschaftsstrukturellen Anpassungen soll an dieser Stelle allerdings nicht näher eingegangen werden. 20 Die nächste Frage wäre: hat der aufgezeigte Anstieg der Arbeitslosigkeit zu wachsenden sozialen Problemen und um sich greifenden Verarmungstendenzen gefuhrt? Dazu sei im Folgenden (Tab. 4 ) 2 1 zunächst ein Überblick zur Entwicklung der Zahl der Sozialhilfeempfänger in Hoyerswerda gegeben, wobei nur die Personen berücksichtigt werden, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. In dem Betrachtungszeitraum Januar 1995 bis Juni 1998 stieg die Zahl der Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten haben, nahezu kontinuierlich von 347 auf 607 Personen an, wobei gleichzeitig der Rückgang der Wohnbevölkerung um rund 10 Prozent im gleichen Zeitraum zu berücksichtigen ist. Nahezu kontinuierlich stieg auch der Anteil der Frauen unter den Personen, die
19 Siehe auch: Sterbling, Anton: Der soziale Umbau in den osteuropäischen Transformationsländern und seine Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. In: Eckart, Karl u. Paraskewopoulos, Spiridon (Hrsg.): Der Wirtschaftsstandort Deutschland, Berlin 1997, S. 137-158. 20 Nähere Einzelbetrachtungen zum wirtschafts- und beschäftigungsstrukturellen Wandel in Hoyerswerda finden sich in: Sterbling, Anton: Beschäftigungssituation, Sicherheitsbedürfnisse und Lebenszufriedenheit. Teilergebnisse einer empirischen Untersuchung in Hoyerswerda. In: Sterbling, Anton: Modernisierungsprobleme und Ungleichzeitigkeiten des Denkens in Ost und West. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen (Band 3), Rothenburg/Oberlausitz 1999, S. 303-323. 21 Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1995, Hoyerswerda 1995, vgl. S. 4; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1996, Hoyerswerda 1996, vgl. S. 4; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 2; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Juni 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 2; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat Juni 1998, Hoyerswerda 1998, vgl. S. 2.
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Tabelle 4 Entwicklung der Zahl der Sozialhilfeempfänger (Hilfe zum Lebensunterhalt) in Hoyerswerda 1995 bis 1998 Zeitpunkt
Betroffene insgesamt
Januar 1995 Januar 1996 Januar 1997 Juni 1997 Juni 1998
347 438 553 543 607
Betroffene Frauen 200 247 324 321 383
Anteil der Frauen 57,64 56,39 58,59 59,12 63,10
% % % % %
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bekamen, von rund 57 Prozent auf 63 Prozent. Die Zahl der Obdachlosen hat sich von Januar 1996 bis Juni 1998 von 96 auf 209 Personen erhöht. 22 Die Zahl der Wohngeldempfänger belief sich im Januar 1995 auf insgesamt 2 922, im Januar 1996 (einschließlich der Empfänger von pauschaliertem Wohngeld) auf 2 330, im Januar 1997 auf 2101 und im Juni 1998 auf 2 715 Fälle. 23 Eine ähnliche Entwicklungstendenz lässt sich auch in Görlitz erkennen. 24
Tabelle 5 Entwicklung der Zahl der Sozialhilfeempfänger (Hilfe zum Lebensunterhalt) in Görlitz 1995 bis 1999 Zeitpunkt 31.12.1995 31.12.1996 31.12.1997 31.12.1998 30.6.1999
Betroffene insgesamt 1302 1390 2108 2533 2312
Die Zahl der Sozialhilfeempfänger - hier ebenfalls nur die Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt - stieg zwischen 1995 und 1998 von 1 302 auf 22
Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Februar 1996, Hoyerswerda 1996, vgl. S. 4; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat Juni 1998, Hoyerswerda 1998, vgl. S. 3. 23 Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1995, vgl. S. 4; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1996, vgl. S. 4; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Januar 1997, vgl. S. 3; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat Juni 1998, vgl. S. 3.
1995, Hoyerswerda 1996, Hoyerswerda 1997, Hoyerswerda 1998, Hoyerswerda
24 Siehe: Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 123.
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Anton Sterbling
2 533 Personen und lag im Juni 1999 bei 2 312 Betroffenen. Im Vergleich zu Hoyerswerda liegt der Anteil der Sozialhilfeempfänger an der Wohnbevölkerung in Görlitz deutlich höher. Die in den zurückliegenden Jahren zunehmend ungünstigere Beschäftigungssituation und die Zunahme der Arbeitslosigkeit führten zweifellos zu einer wachsenden Zahl von Menschen in einer unbefriedigenden oder problematischen materiellen Lebenssituation, wenngleich die diesbezüglichen Befunde im Vergleich zur gesamten Bundesrepublik Deutschland keineswegs dramatisch erscheinen. 25 Auf der anderen Seite sollte natürlich nicht übersehen werden, dass die deutsche Wiedervereinigung für die Menschen in Hoyerswerda und Görlitz wie überhaupt für die Menschen in Ostdeutschland vielfach eine deutliche Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen und der materiellen Wohlstandssituation gebracht hat. 2 6 Zwischen 1990 und 1999 haben sich die Haushaltsnettoeinkommen in den neuen Bundesländern nahezu verdoppelt, das relative kaufkraftbereinigte Einkommen in Ostdeutschland stieg von rund 63 Prozent des entsprechenden westdeutschen Einkommensniveaus im Jahre 1992 auf rund 85 Prozent im Jahre 1997. 27 Wie wird all dies subjektiv wahrgenommen und bewertet? 25 Zum Jahresende 1997 waren in der Bundesrepublik Deutschland 2 893 178 Personen im Rahmen der Sozialhilfe Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Dies entspricht bei einer Wohnbevölkerung von rund 82 057 000 einem Bevölkerungsanteil von 3,5 Prozent. Zum gleichen Zeitpunkt lag der Anteil der Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in Görlitz bei 3,3 Prozent und in Hoyerswerda sogar nur bei knapp 1 Prozent. Siehe: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, vgl. S. 27 und S. 214; Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 123; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Juni 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 2. 26
Hier sei nur auf einen einzigen „Wohlstandsindikator" hingewiesen: auf die Motorisierung. A m 1. Juli 1996 waren in Hoyerswerda 30 513 Kraftfahrzeuge, darunter 27 339 Pkws, angemeldet, bei etwa 27 000 Haushalten. Selbst wenn es zu bedenken gilt, dass sich nicht alle Pkws in privater Hand befinden, sprechen diese Zahlen doch für ein hohes allgemeines Ausstattungsniveau der Haushalte mit Autos, einem gerade in Ostdeutschland nach wie vor wichtigen sozialen Statussymbol und Prestigeobjekt. A m 1.1.1999 betrug der Bestand an Kraftfahrzeugen in Hoyerswerda 29317 und in Görlitz 30214. Siehe: Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. September 1996, Hoyerswerda 1996, vgl. S. 6; Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht. Februar 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 4; Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz, Görlitz 2000, vgl. S. 123. 27 Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen in Ostdeutschland stieg von 1 624 Mark/ D M im Jahre 1990 über 2 592 D M im Jahre 1993 auf 3 021 D M i m Jahre 1999. Dies entspricht einem Anstieg von 86 Prozent. Insbesondere Anfang der Neunzigeijahre waren die Realeinkommenszuwächse in Ostdeutschland sehr hoch. Das relative Einkommensniveau von Ostdeutschland bezogen auf Westdeutschland erhöhte sich bei Mitberücksichtigung der Kaufkraftunterschiede von 62,8 Prozent im Jahre 1992 auf 84,7 Prozent im Jahre 1997. Das monatliche Nettoeinkommen pro K o p f lag in Hoyerswerda 1995 etwas höher als in Sachsen insgesamt, wobei das Einkommensniveau im Freistaat Sachsen - z.B. bezogen auf den durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst allerdings nur bei etwa 73 Prozent (73,2 im Jahre 1998) des durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes in der Bundesrepublik Deutschland angesiedelt ist und auch im Vergleich zu den anderen
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
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Subjektive Lebenszufriedenheit und Sicherheitsbedürfnisse Vor dem grob umrissenen Hintergrund einiger wichtiger „objektiver" sozialdemographischer, beschäftigungsbezogener und sozialer Gegebenheiten und Entwicklungen in Hoyerswerda und Görlitz soll es nun im Folgenden um einige ausgewählte Befunde der „subjektiven" Wahrnehmung und Bewertung gehen. Zunächst sei betrachtet, welche Probleme in der Stadt aus der Sicht der Befragten am wichtigsten und dringendsten erscheinen (Tab. 6). Wie zu erkennen ist, stellt die Arbeitslosigkeit für die befragten Bürger sowohl in Görlitz als auch in Hoyerswerda das Hauptproblem dar. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) in Görlitz und sogar zwei Drittel (66 Prozent) in Hoyerswerda sehen darin eines der drei wichtigsten Probleme, wobei für mehr als die Hälfte (53 Prozent) aller Befragten in Hoyerswerda die Arbeitslosigkeit das wichtigste Problem schlechthin ist. Gleich danach folgen Probleme der „Sauberkeit und Ordnung" sowie der „Sicherheit und Ordnung". 41 Prozent in Görlitz und 24 Prozent in Hoyerswerda sehen in „Sauberkeit und Ordnung" eines der drei wichtigsten Probleme ihrer Stadt. „Sicherheit und Ordnung" zählt für 19 Prozent der Befragten in Görlitz und für 17 Prozent in Hoyerswerda zu den drei wichtigsten Problemen. Nimmt man noch „Kriminalität" und „Vandalismus" - Erscheinungen, die vor allem in Hoyerswerda als recht problematisch empfunden werden - hinzu, so kann man konstatieren, dass neben der Arbeitslosigkeit vor allem Probleme der „Sicherheit und Ordnung" in einem etwas weitläufigeren Verständnis zu den Hauptproblemen der Stadt gerechnet werden. Daneben haben Problemkomplexe wie politischer oder religiöser Extremismus, die Ausländerproblematik oder Umweltfragen aus der Sicht der befragten Bürger offenbar eine weitaus geringere Bedeutung. Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Ausführungen ist nun zu fragen, wie sich die subjektive Zufriedenheit der befragten Bürger insgesamt und wie sich die Zufriedenheit mit den gegenwärtigen materiellen Lebensbedingungen28 darstellt (Tab. 7).
ostdeutschen Bundesländern relativ niedrig liegt. Siehe: H. Dathe, Dietmar: Einkommensentwicklung und -unterschiede. In: Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Berlin 1999, S. 170-200, vgl. S. 185 bzw. S. 175f.; Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, vgl. S. 586. Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Bericht - Monat November 1997, Hoyerswerda 1997, vgl. S. 4; Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch Sachsen 1999, Kamenz 1999, insb. S. 587ff. 28 Diese allgemeinen Zufriedenheitswerte werden in vielen Untersuchungen erhoben und bieten daher gute Vergleichsmöglichkeiten. Siehe dazu auch: Glatzer, Wolfgang u. Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Lebensqualität in der Bundesrepublik. Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden, Frankfurt am Main u. New York 1984, insb. S. 177ff.
Anton Sterbling
220
Tabelle 6 Die drei wichtigsten Probleme der Stadt (Nennungen in Prozent) Problem
Rang 1
Rang 2
Rang 3
Rang 1-3
Arbeitslosigkeit
38,06 %
9,91 9,32 13,45 70,75 7,82
4,80 % 4,57 % 11,16%
52,77 % 66,45 % 41,29% 23,64 % 19,18% 77,70% 11,57%
52,85 % Sauberkeit/ Ordnung Sicherheit/ Ordnung Kriminalität
16,68 %
6,95% 8,34 %
8,62% 2,19%
% % % % %
6,54%
6,15 %
3,02 % 2,92 % 3,23 %
5,56%
4,59%
12,24 %
Vandalismus u.ä.
0,83 %
2,23%
1,04%
6,95%
2,09 %
8,34%
5,42%
14,60%
Verkehr/Parkplätze
3,75 %
7,30 %
8,34 %
3,48%
5,70%
5,98%
19,39 % 75,76% 1,78%
Graffiti
0,00 %
0,56%
0,70%
1,36%
0,42 %
Polizei
0,63 %
0,97%
1,25 %
0,70%
0,73 %
Freizeitangebot
3,55 %
7,92 %
4,03%
9,18%
2,92 %
5,01 %
5,01 % 7,57 % 3,02 % 3,76% 0,10%
Wirtschaftslage
1,81 %
8,48%
0,10%
0,42 %
0,21 % 2,56% 0,83 %
Wohnbedingungen
0,63 %
2,19 %
Abwanderung
Soziale Randgruppen Infrastruktur
0,00%
2,92%
1,67%
1,39%
0,94 %
4,87% 1,56%
3,76%
4,03%
2,82 %
3,55 %
0,70%
2,64%
0,83 %
0,52 %
0,00%
0,28%
2,50 % 2,75% 1,36%
Politik/Verwaltung
2,92 %
4,17%
0,70%
1,25%
1,95%
Umweltfragen
0,10%
0,42 %
0,56%
0,28%
Politischer/religiöser Extremismus Ausländerprobleme Grenznähe
0,10%
0,73 %
0,21 % 0,70% 0,42 %
0,56%
0,42%
0,83%
0,63 %
0,52 %
0,00%
0,14%
2,50 %
2,50 %
k.A.
6,05 %
10,74% 74,60 %
2,61 % 0,00% 29,41 % 35,55 %
Schule/Erziehung
0,97%
5,42%
0,83%
0,00% 0,00% 7,51 %
0,00%
0,14%
4,38 %
1,56%
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite {kursiv)
25,17% 3,96 %
2,09%
2,61 % 5,34% 16,48% 20,72% 10,95 % 74,05 % 0,41 % 3,75% 2,19% 75,27 % 4,38 % 5,76% 8,87 % 6,72% 2,71 %
0,42%
11,47% 5,90% 0,73 %
1,54%
1,25 % 7,57 % 2,71 %
0,14%
7,61 %
0,00%
auf Hoyerswerda.
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
221
Tabelle 7 Zufriedenheit mit materiellen Lebensbedingungen und mit der Lebenssituation insgesamt Bereich Materielle Lebensbedingungen Lebenssituation insgesamt
sehr zufrieden
eher zufrieden
18,46%
55,79 %
20,33 %
5,11 %
0,31 %
61,31 %
18,98%
3,65 %
0,42 %
13,07% 15,64%
10,29 %
56,75% 64,26 %
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
23,50 % 21,14%
5,42%
2,92%
k.A.
1,25% 1,39%
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite (kursiv) auf Hoyerswerda.
Wie ersichtlich ist, sind in Görlitz rund 16 Prozent der Befragten mit ihrer Lebenssituation insgesamt sehr zufrieden und weitere 61 Prozent eher zufrieden. Also rund 77 Prozent sind überwiegend zufrieden, während lediglich 19 Prozent eher unzufrieden und knapp 4 Prozent sehr unzufrieden sind. In Hoyerswerda stellen sich die Verhältnisse ähnlich dar, drei Viertel der Befragten (75 Prozent) erklären sich mit ihrer Lebenssituation vorwiegend zufrieden, während 21 Prozent damit eher unzufrieden und 3 Prozent sehr unzufrieden sind. Was die Zufriedenheit mit den materiellen Lebensbedingungen betrifft, so sind in Görlitz damit 18 Prozent sehr zufrieden und weitere 56 Prozent eher zufrieden. In Hoyerswerda stehen 13 Prozent sehr zufriedenen und 57 Prozent eher zufriedenen Bürgern 23 Prozent eher unzufriedene und 5 Prozent sehr unzufriedene gegenüber. Auch im Hinblick auf die materiellen Lebensbedingungen dominieren also in beiden Städten die vorwiegend zufriedenen Bürger. Dies drückt sich auch in der subjektiven Zufriedenheit mit einzelnen, fur die Lebensqualität wichtig erscheinenden Infrastruktur- und Lebensbereichen aus (Tab. 8 und Tab. 9).
Tabelle 8 Zufriedenheit mit Infrastruktureinrichtungen Bereich Verkehrsmittel/ Straßen Soziale Einrichtungen Kulturelle Einrichtungen Medizinische Versorgung
sehr zufrieden 3,96 %
eher zufrieden
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
k.A.
4,87%
57,58 % 30,88 %
58,60 %
33,89 %
3,23 %
5,21 %
66,01 %
23,46 %
2,09 %
1,67%
2,50%
6,26 %
45,36 %
36,91 %
10,74 %
0,73 %
29,09 %
62,57 %
6,99 %
1,04%
0,31 %
8,90%
15,99 % 36,16%
67,73 % 19,19%
41,59 % 52,57%
4,17%
30,46 % 10,15% 8,90%
1,11 %
0,31 %
2,50%
3,23 %
1,81 %
1,25%
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite (kursiv) auf Hoyerswerda.
222
Anton Sterbling
Zunächst ist auf die sehr hohe Zufriedenheit mit der medizinischen Versorgung hinzuweisen. In Görlitz sind damit 29 Prozent der Befragten sehr zufrieden und weitere 63 Prozent eher zufrieden, in Hoyerswerda sind mit der vor Ort vorhandenen medizinischen Versorgung sogar 36 Prozent sehr zufrieden und weitere 53 eher zufrieden. Wenn die Zufriedenheitswerte bei den sozialen und kulturellen Einrichtungen und der Verkehrsinfrastruktur auch niedriger liegen, so überwiegen auch diesbezüglich die vorwiegend zufriedenen Bürger. Für einen auswärtigen Betrachter zumindest im Hinblick auf Hoyerswerda überraschend hoch stellt sich auch die Zufriedenheit mit der Wohnungslage (Tab. 9) dar. 29 33 Prozent der Befragten sind hier mit ihrer Wohnungssituation sehr zufrieden und weitere 42 Prozent eher zufrieden. Zu dieser hohen Zufriedenheit trägt wahrscheinlich der durch die Abwanderungen sehr entspannte Wohnungsmarkt wie vermutlich auch die Erinnerung an die ungünstige Wohnungssituation in der DDR-Zeit bei. In Görlitz kommt zu dem entspannten und preisgünstigen Wohnungsmarkt wohl noch das beachtliche Angebot an modernisierten und architektonisch eindrucksvollen Altbauwohnungen hinzu, so dass sich erklärt, dass hier sogar 44 Prozent der Befragten mit ihrer Wohnungslage sehr zufrieden und weitere 41 Prozent eher zufrieden sind. Die relativ hohen Zufriedenheitswerte mit der familialen und partnerschaftlichen Situation entsprechen den Befunden anderer Untersuchungen und sind angesichts der Neigung von Befragten, mit Lebensbereichen zufriedener zu sein, für die sie selbst die Hauptverantwortung tragen, eigentlich erwartbar. Die nahezu gleichen Verteilungsmuster in beiden Städten von rund 59 Prozent sehr Zufriedenen, 29 Prozent eher Zufriedenen, 6 Prozent eher Unzufriedenen und 3 Prozent sehr Unzufriedenen machen zuorv
dem deutlich, dass der Wohnort hierbei keine Rolle spielt.
Tabelle 9 Zufriedenheit mit der Wohnungslage und Familiensituation Bereich
sehr zufrieden
eher zufrieden
Wohnungslage
43,90 %
41,29%
42,00 %
15,44 %
11,99%
2,40 %
0,42 %
Familie/ Partnerschaft
59,12 %
29,72 %
5,63 %
2,29 %
3,23 %
33,38 % 58,28 %
29,49 %
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
5,84%
7,93%
3,48%
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite {kursiv)
k.A.
1,39%
2,92%
auf Hoyerswerda.
29
In Hoyerswerda dominiert in vielen „neueren", in der sozialistischen Wachstumszeit entstandenen Stadtvierteln die Plattenbauweise. 30 Wie nähere Analysen zeigten, haben Familienstand und Alter hierbei aber einen signifikanten Einfluss.
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
223
Deutlich niedriger als im Hinblick auf die bisherigen Lebensbereiche liegen die auf die Beschäfitigungs- und Arbeitssituation, die Einkommenslage und die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten bezogenen Zufriedenheitswerte (Tab.
10). Was die Beschäfitigungs- und Arbeitssituation betrifft, so stehen in Görlitz 43 Prozent vorwiegend Zufriedenen rund 37 Prozent vorwiegend Unzufriedene gegenüber. In Hoyerswerda ist das entsprechende Verhältnis zwischen vorwiegend Zufriedenen und vorwiegend Unzufriedenen 43 Prozent zu 38 Prozent, wobei festzustellen ist, dass bei dieser Frage ein erheblicher Teil der Befragten keine Angaben machten, da sie nicht mehr oder noch nicht in einem Beschäftigungsverhältnis standen.
Tabelle 10 Zufriedenheit mit Beschäftigung und Arbeit, Einkommen und Partizipation Bereich Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen Einkommenslage Politische Beteiligung
sehr zufrieden
eher zufrieden
eher unzufrieden
sehr unzufrieden
k.A.
14,81 %
28,47 %
18,35%
19,40%
18,98 %
12,38 % 31,43 % 16,69%
21,56%
17,94%
11,47%
43,07 %
15,64%
1,15 %
8,07%
42,56 % 29,21 % 17,52%
2,64%
4,07 %
43,38 %
2,64%
28,68 % 38,79 %
10,95 %
36,30 % 39,36 % 15,99 %
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite {kursiv)
2,82 %
5,70%
auf Hoyerswerda.
Mit ihrer Einkommenslage sind in Görlitz 11 Prozent der Befragten sehr zufrieden und weitere 43 Prozent eher zufrieden, während 29 Prozent eher unzufrieden und 16 Prozent sehr unzufrieden sind. In Hoyerswerda ist die Einkommenszufriedenheit noch etwas geringer: 8 Prozent sind hier sehr zufrieden und 43 eher zufrieden, wohingegen 29 Prozent eher unzufrieden und knapp 18 Prozent sehr unzufrieden erscheinen. Wie nähere Analysen ergaben, erklärten sich vor allem Arbeitslose erwartungsgemäß recht unzufrieden mit ihrer Einkommens- wie auch mit ihrer Beschäfitigungs- und Arbeitssituation. Vor allem in Hoyerswerda - übrigens eine der ganz wenigen Städte dieser Größenordnung mit einem der PDS angehörenden Oberbürgermeister - ist die Zufriedenheit mit den politischen und gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten bedenklich gering. Nur 39 Prozent der Befragten erklärten sich diesbezüglich vorwiegend zufrieden, während 55 Prozent vorwiegend unzufrieden erscheinen. Auch in Görlitz stehen 47 vorwiegend zufriedenen rund 50 Prozent mit ihren Partizipationsmöglichkeiten vorwiegend unzufriedene Bürger gegenüber. Dies signalisiert im Hinblick auf die Frage der „inneren Einheit" doch bestimmte Pro-
224
Anton Sterbling
bleme des Demokratieverständnisses und der politischen Kultur im östlichen Teil Deutschlands. Einen weiteren Problemkomplex, der in der Sicht der Bürger nicht nur große Beachtung findet, sondern der im Hinblick auf die erlebte Lebensqualität auch von großer Bedeutung sein dürfte, stellt die innere Sicherheit dar. 3 1 Dabei geht es nicht nur um die tatsächliche Kriminalitätsbelastung, sondern auch um die subjektive Wahrnehmung der gegebenen Sicherheitslage und um entsprechende Gefährdungs- und Bedrohungsängste der Menschen, denn Sicherheit zählt zu den fundamentalen menschlichen Bedürfnissen und ist daher für die subjektive Lebensqualität von erheblicher Relevanz. Zunächst lässt sich erkennen (Tab. 11), dass in Görlitz und Hoyerswerda rund 6 Prozent der Befragten „sehr stark" und rund ein Drittel - 33 Prozent in Görlitz und 35 Prozent in Hoyerswerda - „stark" über die gegenwärtigen Probleme der persönlichen und öffentlichen Sicherheit beunruhigt sind. 58 Prozent der Befragten in Görlitz und 55 Prozent in Hoyerswerda zeigen sich diesbezüglich „etwas" beunruhigt, während der Anteil deijenigen, die sich „gar nicht" beunruhigt erklären, in beiden Fällen lediglich bei rund 3 Prozent liegt. 3 2
Tabelle 11 Beunruhigung über gegenwärtige Probleme der persönlichen und öffentlichen Sicherheit stark
etwas
gar nicht
k.A.
Görlitz
sehr stark 5,53 %
32,53 %
57,87 %
3,34 %
0,73 %
Hoyerswerda
6,68%
34,63 %
54,80 %
3,20%
0,70%
31
Siehe dazu auch: Noll, Heinz-Herbert: Zustand der öffentlichen Sicherheit beeinträchtigt Wohlbefinden der Bürger. Befunde zur subjektiven Wahrnehmung und Bewertung der öffentlichen Sicherheit. In: Informationsdienst Soziale Indikatoren, Nr. 12, Mannheim 1994, S. 5-8; Sterbling, Anton: Wohlfahrtsforschung, Lebensqualität und Sicherheit. In: Sterbling, Anton: Modernisierungsprobleme und Ungleichzeitigkeiten des Denkens in Ost und West. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen (Band 3), Rothenburg/Oberlausitz 1999, S. 289-302. 32 Siehe dazu ausführlicher: Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur subjektiven Sicherheit und Lebensqualität in Hoyerswerda. In: Die Kriminalprävention. Europäische Beiträge zur Kriminalität und Prävention, 3. Jg., Heft 4, Steinfurt 1999, S. 140-143; Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Subjektive Sicherheit und Lebensqualität. Eine empirische Untersuchung in Hoyerswerda. In: Die Kriminalpolizei. Vierteljahreszeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, 17. Jg., Nr. 3, Worms 1999, S. 153-157; Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Kriminalitätsfiircht in Sachsen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Görlitz und Hoyerswerda. In: Kriminalistik. Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis, Heidelberg 2000, S. 447^151).
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
225
Dabei ist die tatsächliche Kriminalitätsbelastung weder in Görlitz noch in Hoyerswerda besonders hoch. Es ist daher zu vermuten - und lässt sich in näheren Analysen auch aufzeigen - , dass in dieser hohen Besorgnis auch anders motivierte Unsicherheiten und Orientierungsprobleme in einer als tiefer Umbruch erlebten sozialen Situation zum Ausdruck kommen. Verglichen mit anderen lebensqualitätsrelevanten Bereichen sind die Zufriedenheitswerte mit der öffentlichen Sicherheit auffällig niedrig (Tab. 12). In Görlitz sind mit der öffentlichen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland lediglich 21 Prozent und in Hoyerswerda gar nur 16 Prozent vorwiegend zufrieden, 54 Prozent sind in Görlitz diesbezüglich eher unzufrieden und 24 Prozent sehr unzufrieden, während in Hoyerswerda mit der öffentlichen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland 55 Prozent eher unzufrieden und 28 Prozent sehr unzufrieden sind. Mit der öffentlichen Sicherheit im Freistaat Sachsen sind in beiden Städten rund 28 Prozent vorwiegend zufrieden, mit der Sicherheit in der eigenen Stadt sind rund ein Drittel - 33 Prozent in Görlitz und 34 Prozent in Hoyerswerda - vorwiegend zufrieden. Die Unzufriedenheit mit der öffentlichen Sicherheit nimmt also immer weiter zu, je größer die Distanz zum eigenen sozialen Lebens- und Erfahrungsraum wird. Neben eigenen Erfahrungen oder selbst Opfererfahrungen haben - wie unsere näheren Analysen zeigten - eine ganze Reihe anderer Faktoren einen erheblichen Einfluss auf das subjektive Sicherheitsgefühl und die Zufriedenheit mit der gegebenen Sicherheitslage.
Tabelle 12 Zufriedenheit mit der öffentlichen Sicherheit (in Prozent) Bereich Öffentl. Sicherheit BR Deutschland Öffentl. Sicherheit Freistaat Sachsen Öffentl. Sicherheit der eigenen Stadt
sehr zufrieden 1,04%
eher zufrieden
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
k.A.
0,70%
14,74%
19,60%
54,43 %
24,30 %
0,63 %
1,15 %
27,84 %
54,85 %
52,29 %
15,75 %
17,80%
0,42 %
1,46%
32,33 %
50,36 %
15,54%
0,31 %
0,83% 1,11 %
27,96 % 33,10%
55,49 %
49,79%
28,23 %
14,88 %
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite {kursiv)
0,83% 1,11 % 1,11 %
auf Hoyerswerda.
Bei der Frage nach der Zufriedenheit mit dem Beitrag einzelner staatlicher Institutionen zur Gewährleistung der persönlichen und öffentlichen Sicherheit (Tab. 13) zeigt sich ebenfalls ein bestimmtes Gefalle. Mit dem Beitrag der Landesregierung zur Lösung von Sicherheitsproblemen sind in Görlitz 37 Prozent und in Hoyerswerda 34 Prozent vorwiegend zufrieden, mit dem Beitrag der Stadtverwaltung sind in Görlitz 33 Prozent und in Hoyerswerda aber 47 Prozent vorwiegend zufrieden, mit der Polizeiarbeit sind in beiden Fällen indes 54 Prozent, also mehr als die Hälfte der befragten Bürger, überwiegend zufrieden.
Anton Sterbling
226
Tabelle 13 Zufriedenheit mit dem Beitrag der verschiedenen staatlichen Institutionen zur Lösung von Sicherheitsproblemen Institution
sehr zufrieden
eher zufrieden
Landesregierung
0,94 %
35,56 %
33,10%
54,94 %
54,54 %
7,51 %
Stadtverwaltung
0,94 %
32,33 %
57,98 %
6,99 %
Polizeiarbeit
3,02 %
50,68 %
39,83 %
4,69 %
1,11 %
1,95%
4,03%
44,92 %
51,18%
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
44,78%
37,13 %
8,76% 5,98%
5,70%
Die jeweils erste Zeile (normal) bezieht sich auf Görlitz, die zweite {kursiv)
k.A. 1,46%
2,09% 1,77%
2,36% 1,77%
1,95%
auf Hoyerswerda.
Vor dem Hintergrund der dargestellten sozialdemographischen Entwicklungen und Wanderungsprozesse in beiden ostsächsischen Städten stellt sich natürlich auch die Frage nach Aus- und Rückwirkungen auf die sozialen Beziehungen und die soziale Integration. 33 Dabei stellte sich in unserer Erhebung heraus (Tab. 14), dass selbst in Hoyerswerda, einer Stadt mit einer sehr hohen Wanderungsdynamik in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten, für die meisten Bürger ein dichtes Netzwerk sozialer Einbindungen gegeben zu sein scheint.
Tabelle 14 Ausmaß der Verwandtschafts-, Freundschaftsund Bekanntschaftsbeziehungen vor Ort und Zufriedenheit mit der sozialen Integration in Hoyerswerda Beziehungen
sehr viele
Verwandte, Freun154 (21,42%) de, Bekannte sehr zufrieden Soziale Integration
viele
wenige
328 189 (45,62 %) (26,29 %) eher zufrieden
sehr wenige
k.A.
42 (5,84 %)
6 (0,83 %)
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
69 470 136 (9,60 %) (65,37 %) (18,92%)
17 (2,36 %)
k.A. 27 (3,76 %)
Rund 21 Prozent der Befragten berichten von sehr vielen und weitere 46 Prozent von vielen sozialen Beziehungen vor Ort. Dies hängt wohl damit zusammen,
33 Allgemein zur Problematik der sozialen Integration siehe: Friedrichs, Jürgen u. Jagodzinski, Wolfgang (Hrsg.): Soziale Integration, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderband 39, Opladen 1999.
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
227
dass der Schwerpunkt der Zuwanderungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren lag, so dass sich die sozialen Beziehungen in der Zwischenzeit längst entwickelt und gefestigt haben; und dass soziale Netzwerke durch Abwanderungsprozesse zwar auch verändert, aber zumeist nicht völlig aufgelöst werden. Auch die Zufriedenheit mit der sozialen Integration ist bei den in Hoyerswerda befragten Bürgern relativ hoch: Rund 10 Prozent sind mit ihrer sozialen Integration sehr zufrieden und weitere 65 Prozent sind damit eher zufrieden, während nur 19 Prozent eher unzufrieden und lediglich 2 Prozent diesbezüglich sehr unzufrieden sind. Während in Hoyerswerda nur rund ein Drittel (33 Prozent) der befragten Personen in diesem Ort geboren wurden, waren in Görlitz mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) gebürtige Görlitzer. Daher war auch zu vermuten, dass sich das Netzwerk sozialer Beziehungen und die Zufriedenheit mit der sozialen Integration in dieser Stadt noch positiver als in Hoyerswerda darstellt.
Tabelle 15 Ausmaß der Verwandtschafts-, Freundschafts- und Bekanntschaftsbeziehungen vor Ort und Zufriedenheit mit der sozialen Integration in Görlitz Beziehungen
sehr viele
202 Verwandte, Freun(21,06%) de, Bekannte sehr zufrieden Soziale Integration
viele
wenige
512 189 (53,39 %) (19,17%) eher zufrieden
sehr wenige
k.A.
47 (4,90 %)
9 (0,94 %)
eher unzu- sehr unzufrieden frieden
121 647 149 (12,62 %) (67,47 %) (15,54%)
20 (2,09 %)
k.A. 22 (2,29 %)
Tatsächlich verfugen hier 21 Prozent über sehr viele und weitere 53 Prozent über viele soziale Bindungen. 13 Prozent sind mit ihrer sozialen Integration sehr zufrieden und weitere 67 eher zufrieden, während der Anteil der eher Unzufriedenen bei 16 Prozent und der sehr Unzufriedenen bei 2 Prozent liegt. Insgesamt betrachtet, bilden die bestehenden sozialen Netzwerke und das Ausmaß an sozialer Integration fur die Menschen in Hoyerswerda und in Görlitz eine wichtige Handlungsressource in der Bewältigung alltäglicher Lebensprobleme ein beachtliches „soziales Kapital" 3 4 - dessen Wert nicht gering zu schätzen ist.
34 Siehe auch: Sterbling, Anton: Zur Wirkung unsichtbarer Hebel. Überlegungen zur Rolle des „sozialen Kapitals" in fortgeschrittenen westlichen Gesellschaften. In: Berger, Peter A. u. Vester, Michael (Hrsg.): Alte Ungleichheiten - Neue Spaltungen, Opladen 1998, S. 189-209.
228
Anton Sterbling
Abschließende Betrachtungen Wie sind diese ausgewählten Befunde der in Hoyerswerda und Görlitz durchgeführten Untersuchungen im Vergleich mit anderen Untersuchungsergebnissen in Ostdeutschland und in der Bundesrepublik Deutschland einzuordnen? Wie kann man sie zusammenfassend beurteilen? Da mit unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten, Einzelfragen und Skalen gearbeitet wurde, sind die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen nicht unmittelbar, aber punktuell doch zumindest grob vergleichbar. So ist einem jährlich durchgeführten „Sozialreport" für Ostdeutschland im Hinblick auf die allgemeine Lebenszufriedenheit zu entnehmen, dass der Anteil der sehr Zufriedenen 7 Prozent, der Zufriedenen 52 Prozent, der teilweise Zufriedenen 33 Prozent, der Unzufriedenen 6 Prozent und der sehr Unzufriedenen 1 Prozent beträgt. 35 Zieht man in Betracht, dass hierbei mit einer etwas anderen Skala erhoben wurde, die einen Anteil von 33 Prozent teilweise Zufriedenen zwischen den Zufriedenen und Unzufriedenen ausweist, so entsprechen diese Zufriedenheitswerte zumindest grob den in Hoyerswerda und Görlitz festgestellten Werten. Wie schon dargestellt, sind in Görlitz mit ihrer allgemeinen Lebenssituation rund 16 Prozent sehr zufrieden, 61 Prozent eher zufrieden, 19 Prozent eher unzufrieden und knapp 4 Prozent sehr unzufrieden. Wie dem „Datenreport" für Ostdeutschland übrigens auch zu entnehmen ist, stieg der Anteil der sehr Zufriedenen zwischen 1990 und 1999 von 2 auf 7 Prozent und der Anteil der Zufriedenen von 31 auf 52 Prozent kontinuierlich an. Zu entnehmen ist dem „Datenreport" übrigens auch, dass in Ostdeutschland - ähnlich wie in den ostsächsischen Städten Hoyerswerda und Görlitz - die Sorgen und Ängste wegen der inneren Sicherheit, insbesondere wegen Gewalt und Kriminalität, ein großes Gewicht haben und gleich nach den Sorgen und Ängsten wegen der Arbeitslosigkeit kommen. 36 Einer aktuellen, auf den Freistaat Sachsen bezogenen repräsentativen Bevölkerungsbefragung ist zu entnehmen, dass 23 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass sich ihr materielles Lebensniveau „stark", und weitere 46 Prozent, dass sich ihr Lebensniveau „etwas verbessert" hat. Mehr als zwei Drittel erkennen also eine Verbesserung ihrer materiellen Lebenssituation. Dies entspricht den Befunden unserer Untersuchungen in Hoyerswerda und Görlitz, wo sich rund 70 Prozent bzw. 72 Prozent der Befragten vorwiegend zufrieden mit ihrer materiellen Lebenssituation äußerten. Bei der Befragung in Sachsen meinten weitere 21 Pro35
Siehe: Winkler, Gunnar: Hoffnungen - Befürchtungen - Zufriedenheiten. In: Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Berlin 1999, S. 66-94, vgl. S. 77. 36
Siehe: Winkler, Gunnar: Hoffnungen - Befürchtungen - Zufriedenheiten. In: Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Berlin 1999, S. 66-94, vgl. S. 72.
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
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zent, dass sich ihr materielles Lebensniveau weder verbessert, noch verschlechtert hätte, während nur 6 Prozent meinen, dass sich ihre materielle Lage „etwas", und nur 3 Prozent, dass sich ihr Lebensniveau „stark verschlechtert" hat. 3 7 Einer anderen Datensammlung,38 bei der im Hinblick auf die subjektive Zufriedenheit mit einer 11-Punkte-Skala39 gearbeitet wurde und die daher auch keinen unmittelbaren Vergleich mit den Zufriedenheitswerten in Hoyerswerda und Görlitz ermöglicht, ist immerhin zu entnehmen, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland im Jahre 1998 zwar etwas niedriger, aber mit einem Durchschnittswert von 7,3 doch relativ nahe dem westdeutschen Durchschnittswert von 7,7 liegt. 4 0 Gleichzeitig weisen auch diese Daten zwischen 1990 und 1998 einen kontinuierlichen Anstieg der allgemeinen Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland aus. Auf einzelne Lebensbereiche bezogen, liegen die subjektiven Zufriedenheitswerte der Ostdeutschen tendenziell niedriger als die der Westdeutschen, wobei die Differenzen aber nicht sehr gravierend erscheinen. 41 So liegt im Jahre 1998 die subjektive Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz in Westdeutschland im Durchschnitt bei 7,7 und in Ostdeutschland bei 7,4 auf der 11-Punkte-Skala. Im Hinblick auf den Lebensstandard liegt die durchschnittliche subjektive Zufriedenheit in Westdeutschland bei 7,4 und in Ostdeutschland bei 6,7. Auf die Wohnung bezogen, beträgt der durchschnittliche Zufriedenheitswert in Westdeutschland 8,3 und in Ostdeutschland 7,6. Im Hinblick auf die politische Beteiligung liegt der durchschnittliche Zufriedenheitswert in Westdeutschland bei 5,8 und in Ostdeutschland bei 5,5. Wie auch schon Vergleiche der Untersuchungsergebnisse von Hoyerswerda und Görlitz mit älteren, z.B. in Baden-Württemberg durchgeführten Untersuchungen ergaben, 42 zeigen auch aktuelle Vergleiche, dass für die Ostdeutschen 37
Siehe: 10 Jahre Deutsche Einheit. Sonderbeilage der Sächsischen Zeitung vom 2. Oktober
2000. 38 Siehe: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000. Siehe auch: Bulmahn, Thomas: Das vereinte Deutschland Eine lebenswerte Gesellschaft? Zur Bewertung von Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit in Ost und West. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 52. Jg., Opladen 2000, S. 405^27. 39 Dabei stellt der Wert 0 den Extremwert an Unzufriedenheit und der Wert 10 den Extremwert an Zufriedenheit dar. Aggregiert wurden die Werte 0 ^ t zu „unzufrieden" und die Werte 5-10 zu „zufrieden" und „sehr zufrieden". 40 Siehe: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, vgl. S. 422. 41
Siehe: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, vgl. S. 432 f. 42 Siehe: Feltes, Thomas (Hrsg.): Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von drei Pilotprojekten, Holzkirchen/Obb. 1995.
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Anton Sterbling
die innere Sicherheit und insbesondere der Schutz vor Kriminalität wichtiger als fur Westdeutsche erscheint, dass die Zufriedenheit der Ostdeutschen mit der öffentlichen Sicherheit geringer als die der Westdeutschen ist und dass auch die Angst der Ostdeutschen, Opfer einer Straftat zu werden, größer ist. 4 3 Zusammenfassend kann man im Hinblick auf die aufgezeigten Entwicklungen in den beiden Städten Hoyerswerda und Görlitz Folgendes festhalten: Die anhaltende Abwanderung und die hohe Arbeitslosigkeit stellen in beiden ostsächsischen Städten zwei zentrale soziale Probleme und große Herausforderungen dar. Mit der in den Neunzigeijahren ständig angestiegenen Arbeitslosigkeit traten auch vermehrt soziale Probleme auf, die aber nicht dramatisch erscheinen. Denn nach dem Niedergang der kommunistischen Herrschaft und seit der deutschen Wiedervereinigung haben die Menschen von Görlitz und Hoyerswerda - ebenso wie die Ostdeutschen insgesamt - nicht nur ein hohes Maß an persönlicher Freiheit errungen, sondern auch eine deutliche Einkommens- und Wohlstandssteigerung erlebt. Daher ist es nicht erstaunlich, dass die subjektive Zufriedenheit mit der Lebenssituation insgesamt, mit den materiellen Lebensbedingungen sowie mit einzelnen Infrastruktur- und Lebensbereichen wie medizinischer Versorgung, sozialen und kulturellen Einrichtungen oder der Wohnungslage relativ hoch ist. Niedriger sind die Zufriedenheitswerte mit der Arbeits-, Beschäfitigungs- und Einkommenslage und - vor allem in Hoyerswerda, aber auch in Görlitz - mit den politischen und gesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten. Noch geringer ist die Zufriedenheit mit der inneren Sicherheit, die neben der Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme empfunden wird. Vieles spricht dafür, dass sich in der verbreiteten Unzufriedenheit mit der gegebenen Sicherheit und Ordnung nicht nur die Erfahrungen neuer Kriminalitätserscheinungen und einer erheblichen Kriminalitätsbelastung, sondern auch andere Irritationen und Unsicherheiten sowie Orientierungs- und Akzeptanzprobleme angesichts eines subjektiv vielfach schwierig zu verarbeitenden und zu bewältigenden gesamtgesellschaftlichen Wandels 44 auf dem Weg zur „inneren Einheit" Ausdruck verschaffen.
43 Siehe: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, insb. S. 521 ff. 44 Hier sind gewisse Ähnlichkeiten mit entsprechenden subjektiven Orientierungs- und Verarbeitungsproblemen in anderen ost- und südosteuropäischen Gesellschaften nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft zu vermuten. Siehe diesbezüglich auch: Sterbling, Anton: Strukturfragen und Modernisierungsprobleme südosteuropäischer Gesellschaften, Hamburg 1993; Sterbling, Anton: Gegen die Macht der Illusionen. Zu einem Europa im Wandel, Hamburg 1994; Sterbling, Anton: Widersprüchliche Moderne und die Widerspenstigkeit der Traditionalität, Hamburg 1997; Sterbling, Anton: Kontinuität und Wandel in Rumänien und Südosteuropa. Historisch-soziologische Analysen, München 1997; Sterbling, Anton: Modernisierungsprobleme und Ungleichzei-
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Literatur Bednarek, Andreas: Görlitz - so wie es war, Düsseldorf 1993. Bulmahn, Thomas: Das vereinte Deutschland - Eine lebenswerte Gesellschaft? Zur Bewertung von Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit in Ost und West. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 52. Jg.. Opladen 2000, S. 405-427. Burgheim, Joachim u. Sterbling, Anton: Kriminalitätswahrnehmung und Lebenszufriedenheit. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in Hoyerswerda. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen, Bd. 1. Rothenburg/Oberlausitz 1999. - Hoyerswerda: Modell kommunaler Kriminalprävention in Sachsen. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Konstanz 1999. - Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur subjektiven Sicherheit und Lebensqualität in Hoyerswerda. In: Die Kriminalprävention. Europäische Beiträge zur Kriminalität und Prävention, 3. Jg., H. 4. Steinfurt 1999, S. 140-143. - Subjektive Sicherheit und Lebensqualität. Eine empirische Untersuchung in Hoyerswerda. In: Die Kriminalpolizei. Vierteljahreszeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, 17. Jg., Nr. 3. Worms 1999, S. 153-157. - Subjektive Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen, Bd. 4. Rothenburg/ Oberlausitz 2000. -Kriminalitätsfurcht in Sachsen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Görlitz und Hoyerswerda. In: Kriminalistik. Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis. Heidelberg 2000, S. 447-^451. Dathe, Dietmar: Einkommensentwicklung und -unterschiede. In: Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern. Berlin 1999, S. 170-200. Diewald, Martin u. Mayer, Karl Ulrich (Hrsg.): Zwischenbilanz der Wiedervereinigung. Strukturwandel und Mobilität im Transformationsprozeß. Opladen 1996.
tigkeiten des Denkens in Ost und West. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen (Band 3), Rothenburg/Oberlausitz 1999; Sterbling, Anton: Eliten, Intellektuelle, Institutionenwandel. Untersuchungen zu Rumänien und Südosteuropa, Hamburg 2001; Gabanyi, Anneli Ute u. Sterbling, Anton (Hrsg.): Sozialstruktureller Wandel, soziale Probleme und soziale Sicherung in Südosteuropa, München 2000.
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Anton Sterbling
Feltes, Thomas (Hrsg.): Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von drei Pilotprojekten. Holzkirchen/Obb. 1995. Friedrichs, Jürgen u. Jagodzinski, Wolfgang (Hrsg.): Soziale Integration, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderband 39. Opladen 1999. Gabanyi, Anneli Ute u. Sterbling, Anton (Hrsg.): Sozialstruktureller Wandel, soziale Probleme und soziale Sicherung in Südosteuropa. München 2000. Glatzer, Wolfgang u. Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Lebensqualität in der Bundesrepublik. Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden. Frankfurt am Main u. New York 1984. Glatzer, Wolfgang u. Noll, Heinz-Herbert (Hrsg.): Getrennt - Vereint. Lebensverhältnisse in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Frankfurt am Main u. New York 1995. Man kann in Hoyerswerda küssen. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 204, vom 576. September 1998, S. 10. Negativ-Rekord für September. In: Sächsische Zeitung vom 6. Oktober 2000, S. 9. Noll, Heinz-Herbert: Zustand der öffentlichen Sicherheit beeinträchtigt Wohlbefinden der Bürger. Befunde zur subjektiven Wahrnehmung und Bewertung der öffentlichen Sicherheit. In: Informationsdienst Soziale Indikatoren, Nr. 12. Mannheim 1994, S. 5-8. Sieckmeyer, Doris u. Sieckmeyer, Jürgen: Görlitz - Das Tor zum Osten. Köln 1995. Stadt Hoyerswerda (Hrsg.): Statistischer Monatsbericht bzw. Statistischer Bericht (monatlich). Hoyerswerda 1996ff. - Statistische Berichte. Hoyerswerda 1999. Stadtverwaltung Görlitz (Hrsg.): Statistischer Jahresbericht 2000. Kreisfreie Stadt Görlitz. Görlitz 2000. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bonn 2000. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch Sachsen 1999. Kamenz 1999. Sterbling, Anton: Strukturfragen und Modernisierungsprobleme südosteuropäischer Gesellschaften. Hamburg 1993.
Lebensqualitätswahrnehmung in den neuen Bundesländern
233
- Gegen die Macht der Illusionen. Zu einem Europa im Wandel. Hamburg 1994. - Kontinuität und Wandel in Rumänien und Südosteuropa. Historisch-soziologische Analysen. München 1997. -Widersprüchliche Moderne und die Widerspenstigkeit der Traditionalität. Hamburg 1997. - Der soziale Umbau in den osteuropäischen Transformationsländern und seine Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. In: Eckart, Karl u. Paraskewopoulos, Spiridon (Hrsg.): Der Wirtschaftsstandort Deutschland. Berlin 1997, S. 137-158. - Zur Wirkung unsichtbarer Hebel. Überlegungen zur Rolle des „sozialen Kapitals" in fortgeschrittenen westlichen Gesellschaften. In: Berger, Peter A. u. Vester, Michael (Hrsg.): Alte Ungleichheiten - Neue Spaltungen. Opladen 1998, S. 189-209. - Wohlfahrtsforschung, Lebensqualität und Sicherheit. In: Sterbling, Anton: Modernisierungsprobleme und Ungleichzeitigkeiten des Denkens in Ost und West. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen, Bd. 3. Rothenburg/Oberlausitz 1999, S. 289-302. - Beschäftigungssituation, Sicherheitsbedürfnisse und Lebenszufriedenheit. Teilergebnisse einer empirischen Untersuchung in Hoyerswerda. In: Sterbling, Anton: Modernisierungsprobleme und Ungleichzeitigkeiten des Denkens in Ost und West. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen, Bd. 3. Rothenburg/Oberlausitz 1999, S. 303-323. - Modernisierungsprobleme und Ungleichzeitigkeiten des Denkens in Ost und West. Rothenburger Beiträge. Schriftenreihe der Fachhochschule für Polizei Sachsen, Bd. 3. Rothenburg/Oberlausitz 1999. - Eliten, Intellektuelle, Institutionenwandel. Untersuchungen zu Rumänien und Südosteuropa. Hamburg 2001. Winkler, Gunnar: Hoffnungen - Befürchtungen - Zufriedenheiten. In: Winkler, Gunnar (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern. Berlin 1999, S. 66-94. - (Hrsg.): Sozialbericht 1999. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern. Berlin 1999. 10 Jahre Deutsche Einheit, Sonderbeilage der Sächsischen Zeitung vom 2. Oktober 2000.
Auswirkungen des gesellschaftlichen Umbruchs auf Bevölkerungsprozesse und -potenziale im ländlich peripheren Raum - Ergebnisse einer empirischen Analyse im Landkreis Prignitz Von Elke Goltz
Einleitung Bevölkerungsentwicklung, als Ergebnis natürlicher und räumlicher Bevölkerungsbewegungen, wird maßgeblich durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen bestimmt. Ändern sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse so grundlegend, wie in den neuen Bundesländern nach 1989 geschehen, dann hat dies weitreichende Konsequenzen auf lokale und regionale Bevölkerungsprozesse. Aufgrund ungünstiger siedlungs- und wirtschaftsstruktureller Bedingungen wie z.B. geringer Bevölkerungsdichte, oftmals unzureichender Ausstattung der Dörfer und Kleinstädte mit technischer und sozialer Infrastruktur sind ländlich periphere Räume in besonderem Maße von einem Bevölkerungsrückgang betroffen. Im Prozess der wirtschaftlichen Umstrukturierung gingen Tausende von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft und in den Industriebetrieben der Städte verloren. Eine adäquate Anzahl neuer Arbeitsplätze, vor allem im Handwerk und im Dienstleistungssektor, wurde bisher nicht geschaffen. Die langfristigen Folgen dieser Entwicklung werden daher nicht selten in einer Entleerung dieses Raumes, Überalterung der verbleibenden Bevölkerung und drohender Verödung gesehen (vgl. auch Jähnke u. Lompscher, 1995). Es galt daher der Frage nachzugehen, inwieweit solche Tendenzen bereits erkennbar sind. Im Rahmen einer Haushaltsbefragung wurden Einwohner ausgewählter Gemeinden des Landkreises Prignitz zu ihren Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Wende befragt. Im Mittelpunkt stand die Erfassung von Befindlichkeiten ländlicher Bevölkerung, insbesondere ihrer Zufriedenheit mit den individuellen Lebensverhältnissen sowie Perspektiven, die sie sich in der Region einräumen. Der empirischen Untersuchung gingen Analysen der Bevölkerungsentwicklung sowie des Wandels in der Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur des Kreises voraus.
236
Elke Goltz
1. Die Prignitz - Vorstellung des Untersuchungsraumes Die Bezeichnung Prignitz ist historisch überliefert - sie bedeutet etwa „ungangbares Waldgebiet" 1 und weist darauf hin, dass ursprünglich ausgedehnte Wälder die Region bedeckten, bevor im Zuge der Besiedlung zur Zeit der Völkerwanderung auf den lehmig-sandigen Böden der Grundmoränenplatten die ackerbauliche Nutzung begann. Seit Jahrhunderten prägt die Landwirtschaft die Struktur der Region. Der Landkreis Prignitz liegt im Nordwesten des Landes Brandenburg, umfasst den zentralen Bereich des Landschaftsraumes der Prignitz und hat Grenzen zu Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Aufgrund der räumlichen Lage zwischen den Agglomerationsräumen Berlin und Hamburg und der administrativen Abgrenzung innerhalb des Landes Brandenburg kann von einem im doppelten Sinne peripher gelegenen Raum gesprochen werden. Der Landkreis entstand mit dem Inkrafttreten des Kreisneugliederungsgesetzes Ende 1993. Zu ihm gehören 109 Gemeinden, darunter sieben Städte. Ein Jahr vor der Kreisgebietsreform schlossen sich die Gemeinden zu neun Ämtern zusammen. Die Ämter übernehmen die gemeinsame Verwaltung der Gemeinden. Die politische Selbstständigkeit der Gemeinden bleibt jedoch erhalten. Die Kreisstadt Perleberg sowie Pritzwalk und Wittenberge sind amtsfrei (Tab. 1).
Tabelle 1 Gemeinden und Bevölkerung des Landkreises Prignitz nach Gemeindegrößengruppen Gemeindegrößengruppe
Anzahl der Gemeinden*
Anteil an den Einwohnern* (%)
Einwohner*
197l|l98l|l988|l997
1971
1988
1981
197l| 1981119881 1997
1997
jeweils am 31.12. des Jahres unter 200 Ew. 8 200 bis 499 Ew. 52 500 bis 999 Ew. 33 1 000 bis 1 999 Ew. 7 2 000 bis 4 999 Ew. 6 5 000 bis 9 999 Ew. 2 10000 bis 19999 Ew. 20000 und mehr Ew. 1
19 58 19 5 5
21 56 19 4 6
24 57 16 5 4
-
-
-
2 1
2 1
2 1
1535 18 048 22185 8 639 17 327
3 059 19437 12 907 6447 15010
-
-
27286 28 762 33 387 31560
3 203 18330 12 634 4526 16722 -
3 426 18410 10 566 7 032 10978 -
1,2 14,1 17,3 6,7 13,5 -
2,6 16,6 11,0 5,5 12,8 -
-
3,5 18,6 10,7 7,1 11,1 -
28088 30190
25210 21,2 24,5 24,7 25,5 23 402 26,0 26,9 26,6 23,6
insgesamt: 109 109 109 109 128407 117182 113 693
99024 100 100 100 100
* Gebietsstand 31.12.1995. Quelle: Landesamt ftir Datenverarbeitung und Statistik (LDS) des Landes Brandenburg.
1
2,8 16,1 11,1 4,0 14,7
Aus dem Slawischen (vgl. Seier/Foelsch, 1994).
Bevölkerungsprozesse und -potenziale im ländlich peripheren Raum
237
2. Grundprozesse der Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Prignitz Mit einer Bevölkerungsdichte von 48 Einwohnern/km 2 (1995) gehört der Landkreis zu den am dünnsten besiedelten Räumen sowohl des Landes Branden9 9 bürg (86 Einw./km ) als auch der gesamten Bundesrepublik (227 Einw./km ). Ebenso unterdurchschnittlich ist die Anzahl der Einwohner pro k m 2 Siedlungsund Verkehrsfläche mit 863 (das Landesmittel beträgt 1164 Einw./km 2 ). Dörfer mit 500 und weniger Einwohnern prägen das Siedlungsbild. In den 81 Gemeinden dieser Größengruppe - die sich oftmals noch aus mehreren, ehemals selbstständigen Dörfern zusammensetzen - lebt etwas mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Wie der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen ist, hat sich der Anteil der Bevölkerung in den Klein- und Kleinstgemeinden seit 1971 ständig erhöht. In der kleinsten Gemeinde wohnten Ende 1997 94 Personen. Der agrarisch strukturierte Nordwesten des heutigen Landes Brandenburg hat nicht erst seit der Wende 1989 erhebliche Bevölkerungsverluste zu verzeichnen. Nach einem Anstieg der Einwohnerzahlen durch Zuwanderungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg (1946: 156652 Einwohner) nahm die Bevölkerungszahl in den Folgejahren stetig ab, vor allem bis zur Errichtung der Grenzbefestigungen zwischen der BRD und der DDR 1961 und in der Mitte der 70er-Jahre. Im ersten Zeitraum war dies hauptsächlich durch Wegzüge in die BRD bedingt, danach vorrangig durch Abwanderung in die Bezirksstädte der DDR und nach Berlin (Ost). Der Umzug vom Land in die Stadt war lukrativ, orientierte sich doch die Wirtschaftspolitik der DDR vor allem auf die Entwicklung der Hauptstadt Berlin sowie der Bezirksstädte. Hier konzentrierte sich die Schaffung industrieller Arbeitsplätze sowie der Wohnungsneubau. Als Hauptmotive für die Abwanderung vom Land galten ein im Vergleich zur Landwirtschaft zeitlich geregelter Arbeitstag, oftmals ein höherer Lohn sowie die Möglichkeit, schneller relativ ansprechenden Wohnraum beziehen zu können. Im Zeitraum 1971 bis 1981 nahm die Einwohnerzahl im Kreis (bezogen auf den Gebietsstand vom 31.12. 1995) um 8 % ab. In den Achtzigerjahren setzte sich diese Entwicklung in quantitativ abgeschwächter Form fort (-3,4% bis 1988). Nach 1989 hat sich die Einwohnerzahl weiter verringert. Am Jahresende 1997 lag sie erstmals unter 100 000. Innerhalb des Kreises verlief die Entwicklung jedoch sehr differenziert. Zuwachs an Einwohnern hatten Gemeinden im unmittelbaren Umland der Städte Perleberg, Pritzwalk und Wittenberge. Vom Rückgang an Bevölkerung waren vor allem Gemeinden im südlichen Teil des Kreises um Glöwen (bis 1989 Standort der DDR-Volksarmee), Gemeinden an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sowie die Städte betroffen. Im Vergleich der Städte nahm Wittenberge die ungünstigste Entwicklung. Dort reduzierte sich die Einwohnerzahl absolut um etwa 6 800 Personen. Das entspricht einem Rückgang von 22,5%.
238
Elke Goltz
Im Folgenden war der Frage nachzugehen, welche Bevölkerungsprozesse der geschilderten Entwicklung in der Prignitz zugrunde lagen und inwieweit sie zeitlich und/oder regional differenziert abliefen. Dazu wurden die Teilprozesse der Bevölkerungsentwicklung: natürliche Bewegungen und Migration auf Gemeindeebene für den Zeitraum 1991 bis 1996 analysiert. Anschließend erfolgte eine Typisierung der Gemeinden nach dem Verfahren von Webb, um Zusammenhänge zwischen der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsbewegung aufzudekken und in ihrer regionalen Verbreitung zu erfassen. Da etwa ab 1993/94 ein Wechsel in der Dominanz der Teilprozesse einsetzte - von Wanderungsverlusten zu Sterbeüberschüssen als Hauptursache für den Rückgang an Bevölkerung - wurde die Typisierung in zwei Teilzeiträumen (1991 -93 und 1994-96) durchgeführt. Aufgrund der geringen statistischen Masse an Bewegungen in den einzelnen Gemeinden erwies es sich am zweckmäßigsten, die Daten über jeweils drei Jahrgänge zu kumulieren. So ließen sich Schwankungen in der Ausprägung glätten und die Gefahr einer Fehlinterpretation minimieren. Auf Daten aus den Jahren 1989 und 1990 wurde aus sachlogischen Erwägungen verzichtet. Diese Bewegungsdaten repräsentieren Zustände, die einerseits schon durch die offenen Grenzen gekennzeichnet sind (Wanderungen), andererseits noch durch die DDR-Verhältnisse (Geburten). So wurden sie zwar zur allgemeinen Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung herangezogen, aber aufgrund zu erwartender Verzerrungen bei den Untersuchungsergebnissen nicht weiter verwendet.
Natürliche und räumliche Bevölkerungsbewegungen Bis 1993 resultierte die rückläufige Bevölkerungsentwicklung im Landkreis zu durchschnittlich 53 % aus Wanderungsverlusten. Innerhalb des Kreises differierte dieser Wert jedoch sehr stark. Das Minimum lag bei 25 % (Pritzwalk, Stadt), den Maximalwert erreichte Perleberg (95 %). Die Entwicklung in den Ämtern bewegte sich um den Kreisdurchschnitt. Der dramatische Abbau von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft (vgl. auch Tab. 3) und im Produzierenden Gewerbe veranlasste vorrangig jüngere Menschen dazu, die Region zu verlassen. Ein erhöhter Zuzug in den Folgejahren konnte die auf annähernd gleichem Niveau bleibende Abwanderung zwar weitgehend kompensieren (Abb. 1), die rapide gesunkene Geburtenanzahl 2 führte jedoch zu einem erheblichen Sterbeüberschuss, der seitdem zu zwei Dritteln 3 den Bevölkerungsrückgang verursacht. Die ungünstige Entwicklung des natürlichen Saldos lässt
2
Geburtenrate 1988: 12,5 %o, 1996: 5,4 %o.
3
I m Durchschnitt der Jahre 1994 bis 1996.
Bevölkerungsprozesse und -potenziale im ländlich peripheren Raum
239
Umzüge 7000 -
φ
6000 -
5000 4000 3000 -
•
•Η
S ff Herkunfts- bzw. Zielgebiet 3 5 der Wanderung: ISI M »—Ausland Westliche und südliche Bundesländer — Nördliche Bundesländer
(Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, MecklenburgVorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, jeweils ohne die unten erwähnten Landkreise)
— Angrenzende Landkreise
BR: Ostprignitz-Ruppin; MV: Ludwigslust, Parchim, Müritz;, SA: Stendal, Altmarkkreis Salzwedel; NS: Lüchow-Dannenberg
2000 -
— Innerhalb des Kreises
1000 -
0
1990
1993
1996
* ohne Daten des Amtes Lenzen-Elbtalaue, außer Gemeinde Cumlosen. Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, Gebietsstand 31.12.1996.
Abb. 1 : Zu- und Wegzüge über die Kreisgrenze, Umzüge innerhalb des Landkreises Prignitz 1990, 1993 und 1996 sich maßgeblich durch das gesunkene Fruchtbarkeitsniveau erklären. Der Ausgangspunkt dafür liegt weit vor der gesellschaftlichen Wende, denn bereits in den 80er-Jahren wurde das für die einfache Reproduktion notwendige altersspezifische Fruchtbarkeitsniveau von 2 100 Geburten auf 1 000 Frauen im gebärfähigen Alter 4 nicht mehr erreicht. Dennoch gestaltete sich die Entwicklung in den damaligen Nordkreisen des Bezirks Potsdam vergleichsweise günstiger als im DDRDurchschnitt (1989: 1 854 Geburten). Nach 1989 hat sich das Fruchtbarkeitsniveau sprunghaft gesenkt und nahezu halbiert. Es lag im Durchschnitt der neuen Bundesländer bei 838 (1995) und damit um knapp 40 % unter den Verhältnissen in den alten Ländern. Das immer noch leicht überdurchschnittliche altersspezifische Fruchtbarkeitsniveau im Landkreis Prignitz von 867 (1995) lässt darauf schließen, dass die Entwicklung weitgehend proportional zu der in anderen Regionen der neuen Länder verlief. Im Vergleich der Kreise des Landes Brandenburg (842 Geburten) nahm die Prignitz eine mittlere Position ein. Das höchste altersspezifische Fruchtbarkeitsniveau wiesen das Havelland (945), der Kreis Märkisch-Oderland (918) und die Uckermark (902) auf.
4
15 bis unter 45 Jahre.
240
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In den Jahren 1995 und 1996 hat sich die Abwanderung auf einem geringfügig niedrigeren Niveau stabilisiert. Zudem nahm die räumliche Distanz zwischen Herkunfits- und Zielgebieten der Wanderung deutlich ab. Fast die Hälfte aller räumlichen Bewegungen waren Umzüge innerhalb des Kreises (Abb. 1). 46,1 % der fortgezogenen Personen verlagerten ihren Wohnort in eine andere kreisangehörige Gemeinde (1990 waren es nur 22,4%). Weitere 15,6% (1990: 8,3 %) zogen in angrenzende Landkreise, insbesondere nach Ostprignitz-Ruppin. Abwanderungen in räumlich weit entfernte Bundesländer - sowohl alte als auch neue sind hingegen zurückgegangen. Seit 1994 verzeichnen einige Gemeinden wieder Wanderungsgewinne. Diese sind in der Regel aber zu gering, um den negativen Saldo aus der natürlichen Bevölkerungsbewegung auszugleichen. Daher fallen sie bei einer Aggregation der Gemeindedaten auf Ämter- oder Kreisebene nicht ins Gewicht. Für die innerkreisliche Differenzierung in den Bewegungsprozessen wurde die Ämterebene gewählt (Tab. 2). Es wird deutlich, dass im Zeitraum 1991-93 alle Ämter, mit Tabelle 2 Typen der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsbewegung nach WEBB, Landkreis Prignitz Amt/ Amtsfreie Gemeinde
Natürlicher Saldo
Wanderungssaldo
Bewegungstyp nach Webb
1991-1993 (kumuliert) Perleberg, Stadt Pritzwalk, Stadt Wittenberge, Stadt Amt Bad Wilsnack/Weisen Amt Groß Pankow/Prignitz Amt Gumtow Amt Karstädt Amt Lenzen-Elbtalaue Amt Meyenburg Amt Plattenburg Amt Pritzwalk-Land Amt Putlitz-Berge Landkreis Prignitz
-246 -151 -718 -332 -93 -86 -225 -162 -106 -66 -165
-1310 2 -124 -130 -208 -65 -62 -103 -23 -172
F G G E G G F F F G F G
-2397
-2661
G
-41
-12
-454
Natürlicher Saldo
Wanderungssaldo
Bewegungstyp nach Webb
1994-1996 (kumuliert) -275 -141 -654 -316 -55 -143 -191 -99 -85 -72 -175
-1241 526 6 -10 -165 66 69 -248 76 23
D G G D E F G E E G D E
-2251
-1067
F
-45
277
-Λ46
Ausnahme von Bad Wilsnack, und die amtsfreien Städte negative natürliche Salden sowie Wanderungsverluste aufwiesen. Im vier Ämtern und der Stadt Perleberg trugen vorrangig Sterbeüberschüsse zur ungünstigen Gesamtentwicklung bei (Typ F), in den anderen Ämtern sowie in Wittenberge und Pritzwalk dominierten die WanderungsVerluste (Typ G).
Bevölkerungsprozesse und -potenziale im ländlich peripheren Raum
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Seit 1994 hat sich das Bild wesentlich verändert. Nur noch drei Amtsbereiche sowie Pritzwalk und Wittenberge verlieren Einwohner aufgrund der Zugehörigkeit zum Typ F bzw. Typ G. Im Amt Bad Wilsnack/Weisen hielten die Wanderungsgewinne an. Dabei profitierten die amtangehörigen Gemeinden vor allem durch Zuzüge aus dem nahegelegenen Wittenberge. In Perleberg und im Amt Putlitz-Berge blieb die Einwohnerzahl nahezu konstant, da Wanderungsgewinne die Sterbeüberschüsse kompensierten. Die übrigen Amtsbereiche registrierten zwar Wanderungsgewinne, diese konnten die Sterbeüberschüsse aber nur zwischen 11 % und 70 % ausgleichen (Typ E - Groß Pankow/Prignitz bzw. Meyenburg). Altersstruktur Die Relation zwischen den Hauptaltersgruppen der Bevölkerung hat sich zuungunsten des Kinderanteils verändert (Abb. 2). So reduzierte sich der Anteil der unter 15jährigen an der Gesamtbevölkerung im Zeitraum 1990 bis 1996 um knapp vier Prozent. Er beträgt nur noch 16,2% und liegt damit nur noch leicht über dem Bundesdurchschnitt. Eine Folge dieser Entwicklung ist die Schließung von infrastrukturellen Einrichtungen wie Kindertagesstätten. Allein in den 43 Gemeinden der Ämter
Abb. 2: Altersgliederung in ausgewählten Gemeinden des Landkreises Prignitz: Ämter Groß-Pankow/Prignitz, Karstädt und Putlitz-Berge
Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik.
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Elke Goltz
Karstädt, Groß Pankow und Putlitz-Berge betraf es bis zum Jahresende 1997 18 Kindergärten. Inzwischen hat der „Geburtenknick" der Wende die Schulen erreicht. Im Schuljahr 1997/98 konnten erstmals Grundschulen keine erste Klasse mehr eröffnen. Spätestens im Jahr 2001 werden diese Schulen schließen, denn die Gesetzgebung sieht eine Aufrechterhaltung des Unterrichtsbetriebs nur solange vor, wie mindestens drei aufeinanderfolgende Klassenstufen von Kindern die Einrichtung besuchen. Mit 40,0 Jahren 5 waren die Prignitzer 1995 im Durchschnitt fast ein Jahr älter als die Einwohner Brandenburgs im Landesmittel (39,3 Jahre). Nach der Stadt Brandenburg sowie den Landkreisen Dahme-Spree und Elbe-Elster ist das der dritthöchste Altersdurchschnitt im Bundesland. Gerade kleine Dörfer sind erheblich überaltert. Häufig leben nur noch alleinstehende ältere Leute - meistens Frauen - in den Häusern und Höfen. Es ist fraglich, ob diese Grundstücke auch langfristig bewohnt bleiben. 3. Wirtschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umbruchs Die gravierendsten Veränderungen, mit denen sich die Menschen in den neuen Bundesländern nach 1989 auseinandersetzen mussten, betrafen ihr berufliches und soziales Umfeld. Die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen prägen seitdem nachhaltig die Beschäfitigungs- und Arbeitsmarktsituation. Zufriedenheit mit den individuellen Lebensverhältnissen ist eng an das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes gekoppelt. Langfristige Freisetzungen vom ersten Arbeitsmarkt fuhren bei vielen Menschen nicht nur zu finanziellen Engpässen, sondern beeinträchtigen auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen und ihrer Familien. Wirtschaftsstruktur Der wirtschaftsstrukturelle Wandel im Kreis war mit extremem Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen verbunden. Insgesamt reduzierte sich die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Landkreis Prignitz von ca. 45 500 im Jahr 19906 auf29 323 (1997) (Tab. 3). In Wittenberge gingen fast 6 000 industrielle Arbeitsplätze durch die Schließung des Nähmaschinen-, des Zellstoff- und Zellwollewerkes sowie der Ölmühle verloren. Nur das Reichsbahnausbesserungswerk wurde von der Deutschen Bahn AG übernommen und beschäftigt etwa 950 Arbeitskräfte 7. Größere Betriebe existieren u.a. noch in Pritzwalk 5
Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik/Landesumweltamt Brandenburg ( 1997): Bevölkerungsprognose fur das Land Brandenburg. 6 Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, Gebietsstand 31.12.1990, Daten der Altkreise Pritzwalk und Perleberg. 7
Vgl. Toth, G. (1996), S. 44.
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(Zahnradwerk, ca. 200 Arbeitskräfte), in Meyenburg (Möbelwerk, etwa 350 Arbeitskräfte), in Dallmin (Stärkefabrik, ca. 80 Beschäftigte) oder in Wolfshagen (Betrieb für Draht- und Metallverarbeitung, ca. 30 Arbeitskräfte). Auf dem Gelände des ehemaligen Fliesenwerkes in Karstädt entstand ein neuer Betrieb zur Herstellung von Dachkeramik mit ca. 100 Arbeitskräften. Dem massiven Abbau von Arbeitsplätzen wurde bisher nicht ausreichend begegnet. Die Ansiedlung von Unternehmen des produzierenden Handwerks wirkte nur teilweise kompensierend. Vorrangig sind Klein- und Kleinstbetriebe mit weniger als fünf Beschäftigten entstanden. Durch hohe Außenstände bedingt, verfügen diese Betriebe nur über eine geringe Kapitaldecke. Bei konjunkturellen Schwankungen sind sie stark existenzgefahrdet, was sich insbesondere in der hohen, im Vergleich mit den angrenzenden Landkreisen aber durchschnittlichen Anzahl von Abmeldungen von Handwerksbetrieben ablesen ließ. Stabiler gestaltete sich die Situation bei mittelständischen Unternehmen des Bergbaus und Verarbeitenden Gewerbes mit 20 und mehr Beschäftigten. Im Zeitraum 1994 bis 1996 erhöhte sich sowohl die Anzahl der Betriebe als auch die der Beschäftigten. Die Betriebe erzielten vergleichbar hohe Steigerungsraten beim Gesamtumsatz (42 %) wie in den Nachbarkreisen ansässige Unternehmen. In der Land- und Forstwirtschaft arbeiteten 1997 rund 2 300 Menschen. Wie im gesamten Land Brandenburg, hat sich die Anzahl der Beschäftigten in diesem Wirtschaftssektor gegenüber 1989 auf weniger als ein Fünftel reduziert. Von den 1996 im Kreis tätigen 749 Landwirtschaftsbetrieben waren ca. 75 % Familienbetriebe im Haupt- und Nebenerwerb, 10 % Gesellschaften bürgerlichen Rechts sowie 15% eingetragene Genossenschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Nicht selten sind die Nachfolgeeinrichtungen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften die größten Arbeitgeber in den Dörfern. Die veränderten Wettbewerbsbedingungen und Absatzchancen sowie die Richtlinien der Europäischen Union führten zu Umstrukturierungen in den Anbaukulturen (Flächenstilllegungen, Rückgang des Kartoffelanbaus, Aufstockung der Anbauflächen für Raps und andere Ölsaaten) und in der Tierhaltung (vor allem drastische Reduzierung der Schweinehaltung). Trotzdem prägt die landwirtschaftliche Produktion nach wie vor das Landschaftsbild. Derzeit werden 68 % der Gesamtfläche des Kreises landwirtschaftlich genutzt, ein Wert, der teilweise deutlich über denen der ebenfalls agrarisch geprägten angrenzenden Landkreise liegt. Bezüglich der pro Betrieb genutzten landwirtschaftlichen Fläche zeigt sich eine deutliche Konzentration auf Großbetriebe (ab 100 ha), denn 93 % der Fläche werden durch ca. ein Drittel der Unternehmen bewirtschaftet. Von diesen wiederum nutzen lediglich 35 % jeweils mehr als 500 ha, insgesamt aber 69 % der Gesamtfläche. Bei den Klein- und Mittelbetrieben, deren Anzahl seit 1996 leicht rückläufig ist, dominieren Unternehmen mit bis zu 10 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Damit entsprechen die Eigentumsverhältnisse und Größenklassen
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der Betriebe in der Land- und Forstwirtschaft etwa denen in den angrenzenden Landkreisen der neuen Bundesländer. In ihnen spiegeln sich die im Rahmen des gesellschaftlichen Umbruchs erfolgten Veränderungen (insbesondere die Gründung von Agrargenossenschaften als Nachfolgeeinrichtungen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Einrichtung von Familienbetrieben, Wiedereinrichter) deutlich wider. Die landwirtschaftlichen Unternehmen erfahren über eine Reihe von Förderprogrammen finanzielle Unterstützung, wobei diese zu großen Teilen in Form von Allgemeinen Ausgleichszahlungen und solche für benachteiligte Gebiete aufgrund der EU-Richtlinien bewilligt werden. 1997 beliefen sich diese Zahlungen auf rund 93 Mio. DM. Damit erhielt die Prignitz knapp 1/11 aller über das Land Brandenburg zur Verfügung gestellten Mittel. Dennoch darf die Bedeutung der Landwirtschaft als Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber auch in der Prignitz nicht überschätzt werden. Die Größenordnung der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist gemessen am Erwerbspersonenpotenzial sehr gering. Um konkurrenzfähig zu sein, werden die Unternehmen weiter rationalisieren müssen, was in der Regel mit einem Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist. Bestenfalls wird die Anzahl der Beschäftigten stagnieren. Beschäftigtenstruktur Ein unmittelbares Ergebnis der vorab geschilderten Entwicklung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen ist eine modifizierte Beschäftigungsstruktur. Zum einen veränderten sich die Anteile der Beschäftigten in den einzelnen Branchen zugunsten derer des sekundären Wirtschaftssektors (insbesondere durch Zuwachsraten im Verarbeitenden Gewerbe), zum anderen in der Art der Beschäftigungsverhältnisse. Die größte Gruppe der wirtschaftlich tätigen Bevölkerung bilden die Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (1994: 84,5%). Aufgrund der Tatsache, dass von 1994 bis 1996 gemessen am Jahresdurchschnitt 5,4% dieser Beschäftigungsverhältnisse abgebaut wurden, im gleichen Zeitraum die Anzahl aller Erwerbstätigen aber nahezu konstant blieb, reduzierte sich ihr Anteil auf 80,9 %. Es ist davon auszugehen, dass dies hauptsächlich auf eine gewachsene Zahl von Selbstständigen und/oder Mithelfenden Familienangehörigen zurückzufuhren ist, denn es erfolgten z.B. keine Verbeamtungen in relevanten Größenordnungen. Denkbar ist aber auch eine Zunahme einkommensteuerfreier Beschäftigungsverhältnisse. Detailliertere Statistiken dazu liegen nicht vor. Die formulierten Aussagen basieren auf Analysen der Gewerbean- und -abmeldungen, den Berichterstattungen der Industrie- und Handelskammer bzw. der Handwerkskammer und gehen von einer weitgehenden Äquivalenz der Entwicklung mit landesund bundesweiten Trends aus.
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Tabelle 3 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Arbeitsortprinzip) im Landkreis Prignitz nach Wirtschaftszweigen 1993 bis 1997 Wirtschaftszweig
Land- und Forstwirtschaft, Tierhaltung und Fischerei Energiewirtschaft, Wasserversorgung, Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Baugewerbe Handel Verkehr, Nachrichtenübermittlung Kreditinstitute, Versicherungsgewerbe Dienstleistungen von Unternehmen Organisationen ohne Erwerbszweck und private Haushalte Gebietskörperschaften und Sozialversicherung Ohne Angaben Insgesamt
1993 1 1995 1J 1997 Entwick- 1993 1995 1 1997 Beschäftigte am 30.6. lung 1993- Anteil des Wirt1997 i n % schaftszweiges in % 3 153
2 576
2255
-28,5
10,2
8,0
7,7
121
173
207
71,1
0,4
0,5
0,7
4413 3 400 3 426 4417 524 5 421 888
4 833 4170 3 797 3 948 533 7249 1065
5 107 4068 3 228 3 249 493 6676 1257
15,7 19,6 -5,8 -26,4 -5,9 23,2 41,6
14,2 11,0 11,1 14,3
17,4 13,9 11,0
1,7 17,5 2,9
15,0 13,0 11,8 12,3 1,7 22,5 3,3
11,1 1,7 22,8 4,3
5 141
3814
2 783
16,6
11,9
9,5
89
1
0,3
0,0
-
-
-
30 993 32159 29 323
-5,4
100,0 100,0 100,0
Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik.
Im Ergebnis natürlicher und räumlicher Bevölkerungsbewegungen der Prignitzer ist die Anzahl der Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (d.h. von 15 bis unter 60/65 Jahren - Frauen/Männer) von 1994 bis 1996 leicht gesunken (-1,7 %) 8 . Gleichzeitig reduzierte sich auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Wohnbevölkerung, letztere jedoch um 3,0 % 9 und damit stärker als es aufgrund der genannten Prozesse hätte erfolgen dürfen. Daneben verlief die Entwicklung der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort in der Prignitz ungünstiger als in angrenzenden Landkreisen. Dies ist insbesondere auf den überdurchschnittlichen Abbau von Arbeitsplätzen in dienstleistenden Bereichen sowie in der Landwirtschaft zurückzuführen. Im Verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe hingegen blieben die Zuwachsraten an Beschäftigten hinter denen im nördlichen und östlichen Umland (Kreis Ostprignitz-Ruppin, Parchim und Müntz in Mecklenburg-Vorpommern) zurück. Daher verschärfte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt im Landkreis Prignitz erheblich.
8
Stand jeweils 31.12. des Jahres.
9
Stand jeweils 30.6. des Jahres.
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Arbeitsmarkt Die Anzahl der Arbeitslosen schwankt stark im jahreszeitlichen Rhythmus, mit geringeren Werten in den Sommer- und höheren in den Wintermonaten. Die Ursachen dafür liegen im Wesentlichen in der saisonalen Beschäftigung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft und im Baugewerbe. Das Wirken von arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien (Vermittlung in ABM, in Strukturmaßnahmen im Rahmen der produktiven Arbeitsförderung oder in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen) lässt die Situation auf dem Arbeitsmarkt nur kurzfristig günstiger erscheinen. Der merkliche Rückgang von Arbeitslosen im ersten Halbjahr 1998 ist hauptsächlich darauf zurückzuführen.
Arbeitslose 12000 -
10000 8000 6000 4000 2000 -
J FMAMJ J A S O N D J FMAMJ J A S O N D J FMAMJ J A S O N D J FMAMJ J A S O N D J
1994
1995
1996
1997
FMAMJ
1998
Quelle: Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg, Statistische Mitteilungen.
Abb. 3: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Landkreis Prignitz, Januar 1994 bis Juni 1998
Wird bei der Bewertung des Arbeitsmarktes zusätzlich berücksichtigt, dass je nach regionalem Zuschnitt etwa 5 bis 10 % der Erwerbsfähigen lediglich auf dem zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt sind, 1 0 dann unterstreicht das die äußerst unbefriedigende Lage auf dem Arbeitsmarkt noch deutlicher. Während sich auf Landkreisebene die regionalen Unterschiede häufig nivellieren, treten diese bei Vergleichen auf Dienststellenebene (Tab. 4) stärker hervor. In der Entwicklung von Januar 1995 bis Dezember 1997 wies Nauen mit Abstand die geringsten, Rathe10
I m Arbeitsamtsbezirk Neuruppin 7,4 % im Juni 1998.
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Tabelle 4 Durchschnittlicher Bestand an Arbeitslosen 1995 bis 1997 Landkreis
Dienst- Durch schnittli eher Beistand a:η Arbeitslosen stelle iiisgesanit darunt er Frauien (%) Arbeitsamt
Prignitz
Perleberg Pritzwalk
1995
1996
1997
Durehschnittliche jährliiche Ari?eitslosenquote in% 1995 1996 1997
6094 6061 7 039 65.0 2037 2 332 3 096 61.1
58,5 57,2
57,7 56,5
18,3 15,8
18,7 18,7
22,1 24,6
Ostprignitz-Ruppin Kyritz 1713 1965 2521 62,9 Neuruppin 4184 4653 5 585 62,7 Wittstock 1818 2132 2560 66,7
57,9 58.3 61.4
56,6 59,3 60,6
13,8 14.8 16.9
16,2 16,4 20,3
21,1 19,3 24,0
54,0 61,0
53,8 59,8
10,8 20,0
12,5 22,0
14,8 26,0
1995
Havelland
Nauen Rathenow
1996
1997
3 535 4133 5 003 61,7 5 352 5 720 6756 66,4
Tabelle 5 Arbeitslose im Landkreis Prignitz nach Ämtern und amtsfreien Gemeinden am 30.9.1997 - Verhältniszahlen Amt/ amtsfreie Stadt
Ausgewählte arbeitslose Bevölkerungsgruppen Veränderung Arbeiter Ange- Frauen Jugendli- 55 Jahre Langzeitstellte che unter und älter arbeitslose 1996 bis über 1 Jahr 1997 25 Jahren um ... % Anteil an den Gesamtarbeitslosen in %
Perleberg, Stadt Pritzwalk, Stadt Wittenberge, Stadt Amt Bad Wilsnack/Weisen Amt Groß Pankow/Prignitz Amt Gumtow Amt Karstädt Amt Lenzen/Elbtalaue Amt Meyenburg Amt Plattenburg Amt Pritzwalk-Land Amt Putlitz-Berge
65,7 61,6 67,2 68,6 75,3 70,0 71,8 72,6 69,0 75,6 76,9 70,5
34,3 38,4 32,8 31,4 24,7 30,0 28,2 27,4 31,0 24,4 23,1 29,5
Landkreis insgesamt
68,8
31,2
60,0 58,0 58,1 59,6 64,8 61,4 66,9 63,3 60,4 63,5 57,4 63,9 60,4
11,2 11,1 8,9 11,9 10,2 7,3 10,1 7,9 12,3 12,1 12,7 9,5
21,0 16,9 27,8 23,2 15,6 14,8 16,9 16,6 17,8 18,3 11,2 16,4
32,0 33,7 41,7 30,8 29,6 39,1 34,3 30,8 40,9 30,1 34,9 39,8
31,7 38,0 16,4 39,6 45,7 6,5 28,8 34,0 20,6 22,7 21,9 33,8
10,2
20,2
36,0
26,2
now die höchsten Arbeitslosenraten auf. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Arbeitsplatzstrukturen (vor allem Anzahl der Betriebe und Beschäftigten) kommen Standortvorteile Berlin-naher und Standortnachteile Berlin-ferner Regionen zum Ausdruck. Überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind Frauen - unabhängig von ihrem Alter - und Männer über 45 Jahre. Mit zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit, schnell wieder in eine neue Tätigkeit vermittelt zu werden.
Elke Goltz
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Während bei den unter 30jährigen durchschnittlich nur jeder Fünfte länger als ein Jahr ohne Arbeit war, sind es bei den über 45jährigen 50%. Die Anzahl von Langzeitarbeitslosen differiert zwischen den einzelnen Amtsbereichen und den Städten (siehe Tab. 5). Besonders hoch ist der Anteil in Wittenberge (41,7%) 1 1 und im Amt Meyenburg (40,9 %), relativ niedrig in Groß Pankow und in Perleberg (26,6% bzw. 32,0%). Der Anteil arbeitsloser Frauen schwankte in den vergangenen Jahren zwischen 55 und 65 %. Ein saisonal bedingtes Ansteigen dieses Wertes ist in der Regel nicht auf neu geschaffene Arbeitsplätze zurückzuführen, sondern lediglich darauf, dass in einem bestimmten Zeitraum überproportional Arbeitsplätze für Männer, etwa in der Baubranche, verloren gingen. Der Anteil arbeitsloser Frauen in den Amtsbereichen des Landkreises ist im 19 Durchschnitt höher als in den Städten, mit 66,9 % besonders im Amt Karstädt . Eine Ursache dafür dürfte darin liegen, dass gerade in den Dörfern viele Frauen unmittelbar am Wohnort in der Landwirtschaft arbeiteten. Daher bestand für sie kaum die Notwendigkeit, räumlich mobil zu sein. Erst der Wegbruch der Erwerbsmöglichkeiten am Wohnort oder in der Nachbargemeinde stellte sie vor dieses Problem. Obwohl inzwischen viele Frauen diese Mobilität besitzen, da sie den Führerschein erwarben, können sie davon selten profitieren. Noch verfugen die meisten Haushalte lediglich über ein Kraftfahrzeug. Das nutzt dann der Mann für seinen Arbeitsweg. Im Verlauf des wirtschaftsstrukturellen Wandels nach 1989 wurden in der Prignitz zwischen 10 000 und 12 000 landwirtschaftlicher und etwa 6 000 industrieller Arbeitsplätze abgebaut. Trotz sozialverträglicher Lösungen für eine Reihe von Betroffenen (z.B. vorzeitiger Ruhestand) drangen massiv Beschäftigte dieser Branchen auf den Arbeitsmarkt. Dementsprechend gestaltet sich das Bild der Arbeitslosen nach ihrer Berufsgruppenzugehörigkeit. Eine Problemgruppe stellen die aus der Landwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte dar, die mit ca. 14 % (Dezember 1997) den größten Anteil an den Arbeitslosen bilden. Dabei handelt es sich vielfach um Personen mit unzureichender Qualifikation und fehlender räumlicher Mobilität. Oft mangelt es an Bereitschaft, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Für solche Personen bietet der heutige Arbeitsmarkt kaum noch Beschäftigungsmöglichkeiten. Eine Einbindung in AB-Maßnahmen entlastet den Arbeitsmarkt nur kurzzeitig und verzögert in der Regel lediglich den Gang der Betroffenen zum Sozialamt. Ebenfalls zweistellig ist der Anteil Arbeitsloser in Verwaltungs- und Büroberufen (11,8%). Möglicherweise sind unter ihnen auch eine Reihe ehemals in 11 12
Stand 30.9.1997. Stand September 1997.
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der Landwirtschaft Beschäftigter, die nach der Wende eine Umschulung durchlaufen haben, aber danach keine Arbeit finden konnten. Obwohl das Produzierende Gewerbe sowie das Baugewerbe allgemein Zuwachsraten an Beschäftigten verzeichneten, sind aus bestimmten Branchen dieses Wirtschaftszweiges besonders viele Arbeitslose registriert. Das betrifft insbesondere Schlosser und Mechaniker (6,9%) sowie Ernährungs- und verschiedene Bauberufe (6,6 % bzw. 8,6 %). Bei den Dienstleistungsberufen stellen Verkäufer und Reinigungskräfte die größte Gruppe der Arbeitslosen dar. 4. Soziale Aspekte des gesellschaftlichen Umbruchs Zufriedenheit ländlicher Bevölkerung mit ihren Lebensverhältnissen Veränderungen der individuellen Lebensverhältnisse Ergebnisse einer Befragung Die Komplexität des gesamtgesellschaftlichen Wandels nach der Wende ließ erwarten, dass sich das Alltagsleben der Menschen in den neuen Bundesländern wesentlich verändern würde. Daraus leiteten sich die Inhalte einer sozialgeographisch orientierten Forschungsarbeit ab, in der die Befragung von Einwohnern des Landkreises Prignitz zu ihren individuellen Erfahrungen nach der Wende eine zentrale Stelle einnahm. Die Möglichkeiten des materiellen Konsums in bisher nicht erreichbaren Dimensionen sowie die Nutzung neu gewonnener Freiheiten, wie z.B. uneingeschränkt reisen zu können, gehörten für viele DDR-Bürger sicher zu den nachhaltigsten Eindrücken, die sie mit der Öffnung der Grenze im November 1989 verbanden. Im Prozess der Neugestaltung der Lebensumstände relativieren sich diese Werte jedoch. In den Vordergrund der Betrachtung rücken vielmehr Dinge, die zur Bewältigung des täglichen Lebens von Bedeutung sind. Die folgenden Fragestellungen dienten daher als Leitfaden der Untersuchung: • Wie beeinflussten die Ereignisse der Wende im Einzelnen den Alltag der Menschen in der Prignitz, wie werden Grunddaseinsfunktionen des Arbeitens, Wohnens oder sich Versorgens fortan verwirklicht? • Inwieweit veränderten sich Lebensverhältnisse, Wertvorstellungen und Verhaltensmuster? Bilden sich eigenständige, neue Werte heraus oder werden Vorbilder aus den alten Bundesländern übernommen? Wie vielgestaltig sind diese Veränderungen und werden sie alters-, berufs- oder geschlechtsspezifisch reflektiert? • Welche Auswirkungen hat der wirtschaftliche und soziale Wandel auf die räumliche Mobilität der Bevölkerung und lassen sich diesbezüglich Räume unterschiedlicher Qualität abgrenzen? Welche Qualitäten bestimmen dabei die Entwicklung der Prignitz und die ihrer Einwohner?
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• Wie gestaltet sich das Zusammenleben in dörflichen Gemeinschaften nach der Wende? Löst die zunehmende Individualisierung und soziale Segregation die traditionelle, durch familiäre, nachbarschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen geprägte Dorfgemeinschaft allmählich auf? Mit der Aufnahme dieser Einschätzungen, Wahrnehmungen und Empfindungen verband sich vor allem der Anspruch, den Umfang und die Tragweite des gesellschaftlichen Wandels mit seinen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse ländlicher Bevölkerung zu dokumentieren. Als engeres Untersuchungsgebiet wurden die Gemeinden der Ämter Groß Pankow, Karstädt und Putlitz-Berge ausgewählt. In den 43 Gemeinden wohnten Ende 1997 gut 19 000 Menschen, überwiegend in dörflichen Siedlungen mit weniger als 500 Einwohnern. Karstädt ist mit ca. 3 300 Einwohnern die größte, Hülsebeck im Amt Putlitz-Berge mit 94 Einwohnern die kleinste Gemeinde. Als einzige Gemeinde besitzt Putlitz Stadtrecht. Zwischen Mai und Juli 1996 wurden insgesamt 571 volljährige Einwohner befragt. Das entspricht einem Anteil von 2,9 % an der Gesamtbevölkerung. Die Bestimmung der zu befragenden Personen erfolgte als systematische Zufallsauswahl (Kromrey 1994) durch Aufsuchen von Haushalten in ausgewählten Ein- oder Mehrfamilienhäusern regelmäßiger Anordnung entlang der Ortsstraßen. Die Größenordnung der pro Gemeinde zu befragenden Personen richtete sich nach deren Einwohnerzahl. Sie lag im Minimum bei drei (z.B. Gemeinde Hülsebeck), im Maximum bei 101 (Gemeinde Karstädt). Einige Ergebnisse werden nachfolgend vorgestellt. Von entscheidender Bedeutung bei der Beurteilung der individuellen Lebensverhältnisse war das Kriterium Arbeitslosigkeit. Die Befragung ergab, dass lediglich 22 % der 1989 erwerbstätigen Bevölkerung die Wendeereignisse „unbeschadet" überstanden haben, d.h. weder arbeitslos wurden noch den Arbeitsplatz und/ oder den Arbeitsort wechseln brauchten. 16 % konnten unmittelbar eine andere Tätigkeit aufnehmen, gut ein Zehntel nutzte die Möglichkeit des Vorruhestandes bzw. ging in Rente. Alle anderen, davon überproportional viele Frauen, mussten zumindest zeitweilig Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit sammeln. Inwieweit der Faktor Arbeitslosigkeit die Einschätzung der persönlichen Lage beeinflusste, geht aus Abb. 4 hervor. Fast die Hälfte der nicht von Arbeitslosigkeit Betroffenen war zum Zeitpunkt der Befragung zufriedener als vor 1989. Von den zeitweilig bzw. dauerhaft Arbeitslosen kam nur ein Viertel zu dieser Einschätzung. Es fiel auf, dass betroffene Männer offensichtlich sensibler auf den Verlust des Arbeitsplatzes reagierten. Im Vergleich zu betroffenen Frauen beurteilten sie ihre individuelle Situation überproportional häufig als schlechter. Es ist anzunehmen, dass dieses Ergebnis daraus resultiert, dass sich Frauen in Zeiten ihrer Arbeitslosigkeit eher im Bereich der Familie und des Haushaltes engagieren und darin zwar keine
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* Bei 15 Befragten waren die Angaben zum Verlauf der Beschäftigung unvollständig. * * Einschließlich 21 Befragter im Vorruhestand/Altersübergang (es wird angenommen, dass sie ohne diese Regelungen erwerbslos wären). Quelle: E. Goltz, 1996, eigene Erhebung.
Abb. 4: Wirkung des Faktors Arbeitslosigkeit auf die Bewertung individueller Lebensverhältnisse ausschließlich anzustrebende, aber sinnvolle Tätigkeit sehen. Zudem beurteilten sie ihre persönliche Lage weniger problematisch, wenn „wenigstens einer in der Familie (also dann der Mann) Arbeit hat". Männer hingegen führten ihre Arbeitslosigkeit oft auf persönliches Versagen zurück und äußerten sich dahingehend, dass sie mit dem Problem schwieriger umgehen könnten. Rund 40 % aller Befragten bewerteten ihre persönliche Situation als weitgehend unverändert. Zu diesem Ergebnis kam die Mehrzahl der Probanden durch das gegeneinander Aufwiegen von Vor- und Nachteilen der neuen gesellschaftlichen Bedingungen. Als Vorteile wurden der materielle Konsum oder das Reisen genannt, jedoch mit der Einschränkung, dass dafür finanzielle Spielräume vorhanden sein müssen. Gerade diese Spielräume sind von Arbeitslosigkeit Betroffenen nicht gegeben. Die Garantie des Arbeitsplatzes und sozialer Sicherheit wurde zunehmend als Vorzug des alten Systems betrachtet. Die allgemeine Versorgungssituation im eigenen Dorf bzw. in der Region spielte bei der Bewertung der persönlichen Lage nur eine untergeordnete Rolle. An geschlossene Verkaufstellen haben sich die Einwohner kleiner Gemeinden gewöhnt. Die Grundversorgung in den meisten Orten erfolgt durch mobile Händler. Dies ist besonders für ältere Menschen von Bedeutung, die kaum noch räumlich beweglich sind und nicht durch Familienangehörige versorgt werden. Obwohl sie der Preispolitik der Händler ausgesetzt sind, nehmen sie - wie die Befragung zeigte - die Angebote gern in Anspruch. Inzwischen ersetzt das Bäckeroder Fleischerauto den früheren Kommunikationspunkt Konsum oder Verkaufs-
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Elke Goltz
stelle. Gerade bei schönem Wetter treffen sich die Leute schon lange vorher, um gemeinsam auf das Fahrzeug zu warten. Dabei können gleichzeitig die neuesten Nachrichten ausgetauscht werden. Unmittelbar nach der Wende gab es großen Unmut über die Schließung örtlicher Einrichtungen wie Verkaufsstellen und der Post. Am deutlichsten artikulierten dies Einwohner von Dörfern, die in der DDR eine gewisse Versorgungsfunktion für ihr Umland ausübten. Der Abbau von Dienstleistungen, die bisher direkt im Ort in Anspruch genommen werden konnten, zwang zur Umorientierung und bedeutete anfänglich einen erheblichen Verlust an Lebensqualität. Inzwischen sind solche Anpassungsprozesse abgeschlossen. Die Einwohner empfinden das Fehlen örtlich vernetzter Einrichtungen kaum noch als Mangel. Zwar müssen zur Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs sowie Dienstleistungen weitere Wege zurückgelegt werden, aber der Anstieg privaten Fahrzeugbesitzes sorgt gleichzeitig für eine höhere räumliche Mobilität. Da zudem keine Engpässe mehr bestehen, wird dem Versorgen - im Vergleich zu früher - eine eher untergeordnete Bedeutung zugemessen. Es ist nicht mehr entscheidend, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung erworben werden kann oder nicht, vielmehr bestimmen Vorstellungen über Preis und Qualität das Einkaufsverhalten. Insbesondere Ältere und Befragte, die nicht in Besitz eines Führerscheins waren, empfanden die unzureichenden Anschlüsse an den Öffentlichen Personennahverkehr als Einschränkung der Lebensqualität. Das Angebot hat sich durch Liniennetzkürzungen, Fahrplanausdünnung oder Stilllegung von Bahnhöfen wesentlich reduziert, und selbst das Erreichen des Amtssitzes oder der Kreisstadt ist nicht mehr problemlos möglich. Durch die Schließung infrastruktureller Einrichtungen erleiden die Dörfer einen Funktionsverlust, der nachhaltig deren Image beeinträchtigt. Daher ist es ureigenes Interesse der Kommunen, diesem Funktionsverlust entgegenzuwirken. Leider wird der Handlungsspielraum der Gemeinden vor allem durch die finanziellen Rahmenbedingungen sehr begrenzt und ständig weiter eingeengt. Die sich verschlechternde finanzielle Situation macht es den Kommunen immer schwerer, die ihnen übertragenen Pflichtaufgaben zu erfüllen. Fast 90 % ihrer Einnahmen fuhren die Kommunen als Umlagen an den Kreis bzw. an das Amt ab. Zu den erfreulichen Elementen der Regionalentwicklung gehört das Bestreben vieler Gemeinden, örtliche Traditionen wiederzubeleben. Durch die Gründung von Vereinen oder Interessengemeinschaften entstanden Strukturen neu zur Organisation des Gemeinschaftslebens, wurden alte abgelöst oder bereits bestehende ergänzt.
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Wandel und Persistenz sozialer Beziehungen Mit dem gesellschaftlichen Wandel veränderte sich auch das Gefüge sozialer Beziehungen in den Dörfern. Auf die Frage, ob sich das Zusammenleben in ihrem Wohnort nach 1989 wesentlich verändert hat, antworteten 44,7 % aller Befragten mit ja im Sinne einer Verschlechterung der Lage. Nicht selten verbindet sich diese Einschätzung mit der Befürchtung, dass sich die Verhältnisse allmählich denen in den alten Bundesländern annähern, „wo keiner mehr den anderen grüßt, und man sich am liebsten aus dem Weg geht". Dabei wird allerdings ein Klischee bedient, das mit Sicherheit nicht für alle Regionen der alten Bundesländer zutrifft. Dem stehen 38,0% gegenüber, die keine wesentlichen Veränderungen registrieren konnten und das Verhältnis untereinander weiterhin als gut bewerten. Die Ursachen für diese unterschiedlichen Bewertungen sind sehr vielfältig. Zunächst ist die veränderte Arbeitsmarktlage anzuführen. Während vor 1989 fast alle Beschäftigten eines Ortes zusammen in einer LPG oder einem ortsansässigen Betrieb arbeiteten, gehen heute die Arbeitswege weit auseinander. In der DDR waren die Genossenschaft bzw. der damalige Betrieb nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Träger wesentlicher Bereiche des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens in den Gemeinden. Daraus wuchsen weitreichende soziale Bindungen, die über den Arbeitsalltag hinausgingen und das Zusammenleben in den Orten prägten. So wurden investive Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse, vor allem im Wohnungs-, aber auch Straßen- und Wegebau von ihnen getätigt, erwirtschaftete Gelder flössen in die Instand- und Werterhaltung von sozialen oder kulturellen Einrichtungen. Diese Strukturen sind nach der Wende fast völlig weggebrochen. Das führte in der Regel dazu, dass sich Kontakte der Einwohner untereinander reduzierten. Viele Berufstätige pendeln inzwischen zum Arbeitsort. Zwar hat die Mehrzahl der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ihren Arbeitsplatz im Landkreis Prignitz 13 - davon etwas mehr als die Hälfte am Wohnort - aber ein Fünftel muss für den Arbeitsweg weite Entfernungen überwinden. Zudem erwarten die Arbeitgeber ein hohes persönliches Engagement und zeitliche Flexibilität ihrer Angestellten. Da bleibt nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag kaum noch Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Auch sorgen unterschiedliche Einkommensverhältnisse für ein soziales Gefalle innerhalb des Ortes. Ist damit das Ende des Dorfgemeinschaftslebens vorprogrammiert, oder können neue Organisationsformen zumindest einen Teil verloren geganger Strukturen, vor allem im sozial-kulturellen Bereich, reaktivieren oder neue Wege zu deren Realisierung finden? Sie können es. Nach anfänglicher Orientierungslosigkeit herrscht in vielen Gemeinden ein starkes Bestreben, alte Traditionen wieder in
13
8 0 % im März 1997.
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Elke Goltz
Erinnerung zu bringen. Damit werden dem Gemeinschaftsleben neue Impulse verliehen und das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder gestärkt. Große Potenziale dazu sind vorhanden. Das zeigte sich vor allem darin, dass 77,2 % aller Befragten das Verhältnis zu ihren Nachbarn als gut einschätzen. Nachbarschaftshilfe ist für die meisten (73,6 %) nach wie vor selbstverständlich und damit fester Bestandteil sozialer Strukturen auf dem Land. Trotzdem lassen sich Tendenzen des „Auseinanderlebens" in den Dörfern nicht ganz von der Hand weisen. Worin diese im Einzelnen zum Ausdruck kamen, zeigt Tab. 6: Tabelle 6 Bitte geben Sie an, ob die folgenden Aussagen für Ihren Wohnort zutreffen." Ja, das trifft zu
Von den 571 Befragten meinten
Das trifft z.T. zu
Das trifft nicht zu
(Angaben in %)*
Seit der Wende
haben sich viele Leute zurückgezogen. gehen sich die Einwohner aus dem Weg. denkt jeder nur noch an sich.
41,5 8,2 35,2
24,2 18,0 34,0
27,7 68,5 25,0
gibt es kaum noch gemeinsame Interessen. gibt es soziale Spannungen im Ort. gibt es untereinander Neid und Misstrauen.
18,6 32,0 39,9
25,6 19,1 21,7
43,6 36,1 28,6
* Differenz zu 100,0 % = keine Bewertung vorgenommen. Quelle: E. Goltz - eigene Erhebung (1996).
Anstelle der vorrangig landwirtschaftlichen Großbetriebe tragen nunmehr die Gemeindevertretung, die Freiwillige Feuerwehr, die bereits etablierten oder neu gegründeten Vereine und Verbände, aber auch die Kirche verstärkt Verantwortung bei der Organisation des soziokulturellen Lebens in den Dörfern. Im Untersuchungsgebiet wurden nach 1989 ca. 25 neue Vereine gegründet. Die Angebote der Sport-, Kultur- oder Bürgervereine sind dabei sehr vielfältig und sprechen unterschiedliche Nutzergruppen an. Weiterhin gibt es in fast jeder Gemeinde eine oder mehrere Interessengruppen, deren Mitglieder sich auch ohne feste Vereinsstrukturen regelmäßig zu gemeinsamen Unternehmungen zusammenfinden. Problematisch ist jedoch, dass viele der neu gegründeten Vereine von öffentlichen und privaten Zuschüssen abhängig sind, da ihnen die eigenen Finanzmittel fehlen. 5. Fazit und Ausblick Aufgrund ihrer agrarstrukturellen Prägung und der genannten Besonderheiten in der Siedlungs- und Bevölkerungsstruktur sind die ländlich peripheren Räume in den neuen Bundesländern vom Prozess des wirtschaftlichen und sozialen Wandels seit 1989 in besonderem Maße betroffen. Seinen Niederschlag findet dies vor
Bevölkerungsprozesse und -potenziale im ländlich peripheren R a u m 2 5 5
allem in einer stark rückläufigen Bevölkerungsentwicklung. Im Landkreis Prignitz nahm die Einwohnerzahl von 1988 bis 1997 um knapp 10% ab. Dieser Entwicklung lagen unterschiedliche und in ihrer Ausprägung variierende Prozesse der Bevölkerungsbewegung zugrunde. Während unmittelbar nach der Wende hauptsächlich Wanderungsverluste zu einem Rückgang an Bevölkerung führten, sind inzwischen Sterbeüberschüsse maßgeblich dafür verantwortlich. Die Entscheidung für Kinder ist wesentlich von Wertvorstellungen und dem sozialen Status der Eltern abhängig. Mit einem grundlegenden Anstieg der Geburtenzahlen ist in den kommenden Jahren nicht zu rechnen, auch wenn ein leichter Aufwärtstrend sichtbar ist und davon ausgegangen werden kann, dass eine Reihe von Geburten „nachgeholt" wird. Die Wanderungsbewegungen gestalten sich seit 1994 ausgeglichener. Dennoch werden nach wie vor mehr Fort- als Zuzüge registriert. Die Wegzugsbereitschaft ist gesunken. Für die aus den Untersuchungsgemeinden Befragten lässt sich das statistisch belegen. Nur 5,6% gaben an, ihren Wohnort mit Sicherheit verlassen zu wollen. Drei Viertel von ihnen waren jünger als 35 Jahre. Als Hauptmotive wurden das Zusammenziehen mit Familienangehörigen (einschließlich Lebenspartner/in) und die fehlende Aussicht auf Arbeit in der Region angeführt. Etwa die Hälfte von ihnen wollte jedoch im Landkreis verbleiben. Genauso häufig bestand die Absicht, an anderer Stelle ein Haus zu bauen sowie der Umstand, dass man sich allgemein hier nicht wohlfühlte. Weitere 5,8 % konnten sich vorstellen wegzuziehen, es lagen aber noch keine konkreten Pläne dafür vor. Die Mehrheit der befragten Einwohner (88,8 %) sah in ihrem derzeitigen Wohnort auch ihr zukünftiges Zuhause. Die stärkste ΒindungsWirkung hat der Fakt, Eigentum an Grund und Boden zu besitzen (323mal als Motiv genannt). Neben dem materiellen Wert hat das Eigentum auch ideelle Bedeutung. Das oft unter Mühen Aufgebaute („In diesem Haus steckt fast unser gesamtes Leben.") soll unter keinen Umständen aufgegeben werden. Ebenso erwächst aus der Tatsache, hier geboren bzw. aufgewachsen zu sein (32 % aller Befragten) und auf dem Lande leben zu wollen, eine tiefe Verbundenheit mit der Prignitz. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vom Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik und dem Landesumweltamt erstellte Prognose von einem dramatischen Rückgang an Bevölkerung im Landkreis Prignitz bis zum Jahre 2015 (um 28,0% auf 73 100 Einwohner) ausgeht. Dabei wurden insbesondere die demographische Entwicklung in den letzten Jahren sowie Erkenntnisse aus der Bauleitplanung und Untersuchungen zur künftigen Haushalts- und Wohnflächenbedarfsentwicklung bei den Berechnungen berücksichtigt. Bis zum Jahr 2015 wird sich das Durchschnittsalter der Einwohner des Kreises weiter erhöhen, und zwar schneller als im Landesmittel. Es soll dann bei 46,8 Jahren liegen (Landeswert 45,3). Der Anteil von Kindern unter 15 Jahre reduziert sich auf
256
Elke Goltz
12,3 %. Die Altersgruppe der über 65-jährigen wird 22,8 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Um der Prognose entgegenzuwirken, bedarf es zukünftig besserer Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt, und der Bevölkerung muss ein Mindestmaß an sozialer Infrastruktur weiter zur Verfügung stehen. Dazu ist eine spezifische Regionalpolitik erforderlich - eine Politik, die einerseits auf die Erhaltung des Status quo, andererseits auf Stärkung bzw. Ausbau regionaler Wirtschaftsstrukturen und -kreisläufe orientiert ist. Diesbezügliche Anstrengungen und Initiativen des privaten Sektors bzw. der Kommunen müssen auf regionaler und auf Landesebene vielfältige Unterstützung finden, vor allem durch entsprechende Förderung. Insbesondere in der Umsetzung integrierter Entwicklungskonzepte besteht die Chance, die vielfältigen Funktionen des ländlichen Raumes nachhaltig zu sichern und auszubauen. Ansätze dazu sind durchaus vorhanden, denn entgegen allen Befürchtungen konnten sich in der Prignitz eine Reihe landwirtschaftlicher Betriebe erfolgreich umstrukturieren, einige neu ansiedeln. Daneben entstanden viele kleine und einige mittelständische Unternehmen. Nach wie vor gehen aber vom Produzierenden Gewerbe zu wenig Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung in der Region aus, nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich vielfach um Klein- oder Kleinstbetriebe mit maximal fünf Beschäftigten handelt. Langfristig gesehen garantieren ortsansässige Unternehmen den Gemeinden aber regelmäßige Gewerbesteuereinnahmen, die dann auch für örtliche Belange zur Verfügung stehen. Dennoch werden die Einnahmen in Form von Gewerbesteuern nicht ausreichen, um die Gemeinden finanziell am Leben zu erhalten. Im Gegensatz zu Gemeinden aus dem Umland von Berlin, die einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen aus Gewerbesteuern erzielen, werden Kommunen des ländlich peripheren Brandenburgs daher weiter von Zuschüssen des Landes abhängig sein. Die Bevölkerung hat sich im Prozess des gesellschaftlichen Umbruchs insbesondere mit den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt auseinanderzusetzen. In den Befragungen wurde u.a. deutlich, dass es vielen Menschen noch schwer fällt, mit den veränderten Anforderungen des Alltags zurechtzukommen, sei es die erwartete Flexibilität und Mobilität im Berufsleben oder die auf mehr Eigenverantwortlichkeit orientierte Gestaltung der individuellen Lebensverhältnisse. Besonders Frauen empfinden die Zurückdrängung vom Arbeitsmarkt als Beschränkung ihrer Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Nach wie vor wollen die meisten Frauen berufstätig sein. Dies kam vor allem darin zum Ausdruck, dass der Arbeit, noch vor dem Wunsch nach einem harmonischen Familienleben, die größte Bedeutung beigemessen wurde. Die über Jahrzehnte gewachsenen sozialen Beziehungen und Strukturen in den Dorfgemeinschaften unterliegen zwar seit der Wende Veränderungen, sind aber
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noch weitgehend intakt und prägen nachhaltig das Zusammenleben. Trotzdem sind Tendenzen einer sozialen Polarisation nicht zu verhindern. Die Menschen haben individuell sehr unterschiedliche Erfahrungen im Zusammenhang mit der Wende sammeln müssen, fühlen sich als Gewinner oder Verlierer des gesellschaftlichen Wandels. Insbesondere ortsansässige Vereine bzw. Interessengruppen, aber auch die Kommunalvertretungen sind daher gefordert, sich dahingehend zu engagieren, dass soziale Kontakte innerhalb der Dorfgemeinschaft nicht vollständig abbrechen. Literatur Arbeitsamt Neuruppin (1997): Strukturbericht des Arbeitsamtbezirkes Neuruppin. Neuruppin, März 1997. Jähnke, P. u. K. Lompscher (1995): Sozioökonomischer Wandel in den dünn besiedelten Räumen Brandenburgs. In: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hrsg.): Perspektiven für den ländlichen Raum. Graue Reihe, Band 8. Berlin, S. 53-83. Kromrey, H. (1994): Empirische Sozialforschung. Opladen. Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik: Statistische Berichte, verschiedene Jahrgänge. Potsdam. Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik und Landesumweltamt (1997): Bevölkerungsprognose für das Land Brandenburg 1996-2015. Potsdam. Landesumweltamt Brandenburg (1996): Berlin-Brandenburg regional '96. Potsdam. Seier, G. u. T. Foelsch (1994): Die Prignitz. In: Bürgerinformation des Landkreises Prignitz. Perleberg. S. 14-15. Toth, G. (1996): Die Entwicklung des Industriestandortes Wittenberge. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt Sek I/II im Fach Geographie. Universität Potsdam. Webb, J. (1963): The Natural and Migrational Components of Population Changes in England and Wales, 1921 to 1931. Economic Geography 19, 1963, S. 131-148.
Aktuelle Tendenzen und Probleme des Wandels strukturarmer peripherer ländlicher Räume in den neuen Bundesländern Von Rosemarie Siebert
1. Einleitung Die peripheren strukturarmen ländlichen Räume im Norden der neuen Bundesländer tragen immer noch an der Hypothek einer monostrukturierten Wirtschaft vor 1989 und deren Folgen. Viele Probleme nach 1989 in diesen Regionen sind nicht nur Folgen der Transformation im Zuge der „Wende", sondern weisen weiter zurückliegende Entwicklungslinien auf, allerdings haben die Anpassungsprozesse an eine marktwirtschaftlich organisierte Wirtschaft tiefgreifende Veränderungen hervorgerufen, Probleme vertieft. Charakteristische Strukturelemente für diese Gebiete sind eine fast ausschließlich auf die Landwirtschaft ausgerichtete Wirtschaft, ein schwach ausgeprägter Dienstleistungsbereich, ein weit unterdurchschnittlicher Industrialisierungsgrad, eine ungenügende Infrastrukturausstattung, eine ungünstige Erreichbarkeit sowie eine geringe Bevölkerungsdichte. In vielen Regionen liegt die Bevölkerungsdichte unter 50 Einw./km 2 . 2. Strukturveränderungen in der Wirtschaft und im Erwerbsieben Den höchsten Erwerbstätigenanteil in der Landwirtschaft hatte 1989 Mecklenburg-^Vorpommern. Dort waren zum damaligen Zeitpunkt 20 % aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Entsprechend gering war der Anteil der Beschäftigten in der Industrie. Er betrug im Durchschnitt 25 %, in den ländlichen Gebieten sogar weniger als 10 % oder gar 5 %. Ähnlich war die Situation in Brandenburg: Dort gab es Landkreise, die einen Beschäftigtenanteil von mehr als 30 % in der Landwirtschaft aufwiesen. Dazu gehörten z.B. die Kreise Templin und Prenzlau mit 33 % sowie Angermünde mit 39 %. Diese Kreise bilden seit der Kreisgebietsreform den Landkreis Uckermark. Ein hoher Anteil der Industrie waren weiterverarbeitende Betriebe der Landund Forstwirtschaft, sodass die Abhängigkeit der Bevölkerung von der Landwirtschaft in diesen Regionen besonders groß war.
Rosemarie Siebert
260
Im Ergebnis der Umstellung auf marktwirtschaftliche Bedingungen hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in kurzer Zeit drastisch verringert. Von ehemals 15 Arbeitskräften pro 100 ha sind gegenwärtig nur noch 1,9 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt. Damit ist die Anzahl der Arbeitskräfte pro 100 ha in den neuen Bundesländern bereits seit 1991 geringer als in den alten Bundesländern.
Arbeitskräfte/100 ha LF 161412 10" 8642-
Alte Bundesländer
Neue Bundesländer
0 J 1989
1990
1991
1993
1995
1997
1998
Quelle: Agrarbericht der Bundesregierung 1990, 1996, 1999.
Abb. 1 : Entwicklung der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft
In Brandenburg existieren von den ehemals 179000 Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft heute nur noch 41 000 (Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung, 2000). Etwa 30 % der aus der Landwirtschaft ausgeschiedenen Arbeitskräfte gingen in die Rente bzw. in den Altersübergang oder Vorruhestand. Damit ist fast eine gesamte Alterskohorte aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden. Parallel zum Abbau der Beschäftigten in der Landwirtschaft erfolgte ein Abbau von Arbeitsplätzen in den anderen Wirtschaftsbereichen. Besonders dramatisch war dieser Rückgang in der Industrie. Ähnlich wie in der Landwirtschaft vollzog sich auch hier der Höhepunkt des rapiden Beschäftigtenabbaus bis zum Jahre 1993. Allein von 1989 bis 1992 nahm die Zahl der Beschäftigten in Brandenburg um etwa 470000 ab. Das entspricht etwa einem Drittel der bis 1989 Erwerbstätigen (Birkholz, 1999). Nur im Dienstleistungsbereich gab es seit 1990 eine positive Beschäftigungsentwicklung (Abb. 2). Im Landkreis Uckermark beispielsweise ging allein von 1990 bis 1992 die Zahl der Beschäftigten im primären Sektor von 25 000 auf4 500 zurück, d.h. auf weniger als ein Fünftel des ehemaligen Beschäftigungsstandes.
Tendenzen und Probleme des Wandels strukturarmer Räume
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Arbeitskräfte (1000) 600 500 -
P S -
\
400 300 -
^Gebietskörperschaften u.ä.
200 -
Handel und Verkehr
100 -
— Landwirtschaft, Forst, Fischerei
π
U
1990
1993
1997 1998
Quelle: Statistisches Jahrbuch des Landes Brandenburg, verschiedene Jahrgänge.
Abb. 2: Beschäftigungsentwicklung nach Wirtschaftsbereichen im Land Brandenburg
Hinzu kamen erhebliche Arbeitsplatzverluste im sekundären Sektor. Im ehemaligen Kreis Templin wurden alle Industriebetriebe mit etwa 4 000 Beschäftigten geschlossen, in Prenzlau blieben in den beiden größten Werken von ehemals 2 000 Arbeitsplätzen weniger als 500 erhalten, in Angermünde dezimierte sich der Beschäftigtenstand der 3 größten Betriebe von 2 700 auf die Hälfte. Von ehemals 8 700 Beschäftigten verblieben also nicht einmal 2 000 Arbeitsplätze. Auch im ehemaligen Petrochemischen Werk Schwedt, dem größten industriellen Arbeitgeber in der Region, sank trotz Übernahme durch die VEB A und ein internationales Konsortium die Zahl der Arbeitsplätze von 8 000 auf 2 000 (Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik, 1993). Vergleicht man die heutige Beschäftigungsstruktur im Land Brandenburg mit der Situation aus dem Jahre 1990, ist ein deutlicher Rückgang des Anteils der Beschäftigten im primären Sektor und im produzierenden Gewerbe erkennbar. Die Wirtschaft ist durch eine zunehmende Tertiärisierung gekennzeichnet. Der Dienstleistungssektor weist 1998 einen erheblich höheren Anteil an der Beschäftigtenstruktur auf als 1990 (Abb. 3). Die in den letzten Jahren in den Bereichen Handel, Handwerk, Dienstleistungen und Tourismus entstandenen neuen Arbeitsplätze konnten jedoch nicht annähernd die Arbeitsplatzverluste der vergangenen Jahre kompensieren. Besonders problematisch ist die Situation in den peripheren strukturarmen Gebieten. Neue Arbeitsplätze entstanden im Land Brandenburg vorzugsweise im inneren Verflechtungsraum von Berlin, weniger in der Peripherie (Seitz, 1997). Zwar ist es auch in den dünn besiedelten peripheren Regionen zu einem sprung-
262
Rosemarie Siebert
1998
1990 Landwirtschaft
Landwirtschaft 4,2%
Staat ι
Produzierendes k Gewerbe
Staat L
23,6
23,2
^
Dienstleistungen
32,6%
Produzierendes Gewerbe 41,4%
6,7%
Dienstleistunge Handel, Ver
16,1%
21,8%
Handel, Verkehr 18,2%
Abb. 3: Beschäftigungsstruktur in Brandenburg haften Anstieg des Bauflächenangebots gekommen, insbesondere an Bundesautobahnen und Fernstraßen, daraus resultierten jedoch nur wenige Impulse für den Arbeitsmarkt. Nach wie vor klafft eine beträchtliche Lücke zwischen dem vorhandenen Arbeitskräftepotenzial und den Beschäftigungsmöglichkeiten (Seitz, 1997). Bei Gewerbeunternehmen treffen die Standorte in den peripheren Regionen meist nur auf gedämpftes Investoreninteresse. Große Entfernungen zu Zentren und begrenzte lokale Nachfrage sind Standortnachteile im Wettbewerb mit anderen Regionen. Ein bereits 1993 gezogenes Fazit der Wirtschaftsforderung Brandenburg GmbH hat nach wie vor Gültigkeit: „Trotz der Bemühungen unseres Hauses und den differenzierten Fördersätzen gelang es leider nicht im erforderlichen Maße, Investoren für berlinferne und in der Regel infrastrukturschwache Regionen zu gewinnen." (Brenke, Gornig et al., 1997) Hinzu kommt eine nur geringe wirtschaftliche Eigendynamik dieser Regionen. Es gibt aus diesen Regionen selber bisher nur wenige Ansätze zur Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur. Diese Einschätzung bestätigten auch Seifert und Ackermann, 1996, als sie für 95 % der von ihnen untersuchten Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern „Züge des strukturellen Zusammenbruchs" bzw. sogar den „wirtschaftlichen Zusammenbruch" konstatierten. Auch sechs Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch konnten sie in den von ihnen untersuchten Gemeinden kaum neues Unternehmertum ausmachen. Nach ihren Angaben belief sich die Anzahl der Selbstständigen in diesen Gemeinden auf 0 bis unter 3 % (Seifert und Ackermann, 1996). In zahlreichen Dörfern dieser Regionen bildet die Landwirtschaft nach wie vor das einzige Fundament der Wirtschaft. In ihnen gibt es Landwirtschaft und sonst nichts, allerdings auf einem sehr viel geringeren Niveau als bis 1989. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass viele Entscheidungsträger und Akteure vor Ort in diesen Regionen der Landwirtschaft immer noch eine große Bedeutung beimessen.
Tendenzen und Probleme des Wandels strukturarmer Räume
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Für eine längerfristige Stabilisierung der Siedlungsstruktur allerdings bietet die Landwirtschaft auch hier keine ausreichende Basis mehr. Auch für die Dörfer in den dünn besiedelten peripheren Regionen im Norden der neuen Bundesländer gilt zukünftig: Je vielfältiger eine Region wirtschaftlich strukturiert ist, umso mehr Chancen gibt es für die dort lebenden Menschen (Siebert und Zierold, 1996). Auch diese Dörfer sind auf eine außerlandwirtschaftliche Entwicklung angewiesen. Sie müssen sich aus ihrer ausschließlichen Abhängigkeit von der Landwirtschaft lösen und einem Entwicklungsmuster zu differenzierten Siedlungseinheiten folgen (Becker, 1997). 3. Arbeitslosigkeit als zentrales Problem Augenscheinlich sichtbar wird die derzeit schwache Wirtschaftskraft in diesen Regionen in der hohen Arbeitslosenquote, eine der höchsten in den neuen Bundesländern. Zu den Regionen mit den höchsten Arbeitslosenquoten gehören im Land Brandenburg u.a. die Arbeitsamtsdienststellen Schwedt mit 23,8%, Prenzlau mit 23,2 %, Angermünde mit 23,2 % sowie Templin mit 22,4 %. Damit liegen die Arbeitslosenzahlen in den peripheren ländlichen Gebieten nicht nur weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt (11,7%), sondern auch über dem Landesdurchschnitt von 18,8 % (IAB Werkstattberichte: Aktuelle Daten vom Arbeitsmarkt in Ostdeutschland, 1.2.1999 bis 1.1.2000) (Tab. 1). Tabelle 1 Arbeitslosenquote nach ausgewählten Arbeitsamtbezirken und -bereichen Arbeitsamtbezirk,
Arbeitsamtbereich
Arbeitslosenquote
Eberswalde Eberswalde Angermünde Bernau Prenzlau Schwedt Templin Potsdam Potsdam Beizig Brandenburg Königs Wusterhausen Luckenwalde Zossen
20,9 % 21,9% 23,2 % 15,9% 23,2 % 23,8 % 22,4 % 15,3% 12,3 % 16,5% 21,1 % 14,5 % 20,4 % 13,0%
Land Brandenburg
18,8%
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Arbeitslosigkeit ist das zentrale Problem in vielen Dörfern. Besonders problematisch ist die Frauenarbeitslosigkeit. Frauen waren zwar nicht wesentlich stärker von dem Beschäftigungsabbau der vergangenen Jahre betroffen als Männer, sie haben aber größere Schwierigkeiten beim beruflichen Wiedereinstieg, ihr Verbleibrisiko in der Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise höher. Eine geschlechterspezifische Diskriminierung setzte sich demnach nicht bei den Entlassungen aus den Betrieben durch, sondern primär bei den Einstellungen, sodass die Arbeitslosenquote der Frauen über der männlichen Arbeitslosenquote liegt (Fink, Grajewski et al., 1994). Tabelle 2 Frauenarbeitslosigkeit in Brandenburg nach Arbeitsamtbezirken 1999 Arbeitsamtbezirk Cottbus Eberswalde Frankfurt an der Oder Neuruppin Potsdam Land Brandenburg
Arbeitslose insgesamt Frauen
Arbeitslosenquote insgesamt Frauen
62503 32118 39 872 47199 48234
34549 17231 21303 25 812 25 023
21,6% 20,9 % 18,3% 19,0 % 15,3 %
24,6 % 23,1 % 20,2 % 21,3 % 16,4%
229926
123918
18,8%
20,8 %
Quelle: I A B Werkstattberichte: Aktuelle Daten vom Arbeitsmarkt in Ostdeutschland, 1.2.1999 bis 1.1.2000; Statistisches Jahrbuch 2000 des Landes Brandenburg.
Die Konzentration der Frauen auf Arbeitsplätzen mit geringem Status und Einkommen, die bereits zu DDR-Zeiten eine Entwertung des Humankapitals darstellte, beeinträchtigt im Transformationsprozess die Arbeitsplatzsicherheit und die Wiederbeschäfitigungschancen der Frauen besonders negativ (Maier und Quack, 1993). Drei von vier Landfrauen sind heute arbeitslos. Besondere Problemgruppen sind Frauen, die älter als 45 Jahre sind, landwirtschaftliche Facharbeiterinnen ohne qualifizierten Berufsabschluss, alleinerziehende und „immobile" Frauen ohne Auto und Führerschein (Bundesministerium für Frauen und Jugend, 1992; Fink, Grajewski et al., 1994). Die sozialen Differenzierungen in den Dörfern haben zugenommen. Es gibt Gewinner und Verlierer auf engstem Raum. Die Hauptdifferenzierungslinie verläuft zwischen Menschen, die Arbeit haben, und denen ohne Arbeit. Die offizielle Arbeitslosenquote in den ländlichen Regionen von etwa 20 % gibt aber nur ein beschönigendes Bild des wahren Ausmaßes der Arbeitslosigkeit wieder. Die registrierte Arbeitslosigkeit erfasst nur einen Teil der Unterbeschäftigung, ohne eine Vielzahl arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen würde die Arbeitslosigkeit in vielen Dörfern doppelt so hoch sein (Abb. 4).
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Personen (1 000) 2500 -
Vorruhestand Altersübergangsgeld
1991
1992
1993
1994
EM, SAM
1995
1996
1997
1998
1999
Quelle: IAB Werkstattbericht 1.6, 2000.
Abb. 4: Registrierte Arbeitslose und verdeckte Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland
Bis 1995 wurde der Arbeitsmarkt in erheblichem Umfang durch den Altersübergang und den Vorruhestand entlastet. Seit 1997 erfolgt die Entlastung fast ausschließlich durch die Förderung der beruflichen Weiterbildung sowie durch Arbeitsbeschaffüngs- und Strukturanpassungsmaßnahmen.
Personen (1 000) 300 250 200 150 100
VollzeiV x äquivalent' Kurzarbeit 01991
50-
Quelle: IAB Werkstattbericht 1.6, 2000.
Abb. 5: Entlastung des Arbeitsmarktes in Brandenburg durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
1999
266
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4. Bevölkerungsentwicklung Die Bevölkerungszahlen in den peripheren dünn besiedelten ländlichen Gebieten sind durch eine jahrzehntelange Abwanderung, vor allem junger Personengruppen, und eine damit verbundene Zunahme der Überalterung (mit einem wachsenden Sterbeüberschuss) weiter rückläufig, was in Regionen mit ohnehin schon geringer Bevölkerungsdichte die Entwicklungsperspektiven weiter einschränkt. Wesentlichen Anteil daran hatte der Nettowanderungsverlust von Ost nach West, von dem ganz Ostdeutschland betroffen war. Bis 1992 bewegte er sich auf einem sehr hohen Niveau, ist seit 1993 stark rückläufig, besteht aber auf niederem Niveau fort. Der Landkreis Uckermark beispielsweise verlor zwischen Dezember 1990 und April 1992 mehr als 3 100 Menschen durch Abwanderungsüberschüsse und weitere 1 000 Einwohner durch den natürlichen, ebenfalls negativen Bevölkerungssaldo, was sich auf insgesamt 2,5 % der Bevölkerung summiert. Hier hat die These von der „Entleerung ländlicher Räume" noch höchste Aktualität. Die Bevölkerung peripherer ländlicher Gebiete nimmt weiter ab (Abb. 6), vor allem in den kleinen, von der Landwirtschaft beherrschten Dörfern mit mangelhafter Infrastruktur. Für die Jahre 1992 bis 1995 berechnete Seitz für die peripheren Gebiete Brandenburgs eine Abnahme der Bevölkerung um 1,7% (Seitz, 1997). Während im Landesdurchschnitt von Brandenburg pro Quadratkilometer 89 Menschen gezählt werden, sind es in der Peripherie gegenwärtig nur noch 20 Einwohner (Bauernzeitung, 1997). Prognosen besagen, dass die Uckermark z.B. in den kommenden Jahren bis zu 14 % ihrer Bevölkerung verlieren wird. Zurückzuführen ist die sinkende Einwohnerzahl auf zwei wichtige Aspekte: die Überalterung (beschleunigt durch einen dramatischen Geburtenrückgang) und die Jugendabwanderung. Folge eines geringen Angebots an Ausbildungsplätzen und eines ungenügenden Ausbildungsspektrums (schon zu DDR-Zeiten eine Ursache für Abwanderung) sind nach wie vor Wanderungsverluste, vor allem von Personen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren (Siebert, 1999). Die besondere Gefahr der Ausbildungswanderung besteht darin, dass sie zu einer dauernden Abwanderung werden kann. Für die Entwicklung der dünn besiedelten Kreise bildet aber gerade die Bereitschaft der jüngeren Bevölkerungsteile, in ihrer Heimatregion sesshaft zu bleiben, eine Schlüsselrolle, da sie die entscheidenden Kräfte zur Entwicklung dieser Regionen bilden. Die nur schmale und wenig aufgefächerte wirtschaftliche Basis wird weiter zu einer selektiven Abwanderung junger Personen in diesen Räumen führen. Dadurch wird sich eine Zunahme der Überalterung der Bevölkerung in diesen
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Einwohner 180000 160000 140000 120000 100000 80000 60000 40000 20000 υ
1989
1994
1997
31.12.30.6. 1998 1999
Quelle: Statistisches Jahrbuch des Landes Brandenburg, verschiedene Jahrgänge.
Abb. 6: Bevölkerungsbewegung im ländlichen Raum Brandenburgs am Beispiel des Landkreises Uckermark Teilräumen noch beschleunigen. Langfristig wird der Überalterungseffekt in diesen Regionen bedeutsamer sein als der Abwanderungseffekt. Selbst ohne weitere Abwanderung wird die Bevölkerung aufgrund des Sterbeüberschusses in Teilräumen abnehmen. Das wirkt sich negativ auf die Standortgunst dieser Regionen aus (fehlendes Humankapital) und verschärft damit die Entwicklungsprobleme zusätzlich. Die in den ländlichen Räumen verbleibende, zunehmend ältere und weniger mobile Bevölkerung kann nicht oder nur sehr bedingt Träger des strukturellen Wandels sein. Die Überalterung geht überdies einher mit einem steigenden Sozialaufwand in diesen Räumen. Innerhalb der neuen Bundesländer gibt es einen differenzierten Binnenwanderungsprozess. Es findet eine Migration aus den Städten in das nähere Stadtumland statt. Insbesondere ländliche Räume im Umland von Berlin und anderen großen Städten unterliegen einem Suburbanisierungsprozess und haben beträchtliche Einwohnergewinne zu verzeichnen. In ähnlicher Form wie im Berliner Umland haben auch im dünn besiedelten Norden der neuen Bundesländer vor allem die Regionen um die größeren Städte Rostock, Neubrandenburg, Greifswald und Schwerin Wanderungsgewinne zu verzeichnen. Auch hier vollziehen sich Prozesse der Suburbanisierung, und im Wettbewerb zwischen den Siedlungsorten sind Dörfer oft die Gewinner. Solche Stadt-Umland-Wanderungen, die in westdeutschen Ballungsräumen über Jahrzehnte abliefen, werden in den neuen Bundesländern jetzt im Zeitraffer nachgeholt.
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5. Infrastrukturentwicklung Die Infrastrukturentwicklung ist eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region und das Verbleiben der Bevölkerung. Neben dem soziostrukturellen Wandel gab es besonders in den strukturarmen peripheren ländlichen Gebieten (aber nicht nur dort) einen dramatischen Rückgang der Infrastruktur in den Dörfern. Der Wandel in der Agrarstruktur mit dem „Kollaps" der Großbetriebe führte zum Abbau zahlreicher Einrichtungen der ländlichen Infrastruktur. Die Landwirtschaftsbetriebe, die bis 1989 maßgeblicher Träger der ländlichen Infrastruktur waren, können diese Aufgaben heute nicht mehr leisten, sodass es in vielen Orten zum völligen Zusammenbruch der kommunalen Infrastruktur kam. Dazu gehören die Schließung von Gaststätten, Kantinen, Kulturhäusern genauso wie die Schließung von Kindergärten und -krippen. Herrenknecht beschrieb diesen Prozess 1995 mit den Worten, dass sich das Dorf nach der Wende vielerorts erst seinen eigenständigen Status als funktionsfähige Lebensform in Abkopplung von der Landwirtschaft suchen musste (Herrenknecht, 1995). In vielen Dörfern gibt es kaum noch eine infrastrukturelle Basisversorgung für die nicht mobile Bevölkerung. Viele Gemeinden sind heute auf sich allein gestellt, schwach und finanziell abhängig von externen Mitteln. Der Spielraum für Kommunalpolitiker, angesichts dieser Situation irgend etwas zu bewegen, ist äußerst gering. Dabei spielt häufig, so Bußmann, die Ausstattung mit Selbstverwaltungsrechten angesichts der prekären finanziellen Lage kaum eine Rolle (Bußmann, 1998). Demgegenüber gibt es aber auch positive Veränderungen, die vor allem im Erscheinungsbild der Dörfer sichtbar werden. Dazu gehören Verbesserungen im Bereich der technischen Infrastruktur (z.B. Straßen, Gehwege, Telefonleitungen, Abwassersysteme). Auch die Verschönerung des Dorfbildes durch Modernisierung von Wohnhäusern und Gehöften, Sanierung von Kirchen und Kirchenmauern ist nicht zu übersehen. Diese offensichtlichen Veränderungen werden auch von den Dorfbewohnern positiv reflektiert und häufig bei der Frage nach den größten Veränderungen seit 1989 im Dorf an erster Stelle genannt (Siebert und Zierold, 1997). Allerdings profitierten davon in erster Linie die Gemeinden, in denen es Akteure im Dorf gab, die sich um externe Mittel bemühten. 6. Soziale und mentale Situation der Bevölkerung Potenziert wird die Bewältigung der Problemlage in diesen Regionen durch eine spezifische soziale und mentale Situation der Bevölkerung. Traditionelle regionale Netzwerke und Verflechtungen waren nach 1989 zerbrochen und beginnen sich erst langsam wieder zu etablieren (Baron, 2000).
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Das Arbeitskräftepotenzial ist zum Teil unterdurchschnittlich bzw. für einen Start in ein neues Berufsfeld nicht ausreichend qualifiziert. Zum Teil mangelt es an Vereinen, Verbänden und Initiativen, die Interessen ,νοη unten' formulieren können und Selbsthilfeansätze initiieren und fordern. Es fehlen in vielen Dörfern Akteure mit neuen Ideen und Engagement (Baron, 2000). Einerseits leiden diese Dörfer am Verlust von Sozialkapital aufgrund jahrzehntelanger Emigration junger kreativer Leute, die mit der Jugendabwanderung bis heute anhält, andererseits ist in vielen Dörfern ein Rückzug ins Private zu verzeichnen, was Hainz in einer vergleichenden Untersuchung von West- und Ostdörfern, besonders für die Orte in den monostrukturierten Gebieten konstatiert hat (Hainz, 1998). Als weiteren Grund sieht Hildebrand an, dass die Menschen zu DDR-Zeiten von einer „Fürsorge" umgeben waren, die nicht nur keine Selbstständigkeit verlangte, sondern diese in vielen Lebensbereichen so gut wie unmöglich machte (Hildebrandt, 1996). 7. Fazit Die vormals in den alten Bundesländern möglichen positiven Entwicklungen von strukturschwachen Regionen ist auf diese Regionen in den neuen Bundesländern nicht übertragbar, da sich die Rahmenbedingungen gravierend verändert haben. Die Probleme in diesen Regionen werden noch auf lange Sicht existieren. Der Problemdruck in diesen Regionen wird steigen, die Gefahr einer Verschärfung räumlicher Disparitäten und Polarisierung wachsen. Literatur Agrarbericht der Bundesregierung. Bonn 1990, 1996 und 1999. Baron, S.: Dörfer in Brandenburg und ihre Zukunftsperspektiven. In: Argarsoziale Gesellschaft, Kleine Reihe Nr. 61, Göttingen 2000. Bauernzeitung vom 17.1.1997. Becker, H.: Dörfer heute. Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972 und 1993/95. In: Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Bd. 307. Bonn 1997. Birkholz, K.: Der gemeinsame Planungsraum Berlin-Brandenburg - Eine Einführung aus räumlich-geographischer Sicht. In: Eckart, K. und Birkholz, K. (Hrsg.): Berlin-Brandenburg. Raum- und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum. Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 67. Berlin 1999.
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Brenke, K., Gornig, M., Lessat, V., Postlep, R.-D. und Toepel, K.: Entwicklungsstrategien für die Region. Das DIW-Konzept für Brandenburg. Marburg 1997. Bundesministerium für Frauen und Jugend (Hrsg.): Erwerbschancen für Frauen aus landwirtschaftlichen Berufen/ländlichen Regionen der neuen Bundesländer. Materialien zur Frauenpolitik 19. Bonn 1992. Bußmann, E.: Dorfbewohner und Kommunalpolitik. Eine vergleichende Untersuchung in 14 Dörfern der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der länderspezifischen Gemeindeordnungen und der Verwaltungsstrukturen. In: FAA, Bd. 309. Bonn 1998. Fink, M., Grajewski, R., Siebert, R. und Zierold, K.: Beschäftigungssituation von Frauen im ländlichen Raum der neuen Bundesländer. In: Berichte über Landwirtschaft, H. 2. Münster-Hiltrup 1994, S. 212-228. Hainz, M.: Dörfliches Sozialleben im Spannungsfeld der Individualisierung. In: FAA, Bd. 311. Bonn 1998. Herrenknecht, Α.: Der Riß durch die Dörfer - Innere Umbrüche in den Dörfern der neuen Bundesländer. In: Agrarsoziale Gesellschaft, Dorf- und Regionalentwicklung in den neuen Bundesländern - Beiträge aus der Praxis, Kleine Reihe Nr. 54. Göttingen 1995, S. 50-64. Hildebrandt, R.: Wer sich nicht bewegt, hat schon verloren. Bonn 1996. IAB Werkstattberichte, verschiedene Ausgaben. Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH: Wirkungsbeziehungen der regionalen Entwicklungszentren im Land Brandenburg und ihre Wechselwirkungen mit den ländlichen Räumen. Stufe 2: Bestimmungen der Regionalen Funktionsbereiche (RFB) der Regionalen Entwicklungszentren (REZ), Bd. II, Ergebnisse für die einzelnen Planungsregionen. Berlin 1993. Maier, F. und Quack, S.: Verliererinnen der Vereinigung? Entwicklung der Frauenbeschäftigung in Ostdeutschland. In: Ostdeutschland, Nr. 9. Berlin 1993, S. 3-5. Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung Brandenburg: Bericht zur Lage der Land- und Ernährungswirtschaft des Landes Brandenburg 2000. Potsdam 2000. Seifert, O. und Ackermann, E.: Der Wandel ländlicher Gemeinden und die Herausbildung kleinräumiger Disparitäten im Prozeß der Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. In: Slawinski, U. (Hrsg.): Arbeitsmarkt in ländlichen Räumen Mecklenburg-Vorpommerns. Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung, H. 4. Rostock 1996, S. 46-65.
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Seitz, H.: Aktuelle Entwicklungstrends am Arbeitsmarkt und Infrastrukturaufbau in Berlin-Brandenburg, Arbeitsbericht. Frankfurt an der Oder 1997. Siebert, R. und Zierold, K.: Gewinnen und Verlieren - Die Dörfer in den neuen Bundesländern. In: FAA: Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972 und 1993/94. Verhandlungen der öffentlichen Arbeitstagung am 16.11. 1995 in Bonn-Röttgen, FAA, Bd. 305. Bonn 1996, S. 33-39. - Veränderungen der Lebenslagen von Dorfbewohnern im erwerbsfähigen Alter in den neuen Bundesländern. In: Rehberg, K.-S. (Hrsg.): Differenz und Integration. Die Zukunft moderner Gesellschaften. Opladen 1997, S. 201-207. Siebert, R.: Wandel ländlicher Räume - soziale Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft. In: Ländliche Räume, Landschaft und Landwirtschaft 2010. DLG-Wintertagung. Berlin 1999. Statistisches Landesamt Brandenburg: Statistisches Jahrbuch des Landes Brandenburg, Potsdam, verschiedene Jahrgänge. - Statistisches Jahrbuch des Landes Brandenburg. Potsdam 2000.
Die Versorgung mit sozialen Infrastrukturen unter Schrumpfungsbedingungen - Entwicklungen in den neuen Ländern seit der Wiedervereinigung Von Karin Wiest
Seit 1989 lässt sich in den neuen Ländern eine qualitative Verbesserung der infrastrukturellen Angebote bei gleichzeitigem Rückbau der Anzahl der Einrichtungen feststellen. Die Erreichbarkeitsverhältnisse haben sich damit in der Summe verschlechtert, wobei große Unterschiede nach betrachteter Raumeinheit und Einrichtungsart bestehen und die Mobilität insgesamt stark angestiegen ist. Im folgenden Beitrag werden die Veränderungen in der infrastrukturellen Versorgung im Transformationsprozess und die damit verbundenen Probleme dargestellt. Aus folgenden Gründen zeichnet sich in den neuen Ländern eine besonders kritische Entwicklung ab: 1. Demographische Veränderungen in Ostdeutschland rufen eine starke Verschiebung der Art und des Umfangs der Nachfrage hervor und führen zu wachsenden strukturellen Disparitäten. Teile des infrastrukturellen Netzes sind in ihrer Tragfähigkeit stark gefährdet oder zeigen ein Überangebot (z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen), in anderen Bereichen besteht noch Nachholbedarf (z.B. Beratungseinrichtungen) . 2. Gesellschaftliche Veränderungen haben zur Verschärfung sozialer Disparitäten, einem wachsenden Beratungsbedarf, aber auch zu qualitativen Veränderungen der Nachfrage geführt, die einen steigenden und differenzierteren Bedarf an Angeboten der sozialen Infrastruktur zur Folge haben. 3. Die sehr ungünstige finanzielle Situation der ostdeutschen Städte und Gemeinden lässt erwarten, dass öffentliche Infrastrukturangebote abgebaut bzw. nicht weiter ausgebaut werden. Besonders die durch die Kommunen freiwillig zu erbringenden infrastrukturellen Leistungen sind in ihrer weiteren Existenz gefährdet. Die Ausstattung des Wohnumfeldes mit Einrichtungen der sozialen Infrastruktur bzw. deren günstige Erreichbarkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität. Unter dem Begriff der sozialen oder auch haushaltsorientierten Infrastruktur lassen sich in einem weit gefassten Verständnis alle materiellen, personellen und institutionellen Leistungen subsumieren, die zur Daseinsvorsorge der Bevölkerung dienen. Dazu gehören sowohl die privaten als auch öffentlichen
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Einrichtungen des Gesundheits-, Sozial-, Kultur- und Bildungswesens, des Freizeitbereichs sowie der allgemeinen Verwaltung und des Einzelhandels bis hin zur Wohnversorgung. In der DDR war die flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen der sozialen Infrastruktur ein zentrales Planungsziel. Da im Sozialismus dem Prinzip der Gleichwertigkeit nicht nur in sozialer, sondern auch in räumlicher Hinsicht Rechnung getragen werden sollte, sollten sich Unterschiede im wirtschaftlichen Entwicklungsgrad einzelner Regionen nicht in Disparitäten der Lebensverhältnisse niederschlagen. Das politische Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land und zwischen Nord und Süd wurde durch gezielte Industrieansiedlungen in peripheren Räumen (z.B. Schwedt, Eisenhüttenstadt), die Industrialisierung der Landwirtschaft und nicht zuletzt durch die Bereitstellung einer flächendeckenden Grundversorgung forciert (Strubelt, 1997). Bis zur Wende stand damit auch für die Landbewohner eine Mindestinfrastruktur in Abhängigkeit von der Entfernung zur nächsten Kreisstadt zur Verfügung. Im Angebot an Kindereinrichtungen, Schulen, einer einfachen Gesundheits- und Einzelhandelsversorgung war das Stadt-Land-Gefälle weitgehend aufgehoben. Gleichzeitig gab es eine starke hierarchische Abstufung zwischen der Hauptstadt Berlin, den Bezirks- und den Kreisstädten sowie beträchtliche Unterschiede in der Qualität der Anlagen. Demographische Umbrüche Die demographische Situation in den neuen Ländern ist seit 1989 durch die Problematik eines drastischen Bevölkerungsschwundes - bedingt durch Abwanderung und Geburtenrückgang - geprägt. Im Rahmen der infrastrukturellen Versorgungsplanung wird ein anhaltender Bevölkerungsrückgang häufig als Anfangsimpuls einer Wirkungskette interpretiert, die über Unterauslastung, Verteuerungseffekte bzw. Rentabilitätsprobleme, Schließung von Einrichtungen, Vergrößerung der Einzugsbereiche der verbleibenden Einrichtungen und unzureichende Erreichbarkeit vor allem für wenig mobile Bevölkerungsgruppen fuhrt. Gefahren für das Netz infrastruktureller Einrichtungen durch Bevölkerungsrückgänge und altersstrukturelle Verschiebungen bestehen besonders in den Regionen, die bereits durch eine geringe Einwohnerdichte gekennzeichnet sind oder mit extremen Bevölkerungsabnahmen konfrontiert sind. Das Ausmaß von Wanderungsverlusten und Geburtenrückgängen seit der Wende kommt auch im extrem unausgewogenen Verhältnis von Kleinkindern zu älteren Kindern bzw. Jugendlichen in den ostdeutschen Regionen zum Ausdruck. Die im Vergleich zur Anzahl der Jugendlichen gering gewordenen Kinderzahlen lassen darauf schließen, in welchem Umfang bei Schulen und Kindergärten Anpassungen an einen stark rückläufigen Bedarf vorgenommen werden müssen (Abb. 1). Gebiete, die durch starke Bevölkerungs- und Arbeitsplatzverluste gekennzeichnet sind, sind z.B. die ehemaligen, peripheren Industriestandörte im Nord-
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Kinder (0-5 Jahre) auf 100 Jugendliche (10-15 Jahre) 116-120
•
106-115 96-105 I
85-95
j
46-51
j
40-45
I I
33 39
"
100 km
Quelle: Wiest, 1999 (nach DJI: Regionaldatenbank).
Abb. 1: Das Verhältnis von Kindern zu Jugendlichen 1997 osten. Eine äußert ungünstige Bevölkerungsentwicklung zeigt sich auch in ländlichen Gebieten mit Verdichtungsansätzen und in den Mittelzentren. Bevölkerungsgewinne hatten dagegen fast ausschließlich die Umlandgemeinden größerer Städte zu verzeichnen. Allerdings ist auch hier, durch die i.d.R. ungeplante siedlungsstrukturelle Entwicklung nach der Wende, die Frage nach einer adäquaten Infrastrukturausstattung und -erreichbarkeit fur die neu Zugezogenen relevant. Im dünn besiedelten ländlichen Raum werden dagegen Visionen von Gebieten mit einem drastischen Mangel an jungen Bevölkerungsgruppen und einem hohen Anteil an alten und kranken Menschen zunehmend Realität. Hier erhält die Frage nach der Tragfähigkeit sozialer Infrastruktur bei gleichzeitig großem Bedarf an sozialer Betreuung, Beratung und Unterstützung fur die verbliebene Bevölkerung eine besonders hohe Brisanz. Bevölkerungsprognosen gehen vor allem in peri-
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pheren ländlichen Regionen Ostdeutschlands von einer sehr starken Alterung der Bevölkerung aus. Sozialer Wandel: veränderte Bedürfnisse - verändertes Verhalten Die gesellschaftlichen Veränderungen in den neuen Ländern gingen mit veränderten Bedürfnissen einher, die fur die Planung infrastruktureller Angebote von Bedeutung sind. Einen wesentlichen Hintergrund dieses Bedürfniswandels bildet die in der DDR nahezu verwirklichte Vollbeschäftigung bzw. die Problematik der seit 1989 entstandenen Arbeitslosigkeit. So wurde das Kinderbetreuungssystem in der DDR nicht zuletzt aufgrund eines Arbeitskräftemangels so ausgebaut, dass möglichst alle Frauen und Männer ins Beschäftigungssystem integriert werden konnten. Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit lässt es dagegen naheliegend erscheinen, soziale Leistungen, die früher institutionell erbracht wurden, wieder in die Familien zurückzuverlegen und so öffentliche Mittel einzusparen. Zum anderen trifft die Nachbarschafts- bzw. Familienorientierung der DDR-Bürger seit der Wende im verstärkten Maß auf Individualisierungs- und Enttraditionalisierungstendenzen. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen wirken sich auf die Pflegebereitschaft und die Pflegemöglichkeiten in Familien und die Willigkeit, soziale Hilfe auch im Rahmen von Nachbarschaftshilfe zu leisten, aus. Informelle soziale Netze in Form von Arbeitskollektiven, Familie, Hausgemeinschaft etc., die in der DDR noch relativ viele Aufgaben des sozialen Lebens bewältigten, haben stark an Bedeutung verloren. Gleichzeitig führten der Wegfall der über Arbeitskollektive und Betrieb gesicherten sozialen Netze und die neu entstandenen sozialen Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Verschuldung auch zur Nachfrage nach neuen differenzierteren Einrichtungsformen durch andere Träger. Den veränderten Erfordernissen einer pluralistischen Gesellschaft, wie sie u.a. im wachsenden Anspruch nach Selbstbestimmung unterschiedlicher Gruppen (z.B. Jugendliche, alte Menschen, Behinderte) zum Ausdruck kommen, konnten die durch Staat und Massenorganisationen normierten Angebote, die die Versorgungssituation in der DDR prägten, nicht gerecht werden. Institutionelle Transformation Die infrastrukturelle Versorgung der Bevölkerung wurde in der DDR staatszentriert durch die jeweiligen Fachabteilungen der Kommunen und die staatlichen Massenorganisationen wie die Freie Deutsche Jugend (FDJ) 1 (z.B. Jugendclubs), die Volkssolidarität (Altenklubs, Mittagessenversorgung), das Deutsche Rote Kreuz und den Demokratischen Frauenbund (DFD) 2 (z.B. Beratungsstellen) 1
Jugendorganisation in der DDR.
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Frauenorganisation in der DDR.
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organisiert. Anders als in der Bundesrepublik blieb Städten und Gemeinden in der DDR aufgrund fehlender Planungshoheit kaum Spielraum für eine eigenständige soziale Infrastrukturpolitik. Ihre Kompetenz beschränkte sich vor allem auf die Verwaltung und Verteilung knapper Mittel und die Erfüllung zentraler Planvorgaben. Tabelle 1 Institutionalisierung sozialer Infrastruktur DDR (staatszentriert, kein Mix)
Bundesrepublik (subsidiärer Welfare-Mix)
Öffentlich (Staat, Kommune)
Staat allein dominierend, vermittelt über: Staatsbetriebe, Kommunen.
Komplementär laut Subsidiaritätsprinzip
Intermediär (Wohlfahrtsverbände bis Bürgerinitiativen)
Nur staatlich initiiert; Ausnahme Kirche; Bürgerschaftliches Engagement nur erwünscht, wenn staatlicher Einfluss gewährleistet
Verbände haben primär Rolle als Dienstleistungsanbieter, breites Spektrum an Bürgerinitiativen, Vereinen, Interessengruppen.
Quelle: nach Matthies, Aila-Leena, 1997.
Neben den Kommunen erfüllten in der DDR die Großbetriebe wesentliche Funktionen bei der Bereitstellung des infrastrukturellen Angebots und erbrachten damit eine Vielzahl von Leistungen für das soziale Leben und die Alltagsbewältigung. Durch die günstige Verbindung von Erledigungen und Arbeitswegen sowie die Inanspruchnahme von Leistungen während der Arbeitszeit konnte die Nutzung der betrieblichen Infrastrukturen für die Betroffenen erhebliche Zeitvorteile bringen, von denen allerdings nur Betriebsangehörige profitieren konnten. Die Beschäftigten der großen ökonomisch leistungsfähigen Betriebe waren diesbezüglich in einer deutlich bevorzugten Situation, da sie eine komplette soziale Infrastruktur von Verkaufseinrichtungen und Restaurants über Polikliniken, Kulturhäusern, Ferienlagern, Ferienheimen im In- und Ausland bis zu Betriebsakademien nutzen konnten. Nach der Wiedervereinigung sind durch die Auflösung der Großbetriebe bzw. ihre Umstrukturierung zunächst große Versorgungslücken entstanden, die erst nach und nach durch die Etablierung neuer Trägerstrukturen ersetzt werden konnten. Betriebliche Kindereinrichtungen, Sportanlagen sowie Gesundheits- und Kultureinrichtungen wurden in größerem Umfang von den Gebietskörperschaften übernommen, da mit der Wiedereinführung der kommunalen Selbstverwaltung festgelegt wurde, dass volkseigenes Vermögen, welches kommunalen Aufgaben und Dienstleistungen dient, den Kommunen kostenlos zu übertragen ist. Andere Leistungen wie betriebseigene Ferienheime und Werks-
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küchen wurden dagegen i.d.R. saniert und privatwirtschaftlich z.B. als Hotels bzw. Kantinen weitergeführt. Mit der Wiedervereinigung ist ein pluralistisches, von Angeboten verschiedener intermediärer Organisationen zusammengestelltes, subsidiäres System an die Stelle von öffentlich-einheitlichen sozialen Diensten getreten. Die zentralistische Finanzierung der sozialen Infrastrukturen in der DDR wurde durch das komplexe Finanzierungssystem der BRD ersetzt. „Während in der DDR sämtliche Leistungen als unmittelbar staatliche Aufgaben bereitgestellt wurden, musste nun zwischen staatlichen Auftragsangelegenheiten einerseits und freiwilligen Aufgaben im Sozial-, Kultur-, Beratungs- und Bildungsbereich als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung andererseits unterschieden werden. Letzterer stand von Anfang an unter dem Diktat knapper Kassen, und die Prioritätensetzung der meisten Kommunen folgte der Logik der Wirtschaftsforderung." (Schäfer, 1996, S. 337) Eine Besonderheit der sich neu herausbildenden pluralistischen sozialen Infrastruktur in den neuen Bundesländern ist das Nebeneinander von großen und einer Vielzahl kleiner sozialer Organisationseinheiten. Zu den großen Organisationen gehören einerseits Institutionen mit DDR-Tradition wie die Volkssolidarität und der Demokratische Frauenbund, bei denen i.d.R. eine breite Akzeptanz durch die Bevölkerung besteht, und andererseits Institutionen der freien Wohlfahrtspflege, die aus den alten Ländern transferiert wurden, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Arbeiterwohlfahrt sowie konfessionelle Verbände (Caritas, Diakonie) (Olk, 1996). Bei der Akzeptanz der neuen Verbandsstrukturen spielen auch Einstellungen der Bürger eine Rolle: in der ehemaligen DDR wurde mehr einem Modell der Staatsbürgerversorgung gefolgt - wie es z.B. in den Niederlanden und in skandinavischen Ländern praktiziert wird - als einem Sozialfürsorgemodell, das die Verantwortung dem Einzelnen und seiner Familie zuordnet (Schwitzer, 1996, S. 296). Raumstrukturelle Unterschiede in der Versorgung mit sozialer Infrastruktur Ländlich periphere Räume Bis zum Ende der DDR existierten im ländlichen Raum viele Einrichtungen und Dienstleistungsangebote, die der Bevölkerung subventioniert und oft kostenlos zur Verfügung standen. Alle Siedlungen über 100 Einwohner waren mit Handelsgeschäften für Waren des täglichen Bedarfs ausgestattet. In kleineren Siedlungen erfolgte die Versorgung über Nebenstellen von Verkaufseinrichtungen oder den ambulanten Handel. Dabei wurden auch Einrichtungen aufrechterhalten, wenn die für einen rentablen Betrieb notwendigen Nutzerzahlen nicht erreicht werden konnten. Schulen, Kindereinrichtungen, insbesondere Saisonkindergärten, Landambulatorien, Gemeindeschwesternstationen waren flächendeckend
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vorhanden und ermöglichten eine gute Versorgung bei kurzen Wegen. In der Versorgung mit sozialen Infrastrukturen haben sich nach der Wende die Disparitäten zwischen städtischen und ländlichen Regionen verstärkt: Im Kontrast zur Optionserweiterung in Städten steht in dünner besiedelten Regionen häufig eine Konzentration der Angebote und damit eine Ausdünnung der Fläche, da sich die Träger von Einrichtungen an Rentabilitätsgesichtspunkten orientieren müssen. Folge sind weitere Wege und Benachteiligungen der immobilen Bewohner dünn besiedelter Gebiete. Allerdings verlief die Entwicklung im ländlichen Raum nicht homogen, sondern es sind differenzierte, z.T. gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Ein deutlicher Rückgang der Nachfrage ist in peripher ländlichen Räumen und in Verdichtungsgebieten außerhalb der suburbanen Gürtel zu beobachten. Weitere Besonderheiten ergeben sich in den nördlichen und östlichen Regionen, die in der DDR durch gezielte Ansiedlungspolitik in ihrer Entwicklung forciert wurden, und in denen nach 1989 extreme Um- bzw. Zusammenbrüche eingesetzt haben. Tabelle 2 Entwicklung der dörflichen Infrastruktur - fiktives Beispiel für eine Gemeinde mit 1000 Einwohnern 1988 Kindergarten und Kinderkrippe Volkssolidarität Speisegaststätte LPG-Kantine Zwei Konsumläden Jugendclub Poststelle Sporthalle Dorfclub (Feste und Kulturveranstaltungen) Gemeindebüro mit hauptamtlichem Bürgermeister Arztsprechstunde (2 χ wöchentlich) Kirche (Gottesdienst) Oberschule (POS) Freiwillige Feuerwehr
2000 Kindertagesstätte Arbeiterwohlfahrt Gaststätte Lebensmittelgeschäft, Mobile Bäckerei -
Heimatverein Ehrenamtlicher Bürgermeister -
Kirche (Gottesdienst) -
Freiwillige Feuerwehr
Quelle: nach Kind, 1997, Gücker, 1996, und Knievel, 1994; eigener Entwurf.
Für das dörfliche Leben bedeutete die Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) einen drastischen Verlust von Arbeitsplätzen und sozialen Einrichtungen, von dem besonders die Frauen betroffen waren.
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Für die ländliche Bevölkerung war der Abbau der Versorgungseinrichtungen auch mit dem Verlust von lokalen Kommunikationsorten verbunden, wobei im Bereich des Einzelhandels das Versorgungsverhalten der mobilen Bevölkerung und das Konkurrenzangebot der großen, neuen und preisgünstigeren Verbrauchermärkte ein wesentlicher Auslöser für die Schließung von Dorfläden war. Neben institutionellen Verlusten tragen die demographischen Veränderungen, besonders der starke Bevölkerungsrückgang jüngerer Altersgruppen zur sozialen Destabilisierung bei. Das verfügbare informelle Hilfeleistungspotenzial im familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld geht zurück. So kann z.B. die Familie als primäres soziales Netz in Zukunft immer weniger Pflege- und Betreuungsarbeit für die wachsende Zahl hilfsbedürftiger, alter Menschen übernehmen. Großwohnsiedlungen Am Beispiel der Ausstattung der in den 70er- und 80er-Jahren entstandenen Großwohnsiedlungen lassen sich Zielvorstellungen des sozialistischen Städtebaus im Bereich der Infrastrukturplanung veranschaulichen. Der Begriff des komplexen Wohnungsbaus schloss neben der Errichtung der Wohngebäude auch die Planung aller dazugehörigen Gemeinbedarfseinrichtungen bzw. der sozialen Infrastruktur sowie die Verkehrs- und stadttechnische Erschließung ein. Dabei zeichneten sich die Neubaugebiete durch ein ausreichendes Angebot an Kindereinrichtungen, Schulen und - eingeschränkt - medizinischer Versorgung, durch einen minimalen z.T. nicht ausreichenden Grundstandard im Bereich von Handel und Dienstleistungen sowie erhebliche Defizite in den Bereichen Kultur, Sport, Freizeit und Gastronomie aus. Die Ausstattung der Gebiete mit Jugendclubs war im Vergleich zu westdeutschen Großwohnsiedlungen gut (Blankenfeld, Lindner und Weeber, 1994). Als problematisch erwies sich, dass die geplanten Versorgungszentren oft nicht rechtzeitig mit den Wohnungsbezügen fertiggestellt werden konnten oder unter wachsendem Kostendruck in den 80er-Jahren völlig fehlten. Auch nach 1990 wurde ein Mangel an höherwertigen Konsum-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen immer wieder als Defizit der ostdeutschen Neubaugebiete herausgestellt und galt als ein wichtiger Wegzugsgrund (z.B. Kahl, 1997). Auf der anderen Seite wird die gute Grundversorgung insbesondere im Bereich der Schulversorgung und Kinderbetreuung auch als positives Merkmal der Großwohnsiedlungen dargestellt. Durch bedarfsgerechte, attraktive soziale Einrichtungen können urbane Qualitäten geschaffen werden, kann sich die Wohnzufriedenheit verbessern und damit ein Beitrag zur Entwicklung und Stabilisierung der ostdeutschen Großsiedlungen geleistet werden. Allerdings entstehen durch die altershomogene Bevölkerungszusammensetzung in den Wohnblocks und den Alterungsprozess der Bewohner erhöhte Anforderungen an die Infrastrukturplanung. Arbeitslosigkeit und die Tatsache, dass zunehmend mehr Rentner in den Großwohnsiedlungen leben, haben zu neuen Bedürfnissen geführt. Bei stark rück-
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läufigen Kinder- und Kleinkindanteilen und einer zunehmenden Überalterung der Bewohnerstruktur bleibt der Anteil der Jugendlichen zwischen 11 und 18 Jahren in den Neubaugebieten in den nächsten Jahren noch überdurchschnittlich hoch. Insgesamt sind für die Versorgungssituation nach 1989 folgende Entwicklungen charakteristisch: - Durch den drastisch gesunkenen Kleinkindanteil ist die Schließung und Umnutzung von Krippen bzw. Kinderkombinationen unumgänglich geworden. Möglichkeiten der Anpassung an veränderte Nutzerstrukturen sind z.B. die Neunutzung ehemaliger Kinderkombinationen als soziale und kulturelle Zentren für verschiedene Alters- und Sozialgruppen. - Die Schließung von Jugendclubs führte mangels Alternativen oft zum Wegfall des gesamten Freizeitangebots für junge Menschen. - Durch den Ausbau von Einkaufszentren wurde die Versorgungssituation in vielen Großwohnsiedlungen verbessert. Allerdings können ausschließlich konsumorientierte Angebote soziale und kulturelle Einrichtungen nicht ersetzen. Shopping mails, die abends geschlossen werden, machen deutlich, dass Ansprüche, die über den Einkauf hinausgehen (Ausgehen, kulturelles Erleben u. ä.), in dieser Form der Stadtteilzentren meist nicht befriedigt werden können. Kernstädte und suburbane Gebiete Als Folge von Suburbanisierungsprozessen ist die Nachfrage nach infrastrukturellen Leistungen vor allem im Umland der Oberzentren angestiegen. Ausstattung und Erreichbarkeit von Einrichtungen der sozialen Infrastruktur in diesen Gebietstypen zeigen z.T. deutliche Defizite. Da es sich bei den zugezogenen Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich häufig um Haushalte mit Kindern handelt, ist die Versorgung mit Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen (insbesondere Schulen, Kindergärten, Horte) von großer Bedeutung. Da Einrichtungen der Grundversorgung in den neu entstandenen Siedlungen nur bedingt zur Verfugung stehen, werden infrastrukturelle Leistungen in anderen zentralen Orten, funktionsfähigen Gemeinden oder den Kernstädten in Anspruch genommen, was i.d.R. ausschließlich über Pkw-Nutzung realisiert wird und zu einem deutlich erhöhten Individualverkehrsaufkommen geführt hat (Herfert, 1996). Insgesamt kann festgestellt werden, dass Familien in den Städten i. d. R. (noch) die bessere Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen vorfinden. Gleichzeitig ist es durch die stark gestiegene Umzugsmobilität und die großen Bevölkerungsverluste besonders in weniger begünstigten innerstädtischen Wohngebieten bereits zum Abbau der sozialen Infrastruktur gekommen. Durch die Einwohnerverluste und die dadurch entstandene Erosion gewachsener Sozialbeziehungen steigt gleichzeitig der Bedarf an sozialen Unterstützungsangeboten in den betroffenen Quartieren.
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Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Ausstattung mit Einrichtungen der sozialen Infrastruktur bei der Wahl des Wohnortes ein wesentlicher Aspekt ist, der mit über die Konkurrenzfähigkeit eines Quartiers bestimmt. So ist die für Kommunen interessante Gruppe der ökonomisch gesicherten jungen Familien u.U. auch mit einem attraktiven Angebot an Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen in die größeren Städte zu locken, die seit Beginn der 1990er-Jahre extrem unter den Abwanderungen leiden. Entwicklung des Infrastrukturangebots für unterschiedliche Nutzergruppen Am Beispiel des infrastrukturellen Angebots für alte Menschen, Kinder und Jugendliche lassen sich die engen Zusammenhänge zwischen demographischen Verschiebungen und der Versorgungsplanung darstellen. Gleichzeitig werden damit Bereiche vorgestellt, die vor der Wende eine sehr unterschiedliche Qualität für die betroffene Bevölkerung aufwiesen. So war das Feld der Altenpflege und -hilfe bis zur Wiedervereinigung - ganz im Gegensatz zum flächendeckend ausgebauten Netz an Einrichtungen der Kinderbetreuung - durch gravierende Mängel und Engpässe gekennzeichnet. Betreuungsangebote für Kleinkinder:
Kinderkrippen
Der stetige Ausbau des Kinderbetreuungssystems hatte in der DDR von Anfang an eine hohe Priorität und konzentrierte sich zunehmend auf die Egalisierung räumlicher Disparitäten. Das flächendeckende, staatlich organisierte und subventionierte Betreuungsnetz bot außerfamiliäre Betreuung ganztägig, ganzjährig und zum Preis von 1,40 DDR-Mark pro Tag nahezu kostenlos an. Mit durchschnittlich 833 Krippenplätzen für rund 1 000 in Frage kommende Kinder rangierte die institutionelle Betreuung von Kindern unter drei Jahren in der DDR in internationalen Vergleichen an erster Stelle. Zum Zeitpunkt der Wende lagen im Kinderbetreuungssystem der DDR z.T. bereits Überkapazitäten vor, da die Geburtenrate bereits ab 1988 rückläufig war. Insgesamt war eine quantitativ umfangreiche, gleichzeitig aber auch sehr einheitliche Form der Betreuung charakteristisch. Auf unterschiedliche Angebotsformen der Kinderbetreuung wie z.B. Tagesmütter, Kinderläden, Elterninitiativen, die sich z.B. in der alten Bundesrepublik, teils als Reaktion auf Engpässe, teils als Kritik an der staatlichen Kinderbetreuung entwickelten, konnte nicht zurückgegriffen werden. Nach 1990 setzte ein drastischer Abbau im Kinderbetreuungssystem durch Schließungen, verringerte Öffnungszeiten, insbesondere aber Personalabbau ein. Das Angebot wurde analog zur Abwanderung junger Familien, der extrem gesunkenen Geburtenraten, aber auch als Folge der hohen Arbeitslosigkeit von Müttern mit Kleinkindern reduziert. Die Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei
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Sachsen Mecklenburg-Vorpommern Thüringen Brandenburg Berlin-Ost Sachsen-Anhalt 10
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50
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Anteil der Kinder unter 3 Jahren mit einem Platz in einer Tageseinrichtung (%)
Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus, FS. 13, Reihe 6.3.1.
Abb. 2: Entwicklung der Versorgung mit Krippenplätzen 1989,1994,1998,2001 Jahren waren von dieser Entwicklung deutlich stärker betroffen als die Kindergärten. Die Gründe sind neben rechtlichen Bedingungen wie dem gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz und der Einführung eines dreijährigen Erziehungsurlaubes in der Schließung der Betriebskrippen zu sehen. Insgesamt hat sich der Versorgungsgrad zwischen 1989 und 1998 in etwa halbiert, wobei deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen. Danach hat sich die Versorgungssituation infolge des drastischen Geburtenrückgangs bei gleichzeitig anhaltendem Abbau vorübergehend verbessern können (Abb. 2). Die negativen Folgen von Schließungen und Zusammenlegungen sind trotz eines noch ausreichenden Bestandes verlängerte Wege, die als Angebotsverschlechterung erlebt werden (Sternitzky und Putzig, 1996). Soziale Infrastruktur für ältere Menschen: Einrichtungen der Altenhilfe und -pflege Im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR waren ältere und Schwerbehinderte Menschen gegenüber Kindern, Jugendlichen und der „werktätigen" Bevölkerung deutlich benachteiligt. Durch ungünstige Wohnverhältnisse wie z.B. Kohle-
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Öfen, Außentoilette, fehlendes Warmwasser ergab sich im Alltagsleben gleichzeitig eine erhöhte Hilfsbedürftigkeit. Dabei lebten ältere Menschen überdurchschnittlich häufig in den am schlechtesten ausgestatteten Wohnungen. Als Alternative zu Pflegeheim und Krankenhäusern blieben i. d. R. nur familiäre oder nachbarschaftliche Unterstützung bei Grundtätigkeiten wie Einkaufen, Heizen etc., sofern darauf zurückgegriffen werden konnte, bzw. die von der Volkssolidarität organisierten Hauswirtschaftspflege und Mittagessenversorgung für ältere Menschen. Da das Problem Altenpflege nahezu ausschließlich stationär gelöst wurde, musste ein stetig wachsender Anteil der Hochbetagten seinen Lebensabend in Mehrbettzimmern ohne Wohnlichkeit, ohne eigene Möbel oder Komfort verbringen. Nach 1990 wurden in der ambulanten häuslichen Pflege die 5 585 staatlichen und 124 konfessionellen Gemeindeschwesternstationen durch rund 1 000 neu eingerichtete und technisch gut ausgestattete Sozialstationen der Wohlfahrtsverbände abgelöst. Darüber hinaus tragen private Investoren, Seniorenorganisationen und Selbsthilfegruppen zur besseren Betreuung älterer Menschen bei - Organisationsformen, die es in der ehemaligen DDR nicht gab (Schwitzer, 1996, S. 293). Hinsichtlich der technischen Ausstattung und des Leistungsangebots besteht zwar kaum mehr ein Unterschied zu den Sozialstationen in den alten Ländern. Allerdings stößt die Arbeit der ambulanten sozialpflegerischen Dienste aus mehreren Gründen auf kompliziertere Rahmenbedingungen: In den schwach besiedelten Regionen Mecklenburgs, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs müssen oft sehr große Entfernungen zurückgelegt werden. Insgesamt ist der Versorgungsgrad mit sozialen Diensten in den neuen Ländern höher als in den alten Ländern, da die Konkurrenz zwischen Verbänden und privat-gewerblichen Anbietern größer ist. Daneben existiert aufgrund der Arbeitslosigkeit ein grauer Markt, der die Preise der ambulanten Dienste unterbietet. In der stationären Altenhilfe sind die staatlichen Feierabendheime nach 1990 in die Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände gewechselt. Probleme brachten hier zunächst eklatante Preissteigerungen für Heimplätze von 105 D M (Feierabendheim) bzw. 120 D M (Pflegeheimplatz) im Juni 1990 auf Kosten zwischen 1800 und 3000 D M seit 1992. Dabei entsprach 1990 noch kaum ein Heim den Mindeststandards der alten Länder, viele Heime waren abrissreif oder wiesen zumindest einen hohen Investitionsbedarf auf. Die als Altenheime zweckentfremdeten Altbauten (Gutshäuser, Schlösser, Villen) vor allem in ländlichen Gebieten und in kleineren Städten mussten häufig aufgegeben werden. Die meist in Plattenbauweise errichteten neueren Heime - vorwiegend in Großstädten - konnten saniert und in ihrer Wohnqualität erheblich verbessert werden. Allerdings haben sich die Erwartungen an die Altenbetreuung und -hilfe insgesamt gewandelt. Zentralisierte Betreuungskonzepte in Krankenhäusern erscheinen heute weniger geeignet als Sozialstationen. Im ländlichen Raum ist das Angebot an Altenwohnheimen und
Die Versorgung mit sozialen Infrastrukturen unter Schrumpfungsbedingungen 285 betreutem Wohnen unzureichend. In den Städten besteht diesbezüglich aber bereits eine gute Versorgung, teilweise zeichnet sich sogar ein Überangebot ab. Im Hinblick auf die infrastrukturellen Verbesserungen in der Altenhilfe und -pflege konnten alte Menschen ihre Lebenssituation im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen seit 1989 deutlich verbessern: Die allgemeine Anhebung des Lebensstandards hat günstige Auswirkungen auf die innerfamiliären Pflegemöglichkeiten. Der Aufbau einer effektiven ambulanten und teilstationären Altenpflege trägt zur Stabilisierung der Pflege im Privathaushalt bei und vermindert den Grad der Institutionalisierung. Allerdings wird eine weitere Verbesserung der Qualität der Altenpflege durch die Strukturkrise in Ostdeutschland und durch die restriktive Leistungsgewährung der Pflegeversicherung behindert (Schmidt, 1998). Auch muss differenziert werden zwischen stationärer und offener Altenhilfe. Da die Pflegeversicherung als zweckgebundene Abgabe nicht die Sozialarbeit, die in der Altenpflege geleistet wird, finanziert, ergaben sich mit ihrer Einfuhrung vor allem Engpässe für die soziale Betreuung alter Menschen (z.B. Altenclubs). Angebote für Jugendliche: Jugendclubs und Filmtheater Jugendliche in den neuen Ländern sind während der Wendejahre in vieler Hinsicht vom Strukturwandel betroffen gewesen: Ein Aspekt neben dem Umbruch des Bildungssystems ist der Wegfall einer fest vorgegebenen und organisierten Freizeitgestaltung, aber auch die Tatsache, dass Elternhäuser durch die Bewältigung der Umbruchsituation (Arbeitslosigkeit etc.) nicht selten stark belastet waren. Die Verantwortung für die Freizeitgestaltung wurde in den individuellen und privaten Bereich verlagert. Durch gesellschaftliche Entwicklungen wie spätere Heirat und spätere Erwerbstätigkeit hat sich die Jugendphase verlängert, und unterschiedliche jugendliche Subkulturen, die differenzierte Angebote notwendig machen, haben sich ausgebildet. Vor diesem Hintergrund werden an die infrastrukturelle Versorgung neue Anforderungen gestellt, die den zunehmend individualisierten Freizeitmustern der Jugendlichen entsprechen (Crow und Hennig, 1995). Die Schließung von Jugendclubs war sowohl eine unmittelbare Folge des Niedergangs der FDJ als auch der Rückgabe von Eigentum bzw. von Betriebsstilllegungen. Gab es vor der Wende 1 766 Jugendzentren oder -clubs in der DDR, ist diese Zahl bis 1992 um ca. 40% auf 1 062 Einrichtungen zurückgegangen. Die Abnahme der Jugendeinrichtungen betraf alle Länder in gleicher Weise, wobei Mecklenburg-Vorpommern mit einem Rückgang um 52 % die größten Verluste zu verzeichnen hatte. In Sachsen wurden 46 % der Einrichtungen geschlossen, in Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt 34% (Crow und Hennig, 1995). Dabei war der ländliche Raum deutlich stärker betroffen als die Städte, in denen
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Dörfliches Gebiet ]—Altbaugebiet F — Neubaugebiet
Mecklenburg-Vorpommern Brandenburg Sachsen-Anhalt Sachsen Thüringen 0
10
20
30
40
50
60
Anteil der Wohngebiete (%) Quelle: Crow und Hennig, 1995, S. 120-122, eigener Entwurf.
Abb. 3: Jugendclubs in unterschiedlichen Wohngebietstypen 1993 (in ... % der untersuchten Wohngebiete ist eine Jugendfreizeitstätte vorhanden) Jugendclubs übergangsweise in kommunaler Trägerschaft neu strukturiert und organisiert wurden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Angebote der Jugendhilfe in deutlich geringerem Maß als der Altenhilfe bereitgestellt werden und in ihrer Existenz stärker gefährdet sind. Wesentliche Ursache dafür ist, dass es sich bei Jugendhilfemaßnahmen größtenteils um freiwillige Leistungen handelt, die in den neuen Ländern aufgrund einer prekären Haushaltslage und einer fehlenden öffentlichen Finanzierung weder von Wohlfahrtsverbänden noch von öffentlichen Trägern erbracht werden. Neben den Jugendclubs sind auch die Kinobetriebe als überwiegend privatwirtschaftliche Kultur- und Freizeiteinrichtungen für die infrastrukturelle Versorgung von Jugendlichen von Bedeutung. Nach einem drastischen Kinosterben in den ersten Nachwendejahren (die Anzahl der Kinosäle ist von rund 800 im Jahr 1989 auf 414 im Jahr 1991 zurückgegangen) ist ein kontinuierlicher Anstieg der Anzahl der Filmbetriebe zu beobachten gewesen. Der vor der Wende existierende Filmtheaterbestand wurde somit im Jahr 1999 mit 868 Sälen bereits übertroffen (FFA, 1999, S. 5). Allerdings ist mit dem Trend zu Großkinos (Multiplexen) und der Konzentration von Sälen an zum Teil nicht-integrierten Standorten ein ähnlicher Strukturwandel wie im Einzelhandel zu beobachten. Probleme der Erreichbarkeit ergeben sich hier vor allem für die nichtmotorisierten Jugendlichen in ländlichen Gebieten.
Die Versorgung mit sozialen Infrastrukturen unter Schrumpfungsbedingungen
287
Fazit Die infrastrukturelle Versorgung in den neuen Ländern ist seit der Wiedervereinigung vor allem durch eine Verstärkung der räumlichen und strukturellen Disparitäten gekennzeichnet. Qualitative Verbesserungen im infrastrukturellen Angebot erfolgten oft auf Kosten der Erreichbarkeit und benachteiligen damit insbesondere immobile Bevölkerungsgruppen wie Bewohner des ländlichen Raumes, die über kein Auto verfügen, oder alte Menschen. Bei den ehemals günstig bis kostenlos nutzbaren Leistungen z.B. in der Kinderbetreuung, in der Altenpflege, im Sport oder im kulturellen Bereich haben deutliche Preisanstiege dazu geführt, dass finanzschwache Haushalte die Angebote nicht mehr ohne weiteres in Anspruch nehmen können. Räumlich haben seit 1990 in der DDR bereits überwunden geglaubte Stadt-Land- und Nord-Süd-Gegensätze wieder an Bedeutung gewonnen. Diese räumlichen Tendenzen reflektieren bis zu einem gewissen Grad, dass sich der Abbau infrastruktureller Angebote vor allem in Abhängigkeit von der Stilllegung oder Privatisierung von LPGs bzw. Industriebetrieben und dem Gebäudealter der jeweiligen Einrichtungen vollzog. So war der Verlust von sozialen Einrichtungen in Vorkriegsgebäuden, die sich oft in Villen oder Gutshäusern befanden, in der Regel mit der Rückübertragung des Eigentums verbunden. Zukünftig steht der Abbau von Einrichtungen vor allem mit dem regional unterschiedlich starken Bevölkerungsrückgang in Zusammenhang, der zu Tragfähigkeitsproblemen führt und eine Verschlechterung der Erreichbarkeitsverhältnisse erwarten lässt. Die Ausdünnung des infrastrukturellen Netzes betrifft bisher vor allem die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die in der DDR einen sehr hohen Stellenwert hatte. Bei der Versorgung älterer Menschen sind dagegen überwiegend positive Entwicklungen zu beobachten. Der Zusammenhang zwischen einem attraktiven Infrastrukturangebot und den Standortentscheidungen von Unternehmen und privaten Haushalten lässt die großen Schwierigkeiten, auch langfristig ein attraktives infrastrukturelles Netz zu schaffen, insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern sowie in Teilen SachsenAnhalts und Brandenburgs problematisch erscheinen. Hier stellt sich ζ. B. die Frage, welche der Konzepte, die in den 70er- und 80er-Jahren für den ländlichen Raum in den alten Ländern entwickelt wurden, für die Lage in den genannten Regionen der neuen Länder nutzbar sind bzw. ob grundsätzlich andere Rahmenbedingungen neue Strategien erforderlich machen. Aber auch die kleinräumigeren Verschiebungen der Nachfragestrukturen sind für die Planung von zentraler Bedeutung. So gewinnt zwar z.B. das Problem der Altenbetreuung generell stark an Bedeutung, es wird sich aber auch zunehmend von den Altbauquartieren auf die Großwohnsiedlungen in Plattenbauweise verlagern. Ein weiterer Faktor für wachsende räumliche Ungleichheiten in der infra-
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Tabelle 3 Anpassungsstrategien sozialer Infrastruktur und ihre Auswirkungen Betroffener Raumtyp
Auswirkungen
Unterauslastung, Kindergärten, u.U. Teilleerstand Schulen
Ländlich periphere Räume, Abwanderungsgebiete
+ Qualitätsverbesserung - Steigende Kosten
Kindergärten, Schulen, Jugendclubs, Kulturhäuser
Ländlich periphere Räume, Abwanderungsgebiete
+ Sinkendes Defizit - Organisatorische Probleme - Schlechtere Erreichbarkeiten
Strukturelle Kindergarten zu Anpassung, AltenbegegUmnutzung, nungsstätte Aus- bzw. Umbau
Großwohnsiedlung
+ Steigende Nachfrage + Sinkendes Defizit - Organisation der Personalstruktur - Investitionen in den Umbau
„Flexibilisierung", Mehrfachnutzung, Nutzungsüberlagerung
z.B. Schule wird nachmittags als Altentagesstätte genutzt
Großwohnsiedlung, dünn besiedelte Räume
+ Sinkendes Defizit + Höhere Auslastung - Organisationsprobleme
Mobilisierung
ArztsprechDünn besiedelte stunde, mobile Räume Bäckerei, Wanderbücherei, mobiler Lehrer, „Discobus", „Theaterbus"
+ Größere Angebotsnähe zu den Nutzern + Geringeres Individualverkehrsaufkommen - Höhere Betriebsaufwendungen
Dezentralisierung
Nur Einrichtungen des Grundbedarfs
Dünn besiedelte Räume
+ Angebotsnähe zu den Nutzern - Weniger tiefe Angebote - Geringere Spezifizierung
Mobile Nachfragergruppen
Bündelung, Konzentration
Höherrangige Einrichtungen, Shopping Center, Multiplexe
Suburbaner Raum, städtische Gebiete
+ + + -
Steigende Nutzerzahlen
Neubau
Schule, Kindergarten, Hort
Suburbaner Raum
+ Größere Angebotsnähe + Geringeres Verkehrsaufkommen - Kosten
Ausgangsproblematik
Räumliche Anpassungsart
Sinkende Nutzerzahlen
„Passive Sanierung": Verlagerung der Nachfrage auf übrige Einrichtungen, Leerstand, Abriss Veränderung der Nutzerstruktur
Geringe Nachfragedichte, immobile Nachfragergruppen
Betroffene Einrichtungen
Quelle: nach Henckel, 1985; eigener Entwurf.
Tiefere Angebote Spezifizierung Sinkendes Defizit Höheres Verkehrsaufkommen
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strukturellen Versorgung ist das unterschiedliche Steueraufkommen der Länder und Gemeinden, welches sich in einer differenzierten Förderung bzw. der Rücknahme von sozialer Infrastruktur widerspiegelt. Die prekäre Haushaltslage der ostdeutschen Kommunen hat zur Folge, dass gerade die freiwilligen sozialen Leistungen vom Abbau bedroht sind, da diese in den neuen Ländern in weiten Teilen über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (ABM) finanziert werden (Schneider, 1997). In der Gesamtbetrachtung wird sich die zukünftige Versorgung mit sozialen Infrastrukturen in den neuen Ländern in vielen Bereichen im schmalen Handlungsfeld zwischen den Umsetzungsmöglichkeiten einer qualitativen Anpassung und der „passiven Sanierung" entscheiden. Die demographische Entwicklung legt es nahe, den zukünftigen Bedarf vor allem aus dem vorhandenen Bestand zu decken und hier verstärkt flexible, alternative Konzepte zur Nutzung der vorhandenen Strukturen zu entwickeln. Bedarfsorientierte Um- oder Mehrfachnutzungen von bestehenden Einrichtungen bieten sich vor allem bei veränderten Nachfragestrukturen an. In Regionen mit einer insgesamt geringen Bevölkerungsdichte bestehen Möglichkeiten der Mobilisierung, Dezentralisierung oder Bündelung von Angeboten. Versorgungsformen dieser Art müssen sich jedoch stark an Erreichbarkeitsverhältnissen und der Mobilität der Bedarfsgruppen orientieren. Die knappen öffentlichen Mittel machen die Unterstützung von Privatinitiative und Engagement von Vereinen notwendig. Insgesamt implizieren flexible Konzepte eine Abkehr von der klassischen auf Wachstum ausgerichteten Infrastrukturplanung. Auch die Forderung, grenzüberschreitende, überkommunale Planungskonzeptionen zu entwickeln und umzusetzen, um Kosten zu senken und dennoch ausreichende, attraktive Angebote zu schaffen, ist dringender geworden. Literatur Adler, Frank und Kretzschmar, Albrecht (1993): Ungleichheitsstrukturen in der ehemaligen DDR. In: Geißler, Rainer (Hrsg.): Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Opladen, S. 93-118. Ahnert, Liselotte (1998): Die Betreuungssituation von Kleinkindern im Osten Deutschlands vor und nach der Wende. In: Ahnert, Liselotte (Hrsg.): Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Theorien und Tatsachen. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, S. 2 9 ^ 4 . Blankenfeld, Christine, Lindner, Margit und Weeber, Rotraut (1994): Quartiersbezogene soziale und kulturelle Einrichtungen in den großen Neubaugebieten der neuen Bundesländer. In: Informationen zur Raumentwicklung H. 9/94, S. 619-626.
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Die Versorgung mit sozialen Infrastrukturen unter Schrumpfungsbedingungen
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Räumliche Aspekte der wirtschaftlichen Transformation in Ostdeutschland Von Elmar Kulke
1. Einleitung Seit der Wiedervereinigung erfuhr Ostdeutschland einen tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaftsstruktur, der mit massiven Veränderungen in der räumlichen Verteilung ökonomischer Aktivitäten verbunden war. Der vorliegende Beitrag diskutiert Grundzüge dieses wirtschaftsräumlichen Wandels und orientiert sich dabei an zwei dominierenden Wirkungsketten (Kulke, 1996). Zum einen lässt sich eine gesamtwirtschaftliche Transformation mit großräumigen Auswirkungen beobachten. Drastische Beschäftigtenrückgänge in Industrie und Landwirtschaft ließen großräumige Problemgebiete vor allem in ehemals monostrukturell geprägten Raumeinheiten entstehen. Demgegenüber konzentrierten sich die Neugründungen moderner Industrie- und Dienstleistungsbetriebe auf wenige Standorte mit Agglomerationsvorteilen, und es entstanden punktuell neue Wachstumszentren. Zum anderen veränderten sich die einzelbetrieblichen Merkmale durch neue Produktions- und Organisationssysteme; dies wirkte sich auf Standortanforderungen und lokale Standortsysteme aus. Neu gegründete moderne Einheiten und umstrukturierte Betriebe bevorzugten suburbane Räume oder attraktive innerstädtische Lagen, während viele alte Gewerbegebiete und Streulagen aufgegeben wurden. Im Folgenden werden zuerst die sektorale Transformation und deren großräumige Effekte vorgestellt und dann am Beispiel des Einzelhandels der Wandel lokaler Standortsysteme behandelt. 2. Grundzüge des sektoralen Wandels und großräumige Effekte Im langfristigen Entwicklungs verlauf von Volkswirtschaften ergeben sich Bedeutungsverschiebungen der Wirtschaftssektoren. In vorindustriellen Gesellschaften dominiert die Landwirtschaft, im Zuge der Industrialisierung gewinnt das verarbeitende Gewerbe an Beschäftigtenanteilen und in hochentwickelten Volkswirtschaften sind die meisten Beschäftigten im Dienstleistungsbereich tätig. Entscheidende Triebkräfte des sektoralen Wandels sind der Produktivitäts-
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Beschäftigtenanteil (in %)
Quelle: 1882-1839: Volkszählungen Deutsches Reich; 1950-1999: Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland (nur Westdeutschland).
Abb. 1 : Veränderung der Beschäftigtenanteile der Wirtschaftssektoren Deutschlands fortschritt und durch den Einkommensanstieg bedingte Nachfrageverschiebungen (vgl. Kulke, 1998). In Deutschland waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch die meisten Erwerbstätigen (1882: 42,2%) in der Landwirtschaft beschäftigt (Abb. 1). Den höchsten Anteil des Verarbeitenden Gewerbes erreichte Westdeutschland mit 48,9% im Jahr 1970. Seitdem gewann dort der Dienstleistungsbereich immer mehr an Bedeutung und weist gegenwärtig einen Beschäftigtenanteil von 66,7 % (1999) auf. Dieser kontinuierliche Wandel wurde in der DDR nicht gleichermaßen vollzogen. Der sozialistischen wirtschaftspolitischen Ideologie folgend wurde der materiellen Güterproduktion gegenüber Dienstleistungen Vorrang eingeräumt. Entsprechend waren die Beschäftigtenanteile von Landwirtschaft (DDR: ca. 6 %, BRD: ca. 3 %) und Industrie (DDR: ca. 52 %, BRD: ca. 38 %) zum Zeit-
Räumliche Aspekte der wirtschaftlichen Transformation in Ostdeutschland
295
punkt der Wende noch sehr hoch. Zugleich lag jedoch die Arbeitsproduktivität, aufgrund veralteter und verschlissener Produktionsanlagen und eines personellen Überbesatzes (einschließlich vieler nicht unmittelbar zur Produktion gehörender Randaktivitäten), deutlich unter jener Westdeutschlands. So betrug 1991 das als Produktivitätsindikator dienende BSP pro Erwerbstätigen nur ca. 36 % des westdeutschen Wertes (Institut für Weltwirtschaft, 1999). Mit der Wiedervereinigung galten marktwirtschaftliche Kosten-Erlös-Bedingungen auch für die Betriebe in Ostdeutschland. Einkommensumstellung in D M in Verbindung mit personellem Überbesatz und geringer Produktivität führten zu einer Kostenexplosion bei den zu zahlenden Löhnen. Zugleich reduzierten sich die Erlöse - aufgrund des Wegbrechens der osteuropäischen Märkte, der geringen Konkurrenzfähigkeit der häufig veralteten Produkte und der fehlenden Marktbeziehungen - drastisch. Deshalb dominierten im primären und sekundären Sektor Entlassungen durch Schließungen und Verschlankungen von Betrieben gegenüber Einstellungen durch Neugründungen und Expansionen. Entsprechend verringerte sich zwischen 1991 und 1997 in der Landwirtschaft die Zahl der Erwerbstätigen um 52,9 % und im Verarbeitenden Gewerbe um 51,0 % (Tab. 1). Tabelle 1 Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen Westdeutschland Ostdeutschland absolut (1 000) Verände- absolut (1 000) Verände1991 1997 rung (%) 1991 1997 rung (%) Land-, Forstwirtschaft, Fischerei
957
689
-28,0
454
214
-52,9
Verarbeitendes Gewerbe
9238
7391
-20,0
2360
1 156
-51,0
Baugewerbe
1857
1674
-9,9
752
1049
+39,5
Handel, Verkehr, Nachrichtenübermittlung
5 628
5 370
-4,6
1320
1 150
-12,9
Kreditinstitute, Versicherungen, Dienstleistungen von freien Berufen/ Unternehmen
7916
9158
+15,7
1456
1879
+29,1
Organisationen ohne Erwerbszweck, Gebietskörperschaften, Sozialversicherung
3 377
3209
-5,0
1248
937
-24,9
28973 27491
-5,1
7 590 6385
-15,9
Gesamt
Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 1998, Wiesbaden.
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2.1 Agrarwirtschaftliche
Entwicklungen
In den Neunzigerjahren veränderten sich die landwirtschaftlichen Betriebsstrukturen Ostdeutschlands vollständig (vgl. Arnold, 1998, Taubmann, 2000). Vor der Wende dominierten in der DDR in der Landwirtschaft großflächige sozialistische Betriebsformen (LPGs). Die durchschnittliche Betriebsgröße lag 1989 bei 1 349 Hektar (zum Vergleich 1990 in der BRD: 18,9 Hektar). Nach der Wende wurden diese aufgelöst und kleinere Einheiten durch Wiedereinrichter, Neueinrichter, eingetragene Genossenschaften und GmbHs gebildet. Dadurch stieg die Zahl der Betriebe von 4751 (1989) sozialistischen Betriebsformen auf 32 013 privatwirtschaftliche Einheiten (1999), und zugleich verringerte sich die durchschnittliche Flächengröße auf 175 Hektar (Daten aus Taubmann, 2000, basierend auf verschiedenen Quellen). Heute (1999) werden 93,0% der landwirtschaftlichen Flächen in Ostdeutschland von Betrieben mit mehr als 100 Hektar Größe bewirtschaftet (in Westdeutschland nur 19,3 %). Die entstandenen großflächigen Einheiten besitzen eine hohe Leistungsfähigkeit, erlauben aufgrund ihrer Größe einen effizienten Einsatz der Betriebsmittel und befinden sich innerhalb Europas in einer guten Konkurrenzsituation. Die Entwicklung einer konkurrenzfähigen Landwirtschaft war jedoch mit der Freisetzung zahlreicher Arbeitskräfte verbunden. Dadurch ist in den ländlichen Räumen eine spezielle Problemstruktur entstanden. Einer leistungsfähigen Landwirtschaft stehen hohe Arbeitslosenzahlen gegenüber, da zu wenig außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten vorhanden sind. So weisen die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern (5,9%), Brandenburg (5,2%), Sachsen-Anhalt (4,1 %) und Thüringen (4,1 %) innerhalb Deutschlands die höchsten Erwerbstätigenanteile der Landwirtschaft auf (Abb. 2), und zugleich liegen dort (bis auf Thüringen) die höchsten Arbeitslosenquoten vor (Abb. 3). In räumlicher Hinsicht hat die landwirtschaftliche Transformation in den ländlichen Räumen zur Entstehung leistungsfähiger Agrarbetriebe und flächenhafter Problemgebiete geführt. 2.2 Industriewirtschaftliche
Entwicklungen
Für die Industrie nehmen Schätzungen an, dass über 80 % aller vor der Wende vorhandenen Arbeitsplätze verloren gingen (Grotz, 2000); Neugründungen konnten diesen Arbeitsplatzverlust nicht in gleichem Umfang kompensieren, sodass es insgesamt zu einem dramatischen Deindustrialisierungsprozess kam. Dieser war vor allem zu Beginn der Neunzigerjahre ausgeprägt; zwischen 1991 und 1993 verringerte sich die Zahl der Erwerbstätigen im Produzierenden Gewerbe (d.h. einschließlich des expandierenden Baugewerbes) von 3,127 Mio. auf 2,379 Mio. (neue Länder und Berlin-Ost). Danach folgte bis Mitte der Neunzigerjahre eine Phase mit überdurchschnittlichem Zuwachs von Beschäftigten und Produktivität;
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Erwerbstätige in 1000 5000 2500 1000 500 277
1991 1999
OD Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Produzierendes Gewerbe Handel, Gastaewerbe, Verkehr ^ S o n s t i g e Dienstleistungen
Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch, verschiedene Jahre.
Abb. 2: Erwerbstätige 1991 und 1999 die Zahl der Erwerbstätigen im Produzierenden Gewerbe stieg bis 1995 wieder auf 2,415 Mio. Seitdem haben sich die Zuwachsraten jedoch verringert und liegen unter jenen Westdeutschlands, was sich in einem erneuten Rückgang der Erwerbstätigen dieses Sektors auf 2,077 Mio. (1999) ausdrückt (Daten nach Statistischem Bundesamt). Inzwischen ist in Ostdeutschland eine Industriestruktur entstanden, die deutliche Unterschiede zu Westdeutschland aufweist (vgl. Gaebe, 1998, Grotz, 2000). Der Industrialisierungsgrad liegt - gemessen am Beschäftigtenanteil des Verarbeitenden Gewerbes (d.h. ohne Baugewerbe) - mit nur 18,1 % (1997) deutlich unter jenem der alten Bundesländer (26,9 %) (vgl. Abb. 2). Die Beschäftigtenproduktivität in allen Sektoren beträgt im Durchschnitt nur 56% (1999) des west-
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Arbeitslosenquote 1999 in %
I | > 12 j
]
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